Geist: Studium Systematische Theologie Band 6 [1 ed.] 9783525567104, 9783647567105, 3525567103

Nach den Bänden über Religion, Offenbarung, Kirche und Christus findet die Reihe zum Studium Systematische Theologie mit

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German Pages 379 [384] Year 2011

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Geist: Studium Systematische Theologie Band 6 [1 ed.]
 9783525567104, 9783647567105, 3525567103

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Studium Systematische Theologie

Band 6

Vandenhoeck & Ruprecht

Gunther Wenz

Geist Zum pneumatologischen Prozess altkirchlicher Lehrentwicklung

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-56710-4 ISBN 978-3-647-56710-5 (E-Book)

© 2011 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Oakville, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Satz: Text & Form, Garbsen Druck und Bindung: a Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt Einleitung ..................................................................................................

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1. Der österliche Pfingstgeist ...................................................................

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2. Jüngerschaft Jesu und Christusnachfolge ............................................

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3. Entwicklungsphasen apostolischer Kirche ...........................................

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4. Weltgeschichtliche Horizonte .............................................................

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5. Jüdische Kontexte ............................................................................... 105 6. Die Heiligen Schriften Israels als Altes Testament und die Genese des neutestamentlichen Kanons .......................................................... 124 7. Die Bücher des Neuen Testaments ...................................................... 142 8. Die Kanonizität des Kanons und das Konzept einer Theologie des Neuen Testaments ............................................................................... 163 9. Urchristliche Theologiegeschichte, neutestamentliche Wissenschaft und Schrifthermeneutik ...................................................................... 182 10. Die paulinische Mission ...................................................................... 200 11. Der johanneische Kreis ....................................................................... 219 12. Das Evangelium Jesu Christi als Mitte des Neuen Testaments ............ 233 13. Apostolische Väter und Apologeten .................................................... 251 14. Logoschristologie und Trinitätslehre ................................................... 272 15. Die Wesenseinheit der trinitarischen Hypostasen und die Person des Gottmenschen .............................................................................. 293 16. Schulmäßige Rezeptionsgestalten des Dogmas der Alten Kirche ......... 310 17. Cur Deus homo: zur altkirchlichen, mittelalterlichen und reformtorischen Soteriologie ............................................................... 330 Epilog ......................................................................................................... 352 Register ....................................................................................................... 369

Einleitung*

„Was wissen wir von Jesus?“ (O. Betz, Wuppertal/Zürich 1991) „Wer war Jesus von Nazareth?“ (G. Strube [Hg.], München 1972) „Wer war Jesus wirklich?“ (K. Berger, Stuttgart 1995) Historisch seriöse Antworten auf diese und ähnliche Fragen, wie sie im Titel zahlreicher Jesusbücher, Antijesusbücher und in einem „AntiJesusbücher-Jesusbuch“ (Berger, 9) zu lesen stehen, sind im Wesentlichen der synoptischen Tradition, näherhin dem ältesten Evangelium nach Markus und der Logienquelle Q zu entnehmen, die allerdings nur in der Weise hypothetischer Rekonstruktion greifbar ist. Zwar reicht „Der Schatten des Galiläers“ (vgl. G. Theißen, München 1986) über die Evangelien und die kanonischen Schriften hinaus; aber die historischen Konturen seiner Gestalt treten am deutlichsten in Mk und Q zutage. „Jesus nach 2000 Jahren. Was er wirklich sagte und tat“ (G. Lüdemann, Lüneburg 2009): Beides lässt sich am ehesten an den ältesten Zeugnissen der synoptischen Tradition in Erfahrung bringen. An dieser Einsicht hat sich durch „The Third Quest“ nichts Entscheidendes geändert. Lässt sich dies mit Gründen behaupten, und erledigt sich mit dieser Behauptung, wenn sie denn zu Recht besteht, die Bedeutung der neueren Jesusforschung für die Systematische Theologie und die ihr aufgetragene christologische Urteilsbildung? Die nachfolgende Antwort auf diese Frage repetiert, was im vorhergehenden Band ausführlich dargestellt worden ist. Innerhalb der Systematischen Theologie hat die neueste Phase der Jesusforschung zumindest Third Quest im deutschsprachigen Bereich bisher kaum Resonanz gefunden. Wenige Ausnahmen (A. v. Scheliha, Kyniker, Prophet, Revolutionär oder Sohn Gottes? Die „dritte Runde“ der Frage nach dem historischen Jesus und ihre christologische Bedeutung, in: ZNT 4 [1999], 22–31; Chr. Danz, Der Jesus der Exegeten und der Christus der Dogmatiker. Die Bedeutung der neueren Jesusforschung für die systematisch-theologische Christologie, in: NZSTh 51 [2009], 186–204; ders./M. Murrmann-Kahl [Hg.], Zwischen historischem Jesus und dogmatischem Christus, Tübingen 2010) bestätigen diese Regel. Der „Gong zur ‚dritten‘ Runde“ (Scheliha, 22) ist durch „The Third Quest“ für die Systematik in christologischer Hinsicht noch nicht ertönt. Während die neutestamentliche Wissenschaft den seit den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts erfolgten Neuansatz der Jesusforschung intensiv, wenn auch höchst kontrovers diskutierte, blieb * Für Hilfe bei der Überprüfung von Zitaten danke ich Herren Stefan Dienstbeck.

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Einleitung

die christologische Urteilsbildung der Systematischen Theologie von den exegetischen Auseinandersetzungen weithin unberührt. Ein wesentlicher Grund für diese Zurückhaltung dürfte darin zu suchen sein, dass in der neuesten Phase der Jesusforschung eine Form von Historismus gepflegt wird, für den dezidierte Dogmatikabstinenz und der bewusste Verzicht auf Fragestellungen traditioneller Christologie ein charakteristisches Kennzeichen zu sein scheint. „The Third Quest“ ist entschieden un-, um nicht zu sagen: antidogmatisch angelegt. Dem korrespondiert die reservierte Haltung Systematischer Theologie ihr gegenüber. Die Reserve beruht, wenn man so will, auf Gegenseitigkeit. Doch sollte es dabei nicht belassen werden. Mag „The Third Quest“ den Jesus der Exegeten dem Christus der Dogmatiker kontrastieren; die Systematische Theologie dürfte gut beraten sein, sich nicht in Alternativen dieser Art drängen zu lassen. Sie sollte sich daher gegenüber den bisherigen Resultaten der neuesten Jesusforschung aufgeschlossener verhalten als sie es bisher getan hat, auch wenn die geltend gemachten historischen Vorbehalte nach wie vor bestehen. Was lässt sich von „The Third Quest“ systematisch lernen? In der neuesten Jesusforschung herrscht weitgehender Konsens, dass Jesus Jude war und historisch im Kontext des zeitgenössischen Judentums zu betrachten ist. Dem wird ernsthaft niemand widersprechen wollen. Von einem prinzipiellen Gegensatz Jesu zum Judentum seiner Zeit oder gar einem jesuanischen Antijudaismus zu reden, ist erkenntlich abwegig. Um zu einer solchen Einsicht zu gelangen, bedarf es keiner methodischen Kritik am lange verbreiteten sog. Differenzkriterium der Exegese, so berechtigt diese in konkreter Hinsicht auch sein mag und tatsächlich ist. Dass Jesus als Jude lebte und wirkte, ist historisch evident. Historisch schwieriger ist es, den von der neueren Forschung gemeinsam und zu Recht betonten Zusammenhang Jesu mit dem zeitgenössischen Judentum genauer zu bestimmen. Um dies angemessen leisten zu können, bedarf es zunächst eines angemessenen historischen Verständnisses des Judentums der Zeit Jesu. Diesbezüglich hat die aktuelle Forschung unzweifelhaft Erkenntnisfortschritte und Differenzierungsleistungen erbracht. Das Judentum der jesuanischen Zeit ist nicht der erratische Block, als den man es gelegentlich betrachtet hat, sondern ein höchst komplexes und plurales Gebilde. Das Problem, das Verhältnis Jesu zu ihm präzise zu bestimmen, wird dadurch nicht einfacher, wie sich an der neueren Jesusforschung selbst unschwer belegen lässt. Zwar besteht hinsichtlich der Annahme einer Kontinuität zwischen Jesus und dem zeitgenössischen Judentum Einverständnis, nicht hingegen in der Frage, in Bezug auf welche geschichtlichen Erscheinungsgestalten jüdischer Religion die Kontinuitätsannahme in Anschlag zu bringen ist. An diesem entscheidenden Punkt divergieren die Positionen der neueren Jesusforschung ebenso erheblich wie in der konkreten Darstellung des Bildes, das vom historischen Jesus gezeichnet wird. „The Third Quest“ hat einheitlich die Komplexität des antiken Judentums und den Zusammenhang geltend gemacht, in dem Jesus zu diesem steht. Sie hat aber diesen Zusammenhang sehr unterschiedlich bestimmt und höchst divergierende

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Bilder vom Juden Jesus gezeichnet. Geza Vermes sieht in ihm einen jüdischen Charismatiker galiläaspezifischer Prägung, John Dominic Crossan den Repräsentanten eines kynischen Judentums, Ed Parish Sanders einen radikalen Eschatologen in apokalyptischer Tradition. Weitere Beispiele, an denen die bestehenden Gegensätzlichkeiten noch sehr viel deutlicher würden, ließen sich unschwer beibringen. Der Projektionsverdacht, wie er bereits gegen die erste, von Albert Schweitzer beschriebene und kritisierte Phase der Leben-Jesu-Forschung erhoben wurde, scheint nahezuliegen. Er ist gegenüber einer Reihe von Antworten, die „The Third Quest“ hervorgerufen hat, gewiss nicht unberechtigt, um von Elaboraten feuilletonistischer Jesusliteratur zu schweigen. Dennoch sollte von Seiten Systematischer Theologie die Projektionsthese nicht vorschnell wiederholt werden. Vielmehr gilt es zu bedenken, ob der gesteigerte Pluralismus aktueller Jesusdarstellungen nicht einen Hinweis in sich enthält, der auch und gerade unter christologischen Gesichtspunkten in hohem Maße bemerkenswert ist. Denn offenbar reflektiert sich in ihm nicht nur die Bewusstseinslage eines Historismus unter den Bedingungen dessen, was man Postmoderne nennt; der Pluralismus neuerer Jesusdarstellungen macht darüber hinaus verstärkt auf ein Problem aufmerksam, das in der historischen Weltauffassung selbst begründet liegt und daher für die historische Jesusfrage nicht unbedacht bleiben darf. Historisch betrachtet scheint Jesus nicht nur eine uneindeutige Gestalt der Geschichte zu sein, die plurale, ja auch gegensätzliche Wahrnehmungen provozierte, er ist es auch tatsächlich. Diese Uneindeutigkeit gilt es christologisch nicht zu verdrängen, sondern zu würdigen und zwar als ein unverzichtbares Implikat der Christologie selbst. Nicht nur, weil sie Anlass gibt, ihre dogmatischen Prämissen beständig zu reproblematisieren, ist aktuelle Jesusforschung für Systematische Theologie von Bedeutung. Ihre systematische Relevanz besteht vor allem in der Nötigung, die von ihr ausgeht, Uneindeutigkeit, Nichtnotwendigkeit und Kontingenz als Sachverhalte zu bedenken, die einer Christologie unveräußerlich zugehören, welche auf Jesus als eine geschichtliche Gestalt in konkreter Historie nicht Verzicht tun will, was ihr um ihrer selbst willen untersagt ist. Es ist, wenn man so will, der dem Kreuz entgegengehende historische Jesus, der die Christologie davon abhält, sich dogmatisch abzuschließen, und der sie offenhält in Bezug auf eine uneindeutige Welt, deren Zweideutigkeit eindeutig zu identifizieren nicht die geringste Aufgabe ist, die Systematischer Theologie gestellt ist. Unter den Bedingungen der sog. zweiten Rückfrage nach dem historischen Jesus stellte Second Quest sich, um es in Anklang an den Titel eines Beitrags von Gerhard Ebeling aus dem Jahr 1959 zu formlieren, die Frage nach dem historischen Jesus und das Problem der Christologie wesentlich im Sinne der Notwendigkeit, beider Verhältnis im Sinne eines differenzierten, eindeutig gerichteten Zusammenhangs zu bestimmen. Diese Bestimmung erfolgte programmatisch durch die These einer impliziten und einer expliziten Christologie. Die der irdischen Erscheinung Jesu implizite Christologie sei unter österlichen Voraussetzun-

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gen explizit und ausgestaltet worden. Schienen damit Identität und Differenz von Jesulogie und Christologie hinreichend bestimmt, so zeigte sich bei näherem Zusehen rasch, dass das Kontinuitätsmoment eindeutig das Moment der Diskontinuität bzw. die Novität dominierte, die durch Ostern gesetzt ist: Die Bedeutung der österlichen Gottestat der Auferweckung, der Selbstbezeugung des Auferstanden und des ihr entsprechenden Bekenntnisses der urchristlichen Gemeinde beschränkte sich im Wesentlichen darauf, den Bedeutungsgehalt zu explizieren, der dem Auftreten und der Geschichte des historischen Jesus bereits implizit war. Wird damit dem Abgrund des Kreuzes hinreichend Rechnung getragen, das die zu vielfältigen und durchaus gegensätzlichen Deutungen Anlass gebende Uneindeutigkeit des historischen Jesus definitiv der Zweideutigkeit und zwietrachthaltiger Ambivalenz preiszugeben schien und in historischer Sicht tatsächlich preisgab? Diese Frage stellt sich auch dann, wenn der messianische Vollmachtsanspruch Jesu als diejenige Größe namhaft gemacht wird, die den seiner irdischen Geschichte eigenen Bedeutungsgehalt mit dem christologischen Urteil vermitteln soll, Jesus sei der Christus. Ist das individuelle Bewusstsein, das der historische Jesus von sich hatte und das implizit seine Sendung kennzeichnete, der sich im Kreuzestod durchhaltende Grund österlicher Christologie? Oder ist nicht Ostern die Voraussetzung dafür, dem historischen Jesus diejenige Bedeutung beizumessen, die er unter österlichen Bedingungen tatsächlich und zwar von Anfang seiner Lebensgeschichte an hatte, aber ohne Ostern faktisch nicht hätte? Nicht dass das Osterereignis den Gehalt der Geschichte des historischen Jesus materialiter anreichern würde. Gleichwohl wird die Uneindeutigkeit und zweideutige Ambivalenz, die ihr als historischem Phänomen im Allgemeinen und nachgerade in ihrer spezifischen Besonderheit eignet, erst durch das Osterereignis behoben, ohne welche sie unbehoben bliebe und als unbehebbar gelten müsste. Das Ostergeschehen hat einen Anhalt an Jesus und ist ohne Bezug auf ihn nicht, was es ist. Doch kann die das Kreuz umgreifende Kontinuität zwischen dem historischen Jesus und dem österlichen Christus nicht unmittelbar in der und durch die Historizität des Irdischen aufgewiesen, sondern nur durch den auferstandenen Gekreuzigten erwiesen werden, der sich in seinen österlichen Erscheinungen als der Christus Jesus und damit in seiner Jesus-Christus-Identität zu erkennen gibt und zeigt, wer er in Wahrheit und Wirklichkeit ist, immer war und ewig sein wird. Grund der Christologie, wie sie durch den historischen Jesus veranlasst wurde und wird, ist der auferstandene Gekreuzigte, der sich in der Kraft des göttlichen Geistes als ihre sich selbst voraussetzende Voraussetzung zu erkennen gibt und zwar so, dass Jesus und mit ihm sein Kreuz und die Uneindeutigkeit und Nichtigkeit seines irdischen Daseins nicht nur als ewig unvergessen, sondern als der Gottheit Gottes unveräußerlich zugehörig erscheinen. Daran mit ihren Mitteln zu erinnern, ist eine systematisch unverzichtbare Aufgabe historisch-kritischer Jesusforschung. Sie ist zwar nicht alleiniger Grund christologischer Urteilsbildung, der die Dogmatik ersetzen könnte, wohl aber ihre conditio sine qua non, und zwar gerade in dem,

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was ihr eigentliches Wesen ausmacht: Reproblematisierung und Steigerung von Komplexität. Komplexitätssteigerungen und Reproblematisierungen gehören zu den eigentümlichen Rechten und Pflichten historischer Forschung im Allgemeinen und historischer Jesusforschung im Besonderen, welche Systematische Theologie anzuerkennen hat, die nicht dogmatisch im pejorativen Sinne des Begriffs sein will. Nicht dass Theologie sich systematisch damit begnügen könnte, die Pluralität von Jesusdarstellungen lediglich zu registrieren und als irreduzibel hinzunehmen. Will sie an ihrer christologischen Aufgabe festhalten, wird sie die Irreduzibilität pluraler Wahrnehmungen Jesu insofern würdigen, als zu jeder denkbaren Rezeption seiner historischen Gestalt konstruktive und Momente individueller Subjektivität hinzugehören: Faktum und Deutung lassen sich unterscheiden, nicht aber trennen. Gleichwohl wird Systematische Theologie, die ihren Namen verdient, zwischen christologisch vertretbaren und christologisch abwegigen Wahrnehmungsformen Jesu zu differenzieren haben. Diese Aufgabe kann ihr von historischer Jesusforschung nicht abgenommen, aber auch nicht bestritten werden – und das umso weniger, als historisch unbestreitbar ist, dass sich bereits am historischen Jesus selbst die Geister schieden. Zwar gab es zu seinen irdischen Lebzeiten und danach auch unter seinen Anhängern durchaus unterschiedliche Wahrnehmungen und Deutungen seiner Person, die z.T. in einem sehr spannungsreichen Verhältnis zueinander standen. Doch änderte dies nichts an der Tatsache, dass es zu Trennungen kam und kommen musste, sobald ein gewisser Grad an Differenz überschritten war. Kontradiktorische Gegensätze können auch in Bezug auf Jesus nicht zusammen bestehen. Anderes zu behaupten liefe zwangsläufig auf eine Destruktion der Christologie hinaus. Urdatum der Christologie ist das Osterereignis. An der Stellung zu seiner Wirklichkeit und First Quest Wahrheit entscheidet sich jedes Urteil über Jesus, das mit theologisch-christologischem Anspruch versehen ist. Unter Absehung von Ostern wird Jesus zwar keineswegs als historisch bedeutungslos erscheinen. Christologisch hinreichend erfasst werden kann seine Bedeutung hingegen nur von Ostern her. Dabei gehört, um es zu wiederholen, zur österlichen Wahrnehmung Jesu unveräußerlich die Erkenntnis der Uneindeutigkeit, ja Zweideutigkeit seiner historischen Erscheinung, die nicht nur verschiedene, sondern widersprüchliche und gegensätzliche Deutungen und Rezeptionen zuließ, ja heraufbeschwor, woran sich bis zum heutigen Tage nichts Wesentliches geändert hat. Diese divergierenden Deutungen sind durch historische Urteilsbildung allein nicht zu beheben, weil das Osterereignis eine Realität erschließt, die höher ist als alle historische Vernunft. Es ist aber eine wesentliche Aufgabe historischer Forschung, christologische Urteile, wie Systematische Theologie sie dogmatisch zu vertreten hat, dahingehend zu reproblematisieren, das sie sie auf die Deutungsvielfalt zurückverweist, die von Anfang an mit der Jesusgestalt verbunden war, welche mit allen historischen Phänomenen eine nicht behebbare Uneindeutigkeit teilt.

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Es ist wichtig und richtig, aber nicht hinreichend, allgemein auf die Vielfalt von Deutungsmöglichkeiten einer geschichtlichen Erscheinung zu verweisen, die in der Uneindeutigkeit alles Historischen ihren Grund hat. Die Deutungen müssen, um angemessene von weniger angemessenen und unangemessenen differenzieren zu können, an das von ihnen zwar nicht einfachhin zu trennende, aber doch zu unterscheidende historische Faktum zurückgebunden werden, welches sie zu deuten beanspruchen. Wird dies unterlassen, dann werden die Deutungen eines Faktums tendenziell vergleichgültigt. Dies kann weder der Sinn der historischen Forschung im Allgemeinen noch derjenige der Jesusforschung sein. Sie wird daher auch bei gegebenem Bewusstsein der Unaufhebbarkeit von Deutungsvielfalt die Uneindeutigkeit der Erscheinung des historischen Jesus nicht auf sich beruhen lassen, sondern sie zu spezifizieren und in eine konkrete Verbindung mit den Tatsachen seines Lebens und Sterbens zu bringen suchen, damit sich ein möglichst eindeutiger Begriff von ihr und der Faktizität des Daseins Jesu einstellt. Im Zuge fortschreitender Forschungen wird sie sich dabei um stetige Erweiterung der Quellenbasis und Verfeinerung ihres Methodeninventars bemühen. Inwieweit der neueren Jesusforschung dies gelungen ist, hat als die entscheidende historische Frage zu gelten, die an sie zu stellen ist. Infolge des neuen Aufschwungs, den die Jesusforschung in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts genommen hat, sind die traditionellen Instrumentarien der Exegese wie Quellenkritik, Traditions- und Redaktionsgeschichte durch sozialgeschichtliche Verfahrensweisen und kulturanthropologische Methoden ergänzt worden. Dies ist ein echter Zugewinn. In der Quellenthematik als dem historischen Basisproblem hat sich hingegen nichts Entscheidendes geändert. „The Third Quest“ steht in einem genetischen Zusammenhang mit den Funden von Qumran und insbesondere von Nag Hammadi. Sie wurden zu einem wesentlichen Motiv, außerkanonische Texte und apokryphe Evangelien wie namentlich das Thomasevangelium in die Jesusforschung einzubeziehen. Das hat diese perspektivisch bereichert. Eine grundlegende Änderung der Quellensituation ist bei nüchterner Einschätzung gleichwohl nicht eingetreten. Was über die Historizität Jesu in Erfahrung zu bringen ist, lässt sich nach wie vor am verlässlichsten an den ältesten Zeugnissen der synoptischen Tradition ausmachen. An ihnen hat sich die historische Jesusforschung daher auch fernerhin vor allem zu orientieren. Eine synoptische Lektüre der Jesusgeschichte unter Voraussetzung der aus den Überlieferungsstoffen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erhebenden Zweiquellentheorie zeigt, dass die internen Gliederungen der Evangelien nach Markus, Matthäus und Lukas zwar häufig, aber keineswegs immer parallel verlaufen. Dies ist ein erstes Hinweiszeichen auf die durch genauere Einsichtnahme in den Charakter der synoptischen Tradition bestätigte und von der exegetischen Forschung mittlerweile fast ausnahmslos anerkannte Tatsache, dass eine historisch verlässliche Rekonstruktion der chronologischen Reihenfolge der Ereignisse des Lebens Jesu unmöglich ist. „Vita Jesu Christi scribi nequit“ (A. v. Harnack). Eine Biographie Jesu lässt sich nicht schreiben. Zu historiographischer Resignation besteht den-

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noch kein Anlass. Die Quellenlage ist in Bezug auf den historischen Jesus keineswegs schlechter, sondern eher besser und ausgiebiger als über irgendeine andere Gestalt der Antike. Entsprechendes gilt für die Geschichte des frühesten Christentums im 1. Jahrhundert. Die durch Bruchstückhaftigkeit und Zufälligkeit der erhaltenen Quellen gegebene historiographische Problematik stellt im Hinblick auf die Antike keinen Sonderfall dar. Für weite Strecken der Geschichte der Alten Welt lässt sich ein weit weniger geschlossenes Bild zeichnen als für die ersten Jahrzehnte der Urchristenheit. Was die in den Evangelien verarbeitete Jesustradition betrifft, so bietet sie sich trotz ihrer perikopischen Strukturierung nicht in isolierten Einzelstücken, sondern in geschichtlichen Zusammenhängen dar, die mit dem Anspruch auf historische Glaubwürdigkeit verbunden waren. Die Autorität namentlich bekannter Traditionsträger wurde dafür geltend gemacht, auch wenn die Evangelien selbst keine unmittelbaren Hinweise auf ihre Verfasserschaft enthalten. Ob es sich bei den Evangelienüberschriften um späte oder um alte Bezeichnungen handelt, ist in der Forschung umstritten. Zwar lässt es der Gebrauch der Schriften im öffentlichen Gottesdienst der Gemeinde unwahrscheinlich erscheinen, dass sie ursprünglich anonym und ohne Titel herausgegeben wurden. Doch kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Evangelienüberschriften erst durch eine spätere Redaktion bzw. im Zuge der Vereinigung der vier Evangelien im Kanon zustande gekommen sind. Der Ursprung des Evangeliumsbegriffs wird beim zweiten und ältesten Evangelisten zu su- Evangelium und Evangelien chen sein. Nur bei ihm besitzt er zentrale Bedeutung, wie die Einleitung Mk 1,1 zeigt, der zugleich die Funktion einer Überschrift zukommt. Indem die anderen „Evangelien“ mit entsprechenden Überschriften versehen wurden, wurden sie als besondere Version der einen Frohbotschaft Jesu Christi kenntlich gemacht. Das Evangelium nach der Darstellung sowohl des Markus als auch des Matthäus, des Lukas und des Johannes ist Kerygma, das aus Glauben kommt und auf Glauben hinzielt, und nicht ein um Neutralität bemühter Bericht. Doch lassen sich Kerygma und Historie nicht trennen. Evangeliumsverkündigung und Geschichtserzählung sind signifikanterweise eins. Als Vorbild mögen biographisch orientierte Geschichtserzählungen des Alten Testaments gedient haben. Doch unterscheiden sich die Evangelien von diesen durch bewusste und ausschließliche Konzentration auf die Gestalt Jesu von Nazareth, im Vergleich zu dem alle anderen Personen in den Hintergrund treten, weil er für die eschatologische Selbstmitteilung Gottes steht und damit eine unüberbietbare und endgültige Stellung einnimmt. Auch wenn es keine Zweifel duldet, dass die Wahrnehmung und Bezeugung Jesu als des endzeitlichen Messias-Menschensohns unter Voraussetzung Osterns erfolgte, wird das österliche Kerygma der Evangelien geschichtlich bestimmt und mit dem Anspruch versehen, keine Phantasieprodukte frommer Einbildung, sondern Traditionen zu überliefern, die Erinnerungen von historischer Authentizität beinhalten. Zwar ist der irdische Jesus der Evangelien nicht unkritisch historisch zu nennen bzw. unmittelbar mit dem historischen Jesus zu iden-

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tifizieren, den kritische Exegese mit ihren Mitteln und unter ihren Prämissen zu rekonstruieren versucht. Dennoch enthält die Jesustradition eine Fülle von Aspekten, die berechtigten Anspruch auf historische Authentizität nicht nur erheben, sondern auch erheben können. Grundlegende Gemeinsamkeiten in den Evangelien und in den übrigen neutestamentlichen Schriften lassen bei allen Unterschieden unschwer erkennen, dass Jesus aus einer jüdischen Familie im galiläischen Nazareth stammte. Seine Taufe im Jordan durch Johannes, zu dessen Kreis er in enger Verbindung stand, markierte den Beginn seiner öffentlichen Wirksamkeit, deren Schwerpunkt in den ländlichen Gebieten am Nordufer des Sees Genezareth lag. In der Erwartung des kommenden Gottesreiches predigte Jesus, erzählte Gleichnisse, vollzog Zeichenhandlungen, war als Exorzist und Therapeut tätig und sammelte eine Jüngerschar um sich. Abgesehen von der Stadt seines Todes hielt er zu größeren Ortschaften Distanz. In Jerusalem wurde er verhaftet, verurteilt und schließlich unter Pontius Pilatus am Kreuz hingerichtet. Diese und eine ganze Reihe anderer Grundbegebenheiten der Geschichte Jesu stehen historisch völlig außer Zweifel. Auch Grundzüge seiner Wortverkündigung und seines tätigen Wirkens lassen sich aus der Überlieferung der Evangelien und namentlich der synoptischen Tradition in Mk und Q deutlich erheben. Jesu Sendung war entscheidend von der Erwartung der kommenden Königsherrschaft Gottes bestimmt. Der traditionsgeschichtliche Zusammenhang, in dem er sich gemeinsam mit seinem Täufer Johannes bewegte, war deutlich durch die Apokalyptik geprägt. Ihre Überlieferungen wurden nicht nur im zeitgenössischen Judentum, sondern später auch in den kanonischen und nichtkanonischen Schriften des frühen Christentums intensiv rezipiert. Textkomplexe wie etwa Mk 13 enthalten zentrale Gattungsmerkmale, Denkmuster und Motive, wie sie vergleichbar bei Jesus begegnen, der umso problemloser mit der apokalyptischen Tradition in Beziehung gebracht werden kann, je differenzierter die Vorstellungen sind, die man mit dieser verbindet. Diesbezüglich haben sich im Vergleich zur älteren Forschung, die sich fast ausschließlich auf die Zukunfts- und speziell auf die Naherwartungsthematik konzentrierte, nicht zuletzt aufgrund der durch die Qumranfunde erweiterten Textbasis erhebliche Präzisierungsfortschritte ergeben. Ihre konsequente Ausrichtung auf das endzeitliche Nahen der Gottesherrschaft gab der Gesamtbotschaft Jesu nicht nur einen streng theozentrischen Charakter, sondern prägte zugleich die Radikalität des jesuanischen Ethos, das ganz von der Erwartung des kommenden Reichs des himmlischen Vaters bestimmt war. Diese Erwartung wurde auch für die Jüngerschaft in der Nachfolge Jesu grundlegend. Ihre Eigentümlichkeit kann ebensowenig wie die Reaktion derer, die Jesus ablehnten und bekämpften, ohne Beachtung des eschatologischen Vollmachtsanspruchs verstanden werden, der das jesuanische Reden und Handeln kennzeichnete. Wenngleich kontrovers diskutiert wird, ob und gegebenenfalls in welchen traditionellen Hoheitstiteln sie sich Ausdruck verschaffte, so liegt es doch auf der Hand, dass die von Jesus unzweifelhaft in Anspruch genommene Autorität in enger Ver-

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bindung stand zu seiner spezifischen Gottesreicherwartung und zu dem charakteristischen Verhältnis, in dem er sich zu seinem himmlischen Vater wusste, dessen kommendes Reich er in Wort und Tat verkündete. Unter den Titeln, mit denen die Evangelien die Hoheit Jesu zum Ausdruck bringen, kommt der Hoheitstitel apokalyptischen Rede vom Menschensohn besondere Bedeutung zu, weil sie wahrscheinlich auf Jesus selbst zurückgeht. Vieles spricht dafür, dass er den Ausdruck „Menschensohn“ als wirklichen Titel benutzt und den titularen Gebrauch nicht erst selbst geschaffen, sondern in modifizierter Form aus der Tradition übernommen hat. Doch was dieser überlieferte Titel in jesuanischer Verwendung genau meint und wie Jesus das Verhältnis seiner Person zum Menschensohn präzise bestimmt hat, ist schwer zu beantworten. Ein Moment der Uneindeutigkeit bleibt. Ob es sich dabei lediglich um einen bisher nicht aufgeklärten Restbestand der jesuanischen Menschensohnrede oder nicht vielleicht um einen Bestand handelt, der zu ihrem eigentümlichen Wesen gehört, bedarf sorgsamer Prüfung. Denn es möchte ja sein, dass zum österlich offenbaren Geheimnis des Menschensohns seine irdische Verborgenheit konstitutiv hinzugehört. Die eindeutige Identifikation Jesu mit dem Menschensohn, wie sie unter österlichen Bedingungen erfolgte, muss keineswegs im Gegensatz stehen zur Uneindeutigkeit, ja Zweideutigkeit, die zu Jesu irdischen Lebzeiten mit der Rede vom Menschensohn verbunden war. Gerade in ihrer Ambivalenz fügen sich die Menschensohnaussagen historisch plausibel in die Gesamtverkündigung Jesu und den differenzierten Zusammenhang ihrer Gegenwarts- und Zukunftsaussagen ein. Jesus unterschied seine Gegenwart vom kommenden Reich Gottes und brachte dieses eben dadurch bereits aktuell zum Vorschein. Strukturell ähnlich könnte es sich mit den jesuanischen Menschensohnaussagen verhalten. Die Zukunft des Menschensohnes nimmt in demjenigen, der sie verkündet, bereits gegenwärtige Gestalt an. Das personale Verhältnis Jesu zum Menschensohn wäre sonach weder im Sinne unmittelbarer Gleichsetzung noch auch alternativer Trennung und Entgegensetzung zu fassen. Wusste sich Jesus nicht auf direkte und unmittelbare, sondern auf indirekte und vermittelte Weise mit dem Menschensohn eins, dann bietet dieser Sachverhalt zugleich die Erklärung für die gleichnishafte Verhülltheit seiner Menschensohnrede und für das Geheimnis des Sinns, das sich mit ihr verbindet. Was sich für seine Beziehung zum kommenden Menschensohn nahelegt, gilt umso mehr für Jesu Verhältnis zu Gott, dessen nahendes Reich er verkündet. Dass Jesus sein wollte wie Gott, wird im Ernst niemand behaupten. Sonst könnte er im Unterschied zum ersten nicht als der zweite Adam bekannt werden, der die Bestimmung des Menschen zur Gottebenbildlichkeit gemäß Gen 1,26f., 5,3 und 9,6 vollendet realisiert hat. Auch von einer expliziten Selbstproklamation Jesu als Sohn Gottes wissen die neutestamentlichen Zeugnisse nichts zu berichten, so sehr sie seine gottgebene Autorität hervortreten lassen. Selbst für den Fall, dass man alle jesuanischen Selbstaussagen der synoptischen Tradition als historisch echt und authentisch anzuerkennen hätte, zeigt ihre verhältnismäßig geringe Zahl an, dass

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titulare Selbstaussagen Jesu offenbar nicht im Zentrum seines öffentlichen Redens und Handelns standen. Dies schließt keineswegs aus, dass sich Jesus in einzigartiger Weise mit Gott als seinem himmlischen Vater verbunden wusste. Aber dieser Verbindung und das Bewusstsein von ihr, welches sich in jesuanischen Selbstaussagen Ausdruck verschaffte, war von erkennbar vermittelter Art und nicht auf unmittelbare Identifikation der eigenen Person und des eigenen Anspruchs mit der Autorität Gottes ausgerichtet. Jesus spricht von Gott primär nicht im Modus persönlicher Selbstaussagen, sondern in der inhaltlichen Weise seiner Basileiaverkündigung. Indem er das Reich Gottes verkündet, bringt er gewiss auch sich selbst zur Sprache, aber eben nicht unmittelbar, sondern auf eine durch den Gehalt seiner Botschaft mediatisierte Weise. Von entsprechender Art ist das Verhältnis Jesu zu Gott, dessen Väterlichkeit seine Basileiabotschaft verkündet. Gott selbst ist es, von dem Jesus die Beglaubigung seiner Botschaft erwartet. Sein Zeugnis ist von der Gewissheit des Selbstbezeugungsvermögens des Bezeugten getragen, und nur im Bewusstsein kategorischer Unterschiedenheit weiß sich Jesus mit Gott eins und als Sohn seines himmlischen Vaters. Man hat die These vertreten, Jesus habe angesichts seiner Orientierung an der Macht und Größe der sich durchsetzenden Herrschaft Gottes auf Selbsttitulierungen und Verehrungserweise gegenüber seiner Person bewusst verzichtet. Zutreffend daran ist, dass er Versuchen, ihn zu glorifizieren, nicht nur mit Reserve, sondern mit Widerspruch begegnet ist. Ganz abgesehen von der Tatsache, dass messianische Ansprüche von einigen erhoben wurden und somit theologisch wenig beweisen, hat Jesus seinen Vollmachtsanspruch primär nicht aus seiner Person, sondern aus dem Gehalt seiner Botschaft heraus begründet, die zu verkündigen er sich berufen wusste. Der Annahme eines Messiasgeheimnisses scheint in diesem Zusammenhang eine Funktion zuzukommen, die auch historisch bedenkenswert ist. Sie auf ein äußeres Konstrukt des zweiten Evangelisten zu restringieren, mit der dieser die in Wirklichkeit unmessianische Realität des Lebens Jesu übertünchen wollte, ist sowohl theologisch als auch exegetisch unangemessen. Es gilt zu erkennen, dass Verborgenheit ein wesentliches Charakteristikum der Messianität des irdischen Jesus darstellt. Ihr Missverstehen, ja ihre Verkennung ist in Anbetracht des Kreuzes ein unveräußerliches Element ihrer selbst und soteriologisch in gebührender Weise zu würdigen. Ja, selbst damit muss und soll gerechnet werden, dass seine Messianität dem irdischen Jesus selbst jedenfalls insofern ein verborgenes Datum und ein Geheimnis blieb, als er deren Grund in keiner Weise in sich, sondern ausschließlich in Gott zu finden suchte. Der Irdische hatte, wenn man so will, kein reflexes Bewusstsein seiner messianischen Würde, weil die Gewissheit, Sohn des göttlichen Vaters zu sein, nicht in ihm selbst gründete, sondern allein in Gott. Es ist das Gottesbewusstsein Jesu, in dem allein sein Selbstbewusstsein und mit seinem Selbstverhältnis sein Verhältnis zu Mitmensch und Welt ihre fundierende Basis fanden. Am Kreuz gerät das Gottesbewusstsein Jesu in seine extremste Krise. Die innere Dramatik des Geschehens besteht nicht allein darin, dass Jesus durch den Tod Selbst und Welt gänzlich entzogen wurden; zur Hölle wurde das Ereignis

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dadurch, dass ihm Gott als der Grund von Selbst und Welt zu entschwinden drohte. Wird das Kreuz theologisch ernst genommen, dann kann die Christologie nicht unmittelbar auf den historischen Jesus und sein individuelles Selbstverständnis gegründet werden. Dieser Satz gilt prinzipiell und unabhängig von der Frage, ob mit einem expliziten oder impliziten messianischen Selbstbewusstsein Jesu historisch zu rechnen ist. Bemerkenswerterweise bekennen auch die altkirchlichen Symbole, wie sie im Dogma lehrhafte Gestalt angenommen haben, die Identität Jesu Christi und seine Einheit mit Gott nicht undifferenziert, sondern so, dass dem Unterschied, der zwischen Gott und seinem Christus waltet, ebenso Rechnung getragen wird wie der Differenziertheit, welche das personale Selbstverhältnis des Gottmenschen an sich selbst bestimmt. Die Identität Jesu Christi und seine Einheit mit Gott lassen sich nicht unmittelbar, sondern nur auf vermittelte Weise erfassen. Diesem Grundsatz, der von ihrem Resultat her gefordert ist, gilt es bereits im Hinblick auf die anfängliche Genese der Christologie und in Bezug auf die Frage Rechnung zu tragen, ob bzw. inwieweit die Titulaturen, deren traditionsgeschichtliche Herkunft und frühchristlicher Gebrauch in Grundzügen skizziert wurden, bereits zu irdischen Lebzeiten Jesu auf ihn bezogen wurden oder als Selbstbezeichnungen Jesu Verwendung fanden. Skepsis geboten ist gegenüber jedem Versuch, die Einheit Jesu mit Gott und seine Christusidentität unmittelbar auf den in seinem vorösterlichen Auftreten implizierten bzw. explizit zum Ausdruck gebrachten Vollmachtsanspruch zu begründen: solche Versuche sind nicht nur historisch zweifelhaft, sondern auch systematisch unterkomplex. Systematisch unbefriedigend und historisch in hohem Maße unwahrscheinlich sind aber auch Theorien, welche das Christuskerygma der österlichen Gemeinde der Jesustradition unvermittelt kontrastieren und den christologischen Hoheitstiteln jeden Bezug auf das jesuanische Selbstverständnis sowie auf das Verständnis absprechen, welches Selbstaussagen Jesu bei seinen Zeitgenossen gefunden haben. Dass die titulären Prädikationen der frühchristlichen Gemeinden lediglich ein christologisches Verständnis bzw. Selbstverständnis affirmieren, das bereits zu irdischen Lebzeiten Jesu gegeben war, ist ebenso wenig anzunehmen wie die gegenteilige Auffassung vertretbar ist, der zufolge es sich bei den christologischen Hoheitstiteln ausschließlich um Gemeindeprodukte ohne jeden Anhalt an der Jesusgeschichte handelt. Statt die Exklusivität einer der beiden Modelle zu behaupten, ist ihre Gegensätzlichkeit, mit der sie sich wechselseitig ausschließen, zu beheben zugunsten einer Theorie, die der Kontinuität und Diskontinuität von Jesustradition und Christuskerygma gleichermaßen gerecht wird und zu erklären vermag, warum beider Zusammenhang untrennbar, aber nichtsdestoweniger differenziert und durch keinen vorgefassten Einheitsbegriff erfassbar ist. Definitiv erfassen lässt sich der christologische Grundsatz, dass Jesus der Christus ist, nur von Identität Jesu Christi Ostern her. Nur im auferstandenen Gekreuzigten ist die Jesus-Christus-Identität eindeutig offenbar, wohingegen die christologi-

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sche Bedeutung des vorösterlichen Jesus uneindeutig bleibt. Dies mit Eindeutigkeit festzustellen, ist eine der wesentlichen systematischen Funktionen historischkritischer Forschung. Von der historisch-kritischen Exegese wird diese Funktion faktisch durch ihre bloße Existenz erfüllt, sofern sie Komplexität in der Regel nicht reduziert, sondern notorisch steigert. Dies gilt auch in Bezug auf den Vollmachtsanspruch des irdischen Jesus und das Bewusstsein, das er von seiner Bedeutung hatte. Über die Frage, ob und gegebenenfalls in welcher Weise sich der historische Jesus als verheißener Messias-Menschensohn wusste bzw. zu erkennen gab, lässt sich historisch-kritisch nur in Urteilen von gradueller Wahrscheinlichkeit und nicht mit sicherem Wissen befinden. Doch ist solche verbleibende historische Unsicherheit mit der österlichen Gewissheit, dass der auferstandene Jesus von Nazareth der offenbare Christus und Gottessohn ist, nicht nur verträglich, sondern sachgemäß zu verbinden. Mussten doch selbst die Ursprungszeugen Osterns bekennen, ihren Herrn zu seinen irdischen Lebzeiten nicht recht erkannt, ja vielfach gründlich verkannt zu haben. Wird dieser Tatbestand angemessen bedacht, dann treten zum einen hamartiologische Implikationen zutage, ohne deren Wahrnehmung weder ein theologisches Verständnis des Lebens noch gar des Sterbens Jesu möglich ist; zum anderen erhellt, dass das Moment der Ambivalenz von der Historizität einer historischen Erscheinung nicht zu trennen ist, ja dass im Falle des historischen Jesus Strittigkeit keineswegs ein marginales, sondern ein zentrales Element seiner geschichtlichen Eigenart darstellt. Jesu Messianität ist nicht nur für äußerliche Betrachtung ein fragliches Datum, sondern, wenn man so will, fragwürdig in sich selbst; denn selbst wenn sich historisch eindeutig nachweisen ließe, dass Jesus über ein messianisches Selbstbewusstsein verfügte bzw. explizit als Messias tituliert wurde, wäre über das theologische Recht dieses Anspruchs noch keineswegs entschieden. Einer nüchternen Exegese, die sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten hält, dabei die nötigen Differenzierungsleistungen erbringt und Hyperkritik ebenso vermeidet wie affirmative Übertreibungen, wird sich dieser Befund bei allen verbleibenden Restunsicherheiten im Wesentlichen bestätigen. Sie wird ihre Meisterschaft daher gerade durch Beschränkung auf dasjenige unter Beweis stellen, was dem äußeren Augenschein und der empirischen Erfahrung prinzipiell offen steht. Methodisch folgt daraus, dass historisch-kritische Exegese der Gestalt Jesu nur insofern innezuwerden vermag, als dieser durch wie auch immer geartete Äußerungen seiner selbst oder seiner Zeitgenossen über ihn zugänglich ist. Sie hat ihren Einsatz entsprechend primär nicht bei der Frage eines messianischen Selbstbewusstseins Jesu, sondern beim Inhalt seiner Botschaft zu nehmen, auch wenn diese sich von der Person des Botschafters nicht trennen lässt. Nicht nur Jesu Leben, sondern auch die Geschichte seiner Verhaftung, Verurteilung und Hinrichtung am Kreuz erschließt sich primär durch den Gehalt der eschatologischen Botschaft, die seine Sendung und sein Selbstverständnis bestimmte. Es spricht manches dafür und wenig dagegen, dass der historische Jesus seinen bevorstehenden gewaltsamen Tod, mit dem er bei klarer Einschätzung der Lage

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rechnen musste, in Beziehung zu seinem Vollmachtsanspruch gesetzt und im Sinne etwa der Tradition des leidenden Gerechten gedeutet hat. Mit einem entwickelten Bewusstsein, dass das Geheimnis seiner verborgenen Messianität sich im Tod erfüllt, ist durchaus zu rechnen. Zwar sind die Leidensweissagungen in ihrer vorliegenden Form fraglos vaticinia ex eventu, doch besteht kein Grund, sie für gänzlich unhistorisch zu erklären. Nichtsdestoweniger wäre es theologisch verfehlt, die möglichen Deutungen, die Jesus in Bezug auf seinen bevorstehenden Tod gegeben hat, unmittelbar gleichzusetzen mit der Bedeutung, die diesem von Ostern her zukommt. Dass diese Bedeutung und ihre geisterschlossene Wahrnehmung in Beziehung stehen zu der Weise, wie der sterbensbereite Jesus seinen erwarteten Tod gedeutet hat, ist anzunehmen. Doch hieße es, die Abgründigkeit der Passion seines Leidens und Sterbens zu verkennen, wollte man Jesus die Deutemacht über seinen Tod oder gar die Fähigkeit aktiver Bewältigung seines Sterbens unmittelbar zudenken. Insbesondere wenn man – wofür einige Gründe sprechen – den Sühnegedanken mit den Deutungen in Verbindung bringt, die er seinem nahen Tod hat zuteil werden lassen, verbietet es sich, Jesus vor der Zeit zum aktiven Sinnstifter seines Sterbens zu verklären. Der Sinn von Jesu Todesbereitschaft und seines Verzichts, sich dem drohenden Leiden und Sterben durch Flucht oder wie auch immer zu entziehen, ergibt sich aus dem gehorsamen Sohnesvertrauen auf die kommende Herrschaft des göttlichen Vaters, der seine Schöpferallmacht daransetzt, seine verlorenen Menschenkinder eschatologischer Rettung zuzuführen, ohne dabei von seiner Gerechtigkeit und vom gerechten Gericht über die Sünde abzulassen. Die These, Jesus habe durch seine Bereitschaft zum Leiden und Sterben und seine Einwilligung in den Tod die endgültige Realisierung der Gottesherrschaft herbeizwingen wollen, ist mit dieser Auffassung kaum kompatibel, wohingegen ein Verständnis seines Todes als heilseffektive Sühneleistung durch sie nicht ausgeschlossen ist. Im Übrigen sind dem österlichen Kerygma von Leben und Sterben Jesu Hinweise darauf zu entnehmen, dass auch für ihn selbst das Ziel seiner Sendung nicht in jeder Hinsicht unzweideutig feststand. Mit einem Nichtwissen des tatsächlichen Eintritts der eschatologischen Stunde ist seinem eigenen, von den Osterzeugen tradierten Bekenntnis zufolge auch bei ihm zu rechnen. Man kann das auch so sagen: Die österliche Gewissheit erinnert mit dem Kreuz zugleich die faktische Uneindeutigkeit, die dem Leben des irdischen Jesus unter dem Gesichtspunkt historischer Betrachtung eignete – und sie tut dies aus guten soteriologischen Gründen; wäre der auferstandene Gekreuzigte doch nicht ganz unsereiner und ein wirklicher Mensch in der gegebenen Weltwirklichkeit, wenn er nicht an der Ambivalenz teilhätte, welche diese unter postlapsarischen Bedingungen in all ihren Aspekten kennzeichnet. Was in vorösterlicher Perspektive dem Zwielicht und der Ambivalenz historischer Betrachtung ausgesetzt ist, muss im Lichte Osterns als ein Indiz konsequenter Proexistenz des irdischen Jesus erscheinen. Mehr noch: Die bleibende Erinnerung an die Missverständnisse und Verkennungen, denen Jesus von Nazareth zu seinen historischen Lebzeiten nicht nur bei

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Gegnern, sondern auch bei den Seinen ausgesetzt war, wird für den Osterglauben zum Motiv, die Zukunft des Gekommenen in Gestalt einer allen Menschen offenbaren und die gesamte Weltwirklichkeit durchdringenden Parusie herbeizusehnen. In der österlichen Gewissheit des Glaubens ist nicht nur das Wissen enthalten, dass das heilsame Dasein des auferstandenen Gekreuzigten nicht mit Kategorien des Habens und Besitzens zu fassen ist: noli me tangere! Sie enthält zugleich das Bewusstsein, dass der erhöhte Herr für alle Menschen und zwar auch für jene dasein will, die noch nicht von dem Geist ergriffen sind, der sich in seiner österlichen Erscheinung als mächtig erwies. Der christliche Glaube erhofft die Parusie, auf dass allen geholfen werde; ja man kann sagen, dass die Hoffnung auf die Zukunft des Gekommenen, welche der Neigung widerstrebt, sich im eigenen religiösen Zirkel im Bewusstsein der Gegenwart des Heils abzuschließen, nicht unwesentlich durch die Erinnerung an den in der Historizität seiner Erscheinung der Ambivalenz alles Irdischen ausgesetzten Jesus und an seine Botschaft vom kommenden Gottesreich motiviert ist. Auch unter der Voraussetzung Osterns sind die Eindeutigkeit und ambivalenten Bedingungen der irdischen ErAmbivalenz scheinung Jesu und die Uneindeutigkeiten ihrer zeitgenössischen Wahrnehmung erinnerungswürdige Fakten. Zwar ist Jesus in seiner österlichen Gestalt als der vollendete Christus offenbar, um sich den Seinen in der Kraft des Geistes als der ewige Sohn des Vaters zu erkennen zu geben. Aber die Herrlichkeit des erhöhten Christus lässt die Niedrigkeit der irdischen Existenz Jesu nicht hinter sich, sondern hebt sie in sich auf und verleiht ihr einen unveräußerlichen Bestand in der Ewigkeit Gottes. In ihr ist auch dem Missverstehen und Verkanntsein Jesu sowie seinem Enden und Gewesensein ein unvergängliches Gedächtnis gestiftet. Von dieser Einsicht her, so scheint es, lässt sich am ehesten ein nicht nur geschichtswissenschaftlich, sondern auch theologisch-dogmatisch relevanter Begriff von dem Verhältnis zwischen Christologie und historischem Jesus sowie von der Notwendigkeit erschließen, das österliche Bild der Evangelien vom irdischen Jesus auf dessen vorösterliche Historizität hin zu befragen. Eine solche Befragung hat kritisch zu sein, insofern sie das vom Osterkerygma gezeichnete Bild vom irdischen Jesus nicht unmittelbar mit dessen historischer Existenz gleichsetzt, wie sie sich unter vorösterlichen Bedingungen darstellt. Sie kann aber zugleich konstruktiv an das Kerygma anschließen, sofern dieses selbst historische Motive enthält, die ihm unabdingbar zugehören. Bleibt zum Schluss der auf die jesuanischen Grundlagen der Christologie zurück- und auf den pneumatologischen Prozess altkirchlicher Lehrentwicklung vorausweisenden Einleitung noch einmal historisch nach den theologischen, im Inhalt seiner Botschaft begründeten Ursachen für den Kreuzestod Jesu zu fragen, wobei die spezifische Eigenart seiner Eschatologie erneut ins Auge zu fassen ist. In der Exegese wird seit geraumer Zeit verstärkt betont, dass die unzweifelhaft vorhandenen Streitigkeiten, in die Jesus mit Zeitgenossen durch seine Botschaft verwickelt wurde, Konflikte innerhalb des Judentums, nicht mit ihm waren. Tatsache

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ist, dass Jesus wesentliche Grundüberzeugungen der jüdischen Religion seiner Zeit vorbehaltlos geteilt hat, etwa den Glauben an den einen und einzigen Gott und die Gewissheit des einzigartigen Verhältnisses Gottes zu seinem erwählten Volk, wie es durch die Gabe des Gesetzes vermittelt ist. Jesu Verkündigung der Königsherrschaft Gottes basiert auf einem entschiedenen Monotheismus und stellt den jüdischen Bundesnomismus nicht in Frage, sondern setzt ihn voraus. Insofern lassen sich Jesus und die Jesusbewegung historisch in den Zusammenhang der jüdischen Gruppen aus hasmonäischer und herodeanischer Zeit einordnen. Doch dürfen Grenzüberschreitungen nicht unterschlagen werden, wie sie sich so weder bei Sadduzäern, Pharisäern oder Essenern, noch bei einem Mann wie dem aus Josephus und Apg 5,37 bekannten Zelotengründer Judas Galilaios, Johannes dem Täufer oder bei diversen jüdischen Zeichenpropheten des 1. nachchristlichen Jahrhunderts finden. Diese Grenzüberschreitungen betreffen in Sonderheit Jesu Verhältnis zur Tora. Zwar steht die Konzentration auf das Doppelgebot der Liebe in Kontinuität zur jüdischen Tradition. Doch verweist Jesu Haltung etwa zum Sabbat oder zu den Speisegeboten auf einen Umgang mit religiösen und sozialen Identitätsmerkmalen des Judentums, dessen Problemhaltigkeit nicht vorschnell entschärft werden darf. Der entscheidende religiöse Grund für den Konflikt dürfte indes in der vorbehaltlosen Zuwendung Jesu zu gottlosen und torawidrigen Sündern zu suchen sein, wie sie im Zeichen der kommenden Gottesherrschaft erfolgte. Durch die Religionsgeschichte Israels ist nicht nur der Lebenskreis der ewigen Wiederkehr des Gleichen, sondern mit ihm auch die Fatalität natürlichen Beliebens auf den Glauben an die Gerechtigkeit des einen Gottes hin durchbrochen, der nicht willkürlich, sondern nach Maßgabe seiner Weisung über alle Kreatur richten wird. Gemäß der Vorstellung eines geordneten Tun-Ergehen-Zusammenhangs gewährleistet Gott den gerechten Ausgleich in der Verteilung des Lebensgeschicks. Zwar nahmen im Laufe der Geschichte Israels die Zweifel zu, ob ein solcher Ausgleich zu irdischen Lebzeiten stattfinde. Doch führten diese bei den Frommen nicht etwa zur Aufgabe des Glaubens an die universale Gerechtigkeit des einen Gottes. An ihm wurde vielmehr auch unter widrigsten Bedingungen festgehalten, wobei sich die Erwartung der Realisierung göttlicher Gerechtigkeit über die Schranken der Vergangenheit und Gegenwart hinweg mehr und mehr auf eine künftige Endzeit ausrichtete. Die Eschatologisierung der jüdischen Religion ist zwar einerseits Reflex einer Krise, aber andererseits und vor allem Indiz ihrer Bewältigung im Sinne beständigen Vertrauens auf die Allmacht des einen Gottes der Gerechtigkeit. Kraft ihres Glaubens an die göttliche Gerechtigkeit setzten die Apokalpytiker in ihren eschatologischen Chronologien voraus, dass der Ablauf der Zeit kein natürliches Kreisen oder äußerliches Nacheinander, sondern auf ein Vollendungsziel hingeordnet ist. Die Danielapokalpyse hat in diesem Sinne für alle späteren Apokalypsen die Richtschnur gelegt. Auch Jesu Botschaft gehört wie diejenige Johannes des Täufers in den apokalyptischen Traditionskontext. Beider Wirken ist eindeutig endzeitlich und auf die Realisierung der Gerechtigkeit Gottes in seinem künftigen Reich ausgerichtet, das

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als nahe herbeigekommen verkündet wird. Die in der Tradition des ältesten Evangelisten betont hervorgehobene Gemeinsamkeit ihrer Predigt erklärt sich hieraus. „Allein die Akzente verschieben sich merkbar. Johannes predigt: das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen, als Gericht; Jesus predigt: das Reich Gottes ist herbeigekommen, als Verheißung.“ Diese Feststellung stammt nicht etwa von einem christlichen Theologen reformatorischer Prägung, sondern von dem jüdischen Gelehrten Jacob Taubes, nachzulesen in dem Leben-Jesu-Kapitel des zweiten Teils („Die Geschichte der Apokalyptik“) seines 1947 publizierten Werkes über „Abendländische Eschatologie“. An ihrem historischen Gehalt besteht nach Taubes kein Zweifel. Ausdrücklich hebt er an der angegebenen Stelle die Verlässlichkeit der Quellen hervor. Darf demnach der Evangeliumscharakter der Reich-Gottes-Predigt als echt jesuanisch gelten, so spitzt er sich zu in dem Umgang, den Jesus in Wort und Tat mit jenen pflegte, die nach Urteil der Tora als gottwidrige Sünder zu gelten hatten. Hierin wird man den religiösen Kern des Konflikts zu suchen haben, der Jesus ans Kreuz brachte. Nicht dass er durch sein Leiden und Sterben das Gottesreich habe herbeizwingen wollen, wie Taubes vermutet. Jesu Tod war weniger Aktion als Passion, und seine Bedeutung zu erfassen, dürfte für die frühe Christenheit ein sehr viel schwerwiegenderes Problem gewesen sein als die Bewältigung der sog. Parusieverzögerung. Die Intensität frühchristlicher Reflexionen über den Sinn des Kreuzestodes Jesu belegen dies. Sie sind motiviert durch ein Problem, das nicht erst für die werdende christliche Kirche und ihr Verhältnis zur Synagoge, sondern bereits für Jesus selbst in hohem Maße virulent war. Der historisch unzweifelhafte Tatbestand der Das Kreuz und die Verurteilung und Hinrichtung Jesu hat eine reliGerechtigkeit Gottes giöse Dimension, die ohne Berücksichtigung der auf die Gesetzesfrage konzentrierten Konflikte Jesu mit divergenten Repräsentanten jüdischer Religiosität seiner Zeit nicht erfasst werden kann. Damit sind die politischen Aspekte des jesuanischen Konflikts keineswegs geleugnet. Trotz der verhältnismäßig stabilen politischen Großwetterlage in der Zeit des römischen Prinzipats waren die Verhältnisse nachgerade in Israel labil; die Integrationskraft des römischen Imperiums stieß bei den Juden immer wieder an ihre Grenzen. Die Prokuratoren- bzw. Präfektenzeit, in der Jesus auftrat, gibt dafür ein signifikantes Beispiel. Zwar kam es in der Zeit des öffentlichen Wirkens Jesu im Unterschied zu den Jahrzehnten davor und danach kaum zu gewalttätigen Konflikten. Doch erhebliche Spannungen unter der Oberfläche blieben, und die äußere Ruhe und Ordnung war erkennbar nicht auf Dauer angelegt. Künftige Eruptionen zeichneten sich ab, was ohne Zweifel einen Erklärungsgrund dafür abgibt, dass die Römer möglicherweise auch auf einen bloßen politischen Verdacht hin kurzen Prozess machten. Doch ist dies nur die Außenseite historischer Betrachtung. Um die Innenseite des Konflikts wahrzunehmen, der Jesus ans Kreuz führte, müssen seine religiösen Dimensionen beachtet und gewürdigt werden, die hineinreichen in die zentrale Mitte jüdischen Glaubens an die universale Gerechtigkeit des einen Gottes.

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Das Problem der Gerechtigkeit Gottes und ihrer Realisierung verweist auf die innere Mitte und den bestimmenden Grund von Jesu Botschaft und Sendung, deren äußere Form durch die eschatologische Tradition der Apokalpytik geprägt ist. Es ist ausführlich gezeigt und wiederholt betont worden, dass Jesu Verkündigung der Königsherrschaft Gottes eine spezifische Nähe zur apokalyptischen Bewegung aufwies. Diese ist eschatologisch bestimmt und endzeitlich ausgerichtet. Die Prädikation Jahwes als König war ihr wie der gesamten frühjüdischen Überlieferung traditionell vorgegeben. Dabei geht die traditionsgeschichtliche Tendenz, wie sie sich etwa an den jüngsten Jahwe-König-Psalmen (vgl. Ps 97) studieren lässt, in hellenistischer Zeit eindeutig dahin, dass das Königtum Gottes mehr und mehr eine wesenhaft zukünftig-endzeitliche Größe wird, weil alltägliche Not und omnipräsentes Unrecht die Gegenwart Jahwes verdecken und verstellen. Die Apokalyptik forciert diese Entwicklung hin zu einer dezidiert futurischen Eschatologie. Doch lassen sich auch gegenläufige Tendenzen namhaft machen. Durch Forschungen der jüngeren Zeit ist deutlich geworden, dass sich die häufig vertretene Behauptung eines Gegensatzes zwischen einer ewig-gegenwärtigen Herrschaft Gottes und der eschatologischen Zukünftigkeit seines Königreichs nicht halten lässt. Die Erwartung des endzeitlichen Kommens des göttlichen Reiches ist von der Gewissheit der ewigen Herrlichkeit Gottes, dem alle Zeiten gegenwärtig sind, nicht zu trennen. Diese Einsicht, die man sich auch an den Verhältnisbestimmungen von himmlischer und irdischer Welt im rabbinischen Judentum verdeutlichen kann, hat Konsequenzen für das Verständnis der Reich-Gottes-Verkündigung Jesu. Es ist einseitig zu sagen, dass die Basileia eine rein futurisch-eschatologische Wirklichkeit sei, welche die gegenwärtige Aktualität und aktuelle Präsenz von Gottes ewiger Herrschaft negiere. Diese Einschränkung spricht nicht gegen eine apokalyptische Prägung der Basileiaverkündigung Jesu, zwingt aber zu Differenzierungen hinsichtlich des Gesamtbefunds. Die Vertreter der Apokalyptik erhofften den baldigen Anbruch der Endzeit. Naherwartung ist die Form ihrer eschatologischen Hoffnung. Dies gilt auch für Jesus. Seine Basileiaverkündigung ist von der Erwartung des unmittelbar bevorstehenden endzeitlichen Anbruchs der Gottesherrschaft gekennzeichnet. Die Parusie des Reiches Gottes wird nicht mehr lange auf sich warten lassen. Die Zeit drängt, nur noch wenig Zeit verbleibt, bald wird keine Zeit mehr sein. Das Problem einer Parusieverzögerung kennt Jesus offenkundig noch nicht und zwar weder in der Form unvorhergesehenen Verzugs noch in der Gestalt bewussten Aufschubs. Es stellte sich erst in frühchristlicher Zeit ein, in der es als Tatbestand unleugbar ist, in seiner Tragweite und Bedeutung aber auch nicht überschätzt werden darf. So ist beispielsweise in Bezug auf Bedeutung und Funktion der Parusieaussagen bei Paulus bestritten worden, dass die Naherwartung ein Konstitutivum paulinischer Eschatologie darstelle. An der Berechtigung dieser Annahme darf man zweifeln. Zutreffend aber ist, dass weder die paulinische noch die jesuanische Eschatologie einseitig auf futurische Endzeitvorstellungen und eine chronologisch gefügte Erwartung des von Gott her Kommenden fixiert werden kann. Eine solche Fixierung

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scheint ebensowenig berechtigt zu sein wie die Festlegung auf eine nichtzeitlich bestimmte Nähe des Reiches Gottes. Ein Blick auf die Vorstellungen von Gottes Nähe und Ferne im Alten Testament bestätigt die Richtigkeit dieser Vermutung. Die ganze biblische Geschichte und alles, was in der Bibel überliefert wird, bewegt sich im Spannungsfeld von Gottesnähe und Gottesferne. In besonderer Weise lässt sich die Nähe Gottes nach alttestamentlichem Zeugnis im Tempel erfahren; aber auch außerhalb des Heiligtums und im Falle seiner Zerstörung kann sich der Gerechte, der sich an die göttlichen Gebote hält, der Nähe Jahwes gewiss sein. Der Sünder hingegen, dem die Tora nichts gilt und der ihre Weisung negiert, trennt und entfremdet sich von Gott und gerät in eine Gottesferne, die schlimmer ist als diejenige des Todes, der im Laufe der nachexilischen Zeit von einer Reihe von Frommen nicht länger als definitives Ende, sondern als Anfang einer fortwährenden und im Höchstmaß intensivierten Gottesbeziehung verstanden wurde. Blickt man auf den alttestamentlichen Gesamtbefund und zwar unter Berücksichtigung sowohl terminologischer als auch sachlicher Gesichtspunkte, dann wird rasch deutlich, dass es nicht allein und auch nicht in erster Linie chronologische Maßstäbe sind, gemäß denen sich über Gottesnähe bzw. -ferne befinden lässt. Schon aus diesem Grund sollte man den Aspekt bemessbarer Zeit in Jesu Verkündigung der nahen Gottesherrschaft und seiner Naherwartung nicht über Gebühr akzentuieren oder gar zum ausschließlichen Wahrnehmungsgesichtspunkt erheben, der die Gesamtperspektive bestimmt. Zwar war sowohl für Jesus als auch für die Urchristenheit das Bewusstsein kennzeichnend, in einer eschatologischen Situation und am Ende der Tage zu stehen. Aber ob sich dieses Bewussstsein und sein Geschichtsverständnis im Sinne einer „zeitlinearen Naheschatologie“ (E. Gräßer) fassen lässt, ist ebenso fraglich wie die Behauptung, durch das Ausbleiben des Endes bzw. die sog. Parusieverzögerung sei der Glaube der urchristlichen Gemeinden in eine radikale Grundlagenkrise gestürzt worden. Eine solche die Fundamente erschütternde Krise hat es offenkundig nicht gegeben, selbst wenn mit tiefgreifenden Irritationen und Anfechtungen zu rechnen ist. Von der frühchristlichen Gemeinde wird das Die Zukunft des noch ausstehende Eschaton als die vollendete Gekommenen Zukunft des Gekommenen erwartet, der seine Gegenwart jetzt schon denen schenkt, die im Glauben, in Hoffnung und Liebe auf ihn vertrauen. Ist bereits in den Gemeindeliedern von Qumran das Miteinander von eschatologischen Zukunfts- und Gegenwartsausssagen klar bezeugt, so ist das Ineinander von futurischer Enderwartung und Gewissheit gegenwärtigen Heils für die christliche Gemeinde unauflösbar. „Schon“ und „Noch nicht“ bilden einen differenzierten Zusammenhang, der mit dem Kontrastschema von „Einst“ und „Jetzt“ innig verbunden ist, dessen wesentliche Leistung darin besteht, die heilvolle Gegenwart, deren Jetzigkeit durch das Christusgeschehen bestimmt ist, von der Zeit einstigen Unheils abzuheben, deren durch Sünde und Tod bestimmte Vergangenheit keine Zukunft mehr hat. An der christlichen Verwendung des aus der frühchristlichen Denk- und Vor-

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stellungwelt stammenden Motivs des endzeitlichen Maßes lässt sich die differenzierte Einheit eschatologischer Vergangenheits-, Gegenwarts- und Zukunftsaussagen illustrieren. Danach hat Gott Menschheit und Welt ein endzeitliches Limit gesetzt: in Form begrenzter Zeit, die bis zum letzten Ende eingeräumt wird, aber auch in Gestalt einer Anzahl von Leiden, Sünden oder auch Heilsempfängern, die erfüllt sein muss, wenn das Eschaton anbrechen soll. Prospektive Erwartung und erinnernde Retrospektive verbinden sich zu einem aktuellen Bewusstsein zwischenzeitlicher Existenz, die von der Ankunft Jesu Christi herkommt und auf den zweiten Advent des Gekommenen zugeht. Qualifiziert ist das christliche Interim durch Jesu Tod und Auferstehung. Im auferstandenen Gekreuzigten ist das Eschaton beschlossen und erschlossen. Christlicher Glaube erwartet die Zukunft des Gekommenen. In christlicher Eschatologie durchdringen sich entsprechend futurische und präsentische Elemente, um inhaltlich ganz durch das Perfekt der Auferstehung des Gekreuzigten bestimmt zu werden, dessen Wirklichkeit die Zeiten umgreift. Die Situation Jesu ist mit der des frühen Christentums selbstverständlich nicht unmittelbar vergleichbar. Doch zeigen sich Parallelen, sofern sich auch in Jesu Endzeiterwartung, wie sie seine Reich-Gottes-Verkündigung zum Ausdruck bringt, Zukunft und Gegenwart eigentümlich verschränken, da die Botschaft in Wort und Tat bereits zum Vorschein bringt, worauf sie verweist. Gottes Kommen ist bereits im Anbruch begriffen. Dabei lässt sich über Nähe und Ferne Gottes und seines kommenden Reichs im jesuanischen Sinne nicht ausschließlich chronologisch befinden. Zwar darf der Zeitaspekt aus der Reich-Gottes-Botschaft nicht ausgeblendet werden. Aber das inhaltliche Maß, an dem sich die jesuanische Eschatologie bemisst, ist die göttliche Gerechtigkeit. Darin stimmt sie mit der Endzeiterwartung weiter Teile des Frühjudentums und nachgerade mit derjenigen Johannes des Täufers überein. Im kommenden Gottesreich wird sich die göttliche Gerechtigkeit zu endgültiger Herrschaft bringen. Gilt dieser Grundsatz zweifellos auch für die eschatologische Erwartung Jesu, so fällt doch zugleich auf, dass der von Johannes stark akzentuierte Gerichtsaspekt bei Jesus vergleichsweise zurücktritt. Gottes nahende Herrschaft realisiert sich wesentlich als entgegenkommendes Heilshandeln, von der auch Sünder und Ungerechte nicht ausgeschlossen sind. Für die Beurteilung der Stellung Jesu zur Tora ist diese Beobachtung nicht unerheblich. Es fällt auf, dass keine der als authentisch anzusehenden eschatologischen Aussagen Jesu den Zugang zur Gottesherrschaft so an das Halten des Gesetzes bindet, dass dessen selbsttätige Erfüllung als ausschließliche Einlassbedingung fungiert. In der Tradition jüdischer Eschatologie und bei Johannes dem Täufer stellt sich dies anders dar. Gottesherrschaft und Gericht bedingen sich nach Maßgabe des Gesetzes gegenseitig. Ist dieser Zusammenhang von Jesus aufgelöst worden? Von nicht wenigen Exegeten wurde diese Frage bejaht, andere haben auf unterschiedliche Weise zu differenzieren versucht, etwa indem sie, wie ehemals E. Stauffer, eschatologische Toraaffirmation und -problematisierung auf Entwicklungsphasen Jesu verteilten. Habe dieser in seiner täuferzeitlichen Periode der Tora ohne Vorbehalte die Treue gehalten, so sei

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nach der Verhaftung des Täufers alles anders geworden und an die Stelle der alten eine neue Gottesbotschaft getreten, die einer neuen Religion und einer neuen Moral das Feld bereitet habe. Die These, Jesus habe in grundsätzlichem Bruch mit der Täufertradition eine neue Religion und eine gesetzesungebundene Moral vertreten, ist in ihrer alternativen Form historisch nicht haltbar. Sie wird in der Exegese auch kaum noch vertreten. Wann und warum sich Jesus von Johannes trennte, lässt sich nicht mehr eindeutig erheben. Mit einer gleichzeitigen Wirksamkeit beider muss ebenso gerechnet werden wie mit inhaltlichen Analogien ihrer Botschaft. Dies enthebt indes nicht von der Aufgabe, Differenzen ihrer Reich-Gottes-Verkündigung möglichst differenziert und präzise zu erfassen. Sie liegen, wie gezeigt, in unterschiedlichen Auffassungen von der Gerechtigkeit Gottes begründet, auf deren Realisierung im kommenden Reich sich die eschatologische Erwartung richtet. Für Johannes verwirklicht sich Gottes Gerechtigkeit primär in der Weise eschatologischen Gerichts. Auch bei Jesus fehlt dieser Aspekt nicht. Doch ist er umgriffen von der vollmächtigen Verheißung väterlicher Zuwendung Gottes, der kommt, um zu suchen und selig zu machen, was verloren ist. Jesu Reich-Gottes-Verkündigung und die endzeitliche Erwartung, die sein Handeln bestimmte, lassen sich nicht trennen von der Gewissheit göttlicher Vaterliebe. Sie bildet den Zentralgehalt seiner in apokalyptischer Gestalt explizierten Botschaft. Jede Separierung von Gehalt und Gestalt ist unmöglich, weil beide sich gegenseitig bedingen. Doch steht die Form im Dienste des Inhalts. Das Wechselverhältnis beider schließt daher nicht aus, dass ein Begründungsgefälle zwischen ihnen besteht. Die Verkündigung göttlicher Vaterliebe und Nähe zu den Gottfernen und Feinden Gottes ist der innere Gehalt der Botschaft Jesu, der ihre apokalyptische Traditionsform charakteristisch prägte, der jesuanischen Eschatologie die ihr eigentümliche Gestalt gab und sie in Spannung, ja in Gegensatz brachte zu Endzeiterwartungen namentlich der Frommen unter den jüdischen Zeitgenossen. Die Hoffnung auf die Realisierung der Gerechtigkeit Gottes in seiner kommenden Königsherrschaft ist Gemeingut apokalyptischer Tradition. Aber ist diese Erwartung mit der Verheißung der Nähe Gottes für Gottlose und torawidrige Sünder kompatibel, die Jesus in Wort und Tat proklamierte und zum Skopus der Sendung erklärte, für die er persönlich einstand? Die Antwort auf diese Frage, die nicht nur dieses oder jenes, sondern Jesu Werk und Person insgesamt fraglich werden lässt, entscheidet sich am Kreuz und an der theologischen Beurteilung der über den Sünderfreund verhängten Todesstrafe. Das Kreuz ist das Fragmal, auf welches die österliche Antwort konstitutiv hingeordnet ist. Wäre der Gekreuzigte dem Tode definitiv erlegen, dann gäbe es für die Sünder keine eschatologische Hoffnung, sondern nur die Erwartung des göttlichen Gerichts. Nun aber hat Gott den gekreuzigten Sünderfreund auferweckt, damit der Auferstandene als derjenige in Erscheinung trete, welcher das Rechtfertigungsevangelium in Person ist. Den pneumatologischen Prozess altkirchlicher Lehrentwicklung, der vom österlichen Urdatum seinen Ausgang nimmt, in seinen geschichtlichen Grundzügen zu

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rekonstruieren, ist Ziel des vorliegenden sechsten Bandes der Traktatenreihe zum Studium Syste- Pneumatologischer Prozess matische Theologie. Um dieses Ziel im beschränkten Rahmen, der zur Verfügung steht, auch nur annähernd zu erreichen, müssen historische Differenzierungsdefizite notgedrungen in Kauf genommen werden. Dass die gebotene Darstellung Detailstudien weder ersetzen kann, noch ersetzen will, versteht sich von selbst. Keiner Betonung bedarf ferner, dass die getroffene Materialauswahl perspektivisch bedingt und wesentlich durch die Entscheidung veranlasst ist, im Verein mit der Genese und Wirkungsgeschichte des Dogmas der Alten Kirche die Ausbildung des Kanons der christlichen Bibel die nötige Aufmerksamkeit zuzuwenden, wie dies für evangelische Lehre obligat ist. Hat für sie doch der Bezug auf die Hl. Schriften Alten und Neuen Testaments als konstitutiv und normativ zu gelten. Unter neuzeitlichen Bedingungen kann die Normativität und konstitutive Autorität der biblischen Schriften für den christlichen Glauben nicht unter Absehung von historisch-kritischen Gesichtspunkten behauptet werden. Ihre systematische Berücksichtigung macht es erforderlich, die Kanonproblematik im Horizont der frühen Christentumsgeschichte zu entfalten, deren Entwicklungsphasen ihrerseits in den Kontext der historischen Zeitverhältnisse einzureihen sind. Dem Verhältnis des werdenden Christentums zum Judentum der Zeit, aus dem er hervorging und unter dessen Sonderformen es anfangs subsumiert werden konnte, kommt dabei entscheidende Bedeutung zu, wie u.a. am Problem der Zuordnung der Testamente unschwer zu erkennen ist. Judentum vermag ohne Christentum religiös zu existieren; Christentum ohne Judentum hat keinen religiösen Bestand. Die frühe Christentumsgeschichte mitsamt den internen Spannungen, die sie aufweist, sind ein Reflex dieses Sachverhalts, der historisch und systematisch um des rechten Verständnisses des Evangeliums Jesu Christi willen bedacht sein will. Das Evangelium Jesu Christi als innere Mitte des Neuen Testaments schließt an die jesuanische Verkündigung an, ohne sie einfachhin fortzusetzen: Ist doch der Verkündiger in der Kraft des österlichen Geistes zum Verkündigten und in der Einheit seiner Person und seines Werkes selbst zum Inhalt des Kerygmas geworden, das der christliche Glaube zu bezeugen hat. Die paulinischen Briefe und die Schriften des johanneischen Kreises, die neben dem sog. Hebräerbrief zu den theologisch reflektiertesten Zeugnissen des Neuen Testaments gehören, belegen dies ebenso wie die übrigen neutestamentlichen Schriften, die in einem eigenen Abschnitt aufgelistet und unter einleitungswissenschaftlichen Gesichtspunkten behandelt werden. Kundige können diesen Textteil getrost überspringen, Unkundigen hingegen wird er dringend zur Lektüre empfohlen, weil ohne bibelkundliches Elementarwissen eine schriftgemäße Theologie nicht zustande zu bringen ist. Der österliche Pfingstgeist lässt aus Jesusjüngern Nachfolger Christi und aus einer Gruppierung, die anfangs nichts anderes zu sein schien als eine jüdische Sekte, eine Kirchengemeinschaft werden, welche die Grenzen des bewohnten Weltkreises umspannen sollte. Im altkirchlichen Dogma hat sich ihr Glaube einen lehr-

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haften Ausdruck verschafft, der bis heute ökumenisch grundlegend und verbindlich ist. Dies gilt auch und gerade für die reformatorischen Kirchen, die ihrem ekklesiologischen Selbstverständnis gemäß nicht erst im 16. Jahrhundert ihren Anfang genommen haben, sondern sich mit der apostolischen Überlieferung kontinuierlich verbunden wissen. In Bezug auf die Wittenberger Reformation habe ich diese in einer zweibändigen Theologie der Bekenntnisschriften der evangelischlutherischen Kirche (Berlin/New York 1996) detailliert aufgeführt. Das Werk, das eine historische und systematische Einführung in das Konkordienbuch von 1580 gibt, stellt das Verbindungsglied zwischen den sechs vorliegenden Bänden über Religion, Offenbarung und Kirche sowie über Gott, Christus und Geist und den nachfolgenden über Schöpfung, Sünde, Versöhnung und Vollendung dar. In Erinnerung zu rufen ist, was im Vorwort zum ersten Reihenband gesagt wurde: Geboten werden materiale Informationen und systematische Organisationsvorschläge zu thematischen Stoffen, die für eine aktuelle evangelische Glaubenslehre elementar und grundlegend sind. Dabei sind die Unterabschnitte der einzelnen Traktate jeweils so gestaltet, dass sie möglichst für sich gelesen werden können. Diese konzeptionelle Entscheidung nötigt zwar zu gelegentlichen Wiederholungen und hindert an einer Gedankenführung von umstandsloser Geradlinigkeit. Doch bietet sie andererseits die Möglichkeit zu rascher Information sowie einen Anlass, sich an den materialen Beständen der Tradition abzuarbeiten, was die Bedingung der Möglichkeit konkreter dogmatischer Urteilsbildung ist. Dogmatische Konstruktion ohne Rezeption des Überlieferten ist ebenso unproduktiv wie die bloße Wiederholung des traditionell Vorgegebenen. Beide Fehlformen theologischer Lehre gilt es im Sinne einer aktuellen Anverwandlung des Ererbten zu vermeiden, wie sie namentlich von der Pneuamtologie gefordert ist. Die Pneumatologie ist derjenige Lehrtopos, in welchem die christliche Theologie traditionellerweise nicht nur einzelne ihrer Inhalte, sondern ihren eigenen Begriff und die Bestimmung reflektiert, die ihr Wesen ausmacht. Wie aber der Hl. Geist nicht unmittelbar, sondern mittels bestimmter Zeichen wirkt, die auf Gottes Offenbarung in Jesus Christus verweisen, so kann sich die theologische Selbstreflexion, wenn sie nicht unbestimmt bleiben will, nur auf vermittelte Weise vollziehen, nämlich im überlieferungsgeschichtlichen Medium. Die historische Erschließung von Traditionszusammenhängen ist daher auch für systematische Theologie unverzichtbar. Dogmatische Begriffe ohne geschichtliche Anschauung sind leer. Doch gilt auch das Umgekehrte: Historische Anschauungen sind blind ohne systematisches Begreifen. Historische Kritik und systematische Konstruktion stehen in einem differenzierten theologischen Zusammenhang. Wenn dies anhand nachfolgender Studie zumindest ansatzweise deutlich wird, ist ihr Hauptzweck erfüllt. Was aber die verbleibenden Defizite betrifft, die offenkundig und auch dem Autor nicht entgangen sind, so besteht die Hoffnung, dass zumindest einige von ihnen in Zukunft beseitigt werden.

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Lit.: E. Bickermann, Das leere Grab, in: P. Hoffmann (Hg.), Zur neutestamentlichen Überlieferung von der Auferstehung Jesu, Darmstadt 1988, 271–284. – H. Conzelmann/W. Zimmerli, Art. chairo etc., in: ThWNT IX, 350–405. – E. Düsing u.a. (Hg.), Geist und Heiliger Geist. Philosophische und theologische Modelle von Paulus und Johannes bis Barth und Balthasar, Würzburg 2009. – F. Hahn, Charisma und Amt. Die Diskussion über das kirchliche Amt im Lichte der neutestamentlichen Charismenlehre, in: ders., Exegetische Beiträge zum ökumenischen Gespräch (Gesammelte Aufsätze I), Göttingen 1986, 201– 231. – W.-D. Hauschild, Art. Geist/Heiliger Geist/Geistesgaben IV. Dogmengeschichtlich, in: TRE 12, 196–217. – H. Kleinknecht u.a., Art. pneuma etc., in: ThWNT VI, 330–450. – K. Koenen/R. Kühschelm, Zeitenwende. Perspektiven des Alten und Neuen Testaments, Würzburg 1999. – G. Lohfink, Die Himmelfahrt Jesu. Untersuchungen zu den Himmelfahrts- und Erhöhungstexten bei Lukas, München 1971. – B. Oberdorfer, Filioque. Geschichte und Theologie eines ökumenischen Problems, Göttingen 2001. – A. Oepke, Art. anhistemi etc., in: ThWNT I, 368–372. – Ders., Art. eigeiro etc., in: ThWNT II, 332–337. – Chr. Schütz, Einführung in die Pneumatologie, Darmstadt 1985. – B. Stubenrauch, Dialogisches Dogma. Der christliche Auftrag zur interreligiösen Begegnung, Freiburg/Basel/ Wien 1995. – P. Stuhlmacher, Evangelium – Apostolat – Gemeinde, in: KuD 17 (1971), 28– 45. – M. Theobald, Der Gottesdienst der Kirche und das Neue Testament. Erwägungen zu ihrem gegenseitigen Verhältnis, in: ThQ 189 (2009), 128–157. – M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen (1922) 51976. – G. Wenz, Ostern als Urdatum des Christentums. Zu Wolfhart Pannenbergs Theologie der Auferweckung Jesu, in: I. Broer/J. Werbick (Hg.), „Der Herr ist wahrhaft auferstanden“ (Lk 24,34). Biblische und systematische Beiträge zur Entstehung des Osterglaubens, Stuttgart 1988, 133–157. – Ders., Quod non dilectio, sed fides iustificet: Zum bekenntnistheologischen Kontext von Luthers These, daß der Christ gerecht und Sünder zugleich ist, in: ders., Lutherische Identität. Studien zum Erbe der Wittenberger Reformation, Bd. 2, Hannover 2002, 101–145.

Ostern ist das Urdatum des Christentums (vgl. Wenz, Ostern), das Ereignis der Selbsterschlie- Urdatum Ostern ßung Gottes, in welcher der allmächtige Schöpfer Himmels und der Erden als Vater des gekreuzigten Jesus von Nazareth offenbar ist, um ihn im Hl. Geist als ewigen Sohn zu verherrlichen, durch welchen den verlorenen Menschenkindern samt ihrer Welt ewiges Leben verheißen ist. Die konkrete Erscheinungsgestalt der österlichen Selbstoffenbarung Gottes ist Jesus Christus; Theophanie ist Epiphanie des auferstandenen Gekreuzigten. Sie wird im Neuen Testament im Anschluss an die Septuaginta mit Wendungen umschrieben, die das Ostergeschehen als apokalypsis, als eschatologische Enthüllung, als endzeit-

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liches Offenbarungsereignis kennzeichnen und seine Wahrnehmung als „visio Dei“, als Schau des unsichtbar Künftigen, das in allem Sichtbaren präsent ist und es zugleich transzendiert. Nicht nur bei Paulus bilden die Erscheinungen des Gekreuzigten das innerste Zentrum des Ostergeschehens. Dabei wird wie bei den übrigen urchristlichen Zeugen durchweg vorausgesetzt, dass die österliche Epiphanie die eschatologische Erscheinung Jesu ist, dessen irdisches Leben am Kreuz endete. Der österlich Erscheinende und Geschaute ist personidentisch mit dem, der irdisch wirkte und den Tod erlitt. Die paulinische Prädominanz der Erscheinungsterminologie legt es nahe, das Osterereignis primär als ein Epiphaniegeschehen aufzufassen und die Auferweckungsaussagen als einen Reflex der Erscheinungen zu begreifen. Indes ist zu berücksichtigen, dass die Quellen von 1. Kor 15,4f. bis hin zu Lk 24,34 bei Kombinationen von Auferweckungs- und Erscheinungsaussagen erstere letzteren stets voranstellen. Damit ist zum Ausdruck gebracht, dass die Erscheinungen Jesu einen Realgrund zur Voraussetzung haben, der ihr Wesen ausmacht und sie kategorial von allen denkbaren Formen der Einbildung unterscheidet. Dieser Realgrund der österlichen Epiphanie ist niemand anderes als Gott selbst. Gottes ureigenes Wirken ist mit dem Wort egeirein im Wesentlichen umschrieben, wobei hinzuzufügen ist, dass egersis und anastasis in den einschlägigen Texten von Anbeginn verbunden sind und sich nicht trennen lassen (vgl. Oepke). Auferweckung und Auferstehung markieren den differenzierten Zusammenhang eines Ereignisses, welches den Realgrund der österlichen Erscheinungen darstellt. Sie benennen diesen Realgrund indes nicht direkt und auf unmittelbare, sondern auf metaphorische Weise. Dieser Sachverhalt wird durch die Beobachtung bestätigt, dass das Ostergeschehen von den Zeugen nirgendwo im Modus seines Vollzugs, also als im Beginnen begriffenes Auferwecktwerden oder Auferstehen des Gekreuzigten geschildert, sondern als ein schlechthin von Gott selbst gesetztes Datum vorausgesetzt wird. Der Terminus des Auferweckens bzw. der Auferweckung legt die Assoziation des Gewecktwerdens bzw. Erwachens aus dem Schlafe nahe. Diese Assoziation wird durch die in der Antike geläufige Bezeichnung des Todes als des Schlafes Bruder unterstützt. Wie der Tod seit mythischen Zeiten mit einem traumlosen Schlaf verglichen wurde, in dem kein Sein bewusst und kein Wissen des Bewusstseins um sich selbst vorhanden ist, so galt nicht selten das Erwachen aus dem Schlaf als Gleichnis für das Erstehen zu einem Leben, in welchem das Dunkel des Todes endgültig dem Morgenglanz der Ewigkeit weicht, mit welchem der Tag des Herrn anbricht. Die elementare Erfahrung des Zusichkommens, das zugleich und in einem mit der Erfahrung der Erschließung von Welt einhergeht, ist in dem deutschen Wort „Wachen“ genuin enthalten, sofern dessen sprachgeschichtlichen Anfang die Bedeutung „lebendig sein“ markiert. Doch versteht sich der Vergleich von Tod und Schlaf ebenso wenig von selbst wie der alltägliche Vorgang des Gewecktwerdens und Erwachens vom Schlafe von sich aus ein Gleichnis für das Ostergeschehen sein kann. Erst das Ostergeschehen selbst, das in der Erscheinung und Selbstkundgabe Jesu Christi seine innere Mitte hat, qualifiziert den Übergang von

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Schlafen und Erwachen als gleichnisfähig für das, was an Ostern geschieht, sofern nun der Tod nicht nur als relativiert erscheint; er ist vielmehr in seiner absoluten Macht gebrochen, die er im alten Äon ausübt. Ostern ist auch in dieser Hinsicht die entscheidende Wende der Zeiten (vgl. Koenen/Kühschelm). Würde man ohne österlichen Bezug den Schlaf als Bruder des Todes und das allmorgendliche Aufstehen zu einer Analogie der Erweckung zu ewigem Leben erklären, wäre dies nichts als ein haltloser Euphemismus, der die Negativität des Todes im Allgemeinen und des Todes Jesu im Besonderen verkennt. Die abgründige Negativität des Todes Jesu, welche durch die Grablegung des Leichnams des Gekreuzigten unterstrichen und durch die Erkennungszeichen des österlich Erstandenen eigens bestätigt wird, nötigt dazu, das Osterereignis als göttliche Neuschöpfung zu verstehen. Die Auferweckung des Gekreuzigten ist ein Ereignis von Gottes schöpferischer Tat, die – auch wenn es sich um keine „creatio ex nihilo“ handelt – neue Wirklichkeit setzt, die aus keinem Gegebenen ableitbar ist. Das gilt auch in Bezug auf das Dasein des irdischen Jesus, das durch das Kreuz zu einem bloß Gewesenen herabgesetzt worden wäre, hätte Gott ihn nicht der Verwesung entnommen und aus dem Grabe herausgeführt, um ihn mit jener Geistleiblichkeit zu versehen, in der er sich in seinen Erscheinungen zeigt. Die Leerheit des Grabes, für deren Annahme einige historische Wahrscheinlichkeit spricht, ist zwar für sich genommen kein eindeutiges Indiz für die Auferweckung des Gekreuzigten durch Gott. Im Verein mit den österlichen Erscheinungen des Gekreuzigten wird es gleichwohl zum sprechenden Zeichen dafür, dass Gott den am Kreuz gestorbenen Jesus ganz und in der Einheit seiner leibseelischen Existenz verewigt hat in sich selbst. Der österlich Erstandene erscheint den Seinen nicht als leibloser Geist und in bloß spiritueller Weise, sondern als Geistleib, der die Differenz von Spiritualismus und Materialismus hinter sich lässt und eben damit Leib und Seele ins rechte Verhältnis zu setzen geschickt ist. Man hat das neutestamentliche Zeugnis vom Verschwinden des Leichnams Jesu und der Leere seines Grabes gelegentlich als einen Beleg vollzogener Entrückung des Gekreuzigten in den Himmel interpretiert (E. Bickermann). Die Epiphaniegeschichten erbringen dieser Auffassung zufolge lediglich den nachträglichen Beweis lebendiger Präsenz des aus dem Grabe Verschwundenen und in den Himmel Entrückten. Im Vergleich zu den Grabesgeschichten, die an der Entrückungsvorstellung orientiert seien, gehörten diese einer späteren Traditionsstufe an. Gegen diese Auffassung ist eingewendet worden (vgl. etwa Lohfink), dass bereits die älteste christliche Überlieferung die Erhöhungsvorstellung mit dem Auferweckungsgedanken verbunden habe und davon ausgegangen sei, dass der durch seine Auferweckung in den Himmel Erhöhte zugleich derjenige ist, der sich als der auferstandene Gekreuzigte den Seinen zeigt. Doch welche Detailergebnisse die traditionsgeschichtlichen Betrachtungen auch immer erbringen mögen: sie dürfen die erhobenen Einzelbefunde nicht isolieren und nicht in separate Bestandteile zerlegen, was zusammengehört und sich in den Osterüberlieferungen als in sich differenzierte Einheit darstellt. Erweist sich doch nachgerade auch derjenige als eine in sich dif-

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ferenzierte Einheit, der als personaler Inbegriff der Osterereignisse zu gelten hat: Jesus Christus, der auferweckte Gekreuzigte und leibhaftig vom Tode Erstandene, der sich in seinen Erscheinungen als derjenige erweist, welcher er ist. In seinen Osterepiphanien, in denen er als der Epiphanie von den Toten auferweckte und aus dem Grabe erstandene Gekreuzigte lebendig in Erscheinung tritt, ist Jesus als der Christus und damit in jener Personeinheit offenbar, die zwar Unterscheidungen nötig macht, ohne dass durch sie die österliche Jesus-ChristusIdentität aufgelöst werden dürfte. Die Erkenntnis dieser Identität ist ein österlich vermitteltes Datum und nicht dergestalt gegeben, dass der Verweis auf den vorösterlichen Jesus genügen würde, um sie zu verifizieren. Zwar ist die Ostererkenntnis mit einem Wiedererkennen des von seinem Leben und Sterben her bekannten Jesus stets verbunden; sie eröffnet daher durchweg einen Prozess der Erinnerung an den irdischen Jesus. Dieser Erinnerungsprozess, wie er durch Ostern und die österliche Einsicht vermittelt wird, dass der auferstandene Gekreuzigte selbst als lebendiges Subjekt seines Gedächtnisses fungiert, ist durch historische Forschung, die sich unter Absehung von Ostern auf den vorösterlichen Jesus richtet, nicht substituierbar. Gleichwohl bedarf das Gedächtnis Jesu Christi des historisch Erinnerbaren und nimmt in konstruktiver Weise auf konkrete Erinnerung Bezug: ist doch, wenn man so will, das Material österlicher Anamnese mit demjenigen identisch, was historischer Jesuserinnerung zugänglich ist, wie denn auch Jesus und Christus von Anbeginn als selbig zu erkennen und zu bekennen sind, welche Selbigkeit ohne Ostern freilich nicht nur nicht erkannt und bekannt werden könnte, sondern auch nicht der Fall wäre. Ostern ist nicht nur der noetische, sondern auch der ontische Grund des offenbaren Seins Jesu als des Christus. Nicht, dass Ostern Jesus zu etwas gemacht hätte, was er vorher nicht war. Er war, was er ist, von Anbeginn, doch er ist, was er von Anbeginn war, auf Ostern hin und von Ostern her, und er wäre es nicht wirklich, wäre Ostern nicht Realität. Man kann aus diesem Grund auch nur mit Vorbehalt sagen, das Auferstehungsereignis sei Fortsetzung der Inkarnation, da diese in jenem nicht nur die Bedingung ihrer möglichen Erkenntnis, sondern in bestimmter Weise auch die implizite Voraussetzung ihrer Wirklichkeit findet. Ein Weiteres: Bei den ostertheologischen Erwägungen noetischer und ontologischer Probleme der Christologie und ihres differenzierten Zusammenhangs ist stets zu bedenken, dass das Ostereignis ganz und vorbehaltlos darauf angelegt ist, Glauben zu finden; zu den Erscheinungen des Auferstandenen gehört unveräußerlich die österliche Glaubensgemeinde, die den Schein des Osterlichts reflektiert. Dennoch wäre es problematisch zu sagen, es gäbe keinen Auferweckten, ohne dass an ihn geglaubt würde. Denn der Glaube an den auferstandenen Gekreuzigten wird von Gott, der ihn erweckt hat, dergestalt begründet, dass er in Gestalt der Erscheinungen Jesu Christi hervorgerufen wird, in denen sich dieser als er selbst erweist. Der Selbsterweis des auferstandenen Gekreuzigten in seinen österlichen Epiphanien geschieht in einer Form, die von der irdischen Gestalt seiner Erscheinung

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zwar zu unterscheiden, nicht aber zu trennen ist. Sinnenfällige Assoziationen und Vorstellungen einer wie auch immer gearteten Leiblichkeit sind daher konstitutiv zu ihm gehörig. Zwar ist der österliche Christus den Seinen durchaus in anderer Art und Weise gegenwärtig als der irdische Jesus. Eine Verwechslung beider Präsenzmodi verbietet sich, und wo sie sich einzustellen droht, wird sie im Neuen Testament eindeutig zurückgewiesen. Selbst die Texte, die ein massives Interesse an einer sinnenfälligen Leiblichkeit des Auferstandenen haben, stellen zugleich klar, dass sich seine Identität mit dem irdischen Jesus nicht durch Aufweis sinnlich vermittelter Kontinuitätszusammenhänge begründen lässt. Es ist Gott, in welchem die personale Identität Jesu Christi gründet. Das Osterereignis kann mithin nur dann recht erfasst werden, wenn es als Gottesoffenbarung verstanden wird. Indes abstrahiert die österliche Gottesoffenbarung nicht von der körperlichen Erscheinung Jesu und ist keineswegs rein spiritueller Natur, sondern bringt Differenz und Kontinuität zwischen dem auferstandenen Christus und dem gekreuzigten Jesus simultan zur Geltung. Das körperliche Dasein Jesu in der Welt und die Geschichte, die mit ihm verbunden ist, bleiben in der Osterwirklichkeit als aufgehobene Realitäten erhalten und werden nicht abgestreift. Wohl ist Jesus physisch nicht mehr hier, was durch die Vorstellung der Leere seines Grabes nicht revoziert, sondern unterstrichen wird; aber seine körperliche Existenz ist nicht verloren, sondern in seine Auferstehungwirklichkeit dergestalt eingegangen, dass diese und Jesus Christus in ihr leibhaftig vorstellig werden. In diesen Zusammenhang gehört die in der neutestamentlichen Tradition sich abzeichnende Tendenz, zwischen Ostern, Himmelfahrt und pfingstlicher Geistausgießung zu differenzieren. Diese Differenzierungstendenz ist ein Reflex der Einsicht, dass von der Leiblichkeit Jesu Christi auch dann nicht abgesehen werden darf, wenn ihm Ubiquität und Omnipräsenz zuzuerkennen sind. Indem die österlichen Epiphanien als Erscheinungen überliefert werden, die sich in relativer zeitlicher und räumlicher Begrenztheit vollzogen, wird klargestellt, dass der Bezug zur Jesusgeschichte unter österlichen Bedingungen erhalten bleibt und zwar unbeschadet dessen, dass der auferstandene Gekreuzigte alle Grenzen des Raumes und der Zeit zu transzendieren bestimmt ist. Das Ostergeschehen ist ein Ereignis, das von der Jesusgeschichte zu unterscheiden, nicht aber Kontinuität und zu trennen ist. Diskontinuität und Kontintuität Diskontinuität beider Ereignisse sind gleichermaßen zur Geltung zu bringen. Dies ist nur theologisch, genauer gesagt: trinitätstheologisch möglich. Die Auferweckung des Gekreuzigten durch Gott hat unvorhergesehenes und nicht vorhersehbares Neues geschaffen; sie ist aber dennoch keine creatio ex nihilo, sondern ein schöpferisches Handeln, das Jesus in Wirklichkeit sein lässt, was er in Wahrheit ist, um auf diese Weise der alten, todverfallenen und in Bosheit und Sünde verkehrten Schöpfung Gutes zu tun. Im unscheinbaren Leben Jesu, dessen Bedeutung, wenn man sie denn überhaupt zur Kenntnis genommen hatte, vielfach missverstanden und verkannt wurde, ist die Bestimmung der Schöpfung manifest und der Schöpfer selbst

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in Erscheinung getreten, um sich im Gekreuzigten als der Versöhner von Menschheit und Welt zu offenbaren, die zur Vollendung zu führen sein erklärter Wille ist. Dafür steht Ostern als Urdatum des Christentums nicht nur äußerlich, sondern in der Weise eines Zeichens ein, das wirkt, was es bedeutet. Das Ostergeschehen ist ein Gottesereignis. Es erschließt nicht nur neue Perspektiven, sondern eine neue Wirklichkeit, ohne dabei das Vergangene zu übergehen. Das ist zugleich der Grund, warum das österliche Perfekt eine Zukunftsverheißung in sich enthält. Als vergangenheitsverwandelndes, zukunftseröffnendes Perfekt hinwiederum kann das Ostergeschehen nur erfasst werden, wenn wahrgenommen wird, dass Gott sich in ihm mit dem irdischen Dasein Jesu bis in den Tod hinein dergestalt identifiziert hat, dass dieses Dasein in seiner leibhaften Ganzheit verewigt wird in ihm selbst. Diese Selbstidentifikation Gottes mit Jesus entzieht sich einerseits jeder Beschreibung, weil sie die Grenzen menschlicher Selbst- und Welterfahrung übersteigt; sie schließt aber andererseits an diese an, um sie von Grund auf dadurch zu transformieren und zu transfinalisieren, dass sie die Vergangenheit Jesu nicht bloßer historischer Erinnerung anheim stellt, sondern den Gekreuzigten in der Kraft des Geistes als lebendiges Subjekt seines Gedächtnisses walten und den Gekommenen die Zukunft von Menschheit und Welt sein und wirken lässt. Der Osterglaube, der die Auferstehung des Gekreuzigten bezeugt, erwartet, indem er die Geschichte Jesu Christi erinnert, die Zukunft des Gekommenen: seinem Entgegenkommen entspricht der pneumatologische Prozess der Geistausgießung. Es ist signifikant, dass im Neuen Testament nirgendwo unbeteiligte Fremdzeugen für die Verifikation der Wirklichkeit und Wahrheit des Ostergeschehens aufgeführt werden. Vielmehr ist es der Glaube und der Glaube allein, dem sich die österliche Wirklichkeit wahrhaft erschließt, freilich so, dass der Glaube in keiner Weise sich selbst als die Ursache der österlichen Wirklichkeit, sondern diese als seinen gottgegebenen Grund erkennt, von dem er sich wie von Gott selbst schlechterdings abhängig weiß. Nie lassen die österlichen Zeugen einen Zweifel aufkommen, dass die Initiative der Ostererscheinungen vom Erscheinenden selbst ausgeht. Der Erscheinende selbst ist es, der sich vergegenwärtigt. In der Immanenz seiner Erscheinung ist er dieser gegenüber daher zugleich transzendent. Seine Erscheinung ist offenbares Geheimnis, und der Begriff von ihr hat der Irreduzibilität des Nichtbegrifflichen Rechnung zu tragen. Das österliche Vorstelligwerden Jesu Christi lässt sich daher ebenso wenig in reines Denken überführen, wie es ohne gedankliches Begreifen in seinem Sinngehalt zu erfassen ist. In seiner österlichen Erscheinung lässt Jesus Christus sich selbst schauen. Doch handelt es sich bei der von ihm erschlossenen Schau seiner selbst um ein Sehen der unvergleichlichen Art, nämlich um ein Sehen des Niegesehenen und ein Erfassen des Unfassbaren. Die erwähnten Motive des Missverstehens, ja des förmlichen Verkennens, die in den biblischen Ostererzählungen anzutreffen sind, bestätigen dies. Den Osterzeugen mutet der ihnen Begegnende anfänglich als Fremder an, als Gespenst, womöglich als Gärtner. Erst als er die Faktizität seiner Erscheinung von sich aus zu erkennen gibt, wird der erscheinende Jesus Christus als er selbst er-

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kannt. Der österliche Herr begründet also in der Kraft des göttlichen Geistes mit der Faktizität seiner Erscheinung zugleich deren Wahrnehmungsmöglichkeit. Er selbst ist die Bedingung seiner möglichen Erkenntnis, wobei hinzuzufügen ist, dass der durch Selbstkundgabe sich zu erkennen Gebende als Erkannter sich augenblicklich dem Zugriff fixierenden Begreifens entzieht. Der österliche Anfang ist durch spontanes Beginnen gekennzeichnet. Er ereignet sich in unerwarteter Plötzlichkeit. Was an Ostern aufgeht, ist ebenso unvorhergesehen wie unerhört. Das österliche Sichoffenbaren Jesu Christi ist in seiner Art unvergleichlich und analogielos. Das Osterereignis lässt sich daher weder in die spezifische Lebensgeschichte der Osterzeugen, noch in den chronologischen Lauf der Zeiten im Allgemeinen kontinuierlich einreihen. Auch in den Zusammenhang räumlicher Gegebenheiten ist es nicht bruchlos einzuordnen. Gleichwohl ist die spontane Unmittelbarkeit, in der das Osterereignis geschieht, keine vermittlungslose, sondern konstitutiv auf einen vorhergehenden und nachfolgenden Vermittlungszusammenhang bezogen. Dieser Bezug ist dem Osterereignis nicht äußerlich, sondern unveräußerlich mit ihm verbunden dergestalt, dass er durch das Osterereignis selbst erschlossen ist. Das österliche Beginnen ist eine spontane Setzung, die nicht auf äußere Voraussetzungen zurückgeführt werden kann. Es ist als spontanes Beginnen dennoch nicht voraussetzungslos, sondern auf Voraussetzungen bezogen, die ihm implizit sind, um vermöge besagter Implikation recht eigentlich erst als Voraussetzungen in angemessener Weise expliziert werden zu können. Abstrahiert man von der Formalität der Beschreibung dieses Sachverhalts, dann ergibt sich folgender konkreter Befund: Die Selbstkundgabe des österlichen Herrn vollzieht sich unmittelbar, aber nicht in vermittlungsloser, sondern in vermittelter Unmittelbarkeit insofern, als der Auferstandene sich selbst als den gekreuzigten Jesus von Nazareth zu erkennen gibt, der er ist. Der Rückbezug auf Leben und Sterben Jesu gehört untrennbar zum Osterereignis hinzu. Die Jesusgeschichte ist dessen Voraussetzung, aber eine Voraussetzung, deren Gehalt ohne das Osterereignis nicht nur nicht erkannt und ermessen werden könnte, sondern den Sinn gar nicht hätte, der sie auszeichnet. Als seine implizite Voraussetzung ist das Leben und Sterben Jesu ohne das Osterereignis nicht angemessen explizierbar. In der Gestalt der Selbstexplikation des österlichen Herrn stellt das Leben und Sterben Jesu nichtsdestoweniger den definitiven Gehalt des Ostergeschehens dar. Das Präteritum ist als Perfekt manifest: Es ist vollbracht. Erweist sich das Ostergeschehen in Bezug auf das vorhergehende Leben und Sterben Jesu als in sich bewegt, so wird die unumkehrbare Ausrichtung des Weges, der dem Osterereignis innewohnt, durch die Tatsache bestätigt, dass der österlich offenbare Jesus Christus sich als der kommende Herr der Welt eschatologisch zu erkennen gibt. Wie Leiden und Sterben Jesu als implizite Voraussetzung Osterns zu gelten haben, so markiert die zu erwartende Parusie des auferstandenen Gekreuzigten die folgerichtige Konsequenz dessen, was an Ostern geschah. Die österliche Selbstvergegenwärtigung des Herrn umgreift Vergangenheit und Zukunft, ohne den Unterschied der Zeiten zu indifferenzieren. Dies gilt es in der Kraft des gött-

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lichen Geistes zu erfassen und zwar so, dass der pneumatologische Prozess als die Verlaufsform der Verwirklichung dessen wahrgenommen wird, was in der österlichen Realität theologisch und christologisch grundgelegt ist. Obwohl vom Geist in christlicher Tradition geTerminus „Geist“ wöhnlich in Metaphern des Lichts und der Helligkeit gesprochen wird, gehört die Pneumatologie (vgl. einführend etwa Schütz, Düsing u.a. [Hg.]) , die Lehre vom Hl. Geist, für nicht wenige Christen zu den eher dunklen und undurchsichtigen Themenbeständen ihrer religiös-theologischen Überlieferung. Dies hat nicht zum Geringsten terminologiegeschichtliche Gründe. Das deutsche Wort „Geist“ verfügt, obwohl im Laufe der Sprachgeschichte formal kaum verändert, über eine nur schwer begrenzbare inhaltliche Bedeutungsfülle, wie dies entsprechend auch für seine Äquivalente im Englischen (spirit; mind), Französischen (esprit) oder Italienischen (spirito) zutrifft. Der Geistbegriff bezeichnet sowohl die gespenstische Erscheinung nichtkörperlicher, aber vorstellungshaft verdinglichter Wesen als auch die tragende Grundlage bewussten und selbstbewussten Lebens. In letzterem Sinn steht der Begriff in anthropologischer Verwendung nicht selten mit Wörtern wie Leib und Seele in Verbindung, wobei er mit Seele gelegentlich sinnidentisch gebraucht wird, so dass an die Stelle einer trichotomischen (Leib, Seele, Geist) eine dichotomische (Leib, Seele/Geist) Reihung tritt. Daneben kann der Terminus Geist den Inbegriff und die Quintessenz einer Sache oder eines Sachverhalts bedeuten. Auch ist vom Volksgeist, vom Gemeingeist usw. die Rede; zahlreich sind die attributiven Verbindungen, die sich mit dem Geistbegriff herstellen lassen. Die komplexe Geschichte des deutschen Geistbegriffs und seiner Bedeutungen steht in enger und vielfältiger Beziehung zum Sprachgebrauch antiker und biblischer Tradition (vgl. im Einzelnen Kleinknecht u.a.). Sinngehalte der lateinischen Termini animus, mens und spiritus sind in den Geistbegriff ebenso eingegangen wie die Denotationen des griechischen pneuma und des hebräischen ruah. Das alttestamentliche Wort ruah verweist schon vom Klang her zunächst ganz einfach auf das Wehen des Windes; in 113 von 389 Fällen seiner biblischen Verwendung bezeichnet es daher schlicht ein natürlich-meteorologisches Phänomen, vom leichten Luftzug Gen 3,8 bis zum Sturm Ex 10,19; Jes 7,2; Jon 1,4 u.a. Auf den Menschen übertragen nimmt der Begriff die Bedeutung „Atem“ im Sinne des den Körper belebenden Prinzips an, bezeichnet den Sitz der Empfindungen, der geistigen Funktionen und Willenshaltungen, schließlich auch die gottgewirkte Mächtigkeit, wie sie in politischen Führergestalten, in der Ekstase oder in prophetischer Rede wirksam ist. In theologischer Verwendung benennt ruah entsprechend die wirksame göttliche Kraft im Allgemeinen sowie die physisches Leben und geistige Fähigkeiten schaffende Schöpfermacht Gottes im Besonderen. Nach Gen 2,7 „formte Gott, der Herr, den Menschen aus Erde vom Ackerboden und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen.“ Entsprechend heißt es im Hiobbuch 33,4 (vgl. Ps 33,6; 147,18): „Gottes Geist hat mich erschaffen, der Atem des Allmächtigen mir das Leben ge-

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geben.“ Und der Psalmist bekennt (104,29f.): „... nimmst du ihnen den Atem, so schwinden sie hin und kehren zurück zum Staub der Erde. Sendest du deinen Geist aus, so werden sie alle erschaffen, und du erneuerst das Antlitz der Erde.“ Hinzuzufügen ist, dass Gottes kreatives Schaffen keine ihm äußerliche Wirklichkeit, sondern sein innerstes Wesen darstellt. Der lebenstiftende und -erhaltende Schöpfergeist, ohne den nichts sein und bleiben kann, gehört elementar und wesentlich zur Gottheit Gottes hinzu. Das wird durch die im antiken Judentum namentlich bei Philo von Alexandrien begründete, vom christlichen Trinitätsdogma fortentwickelte Theorie des HI. Geistes als einer eigenständigen göttlichen Hypostase (vgl. schon 1. Kön 22,21 par 2. Chr. 18,20) nicht in Frage gestellt, sondern bestätigt. Schematisch lassen sich in Bezug auf den alttestamentlichen ruah-Begriff drei Verwendungsweisen unterscheiden: eine meteorologisch-kosmologische, eine anthropologische und eine theologische, wobei die theologische den Basisgrund und die Bestimmungseinheit der Begriffsreihe benennt. Ist schon der Wind, der die Welt durchweht und natürliche Blüte und Frucht ermöglicht, ein Werkzeug Jahwes, so hat in Sonderheit der Geist, der den Leib des Menschen belebt und den Sitz seiner Empfindungen, seiner Willensbestrebungen und seiner Verstandesfunktionen ausmacht, als eine gottgewirkte Wirklichkeit zu gelten. Im tiefsten und wahrsten Sinne des Begriffs bezeichnet ruah mithin eine wirksame Gotteskraft. Sie erzeugt nicht nur nach außen hin physisches Leben und geistige Existenz im Allgemeinen sowie Ekstase, Prophetie und Führungscharisma im Besonderen, sondern sie gehört selbst dem inneren Wesen Gottes an. Von hierher und von der Einsicht aus, dass mit dem Ursprungsverhältnis von Gott zu Welt und Mensch Differenz und Differentes überhaupt erst ins Leben tritt, wird die religiöse Hypostasierung des Geistes als einer eigenen und gleichsam personhaften göttlichen Größe verständlich. Allerdings ist diese Entwicklungstendenz in der alttestamentlichen Tradition nur ansatzweise erkennbar, um erst unter den Bedingungen des hellenistischen Diasporajudentums und im Kontext der griechischen Geisteswelt offen zutage zu treten. Die sog. Septuaginta (die nach der Legende von 72 jüdischen Gelehrten in 72 Tagen vollendete, in Wahrheit in den drei letzten vorchristlichen Jahrhunderten in Alexandrien entstandene griechische Übersetzung des Alten Testaments), welche von den Christen bald als ihre Bibel angenommen wurde, gibt den alttestamentlichen Begriff ruah gewöhnlich mit pneuma wieder. Für seine antike Bedeutung ist ebenso wie beim alttestamentlichen ruah-Begriff ein meteorologischer Bezug grundlegend. Pneuma bedeutet ursprünglich, wie etymologisch unschwer zu erkennen, bewegte Luft und entsprechend Atem. Die medizinische und philosophische Verwendung des Begriffs schließt hieran an. Wie Wind den Kosmos belebt, so der Atem den Menschen. Nicht nur Anaximenes und der Arztphilosoph Diogenes von Apollonia, sondern auch Platon und Aristoteles können auf diese Weise argumentieren, wobei die Unterschiede ihrer komplexen Systeme naturgemäß auch die jeweilige Pneumalehre bestimmen. Darauf ist hier nicht einzugehen. Erwähnt sei nur, dass pneuma innerhalb der Stoa stets als stoffliches Prinzip betrachtet wurde,

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wohingegen ein Denker wie Philo von Alexandrien ihm einen immateriellen Transzendenzcharakter unstofflicher Art zuerkannte. Pneuma ist danach eine ganz dem jenseitigen Gott zugehörige Größe und als solche das hypostasierte Prinzip göttlicher Schöpferkraft und Wirkmacht, welche werden lassen und erhalten, was ohne den Geist Gottes weder Wesen noch Bestand hätte. Auf diese Weise fungiert das göttliche pneuma bei Philo wie in der neuplatonischen Philosophie als göttliches Medium zwischen dem, was Gott an sich, und demjenigen, was er nicht unmittelbar selbst ist, aber schöpferisch erzeugt hat, um es seinem Willen gemäß zu erhalten. Obzwar von Spekulationen dieser Art im Neuen Testament nichts zu finden ist, so sind sie doch Geist Christi und Hl. Geist für die Entwicklung christlicher Pneumatologie nicht ohne Bedeutung geblieben. Charakteristisch für den neutestamentlichen pneuma-Begriff ist zweifellos die christologische Konzentration seiner Verwendung. Gottes heiliger Schöpfergeist und der Geist Jesu Christi erscheinen aufs Engste verbunden. Dabei gilt Jesus Christus nicht allein als exemplarischer Pneumatiker, in dessen einzigartiger eschatologischer Sendung die schöpferische Lebenskraft Gottes selbst wirksam ist, sondern zugleich als der offenbare Spender des Geistes, durch welchen er sich eine gläubige Gemeinde und die Geistgemeinschaft der Kirche schafft. Unter Bezug insbesondere auf die übernatürliche Erzeugung Jesu, auf seine Taufe, sein messianisch-geistgesalbtes Leben und Sterben sowie seine schließlich vom Geist gewirkte Auferweckung und himmlische Erhöhung ließe sich die neutestamentliche Pneumatologie ebenso verdeutlichen wie im Blick auf die pfingstliche Sendung des Geistes, in deren Folge es zur Gründung der christlichen Kirche kam. Um nur einige wenige exegetische Hinweise zu den Synoptikern zu geben: Bei den ersten beiden, Mt und Mk, ist pneuma alttestamentlich als Gottes Kraft zu mächtigen Taten zu verstehen, wie sie in Jesu eschatologischer Sendung einzigartig wirksam ist, so dass diesem eine singuläre pneumatische Stellung zukommt, die ihn von allen anderen Menschen abhebt. In ihm wirkt Gottes Geist wie nirgends sonst. Lk entwickelt das Geistverständnis von Mt und Mk christologisch insofern fort, als er Jesus nicht nur als einzigartigen Empfänger, sondern zugleich als handelndes Wirksubjekt des Pneuma vorstellig macht. Als göttlicher Geistzeuge ist er nicht nur exemplarischer Pneumatiker, sondern Spender des pneuma, um als der auferstanden Gekreuzigte seine göttliche Herkunft vollmächtig unter Beweis zu stellen und an Pfingsten mit der Geschichte der Kirche die Zeit des Geistes zu eröffnen, wobei die Taufe auf den Namen Jesu als pneumatische Empfangsquelle gilt. Man wird sich allerdings hüten müssen, die bei den Synoptikern und sonst im Neuen Testament begegnenden pneumatologischen Unterschiede über Gebühr zu akzentuieren oder gar zu Gegensätzen zu stilisieren: dass von Jesus als singulärem Empfänger des göttlichen pneuma begeisternde Wirkungen ausgehen, sagen auch Mt und Mk, wie umgekehrt Lk nicht leugnet, dass der Geist, den Jesus spendet, derjenige ist, den er selbst empfangen hat und den er nicht spenden könnte, hätte

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er ihn nicht von Gott her bekommen. Empfang und Spendung des Geistes sind wesentlich verbunden wie Passion und österliche Aktion, auf deren Geschehenszusammenhang die christliche Pneumatologie wesentlich konzentriert ist. Die dogmengeschichtliche Entwicklung frühchristlicher Pneumatologie (vgl. im Einzelnen Hauschild) nimmt ihren Ausgang bei der neutestamentlichen Einsicht, dass der Geist, indem er Gottes Wesensoffenbarung in Jesus Christus dem göttlichen Willen gemäß bewirkt, diese zugleich für Menschheit und Welt erschließt, um sie hineinzunehmen in das Offenbarungsgeschehen, welches in Tod und Auferstehung Jesu Christi sein Zentrum hat, um Anteil zu geben an der Gemeinschaft des Vaters und des Sohnes, für die der Geist als dritter im göttlichen Bunde in Person einsteht. Die göttliche Gemeinschaft ist nicht verschlossen in sich, sondern aufgeschlossen und offen für Menschheit und Welt, zu denen der Sohn gesandt wurde, damit sie der Geist erfasse, der den Ungeist des Todes und die Geistwidrigkeit der Sünde überwindet. Wie aber solche Wirksamkeit des Geistes zur Selbstoffenbarung Gottes im Sohn entscheidend hinzugehört, so hat auch seine Wirklichkeit als der Gottheit Gottes wesentlich zugehörig zu gelten. Genau dies bezeugt die christliche Lehre von der Dreieinigkeit Gottes in pneumatologischer Hinsicht. Definierte das Konzil von Nizäa 325 zunächst das Dogma von der Wesenseinheit des Sohnes (logos) mit dem Vater, so wird seit dem Konzil von Konstantinopel 381 die Lehre von der Gottheit des Hl. Geistes allgemein rezipiert. Danach verfügt der Hl. Geist wie Vater und Sohn über die eine, in sich unterschiedslose göttliche Wesensnatur mitsamt ihren Hoheitseigenschaften. Jeder pneumatologische Subordinatianismus wird gegen den Widerstand der sog. Pneumatomachen strikt abgewiesen. Im Übrigen wird der Hl. Geist als eine eigenständige personale Größe begriffen, eine Entwicklung, die sich schon im hellenistischen Judentum abzeichnete. „Ein Wesen in drei Personen“ lautet entsprechend die klassische Strukturformel christlicher Trinitätslehre. Noch heute wird im nizänischen, besser gesagt: nizäno-konstantinopolitanischen Bekenntnis zusammen mit der Konsubstantialität (Homoousie) von Vater und Sohn der Glaube an den Hl. Geist bekannt, „der Herr ist und lebendig macht, der aus dem Vater (und dem Sohn) hervorgeht, der mit dem Vater und dem Sohn angebetet und verherrlicht wird, der gesprochen hat durch die Propheten“. Nur am Rande sei darauf hingewiesen, dass die Formel „der aus dem Vater und dem Sohn hervorgeht“ einen Zusatz – das berühmt-berüchtigte „filioque“ – enthält, der erst in karolingischer Zeit ins Symbol gelangte und nur in der lateinischwestlichen Christenheit anerkannt wurde, wohingegen er in der Ostkirche bis heute nicht akzeptiert, sondern dezidiert abgelehnt wird (vgl. im Einzelnen Oberdorfer). Die theologische Intention dieser Ergänzung ist es, die Mission des Geistes ausdrücklich an die Erscheinung des Sohnes zu binden und die Möglichkeit eines Geistwirkens Gottes ohne die Mittlerschaft Jesu Christi auszuschließen. Dieses dogmatische Motiv ist berechtigt und biblisch begründet. In der Tat ist Jesus Christus das inhaltliche und personale Kriterium des Geistes und der Unterscheidung der Geister. Durch das Wirken des Geistes wird die göttliche Geschichte Jesu

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Christi weder ersetzt noch revidiert oder auch nur ergänzt, sondern in wirksamer Weise bestätigt und für uns erschlossen. Deshalb wird vom Neuen Testament mit Nachdruck der untrennbare Zusammenhang von Christologie und Pneumatologie betont, obzwar der Geist kein bloßes Realisierungsinstrument und keine anhangsweise Folgegestalt Jesu Christi ist, weil dieser sein ureigenes Wesen gerade darin vollendet, dass er Neues und Anderes in seiner vom Eigenen differenten Unterschiedenheit ermöglicht und freisetzt. Im Hl. Geist ist der Geist Jesu Christi lebendig. Dies unmissverständlich festzuhalten, ist das theologische Motiv der Einfügung des „filioque“. Diese Intention wird in der Regel auch von ostkirchlichen Theologen geteilt, so dass sich die verbleibende Kontroverse auf die Frage reduzieren lässt, ob es angemessen und opportun ist, spätere Eingriffe am definierten Text eines gemeinchristlichen Konzils vorzunehmen. Verneint man diese Frage, wofür nicht nur Gründe ökumenischer Rücksicht sprechen, dann ergibt sich folgendes Resümee: Mit der Synode von 381 und dem Nizänokonstantinopolitanum, welches dem Konzil von Konstantinopel abzusprechen trotz aller verbleibender Zuweisungsprobleme kein durchschlagender Grund besteht, wurden nicht nur die arianischen Streitigkeiten innerhalb der Alten Kirche offiziell zum Abschluss gebracht, sondern Resultate erzielt, die bis in die Neuzeit hinein Grundlage aller christlichen Theologie blieben und noch heute in den großen Konfessionen der Christenheit basale Anerkennung finden. Das nizänische homoousios zur Bezeichnung des Verhältnisses von Gottvater und Gottsohn wird aufgenommen und die eine göttliche Wesenheit des Vaters, Sohnes und Heiligen Geistes in drei ganz vollkommenen Hypostasen oder Personen gelehrt. Dem Konzil von Chalcedon war es schließlich vorbehalten, das nizänokonstantinopolitanische Symbol zusammen mit dem Nizänum der eigenen Glaubensformel, welche die christologischen Streitigkeiten zu beheben suchte, voranzustellen und damit den Synoden von Nizäa 325 und Konstantinopel 381 und indirekt auch sich selbst zu autoritativem „ökumenischen“ Ansehen zu verhelfen. Durch die Konzilien von Nizäa, Konstantinopel und Chalcedon ist ein sachlicher Fluchtpunkt markiert, auf den die frühchristlich-altkirchlichen Entwicklungslinien ausgerichtet sind, die in diesem Band verfolgt werden. Ziel ist es, die Genese des Christentums, das mit dem Osterereignis anhebt, in traditionsgeschichtlicher Perspektive so zu erfassen, dass ihr Zusammenhang mit dem pneumatologischen Prozess erkennbar wird, den die Geisttheologie unter systematischen Aspekten zu bedenken hat. Die Grundthese lautet, dass der Geist Osterns, der sich an Pfingsten eine Kirche schafft, von dieser im trinitarisch-christologischen Dogma lehrmäßig so auf den Begriff gebracht wurde, dass die Unbegreiflichkeit seiner Wirklichkeit Wahrung und zugleich die Vernunft des Glaubens unter den Bedingungen der Zeit reflektierten Ausdruck fand. Versucht man die pneumatische Wahrnehmung zu rekonstruieren, welche den ersten Osterzeugen zuteil wurde, so wird man nicht ausschließen können, dass anfangs nicht sogleich hinreichend bewusst war, was in ihr aufging. Wie jenes unmittelbare Innesein, das wir Gefühl nennen, noch keinen entwickelten Begriff

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der Differenz von Subjekt und Objekt kennt, so mag auch das österliche Geschehen den Zeugen anfangs eher stimmungsmäßig als in der Weise reflexen Wissens präsent gewesen sein. Was ihnen aufging, transzendierte ja offenbar alles bisher Gewusste und alle Erfahrungen, die sie mit sich selbst und der Welt gemacht hatten, in der sie lebten. Doch konnte es bei der anfänglichen Unbestimmtheit einer lediglich gefühlsmäßigen Wahrnehmung nicht bleiben. Das unbestimmte Empfinden eines die Totalität des Lebens erfassenden Geschehens musste zu Bewusstsein gebracht und in bestimmter Weise thematisiert werden. Der unendliche Grund ihres Daseins und ihrer Welt, der den Zeugen im österlichen Erschließungsgeschehen begegnete, erschien ihnen denn auch nur momentan als indifferent, um sich augenblicklich in differenzierter und in einer – bei aller Unbegreiflichkeit – dem Begreifen zugänglichen Weise zu erkennen zu geben. An diese Ursprungserkenntnis schließt die Theologiegeschichte der Alten Kirche an, um ihr in Kanon und Dogma jene Ausdrucksgestalt zu verleihen, die der kirchlichen Bestimmung zu leiturgia, martyria und diakonia in der Nachfolge Jesu Christi entspricht. Das in Jesus Christus in der Kraft des göttlichen Geistes offenbare Heil wird im neutesta- Die Gaben des Geistes mentlichen Griechisch mit verschiedenen Termini bezeichnet, unter denen der insbesondere im paulinischen Schrifftum verwendete charis-Begriff einer der zahlenmäßig am häufigsten gebrauchten und inhaltlich gewichtigsten ist (vgl. Conzelmann/Zimmerli). In der Septuaginta steht charis gewöhnlich für das hebräische chen, dessen Verbform die personale Zuwendung aufgeschlossener Güte bezeichnet. In diesem Sinne wird das Wort etwa im aaronitischen Segen verwendet, wenn es heißt: „Der Herr segne dich und behüte dich. Der Herr lasse sein Angesicht über dich leuchten und sei dir gnädig ...“ (Num 6,24f.). Wörter mit der Bedeutung Güte, Huld, Wohlwollen, Freundlichkeit, Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Liebe usw. gehören bereits im Alten Testament zum engeren Kontext des Gnadenbegriffs. Entsprechendes gilt für das begriffliche Umfeld der neutestamentlichen charis. In der paulinischen Gnadentheologie ist charis der Sammelbegriff des in Jesus Christus bereiteten Heils, die Geistesgabe schlechthin. „charis hymin“, „Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus“, heißt es deshalb schon im Eingangsgruß des Briefs an die Römer (1,7); und entsprechend lautet der Schlussgruß des 1. Briefes an die Thessalonicher (5,28 usw.): „Die Gnade Jesu Christi, unseres Herrn, sei mit euch!“ Hilfreich ist es, sich in diesem Zusammenhang der Verwandtschaft von charis mit dem griechischen Wort chairein zu erinnern, auf Deutsch: sich freuen, fröhlich sein. Die Gnade ist Grund und Inhalt einer alles überstrahlenden eschatologischen Freude (chara), welche der angefochtene Mensch von sich aus nicht zu erlangen vermag, die ihm vielmehr gratis, umsonst, aus reiner Gnade, sola gratia von Gott geschenkt wird, wie das nicht zuletzt in der bezeichnenderweise Eucharistie genannten Feier des Herrenmahls besonders zur Geltung kommt. In ihr wird auch deutlich, dass Jesus Chris-

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tus die göttliche Gnade nicht nur im Sinne einer äußerlichen Mitteilung darbietet, sondern dass er diese Gnade in Person ist, um als solch personaler Inbegriff von Gnade in der Kraft des Geistes durch Wort und Sakrament bis zu seiner schließlichen Wiederkunft gegenwärtig wirksam zu werden. Der Gehalt des Geistwirkens ist das Christusgedächtnis, die Form des Christusgedächtnisses hinwiederum ist begeisternde Inspiration. Die menschliche Wahrnehmungsgestalt des geistgewirkten Christusgedächtnisses aber, in welchem der Gekreuzigte nicht als tote Vergangenheit erinnert wird, sondern als Auferstandener selbst lebendig sich präsentiert, ist der Glaube (pistis). Der Glaube ist mithin das vornehmste Geschöpf des Geistes, die wichtigste Geistesgabe, das entscheidende Charisma überhaupt. In ihm nämlich wird die in Jesus Christus offenbare göttliche Gnade als solche wahrgenommen. Es gilt – um mit Paulus (Röm 4,16) zu reden –: „ ,aus Glauben‘ damit auch gilt: ‚aus Gnade‘ “. Insofern die Wahrnehmung der Gnade im Glauben in der Kraft des HI. Geistes geschieht, lassen sich Grund und Wesen des Glaubens treffend und in einem Wort als Begeisterung beschreiben. Der Glaubende ist begeistert: dies soll nicht besagen, dass er von Sinnen ist, sosehr sich dieser Verdacht durchaus einstellen mag: mešugga lautete das geläufige Vorurteil über die alttestamentlichen Propheten; durch das jiddische „meschugge“ ist uns die Bedeutung dieses Verdikts sogleich verständlich: verrückt sind sie. In diesem Sinne lesen wir bei Hos 9,7: „Der Prophet ist ein Narr, der Geistesmann ist verrückt.“ Nicht minder abschätzig wurde bekanntlich auf das begeisternde Pfingstereignis reagiert. „Sie sind vom süßen Wein betrunken“, spotteten etliche (Apg 2,13). In der Tat hat die Begeisterung des Glaubens, so wenig sie mit sinnloser Trunkenheit ernsthaft zu verwechseln ist, etwas zu tun mit berauschter und berauschender Ekstase und einer Verrücktheit des identitätsgebenden Grundbezugs des Daseins. Wie nämlich der Begeisterte in bestimmter Weise außer sich ist, so hat auch der Glaubende die Basis seines Seins außerhalb seiner selbst. Ja, indem er ganz bei der Sache, besser gesagt: beim Herrn ist, findet der Glaubende recht eigentlich erst zu sich selbst. Der Glaubende kommt zu sich und zum rechten Verständnis seiner selbst, indem er – im wahrsten Sinne des Wortes – sich verlässt. In eindringlichen Formeln hat Luther im Anschluss insbesondere an den Apostel Paulus dieses exzentrische Wesen des Glaubens pointiert beschrieben und dem Ungeist und der Geistlosigkeit der Sünde kontrastiert: simul iustus et peccator; iniustus in me, iustus in spe resp. in Christo (vgl. Wenz, Quod non). Während das Unwesen der Sünde darin besteht, sich in sich selbst zu verkehren – den homo incurvatus in se ipsum nennt Luther den Sünder –, ist der Glaube durch eine Offenheit des Geistes charakterisiert, der jede Selbstverschlossenheit zuwider ist. Im gewissen Vertrauen auf das Zuvorkommen der Gnade Gottes in Jesus Christus wird der Mensch von dem Zwange befreit, sich selbstverkehrt zum unmittelbaren Grund und Ziel seines Daseins in der Welt, kurzum: zu seinem eigenen Gotte verklären zu müssen. Im Glauben an seine Anerkennung durch Gott wird er dazu gebracht, sich zur eigenen Endlichkeit zu bekennen, in deren Bejahung sich die menschliche Bestimmung vollendet. Glauben

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heißt sonach: Anerkennen, dass man – dank des auferstandenen Gekreuzigten und trotz Tod und Teufel – anerkannt ist und ein beständiges Recht bei Gott selbst hat, wie dies in der Taufe grundlegend, verlässlich und unter Nennung unseres unverwechselbar individuellen Namens zugesagt wird. Diese Gnade (charis) ist Anlass stetiger Freude (chara) und feste Grundlage aller weiteren Geistbegabungen (charismata), mit denen unser Leben ausgestattet ist, um in Liebe zu sich und zum Nächsten gelebt zu werden. An der rechten Bestimmung von Gnade und Glaube entscheidet sich nach reformatorischer Auffassung das theologische Verständnis Gottes und des Menschen und damit der zentrale Inhalt christlicher Lehre überhaupt. Indem er nichts vom eigenen Vermögen, aber alles von den Möglichkeiten Gottes in Jesus Christus erwartet, ist der Glaube, was er ist (fides apprehensiva). Vertrauen (fiducia) als die erfüllte Gestalt des Glaubens ist nichts anderes als jenes Sichverlassen, welches das Seine nicht bei sich selbst, sondern allein in Jesus Christus (extra nos) sucht. Auf sich und seine vermeintliche Kraft und Fähigkeit gerichtet hingegen ist der Glaube in sich verkehrt und zum Unglauben geworden, welcher in seinem Eigensinn vergehen muss. Um hieraus nicht falsche Schlüsse zu ziehen, muss sogleich Folgendes klargestellt werden: Die externe Gerechtigkeit Christi ist nach Luthers Auffassung im Glauben gerade darin real und effektiv, wirklich und wirksam, dass sich dieser in keiner Weise auf seine vorfindliche und tatsächliche Gerechtigkeit, sondern einzig und allein auf die Gerechtigkeit Christi verlässt, wie sie das Evangelium ihm zuspricht. Trotz entschiedener Abgrenzung gegen jegliche Form der Werkgerechtigkeit wird der verpflichtende Wert guter Werke von der Reformation keineswegs in Abrede gestellt. Glaube steht mitnichten im Gegensatz zu tätiger Liebe, ermöglicht sie vielmehr erst richtig. Denn indem der Glaube, da er sich in gänzlichem Vertrauen auf Gott verlassen kann, frei ist von der Sorge ums Eigene, ist er allererst frei zu dankbarer Fürsorge und sinnvoller Tat der Liebe. Versucht der Mensch hingegen selbsttätig sein Heil zu wirken, verkehrt er sich zwangsläufig in sich und ist in seinen vermeintlich guten Werken nur selbstbezogen mit sich beschäftigt, welch leeres Kreisen von den Reformatoren etwa anhand einer Reihe sinnloser frommer Verpflichtungen identifiziert wurde. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass im Heidelberger Katechismus, dem grundlegenden reformierten Lehrbekenntnis, alle die ethische Lebensthematik, mithin die christliche Selbsttätigkeit betreffenden Fragen unter der Überschrift „Von der Dankbarkeit“ (Dritter Teil) abgehandelt werden. Damit wird ein für die gesamte reformatorische Ethik grundlegender Sachverhalt namhaft gemacht. Christliches Handeln hat seinen Ursprung nicht in sich selbst, sondern im Zuvorkommen göttlicher Tat. Insofern vollzieht es sich als Dank, der einen Empfang voraussetzt und sich auch nachträglich nicht als ein Abgelten, das sich nichts schenken lassen will, verstehen kann. Der wahrhaft Dankbare wird sagen müssen, dass er auch sein Danken zuletzt dem verdankt, welchem er dankt. Gleichwohl stellt Dank keinen Gegensatz dar zu aktivem, selbsttätigem Tun. Der Dankbarkeit

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erwächst vielmehr gerade deshalb sinnvolle und freie Tat, weil sie sich im Unterschied zu einem selbstbegründenden, selbstrechtfertigenden Handeln als sich gegebenes Geben weiß. Die der Dankbarkeit des Glaubens folgende tätige Liebe (agape) bezeichnet die Sphäre, in der die Pneumatika und Charismata charis in Gestalt des charisma wirksam werden soll und wirksam wird. Im Neuen Testament kommt das Verbalsubstantiv charisma, dessen Grundbedeutung etwa mit Geschenk, Wohltat oder Gunsterweis wiederzugeben ist, neben den Pastoralbriefen und 1. Petr 4,10 allein bei Paulus vor, der das Wort in die theologische Diktion des Christentums eingeführt haben dürfte. In den beiden Korintherbriefen (1. Kor siebenmal; 2. Kor einmal) und im Römerbrief (sechsmal) begegnet der Begriff ausdrücklich, die von ihm gemeinte Sache ist freilich auch in den anderen Paulinen präsent. Der Charismabegriff steht nicht nur in enger Beziehung zu der schon terminologisch verwandten charis, sondern auch zu pneuma (vgl. Röm 1,11). Indes vermeidet es Paulus, Charismen pneumatika zu nennen, obwohl er unter ihnen zweifellos pneumatische Erscheinungen versteht, in denen die Gabe des Geistes konkrete Gestalt annimmt; er ersetzt vielmehr den Terminus pneumatika bewusst durch charismata, um deren gnadenhaften Charakter zu betonen und das Missverständnis eines privilegierten pneumatischen Besitzstandes zu vermeiden. Ein solches Missverständnis fand Paulus insbesondere unter den korinthischen Enthusiasten vor: Ihnen galten als pneumatika außerordentliche Befähigungen bzw. sensationelle Fähigkeitserweise ausgezeichneter und von der Masse der übrigen Gemeinde hervorgehobener Pneumatiker. Paulus leugnet die Möglichkeit und Tatsächlichkeit solcher außergewöhnlicher Gaben des Geistes wie ekstatische Zungenrede oder dramatische Wundertaten nicht. Aber seine Charismenlehre integriert diese in den Gesamtzusammenhang gemeindlichen Gemeinschafts- und Liebesdienstes, um auf diese Weise privatistische Isolierung schon im Ansatz zu verhindern. Geistgaben haben sich als gemeindedienlich zu erweisen und der Liebe hilfreich zu sein. Enthusiastische Glossolalie, um ein Beispiel zu geben, muss die kommunikative Verständigung fördern und darf sich nicht in bloßer Ekstase erschöpfen. Daraus lässt sich ersehen, dass Paulus vorhandene Charismen nicht nach Maßgabe ihrer Außerordentlichkeit, sondern danach bewertet, welchen Dienst sie für die Erbauung (oikodome) der Gemeinde als des Leibes Christi leisten. Diakonie ist sonach die Realgestalt und das Kriterium christlichen Charismas, wie denn auch bei Paulus der Begriff der diakonia mit demjenigen des charisma aufs engste zusammengehört (vgl. etwa 1. Kor 12,4ff.). Hinzuzufügen ist, dass alle Gemeindeglieder gemäß ihrer je besonderen und eigenen Geistbegabung zur Erbauung des Leibes Christi berufen sind. Die Pluralität der Geistesgaben gehört elementar zur Einheit des Geistes der Gemeinde hinzu. Dass solche Verschiedenheit der Charismen in Beziehung steht zu den sog. natürlichen Begabungen und Fähigkeiten, mit denen die einzelnen Gemeindeglieder ausgestattet sind, stellt Paulus nicht in Abrede, obgleich er die spirituelle Transformation des natürlichen Menschen selbstver-

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ständlich stets voraussetzt, wenn er von charismatischen Geistesgaben spricht. Ihre wesentlichen Kriterien sind folglich nicht äußerlich überprüfbare Leistungskraft und außerordentliche Machterweise, sondern Christusbekenntnis, Dienstbarkeit und Liebe. Dies bestätigt, wie entschieden das paulinische Verständnis eines Charismatikers abweicht von dem üblicherweise begegnenden, welches seine wissenschaftlichen Weihen insbesondere durch den Religionssoziologen Max Weber erhielt, nach dessen Definition „Charisma“ „eine als außeralltäglich ... geltende Qualität einer Persönlichkeit heißen (soll), um derentwillen sie als mit übernatürlichen oder übermenschlichen oder mindestens spezifisch außeralltäglichen, nicht jedem andern zugänglichen Kräften oder Eigenschaften [begabt] oder als gottgesandt oder als vorbildlich und deshalb als ,Führer‘ gewertet wird“ (Weber, 140; bei W. teilweise gesperrt). Gegenüber diesem von der Faszination des Außerordentlichen und Einzigartigen bestimmten Charismabegriffs ist das paulinische Verständnis der Geistbegabungen primär an den unspektakulären Gemeindediensten des Alltags in ihrer Vielförmigkeit orientiert. Unbeschadet der integrativen Offenheit des paulinischen Charismenverständnisses, welches die Einheit des Geistes nicht in Uniformität, sondern in der Verschiedenheit der Geistesgaben sucht, weisen die drei Charismenlisten von 1. Kor 12,4–11.28–30 und Röm 12,6–8 gewisse Gruppierungen und Gliederungen namentlich kerygmatischer, diakonischer, pneumatisch-ekstatischer sowie kybernetischer Charismen auf. So hebt Paulus in 1. Kor 12,28 „mehrere Funktionen deutlich voneinander ab: mit ,erstens‘, ,zweitens‘, ,drittens‘ werden Apostel, Propheten und Lehrer ausdrücklich vorangestellt. Von dieser Trias mit primär kerygmatischen Charismen hebt sich dann eine zweite Gruppe ab, die sich auf wunderbare Fähigkeiten und Heilungsgaben bezieht. Hinzu kommen, wiederum in der Art der Aufzählung abgehoben, als dritte Gruppe die diakonisch-kybernetischen Charismen, wozu auch Leitungsaufgaben innerhalb der Gemeinde gehören, und erst am Ende steht, zwar ohne Zäsur, für Paulus aber doch ein Sonderfall, die Glossolalie.“ (Hahn, 219) Um die ökumenische Einheitsübersetzung zu zitieren: „So hat Gott in der Kirche die einen als Apostel eingesetzt, die andern als Propheten, die dritten als Lehrer; ferner verlieh er die Kraft, Wunder zu tun, sodann die Gaben, Krankheiten zu heilen, zu helfen, zu leiten, endlich die verschiedenen Arten von Zungenrede.“ (1. Kor 12,28) Was die vorangestellte Reihung von Apostel, Propheten und Lehrer betrifft, so greift Paulus Charisma und Amt offenbar auf bereits festgefügte Gemeindeaufgaben mit dauerhaften Funktionsträgern und fixierten Titeln zurück. Indes darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Problem der für die christliche Gemeinde elementaren Dienste und Ämter bis ins zweite Jahrhundert hinein weithin offen und unabgeschlossen geblieben ist. Auch ist die Geschichte der erwähnten Funktionstitel durchaus uneinheitlich. So bezeichnet etwa der Apostelbegriff in seiner vorpaulinischen Verwendung einerseits einen numerisch begrenzten und als abgeschlossen geltenden Jerusalemer Kreis, zu dem neben den Zwölfen, denen der Ter-

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minus traditionellerweise bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts ausschließlich vorbehalten wurde, auch die um den Herrenbruder Jakobus gescharten Leiter der Jerusalemer Urgemeinde zu zählen sind; andererseits ist im antiochenischen Bereich mit einem pneumatisch-charismatisch begründeten und missionarisch ausgerichteten Apostolat zu rechnen. Paulus, für die Deuteropaulinen der prototypische Apostel schlechthin, vereint in sich den pneumatisch-charismatischen Wanderapostolat Antiochias mit dem Jerusalemer Erscheinungsapostolat, welchen er unter Verweis auf seine in der Damaszener Christophanie begründete göttliche Beauftragung auch für sich in Anspruch nimmt. Während in der Paulusschule der Apostel entweder als Begründer und Garant der kirchentragenden Tradition (Epheserbrief ) oder als derjenige charakterisiert wird, der den Umgang mit der Tradition für alle Zeiten gültig normiert (Pastoralbriefe), werden in der lukanischen Konzeption beide Aspekte verbunden: Die „Zwölf Apostel“ garantieren als Augenzeugen die Jesusüberlieferung und stellen zugleich das Urbild kirchlicher Amtsträger dar, die in dienender Selbsthingabe vollmächtig die Gemeinde leiten und über die Reinheit der Lehre wachen. An der differenzierten Geschichte des neutestamentlichen Apostelbegriffs bestätigt sich der im Einzelnen noch zu erhebende Befund, dass mit fest institutionalisierten Amts- und Autoritätsstrukturen für das sog. apostolische Zeitalter nicht zu rechnen ist. Verlieren die „Zwölf“ ohnehin bald an ekklesiologischer Bedeutung, so zeigt spätestens die Konfrontation mit Paulus, dass auch die Befugnisse der Jerusalemer „Säulen“ beschränkt waren, die die Gemeinde nach synagogalem Vorbild in der Weise eines Presbyteriums leiteten. Paulus selbst wiederum konnte, so bestimmt er die Autorität seines Apostolats gegen Bestreitungen verteidigte, unter gänzlichem Verzicht auf eine hierarchisch gegliederte Gemeindeverfassung sogar so weit gehen, „daß er den sonst auch bei ihm der Gemeinde gegenüberstehenden Apostolat den Gemeindecharismen zuzählt und ihm eben dadurch, daß er ihn einreiht in die für die Gemeinde unentbehrlichen Dienste der Prophetie, der Lehre, der Heilkraft, der Hilfeleistungen und der Leitungsvollmacht, jedes institutionelle Eigengewicht, welches über das Evangelium hinausgeht, abspricht“ (Stuhlmacher, 35f.). Hinzu kommt, dass Paulus an eine institutionelle Fortsetzung seines Aposteldienstes nicht gedacht hat, wie überhaupt der in Apk 2,2 und Did 11,3ff. angedeutete Gedanke einer Amtsnachfolge der Apostel sich in neutestamentlicher Zeit nicht realisieren ließ. Allerdings setzte sich die in Jerusalem und den außerpaulinischen Gemeinden gebräuchliche presbyteriale Gemeindeordnung nach dem Tode des Apostels auch auf dem Missionsfeld des Paulus durch, wobei die Presbyter, deren Unterscheidung von Episkopen noch fließend war, als durch Handauflegung ordinierte Wahrer der Identität und Kontinuität des Evangeliums durch die Zeiten zu gelten hatten. Ist die betonte Voranstellung der Apostel samt den Propheten und Lehrern in 1. Kor 12,28 also keineswegs im Sinne eines das Charisma allein oder doch zumindest in hierarchischer Vorrangigkeit sich selbst vorbehaltenden Amtsgeistes, sondern lediglich als eine relative, in den umfassenden Zusammenhang charisma-

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tischen Gemeindelebens gehörende Vorordnung zu verstehen, so enthält sie doch eine ekklesiologisch wichtige Differenzierung. „Für Paulus gibt es in der christlichen Gemeinde Gaben, die das Leben und den Dienst zwar bereichern, aber nicht unerläßlich sind, während es andere Gaben und Aufgaben gibt, die für die irdische Existenz der Kirche unaufgebbar bleiben. Genau darum handelt es sich bei den von Paulus vorrangig behandelten kerygmatischen Charismen; sie haben eine schlechthin konstitutive Bedeutung.“ (Hahn, 219) Der Grund hierfür ist unschwer einzusehen, insofern sich im Kerygma Jesu Christi, dem die kerygmatischen Charismen zu dienen haben, für die christliche Gemeinde jene Ursprungsquelle erschließt und lebendig erhält, von welcher der Geist ausgeht, so dass sie als die Möglichkeitsbedingung aller Geistesgaben zu gelten hat. Insofern ist es nicht unverständlich, dass sich die Gemeinde um die Dauerhaftigkeit des charismatischen Dienstes am Kerygma vorrangig sorgte. Ob und inwieweit diese Sorge unter österlichen und pfingstlichen Bedingungen berechtigt war und wie ihre Konsequenzen theologisch zu beurteilen sind, ist eine strittige Frage. Historisches Faktum hingegen dürfte es sein, dass insbesondere die Sorge um die geregelte Fortdauer der Evangeliumsverkündigung durch die Zeiten zur fortschreitenden Institutionalisierung der ihr dienenden Aufgaben in Gestalt von Ämtern führte, die regelmäßig und nach Maßgabe einer förmlichen Ordnung besetzt wurden. Mit dem Aspekt der Stetigkeit ist bereits einer der wichtigsten Gesichtspunkte zum rechten Verständnis des Institutionellen überhaupt benannt. Seinem originären Sinn zufolge bezeichnet der soziologische Begriff der Institution eine auf Dauer gestellte Verhaltensweise, deren Stabilität gesellschaftliches Zusammenleben fundiert, strukturiert und prognostizierbar gestaltet. Die geschichtliche Entstehung von bestimmten Institutionen ist in der Regel verursacht durch Habitualisierung gemeinschaftlicher Handlungen, die nach festen Regeln und konstanten Rollenverteilungen sich wiederholen, ohne dass dieser Vollzug jeweils neu begründet und legitimiert werden müsste. So gesehen bestimmen Institutionen unser aller Leben, und zwar in einer schlechterdings unvermeidbaren Weise. Man sollte sich daher hüten, frühchristliche Institutionalisierungstendenzen in charismatischer Perspektive pauschal zu kritisieren, so berechtigt sicherlich die Warnung vor einer Preisgabe außerordentlicher und innovativer Geistwirkungen an eine durch kirchliche Institutionen verbürgte Ordnung der Normalität ist. Charisma und Institution sind ekklesiologisch aufeinander angewiesen und keineswegs notwendig Gegensätze. Die Geschichte und Lehrentwicklung der Alten Kirche wird den Beleg für diese Annahme liefern. Doch muss, bevor hierauf und auf die Genese kirchlichen Christentums im Detail einzugehen ist, zunächst rückgeblendet und gefragt werden, wie sich die Christusnachfolge im Geiste Osterns zur Jüngerschaft des irdischen Jesus verhält. Österliche Christusnachfolge ist im Unterschied zur Jüngerschaft Jesu Nachfolge im Geist, der die räumlich begrenzte und zeitlich befristete Erscheinungsgestalt des Irdischen entschränkt, um ihre eschatologische Bedeutung bei Gott und ihre universale Heilsrelevanz für Menschheit und Welt zur Geltung zu bringen (vgl.

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Stubenrauch, 147ff.). Primärer Ort pneumatischer Christusnachfolge ist der Gottesdienst. Dies wird u.a. durch die Tatsache belegt, dass die neutestamentlichen Schriften und Texte altkirchlicher Theologie in weiten Teilen in engster Beziehung zur frühchristlichen Gemeindefeier stehen, deren Praxis sie reflektieren und normieren. Sie sind nicht nur historische Grunddokumente des gottesdienstlichen Lebens der Alten Kirche, sondern zugleich maßgebliche Urkunden seiner Bestimmung bis zum heutigen Tage. Namentlich das Neue Testament darf zugleich als kanonisches Ergebnis und als kanonisches Maß christlicher Gottesdienstpraxis gelten. Die Bibel und insbesondere das Neue Testament stehen seit altkirchlichen Zeiten in gottesdienstlichem Gebrauch und prägen die Sprach- und Gedankenwelt christlicher Liturgie in Lesungen, Predigt, sakramentalen Vollzügen, Gebet, Bekenntnis oder Lied sowie in sonstiger Hinsicht bis in die Gegenwart. Was die im Neuen Testament quellenmäßig bezeugte gottesdienstliche Praxis der frühen Christenheit anbelangt, so entwickelte sie sich in konstruktivem Anschluss und in kritischer Distanzierung zu den jüdischen liturgischen Traditionen vor und nach der Zerstörung des Zweiten Tempels. Als Keimzelle christlichen Gottesdienstes fungierte das Pascha-Mysterium. „Im Gottesdienst wird Jesu Tod und Auferstehung als Gottes eschatologische Heilstat an der Welt proklamiert und gefeiert.“ (Theobald, 150) So unterschiedlich die konkrete Gestalt der gottesdienstlichen Vollzüge in den einzelnen frühchristlichen Gemeinden auch gewesen sein mag: die innere Mitte ist durch das Gedächtnis des auferstandenen Gekreuzigten bestimmt, der sich in den gottesdienstlichen Vollzügen in der Kraft des göttlichen Geistes selbst lebendig als derjenige in Erinnerung bringt, der er war, der er ist, und der er sein wird. Wie Christusanamnese und Geistepiklese sind Gedenken und Erwarten in zuversichtlicher Andacht bzw. andächtiger Zuversicht vereint, um den Glauben zu erbauen, der ganz auf die Zukunft des Gekommenen ausgerichtet ist, dessen Entgegenkommen die Christusnachfolge bestimmt.

2. Jüngerschaft Jesu und Christusnachfolge

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Historisch betrachtet ist das früheste ChristenEndzeitliche tum eine messianisch-eschatologische Richtung Gottesgemeinschaft innerhalb des zeitgenössischen Judentums, dessen Rahmen keineswegs von Anfang an transzendiert wurde. Zwar nimmt die urchristliche Bewegung vergleichsweise bald universalistische Züge an; doch bleiben

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ihre jüdische Prägung und der Zusammenhang mit der Synagoge lange erhalten, der erst gegen Ende des 1. Jahrhunderts aufgekündigt wird, wobei das Absetzungsmotiv von jüdischer Seite mindestens ebenso stark gewesen sein dürfte wie christlicherseits. Gemäß ihrem messianisch-eschatologischen Charakter war die Urchristenheit entscheidend von der Erwartung des kommenden Menschensohnes Jesus bestimmt, als dessen endzeitliche Gemeinschaft man sich verstand. Durch den Begriff, den die Urgemeinde von sich als kahal Jahwe und wahres Israel hatte, wurde der religiöse Zusammenhang mit dem Judentum und die Bindung an die jüdische Gemeinde keineswegs aufgelöst. Man hielt vielmehr am Tempelkult fest und achtete die synagogale Rechtsprechung sowie die von der Tora geforderten Gebote. Die implizite Problematik, die sich mit der Botschaft Jesu und insbesondere seinem Kreuzestod in Bezug auf die Tora verband, scheint in der Aramäisch sprechenden Urchristenheit Jerusalems auch im Lichte Osterns nicht sogleich zu klar entwickeltem Bewusstsein gekommen zu sein. Ein solches Bewusstsein zeichnet sich deutlich erst im Kontext der hellenistischen, Griechisch sprechenden Judenchristenheit ab, um dann freilich bald schon Gegenstand expliziter theologischer Erwägungen zu werden. Eine theologisch orientierte Geschichte des frühesten Christentums wird dieser Entwicklung besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden haben. Obwohl die Urchristenheit anfangs und für längere Zeit eng an das Judentum und seine religiösen Institutionen gebunden blieb, hat sie doch bald schon eigene Frömmigkeitsformen ausgestaltet. Den Ansatz hierzu bildeten die von Anbeginn geübte Praxis der Taufe und die gemeinsamen Mahlfeiern im Rahmen von Zusammenkünften in Privathäusern. In ihren Vollzügen verband sich die Erwartung des künftigen Kommens des Menschensohnes Jesus mit der Glaubensgewissheit seiner aktuellen Präsenz und der wirksamen Gegenwart des Geistes des auferstandenen Gekreuzigten, ohne welche die urchristliche Endzeithoffnung nicht denkbar ist. Vom Himmel aus, in den er erhöht wurde und von dem herab er als Herrscher wiederkommen wird, übt der österliche Herr jetzt schon seine heilbringende Herrschaft unter den Seinen aus. Namentlich im urchristlichen Gottesdienst wird dies manifest, um mit Dankbarkeit gefeiert zu werden. Ist die Urchristenheit sonach von Anfang an eine religiöse Erscheinung sui generis, so ändert dies doch nichts an ihrer engen Traditionsbindung ans Judentum, wie sie u.a. durch die urgemeindlichen Organisations- und Leitungsstrukturen belegt wird. Sie verblieben im Rahmen des jüdischerseits Üblichen. Die Presbyterverfassung, wonach „Älteste“ die Gemeinde leiten, entspricht jüdischen Mustern. Auch ist es unter jüdischen Bedingungen nichts Außergewöhnliches, dass im Falle der Urgemeinde Einzelnen, wie Petrus, dem Herrenbruder Jakobus und dem Zebedaiden Johannes, ein besonderer Autoritätsstatus zuerkannt wurde. Eine Stellung eigener Art nimmt der Zwölferkreis ein. Seine Existenz in der Frühzeit der Urgemeinde ist durch 1. Kor 15,5 belegt. Doch ist der Kreis der Zwölf anscheinend bald schon in jenes Apostelkollegium auf- bzw. übergegangen, welches sich früh als Leitungsgremium der Jerusalemer Gemeinde herausbildete. Seine ursprüngliche

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Bedeutung scheint er jedenfalls nach nicht allzu langer Zeit verloren zu haben. Im Gedächtnis der Urkirche leben die dodeka allerdings als jene Repräsentanten des endzeitlichen Gottesvolkes weiter, als die sie Jesus in einer symbolischen Zeichenhandlung berufen hatte. Nach Ostern wurde der Zwölferkreis offenbar noch einmal reorganisiert, bis an seine Stelle jener Kreis von Aposteln trat, der durch Christophanien eigens konstituiert wurde. Das Beispiel des Zwölferkreises, auf den zurückzukommen sein wird, zeigt, dass Jüngerschaft Jesu und Christusnachfolge in einem differenzierten Zusammenhang stehen, der Momente der Kontinuität, aber auch der Diskontinuität enthält. Jesu Jünger waren Juden und keine Christen. Zu solchen wurden sie erst infolge der Auferstehung des Gekreuzigten, ohne dass durch das Osterereignis, dessen Sinngehalt die Christenheit erst im Zuge der Zeit theologisch im Einzelnen zu explizieren vermochte, die Verbindung mit der religiösen Tradition des Judentums unterbrochen worden wäre. Das belegt in bestimmter Hinsicht das Auferstehungszeugnis selbst. „Zur Zeit Jesu dürfte die Mehrzahl der Juden an ein durch Jahwe gewirktes Leben (jedenfalls der Jahwetreuen) jenseits der Todesgrenze geglaubt haben. Die Hoffnung ist da, die Vorstellungen, in denen sie sich artikuliert, sind uneinheitlich; die Vorstellungsvielfalt (Auferstehung, Entrückung, Aufnahme, Erhöhung) wurde indes nicht als Sachdifferenz empfunden (vgl. auch Mk 12, 18–27). Die Vorstellungen sind aber auch unabgeschlossen; auch das frühe Christentum sollte an ihnen weiterformen.“ (Kessler, 77) Kennzeichnend hierfür ist die Konzentration auf die Auferstehung des Gekreuzigten, die als bereits erfolgt sowie als Grund und Sinngehalt aller christlichen Auferstehungshoffnung verkündet wird. Es ist also nicht der Auferstehungsgedanke als solcher, der das frühe Christentum zu einer religiösen Erscheinung eigener Art macht. Denn dieser entspricht jüdischer Tradition und wurde auch vom Juden Jesus geteilt. Zu einem christentumsspezifischen Gedanken wird er erst in der österlichen Gestalt des Zeugnisses bereits erfolgter Auferstehung Jesu und zwar als des Gekreuzigten. Auch in dieser Hinsicht gilt, dass Christusnachfolge nicht einfach die Fortsetzung der Jüngerschaft Jesu ist. Denn es ist die Kreuzgemeinde des Auferstandenen, in der sie sich vollzieht. Unter dieser Prämisse soll ein kurzer Blick auf die gegenwärtigen historischen Diskussionen um die Jüngerschaft Jesu gerichtet werden, um sodann einige Wesenselemente österlichpfingstlicher Christusnachfolge zu benennen. Nach G. Theißen stand am Anfang des Urchristentums eine innerjüdische Erneuerungsbe- Wandercharismatiker wegung heimatloser Wandercharismatiker, die von Jesus von Nazareth initiiert wurde und in ihm ihr personales Zentrum fand. Auf die Krise der jüdisch-palästinischen Gesellschaft, durch die ihre Entstehung sozialgeschichtlich bedingt war, reagierten sie mit einer eschatologisch begründeten Vision gewaltfreier Liebe und Versöhnung, die an die Stelle einer Machtrevolution eine Revolution der Werte setzte. Diese – nach Vorarbeiten zum sog. Wanderradikalismus im Kontext innerjüdischer Oppositions- und Erneuerungsbewegungen – in einer 1977 erschienenen Schrift über die Soziologie von Urchris-

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tentum und Jesusbewegung skizzierte These hat Theißen 2004 in einer umfangreichen Monographie detailliert entfaltet (vgl. Theißen, Jesusbewegung). Den sozialen Nährboden der Jesusbewegung, die sich vom organisatorisch gefestigten Urchristentum durch ihre charismatische Form signifikant unterscheide, bildet nach Theißen eine strukturelle Gesellschaftskrise. Zwar habe man es für die Zeit nach den Unruhen infolge des Todes von Herodes 4 v.Chr. und vor der sog. Caligulakrise 39/40 n.Chr., die durch den Versuch des römischen Kaisers provoziert worden war, die Jahweverehrung im Jerusalemer Tempel durch Herrscherkult zu ersetzen, mit einer vergleichsweise friedlichen Phase zu tun; in hohem Maße konflikthaltig sei die gesellschaftliche Lage in der Region indes auch zu Zeiten der öffentlichen Wirksamkeit Jesu und in den Anfangsjahren der Urchristenheit gewesen. Unter den sozioökonomischen Krisenfaktoren hebt Theißen den Konflikt zwischen Arm und Reich, unter den sozioökologischen denjenigen zwischen Stadt und Land, unter den soziopolitischen den permanenten Verfassungsstreit und unter den soziokulturellen die Dauerauseinandersetzung zwischen Judentum und Hellenismus hervor. Ursachen der sozioökonomischen Krise in Palästina waren Hungersnöte, Überbevölkerung, Besitzkonzentration sowie ein erheblicher, unter der Herrschaft der Römer eher noch gesteigerter Steuerdruck. Bewegungen sozial Entrechteter und Entwurzelter, die infolge dieser Krise entstanden, reagierten in unterschiedlicher Weise auf sie, sei es durch gewaltsame Opposition in Gestalt von Widerstandskampf oder Sozialbanditentum, sei es durch Emigration und Rückzug oder in Form subsiditiven Verhaltens. Eine wesentliche Ursache sozioökologischer Konflikte war die eklatante Unterprivilegierung der ländlichen Gebiete und ihrer Bevölkerung, wobei Galiläa als eine jüdische Enklave im heidnischen Land noch einmal ein Problem von besonderer Art darstellte. Die chronische Verfassungskrise wiederum soll entscheidend durch unvereinbare Herrschaftsstrukturen in Palästina bedingt gewesen sein, die zu keinem dauerhaften Ausgleich zu bringen waren. Schließlich bot die soziokulturelle Spannung zwischen Hellenismus und Judentum vielfältige Anlässe zu Dauerkonflikten. Die strukturelle Krise der jüdischen Gesellschaft provozierte nach Theißen interne Protest- und Erneuerungsbewegungen, die zwar in der Kritik an den bestehenden Zuständen übereinstimmten, aber erheblich divergierten, wo es um mögliche Schritte der Veränderung ging. In Bezug auf die sozioökonomische Krise wurde dies bereits angesprochen. Massive Kritik an Reichtum und Besitz findet sich offensichtlich auch in der Jesusbewegung. Doch auf eine gewaltsamen Umsturz der Verhältnisse war sie trotz erkenntlicher Unterschichtsnähe nicht aus; auch im Vergleich mit den sozioökonomischen Verhältnisses innerhalb der Qumrangemeinde lassen sich offenkundige Unterschiede entdecken. Was den sozioökologischen Gesichtspunkt angeht, so ist die ländliche Verwurzelung der in Galiläa entstandenen Jesusbewegung evident. Von einem grundsätzlichen Rückzug in die Wüste wie etwa bei den Essenern oder bei Johannes dem Täufer kann hingegen bei aller Distanz zu den Städten nicht die Rede sein. Zu den radikaltheokratischen

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Strömungen im damaligen Judentum hält die Jesusbewegung Distanz, ohne auf politische Kritik zu verzichten. Ihre eschatologisch-messianischen Erwartungen, wie immer man sie im Einzelnen zu beurteilen hat, sind nicht primär Ausdruck politischer Opposition oder Indikator von Umsturzplänen, sondern religiös-geistlicher Natur. Was schließlich die Auseinandersetzungen zwischen Hellenismus und Judentum angeht, so steht die Jesusbewegung zwar einerseits entschieden auf jüdischer Seite, ohne sich doch herrschende Tendenzen zur Toraverschärfung als Mittel externer und interner soziokultureller Abgrenzung problemlos zueigen zu machen. Nach Theißen versuchten Jesus und die Seinen der Krise der traditionellen Normen in der jüdischen Gesellschaft nicht durch gegensatzsteigernde Identitätsbegründungen und -stabilisierungen als vielmehr durch gewaltreduzierende und aggressionsabbauende Strategien infolge der eschatologischen Mission einer Werterevolution im Zeichen der Väterlichkeit Gottes zu begegnen, der die Verlorenen aufsucht und liebt, welche im feind sind. Nächstenliebe unter den Menschen und die Verwirklichung ihrer Bestimmung zur Gottesebenbildlichkeit werden dadurch ermöglicht. Unter den jüdischen Religionsbewegungen der Zeit steht, wie gezeigt und auch von Theißen betont, der jesuanischen die von Johannes dem Täufer initiierte und geprägte am nächsten. Der Täufer opponierte weniger gegen die römische Fremdherrschaft als gegen den heimischen Fürsten und gegen das ganze jüdische Volk, das er zu radikaler Umkehr angesichts des unmittelbar bevorstehenden Endgerichts aufrief. Der Jüngerkreis, der sich um ihn bildete, spielt wie Johannes selbst und die durch ihn ausgelöste palästinische Buß- und Taufbewegung in der neutestamentlichen Literatur eine hervorgehobene Rolle. Ob und gegebenenfalls mit welcher Intensität Jesus ihr angehörte, ist in der Forschung umstritten. In der Regel wird von den Exegeten eine solche Zugehörigkeit angenommen; erst im Laufe der Zeit habe sich Jesus vom Täufer gelöst, um selbständig und mit einer eigenen Botschaft an die Öffentlichkeit zu treten. Gelegentlich hat man die jesuanische Abstandnahme vom Täufer als förmlichen Bruch interpretiert. Dagegen spricht nicht nur Jesu durchgängige positive Beurteilung des Johannes und seiner Taufe in der synoptischen Tradition, sondern auch die Tatsache, dass bereits die früheste nachösterliche Gemeinde unverzüglich die Praxis der Taufe aufnahm. Was Jesu genaueres Verhältnis zum Täufer und seinem Kreis betrifft, so ist von der Tatsache sei- Täuferkreis und Jesusbewegung ner eigenen Jordantaufe auszugehen, die neben Geburt und Kreuzestod zu den am sichersten belegten historischen Fakten seines irdischen Daseins gehört. Lässt schon diese Tatsache für sich genommen auf eine Nähe Jesu zum Täufer schließen, so sind weitere religionsgeschichtliche Konvergenzen ohne Schwierigkeit zu erkennen: „Beide sind als prophetische Charismatiker mit endzeitlichem Situationsbewußtsein, autoritativem Anspruch und – je unterschiedlich akzentuierter – heilsmittlerischer Funktion aufgetreten und haben als solche eine religiöse Erneuerungsbewegung in Palästina inauguriert. Sie haben

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– wiederum mit je eigener Akzentuierung – mit dem Gericht gedroht und das Heil in Aussicht gestellt und so zur Umkehr gerufen. Ihre Botschaft war strikt theozentrisch orientiert, von den herrschenden Systemen der führenden Religionsparteien ebenso entfernt wie von sozialrevolutionärem Programm, zelotisch-politischem Messianismus oder apokalyptischem Schwärmertum. Beide sind in dem gleichen sozialen und religiösen Milieu aufgetreten, vor allem vor den theologisch deklassierten Bevölkerungsgruppen und fanden im Volk regen Anklang. Sie waren von einem Jüngerkreis umgeben und lebten, wie es scheint, ohne Eigentum und ehelos.“ (Backhaus, 96f.) Selbst wenn sich eine Gliedschaft Jesu im engeren Jüngerkreis des Täufers nicht wahrscheinlich machen lässt, steht eine religionsgeschichtliche Interdependenz und Konvergenz von Täufer- und Jesusbewegung zweifelsfrei fest. Die Zeitgenossen haben dies deutlich erkannt, ja, man wird annehmen dürfen, dass sich der jesuanische Jüngerkreis zu einem nicht unerheblichen Teil aus dem Kreis derjenigen zusammengesetzt hat, die sich um den Täufer scharten und auch nach dessen Hinrichtung für geraume Zeit zusammenhielten. Von einer ursprünglichen Einheit von Täufer- und Jesusbewegung sowie einer Kontinuität zwischen der über die Gruppe der Johannesjünger im engeren Sinne hinausreichenden palästinischen Täuferbewegung und den Anfängen des Judenchristentums darf also ausgegangen werden, wohingegen der in der Exegese häufig stark akzentuierte christliche Konflikt mit einer als kirchentumsanaloge Gemeinschaft formierten antagonistischen Täufersekte nicht nur einer späteren Zeit angehört, sondern insgesamt ein eher marginales, lokal begrenztes Phänomen dargestellt haben dürfte. Unbeschadet der engen Verbindung der genuinen Täufer- und Jesusbewegung lassen sich Unterschiede und Differenzen zwischen beiden nicht übersehen. Sie treten bereits in den Anfängen ihrer Beziehung erkenntlich in Erscheinung, ohne dass deshalb mit einem förmlichen Bruch zwischen Jesus und dem Täufer gerechnet werden müsste. Signifikant ist allein schon die Tatsache, dass der Täufer abseits des Kulturlandes in einer Einöde, Jesus hingegen in der Regel in bewohnten Gebieten wirkte, um sich nur zeitweise in die Wüste zurückzuziehen. Bezeichnend ist ferner, dass Johannes den Zeitgenossen als ausgemachter Asket galt, wohingegen sie Jesus bei Gelegenheit einen Fresser und Weinsäufer nannten. Unterschiedswahrnehmungen, die äußerer Betrachtung zugänglich sind, treten solche zur Seite, welche die eschatologische Botschaft selbst und ihren inneren Gehalt betreffen. Zwar wäre es falsch, die Heilspredigt Jesu unvermittelt der Gerichtsprophetie des Täufers zu kontrastieren. Denn einerseits ist der Heilsaspekt ein konstitutiver Gesichtspunkt der Verkündigung des Johannes, sofern Umkehr und Taufe dem Bußwilligen Errettung aus dem Endgericht zu erschließen versprechen, und andererseits fehlt der Gerichtsaspekt auch in Jesu Reich-Gottes-Predigt keineswegs. Doch während der Täufer den Umkehrwillen des Bußfertigen und die entsprechende Taufbereitschaft zur Bedingung der Möglichkeit göttlichen Heils erklärte, sagte Jesus die Heilsgabe Gottes dem Sünder unbedingt zu, um das Gericht dem Unglauben vorzubehalten, der sich die bedingungslose Zuwendung des gött-

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lichen Abba nicht gefallen lässt und sich weigert, als verlorener Sohn von Gott herzlich und in versöhnender Liebe in Empfang genommen zu werden. Bleibt so für Jesus und Johannes zwar der gemeinsame religionsgeschichtliche Hintergrund apokalyptischer Endzeitprophetie erhalten, so weist der Gehalt ihrer Botschaft doch erhebliche Differenzen auf, die mit grundlegenden Unterschieden in Bezug auf die jeweilige Botengestalt und ihre Stellung im Zusammenhang der Verkündigung der Botschaft verbunden sind. Dass Jesus aller Wahrscheinlichkeit nach zu keiner Zeit die Johannestaufe spendete, obwohl er sich ihr doch selbst unterzogen hatte, ist ein bedenkenswertes Indiz für diesen Sachverhalt. Die Jesusbewegung ähnelte dem Jüngerkreis des Täufers, der nach dessen Tod eine Weile fortbestand, in mehr als einer Hinsicht und konnte von Zeitgenossen mit diesem verglichen werden. Sie unterscheidet sich von der palästinischen Täuferbewegung und vom Täuferkreis, der erst in einer späteren Zeit in Syrien die Gestalt einer förmlich verfassten Religionspartei annahm, äußerlich durch Verzicht auf gesteigerte asketische Praxis und Fastenübungen, im inneren Kern aber durch den Sinngehalt ihrer Reich-Gottes-Botschaft, die von der Gestalt Jesu zwar zu unterscheiden, nicht aber zu trennen war. Jesus war das Zentrum und der Hoffnungsträger der Bewegung, die mit Recht mit seinem Namen versehen wird; ihm kam, mit G. Theißen zu reden, die „Rolle des Primärcharismatikers“ (Theißen, Jesusbewegung, 37) zu. Jesus hatte seinen Platz in Familie und Dorf verlassen, um im Kreise seiner Anhänger eine neue, seiner eschatologischen Sendung gemäße Gemeinschaft zu finden. Als Bruder, Schwester, ja als Mutter gelten ihm in Wahrheit nicht seine leiblichen Verwandten, sondern diejenigen, die dem väterlichen Willen Gottes entsprechen (vgl. Mk 3,35). Seine Nachfolger verlassen nicht selten Vater und Mutter, ihre Geschwister sowie Frau und Kind, um es ihm gleichzutun. Alle Befunde sprechen nach Theißen für die These, „dass Jesus nicht primär Ortsgemeinden gegründet, sondern eine Bewegung vagabundierender Charismatiker ins Leben gerufen hat. Die entscheidenden Autoritäten des frühen Urchristentums waren wandernde Apostel, Propheten und Jünger, die sich von Ort zu Ort bewegten und sich in diesen Orten auf kleine Sympathisantengruppen stützen konnten. Diese Sympathisantengruppen blieben organisatorisch im Rahmen des Judentums. Sie verkörperten weniger deutlich das Neue des Urchristentums, waren sie doch durch mannigfaltige Verpflichtungen und Bindungen in die alten Verhältnisse verstrickt. Träger dessen, was sich später als Christentum verselbständigte, waren vielmehr heimatlose Wandercharismatiker.“ (Theißen, Jesusbewegung 55) Zu der Heimatlosigkeit der Jesusjünger gesellten sich als charakteristische Merkmale Familien-, Besitz- und Schutzlosigkeit. Doch lässt sich nach Theißen die Jesusbewegung und ihre Fortsetzung im frühen Judenchristentum nicht allein und ausschließlich von den radikalen Wandercharismatikern her verstehen. In enger Verbindung mit ihnen standen sesshafte Sympathisantengruppen, die als mäzenatische Wohltäter fungierten und für die allmähliche Ausbildung von Haus- und Ortsgemeinden sorgten. Vereint waren alle Gruppierungen durch eine angespann-

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te Reich-Gottes-Erwartung und durch die Sinngehalte, die durch Wirken und Person Jesu mit ihr assoziiert wurden. Auch Aspekte weisheitlicher Tradition lassen sich namhaft machen: Wie das Auftreten Jesu in manchen Zügen demjenigen eines frühjüdischen Weisheitslehrers gleicht, so weist die Gruppe, die sich um den Meister scharte, „viele Einzelzüge auf, welche die Bezeichnung ‚Lehr- und Lerngemeinschaft‘ erlauben“ (Küchler, 574). Doch ist die Jesusbewegung keine Schulgemeinde, sondern im Wesentlichen eschatologisch motiviert und ganz auf die Zukunft des nahen Gottesreiches ausgerichtet. Sie ist „Lebensgemeinschaft im Zeichen der Gottesherrschaft“ (Roloff, 95; bei R. gesperrt.) In den durch Wanderradikalismus, Liebespatriarchialismus und pneumatisches Charismatikertum bestimmten Sozialformen christlichen Glaubens, auf welche die Analyse der Überlieferung der Worte Jesu stoße, sieht G. Theißen jene drei Typen von Sekte, Anstaltskirche und Spiritualismus angelegt, deren Geschichte Ernst Troeltsch in seinem Werk über die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen (vgl. Troeltsch) durch die ganze Christentumsgeschichte hindurch verfolgt habe. Diese These ist nicht die einzige weitausgreifende Annahme in Theißens Soziologie von Jesusbewegung und Urchristentum. Beschränkt man die Perspektive auf dasjenige, was über Jesusnachfolge im engeren Sinn in Erfahrung zu bringen ist, befindet man sich auf historisch sichererem Gelände. Fest steht, dass Jesu öffentliches Auftreten mit dem Phänomen von Jüngerschaft untrennbar und wohl von Anfang an verbunden war. Jesus ist, was er ist, nicht ohne seine Jünger. Er ist es freilich ebenso wenig durch sie: nicht die Jünger erwählen Jesus, indem sie sich wie die Rabbinenschüler für ihn entscheiden. Ihrem Entschluss geht vielmehr der Ruf in die Nachfolge voraus, der die Bindung an Familie und angestammten Beruf vollmächtig löst, damit alle Aufmerksamkeit auf das kommende Gottesreich gerichtet werde. Welch radikale Konsequenzen Jesu Nachfolgeruf zeitigen kann, zeigt paradigmatisch die Perikope Mt 8,21f. par Lk 9,59f., derzufolge selbst die Erfüllung elementarster Pflichten wie die Bestattung naher Anverwandter der Jüngerschaft und dem Reich-Gottes-Dienst unterzuordnen sind. Jesusnachfolge „schliesst in sich die Lösung von allen anderen Bindungen, von Schiff und Zolltisch, Vater und Mutter, ja zusammenfassend: vom eigenen Leben, von sich selbst“ (Schweizer, 19). Die zweifellos größte Nähe weist der jesuanische Jüngerkreis sowohl in historischer als auch in Die „Zwölf“ struktureller Hinsicht zum Kreis um Johannes den Täufer auf, dessen radikaler Umkehrruf bei allen inhaltlichen Unterschieden formale Parallelen zu Jesu Ruf in die Nachfolge zeigt. Die Annahme einer Analogie zum rabbinischen Lehrinstitut und der dort versammelten Schülerschaft hingegen ist weit weniger angemessen. Weder war Jesus ein Schriftgelehrter rabbinischer Prägung noch seine Jüngerschaft ein Kreis nach dem Vorbild von Rabbinenschülern. Abwegig sind daher die Versuche, „das Lehrer-Schüler-Verhältnis des späteren Rabbinats auf Jesus und seine Jünger zurückzuübertragen“. Auch gegenüber dem apokalyptisch-zelotischen Prophetentum fallen Unterschiede stärker ins Ge-

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wicht als Parallelen. „Im Gegensatz zu den anderen eschatologischen Bewegungen seiner Zeit und ihren Führern lag Jesus nichts daran, sich selbst an die Spitze einer begeisterten Volksmenge zu stellen.“ (Hengel, 65) Er hat deshalb auch „nie das Volk als Ganzes, sondern immer nur ausgewählte Einzelne in seine ‚Nachfolge‘ gerufen“ (Hengel, 66; bei H. teilweise gesperrt). Ebenso wenig war er bestrebt, die berufenen Einzelnen zu einer nach außen hin abgeschlossenen Gemeinschaft des heiligen Rests zusammenzuschließen wie in der Qumrangemeinde. Jesu Jüngerschaft blieb offen für ganz Israel, und die Ernennung der „Zwölf“ will als ein Zeichen genau in diesem Sinne gedeutet werden: „The Twelve symbolized and embodied the eschatological hopes of Israel and the eschatological message of Jesus: the restoration of all twelve tribes of Israel in the end-time. This expectation is reflected most clearly in Matt 19:28 par., the core of which … goes back in all historical probability to Jesus himself. Jesus promised in Matt 19:28 par. that his inner circle of the Twelve – the prophetic sign and beginning of the regathering of the twelve tribes – would share in the governance (or judgment?) of the reconstituted people of Israel.“ (Scott, 404) Von der Gemeinschaft der Zwölf, die den inneren Zirkel des Jüngerkreises Jesu bildeten, ist die Idee des Zwölferapostolats zu unterscheiden, wobei im gegebenen Zusammenhang offen bleiben kann, ob diese nach Ursprung und Gehalt ein genuines Produkt lukanischer Theologie darstellt oder auf ältere Traditionen zurückverweist (vgl. Klein). Offen bleiben kann fernerhin die Frage nach der Herkunft des kirchlichen Apostolats im Allgemeinen. Dass der urchristliche Apostolat, wie er sich in der Gestalt des Apostels Paulus und anderer Apostel zu erkennen gibt, „keine originale Schöpfung des paulinischen Christentums“ (Schmithals, 46), sondern bereits ein aus vorpaulinischer Zeit stammendes Institut ist, darf vorausgesetzt werden. Problematischer ist die These, dass er seinen ursprünglichen Sitz im Leben weniger in Jerusalem, als vielmehr in Antiochien hatte. Folgt man W. Schmithals, dann handelt es sich bei den Aposteln ursprünglich um hellenistische Judenchristen, „die in und um Antiochien, der eigentlichen Missionszentrale der Urchristenheit, leben und dort und später von dort aus ihren Dienst tun. In Jerusalem trifft man sie normalerweise nicht an ...“ (Schmithals, 81) Hinzugefügt wird, „daß der urchristliche Apostolat eine Übernahme des missionarischen Amtes der jüdischen bzw. judenchristlichen Gnosis war, die in demselben syrischen Raum beheimatet war, in dem der kirchliche Apostolat“ (Schmithals, 216) zu Hause ist. Diese These ist in hohem Maße spekulativ. Nicht weniger spekulativ als die Annahme einer ursprünglich gnostischen Konzeption des Apostolats ist die Schmithals’sche Rekonstruktion seiner Übertragung und Beschränkung auf den engeren Jüngerkreis der Zwölf, deren Bedeutung als authentische Überlieferungsträger im Laufe der Zeit um so mehr gestiegen sei, „je weniger echte Erinnerungen an sie vorhanden sein konnten. So wurden sie bald auch die ersten, von Jesus selbst ausgesandten Träger der Mission (Mk. 6,7ff.), zunächst der Judenmission in Palästina (Mt. 10,6.17ff.), dann aber auch der Heidenmission (Mt. 28,19), zu der der Auferstandene aussendet. Erst nachdem ihre Missionstätigkeit eine selbstverständliche Tat-

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sache geworden war, bekommen sie als Missionare auch den Titel ‚apostoloi‘.“ (Schmithals, 251f.) Bleiben im Hinblick auf die Verbindung von Zwölferkreis und Apostolat eine Reihe von Fragen offen, so lässt sich auch im Hinblick auf die synoptische Überlieferung von der Aussendung der Jünger durch Jesus keine abschließende Klarheit gewinnen. Zwar wird man die Historizität des Aussendungsereignisses wie diejenige der Einsetzung der Zwölf „kaum grundsätzlich bezweifeln dürfen“ (Hengel, 82). Doch ist „eine detaillierte Rekonstruktion der Zusammenhänge nicht mehr möglich“ (ebd.). Man wird sich mit der Feststellung zu begnügen haben, dass sich eine Sequenz von Berufung, Beauftragung und Sendung (vgl. Hengel, 88) in der Jesusnachfolge immerhin darin abzeichnet, dass der Meister seine Jünger durch den Ruf, mit ihm zu ziehen, zugleich für seine Reich-Gottes-Mission in den Dienst nahm. Dass der zu diesem Dienst bestimmte Kreis zahlenmäßig größer war als die Zwölf, ist zu vermuten. Aufgabe der Zwölf war es, als Symbolgruppe zu fungieren, die durch einen besonderen Akt zu dem Zwecke eingesetzt wurde, die Bedeutung der Reich-Gottes-Botschaft Jesu für das ganze Zwölf-Stämme-Volk zeichenhaft zum Ausdruck zu bringen. Nach Mt 19,28* beauftragt Jesus die Zwölf mit der heilvollen Regierung der zwölf Stämme Israels. Die Zwölf sind somit messianisch zur eschatologischen Mitherrschaft beauftragt (vgl. Roose, 93). Auch wenn man an der Authentizität dieses Wortes zweifeln kann, enthält es doch einen Bezug, der für das historische Verständnis der Rolle nicht unbedeutsam ist, die Jesus den Zwölfen zugedacht hatte. Reich Gottes und Gottesvolk gehören zusamJüngerschaft und men. Nicht nur dafür ist der Jüngerkreis Jesu ein Geistempfang Zeichen. Als Lebensgemeinschaft in Erwartung des kommenden Gottesreiches gibt er zugleich ein antizipatives Beispiel dafür, welche menschliche Weltordnung die Herrschaft Gottes mit sich bringen wird. Signifikant ist zum einen die Berufung eines Zöllners wie Matthäus und eines „Eiferers“ wie Simon in den Zwölferkreis; bezeichnend ist zum anderen die programmatische Weisung an die Jünger, es nicht den Potentaten des alten Äons gleichzutun, sondern in der freien Dienstbarkeit der Liebe tätig zu sein: „wer unter euch der Größte werden will, werde euer Diener. Und wer unter euch der Erste sein will, werde der Knecht aller.“ (Mk 10,43f.) Die dienstbare Freiheit der Liebe schließt individuelle Unterschiede in der Sozialgemeinschaft auch des engeren Kreises der Jesusjünger nicht aus, in den bezeichnenderweise jeder als Einzelner berufen wurde. Dass es dabei Erstberufene gab, die innerhalb des Zwölferkreises eine hervorragende Vertrauensstellung innehatten, wird durch die Rolle nahegelegt, welche die neutestamentliche Tradition Petrus, der in allen Jüngerkatalogen an der Spitze steht, den Zebedäussöhnen Jakobus und Johannes sowie teilweise auch Andreas zuweist. Doch zeigt das Jesuslogion, dass als Reaktion auf Rangstreitigkeiten seiner Jünger überliefert ist zur Genüge, welche Ordnung im Zeichen des Reiches Gottes die herrschende zu sein hat. Jesus war während der Zeit seines öffentlichen Wirkens von einer Schar von

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Jüngern umgeben, die ihm nachfolgten und je auf ihre Weise an der Reich-GottesMission ihres Meisters mitwirkten. Dass er eigens einen Zwölferkreis spezifisch Auserwählter eingesetzt hat, ist zwar wegen der vergleichsweise schwachen Bezeugung in der synoptischen Tradition gelegentlich bestritten worden; doch sprechen wenige historische Gründe für eine Verlegung der Einsetzung des Kreises in die nachösterliche Zeit, wohingegen sich die Berufung der Zwölf in das vorösterliche Leben Jesu gut einfügt. „Im Sinne einer prophetischen Zeichenhandlung meldete er durch die Auswahl von gerade zwölf Jüngern seinen Anspruch auf die zwölf Stämme Israels an. Es existierten zur Zeit Jesu zwar nur noch zweieinhalb Stämme (Juda, Benjamin und die Hälfte von Levi), aber für die künftige Heilszeit erwartete man die volle Wiederherstellung des Zwölfstämmevolkes.“ (Rebell, 100f.) Die Berufung der Jünger in die Nachfolge begründete kein festgefügtes Amt. Auch der Zwölferkreis ist keine amtliche Institution mit verfasster Ordnungsstruktur. Daran änderte sich auch nach erfolgter nachösterlicher Rekonstitution nichts, auch wenn das von den Zwölfen zumindest anfangsweise repräsentierte Moment von Kontinuität und Dauerhaftigkeit nicht übersehen werden darf. Insbesondere an die genuine Funktion des Zwölferkreises, den eschatologischen Bestand des Gottesvolkes zeichenhaft zu repräsentieren, konnte unter nachösterlichen Bedingungen angeschlossen werden. Nun stellte der aus der Zerstreuung neu gesammelte und nach Jerusalem zurückgekehrte Kreis derer, die als Erstzeugen Osterns einen vorrangigen Verkündigungsauftrag hatten, die innere Mitte des durch Gottes Wirken im auferstandenen Gekreuzigten endzeitlich erneuerten Bundesvolkes dar. An den Pfingstvorgängen lässt sich dies noch ansatzweise ersehen, wenngleich die lukanische Erzählung Apg 2 erhebliche Übermalungen aufweist. Der Empfang des Geistes erweist, dass Gott dem österlich neukonstituierten Zwölferkreis eine spezifische Rolle bei der Verwirklichung der mit der Auferweckung des Gekreuzigten angebrochenen endzeitlichen Erneuerung und Sammlung seines Volkes zugewiesen hat. Was immer bei dem am fünfzigsten Tag nach dem Passah gefeierten Jerusalemer Erntefest vorgefallen sein mag, das den Christen als erstes Pfingsten gilt: historisch nicht unwahrscheinlich ist, dass damals der Zwölferkreis erstmals vor eine breite Öffentlichkeit trat, um die Auferstehung des gekreuzigten Jesus und seine Einsetzung zum eschatologischen Herrscher des Volkes Gottes zu verkünden. „Dabei gewannen seine Glieder die Gewißheit der Gegenwart des für die Endzeit erwarteten Gottesgeistes. Daß es sich dabei um besondere ekstatische Erfahrungen handelte, ist angesichts der Bedeutung, die Joel 3,1–5 in Apg 2,17–21 gewinnt, wahrscheinlich, aber keineswegs sicher. Das Bewußtsein der Erfüllung der Geistverheißung konnte sich bereits aufgrund der Erfahrung eingestellt haben, daß es tatsächlich gelang, einen größeren Kreis von Menschen aus Israel für den Anschluß an den Zwölferkreis und den Glauben an Jesus zu gewinnen.“ (Roloff, Kirche, 67) Ohne dass bereits mit der Ausbildung fester organisatorischer Strukturen gerechnet werden dürfte, ist eine gemeindliche Sonder- und Leitungsstellung des Zwölferkreises in der Jerusalemer Urgemeinde vorauszusetzen, wobei Petrus offen-

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bar eine Führungsrolle zukam. Die Zwölf mit Petrus an der Spitze bildeten die Mitte, um die sich die urchristliche Gemeinde scharte. Sie war damals noch eine eschatologische Sammlungsbewegung in Israel, die nach ausbleibendem Großerfolg von der Öffentlichkeit – wenn überhaupt – als eine von vielen jüdischen Sondergruppen wahrgenommen wurde. Als gruppenspezifische Identitätsmerkmale, durch die sich die Urchristenheit spezifisch von ihrer religiösen Umwelt unterschied, fungierten die Taufe und die neben dem beibehaltenen Tempelgottesdienst hausweise stattfindenden gottesdienstlichen Versammlungen mit Lehre, Mahlfeier und Gebeten, in denen die Ankunft des Herrn erfleht wurde (vgl. Roloff, Kirche, 69ff.). Ohnehin kaum je ein kirchliches Leitungsgremium im eigentlichen Sinne blieb der Zwölferkreis in seiner spezifischen Bedeutung auf die Anfangsphase der Jerusalemer Urgemeinde beschränkt, um relativ zeitig zum Kreis der Apostel transformiert, erweitert und von ihm ersetzt zu werden. Ein Indiz für den bald einsetzenden Bedeutungsverlust des Zwölferkreises ist die Tatsache, dass nach seiner einmaligen Vervollständigung durch Matthias (Apg 1,15–26) keine weitere Nachwahl mehr erfolgte. Nach dem Tod des Zebedaiden Jakobus unter Agrippa I. trat offenbar ein Dreiergremium in den Vordergrund, dem neben dem Herrenbruder Jakobus Petrus und Johannes angehörten (vgl. Gal 2,9). Historisch unsicher bleibt, wie lange das Amt der „Säulen“ Bestand hatte und wann es zu einer Übernahme des jüdischen Ältestenamtes in der Jerusalemer Urgemeinde gekommen ist, wie es ähnlich bereits für den hellenistischen Gemeindeteil in Form des Leitungsamtes der Sieben um Stephanus (Apg 6,3) bezeugt wird. Bei den Jerusalemer Hellenisten handelt es sich um zugezogene griechischsprachige Diasporajuden, die sich durch eine kritischere Haltung zu Tempel und Gesetz von der Aramäisch sprechenden Urgemeinde unterschieden, sosehr sie sich ihr durch den gemeinsamen Jesusglauben verbunden wussten. Man hat die These vertreten, die Wahl des TerDie urchristliche Gemeinde minus ekklesia als Selbstbezeichnung der urals ekklesia christlichen Gemeinde sei wesentlich von den hellenistischen Judenchristen Jerusalems veranlasst worden, deren gesetzes- und tempelkritische Haltung eine begriffliche Differenzierung zum Synagogeninstitut nahegelegt habe (vgl. Schrage). Wie immer es sich mit der Genese des urchristlichen Kirchenbegriffs genau verhalten haben mag, Tatsache ist, dass der Terminus ekklesia als Bezeichnung für die urchristliche Gemeinde schon vor Paulus eingeführt wurde, um dann im ganzen Neuen Testament eine relativ breite Verwendung zu finden. Dass sich in ihm eine Tendenz der Ablösung des Christentums vom Judentum reflektiert, wird man schwerlich in Abrede stellen können. Sie ist christologisch motiviert und durch den Geist Osterns bestimmt, der für das frühchristliche Kirchenverständnis bestimmend war. Dass bereits der irdische Jesus selbst eine Kirche gegründet habe, wird man hingegen nicht sagen können, obzwar zwischen dem Kreis der Jesusjünger im engeren und weiteren Sinn und den frühchristlichen Gemeinden ein offenkundiger Zusammenhang besteht. Er ist in dem

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Identitätsverhältnis begründet, das zwischen dem österlichen Christus und dem gekreuzigten Jesus von Nazareth waltet. Der neutestamentliche ekklesia-Begriff, der durch eine Reihe von zugehörigen Metaphern wie Volk Gottes, Leib Christi etc. näher bestimmt wird, kann sowohl die örtliche Gottesdienstgemeinde als auch die Kirche als Ganze im Sinne der koinonia aller Gemeinden bezeichnen. Begründet ist die kirchliche Gemeinschaft in ihrer alle Grenzen des Raumes und alle Schranken der Zeit transzendierenden Dimension in der Gemeinschaft mit dem auferstandenen Gekreuzigten, dessen Geist eschatologischen Anteil gibt am göttlichen Reich; seine Ankunft wird im Zeichen der Wiederkehr des Gekommenen erwartet. Der Bezug auf Jesu Verkündigung von der nahen Gottesherrschaft bleibt mithin erhalten, er wird aber transformiert oder, wenn man so will, transfinalisiert, sofern der Verkündiger als derjenige verkündet wird, in welchem das Gottesreich bereits angekommen und manifeste Wirklichkeit geworden ist, wenngleich in antizipatorisch-proleptischer Weise. Es gilt die ekklesiologische Regel, dass das Verhältnis von Jüngerschaft Jesu und Christusnachfolge im Geiste Osterns dem Verhältnis gemäß zu bestimmen ist, das zwischen dem auferstandenen Christus und dem gekreuzigten Jesus waltet, wobei der auferstandene Gekreuzigte als Grund und personaler Inbegriff des differenzierten Zusammenhangs von vorösterlicher Jüngerschaft und nachösterlicher Gemeinde wirksam ist. So eng die christliche Gemeinde sich mit der Jüngerschar Jesu verbunden wusste, sowenig ist sie doch deren bloße Prolongation, wenn anders Tod und Auferstehung Jesu jene Bedeutung haben, die ihnen dem österlichen Zeugnis des Geistes gemäß zuzuerkennen ist. Ist die Grundverfasstheit frühchristlicher ekklesia insoweit evident, so vollzieht sich die geschichtliche Ausbildung ihrer Strukturen erst allmählich und in nur bedingt einheitlicher Weise, was dem systematischen Streben nach Überblickswissen hinderlich ist. Die Lage bleibt über geraume Zeit verhältnismäßig unübersichtlich, wie bereits ein erster Problemdurchgang zur Genüge gezeigt hat. Die Geschichte der Jerusalemer Urgemeinde, welche Lukas ins theologische Zentrum seiner Darstellung der Anfänge der christlichen Kirche rückt, liegt historisch weithin im Dunkeln; nur einige Daten der dortigen Gemeindeverhältnisse lassen sich namhaft machen. Als zeichenhafte Repräsentanten nicht des „heiligen Rests“, wohl aber des erneuerten Israels, zu denen sie Jesus berufen hatte, bleiben die „Zwölf“ über Ostern hinaus von unzweifelhafter Bedeutung, doch ohne je eine kirchenleitende Funktion im Sinne eines institutionellen Amtes ausgeübt zu haben. Als Leiter der Jerusalemer Urgemeinde werden in der ersten Zeit Petrus und Johannes, später dann mit wachsendem Gewicht der Herrenbruder Jakobus erwähnt. Gesetzestreu und in der Erwartung unmittelbar bevorstehender Parusie des Menschensohns Jesus zunächst ganz auf Israel konzentriert, trat die Möglichkeit der Heidenmission wohl erst durch die hellenistischen Judenchristen in den Blick, deren Tempel- und Gesetzeskritik sich für die Geschichte der frühen Christenheit als enorm wirksam erweisen sollte. Neben der Jerusalemer Urgemeinde wird es sehr früh schon zu anderen Gemeindebildungen gekommen sein, so dass bereits

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anfänglich mit einer kirchlichen Pluralität zu rechnen ist, die sich dagegen sperrt, auf einen einheitlichen ekklesiologischen Begriff gebracht zu werden. Die missionarische Ausbreitung des frühen Christentums über Israel hinaus steigerte die kirchliche Komplexität. Durch die Situation in den paulinischen Gemeinden wird dies bestätigt. Was für die Gemeinden insgesamt gilt, gilt im Besonderen für ihre Dienstordnungen und Ämter. Von der Jerusalemer Ältestenverfassung, in der ein Rat von presbyteroi alle wesentlichen Probleme des Gemeindelebens regelte, und dem charismatischen Aufbau der ältesten paulinischen Gemeinden war bereits die Rede. Beide Gemeindemodelle stehen zunächst unverbunden nebeneinander. Erst in späterer Zeit kommt es zu Verbindungen mit eindeutig dahingehender Tendenz, die Gemeindedienste, deren Notwendigkeit auch Paulus vorgesehen hatte, immer mehr in einigen wenigen fest installierten Ämtern zu bündeln, wobei jenes Amt, welches das apostolische bzw. das Amt in der Nachfolge der Apostel genannt wird, allmählich eine hervorragende Stellung gewinnt, sofern mit ihm die authentische Gewährleistung der Identität und Kontinuität christlicher Wahrheit durch die Zeiten assoziiert wird. Das Theorem der successio apostolica hat hier ihren Ort. Es ist wie der amtsautoritativ zugespitzte Apostelbegriff selbst ein Reflexionsprodukt der sog. nachapostolischen Zeit mit einer ekklesiologischen Wirkungsgeschichte von erheblicher Virulenz bis zum heutigen Tage. Bekanntlich dauert nach Maßgabe römisch-katholischer Lehre das apostolische Amt in demjenigen der Bischöfe fort, die als Nachfolger und Vertreter der Apostel im Namen und in der Vollmacht Christi zu lehren, den Dienst der Heiligung zu versehen und die Kirche zu leiten haben (vgl. im Einzelnen Wenz). Dabei kommt dem Bischof von Rom eine herausragende Sonderstellung insofern zu, als der Papst als Nachfolger des an die Spitze der übrigen Apostel gestellten Petrus die ungeteilte Einheit des Episkopats gewährleisten soll. Im petrinischen Amt ist der Kirche sonach gemäß römisch-katholischer Auffassung ein immerwährendes und sichtbares Fundament ihrer Glaubenseinheit und Gemeinschaft eingestiftet. Vorausgesetzt ist bei dieser Konzeption, dass es sich bei den genuinen Aposteln um den Kreis der Zwölf mit Petrus als ihrem Zentrum handelt, die Christus sandte, so wie er selbst vom Vater gesandt worden ist, und die er mit der Gabe des Heiligen Geistes ausstattete, der sie in die Fülle der Wahrheit führen sollte, damit sie in der Kraft des Geistes den Vater durch den Sohn verherrlichen und die Kirche als den Leib Christi erbauen. Vorausgesetzt ist ferner, dass die Sendung der Apostel unter Wahrung ihrer singulären kirchengründenden Funktion eine Perpetuierung in Form der Auflegung der Hände erfuhr, mit der sie die ihnen gegebene geistliche Gabe auf ihre Nachfolger übertrugen und die in der Bischofsweihe bis in die Gegenwart geübt wird, so dass die bischöfliche Sukzessionskette von den Aposteln bis zu den heutigen Trägern des episkopalen Amtes reicht. Zwar sind nach römisch-katholischer Lehre alle Getauften zum Apostolat berufen. Aber die authentische Wahrnehmung der apostolischen Sendung wird allein von jenen gewährleistet, die förmlich und von Amts wegen zur Nachfolge der Apostel bestellt sind und denen

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daher auch die Regelung der Ordnung des kirchlichen Gesamtapostolats übertragen ist. Abgesehen von der Papstthematik wird diese ekklesiologische Konzeption in ihren Grundzügen auch von der Orthodoxie und einer Reihe anderer Kirchen geteilt. Bleibt zu prüfen, wie sich der skizzierte systematische Geltungsanspruch zur historischen Genese des christlichen Apostolats verhält. Apostelbegriff, Apostolat und Apostolizität werden in den Folgeabschnitten im Zusammen- Messianisches Kollektiv hang der Anfangsphasen frühchristlicher Entwicklung eigens thematisiert werden. Der vorliegende Abschnitt sei unter erneutem Bezug auf die eingangs erwähnte Sozialgeschichte G. Theißens mit einem ebenso diskussionswürdigen wie diskussionsbedürftigen Hinweis auf die Verfassungsstruktur des Reiches Gottes beschlossen. Im palästinischen Judentum des 1. nachchristlichen Jahrhunderts gab es gemäß Theißen mannigfache Spannungen zwischen herodeanischer Dynastie und Synedrium. Königliche und aristokratische Verfassungsvorstellungen konkurrierten. Kontroversen sind fernerhin zwischen messianisch-monarchischen und aristokratischen Endzeiterwartungen zu konstatieren. Auch die Jesusbewegung war nach Theißen von solchen Differenzen betroffen. Früh schon sei mit latenten Spannungen zwischen der auf die Alleinherrschaft Gottes ausgerichteten Basileiabotschaft Jesu und Messiasoptionen zu rechnen, die zumindest von einigen Zeitgenossen an ihn herangetragen wurden. Darauf habe Jesus mit der überraschenden Maßnahme reagiert, „dass er die auf eine einzelne Gestalt gerichteten messianischen Erwartungen auf die von ihm begonnene soziale Bewegung übertrug: Träger der ‚Königsherrschaft Gottes‘ war kein einzelner König, sondern ein messianisches Kollektiv“ (Theißen, Jesusforschung, 266). Als Textbelege werden zum einen das Israellogion Mt 19,28f./Lk 22,28–31 als entscheidender Topos für Vorstellungen von einer himmlischen Inthronisation der Jünger im Verein mit Jesus, zum anderen Aussagen über die Königsherrschaft Gottes angeführt, die Bezüge zu Gedanken kollektiver Teilhabe enthalten. Die Vorstellung einer Partizipation der Jünger am messianischen Auftrag Jesu scheint in einem ekklatanten Widerspruch zu stehen zur Christusproklamation des auferstandenen Gekreuzigten durch die nachösterliche Gemeinde und zur Kyriosanrufung ihres erhöhten Herrn. Dennoch ist die frühchristliche Ekklesiologie für den Gedanken einer eschatologischen Vollmachtsteilgabe Jesu Christi für die Seinen offen. Dies gilt unabhängig von der Frage, wie man die Theißen’sche These eines sog. Gruppenmessianismus im Hinblick auf die Basilieiaaussagen der Jesusüberlieferung historisch-kritisch zu beurteilen hat. Dem Kirchenverständnis der frühen Christenheit entspricht der Gedanke durchaus, dass Jesus Christus die Repräsentation der Gottesherrschaft nicht exklusiv sich selbst vorbehält, sondern seine Vollmacht mit jenen teilt, die ihm im Glauben zugehören. Dabei kommen als Partizipanten messianischer Hoheit Jesu Christi nicht nur wenige Auserwählte, sondern grundsätzlich alle Gläubigen in Betracht, wie niedrig ihr Stand und Wesen auch sein mögen. Dies schließt nicht aus, sondern ein, dass ein bestimmter Kreis von Gläubigen dazu berufen und ausgesandt ist, das Evangelium Jesu Christi öf-

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fentlich in Vollmacht zu verkünden. Aber wie unbeschadet ihrer Sonderstellung nicht nur die Zwölf bzw. die Jünger im engeren Kreis zu den Nachfolgern Jesu zu zählen sind, sondern alle, die ihm folgten, einschließlich der Frauen, der Kinder sowie der Armen und Deklassierten, so hat unter österlich-pfingstlichen Bedingungen jeder, der an den auferstandenen Gekreuzigten glaubt, kraft des göttlichen Geistes durch seinen Glauben in aller Niedrigkeit Anteil an der Hoheit des erhöhten Herrn. Das Kollektiv der einzelnen Gläubigen bildet das messianische Gottesvolk der Kirche. Kirche ist im Sinne des frühen Christentums die Gemeinschaft der Glaubenden, die im Geist an der eschatologischen Wirklichkeit des auferstandenen Gekreuzigten teilhaben und durch Teilhabe an Jesus Christus an der Gottheit Gottes selbst partizipieren, die in ihm offenbar geworden ist. Primärmedium dieses Partizipationsgeschehens ist die gottesdienstliche Feier und namentlich die Feier des Herrenmahls. Sie bedeutet nach urchristlichem Verständnis und neutestamentlichem Zeugnis für die Gemeinde lebendige Begegnung mit dem erhöhten Herrn und eine zeichenhafte Vorwegnahme seines eschatologischen Kommens. „‚Realpräsenz‘ ist eine durchaus sachgemäße Bezeichnung für das Handeln Christi im Mahl.“ (Sandvik, 152) Dabei ist die reale Präsenz Jesu Christi im Herrenmahl, die als wirksame Selbstvergegenwärtigung im Geiste Gottes zu denken ist, konstitutiv sowohl mit einem anamnetischen Bezug konkreten Jesusgedenkens als auch mit einer Ausrichtung auf die Zukunft des Gekommenen versehen, die liturgisch in Form der Epiklese Gestalt annimmt. Österliche Jesusnachfolge in der Kraft des göttlichen Pfingstgeistes ist getragen vom Entgegenkommen dessen, der im gottesdienstlichen Mahl seine Gegenwart und das Perfekt göttlicher Heilstat in Kreuz und Auferstehung dem Glauben zur Gewissheit bringt. Nicht nur an der markinischen Tradition lässt sich zeigen, wie Nachfolge und die Erwartung der Zukunft des Gekommenen zusammengehören. „Die markinische Nachfolgevorstellung ist durchweg auf die Zukunft ausgerichtet. Der christologische Rückblick wird stets durch einen Ausblick ergänzt. Der Gekreuzigte selbst wird als kommender Menschensohn erwartet.“ (Breytenbach, 338) Die Identifikation des Menschensohns mit Jesus und zwar mit dem Gekreuzigten ist österlich definitiv vollzogen. Als der leidende, von den Menschen verworfene und getötete Gerechte ist Jesus der kommende Menschensohn, der den Seinen im Glauben bereits jetzt präsent ist und sie in der Gewissheit der durch sein Leiden und Sterben erbrachten Versöhnung in die Kreuzesnachfolge ruft. Er wird im göttlichen Endgericht als Zeuge und Mitrichter auftreten und denen, die seinem Kommen im Glauben entgegengehen, Rechtfertigung verschaffen bei Gott. Der leidende Gerechte, dessen am Kreuz endendes irdisches Leben durch Niedrigkeit und Erniedrigung gekennzeichnet war, hat als zur Herrlichkeit Gottes Erhöhter die eschatologische Vollmacht, aus dem Gericht zu erretten. Aus dieser Gewissheit ergibt sich für die Glaubenden das Motiv, ihr Kreuz auf sich zu nehmen und in der Nachfolge Jesu Christi den Kreuzweg anzutreten, der sie zur ewigen Herrlichkeit führen wird.

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Schon der irdische Jesus „hat denen, die er in seine Nachfolge rief, Leiden und Entbehrungen in Aussicht gestellt. Er hat von ihnen erwartet, dass sie auch auf ihr eigenes Leben verzichteten um seinet- und seiner Botschaft willen. Die kommende Herrlichkeit ist nur dem Nachfolger verheissen, der bereit ist, den Weg in die Niedrigkeit zu gehen.“ (Schweizer, 21) Das Geschick Jesu bleibt in dieser Hinsicht stetiges Vorbild des Glaubens. Gleichwohl ist Jesusnachfolge unter österlichen Bedingungen mehr und anderes als imitatio des Irdischen, seiner Niedrigkeit und seines Leidensgehorsams. Denn österliche Glaubensnachfolge ist von dem zuversichtlichen Vertrauen getragen, dass der Erniedrigte erhöht und als Auferstandener in Gott vollendet ist, um seinen Nachfolgern als derjenige entgegenzukommen, der für sie, ja stellvertretend für Menschheit und Welt insgesamt gekreuzigt wurde und um ihretwillen erweckt und auferstanden ist, damit sie Versöhnung, Erlösung und Frieden hätten bei Gott. Signum der ecclesia militans ist Kreuzesnachfolge; doch geschieht diese in der österlichen Gewissheit des Glaubens, dass der auferstandene Herr den Seinen Anteil geben wird am ewigen Leben im göttlichen Reich, das nicht als monokratische Herrschaft, sondern als eschatologische Verwirklichung der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes zu verstehen ist (vgl. Röm 8,21). Zwischen der jesuanischen Verkündigung des eschatologischen Gottesreiches und der Bot- Kirche und Reich Gottes schaft der Urchristenheit, die Jesus als den Christus der Endzeit verkündet, gibt es analog zum Verhältnis von Jüngerschaft und Christusnachfolge wesentliche Unterschiede, aber auch Kontinuitätszusammenhänge. Zwar hat Jesus keine eigene Kirche zu gründen versucht, sondern dem Volk Israel das Kommen seines väterlichen Gottes, der auch den Fernen zum Nächsten werden will, bezeugt, um es endzeitlich zu sammeln. Gleichwohl steht die Kirche im österlichen Glauben an die Auferweckung des Gekreuzigten in einem für sie konstitutiven Bezug zur vorösterlichen Sendung Jesu und seiner Reichgottesbotschaft: „Die Basileia ist konstitutiv, die Ekklesia konstituiert.“ (Söding, 87) Auch wenn die kirchliche Verkündigung nicht einfach die Fortsetzung der Reich-GottesBotschaft Jesu ist, schließt sie doch an sie an. Dieser Anschluss wird einerseits inhaltlich, andererseits in Gestalt jener Personen vollzogen, die schon zu Jesu irdischen Lebzeiten seine Jünger waren und dann maßgebliche Glieder der frühen nachösterlicher Gemeinde wurden. Doch darf darüber der Abgrund des Kreuzes nicht eingeebnet und die elementare Transformation nicht vernachlässigt werden, welche die Auferweckung des gekreuzigten Jesus sowohl in Bezug auf ihn selbst und seine Botschaft als auch in Bezug auf seine Nachfolger und ihr Zeugnis bewirkte. „Anfänger und Vollender der Kirche“ (Mostert) ist der österliche Jesus Christus. Im pneumatologisch-ekklesiologischen Zusammenhang bestätigt sich die These, mit der bereits der Band über Jesus und die Anfänge der Christologie seinen Einsatz nahm und die nicht oft genug wiederholt werden kann: Ostern ist das Urdatum des Christentums. Dies gilt als Erstes. „Als Zweites gilt dann aber auch: Die Entfaltung des Osterglaubens ist im entstehenden Christentum ganz wesent-

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lich an die Erinnerung an das irdische Wirken Jesu gebunden. Der Glaube, dass Gott Jesus nicht dem Tod überlassen, sondern ihn auferweckt und erhöht hat, impliziert, dass diesem Jesus von Gott her eine einzigartige Bedeutung zugeschrieben wurde.“ (Konradt, 144) Auch wenn es um begrifflicher und sachlicher Klarheit willen vom neutestamentlichen Zeugnis her geraten ist, auf die Rede von einer in Gestalt etwa des Vollmachtsanspruches des historischen Jesus gegebenen vorösterlichen Christologie zu verzichten (vgl. Konradt, 166), ist der österliche Christus doch kein anderer als Jesus, sondern in der Kraft des österlichen Pfingstgeistes mit demjenigen eins, der mit der Aufrichtung der Königsherrschaft Gottes, die er verkündete, untrennbar „die eschatologische Heilszuwendung Gottes zu den Verlorenen, den Sündern, verbunden“ (Konradt, 146) sah. Jesu Stellung zur Tora und die Vollmacht, die er für seine Lehre und mittels ihrer für seine Person beanspruchte, geben sich von hierher ebenso zu verstehen wie die wirksamen Zeichen, die von seiner Predigt nicht abzulösen sind. Es erhellt, dass die österliche Verkündigung Christi als des Erlösers und Versöhners an der Botschaft, für die Jesus in Wort und Tat einstand, nicht nur einen äußeren Anhalt hat, sondern mit ihr auf Innigste verbunden ist. Doch erschließt sich diese Verbindung in ihrer soteriologischen Definitivität erst durch Ostern und nicht schon auf vorösterliche Weise, was seinen entscheidenden Grund darin hat, dass Erlösung und Versöhnung nicht ohne Jesu Tod, sondern durch diesen hindurch gewirkt werden. So wahr Ostern das Urdatum des Christentums ist, so zutreffend fasst sich alles, wofür die christliche Kirche steht, im Zeichen des Kreuzes zusammen. Nicht im exemplarischen Menschen, dessen Vorbild sich zur Nachahmung empfiehlt, liegt das Heil begründet, auch nicht in der Anerkennung eines alles übertreffenden Autoritätsanspruchs einer historischen Person: ganz abgesehen davon, dass Jesus „seine Rolle offenbar überhaupt nicht auf einen Begriff gebracht“ (Konradt, 162) hat, gibt es „eine auffällige Spannung zwischen Vollmachtsanspruch im Horizont der Königsherrschaft Gottes und Selbstzurücknahme zu beobachten. Genau dieser Zug dürfte ... im Blick auf die Integration des Todes Jesu in die nachösterliche Christologie zu bedenken sein.“ (Ebd.) Das Heil hängt am Crucifixus. Eben weil dies so ist, weiß sich der christliche Glaube nicht unmittelbar im vorösterlichen Jesus, in seinem Selbstverständnis oder etwa in den möglichen Deutungen begründet, die er selbst seinem bevorstehenden Tod hat zuteil werden lassen. Der Grund des Glaubens ist der auferstandene Gekreuzigte, dessen österliche Wirklichkeit den Vollmachtsanspruch des österlichen Jesus nicht nur bestätigt, sondern dergestalt neu dimensioniert, dass die vorbehaltlose Zuwendung zu den Sündern, die zum Kernbestand jesuanischen Wirkens zählt, vermöge der Passion als Gottes ureigene Aktion gelten kann, um schrankenlos-uneingeschränkt, nämlich eschatologisch gültig zu sein.

3. Entwicklungsphasen apostolischer Kirche

Lit.: E. Becker, Das Urchristentum als gegliederte Epoche, Stuttgart 1993. – H. Braun, Geschichte des Gottesvolkes und christliche Identität. Eine kanonisch-intertextuelle Auslegung der Stephansepisode Apg. 6,1–8,3, Tübingen 2010. – R. Bultmann, Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen, Zürich 1949. – J. Frey, Apostelbegriff, Apostelamt und Apostolizität. Neutestamentliche Perspektiven zur Frage nach der „Apostolizität“ der Kirche, in: Th. Schneider/G. Wenz (Hg.), Das kirchliche Amt in apostolischer Nachfolge I. Grundlagen und Grundfragen, Freiburf i.Br./Göttingen 2004, 91–188. – M. Hengel/A. M. Schwemer, Jesus und das Judentum (Geschichte des frühen Christentums Bd. I), Tübingen 2007. – E. Hennecke/W. Schneemelcher, Neutestamentliche Apokryphen in deutscher Übersetzung, Bd. I: Evangelien. Bd. II: Apostolisches, Apokalypsen und Verwandtes, Tübingen 41968/71. – Gemischte Internationale Kommission für den Theologischen Dialog zwischen der Römisch-katholischen und der Orthodoxen Kirche: Kirchliche und kanonische Konsequenzen der sakramentalen Natur der Kirche, Ravenna 2007. – R. Leuze, Das Christentum. Grundriss einer monotheistischen Religion, Göttingen 2010. – K.-H. Ohlig, Thesen zum Verständnis und zur theologischen Funktion der Auferstehungsbotschaft, in: H. Verweyen (Hg.), Osterglaube ohne Auferstehung? Diskussion mit Gerd Lüdemann, Freiburg/Basel/Wien 1995, 65–79. – K. H. Rengstorf, Die Auferstehung Jesu. Form, Art und Sinn der urchristlichen Osterbotschaft, Witten/Ruhr 1967. – P. Schäfer, Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Christentums. Fünf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Judentums, Tübingen 2010. – H. Verweyen, „Auferstehung“. Ein Wort verstellt die Sache, in: ders. (Hg.), ebd., 105–144. – U. Wilckens, Der Ursprung der Überlieferung der Erscheinungen des Auferstandenen. Zur traditionsgeschichtlichen Analyse von 1. Kor 15,1– 11, in: P. Hoffmann (Hg.), Zur neutestamentlichen Überlieferung von der Auferstehung Jesu, Darmstadt 1988, 139–193. – Ders., Theologie des Neuen Testaments. Bd. I: Geschichte der urchristlichen Theologie. Teilband 3: Die Briefe des Urchristentums: Paulus und seine Schüler, Theologen aus dem Bereich judenchristlicher Heidenmission, Neukirchen 2005.

Herr der Kirche ist der auferstandene GekreuzigÖsterliche Geistesgegenwart te Jesus Christus, der sich in der Kraft des göttliund Naherwartung chen Geistes im Zeichen der Taufe und der gottesdienstlichen Mahlfeier, die mit Gebet, Lobpreis, Bekenntnis und Zeugnis verbunden ist, den Seinen vergegenwärtigt und sie auf seine baldige Wiederkunft hoffen lässt. Dass Naherwartung für das frühe Christentum kennzeichnend war, lässt sich schwer leugnen. Doch hat man die Krise, die durch die sog. Parusieverzögerung eintrat, als nicht so grundstürzend einzuschätzen, wie das gelegentlich geschah und teilweise noch immer geschieht. Offenbar tröstete über sie bald schon die Gewissheit bleibender Geistesgegenwart Jesu Christi hinweg, durch welche das

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frühe Christentum die Kraft bezog, aus dem apokalyptisch fixierten Rahmen heraus und in die Geschichte einzutreten, um in ihr Zeugnis zu geben von Grund und Ziel christlichen Daseins. Nicht, dass das frühe Christentum aufgehört hätte, futurisch bestimmt zu sein. Aber die futurische Orientierung ist durch die Erwartung der Zukunft des Gekommenen geprägt, also an Leben, Sterben und Auferstehung Jesu Christi rückgebunden, wodurch sie eine temporale Struktur gewinnt, welche die Grenzen des chronologisch Bemessbaren übersteigt. In der Geistesgegenwart, die den christlichen Glauben kennzeichnet und seine Gewissheit ausmacht, sind Erinnerung des Perfekts der Erscheinung Jesu Christi und Erwartung seiner Wiederkunft in differenzierter, eindeutig gerichteter Weise verbunden. Urdatum und Basisgrund dieser Verbindung ist das Osterereignis. Was die christologische Reflexion betrifft, die mit dem Osterereignis von Anfang an verbunden war, so wird man vermuten dürfen, dass bereits die Erscheinungsaussage selbst, die eine sicherlich nicht zufällige Parallelität zu der aus der Septuaginta bekannten Theophanieformel aufweist, nicht lediglich äußere Beschreibung eines Sachverhalts, sondern Deutung eines Widerfahrnisses ist, von dessen Faktizität sie sich allerdings nicht trennen lässt, da das Osterwiderfahrnis nach Maßgabe aller österlichen Zeugnisse seine Bedeutung unmittelbar in sich trägt. Dass sich erst in der Reflexion differenziert, was ursprünglich eins ist, lässt sich u.a. mit dem Hinweis belegen, dass in den ältesten Zeugnissen des Neuen Testaments Auferstehung und himmlische Entrückung als ein Geschehenszusammenhang begriffen wurden. Entsprechend vollziehen sich die österlichen Erscheinungen vom Himmel herab aus der lebendigen Wirklichkeit des Erhöhten bei Gott. Auferstehungs-, Erhöhungs-, Erscheinungs- und andere Bezeugungsaussagen des Ostergeschehens lassen sich zwar unterscheiden, nicht aber trennen, weil sich in der Differenziertheit der Vorstellungen, die mit ihnen verbunden sind, ein identisches Faktum reflektiert, dessen Faktizität mit seiner Bedeutung koinzidiert. Ostern ist ein sich selbst deutendes Faktum. Dies in reflexiver Differenziertheit zum Ausdruck zu bringen, ist ein Grundanliegen aller Osterzeugnisse, unter denen das Bekenntnis zur Auferweckung und Auferstehung traditionell einen besonderen Rang einnimmt, ohne die einzige österliche Bekenntnisaussage zu sein. Man hat behauptet, das Wort „Auferstehung“ verstelle die von ihm bezeichnete „Sache“ (vgl. Verweyen), und die Auffassung problematisiert, „die sog. absolute Wahrheit des Christentums gründe in der Erscheinung des von Gott auferweckten Jesus vor Zeugen und in der somit dokumentierten göttlichen Legitimierung Jesu und seines Anspruchs“ (Ohlig, 80). Dem ist entgegenzuhalten, „daß die Osterberichte übereinstimmend dem Sehen des Auferstandenen durch die Seinen die entscheidende Bedeutung beilegen“ (Rengstorf, 117), wobei die Verbindung von Erscheinung und Auferstehung keine willkürliche ist, sofern letztere auf die Möglichkeitsbedingung von ersterer verweist. Dies geschieht unter Voraussetzung einer apokalyptischen Deutekategorie. Dass diese durch das Osterereignis selbst eine nicht unwesentliche Umdeutung erfuhr, trifft zu. Insofern hat es seine Richtigkeit zu sagen, das eigentliche christliche Osterzeugnis liege „nicht im Thema

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Auferstehung, sondern in deren christologischer Prädikation“ (Ohlig, 81; bei O. kursiv). Der in der Kraft des göttlichen Geistes statthabende und sich als Gottesoffenbarung zu verstehen gebende Selbsterweis Jesu Christi als des göttlich erhöhten Gekreuzigten ist Zentrum und Inbegriff der Wirklichkeit, welche die Osterzeugen in der Gewissheit der Selbstbezeugungsfähigkeit des Bezeugten bezeugen. Das Osterereignis ist „Begegnungswiderfahrnis ... mit Gott“ (Wilckens, Ursprung, 176). Indem es Erkenntnis Jesu Christi eröffnet, erschließt es zugleich Berufung zum Dienst an der Evangeliumsverkündigung. Dieser Dienst ist grundsätzlich allen Osterzeugen, sog. Aposteln jedoch, wie ihr Name besagt, in der Weise einer besonderen Sendung aufgetragen. Es ist zu Recht vermerkt worden, „dass auch für den vorpaulinischen Apostolat die Berufung auf eine Erscheinung des Auferstandenen als Legitimation des Apostels wesentlich gewesen ist“ (Wilckens, Ursprung, 154). Dies kann freilich nicht heißen, der Primärsinn der einschlägigen Überlieferungen sei auf die Begründung des Führungsanspruches jener ausgerichtet, für die eine österliche Erscheinung geltend gemacht wird. Im Vordergrund des Interesses stehen nicht Legimitationsformeln, sondern die Erscheinungen des gekreuzigten Jesus als Erweis seiner erfolgten Auferstehung und seiner Verherrlichung bei Gott. Nicht auf diejenige der Erscheinungszeugen, sondern auf die Autorität dessen kommt es an, der ihnen erschienen ist. Ihn sollen sie in der Gewissheit seines erwiesenen Selbstbezeugungsvermögens bezeugen. Dies gilt namentlich für jene, die als Zeugen des auferstandenen Gekreuzigten eigens benannt und mit einer besonderen „apostolischen“ Sendung versehen sind. Was ein Apostel ist, lässt sich aufgrund des historisch-kritischen Befundes neutestamentlicher Exegese nicht eindeutig sagen. Doch ist evident, welche Konstitutionsmomente zu seinem Begriff gehören: Osterzeugenschaft samt dem Vermögen, den Auferstandenen als den gekreuzigten Jesus von Nazareth zu identifizieren, was ohne entsprechendes Wissen, sei es auf direkte oder auf indirekte Weise erworben, nicht möglich ist; sodann und in Verein damit eine spezifische Sendung zur Verkündigung des österlichen Evangeliums. Es dürfte nicht unerheblich sein, sich dieser Begriffsmomente zu versichern, bevor man in die Erörterungen der Entwicklungsphasen jenes frühchristlichen Zeitalters eintritt, welches das apostolische heißt. Dass diese Bezeichnung nicht aus ihm selbst, sondern aus einer späteren Zeit stammt, sei einstweilen nur am Rande vermerkt. Nicht nur historiographische Nomenklaturen, Parusieverzögerung auch geschichtliche Periodisierungsvorschläge und frühe Christentumshaben ihre je eigenen Probleme. So ist die ver- geschichte breitete Unterscheidung zwischen einer Ur- und einer nachfolgenden Frühgeschichte des Christentums gelegentlich als ideologisch kritisiert worden, da sich mit dem Begriff der Urchristenheit die mythische Vorstellung gründender Urzeit assoziiere, die unter historischen Gesichtspunkten keinen Bestand haben könne. Diese Einwände sind ernst zu nehmen. Die wertende Gleichsetzung der Geschichte der Urchristenheit mit der Idee der ungeteilt einen

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und reinen Kirche entspricht nur bedingt den historischen Realitäten. Doch lässt sich ebensowenig leugnen, dass der Prozess der Identitätsbildung des Christentums als einer eigenständigen Religion, wie er im 1. Jahrhundert n.Chr. erfolgte, in den 20er und 30er Jahren des 2. nachchristlichen Jahrhunderts zu einem zwar vorläufigen, aber doch zu einem Abschluss mit Definitionsqualitäten gelangt ist. Unschwer lässt sich erkennen, „daß mit den frühen Apologeten etwas Neues beginnt“ (Becker, 12). Gute geschichtliche und keineswegs nur ideologische Gründe sprechen insofern dafür, innerhalb der Epoche der Geschichte der frühen Christenheit, die letztlich bis zu deren Duldung durch den römischen Staat, also bis zum Toleranzedikt des Galerius im Jahre 311 n.Chr. reicht, eine eigene urchristliche Periode namhaft zu machen. Als Kriterium der Zäsur bietet sich das Aufkommen apologetischer Literatur an, das einhergeht mit der Herausbildung von Sammlungen kanonischen Schriftguts, in denen sich das Bewusstsein entwickelter christlicher Identität verbindlichen Ausdruck verschafft, um sich des offenbaren Grundes seiner religiösen Gewissheit zu versichern. Fasst man die Geschichte des Urchristentums als einen konturierten Abschnitt der frühen Christentumsgeschichte gesondert ins Auge, so lässt sie sich als eine gegliederte Epoche erkennen, die ebenfalls für periodisierende Unterteilungen zugänglich ist. Als Urdatum des Christentums hat unzweifelhaft Ostern zu gelten. Doch ist dieses Datum ebenso zweifelsfrei in konstitutiver Weise rückbezogen auf die Historie Jesu, die seine implizite Voraussetzung darstellt. Zwar gibt es kein entwickeltes Christentum ohne österliches Christuskerygma; aber unter Absehung von der Einheit des in seiner Auferstehungsherrlichkeit verkündeten Christus mit dem gekreuzigten Jesus von Nazareth kann von Christentum ebenso wenig die Rede sein. Es liegt daher bei aller verbleibenden Erklärungsbedürftigkeit nahe, die urchristliche Geschichte mit Jesus von Nazareth beginnen und eine erste Zäsur durch dessen Kreuzestod markiert sein zu lassen. Eine zweite Zäsur lässt sich mit dem Aussterben der Protagonisten der ersten Christengeneration verbinden. Auf diese Weise ergibt sich folgende Periodengliederung der Geschichte des Urchristentums: „Eine Zäsur liegt zwischen Jesuszeit und nachösterlicher Urgemeinde, eine zweite zwischen apostolischer und nachapostolischer Zeit.“ (Becker, 12) Das öffentliche Wirken Jesu, dessen Beginn mit dem Auftreten Johannes des Täufers aufs engste verbunden war, umfasst nur einen relativ kurzen Zeitraum, der sich eher nach Monaten als nach Jahren bemessen lässt. Das sog. apostolische Zeitalter dauerte etwa vierzig Jahre und erstreckt sich vom Kreuzestod Jesu und den Osterereignissen bis zum Ausbruch des Jüdischen Krieges 66 n.Chr. und zur Zerstörung Jerusalems 70 n.Chr. Will man seinen Verlauf intern differenzieren, so bietet sich eine Gliederung in zwei Perioden an: „Die erste umfaßt die ersten ca. 13 bis 18 Jahre und endet mit der Verschärfung der Situation in Judäa durch die Verfolgung unter Agrippa I. ca. 42/43 n.Chr. bzw. mit dem Apostelkonzil etwa 48/49 n.Chr., das die endgültige Anerkennung der gesetzeskritischen Mission durch die Gemeinden in Jerusalem und Judäa durchsetzte und den Weg zur ‚weltweiten‘ Mission freigab. Bis zu diesem Zeitpunkt war die urchristliche Mission weitgehend

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auf Palästina, Syrien und Kilikien sowie die Insel Zypern und angrenzende Gebiete Kleinasiens beschränkt gewesen und hatte darüber hinaus wohl lediglich in Rom Fuß gefaßt.“ (Hengel/Schwemer, 8f.) In dieser Periode des apostolischen Zeitalters werden die entscheidenden Weichenstellungen für die nachfolgende Christentumsgeschichte vorgenommen. Namentlich im Blick auf die christliche Lehre hat sich in ihr „mehr ereignet als in den Jahrhunderten danach“ (Hengel/Schwemer, 9). Die zweite Periode des apostolischen Zeitalters mit den verbleibenden 20 bis 25 Jahren steht ganz im Zeichen der großen Missionsreisen des Apostels Paulus, die ihn ins Innere Kleinasiens, nach Makedonien, Griechenland, die Provinz Asia und schließlich nach Rom, möglicherweise auch noch, wie manche meinen, bis nach Spanien führten. Mit seiner Hinrichtung und dem Tod der anderen führenden Repräsentanten der ersten Christengeneration endet die apostolische Epoche und das sog. nachapostolische Zeitalter beginnt, dessen erste Phase sich auf die Zeit vom Beginn der Flavierdynastie bis zu den Anfängen Trajans begrenzen lässt. In dieser knapp drei Jahrzehnte umfassenden Periode der nachapostolischen Ära „wurde die Mehrzahl der großen neutestamentlichen Schriften, darunter alle vier Evangelien in der zeitlichen Reihenfolge Markus, Lukas, Matthäus und Johannes, geschrieben. Es kommt darin zur endgültigen, schmerzhaften Trennung zwischen Synagoge und Kirche, obwohl das judenchristliche Element und seine Traditionen zusammen mit der Septuaginta auch in der Kirche des 2. Jahrhunderts weiterhin wirksam blieben. Diese Entwicklung war begleitet von einem immer gespannter werdenden Verhältnis zur römischen Herrschaft. Gleichzeitig werden innerkirchliche Krisen, die Auseinandersetzung mit einem ethisch indifferenten oder aber rigoros asketischen Enthusiasmus, einer doketischen Verwerfung der wahren Menschheit Christi und eine erste Stufe in der Ausformung eines festen kirchlichen Amtes sichtbar.“ (Hengel/Schwemer, 10f.) Lässt sich die erste Periode des nachapostolischen Zeitalters als die Phase konstruktiver Verarbeitung des Erbes der Urzeugen kennzeichnen, so steht am Ende der zweiten Periode die in Grundzügen ausgebildete Sammlung verbindlicher Schriften als der kanonischen Urkunde des urchristlichen Glaubens, den die Apologeten mit Mitteln der Vernunft zu plausibilisieren und zu verteidigen sich anschickten. Es wird Aufgabe der nachfolgenden Abschnitte sein, die skizzierten Entwicklungsphasen früh- Apostolisches Zeitalter christlicher Geschichte multiperspektivisch zur Kenntnis zu bringen und mit Inhalt zu füllen. Zunächst sollen sie nur in zweifacher Hinsicht ins Auge gefasst werden, nämlich zum einen im Blick auf die Anfänge des sog. apostolischen Zeitalters, in dem in Bezug auf die spätere Auseinanderentwicklung von Judentum und Christentum bereits entscheidende Weichenstellungen vorgenommen wurden, sodann in Bezug auf den Begriff, der dem sog. apostolischen Zeitalter den Namen gegeben hat, obwohl er erst im nachapostolischen die für ihn charakteristischen Konturen gewonnen hat. Zugespitzt formuliert: der Normbegriff kirchlicher Apostolizität hat sich erst in der sog. nachapostolischen

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Entwicklungsphase frühchristlicher Kirche ausgebildet. Zwar reichen seine Wurzeln zweifellos in die Anfänge des Christentums zurück. Doch darf die Bezeichnung des apostolischen Zeitalters nicht zu der Annahme verleiten, die spezifische Eigenart dieser Epoche und ihrer Perioden sei durch einen identischen Begriff von Apostolizität bestimmt. Diese Annahme wäre sowohl historisch als auch systematisch unterkomplex und müsste zu mannigfachen Missverständnissen und förmlichen Fehlurteilen Anlass geben. Ihr ist daher mit Überlegungen zur Genese des Apostel- und Apostolizitätsverständnisses zu begegnen, die den anfänglichen Erörterungen zu den Entwicklungsphasen apostolischer Kirche parallel laufen. Dass die durch Ostergeschehen und Pfingstereignis hervorgerufene, aus dem Kreise der Zwölf mit Petrus an der Spitze sich herausentwickelnde und schließlich von einem Ältestengremium um den Herrenbruder Jakobus und mögliche andere Verwandte Jesu geleitete Jerusalemer Urgemeinde gemäß innerem Selbstverständnis und äußerer Erscheinung gleich Pharisäismus und Essenertum eine religiöse Parteiung innerhalb der jüdischen Volksgemeinde darstellt, ist vielfach und mit völligem Recht vertreten worden. Man hielt nicht nur an der Tora fest, sondern besuchte auch weiterhin den Tempel, wenngleich eine Teilnahme an den Sühneopferhandlungen unwahrscheinlich ist, an deren Stelle – dem eucharistischen Gedächtnis des Leidens, des Sterbens und der Auferstehung des Herrn gewidmete – Mahlgottesdienste in den Häusern traten. Auch die von Jerusalem ausgehende Missionsarbeit in der jüdischen Diaspora unter Führung des Petrus, die im palästinischen Raum und darüber hinaus frühe Erfolge zeitigte, sprengte diesen Rahmen jedenfalls anfänglich nicht. Doch fehlte es andererseits ebenso wenig an Spannungen und Konflikten, wofür neben dem Schicksal des Stephanus das Martyrium des Herrenbruders Jakobus im Jahr 62 n.Chr. ein denkwürdiges Beispiel gibt (vgl. Flav. Jos. Ant. XX, 197–203). Offenbar wurde selbst ihm, der auf Toratreue und Tempelgebet denkbar größten Wert legte, von einigen jüdischen Kreisen schwerer Gesetzesbruch unterstellt. Obgleich keine direkten Quellen über inneres und äußeres Leben der Urgemeinde in Jerusalem und Palästina vorliegen, lässt sich ihr Verhältnis zur jüdischen Volksgemeinde am besten umschreiben als ein Unterschied bei vorausgesetzter Einheit, die grundsätzlich nicht in Frage gestellt wird. Als Neues Israel wusste man sich zwar vom Alten wesentlich unterschieden, gleichwohl aber mit diesem ebenso elementar verbunden. Indes genügt der gegebene Hinweis auf Stephanus und seinen Kreis als Beleg, dass das Novitätspotential, welches dem Urchristentum innewohnte, zu äußeren und inneren Krisen bezüglich seines Verhältnisses zum Bundesvolk Israel und seinen Repräsentanten führen musste und tatsächlich führte (vgl. u.a. Braun). Die kritische Haltung der Hellenisten genannten, vorzugsweise Griechisch sprechenden Anhänger des Stephanus hatte nicht nur dessen vom Synedrium verfügte Hinrichtung, sondern auch eine interne Differenzierung der Urgemeinde zur Folge, deren einer Teil in der jüdischen Volksgemeinde zu verbleiben suchte, wohingegen der andere sich berechtigt und verpflichtet sah, im Namen dessen, der nach dem Gesetz gerichtet, aber von Gott auferweckt worden war, die

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Grenzen Israels zu transzendieren und Mission auch unter Heiden zu betreiben, ohne diese dem jüdischen Gesetz zu unterwerfen. Spätestens nach der im Zuge des jüdischen Aufstands gegen die römische Oberherrschaft wahrscheinlich erfolgten Flucht der toratreuen Urchristen Jerusalems ins ostjordanische Pella gehörte die Zukunft den hellenistischen Judenchristen, die Jerusalem zuvor schon verlassen hatten und in die Diaspora gegangen waren, um die christliche Frohbotschaft über die Synagoge hinaus auch den Heiden zu bringen. Im Vergleich zu ihnen stellt das hebräische Christentum eine marginale, schließlich verschwindende Größe dar. Doch muss man auch in dieser Hinsicht in mehrfacher Weise differenzieren: Was den Bestand des Judenchristentums anbelangt, so reicht er weit über den Jüdischen Krieg hinaus. Hält man die Flucht nach Pella für geschichtlich, wird man mit einer Rückkehr der Geflohenen zu rechnen haben. Im Übrigen gibt es auch außerhalb Jerusalems und jenseits des palästinischen Raumes in Syrien etwa oder im kleinasiatischen Bereich ein blühendes Judenchristentum nach dem Jahre 70. Wichtiger noch ist eine Differenzierung begrifflicher Art: Zwar hielten die Judenchristen vom Ritualgesetz abgesehen einheitlich an der Tora als ihrer ursprünglichen Lebensform fest, was ihnen anlässlich des sog. Apostelkonzils ja auch ausdrücklich als rechtens zugebilligt wurde. Aber keineswegs alle machten deshalb die Gesetzesbindung für Heiden verpflichtend, um auf diese Weise den Universalismus des im auferstandenen Gekreuzigten manifesten Heils partikular zu beschränken. Die Judenchristen dürfen also nicht generell mit einem häretisch-schismatischen „Judaismus“ in Verbindung gebracht werden, welcher den Christusglauben dem Gesetzesgehorsam unterordnet und so den Zusammenhalt der Kirche aus Juden und Heiden sprengt. Nicht minder differenzierungsbedürftig ist der Juden- und HeidenBegriff eines hellenistischen Christentums. Zu christentum unterscheiden ist zunächst zwischen Hellenismus als einem geschichtswissenschaftlichen Epochenbegriff und jenen „Hellenisten“ von Apg 6,1, die das Griechische als Synagogensprache verwendeten, im Übrigen aber eindeutig als Judenchristen zu identifizieren sind. Als in Jerusalem ansässig gewordene Griechisch sprechende Diasporajuden hatten sie sich der christlichen Urgemeinde angeschlossen, innerhalb derer sie wegen ihrer vergleichsweise torakritischen Haltung zweifellos eine von den Aramäisch sprechenden, streng toragebundenen Judenchristen signifikant unterschiedene Gruppe darstellten. Vor allem in der Außenperspektive wurde dies offenbar so wahrgenommen: Während die Hellenisten wegen ihrer Kritik am mosaischen Gesetz und am Tempelkult wenn nicht, wie Stephanus, gesteinigt, so doch aus Jerusalem vertrieben wurden, konnten die christlichen „Hebräer“ noch geraume Zeit verbleiben, wenngleich schließlich auch sie das Martyrium oder das Schicksal der Vertreibung zu erdulden hatten. Wie immer man den nur schwer präzise fassbaren Unterschied zwischen der Verkündigung und Theologie der Aramäisch sprechenden Urgemeinde und der Botschaft des Evangeliums hellenistisch-jüdischer Prägung im Einzelnen beurtei-

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len mag: klar ist, dass es sich bei dem hellenistischen Kreis um Stephanus um Judenchristen handelte. Deutlich ist freilich auch, dass vom hellenistischen Judentum her der Schritt über die jüdische Volksgemeinde hinaus entschieden gegangen wurde mit der Folge, dass bald mit einer Kirche nicht nur in und unter, sondern auch außerhalb Israels zu rechnen war. Exemplarisch studieren lässt sich dies am Beispiel der christlichen Gemeinde in der einstigen Hauptstadt des Seleukidenreichs Antiochien am Orontes, wohin sich nach Apg 11,19–21 einige der aus Jerusalem geflohenen Hellenisten begaben, um das Evangelium den Heiden direkt und ohne Gesetzesauflagen zu verkünden und mit den zum Glauben gekommenen Heidenchristen außerhalb des Synagogenverbands geschwisterlich zusammenzuleben. Es ist nicht leicht, die antiochenische Gemeindesituation sowie Gestalt und Gehalt einer heidenchristlichen Tradition vor Paulus genau zu bestimmen. Dass nicht nur die griechische Sprache und die für sie spezifische Denkungsart, sondern das gesamte geistig-religiöse Milieu, welches der geschichtswissenschaftliche Epochenbegriff Hellenismus umschreibt, für die Christusbotschaft unter Nichtjuden und für deren heidenchristliche Rezeption folgenreich war, ist evident. Unbestreitbar ist auch, dass es dabei zu Transformationen kam, welche die eschatologische Ausrichtung und den apokalyptischen Kontext der ursprünglichen Christusbotschaft betrafen, deren endzeitlicher Charakter mit Vorstellungen verbunden wurde wie derjenigen des Abstiegs einer Offenbarergestalt in die Immanenz und ihrer anschließenden Rückkehr aus der irdischen in die himmlische Welt. Auch haben Formen hellenistischer Kultfrömmigkeit den heidenchristlichen Gottesdienst möglicherweise in dem Sinne beeinflusst, dass die Erwartung des bevorstehenden Kommens Jesu Christi sich entspannte und ihre Dringlichkeit zumindest insofern verlor, als die zeitliche Verzögerung der Parusie nicht länger als den Glauben an Jesus Christus problematisierend empfunden werden musste. Wie immer es sich damit im Einzelnen verhalten mag: Faktum ist, dass es zwischen der Jerusalemer Urgemeinde und den hellenistisch geprägten Gemeinden nicht zum Bruch kam. Ein Kontinuitätszusammenhang blieb auf der Basis einer gemeinsamen heilsgeschichtlichen Tradition erhalten, die für beide Teile offenbar eine Stellung jenseits des Gegensatzes von apokalyptischer Endzeiterwartung und kultfrommer Gewissheit unmittelbarer Heilspräsenz einnahm. Für die urchristliche Eschatologie ergibt sich daraus der von der Basileia-Verkündigung Jesu nahegelegte Schluss, dass sie mit alternativ gefassten Kategorien des Präsentischen oder des Futurischen nicht zu fassen ist. Wie die Zukunft des Gottesreichs im auferstandenen Gekreuzigten bereits gegenwärtig geworden ist, so erweist sich ihre dem Glauben gewisse Präsenz gerade darin, dass sie getroste, ja freudige Erwartung des Kommenden über die chronologischen Dimensionen des Zeitlichen hinaus erschließt. So wenig das frühe Christentum bei allen Akzentunterschieden von einem Sachgegensatz zwischen futurischer und präsentischer Eschatologie bestimmt war, so wenig kann von einer unvermittelten Antithese von palästinischem und hellenistischem Christentum historisch die Rede sein. Zum

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einen war, wie die judenchristlichen Hellenisten innerhalb der Jerusalemer Urgemeinde beweisen, bereits das palästinische Christentum mit Elementen einer durch die griechische Sprache vermittelten Weltanschauung bekannt geworden, die im Übrigen auch dem Judentum der Zeit namentlich in seiner Diasporagestalt nicht fremd war. Zum anderen darf man sich die Einwirkung sowohl des jüdischen als auch des hellenistischen Kulturbereiches auf das werdende Christentum nicht zu äußerlich vorstellen: Wie die Anverwandlung etwa apokalyptischer Traditionselemente im Judenchristentum auf produktiv umgestaltende Weise erfolgte, so rezipierte das über hellenistische Judenchristen mit dem aramäischen Judenchristentum ohnehin ursprünglich verbundene Heidenchristentum griechische Begrifflichkeiten und Vorstellungen des Hellenismus keineswegs mechanisch, sondern kritisch-konstruktiv, wobei inhaltliche Umprägungen überlieferter Formen und Gehalte konsequenterweise nicht ausbleiben konnten. Man mag das Urchristentum als synkretistische Religion beschreiben; indes wäre es eine unhaltbare Unterschätzung der schöpferischen Kraft, die dem Prozess urchristlicher Traditionsbildung von seinem österlich-pfingstlichen Anfangsgrund her innewohnt, wollte man diesen im Stile einer äußeren Adaption religionsgeschichtlicher Fremdeinflüsse beschreiben. Dass solche Einflüsse sowohl von hellenistischer Weltanschauung als auch und insbesondere vonseiten der alttestamentlich-jüdischen Überlieferung her vorhanden sind, steht außer Frage. Aber diese Einflüsse wurden nicht geistlos aufgenommen, sondern im Geiste dessen eigenständig anverwandelt, der das Ureigene des Christentums ausmacht: der österlich erstandene Gekreuzigte. Im Bekenntnis zu ihm wusste sich die Urchristenheit über alle durch differente Traditionsprägungen bedingte Unterschiede hinaus grundsätzlich eins. Es waren denn auch im Wesentlichen nicht förmliche Differenzen bezüglich unterschiedlicher Traditionsprägungen, welche den zentralen Konflikt in der frühen Christenheit heraufbeschworen. Dieser entzündete sich vielmehr an der Sachfrage, welche Konsequenzen das gemeinsame Bekenntnis zu Jesus Christus in Bezug auf die Verbindlichkeit der Tora zeitigte. Auch darin bestätigt sich: Das Verhältnis zum Judentum ist dem Christentum nicht äußerlich, sondern – gerade als kritisches – ein Bestimmungsmoment christlichen Selbstverhältnisses. Dieser Sachverhalt von dauerhafter systematischer Geltung tritt in der Genese des Christentums historisch erkenntlich zutage. Darauf wird zurückzukommen sein. Historiographische Epocheneinteilungen und Der Normbegriff des Periodisierungsvorschläge, so wurde eingangs ge- Apostolischen in nachsagt, haben ihre je eigenen Probleme. Von diesen apostolischer Zeit Problemen ist das sog. apostolische Zeitalter der frühen Christentumsgeschichte nicht zuletzt deshalb besonders betroffen, weil der Begriff, der es kennzeichnet, in ihm noch keineswegs jene normativen Konturen aufweist, die für ihn charakteristisch werden sollten. Als identitätsstiftender Normbegriff hat sich der Begriff des Apostels bzw. des Apostolischen erst im sog. nachapostolischen Zeitalter ausgebildet. Um dies zu verdeutlichen, ist die bisher nur

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knapp ausgeführte Skizze der anfänglichen Entwicklungsphase apostolischer Kirche mit einigen Erwägungen zur Genese des Normbegriffs kirchlicher Apostolizität zu verbinden. Mit diesem auf den ersten Blick vielleicht merkwürdig anmutenden Verfahren wird bezweckt, eine Verengung des Betrachtungshorizonts schon im Ansatz zu vermeiden. Eine solche Perspektivenverengung, welche eine völlige Verkennung der Komplexität früher Christentumsgeschichte zur Folge haben müsste, tritt zwangsläufig ein, wenn vom Apostelbegriff und vom Theorem apostolischer Amtssukzession ein historisch und systematisch undifferenzierter Gebrauch gemacht wird. Um ein Beispiel zu geben: In einem jüngst erarbeiteten Text der Internationalen gemischten Kommission für den Dialog zwischen der römisch-katholischen und der Orthodoxen Kirche über kirchliche und kanonische Konsequenzen der sakramentalen Natur der Kirche (Ravenna 13. Oktober 2007) steht zum Thema der apostolischen und nachapostolischen Autorität, welche die Identität und Kontinuität christlicher Wahrheit durch die Zeiten garantieren soll, u.a. Folgendes zu lesen: „Christus, der seine Autorität von Gott dem Vater erhalten hat, teilte sie nach seiner Auferstehung durch den Heiligen Geist den Aposteln mit (vgl. Joh. 20,22). Durch die Apostel wurde sie den Bischöfen, ihren Nachfolgern, übermittelt und durch sie (sic!) der gesamten (sic!) Kirche.“ (Art. 12) Sätze wie diese sind nicht nur historisch und systematisch unterkomplex, sondern auch ökumenisch kontraproduktiv; ihnen kann nur durch Differenzierungen begegnet werden. Ein terminologisch fest fixierter Apostelbegriff ist recht eigentlich erst für die nachapostolische Phase früher Christentumsgeschichte vorauszusetzen, in der sich im Verein mit ihm eine klare Vorstellung apostolischer Amtssukzession ausgebildet hat. In der sog. apostolischen Zeit ist das Institut des Apostolats weit weniger eindeutig fassbar. Um die Frage nach Entstehung und Wesen des Apostolats in der Urbzw. Frühchristenheit, die zu den schwierigsten der neutestamentlichen Wissenschaft gehört, einer zielgerichteten Antwort zuzuführen, empfiehlt sich ein Blick über die kanonischen Texte hinaus auf sog. apokryphe Schriften mit Anspruch auf Apostolizität. Zu denken ist etwa an die Textgruppe, die mit der wissenschaftlichen Bezeichnung apostolische Pseudepigraphen versehen wurde und Apokrypha wie das Kerygma Petrou, einen durch Kol 4,16 veranlassten pseudopaulinischen Brief an die Gemeinde von Laodizea, einen unechten Briefwechsel zwischen dem stoischen Philosophen Seneca und Paulus sowie eine dem Paulusschüler Titus zugeschriebene Epistel über den Stand der Keuschheit enthält. In deutscher Übersetzung nachzulesen sind die genannten Schriften in der von Edgar Hennecke begründeten und von Wilhelm Schneemelcher fortgeführten Sammlung sog. neutestamentlicher Apokryphen. Ihr erster Band beinhaltet nichtkanonische Evangelienliteratur, ihr zweiter neben apokryphen Apokalypsen ausführliches Textmaterial über die Apostel. Dazu gehören zahlreiche Apostelgeschichten des 2. und 3. Jahrhunderts n.Chr., die zum größten Teil nur fragmentarisch erhalten sind und mehr oder minder phantasiereich die lukanischen Acta Apostolorum fortschreiben, deren Gattung sie in romanhaft-volksliterarischer Weise umformen und ent-

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sprechend inhaltlich ausgestalten. Zu nennen sind die Johannes-, die Petrus-, die Paulus-, die Andreas-, die Thomas- sowie jüngere Apostelakten. Unter neutestamentlichen Apokryphen hat man der Definition Schneemelchers zufolge Schriften zu verstehen, „die nicht in den Kanon aufgenommen sind, die aber durch Titel und sonstige Aussagen den Anspruch erheben, den Schriften des Kanons gleichwertig zu sein, und die formgeschichtlich die im NT geschaffenen und übernommenen Stilgattungen weiterbilden und weiterformen, wobei nun allerdings auch fremde Elemente eindringen“ (Hennecke/Schneemelcher I, 6). Diese Definition ist, wie ihr Urheber selbst einräumt, nicht ohne Probleme und nur bedingt geeignet, die verbreitete Unsicherheit im Sprachgebrauch zu beheben. An den Schriften, für deren Verfasser sich seit dem 17. Jahrhundert der Name Apostolische Väter eingebürgert hat, ließe sich dies exemplarisch verdeutlichen. Auch wenn man sie nicht zu den neutestamentlichen Apokryphen rechnet, ist eine Verwandtschaft zu dieser Textgruppe unleugbar, gerade wenn man an die pseudapostolische Literatur denkt. Denn dieser gehört beispielsweise auch der wahrscheinlich aus der Zeit um 100 n.Chr. stammende, der Kirchenordnung gewidmete Traktat der sog. Didache an, der seinem Titel gemäß die Lehre der Zwölf Apostel bzw. die Lehre des Herrn durch die Zwölf Apostel an die Heiden vorzutragen beansprucht. Für die kirchenrechtliche Literatur der Alten Kirche ist der gewöhnlich den Apostolischen Vätern zugerechnete pseudapostolische Text höchst einflussreich geworden. Zu verweisen ist auf die Traditio apostolica des Hippolyt aus dem frühen 3. Jahrhundert, auf die syrische Didaskalie, die wahrscheinlich ebenfalls in die erste Hälfte des 3. Jahrhunderts gehört, sowie auf die jüngere apostolische Kirchenordnung des ausgehenden 3. oder frühen 4. Jahrhunderts, die, wie die Didaskalie, auf einer Apostelversammlung entstanden sein will. Wie immer man sie im Einzelnen klassifizieren mag: Tatsache ist, dass die Entstehung pseudapostolischer Literatur einen entwickelten Begriff apostolischer Autorität zur Voraussetzung hat. „Nur weil es zu der These gekommen war, daß die Apostel die Garanten der wahren und reinen Überlieferung seien, konnte es ... zu pseudapostolischen Schriften kommen. Erst als das ‚Apostolische‘ Maßstab geworden war – gewiß in recht verschiedener Weise – , war es sinnvoll, im Namen von Aposteln Schriftstücke zu verfassen oder in Umlauf zu setzen.“ (Hennecke/Schneemelcher II, 8) Apostolizität gilt nun als dogmatische Norm und als Wesensattribut rechter Kirchlichkeit, wobei personale und sachliche Konnotationen des Begriffs engstens verbunden sind. Apostolisch ist dasjenige, was von den Aposteln herkommt und ihrer Lehre entspricht. Terminologiegeschichtlich fällt auf, dass das Adjektiv „apostolisch“ als Bezeichnung für eine bestimmte Lehre oder die rechte Verfasstheit der Kirche überhaupt erst verhältnismäßig spät und noch nicht im Neuen Testament begegnet, wo von den Aposteln nur als Personen die Rede ist. Diese Beobachtung ist nicht unbedeutsam, insofern sie auf eine, wenn man so will, Verobjektivierungstendenz und auf das Bemühen der Enkelgeneration der Urchristen verweist, den christlichen Ursprung durch autoritative Doktrin und strukturelle Ordnungen zu fixieren und auf Dauer zu stellen.

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Doch wird man die besagte Tendenz zur Fixierung autoritativer Tradition nicht einseitig mit einem pejorativen Begriff der Vergegenständlichung versehen dürfen. Denn erstens ist die Apostolizität der Apostel auch nach kanonischem Zeugnis des Neuen Testaments wesentlich im evangelischen Gehalt ihrer Botschaft, die zu verkündigen sie berufen waren, und nicht in erster Linie in der förmlichen Autorität ihrer Person begründet, sosehr mit einer durch ihre Berufung gegebenen personalen Vollmacht der Apostel zu rechnen ist. Zum Zweiten aber war spätestens für die dritte Generation der Christenheit die Notwendigkeit gegeben, die ursprüngliche Überlieferung des Christusereignisses auch nach dem Tod der Ursprungszeugen und derer, die unmittelbar mit ihnen in Verbindung standen, zu bewahren und fortzuführen. Dass man sich zu diesem Zweck auf das Erbe der Apostel berief, ja dieses Erbe im Namen und unter dem Namen der Apostel aneignete, liegt durchaus in der Logik christlicher Traditionsentwicklung. Es wäre daher nicht nur ungerecht, sondern sachlich unangemessen, die sog. pseudapostolische Literatur bei allen berechtigten Vorbehalten im Einzelnen mit dem von ihrer Bezeichnung her nahegelegten Generalverdikt der Verfälschung zu belegen. Gegen dieses Verdikt spricht u.a. die Tatsache, dass sich pseudapostolische Schriften nicht nur in der außerkanonisch-apokryphen Literatur, sondern auch im neutestamentlichen Kanon befinden, für dessen Entstehungsgeschichte gerade die apostolischen Pseudepigraphen von nicht zu unterschätzender Bedeutung sind. Die sog. Deuteropaulinen bieten dafür einen besonders signifikanten Beleg. Unter Deuteropaulinen versteht man jene Schriften, die dem Präskript nach auf Paulus zurückgehen, tatsächlich aber der Paulusschule angehören, was sich an einer Reihe von Indizien erkennen lässt. Um deuteropaulinisches Schrifttum handelt es sich mit Sicherheit bei den Pastoralbriefen und beim Brief an die Epheser und wohl auch beim 2. Thessalonicherbrief sowie beim Kolosserbrief. Man hat vermutet, der Verfasser der Pastoralbriefe sei selbst einer der „Bischöfe“ gewesen, deren Stellung er durch Vereinheitlichung von Leitung und Lehre zu fördern suchte (vgl. Wilckens, 299). Diese Annahme ist reizvoll und naheliegend. Die anamnetischen Ordinationsbezüge in 1. Tim 1,18, 4,14 sowie 2. Tim 1,6 sprechen für ihre Wahrscheinlichkeit. Die Belegstellen sind im Verein mit 1. Tim 5,22 und 1. Tim 6,13–16 zugleich ein bemerkenswertes Zeugnis für den unter Handauflegung vollzogenen gottesdienstlichen Akt der Einsetzung von Amtsträgern. Dass diese Handlung in den Gemeinden der Pastoralbriefe bereits fest installierte Übung war, zeigt die Selbstverständlichkeit, mit der sie in den Briefen an Timotheus und Titus vorausgesetzt wird. Durch ihren Vollzug wird nach Maßgabe der Pastoralbriefe das Amt der Kirchenleitung und der Lehre verliehen sowie das hierzu nötige Amtscharisma unter Gebet und Handauflegung vollmächtig zugesagt. Wer die Handauflegung vornimmt, muss in Anbetracht der nicht auszugleichenden Spannung zwischen 1. Tim 4,14 und 2. Tim 1,6 offenbleiben. Klar aber ist, dass die Ordination den Ordinanden, indem sie ihn mit der amtlichen VollFixierung autoritativer Tradition

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macht ausstattet, die Gemeinde zu leiten und zu lehren, der Norm der apostolischen paratheke unterstellt. Zwar ist der Amtsträger als episkopaler Lehrer und Leiter seiner Gemeinde Stellvertreter des Apostels, an dessen statt er agiert; die Theorie und Praxis der sog. apostolischen Sukzession im Bischofsamt, das freilich zur damaligen Zeit noch kein regionales, sondern ein lokales, der konkret versammelten Gottesdienstgemeinde zugeordnetes Amt war, kann man daher in den Pastoralbriefen ansatzweise enthalten finden. Doch ist der episkopale Amtsnachfolger des Apostels durch seine Ordination dazu bestimmt, seinen Dienst der Leitung und der Lehre, der ihm um der Einheit der christlichen Wahrheit und der Einigkeit der Gemeinden willen aufgetragen ist, in normativer Bindung an die apostolische Tradition auszuüben, die ihm vorgegeben ist und deren Gehalt nicht zu seiner Gestaltungsdisposition steht. Die Vollmacht des Bischofs ist also nicht formalautoritativer Art und nicht in einer durch die Ordination bewirkten spezifischen Verfasstheit seiner Person, sondern in der „Sache“ begründet, der zu dienen er als Amtsperson berufen ist. Mit der Frage des Verhältnisses von sachlichem Gehalt und persönlicher Gestalt des bischöflichen Dienstes in apostolischer Nachfolge ist nicht nur ein zentrales Thema gegenwärtigen ökumenischen Dialogs, sondern zugleich ein entscheidendes Problem der Exegese und systematischen Wertung der Pastoralbriefe angesprochen. Denn so offenkundig in diesen ein dezidierter Paulinismus propagiert und vertreten wird, so evident und unleugbar ist doch zugleich, dass die Schreiben an Timotheus und Titus theologisch nicht unerheblich vom originären Kerygma des Paulus abweichen. Glaubensverständnis, Lehre vom Gesetz und Rechtfertigungsevangelium sowie Ekklesiologie entsprechen nur sehr bedingt den paulinischen Vorgaben, die mit dem Begriff der paratheke auf eine Weise umschrieben sind, die ihnen allenfalls eingeschränkt gemäß ist. Auch das Paulusbild, das die Pastoralbriefe zeichnen, lässt sich mit dem Bild, das den paulinischen Selbstzeugnissen zu entnehmen ist, kaum zur Deckung bringen. Zwar steht das apostolische Selbstbewusstsein des Paulus außer Zweifel, doch dass er seinen Apostolat in faktischer Exklusivität wahrnahm und jeden Bezug zu anderen Aposteln neben ihm vermissen ließ, wie dies nach den Pastoralbriefen den Anschein hat, wird man kaum sagen können. Auch lässt sich nicht behaupten, dass Paulus seine Verkündigung unmittelbar mit dem göttlichen Wort der Offenbarung identifiziert hat, wie dies etwa durch Tit 1,3 nahegelegt wird. Die paulinische Botschaft und Lehre verstehen sich als Zeugnis der Offenbarung Gottes im auferstandenen Gekreuzigten, der nur als der sich selbst Bezeugende recht bezeugt wird. Dies kommt in der formelhaften Christologie der Pastoralbriefe kaum zur Geltung. Trotz dieser Vorbehalte wäre es unbillig, die Pastoralbriefe einseitig zu kritisieren und ihre konstruktive Relevanz in der konkreten Situation ihrer Entstehungszeit sowie für den weiteren Verlauf der Kirchengeschichte gering zu achten. Historisch ist ihre Wirkung ohnehin kaum zu überschätzen. Vor allem in amtstheologischkirchenverfassungstheoretischer Hinsicht haben sie jene Entwicklung vorbereitet, deren Folgestufen in den Briefen Polykarps von Smyrna und in den Ignatianen zu

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erkennen sind und die mit der Ausbildung des dreigegliederten Amts der Diakone, Presbyter und Episkopen sowie des Instituts der apostolischen Amtssukzession eine organisatorische Grundstruktur der Alten Kirche schuf. So wenig sich diese Entwicklung als frühkatholisch, was immer dies heißen mag, abqualifizieren lässt, so wenig Grund besteht dazu, die Pastoralbriefe als epigonenhaft zu beurteilen. Sachgerechter ist es, sie an ihrem eigenen Anspruch zu messen, für ihre Zeit den genuinen Paulinismus authentisch zu repräsentieren. Hier ergeben sich Fragen, die zu Gegenlesungen und zu einem Prüfungsprozess Anlass geben, der auch durch Hinweise auf kirchliche Amtsautorität nicht zu unterbinden ist, weil er ein kanonisch verbürgtes Recht hat. Das kirchliche Amt in der Nachfolge der Apostel ist in allen seinen Gestalten dem Gehalt des aposGehalt und Gestalt tolischen Evangeliums verpflichtet. Gerade unter paulinischen Bedingungen kann es an diesem Grundsatz keinen Zweifel geben. Die apostolische Amtsgestalt ist eine Funktion des apostolischen Evangeliums. Das kirchliche Amt in der Nachfolge der Apostel kann daher nur ein Element der Apostolizität der Kirche sein, das mit anderen Bezeugungsinstanzen untrennbar verbunden ist und keine Monopolstellung sowie keine Exklusivkompetenz beanspruchen darf, die evangelische Wahrheit zu gewährleisten. Der Geltungsanspruch dieses Prinzips wird in historischer Hinsicht durch die strukturelle Komplexität unterstrichen, welche die Thematik von Apostolizität und Apostolat gerade in den Anfangsphasen des Christentums kennzeichnet, in denen der Normbegriff des Apostolischen sich ausbildete. Der allgemeine Sprachgebrauch in der Profangräzität, in welcher der Apostelbegriff in unterschiedlichen Bedeutungen begegnet, gibt wenig Aufschluss über den Sinn seiner christlichen Verwendung. Auch der Hinweis auf das jüdische schaliachInstitut als ein mögliches Vorbild des neutestamentlichen Apostolats hilft nur bedingt weiter. Fest steht, dass Apostelbegriff und Apostelinstitut nachösterlicher Herkunft sind und nicht bereits der Historie Jesu zugehören. Dass dieser zu seinen irdischen Lebzeiten einen Kreis von Jüngern um sich geschart hat, ist unstrittig. Als Apostel indes hat Jesus seine Jünger aller Wahrscheinlichkeit nach nicht bezeichnet. Auch wenn man die Auswahl der „Zwölf“ nicht erst zu einer Erscheinung der nachösterlichen Gemeinde erklärt, sondern, wofür die Wahrscheinlichkeit spricht, auf eine Berufung durch den historischen Jesus zurückführt, ist deren Identifikation mit Aposteln sicher erst nach Ostern erfolgt. Dem dritten Evangelisten und Verfasser der Apostelgeschichte kommt diesbezüglich besondere wirkungsgeschichtliche Bedeutung zu, wenngleich er nicht der Erfinder der Konzeption „Zwölf Apostel“ war, da diese schon in der Logienquelle begegnet (vgl. Mt 19,28; Lk 22,28–30). In der Folgezeit ist es feste Tradition geworden, den Apostelbegriff mit dem Kreis der zwölf Jünger Jesu zu identifizieren, deren Namenslisten Mt 10,2ff.; Mk 3,16ff.; Lk 6,13ff. und Apg 1,13 nicht vollständig übereinstimmend aufgeführt sind. Leben die Zwölf in der christlichen Überlieferung als Urapostel beständig fort, so verschwindet ihr Kreis als historisch fixierbare Größe relativ bald

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aus der urchristlichen Geschichte, womit selbstverständlich nicht in Abrede gestellt ist, dass einzelne der Zwölf, wie etwa Petrus, nach wie vor eine höchst einflussreiche Stellung innerhalb der Urchristenheit als missionarische Zeugen des auferstandenen Gekreuzigten innehatten. In den hellenistischen Gemeinden hatte sich der Begriff des Apostels als eines missionarischen Sendboten bereits ausgebildet, bevor Paulus seine apostolische Mission begann. Auch wenn mit einem charismatischen Wanderapostolat zu rechnen ist, dürfte die Sendung durch eine spezifische Gemeinde die Regel gewesen sein. Apostel als missionarische Gemeindeboten begegnen in nicht geringer Zahl bereits vor und dann auch neben Paulus. Auch die paulinische Sendung gehört in diesen Zusammenhang. Doch gewann sie ihr unvergleichliches Profil dadurch, dass Paulus seinen Apostolat in einer Christophanie und in einer eigens ihm zuteil gewordenen Berufung durch den Auferstandenen zu universaler Weltmission begründet wusste. In den mannigfachen Auseinandersetzungen mit seinen Kritikern und Gegnern hat Paulus sein apostolisches Selbstverständnis immer schärfer und deutlicher ausgebildet, so dass er in allem Streit für seine Gemeinden zum Inbegriff des Apostels wurde. Als solcher ist er im Gedächtnis der Christenheit unbeschadet der traditionellen Identifikation des Apostelbegriffs mit den Zwölfen bis heute präsent. Zusammen mit Lukas hat Paulus dem Apostelbegriff der kirchlichen Tradition eine charakteristische Kontur gegeben (vgl. Frey, 182). So differenziert und im Einzelnen unterschiedlich, ja widersprüchlich der Apostelbegriff im Neuen Testament verwendet wird und so schwierig das Problem der Entstehung und des Wesens des urchristlichen Apostolats zu lösen ist, außer Zweifel steht, dass die Apostel ab einem gewissen Zeitpunkt der frühchristlichen Entwicklung als genuine Vertreter authentischer Lehre und prototypische Repräsentanten des Amtes kirchlicher Leitung betrachtet wurden, wobei ihre Identifikation mit den Zwölfen samt Paulus als bereits feste Tradition vorausgesetzt wird. Als vollmächtige Urzeugen des Evangeliums Jesu Christi mit kirchengründender Mission nahmen die Apostel nach allgemeinchristlichem Urteil eine singuläre und einzigartige Stellung ein, und zwar sowohl was die Autorität ihrer Person als auch was den Gehalt ihrer Botschaft angeht. Trotz seiner Singularität und Einzigartigkeit war der Apostolat der Apostel nach frühchristlicher Auffassung in inhaltlicher und personaler Hinsicht in bestimmter Weise auf Fortsetzung hin angelegt, damit die Apostolizität der Kirche über die Grenzen der Zeiten und Räume hinweg erhalten bleibe. Um diese Nachfolge ordnungsgemäß zu gestalten, bedurfte es bestimmter Regelungen. Institutionelle Ansätze, die personale Nachfolge der Apostel förmlich zu regeln, zeichnen sich Apostelnachfolge bereits innerhalb der neutestamentlichen Schriften ab, deren Kanonisierung wesentlich von dem Motiv bestimmt ist, den normativen Gehalt der apostolischen Botschaft dauerhaft zu sichern. Die Pastoralbriefe, von denen bereits ausführlich die Rede war, geben dafür ein signifikantes Beispiel. Sie sind nicht nur für die kanonische Sammlung des Corpus Paulinum von erheb-

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licher Wichtigkeit, sondern bezeugen zugleich einen Ritus amtlicher Ordination durch Handauflegung, wobei das Amt, in welches eingesetzt wird, in deutlicher Beziehung zur Paulusnachfolge steht. Um welche institutionelle Form von Amt es sich dabei genau handelt, ist schwierig zu sagen. Erkennen lässt sich lediglich eine von den Pastoralbriefen unterstützte Tendenz zur Vereinheitlichung von Leitungsund Lehrautorität im Amt eines Episkopen, der gleich einem Hausvorstand der Gemeinde präsidiert. Primäraufgabe des Episkopen ist es, das Erbe des Apostels, an dessen Gehalt er persönlich gebunden ist, in Leitung und Lehre zu wahren und authentisch zu überliefern, damit die Gemeinde in der Einheit und in der Wahrheit des apostolischen Zeugnisses verbleibe. Zum Sachwalter des apostolischen Erbes im Dienst der Gemeinde ist der Amtsträger nach Maßgabe der Pastoralbriefe durch Handauflegung bestellt. Erste Ansätze einer Ordinationstheologie zeichnen sich ab. Doch erscheint die Form der Ordination ebenso wie diejenige des Amtes, in das ordiniert wird, als institutionell noch nicht in jeder Hinsicht festgelegt. Dies gilt einerseits für die rituellen Elemente neben der Handauflegung, deren zentrale Bedeutung offenkundig ist, andererseits für die ausführenden Organe der Ordinationshandlung. Während nach 2. Tim 1,6 Paulus selbst dem Timotheus die Hände auflegt, geschieht die Handauflegung in 1. Tim 4,14 durch einen Rat von Ältesten. Es bleibt eine offene Frage, wie beide Versionen zu vereinbaren sind. Wie in der Amtsthematik insgesamt wird sich auch in der Theorie und Praxis ordentlicher Amtseinsetzung institutionell und liturgisch vieles über längere Zeit im Fluss befunden haben, um erst allmählich festere Gestalt anzunehmen. Einschlägige Aussagen in der Apostelgeschichte, die sich z.T. deutlich von denjenigen der Pastoralbriefe unterscheiden, bestätigen dies. Obgleich sich in den neutestamentlichen Schriften bereits erkennbare Tendenzen zum Aufbau kirchlicher Strukturen mit amtlich geordneten Lehr- und Leitungsinstitutionen abzeichnen, die auf der Basis eines durch Handauflegung vermittelten Amtscharismas im Dienste der Gemeinde spezifische Sorge für deren Einheit und Verbleib in der apostolischen Wahrheit zu tragen haben: das förmliche Theorem apostolischer Amtssukzession im Allgemeinen sowie einer apostolischen Sukzession im Bischofsamt im Besonderen kann historisch weder auf den irdischen Jesus, noch auf die Apostel, was immer jeweils unter ihnen zu verstehen ist, noch auf eine in der Urchristenheit bereits flächendeckend geübte Praxis zurückgeführt werden. Es ist ein dogmatisches Reflexionsprodukt späterer Zeiten mit nur ansatzweise oder bedingt gegebenem Anhalt an den geschichtlichen Verhältnissen, wie die kanonischen Zeugnisse des Neuen Testaments sie reflektieren. Diese Feststellung ist kein Argument gegen einen prinzipiellen Geltungsanspruch dieses Theorems. Sie enthält aber die vom Gehalt des Kanons legitimierte Forderung in sich, von ihm keinen selbstverständlichen, sondern einen argumentativ ausgewiesenen und im Übrigen ökumenisch verständigungsorientierten Gebrauch zu machen. Diese Forderung wird durch die Tatsache unterstrichen, dass von einheitlichen Verfassungs- und Amtsstrukturen der Kirche in der Perspektive neutestamentlicher Exegese nur mit großen Vorbehalten die Rede sein kann.

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In der Phase frühchristlicher Entwicklung, die sich in den Schriften des Neuen Testaments bzw. in den in sie eingegangenen Traditionen widerspiegelt, bestanden verschiedene ekklesiale Strukturen und Ämterformen nebeneinander. Zwar kam es zu wechselseitigen Einwirkungen, doch ohne umgehende Folge einer durchgreifenden Vereinheitlichung. Die Lage blieb lange Zeit in hohem Maße komplex. Erst allmählich hat sich eine einheitliche Kirchenverfassung mit vergleichsweise fester Ämterordnung ausgebildet. Doch bleiben, was den genauen Verlauf ihrer Genese betrifft, viele Fragen offen. Namentlich in Bezug auf das Aufkommen einer dreigliedrigen Ordnungsstruktur der kirchlichen Amtes herrscht in der Forschung bis heute kein Konsens. Abgesehen davon, dass für einen längeren Zeitraum mit Formen eines charakteristisch begründeten Wanderpredigertums zu rechnen ist, das institutionell schwer fixiert werden kann, bleibt auch die amtliche Verfassung der örtlichen gebundenen Gemeinden vielfach unklar. Nach einer älteren Forschungsmeinung wurden die traditionellen judenchristlichen Gemeinden nach dem Vorbild jüdischer Ältestenordnung von mehreren Presbytern geleitet, wohingegen in den für Heidenchristen offenen paulinischen Gemeinden eine zweigliedrige Ordnung von Diakonat und Episkopat üblich war, wobei den Diakonen ein eher sozial ausgerichteter Dienst, den Episkopen die Zuständigkeit organisatorischer Gesamtleitung vorbehalten blieb. Im Zuge struktureller und dann auch terminologischer Angleichungen beider Traditionsstränge sei es zur allmählichen Ausbildung des dreigegliederten Amtes von Diakonat, Presbyterat und Episkopat gekommen. Dieser Auffassung ist inzwischen häufig widersprochen worden, u.a. mit dem Hinweis, der Brauch, geachtete Älteste und andere Autoritätspersonen mit Leitungsfunktionen zu betrauen, sei in der hellenistischen Gesellschaft auch dort verbreitet gewesen, wo sie nicht unter dem Einfluss des Judentums stand. Ein neuerer Versuch, die Vielschichtigkeit der neutestamentlichen Amtsterminologie anhand struktureller Entwicklungen zu erklären, rechnet in einer ersten Entwicklungsphase mit Hausgemeinden, die vom Hausherrn als ihrem Episkopen geleitet wurden. Da das aus Gründen christlicher Gemeinschaft gebildete Kollegium der Episkopen, die den einzelnen Hausgemeinden vorstanden, Presbyterium genannt worden sei, habe sich in einer zweiten Phase der Entwicklung der Titel des Presbyters mit demjenigen des Episkopen verbinden können, woraus sich die Austauschbarkeit der Begriffe und der Wechsel zwischen Singular- und Pluralformen ihrer Verwendung erkläre. In einer dritten Phase sei sodann ein einzelner Presbyterepiskope als Leiter einer ortskirchlichen Gemeinschaft von Hauskirchen in Erscheinung getreten, ohne dass deshalb das Presbyterium der übrigen Hausgemeindeleiter überflüssig geworden wäre. Als schließlich in einer weiteren Phase der Episkopentitel auf Träger eines übergemeindlichen Amtes übergegangen war, stand der skizzierten Auffassung zufolge der Presbyterbegriff zur Verfügung, die Leiter der Ortsgemeinde zu bezeichnen, denen Diakone mit ihrem spezifischen Dienst zur Seite standen. Die unterschiedlichen Versuche, die Genese der dreigliedrigen Ordnung des kirchlichen Amtes in der frühen Christenheit zu rekonstruieren, bleiben mit vielen

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Hypothesen belastet. Die Aussicht, die Mehrdeutigkeiten der Textbefunde mit definitivem Erfolg zu beheben, ist beschränkt und das umso mehr, als die historische Wahrscheinlichkeit gegen einlinige, monokausal fassbare Entwicklungstrends spricht. Insgesamt dürfte sich die Verfassung und Ämterordnung der frühen Christenheit ungleich komplexer, aber auch flexibler gestaltet haben, als es einer von dogmatischen Interessen geleiteten Retrospektive erscheinen will. Im weiteren Verlauf der Kirchengeschichte geben sich dann zwar festere Formen der Kirchenverfassung und der Ordnung der kirchlichen Ämter zu erkennen. Doch lässt sich am Verhältnis von Presbyterat und Episkopat bzw. an den Bestimmungen dieses Verhältnisses in der kirchlichen Traditionsgeschichte beispielhaft zeigen, dass geschichtlich mit erheblichen Wandlungen zu rechnen ist und eine definitive Klärung bis heute auch binnenkonfessionell aussteht. Resümierend lässt sich Folgendes sagen: Es ist erhebliche geschichtliche Differenzierung nötig, wenn von Aposteln und apostolischer Nachfolge angemessen gehandelt werden soll. Eine systematisch überzeugende Urteilsbildung ist ohne historische Kenntnisse nicht möglich. Sie machen bewusst, dass der neutestamentliche Apostolizitätsbegriff keineswegs von Anfang an fest definiert, sondern für flexible geschichtliche Ausgestaltung offen war. Hinzu kommt die Einsicht, dass die kanonischen Schriften des Neuen Testaments im Hinblick auf amtliche Ordnungen und kirchliche Verfassungsstrukturen kein einheitliches Bild ergeben, sondern eine Phase widerspiegeln, in der sich verschiedene ekklesiale Formen ausbildeten, die teilweise nebeneinander bestanden, teilweise aufeinander einwirkten, ohne doch Uniformität zu erzeugen. Die frühchristliche Ordnung der Dienste und Ämter ist komplex und noch weniger als der Apostelbegriff einheitlich zu fassen. Strittig ist in der Forschung nicht nur, wie man das Verhältnis von Presbyteral- und Episkopalverfassung, die Umformung des Presbyteramtes und die geschichtliche Ausbildung einer dreigliedrigen Ämterordnung von Diakonat, Presbyterat und Episkopat zu beurteilen hat, kontrovers verhandelt wird auch die Frage der Funktion und Relevanz, die dem Ritus der Handauflegung im Zusammenhang kirchenamtlicher Autorisierung zukommt. Neutestamentliche Einigkeit indes besteht bei allen Unterschieden kirchlicher Gestaltungsversuche in Bezug auf die Voraussetzung, die ihnen zu Grunde liegt, dass nämlich das ganze Volk Gottes zum Dienst der Verkündigung des apostolischen Evangeliums durch Wort und Tat berufen ist. Ohne die besondere Verantwortung und Vollmacht von Personen mit spezifischer Berufung in Abrede zu stellen, setzt das Neue Testament in allen seinen Schriften voraus, dass je auf ihre Weise alle Christen am Apostolat der Kirche teilhaben. Was hinwiederum den apostolischen Charakter der Kirche angeht, so ist er nach neutestamentlichem Zeugnis im Wesentlichen inhaltlich bestimmt und begründet. Es ist der Gehalt des apostolischen Evangeliums, der die kirchliche Apostolizität ausmacht. An ihm hat sich die persönliche Autorität jedes Christen einschließlich derjenigen der Amtsträger zu bemessen. Der antiochenische Zwischenfall, anlässlich dessen Paulus dem Petrus Ämterordnungen

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mit schneidender Schärfe entgegentritt (Gal 2,11–21), belegt, dass kein Apostel über sachliche Kritik im Sinne des Evangeliums erhaben ist. Die Vollmacht des kirchlichen Amtes kann nie auf bloß formalautoritative Weise begründet werden; sie ist an die Autorität des Evangeliums gebunden, das in der Hl. Schrift kanonisch beurkundet ist. Daran ändert die Tatsache nichts, dass sich in der Alten Kirche bereits vor definitiver Ausbildung des Kanons eine Tendenz abzeichnete, zum Kriterium der Rechtmäßigkeit der Evangeliumsverkündigung die Übereinstimmung mit der Lehre von Bischöfen zu erklären, deren Amt sich in geordneter Folge von den Aposteln bzw. von denen herleitete, die ein Apostel zur Nachfolge im apostolischen Dienst beauftragt hat. Als Beispiele für diese fortschreitende Tendenz lassen sich der 1. Klemensbrief, das Schreiben Polykarps von Smyrna an die Kirche von Philippi sowie Aussagen von Hegesipp und Irenäus anführen. Nach deren Auffassung hat man sicheren Zugang zu Gottes Wort in den von Bischöfen geleiteten Kirchen, deren Amt in kontinuierlichem Zusammenhang mit den Aposteln und ihren beauftragten Nachfolgern steht. Die Theorie und Praxis der sog. apostolischen Sukzession im Bischofsamt gehört in diesen Zusammenhang, wobei dahingestellt bleiben kann, welche Gestalt der episkopale Dienst in der Alten Kirche jeweils hatte und wie sich das Episkopenamt insbesondere zum Presbyteramt verhielt. Eine spezifische Rolle bei der normativen Klärung des Inhalts des wahren und rechten Glaubens an Christus kam schon in der Väterzeit jenen Kirchen zu, die man als Apostelgründungen, als sedes apostolicae betrachtete. Besondere Bedeutung gewann im Zuge dieser Entwicklung die Frage, ob jemand in Gemeinschaft mit der Kirche von Rom und ihrer Lehre steht. Die normative Funktion der römischen Kirche und ihres Bischofs wurde auf vielerlei Weise begründet, wobei den petrinischen Bezügen entscheidende Relevanz zukam. Doch lässt sich im Durchgang durch die Jahrhunderte zeigen, dass die Verbindlichkeit der Wahrheit Christi auch in diesem Falle kaum je auf lediglich formalautoritative Weise zu begründen war. Die Autorität des kirchlichen Amtes ist in jeder seiner Gestalten an den Gehalt des Evangeliums gebunden, der nicht in ihrem Belieben steht. Die Möglichkeit, den Gehalt des Evangeliums notfalls gegen die Gestalt kirchlicher Autorität geltend zu machen, in welcher Form auch immer sie sich darbietet, bleibt sowohl unter altkirchlichen als auch unter mittelalterlichen Verhältnissen weitgehend erhalten. Summa summarum: Wer als ein Apostel zu gelten hat, lässt sich historisch nicht ohne Schwierigkeiten sagen. Zu uneindeutig ist der Apostelbegriff gerade im sog. apostolischen Zeitalter der Christenheit; erst in spät- bzw. nachapostolischer Zeit erhielt er seine kirchengeschichtlich wirksamen scharfen Konturen. Dogmatisch spricht vieles dafür, den Apostelbegriff kriteriologisch mit den Bestimmungsmomenten der Osterzeugenschaft und einer spezifischen Sendung zu umfassender Evangeliumsverkündigung zu versehen, wobei Osterzeugenschaft Kenntnis vom irdischen Jesus insoweit voraussetzt, als diese zur Wahrnehmung der Identität des Auferstandenen mit dem Gekreuzigten unentbehrlich ist. Dabei ist für die Apostel

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wie für alle Zeugen Jesu Christi die österliche Gewissheit fundamental, dass der auferstandene Gekreuzigte in der Kraft des göttlichen Geistes selbst und von sich aus zu überzeugen vermag. Der Zeuge wird sich also vom Bezeugten bewusst unterscheiden und jeder Gleichsetzung des Gehalts seiner Botschaft mit seiner persönlichen Gestalt widerstehen. Die Botschafter des Evangeliums und namentChristentum im Kontext lich die Apostel sowie jene, denen das Dienstamt kirchlicher Einheit durch öffentliche Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung in apostolischer Nachfolge übertragen ist, sind ekklesiologisch unverzichtbar; aber sie sind dies deshalb und nur insoweit, als die Autoritätsgestalt ihres Amtes dem Gehalt des Evangeliums entspricht. Auf den Gehalt der christlichen Botschaft, wie er sich in der altkirchlichen Lehrentwicklung reflexiv expliziert, wird in den Folgeabschnitten daher das Hauptaugenmerk gerichtet werden und zwar unter besonderer Berücksichtigung des Neuen Testaments als der kanonischen Urkunde des christlichen Glaubens sowie des altkirchlichen Dogmas, in welchem das Bekenntnis des Glaubens lehrhaften Ausdruck gefunden hat. Zuvor jedoch sind die weiteren und engeren Kontexte ins Auge zu fassen, welche die Geschichte des frühen Christentums und der Alten Kirche prägend mitbestimmten. Weltgeschichtliche Horizonte hat dem werdenden Christentum der Hellenismus eröffnet, der spätestens seit Alexanders Zeiten zu einer kulturellen Großmacht geworden war. Auch das jüdische Umfeld im engeren Sinn, aus dem das Christentum hervorging, war vielfach hellenistisch beeinflusst, ohne doch in der Regel die spezifischen Konturen einer eigenen, klar abgrenzbaren Religionskultur zu verlieren. In der Auseinandersetzung mit ihr hat sich das frühe Christentum vor allem profiliert. Dass das frühe Christentum seine spezifische Prägung im Kontext des Judentums erhielt, hat die neuere Forschung überzeugend herausgestellt, nachdem die Akzente im Anschluss an Bultmann lange anders gesetzt worden waren. Nach Bultmanns Urteil nimmt das Christentum feste Konturen und eine vom Judentum erkennbar unterschiedene Identität erst unter dem Einfluss eines paganen Hellenismus an. Die eschatologische Erwartung des kommenden Messias-Menschensohns Jesus sei in einen Kyrioskult transformiert worden, der von nun an im Zentrum christlichen Gottesdienstes gestanden habe. Hätten die Versammlungen und Feiern der frühchristlichen Gemeinden ursprünglich keinen kultischen Charakter gehabt, so würden nun unter dem Einfluss antiker Mysterienreligionen Taufe und Herrenmahl sakramentalisiert und zu Vorstellungen real wirksamer Repräsentation Jesu Christi umgestaltet, der zu einer kultisch verehrten und im Kultus gegenwärtigen Gestalt werde. Die Gemeinde erkenne in ihm nicht länger nur den zukünftig wiederkehrenden eschatologischen Retter, sondern sei seiner Realpräsenz als Kultheros gewiss. Dass in den hellenistischen Gemeinden seiner exegetischen Auffassung zufolge an die Stelle der aussterbenden Titel Menschensohn und Christus im Sinne von messianischem König die christologischen Hoheitstitel kyrios und Gottessohn treten, wertet Bultmann als einen Beleg für diese An-

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nahme. Theologisch konnten sich nach seinem Urteil mit der – hellenistischer Anschauung vertrauten – Gestalt des Gottessohnes unterschiedliche Vorstellungen wie die vom theios aner, des Präexistenten bis hin zum Schöpfungsmittler verbinden. In der Folge seiner Ausbildung des Kyrios- und Gottessohn-Kultes wurde das hellenistische Christentum nach Bultmann fortschreitend in einen Prozess involviert, in dem sich neben sonstigen religionsgeschichtlichen auch gnostische Einflüsse geltend machten. Motive der Gnosis ließen sich insbesondere in soteriologischer Hinsicht identifizieren. Vor allem der Mythos von Abstieg und Wiederaufstieg des Erlösers sei vom hellenistischen Christentum zur Interpretation des christologischen Heilsgeschehens herangezogen worden. Anhand eines hellenistischen, vom palästinischen klar abgehobenen Frühchristentums vor und neben Paulus sollte dies im Einzelnen belegt werden. Trotz des nahezu vollständigen Fehlens direkter Zeugnisse meinte Bultmann ein präzises Bild dieses Stadiums früher Christentumsgeschichte zeichnen zu können. Er tat dies in (schöpfungs-) theologischer, christologisch-soteriologischer, pneumatologischer, ekklesiologisch-sakramententheologischer und ethischer Hinsicht sowie unter einer Reihe von anderen Gesichtspunkten, etwa in Bezug auf das Verhältnis zum Judentum und zum Alten Testament. Die jüngere Forschung steht nicht nur Bultmanns weitreichenden Versuchen, Theologie und Kerygma der sog. hellenistischen Gemeinden vor und neben Paulus zu rekonstruieren, sondern auch seiner Kontrastierung zweier grundlegend unterschiedener Sorten frühchristlicher Theologie mit Skepsis bzw. Ablehnung gegenüber. Das gesamte frühe Christentum ist keine synkretistische Religion, die jüdische und pagane Anteile in sich verbindet, sondern ganz aus dem Judentum heraus entstanden, das freilich seit langem schon für hellenistische Einflüsse offen war und zwar nicht nur in der Diaspora, sondern auch in Palästina. In ihrer überwiegenden Mehrzahl waren die frühen Christen Judenchristen oder dem Judentum sehr nahe stehend. Nichtjüdisch-pagane Einflüsse hingegen sind geraume Zeit eher selten. Daran änderte sich auch im Zeichen fortschreitender Mission zunächst nur wenig, als das frühe Christentum über Palästina hinaus nach Ägypten und Syrien und dann nach Kleinasien, Griechenland und Italien vordrang. Neben Antiochien blieb Jerusalem bis über die Mitte der 60er Jahre des 1. Jahrhunderts n.Chr. hinaus das Zentrum der christlichen Bewegung. Aber auch nach dem jüdischen Krieg 66–73 n.Chr., der die Zerstörung des Jerusalemer Tempels und Abwanderungen großer Teile der ansässigen Urchristenheit mit sich brachte, blieb die neue Bewegung wesentlich judenchristlich geprägt. Die weltgeschichtlichen Horizonte, die nachfolgender Abschnitt erschließen soll, sind daher anschließend sogleich auf das Judentum zu perspektivieren, weil der engere Kontext des frühen Christentums entscheidend durch dieses bestimmt war. Das Christentum ist aus dem Geist des Judentums geboren. Dass umgekehrt auch die Rede von einer „Geburt des Judentums aus dem Geist des Christentums“ (vgl. P. Schäfer) einen Sinn ergibt, wird zu zeigen sein. Die Hypothese lautet, dass die Formierung des

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frühen Christentums und die Genese des rabbinischen Judentums in einem wechselseitigen Bedingungsverhältnis zueinander stehen. Dem problematischen Verhältnis von Monotheismus und Offenbarung, Bekenntnis zur göttlichen Einheit und entstehender christlicher Trinitätslehre (vgl. Leuze, 19ff.) wird dabei neben der Kanonfrage besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden sein.

4. Weltgeschichtliche Horizonte

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Die Sonderstellung des Danielbuches im biblischen Kanon ist häufig vermerkt worden (vgl. Alexander der Große Delgado/Koch/Marsch [Hg.], 11ff.). Wie immer man seine ursprüngliche Konzeption und das Verhältnis seiner beiden ungleichen Teile (1–6; 7–12) zueinander beurteilen mag: durch seine Rezeption hat das Danielbuch mit der Vorstellung einer Sukzession von vier Großmächten als dem Gliederungsprinzip der Weltgeschichte universalhistorische Horizonte erschlossen, welche die Beschränkung der theologischen Perspektive auf ein einziges erwähltes Volk transzendieren. Für die makkabäerzeitlichen Verfasser ist der Verlauf der Weltgeschichte, deren vom göttlichen Schöpfer gestalteter Sinn und Zweck dem

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irdischen Menschen ein verborgenes Geheimnis bleibt, bis dieses sich eschatologisch offenbart, durch die Abfolge der Weltreiche von Babylonien, Medien, Persien und den hellenistischen Monarchien Alexanders des Großen und seiner Diadochen bestimmt. Der Rombezug stellte sich erst später ein, entsprach aber interner Logik, sofern die römische Herrschaft als Fortsetzung des Alexanderreiches wahrgenommen wurde. Obzwar die danielische Sukzession der vier Großmächteepochen die Weltgeschichte als einen Vorgang fortschreitender Depravation und politischer Entartung zu verstehen gibt oder doch zumindest für die letzte Entwicklungsstufe einen erschreckenden Schritt zum Schlechten hin aufweist, wird man bei distanzierter Betrachtung nicht leugnen können, dass erst in hellenistisch-römischer Zeit die altorientalische Geschichte jene Wendung nahm, die Judentum und Christentum in ihre weltgeschichtliche Bedeutung einrücken ließ. Die hellenistische Welt hob das hellenische Erbe in sich auf und ließ die Tradition der Griechen weit über Hellas hinaus wirksam werden. Namentlich das griechische Denken erwies sich als in hohem Maße wirkmächtig und war auch in religionsgeschichtlicher Hinsicht epochal. Die klassische Philosophie der Griechen verhielt sich gegenüber Religion, Kult und Mythos zwar in der Regel keineswegs ablehnend; aber die philosophische Theologie, wie Platon, Aristoteles und andere sie ausprägten, war ebenso wenig auf bloße Affirmation mythischer Vorgaben angelegt, sondern unterwarf diese der Prüfung an rationalen Standards, die ihnen ihre fraglose Geltung entzog. Entsprechendes trifft für die hergebrachte Kultreligion zu, deren Formen zwar äußerlich beibehalten, innerlich aber ausgehöhlt bzw. mit neuem Sinn versehen wurden. Es gehört zu den Großereignissen der Weltgeschichte, dass das frühe Christentum sich für den im griechischen Denken wirksamen Geist als aufgeschlossen erwies und den philosophischen Gottesbegriff in seine Theologie integrierte. Dass dies nicht unkritisch geschah, lässt sich in vieler Hinsicht und insbesondere unter dem Gesichtspunkt göttlicher Gerechtigkeit und menschlicher Schuldverhaftung zeigen, der zwar auch in der philosophischen Theologie der Griechen nicht fehlt, aber im Christentum ungleich zentraler ist als in dieser. Es bestätigt sich ein weiteres Mal die Nähe zur jüdischen Überlieferung, der das frühe Christentum viel enger verbunden war als allen anderen Traditionen der hellenistischen Welt. Die Hellenisierung des östlichen Mittelmeerraumes nimmt ihren Anfang bereits vor Alexander dem Großen (356–323 v.Chr.); doch waren es dessen Eroberungszüge, durch welche der Hellenismus zu einer weltgeschichtlichen Erscheinung wurde. Im Mai oder Juni des Jahres 336 v.Chr. in der Nachfolge seines ermordeten Vaters Philipp II. zum König der Makedonen erhoben, konsolidierte Alexander rasch seine anfangs durchaus fragile Herrschaft, vollendete die Eroberung Thrakiens und überquerte, nachdem er den hellenischen Bund befestigt und das abtrünnige Theben brutal abgestraft hatte, bereits ein Jahr nach seiner Thronerhebung den Hellespont, um die griechischen Städte der ionischen Küste zu befreien und Krieg gegen die Perser zu führen. Die persische Kleinasienarmee schlug er 334 v.Chr., den ersten legendären Sieg gegen König Darius III. errang er im Spätherbst

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des Jahres 333 v.Chr. bei Issos an der Grenze von Kleinasien zu Syrien. Den Gordischen Knoten hatte er bereits vorher auf seine Weise gelöst. Auf dem Weitermarsch nach Ägypten wurde Alexander nur durch die langwierige Belagerung von Tyrus aufgehalten, wohingegen Syrien, Phönizien, Samarien, Jerusalem und Judäa fast kampflos besetzt werden konnten. Im Frühherbst 332 fiel Alexander nach Abebben des Nilhochwassers in Ägypten ein, wo er von der Bevölkerung, die der persischen Oberhoheit überdrüssig war, freudig empfangen wurde. Er begab sich nach Memphis, ließ sich zum Pharao krönen und vom Orakel der Oase Siwa als Sohn des Zeus-Ammon begrüßen. Nebenbei verfügte er den Bau der im westlichen Nildelta zwischen dem Mareotisee und dem Mittelmeer gelegenen Stadt Alexandria, die zu einer Hochburg des Hellenismus mit Wirkung weit über Ägypten hinaus werden sollte. Im Nilland begegnete Alexander einer Kultur, deren Wurzeln hinabreichen bis ins vierte vorchristliche Jahrtausend. Durch seine geographische Eigenart gegenüber der Außenwelt weitgehend isoliert und vor Feinden verhältnismäßig gut geschützt, konnte Ägypten sehr zeitig schon und längst etwa vor Israel oder Griechenland eine geschichtliche Identität ausbilden, auch wenn der Unterschied von Unter- und Oberägypten immer wieder Anlass zu Differenzen bot und in Phasen der Herrschaftsschwäche zu politischen Spaltungen führte. Die stärkste Macht, Separierungsentwicklungen zu verhindern und zentrale Einheit zu garantieren, war der Pharao, der in Personalunion beide Landesteile vereinte und sie als ein Gott regierte, der selbst der Staat war und der Recht setzte nach Maßgabe seines göttlichen Willens. Die ins Kosmische reichende Grundordnung, die Wahrheit, Gerechtigkeit und Wohlergehen gewährt und im ägyptischen Begriff ma’at signifikant bezeichnet ist, wird durch den pharaonischen Gottkönig personifiziert. Es bedurfte etwa dreier Jahrhunderte, bis Ägyptens Altes Reich (2650–2150 v.Chr.) sich Altes Ägypten stabilisierte und seit der III. Dynastie um 2650 v.Chr. eine klar profilierte Gestalt annahm. Nun entstehen die ersten monumentalen Steinbauten, unter anderem die Stufenpyramide des Djoser in Sakkara. Die Gizehpyramiden des Cheops, Chephren und Mykerinos aus der IV. Dynastie führen die königliche Grabbaukunst bald schon zu einem später unerreichten Höhepunkt und zur technischen Vollendung. In nur wenigen Jahrzehnten hatten es die Ägypter gelernt, mit bescheidener Gerätschaft gewaltige Steinmassen zu bewegen und architektonische Höchstleistungen zu erbringen. In ihrem Ergebnis reflektiert sich der hierarchische Aufbau der ägyptischen Gesellschaft mit dem Pharao als einsame Spitze. Die Pyramide ist das eindrucksvolles Symbol einer staatlich-religiösen Organisation, in der alles auf die einzige Herrschergestalt hingeordnet und zentriert ist, in der Göttliches und Menschliches koinzidieren. Als im Verlaufe der VI. Dynastie die Gaufürsten mehr und mehr Macht gewannen, löste sich im Zuge zunehmender Dezentralisierung der Staat fortschreitend auf, was am Ende zum völligen Zusammenbruch des Alten Reiches und seiner Kultur führte. Erst nach einer Zwischenzeit, der sog. ersten, die gut einhundert

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Jahre (2150–2040 v.Chr.) währte und neben mancherlei Wirren und zeitweiligem Chaos durch Tendenzen zur Entmythologisierung der bisherigen politischen Theologie und zur Egalisierung des Gemeinwesens charakterisiert war, konnte sich im Mittleren Reich (2040–1786 v.Chr.) die pharaonische Zentralgewalt erneut stabilisieren, und der Gottkönig rückte abermals in seine Allmachtsstellung ein, die indes oft eher ideologischer als realer Natur war, da die Herrschaft des Pharaos nicht selten durch Souveränitätsansprüche lokaler Größen beschränkt war. Das ägyptische Gemeinwesen im Mittleren Reich glich häufig eher einem feudalen, als einem absolutistischen Staat. Doch fehlte es nicht an großen Herrschergestalten, deren kulturelle Hinterlassenschaften in Theben und anderswo bis heute zu bewundern sind. Blieb Ägyptens Vormachtstellung im östlichen Mittelmeerraum über lange Jahrhunderte hinweg unangetastet und die Integrität des Territoriums gewahrt, ohne je zum ernsthaften Problem zu werden, so wurde während einer sog. zweiten Zwischenzeit (1786–1580 v.Chr.) das Deltagebiet mehr und mehr von anströmenden Völkerschaften nördlicher und östlicher Herkunft unterwandert, die man später zusammenfassend die Hyksos nannte. Söldnerführer bildeten Gegenregierungen, und nach geraumer Zeit gründeten Hyksosherrscher eine eigene Dynastie. Erst als die Hyksos, die Pferd und Streitwagen in Ägypten eingeführt hatten, besiegt und vertrieben waren, konnte das Neue Reich Gestalt annehmen (1580– 1075 v.Chr.), in dem sich der pharaonische Zentralismus erneut durchsetzen und zu einer Machtfülle führen konnte, die alles Bisherige übertraf. Der ägyptische Horizont blieb nicht länger auf die Binnenperspektive beschränkt, der Blick wandte sich nach Außen und über die eigenen natürlichen Grenzen hinaus. Ägypten trat in sein imperiales Zeitalter ein. Davon gibt die durch Amenophis I. begonnenen Serie von Feldzügen Zeugnis, die den Aufbau eines Weltreiches bezweckten und tatsächlich erreichten. Thutmosis I. dehnte die Grenzen des Reiches in Asien bis zum Euphrat und im afrikanischen Nubien bis zum dritten Nilkatarakt aus. Unter Thutmosis III. schließlich, dem Sohn der Hatschepsut, erhielt das ägyptische Reich seine größte Ausdehnung. Setzte die Pharaomutter, die lange selbst für den minderjährigen Thutmosis als Pharaonin herrschte, auf innere Entwicklung und Förderung des Handels, ging ihr Sohn als großer Eroberer in die Geschichte ein. Infolge der imperialen Expansion war die pharaonische Macht ins nahezu Unermessliche angewachsen. Eine Entartung ins Gigantomanische deutet sich bald schon an. Sie lässt sich exemplarisch an den bombastischen Denkmälern veranschaulichen, die Amenophis III. hinterlassen hat; erwähnt seien lediglich die Memnonkolosse am Eingang zum königlichen Totentempel in Theben. Zugleich mehren sich die Anzeichen der nahen Krise, die mit dem Auftreten Amenophis IV. manifest wurde, der sich Echnaton nannte. Vom Traditionsbruch, den die Regierung des Echnaton erbrachte, und von der Frage, ob bzw. inwiefern die Amarnareligion monotheistisch genannt werden kann, war in Auseinandersetzung mit einschlägigen Thesen Jan Assmanns bereits ausführlich die Rede. Es kann daher bei der Feststellung sein Bewenden haben,

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dass die Amarnaperiode in der Geschichte Ägyptens eine bloße Episode war. Lediglich in einer Hinsicht blieb sie bestimmend für den weiteren Verlauf der Geschichte des Neuen Reiches, nämlich hinsichtlich des Interesses an einer Restauration völlig uneingeschränkter königlicher Autorität, das Echnatons religiöse und politische Revolution, die eine Revolution von ganz oben war, nicht zum Geringsten bestimmte. Denn dieses Interesse gehört in gewisser Weise konstitutiv zu dem, was man die altägyptische Identität zu nennen hat. Das Grunddogma des Atonismus, den Echnaton propagierte, hat zum Inhalt, dass dem einzigen Gott in seiner universalen, den Kosmos durchdringenden Allmacht die Alleinherrschaft des Pharaos korrespondiert, die alle Welt umfasst. An diesem Dogma politischer Theologie hielt man in Ägypten auch dann noch fest, als der Atonismus Echnatons gründlich vergangen, aus Tutanchaton Tutanchamun geworden, Amarna verlassen, der Name seines Gründers ausgemerzt und ausgemeißelt und das Althergebrachte im Wesentlichen restauriert war. Nachdem sich Ägypten von den Revolutionsfolgen erholt hatte, kam mit den Ramesiden eine Dynastie an die Macht, die dem Land noch einmal Kraft und neuen Glanz verlieh, bis das Weltreich unter den Nachfolgern Ramses III. ein rasches Ende nahm. Als der letzte Rameside um 1075 v.Chr. sein Scheinkönigtum beschloss, war das klassische Pharaonentum an sein Ende gelangt und die altägyptische Geschichte in die Zeit ihres Verfalls eingetreten. In dem letzten Jahrtausend vor Christi Geburt, in dessen Verlauf etwa Judentum und Griechentum allererst spezifische Identität und eigentümliche Form annahmen, waren Ägypten und seine Kultur bereits Vergangenheitsgestalten. Von sporadischen Zwischenphasen der Revitalisierung abgesehen stellte das Alte Ägypten kein lebendiges Machtgebilde mehr dar. Es kam zu Invasionen, zu einer jahrzehntelangen äthiopischen Herrschaft, bis sich nacheinander die Übermacht der Assyrer, der Babylonier und der Perser Geltung verschaffte. Als der große Alexander am Nil erschien, war das nur insofern eine Befreiung, als die makedonische Fremdherrschaft im Vergleich zur persischen vielen als die erträglichere und bessere erschien. Bleibt nachzutragen, dass „Israels Aufenthalt in Ägypten“ (vgl. Herrmann), wenn man die im Out of Egypt Exodusbuch geschilderten Begebnisse so nennen will, historisch geurteilt ein sehr kleinrangiger Vorgang (vgl. Herrmann, 10) und nicht mehr als „eine Episode am Rande der Weltgeschichte“ (Herrmann, 93) war, die in keinem Dokument der ägyptischen Großmacht unter den Ramesiden im ausgehenden Neuen Reich auch nur verzeichnet wurde. Selbst nach erfolgter staatlicher Konsolidierung blieb die Lage des Volkes Israel randständig, und die Aufmerksamkeit von Seiten des großen Nachbarn im Süden hielt sich in Grenzen. Zwar gab es durchaus vielfältige Beziehungen zwischen dem nationalstaatlichen Israel bzw. dem in Juda und Israel geteilten Reich einerseits und der alten Kulturnation Ägypten andererseits (vgl. Görg); doch bestand aufs Ganze gesehen von ägyptischer Seite aus in der Regel „nur ein geringes Interesse an den politischen Reichen Israel und Juda“ (Schipper, 292). Auch vor und nach der Königszeit war

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das nicht anders. Kulturelle Kontakte bestanden, was sich u.a. daran zeigt, dass das Alte Testament eine ganze Reihe einzelner Wörter und Begriffe, idiomatische Redewendungen und Motive sowie ganze Textkomplexe enthält, die ägyptischen Überlieferungen nahestehen. Aber dass Israel seinerseits bestimmenden Einfluss auf Ägypten und eine vergleichbare weltgeschichtliche Bedeutung hätte gewinnen können wie das uralte Land am Nil, war nie abzusehen. Diesem Sachverhalt ist zu konfrontieren, was unter Bezug auf Hos 11,1 in Mt 2,15 gesagt ist. Während Ägypten als „das kulturelle Unbewusste der abendländischen Tradition“ (A. Assmann; Staehelin/Jaeger [Hg.], 173) fortwirkt, ist das den Okzident orientierende und über sich selbst aufklärende Licht „out of Egypt“ (Hilhorst/van Kooten, 151) erstrahlt. Der Satz, dass Jahwe Israel aus Ägypten herausgeführt hat, wurde zum Urbekenntnis des Judentums, welches das Christentum auf seine Weise repetiert hat, wozu ihm das erwähnte Reflexionszitat Mt 2,15 im Kontext der Legende von der Flucht der Hl. Familie nach Ägypten hilfreich war: „Jesus came to Egypt and returned out of Egypt“: „in this way God called him, as the true representative of Israel, out of Egypt.“ (Ebd.) Um auf Alexander den Großen zurückzukommen, so nahm er den religiösen Kult um seine Person, der ihm in Memphis und in der Oase Siwa zuteil wurde, nicht nur hin, er ließ sich seine göttliche Verherrlichung durchaus gefallen und wohl nicht nur aus Gründen individueller Eitelkeit, sondern um seine Herrschaft durch Überhöhung zu befestigen. Der antike Herrscherkult, wie er sich bei den Diadochen findet und in der römischen Kaiserzeit fortsetzt, hat eine seiner wichtigsten Ursachen in Alexander und in der göttlichen Verehrung, die dem makedonischen König als Pharaonennachfolger von der einheimischen Bevölkerung Ägyptens entgegengebracht wurde. Zugleich ist der Herrscherkult um Alexander ein charakteristisches Indiz des Hellenismus, in dem es zu vielfältigen Verbindungen zwischen von Hause aus Unverbundenem, ja Gegensätzlichem kam. Auch wenn in der neueren Forschung die generelle Annahme einer hellenistischen Mischkultur der griechischen und der jeweiligen indigenen Bevölkerungsanteile und ihrer Traditionsbestände zugunsten der Vorstellung eines Nebeneinanders bei mehr oder weniger starker wechselseitiger Beeinflussung aufgegeben wurde, ist die Tendenz des Hellenismus unter den führenden Repräsentanten der Bildungsschichten auf Integration und Synthese ausgerichtet. Im Hellenismus verbindet sich Differentes, Exotisches gewinnt an Reiz und wird angeeignet, ohne seinen befremdlichen Charakter einfachhin zu verlieren. Der Rückgriff auf ägyptisches Kulturgut etwa erweist sich in der hellenistischen Welt namentlich unter Regenten als in hohem Maße beliebt, und auch in römischer Zeit enthält die gängige Herrscherideologie Elemente, „die als Derivate ägyptischer Tradition zu betrachten sind“ (Kügler, 323). Domitian ließ sich in Rom gerne als Pharao verehren. Ob es „einen traditionsgeschichtlichen Zusammenhang zwischen ägyptischer Königstheologie und neutestamentlichem Christusglauben gibt“ (ebd.), wie dies im Hinblick auf die lukanische Christologie behauptet wurde, kann unerörtert bleiben. Fest steht, dass die politisch-religiöse Ideologie des

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Herrscherkults unter christlichen Bedingungen inakzeptabel war. Dies wird spätestens an der Geschichte des römischen Kaiseropfers ersichtlich, dessen Verweigerung Christen als eine Glaubenspflicht betrachteten. Auch dem Judentum war die Vergottung politischer Herrscher ein religiöser Greuel. Im Frühjahr 331 trat Alexander von Ägypten aus den Marsch ins Zweistromland an, wo ihm der Sieg über Darius bei Gaugamela östlich des oberen Tigris den Zugang zu den persischen Kernlanden eröffnete. In Mesopotamien begegnete der Makedone erneut den Traditionen uralter Hochkulturen, die freilich im Unterschied zu Ägypten nicht durch eine, sondern durch zwei oder mehrere Völkerschaften bestimmt waren. Die Einheitlichkeit der ägyptischen Kultur geht der altvorderorientalischen ab, wie denn auch die politische Geschichte in den Territorien an Euphrat und Tigris weitaus wechselvoller war als am Nil. Wie in Ägypten vollzog sich auch in Mesopotamien „der Übergang von der Vorgeschichte zur Geschichte bereits um 3000 v.Chr.; damals setzten die ersten schriftlichen Quellen ein, und spätere historische Traditionen reichen bis in diese Zeit zurück.“ (Veenhof, 23) Bestimmend für die Art der Geschichtsquellen sind die ägyptische Hieroglyphenschrift und die mesopotamische Keilschrift, welche in altorientalischer Zeit dominieren, bis sich über die phönizischen und aramäischen Schriftzeichen seit dem ersten vorchristlichen Jahrtausend das Alphabet ausbildet. Während es in Ägypten seit alters dominante Dynastien gab, die sich auf Dauer behaupteten, Mesopotamien war dies in Mesopotamien nicht von Anfang an und nicht immer der Fall. Politisch geeint wurde das Land, das im Süden hauptsächlich von Sumerern, im Norden von Akkadern, ab Mitte des 3. Jahrtausends v.Chr. in Teilgebieten aber auch von Hurritern, Amoritern und anderen Volksgruppen bewohnt wurde, erst ab etwa 2350 v.Chr. unter Sargon, auch wenn sich in der vorhergehenden Urukzeit und in der frühdynastischen Periode schon Integrationsansätze beobachten lassen. Von seinem eigens gegründeten, vermutlich nahe Bagdad gelegenen Machtzentrum Akkad aus eroberte und vereinte Sargon, der ca. 40 Jahre lang herrschte, das ganze Zweistromland. Nach dem Zerfall des Königshauses von Akkad formierte sich die dritte Dynastie von Ur, die ein gutes Jahrhundert bis fast zum Ende des dritten vorchristlichen Jahrtausends mit beachtlichem Erfolg in Politik und Verwaltung regierte. Als sie untergegangen war, gelang es mehreren amoritischen Herrschern den Thron zu besteigen, von denen Hammurabi (1793–1750) der berühmteste war: „Seine Hauptstadt Babylon wurde zum Zentrum der Regierung, der Zeremonien und allmählich auch der Religion im Lande, dessen Kultur von nun an zunehmend die Bezeichnung ‚babylonisch‘ verdient. Marduk, der anfänglich unbedeutende Stadtgott Babylons, nahm an Einfluß zu und wurde zu einem fast nationalen Gott. Sein Aufstieg wurde wenige Jahrhunderte später im sogenannten Schöpfungsepos Enuma elisch ... literarisch besiegelt ...“ (Veenhof, 127) Die komplizierte Überlieferungsgeschichte des Gilgameschepos, dessen Name an einen zur mythologischen Gestalt avancierten frühgeschichtlichen sumerischen König von Uruk erinnert,

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reicht hinter die Hammurabizeit zurück, hat aber mit ihrem in verschiedenen Fassungen vorliegenden und dichterisch verarbeiteten Stoff die Tradition in ganz Babylonien (und Assyrien) über Jahrhunderte hinweg entscheidend geprägt. Zur Stellung Babylons als eines geistigen Zentrums Mittelasiens, das es auch noch in Zeiten politischer Schwäche blieb, hat auf andere Weise auch der Codex beigetragen, in dem Hammurabi seine Gesetzgebung zusammenstellte und das Idealbild eines gerechten, weisen und umsichtigen Herrschers zeichnete. Nach der bereits unter seinem Sohn und Nachfolger einsetzenden Auflösung des von Hammurabi geschaffenen Großreichs folgte eine dunkle, historisch nur schwer aufhellbare Epoche. Seit etwa 1550 v.Chr. entstand in Nordmesopotamien das historische Königreich Mitanni, das seit Mitte des zweiten Jahrtausends v.Chr. zu den Großmächten der Zeit gehören sollte. Seine Liquidierung förderte den Aufstieg der Reiche der Hethiter und Assyrer, die mit Babylon und anderen um die Vormachtstellung rangen. „Es kam zu erheblichen militärischen Auseinandersetzungen, bei denen von nun an der von Pferden gezogene Streitwagen eine wichtige Rolle spielte. Es wurden aber auch intensive diplomatische Kontakte geknüpft und in deren Gefolge internationale Verträge geschlossen, politische Ehen gestiftet, Geschenke und Spezialisten ausgetauscht, wobei vor allem Vertreter des medizinischen Fachs gefragt waren, und natürlich förderte dies alles auch den Handel. Erleichtert wurden die Kontakte durch zweierlei. Zum einen erfaßte und kontrollierte die Verwaltung nun große Bereiche, und zum anderen verbreitete sich das Babylonische als lingua franca von Anatolien bis nach Ägypten. Vielerorts wurde Babylonisch an Schulen unterrichtet, und Babylonisch war die Sprache, in der die diplomatische Korrespondenz abgefaßt wurde. Das belegen die Archive von Tell el-Amarna, Ugarit und Boðazköy.“ (Veenhof, 139) Auf Einzelheiten der seit 1500 v.Chr. in Gang befindlichen Entwicklung sowie auf die weiteren spätbronzezeitlichen Ereignisse, in deren Verlauf auch die Geschichte Israels und seiner Nachbarstaaten Ammon, Moab, Edom und der philistäischen Städte in Südwestpalästina Gestalt anzunehmen beginnt, kann ebenso wenig eingegangen werden wie auf das Problem der sog. Apiru und ihres Zusammenhangs mit den ’ibrim (vgl. Veenhof, 170ff.). Was schließlich die imperiale Entwicklung im mesopotamischen Raum und seinem Umfeld während des ersten vorchristlichen Jahrtausends betrifft, so sei von dem, was im Rahmen der Geschichte Israels bereits vermerkt wurde, nur noch Folgendes in Erinnerung gerufen: Assyrien (vgl. Veenhof, 225–277), das sich in seinem Kernland auf beiden Seiten des Tigris von Nineve im Norden bis ungefähr nach Assur im Süden erstreckte, hatte nach einer von Einfällen aramäischer Nomadenstämme aus der Syrischen Wüste unterbrochenen ersten Phase militärischer Expansion, die von ca. 1350 bis 1100 v.Chr. währte, in der Zeit von etwa 900 bis 650 v.Chr. die Herrschaft über den gesamten Nahen Osten gewonnen. Von der dreijährigen Belagerung und schließlich erfolgten Einnahme Samarias sowie der Deportation israelitischer Bevölkerungsteile unter Salmanassar V. (727–722 v.Chr.) bzw. Sargon II. (722–705 v.Chr.) wurde bereits ebenso berichtet wie von den Schicksalen Jerusa-

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lems und Judas unter assyrischer Oberhoheit. Gegen Ende des siebten vorchristlichen Jahrhunderts schwand die Macht Assyriens dahin. 614 v.Chr. fiel Assur, zwei Jahre danach Nineve, bis wenig später die Babylonier unter Nabopolassar und Nebukadnezar II. den assyrischen Reststaat gänzlich zerschlugen. Babylonien (vgl. Veenhof, 278–286), am Unterlauf von Euphrat und Tigris gelegen und bereits zu Zeiten des 3. und 2. Jahrtausends v.Chr. eine kulturelle und politische Großmacht, errang das assyrische Reich, von dem es im 1. Jahrtausend v.Chr. meist abhängig war, um sein Herrschaftsgebiet im Laufe der Jahre bis nach Kilikien und an die Pforten Ägyptens auszudehnen. Auch die Geschichte Israels war für mehr als zwei Jahrhunderte von Babylonien bestimmt. Die Eroberung Jerusalems, die Zerstörung des kultischen Zentrums Juda sowie die anschließende babylonische Gefangenschaft sind für sie sowohl in politischer als auch in religiöser Hinsicht schlechterdings epochal. Gegenstand eines intensiven Babel-Bibel-Streits wurde in der Wissenschaft die Frage, inwieweit die babylonisch-assyrische Religion, näherhin die religiöse Kultur des südlichen Mesopotamiens für alttestamentliche Überlieferungen prägend war. Doch ist dies ein Kapitel für sich, das hier nicht zur Erörterung ansteht. Ein rasches Ende fanden das babylonische Großreich und die Chaldäerdynastie durch den aus dem Geschlecht der Achämeniden stammenden Perserkönig Kyros, der Nabonid (555–539 v.Chr.) entthronte (vgl. Veenhof, 287–305). Babylonien verlor seine Selbständigkeit und blieb bis zur Eroberung durch Alexander d. Gr. im Jahr 331 v.Chr. unter persischer Herrschaft, die unter Darius I. d. Gr. (522–486 v.Chr.) von Taschkent bis Libyien und vom Indus bis nach Thrakien reichte. Erstmals war nach der vorangegangenen Machtentfaltung des vergleichsweise langlebigen neuassyrischen und des eher kurzlebigen neubabylonischen Reichs der gesamte Orient „unter einer Regierung und einer Verwaltung (zusammengefügt). Das Aramäische, das seit dem 8. Jahrhundert v.Chr. eine immer bedeutendere Rolle gespielt hatte, fungierte dabei als lingua franca (das sogenannte ‚Reichsaramäisch‘).“ (Veenhof, 33) Die in Glaubensdingen verhältnismäßig weitreichende persische Toleranz kam nicht zuletzt dem Judentum zugute, das in persischer Zeit seine charakteristische religiöse Gestalt annahm. Die zwischen Griechen und Persern seit Anfang des 5. Jahrhunderts v.Chr. ausgefochtenen, durch den Ionischen Aufstand initiierten Kriege, die in dem von Perikles geschlossenen Kalliasfrieden von 448 v.Chr. zu einem vorläufigen Abschluss gelangten, bewirkten eine nicht unwesentliche Schwächung des persischen Reiches, das trotz einer Reihe weiterer, durchaus beachtlicher Erfolge allmählich verfiel, bis es dem Ansturm der Makedonen unter Alexander endgültig erlag. Dass es ohne Alexanders Erfolge zum hellenistischen Zeitalter nicht gekommen wäre, hat seine historische Richtigkeit. Man wird aber zugleich sehen müssen, dass die Ausbreitung des Hellenismus durch die achämenidische Herrschaft zumindest vorbereitet wurde, die – in Fortsetzung von Assyrien und Babylonien ausgehender Entwicklungen – sämtliche Kulturen des Vorderen Orients erfasste und bei aller gegebenen und jedenfalls teilweise auch respektierten Verschiedenheit in sich ver-

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einte. Ergänzt sei, dass neben der ägyptischen auch die vorderorientalisch-iranische Geschichte genügend Anknüpfungspunkte für den hauptsächlich durch Alexander initiierten hellenistischen Herrscherkult bereitstellte. Die hellenistischen Könige traten bekanntlich nicht nur als Nachfolger der Pharaonen, sondern auch der Achämeniden auf, deren Diadem und Siegelring die Seleukiden übernahmen. Nachdem Alexander von Indien her, wohin er 327 v.Chr. gelangt war, wegen Gefolgschaftsverweigerung seiner Mannen in die persischen Kernlande hatte zurückkehren müssen, machte er sich an die Neuordnung seines eroberten Riesenreiches. Weit kam er damit nicht. Schon im Frühsommer des Jahres 323 erlag er, noch nicht 33 Jahre alt, in der virtuellen Reichshauptstadt Babylon einem Fieber. Die Lage bei Alexanders Tod war unübersichtlich, zwar weniger in außen-, aber in hohem Maße in innenpolitischer Hinsicht. Alle Versuche misslangen, die Einheit des Reichs zu wahren bzw. herzustellen, dessen Binnenaufbau bislang problematisch geblieben war. Mehrere mögliche Nachfolgedynastien kämpften um die Vorherrschaft, bis sich schließlich nach langen und zähen Diadochenkämpfen jenes System hellenistischer Staaten herausbildete, das die weitere Geschichte im östlichen Mittelmeerraum und im vorderen und mittleren Orient bis weit in die Römerzeit hinein entscheidend bestimmen sollte. Die beiden wichtigsten Monarchien des hellenistischen Staatensystems nach Alexander waren das Ptolemäerreich und das Reich der Seleukiden. Beide haben zu unterschiedlichen Zeiten entscheidenden Einfluss auf die Geschichte Israels genommen und das Judentum in Verbindung mit dem Hellenismus gebracht. Zu Zeiten Jesu stand nicht nur die jüdische Diaspora, sondern auch das palästinische Judentum seit über dreihundert Jahren unter hellenistischem Kultureinfluss. Die Begegnung zwischen Judentum und GrieJudentum und Griechentum chentum „besitzt eine Vor- und eine eigentliche Geschichte. Ihre Vorgeschichte reicht vom ausgehenden 7. Jh. v.Chr. bis zum Ende der Perserzeit. Ihre Geschichte vollzog sich zwischen der Besetzung Palästinas durch Alexander den Großen 332 und der römischen Eroberung Jerusalems 63 v.Chr. bzw. (rechnen wir die frühe Kaiserzeit dazu) der Zerstörung des Zweiten Tempels 70 bzw. der Jerusalems 135 n.Chr.“ (Kaiser, 7) Spuren einer Gräzisierung des Nahen Ostens, der vorhergehende Tendenzen zu einer Orientalisierung des Griechischen korrespondieren, lassen sich bereits in vorhellenistischen Zeiten entdecken. Auch Begegnungen zwischen Israel und Hellas (vgl. Brown) hat es nicht erst seit den Tagen Alexanders gegeben. Doch sind die griechischen Einflüsse auf Literatur, Kultur und Religion im Palästina der persischen Zeit eher gering. Dies änderte sich schlagartig mit dem Aufbruch Alexanders des Großen, dessen Zug durch die Levante „Palästina für rund ein Jahrtausend der Dominanz orientalischer Großmächte“ (Alkier/Witte [Hg.], 1) entzog und für den Westen öffnete. Das Heilige Land wurde unter den Ptolemäern und Seleukiden Teil der hellenistischen Welt. „Die hellenistische Herrschaft manifestierte sich nicht nur in den griechischen Beamten und Besatzungssoldaten und den sie versorgenden Händ-

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lern, sondern auch in einem Kranz griechischer, das jüdische Land umgebender Poleis. Das aber bedeutete, daß es von Stätten einer gymnasialen griechisch-hellenistischen Bildung umgeben war. Denn die Übernahme bürgerlicher Ämter war in den Poleis an die Ephebenausbildung geknüpft. Zu ihrem geistigen Kanon gehörten in der Regel außer Homer und Hesiod auch die Tragiker und unter ihnen zumal Euripides sowie die Komödiendichter und hier zumal Meander. Man kann voraussetzen, daß man in Jerusalem wußte, worauf man sich einließ, als dort 175 v.Chr. unter dem Hohenpriester Jason zusammen mit der Auslage einer Bürgerliste für die Polis Antiocheia en Hierosolymois (vgl. II Makk 4,9) ein Gymnasium eingerichtet wurde (I Makk 1,15 und II Makk 4,12–14).“ (Kaiser, 9f.) Zum Mittelpunkt des hellenistischen Judentums entwickelte sich indes nicht Jerusalem, sondern Alexandria in der ägyptischen Diaspora, „dem in mancher Beziehung Athen und gewiß Pergamon überflügelnden geistigen Zentrum der hellenistischen Welt“ (Kaiser, 10; vgl. Alkier/Witte [Hg.], 155ff.). An keinem anderen Ort wurde der Kontakt zwischen hebräischer Tradition und griechischer Argumentationskultur so intensiv gepflegt wie hier. Damit war der Weg zu einer vernünftigen Durchdringung des religiösen Glaubens gewiesen, dessen wirkungsgeschichtliche Folgen für die frühjüdische und namentlich für die christliche Theologie von kaum zu überschätzender Bedeutung sind. Was den Einfluss griechischen Denkens auf die alttestamentliche Theologie angeht, so sind speziell die Beiträge relevant, die es bei der Lösung der für die jüdische Religion „schlechthin zentralen Frage nach der Gerechtigkeit“ (Kaiser, 20) und bei der Bewältigung der durch die Zweifel an einem entsprechenden TunErgehen-Zusammenhang hervorgerufenen Sinnkrise geleistet hat. Man hat gemeint, „that the Israel of the book of Deuteronomy is not so far removed from the Greek world as previously assumed in scholarship“ (Hagedorn, 284), und die These vertreten, „that possession of the Torah permits Philo of Alexandria and Josephus to adapt Greek ideas and values in the service of a new understanding of Jewish tradition, which is, nonetheless, distinctively Jewish“ (Bakhos [Ed.], 128). Wie immer es sich im Großen und Ganzen verhalten haben mag: Berührungen im Einzelnen lassen sich am Hiobbuch, an Kohelet, der Weisheit Ben Siras und Salomos unschwer ablesen und in Erfahrung bringen. Besonders deutlich ist der griechische Einfluss in den beiden letztgenannten Schriften. „Als Ben Sira im ersten Viertel des 2. vorchristlichen Jahrhunderts in Jerusalem seine Lehrreden in Buchform herausgab, war der Wechsel von der ptolemäischen zur seleukidischen Herrschaft bereits erfolgt. Juda befand sich damals schon weit über hundert Jahre unter hellenistischem Regiment. Daher ist es nicht verwunderlich, daß sich der Einfluss hellenistischen Lebens, griechischer Dichtung und stoischer Philosophie bei ihm konkreter als bei seinen Vorgängern niedergeschlagen hat.“ (Kaiser, 24f.) Erstmals begegnet in dem weisen Schriftgelehrten „ein Theologe, der den Glauben an Gottes Gerechtigkeit argumentierend verteidigt“ (Kaiser, 26) und explizit „über das Problem der menschlichen Entscheidungsfreiheit“ (Kaiser, 28) reflektiert. Die Sapientia Salomonis hinwiederum, die „wie keine andere biblische Schrift durch die

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griechisch-hellenistische Philosophie beeinflußt“ (Kaiser, 30) ist, gibt ein Beispiel für die Anfänge natürlicher Theologie und versucht das Theodizeeproblem mittels Rezeption der Lehre von der Unsterblichkeit der Seele zu lösen. „Der Glaube an die Befreiung der Seelen der Frommen aus der Unterwelt, der in der Hebräischen Bibel nur in wenigen redaktionellen Einfügungen zu Wort kommt, hat durch die Weisheit Salomos seinen festen Platz in der griechischen und damit der christlichen Bibel Alten Testaments gefunden. Ihre Botschaft von der Hoffnung der Gerechten auf Unsterblichkeit (3,4) war der christlichen Interpretation fähig und gehörte so zur praeparatio evangelica.“ (Kaiser, 35f.) Die Koalition zwischen griechischem Geist und jüdischer Tradition, wie sie sich schon in vorchristlicher Zeit vielerorts abzeichnete, sollte wegweisend werden für die Entwicklungsgeschichte des Christentums. Jerusalem und Athen sind, „wenn auch in unterschiedlicher Weise“ (Kaiser, 38), die Ursprungsstätten christlicher Theologie. Dabei gehört die Priorität sowohl zeitlich als auch sachlich Jerusalem, wo sich die älteste christliche Gemeinde gebildet hat, über deren anfängliche Binnenverhältnisse bereits ansatzweise berichtet wurde. Ob es im Zusammenhang des jüdischen Krieges zu einer Flucht der Jerusalemer Judenchristenheit nach Pella im Ostjordanland kam, ist historisch umstritten, aber nicht unwahrscheinlich. Der Führer der Aramäisch sprechenden Judenchristen Jerusalems, der Herrenbruder Jakobus, hatte bereits im Jahr 62 n.Chr. das Martyrium erlitten. Verstanden sich wesentliche Teile der Jerusalemer Urgemeinde als Sondergruppierung innerhalb des jüdischen Kultverbandes, so gab es gleichwohl bereits erste Ansätze für ein gesetzeskritisches Christentum, das sich aber an Ort und Stelle nicht längerfristig halten konnte. Die Vorgänge um Stephanus und die sog. Jerusalemer Hellenisten verweisen hierauf. Möglichkeiten für die interne und externe Entfaltung eines gesetzeskritischen Christentums, welche bereits hellenistische Judenchristen Jerusalems, wenngleich erfolglos, gefordert hatten, boten Städte im Umkreis, die außerhalb der Herrschaft der Tempelbehörde standen. Die mit Abstand wichtigste unter ihnen wurde Antiochia, Metropole des Ostens und nach Rom und Alexandria drittgrößte Stadt im damaligen römischen Reich. Von hier aus nahm die christliche Heidenmission ihren entscheidenden Anfang. Antiochia, Sitz des römischen Gouverneurs seit 64 v.Chr., war Wohnort zahlreicher Juden, die Antiochia am Orontes den Griechen gleichberechtigt waren und ihre Gottesdienste für Nichtjuden öffneten. Darin hat die Öffnung der Gemeinschaft der „Christianer“ (Apg 11,26) ein Vorbild, die hier erstmals als nominelle Gruppe fassbar sind. Zur Zentrale der Heidenmission prädestiniert war Antiochia fernerhin als Zufluchtsort der Jerusalemer „Hellenisten“, die Jesu Tod als eschatologisches Sühnegeschehen verstanden, von daher die kultisch-rituellen Bestimmungen der Tora relativierten und unter Berufung auf den alttestamentlich-prophetischen Universalismus das Gottesvolk an den Rändern für ursprünglich nicht Zugehörige erschlossen. Nach ihrer Vertreibung aus Jerusalem definierten sie das Verhältnis von Juden und Heiden noch einmal neu. „Die Bedeutung der Gottes-

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volk-Thematik für Paulus resultiert aus der Begegnung mit den ‚Hellenisten‘ in der Urgemeinde.“ (Kraus, 175) Es ist signifikant und für den weiteren Verlauf der frühen Christentumsgeschichte in hohem Maße bedeutsam, dass die paulinische Mission vom syrischen Antiochia ihren Ausgang nahm. „Hier, nicht in Jerusalem, liegt der wichtigste Mittelpunkt frühchristlicher Theologiegeschichte.“ (Berger, 167) Die theologischen Positionen, die „abseits von Antiochien“ (Berger, 177) stehen, wie diejenige des Herrenbruders Jakobus, werden bald zu Außenseiterpositionen, wohingegen die antiochenische Theologie für die vier Evangelien, das Corpus Paulinum und das Corpus Petrinum auf je spezifische Weise bestimmend wird. Die theologischen Begründungen beschneidungsfreier Heidenmission, deren Einführung „das sicher gravierendste Ereignis in der Theologiegeschichte des 1. Jh. n.Chr.“ (Berger, 282) darstellt, wurde im Rahmen antiochenischer Theologie ausgebildet, deren Ausstrahlungsbereich geographisch sehr weit reicht und deren Tradition die fortschreitende Theologiegeschichte entscheidend prägen sollte. Simultan zur antiochenischen wird es zu weiteren Gemeindegründungen gekommen sein, möglicherweise ebenfalls infolge der Aktivitäten aus Jerusalem vertriebener „Hellenisten“. Doch beschränkte sich das frühe Christentum zunächst auf den palästinisch-westsyrischen Raum. Wann und in welcher Richtung dessen Grenzen überschritten wurden, lässt sich nur im Hinblick auf die paulinische Mission mit hinreichender Sicherheit sagen. In ihrem Zusammenhang, aber gewiss auch unabhängig von ihr breitete sich das Christentum im sechsten Jahrzehnt des ersten Jahrhunderts in Kleinasien, Makedonien und Griechenland aus. Die römische Christengemeinde dürfte bereits vorher entstanden sein und zwar im Kontext des Diasporajudentums, wie das anderwärts ebenso der Fall war. Auch in Ostsyrien, im ägyptischen Alexandria sowie in der Kyrenaika und auf Zypern ist mit frühen Gemeindegründungen zu rechnen. Ein weiteres Zentrum frühchristlicher Kirchen- und Theologiegeschichte ist zweifellos Ephesus, das mit dem syrischen Antiochia, wie es scheint, in engem Kontakt stand (vgl. Berger, 777). Sucht man sich im Zusammenhang der GeGeographie früher schichte des frühen Christentums und seiner LiChristentumsgeschichte teratur einen groben geographischen Überblick zu verschaffen, so ist man zunächst naturgemäß in den palästinisch-syrischen Raum verwiesen. Hier hat Jesus nicht nur zu seinen irdischen Lebzeiten gewirkt, hier hat auch die christliche Überlieferung nach seinem Kreuzestod in unmittelbarem Kontakt und in Auseinandersetzung mit dem Judentum erste Form und Gestalt angenommen. Die Logienquelle gehört zusammen mit weiten Teilen des Überlieferungsguts der synoptischen Tradition in diesen Kontext. Neben einer dezidiert eschatologisch-apokalyptisch orientierten Auslegung der Jesusüberlieferung finden sich im Rahmen von Palästina und Syrien auch frühe weisheitliche und an der jüdischen Morallehre orientierte Adaptionen des Jesusstoffes, die neben den kanonischen etwa im Thomasevangelium, das im 1. Jahrhundert n.Chr. wahrscheinlich im Raum von Palästina oder Syrien entstanden ist, bzw. in Texten

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wie dem Jakobusbrief und der syrischen Zwölf-Apostel-Lehre als einem Zeugnis der ältesten christlichen Kirchenordnung dokumentiert sind. Ob Logienquelle und Didache das Kerygma von Kreuz und Auferstehung Jesu gekannt haben, ist strittig, wenngleich mehr als wahrscheinlich; unstrittig und sicher ist, dass die Osterbotschaft von der Auferweckung des Gekreuzigten, die vom ältesten synoptischen Evangelium bis hin zum Evangelium nach Johannes das Zentrum der neutestamentlichen Botschaft bestimmt und für das petrinische Zeugnis nicht minder grundlegend ist wie für das paulinische, von Palästina-Syrien aus ihren Ausgang genommen hat. Hierher gehört ursprünglich vielleicht auch der johanneische Kreis, so charakteristisch sich seine Sonderüberlieferungen von den übrigen Traditionsbeständen der frühen Christenheit unterscheiden. Ob Syrien als Ursprungsland der christlichen Gnosis zu gelten hat und ob gar mit Verbindungen zwischen syrischer Gnosis und dem johanneischen Kreis zu rechnen ist, wird in der Forschung kontrovers diskutiert. Wichtiger als eine Entscheidung in dieser Streitfrage ist die Feststellung, dass der Kampf um das Recht einer beschneidungsfreien Evangeliumsverkündigung sich im Gebiet von SyrienPalästina entschied. Alle uns bekannten Repräsentanten der Urchristenheit der ersten Generation waren Juden, zum größten Teil aus den israelitischen Kernlanden, zum geringeren Teil aus der jüdischen Diaspora. „Das Alte Testament galt allen als Heilige Schrift. Die Theologie des Judentums lieferte die Kategorien, Begriffe und Vorstellungen für die Ausbildung der christlichen Theologie. Der im Judentum ausgebildete Kodex für moralisches und frommes Verhalten ... wurde auch für die Christen verbindlich und die Gesetzgebung des AT als die Grundlage einer allgemeingültigen Ethik verstanden.“ (Köster, 639) Zum spezifischen Kennzeichen eines Judenchristentums im engeren Sinne sollte die Beschneidungsforderung werden, mit der sich nicht nur Paulus auseinanderzusetzen hatte. Das mittelund langfristige Ergebnis des Streits ist bekannt: nach der Hinrichtung des Herrenbruder Jakobus und der Flucht judenchristlicher „Hebräer“ aus Jerusalem, die trotz ihrer Umstrittenheit historisch nicht unwahrscheinlich ist, konnte sich das an Beschneidung und Ritualgesetzen festhaltende Judenchristentum nur noch als ein – durch Konkurrenten des Paulus oder durch das Nazaräer- und das Ebionäerevangelium repräsentierter – Seitenzweig der großkirchlichen Entwicklung halten, um schließlich gänzlich unterzugehen. Anfangs indes waren ritualgesetztreue Judenchristen nicht nur in Syrien-Palästina, sondern auch in Ägypten zu finden, wovon u.a. das sog. Hebräerevangelium Zeugnis gibt. Die Anfänge des Christentums in Ägypten liegen im Dunkeln; doch darf als sicher gelten, dass sie in die apostolische oder unmittelbar nachapostolische Zeit zurückreichen. Die ersten ägyptischen Christen waren sehr wahrscheinlich Judenchristen, die aus dem Diasporajudentum und seinem Sympathisantenumfeld stammten. Was immer es mit dem in der Apostelgeschichte erwähnten Apollos aus Alexandria oder mit dem Apostel Ägyptens, Markus, näherhin auf sich hat: dass das Christentum in Form des Judenchristentums in Ägypten bald Fuß gefasst hat, darf als ausgemacht gelten. Mit einem zeitigen Eindringen syrisch-palästinischer

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Überlieferungen muss gerechnet werden. Schwieriger ist die Frage nach sonstigen Traditionen und gnostischen Gemeinden und Schulen in der frühen ägyptischen Christenheit zu beantworten, da Quellen aus dem 1. Jahrhundert n.Chr. nicht vorliegen und die durch Basilides und Valentinus angeregten Systeme erst in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts n.Chr. „in deutlich sichtbarer Auseinandersetzung mit der werdenden katholischen Kirche und in Abhängigkeit von den Evangelien und den Paulusbriefen des NT ausgearbeitet worden“ (Köster, 669) sind. Als dritter geographischer Großraum, in welchem das Christentum früh wirksam wurde, sind Griechenland und der kleinasiatische Raum in Betracht zu ziehen. „Die Christenheit Kleinasiens und Griechenlands hat sich in der Zeit nach Paulus ganz anders entwickelt als die Gemeinden in Syrien und Ägypten. Rom ist bald in diese Entwicklung einbezogen worden, ebenso Antiochien, das von Anfang an mit dem Kreis der paulinischen Gemeinden in Verbindung stand.“ (Köster, 678) Die Besonderheit der Entwicklung christlicher Gemeinden in den genannten Territorien und Örtlichkeiten hat z.T. mit der paulinischen Mission zu tun, war aber auch nicht unerheblich durch die verbreitete Stadtkultur bedingt, die sich in ihrer sozialen und wirtschaftlichen Struktur deutlich von den mehrheitlich agrarisch geprägten Großräumen Ägyptens und Syrien-Palästinas unterschied. „Zur Stadtkultur gehörten höherer Wohlstand, Zugang zur Bildung, größere persönliche Freiheit, Freizügigkeit und Mobilität der Bevölkerung, große Vielfalt des Angebots am religiösen Markt; ebenso aber auch Sklavenarbeit in Haus und Gewerbe (diese Sklaven waren gebildeter und hatten mehr Freiheit als die Sklaven auf dem Lande!), ein unstetes und entwurzeltes Proletariat, eine verunsicherte bürgerliche Moral, Tempel für den Kaiserkult und römische Soldaten und Verwaltungsbeamte. Die Stadt Rom, die von alledem übergenug hatte, war schon zu Zeiten des Paulus in den Gesichtskreis der christlichen Gemeinden Kleinasiens und Griechenlands getreten und nahm während der folgenden Jahrzehnte an ihrer Entwicklung teil, wobei die Führungsrolle auf lange Zeit bei den Gemeinden des griechischen Ostens blieb.“ (Köster, 678f.) Die Gemeinden des griechischen Ostens bestimmten die wichtigsten theologischen Tendenzen wie die Erneuerung der Apokalyptik, für die z.B. der 2. Thessalonicherbrief, die Offenbarung des Johannes oder der Hirte des Hermas stehen (vgl. Köster, 677ff.). In ihrem Einflussbereich kam es fernerhin zur – etwa im Kolosserbrief und mehr noch im Brief an die Epheser manifesten – „Verkirchlichung“ der paulinischen Theologie. Spezifische Zeugen für den Umgang mit dem paulinischen Erbe sind in der ersten Generation der nachapostolischen Zeit der Hebräerbrief, in der nächsten Generation dann die Sendschreiben des Ignatius von Antiochien oder Texte Polykarps von Smyrna; nicht zuletzt in kanongeschichtlicher Hinsicht hochbedeutsam wurde die Sammlung der paulinischen Briefe. Zu handeln wäre in diesem Zusammenhang des Weiteren von den Pastoralbriefen, vom 1. Clemensbrief und von den Petrusbriefen (vgl. Köster, 698ff.). Ein Kapitel für sich sind die vielfältigen Weisen der Auseinandersetzung des Christentums mit der umgebenden paganen Welt von den lukanischen Schriften bis hin zu den frü-

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hen Apologeten (vgl. Köster, 747ff.). Hierzu sei lediglich vermerkt, dass sich das Christentum ohne die Infrastruktur des römischen Reiches und das Weltkulturerbe des Hellenismus nicht in der Weise hätte geschichtlich entwickeln können, wie es sich tatsächlich entwickelt hat. Imperium Romanum und hellenistische Kulturwelt boten den Nährboden und die elementaren Rahmenbedingungen der Geschichte des frühen Christentums und der Alten Kirche. Dabei war das Imperium Romanum der Kaiserzeit, in dem das Christentum entstand und die Alte Kirche Gestalt annahm, nicht allein Erbe des Hellenismus, es hat diesen in gewisser Weise überhaupt erst zur Vollendung gebracht, indem es die politischen Rahmenbedingungen schuf für eine großflächige kulturelle Homogenisierung führender Bevölkerungsanteile im hellenistischen Sinn. Das römische Reich in der jesuanischen und nachjesuanischen Zeit war ein ethnischer und soziokultureller Schmelztiegel von gewaltigem Umfang. Zwar gab es durchaus nennenswerte Bewegungen insbesondere religiöser Provenienz, die sich dem Homogenisierungsdruck widersetzten. Die jüdischen Aufstände gegen Rom, die an den makkabäischen Widerstand gegen die Hellenisierungsbestrebungen unter seleukidischer Herrschaft erinnern, geben dafür ein signifikantes Beispiel. Selbst ihr katastrophales Scheitern ist kein Beleg für eine jüdische Identitätseinbuße in der hellenistisch-römischen Welt. Zwar war der politische Untergang manifest, aber als religiöse Größe blieb das Judentum mit vergleichsweise eher geschärftem Profil erhalten. Zur religiösen Profilschärfung hat gewiss auch das wachsende jüdische Bedürfnis beigetragen, sich vom Christentum abzugrenzen, das sich seinerseits mehr und mehr vom Judentum emanzipierte und als eigenständige Religion etablierte. Gleichwohl haben trotz der registrierten Tendenzen zur Separierung und Partikularisierung Judentum und Christentum je auf ihre Weise Anteil an jenem raumgreifenden Trend zur Universalisierung, der charakteristisch war für die hellenistisch-römische Welt. Ohne die hellenistische Globalkultur und ohne die Infrastruktur des weite Teil der damals bekannten Welt umspannenden römischen Reiches wären historisch geurteilt weder Judentum noch Christentum zu Weltreligionen geworden.

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kirchen 2004. – U. Rüterswörden (Hg.), Martin Noth – aus der Sicht der heutigen Forschung, Neukirchen 2004. – P. Schäfer, Studien zur Geschichte und Theologie des rabbinischen Judentums, Leiden 1978. – H.-Chr. Schmitt/W. Sparn, Monotheismus als religiöses und kulturelles Problem, Erlangen-Nürnberg 2007. – P. Sloterdijk, Gottes Eifer. Vom Kampf der drei Monotheismen, Frankfurt a.M./Leipzig 2007. – P. R. Trebilco, Jewish Communities in Asia Minor, Cambridge 1991. – D. Urman/P. V. M. Flesher (Ed.), Ancient Synagogues. Historical Analysis and Archaeological Discovery 2 Vol., Leiden/New York/Köln 1995. – B. Wander, Gottesfürchtige und Sympathisanten. Studien zum heidnischen Umfeld der Diasporasynagogen, Tübingen 1998.

Der Hellenismus hat dem werdenden Christentum weltgeschichtliche Horizonte erschlossen, ohne seine Rückbindung an das Judentum aufzulösen oder auch nur zu relativieren. Dies gilt umso mehr, als das Judentum zur jesuanischen und frühchristlichen Zeit selbst in mannigfacher Weise hellenistisch geprägt war. Während in der Forschung lange zwischen einem „hellenistischen“ und einem „palästinischen“ Judentum differenziert wurde, ist der Wert dieser Unterscheidung mittlerweile mit dem Argument bestritten worden, auch das palästinische Judentum der Zeit vor und nach Jesus sei hellenistisch beeinflusst gewesen. Dies trifft zweifellos zu. Fraglich ist allerdings, wie weit dieser Einfluss reichte und wie intensiv er jeweils war. Nach Martin Hengel muss das gesamte Judentum seit der Mitte des dritten vorchristlichen Jahrhunderts als hellenistisches Judentum bezeichnet werden und zwar sowohl im Hinblick auf die Diaspora als auch im Hinblick auf Palästina. Auch das palästinische Judentum sei „hellenistisches“ Judentum (vgl. Hengel, 194f., 459 u.a.). Dem ist entgegengehalten worden: „All Judaism was not Hellenistic Judaism.“ (Gerdmar, 327) „The evidence does not suffice to render Palestine a ‚Hellenistic‘ country, meaning most of the population at large did not have Greek language, customs, nor were they influenced by some Greek thought. Just as in surrounding countries with Hellenistic poleis, Greek language was mostly used in Hellenistic cities and in government and business, but those who needed to learn and use Greek could do so.“ (Gerdmar, 327f.) Zwar sei die überkommene Unterscheidung zwischen einem Judentum Palästinas und der Diaspora bezüglich der Hellenisierungsproblematik zu relativieren, nicht aber aufzugeben. Denn der Grad der Hellenisierung des palästinischen Judentums unterscheide sich von demjenigen der Diaspora signifikant. „(Hellenism) did not penetrate into Jewish Palestine as deeply as Hengel and his many followers ... indicate.“ (Feldman, 99 unter Bezug auf Collins/Sterling [Ed.]) Die Debatte hält an und ist noch zu keinem definitiven Ergebnis gelangt. Gleichwohl gibt es historische Beobachtungen zum jüdisch-hellenistischen Kontext früher Christentumsgeschichte zu machen, die eine Reihe weithin unstrittiger Aussagen erlauben. War das Verhältnis der Judenheit zum Hellenismus anfangs eher reserviert, so wurde die hellenistische Zivilisation von Teilen der Bildungsschicht und nicht zuletzt der Jerusalemer Aristokratie bald als der Tradition der Väter überlegen erachtet und zwar nicht nur in militärischer, politischer oder wirtPalästinisches Judentum und Diaspora

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schaftlich-sozialer Hinsicht, sondern auch unter religionskulturellen Gesichtspunkten. Die griechische Herrschaft in der Nachfolge Alexanders wurde entsprechend nicht von allen Gruppen innerhalb der jüdischen Gesellschaft als befremdlich empfunden. Es ist im Gegenteil mit Gruppeninteressen zu rechnen, „die auf Teilhabe am hellenistischen Handel ebenso Wert legten wie auf die Überwindung des kulturellen Partikularismus“ (Kippenberg, 133). Wie die Perser eine hierokratische Ordnung unterstützt hatten, so unterstützten die Diadochen und später die Römer eine aristokratische: „Im Verhältnis zur traditionellen Ordnung ergaben sich grundlegende Änderungen.“ (Ebd.) In seine akute Phase trat der Hellenisierungsprozess der jüdischen Oberschicht in den Jahren nach 175 v.Chr. ein, als der neuernannte onianidische Hohepriester Jason ein Gymnasium in Jerusalem errichten ließ. Die Absicht, eine völlige Assimilation des Judentums an die hellenistische Umwelt zu erreichen, beschwor die schwerste religiöse Krise herauf, welche die jüdische Theokratie in der Zeit nach dem Ende des Exils bis zur Zerstörung des zweiten Tempels im Jahre 70 n.Chr. erschütterte. Das Judentum nicht nur der Diaspora, sondern auch in Palästina war zwischen Rezeption und Abwehr des Hellenismus hin- und hergerissen. Versuchen, hellenistisches Denken und Torafrömmigkeit zum Ausgleich zu bringen, waren rigoristische Tendenzen entgegengesetzt, die das Verhältnis von Judentum und Hellenismus im Sinne eines Antagonismus zwischen rechtem Gottesglauben und paganem Heidentum bestimmten. Die Gesamtlage war komplex: Zwar wurde durch den Sieg der makkabäischen Bewegung die vollständige jüdische Assimilation an die heidnische Umwelt unterbunden, so dass die Geltung der Tora in allen jüdischen Parteiungen unangefochten erhalten blieb. Ansonsten aber war das vorchristliche Judentum alles andere als eine einheitliche Größe. Die Komplexität der Lage bestätigt sich u.a. darin, dass selbst die Gruppe der apokalyptisch orientierten Chassidim, die sich vornehmlich aus der ökonomisch unterprivilegierten Landbevölkerung Palästinas rekrutierte, aber auch in der Diaspora begegnete, hellenistisch imprägniert war. Entsprechendes gilt für die Essener. Eine Ausnahme bildet am ehesten der Pharisäismus, der die stärkste Partei im palästinischen Judentum der vorjesuanischen und jesuanischen Zeit darstellte und dessen Toraverständnis in der rabbinischen Gesetzesauffassung der nachjesuanischen Zeit zu identitätsbestimmender Bedeutung für das Volk Israel gelangte. Die wirkungsgeschichtliche Relevanz des Pharisäismus war in mehrfacher Hinsicht erheblich, und sie tritt umso klarer zutage, je deutlicher man sich die grundstürzende religiöse Krise vor Augen führt, welche die Zerstörung des Tempels durch Titus mit sich brachte. Die Jahre 587 v.Chr. und 70 n.Chr. markieren einschneidende Zäsuren in der Geschichte des Volkes Israel. Beide Male erschütterte der Verlust des Heiligtums das überkommene Konzept religiöser Identität im Innersten und von Grund auf. Auch für die werdende Christenheit stellte die Verwüstung des Herodianischen Tempels eine Tragödie erster Ordnung dar. Trotz der antijudaistischen Deutungen, welche die Tempelzerstörung und die Zerstörung

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Jerusalems in Teilen der christlichen Literatur erfuhr (Gaston, 1: „the bitter separation of the church and the synagogue can be traced back to the different attitudes taken toward this great catastrophe.“), bedeutete sie für die Judenchristen im Umfeld des Geschehens „nicht einfach eine Selbstbestätigung, sondern eine Katastrophe“ (Hahn, 146), die erhebliche Kompensationsprobleme mit sich brachte. Im rabbinischen Judentum wurde die Substituierung des Jerusalemer Tempels bzw. die Transformation des unmöglich gewordenen Tempelkults vor allem durch synagogalen Gottesdienst und Gesetzesstudium geleistet. Es galt der Grundsatz: „Wo man Tora lernt, braucht man keinen Tempel.“ (Ego, 371ff.) Es erübrigt sich, im gegebenen Zusammenhang auf Geschichte und Theologie des rabbinischen Judentums näher einzugehen. Ohnehin stößt jeder Versuch, seine religiösen Konturen genau zu erheben, auf ein historisches Fundamentalproblem: „Die Literatur der rabbinischen oder talmudischen Periode ist nicht die Literatur von Autoren, die zeitlich mehr oder weniger festgelegt werden können und deren Ziele und Intentionen bekannt sind, sondern Traditionsliteratur, das Ergebnis eines langen Prozesses mündlicher und (später) schriftlicher Überlieferung von ‚Lehrinhalten‘ im weitesten Sinne, die meist verschiedene Stadien der Umformung und Redaktion erfahren haben und deren Autoren in den seltensten Fällen nachgewiesen werden können.“ (Schäfer, 1) Ungeachtet der genannten Schwierigkeiten präziser Erforschung, kann die von Pharisäismus und rabbinischem Judentum geleistete religiöse Kompensation des Tempelverlusts in zwei ihrer wesentlichen Resultate klar erfasst werden. Beide, Konzentration auf das Torastudium und den synagogalen Gottesdienst, waren für die Geschichte der frühen Christenheit von erheblicher Bedeutung. Die Einführung der Synagoge in Palästina reicht Synagogen und städtische wahrscheinlich zurück in die hasmonäische Zeit Hausgemeinden und wurde entscheidend von den Pharisäern betrieben. Sie waren und blieben die wichtigsten Förderer des synagogalen Gottesdienstes, der durch Schriftlesung und Gebotauslegung der Unterrichtung des Volkes und der Erbauung und Befestigung seiner religiösen Identität dienen sollte. Diese Aufgabe wurde nach der Zerstörung des Tempels nur umso dringlicher. Man hat gelegentlich argumentiert, „that the synagogue as an institution came into Palestine only very late, well into post-Maccabean times, a conclusion not surprising when one considers the importance of the temple cult to Palestinian Judaism in pre-70 times“ (Urman/Flesher [Ed.], I, 25f.). Doch wie immer man die Anfänge des palästinischen Synagogeninstituts datieren mag: dass der synagogale Gottesdienst durch die Katastrophe von 70 n.Chr. eine enorme Bedeutungssteigerung erfuhr, ist unstrittig. Die Geschichte des frühen Christentums ist in mannigfacher Weise auf diese Entwicklung bezogen. Die ersten christlichen Gemeinden haben sich anfangs meist in Privaträumen versammelt und ihre Zusammenkünfte in Familienkreisen gepflegt. Kirche konstituierte sich hausweise. Die Hausgemeinde war „Gründungszentrum und Baustein der Ortsgemeinde, Stützpunkt der Mission, Versammlungsstätte für das Herren-

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mahl, Raum des Gebetes, Ort der katechetischen Unterweisung, Ernstfall der christlichen Brüderlichkeit“ (Klauck, 102; bei K. kursiv). Als wichtigstes Vorbild fungierte die jüdische Haussynagoge. Allenfalls in zweiter Hinsicht kann die pagane Formation des privaten Kultvereins in Betracht gezogen werden, mit dem die christliche Hausgemeinde lediglich phänotypische, aber keinerlei inhaltliche Merkmale gemeinsam hat. Während größere Synagogengebäude die Ausnahme darstellen, sind die jüdischen Synagogen des 1. Jahrhunderts n.Chr. „in ihrer weit überwiegenden Zahl als kleine Haussynagogen zu denken“ (Claußen, 304). In dieser Form bieten sie das konkrete Modell für frühchristliche Gemeinden, die sich ebenfalls in privaten Räumen versammelten. Dabei ging es weder hier noch in den jüdischen Haussynagogen in erster Linie um Separierung oder Arkandisziplin. Jüdische Gemeinschaften namentlich in der Diaspora waren keineswegs exklusive Einrichtungen, die sich um der Identitätswahrung willen strikt nach außen abgrenzten. Am Beispiel jüdischer Stadtgemeinden in Kleinasien wurde gezeigt, dass eher das Gegenteil der Fall war: „They were a part of the social network of the city and shared in many of the characteristics of everyday life.“ (Trebilco, 186) Im Hinblick auf frühchristliche Gemeinden stellt sich der Sachverhalt nicht grundsätzlich anders dar. Wie die jüdischen Diasporagemeinden waren sie in ihrer überwiegenden Mehrzahl städtische Gebilde. Während Jesus vor allem im ländlichen Raum wirkte, entwickelte sich das frühe Christentum bald schon zu einer Stadtreligion und ist „bis weit in die zweite Hälfte des 3. Jahrhunderts hinein so gut wie ausschließlich in und in erheblichem Maße auch von der kaiserzeitlichen Stadt geprägt worden“ (Plümacher, 8). Entsprechend urban hat man sich das frühchristliche Gemeindeleben über weite Strecken vorzustellen. Seine Attraktivität ist in mancher Hinsicht mit paganen griechisch-römischen Vereinen vergleichbar. Der größte Unterschied liegt in der grundsätzlichen Offenheit gegenüber jedermann begründet: „Bei den Christinnen und Christen gibt es keine Beschränkung der Mitgliedschaft nach Kriterien wie Geschlecht und sozialer Herkunft.“ (Ebel, 216) Besonders angezogen fühlten sich vom Christentum daher Frauen und Personen, die den unteren Gesellschaftsschichten angehörten. In der sozialen Aufgeschlossenheit seiner Stadtgemeinden liegt der bemerkenswerte Erfolg des frühen Christentums nicht zum geringsten Teil begründet. Umfang und Bedeutung gezielter Mission, wie sie exemplarisch von Paulus geübt wurde, dürfen in Bezug auf das älteste Christentum nicht überschätzt werden. „Ebensosehr wie in den folgenden Jahrhunderten werden auch im ersten Jahrhundert die meisten Gemeinden ohne Beteiligung von Missionaren entstanden sein.“ (Reinbold, 342f.) Für Entstehung und Ausbreitung der frühen Gemeinden war in der Regel der alltägliche private und berufliche Kontakt namenloser Einzelner verantwortlich. „Der allenthalben wahrgenommene Unterschied zwischen den Modalitäten der Ausbreitung des Christentums und denen anderer, ‚nichtmissionarischer‘ Religionen und Kulte war demzufolge in der Frühzeit nicht so gravierend, wie es auf den ersten Blick erscheinen mochte.“ (Reinbold, 344) Damit ist nicht gesagt, dass die frühen Christen kein ausgeprägtes Sendungsbewusstsein gehabt

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hätten. Das Gegenteil ist richtig. Insbesondere wusste man sich an Gruppierungen verwiesen, die vom Diasporajudentum, mit dem ihre Angehörigen vielfach sympathisierten, als „Gottesfürchtige“ (vgl. im Einzelnen Wander) bezeichnet wurden. Ihre Gewinnung für den Glauben ließ sich das frühe Christentum besonders angelegen sein. Zeigen sich in spezifischer Hinsicht mannigfache Gemeinsamkeiten zwischen den synagogalen Gemeinschaften des Judentums und den frühen Christengemeinden, so haben beide selbstverständlich auch gemeinsamen Anteil an den generellen Tendenzen, die die Zeit bestimmen. Auf das Phänomen der Verstädterung wurde bereits ebenso hingewiesen wie auf die zentrale Bedeutung Alexandrias für das Diasporajudentum. 332 v.Chr. durch Alexander gegründet, wurde die ägyptische Mittelmeermetropole als Residenz der ptolemäischen Könige zum Mittelpunkt der hellenistischen Welt und nicht nur für das Judentum, sondern später auch für das frühe Christentum und die Alte Kirche zu einem entscheidenden Ort. Weitere Neugründungen aus hellenistischer Zeit sind ihr beizuordnen, wobei Antiochia am Orontes für die Christentumsgeschichte mindestens ebenso wichtig geworden ist wie Alexandria. Nicht weniger relevant als der Prozess der Verstädterung und der gleichzeitigen Internationalisierung des wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Lebens war für die Geschichte von Judentum und frühem Christentum die Sprachentwicklung in der hellenistischen Welt. Seit Beginn der hellenistischen Zeit gewann das Griechische und zwar in Form der „Koine“ in allen Teilreichen des alexandrischen Imperiums zunehmend an Bedeutung. Das Koinegriechisch wurde zur „gemeinsamen“ Sprache, zur lingua franca sowohl der hellenistischen als auch der römischen Ära. Auch gebildete Juden Palästinas waren des Griechischen mächtig, wenngleich als Umgangssprache der nachexilischen Zeit das Aramäische fungierte, wohingegen das Hebräische zwar religiöse Schriftsprache blieb, aber zunehmend nur noch von Gelehrten beherrscht wurde. Was die sprachlichen Verhältnisse in der jüdischen Diaspora betrifft, so machten sie eine Übersetzung des Alten Testaments ins Griechische dringend erforderlich, da Kenntnisse des Hebräischen schon im 3. Jahrhundert v.Chr. nicht mehr allgemein vorausgesetzt werden konnten. Für die Religionsgeschichte des Judentums in hellenistischer Zeit sowie für diejenige des werdenden Christentums ist die sog. Septuaginta von kaum zu überschätzender Bedeutung geworden. Sie fand synagogengottesdienstliche Verwendung, bildete Ausgangsbasis und exegetische Grundlage theologischer Reflexionsliteratur und diente als Bibel und Hl. Schrift der wirkungsmächtigsten Teile der frühen Christenheit. Ohne die griechische Übersetzung der Hl. Schriften Israels lässt sich die Geschichte der Alten Kirche und die Genese des neutestamentlichen Kanons nicht verstehen. Christentumsgeschichtlich höchst bedeutsam ist die LXX u.a. auch deshalb geworden, weil sie Texte enthält, die aus der hebräischen Bibel ausgeschlossen, von den Christen aber zur Interpretation des Christusereignisses intensiv herangezogen und benutzt wurden (vgl. im Einzelnen Fabry/Offerhaus [Hg.]).

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Mit der letzten Bemerkung ist bereits auf den Das Frühchristentum als Prozess der Ausdifferenzierung von Judentum jüdische Bewegung und Christentum zu zwei unterschiedlichen Religionen verwiesen. Das Ergebnis dieses Prozesses war keineswegs von Anfang an abzusehen und klar. „Jews or Christians?“ (vgl. Jossa) Für die Anhängerschaft Jesu stellte sich diese Frage auch nach Kreuz und Auferstehung zunächst nicht, jedenfalls nicht in alternativer Form. Die Jünger Jesu waren Juden, so wie dieser selbst „vere homo judaeus“ (Mussner, 97) war. Der Christenname ändert an dem Bewusstsein jüdischer Herkunft nichts und ist keineswegs von Anfang an auf einen Gegensatz zum Judentum abgestellt. „The name which the followers of Jesus gave themselves officially at Antioch, about 40 A.D., is a precious relic which has survived from the short and obscure period between Jesus and Paul, whose preserved letters start a decade later. The name shows that at this date, in the first decade after the end and glory of Jesus, his followers continued to think of him according to Jewish patterns of thought. They were still a Jewish movement, who believed themselves to be the ‘third order’ called to enter the Kingdom of Heaven, and who, as such, declared to the pagan world that they were officers of the Anointed King in his kingdom, which was a present reality.“ (Bickerman II, 808) Der Gang von Jerusalem nach Antiochien musste nicht zwangsläufig einen Schritt auf dem Wege zur Verselbständigung des Christentums vom Judentum bedeuten. Dass er dazu und zu einem der folgenreichsten Ereignisse in der Geschichte der frühen Christenheit führte, ist wesentlich dadurch bedingt, dass es sich bei ihm nicht nur und nicht in erster Linie um einen Übergang von einem Kulturkreis in einen anderen handelte, sondern um „das erstmalige Heraustreten aus dem Bereich des alten Bundesvolkes. In Antiochien mußte das Evangelium nicht nur unter veränderten weltanschaulichen Voraussetzungen, sondern vor allem unter anderen heilsgeschichtlichen Bedingungen verkündigt werden ... So war eine einmalige theologische Aufgabe gestellt: das Kerygma von Jesus, dem Verheißenen Israels, das Evangelium Jerusalems, das die Geltung des mosaischen Gesetzes offenließ, mußte zu dem gesetzesfreien Evangelium für Juden und Heiden entwickelt werden, das die Botschaft von Jesus und das AT zu einer geklärten Einheit verband.“ (Goppelt, A 44; bei G. teilweise gesperrt.) Es ist die christentumsgeschichtlich überragende Leistung des Apostels Paulus, zur Lösung dieser Aufgabe nicht nur durch singuläres persönliches Engagement, sondern so beigetragen zu haben, dass das paulinische Kerygma zum normativen Bestand der christlichen Tradition und die Kirche Jesu Christi zu einer Gemeinschaft werden konnte, welche nicht nur Angehörige unterschiedlicher Kulturkreise, sondern neben den Gliedern des alten Bundesvolkes, denen der Jude Jesus gleichsam von Hause verbunden, auch Heiden und Heidenvölker umfasste, von denen anfangs zweifelhaft sein konnte, ob ihnen die jesuanische Sendung überhaupt galt. Auch wenn das Kerygma des Paulus neben verbleibenden judenchristlichen Strömungen und der synoptischen Tradition auf der einen sowie dem Johanneismus auf der anderen Seite nur eine Stimme im Kanon der frühchristli-

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chen Zeugen darstellt: einen cantus firmus repräsentiert der Paulinismus insofern, als ohne oder gegen sein Verständnis von Gesetz und Evangelium ein Realbegriff des Christentums und der christlichen Kirche in der die Grenzen der jüdischen Volksgemeinde transzendierenden Einheit von Juden und Heiden nicht denkbar ist. Bestimmungsgrund frühchristlicher Identität und das Kriterium, an dem sich Christentum und Judentum auf kurz oder lang scheiden sollten, ist das Osterzeugnis von der Auferweckung des Gekreuzigten durch Gott. Dies gilt auch dann, wenn man die urchristliche Geschichte historiographisch mit Jesus von Nazareth beginnen lässt. In der Kraft des Pfingstgeistes erweist sich das einmalige Ostergeschehen als für die Mission des Christentums ein für allemal gültig. Das bestätigt bereits die Aramäisch sprechende, palästinische Urgemeinde, die sich mit Jerusalem als ihrem Mittelpunkt im Anschluss an das Oster- und Pfingstgeschehen gebildet hat und dieses Geschehen als ihren Konstitutions- und beständigen Erhaltungsgrund bezeugt. Auch wenn ihr Zeugnis wegen des Fehlens direkter Quellen nur durch historische Rekonstruktion auf der Basis weniger Nachrichten bei Paulus und in der Apostelgeschichte, der Logienquelle und alten Traditionsguts in den synoptischen Evangelien sowie durch rudimentäre Überlieferungen in den sog. Katholischen Briefen zu erheben ist, duldet es keinen Zweifel, dass das Ursprungskerygma des Christentums pfingstbewegtes Osterzeugnis war. Die frühe Kirche unter Israel ist gemäß ihrem inneren Leben und ihrer Sendung nach außen österliche Pfingstgemeinde. An dieser Tatsache ändert sich auch unter den Bedingungen des Heidenchristentums nichts, so gravierend die Änderungen ansonsten auch ausfallen. Bald schon hatte sich, wie mehrfach angesprochen, in Jerusalem eine christliche Gemeinde von Griechisch sprechenden Juden, der sog. Hellenisten gebildet, deren Verkündigung im Unterschied zu den „Hebräern“ gesetzes- und tempelkritische Züge aufwies. Das Verhältnis zur jüdischen Volksgemeinde wurde dadurch für die frühe Gemeinde, die sich als das neue Israel wusste, zum eklatanten Problem. Exemplarisch belegt dies die Steinigung des Stephanus (vgl. Apg 6 und 7). Seine der Verfolgung entflohenen Anhänger trugen die Botschaft der hellenistisch-judenchristlichen Gemeinden in die Diasporasynagogen und über diese hinaus zu den Nichtjuden, so dass es beizeiten zu jener Heidenmission kam, zu der sich der Apostel Paulus in besonderer Weise berufen wusste. Neben der in Jerusalem zentrierten Kirche unter Israel kam es daher schon früh zu einer Kirche außerhalb der jüdischen Volksgemeinde, die in der hellenistischen Großstadt Antiochien am Orontes ihr Zentrum fand. So schwerwiegend die Differenzen zwischen beiden Richtungen auch waren und so spannungsvoll sich das Werden der Kirche aus Juden und Heiden zeitweilig darstellte: die Gewissheit der österlichen Herrlichkeit des Gekreuzigten, die ihnen der göttliche Pfingstgeist erschlossen und bekräftigt hatte, verband die Jerusalemer Urgemeinde nicht nur mit den frühen hellenistisch-judenchristlichen, sondern auch mit den heidenchristlichen Gemeinden jenseits aller Unterschiede und Gegensätze hinsichtlich der Geltung der Tora.

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Dass das gesetzeskritische, ja gesetzesfreie Evangelium, zu dessen Verkündigung er sich vom Gesetzesfreies Evangelium Herrn persönlich autorisiert wusste, nichts anderes ist als Zeugnis vom auferstandenen Gekreuzigten, der sich ihm lebendig bezeugt hatte, war Paulus mit jener Gewissensgewissheit gewiss, die charakteristisch ist für seinen persönlichen Glauben und seine apostolische Weltmission. Auch für das paulinische Kerygma, das in seinen Anfang der 50er Jahre des 1. Jahrhunderts entstandenen Briefen dokumentiert ist, ist Ostern das Urdatum, welches nicht nur am Anfang des Christentums steht, sondern dessen gesamtes Beginnen bestimmt. Entsprechendes gilt für die Paulusschule und die deuteropaulinischen Schriften wie den Kolosser- und den Epheserbrief und bei aller sonstigen Eigenheit auch für den 2. Thessalonicherbrief und die Pastoralbriefe. Auch die synoptischen Evangelien nach Markus, Matthäus und Lukas sind gemäß ihrem Selbstverständnis offenkundig vom Pfingstgeist getragene Osterzeugnisse vom auferstandenen Christus Jesus, dessen irdisches Leben am Kreuz endete. Die Unterschiede einer stärker juden- oder heidenchristlichen Orientierung bedingen keine Grundsatzdifferenz, was den österlichen Gehalt des Kerygmas betrifft. Während sich die Jerusalemer Judenchristengemeinde im Zuge des jüdischen Aufstands minimierte und zwar keineswegs sofort, aber im Laufe der Zeit tendenziell im hellenistisch Judenchristentum der Diaspora aufging, hat dieses den Gang der frühen Kirchengeschichte weiterhin entscheidend bestimmt und über die synoptische Tradition hinaus im Jakobus-, 1. Petrus- und im Hebräerbrief sowie in der Apokalypse des Johannes einen bleibenden kanonischen Niederschlag gefunden. Mehr oder minder fließende Übergänge von Juden- zu Heidenchristentum repräsentieren das Markus- und Matthäusevangelium, wohingegen das lukanische Doppelwerk und die Deuteropaulinen stärker heidenchristlich orientiert sind. Doch ist ihnen allen das Geistzeugnis von der Auferweckung des gekreuzigten Jesus von Nazareth gemein, in dem Gott als er selbst für uns offenbar ist. Das neutestamentliche Zeugnis gründet insgesamt in der österlichen Selbstoffenbarung Gottes im auferstandenen gekreuzigten Jesus von Nazareth, wie sie in der Kraft des göttlichen Pfingstgeistes statthat. Neutestamentliche Theologie hat daher nicht nur offenbarungstheologischen Charakter, sie ist im Verein damit auch implizit trinitarisch strukturiert und gleichermaßen theologisch, christologisch und pneumatologisch verfasst. Was die Theologie des sich offenbarenden Gottes anbelangt, so schließt die neutestamentliche Botschaft durchweg an das Gotteszeugnis Israels an. Das Bekenntnis zu Jahwe als dem alleinigen Gott und Schöpfer Himmels und der Erden wird selbstverständlich geteilt. Auch die Überlieferungen von Gottes Wort und Weisung an Israel und von seinem Handeln in der Geschichte des erwählten Volkes und der Menschheit insgesamt sind vorausgesetzt. Besondere Aufmerksamkeit ziehen dabei eschatologische Tendenzen der Tora, in den Psalmen und insbesondere im prophetischen und im anschließenden apokalyptischen Schrifttum auf sich, die auf künftiges Gotteshandeln ausgerichtet sind sowie die Verheißung eines kommenden Bringers der Heilsgemeinschaft und der end-

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zeitlichen Vollendung in sich tragen. In Jesus Christus, dessen Reich-Gottes-Botschaft in Wort und Handlung eindeutig eschatologisch bestimmt war, fanden die frühen Christen alle Erwartungen dieser Art erfüllt. Die durch den Geist Gottes besiegelte österliche Verherrlichung des gekreuzigten Jesus von Nazareth galt ihnen als Anbruch der Endzeit und der offenbaren Präsenz Gottes in seinem Volk. Die „Interpretatio Christiana“ des Alten Testaments findet hierin ihren Anlass und berechtigten Grund, wobei selbstverständlich die von 2. Kor 3,14 nahegelegte Bezeichnung der Hl. Schriften Israels als Altes Testament in sich bereits eine christliche Deutung darstellt. Die zwar noch nicht abschließend kanonisierte, aber in ihrem Grundbestand von Tora, Propheten und Psalmen fraglos anerkannte hebräische Bibel war für das palästinische Urchristentum in Geltung und Verbindlichkeit unbestritten. Entsprechendes trifft für die im hellenistischen Judentum gebräuchliche Septuaginta zu, deren Verwendung sich seit Mitte des 1. Jahrhunderts im Urchristentum in breiter Form, wenngleich nicht allgemein und ausnahmslos durchsetzte. Kurzum: In Form des hebräischen Textes von Tora, Propheten und Psalmen, in Gestalt der griechischen Septuaginta oder in welchen Weisen auch immer waren die heiligen Schriften Israels die Bibel des Urchristentums und damit eine förmliche und vor allem eine inhaltliche Autorität. Aber sie waren dies nach urchristlichem, im weiteren Verlauf der Kirchengeschichte bestätigtem Sachurteil trotz aller internen Differenzierungen, die in dieser Hinsicht nötig sind, als Altes Testament im Sinne einer Größe, auf die man sich nach Maßgabe des differenzierten Verhältnisses von Neu und Alt bezogen wusste. Die österlich-pfingstliche Perspektive, in der die frühe Christenheit Überlieferungen Israels rezipierte, bewirkte deren traditionsgeschichtliche Transfinalisation, in der Affirmation und bestimmte Negation auf konstruktiv-kritische Weise untrennbar zusammenwirkten. Zwar traten die kritischen Momente der Unterscheidung einer urchristlichen von einer jüdischen Rezeption der heiligen Schriften Israels anfangs noch kaum in Erscheinung. Aber sie waren doch latent vorhanden und wurden im Laufe der weiteren Entwicklung im 1. Jahrhundert vom palästinischen über das hellenistische Judenchristentum hin zum gesetzesfreien Heidenchristentum immer deutlicher erkennbar. Der Prozess, der von Ostern und Pfingsten her Christliches konsequent auf die Kanonisierung einer christliGottesverständnis chen Bibel zweier Testamente führte, betraf naturgemäß auch das Gottesverständnis. Zwar teilte das frühe Christentum mit dem zeitgenössischen Judentum vorbehaltlos das Bekenntnis zum einen Gott, der Himmel und Erde gemacht hat und erhält. Doch lässt sich nach dem Zeugnis des Geistes, von welchem das Christentum lebt, die Gottheit Gottes und sein einiges Wesen nicht trennen von der österlichen Erscheinungsgestalt Jesu Christi, in dessen Person und Werk Gott selbst zum Heile von Menschheit und Welt offenbar ist. Unterschiede in schöpfungs- und erwählungstheologischer sowie in geschichtstheologisch-eschatologischer Hinsicht ergeben sich daraus notwendigerweise. Auch dem Verlauf der Auseinandersetzungen um die theologisch-soteriologische Relevanz

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der Tora wird man eine innere Konsequenz schwerlich bestreiten können, wenngleich die Tatsache, dass der Streit als ein christentumsinterner ausgetragen wurde, einen Beleg dafür darstellt, dass das Verhältnis des Christentums zur Überlieferung Israels – auch und gerade wo es kritisch wahrgenommen wird – kein lediglich äußerliches ist und sein kann. Entsprechend reflektiert sich das Verhältnis von Altem und Neuem im christlichen Zeugnis selbst auf vielfältige und vielfältig gebrochene Weise, ohne dass dadurch der Richtungssinn der Entwicklung, welche das frühe Christentum nahm, grundsätzlich in Frage gestellt wurde. Dies lässt sich an der frühchristlichen Schriftauslegung und ihren allegorischen, typologischen, heilsgeschichtlich-evolutionären oder am hermeneutischen Modell von Verheißung und Erfüllung, Gesetz und Evangelium etc. orientierten Methoden ebenso studieren wie am christologischen Deutezusammenhang, der entscheidend für das christliche Verständnis der Überlieferungen Israels überhaupt ist. Dass diese den primären Interpretationsrahmen der Geschichte Jesu, seines Leidens und Sterbens sowie seiner Auferweckung darstellen, ist evident. Ebenso unbestreitbar aber ist, dass die österliche Selbstoffenbarung im auferstandenen Gekreuzigten, wie der Geist sie nach christlichem Zeugnis beglaubigt, diesen Interpretationsrahmen zwar nicht einfach sprengt, aber einer Horizonterweiterung zuführt, welche die vorgefundenen Rahmenbedingungen als alt bzw. auf Neues, bisher noch nicht Dagewesenes etc. angelegt erscheinen lassen. Die Neudeutung des Kyriosbegriffs ist dafür ein besonders signifikanter Beleg. „Mein Herr und mein Gott“: Was Thomas vom auferstandenen Gekreuzigten sagt, legt sich von den Überlieferungen Israels her keineswegs von selbst nahe. Nichtsdestoweniger benennt die akklamatorische Aussage „Jesus ist der Herr“ zusammen mit Akklamationen wie „Jesus ist der Messias/Christus“, „Jesus ist der Sohn Gottes“ usw. das Grundbekenntnis des Christentums. In gesteigerter Dringlichkeit stellt sich erneut die Frage, ob jüdischer Toramonotheismus und Christuszeugnis kompatibel sind. Dass Jesus von Nazareth kein Christ, sondern ein Jude war, ist historisch ebenso offenkundig wie die Tatsache, dass die christliche Gemeinde anfänglich als eine Sondergruppe innerhalb des Judentums auftrat. „Das Christentum ist der Musterfall einer Sekundärreligion.“ (Levin, 300) Nach ersten Aufbrüchen, die sich noch ganz im Rahmen des Judentums und seiner religionsgeschichtlichen Prämissen bewegten, hat sich erst allmählich eine eigene christliche Wirklichkeitsauffassung ausgebildet, die zunächst in mündlichen Traditionen, dann in verschriftet-literarischer Form Ausdruck fand, bis sich das frühe Christentum durch Sammlung verbindlicher Schriften seiner Identität vergewisserte. Dies geschah in dezidierter Abwehr gnostischer Tendenzen und in bewusster Aufnahme der Hl. Schriften Israels, die als Altes Testament integrierter Bestandteil des neutestamentlichen Kanons wurden. Den Hintergrund bildete eine eminent theologische Entscheidung. Gegen die These Markions, der strafende Gott Israels könne nicht der liebende Vater Jesu Christi sein, wurde die Einheit des einzigen Gottes und die Überzeugung geltend gemacht, dass Altes und Neues Testament von ein und demselben künden. An der Botschaft Jesu hatte diese Überzeugung einen festen Anhalt. Die

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Einheit und Einzigkeit Gottes ist nicht nur das grundlegende Merkmal der traditionellen Idee von der Königsherrschaft Gottes samt der mit ihr verbundenen Opposition von Israel und Heidentum, sondern zugleich die Grundlage der Basileia-Verkündigung Jesu (vgl. JBTh 2 [1987], 13ff.). „Man kann den Vater Jesu Christi gar nicht anders haben als den einen Gott, der sich schon Israel als solcher geoffenbart hat.“ (JBTh 2 [1987], 6) Wenn vom jüdischen Erbe frühchristlicher Tradition zu handeln ist, dann muss entsprechend als erstes vom Gott Israels und von der spezifischen Gestalt des Monotheismus die Rede sein, wie er sich im Verlauf der israelitischen Religions- und Theologiegeschichte ausgebildet hat. Der Monotheismus ist in Verruf geraten. Er bestimme sich, heißt es, wesentlich durch äußere und innere Gegensätze. Nach Außen hin grenze er sich gegen Paganismus und Vielgötterei, nach Innen gegen alle möglichen Häresien ab. Identitätsbildung durch Negation sei das Wesengesetz des Monotheismus. Indem er konstitutiv auf Oppositionen ausgerichtet sei und in unvermittelten Alternativen denke, setze er erhebliche Gewaltpotentiale frei. Unduldsamkeit und Hass gegen Anderes hätten als charakteristische Kennzeichen monotheistischen Gotteseifers zu gelten. Die Abscheu von Mitmenschen werde dabei als Gegenreaktion billigend in Kauf genommen. Drücke sich doch das Wesen des Monotheismus „in keinem Merkmal so prägnant aus wie in der Bereitschaft der Eiferer, sich bei den Menschen verhaßt zu machen, wenn dies das Mittel sein sollte, Gott desto besser zu gefallen“ (Sloterdijk, 174). Judentum, Christentum und Islam sind die Formen, in denen der Monotheismus weltgeschichtliche Gestalt angenommen hat. Nach Urteil von Monotheismuskritikern sind alle drei monotheistischen Weltreligionen durch latente und manifeste Gewalt gekennzeichnet. Während das Judentum im Verlauf seiner Geschichte in die Defensive und in einen Separatismus gedrängt worden sei, der die polemogenen Potentiale seines monotheistischen Universalismus nicht habe zum Zuge kommen lassen, hätten Christentum und Islam von Anbeginn zu einer missionarischen Expansion durch Heilige Kriege tendiert. Diese Tendenz folge konsequent aus dem monotheistischen Prinzip. Der Verdacht scheint begründet, „die vom Christentum und vom Islam zu verantwortenden Gewaltakte seien keine bloßen Verkehrungen gewesen, die das Wesen dieser an sich gutartigen religiösen Lehren verfälschten, sie stellten vielmehr Manifestationen eines von ihrem Bestand unabtrennbaren polemogenen Potentials dar“ (Sloterdijk, 205). Trotz vergleichsweise schonender Behandlung Mosaischer Monotheismus wird auch das Judentum von der aktuellen Monotheismuskritik nicht ausgenommen und das umso weniger, als mit der Religionsgeschichte Israels die Genese des Ein-GottGlaubens assoziiert wird. Die mit der laufenden Monotheismusdebatte eng verbundene Mosediskussion ist ein Beleg dafür. Die Mosegestalt gilt als Symbol und Wirkzeichen der Grundsatzunterscheidung zwischen dem wahren Gott und den falschen Göttern, zwischen rechter Lehre und Irrlehre, zwischen Glauben und Unglauben sowie den hieraus folgenden Antagonismen. Gelegentlich wurde eine

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Beziehung zwischen Mose und dem ägyptischen Ketzerpharao Echnaton hergestellt, der sich seinerseits als Beispiel monotheistischer Intoleranz und Gewaltsamkeit zu eignen scheint. Historisch lässt sich diese Verbindung nicht halten. Gesetzt, Moses ist überhaupt eine zumindest in Spuren fassbare und nicht lediglich eine traditionsgeschichtlich wirksame Figur, dann spricht abgesehen von elementaren theologischen Differenzen die mehr als ein Jahrhundert umfassenden Zeitdifferenz zwischen ihm und Echnaton sowie die völlige damnatio memoriae, die in Ägypten hinsichtlich der Reformreligion von Amarna herrschte, gegen einen direkten Einfluss (vgl. Schmitt/Sparn, 7ff.). Doch kommt es darauf im Entscheidenden nicht an. Denn unzweifelhaft richtig ist, dass der mosaische Monotheismus, wie immer über einen historischen Mose und sein Umfeld zu urteilen ist, zu einer weltgeschichtlich höchst wirksamen Größe geworden ist; und zutreffend ist auch, dass der jüdische Monotheismus exklusiv und auf Ausschluss aller anderen Götter ausgerichtet ist. Ausschließlichkeit gehört zu seinem eigentümlichen Charakter und Wesen. Israels Gott, den Jesus seinen Vater nennt und dessen väterliche Nähe er in seiner Basileiapredigt in Wort und Tat verkündet, ist einer und einer allein. Exklusivität gehört zur Eigenart des Jahweglaubens. Der Ausschließlichkeitsanspruch Gottes ist „sein eigentliches Zentrum“ (Graf Reventlow, 19): „Daß Jahwe die Forderung auf alleinige Verehrung erhebt, ist eine spezifische Eigenart dieses Glaubens, die ihn von allen Religionen seiner Umwelt unterscheidet ...“ (ebd.). Man wird freilich hinzufügen müssen, dass sich der eine und alleinige Gott desto weniger durch Alternativen bestimmt, je eindeutiger die Nichtigkeit von Fremdgöttern erkannt ist. Das Sein von Götzen, die in Wahrheit Nichtse sind, vermag keine dauerhaften Gegensätze zum und im Wesen des einen Gottes zu begründen. Genau diese Entwicklung zeichnet sich seit der Exilszeit Israels ab. Der eine Gott umgreift den Unterschied zu dem, was er angeblich nicht ist. Der Polytheismus wird über die Zwischenstufe der Monolatrie zu einem aufgehobenen Moment des jüdischen Monotheismus. An der biblischen Erinnerungsgeschichte lässt sich dies im Einzelnen belegen. Im Zuge dieser Entwicklung nimmt der Ein-Gott-Glaube Israels konsequent universale Gestalt an, wobei der Gedanke göttlicher Gerechtigkeit als Medium fungiert, Monotheismus und Universalität zusammenzuschließen. Israels Monotheismus ist Toramonotheimus. Zwar ist die Tora historisch betrachtet eine partikulare Größe und in ihren Einzelgesetzen von beschränkter Reichweite. Aber der Geltungsanspruch ihres Kerns, wie er namentlich im Dekalog umschrieben ist, transzendiert doch zugleich alle Grenzen des Raumes und der Zeit, um der Tendenz nach den Unterschied zwischen Israel und den Völkern zu umgreifen. Konkret erfasst ist der Monotheismus Israels nur als Toramonotheismus, also in der Gestalt, in welcher Einheit und Universalität Gottes durch den Gedanken göttlicher Gerechtigkeit vermittelt sind. Israels Toramonotheismus steht, wie im vierten Band dieser Reihe ausführlich dargelegt, im Zentrum, aber nicht am Anfang seiner Geschichte. Die religionsgeschichtlich zurückzulegende Strecke vom Wettergott, den die frühe Jahwereligion verehrte, zum Gott des Alten Testaments ist lang. Die frühe Jahwereligion war,

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wenn man so will, selbst pagan und wie die Religionen der altorientalischen Umwelt von polytheistischer Natur. Erst im Laufe der ersten Hälfte des 1. Jahrtausends v.Chr. bildeten sich monolatrische Tendenzen aus. Jahwe nahm soziomorphe Gestalt an. Er zähmte nicht nur die chaotischen Fluten, welche die kosmische Ordnung gefährdeten, sondern gab zugleich der Welt jenen verlässlichen Rechtsgrund, dessen sie für ihren kulturellen Bestand auf Dauer bedurfte. Seiner machtvollen und durchsetzungsstarken Herrscherhoheit huldigten in der Sicht Israels die umgebenden Götter. Dass diese je auf ihre Weise ebenfalls Herrschaftsansprüche erhoben, konnte den Jahweverehrern nicht verborgen bleiben. Ihre Monolatrie war daher in der Tat nicht selten auf Kampf angelegt und antagonistisch gestimmt. Es bedurfte des Ruins der Macht Israels und des Untergangs der judäischen Dynastie, um eine grundlegende Kehre zu bewirken und in der jüdischen Theologie der exilischen und nachexilischen Zeit mit der Lehre von der Schöpferallmacht des einen Gottes zugleich derjenigen seiner allumfassenden Gerechtigkeit bleibenden Durchbruch zu verschaffen. Der eine und allgewaltige Gott ist gerecht und seine Gottheit erweist sich primär nicht in naturhafter Stärke und äußerer Macht, sondern in der Schaffung und Erhaltung von Gerechtigkeit, nach deren Maßgabe er herrscht und deren Weisungen den Bund mit seinem Volk bestimmen. Gott ist einer und seine gerechte Herrschaft universal. Der Toramonotheismus bildet die innere Mitte der hebräischen Bibel und ist kennzeichnend für die jüdische Religionsgeschichte, wie sie sich nach der politischen Niederlage und der Zerstörung des ersten Tempels, also zu einer Zeit ausgeprägt hat, als anstelle von Hinkehr zu Jahwe Abkehr zu anderen Göttern zu erwarten gewesen wäre und von nicht wenigen wohl auch vollzogen wurde. Einen Anknüpfungspunkt für den Toramonotheismus, der im nachexilischen Judentum allmählich verbindlich und kanonisch werden sollte, bot am ehesten die nachmalig klassisch gewordene Prophetentradition namentlich in ihren antipolytheistischen und auf das göttliche Recht konzentrierten Aspekten. Die in der prophetischen Überlieferung aufbewahrten und überlieferten Erfahrungen gewannen im Exil ungeahnte Bedeutung und boten Israel die Möglichkeit, den Verlust der politischen Identität religiös konstruktiv zu verarbeiten und sich unter erheblich gewandelten Bedingungen als Volk Gottes auch ohne die traditionellen Merkmale volksmäßiger Existenz zu definieren. Die sich ausbildenden Identitätszeichen von Beschneidung oder Sabbatheiligung sind Indizien dieser Entwicklung, die im Glauben an die universale Gerechtigkeit des einen Gottes ihr bewegendes Motiv gefunden hatte. Nicht als ob der Gedanke an eine weltumfassende Rechtsordnung von göttlichem Bestand den altorientalischen Religionskulturen von Hause aus fremd gewesen wäre: aber Recht und Gerechtigkeit Jahwes, von der die jüdische Religionsgeschichte kündet, sind nicht Funktionen politischer Selbstdurchsetzung und ethnischen Selbsterhalts. Wenn nämlich Israel die Weisung Gottes missachtet, dann wendet sich das für das Gottesvolk konstitutive Heilsangebot der Tora gegen es selbst, und die Missachtung des göttlichen Willens wird zum Gericht. Der Toramonotheismus, der den Gedanken der Einheit Gottes unveräußerlich

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mit dem der Universalität göttlicher Gerechtigkeit und gerechter Schöpferallmacht verbindet, Religionsgeschichte Israels steht, wie gesagt, wohl im Zentrum, nicht aber am Anfang der Religionsgeschichte Israels. In der alttestamentlichen Wissenschaft hat sich diese Einsicht erst allmählich und gegen erhebliche Reserven durchgesetzt, die bis in die jüngste Zeit andauern. Der Mythos einer gründenden mosaischen Urzeit erwies sich als äußerst zählebig. Überaus stark war die Neigung, Israel bereits von seinem Ursprung her aus der Religionsgeschichte seiner Umwelt herauszunehmen, um auf diese Weise das proprium und die spezifische Differenz seines Gottesglaubens dem umgebenden Heidentum gegenüber zu sichern. Die These, wonach die israelitische Jahwereligion sich ursprünglich kaum von der Religion ihrer palästinisch-syrischen Umgebung unterschieden und erst nach Ende des israelitischen und judäischen Königtums zu jenem Monotheismus gewandelt habe, wie er für das nachexilische Judentum und das in seinen wesentlichen Teilen erst in nachexilischer Zeit entstandene Alte Testament charakteristisch sei, hatte auch nach Wellhausen, der sie plausibel begründete, noch mit großen Widerständen zu rechnen. Charakteristisches Format hat der Widerstand, der sich gegen die an Wellhausen anschließende Sicht der Dinge bildete, insbesondere in Gestalt der Darstellungen angenommen, die Albrecht Alt, Martin Noth und Gerhard von Rad von der Frühgeschichte Israels gezeichnet und mit denen sie zumindest die deutschsprachige alttestamentliche Wissenschaft nachhaltig bestimmt haben. „In der Wissenschaft ihrer Zeit hätten Alts und Noths (und natürlich auch v. Rads) Arbeiten keine so große Wirkung gehabt, wenn sie nicht eine damals gestellte Aufgabe auf eine damals befriedigende Weise gelöst hätten. Über die selbstverständliche Auswertung der laufend bekannt werdenden Ergebnisse der altorientalischen Philologie und Archäologie hinaus bestand diese Aufgabe vor allem darin, über das älteste Israel Klarheit zu gewinnen, nachdem die Pentateuchkritik des 19. Jahrhunderts die ‚mosaische‘ Theokratie vom Ende des 2. Jahrtausends in die Mitte des 1. Jahrtausends verwiesen, also um ein gutes halbes Jahrtausend verjüngt hatte. Den konservativen Gelehrten kam es arg wenig vor, was daraufhin Julius Wellhausen in seiner israelitischen und jüdischen Geschichte (1894) der Frühzeit beließ, und ihr energischster Wortführer, Rudolf Kittel, schrieb dagegen eine voluminöse Geschichte des Volkes Israel, die bei allem Aufwand das Blatt nicht wenden konnte. Sie war zu apologetisch, zu defensiv, zu sehr am Gegner orientiert, brachte nichts wirklich Neues. So kam die Stunde der Jüngeren, und sie nutzten sie.“ (Rüterswörden [Hg.], 12) 1922 trat der Gunkelschüler Sigmund Mowinckel mit der aus vorexilisch datierten Psalmen gewonnenen, bald heftig umstrittenen These eines alljährlich gefeierten Festes der Thronbesteigung Jahwes an die Öffentlichkeit. Doch schien die mit der Vorstellung eines Götterkampfes verbundene Annahme eines zyklischen, am Naturkreislauf orientierten Auf- und Abstiegs Jahwes wenig geeignet, an den Paganismus verloren geglaubtes Terrain für die Frühgeschichte Israels wiederzugewinnen. Als erfolgsversprechender wurden die Geschichtskonstruktionen Alts und

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Noths wahrgenommen, da sie dem frühen Israel seine solitäre Stellung innerhalb der altorientalischen Religionsgeschichte wiederzugeben verhießen. „1929 ortete Albrecht Alt die Erzväter, nach Wellhausen eine Rückprojektion aus der Königszeit, als Kultgründer in der Situation des Übertritts in das Kulturland, und 1930 führte Martin Noth das Überlieferungselement von den zwölf Stämmen Israels (bzw. den zwölf Söhnen Jakobs) auf einen sakralen Bund von zwölf Stämmen nach Analogie der griechischen Amphiktyonie zurück, den Israel in vorstaatlicher Zeit gebildet habe.“ (Ebd.) Alts und Noths Theorien fanden viele Anhänger, wurden seit den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts aber auch Gegenstand heftiger Kritik und dürfen inzwischen als widerlegt gelten. Widerlegt ist damit vor allem die Annahme einer ursprünglichen Fundamentaldifferenz zwischen Juda/ Israel einerseits und seiner altorientalischen Umwelt andererseits. Immer deutlicher traten in jüngster Zeit die Verbindungen etwa der Jerusalemer Kulttraditionen mit gemeinreligiösen Praktiken des Alten Orients zutage. Faktum ist: Es bedurfte einer grundstürzenden Krise der judäisch-israelitischen Existenz und ihrer aus Vorzeiten überkommenen Religion samt ihrer Fortbildungsgestalten, bis sich der für das Judentum charakteristische Monotheismus ausbildete. Jüdischer Monotheismus ist ein Krisenphänomen und hat die Negation aller natürlichen, ethnischen, politischen und sonstigen Formen unmittelbarer Selbstbehauptung und Selbstdurchsetzung zur Voraussetzung. Jüdischer Monotheismus vertraut auf die universale Gerechtigkeit des einen Gottes, der jenseits von Fatalität und arbiträrem Belieben nach dem Gesetz seiner Gebote richtet. Am Toramonotheismus hat das nachexilische Judentum auch festgehalten, als die Überzeugung eines gerecht geordneten Tun-Ergehen-Zusammenhangs empirisch zweifelhaft und fraglich wurde. Selbst unter der Last bedrückendster kollektiver und individueller Erfahrungen gaben die jüdischen Frommen den Glauben an den einen Gott und seine universale Gerechtigkeit nicht preis. Die Eschatologisierung der jüdischen Religion, wie sie für die apokalyptische Bewegung kennzeichnend ist, gehört in diesen Zusammenhang. Schien, um ein Beispiel zu geben, das ursprüngliche Heilswort in Ez 37 mit der Rückkehr der Exilierten, dem Wiederaufbau des Tempels und der Restitution Israels zumindest als persische Provinz seine definitive Erfüllung gefunden zu haben, so wurde es in der Makkabäerzeit infolge der Unterdrückungspolitik des Antiochos IV. Epiphanes durch Fortschreibung reaktualisiert, und an die Stelle der Hoffnung auf eine irdische Wiederherstellung Israels trat die eschatologische Erwartung einer künftigen Auferstehung der Toten. Nicht irdischer Erfolg oder Misserfolg ist das letzte Maß der Dinge, da zuletzt und über alles und alle der eine Gott richten wird nach Maßgabe seiner göttlichen Gerechtigkeit. Die Eschatologisierung der jüdischen Frömmigkeit, wie sie zwar nicht von allen Gliedern des Volkes geteilt, aber für die apokalyptischen Traditionen bestimmend wurde, bildete den Hintergrund und die implizite Voraussetzung der Basileia-Botschaft Jesu, deren für offenbar viele Zeitgenossen befremdliche Eigentümlichkeit darin bestand, dass das kommende Reich und die väterliche Nähe Gottes auch

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denen verheißungsvoll zugesagt wurde, die als ungerecht und als torawidrige Sünder zu gelten hatten. Im Übrigen hielt Jesus am jüdischen Monotheismus mit einer Selbstverständlichkeit fest, die keiner gesonderten Begründung bedurfte. Im Glauben an den einen Gott und im Bekenntnis seiner Einzigkeit wusste er sich mit allen Juden eins. Generell kann man sagen, dass bei aller Variabilität der religiösen Vorstellungen im alles andere als uniformen Judentum der jesuanischen Zeit der strikte Monotheismus eine unumstrittene Identitätskonstante war. Die Jünger Jesu, die sich zum Gekreuzigten als dem österlichen Christus bekannten, machten darin keine Ausnahme, woraus sich erklärt, dass sie geraume Zeit als Sondergruppierung innerhalb des Judentums wahrgenommen wurden und sich selbst als solche verstehen konnten. Das christliche Bekenntnis löst den jüdischen Monotheismus nicht auf, sondern setzt ihn als Der eine Gott und das Zeugnis Jesu Christi Prämisse des eigenen Zeugnisses voraus. Das Recht dieser Annahme wird durch die gesamte neutestamentliche Überlieferung bestätigt. Das Wort theos ist nicht nur eines der am meisten verwendeten Substantive des Neuen Testaments; es ist zugleich immer und ausnahmslos der eine Gott Israels, dessen Einzigkeit mit ihm bekannt wird. Die Annahme, an die Stelle des Jahwenamens sei im Christentum derjenige Jesu Christi getreten, um ersteren zu ersetzen, entbehrt jeder Grundlage. Monotheistische Theologie und Christologie bilden keinen Gegensatz. Dies schließt nicht aus, dass die Anwendung des KyriosTitels und anderer Hoheitsaussagen auf Jesus von Repräsentanten jüdischer Theologie als Grenzüberschreitung beurteilt wurde. Doch ändert dies nichts an der Tatsache, dass das werdende Christentum an der monotheistischen Tradition des Judentums und ihrem strikten Theozentrismus entschieden festhalten wollte. Am ältesten Evangelium lässt sich dies exemplarisch belegen. Gott ist nach Mk der eine und einzige Herr, der in der Allmacht seiner unbegrenzten Möglichkeiten alles beherrscht, dessen einiger Wille in den Geboten offenbar ist und der Anfang, Verlauf und Ende der Menschheitsgeschichte nach Maßgabe seiner allmächtigen Gerechtigkeit fügt, die in Jesus Christus keineswegs negiert, wohl aber auf unbegreifliche Weise mit göttlicher Liebe zu denjenigen verbunden ist, die verloren sind. Dem möglichen und tatsächlich erhobenen Vorwurf, durch die von bzw. für Jesus beanspruchte theologische Stellung werde die Einheit und Einzigkeit Gottes verletzt, begegnet Mk vor allem „mit drei Strategien: Der lehrende Jesus wird als bekennender Monotheist dargestellt. Seinen Hoheitsanspruch bringt Jesus ausdrücklich nur in den Worten vom Menschensohn zur Geltung. Dieser wird zukünftig von Gott erhöht. Er erhöht sich nicht selbst, er beansprucht nicht selbst eine gottgleiche Position für sich. Der Menschensohn muss leiden und sterben. Die Hoheit Jesu wird durch sein Leiden konstituiert (Mk 10,45) und kreuzestheologisch neu definiert.“ (Guttenberger, 312f.) Das „Heis theos“ bleibt sonach unter markinischen Bedingungen nicht nur erhalten; das Bekenntnis zur Einheit und Einzigkeit Gottes gehört konstitutiv sowohl zu Jesu eigener Verkündigung als auch zur christlichen Verkündigung Jesu als des Christus.

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Wenn im Neuen Testament von „Gott“ die Rede ist, dann ist damit der Gott Israels gemeint, von dem Jesus sich klar unterscheidet und klar unterschieden wird. Selbst explizit als Gott tituliert wird er nur an einigen neutestamentlichen Stellen. Eine genaue Untersuchung ergibt, „daß Jesus an drei neutestamentlichen Textstellen (Hebr 1,8[f.]; Joh 1,1; 20,28) eindeutig als theos bezeichnet wird und daß an fünf weiteren Stellen (Joh 1,18; Tit 2,13; 1Joh 5,20; Röm 9,5; 2Petr 1,1) eine gewisse (bei Joh 1,18; Röm 9,5 und 2Petr 1,1 sogar eine hohe) Wahrscheinlichkeit für diese Titulierung besteht, während vier weitere ... Stellen (Gal 2,20; Apg 20,28; Kol 2,2f.; 2Thess 1,12) eher nicht als Belege für die Bezeichnung Jesu als ‚Gott‘ in Frage kommen“ (Brucker, 125). Wichtiger als dieser Befund und wichtiger auch als der in seinem systematischen Gehalt selbst in hohem Maße erläuterungsbedürftige Hinweis, „daß die Bezeichnung Jesu als theos im Neuen Testament die Ausnahme, nicht der Normalfall ist“ (Brucker, 131), ist die Einsicht, dass Jesus neutestamentlich niemals zu einem Gott neben dem einen Gott Israels erklärt wurde, den er als seinen Vater bekannt hat. Das neutestamentliche Bekenntnis zur Gottheit Jesu Christi hebt nicht nur dessen Menschsein nicht auf, es steht auch unter der eindeutigen Voraussetzung, dass der Mensch Jesus sich von Gott unterschieden wusste und auch als der inkarnierte Logos von Gottvater, mit dessen Gottheit er eins ist, zu unterscheiden ist. Es bedurfte einer entwickelten Christologie und Trinitätslehre, um dies in der nötigen Differenziertheit zum Ausdruck zu bringen. Das Christentum ist wie das Judentum eine monotheistische Religion. Die Bruchstelle zwischen beiden ist nicht durch den Glauben an die Einzigkeit des einen Gottes markiert, der von beiden geteilt wird, sondern durch ein auseinandergehendes Verständnis göttlichen Verhältnisses sowohl zu den Heiden als auch und vor allem zu denen, die als gottlose und gottwidrige Sünder und daher nach Maßgabe der Tora als verloren zu gelten hatten. Das alttestamentliche Bekenntnis zu dem einen Gott, der mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft zu lieben ist (Dtn 6,4f.; vgl. Mk 12,29f.; 1. Kor 8,4), ist im Neuen Testament auf differenzierte Weise vereint mit dem Zeugnis vom einen Herrn Jesus Christus, der in der Kraft des göttlichen Geistes durch seinen Tod Versöhnung mit Gott und Erlösung von allem Übel erschlossen hat. Das Christusgeschehen negiert nicht die Einzigkeit des Gottes Israel, sondern hat den jüdischen Monotheismus zur impliziten Voraussetzung seiner Faktizität und Bedeutung. Es macht aber theologische Näher- und Neubestimmungen notwendig, die kritische Potentiale bezüglich des überkommenen Gottesverständnisses enthalten. Wie schon bei Jesus ist auch im werdenden Christentum, das sich zur Auferstehung des gekreuzigten Sünderfreundes bekannte, der religiöse Konflikt, der schließlich zur Differenzierung von Judentum und Christentum führte, ein Streit um die im Gesetz offenbare Gerechtigkeit. Der Konflikt steht unter der Voraussetzung eines unstreitigen Monotheismus, der beiden Religionsparteien auch noch im Vollzug ihrer Entzweiung gemeinsam ist und bleibt. Gleichwohl ist er ein eminent theologischer, weil er die Gottheit Gottes und den zentralen Sinngehalt ihrer Offenbarung selbst betrifft.

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Die Religiosität, die das Judentum zwischen 200 v. und 200 n.Chr. strukturell bestimmte und seine Gruppierungen jenseits aller Differenzen einheitlich prägte, wird seit geraumer Zeit als „Bundesnomismus“ („convenantal nomism“) umschrieben. Diese Umschreibung ist nicht unumstritten. Doch wird man ihr nicht vorwerfen können, dass sie frühjüdische Gesetzesobservanz unbesehen mit dem Verdikt des Legalismus belegt, wie das christlicherseits nicht selten geschah. Tatsächlich wird das ettiketisierende Schlagwort von einem legalistischen Nomismus dem Judentum zur Zeit Jesu in keiner Weise gerecht. Dies ändert indes nichts daran, dass eine christliche Deutung des Christusgeschehens um eine theologische Auseinandersetzung mit dem jüdischen Gesetzesverständnis nicht umhin kommt. Keiner hat das deutlicher gesehen als der rabbinische Schriftgelehrte Paulus. Das jüdisch-christliche Bekenntnis zum einen Gott bildet die Grundlage biblischer Theologie. Auch das neutestamentliche Christuszeugnis hält am Monotheismus eindeutig fest und bezeugt nicht etwa zwei Götter und Christus als einen zweiten Gott neben dem Gott Israels. Dennoch führt kein gangbarer Weg an der Frage vorbei, ob die christologische Fortentwicklung des Bekenntnisses zum einen Gott, wie sie für das Neue Testament kennzeichnend ist, den alttestamentlichen Monotheismus nicht in einer Weise veränderte, welche die Einheit des Gottes der beiden Testamente zu einem gravierenden Problem werden ließ, das nicht nur Missverständnisse, sondern Zwiespalt mit theologischer Notwendigkeit erzeugen musste. Diese Frage stellt sich umso dringender, als die neutestamentliche Christologie das jüdische Bekenntnis zum einen Gott nicht nur additiv erweitert, sondern ebenso konstruktiv wie kritisch transformiert hat. Man wird nicht nur über Einheit und Vielfalt, sondern auch über Einheit und Differenz Biblischer Theologie nachzudenken haben. Dies soll im Folgenden in kanontheologischer und über die Grenzen des Kanons hinausführender religionswissenschaftlicher Perspektive geschehen.

6. Die Heiligen Schriften Israels als Altes Testament und die Genese des neutestamentlichen Kanons

Lit.: K. Berger, Theologiegeschichte des Urchristentums. Theologie des Neuen Testaments, Tübingen/Basel 21995. – W. Bousset, Kyrios Christos. Geschichte des Christusglaubens von den Anfängen des Christentums bis Irenäus, Göttingen 1913. – Drs., Jesus der Herr. Nachträge und Auseinandersetzungen zu Kyrios Christos, Göttingen 1916. – R. Bultmann, Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen (1949), München 1992. – H. Frh. v. Campenhausen, Das Alte Testament als Bibel der Kirche vom Ausgang des Urchristentums bis zur Entstehung des Neuen Testaments, in: ders., Aus der Frühzeit des Christentums (Ges. Aufsätze), Tübingen 1963, 152–196. – B. S. Childs, Die Theologie der einen Bibel. Zwei Bände, Freiburg/Basel/Wien 1994/96 (Titel der englischen Originalausgabe: Biblical Theology of the Old and New Testament. Theological Reflexion on the Christian Bible, London 1992). – F. Hahn, Die Heilige Schrift als älteste christliche Tradition und als Kanon, in: ders., Exegetische Beiträge zum ökumenischen Gespräch (Gesammelte Aufsätze I), Göttingen 1986, 29–39. – M. Hengel/A. M. Schwemer, Jesus und das Judentum (Geschichte des frühen Christentums Bd. I), Tübingen 2007. – H. Hübner, Biblische Theologie des Neuen Testaments. Bd. 1: Prolegomena, Göttingen 1990; Bd. 2: Die Theologie des Paulus und ihre neutestamentliche Wirkungsgeschichte, Göttingen 1993; Bd. 3: Hebräerbrief, Evangelien und Offenbarung. Epilegomena, Göttingen 1995. – H. Köster, Einführung in das Neue Testament im Rahmen der Religionsgeschichte und Kulturgeschichte der hellenistischen und römischen Zeit, Berlin/New York 1980. – Chr. Levin, Die Verheißung des Neuen Bundes in ihrem theologiegeschichtlichen Zusammenhang ausgelegt, Göttingen 1985. – W. Rothfuchs, Die Erfüllungszitate des Matthäus-Evangeliums. Eine biblisch-theologische Untersuchung, Stuttgart u.a. 1969. – J. Schröter, Jesus von Nazaret. Jude aus Galiläa – Retter der Welt, Leipzig 2006. – P. Stuhlmacher, Biblische Theologie des Neuen Testaments. Zwei Bände (1992), Göttingen 21997. – G. Theißen, Die Religion der ersten Christen. Eine Theorie des Urchristentums, Gütersloh 2000. – M. Tilly, Einführung in die Septuaginta, Darmstadt 2005. – G. Wenz, Die Kanonfrage als Problem ökumenischer Theologie, in: W. Pannenberg/Th. Schneider (Hg.), Verbindliches Zeugnis I. Kanon – Schrift – Tradition, Freiburf i.Br./Göttingen 1992, 232–288.

Der Zeitraum des öffentlichen Wirkens Jesu war kurz und umfasste kaum mehr als ein bis zwei Jahre. Daran schließt sich das sog. apostolische Zeitalter als die Ära der Urchristenheit an, die rund vierzig Jahre bis zur Zerstörung Jerusalems 70 n.Chr. reicht. Entscheidende Weichenstellungen wurden bereits in den ersten beiden Jahrzehnten vorgenommen. Für die Folgejahre war die paulinische Mission von entscheidender Bedeutung, ohne welche die universale AusbreiImplizite Voraussetzungen christlicher Theologie

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tung des Christentums historisch nicht denkbar ist. Das sog. nachapostolische Zeitalter erbrachte innerhalb weniger Jahrzehnte große theologische Entwürfe wie das Doppelwerk des Lukas, den Hebräerbrief, das Matthäusevangelium, den ersten Petrusbrief, das Corpus Johanneum und die Apokalypse des Johannes, auf deren Basis sich im beginnenden 2. nachchristlichen Jahrhundert die Kirche in Theorie und Praxis fortschreitend formierte. Ein gutes Jahrhundert nach Jesu Tod war die christliche Kirche eine geschichtlich entwickelte Größe mit klar konturierter religiöser Identität. Die Ablösung vom Judentum, aus dem es hervorging, ist vollzogen, auch wenn der Zusammenhang mit der jüdischen Tradition erhalten bleibt, deren Erbe zum konstitutiven Bestandteil der eigenen Identität wurde. Die in Antiochien erstmals so genannten Christianoi bzw. Christiani (vgl. Apg 11,26; 26,28; 1. Petr 4,16) waren ihrer Herkunft nach mehrheitlich Juden, wie denn auch „die große Mehrheit der neutestamentlichen Autoren Judenchristen waren“ (Hengel/Schwemer, 23; bei H. u. S. kursiv). Von den Zeitgenossen wurde das Christentum daher geraume Zeit als eine jüdische Sekte wahrgenommen. Der vermeintliche Antijudaismus neutestamentlicher Texte ist in aller Regel kein Indiz einer prinzipiellen Opposition des Christentums zum Judentum, sondern des Streits um das rechte Verständnis der jüdischen Überlieferungen, wie er durch das Leben und insbesondere durch den Tod Jesu hervorgerufen war. Der Kern des durch Paulus zugesteigerten und auf den Begriff gebrachten Konflikts ist im christlichen Bekenntnis zum auferstandenen Gekreuzigten begründet, der, mit Paulus zu reden, das Ende des Gesetzes und die Rechtfertigung aus Gnade für jeden gebracht hat, der glaubt. Dieser Konflikt betraf das gemeinsame Erbe jüdischer und christlicher Tradition, erbrachte aber zugleich religiöse Separierung. Unter jüdischen Gesichtspunkten beurteilt hörte das Christentum auf, eine mögliche und legitime Entwicklung des Judentums zu sein, was die Ausstoßung aus der Synagoge belegt. Umgekehrt trennte sich das Christentum vom Judentum, sofern dieses das Bekenntnis zu Jesus als dem Christus nicht teilte. In der Unterscheidung von Altem und Neuem Testament bzw. Altem und Neuem Bund reflektiert sich, wie sich unter christlichen Bedingungen das Verhältnis von Judentum und Christentum von nun an darstellte. So wahr es ist, dass Jesu Wirken „auf die Erneuerung Israels und gerade nicht auf eine von Israel getrennte Gemeinschaft (zielte)“ (Schröter, 104), so unbestreitbar ist andererseits auch, dass die Trennung von Judentum und Christentum in der österlich-pfingstlichen Konsequenz von Leben und Sterben Jesu lag. Doch blieb das jüdische Erbe dem Christentum als seine eigene Voraussetzung implizit. Das Gotteszeugnis Israels ist nicht nur die unveräußerliche Grundlage der jesuanischen Botschaft, sondern zugleich die implizite Voraussetzung christlicher Theologie. Von einer christologischen Destruktion der Einheit Gottes und seiner Einzigkeit kann im Ernst nicht gesprochen werden. Doch zeigt die neutestamentliche Rede vom neuen und zweiten Bund, der sich vom ersten unterscheidet, um auf ihn als den alten zurückzuverweisen, dass Differenzierungen nötig sind. Als primärer Referenztext bietet sich der Vers Jer 31,31 an, welcher als einziger in der hebräischen Bibel und in der zwischentestamentarischen Überlieferung das Stichwort

126 Die Heiligen Schriften Israels als AT und die Genese des neutestamentlichen Kanons „neuer Bund“ enthält. „Eine vergleichbare Bedeutung hat im Neuen Testament nur Ex 24,8 gewonnen, der mit Blut besiegelte Bundesschluß am Sinai. Doch ist auch dazu die Vorstellung des dem Sinaibund entsprechenden neuen Bundes in Christus, der Jer 31,31 entstammt, Voraussetzung.“ (Levin, 266f.) Obwohl im Neuen Testament das Thema des Neuen Bundes in expliziter Form „auf wenige Textbereiche beschränkt ist“ (Levin, 267), ist es implizit omnipräsent, was der Umstand belegt, dass die Wendung neuer Bund zum Identifikationsbegriff des Neuen Testaments wurde. Seine eigentümliche Bezeichnung als „Novum Testamentum“ enthält bereits vor aller materialen Ausführung einen formalen Hinweis in sich, wie jüdischer Toramonotheismus und christliches Osterbekenntnis zur Gottzugehörigkeit des vom Gesetz gerichteten Gekreuzigten einander zuzuordnen sind. Aufgeschrieben wurden die schließlich im Neuen Testament kanonisierten Schriften vor allem zum Zwecke der Verkündigung und Lehre in den frühchristlichen Gemeinden. Die Bezeichnung ihrer aus dem gleichen Zweck veranstalteten Sammlungen als „Neues Testament“ leitet sich von 2. Kor 3,6 her und begegnet in griechischer Form (diatheke; Vulg. testamentum) zuerst im ausgehenden 2. Jahrhundert n.Chr. bei Melito von Sardes und Irenäus von Lyon. Sie steht in Korrelation zur Wendung „Altes Testament“ (vgl. 2. Kor 3,14) und sollte eine Verhältnisbestimmung der frühchristlichen Literatur zu den heiligen Schriften Israels vornehmen, die im Frühchristentum insbesondere in Form der Septuaginta in Gebrauch standen. LXX und nicht die hebräische Bibel des Frühjudentums war die entscheidende Basis von literarischer Produktion und theologischer Argumentation der neutestamentlichen Schriftsteller. „Spätestens seit Beginn der paulinischen Mission unter den Völkern und der sukzessiven Ablösung der frühchristlichen Gemeinden vom Judentum hatte dabei der Gebrauch des griechischen Textes den Gebrauch der hebräischen Bibel fast vollständig verdrängt; sowohl die Kommunikation zwischen diesen christlichen Gemeinden im gesamten östlichen Mittelmeerraum als auch deren religiöse Belehrung sowie die Verkündigung und narrative Deutung der Christusbotschaft fanden seitdem in griechischer Sprache statt. Sämtliche frühchristliche Evangelien, Sendschreiben, Predigten und Gemeindeordnungen bezogen sich auf die Septuaginta. Die Septuaginta bildet den speziellen geschichtlichen Erfahrungs- und Sprachhorizont, aus dem heraus die frühchristlichen Texte weitgehend geformt wurden.“ (Tilly, 101) Es wäre einer eigenen Erörterung wert, warum in Teilen der Christenheit aktuell nicht die TextbeHebraica und Septuaginta stände der Septuaginta, sondern nur oder vorzugsweise diejenigen der hebräischen Bibel in Gebrauch stehen. Im gegebenen Zusammenhang genügt die Feststellung, dass die heiligen Schriften des Frühjudentums die Bibel der Urchristenheit darstellen. Der umfängliche Gebrauch von sog. Reflexionszitaten im Matthäusevangelium ist nur ein Beleg hierfür. Diese haben ihren Sitz im Leben in der Verkündigung der urchristlichen Gemeinde und namentlich in der Missionspredigt gegenüber Israel. Anfangs auf die Leidens- und

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Auferstehungsgeschichte konzentriert, hat Matthäus die Beweise der Erfüllung prophetischer Verheißung auf „die ganze Geschichte Jesu in ihren Einzelheiten von ihren Anfängen an“ (Rothfuchs, 182) ausgedehnt. Bezeichnenderweise begegnen in den matthäischen Kindheitsgeschichten besonders viele Reflexionszitate (vgl. Mt 1,22f. [Jes 7,14; vgl. Jes 8,8]; Mt 2,6 [Mi 5,1–3; 2 Sam 5,2]; Mt 2,15 [Hos 11,1]; Mt 2,17f. [Jer 31,15]; Mt 2,23). Die heiligen Schriften Israels standen in der Christenheit von Anfang an in inhaltlichem Gebrauch. Später wurde ihnen ein kanonischer Status auch förmlich zuerkannt. Orientiert man sich an der Endgestalt der christlichen Bibel, wie sie abgesehen von den alttestamentlichen Apokryphen in allen christlichen Kirchen in normativer Geltung steht, um in Liturgie, gottesdienstlicher Schriftlesung und Predigt sowie in individueller Andachtsübung gebraucht zu werden, so fällt sogleich auf, dass die kanonische Komposition aus zwei Teilen besteht: Zwei Testamente sind in der christlichen Bibel zugleich unterschieden und vereint. Man muss kein Anhänger des sog. canonical approach sein, um diesem Sachverhalt historische und systematische Bedeutung abzugewinnen. Lässt man den christlichen Kanonentscheid gelten, der Altes und Neues Testament auf differenzierte Weise verbindet, dann müssen sowohl Trennungs- als auch Indifferenzierungsmodelle als obsolet und alle Optionen als irrig abgelehnt werden, „die entweder das Alte Testament als unwertes Glaubenszeugnis Christi anschwärzten (Marcion, Gnosis), oder das Neue Testament zu einer untergeordneten Position innerhalb der Strukturen des Judentums degradierten (Ebionismus)“ (Childs I, 97f.). Indem die christliche Bibel Altes und Neues Testament als unterschiedene Bestandteile in sich enthält, spricht sie sich sowohl gegen deren Separierung als auch gegen unmittelbare Gleichsetzungsbestrebungen aus. Wie die für die kanonische Komposition der christlichen Bibel charakteristische Binnenrelation von Altem und Neuem Testament über die getroffenen formalen Feststellungen hinaus zu bestimmen und inhaltlich aufzufassen ist, gehört zu den schwierigsten Fragen des christlichen Projekts einer gesamtbiblischen Theologie, wie es in unterschiedlichen Ansätzen immer wieder versucht wurde. In den Prolegomena seiner „Theologie der einen Bibel“ hat Brevard S. Childs über klassische und aktuelle Modelle ausführlich informiert (vgl. Childs I, 20–74). Nach Maßgabe der dreibändigen „Biblischen Theologie des Neuen Testaments“, die Hans Hübner in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts vorgelegt hat, ist das Alte Testament allein in der Form, in der es im Neuen Testament rezipiert wurde, für das Christentum autoritativ und kanonisch verbindlich. Nur als „Vetus Testamentum in Novo receptum“, also in der Gestalt seiner christlichen Auslegung und nicht als „Vetus Testamentum per se“ könne das Alte Testament im kanonischen Kontext der christlichen Bibel Geltung beanspruchen. Im Zentrum des Interesses von Hübners Konzeption steht insofern der Gebrauch, der in den einzelnen neutestamentlichen Schriften vom Alten Testament in Form von Zitaten und direkten oder indirekten Anspielungen gemacht wird. Der zweite Band des Werkes enthält entsprechende Untersuchungen der Theologie des Paulus und ihrer neutes-

128 Die Heiligen Schriften Israels als AT und die Genese des neutestamentlichen Kanons tamentlichen Wirkungsgeschichte, der dritte analysiert, wie im Hebräerbrief, in den synoptischen Evangelien und im Johannesevangelium bis hin zur Johannesapokalypse das Christuszeugnis schriftgemäß, also im Anschluss an die alttestamentliche Tradition ausgelegt wurde. Den nicht nur rezeptiven, sondern konstruktiven Charakter des christlichen Auslegungsprozesses des Alten Testaments hat Hübner stark akzentuiert und kritisch u.a. gegen Childs geltend gemacht. Nicht das für sich allein genommene, sondern nur das mit dem Neuen inhaltlich verbundene und von ihm her interpretierte Alte Testament sei verbindliches Glaubenszeugnis des Christentums. Anderes zu behaupten, hieße den christlichen Kanon und die Stellung des Alten Testaments in ihm zu formalisieren. An der Frage nach der Einheit Gottes und seiner Offenbarung im Alten und Neuen Bund versucht Hübner das Problem im ersten Band seines Werkes exemplarisch zu verdeutlichen. Der Gott des Alten Testaments sei der Vater Jesu Christi, aber er werde als solcher nur im Lichte des Neuen Testaments erkannt, ohne dessen Zeugnis seine Wahrheit in Wirklichkeit nicht wäre, was sie ist. Nachgerade in theologisch grundsätzlicher Hinsicht bedürfe es daher inhaltlicher Differenzierung, um die kanonische Einheit vor Formalisierung zu bewahren. Zu unterscheiden sei nicht nur zwischen einem präisraelitischen Jahwe, der einer unter mehreren Göttern ist, und dem einen Gott Israels, der zunächst in eine lediglich monolatrische und erst allmählich durch Radikalisierung der Monolatrie in eine streng monotheistische Stellung einrücke; zu differenzieren sei ebenso zwischen dem ausgebildeten Monotheismus Israels und dem christlichen Gottesglauben, wie er im trinitarischen Dogma lehrhaften Ausdruck gefunden habe, nachdem von ihm zuvor schon die Grenzen der israelitischen Volksgemeinschaft transzendiert worden seien. „Ist ... der Gott Israels der Gott, der in Christus der Gott der ganzen Welt geworden ist? Das Neue Testament sagt genau dies. Es sagt dies allerdings unter dem Gesichtspunkt des von ihm rezipierten Alten Testaments, also unter dem Gesichtspunkt der theologischen Größe des Vetus Testamentum in Novo receptum.“ (Hübner I, 255f.) Hübners Konzeption hat neben Zustimmung Vetus Testamentum in zum Teil sehr heftige Kritik erfahren (vgl. HübNovo receptum ner III, 278–284). Mit der Unterscheidung von Vetus Testamentum per se und Vetus Testamentum in Novo receptum werde „eine Differenzierung praktiziert, die den neutestamentlichen Autoren noch ebenso fremd war wie ihren jüdischen Adressaten und Kontrahenten“ (Stuhlmacher I, 37). Sie stehe in Gefahr, das Alte Testament zu einem im Sinne des Evangeliums umgedeuteten Produkt des christlichen Glaubens herabzusetzen, statt es dem neutestamentlichen Zeugnis historisch und sachlich vorgegeben sein zu lassen. Ähnlich wie Stuhlmacher äußert sich Childs: Weil durch ihn „die theologische Integrität des Alten Testaments zerstört und seine wirkliche kanonische Botschaft zum Schweigen“ (Childs I, 102) gebracht werde, müsse Hübners Ansatz als einseitig und unangemessen abgelehnt werden. Childs plädiert im Gegenzug für eine „Theologie der einen Bibel“, die nicht nur dem im Neuen Testament kritisch-konstruk-

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tiv rezipierten, sondern auch dem „Glaubenszeugnis des für sich allein genommenen Alten Testaments“ (Childs I, 123) Geltung zu verschaffen sucht, um auf diese Weise die vom Christentum zu akzeptierende und kanonisch akzeptierte Vorgegebenheit der alttestamentlichen Tradition in ihrer Gesamtheit als normativ und verbindlich zu unterstreichen. Das Alte Testament des christlichen Kanons habe nicht den Status eines im Sinne des Evangeliums umgedeuteten Produkts des Christentums, sondern denjenigen einer Instanz, vor der sich das Neue Testament gerade in seiner Neuheit immer neu legitimieren müsse. Dabei räumt Childs ein, dass es keine übergreifende hermeneutische Theorie gibt, „durch welche die Spannung zwischen dem Glaubenszeugnis des Alten Testaments in seinem Eigenrecht und dem des Neuen Testaments mit seinem transformierten Alten Testament aufgelöst werden könnte. Vielmehr ist es die Aufgabe der Biblischen Theologie, sich für eine fortwährende theologische Reflexion einzusetzen, welche den kanonischen Text in detaillierter Exegese studiert und dem Glaubenszeugnis beider Testamente Gerechtigkeit widerfahren zu lassen (sic!) im Lichte ihres Hauptinhaltes, der Jesus Christus ist.“ (Childs I, 103) Erst wenn die Glaubenszeugnisse des Alten und des Neuen Testaments je für sich und für sich allein erhoben und zur Kenntnis genommen seien, könne deren Zusammenhang als differenzierte Einheit sachlich wahrgenommen und die Vorstellung radikaler Diskontinuität ebenso vermieden werden wie diejenige einer zur Deckungsgleichheit tendierenden Kontinuität. Damit ist nicht nur die strukturelle Gliederung von Childs’ Werk vorgezeichnet, sondern auch umschrieben, was sein Autor unter einer ganzheitlichen Lesart der christlichen Bibel zu verstehen gedenkt (vgl. Childs II, 444–452). Die Einheit, zu der die beiden Testamente in ihrer Unterschiedenheit kanonisch verbunden sind, lässt sich nicht formal, auch nicht lediglich historisch, sondern nur unter Gesichtspunkten theologischer Sachhaltigkeit begründen. „Was die Testamente .... unauflöslich aneinanderbindet, ist ihr Zeugnis von der gleichen göttlichen Realität, von der einen zugrundeliegenden Sache, die beiden Sammlungen innewohnt ... .“ (Childs II, 446) Der Gott Israels, der die Welt erschaffen und sein Volk erwählt hat, ist kein anderer als der Gott, der sich in Jesus Christus für den christlichen Glauben erschlossen hat und vom Christentum bezeugt wird. Das ist wahr und nachgerade unter christlichen Voraussetzungen unleugbar. Insofern ist die Bindung des Neuen Testaments an die Heiligen Schriften Israels, die von Christen spätestens vom 3. Jahrhundert an Altes Testament genannt wurden, nicht lediglich durch die historische Tatsache bedingt, dass diese die eine Bibel der Urkirche bildeten, als es weder neutestamentliche Schriften noch gar ihre kanonische Sammlung gab; die christlichneutestamentliche Bindung an das Alte Testament ist sachlich begründet. Botschaft und Lehre des Christentums, wie sie im Neuen Testament kanonisch bezeugt sind, wollen deshalb im Lichte des Alten Testaments inhaltlich beurteilt sein. Die christliche Theologie muss infolgedessen die nicht nur historische, sondern sachliche Herkunft aus dem alttestamentlichen Traditionszusammenhang in das Bewusstsein und den normativen Begriff ihrer selbst aufnehmen und offen sein

130 Die Heiligen Schriften Israels als AT und die Genese des neutestamentlichen Kanons für das Gotteszeugnis Israels. Sich diesem gegenüber zu verschließen, würde das Christentum in einen Widerspruch zu sich selbst bringen. Die neutestamentlichen Autoren haben die Heiligen Schriften Israels nicht nur in Teilen ausgiebig zitiert, sondern in ihrem Gesamtzeugnis als Voraussetzung urchristlichen Glaubens geltend gemacht. Dies geschah in der Gewissheit der Identität des Gottes Israels mit dem Vater Jesu Christi. Bleibt das Alte Testament sonach nicht nur teilweise, sondern in seinem Gesamtzeugnis und nicht nur aus historischen, sondern auch aus sachlichen Gründen die Voraussetzung des Neuen, so stellt seine christliche Rezeption gleichwohl und unbeschadet dessen einen nicht lediglich hinnehmenden, sondern konstruktiven Vorgang dynamischer Anverwandlung dar. Äußerlich ist dies allein schon daraus zu ersehen, dass der alttestamentliche Kanon zur Zeit der Abfassung der neutestamentlichen Hauptschriften selbst noch in Bewegung begriffen und quantitativ unabgeschlossen war. Zu einer definitiven Umgrenzung des hebräischen Bibelkanons ist es erst zu einer Zeit gekommen, als das neutestamentliche Christuszeugnis in seinen Grundzügen bereits formuliert vorlag. Zwar gibt es schon in den beiden vorchristlichen Jahrhunderten umfassende Sammlungen von Schriften, die für das Gottesvolk Israel verbindlich waren (vgl. 1. Makk 12.9); von einem abgeschlossenen hebräischen Kanon hingegen kann nicht die Rede sein. Zu einem kanonischen Abschluss kam es erst Ende des 1. nachchristlichen Jahrhunderts nach der Zerstörung des Zweiten Tempels, wobei für die Aufnahme oder Ablehnung einzelner Schriften im Verein mit Gründen jüdischer Selbstkonsolidierung religiöse Abgrenzungsmotive gegenüber dem werdenden Christentum wirksam waren. Der hebräische Kanon ist ein Werk rabbinischen Judentums: „Christlich ist dieser Kanon nicht.“ (Stuhlmacher I, 6) Für das frühe Christentum sind die Schriften des Alten Testaments vor allem in Gestalt der Septuaginta bestimmend geworden, deren jüdische Kanonisierung nie stattgefunden hat. Wie immer man den Gebrauch dieser Textfassung durch die einzelnen neutestamentlichen Schriftsteller präzise zu beurteilen hat: Wenn vom urchristlichen Alten Testament gesprochen wird, dann ist nicht der festumgrenzte Textbestand der hebräischen Bibel, sondern der umfänglichere der Septuaginta vorauszusetzen, deren Text im Übrigen spätestens um die Wende vom 1. zum 2. Jahrhundert n.Chr. der christlich maßgebende wurde. Zeigt sich mithin schon in äußerer Hinsicht, dass der Prozess christlicher Rezeption der Hl. Schriften Israels ein konstruktiver Vorgang war, so wird dieser Befund durch inhaltliche Gesichtspunkte und durch das innere Ringen zwischen Christentum und Frühjudentum um das rechte Gottesverständnis und sachgemäße Schriftauslegung bestätigt. Dass dieses Ringen innerhalb eines gemeinsamen Traditionsrahmens stattfand, wie er durch die alttestamentliche Tradition in wesentlichen Grundzügen vorgegeben war, ist richtig und nicht in Abrede zu stellen. Dennoch wird man ebenso wenig Differenzen in der Traditionswahrnehmung leugnen können, die schließlich dazu führten, dass Christentum und Judentum sich trotz gegebener Kontinuität ihres gemeinsamen Herkunftszusammenhangs diskontinuierlich entwickelten. In diesem Sachverhalt ist das Recht der Bemerkung begrün-

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det, mit der Hans Hübner seine dreibändige „Biblische Theologie des Neuen Testaments“ beschließt: „Wie steht Gottes Wirken am Volke Israel zu seinem Wirken im Christusgeschehen? Erst wenn die Frage nach dem Verhältnis von Vetus Testamentum per se und Vetus Testamentum in Novo receptum auf die Höhe der zuletzt formulierten Frage gehoben ist, erst dann ist sie im eigentlichen Sinne theologisch relevant.“ (Hübner III, 284; bei H. teilweise hervorgehoben) Die Frage, wer der Gott Israels, der Himmel und Erde geschaffen hat, in Wahrheit sei, ist nicht Biblische Theologie und Religionswissenschaft erst unter den Bedingungen erfolgter (heiden-) christlicher Emanzipation vom Judentum zu einer Streitfrage geworden. Sie ist dies bereits zu irdischen Lebzeiten Jesu gewesen ganz abgesehen davon, dass die Strittigkeit des Gottesverständnisses ein Moment der alttestamentlichen Überlieferung selbst ist. So eindeutig der Jude Jesus mit seiner Botschaft, seinem Wirken und dem Bewusstsein seiner göttlichen Sendung in alttestamentlichen Traditionszusammenhängen stand – sein gewaltsamer Tod ist der offenkundige Beleg dafür, dass sich an ihm und dem Inhalt seiner Botschaft nachgerade die Geister Israels schieden. Die Differenz, die sich innerhalb des Gottesvolkes aus dem kontroversen Verhältnis seiner Glieder zu Jesus und seiner Sendung ergab, wurde durch das christliche Zeugnis von der Auferweckung des Gekreuzigten durch Gott insofern radikalisiert, als der Streit um Jesus nun definitiv zu einem theologischen Streit um das rechte Gottesverständnis werden musste. Die Folgeentwicklung, in deren Verlauf Christentum und Judentum zu klar unterscheidbaren religiösen Größen wurden, ist eine Konsequenz Osterns, das als Urdatum eines vom Judentum unterschiedenen Christentums zu gelten hat. Gleichwohl belegt die Tatsache der Integration der Hl. Schriften Israels in den christlichen Kanon, dass das Verhältnis des Christentums zum Judentum unter christlichen Bedingungen nie als bloßer Gegensatz, sondern als ein differenzierter und nichtsdestoweniger einheitlicher Zusammenhang wahrzunehmen ist. Dass das Verhältnis von Christentum und Judentum unter christlichen Bedingungen keine Alternative darstellt, erschließt sich nicht nur im Horizont einer biblischen Theologie des Alten und Neuen Testaments, sondern ebenso in der Perspektive einer nicht an den Kanon gebundenen allgemeinen Religionswissenschaft. Das Programm, den urchristlichen Glauben mit allgemeinen Kategorien der Religionswissenschaft zu beschreiben, geht auf einen um 1880 in Göttingen entstandenen Kreis zurück, dem Forscher wie W. Bousset, A. Eichhorn, H. Greßmann, H. Gunkel, W. Heitmüller und W. Wrede angehörten. Unter aktuellen Werken, die sich dem Programm der sog. Religionsgeschichtlichen Schule verpflichtet wissen, ist neben Klaus Bergers „Theologiegeschichte des Urchristentums“ und Helmut Kösters „Einführung in das Neue Testament im Rahmen der Religionsgeschichte und Kulturgeschichte der hellenistischen und römischen Zeit“ Gerd Theißens im Jahr 2000 erschienenes Buch „Die Religion der ersten Christen. Eine Theorie des Urchristentums“ zu nennen. Im Unterschied zu den klassischen Entwürfen einer „Biblischen Theologie“ bzw. „Theologie des Neuen Testaments“ sieht Theißen

132 Die Heiligen Schriften Israels als AT und die Genese des neutestamentlichen Kanons eine religionswissenschaftliche Konzeption urchristlichen Glaubens durch Distanzierung vom normativen Anspruch des Kanons, dessen Grenzen zu transzendieren seien, durch Emanzipation von der kategorialen Differenzierung von Orthodoxie und Häresie sowie durch die Anerkennung gekennzeichnet, dass mit Pluralität und Widersprüchen urchristlicher Theologien sowie mit möglichem Synkretismus zu rechnen sei. Nach der Definition, die Theißen seiner religionswissenschaftlichen Analyse des Urchristentums zugrunde legt, ist Religion „ein kulturelles Zeichensystem, das Lebensgewinn durch Entsprechung zu einer letzten Wirklichkeit verheißt“ (Theißen, 19; bei Th. kursiv). Als Zeichensystem ist Religion semiotisch durch drei charakteristische, untereinander verbundene Ausdrucksformen bestimmt, nämlich durch Mythos, Ritus und Ethos. Während der Mythos in narrativer Form den Grund von Selbst und Welt entfaltet, vermittelt der Ritus durch seine wiederholten, alltagstranszendierenden Vollzüge strukturierten und geordneten Anteil am gründenden Fundament von Wirklichkeit und Wahrheit, dem das Ethos zu entsprechen hat. Die Funktion der Religion ist nach Theißen auf die Verheißung abgestellt, durch Konformität mit dem fundierenden Grund des Lebens Lebenssinn in kognitiver, emotionaler und pragmatischer Hinsicht zu erlangen. Dabei erweist sich Religion als eine individuelle und soziale Ordnungsmacht, die Krisen ebenso zu bewältigen wie zu provozieren vermag und sowohl stabilisierend und kompensierend als auch destabilisierend und delegitimierend zu wirken vermag, ohne dass dadurch ihre einheitliche Funktionsbestimmung aufzugeben wäre. Unter dem Aspekt des Mythos betrachtet, ist die urchristliche Religion durch eine, wie Theißen sagt, eigentümliche Tendenz zur Vergeschichtlichung ihrer Grunderzählung gekennzeichnet, sofern diese in erster Linie nicht von protologischer Urzeit, sondern von einem eschatologischen Ereignis im historischen Verlauf der Geschichte handelt. Neben einer poetischen und politischen sei eine „historische“ Transformation des Mythos bei Jesus selbst bereits insofern zu erkennen, als er die beiden Axiome der „Grunderzählung“ des Judentums, nämlich exklusiven Monotheismus und dezidierten Bundesnomismus, untrennbar mit seiner von Zeichenhandlungen begleiteten Reich-Gottes-Predigt und damit letztlich mit sich selbst und seiner geschichtlichen Sendung in Verbindung brachte. Im Vollzug der Transformation der jüdischen Religion durch den nachösterlichen Christusglauben wurde diese Verbindung nicht nur verstärkt, sondern als unauflöslich zur Geltung gebracht, sofern nun die Erscheinung des gekreuzigten und auferstandenen Jesus von Nazareth selbst zum Inbegriff der urchristlichen Grunderzählung erklärt wurde. Statt näher zu erörtern, was Theißen über die beiden Grundwerte des christlichen Ethos, Nächstenliebe und Statusverzicht, sowie über die Riten des Urchristentums und die Entstehung sakramentaler Symbolvollzüge ausführt, sei sogleich der Prozess der Ausbildung einer autonomen, vom Judentum abgehobenen Zeichenwelt der urchristlichen Religion ins Auge gefasst. Den Beginn markieren nach Theißen das Apostelkonzil und Paulus, der entscheidende Schritt zur Trennung

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christlichen und jüdischen Glaubens ist seinem Urteil gemäß mit den Evangelien getan, die in Form und Inhalt die christliche Grunderzählung mit zumindest implizit kanonischem Anspruch vortragen. Das Markusevangelium, so die These, vollzieht die Abgrenzung gegenüber dem Judentum in ritueller, das Matthäusevangelium in ethischer, das Lukasevangelium in narrativ-historischer Hinsicht. Im Johannesevangelium schließlich ist das Bewusstwerden der inneren Autonomie der urchristlichen Zeichenwelt zur Vollendung gebracht und der Grund für das dem Christentum eigentümliche Gottesverständnis gelegt, wie es das altkirchliche Trinitätsdogma lehrhaft expliziert. Begleitet ist die Entstehungsgeschichte eines autonomen christlichen Zeichensystems, die mit dem Ausscheiden aus der rituellen Zeichensprache des Judentums durch Aufgabe von Beschneidung und Speisegeboten begann, neben der anfänglich judaistischen von der gnostischen Krise einerseits und einer prophetischen Krise andererseits, die insbesondere in der montanistischen Bewegung manifest wurde. Ihre Bewältigung wird nach Theißen insbesondere durch die Ausbildung des Kanons geleistet, der auf differenzierte, prinzipiell pluralitätsoffene und um Integration bemühte Weise die Einheit des Christentums gewährleistete und dessen Selbstdefinition gegenüber Judentum und Heidentum zum Abschluss brachte. Das desintegrative Potential, das in den Gegensätzen konfligierender Gruppierungen der ersten urchristlichen Generationen enthalten war, ist durch Außenabgrenzung und interne Differenzierung behoben. Während die radikale Erlösungsreligion der Gnosis und die nicht minder radikale ethische und prophetische Kritik montanistischer Prägung ausgeschieden werden, bleiben die vier Grundströmungen eines judenchristlich, synoptisch, paulinisch und johanneisch geprägten Christentums erhalten: Ihr kanonisches Recht wird ihnen vom Neuen Testament nicht nur nicht bestritten, sondern ausdrücklich bestätigt. Das auf binnenchristlichen Ausgleich bedachte Resultat der neutestamentlichen Kanonbil- Kanonischer Ausgleich dung wird in seiner integrativen Bedeutung dadurch bestärkt, dass der kanonische Entscheid die Verbindung von Neuem und Altem Testament zur unveräußerlichen Basis hat. Damit wird die religiöse Verselbständigung des Christentums dem Judentum gegenüber zwar nicht revoziert, wohl aber relativiert, sofern die christliche Identität offenbar nur in simultaner Differenz und Einheit zum Judentum ausgesagt werden kann. Der Neue Bund hat den Alten, von dem er sich durch die beanspruchte Neuheit unterscheidet, zur Voraussetzung, ohne die er nicht wäre, was er ist. Das jüdische Erbe wird vom Christentum benötigt, um sich zu identifizieren und mit sich selbst zu verständigen. Dass mit diesem Bedürfnis der Anspruch verbunden war, das Erbe seiner eigentlichen Bestimmung zuzuführen, kann nicht in Abrede gestellt werden. Aneignungs- und Enteignungstendenzen sind in dem Prozess der religiösen Verselbständigung des Christentums vom Judentum kaum zu separieren. Gleichwohl belegt nicht nur der zwei Testamente umfassende christliche Kanon, sondern auch die geschichtliche Entwicklung der frühen Christenheit, in deren Zusammenhang der Prozess der Kanonbil-

134 Die Heiligen Schriften Israels als AT und die Genese des neutestamentlichen Kanons dung gehört, dass die christliche Identität nicht durch einen unvermittelten Gegensatz zum Frühjudentum bestimmt werden kann. Während das Judentum zu seiner Selbstverständigung des Christentums nicht notwendig bedarf, vermag das Christentum seine Eigenart nicht ohne Bezug auf das jüdische Erbe auszusagen. Das Judentum ist ein Bestimmungsmoment des Christentums, auf welches das Christentum nicht verzichten kann, um es selbst zu sein. An den Binnenverhältnissen der frühen Christenheit lässt sich dieser Sachverhalt geschichtlich insofern ablesen, als die Auseinandersetzungen zwischen Juden- und Heidenchristentum als Internreflexe der Auseinandersetzungen von Judentum und Christentum verstanden werden können. Die von Theißen und anderen geleistete religionsgeschichtliche Revision des Bildes, welches die traditionelle religionsgeschichtliche Schule von der frühen Christentumsgeschichte gezeichnet hat, hat deshalb direkte Auswirkungen auf die Verhältnisbestimmung jüdischer Überlieferung und urbzw. frühchristlicher Religion zur Folge. War das Urchristentum gemäß dem Verständnis seiner Geschichte, das Ferdinand Christian Baur im Anschluss an Hegel entwickelte, durch die Antithese zwischen einem partikularistischen Judaismus der Urapostel einerseits und dem gesetzesfreien Universalismus des Paulus andererseits charakterisiert, so wurde das von der religionsgeschichtlichen Schule entworfene Bild der urchristlichen Situation durch den Gegensatz einer palästinischen und einer hellenistischen Form des Christentums bestimmt, die sich in ihrem Kerygma angeblich elementar unterschieden. Dieser Unterschied wurde innerhalb der religionsgeschichtlichen Schule derart akzentuiert und antithetisch bestimmt, dass sich der Eindruck zweier Religionen innerhalb der frühen Christenheit einstellen konnte. Um ein Beispiel zu geben: Der systematische Ertrag des Hauptwerks von Wilhelm Bousset (1865– 1920), der unter den Exegeten der religionsgeschichtlichen Schule hervorragt, besteht im Wesentlichen in dem Aufweis, dass das einfache, in der palästinischen Urgemeinde noch weitgehend festgehaltene Evangelium Jesu von der Vaterliebe Gottes auf hellenistischem Boden überfremdet und zum Evangelium vom „Kyrios Christos“, so der Titel des Bousset’schen Buches von 1913, umgeformt worden sei. „Kyrios Christos“ ist Jesus als der kultisch verehrte Herr seiner hellenistischen Gemeinde, wohingegen die palästinische diese Bezeichnung noch nicht kennt. Insgesamt, so Bousset, sei der Übergang vom palästinischen auf das hellenistische Gebiet der wichtigste Einschnitt in der Entwicklung des frühen Christentums gewesen. In seiner Konsequenz seien die Einflüsse des Alten Testaments auf christliche Lehre und Praxis immer mehr durch die Traditionen der griechisch-römischen Religionskultur zurückgedrängt worden. So wird, um beim Thema zu bleiben, die alttestamentliche Herkunft des Kyrios-Titels abgelehnt und sein Gebrauch mit dem vom Osten eingedrungenen hellenistisch-römischen Kaiserkult und anderen religiösen Kultveranstaltungen im Hellenismus in Verbindung gebracht. Die weitere Entwicklung von Paulus über die johanneischen Schriften und die Gnosis ins nachapostolische Zeitalter hinein bis hin zu Irenäus ist damit vorgezeichnet: Im Unterschied zum Menschensohn der Urgemeinde, der aus der jüdischen Eschato-

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logie stammt und auch unter österlichen Bedingungen eine eschatologische Größe bleibt, dessen künftiges Wiederkommen inbrünstig erwartet wird, ist der Kyrios der hellenistischen Urgemeinde im gottesdienstlichen Kult real präsent. Seine sakramentale Gegenwart verdrängt immer mehr die mit dem Menschensohn-Messias verbundene Endzeiterwartung: „Der Menschensohn wird so ziemlich vergessen werden und als eine unverstandene Hieroglyphe in den Evangelien stehen bleiben, dem im Kulte gegenwärtigen Kyrios gehört die Zukunft.“ (Bousset, Kyrios Christos, 125) In seinem Geleitwort zur fünften Auflage von Boussets „Kyrios Christos“ (1964) hat Rudolf Bultmann und die Religionsgeschichtliche Bultmann die Bedeutung der religionsgeschichtSchule lichen Schule für die Erforschung und für das Verständnis des Neuen Testaments hervorgehoben und dabei den Unterschied von palästinischer Urgemeinde und hellenistischem Christentum erneut betont, in welchem an die Stelle der eschatologischen Gestalt des Menschensohnes der kultisch verehrte und sakramental präsente Kyrios trete. Der mögliche Einwand, dass Jesus bereits in der Urgemeinde als „Herr“ bezeichnet worden sei, ändere an der Richtigkeit dieser Einsichten nichts. Dies hatte bereits Bousset selbst in seiner 1916 erschienenen Schrift „Jesus der Herr. Nachträge und Auseinandersetzungen zu Kyrios Christos“ geltend gemacht. Mit dem Auftauchen des Kyriosglaubens gehe es um eine neue Wendung in der Geschichte des urchristlichen Glaubens, nicht lediglich um ein Wort. Die besagte Wendung aber habe sich offenkundig nicht auf dem Boden der palästinischen Urgemeinde abgespielt. Dieser Annahme stimmt Bultmann ebenso zu wie der Forderung Boussets, die Scheidewand zwischen neutestamentlicher Theologie und altkirchlicher Dogmengeschichte sowie die Abtrennung der Religionsgeschichte des Urchristentums von der allgemeinen Entwicklung des religiösen Lebens der Zeit zu beseitigen und zu überwinden. Der entscheidende Einschnitt der frühen Christentumsgeschichte liegt für Bousset im Übergang vom palästinischen auf das hellenistische Gebiet. Im Glauben der palästinischen Urgemeinde war Jesus der eschatologische Messias-Menschensohn, dessen baldige Wiederkunft man erwartete, wobei Bousset in dem Gros der Menschensohnstellen Gemeindebildungen sieht, aber auch nicht ausschließen möchte, dass das eine oder andere Menschensohnwort aus dem Munde Jesu selbst stammen könnte. Mit dem Relevanzverlust der palästinischen Urgemeinde habe auch die eschatologisch orientierte Messias-Menschensohndogmatik ihre Bedeutung eingebüßt und an ihre Stelle sei der Kyrioskult der hellenistischen Gemeinde getreten. Diese Auffassung hat Rudolf Bultmann (1884–1976) in seinem Werk über „Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen“ von 1949 weithin bestätigt: „Aufs Ganze gesehen ist der Hauptunterschied des hellenistischen Christentums von der palästinischen Urgemeinde der, daß sein Charakter nicht schlechthin durch die eschatologische Erwartung und das mit ihr gegebene Selbstverständnis geprägt ist, vielmehr durch die sich herausbildende Kultusfrömmigkeit.“ (Bultmann, 220) Symptomatisch dafür sei, dass der apokalyp-

136 Die Heiligen Schriften Israels als AT und die Genese des neutestamentlichen Kanons tische Menschensohntitel rasch aus dem christlichen Sprachgebrauch verschwinde. Ein ähnliches Schicksal werde dem Christusbegriff zuteil: Seine Bedeutung als griechische Bezeichnung des endzeitlichen Messias werde nicht mehr verstanden und der ursprüngliche Titel mutiere zum bloßen Eigennamen. Als christologische Ehrennamen, so Bultmann, fungieren von nun an Titel, die im heidnischen Hellenismus für Heilsbringer geläufig sind, wie Gottessohn, Soter und insbesondere Kyrios. Letzterer „charakterisiert Jesus als die im Kultus verehrte Gottheit, deren Kräfte im Gottesdienst der Kultgemeinde wirksam werden ... Der Kyrios Jesus Christos wird nach Art einer Mysteriengottheit verstanden, an dessen Tod und Auferstehung der Gläubige durch den Empfang der Sakramente teil gewinnt.“ (Bultmann, 221) Die heilsgeschichtliche Endzeiterwartung, wie sie sowohl für die Reich-Gottes-Predigt Jesu als auch für den Christusglauben der palästinischen Urgemeinde kennzeichnend war, tritt nach Bultmanns Urteil auffallend zurück und mit ihr die christliche Bindung an die alttestamentlich-jüdische Tradition, die im hellenistischen Christentum durch Einflüsse aus der griechisch-römischen Welt überlagert wird. Dass aus dem eschatologisch-apokalyptischen Urchristentum Palästinas unter hellenistischen Bedingungen gleichwohl keine gnostische Erlösungsreligion wurde, ist nach Bultmann vorrangig darauf zurückzuführen, dass den hellenistischen Christen die Evangelientradition der palästinischen Gemeinde vermittelt wurde, in deren Überlieferungen, wie sie insbesondere bei den Synoptikern gegeben sind, sich das Alte Testament als eine bleibend wirksame Kraft erweist. Abgesehen von extrem gnostizierenden Kreisen bleibe daher das hellenistische Urchristentum neben dem griechischen auch dem alttestamentlich-jüdischen Erbe verpflichtet. Dabei kommt dem hellenistischen Judentum nach Bultmann in vieler Hinsicht eine Mediatisierungsfunktion zu, insofern in ihm Jerusalem und Athen vielfach keine intransingenten Gegensätze mehr bezeichnen, sondern Schriftgelehrsamkeit und platonisch-stoische Philosophie die unterschiedlichsten Koalitionen eingehen. Wie das hellenistische Judentum lässt sich auch das hellenistische Christentum nicht monokausal auf eine Traditionslinie festlegen. Es ist historisch geurteilt ein synkretistisches Phänomen, das sich aus einem Netzwerk keineswegs deckungsgleicher, sondern sehr verschiedenartiger Überlieferungselemente und religionsund geistesgeschichtlicher Faktoren ergibt. Dass es sich gleichwohl als eine Größe mit unverwechselbarem Geltungsanspruch identifizieren lässt, ist nach Bultmann in der neuen und eigenartigen Auffassung begründet, welche das christliche Existenzverhältnis bestimmt und in besonderer Klarheit bei Paulus und Johannes zutage tritt. Das bei Bultmann, Bousset und vergleichbar bei Wilhelm Heitmüller (1869– 1926) und anderen Vertretern der religionsgeschichtlichen Schule mehr oder minder antithetisch konzipierte Verhältnis zwischen einer von der Welt des Judentums einerseits und der griechisch-römischen Welt des Hellenismus andererseits geprägten Form frühen Christentums ist, wie am Beispiel Theißens verdeutlicht, von der neueren Forschung einer differenzierteren und stärker nuancierten Bestimmung

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zugeführt worden. Dabei waren Gesichtspunkte leitend, die auch Bultmann nicht verkannte, ohne deshalb zu einer von seinen Lehrern im Ansatz verschiedenen Konzeption zu gelangen. Zum einen wurde stärker akzentuiert, dass die Begegnung des frühen Christentums mit dem Hellenismus und die religiöse Auseinandersetzung mit ihm im Zusammenhang mit dem griechisch sprechenden Diasporajudentum und aus dessen Kontext heraus erfolgte. Zum anderen und in Bestätigung dessen zeigte sich immer deutlicher, dass es nicht erst vom definierten Kanon, sondern vom Gesamtverlauf frühchristlicher Theologie und Frömmigkeit her geurteilt ein Christentum ohne „Altes Testament“ und ohne eine bei aller kritischen Modifikation konstruktive Rezeption der Überlieferungen des Alten Bundes nicht oder nur als häretisches Randphänomen gibt. Das Alte Testament ist die eine Bibel der Urkirche, und sie war dies, bevor es ein Neues Testa- Das Alte Testament als die Bibel der Urkirche ment überhaupt gab. Der von den Hl. Schriften Israels bezeugte Gott ist identisch mit demjenigen der Christenheit, deren Glaubensbekenntnis von Anbeginn und kontinuierlich durch entschiedene Bezugnahme auf die hebräische Bibel charakterisiert ist. Kein anderer ist der Vater Jesu Christi, durch dessen Geist der Gekreuzigte auferweckt und erhöht wurde, als der Gott Israels. Die Fülle der alttestamentlichen Zitate im Neuen Testament und im gesamten frühchristlichen Schrifttum sprechen in dieser und nicht nur in dieser Hinsicht eine eindeutige Sprache. Zwar treten von Anfang an Differenzierungstendenzen zutage, die sich im Laufe der urchristlichen Geschichte verstärken. Aber die Unterscheidung des frühen Christentums vom Judentum erfolgte unter Voraussetzung eines bleibenden, dem eigenen Selbstverständnis zugehörigen Zusammenhangs mit diesem und nicht in der Weise alternativer Entgegensetzung. Der Entwicklungsprozess urchristlicher Geschichte lässt sich nicht in alternativen, auf unvermittelte Gegensätze von Christentum und Judentum bzw. Judenchristentum und hellenistischem Heidenchristentum abgestellten Kategorien, sondern nur so fassen, dass Einheit und Differenz zugleich in Geltung stehen, wie das ja auch in der im christlichen Kanon schließlich normativ gewordenen Verhältnisbestimmung von Altem und Neuem Testament der Fall ist. Die Tatsache, das sich diese Verhältnisbestimmung erst im Laufe eines geschichtlichen Prozesses herausgebildet hat, lässt es zwar einerseits nicht zu, sie als zeitlos gegebene Struktur in Anschlag zu bringen; man wird im Gegenteil damit rechnen müssen, dass Einheit und Differenz sich auf je unterschiedliche Weise manifestieren, was Spannungen notwendigerweise beinhaltet und einlinige Rekonstruktionen ausschließt. Auf der anderen Seite kann nicht geleugnet werden, dass der urchristliche Entwicklungsprozess im Sinne einer bestimmten Richtungstendenz verläuft, die zwar erst vom Ergebnis her eindeutig zu erkennen ist, die sich aber dennoch bereits in den Anfängen abzuzeichnen beginnt. Der Prozess, in dessen Verlauf sich Judentum und Christentum separieren und zu verschiedenen Religionsgrößen ausbilden, ist urchristlicherseits nicht auf Auflösung des gegebenen Traditionszusammenhangs abgestellt, der vielmehr ausdrücklich affirmiert wird, auch wenn sich seine Bestim-

138 Die Heiligen Schriften Israels als AT und die Genese des neutestamentlichen Kanons mung anders darstellt, als dies auf jüdischer Seite der Fall ist. Man kann es auch so sagen: Das Verhältnis zum Judentum ist für das frühe Christentum nie lediglich ein Außenverhältnis, sondern immer auch ein Binnenverhältnis. Am Verlauf der Kanongeschichte lässt sich dies exemplarisch ersehen. Die Botschaft des Christentums wurde anfangs nicht in schriftlicher Form oder in Buchgestalt tradiert. Wie von Jesus selbst und seinen Jüngern keine literarischen Zeugnisse vorliegen, so haben auch die Zeugen des Osterevangeliums ihre Botschaft zunächst nur mündlich weitergegeben. Indes waren der Glaube der frühen Christenheit und sein Bekenntnis stets auf die Hl. Schriften Israels bezogen. Diese waren die Bibel sowohl Jesu als auch der Urchristen. Aus ihnen wurde in der entstehenden christlichen Literatur häufig zitiert. Aber auch mündlich wird man ihre Autorität zu Begründungszwecken wiederholt herangezogen haben. Nicht das Neue Testament, das in Teilen und als kanonische Sammlung erst im Entstehen begriffen war, sondern die Hl. Schriften Israels haben ursprünglich als „Bibel der Kirche“ (v. Campenhausen) zu gelten. Zwar hatte das vom Christentum als alttestamentlich qualifizierte Textcorpus in urchristlicher Zeit noch keine endgültige Gestalt gewonnen. Zu einer regelrechten Kanonisierung und förmlichen Bestimmung des Umfangs kam es erst nach Abschluss des Jüdischen Krieges gegen Ende des 1. nachchristlichen Jahrhunderts. Doch lagen Tora und Prophetenbücher bereits als feste Größen vor. Der Pentateuch war faktisch schon im 3. Jahrhundert v.Chr. kanonisiert worden, die Prophetenbücher traten im Laufe des 2. Jahrhunderts v.Chr. als geschlossene Sammlung hinzu. Lediglich die übrigen Schriften waren noch nicht in klarer Abgrenzung gesammelt. Erst der masoretische Kanon der Rabbinen begrenzte Ende des 1. Jahrhunderts n.Chr. die in Tora, Propheten und Schriften eingeteilte kanonische Sammlung auf 39 Texte (vgl. 4. Esr 14,45). Obwohl auch ihr Bestand im Kern fixiert war, gab es hinsichtlich des kanonischen Rangs einiger Bücher des dritten Teils der Hl. Schriften Israels verschiedene Auffassungen im palästinischen und hellenistischen Judentum. Von der Alten Kirche ist die Eingrenzung nicht nachvollzogen worden, welche die sog. Schriften im masoretischen Kanon der hebräischen Bibel erfuhren. Die frühe Christenheit hielt sich an die im hellenistischen Judentum gebräuchliche Sammlung biblischer Bücher und verband, wie seit urchristlichen Zeiten üblich, in Orientierung an der Septuagintatradition auch mit Schriften normative Autorität, die keinen Eingang in den Kanon der Masoreten gefunden hatten. In unterschiedlicher und wechselnder Weise hat man selbst die Ränder des sog. alttestamentlichen Schriftguts zu definieren versucht, ohne daraus eine Prinzipienfrage zu machen, so dass Randunschärfen verblieben. Erst in späterer Zeit kam es innerhalb der christlichen Kirche zu Auseinandersetzungen über den genauen Umfang des Alten Testaments. Im Zuge des reformatorischen Rückgriffs auf die sog. Hebraica veritas wurden sie insbesondere im 16. Jahrhundert virulent und verbanden sich mit mannigfachen konfessionellen Kontroversen zum Themenkreis Schrift, Tradition und kirchliche Vollmacht (vgl. im Einzelnen Wenz). Darauf ist hier nicht einzugehen. Es mag mit dem systematischen Hinweis sein Bewenden haben, dass die Frage nach den Rän-

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dern des Kanons eine dogmatische Randfrage ist, die nicht formalautoritativ, sondern nur von der Mitte des biblischen Zeugnisses her durch konkreten Schriftgebrauch einer angemessenen Lösung zuzuführen ist. Wie hinsichtlich des alttestamentlichen ist Neutestamentliche auch in Bezug auf den neutestamentlichen KaKanongeschichte non der Kirche historisch und systematisch mit Randunschärfen zu rechnen. Die Frühgeschichte des neutestamentlichen Kanons begann mit der schrittweisen Fixierung ehemals mündlicher Überlieferungen. Sie erfolgte zunächst in der Weise von Bekenntnistraditionen, welche den zentralen Inhalt des Evangeliums, die Epiphanie des auferstandenen Gekreuzigten und seine Geschichte formelhaft zusammenfassten und zum Ausgangspunkt und Kriterium für Verkündigung und Lehre wurden. Im Laufe der Zeit kam es schließlich zu einer Verschriftlichung der Tradition. Eine durch ihre Entstehungssituation bedingte Sonderstellung nehmen die Paulusbriefe ein, die ihrer originären Funktion nach keine Traditionsliteratur darstellen, sondern aktuelle Gelegenheitsschriften. Um Traditionsliteratur handelt es sich hingegen bei den Evangelien. Der Prozess der Verschriftlichung der Überlieferung setzt „in der Zeit nach dem Tod der Apostel Petrus und Paulus und des Herrenbruders Jakobus ein und ist in erster Linie nach rückwärts gewandt. Man war in der jetzt beginnenden nachapostolischen Zeit bestrebt, die gesamte Überlieferung der Frühzeit aufzugreifen. Man bemühte sich gleichzeitig um eine Ordnung des Materials und eine verbindliche Gesamtinterpretation, wie insbesondere die einzelnen Evangelien zeigen.“ (Hahn, 34f.) Eine erste Vorstufe neutestamentlicher Kanonbildung stellt die Sammlung paulinischer Briefe dar. Die Ignatianen und der 1. Klemensbrief scheinen eine solche Sammlung bereits zu kennen, und 2. Petr 3,15f. redet ausdrücklich von „allen Briefen“ des geliebten Bruders im Herrn. Wie, wo und wann genau die Sammlung zustandekam, ob sie durchweg einheitlich war und welche Briefe in welcher Anordnung sie enthielt, muss hier ebenso wenig erörtert werden wie die Frage der genauen Entstehungsgeschichte von Evangeliumssammlungen. Vermutlich hatte es eine Zusammenordnung der vier Evangelien schon in der Mitte des 2. Jahrhunderts n.Chr. gegeben. Mit ihrer normativen Vereinigung war ein weiterer Anfangsschritt zur neutestamentlichen Kanonbildung getan. Mit der vor allem durch gottesdienstliche Bedürfnisse veranlassten Sammlung zunächst der Paulusbriefe, sodann der vier Evangelienbücher war eine wichtige Vorstufe neutestamentlicher Kanonbildung erreicht, ohne dass dies von weiterer Produktion christlicher Literatur abgehalten hätte. Beide Corpora, Evangelien und Paulinen, bilden den Grundstock des Neuen Testaments, um von einem bald weiteren, bald engeren Kreis zusätzlicher Schriften umgeben zu werden, die wie die vorliegenden Sammlungen als geeignet erschienen, der gottesdienstlichen Erbauung und Belehrung der Gemeinde dienlich zu sein. In der zweiten Hälfte des 2. nachchristlichen Jahrhunderts setzte sich der Normierungsprozess christlichen Schrifttums fort. Ein Indiz hierfür ist mit der Tatsache gegeben, dass Theologen dieser Zeit einzelne frühchristliche Schriften den Hl. Schriften Israels autoritativ

140 Die Heiligen Schriften Israels als AT und die Genese des neutestamentlichen Kanons bei- und gleichordnen. Ein zweiteiliger Kanon war im Werden begriffen. Durch Markion, der das Alte Testament dezidiert ablehnte und seiner Gemeinde mit zehn (gereinigten) Paulusbriefen und dem (modifizierten) Lukasevangelium eine neue Hl. Schrift gab, wurde diese Entwicklung nicht verhindert, sondern im Gegenteil beschleunigt. Die drei großen Kirchenväter des ausgehenden 2. Jahrhunderts n.Chr., Clemens von Alexandrien, Irenäus von Lyon und Tertullian, kennen neben Evangelien und Paulusbriefen weitere feste Bestandteile normativen Schrifttums des Neuen Bundes, ohne zu gänzlicher Einheitlichkeit in Einzelbewertung und Zuordnung zu gelangen. Unbestritten sind neben dem Viererevangelienkanon die Apostelgeschichte und dreizehn Paulusbriefen sowie 1. Petrus- und 1. Johannesbrief, wohingegen die Zugehörigkeit weiterer Schriften noch offen ist. Der sog. muratorische Kanon, ein gegen Ende des 2. Jahrhunderts in Rom verfasstes Fragment, das ein autoritatives Verzeichnis des in offiziellem gültigen Gebrauch befindlichen, öffentlich zu verlesenden Schrifttums enthält, bestätigt trotz einiger Abweichungen im Wesentlichen diesen Befund. Interessant ist das muratorische Fragment ferner wegen der Benennung von Zulassungskriterien bzw. von Kriterien zur Bestimmung der Normativität normativen Schrifttums. Genannt werden neben apostolischer Herkunft und Ursprungsnähe der gottesdienstliche Gebrauch einer Schrift innerhalb der ganzen ecclesia catholica. Damit war der entscheidende Grund gelegt für die Unterscheidung kanonischen und nichtkanonisch-apokryphen Schrifttums. Origenes von Alexandrien war einer der ersten, der auf der Basis gelehrter Forschung festzustellen suchte, welche Schriften in den einzelnen Kirchenprovinzen kanonische Geltung beanspruchen können. Er kennt eindeutige Fälle kanonischer Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit, aber auch Zweifelsfälle wie den Hebräerbrief und die Apokalypse, was zeigt, dass die Kanongrenze noch nicht definitiv gezogen war. Ein vergleichbarer Befund ergibt sich im Hinblick auf Euseb von Caesarea, der in seiner Kirchengeschichte ähnlich wie Origenes zwischen Homologumena, Antilegomena und solchen Schriften unterscheidet, die als gänzlich irreführend und unfromm zu beurteilen sind. Insgesamt zeigt sich, dass zu Beginn des vierten Jahrhunderts nach wie vor mit Schriften gerechnet werden muss, deren kanonische Geltung strittig ist, da sie zwar als mögliche Kanonkandidaten in Frage kommen, aber nicht allgemein anerkannt sind. Die Tatsache, dass dieser Geltungsstreit nicht unter Berufung auf formale Entscheidungskriterien beendet werden konnte, enthält einen Hinweis darauf, dass im Kanonisierungsprozess und zwar von Anfang an inhaltlich-theologische Gesichtspunkte wirksam waren, deren Bedeutung nicht unterschätzt werden darf. Einen fertigen Kanon Alten und Neuen Testaments mit festgelegter Reihenfolge und Klassifizierung der einzelnen Schriften, zu denen niemand etwas hinzufügen und von denen niemand etwas hinwegnehmen sollte, benannte im Jahr 367 erstmals der 39. Osterfestbrief des Athanasios, von dem auch der förmliche Kanonbegriff stammt. Allerdings bleiben im Osten abgesehen von Sonderentwick-

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lungen in orientalischen Nationalkirchen unter den 27 von Athanasios als kanonisch bezeichneten Schriften einzelne noch lange umstritten, insbesondere die Apokalypse. In der lateinischen Kirche hingegen hat der Kanon des Athanasios schneller definitive Gestalt angenommen. Augustin hat ihn vertreten, ebenso Papst Innozenz I.; Ende des 4., Anfang des 5. Jahrhunderts war der Kreis der zugelassenen neutestamentlichen Schriften inklusive der Apokalypse geschlossen, die Kanonfrage endgültig entschieden, auch wenn es in Bibelausgaben noch zu Abweichungen kam.

7. Die Bücher des Neuen Testaments

Lit.: D. C. Allison, Jr., The New Moses. A Matthean Typology, Minneapolis 1993. – H. Baarlink, Anfängliches Evangelium. Ein Beitrag zur näheren Bestimmung der theologischen Motive im Markusevangelium, Kampen 1977. – G. Barth, Das Gesetzesverständnis des Evangelisten Matthäus, in: G. Bornkamm/G. Barth/H. J. Held, Überlieferung und Auslegung im Matthäusevangelium, Neukirchen-Vluyn 71975, 54–154. – E. Best, Mark. The Gospel as Story, Edinburgh 1983. – H. D. Betz, Studien zur Bergpredigt, Tübingen 1985. – C. C. Black, Mark Images of an Apostolic Interpreter, Columbia 1994. – J. Ernst, Lukas. Ein theologisches Portrait, Düsseldorf 1985. – Ders., Markus. Ein theologisches Portrait, Düsseldorf 1987. – Ders., Matthäus. Ein theologisches Portrait, Düsseldorf 1989. – Ders., F. Fendler, Studien zum Markusevangelium. Zur Gattung, Chronologie, Messiasgeheimnistheorie und Überlieferung des zweiten Evangeliums, Göttingen 1991. – M. D. Goulder, Midrash and Lection in Matthew, London 1974. – K. Gutbrod, Wir lesen das Evangelium nach Markus. Einblicke in Gestalt, Aufbau und Zielsetzung, Stuttgart 1970. – Th. Hauser, Die Herrschaft Gottes im Markusevangelium, Frankfurt a.M. 1998. – M. Hengel, Studies in Gospel of Mark, London 1985. – C. J. Hemer, The letters to the seven churches of Asia in their local setting, Sheffield 1986. – R. Kampling, Israel unter dem Anspruch des Messias. Studien zur Israelthematik im Markusevangelium, Stuttgart 1992. – J. Lange (Hg.), Das Matthäus-Evangelium, Darmstadt 1980. – E. Lohmeyer, Das Vaterunser, Göttingen 1974. – G. Lüdemann, Das frühe Christentum nach den Traditionen der Apostelgeschichte. Ein Kommentar, Göttingen 1987. – U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus, 4 Bde., Zürich 1984. – D. B. Peabody, Mark as Composer, Macon/Georgia 1987. – A. Sand, Das Gesetz und die Propheten. Untersuchungen zur Theologie des Evangeliums nach Matthäus, Regensburg 1974. – A. Schlatter, Der Evangelist Matthäus. Seine Sprache, sein Ziel, seine Selbständigkeit, Stuttgart 1929. – K. L. Schmidt, Der Rahmen der Geschichte Jesu. Literarkritische Untersuchungen zur ältesten Jesusüberlieferung, Darmstadt 1964. – E. Schweizer, Die Bergpredigt, Göttingen 1982. – M. Stiewe/F. Vouga, Die Bergpredigt und ihre Rezeption als kurze Darstellung des Christentums, Tübingen/Basel 2001. – G. Strecker, Der Weg der Gerechtigkeit. Untersuchung zur Theologie des Matthäus, Göttingen 21971. – Ders., Die Bergpredigt, Göttingen 1982. – G. Theißen, Die Entstehung des Neuen Testaments als literaturgeschichtliches Problem, Heidelberg 2007. – H. Weder, Die „Rede der Reden“. Eine Auslegung der Bergpredigt heute, Zürich 21987. – G. Wenz, Der Völkerapostel Paulus und seine Briefe, in: US 63 (2008), 338–349.

Keine der neutestamentlichen Schriften ist im Original erhalten geblieben. Ihr ursprünglicher Text kann nur aus Abschriften und Auszügen altkirchlicher Zeugen gewonnen werden. In Frage kommen vor allem griechische Handschriften, insbesondere Papyrus- und Pergamentmajuskeln, sodann ältere Übersetzungen

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syrischer, lateinischer und koptischer Provenienz sowie neutestamentliche Zitate bei Kirchenvätern. Gedruckte Ausgaben des griechischen Neuen Testaments gibt es erst seit Anfang des 16. Jahrhunderts. Luthers deutsche NT-Übersetzung beruhte auf einem Nachdruck der Zweitauflage (1519) der Ausgabe des Neuen Testaments durch Erasmus vom März 1516. Die Verseinteilung der neutestamentlichen Texte wurde erst Mitte des 16. Jahrhunderts üblich, wohingegen die Kapitelgliederung schon bald nach 1200 aufkam. Die Anordnung, in der die Bücher des neutestamentlichen Kanons vorliegen, erfolgte nicht nach Regeln der Chronologie oder unter lokalen Gesichtspunkten, sondern in erster Linie unter gattungsgeschichtlichen Aspekten. Zu unterscheiden ist primär zwischen Evangelien und Briefen, welche die beiden Grundformen der neutestamentlichen Schriften bilden. Eine Sonderstellung nehmen neben dem Hebräerbrief, dessen Briefform nur durch formale Rahmung hergestellt ist, die Apostelgeschichte und die Apokalypse ein. Während die Offenbarung des Johannes einen festen Ort am Kanonende hat, wurde der Hebräerbrief von der altkirchlichen Tradition im Kanon unterschiedlich positioniert. Die Positionierung der Acta wiederum verdankt sich dem Interesse, den in Form von Briefen vorliegenden Worten der Apostel ihre Taten vorhergehen zu lassen. Die Trennung vom Lukasevangelium, als dessen Fortsetzung sich die Apostelgeschichte versteht, folgt hieraus. Auch die Apokalypse ist trotz ihrer Zuschreibung an Johannes durch ihre kanonische Verortung als prophetisches Buch vom übrigen johanneischen Schrifttum getrennt worden. Ihre formale Eigentümlichkeit und Ausnahmestellung im Kanon legt es nahe, den Ausfüh- Apostelgeschichte rungen zu den Evangelien und zur Briefliteratur einige Bemerkungen zu den drei Nebengattungen des Neuen Testaments voranzustellen. Das Werk über die Taten der Apostel ist für die Geschichte des Urchristentums naturgemäß von besonderem Interesse. Es stammt erkenntlich vom selben Autor wie das Lukasevangelium. Dies wird nicht nur durch Form und Inhalt der beiden Schriften, sondern durch den expliziten Rückverweis in Apg 1,1 und die jeweilige Widmung an Theophilus (Lk 1,3; Apg 1,1) belegt. Das lukanische Doppelwerk bietet eine zusammenhängende Darstellung der Jesusgeschichte und der nachfolgenden Geschichte urchristlicher Mission. Erstmals im Kanon Muratori wird das dritte Evangelium dem Arzt Lukas zugeschrieben. Gemeint sein kann nur der in Kol 4,14, Phlm 24, 2. Tim 4,11 erwähnte heidenchristliche Gefährte des Paulus. Doch ist diese Überlieferung historisch wenig wahrscheinlich, da der Verfasser der Apostelgeschichte weder Kenntnisse von der Person des Paulus noch von seinen Briefen verrät. Er gehört einer späteren Generation an. Sein Evangelium ist sicher nicht vor 70, wahrscheinlich erst gegen Ende des ersten Jahrhunderts entstanden. Die Herkunft des Verfassers aus dem heidenchristlichen Bereich außerhalb Palästinas darf als gesichert gelten. Eine Nähe zu den Traditionen der Gemeinde in Antiochia ist in der Forschung vor allem in Bezug auf den ersten Teil der Apostelgeschichte häufig behauptet worden.

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Der Bericht, den die Apostelgeschichte über das frühe Christentum bietet, ist nicht ohne Quellenwert, aber einer strengen historischen Kritik zu unterziehen. So ist, um ein Beispiel zu geben, die Theologie des lukanischen Paulus mit der Lehre des Heidenapostels nur bedingt kompatibel. Auch wenn man in Rechnung stellen muss, dass das genuine Denken des Paulus von Anfang an höchst unterschiedlich oder gar nicht verstanden wurde (vgl. 2. Petr 3,15f.), wird man daher der traditionellen These, dass die Apostelgeschichte von einem Begleiter des historischen Paulus verfasst wurde, mit Skepsis begegnen, zumal da weitere Gründe gegen sie sprechen. Selbst die Benutzung paulinischer Briefe durch den Verfasser der Apostelgeschichte ist eher unwahrscheinlich. Dies schließt indes keineswegs aus, dass ihm authentische Paulustraditionen und sonstige Überlieferungen vorlagen, die historisch zuverlässige Kenntnisse von der Geschichte des Urchristentums vermitteln. Wichtig ist die Apostelgeschichte nicht zuletzt für die historische Rekonstruktion der Verhältnisse und Vorgänge in der Jerusalemer Urgemeinde. Um Apg 6f. und die Ausführungen zum Stephanuskreis als Beispiel zu wählen: Stephanus hat gemäß Apg 6,11 gegen Moses und Gott gesprochen und laut Apg 6,14 unter Berufung auf Jesus Tempel- und Gesetzeskritik geübt. Dies dürfte bei aller gebotenen Vorsicht eine historisch zuverlässige Mitteilung sein, auch wenn offen bleiben muss, ob Stephanus und sein Kreis die Tora grundsätzlich in Frage gestellt und für aufgehoben erklärt haben. Bemerkenswert ist ferner, dass die Liste der sog. Sieben in Apg 6,5 lauter griechische Namen enthält, wohingegen die Namen der zwölf Apostel überwiegend semitischer Herkunft sind. Bei den sog. Hellenisten um Stephanus wird es sich sonach um Griechisch sprechende Judenchristen gehandelt haben, die mit den Aramäisch sprechenden „Hebräern“ in Bezug auf die Gesetzesfrage aneinandergerieten. „Dieser Streit ereignete sich in der Frühzeit der Jerusalemer Urgemeinde, denn Paulus verfolgte Mitglieder dieser Hellenistenkreise bereits außerhalb Jerusalems und traf sie während seines ersten Jerusalembesuchs nicht mehr an ...“ (Lüdemann, 84) Möglich ist, dass die Wendung „die Sieben“ ebenso titular zu verstehen ist wie die Rede von den Zwölf. Waren letztere die Repräsentanten Israels, so erstere die repräsentativen Vertreter der Proselyten. Welche Aktionen die Verbindung von Christusglauben und Gesetzeskritik für Stephanus und seinen Kreis zur Folge hatte, ist in Apg 7f. beschrieben: Stephanus wird gesteinigt, die Hellenisten werden aus Jerusalem vertrieben. Dass sie bald schon Mission in Samarien und anderswo betrieben, ist sehr wahrscheinlich eine historische Tatsache. Die jüdischen Grenzen wurden dabei auch in sachlicher Hinsicht transzendiert. Dass bei ihrer Heidenmission die hellenistischen Judenchristen nicht allzu lange alleine blieben, wird man annehmen dürfen. Zwar ist die Korneliusgeschichte in Apg 10,1–11,18, deren erster Teil an die lukanische Version der Geschichte vom Hauptmann von Kapernaum (vgl. Lk 7,1–10) erinnert, stark legendarisch geprägt. Ihr historischer Kern dürfte darin bestehen, dass erstens Petrus selbst, so sehr er sich primär an Juden wandte (vgl. Gal 2,7), bei seiner Missionstätigkeit auch Nichtjuden begegnet sein und Einzelne von ihnen für den Glauben an

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Christus gewonnen haben wird und dass zweitens die Judenchristen petrinischer Herkunft nach geraumer Zeit zunehmend und bald überwiegend Heidenmission betrieben. Neben der Apostelgeschichte, deren historischer Wert nicht über-, aber auch nicht unter- Hebräerbrief schätzt werden darf, nimmt im neutestamentlichen Kanon der Hebräerbrief eine nicht nur formale Sonderstellung ein. Auf seinen Verfasser enthält er keinerlei Hinweise. Als mögliche Autoren sind der schriftgelehrte Judenchrist Apollos (vgl. Apg 18,24ff.; 1. Kor 1,12; 3,4ff.; 16,12), der mit dem Stephanuskreis in Verbindung gebracht wurde (vgl. Lüdemann, 216), Barnabas (vgl. Apg 4,36; 9,27; 11,22), aber auch Clemens Romanus erwogen worden. Am verbreitesten ist seit altkirchlichen Zeiten die Annahme einer paulinischen Urheberschaft. Der Hebräerbrief findet sich entsprechend bereits in alten Handschriften im Corpus Paulinum. In der griechischen und syrischen Kirche wird er seit dem 3. Jahrhundert durchwegs den kanonischen Paulusbriefen zugerechnet. Origenes hielt das Schreiben nur mittelbar für paulinisch; ein Paulusschüler habe die Gedanken des Apostels auf seine Weise adaptiert und niedergeschrieben. Auch mit der Möglichkeit einer Übersetzung des ursprünglich Hebräisch geschriebenen Briefes des Paulus durch Lukas wurde gerechnet. Keine dieser Annahmen kann historisch überzeugen. Der Verfasser ist nicht mehr identifizierbar. Lediglich, dass es sich um einen hellenistischen Judenchristen gehandelt hat, lässt sich mit einiger Wahrscheinlichkeit sagen. Auch über die Adressatenschaft des Hebräerbriefs ist nichts Konkretes bekannt. Die Überschrift „An die Hebräer“ wird allgemein als sekundär angesehen. Sie gibt der Meinung Ausdruck, der Hebräerbrief sei an Judenchristen innerhalb oder außerhalb Palästinas geschrieben. Für diese Annahme sprechen neben dem christologischen Zentralgedanken des Hohenpriestertums Christi die Art und Weise der Beweisführung, die sich ganz in alttestamentlichen Vorstellungszusammenhängen bewegt. Da entsprechende Kenntnisse allerdings bei Christen insgesamt vorauszusetzen waren, kann eine heidenchristliche Leserschaft nicht ausgeschlossen werden. Für diese Annahme spricht u.a. die Tatsache, dass der Hebräerbrief einen Gegensatz von Juden und Heiden nicht kennt und daher für Christen als Christen schreibt. Davon bleibt unberührt, dass die typologische Exegese und allegorische Auslegung des Alten Testaments, deren sich der Hebräerbrief bedient, an den philonischen Geist alexandrinischen Diasporajudentums erinnert. Seiner Form nach ist der Hebräerbrief, dessen Nähe zu Gattungen hellenistischer Literatur häufig vermerkt wurde, nicht eigentlich ein Brief, sondern eine in Briefform gekleidete Rede. Möglich ist, dass der Verfasser eine für eine bestimmte Gemeinde verfertigte Predigt dieser oder einer anderen schriftlich und mit einem Briefschluss versehen zugesandt hat. Ob es sich dabei, wie vielfach angenommen, um die römische oder eine sonstige italische (vgl. Hebr 13,24) Gemeinde handelte, muss unentschieden bleiben. Wenn mit dem Hebr 13,23 genannten Timotheus realiter der bekannte Paulusbegleiter gemeint sein soll, dann ist seine Erwähnung

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ein Argument gegen eine allzu späte Datierung des Hebräerbriefs. Gegen sie spricht ferner die Benutzung des Schreibens im 1. Clemensbrief. Man wird mit einer Abfassungszeit in den 80er oder 90er Jahren des 1. nachchristlichen Jahrhunderts zu rechnen haben. Zur Johannesoffenbarung als dem letzten Buch Johannesapokalypse des Neuen Testaments und der ältesten und bedeutendsten christlichen Apokalypse sei vermerkt, dass ihr Autor nicht anonym oder pseudonym bleibt, sondern sich als ein judenchristlicher Prophet namens Johannes zu erkennen gibt. An vier Stellen seines Buches wird er ausdrücklich genannt (Apk 1,1.4.9; 22,8). Nach Maßgabe des einleitenden Berichts von Apk 1,9–20 ist dem Seher seine Christusvision auf der – der kleinasiatischen Küste bei Milet vorgelagerten – Insel Patmos (vgl. Apk 1,9– 20) zuteil geworden, wo er nach alter Tradition als Verbannter lebte. Die Johannesapokalypse enthält Briefe an sieben Gemeinden der Asia in den Städten Ephesus, Smyrna, Pergamon, Thyatira, Sardis, Philadelphia und Laodicea. „The prophecy arises out of local and contemporary circumstances; it is, in the first instance at least, the answer of the Spirit to the fears and perils of the Asian Christians towards the end of the first century.“ (Hemer, 1) Da der Apokalyptiker die örtlichen Verhältnisse gut kennt, wird er selbst der Region zugehören, an die seine Rundschreiben gerichtet sind. In welchem genauen Verhältnis der Autor zu den Adressaten seiner Apokalypse stand, ist nicht mehr zu erheben. Apk 1,1 und 9 weisen indes darauf hin, dass es sich um eine bekannte Persönlichkeit von anerkannter Autorität gehandelt haben wird. Dass der Autor der Apokalypse zugleich der Verfasser des Johannesevangeliums bzw. eines oder mehrerer der johanneischen Briefe gewesen ist, darf als ausgeschlossen gelten, obzwar gemeinsame traditionsgeschichtliche Bezüge vorhanden sind. Auszuschließen ist auch die Identifizierung des Autors mit dem Apostel und Zebedaiden Johannes, wie sie als erster Justin (Dial 81,4 unter Bezugnahme auf Apk 20,4) vorgenommen hat. Was hinwiederum den von Papias erwähnten „Presbyter“ Johannes anbelangt, so gehört er eher in den johanneischen Kreis des Evangeliums und der Briefe als in den Kontext der Apokalypse. Entstanden ist die Johannesapokalypse aller Wahrscheinlichkeit nach im kleinasiatischen Raum gegen Ende der Regierungszeit Domitians, also in den Jahren 90–95. Nach dem Untergang Jerusalems im Jahr 70 n.Chr. „the focus of Christianity shifted from Judaea and was not yet established in Rome. One of its strongest centers meanwhile was found in the Graeco-Anatolian society of the great cities of proconsular Asia. There Judaism of the Diaspora met Hellenistic and oriental culture under the authority of Rome.“ (Hemer, 1f.) Zu ergänzen ist, dass die Johannesapokalypse keine eschatologischen Zukunftsprognosen geben, sondern ein Trostbuch für bedrängte Gemeinden in Zeiten der Verfolgung sein will. Dass ihre Theologie lediglich ein schwach christianisiertes Judentum darbietet, wird man nur mit Vorbehalt sagen können. Wird das Ende des neutestamentlichen Kanons durch die Johannesapokalypse

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markiert, so steht an seinem Anfang das Matthäusevangelium, das der kirchlichen Tradition Evangelium nach Matthäus als das älteste Evangelium galt. Wer sein Verfasser war, ist aus ihm nicht zu ermitteln, da es keine direkten Hinweise auf seinen Autor enthält. Die kirchliche Überlieferung, die Mt dem Jesusjünger Matthäus (vgl. Mt 9,9; 10,3) zuschreibt, geht auf eine Nachricht des Bischofs Papias von Hierapolis zurück, derzufolge der ehemalige Zöllner in hebräischer Sprache die Worte Jesu zusammengestellt habe, die dann jeder nach Vermögen ins Griechische übersetzte. Diese Notiz gibt mehr Rätsel auf als sie zu lösen vermag. Weder hinsichtlich der Genese noch hinsichtlich der Verfasserschaft des Mt sind aus ihr zuverlässige Hinweise zu entnehmen. Über den unbekannten Verfasser des Mt lässt sich nicht mehr sagen, als dass er ein Griechisch sprechender Judenchrist mit möglicherweise rabbinischen Kenntnissen war, der vermutlich einer Gemeinde außerhalb Palästinas, wahrscheinlich im syrischen Bereich, möglicherweise in Antiochien entstammte. Entstanden ist das Mt – anders als die kirchliche Tradition meinte – zeitlich nach dem von ihm verwendeten Markusevangelium und vor den Briefen des Ignatius, der die Schrift kennt und benutzt. Als Abfassungszeit kommt sonach das letzte Viertel des 1. Jahrhunderts n.Chr. in Frage. Mt verkündet Jesus als den Messias Israels für die Kirche aus allen Völkern. Seine Haltung ist keineswegs partikularistisch, sondern für Heidenchristen offen. Gleichwohl stellt er den theologischen Zusammenhang von genuinem Judentum und originärem Christentum in einer Weise heraus, dass das Christentum als die Vollendungsgestalt des Judentums erscheint. Der matthäische Jesus ist Lehrer vollkommener Gerechtigkeit, der im Unterschied zu Pharisäern und Schriftgelehrten tut, was er sagt. Seine messianische Tora, die er persönlich verbürgt, ist die Erfüllung des Gesetzes. In den aus überliefertem Spruchgut komponierten großen Reden, die das Mt grundlegend strukturieren (vgl. Mt 5–7;10;13;18;23;24f.), wird die Vollmacht Jesu als des Lehrers der Gerechtigkeit bündig zum Ausdruck gebracht und die bleibende Bedeutung des jesuanischen Gesetzes für Juden- und Heidenchristen betont hervorgehoben. Jesu Kritik gilt nach Mt keineswegs der Tora als solcher, sondern der verkehrten und den Ursprungssinn verfehlenden Deutung, die ihr jüdische Schriftgelehrte und Pharisäer haben zuteil werden lassen. Am Beispiel der Bergpredigt als der ersten und größten jener fünf Reden, die das Mt prägen, ließe sich diese Charakteristik unschwer belegen; denn diese ist „als das matthäische Verständnis des Christentums und als die Zusammenfassung des matthäischen Evangeliums zu lesen“ (Stiewe/Vouga [Hg.], 3). Der Großteil des Redenstoffs stammt aus Q und matthäischem Sondergut (vgl. Luz, Schweizer). Die Gesamtkonzeption der „Reden der Reden“ (F. Dürrenmatt) aber geht „mit großer Gewißheit“ (Weder, 34) auf den ersten Evangelisten zurück. Doch ist die Gestaltung der Bergpredigt nicht lediglich Reflex der persönlichen Frömmigkeit des Evangelisten: „was hier sichtbar wird, war das palästinische Christentum.“ (Schlatter, 128) So ist nicht definitiv auszuschließen, dass die Bergpredigt dem ersten Evangelisten bereits als vormatthäisch redigierte Komposition vorlag. Nur

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modifiziert haltbar dürfte hingegen die These sein, wonach die Mt vorliegende Komposition einen aus dem frühen Judenchristentum stammenden Gesamtentwurf des christlichen Glaubens enthalten habe, „der sich durch einen direkten Zugang zu den Lehren des historischen Jesus auszeichnet und zugleich eine Alternative zum Heidenchristentum darstellt, wie es uns aus den Briefen des Paulus und aus den Evangelienschriften, nicht zu reden von den noch späteren Schriften des Neuen Testaments, bekannt ist“ (Betz, VII). Im Matthäusevangelium, das als eine midraschartige Adaption und Rezeption von Mk gelesen werden kann (vgl. Goulder), geht es inhaltlich „überwiegend um die richtige Auslegung der Tora, die als Offenbarung des Gotteswillens nach dem Verständnis des Matthäus das Tun der Barmherzigkeit als Norm einer besseren Gerechtigkeit fordert“ (Sand, 221). Ihren Grund hat diese Forderung im Gedanken der Väterlichkeit Gottes, mit dem „der andere der Gotteskindschaft der Jünger Jesu so eng verknüpft (ist), daß was für den einen gilt, auch den andern bestätigt“ (Lohmeyer, 30). Väterlichkeit Gottes und menschliche Gotteskindschaft bilden nicht nur den äußeren Rahmen, sondern den inneren Grund der Toraauslegung in Mt. Von daher ist zu prüfen, ob und inwieweit die Kennzeichnung Jesu als „The New Moses“ (vgl. Alison, Jr.) zutreffend und hinreichend ist. In der kirchlichen Tradition wurde das erste Evangelium des Neuen Testaments zugleich für das älteste erachtet. In Wirklichkeit ist Mt eine modifizierte Neuauflage des Markusevangeliums, das ihm zugrunde lag. Literarische Querverbindungen zu Lk und zu Joh sind nicht nachzuweisen, wenngleich inhaltliche Dependenzen zweifellos bestehen. Der Aufriss von Mk wurde weithin beibehalten, der Stoff systematisiert und mit Redenmaterial angereichert, das in erheblichen Teilen aus Q stammt. Mt ist nicht nur Tradent, sondern zugleich Redaktor und selbständiger Interpret der auf ihn kommenden Traditionen. Eine Tendenz seiner Quellenbearbeitung ist von der Absicht bestimmt, Jesus vor den Frommen des Judentums und gemäß den Hl. Schriften Israels als den verheißenen Messias zu erweisen. Nicht nur die zahlreichen Reflexionszitate sind von dieser Intention bestimmt. Doch trotz seiner stark von jüdisch-judenchristlicher Tradition geprägten Ausrichtung ist Mt eindeutig universalistisch und teilweise sogar antijudaistisch orientiert. Die christliche Kirche ist nach Mt das „wahre Israel“. Dies hat W. Trilling 1959 in einer umfassenden redaktionsgeschichtlichen Studie gezeigt, deren Zentralthese durch die zeitnahen Arbeiten von G. Barth über „Das Gesetzesverständnis des Evangelisten Matthäus“ und von G. Strecker zum Thema „Der Weg der Gerechtigkeit“ vorbereitet und bestätigt wurde (vgl. Lange, bes. 12ff.) Hervorgehoben wurden von der redaktionsgeschichtlichen Forschung fernerhin die missionarischen (vgl. Mt 28,16–20), katechetischen und paränetischen Intentionen des Verfassers sowie der schriftgelehrte und dezidiert kirchliche Charakter seines Werkes (vgl. im Einzelnen etwa Sand). Mt ist das einzige Evangelium, das ausdrücklich von der ekklesia handelt; dabei setzt der Evangelist als hellenistischer Judenchrist die Öffnung der Kirche für Heiden und Nichtjuden sowie die Trennung von der Synagoge als bereits vollzogen voraus (vgl. Ernst, Matthäus, 38ff.).

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Das älteste Evangelium nach Mk hat mit dem Begriff, mit welchem es die von ihm begründete Evangelium nach Markus Gattung bezeichnet, den entscheidenden Hinweis zu seinem Verständnis gegeben. „Das Wort ‚Evangelium‘ hat eine lange Vorgeschichte, die zurückreicht in das Alte Testament (Jes 40,9; 52,7; 60,6; 61,1; Nah 2,1; Ps 67,12 LXX; 95,2 LXX; Ps Sal 11,1) und in den griechisch-hellenistischen Kulturbereich. Die ursprüngliche Bedeutung ‚gute Nachricht‘, ‚frohe Kunde‘ erhielt in der Zeit des babylonischen Exils einen Bezug zur anbrechenden Heilszeit. Erst das Neue Testament gab dem Begriff seine eigentümliche Prägung. Paulus verwendet das Wort zentral für die Heilsbotschaft von Tod und Auferstehung Jesu (1. Kor 15,1–4). Markus fixiert insofern einen wichtigen Punkt in der Entwicklung, als er als erster die erzählerische Komponente in die Verkündigung eingebracht hat. Das Evangelium von dem gekreuzigten und auferstandenen Sohn Gottes wird als die Geschichte Jesu von Nazaret verstanden. Die gepredigte Heilsbotschaft, das Kerygma, der Appell zum Glauben an Jesus Christus weitet sich aus zu einer erzählten Lebensgeschichte. Markus hat sein Evangelium von der Passion her als verlängerte Leidensgeschichte und von der Taufe im Jordan her als voranschreitende Lebensgeschichte konzipiert.“ (Ernst, Markus, 18f.) Den entscheidenden hermeneutischen Wendepunkt markiert dabei Ostern: Der Verkündiger der nahen Gottesherrschaft wird selbst zum Verkündigten und in seinem Leben und Sterben zum Inhalt und personalen Inbegriff des Kerygmas, von dem das Evangelium zeugt. Der weitere Schritt zur Verschriftlichung, den Mk dabei über Paulus hinaus tut, ist ein Indiz einerseits für die fortgeschrittene Geschichte der Urchristenheit, andererseits für das vollendete Perfekt ihres Ursprungsdatums. Nach der bei Papias von Hierapolis bezeugten kirchlichen Überlieferung war, wie Eusebs Kirchengeschichte zu entnehmen ist (III,39,15), der Verfasser des ältesten Evangeliums ein gewisser Markus, der als Interpret bzw. Hermeneut des Petrus dessen Berichte der Erinnerung, jedoch nicht der Ordnung nach aufschrieb. Im Mk selbst hingegen bleibt der Autor von der umstrittenen Überschrift abgesehen anonym. Ebenso wenig lässt sich aus Mk eine besondere Beziehung zur Petrustradition nachweisen. 1. Petr 5,13 trägt hierfür nichts aus. Aus diesen und anderen Gründen hat die Papiasnotiz über eine spezifische Beziehung des Verfassers des ältesten Evangeliums zu Petrus wahrscheinlich als unzuverlässig zu gelten. Man wird ihr nicht mehr entnehmen können als einen Hinweis darauf, dass das Mk der kirchlichen Überlieferung als durch die apostolische Autorität des Petrus verbürgt galt. Als glaubwürdiger erscheint die Namensangabe. Sollte sie zuverlässig sein, wird man an den in der Apg mehrfach genannten Johannes Markus (vgl. im Einzelnen Black) zu denken haben. Dieser war Sohn einer Maria, in deren Haus in Jerusalem sich ein Teil der Urgemeinde zu versammeln pflegte. Verschiedentlich wird er als Mitarbeiter des Paulus erwähnt, dessen engerem Kreis er zeitweilig angehörte (vgl. Apg 12,25; 13,5.13; ferner 15,37ff. sowie Phlm 24; Kol 4,10; ferner 2. Tim 4,11; 1. Petr 5,13). Da Johannes Markus weder Jesusjünger noch Apostel war, fehlt ein wesentliches Motiv, ihm ein Evangelium sekundär zuzuschreiben.

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Manche Forscher halten daher die Verfasserschaft des Johannes Markus für wahrscheinlich (vgl. etwa Hengel). Doch verbleiben nicht unerhebliche Restunsicherheiten. Sie veranlassen nicht wenige Exegeten, in Mk ein anonymes Evangelium zu sehen, welches lediglich aus Gründen der Traditionsverbürgung einem Apostelschüler zugeschrieben wurde. Wie die Verfasserfrage lässt sich auch die Frage nach der Abfassungszeit von Mk nicht mit letzter Sicherheit beantworten. Wahrscheinlichster Zeitpunkt der Abfassung des ältesten Evangeliums sind die Jahre kurz vor 70 n.Chr., da die Zerstörung des Tempels noch keinen Niederschlag gefunden hat, die Krisenzeit vor Anbruch des jüdisch-römischen Krieges im Jahr 66/67 n.Chr. aber schon spürbar ist. Wann und durch wen der Nachtrag 16,9–20 angefügt wurde, ist nicht mehr auszumachen. „Wohl aber läßt sich der Grund erkennen, aus dem dieser Nachtrag angefügt worden ist. Kann ein Buch, in dem das Evangelium erzählt wird, mit 16, 8 schließen? So mag der unbekannte Verfasser des Nachtrags und dieses Resumees aus Ostergeschichten der anderen Evangelien sich gefragt haben.“ (Gutbrod, 93) Als der älteste Evangelist, dem im Unterschied zu Mt und Lk noch kein entsprechendes Evangelienbuch vorlag, ist der Verfasser von Mk der Schöpfer eines ersten und grundlegenden Gesamtkonzeption der Jesusgeschichte aufgrund mündlicher Überlieferungsstoffe, die er nicht nur aufgezeichnet, sondern planmäßig zusammengefügt und redaktionell ineinander gearbeitet hat: „The Gospel as Story“ (vgl. Best). Im ersten Teil von Mk (1,1–8,26) wirkt Jesus als Sohn Gottes in Verborgenheit und unerkannt von den Menschen; im zweiten Teil (8,27–16,8) beginnt er seine Messianität den Jüngern zu offenbaren und deutlich zu machen, dass seine Sendung mit innerer Notwendigkeit ans Kreuz führt. Man hat Mk daher mit Recht eine Passionsgeschichte mit verlängerter Einleitung genannt. Erst der Osterglaube wird dessen gewahr, was Jesus in Wahrheit und wesentlich ist. Er erkennt im auferstandenen Gekreuzigten das offenbare Geheimnis göttlichen Heils für Menschheit und Welt, welches das Evangelium bezeugt. Auch wenn keine Kongruenz zu veranschlagen ist, steht Mk in gattungsgeschichtlicher Nähe zur antiken Biographie. „Das Leben Jesu ist dargestellt auf der Ebene linearer zeitlicher Abfolge.“ (Fendler, 103; vgl. weiterhin 106ff.) Dabei entstammen die Zeitangaben allerdings zum überwiegenden Teil der Redaktionsarbeit des Evangelisten. Die markinische Chronologie der Jesusereignisse ist, wie schon K. L. Schmidt gezeigt hat, historisch wenig ergiebig. Der lokale Rahmen ist ebenso durch redaktionelle Interessen mitgeprägt. Auch ansonsten war der Verfasser von Mk nicht nur Sammler frühchristlichen Traditionsguts ohne eigene Kohärenzvorstellungen und theologische Interessen. Er hat seine Schrift vielmehr „as composer“ (vgl. Peabody) bewusst gestaltet und in narrativer Kerygmatik auf das Verständnis der Gottesoffenbarung im auferstandenen Gekreuzigten hingeordnet, die in österlicher Entsprechung zur Predigt Jesu von der nahe gekommenen Gottesherrschaft steht (vgl. Hauser). Die Israelthematik in Mk steht unter diesem Vorzeichen. Die Kontinuität der Christusbotschaft zu den Zeugen der Hl. Schriften Israels wird ebenso hervorgehoben wie die Diskontinuität zum Judentum der

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Zeit. Die auf christliche „Identitätsbildung durch Abgrenzung“ (Kampling, 221) zielende Strategie sowie die scharfe markinische Polemik gegen Jesu Gegner „ist am ehesten aus einer Situation erklärbar, in der die christliche Gruppe sich gegenüber einer jüdischen Mehrheit in einer Minderheitenposition befand und in der das Verhältnis zur Synagoge durchaus noch ambivalent war. Man wird u. U. damit zu rechnen haben, daß nicht alle Leser des Markus den Bruch in gleicher Weise mit dem Judentum vollzogen hatten ...“ (Kampling, 213) H. Baarlink hat Mk ein „anfängliches Evangelium“ genannt und diese von der Gesamtsicht her und unabhängig vom Wortlaut von Mk 1,1 formulierte Beschreibung mit der These verbunden, der erste Evangelist habe den Anfang seines Evangeliums mit der vorösterlichen Jesusgeschichte gemacht, diesen Anfang aber keinen Augenblick von dem Geschehen von Kreuz und Auferstehung getrennt, in dem er seine Erfüllung finde. „In dem anfänglichen Evangelium der vorösterlichen Zeit sind bleibende Grundzüge gegeben, die ihre Gültigkeit durch alle Zeiten hindurch behalten.“ (Baarlink, 297) Sie behalten diese Gültigkeit aber nicht ohne Ostern, sondern von Ostern her. Der vorösterliche Jesus musste ambivalent erscheinen, und er wäre ein zweideutiges Phänomen geblieben, wäre seine Wirklichkeit durch Ostern nicht ins rechte Licht gestellt und in Wahrheit begründet worden. Jesus ist der Messias von Anbeginn, aber er würde als solcher nicht nur nicht erkannt, sondern wäre auch nicht, was er ist, hätte Gott ihn nicht auferweckt. Nun aber hat Gott den gekreuzigten Jesus von Nazareth auferweckt, und er ist als der, welcher er von Anfang an war, welcher er ist und welcher er sein wird, den Seinen erschienen. Nicht weniger als dieser komplexe Sachverhalt reflektiert sich in der Theorie, die mit Recht die hermeneutische Zentralidee des Mk genannt wurde und von der im Anschluss an ihren Entdecker William Wrede bereits ausführlich die Rede war. Wredes These vom Messiasgeheimnis als der zentralen theologischen Konzeption von Mk ist vielfach kritisiert worden. Doch bleibt von dieser Kritik die entscheidende Einsicht unbetroffen, dass zum österlich offenbaren Geheimnis der Messianität Jesus Christi die Verborgenheit seiner irdischen Erscheinung sowie jenes Unverständnis und aktive Verkennen konstitutiv hinzugehört, das ihn ans Kreuz brachte; ohne Wahrnehmung des Kreuzes kann die Wahrheit Osterns nicht erfasst werden. „Das zentrale Thema des Evangeliums, die Identität Jesu, das in der markinischen Geheimnistheorie sichtbar wird, bringt ... das Ineinander von historischdarstellender und kerygmatisch-aktualisierender Intention des Evangelisten in charakteristischer Weise zum Ausdruck. Indem der Evangelist mit der Geheimnistheorie jede ‚vorzeitige‘ Offenbarung des Wesens Jesu relativiert, lenkt er den Blick auf das gesamte Heilsgeschehen und die aktuelle Bedeutung des Leidens. Er vermag so die dogmatische Dialektik von leidendem Menschensohn und erhöhtem Gottessohn auf der Ebene der Geschichte als Einheit darzustellen und zugleich die Zusammengehörigkeit von Christsein, Leidensnachfolge und Auferstehungsperspektive zu unterstreichen.“ (Fendler, 146) Der noch verbleibende dritte unter den sog. Synoptikern, Lukas, hat als einziger

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unter den Evangelisten seinem Evangelium gemäß literarischem Brauch der Zeit einen Prolog (1,1–4) vorangestellt, in dem er sich über seine Quellen und die Leitgrundsätze seiner Darstellung äußert, die das dargestellte Geschehen zuverlässig wiederzugeben beansprucht. In Bezug auf die Quellenbenutzung des Lukas gehen die Auffassungen sowohl hinsichtlich des Evangeliums als auch hinsichtlich der Apostelgeschichte weit auseinander. Dass der Evangelist Mk und Q benutzt hat, ist unstrittig. Die Verwendung einer zusätzlichen Sonderquelle lässt sich nicht beweisen. Zahlreiche Probleme werfen auch die in Bezug auf die Apostelgeschichte veranschlagten Quellentheorien auf. Neben der Annahme einer antiochenischen Quelle in Apg 6–15 hat die auf zusammenhängende WirStücke in der zweiten Hälfte des Buches bezogene Quellenhypothese zahlreiche Anhänger gefunden. Wichtiger, weil wirkungsgeschichtlich bedeutsamer als die Quellenfrage ist die evidente Tatsache, dass das Christentum spätestens mit dem lukanischen Doppelwerk definitiv in seine literarische Epoche eingetreten ist: „Das Evangelium wird Literatur.“ (Ernst, Lukas, 19) Die Verbindung von Lk mit einer nachfolgenden Apostelgeschichte ist dafür charakteristisch. Die Identität des Autors, der diese Verbindung vollzog und für die endgültige Literarisierung der Theologie verantwortlich zeichnete, bleibt allerdings, wie bereits in den Ausführungen zu Apg vermerkt, trotz der betonten Herausstellung seiner Tätigkeit als Berichterstatter und Erzähler (vgl. Lk 1,3) im Dunkeln. Von der kryptischen Notiz über den Arzt und Paulusvertrauten Lukas im Kanon Muratori war bereits die Rede. Sie ist zu ergänzen durch die Hinweise auf die Verfasserpersönlichkeit, die Irenäus von Lyon (Adv. Haer. III,1,1) gibt. Sie ändern indes nichts an der erheblichen Unsicherheit, die vor allem das Verhältnis von Lk zur paulinischen Tradition betrifft: wie die Apg verrät auch das Lukasevangelium keine direkten Kenntnisse der Person und der Briefe des Apostels. Vergleichsweise sicher ist nur die Herkunft des Verfassers aus dem außerpalästinischen, heidenchristlichen Bereich und seine Zugehörigkeit zur sog. nachapostolischen Tradition. War vom dritten Evangelisten bereits im Zusammenhang der Apg die Rede, so wird vom vierten ausführlich im Rahmen der Erörterungen zum johanneischen Kreis gesprochen werden, so dass hier einstweilen wenige Notizen genügen. Das Joh enthält keine Autorenangabe und keinen Hinweis, dass es sich bei dem Verfasser um einen Augenzeugen der Jesusgeschichte handelt. Der in der zweiten Hälfte von Joh mehrmals begegnende sog. Lieblingsjünger Jesu (Joh 13,23–25; 19,26f.; 20,2–8), der in einem gewissen Konkurrenzverhältnis zu Petrus steht, wird nicht namentlich identifiziert und im Übrigen nicht mit dem Verfasser gleichgesetzt. Das Johannesevangelium ist sonach ursprünglich anonym überliefert. Erst das von fremder Hand angefügte Nachtragskapitel 21 verfolgt die Intention, den Lieblingsjünger als Verfasser des Evangeliums auszugeben, ohne ihn freilich namentlich zu identifizieren. Der Lieblingsjünger bleibt der geheimnisvolle Unbekannte, die Verfasserfrage aufgrund der eigenen Angaben des Evangeliums offen. Evangelium nach Lukas

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Nach der zuerst bei Irenäus (Adv. Haer. III,1,2) begegnenden kirchlichen Tradition ist das vierte Evangelium vom Zebedaiden Johannes in hohem Alter in Ephesus geschrieben worden. Er gilt zugleich als der Lieblingsjünger. Traditionsgeschichtlich bedeutsam ist ferner die im dritten Buch der Kirchengeschichte Eusebs (39,3f.) bezeugte Papiasnotiz, in der zwei Personen mit Namen Johannes erwähnt werden. Der eine Johannes wird dem Zwölferkreis zugerechnet und ist offenbar der Zebedaide; er wird als der Evangelist bezeichnet. Der zweite Johannes, der der Presbyter genannt wird, gehört den Angaben zufolge zwar einerseits nicht zum Zwölferkreis, soll aber andererseits doch ein Jesus persönlich nahe stehender Jünger gewesen sein. Er wurde mit dem „Presbyter“ aus dem Präskript des zweiten und dritten Johannesbriefes, mit dem Apokalyptiker sowie mit dem Verfasser des Evangeliums in Verbindung gebracht. Hinreichende Klarheit ist in dem gesamten Fragenkreis bis heute nicht erreicht worden. Der Verfasser des Johannesevangeliums bleibt ein Unbekannter. Offen muss bis auf weiteres auch die Bestimmung des Abfassungsortes des Johannesevangeliums bleiben. Man hat gemäß der kirchlichen Verfassertradition zunächst an Ephesus gedacht, dann aber auch Alexandrien, den syrischen Bereich und andere Gegenden in Vorschlag gebracht. Keine der Annahmen vermochte bisher definitiv zu überzeugen. Größere Einigkeit unter den Gelehrten besteht von Ausnahmen abgesehen in der Datierungsfrage: Als ungefähre Abfassungszeit des Johannesevangeliums wird fast allgemein das Jahrzehnt vor der Jahrhundertwende genannt. Dass das Evangelium spätestens vor ca. 120 n.Chr. entstanden sein muss, beweisen Restbestände einer Papyrushandschrift aus dieser Zeit, auf denen einige Verse aus Joh 18 notiert sind. Älter als die Evangelienschriften des Neuen Paulinen und Testaments sind die neutestamentlichen Doku- Deuteropaulinen mente paulinischer Evangeliumsverkündigung, wie sie in Form zahlreicher Briefe vorliegen, die der Heidenapostel seinen Gemeinden im Laufe der Jahre hat zukommen lassen. Traditionell werden Paulus insgesamt 14 Briefe zugeschrieben, nämlich Röm, 1. und 2. Kor, Gal, Eph, Phil, Kol, 1. und 2. Thess, 1. und 2. Tim, Tit und Phlm. Einen Sonderfall stellt Hebr dar, der zwar in der späteren Textüberlieferung mit den Handschriften des Corpus Paulinum tradiert wurde, weil man ihn für paulinisch hielt; anders als bei den übrigen genannten Briefen wird dies im Text von Hebr selbst allerdings nicht beansprucht, wie Humanisten und Reformatoren, aber schon Origenes, Hieronymus und andere Väter der Alten Kirche erkannten. Das kanonische Corpus Paulinum stellt das Endprodukt aus vielen kleineren Sammlungen älteren Datums dar, die wohl in den Adressatengemeinden ihr ursprüngliches Kristallisationszentrum fanden und später untereinander ausgeglichen sowie mit zusätzlichem Material angereichert wurden. Dabei wurden kleinere redaktionelle Eingriffe in die Brieftexte vorgenommen und offensichtlich auch nachpaulinische Produktionen gesammelt. Tatsache ist, dass keineswegs alle Briefe, die im NT unter dem Namen des Paulus tradiert sind, von ihm selbst stammen. Auch die Reihung der Briefe im

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kanonischen Corpus Paulinum ist nicht ursprünglich. Von der Forschung werden heute in der Regel nur Röm, 1. und 2. Kor, Gal, Phil, 1. Thess und Phlm als echte Briefe des Apostels angesehen, wohingegen Eph, 1. und 2. Tim, Tit und Hebr zumeist als pseudonym verfasste Texte eingeschätzt werden. Was die Authentizität von Kol und 2. Thess anbelangt, so differieren die Meinungen. Ein zusätzliches exegetisches Problem ist durch die intensiv diskutierte Frage bezeichnet, ob nicht einige echte Paulusbriefe in ihrer vorliegenden Gestalt als redaktionelles Resultat verschiedener paulinischer Korrespondenzen zu betrachten sind. Diese Diskussion betrifft vor allem 2. Kor und Phil. Die Existenz von Deuteropaulinen beweist, dass Paulus bei seinem Missionswerk theologisch nicht alleine stand. Auch wenn der Einfluss paulinischer Theologie in den kleinasiatischen Gemeinden und anderwärts nicht überschätzt werden darf, wird man mit einer Paulusschule bzw. einer paulinischen Schultradition rechnen dürfen, die aus dem unmittelbaren Umkreis des Apostels erwachsen ist. Offenkundig und durch seine Briefe sowie die Apostelgeschichte vielfach belegt ist die Tatsache, dass Paulus zahlreiche Mitarbeiter gehabt hat. Genannt seien nur die Namen von Timotheus und Titus, von Prisca und Aquila oder von Epaphras und Epaphroditus. Diese und andere Weggefährten standen, wie sich annehmen lässt, mit Paulus in intensiver theologischer Kommunikation, selbst wenn dabei nicht an einen regelrechten Schulbetrieb im Sinne der antiken Philosophen- oder der späteren Talmudschulen zu denken ist. Wie auch immer: mit einem engeren Kreis namentlich bekannter und unbekannter Mitarbeiter um Paulus ist zu rechnen. Er selbst rühmt mehrfach ihre Hilfsbereitschaft und ihren Eifer im missionarischen Dienst. Aus der Schar dieser Vertrauten gingen diejenigen hervor, denen schon zu Lebzeiten und mehr noch nach dem Tode des Apostels die Aufgabe zukam, die Gemeinden zu betreuen und das paulinische Erbe zu wahren. In diesen Überlieferungszusammenhang gehören die Deuteropaulinen, welche die Tradition des Paulus zu sichern und auf ihre Weise lebendig fortzuentwickeln suchten. Da die Deuteropaulinen ebenso wie die authentischen Paulusbriefe (vgl. Wenz) gesondert behandelt werden, sei hier nur kurz auf das Phänomen der Pseudepigraphie und auf das eigentümliche Verhältnis Bezug genommen, in dem Kol und Eph zueinander stehen. Von Pseudepigraphie spricht man, wenn Schriftsteller ihr literarisches Werk unter falschem bzw. erdichteten Namen herausgeben oder pseudonyme Schriften verfassen, die nicht von dem durch Titel, Inhalt oder anderweitig ausgewiesenen Autor stammen. Sog. alttestamentliche Pseudepigraphen kommen in der Zeit zwischen 250 v.Chr. und 200 n.Chr. gehäuft vor. Sie sind Adam, Henoch, Abraham, Isaak, Jakob, Joseph, Mose, David, Salomo, Jesaja, Jeremia, Baruch oder Esra zugeschrieben. Vergleichbare pseudepigraphische Zuschreibungen begegnen im Neuen Testament. U.a. für die nachapostolische Paulusschule sind fingierte Verfasserangaben signifikant. Sie begegnen beispielsweise in den Pastoralbriefen. Zu denken ist ferner an die beiden pseudepigraphischen Petrusbriefe sowie an den Jakobus- oder Judasbrief, auch wenn in ihrem Kontext ein Schülerverhältnis zwischen realem und fiktivem Autor kaum nachweisbar ist. In jedem Fall

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dient die Pseudepigraphie dem Interesse formaler und inhaltlicher Autorisierung. Der Name des Apostels steht für Ursprungskontinuität und Authentizität. Auch wenn keineswegs alle frühchristlichen Pseudepigraphen kanonisiert wurden, so hat die Pseudepigraphie einiger neutestamentlicher Schriften doch zweifellos zu ihrer Kanonisierung beigetragen. Die Kanonfixierung hat dann allerdings zugleich weitere Pseudepigraphenbildungen unterbunden. Was das Verhältnis von Kol und Eph betrifft, so weisen beide Briefe über die Tychikusnotiz hinaus (vgl. Kol 4,7; Eph 6,21f.) viele wörtliche Parallelen und nur wenige Stücke auf, die keine Berührungspunkte zeigen. Da die Annahme, Kol und Eph seien vom selben Autor geschrieben, wegen sachlicher Differenzen auszuschließen ist, verbleibt nur die Möglichkeit einer literarischen Abhängigkeit. Gute Gründe sprechen dafür, dass Kol von Eph als Vorlage benutzt wurde und nicht umgekehrt. Das traditionsgeschichtliche Gefälle verläuft deutlich von Kol zu Eph. Die Christengemeinde der phrygischen Stadt Kolossae – am oberen Lykos, einem Nebenfluss des Meander gelegen – wurde nach Kol 1,7; 4,12f. wie die Gemeinden von Laodizea und Hierapolis von Epaphras gegründet. Paulus hatte sie nach Kol 2,1 nicht persönlich gekannt. Ob er als der Verfasser des Kolosserbriefes zu gelten und das Schreiben aus der Haft sei es im nahen Ephesus, sei es in Caesarea oder Rom verfasst hat, ist in der Forschung strittig. Die Mehrheit der Exegeten plädiert mittlerweile dafür, dass es sich bei Kol wie im Falle von Eph, bei dem der pseudepigraphische Charakter deutlicher zutage tritt, um ein Gemeindeschreiben nicht von Paulus selbst, sondern von einem Paulusschüler handelt, der die Autorität des Apostels für seine Ausführungen in Anspruch nahm. Der Kolosserbrief weist einerseits mannigfache Übereinstimmungen mit den authentischen Paulinen, andererseits aber auch nicht unerhebliche Abweichungen in sprachlich-stilistischer und inhaltlicher Hinsicht auf. Wahrscheinlich handelt es sich um ein Zeugnis, in dem ein nachpaulinischer Theologe die Theologie des Apostels zu aktualisieren versucht angesichts konkreter Herausforderungen durch eine Irrlehre, die sich selbst „Philosophie“ (Kol 2,8) nennt und durch allerlei Merkwürdigkeiten gekennzeichnet ist, die von der nötigen Christuskonzentration ablenken. Die Neuinterpretation der Theologie des Apostels geschieht unter Aufnahme schriftlich vorgegebener Traditionsstücke und mündlichen Überlieferungsguts. Zu verweisen ist auf den klassischen Christushymnus in Kol 1,15–20 und auf die vorangehende Bekenntnisformel (Kol 1,12–14) sowie auf die sog. Haustafeln im paränetischen Teil des Briefes (Kol 3,1–4,6), die weithin auf jüdisch-hellenistischen Vorgaben basieren. In seiner Monographie über „Die Entstehung des Neuen Testaments als literaturgeschichtliches Problem“ hat G. Theißen nicht nur die pseudepigraphisch-deuteronyme Literaturphase von den charismatischen Anfängen in der Jesusüberlieferung und ihrer ersten Verschriftlichung in Q einerseits sowie in den paulinischen Briefen andererseits eigens abgehoben, sondern dem doppelten Anfang zugleich eine zweifache Weise der Produktion von Pseudepigraphie zugeordnet: „Man konnte pseudepigraphe Briefe im Namen des Paulus (oder der anderen Apostel)

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schreiben oder direkt auf die Autorität Jesu zurückgreifen und seine Überlieferungen in Evangelien redaktionell so gestalten, dass sie der Gemeindeleitung dienten.“ (Theißen, 147) In beiden Fällen handelt es sich nach Theißen nicht mehr um „Urliteratur“, sondern um „nachschaffende Traditionsliteratur“ (Theißen, 35). Dies trifft zweifellos zu. Anlass zu Zweifeln bietet dagegen Theißens Gleichsetzung pseudepigraphischer mit fiktionaler Literatur und seine These, die Redaktion der Jesusüberlieferung in den synoptischen Evangelien interpretiere analog zur fiktiven Paulusinterpretation in den deuteropaulinischen Briefen eine fiktive Selbstauslegung Jesu. Was die pseudepigraphischen Paulusbriefe betrifft, so lassen sich von den Deuteropaulinen im Die sog. Pastoralbriefe engeren Sinn, denen neben Kol und Eph der 2. Thessalonicherbrief zuzurechnen ist, die sog. Pastoralbriefe, nämlich 1. Tim, 2. Tim und Tit, unterscheiden, die in der Forschung gelegentlich als tritopaulinisch qualifiziert werden. Die Deuteropaulinen bilden einen ersten, die Tritopaulinen einen weiteren Anhang zur Sammlung der ursprünglichen Paulusbriefe, die in Ephesus oder Korinth, vielleicht auch anderswo zustandegekommen ist. Weil es sich bei ihnen um offiziöse Schreiben mit Anweisungen für die rechte Gestaltung und Ausübung des kirchlichen Hirtenamtes handelt, sind die tritopaulinischen Pastoralbriefe mit ihrem seit dem 18. Jahrhundert üblichen Namen versehen worden. Als Adressaten fungieren die Paulusmitarbeiter Timotheus und Titus, als pseudonymer bzw. deuteronymer Verfasser der Briefe Paulus. Doch sprechen, wie schon Friedrich Schleiermacher sah, durchschlagende Gründe gegen die paulinische Verfasserschaft der Pastoralbriefe. Diese Gründe ergeben sich aus Sprache und Stil, Differenzen der theologischen Terminologie, abweichenden Gemeindesituationen, aber auch aus Ungereimtheiten hinsichtlich der vorausgesetzten Briefsituation sowie bezüglich einiger biographischer Angaben. Als unmittelbarer Autor der Pastoralbriefe kommt Paulus nicht in Frage. Aber auch eine indirekte Verfasserschaft ist ebenso wenig wahrscheinlich wie die gelegentliche Rückführung der Briefe an Timotheus und Titus auf Lukas. Der Autor wird aller Wahrscheinlichkeit nach ein Paulusschüler der dritten christlichen Generation gewesen sein. Entstanden sind die Pastoralbriefe vermutlich um die Wende zum 2. Jahrhundert n.Chr. in Ephesus, wo sich das Zentrum der Paulusschule befunden haben dürfte. Mit seiner fiktiven Verfasserzuschreibung verfolgt der Autor das Ziel, die paulinische Schultradition auf ihren Urheber zurückzuführen, um sie auf diese Weise als autoritative Norm für die Gegenwart zu sichern. In dieser Zielausrichtung stimmen die kanonischen Pastoralbriefe mit den apostolischen Pseudepigraphen apokrypher oder sonstiger außerkanonischer Provenienz überein. Die Pseudo- bzw. Deuteronymität dient dem Zweck, im Namen des Apostels dessen geistlich-theologische Hinterlassenschaft zu sichern. Signifikant hierfür ist der aus dem antiken Erbrecht stammende, für die Pastoralbriefe zentrale Begriff der paratheke (1. Tim 6,20; 2. Tim 1,12.14). Gleich einem mit der rechtsverbindlichen Auflage unversehrter Bewahrung übergebenen depositum soll das paulinische Erbe authentisch

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bewahrt bleiben. Dieses depositum, das zu hüten sich der Verfasser der Pastoralbriefe anschickt, liegt ihm im Corpus Paulinum vor, dessen kanonische Geltung er zu untermauern und durch authentische Interpretation gegen mögliche Fehldeutungen zu sichern sucht. Anlass hierzu haben wohl auch Kontroversen innerhalb der Paulusschule selbst gegeben. Es ist sogar nicht auszuschließen, dass die Pastoralbriefe in tendenzieller Opposition zu den Deuteropaulinen im engeren Sinn, namentlich zum Kolosser- und Epheserbrief formuliert wurden, die gnostisierenden Paulusdeutungen, wie die Briefe an Timotheus und Titus sie bekämpfen, zumindest einen Anhalt geben konnten. Ihr Ziel, das paulinische Erbe zu sichern und authentisch zu bewahren, verfolgten die Pastoralbriefe, die wahrscheinlich als Trias konzipiert und im „Dreierpack“ an die Öffentlichkeit gebracht wurden, einerseits argumentativ, andererseits aber auch und vor allem durch kirchenordnende Maßnahmen. Um die „gesunde“ Lehre im Anschluss an Paulus gewährleisten zu können, bedarf es autorisierter Personen, die von Amts wegen befugt und verpflichtet sind, als Nachfolger des Apostels zu fungieren. Damit Kontinuität gewahrt und Einheit gestiftet werden kann, sind gemeindeleitende Ämter mit entsprechenden pastoralen und jurisdiktionellen Kompetenzen unentbehrlich. Ohne sie kann die verbindliche apostolische Norm nicht erhalten bleiben. Dabei liegt es im Interesse der Pastoralbriefe, das Amt der Lehre mit dem der Gemeindeleitung zu verbinden und beide Ämter in der Person eines „Aufsehers“ zu vereinen. Wie ein antiker Hausvorstand die häusliche Ökonomie überwacht, so soll der Episkope seiner Gemeinde vorstehen und durch seine Lehrautorität und Leitungskompetenz das Erbe der Apostel wahren sowie die Identität und Authentizität der apostolischen Überlieferung gewährleisten. Im neutestamentlichen Kanon wird zwischen zwei Briefsammlungen unterschieden: den Pau- Die sog. Katholischen Briefe lusbriefen einschließlich der ihnen zugeordneten Deutero- bzw. Tritopaulinen, die an konkrete Gemeinden und Personen adressiert, und Schriften, die an die ganze Christenheit gerichtet sind und daher die katholischen Briefe heißen. Neben den drei Johannesbriefen, von denen gesondert gehandelt wird, gehören den Katholischen Briefen, die formgeschichtlich von Paulus dependieren, der Jakobusbrief, die beiden Petrusbriefe und der Judasbrief an. Dieser soll als erster ins Auge gefasst werden, obwohl er im Kanon gewöhnlich als letzte Schrift vor der Johannesapokalypse zu stehen kommt, die Theißen zusammen mit Apg und Hebräer der dritten, funktionalen Literaturphase des frühen Christentums zurechnet, in der zur Autorität von Personen und Traditionen zusätzlich diejenige der selbständigen Form (Geschichtsschreiben [Apg]; rhetorisch anspruchsvoller Traktat [Hebr], Offenbarungsliteratur [Apg]) getreten sei. Dadurch sei die Kanonbildung als letzte Phase und als Höhepunkt frühchristlicher Literaturgeschichte vorbereitet worden. Der vom 2. Petrusbrief bewusst und zum Teil wörtlich rezipierte, in Einzelmomenten allerdings auch modifizierte Judasbrief benennt im Präskript als Verfasser einen gewissen Judas, „Knecht Jesu Christi und Bruder des Jakobus“ (Jud 1). Ge-

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meint ist wohl der Herrenbruder Jakobus, ohne dass sich dies am Text zweifelsfrei erweisen ließe. Mit Judas wäre dann der in Mk 6,3 an dritter, in Mt 13,55 an vierter Stelle unter den Brüdern Jesu Genannte gemeint, von dem ansonsten nichts weiter bekannt ist. Für das Verständnis des Briefes ist dies auch nicht nötig. Es handelt sich bei ihm um eine evidentermaßen pseudonyme Schrift, da die Verfasserschaft durch einen Jesusbruder aus formalen und inhaltlichen Gründen ausgeschlossen werden kann. Theologiegeschichtlich ist der Text dem Jakobusbrief zuzuordnen. Wie dieser ist er Zeugnis eines Judenchristentums, das intensiv an jüdischen Überlieferungsbeständen orientiert ist. Als Entstehungszeit ist die Jahrhundertwende wahrscheinlich, wohingegen der Abfassungsort unbekannt bleibt. Eine genaue Identifikation der von Jud bekämpften Gegner ist schwierig und im Einzelnen unmöglich. Unter den vier Brüdern Jesu, die das Neue Testament kennt (vgl. Mk 6,3 par. Mt 13,55), ragt Jakobus hervor. Gal 1,19 qualifiziert ihn ausdrücklich als Herrenbruder, Josephus (Ant XX,200) nennt ihn „den Bruder Jesu, des sogenannten Christus“. Anfangs wie die übrigen Angehörigen der Sendung Jesu gegenüber reserviert bis ablehnend (vgl. Mk 3,21.31–35; Joh 7,1–10) dürfte Jakobus erst durch eine Erscheinung des auferstandenen Gekreuzigten zum Glauben gekommen sein. Als ältester Herrenbruder und dank eines offenbar vorhandenen Führungscharismas gelangte er in der Aramäisch sprechenden Judenchristengemeinde Jerusalems bald zu hohem Ansehen. Nach Gal 2,9 gehörte er zur Zeit des sog. Apostelkonzils neben Kephas und Johannes zu den drei „Säulen“, also zu jener Dreiergruppe, die der Urgemeinde vorstand. Das an Lev 17f. anknüpfende, Apg 15,19–21.28f. erwähnte Aposteldekret, das Heidenchristen verpflichten sollte, sich von Götzenopferfleisch, Blutgenuss, Fleisch von erstickten Tieren und Unzucht zu enthalten, geht nach dem Bericht der Apostelgeschichte (vgl. 15,13) auf die Anregung des Jakobus zurück. Wie sich dieses Dekret zu den Ergebnissen des Apostelkonzils verhält, ist hier ebenso wenig zu erörtern wie das Recht der historischen Annahme, Jakobus sei jener Mann des Ausgleiches zwischen Judenchristen und Heidenchristen gewesen, als welchen ihn Lukas darzustellen sucht. Nach Angaben bei Josephus (Ant XX,199f.) hat der Hohepriester Ananos II. Jakobus um 61/62 n.Chr. steinigen lassen, als der Nachfolger des verstorbenen Statthalters Festus noch nicht in Judäa eingetroffen war. Die wirkungsgeschichtliche Bedeutung des Herrenbruders wurde durch seinen Märtyrertod keineswegs beendet, sondern eher gesteigert. In einigen judenchristlichen Kreisen avancierte er zur apostolischen Hauptgestalt. Der Jakobusbrief bestätigt dies auf seine Weise. Er beginnt mit einem Gruß des Jakobus an die zwölf Stämme in der Diaspora. Da der bereits 44 n.Chr. hingerichtete Zebedaide Jakobus als möglicher Kandidat für die Zuschreibung ausfällt und an unbekanntere Gestalten gleichen Namens kaum zu denken ist, wird die Autorenangabe mit hoher Wahrscheinlichkeit auf den Herrenbruder zu beziehen sein. Von ihm will der Jakobusbrief geschrieben sein. Dass er es tatsächlich ist, darf aus formalen und anderen Gründen als sehr unwahrscheinlich gelten.

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Jak ist ein Pseudepigraphon, das das persönliche Gewicht und Ansehen des Herrenbruders in Anspruch nimmt, um seine Inhalte zu autorisieren. Denkbar ist, dass die Jakobustradition gezielt gegenüber der paulinischen Theologie bzw. gegenüber bestimmten Weisen der Paulusrezeption in Stellung gebracht werden sollte. Eine Schlüsselstellung kommt in diesem Zusammenhang der Passage Jak 2,20– 26 zu, wo unter Berufung auf Abraham (vgl. Gen 15,6) gesagt wird, „dass der Mensch durch Werke gerecht wird, nicht durch Glauben allein“ (Jak 2,24). Man wird nicht leugnen können, dass diese Auffassung im Widerspruch steht zum Grundsatz paulinischer Theologie, wie er etwa in Röm 3,28 formuliert ist. Dennoch ist Jak nicht eigentlich antipaulinisch, sondern auf Ausgleich bedacht, ohne den differenzierten Zusammenhang von Glauben und Werken wirklich auf einen sachgemäßen Begriff bringen zu können. Auf der einen Seite wird betont, dass Glaube ohne Werke tot und nutzlos sei. Auf der anderen Seite ist vorausgesetzt, dass es eine Rechtfertigung durch Werke ohne Glauben nicht geben könne. Beide, Glaube und Werke, stehen theoretisch im Grunde unvermittelt nebeneinander und sind lediglich praktisch vermittelt, nämlich in Gestalt des sittlichen Bewusstseins, das Jak durch christliche Paränese zu erbauen sucht. Ein gleichmäßiger Aufbau der in Briefform gekleideten paränetischen Lehrschrift ist nicht erkennbar. Einzelermahnungen, Spruchreihen und kleinere Abhandlungen werden verhältnismäßig lose zusammengefügt. Vielfältiges Material jüdischer und hellenistischer Provenienz wird integriert, doch ist zugleich eine durchgehende Orientierung an Jesusüberlieferungen erkennbar. Die Nähe zum Spruchgut der Logienquelle und zu matthäusspezifischen Evangeliumstraditionen ist auffällig. Auch wenn man nicht sagen kann, dass es sich bei Jak um eine jüdische Schrift mit lediglich marginaler christlicher Überformung handelt, ist ihr dezidiert judenchristlicher Charakter nicht wegzudiskutieren. Dass der Brief theologisch mit den Paulinen ernsthaft konkurrieren kann, lässt sich nicht behaupten. Die gebotene Hamartiologie entbehrt der Tiefe, vom Tod Jesu Christi und seiner soteriologischen Relevanz ist bezeichnenderweise an keiner einzigen Stelle die Rede. Der christliche Gehalt der Schrift ist sonach in hohem Maße entwicklungsbedürftig, auch wenn sich die These ihres genuin jüdischen Ursprungs nicht halten lässt. Als Abfassungszeit wird man an das ausgehende 1. Jahrhundert zu denken haben, als Abfassungsort kommt der Gesamtraum des östlichen Judenchristentums in Frage. Gegen die Herkunft von Jak aus Palästina spricht die Vertrautheit mit der Septuaginta, die Bezeichnung der Christen als Diasporavolk und der literarische Charakter des Werkes. Ohne dem abgesonderten Kreis der sog. Ebioniten zugeordnet werden zu können, war der Verfasser gewiss ein Repräsentant dezidierten Judenchristentums. Neben Paulus und den Herrenbrüdern Jakobus und Judas wurden auch Petrus neutestamentliche Briefe zugeschrieben, nämlich zwei und zwar jeweils in Form einer Selbstvorstellung des Verfassers im Präskript. Im 1. Petrusbrief nennt sich der Autor „Petrus, Apostel Jesu Christi“ (1. Petr 1,1), im zweiten „Simon Petrus, Knecht und Apostel Jesu Christi“ (2. Petr 1,1). Der Verweis auf den Decknamen

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„Babylon“ in 1. Petr 5,13 legt Rom als Abfassungsort des Briefes und damit den Bezug auf den römischen Aufenthalt nahe, der den Leidenszeugen Jesu Christi (vgl. 1. Petr 5,1) ins Martyrium führte. Der 1. Petrusbrief ist kein theologischer Entwurf, welcher der paulinischen Konzeption, Theologie des Hebräerbriefs oder des johanneischen Kreises vergleichbar wäre. Gerade deshalb eröffnet er mit dem fest geprägten Überlieferungsgut, den gottesdienstlichen Bekenntnisformeln, Testimonien und Hymnen, die er rezipiert, sowie mit den tauftheologisch fundierten paränetischen Grundsatz- und Einzelmahnungen, die hinsichtlich gegebener Bedrängnis- und Verfolgungssituationen konkretisiert werden, einen unverstellten Einblick in das Gemeindeleben der frühen Christenheit. Inhaltlich sind die beiden Petrusbriefe nicht ohne weiteres kompatibel. Sie weichen konzeptionell voneinander ab und stammen, auch wenn sie gleichermaßen dem Apostel Petrus zugeschrieben werden, erkenntlich von verschiedenen Autoren. Spezifisch petrinisches Gedankengut lässt sich aus ihrem Vergleich nicht erheben und ist auch anderwärts nicht authentisch zu gewinnen. Der präzise Nachweis einer dem Paulinismus oder dem johanneischen Kreis vergleichbaren petrinischen Schule oder Lehrtradition ist bisher nicht erbracht worden. Literarisch und theologisch steht der 1. Petrusbrief in einer charakteristischen Nähe zu Paulus, die für ihn kennzeichnend ist, auch wenn über Eigenart und Umfang seines Paulinismus kein exegetischer Konsens besteht. Was fehlt, ist beispielsweise die für Paulus zentrale Gesetzesthematik. Dennoch ist unter den rezipierten Überlieferungen die paulinische Tradition durchaus prägend. Warum der Brief dennoch auf die Verfasserschaft des Apostels Petrus zurückgeführt wurde, ist fraglich. Dass diese Zuschreibung eine Fiktion und die Konzeption des 1. Petrusbrief pseudepigraphischer Art ist, darf als gesichert gelten, macht aber die Beantwortung der Frage nach den Gründen solcher Gestaltung nicht leichter. Die Spannung zwischen der petrinischen Rahmung und dem vielfach paulinisch geprägten Inhalt bleibt unaufgelöst und lässt sich auch mit dem Hinweis nicht beseitigen, der 1. Petrusbrief sei konzeptionell auf die Aufhebung eines in der frühen Christenheit fortwirkenden Ursprungsgegensatzes von Petrus und Paulus angelegt; denn die Annahme einer Polarität dieser Art hat keinen Anhalt am Text. Was den Ort der Entstehung des 1. Petrusbriefes angeht, so will er, wie zu vermuten, in Rom geschrieben sein. Jedenfalls deutet darauf das Kryptogramm Babylon als Deckname für die Hauptstadt des christenfeindlichen Imperiums in 1. Petr 5,13 hin. Da diese Ortsangabe auch Bestandteil des pseudepigraphischen Konzepts sein kann und wohl auch tatsächlich ist (Rom als Ort des Martyriums Petri), bleiben im Blick auf die Herkunft des Schreibens offene Probleme. Problematisch ist auch die Datierung des Briefs. Ein Existenzbeleg ist 2. Petr 3,1 („Das ist nun schon der zweite Brief, den ich euch schreibe“) sowie bei Polykarp gegeben, der das Schreiben wiederholt benutzt. Denkbar ist eine Abfassungszeit im letzten Viertel des 1. Jahrhunderts. Doch lässt sich keine definitive Sicherheit gewinnen, da die Hinweise auf Verfolgungen etc. zu allgemein für etwaige genauere Terminierungen (Nero, Domitian) bleiben. Seiner literarischen Form nach ist der 1. Petrusbrief am

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ehesten als eine Homilie in Briefform zu charakterisieren. Eine klare, zielgerichtete Disposition ist kaum erkennbar. Ob das Schreiben einheitlich ist, war lange Zeit umstritten, wird aber inzwischen mehrheitlich angenommen. Ein Nachtrag ist vermutlich der Schlussabschnitt 1. Petr 4,12–5,14, der auf eine Verschärfung der Lage der Christengemeinde hindeutet. Zu den theologischen Besonderheiten des 1. Petrusbriefes zählen die ausdrückliche Rede von der „Priesterschaft“ aller Gläubigen (1. Petr 2,5.9) und die Thematik des descensus ad inferos in 3,19f. und 4,6. Im 2. Petrusbrief, der auf den ersten ausdrücklich zurückverweist (vgl. 2. Petr 3,1), legt der Apostel angesichts seines bevorstehenden, von Jesus Christus vorhergesagten Märtyrertodes sein theologisches Testament vor (vgl. 2. Petr 1,12ff.). Nach Präskript und Briefeingang, in dem die göttliche Dynamik Jesu Christi gepriesen wird, die allen, welche beständig an ihrer Berufung und Erwählung festhalten, Anteil gibt an der göttlichen Natur und allen Gütern des ewigen Lebens Gottes (vgl. 2. Petr 1,3–11), mahnt Petrus als Augen- und Ohrenzeuge der Verklärung Jesu (2. Petr 1,16: „Wir sind nicht irgendwelchen klug ausgedachten Mythen gefolgt“) zur Vorbereitung auf die Parusie und warnt eindringlich vor Irrlehrern und falschen Propheten. Er beruft sich dabei eigens auf seinen geliebten Bruder Paulus, der mit seinen Briefen mit der ihm gegebenen Weisheit Ähnliches geschrieben habe, wenngleich auf manchmal derart schwer verständliche Weise, dass Unwissende und Leichtfertige Anlass nahmen, diese Texte ebenso wie die übrigen Schriften, wie es heißt, auf verderbensbringende Weise zu verdrehen (vgl. 2. Petr 3,15f.). Vorausgesetzt wird offenbar eine präkanonische Sammlung normativer paulinischer und sonstiger Schriften, deren Auslegung nach 2. Petr 1,20f. aus Gründen der Authentizitätsbewahrung, wie es scheint, der Reglementierung bedarf. Man müsse wissen, heißt es, dass keine Weissagung der Schrift eigenmächtig ausgelegt werden dürfe; denn niemals sei eine Weissagung ausgesprochen worden, weil ein Mensch es gewollt habe, sondern vom Hl. Geist getriebene Menschen hätten im Auftrag Gottes geredet. Ob mit dieser Bemerkung bereits das Faktum eines autoritativen Lehramtes der Kirche assoziiert werden darf, ist fraglich. Davon bleibt die Tatsache unberührt, dass der 2. Petrusbrief mit häretischer Schriftauslegung rechnet, wie er sie etwa im Falle der von ihm bekämpften Gegner gegeben sieht. Kennzeichnend für sie scheint die Abkehr von der Parusieerwartung und der mit ihr verbundenen Ethik gewesen zu sein. Wo bleibt denn die verheißene Ankunft, spotten die Widersacher; seit die Väter entschlafen sind, ist alles geblieben, wie es von Anfang der Schöpfung an gewesen ist (vgl. 2. Petr 3,4f.). Diesem in seiner Hoffnungslosigkeit sittlich zersetzenden Defätismus wird mit dem Hinweis begegnet, dass beim Herrn ein Tag wie tausend Jahre und tausend Jahre wie ein Tag seien (vgl. Ps 90,4). Gott zögere nicht mit der Erfüllung seiner Verheißungen, wie die Widersacher unterstellten, sondern beweise lediglich Geduld, da er nicht wolle, dass jemand zugrunde gehe, sondern jedermann zur Buße finde (vgl. 2. Petr 3,8f.). Wer sich hingegen nicht bekehrt und dem Bösen bis zum Ende verhaftet bleibt, wird den Lohn seiner Ungerechtigkeit davontragen (vgl. 2. Petr 2,13). Gewissheit der verheißenen Ankunft Jesu Christi und hoffnungsfrohe Bewäh-

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rung gläubigen Vertrauens gehören zusammen. Wo die Parusieerwartung preisgegeben wird, bleiben auch die gebotenen Werke der Liebe aus bzw. verkehren sich in ihr Gegenteil, wie an den Gegnern zu ersehen, für die es nach 2. Petr 2,21f. besser wäre, sie hätten den Weg der Gerechtigkeit gar nicht erkannt, als sich von ihm nach erfolgter Erkenntnis wieder abzuwenden und ein Beispiel für die Wahrheit des Sprichworts zu geben: „Der Hund frisst wieder, was er gespien hat; und: Die gewaschene Sau wälzt sich wieder im Dreck.“ Summa summarum: Der 2. Petrusbrief ist eine pseudonyme Schrift und ein Dokument nicht der sog. apostolischen, sondern der nachapostolischen Zeit der frühkatholischen Kirche. Die Annahme seiner petrinischen Autorschaft verbietet allein schon die an vielen Punkten nachweisbare literarische Abhängigkeit vom Judasbrief, dessen Verse 4–16 in 2. Petr 2,1–18 nahezu wörtlich abgeschrieben sind, allerdings unter Eliminierung der apokryphen Zeilen Jud 6f.9.14f. Die Pseudonymität des 2. Petrusbriefes ist ferner durch seine stark hellenistisch geprägte Anschauungswelt und Denkungsart belegt, für welche das Motiv einer glaubensvermittelten Teilhabe des Menschen an der göttlichen Natur nur ein Beispiel abgibt.

8. Die Kanonizität des Kanons und das Konzept einer Theologie des Neuen Testaments

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164 Die Kanonizität des Kanons und das Konzept einer Theologie des Neuen Testaments Theologie in der Gegenwart. Eine neutestamentliche Standortbestimmung, in: H. Hübner/ B. Jaspert (Hg.), Biblische Theologie. Entwürfe der Gegenwart, Neukirchen 1999, 41–103. – G. Strecker (Hg.), Das Problem der Theologie des Neuen Testaments, Darmstadt 1975. – G. Wenz, Kanonbildung und Schriftverständnis in evangelischer Perspektive, in: US 44 (1989), 215–221. – Th. Zahn, Grundriß der Geschichte des neutestamentlichen Kanons. Eine Ergänzung zu der Einleitung in das Neue Testament, Leipzig 1901. – A. Ziegenaus, Die Bildung des Schriftkanons als Formprinzip der Theologie, in: MThZ 29 (1978), 264–283.

Für Theorien, die darauf ausgerichtet sind, ihrem Gegenstand zeitloses Ansehen zu verschaffen, muss bereits der Aufweis der geschichtlichen Genese dieses Gegenstandes zersetzend wirken. Jedenfalls für bestimmte schrifttheologische Verbalinspirationslehren gilt in diesem Sinne, um ein Diktum von David Friedrich Strauß zu variieren: Die Geschichte des Kanons ist seine Kritik. Hält die Idee, das kanonische Buch sei, wenn auch nicht direkt vom Himmel gefallen, so doch bis in den Buchstabenbestand hinein auf einen himmlischen Autor zurückzuführen, dem Härtetest historischer Überprüfung nicht stand, ist ihr weiteres Schicksal nur noch eine Frage der Zeit. Es war der berühmte Neologe Johann Salomo Semler, der zwar nicht den ersten, wohl aber den wirksamsten Streich gegen die traditionelle Theorie einer Verbalinspiration der kanonischen Schriften führte. In seiner 1771 erstmals publizierten „Abhandlung von freier Untersuchung des Canon“ ist er in epischer Breite darum bemüht, durch Darstellung des geschichtlichen Entwicklungsprozesses des Kanons der Emanzipation von dessen unmittelbarem Autoritätsanspruch dienlich zu sein. Seine reiche historische Gelehrsamkeit steht ganz im Dienste dieses emanzipatorischen Interesses. Semler gelangt zu der „Feststellung, daß erst im zweiten Jahrhundert mit der Sammlung der neutestamentlichen Schriften begonnen wurde, daß die allmählich entstehenden Kanonverzeichnisse der einzelnen Kirchenprovinzen sehr verschiedenen Umfang besessen haben und daß die Abgrenzung des Kanons zu der uns bekannten Gestalt die Folge eines jahrhundertelangen Prozesses, rivalisierender Traditionen und kirchlicher Kompromisse gewesen ist“ (Hornig, 60). Auf der Grundlage dieser historischen Ergebnisse erhebt er „gegen die orthodoxe Schriftlehre den Vorwurf des Anachronismus. Denn sie ruht auf der Fiktion, daß es von Anfang an einen abgegrenzten, unveränderlichen und verbalinspirierten Kanon gegeben habe. Indem die orthodoxen Dogmatiker erklären, daß der Kanon ein totum homogenum, ein göttliches und verbalinspiriertes Ganzes sei, haben sie ihre eigene Kanonauffassung in die ganz andersartigen Verhältnisse der alten Kirche zurückprojiziert.“ (Hornig, 62) Im Übrigen verweist Semler darauf, dass das Kanonverständnis altprotestantischer Orthodoxie erheblich von dem genuin reformatorischen abweiche: Weder habe es Luther für nötig befunden, zu einer genauen Abgrenzung des Kanons zu gelangen, noch habe er die einzelnen kanonischen Schriften als gleichwertig und in allen ihren Teilen als verpflichtend für den christlichen Glauben erachtet. Die Geschichte des Kanons als seine Kritik

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Nicht nur die Tatsache der häufigen Berufung auf die ursprüngliche Lehre Luthers und der Reformation zeigt an, dass Semler keineswegs die Grundlagen der christlichen Religion in Frage stellen wollte. Seine Kanonkritik ist im Gegenteil selbst religiös motiviert und dem Interesse an der freien Entwicklung individuellen Glaubens geschuldet, die durch einen undifferenzierten Anspruch autoritativer Geltung aller sog. kanonischer Schriften erheblichen Schaden zu nehmen drohe. Bestreitet Semler auch nicht, dass in biblischen Schriften Wort Gottes enthalten sei, so ist dies für ihn doch keineswegs durch die Kanonizität dieser Schriften garantiert, sondern nur durch den Sinngehalt ihrer Botschaft, als deren Wahrnehmungskriterium allein die innere Gewissheit, das gläubige Selbstbewusstsein des einzelnen Christen fungiert. Wenn Schleiermacher später sagen wird, das Ansehen der Hl. Schrift könne nicht den Glauben an Jesus Christus begründen, vielmehr müsse dieser schon vorausgesetzt werden, um der Hl. Schrift ein besonderes Ansehen zu verleihen (vgl. KGA 7/2, 221/§ 48), so ist das – unbeschadet aller Unterschiede in der näheren Bestimmung des Christusglaubens – durchaus im Sinne Semlers gesprochen. Es scheint nicht schwer zu sein, dogmatische Bedenken gegen derlei Auffassungen vorzubringen. Verlieren sie nicht, so lässt sich fragen, die Genese christlichen Glaubens aus dem Blick, so dass das fromme Selbstbewusstsein in Gefahr steht, einer vermittlungslosen und damit letztlich auch nicht mehr vermittelbaren Unmittelbarkeit zu verfallen? Wird der zeitlose Anspruch, der in anderer Hinsicht kritisiert wird, nicht am Ende in solipsistischer Manier für das gläubige Individuum reklamiert? Wäre es unter solchen Umständen nicht konsequent, jedem Frommen anheimzustellen, seine Privatbibel zu kreieren, wie das im Umkreis Schleiermachers tatsächlich gefordert wurde? Wie immer man Fragen dieser Art zu beantworten hat; mit seiner Feststellung, dass die Formalisierung des Schriftprinzips im Sinne einer buchstäblichen Verbalinspirationstheorie nicht in der genuinen Absicht reformatorischer Theologie lag, hat Semler zweifellos recht. Sie ist erst, wenngleich auch hier nur in Teilen, für die altprotestantische Orthodoxie kennzeichnend, die durch die Theorie der Verbalinspiration dem wiedererstarkten römischen Katholizismus und seiner These Paroli zu bieten versuchte, zur Gewährleistung der Gewissheit der Kanonizität des Kanons und der Authentizität der Schriftauslegung bedürfe es über die Schrift hinaus der kirchlichen Tradition bzw. der Autorität des kirchlichen Lehramts. Es mag in Anbetracht der Bedeutung des solascriptura-Prinzips für die reformatorische Theo- Reformatorische Schriftlehre logie erstaunen, dass die zentralen Bekenntnisschriften der Wittenberger Reformation weder Kanonlisten noch ein besonderes Lehrstück von der Hl. Schrift enthalten (vgl. Kropatschek, Wenz). Lediglich die Konkordienformel von 1577 stellt als einziges der im Konkordienbuch – dem wichtigsten Corpus doctrinae des Luthertums – enthaltene Dokumente ihren Artikeln eine kurze Einleitung voran mit dem Titel: „Von dem summarischen Begriff, Regel und Richtschnur, nach welcher alle Lehr geurteilet, und die eingefallene Ir-

166 Die Kanonizität des Kanons und das Konzept einer Theologie des Neuen Testaments rungen christlich erkläret und entscheiden werden sollen.“ (BSLK 767,8 ff.; vgl. BSLK 833,1 ff.) Darin wird unter Verweis auf Ps 119,105 und Gal 1,8 bekannt, „daß die einige Regel und Richtschnur, nach welcher zugleich alle Lehren und Lehrer gerichtet und geurteilet werden sollen, seind allein die prophetischen und apostolischen Schriften Altes und Neues Testamentes“ (BSLK 767,14–19). Sie sind der reine und lautere „Brunnen Israels“ (BSLK 834,19), der alleinige Richter und „Probierstein“ (BSLK 769,24) rechter und unrechter Lehre. „Andere Schriften aber der alten oder neuen Lehrer, wie sie Namen haben, sollen der Heiligen Schrift nicht gleich gehalten, sondern alle zumal miteinander derselben unterworfen und anders oder weiter nicht angenommen werden, dann als Zeugen, welchergestalt nach der Apostel Zeit und an welchen Orten solche Lehre der Propheten und Apostel erhalten worden.“ (BSLK 767,25 – 768,7) Das gesamte christliche Glaubenszeugnis findet demzufolge an der Hl. Schrift als der Urkunde des Evangeliums seinen suffizienten Inhalt und kritischen Maßstab, dem es zu entsprechen hat. Solche Entsprechung geschieht im Bewusstsein des Unterschieds göttlichen und menschlichen Wortes, wie es denn heißt, „daß alleine Gottes Wort die einige Richtschnur und Regel aller Lehr sein und bleiben solle, welchem keins Menschen Schriften gleichgeachtet, sondern demselbigen alles unterworfen werden soll“ (BSLK 837,10–15). Mit diesen wenigen Zitaten ist bereits die gesamte explizite Schriftlehre der Wittenberger Bekenntnistradition wiedergegeben. Eine Kanonliste enthält auch die Formula Concordiae nicht. Diese Zurückhaltung ist ein klares Indiz dafür, dass die ursprüngliche Intention der Reformation nicht auf die Ausbildung eines formalen Schriftprinzips, sondern darauf ausgerichtet war, von der Bibel einen rechten und heilsamen Gebrauch zu machen. Dabei wird vorausgesetzt, dass sich der zentrale Sinngehalt der Schrift, das Evangelium von der Rechtfertigung des Sünders aus Gnade um Christi willen durch Glauben, in der Kraft des Hl. Geistes prinzipiell jedermann zu erschließen vermag, sodass es weder zur Vergewisserung der Kanonizität des Kanons noch zur authentischen Auslegung der Hl. Schrift einer schriftexternen Amtsautorität bedarf. Es ist nach reformatorischer Auffassung vielmehr so, dass unter Berufung auf das Schriftwort gegebenenfalls auch inhaltliche Amtskritik geübt zu werden vermag. Der Verlauf der Reformation kann selbst als Beleg für die Richtigkeit dieser Annahme gewertet werden. Zwar schätzten Luther und die Seinen das ordinationsgebundene Amt der Kirche und insbesondere das Bischofsamt hoch und wollten auch am Zeichen der apostolischen Amtssukzession nach Möglichkeit festhalten. Aber der in seiner inneren Mitte klare und evidente Gehalt der Hl. Schrift war für sie verbindlicher als jede Gestalt kirchlicher Autorität. Das Theorem eines allgemeinen Priestertums aller Glaubenden ergab sich hieraus konsequent. Es ist mit dem reformatorischen Schriftprinzip sachlich untrennbar verbunden. Reformatorische Schriftlehre zielt gemäß ihrer genuinen Absicht nicht auf die Begründung einer formalautoritativen Legitimierungsinstanz, sondern auf einen soteriologischen Gebrauch der Hl. Schrift. Dem entspricht, dass diese nicht nur

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und auch nicht zuerst als principium cognoscendi der Theologie, sondern als medium salutis galt. Ihre Normativität ergibt sich aus ihrer Heilswirksamkeit. Das vergleichsweise geringe Interesse an einer fixen Definition der Kanongrenzen bestätigt dies. Zwar verbanden die Väter der Wittenberger Reformation mit dem Begriff des Kanons zweifellos die Vorstellung eines bestimmten quantifizierbaren Ganzen. Eine Auflösung der kodifizierten Gestalt der Bibel lag keineswegs in ihrem Sinn. Doch hielt man in der Gewissheit der Evidenz seiner inhaltlichen Sinnmitte die Frage nach den Rändern des Kanons für eine dogmatische Randfrage. Was hinwiederum die Auslegungsproblematik anbelangt, so galt die hermeneutische Grundregel, dass die Schrift ihre eigene Interpretin und Kritikerin sei. Von der Notwendigkeit sachlicher Differenzierungen abzusehen und eine plane Gleichgültigkeit aller Aussagen und Texte der Schrift zu behaupten, widerspräche deren konkreten und heilsamen Gebrauch. Theologisch legitim ist Schriftkritik allerdings nur, wenn sie nicht äußerlich an die Bibel herangetragen, sondern aus ihrem zentralen Inhalt gewonnen wird, von dem her sich ihre kanonische Autorität begründet und auf den sie abzielt. Die Gewissheit der Kanonizität des Kanons ist entsprechend nur durch Wahrnehmung seines Inhalts, nicht hingegen auf formalautoritative Weise zu erlangen. Weil die Normativität kirchlicher Kanondekrete auf der Bestimmtheit kanonischer Inhalte basiert, ist ihr Beschluss für sachliche Prüfung offen, um sich auf eine Weise zu bewähren, die dem allgemeinen Priestertum gemäß ist. Der Gehalt des Kanons begründet seine normative Gestalt. Dass die kanonische Gestalt der Schrift nach reformatorischer Lehre eine Funktion ihres kanonischen Gehalts ist, bestätigt sich in inspirationstheoretischer Hinsicht. Nirgends wird versucht, die Heiligkeit der Hl. Schriften auf die im Faktum gegebener Inspiration gründende personale Autorität ihrer Verfasser zurückzuführen, deren Bedeutung vielmehr ganz in ihrem Charakter als Propheten bzw. Apostel des Evangeliums aufgeht, wie mit Rücksicht auf den Unterschied beider Testamente gesagt wird. Das Zeugnis des Geistes wird stets und konzentriert auf den Sinngehalt der Schrift und dessen zur Gewissheit des Glaubens führende Begeisterungskraft bezogen. Der reformatorische Inspirationsbegriff ist sonach primär keine formale Autorisierungskategorie, sondern ein auf sachliche Überzeugung angelegtes Theorem. Dem entspricht es, dass er nicht einseitig auf die Herstellung einer untrüglichen Lehrquelle zielt; die Schrift wird vielmehr primär und im Wesentlichen als ein geistgetragenes, geisterfülltes und begeisterndes Gnadenmittel verstanden, welches als Evangelium das im Namen Jesu Christi beschlossene Heil nicht nur bezeichnet, sondern in der Kraft des göttlichen Geistes auch – und zwar dauerhaft – bewirkt. Die Inspiration der Hl. Schrift erweist sich primär in ihrer inspirierenden Wirkung, und an ihr vor allem ist dem Glauben gelegen, weil an ihr sein ureigenes Wesen hängt. Indes hängt der Glaube nicht minder an der Einsicht, dass die in ihm bewirkte Inspiration, welcher er sein Wesen verdankt, wirklich durch das Schriftwort selbst als eine ihm externe Bezugsgröße hervorgerufen wurde und hervorgerufen wird. Daher kann der Inspirationsgedanke nicht auf den Wirkungszusam-

168 Die Kanonizität des Kanons und das Konzept einer Theologie des Neuen Testaments menhang der Schrift restringiert werden, sondern muss der Sache nach bereits für deren Begründung in Anschlag gebracht werden, und zwar im Hinblick sowohl auf die Konstitutionsbedingungen des prophetischen und apostolischen Bewusstseins als auch im Blick auf den Inhalt der prophetischen und apostolischen Botschaft, wie sie im Wort der Schrift bezeugt ist. Dass das Geistzeugnis der Schrift von deren Buchstaben nicht zu lösen ist, sondern sich in, mit und unter demselben als wirksam erweist, steht für Luther und die Wittenberger Reformation außer Zweifel. Dezidiert werden all Spiritualisten zurückgewiesen, welche behaupten, dass wir sine verbo externo, ohne das Wort in seiner buchstäblichen Leibhaftigkeit des Hl. Geistes teilhaftig werden können. Damit ist implizit die Auffassung zurückgewiesen, das Wort der Schrift sei nicht an sich selbst Wirkmittel des Geistes, sondern biete nur den Anlass der Geistwirksamkeit, die ihr äußerlich bleibt. Zwar sind in den lutherischen Bekenntnisschriften keinerlei Ansätze der späteren Lehre von einer dauernden, prinzipiell auch extra usum gegebenen Inhärenz bzw. Immanenz des Geistes in der Schrift zu erkennen; die Annahme geht vielmehr eindeutig dahin, dass der Geist beim Wort nur gegenwärtig ist, wenn es gebraucht wird. Ausgeschlossen wird dabei allerdings die Vorstellung von einem Nebeneinander oder einer Parallelwirkung von äußerem Wort und Geist. Ihr Verhältnis ist vielmehr das eines perichoretischen Ineinanders, demgemäß der Geist nicht nur mit dem Wort, sondern durch dasselbe wirkt. Dass die nachdrückliche Betonung der theologischen Bedeutung des äußeren Schriftworts, dessen buchstäblicher Bestand der irdischen Erscheinung des Logos verbunden ist, um – wie diese – zum Vermittlungsorgan des Geistes zu werden, die verpflichtende hermeneutische Regel einschließt, die Schrift nach ihrem Wortlaut und Literalsinn auszulegen, gilt wie für Luther selbst, so auch für die lutherischen Bekenntnisschriften. Schriftauslegung darf sonach niemals subjektivistisch im Sinne eines bloßen Reflexes eigener Glaubensunmittelbarkeit sein. Die Externität des Schriftworts und dessen inhaltlich bestimmter eigener Sinn sind vielmehr ernst zu nehmen auch und gerade dann, wenn sie der subjektiven Selbstwahrnehmung als befremdlich erscheinen. Solch strikt geforderte Nichtbeliebigkeit der Schriftauslegung schließt die Kenntnis bestimmter Regeln der Texterschließung notwendig ein, die nicht nur die Syntax, sondern auch die Semantik und Pragmatik von Texten betreffen. Auch wenn ein solcher hermeneutischer Regelkanon den Sinngehalt des Textes nicht verfügbar macht, ist seine Befolgung doch die Grundvoraussetzung dafür, dass sich der unverfügbare Sinngehalt des Textes im Medium der Kenntnis seiner äußeren Bedeutung von sich aus erschließt. Gibt sich der Sinn der Schrift nur in der Einheit von äußerem Wort und geistlichem Bedeutungsgehalt zu verstehen, dann ist damit zugleich die unverzichtbare Notwendigkeit des buchstäblichen Bestandes der Bibel für den Glauben behauptet. Der Grund dieser Notwendigkeit ist mit der äußeren, irdischen, gewissermaßen buchstäblichen Erscheinungsgestalt Jesu Christi als des Inbegriffs des Evangeliums selbst gegeben. Wie der Sinn des Evangeliums sich vom Buchstaben des Schriftwortes nicht lösen lässt, so hängt das Zeugnis des Geistes am Namen Jesu

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Christi, um sich in, mit und durch diesen Namen als wirksam zu erweisen. Man wird daher nach reformatorischem Urteil bei der Erhebung der Kanonizität des Kanons von der Bedeutung raum-zeitlicher Nähe zur Erscheinungsgestalt Jesu Christi nicht abstrahieren können. Es ist nicht unerheblich, wenn die Konkordienformel in der zitierten Passage „Von dem summarischen Begriff“ die betonte Unterscheidung zwischen der Hl. Schrift und anderen Schriften alter und neuer Lehre mit dem Hinweis versieht, letztere seien der Bibel nicht gleichzuhalten, sondern lediglich „als Zeugen (anzunehmen), welchergestalt nach der Apostel Zeit und an welchen Orten solche Lehre der Propheten und Apostel erhalten worden“ (BSLK 768,4–7). Indirekt ist damit Ursprungsnähe zum Heilsereignis Jesu Christi zu einem Autoritätskriterium der Schrift erklärt, auch wenn eine durchgeführte Begründung der normativen Bedeutung des Schriftkanons bzw. der einzelnen kanonischen Schriften aus der Art und Geschichte ihrer Entstehung weder in der Formula Concordiae noch sonst in den Bekenntnisschriften geboten wird. Zugleich ist angedeutet, daß die Kodifizierung der Schrift etwas zu tun hat mit dem Perfekt des Christusereignisses. Wie aber die Vollendung Christi dessen irdische Erscheinung, ohne ihre geschichtliche Verfassung abzustreifen, keineswegs zu einer bloßen Vergangenheitsgestalt herabsetzt, vielmehr in ihrer gegenwärtigen Wirkmacht und zukunftserschließenden Kraft erweist, so ist Ursprungsnähe zum perfekten Heilsereignis zwar ein unentbehrliches, keineswegs aber ein hinreichendes Kriterium für die Kanonizität der Schrift. Wahrhaft kanonischen Rang erhält die biblische Geschichte vielmehr erst, wenn sie die fides historica zum Fiduzialglauben führt und das Gesetz, auch und gerade das Vergänglichkeitsgesetz der Geschichte, in das Evangelium von der Rechtfertigung des Sünders aus Gnade um Christi willen durch Glauben aufhebt, welches unvergängliches Heil und Leben demjenigen verheißt, der sich in der Kraft des göttlichen Geistes auf den auferstandenen Gekreuzigten verlässt. Die historisch-kritische Erforschung der Bibel hat eine Krise des reformatorischen Schriftprin- Krise des Schriftprinzips zips (vgl. Pannenberg) bewirkt. Anderes zu behaupten wäre falsch. Doch betraf diese Krise eher die verbalinspirationstheoretische Formalisierung reformatorischer Schriftlehre als ihre ursprüngliche Anlage, von der her sich Möglichkeiten einer Vermittlung erschließen, die bestehende Unterschiede nicht leugnen, ohne sie deshalb zu intransigenten Gegensätzen werden zu lassen. Um auf die Genese des Kanons und das zentrale Problem seiner Geltung zurückzukommen: Steht einmal fest, dass das Neue Testament und seine Bücher keine zeitlosen Größen, sondern das Ergebnis geschichtlicher Werdeprozesse darstellen, so versteht sich ihre normative Bedeutung und definitive Kanonizität nicht länger von selbst, sondern bedarf einer eigenen Begründung. Dass sich solche Begründung am tatsächlichen Verlauf der Kanongeschichte zu orientieren hat, wird heute in der Regel nicht bestritten. Strittig hingegen ist nach wie vor, welche normativen Konsequenzen aus den historischen Einsichten zu ziehen sind. Zugleich zeigt sich, dass die Unterschiede bzw. unterschiedlichen Gewichtungen

170 Die Kanonizität des Kanons und das Konzept einer Theologie des Neuen Testaments einzelner, die Kanongeschichte betreffender historischer Sachverhalte nicht selten durch die jeweilige dogmatische bzw. konfessionelle Perspektive des Kanonforschers mitbedingt und somit ihrerseits bereits Folge einer normativen Entscheidung sind. Der kanongeschichtliche Streit um die Kriterien der Kanonizität erweist sich somit immer auch als ein Streit um das rechte Verhältnis von Geschichtlichkeit und Normativität überhaupt, wenngleich dieser Zusammenhang zumeist nicht ausdrücklich thematisiert wird. Dieser Hinweis mag zugleich als Rechtfertigung für den ausführlichen Exkurs zum reformatorischen Schriftprinzip gelten. Verdeutlicht man sich die bewegenden Motive der Kanongeschichte, so ergibt sich als einer der entscheidenden Gründe, die zur schließlichen Ausbildung eines neutestamentlichen Kanons führten, der Wille der Alten Kirche, das ursprüngliche Zeugnis vom Offenbarungsereignis und damit die Einzigartigkeit Jesu als des Christus zu bewahren. „Mit der Kanonbildung ... verlieh die Kirche ihrem Bewußtsein Ausdruck, daß sie nicht mehr Urkirche ist, sondern an deren Glauben gebunden.“ (Ziegenaus, 270f.) Neben der verbreiteten Anwendung bei gottesdienstlichen Versammlungen in den verschiedenen Lokalkirchen galt deshalb Ursprungsnähe zur Geschichte Jesu Christi als ein wesentliches Kriterium für die Kanonizität einer Schrift. Herrscht in der allgemeinen Beschreibung dieses Sachverhalts verhältnismäßige Einigkeit, so wird die Lage – nicht zuletzt in konfessioneller Hinsicht – kontroverser, wenn es um die Beantwortung der Frage geht, was unter solcher Ursprungsnähe genau zu verstehen ist und welches die Maßstäbe waren und sind, solche Ursprungsnähe als gegeben anzunehmen. Unter historischem Aspekt, also im Blick auf den tatsächlichen Verlauf der Kanongeschichte, lässt sich das Problem etwa folgendermaßen formulieren: Was war jeweils die konkrete Entscheidungsbasis, aufgrund derer über die Aufnahme einer bestimmten Schrift in den Kanon bzw. über ihre Ausscheidung befunden wurde? „War es die Wichtigkeit einer Schrift? Aber sind tatsächlich 2 und 3 Joh so bedeutungsvoll? War es das Alter einer Schrift? Aber 1 Clem ist älter als manche kanonische Schrift. War es die angenommene apostolische Verfasserschaft? Eine apostolische Verfasserschaft hob sicher das Ansehen einer Schrift enorm, weshalb alle späteren Häretiker ihre Schriften einem Apostel unterstellten. Aber man wußte von der nichtpaulinischen Herkunft des Hebräerbriefs und in bezug auf das johanneische Schrifttum von einem Presbyter Johannes in Kleinasien.“ (Ziegenaus, 271) Das zentrale Motiv der Alten Kirche, an der geschichtlichen Offenbarung Gottes in Jesus Christus als dem Urdatum des Christentums im Fortschritt der Zeiten festzuhalten, scheint es also, sosehr es ein wesentliches Kriterium der Kanongeschichte darstellt, nicht zu erlauben, das schließliche Ergebnis dieser Geschichte systematisch zu deduzieren und in concreto, also im Blick auf den kanonischen Status einzelner Schriften bzw. auf den definitiven Umfang des Kanons abzuleiten. Aus diesem Befund lassen sich unterschiedliche theologische Konsequenzen ziehen, wobei sich konfessionstypische Argumentationsmuster – unbeschadet aller Unterschiede im Detail – unschwer erkennen lassen. Was die römisch-katholische

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Theologie betrifft, so versucht sie die Beweggründe, die den historischen Prozess der Kanonbildung bestimmen, dadurch zu bündeln, dass sie die Kirche, näherhin ihre autoritativen Lehr- und Leitungsinstanzen, zum einheitstiftenden empirischen Subjekt des Kanonisierungsvorgangs erklärt. Auch das Grundmotiv der Alten Kirche, durch Kanonisierung bestimmter Schriften das aus der direkten Begegnung mit der Geschichte Jesu Christi erwachsene Wissen und Zeugnis treu zu bewahren, gewinnt für sie Eindeutigkeit erst in Verbindung mit dem Amt der Kirche. Unterstrichen wird dies durch den Hinweis, dass das besagte Grundmotiv tatsächlich durchaus unterschiedlich wahrgenommen worden sei. Solle also die Identität und Zielgerichtetheit des Kanonisierungsprozesses und die Definitivität seines Ergebnisses garantiert bleiben, sei die dogmatische Annahme einer einheitstiftenden Funktion kirchlicher Amtsautorität alternativlos. Durch sie allein könne Bestand und Dauerhaftigkeit des Kanons gewährleistet werden. Ergänzt wird diese Auffassung durch die These, auch die innere Einheit der kanonischen Schriften lasse sich ohne Anleitung durch das authentische Lehramt der Kirche nicht angemessen erfassen. „Wie sich ... der Kanon und der Begriff: Neues Testament, nicht aus den Einzelschriften selber ableiten lassen, so auch die Einheit des NT nicht. Sie gründet im Glaubensbewußtsein der Kirche, das bereits den Maßstab für die Aufnahme der Einzelschriften in den Kanon bildete.“ (Ziegenaus, 281) Kurzum: „Wer die Kanonisierung und die Einheit der Schriften ernst nimmt, muß die Kirche als Maßstab und Instanz für die Interpretation anerkennen. Wer diese Beteiligung der Kirche nicht anerkennen kann, vielleicht sogar aus Sorge um die einzigartige Stellung der Schrift jeden Maßstab außerhalb der Schrift und jede Entscheidungsinstanz (auch als Amtscharisma) als nur menschlich ablehnt, kann nicht nur die faktische Geltung des Kanons in Kirche und Theologie nicht begründen, sondern auch nicht die Einheit der Schrift und somit der Theologie und der Kirche.“ (Ziegenaus, 282) In N. Appels Abhandlung über „Kanon und Kirche“ ist diese Sicht auf dem Hintergrund der Kanongeschichte und einschlägiger kirchlicher Lehrdokumente sowie in detaillierter Auseinandersetzung mit protestantischen Positionen im Einzelnen entfaltet worden. Appels kontroverstheologische Studie endet folgerichtig mit der Erklärung der Autopistie der Kirche, ohne deren Anerkennung ein rechtes Verständnis der Schrift nicht zu haben sei. Dem entspricht die Feststellung, im Protestantismus und Katholizismus sei mit einer „je andere(n) Schrift“ (Appel, 324f.; 351f.) zu rechnen: „Man muß doch klar sehen“, resümiert Appel, „daß die Trennung der Christen bis in die Schrift selber vorgedrungen ist. Zu sagen, daß alle Christen ,dieselbe‘ Schrift besäßen, ist u. E. eine unrichtige Simplifikation, denn tatsächlich wird immer und immer wieder eine andere Schrift angetroffen. Es geht hier nicht in erster Linie um eine größere oder kleinere Zahl von Büchern (um ein quantitatives Anderssein also), sondern vor allem um ein qualitatives Anderssein.“ (Appel, 324) Auch wenn man dieses Diktum für überzogen hält, wird man doch einräumen müssen, dass es neben der abweichenden Zählung kanonischer Bücher noch ande-

172 Die Kanonizität des Kanons und das Konzept einer Theologie des Neuen Testaments re, gravierendere Differenzen zwischen dem römisch-katholischen und dem protestantischen Schrift- und Kanonverständnis gibt. Am offenkundigsten werden solche Differenzen an der unterschiedlichen Verhältnisbestimmung von Schrift und Tradition. Dass dieses Verhältnis nicht alternativ zu fassen ist, versteht sich von selbst. Denn zweifellos hat die HI. Schrift, ganz abgesehen davon, dass sie explizit und implizit einen Aufruf zu fortgesetzter mündlicher Predigt des Evangeliums enthält, einen langwierigen Traditionsprozess zur Voraussetzung und muss jedenfalls in dieser Hinsicht selbst als eine bestimmte Traditionsgestalt gelten. Indes ist mit diesem, unter den Bedingungen historisch-kritischen Bewusstseins eher banalen Hinweis das entscheidende kontroverstheologische Problem noch gar nicht erfasst. Denn strittig ist nicht, dass Schrift und Tradition untrennbar zusammenhängen, strittig ist vielmehr, wie dieser Zusammenhang genau zu bestimmen ist. Bedarf, so lautet die Streitfrage, die in der Hl. Schrift Neuen Testaments beurkundete Ursprungsparadosis noch einer zusätzlichen Instanz, um in Geltung zu stehen und in solch autoritativer Geltung angemessen wahrgenommen werden zu können oder bedarf sie einer solchen Zusatzinstanz nicht. Anders gefragt: Bedarf die traditio scripta, wie sie in den neutestamentlichen Büchern gegeben ist, einer wie auch immer gearteten Ergänzung durch eine traditio non scripta oder ist dies gerade auszuschließen? Die offizielle römisch-katholische Antwort auf diese Frage ist bekannt. Auch wenn die traditio non scripta vielfach nicht mehr als ein materialer Zusatz zu der im Neuen Testament gegebenen traditio scripta aufgefasst wird, bleibt doch bestehen, dass die Schrift einer zumindest formalen Ergänzungsinstanz bedarf, nicht nur um entsprechend ausgelegt, sondern um in ihrem Bestand überhaupt begründet und dauerhaft garantiert werden zu können. Kanonbildung und Kanongeltung, also Existenz und Autorität der Schrift, werden so selbst zum Argument gegen das protestantische „sola scriptura“. „Der scheinbar stärkste und von katholischer Seite bis heute mit dem triumphalen Unterton unwiderleglicher Schlüssigkeit vorgebrachte Einwand lautet: Das ,sola scriptura‘ (sc. in seiner protestantischen Fassung) sei ein Widerspruch in sich, da es das katholische Traditionsprinzip voraussetze; denn es stütze sich auf das Urteil der Kirche über die Schrift, wie es im Vorgang der Kanonsbildung zum Ausdruck gekommen ist und nach wie vor in der kirchlichen Lehre von der Schrift zum Ausdruck kommt.“ (Ebeling, in: Käsemann [Hg.], 295) Unter den Bedingungen historisch-kritischer Forschung kann diesem Einwand gegen die Schriftlehre der Reformation nur mit dem Aufweis begegnet werden, dass die Kirche den Kanon nicht eigentlich per Dekret geschaffen hat, weil in den förmlichen Kanonbeschlüssen nur festgelegt wurde, was sich inhaltlich in den Gemeinden bereits als kanonisch durchgesetzt hatte (vgl. Zahn). Lässt sich dieser Aufweis erbringen und aktuell verifizieren, kann das sola-scriptura-Prinzip als im Wesentlichen begründet gelten. Das reformatorische Schriftprinzip hängt von der Plausibilität der „Selbstkanonsisierung“ der zentralen Kanonbestände ab. Nicht zu erwarten ist der Erweis, Schrift und Tradition

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dass sich die quantitative Gestalt des Kanons mitsamt den Kanongrenzen und ohne verbleibende Randunschärfen der Kirche „imponiert“ (K. Barth) hat. Ein solcher Erweis ist aber auch nicht nötig, sofern bei feststehender qualitativer Mitte der Schrift die Frage nach ihren quantitativen Rändern als Randfrage betrachtet werden kann. In Bezug auf wesentliche Blöcke des späteren Kanons, die Evangelien und das Corpus Paulinum, kann von einer faktischen Selbstdurchsetzung die Rede sein, dergegenüber die förmliche Kanonisierung seitens der Kirche nurmehr den Charakter nachträglicher Bestätigung hat – eine historische Einsicht, deren dogmatische Relevanz nicht eigens betont zu werden braucht. Im Blick auf andere Stücke des Kanons hingegen, etwa den Hebräerbrief sowie einen Teil der katholischen Briefe, lässt sich das Urteil der Selbstabgrenzung des Kanons historisch nicht bestätigen. Die Vereinheitlichung und der schließliche Abschluss des Kanonisierungsprozesses verdankt sich zweifellos kirchlichem Dekret. Auch lässt sich nicht leugnen, dass sich ein direkter Schriftbeweis für die Kanonizität kanonischer Schriften nicht führen lässt, weil diese (abgesehen von der Apokalypse) sich weder selbst als kanonisch bezeichnen, noch gar eine förmliche Kanonliste enthalten. Doch ändert all dies nichts an der auch historisch aufweisbaren Tatsache, dass sich die zentralen Bestände des neutestamentlichen Kanons mit jener Evidenz durchgesetzt haben, die in der Überzeugungskraft ihrer Inhalte für die frühchristlichen Gottesdienstgemeinden begründet lag. Die definitive Abgrenzung des Kanons ist auf eine förmliche kirchliche Lehrentscheidung zurückzuführen. Der genaue Umfang der Schrift ergibt sich nicht unmittelbar aus ihrem Gehalt. Er steht daher für inhaltliche Prüfung offen, der er nicht entzogen werden darf. Auch ein möglicher Ausgleich divergierender Kanonlisten wird sich nur unter konsequenter Orientierung an inhaltlicher Normativität erreichen lassen, ohne welche der Kanon keinen Bestand hat. Dabei legt es sich, um ein alttestamentliches Beispiel zu geben, für die reformatorische Theologie trotz ursprünglicher Festlegung auf die hebräische Bibel durchaus nahe, sich kanontheologisch in Zukunft an die Septuagintatradition anzuschließen, weil die christentumsprägende Bedeutung dieser Tradition historisch unbestreitbar ist. Das Schriftprinzip gibt keinen Anlass, auf einmal getroffenen Kanonentscheiden kompromisslos zu insistieren. Variabilität ist möglich und nötig, solange nicht die inhaltliche Mitte der Schrift und die kanonischen Zentralbestände zur Disposition gestellt werden. An ihnen ist um der Wahrheit und der begründeten Einheit des Glaubens willen dauerhaft festzuhalten. Nach einem vielzitierten Wort Ernst Käsemanns begründet der neutestamentliche Kanon „nicht die Einheit der Kirche. Er begründet als solcher, d.h.in seiner dem Historiker zugänglichen Vorfindlichkeit dagegen die Vielzahl der Konfessionen.“ (Käsemann, in: ders. [Hg.], 131) Käsemann hat diese Aussage später sogar noch gesteigert und ergänzt: „Er (sc. der neutestamentliche Kanon) legitimiert als solcher auch mehr oder weniger alle Sekten und Irrlehren.“ (Käsemann, in: ders. [Hg.], 402) Gleichwohl wollte der Tübinger Exeget die innere Einheit des neutestamentlichen Kanons, die er als Historiker nicht mehr zu entdecken vermochte, als

174 Die Kanonizität des Kanons und das Konzept einer Theologie des Neuen Testaments Theologe nicht preisgeben. Als Kriterium, die durch den Kanon selbst verlaufenden Grenzen und damit seine innere Mitte zu bestimmen, gilt ihm unter Berufung auf Luther die Botschaft der Rechtfertigung des Gottlosen in ihrem Gegensatz zu einem Erziehungsprogramm der Frommen. Vergleichbar argumentiert Herbert Braun, um ein weiteres Beispiel aus dem zitierten Sammelband zu erwähnen. Nach ihm ist die Kanonfrage primär keine historische, sondern eine „Frage nach dem Inhalt des Kanons und nach der Einheit dieses Inhalts“ (Braun, in: Käsemann [Hg.], 222). Nun habe die moderne kritische Exegese ergeben, dass das Neue Testament „in zentralsten Stücken weder eine Aussage-Einheit hinsichtlich der tatsächlichen Vorgänge noch eine Lehr-Einheit hinsichtlich der Artikel des Glaubens“ (Braun, in: Käsemann [Hg.], 223) aufweise. Es sei ausgeschlossen, „(i)n den Ausführungen über das Gesetz, über die letzten Dinge, über Kirche und Amt, über die Christologie und über die Sakramente ... eine wirkliche Einheit des Neuen Testamentes zu behaupten“ (ebd.). Dennoch glaubt Braun „inmitten all der dargestellten disparaten Lehren und gegeneinander abzuhebenden Schichten“ eine evidente Einheit und innere Mitte konstatieren zu können, „von welcher her wenn auch nicht das Ganze, so doch wesentliche Teile zu begreifen sind“ (Braun, in: Käsemann [Hg.], 228). Sie liege beschlossen „in der Art und Weise, wie der Mensch in seiner Lage vor Gott gesehen ist“ (ebd.). „Der radikal geforderte und in Frage gestellte als der im Jesusgeschehen radikal gehaltene Mensch, und zwar nicht im Sinne einer Idee oder Lehre, sondern als Ereignis, das ist das neutestamentliche Grundphänomen, der Kanon im Kanon, von dem her rechte Kanonizität zu messen und zu beurteilen ist.“ (Braun, in: Käsemann [Hg.], 229) Brauns und Käsemanns Argumentationen sind geeignet, den Eindruck willkürlicher Auswahl und rein subjektiver Bestimmung des inhaltlichen Kriteriums der Kanonizität des neutestamentlichen Kanons hervorzurufen. Dieser Eindruck hängt engstens damit zusammen, dass beide, obwohl als Exegeten dezidiert historischen Fragestellungen verpflichtet, als Theologen dazu neigen, die Sphäre des Historischen systematisch hinter sich zu lassen. Was historisch preisgegeben wird, versucht man durch theologische Dezision wiederherzustellen: die Einheit des Neuen Testaments. Die Defizite dieses Verfahrens liegen auf der Hand. Sie lassen sich nur beheben, wenn am differenzierten Zusammenhang historischer und theologischer Perspektiven festgehalten und gezeigt wird, dass das Neue Testament in seinen disparaten Teilen keine konfuse, uneinheitliche oder unbehebbaren Gegensätze in sich enthaltende Masse darstellt, sondern eine pluralitätsoffene Identität dauerhaft zu begründen und zu bewirken vermag. Auf einen entsprechenden Aufweis hat die geschichtliche Wahrnehmung des frühen Christentums insgesamt ausgerichtet zu sein. Es ist deutlich zu machen, dass sich die christliche Religionsgeschichte des Kirche in ihrer frühen historischen Erscheinung Urchristentums und gerade bei möglichst objektiver Auffassung der Kanonbildung gegebenen Stoffe als Einheit eines in sich diffe-

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renzierten Ganzen erschließt. Diese Aufgabe ist sowohl von kanongeschichtlicher Bedeutung als auch und vor allem für das Konzept einer biblischen Theologie des Neuen Testaments relevant, welches im Verein mit der differenzierten Einheit der neutestamentlichen Zeugnisse deren konstruktiven und kritischen Zusammenhang mit den Hl. Schriften Israels aufzuweisen hat, die in der christlichen Bibel als Altes Testament zu stehen kommen. Mit Aussicht auf Lösungserfolg lässt sich diese Aufgabe nur unter der Voraussetzung angehen, dass historische und theologische Betrachtungsweisen nicht getrennt werden, sondern sich wechselseitig durchdringen. Nur so lässt sich der Kanon der Kirche als normatives Resultat und Integral urchristlicher Theologiegeschichte ergreifen. Die Durchführung einer Theologie des Neuen Testaments hat ihr Maß an dieser Aufgabenstellung. Die gegenwärtigen Diskussionen über „Aufgabe und Durchführung einer Theologie des Neuen Testaments“ (vgl. Breytenbach/Frey [Hg.]) setzen die innere Gliederung theologischer Wissenschaft in ihre heutigen Teildisziplinen voraus. Diese Gliederung ist das Ergebnis eines langen geschichtlichen Prozesses, der zunächst zur Ausdifferenzierung dogmatischer und historischer Theologie führte. Die Emanzipation historischer Theologie von der Dogmatik und ihre Verselbständigung zu einer eigenen theologischen Disziplin reicht in die Vormoderne zurück, hat aber erst in der Neuzeit feste Gestalt angenommen. In der Alten Kirche und in der Kirche des Mittelalters waren die systematische und die historische Aufgabe der Theologie ungeschieden. Konturierte Formen nahm die Differenz zwischen historisch-exegetischer und systematisch-dogmatischer Theologie erst im Zuge der Ausbildung des Begriffs einer „Biblischen Theologie“ an. Die Wendung begegnet bereits in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts und unterstrich in ihrer ursprünglichen Bedeutung die Notwendigkeit einer eingehenden Berücksichtigung von „dicta probantia“ zur Begründung dogmatischer Aussagen im Rahmen der Lehrsysteme der altprotestantischen Orthodoxie bzw. der Barockscholastik insgesamt. Biblische Theologie ist diesem Verständnis zufolge eine – wenngleich unentbehrliche – Hilfsdisziplin der Dogmatik. Tendenzen, sie als eine von der Dogmatik gesonderte eigenständige Disziplin zu etablieren, zeigen sich erst in der Zeit der beginnenden Aufklärung. Die ersten Anstöße zu einer bewusst geschichtlichen Betrachtung der biblischen Zeugnisse gingen von der Textkritik aus. Sie wurden vom englischen Deismus erheblich verstärkt und in Deutschland in moderater Form zuerst von J. D. Michaelis (1717–1791) und dem erwähnten J. S. Semler (1725–1791) aufgegriffen (vgl. im Einzelnen Kümmel, 73ff.). Von programmatischer Bedeutung für die weitere Entwicklung war die lateinische Antrittsrede (deutsche Übersetzung in: Merk [1972], 273–282 sowie G. Strecker [Hg.], 32–44) „Von der richtigen Unterscheidung der biblischen und der dogmatischen Theologie und der rechten Bestimmung ihrer beider Ziele“, die Johann Philipp Gabler am 30. März 1787 an der Universität der Reichsstadt Nürnberg in Altdorf hielt (vgl. Merk [1972], 29–140). Sie hat im deutschen Universitätsbetrieb erheblich zur institutionellen Differenzierung von biblischer Exegese und Dogmatik in zwei separate Disziplinen theologi-

176 Die Kanonizität des Kanons und das Konzept einer Theologie des Neuen Testaments scher Wissenschaft beigetragen. Bald nach Gablers Vorstoß kam es mit der Unterscheidung einer exegetischen Wissenschaft des Alten und des Neuen Testaments zu einer weiteren Disziplinendifferenzierung, die heute ebenfalls als selbstverständlich angesehen wird. Eine Vorreiterrolle für die Unterteilung Biblischer Theologie in die Sektionen Altes und Neues Testament kommt in Deutschland Georg Lorenz Bauer zu (vgl. Merk [1972], 141–203), auf den möglicherweise auch die ausdrückliche Rede von einer „historisch-kritischen“ Schriftforschung zurückgeht (vgl. Merk [1972], 199; zur weiteren Entwicklung Merk [1972], 236ff.). Der Ausdifferenzierung der exegetischen Wissenschaften korrespondierte eine wachsende Einsicht in die Komplexität und Pluralität ihres Gegenstandes mit der Folge, dass die Einheit biblischer Theologie fraglich wurde. Durch eine dezidiert religionsgeschichtliche Betrachtung beider Testamente bzw. ihrer einzelnen Schriften und Traditionen wurde der Trend zur Problematisierung biblischer Einheit zusätzlich gesteigert. Der Inhalt der Bibel musste als in hohem Maße vielfältig und disparat erscheinen. Es lag in der Konsequenz dieser Entwicklung, die Kanonizität des Kanons auch formal zu problematisieren, die kanonisch gesetzten Grenzen zu transzendieren und das biblische Schrifttum in den Zusammenhang einer allgemeinen Geschichte der Religion und Frömmigkeit des Juden- bzw. des frühen Christentums einzureihen. Außerbiblische Überlieferungskomplexe konnten unter dieser Voraussetzung zumindest im Grundsatz als gleichwertig anerkannt, die kanonische Fixierung prinzipiell aufgelöst werden. Als Resümee drängt sich die Feststellung auf: „Die Geschichte der Disziplin ‚Theologie des Alten Testaments‘ und ‚Theologie des Neuen Testaments‘ ist die Auflösung der ‚Biblischen Theologie‘ und damit der durch die Dogmatik gegebenen übergeordneten Einheit von Altem und Neuem Testament.“ (Merk, Theologie des Neuen Tetaments und Biblische Theologie, 126) Wie der Zusammenhang von Altem und Neuem Konzeptionelle Vielfalt und Testament wurde im Laufe der Zeit auch die ininnere Einheit des Neuen nere Einheit neutestamentlicher Zeugnisse imTestaments mer fraglicher. Die konzeptionelle Vielfalt moderner Theologien des Neuen Testaments, die in ihrer Anlage z.T. gegensätzlich sind, bestätigt diesen Sachverhalt. Unter den jüngeren Theologien des Neuen Testaments ist Rudolf Bultmanns Werk, das von 1949 bis 1952 in mehreren Lieferungen erstmals erschienen ist, trotz mannigfaltiger Kritik, die es auf sich gezogen hat, mittlerweile klassisch zu nennen. Es ist ohne Zweifel „das wissenschaftlich bedeutendste, umfassendste und geschlossenste seiner Art“ (Berger, 355) im 20. Jahrhundert. In einem ersten Teil werden mit der eschatologischen Verkündigung Jesu, dem Kerygma der Urgemeinde sowie der hellenistischen Gemeinde vor und neben Paulus die Voraussetzungen und Motive der neutestamentlichen Theologie verhandelt. Ein zweiter Teil, der die Mitte des Werkes markiert, untersucht die Theologie des Paulus sowie des Johannesevangeliums und der Johannesbriefe. Thema des dritten und letzten Teils ist die Entwicklung hin zur Alten Kirche, die unter dem Gesichtspunkt der Entstehung der kirchlichen Ordnung, der Lehrentwick-

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lung und des Problems der christlichen Lebensführung erörtert wird. In modifizierter Weise fortgeführt wurde Bultmanns Konzeption neutestamentlicher Theologie, die ganz auf das paulinische und johanneische Osterkerygma von Jesu Tod und Erhöhung und das durch dieses Kerygma konstituierte Selbstverständnis des Menschen konzentriert ist, in den Entwürfen von Hans Conzelmann (Grundriss der Theologie des Neuen Testaments, 1967) und Herbert Braun (Die Problematik einer Theologie des Neuen Testaments, 1961), wobei Letzterer die neutestamentliche Theologie tendenziell in Anthropologie aufhob, indem er Gott für „eine bestimmte Art der Mitmenschlichkeit“ (Strecker [Hg.], 424) erklärte. Bultmann hatte den ersten Teil seiner „Theologie des Neuen Testaments“ mit der Vorbemerkung begonnen: „Die Verkündigung Jesu gehört zu den Voraussetzungen der Theologie des NT und ist nicht ein Teil dieser selbst. Denn die Theologie des NT besteht in der Entfaltung der Gedanken, in denen der christliche Glaube sich seines Gegenstandes, seines Grundes und seiner Konsequenzen versichert. Christlichen Glauben aber gibt es erst, seit es ein christliches Kerygma gibt, d.h. ein Kerygma, das Jesus Christus als Gottes eschatologische Heilstat verkündet, und zwar Jesus Christus, den Gekreuzigten und Auferstandenen.“ (Bultmann, 1f.; bei B. teilweise gesperrt.) Eine programmatische Gegenposition zu diesem Ansatz wurde von Joachim Jeremias bezogen, der die Verkündigung Jesu und sein autoritatives Hoheitsbewusstsein, wie es sich besonders im ungewöhnlich häufigen Gebrauch des emphatischen ego ausspreche, zur Basis neutestamentlicher Theologie erklärte (Neutestamentliche Theologie. Erster Teil: Die Verkündigung Jesu, 1971). Auch Leonhard Goppelt nimmt in seiner „Theologie des Neuen Testaments“ (Erster Teil: Jesu Wirken in seiner theologischen Bedeutung. Zweiter Teil: Vielfalt und Einheit des apostolischen Christuszeugnisses. Hg. v. J. Roloff, 1976) ausführlich auf die vorösterliche Botschaft Jesu Bezug, konzipiert sie aber gleichwohl entschieden vom Ostergeschehen her, in welchem Jesu Sendung zur Erfüllung gelangt sei. Reichen bereits einige wenige, zugestandenermaßen sehr äußerliche Beobachtungen hin, die konzeptionelle Diversität neuerer Entwürfe neutestamentlicher Theologie zu erweisen, die nicht nur in der Jesusfrage in erkennbarer Beziehung steht zur positionellen Vielfalt der theologiegeschichtlichen Gesamtentwicklung, so wird der Eindruck kaum überschaubarer Pluralität noch erheblich gesteigert, wenn man neben weiteren Konzeptionen aus dem Bereich der deutschen evangelischen (u.a. Hübner I-III; W. G. Kümmel, Die Theologie des Neuen Testaments nach seinen Hauptzeugen. Jesus – Paulus – Johannes, 1969; E. Lohse, Grundriss der neutestamentlichen Theologie, 1974; P. Stuhlmacher, Biblische Theologie des Neuen Testaments, 1992ff.; G. Strecker, Theologie des Neuen Testaments. Hg. v. F. W. Horn, 1996; U. Wilckens, Theologie des Neuen Testaments, 2002ff.) auch solche aus dem Bereich der deutschen katholischen Theologie ins Auge fasst (u.a. Schelkle I-IV, dessen Werk nach Art eines „Themenlexikons zu den ntl. Schriften“ [Berger, 362] gestaltet ist; W. Thüsing, Die neutestamentlichen Theologien und Jesus Christus, 1981ff.; J. Gnilka, Theologie des Neuen Testaments, 1994). Im Blick auf die angloamerikanische Situation neutestamentlicher Theologie erweist

178 Die Kanonizität des Kanons und das Konzept einer Theologie des Neuen Testaments sich die Lage als nicht weniger komplex (vgl. etwa J. Reumann, Variety and Unity in New Testament Thought, 1971; G. E. Ladd, A Theology of the New Testament, 1974; J. D. G. Dunn, Unity and Diversity in the New Testament. An Inquiry Into the Character of Earliest Christianity, 1977). Zwar fehlt es nicht an Versuchen, „Unity and Diversity in the New Testament“ konstruktiv zu vermitteln, wofür das erwähnte Werk von James D. G. Dunn ein besonders eindrucksvolles Beispiel bietet; doch überwiegt der Eindruck einer auf keinen einheitlichen Begriff zu bringenden Pluralität der Inhalte, der konzeptionellen Formationen und der methodischen Vorgehensweisen. Man lese neben einschlägigen aktuellen Literaturberichten beispielsweise den Forschungsüberblick „From Gabler to Wrede“ und „From Wrede to the Present“, den Heikki Räisänen in seiner Studie „Beyond New Testament Theology“ gegeben hat, um sich selbst ein Urteil über die nicht ganz neue Unübersichtlichkeit innerhalb der neutestamentlichen Wissenschaft zu verschaffen. Folgt man Räisänens programmatischem Rat, dann ist der neutestamentlichen Theologie zugunsten einer religionsgeschichtlichen Alternative der Abschied zu geben, wie dies bereits William Wrede in seiner Studie „Über Aufgabe und Methode der sogenannten neutestamentlichen Theologie“ von 1897 gefordert hatte (Strecker [Hg.], 153f.: „Der für die Sache passende Name heißt: urchristliche Religionsgeschichte bzw. Geschichte der urchristlichen Religion und Theologie.“). Sein für die Geschichte der frühchristlichen Theologie im Sinne einer konsequent empirisch orientierten Religionswissenschaft entworfenes Programm sieht Räisänen gegenwärtig am ehesten in G. Theißens „Theory of Primitive Christian Religion“ (London 1999; deutsch: Die Religion der ersten Christen. Eine Theorie des Urchristentums, Gütersloh 2000) realisiert. In Anbetracht des Trends zur fortschreitenden Differenzierung, Pluralisierung und DiversifizieCanonical Approach rung im Zusammenhang einer konsequent historischen Betrachtung der Hl. Schriften Alten und Neuen Testaments im Kontext ihrer religiösen Umwelt kam es in der Geschichte der alttestamentlichen und neutestamentlichen Wissenschaft immer wieder zu gegenläufigen Tendenzen und zu Versuchen, die Einheit ihres Gegenstandes auf die eine oder andere Weise festzuhalten und zur Geltung zu bringen. Die Bewegungen, die sich wiederholt in Reaktion auf die formale und inhaltliche Verflüssigung des Kanons, die Zerlegung seiner Teile, die Vereinzelung und fortschreitende Fragmentierung seiner Schriften etc. formierten, finden besonders in aktuellen Bemühungen um eine integrale Biblische Theologie ihre Fortsetzung, welche bei aller gegebenen Vielfalt die Einheit der Hl. Schrift zu begründen sucht. Sehr einflussreich für neuere Entwürfe einer gesamtbiblischen Theologie (vgl. zusammenfassend Söding) sind – nicht selten in Verbindung mit Motiven Gadamer’scher Hermeneutik (vgl. Oeming, 20ff.) – die über die Grenzen ihres Gegenstands hinausweisenden Anregungen im letzten Abschnitt von Gerhard von Rads „Theologie des Alten Testaments“ geworden, in welchem es von Rad in Konsequenz seines traditionsgeschichtlichen Ansatzes zum konzeptionellen Ziel künftiger Bestrebungen erklärt, den „Dualismus je einer sich

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eigensinnig abgrenzenden Theologie des Alten und des Neuen Testaments“ (v. Rad II, 447) zu überwinden. Darauf hat Hans-Joachim Kraus in der Einführung zu seiner umfangreichen Monographie über Geschichte und Problematik der Biblischen Theologie eigens hingewiesen (vgl. Kraus, 1). Nähere Ausführungen zur Wirkungsgeschichte des von Rad’schen Konzepts finden sich in M. Oemings Überblick über „Gesamtbiblische Theologie in der Gegenwart“. Darin wird u.a. auch auf B. S. Childs „Canonical Approach“ als einer aktuellen Variante gesamtbiblischer Theologie Bezug genommen – allerdings mit dem kritischen Vermerk der Gefahr „dogmatistische(r) Flucht aus den Schwierigkeiten des historischen Geschäfts“ (Oeming, 196). Wie immer man über Childs Konzept zu urteilen hat: Fest steht, dass es noch immer „schwer vorstellbar“ (v. Rad II, 447) ist, wie sich eine gesamtbiblische Theologie darzustellen hat, die systematischen und historisch-kritischen Interessen gleichermaßen Rechnung trägt und gerecht wird. Denn die Antworten auf die Frage nach der inhaltlichen Einheit der Hl. Schrift und der Identität ihrer kanonischen Form fallen in den diversen Entwürfen einer gesamtbiblischen Theologie oder einer Biblischen Theologie Alten bzw. Neuen Testaments nach wie vor höchst vielfältig und teilweise auch disparat aus. Dieser Eindruck wird selbst von denjenigen Entwürfen bestätigt, die sich im Zuge der traditionellen Disziplineneinteilung auf eine Biblische Theologie sei es des Alten, sei es des Neuen Testaments beschränken. Denn selten wird hinreichend klar, wie sich die Rekonstruktion historischer Genesen zu den mit ihr verbundenen normativen Geltungsansprüchen verhält. Betrachtet man die gegenwärtige Situation der exegetischen Wissenschaften und ihre konzeptionellen Grundsatzdiskussionen in forschungsgeschichtlicher Perspektive, so geben sich mannigfaltige Parallelen zu überkommenen Problemkonstellationen der Vergangenheit zu erkennen. So hat beispielsweise die religionsgeschichtliche Schule, auf die sich aktuell etwa Räisänen beruft, einerseits zu einer enormen Ausweitung und Vermehrung historischer Kenntnisse geführt, ohne doch andererseits die erzeugte Komplexitätssteigerung durch ein überzeugendes Verlaufsmodell frühchristlicher oder gar gesamtbiblischer Theologiegeschichte konstruktiv zu bewältigen. Die Wendung zu einer dezidiert dogmatischen Interpretation und Hermeneutik biblischer Texte, wie sie sich in Teilen der Dialektischen Theologie vollzog, war daher verständlich, lief aber Gefahr, die historische Betrachtung in antihistoristischer Weise zu vernachlässigen oder gar zu delegitimieren und die Ausdifferenzierung der theologischen Disziplinen tendenziell zurückzunehmen. Problemkonstellationen, wie sie sich am Ver- Steigerung und Reduktion hältnis von Religionsgeschichtlicher Schule und von Komplexität Dialektischer Theologie zu erkennen geben, zeichnen sich ähnlich in der gegenwärtigen Diskussionslage ab, so unterschiedlich sie ansonsten auch sein mag und tatsächlich ist. Beheben lässt sich der Zwang, traditionelle Aporien beständig zu reproduzieren, offenbar nur, wenn die Beziehung, die zwischen historischer Komplexitätssteigerung und systematischer Komplexi-

180 Die Kanonizität des Kanons und das Konzept einer Theologie des Neuen Testaments tätsreduktion waltet, als differenzierter Zusammenhang begriffen wird, der keineswegs notwendigerweise auf konstitutive Gegensätze, sondern auf einen offenen Prozess wechselseitiger Bezugnahme angelegt ist. Was dies für das Verhältnis der christlichen Bibel zu den Hl. Schriften Israels, für deren kanonische Bezeichnung als Altes Testament und damit für den Ansatz einer biblischen Theologie des Neuen Testaments heißen kann, wurde bereits andeutungsweise erläutert. Im Blick auf das Ausgangsproblem des vorliegenden Abschnittes und die Frage, welche Bedeutung der Kanon für eine Theologie des Neuen Testaments habe, sei ergänzend nur noch vermerkt, dass die Achtung der kanonischen Grenzen weder historisch noch theologisch dazu verpflichtet, sich durch sie beschränken zu lassen. Zwar ist der Kanon nicht unbegrenzt offen, aber seinem Wesen nach aufgeschlossen für fortwährendes christliches Zeugnis und insofern darauf angelegt, seine eigenen Schranken zu transzendieren. Für das Urchristentum war nur die Septuaginta mit kanonischem Rang versehen. Ihre Erweiterung durch gleichrangige oder gar höherrangige christliche Schriften war ursprünglich nicht im Blick. Gleichwohl ist sie erfolgt. Die Herausbildung des neutestamentlichen Kanons war keine willkürliche Festlegung kirchlicher Autorität, sondern das Ergebnis eines Prozesses, in dem der christliche Glaube im Verhältnis namentlich zur jüdischen Religion charakteristische Gestalt und jene Identität angenommen hat, die ihn bis heute prägt. Verlauf und Richtungssinn dieses Prozesses müssen an den urchristlichen Quellen selbst erhoben werden und lassen sich nicht durch den Verweis auf einen autoritativ getroffenen Kanonentscheid dekretieren. Ist dem so, dann spricht nichts Grundsätzliches dagegen, zusätzlich zu den kanonischen Texten des Neuen Testaments auch außerkanonisches Schrifttum zu berücksichtigen, um die Geschichte des Ur- bzw. frühen Christentums angemessen zu würdigen. Ein solches Verfahren verbleibt im Rahmen des Konzepts einer neutestamentlichen Theologie. Dieser wäre erst gesprengt, wenn die durch das Neue Testament gestellte Frage theologischer Wahrheit religionsgeschichtlich oder wie auch immer suspendiert würde. Eine solche Methodik wäre nicht nur wider das kanonische Zeugnis der Schrift, sondern gegen die Eigenart der ur- und frühchristlichen Überlieferungsgeschichte insgesamt gerichtet, die als Religionsgeschichte dezidiert Theologiegeschichte zu sein beanspruchte. Ihr ganzes Interesse gehört Gott, der göttlichen Offenbarung und ihrer durchaus lehrhaften Wahrnehmung. Es gilt der Grundsatz: „Historia Theologiae Genetrix“ (vgl. Breytenbach/Frey [Hg.], 205–223). Hält man sich an ihn, dann darf, was William Wrede in seiner Programmschrift von 1897 „Über Aufgabe und Methode der sogenannten neutestamentlichen Theologie“ (vgl. Strecker [Hg.], 81–154) forderte, in keinem Gegensatz stehen zur Möglichkeit normativer Geltungsansprüche, die sich mit jeder theologischen Sachinterpretation des Neuen Testaments verbinden und verbinden müssen. Keine Theologie des Neuen Testaments, die den Ansprüchen historisch-kritischer Forschung genügen will, wird es dabei belassen können, die neutestamentlichen Text- und Traditionsbestände einander lediglich äußerlich zuzuordnen oder

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nach Weise einer überkommenen Lehrbegriffsmethode inhaltlich zu gliedern. Erfordert ist die Rekonstruktion des Verlaufs der neutestamentlichen Überlieferungsgeschichte als einer Abfolge von theologischer Relevanz und inhaltlicher Bedeutung. Mit der Lückenhaftigkeit der Überlieferung ist dabei zu rechnen. Doch verstellt sie nicht die Möglichkeit, Grundzüge der Entwicklungsgeschichte frühchristlicher Theologie zu rekonstruieren, als deren Resultat und Integral sich der neutestamentliche Kanon darstellt. Formale Kriterien seiner Kanonizität sind neben verbreitetem gottesdienstlichen Gebrauch zeitliche Ursprungsnähe zum geschichtlichen Offenbarungsereignis Jesu Christi. Durch die Einsicht in seine unwiederholbare Einmaligkeit und perfekte Gültigkeit wurde die Verschriftlichung der ursprünglich mündlichen Tradition und die Bildung des neutestamentlichen Kanons entscheidend motiviert. Dabei gehören zu dieser Einsicht von Anfang an inhaltliche Aspekte, die unter chronologischen Gesichtspunkten allein nicht zu fassen sind. Das Gesetz der Geschichte ist heilsam nur, wenn es sich mit dem Evangelium verbindet, das Heil für den Glauben zu bewirken vermag. Die fides historica ist dazu bestimmt, sich zur fiducia zu erheben, der reflektierten Ausdruck zu verschaffen zentrale Bestimmung neutestamentlicher Theologie ist. Das auf gläubiges Vertrauen angelegte Evangelium Jesu Christi ist die Mitte des Neuen Testaments, die seine Teile zu einem systematischen Ganzen integriert. Dass dies nachgerade dann ersichtlich wird, wenn man den neutestamentlichen Kanon und seine Bücher aus dem Zusammenhang ur- und frühchristlicher Theologiegeschichte heraus zu begreifen sucht, wird im Folgenden ansatzweise zu zeigen sein.

9. Urchristliche Theologiegeschichte, neutestamentliche Wissenschaft und Schrifthermeneutik

Lit.: F. C. Baur, Das Christentum und die christliche Kirche der drei ersten Jahrhunderte, Tübingen 1853. – Ders., Vorlesungen über neutestamentliche Theologie. Hg. v. F. F. Baur. Mit einer Einführung zum Neudruck von W. G. Kümmel, Darmstadt 1973. – K. Berger, Theologiegeschichte des Urchristentums. Theologie des Neuen Testaments, Tübingen/Basel 1994. – R. Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 31958. – H. Conzelmann, Geschichte des Urchristentums, Göttingen 41978. – F. Hahn, Theologie des Neuen Testaments. Band I: Die Vielfalt des Neuen Testaments. Theologiegeschichte des Urchristentums, Tübingen 2002. – H. Hübner, Biblische Theologie des Neuen Testaments. Bd. 1: Prolegomena, Göttingen 1990; Bd. 2: Die Theologie des Paulus und ihre neutestamentliche Wirkungsgeschichte, Göttingen 1993; Bd. 3: Hebräerbrief, Evangelien und Offenbarung. Epilegomena, Göttingen 1995. – V. Hösle, Die Philosophie und die Interpretation der Bibel, in: ders. u.a. (Hg.), Jahrbuch für Philosophie des Forschungsinstituts für Philosophie Hannover 12 (2001), 83–114. – H. Köster/J. M. Robinson, Entwicklungslinien durch die Welt des frühen Christentums, Tübingen 1971. – Chr. Markschies, Kaiserzeitliche christliche Theologie und ihre Institutionen. Prolegomena zu einer Geschichte der antiken christlichen Theologie, Tübingen 2007. – A. Ritschl, Die Entstehung der altkatholischen Kirche. Eine kirchen- und dogmengeschichtliche Monographie, Bonn 21857. – U. Schnelle, Theologie des Neuen Testaments, Göttingen 2007. – G. Strecker, Theologiegeschichte des Urchristentums. Eine problemgeschichtliche Darstellung, Stuttgart/Berlin/Köln 1994. – G. Wenz, Metaphysischer Empirismus: Der späte Schelling und die Anfänge der Tillichschen Christologie, in: P. Haigis/G. Hummel/D. Lax (Hg.), Christus Jesus – Mitte der Geschichte!? / Christ Jesus – Center of History!? Beiträge des X. Internationalen Paul-Tillich-Symposions Frankfurt/Main 2004 / Proceedings of the X. International Paul-Tillich-Symposion Frankfurt/Main 2004, Berlin 2007 (Tillich-Studien, Bd. 13), 11–32.

Es ist, systematisch geurteilt, die Aufgabe und Funktion professioneller Historik, Komplexität zu steigern und den Grad der Differenzierung auf einer nach oben hin offenen Richterskala beständig zu erhöhen. Doch kommt auch die Geschichtswissenschaft um Komplexitätsreduktionen nicht umhin. In der Historiographie der Alten Kirche war es lange Zeit üblich, den Prozess frühchristlicher Normierung durch die Fixierung des biblischen Kanons, durch Ausbildung einer regula fidei, die auf explizite trinitarischchristologische Symbole und Dogmen zielte, sowie durch die Entwicklung einer im monarchischen Episkopat sich vollendenden Ordnungsstruktur kirchlicher Institutionelle Kontexte neutestamentlicher Kanonbildung

Urchristliche Theologiegeschichte, neutestamtl. Wissenschaft und Schrifthermeneutik

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Verfassung bestimmt sein zu lassen. Mittlerweile ist das Schema häufig als unterkomplex kritisiert worden. Gegen seine starre Verwendung spreche bereits die Tatsache, dass mit einer beständigen Wechselwirkung seiner Faktoren zu rechnen sei. Ohne Berücksichtigung der Entwicklung antiker christlicher Institutionen lasse sich namentlich die Geschichte des Bibelkanons der Kirche nicht angemessen rekonstruieren. Dabei müsse mit erheblichen institutionellen Spannungen gerechnet werden, die sich in kanongeschichtlicher Hinsicht reflektierten, ohne notwendig und in jedem Fall intransigente Gegensätze zu erzeugen. „Analysiert man“, so Chr. Markschies in seinen Prolegomena zu einer Geschichte der antiken christlichen Theologie, „die institutionellen Kontexte der unterschiedlichen Kanonisierungen heiliger Schriften im antiken Christentum, so wirken die bekannten Alternativen aus der Diskussion der letzten Jahrzehnte – das Modell einer ‚Selbstdurchsetzung‘ des ‚Kanons‘ der christlichen Bibel und das entgegengesetzte Bild einer autoritativen Festsetzung durch die monarchischen Bischöfe und Synoden – viel zu grob für die sehr unterschiedlichen Prozesse der Normierung einer bestimmten Gruppe von Schriften in diversen institutionellen Kontexten.“ (Markschies, 333) Was später christliche Theologie genannt und im Sinne einer an wissenschaftlichen Maßstäben orientierten Glaubensreflexion als Einheit qualifiziert wurde, tritt nach Markschies in den ersten drei nachchristlichen Jahrhunderten in pluraler Gestalt und in diversen institutionellen Kontexten auf, ohne auf einen einheitlichen Begriff gebracht zu werden und gebracht werden zu können. Exemplifiziert wird dies am Beispiel freier Lehrer wie Justin, an Repräsentanten etablierter Schulbetriebe wie der Privatuniversität des Origenes in Caesarea sowie am Phänomen der montanistischen Prophetinnen und Propheten und ihrer anfangs in Phrygien konzentrierten Zirkel, die im Rückgriff auf die palästinische Urphase des Christentums seit den 60er Jahren des 2. Jahrhunderts n.Chr. christlichen Enthusiasmus in apokalyptischer Tradition zu motivieren suchten. Als zentrales institutionelles Paradigma frühchristlicher Theologie kommen des Weiteren der Gottesdienst und seine Gestalten in Betracht mit dem Resultat, dass Form und Inhalt frühchristlicher Theologie erheblich von dem institutionellen Zusammenhang abhängen, in dem sie geübt wurden. Auch die Versuche kanonischer Normierung heiliger Schriften als fundierender Referenztexte christlicher Theologie fallen nach Markschies institutionsabhängig und entsprechend different aus. Auch wenn Begriff und explizite Vorstellung eines christlichen Kanons göttlich inspirierter Schriften nicht vor dem 4. Jahrhundert n.Chr. auftauchen, hat der Prozess der Sammlung von Texten, die als autoritative Basis christlichen Glaubens und christlicher Lehre fungieren sollten, schon sehr viel früher begonnen, wie denn auch der Kanonbegriff in seiner Grundbedeutung „Maßstab“ im Sinne von regula fidei bzw. regula veritatis längst vor seiner Anwendung auf eine normative Sammlung Hl. Schriften christliche Verwendung fand. Weitgehende Einigkeit bestand in der Forschung, dass die Bibelausgabe des Markion, der um die Mitte des 2. Jahrhunderts von erheblichem Einfluss war, den Kanonisierungsprozess in der Mehr-

184 Urchristliche Theologiegeschichte, neutestamtl. Wissenschaft und Schrifthermeneutik heitskirche entscheidend motivierte, sei es dass er ihn beschleunigte, sei es dass er ihn überhaupt erst initiierte. Nun spricht nach Markschies allerdings einiges dafür, dass der Kanon des Markion zunächst nichts anderes war als einer unter vielen Versuchen, in formaler und inhaltlicher Formierungsabsicht eine Auswahl Hl. Schriften zusammenzustellen, die dem Unterricht in christlicher Lehre zugrunde liegen sollten; das werde u.a. dadurch bestätigt, dass keiner von Markions Schülern seine Kanonredaktion als definitiv und von endgültiger Autorität angesehen habe. Funktional vergleichbare Kanones wie der markionitische fänden sich auch bei anderen gnostischen sowie nichtgnostischen Lehrern und ließen sich überdies anhand christlicher Bibliotheken nachweisen, wobei in jedem Fall der funktionale Zusammenhang von Institution und kanonischer Normierung evident sei. Dieser Beziehungszusammenhang trete besonders auffällig dort zutage, wo der Kanonbegriff förmlich verwendet und explizit auf eine in ihrem Umfang und in ihren Grenzen präzise umschriebene Sammlung normativer christlicher Texte bezogen werde, wie das spätestens bei Athanasius der Fall sei. Sein 39. Osterfestbrief belege, „daß das Interesse an einer präzisen Bestimmung der Grenzen des kanonischen Neuen Testamentes in einem ganz bestimmten institutionellen Kontext aufkommt, nämlich in dem des monarchischen Bischofsamtes der Reichskirche und noch präziser im Kampf der Durchsetzung dieses Amtes gegen die traditionellen institutionellen Ansprüche der freien theologischen Lehrer“ (Markschies, 228). Von einem eindeutigen Entscheid dieses Konkurrenzkampfes, in dem die betroffenen Gemeinden nicht selten ein Mitspracherecht geltend machten, kann nach Markschies nur bedingt die Rede sein. Die kirchliche Lage sei nicht nur vor, sondern auch über die Zeit des Athanasius hinaus sowohl in institutionen- als auch in kanongeschichtlicher Hinsicht komplex geblieben. Die anhaltende Debatte um die Ränder des Kanons könne als Indiz für die weiterhin bestehende bis heute in der christlichen Ökumene virulente Spannung zwischen Definitivität und Offenheit, Autorität und Freiheit gewertet werden. Warum hat das Christentum in der Antike nicht nur überlebt, sondern jene Geltung gewonnen, die für seine weltgeschichtliche Bedeutung grundlegend war? Nach Markschies deshalb, weil es sich als pluralitäts- und pluralisierungsfähig erwies und zugleich über identitätsbildende und wahrende Kräfte verfügte, welche die Grenze von Innen und Außen unbeschadet aller aufgeschlossenen Offenheit nicht verwischten. Es bestehe Anlass und Grund, unbeschadet aller Pluralität und Differenz von einer Identität antiken Christentums schon in vorkonstantinischer Zeit zu sprechen. Nicht nur, dass diejenigen, die sich in der Öffentlichkeit als Christen bekannten, extern allesamt als solche wahrgenommen worden seien; auch in binnenperspektivischer Wahrnehmung habe sich das antike Christentum als eine Größe von pluraler Identität zu erkennen gegeben, die auf eine innere Mitte hin konzentriert sei, welche ihre Einheit bei aller gegebenen Verschiedenheit konstitutiere. „Neben Jesus als dem gekreuzigten und auferweckten Christus sind dies natürlich der eine Gott, ferner eine bestimmte Konzeption von christlichem Leben (Ethik) in einer christlichen Gemeinde (ekklesia) mit Sakramenten und schließlich ein Grundbestand von ge-

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meinsamen heiligen Schriften ... Diese identitätsbildende Mitte prägte nicht nur viele freie Lehrer und den Lehrbetrieb an der Privatuniversität des Origenes, sie bildete sich auch in einer reichsweit analogen Struktur der Gottesdienste ab, die den Mittelpunkt christlichen Gemeindelebens bildeten. Man könnte also von einer pluralen Identität im antiken Christentum sprechen, die die kaiserzeitliche christliche Reflexion über die eigene Religion abbildet, weiterbildet und festhält.“ (Markschies, 382) Der vielschichtige Prozess der Formierung antiken Christentums lässt sich historisch als Ak- Plurale Identität kulturation, Inkulturation, Akkumulation, Indigenisierung oder nach Maßgabe sonstiger Modelle beschreiben. Markschies empfiehlt das, wie er es nennt, komplementäre Beschreibungsmodell einer pluralen Identität bzw. eines um eine identitätsbildende Mitte konzentrierten Pluralismus. „Die identitätsbildende Mitte besaß eine identitätsbildende Kraft, die die theologische Tradition ‚Heiliger Geist‘ genannt hat.“ (Markschies, 383) Die Frage, ob mit diesem pneumatologischen Hinweis ein hinreichendes Kriterium für die Unterscheidung zwischen legitimer und illegitimer Pluralität und damit zwischen Orthodoxie und Häresie benannt ist, kann nur dann bejaht werden, wenn er sich mit genaueren Erwägungen zu den Inhalten verbindet, welche die christliche Mitte konstitutieren sollen. Trifft es zu, dass der monarchische Episkopat nur einen institutionellen Faktor neben anderen für die Identitätsbildung antiken Christentums bezeichnete, dann stellt sich das Problem der inhaltlichen Bestimmtheit seiner Entwicklung namentlich in kanongeschichtlicher Hinsicht nur umso dringlicher. Denn wenn, wie eine Debatte über das Petrusevangelium zwischen einer Gemeinde der Diözese Antiochia und ihren Oberhirten an der Wende vom 2. zum 3. Jahrhundert beweist, „zwischen den Texten, die in einer Kirche gelesen werden konnten, und den Schriften, die von den monarchischen Bischöfen zur kanonischen Heiligen Schrift gerechnet wurden, durchaus keine vollständige Identität bestand“, und wenn selbst Athanasius in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts „erst sorgfältig recherchieren mußte, bevor er über die Grenzen des ‚Kanons‘ des Neuen Testaments präzise Auskunft geben konnte“ (Markschies, 331), dann lässt sich der Verlauf der Kanongeschichte und ihr Resultat, weil formalautoritative Kriterien keinen Letztentscheidungsrang besitzen, offenbar nur auf sachorientierte, also auf eine solche Weise begreifen, die inhaltliche Motive als bestimmend für den Prozess der Kanonbildung geltend zu machen vermag. Eine sachorientierte Rekonstruktion der Kanonbildung hat sich am Gang der urchristlichen Theologiegeschichte zu orientieren und das Neue Testament als ihr integratives Resultat zu begreifen, das, mit Markschies zu reden, plurale Identität, also eine Einheit von Verschiedenen ermöglicht, in der Verschiedenheit, ohne aufzuhören, ihren trennenden Charakter verloren hat. Mit dem Ausschluss häretischer Positionen schließt der neutestamentliche Kanon zugleich Ausschließlichkeit aus, um Zeugnis zu geben von einer alle Differenzen der Herkunft, des Standes, des Geschlechts etc. übergreifenden Gemeinschaft, die in der Teilhabe an Jesus Chris-

186 Urchristliche Theologiegeschichte, neutestamtl. Wissenschaft und Schrifthermeneutik tus ihren Konstitutions- und Erhaltungsgrund gefunden hat. Das Zeugnis von der im Geist erschlossenen Offenbarung Gottes im auferstandenen Gekreuzigten ist allen neutestamentlichen Zeugen gemein. Jesus Christus ist Grund und Inbegriff des Neuen Testaments als dem Integral urchristlicher Theologiegeschichte. Es gehört zu den konzeptionellen Grundaufgaben neutestamentlicher Wissenschaft, das Urchristentum in der Pluralität und Disparatheit seiner Erscheinungen als in sich differenziertes Ganzes zu begreifen, dessen plurale Einheit sich vom Ergebnis des Neuen Testaments her einleuchtend zu erkennen gibt. Ob man die urchristliche Geschichte bereits mit Jesus von Nazareth beginnen lässt oder erst mit dem Geistzeugnis seiner österlichen Erscheinung, ist eine Frage, deren Beantwortung wesentlich davon abhängt, wie über Kontinuität und Diskontinuität im Verhältnis von Verkündigung Jesu und Christusverkündigung geurteilt wird. Davon wurde ausführlich gehandelt. Eingehend erörtert wurden ferner die weltgeschichtlichen Prämissen der Entstehungs- und Wirkungsgeschichte des Urchristentums. Historisch lässt sie sich nicht ohne den Universalismus der römischen Weltherrschaft verstehen, wie er durch das Reich Alexanders des Großen politisch vorbereitet und durch das Einheitsband der hellenistischen Bildung zivilisiert worden war. Die heidnische Volksreligion war damals bereits im Schwinden begriffen und auf eine Stufe herabgesunken, die ihre Geltung namentlich unter den Gebildeten zweifelhaft werden ließ. Diese hielten sich lieber an eine philosophische Theologie, wie sie sich seit den Zeiten von Sokrates, Platon und Aristoteles in unterschiedlichen Formen ausgebildet hatte. Vorherrschend war eine ekklektizistische Denkweise, für welche die Schriften Ciceros, Senecas oder Epiktets exemplarisch waren. Anders als um die diversen Religionsformen des Heidentums stand es um die jüdische Religion, deren monotheistischer Gottesgedanke als höchst attraktiv empfunden wurde. Das frühe Christentum konnte von diesem spezifischen Vorzug profitieren, auch wenn es noch längere Zeit dauerte, bevor es in seinem Verhältnis zur paganen Welt im römischen Staat in eine beherrschende Stellung eintrat. Zum Judentum, auf dessen Boden es anfänglich Räume und Zeiten früher in Erscheinung trat, stand das frühe Christentum Christentumsgeschichte in einer sehr viel unmittelbareren und engeren Beziehung als zur paganen Umwelt. Seiner Herkunft gemäß ist es religiös eindeutig jüdisch geprägt. Erst im Laufe der Zeit treten Differenzen offen zutage, und das Christentum etabliert sich als eigenständige Religion. Für eine Phänomenologie des Urchristentums und die Anordnung seiner religiösen Zeugnisse bieten sich im Wesentlichen zwei Sondierungsmöglichkeiten an: eine räumliche und eine zeitliche. Unter lokalen Aspekten kann versucht werden, die ur- und frühchristlichen Traditionen und Schriften geographisch zu verorten und so einen Ordnungsrahmen ihrer territorialgeschichtlichen Darstellung zu gewinnen. Diese Konzeption wird beispielsweise von Helmut Koester verfolgt, der durch Zuweisungen namentlich zum syrisch-palästinischen, ägyptischen und kleinasiatischen Raum Strukturen in die Literaturgeschichte des Ur- und Frühchristentums zu bringen und „Entwicklungslinien durch die Welt des frühen Christentums“ (vgl. H. Koester/J. M.

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Robinson) zu ziehen versucht. Die wesentliche Schwierigkeit dieser Unternehmung besteht darin, dass für viele neutestamentliche und apokryphe Schriften die regionale Zuordnung offen bleiben muss. Zwar gibt es vergleichbare Probleme auch bei Datierungen, doch sind die zeitlichen Identifizierungen vielfach weniger problematisch als die räumlichen. Eine Konzeption der Theologiegeschichte des Urchristentums primär unter zeitlichen Gesichtspunkten verdient insofern den Vorzug, zumal wenn sie traditionsgeschichtlich angelegt und auf die Identifikation und Rekonstruktion profilierter Überlieferungsstränge angelegt ist. Freilich ergeben sich auch unter dieser Generalperspektive, die mit geographischen Aspekten durchaus zu verbinden ist, nicht unbedeutende Probleme. Sie betreffen, wie nicht anders zu erwarten, bereits den Anfang der Theologiegeschichte des Urchristentums. Sieht man von dem Problem ab, welche Stellung Jesus in einer urchristlichen Theologiegeschichte einnimmt (vgl. zusammenfassend etwa Schnelle, 30ff., 47ff.), so muss im Blick auf ihre Anfangsphase zuerst die Frage erörtert werden, welcher Grad an historischer Differenzierung hinsichtlich der Erfassung von Verkündigung und Theologie der ältesten christlichen Gemeinden überhaupt möglich und ratsam ist. So ist bestritten worden, dass sich die Unterscheidung zwischen Verkündigung und Theologie der Aramäisch sprechenden Urgemeinde und der Botschaft des Evangeliums in den frühen hellenistisch-judenchristlichen Gemeinden seriös vornehmen lasse. Tatsache ist, dass keine direkten Quellen aus der Jerusalemer Urgemeinde oder aus etwaigen sonstigen urchristlichen Gemeinden Palästinas vorliegen. Die Schilderung der urgemeindlichen Zustände in den ersten Kapiteln der Apostelgeschichte weist zu viele legendarische und idealisierende Züge auf, als dass sie als historisches Dokument gelten könnte. Gleichwohl lässt sich aus den paulinischen Briefen sowie aus Teilen der synoptischen Tradition, insbesondere der Logienquelle, ein ungefähres Bild der Verhältnisse zeichnen, auch wenn in theologischer und organisatorischer Hinsicht im Blick auf die Anfangszeit viele Unsicherheiten bleiben. Ferner muss in Rechnung gestellt werden, dass zur spezifischen Profilierung der judenchristlichen Gemeinde Jerusalems unter der Führerschaft namentlich des Herrenbruders Jakobus in den 50er Jahren vor seinem im Jahr 62 n.Chr. erlittenen Martyrium Auseinandersetzungen mit dem paulinisch geprägten Christentum nicht unerheblich beigetragen haben; möglicherweise waren zu Beginn Theologie und Organisation in der Jerusalemer Urgemeinde noch weniger fest gefügt, als man dies bisher angenommen hatte. Nichtsdestoweniger gibt es gute Gründe, die Aramäisch sprechende Urgemeinde in Jerusalem als eine eigene Größe ins Auge zu fassen und von den frühen hellenistisch-judenchristlichen Gemeinden zu unterscheiden. Signifikant und kennzeichnend für die Jerusalemer Urgemeinde ist ihre fortgeführte Teilnahme am Tempelkult, ihre bleibende Übung des Beschneidungsrituals und ihre ungebrochene Einhaltung der jüdischen Speisegebote. Unbeschadet ihres Bekenntnisses zum gekreuzigten und auferstandenen Jesus und unbeschadet auch eines pfingstlich-pneumatisch motivierten eschatologischen Sendungsbewusst-

188 Urchristliche Theologiegeschichte, neutestamtl. Wissenschaft und Schrifthermeneutik seins von hohem Enthusiasmus haben sich die Aramäisch sprechenden Christen Jerusalems vom jüdischen Kultverband zunächst nicht getrennt, sondern sich als Sondergruppe innerhalb des Judentums verstanden, wobei den Zwölfen als Repräsentanten der Stämme des endzeitlichen Israels zumindest anfangs eine besondere Bedeutung zugekommen sein dürfte. Taufe und Herrenmahl wurden in eschatologischer Erwartung der Parusie des „Herrn“ Jesus praktiziert, der als der kommende Messias-Menschensohn verehrt wurde. Soteriologische Deutungen des Todes Jesu im Sinne von stellvertretender Leidensgerechtigkeit und Sühne bildeten sich aus, wobei alttestamentliche Motive prägend waren. Dies zeigt sich exemplarisch an der sehr alten Leidensgeschichte Jesu, die offenbar bereits in der Jerusalemer Urgemeinde zusammenhängend erzählt wurde. Der Tod Jesu wird als eine gottgefügte Notwendigkeit erachtet und mit dem kommenden Gericht in Verbindung gebracht, aus dem der Auferstandene und Wiederkehrende am Ende der Tage retten wird. Ist das Selbstverständnis der Jerusalemer Urgemeinde insoweit eindeutig christlich, so verstand Jerusalemer Urgemeinde sie sich doch in kontinuierlicher Nachfolge der Jüngergemeinschaft des irdischen Jesus als binnenjüdische Gruppierung, nämlich als das eschatologisch gesammelte und erneuerte Gottesvolk. Von einer intendierten Trennung oder einem förmlichen Ersatz des Judentums durch die Aramäisch sprechende Urgemeinde Jerusalems kann bis zu ihrer Auflösung im Zuge des Jüdischen Krieges gegen Ende der 60er Jahre nicht die Rede sein. Gesetz und toragebotener Kult werden in der palästinischen Urgemeinde aramäischer Sprache nie grundsätzlich in Frage gestellt. Die Beziehung zur jüdischen Tradition blieb ungebrochen, auch wenn mit der Herrenmahlsfeier der im bzw. auf den Namen Jesu Getauften ein neues gottesdienstliches Zentrum entstanden und die Teilnahme am Tempelkult nicht mehr auf die Sühnopferriten ausgerichet war, deren religiös grundlegende Bedeutung sich durch den Tod Jesu erledigt hatte. Tendenziell anders stellt sich die Sache erst dar, wenn man neben der in Jerusalem zentrierten Aramäisch sprechenden Urchristenheit Palästinas diejenigen judenchristlichen Kreise ins Auge fasst, die wegen ihrer griechischen Sprache Hellenisten genannt wurden. Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem Kreis um Stephanus zu. Sehr früh schon scheint sich in Jerusalem neben der Aramäisch sprechenden eine eigene Griechisch sprechende Judenchristengemeinde ausgebildet zu haben. Dürfen bereits die aus der Sprachdifferenz sich ergebenen Unterschiede traditionsgeschichtlich nicht zu gering veranschlagt werden, da Übersetzungsvorgänge von nicht nur formaler, sondern überlieferungsprägender Art sind, so zeigen sich auch in inhaltlicher Hinsicht bemerkenswerte Unterschiede zwischen aramäischen Judenchristen und sog. Hellenisten. Sie betreffen die strukturelle Organisation der Gemeinde und ihrer Leitung; offenbar waren die Zwölf bzw. die aus dem Zwölferkreis hervorgegangenen oder ihm nahe stehenden Leiter nicht Repräsentanten der ganzen Urchristengemeinde, sondern nur ihres Aramäisch sprechenden Teils, denen in Gestalt der sog. Diakone Führer der Hel-

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lenistengemeinde gegenüberstanden. Entscheidender jedoch als dieser organisatorische Unterschied dürfte die inhaltliche Differenz in der Beantwortung der Frage gewesen sein, ob bzw. wieweit die mosaische Tora weiterhin Gültigkeit für Christen haben solle. Das Martyrium des Stephanus, dem offenbar Vorwürfe der Gotteslästerung wegen erfolgter Tempel- und Gesetzeskritik vorangegangen waren, weist in diese Richtung. Zwar ist neuerdings bestritten worden, dass die Kult- und Tempelkritik des Stephanus das im Judentum der Zeit verträgliche Maß überschritten habe. Von einer ins Grundsätzliche gehenden Torakritik könne keine Rede sein. Gegen die Annahme, sie sei bei den Hellenisten geübt worden, spreche sowohl Apg 7,53 als auch der Bericht über die weitere Missionspraxis der Hellenisten unter Juden: „daß Philippus den ‚Gottesfürchtigen‘ mit Abschaffung der Tora bekehrt habe könnte, ist per se unwahrscheinlich.“ (Berger, 146) Diese Feststellung trifft zweifellos zu. Auch Paulus wollte die Tora nicht abschaffen, wenn er für die gesetzesfreie Predigt des Evangeliums eintrat. Man wird also differenzieren und zwischen der Akzeptanz der Tora als eines im Kern verbindlichen Gesetzes göttlicher Gerechtigkeit und ihrer Anerkennung als Heilsweg zu unterscheiden haben. Die Brisanz der Art und Weise, wie die Hellenisten um Stephanus ihr Verhältnis zur Tora bestimmten, lag darin begründet, „in dem erhöhten Menschensohn einen direkten Heilsersatz zu bieten“ (Berger, 146). Damit ist die Tora zwar keineswegs verabschiedet, aber soteriologisch relativiert und insofern grundsätzlich kritisiert, als sie als wirksames Mittel zum Heil weder in kultischer noch in sonstiger Hinsicht weiterhin in Betracht kommt. Von dieser prinzipiellen Einsicht her werden die konkreten Toravorbehalte der Hellenisten und die Vorwürfe gegen Stephanus verständlich, er habe Lästerreden wider Moses und Gott geführt und Worte gegen den Tempel und das Gesetz geäußert (vgl. Apg 6,11.13f.). Generell lässt sich sagen, dass sich im Verhältnis von sog. Hebraisten und sog. Hellenisten innerhalb der Urgemeinde unter österlichen Bedingungen jene Spannungen widerspiegeln, die für Jesu eigenes Gesetzesverständnis kennzeichnend sind. „Während in der älteren Exegese das Bedürfnis vorherrschte, Jesus dem Judentum gegenüberzustellen oder ihn zumindest innerhalb des Judentums herauszustellen, dominiert in der neueren Exegese der Wunsch, Jesus möglichst nahtlos in die Vielgestaltigkeit des Judentums einzupassen. Beide Strategien sind tendenziös, denn sie halten nicht die Spannung aus, Jesus innerhalb des Judentums zu interpretieren und zugleich aufzuzeigen, wie es zu den Konflikten mit jüdischen Gruppen/Autoritäten und zu seiner Wirkungsgeschichte innerhalb des sich formierenden frühen Christentums kam.“ (Schnelle, 116) Auch wenn die Hellenisten Judenchristen waren und blieben, spricht vieles dafür, dass die ersten Ansätze und Anfänge gesetzesfreien Christentums nicht erst in Antiochien oder bei Paulus, sondern bereits in der Jerusalemer Urgemeinde lagen, wenngleich sie sich dort nicht längerfristig halten konnten. Dafür gelangten die vertriebenen Hellenisten anderwärts zu umso größerer Bedeutung. In den von ihnen gegründeten Gemeinden, unter denen diejenige der Metropole Antiochien

190 Urchristliche Theologiegeschichte, neutestamtl. Wissenschaft und Schrifthermeneutik am Orontes herausragte, wurde ungehindert das gesetzesfreie Evangelium verkündet, was den Weg zur Heidenmission eröffnete, wie Paulus und andere Missionare sie bald schon in großem Stil betrieben. Die Rekonstruktion des Kerygmas der frühen hellenistisch-judenchristlichen Gemeinden und insbesondere der Gemeinde zu Antiochia ist nur hypothetisch und anhand einer traditionsgeschichtlichen Untersuchung insbesondere der paulinischen Briefe möglich. Im Zentrum der Verkündigung steht die Auferweckung des gekreuzigten Jesus durch Gott, die als eschatologischer Wendepunkt der Zeiten und als Ermöglichungsgrund der gesetzesfreien Evangeliumsverkündigung verstanden wird. Gewiss ist mit Übernahmen christologischer Traditionen der Aramäisch sprechenden Judenchristen Jerusalems und Palästinas sowie mit der Übertragung dieser Überlieferungen in die griechische Koine-Sprache zu rechnen. Aber der Rezeptionsvorgang erfolgte konstruktiv und in großer Eigenständigkeit, die sich auch in organisatorischer Hinsicht zu erkennen gibt. In der antiochenischen Christengemeinde aus Juden und Heiden gab es diverse Propheten und Lehrer sowie das apostolische Amt, das mit der Jerusalemer Funktion der Zwölf bzw. ihrer Nachrepräsentanten kaum etwas zu tun hatte. Auch in inhaltlicher Hinsicht verhielten sich die Antiochenische „Hellenisten“ antiochenischen Christen den Jerusalemern gegenüber souverän. Es dauerte offenbar geraume Zeit, bis man sich um Kontakte in der Gesetzesfrage kümmerte. Man blieb der Linie des Stephanuskreises treu, in dem Jesu Verhalten gegenüber Tempelkult und Tora erheblich anders gedeutet wurde als in der Aramäisch sprechenden Urgemeinde Jerusalems. Die Verbindlichkeit von Bestimmungen der Tora wie etwa der Beschneidung wurde bestritten, die Teilnahme am Tempelkult als durch die gottesdienstliche Feier des auferstandenen Gekreuzigten für überflüssig erachtet. Damit war die Differenz zum Judentum klar markiert, auch wenn eine förmliche Trennung noch nicht vollzogen war. Aus der gesetzesfreien Evangeliumsverkündigung, wie sie in der antiochenischen und in anderen Hellenistengemeinden gepflegt wurde, erwuchs jener universale, den Gegensatz von Juden und Heiden aufhebende Sendungsauftrag, wie er besonders aus der paulinischen Mission bekannt ist. Der mehr oder weniger strenge Partikularismus des Jerusalemer Judenchristentums wird aufgehoben, die Bindung an das traditionelle Torajudentum gelockert und tendenziell aufgelöst. Nicht von ungefähr weist Apg 11,26 darauf hin, dass die Jünger erstmals in Antiochien ausdrücklich Christen genannt wurden. Dass die Antiochener Christen erklärte Antinomisten gewesen seien, wird man indes keineswegs sagen dürfen. Den sittlichen Kerngehalt der Tora erkannten sie zweifellos an, und sie wussten sich dabei in Übereinstimmuing mit Jesus, dessen Tradition sie mit vergleichbarer Sorgfalt bewahrten wie die Jerusalemer. Aber den verpflichtenden Charakter von kultischen oder sonstigen Einzelbestimmungen lehnten sie ab, ja sie bestritten im Grunde, dass aus konsequenter Gesetzesbefolgung verlässliche Heilsgewissheit zu folgern sei. So sind die Hellenisten ihrer Herkunft nach zweifellos Judenchristen zu nen-

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nen; doch verbindet sich mit ihnen im Unterschied zur Aramäisch sprechenden Urgemeinde Jerusalems der Vollzug des Übergangs von Juden- zu Heidenchristentum, den sie an sich selbst repräsentieren. Einerseits halten die antiochenischen „Hellenisten“ ungeteilt am Erbe der jüdischen Religionsgeschichte fest und bekennen sich zum einen Gott als Schöpfer Himmels und der Erden und als kosmischen Vollender. Die Verkündigung Jesu Christi, die sie im Begriff des Evangeliums und in – bei Paulus zitierten – Evangeliumsformeln zusammenfassen, hebt dieses Bekenntnis und den Monotheismus Israels nicht auf. Sind insofern grundlegende Gemeinsamkeiten mit dem Judentum und dem Jerusalemer Judenchristentum gegeben, die sicherlich auch die ethischen Fundamente betreffen, so ist andererseits der Übergang vom Judenchristentum zu einem Christentum, das Juden und Heiden umfasst, prinzipiell dadurch vollzogen, dass der Glaube an das Evangelium Freiheit von gesetzlichen Gehorsamspflichten verleiht. Auf dem Apostelkonvent wurde die Legitimität der gesetzesfreien Heidenmission im Grundsatz bestätigt. Damit waren der universalen Ausbreitung des Christentums keine religiösen Grenzen mehr gesetzt. Anfangs eine Glaubensgemeinschaft, die ausschließlich aus Juden bestand, gerieten die Judenchristen im Laufe der Zeit in eine Minderheitssituation und das Heidenchristentum wurde führend. Doch war das juden-heiden-christliche Verhältnis innerhalb der Theologiegeschichte des Urchristentums keineswegs durch ein einliniges Nacheinander, sondern über weite Strecken hin durch ein Neben- und Miteinander bestimmt, das vielfältige Gemengelagen und wechselseitige Durchdringungen ermöglichte und tatsächlich hervorrief. In den neutestamentlichen Befunden reflektiert sich dieser Sachverhalt. Basis und Bestimmungsgrund gemeinsamer Identität war dabei stets das Bekenntnis zum auferstandenen Gekreuzigten, wie es in zahlreichen Homologien und Glaubensformeln seit Ostern und Pfingsten zum Ausdruck gebracht wird. Daran ändern unterschiedliche Akzentuierungen nichts, die dieses christologische Bekenntnis im Laufe der Theologiegeschichte erhielt. Die Christologie der Jerusalemer Urchristenheit und des Aramäisch sprechenden Judenchristentums in Palästina ist wesentlich bestimmt von der Erwartung der Parusie des auferstandenen Gekreuzigten, der als der Menschensohn, der er ist, wiederkommen wird, um eschatologisch zu richten und zu vollenden. Im Übergang zum Heidenchristentum, wie er durch die hellenistische Judenchristenheit vermittelt ist, tritt die apokalyptische Menschensohnerwartung christologisch eher zurück, ohne aufgegeben zu werden. Neben dem Präexistenzgedanken, der sich bereits in vorpaulinischer Zeit findet, gewinnen das Erhöhungsmotiv und die Vorstellung verstärkt an Bedeutung, dass der österlich Erhöhte zur Rechten Gottes seine königliche Herrschaft von Ewigkeit zu Ewigkeit ausübt und den Glaubenden in Wort und Sakrament jetzt schon Anteil gibt an seinem himmlische Reich, auch wenn dessen endgültiges Kommen noch aussteht. Die von den judenchristlichen „Hellenisten“ in Jerusalem herrührende und vor allem in Antiochien, aber auch in Damaskus und anderwärts ausgeprägte Tradition gesetzesfreien Christentums, das Juden und Heiden umfasst, ist zu kirchenge-

192 Urchristliche Theologiegeschichte, neutestamtl. Wissenschaft und Schrifthermeneutik schichtlicher Weltbedeutung vor allem durch die Mission des Paulus gelangt, der sie wahrscheinlich bereits während seines antiochenischen Aufenthalts mitgestaltete und später theologisch in hervorragender Weise ausformte und eigenständig fortentwickelte. Dokumentiert ist die christologisch-soteriologisch zentrierte Evangeliumsverkündigung und Theologie des Völkerapostels in sieben zweifellos authentischen, wahrscheinlich in der letzten Phase seiner Wirksamkeit geschriebenen Briefen, deren Entstehung und Inhalt in einem eigenen Abschnitt dargestellt werden wird. Im Zuge der paulinischen Mission hat das Christentum die Grenzen des palästinisch-westsyrischen Raumes überschritten und sich in Kleinasien, Makedonien und Griechenland sowie in Rom dauerhaft etabliert, wo vermutlich bereits in vorpaulinischer Zeit eine aus dem dortigen Diasporajudentum hervorgegangene Christengemeinde bestand. Dass die insbesondere für die 60er Jahre des 1. Paulinisches und Jahrhunderts zu beobachtende sprunghafte Ausaußerpaulinisches breitung des Christentums trotz der überragenChristentum den Bedeutung, die ihm zukommt, nicht allein auf das Wirken des Apostels Paulus zurückzuführen ist, duldet keinen Zweifel. Missionarisch tätig waren neben Mitarbeitern auch Konkurrenten des Apostels, deren Verkündigung von der seinen zum Teil erheblich abwich. Im Übrigen vollzog sich, auch wenn Genaueres historisch schwer zu erkunden ist, die Expansion des frühen Christentums nicht nur im paulinischen Missionsgebiet, sondern auch in anderen geographischen Räumen, wie etwa in der Kyrenaika oder in Alexandrien. Dies geschah keineswegs überall in Abhängigkeit von der antiochenisch-paulinischen Tradition, sondern vielfach unabhängig von ihr, gelegentlich auch gegenläufig zu ihr. So muss im Kontext der Differenzen zwischen den Aramäisch sprechenden Judenchristen Jerusalems-Palästinas und den Hellenisten, die nach ihrem Weggang aus Jerusalem in Antiochien und andernorts tätig wurden, mit weiteren Unterschieden und einer komplexen Überlieferungsvielfalt innerhalb der frühen Theologiegeschichte des Christentums der ersten Jahrzehnte nach Jesu Tod gerechnet werden. Auch wenn allein über die paulinische Mission genauere historische Informationen vorliegen, so umfasst sie doch nur einen Ausschnitt der Expansionsgeschichte des frühen Christentums und seiner Gemeindebildungen. Auch theologisch muss mit unterschiedlichen Gruppierungen gerechnet weden. Zwar wurde die Theologie des Paulus für die Folgezeit außerordentlich wichtig und prägend, aber selbst innerhalb dessen, was man die Paulusschule nennt, ist die Entwicklung keineswegs einheitlich. Die theologischen Unterschiede zwischen den authentischen Paulusbriefen und den sog. Deuteropaulinen, die nach Maßgabe ihres Präskripts auf Paulus zurückgehen, in Wahrheit aber in die Tradition der Paulusschule gehören, sind nicht unerheblich. Auch untereinander geben die deuteropaulinischen Schriften signifikante Abweichungen zu erkennen. Der von einigen Exegeten mit wenig plausiblen Gründen Paulus selbst zugeschriebene, aber mit großer Wahrscheinlichkeit nachpaulinische 2. Thessalo-

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nicherbrief versieht die paulinische Verkündigung mit einer verstärkt apokalyptischen Note, wie vor allem die Aufnahme der sonst nur in der Johannesoffenbarung (Apk 13; vgl. Mk 13,14; Mt 24,15) begegnenden eschatologischen Antichristvorstellung belegt. Die allgemein als deuteropaulinisch anerkannten drei Pastoralbriefe bezeugen ein intensives Bemühen um Fixierung und institutionelle Sicherung der Überlieferung und gehören einer späteren Tradition der Paulusschule an, in der sich bereits Konturen der nachfolgenden „amtskirchlichen“ Entwicklung abzeichnen. Neben dem für die Deuteropaulinen insgesamt kennzeichenden Phänomen der Pseudo- bzw. Deuteronymität gehört die Sammlung der Paulinischen Briefe zu einem Corpus Paulinum in diesen Zusammenhang. Näher bei Paulus als die Pastoralbriefe stehen der Kolosser-, den manche Forscher sog. für protopaulinisch halten, und der von ihm literarisch abhängige Epheserbrief, die namentlich die Christologie und Ekklesiologie des Paulus unter dezidiert hellenistischen Denkvoraussetzungen reinterpretieren. Unbeschadet der angedeuteten Komplexität der theologischen Entwicklung innerhalb der sog. Paulusschule ist die paulinische Tradition eine vergleichsweise klar identifizierbare Größe der Theologiegeschichte des frühen Christentums. Sie hat auch außerhalb des paulinischen Missionsbereiches im engeren Sinn Einfluss gewonnen und etwa im 1. Petrusbrief deutliche Spuren hinterlassen mit der Folge, dass dieser gelegentlich der Paulustradition zugeordnet wurde. Hans Hübner sieht in ihm „das Dokument eines eigenständigen Weiterdenkens der paulinischen Theologie auf hohem Niveau“ (Hübner II, 395), ja sogar den „Höhepunkt der Wirkungsgeschichte paulinischer Theologie“ (Hübner II, 387; bei H. kursiv), deren „chronologische(s) Ende“ (Hübner II, 399) innerhalb des Neuen Testaments er durch den 2. Petrusbrief als das späteste neutestamentliche Schreiben markiert sieht. Allerdings ist diese Wertung problematisch, da der 1. Petrusbrief unbeschadet aller Berührungen mit dem Corpus Paulinum eine eigenständige Tradition repräsentiert, die auf das Erbe des Petrus zurückverweist, in dessen Missionswirken sie mit hoher Wahrscheinlichkeit ihren Ursprung hat. Ungleich schwieriger als die paulinische Tradition sind die frühchristlichen Überlieferungen zu identifizieren und als jeweilige Einheitsgrößen zu erfassen, die sich teilweise in Wechselwirkung mit dieser, teilsweise unabhängig von ihr ausgebildet haben. Dieses Problem lässt sich innerhalb des kanonischen Schrifttums neben dem bereits erwähnten 1. Petrusbrief insbesondere am Hebräerbrief, an der Johannesapokalypse und am Jakobusbrief namhaft machen. Der paränetisch ausgerichtete sog. Jakobusbrief, der formal und inhaltlich eine eigentümliche Sonderstellung innerhalb der neutestamentlichen Schriften einnimmt, weicht von der paulinischen Rechtfertigungslehre nicht nur in terminologischer Hinsicht ab und führt unter hellenistischen Rahmenbedingungen im Bereich der jüdischen Diaspora eine judenchristliche Überlieferung fort, die in modifizierter Gestalt auf die Jerusalemer Tradition des Herrenbruders Jakobus zurückverweist. Er ist nicht der einzige Beleg für die bleibende Relevanz eines spezifischen Judenchristentums im griechischen Sprachraum nach 70 n.Chr.

194 Urchristliche Theologiegeschichte, neutestamtl. Wissenschaft und Schrifthermeneutik Die Bedeutung des hellenistischen Judenchristentums in den letzten Jahrzehnten des 1. Jahrhunderts n.Chr. dokumentiert auf seine Weise auch der Hebräerbrief, der zwar bald schon dem Apostel Paulus zugeschrieben und ins Corpus Paulinum eingefügt wurde, aber nicht nur in seiner ausgesprochen kultischen Denkweise einen von der paulinischen Tradition erkennbar unterschiedenen Charakter aufweist. Nicht minder gilt dies von der apokalyptischen Prophetie der Offenbarung des Johannes, die sich trotz einiger Gemeinsamkeiten nicht nur von der Theologie des Johannesevangeliums und der Johannesbriefe, sondern auch, ohne auf sie Bezug zu nehmen, von derjenigen des Paulus und der Paulusschule signifikant unterscheidet, obwohl die Johannesapokalypse im westlichen Kleinasien, also einem ehemaligen Missiongebiet des Paulus entstanden ist. Offenbar haben sich in seinem Bereich signifikant judenchristliche Traditionen nicht nur erhalten, sondern in den letzten Jahrzehnten des 1. Jahrhunderts n.Chr. auch verstärkt zur Geltung gebracht, worauf u.a. die vermeintliche oder tatsächliche Reapokalyptisierung der paulinischen Tradition im 2. Thessalonicherbrief hindeuten könnte. Diese Entwicklung mag mit einer Auswanderungsbewegung palästinischer Judenchristen nach der Katastrophe des Jüdischen Krieges zusammenhängen. Im Übrigen aber darf nicht vergessen werden, dass die frühen Christengemeinden sich häufig im Kontext des Diasporajudentums ausgebildet haben, dem man sich auch noch unter Bedingungen wachsender Entfremdung und gesteigerter Gegensätze verbunden wusste. Die neutestamentlichen Traditionen und Schriften haben sich aus dem Zusammenhang der Theologiegeschichte des Urchristentums heraus entwickelt. Jede Konzeption einer Theologie des Neuen Testaments, welche die Vielfalt und Einheit neutestamentlicher Zeugnisse nicht nur äußerlich, sondern von innen heraus als differenzierten Zusammenhang zu erfassen sucht, wird dies zu bedenken haben. Die theologische Entwicklung von der anfänglichen Christologie der Urgemeinde über die Theologie des Apostels Paulus und seiner Schule bis hin zu den Entwürfen der synoptischen Evangelien, der Apostelgeschichte und der johanneischen Theologie lässt sich gewiss nicht einlinig erfassen. Sie gibt sich vielmehr als komplexer, in sich differenzierter, Widersprüche nicht ausschließender Prozess zu erkennen, zumal wenn man das sowohl von Paulus als auch von der synoptischen und johanneischen Tradition unabhängige hellenistisch-judenchristliche Schrifttum und das Schrifttum im Übergang zur Theologiegeschichte des 2. nachchristlichen Jahrhunderts mitberücksichtigt. Gleichwohl bleibt es konzeptionelle Grundaufgabe historisch-kritisch und zugleich theologisch arbeitender neutestamentlicher Wissenschaft, die Geschichte des Urchristentums so zu erfassen, dass der gegebene Stoff möglichst objektiv aufgefasst und in seinen disparaten Teilen zur Einheit eines in sich differenzierten Ganzen zusammengeschlossen wird. Einen der eindrucksvollsten Versuche, diesen Ansatz zu realisieren, hat im 19. Jahrhundert Ferdinand Christian Baur unternommen. Sein Programm bleibt von Bedeutung, auch wenn seine Durchführung als historisch überholt zu gelten hat. Mittels der sog. Tendenzkritik der evangelischen Berichte und der sonstigen

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neutestamentlichen Schriften gelangte Baur zu Baurs tendenzkritisches der Auffassung, wonach das einheitliche Resultat Programm der Theologiegeschichte sich als Ausgleichssynthese des historischen Gegensatzes von Petrinismus und Paulinismus zu erkennen gebe, wie sie in nachapostolischer Zeit vollzogen worden sei. Zum Zwecke des Nachweises der Richtigkeit dieser Annahme richtete er die historische Kritik der neutestamentlichen Schriften und der in ihnen verarbeiteten Traditionen darauf aus, den geschichtlichen Ort ihrer jeweiligen Entstehung im Zusammenhang der urchristlichen Geschichte zu identifizieren, um so zur Einsicht in die dialektisch vermittelte Differenzeinheit ihrer Entwicklung zu gelangen. Lasse sich schon in der Jerusalemer Urgemeinde ein Gegensatz von Aramäisch sprechenden Judenchristen, den sog. Hebraisten, und den sog. Hellenisten um Stephanus nachweisen, so habe sich dieser Gegensatz im Laufe der Zeit zu einem grundsätzlichen Antagonismus zwischen Petrinismus und Paulinismus, einem dezidierten Judenchristentum und einem entschiedenen Heidenchristentum entwickelt, bis es in nachapostolischer Zeit zu Ausgleichtendenzen von beiden Seiten gekommen sei. Das petrinische Judenchristentum hat nach Baur im Matthäusevangelium und in der Johannesapokalypse, das paulinische Heidenchristentum in den vier von ihm für authentisch gehaltenen Briefen des Apostels und im Lukasevangelium seinen Niederschlag gefunden. Für Ausgleichstendenzen von judenchristlicher Seite führt er etwa den Jakobusbrief an, für solche heidenchristlicherseits beispielsweise die Pastoralbriefe, den Hebräerbrief oder den 1. Petrusbrief. Die altkatholische Synthese schließlich wird durch das Markusevangelium vorbereitet, vom dritten Evangelium vermittelt und in der Apostelgeschichte durchgeführt. Baur identifiziert im Neuen Testament eine konsequent verlaufende Gedankenentwicklung und definiert entsprechend neutestamentliche Theologie als frühchristliche Dogmenhistoriographie. Dass sein ausgeprägtes Konzept, wie er es in dem Werk über „Das Christentum und die christliche Kirche der drei ersten Jahrhunderte“ von 1853 über die kanonischen Grenzen hinaus in Grundzügen skizziert und in den 1864 postum erschienenen „Vorlesungen über Neutestamentliche Theologie“ detailliert ausgearbeitet hat, von der spekulativen Geschichtsphilosophie Hegels inspiriert war, ist evident und bedarf keiner Betonung. Das Hegel’sche Geschichtsbild Baurs und der Tübinger Schule wurde aus historischen Gründen bald schon korrigiert und revidiert. Kein Geringerer als Albrecht Ritschl hat seit der Zweitauflage seiner Monographie über „Die Entstehung der altkatholischen Kirche“ von 1857 den von Baur behaupteten radikalen Gegensatz von petrinischem Judenchristentum und Paulinismus als abstrakt und konstruiert erkannt und die These abgewiesen, dieser sei die wesentliche Triebkraft neutestamentlicher Entwicklung gewesen. Generell sei diese weit weniger durch den Streit von Doktrinen als durch den Unterschied verschiedenartiger Gemeindeauffassungen bestimmt worden. Überdies hätten die Jerusalemer Urapostel niemals ein extrem judaistisches Christentum vertreten, dessen Bedeutung für die Genese der altkatholischen Kirche insgesamt marginal sei.

196 Urchristliche Theologiegeschichte, neutestamtl. Wissenschaft und Schrifthermeneutik Ritschls Einwände sind historisch gewichtig und weithin zutreffend. Doch ändern sie nichts am grundsätzlichen Recht von Baurs programmatischer Forderung, wonach jede neutestamentliche Schrift in einen geschichtlichen Gesamtzusammenhang einzuordnen sei mit dem Ziel, dessen Entwicklungsrichtung und Resultate zu identifizieren. Denn ohne dieses Ziel zumindest anzustreben, kann weder die Theologiegeschichte des frühen Urchristentums als sinnvoller Prozess erfasst noch die normative Verbindlichkeit der schließlich kanonisierten Schriften des Neuen Testaments mit historischen Sachgründen plausibilisiert werden, die über das formale Geltendmachen von Autorität hinausweisen. Baur versah seine Darstellung mit dem methodischen Anspruch, nicht lediglich eine ideale Konstruktion von theologischen Sachverhalten zu geben, sondern das geschichtlich Vorhandene in seiner Objektivität aufzufassen, soweit dies überhaupt möglich ist. Dieser Anspruch lässt sich nicht durch den bloßen Hinweis falsizifizieren, dass in Baurs Geschichtsdarstellung geistige Prinzipien wirksam sind. Denn in ihrem geschichtlichen Begriff kann die neutestamentliche Theologie nach seinem Urteil überhaupt nur dann erfasst werden, wenn sie sich als entwickelte Lehre und als Resultat einer Lehrentwicklung begreifen lässt, deren gedankliche Logizität geschichtlich erkennbar ist. Es wäre nichts als ein Indiz von Gedankenlosigkeit, wollte neutestamentliche Wissenschaft diesen Grundsatz generell in Abrede stellen. Sein grundsätzliches Recht sollen einige allgemeine Bemerkungen zur Hermeneutik der Schriftauslegung im Kontext ihrer Geschichte bekräftigen, bevor Fallstudien zur paulinischen Mission und zur johanneischen Schule entscheidende Weichenstellungen neutestamentlicher Theologie und urchristlicher Theologiegeschichte markieren werden. Während die vormoderne Interpretation der BiHermeneutik der bel von der Annahme ausging, dass deren LiteralSchriftauslegung sinn mit der geschichtlichen Wahrheit identisch sei, ist diese Voraussetzung von historisch-kritischer Exegese in mannigfacher Hinsicht und unter Bezug auf viele Texte bestritten worden. Infrage gestellt wurde ferner die für die traditionelle Bibelhermeneutik grundlegende Vorstellung, der biblischen Geschichte liege ein von der Schöpfung bis zur eschatologischen Vollendung reichender göttlicher Plan zugrunde, der ihren Verlauf vorherbestimme, ihre Einheit garantiere und ein letztes Sinnziel gewährleiste mit der Folge, dass alle sinnvolle Welt- und Selbsterfahrung im Bibelbuch beschlossen sei. Wo sich Texte gegen diese Einsicht zu sträuben schienen, wurden sie in vormoderner Exegese durch allegorische Auslegung gefügig gemacht, welche einen inneren Sinn gegen die textliche Oberflächenbedeutung geltend zu machen erlaubte. Die interpretatio christiana des Alten Testaments hatte für eine solche Prozedur bereits genügend Erprobungsanlass gegeben, wobei man in der Christenheit relativ umstandslos an jüdische Vorgänger wie etwa Philo von Alexandrien anschließen konnte, von denen ein entsprechendes Verfahren bereits seit geraumer Zeit gepflegt worden war. In der mittelalterlichen Lehre vom vierfachen Schriftsinn, die sich bereits in der Alten Kirche vorgebildet findet, wurde die Methode sog. geistiger Schriftauslegung

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fortentwickelt und vervollständigt, indem man neben dem allegorischen mit einem moralischen und einem anagogischen Sinn in, mit und unter bzw. hinter dem sensus literalis rechnete. Im Unterschied zur mittelalterlichen geht die neuzeitliche Exegese in der Regel von der Alleingeltung des buchstäblichen Sinnes aus, den sie auf die mens auctoris, also auf den vom Autor intendierten Aussagegehalt zurückführt. Schon für Luther verband sich mit dem reformatorischen Schriftprinzip die Notwendigkeit einer Konzentration auf den sensus literalis, den er auch den sensus historicus nennen konnte. Dabei ging der Reformator davon aus, dass die Hl. Schrift nach Maßgabe des Wortsinnes, den mit philologischer Akribie und übersetzungstechnisch-hermeneutischer Kunstfertigkeit herauszuarbeiten Aufgabe des geschulten Exegeten sei, ihre eigene Interpretin und gegebenenfalls auch Kritikerin sei. Zur authentischen Auslegung der Schrift bedürfe es daher keiner schriftexternen Instanz. Vielmehr vermöge sich die Heilige Schrift in der Kraft des göttlichen Geistes selbst auszulegen, sofern dieser in ihrem Buchstaben wirksam sei, um durch lesenden Gebrauch im Grundsatz jedermann ein pneumatisches Verständnis des kanonischen Wortsinns zu erschließen. Unbeschadet der Konzentration auf die der Schrift im wörtlichen Sinne eigene Bedeutung und unbeschadet dessen, dass der sensus literalis der Schrift mit ihrem historischen Sinn weitgehend identifiziert wurde, kann von einer Historisierung der Bibel in der Reformation nicht die Rede sein, und zwar weder in der Wittenberger noch auch in der Zürich-Genfer Reformation. Die historisch-kritische Schriftexegese ist erst im Zuge der Aufklärung auf breiter Front und in der Konsequenz einer Verallgemeinerung des historischen Bewusstseins virulent geworden. Entscheidende Faktoren, die zu ihrer Verbreitung beitrugen, waren die Destruktion der bislang unangefochten und gleichsam zeitinvariant gültigen Kosmologie durch die Revolution der modernen Naturwissenschaften, das wachsende Verständnis für den geschichtlichen, veränderbaren Charakter der menschlichen Art sowie die Gewissheit, dass es eines langfristigen Erziehungsprozesses bedurfte, um die Menschheit auf das aktuelle Rationalitätsniveau zu erheben, welches zu Zeiten der Bibel noch nicht erreicht gewesen sei. Indem die historisch-kritische Exegese in Bezug auf den Kanon und seine einzelnen Teile geschichtliche Genesen aufwies, entlastete sie den Leser und Rezipienten der Hl. Schrift von deren ehemals zeitinvarianten Geltungsansprüchen und diente so der theoretischen, praktischen und religiösen Emanzipation des Subjekts, dessen Freiheitsstreben sie sich ursprünglich verdankt. In der Folge des Emanzipationsprozesses, dem historische Kritik dient, musste sich der Schriftsinn allmählich den Ansprüchen vernünftiger Subjektivität beugen, wie sich an Schleiermachers religiöser Schrifthermeneutik ebenso zeigen ließe wie an Kants moralischer Exegese und an Hegels Forderung einer Aufhebung religiöser Vorstellung in den philosophischen Begriff. Dieser und vergleichbaren Forderungen kann man sich vernünftigerweise nicht mit dem unmittelbaren Geltendmachen der Autorität entziehen, welche der Bibel entweder unmittelbar als Hl. Schrift eignen soll oder vermöge der Autorität der die Gewissheit ihrer Kanonizität und die Authentizität ihrer Auslegung gewährleistenden Kirche. Angemessen begegnen lässt sich dem

198 Urchristliche Theologiegeschichte, neutestamtl. Wissenschaft und Schrifthermeneutik Ansinnen einer theoretischen, praktischen oder auch religiösen, nämlich durch subjektive Frömmigkeit zu leistenden Substitution der Schrift in ihrem literalen und historischen Sinn nur, wenn es gute Gründe für die Annahme gibt, dass theoretische und praktische Vernunft sowie das religiöse Bewusstsein frommer Subjektivität um ihrer selbst willen jener geschichtlichen, im Mittler inbegriffenen Vermittlungen bedarf, von denen die Schrift urkundliches Zeugnis ablegt. Mit dem bloßen Verweis auf bruta facta oder der Reduktion des Schriftsinns auf eine mens auctoris ist es nicht getan. Verstehen ist nicht nur mehr als die Enthüllung nackter Tatsachen oder einer Autorenintention, da Faktizität und genuine Deutung keine definitiven Kriterien für bleibende Geltung darstellen. Dauerhafte Geltung kann einem Faktum und seiner ursprünglich wahrgenommenen Bedeutung nur dann zukommen, wenn aktuelle Theorie, Praxis sowie ein gegenwärtig wirksames religiöses Bewusstsein ihrer bleibend bedürfen und wenn sich zeigen lässt, dass theoretische und praktische Vernunft ebensowenig wie Religion der geschichtlichen Vermittlungsleistungen entbehren können, die hiervon ausgehen. Die anhaltende Krise des Historismus lässt sich nur beheben, wenn die Debatte um die Geschichtlichkeit des Absoluten und das Verhältnis von Faktizität und Begriff neu geführt wird, die an seinem Anfang stand. Es besteht Anlass, das Verhältnis von Vernunft und Geschichte erneut von Grund auf zu bedenken und zwar so, dass weder die Geschichte in Vernunft aufgelöst noch die Vernunft durch Vergeschichtlichung um ihre Allgemeinverbindlichkeit gebracht wird. Eine geschichtliche Theologie, die ihren Namen verdient, hat beide Optionen zu vermeiden und von der Offenbarung Gottes in Jesus Christus als von einem Faktum zu reden, das ohne Vernunft nicht zu erfassen ist und gleichzeitig die Vernunft über sich selbst hinausführt und zu jener Selbsttranszendenz bewegt, die ihre Bestimmung ausmacht. Offenbarungswahrheit und Vernunfteinsicht müssen sich nicht widersprechen, obzwar sie nicht aufeinander reduzierbar sind. Als bloßes Faktum aufgefasst wäre das Offenbarungsdatum ebenso irrational wie ein historisches Wissen, das nicht den inneren Gang der Entwicklung seiner Gegenstände nachzuzeichnen vermag. Doch ist die Tätigkeit der Vernunft ihrerseits auf eine Faktizität angewiesen, der sie ihr Sich-Gegebensein verdankt. Das Faktum der Vernunft ist an sich selbst ein Indiz dafür, dass ihre unendliche Bedeutung ohne entwickelten Begriff ihrer Endlichkeit im Sinne ihrer konstitutiven Geschichtsbezogenheit nicht zu begreifen ist. Kurzum und summa summarum: Gottes geschichtliche Offenbarung in Jesus Christus ist nicht angemessen zu verstehen, wenn sie im Sinne bloß sinnlicher Realität aufgefasst und nicht vernunftgemäß begriffen wird. Gleichwohl lässt sie sich nicht rein begrifflich genetisieren bzw. in die Vermittlungsbewegung reinen Denkens auflösen. Sie ist weder bloße Sinneswirklichkeit noch bloßer Begriff, sondern eine Realität, die Sinnlichkeit und Vernunft auf differenzierte Weise vereint und Metaphysik und Empirie nicht länger als Gegensätze erscheinen lässt. Man muss kein Anhänger eines metaphysischen Empirismus sein, wie Schellings Spätphilosophie ihn zu entwickeln suchte (vgl. im Einzelnen Wenz), um eine wesentliche Aufgabe christlicher Theologie

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darin zu entdecken, vernünftiges Denken und die unvordenkliche Positivität der geschichtlichen Offenbarung Gottes in Jesus Christus pneumatologisch als einen Zusammenhang zu begreifen.

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Lit.: M. Bachmann, Keil oder Mikroskop? Zur jüngeren Diskussion um den Ausdruck „‚Werke‘ des Gesetzes“, in: ders. (Hg.), Lutherische und Neue Paulusperspektive. Beiträge zu einem Schlüsselproblem der gegenwärtigen exegetischen Diskussion, Tübingen 2005, 69– 134. – J. Becker, Paulus, der Apostel der Völker, Tübingen (1989) 31998. – G. Bornkamm, Paulus, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1969. – C. Breytenbach, Paulus und Barnabas in der Provinz Galatien. Studien zur Apostelgeschichte und den Adressaten des Galaterbriefes, Leiden/New York/Köln 1996. – B. Byrne, Interpreting Romans in a Post-„New Perspective“ Perspective, in: HThR 49 (2001), 227–241. – J. D. G. Dunn, The Theology of Paul the Apostle, Grand Rapids 1998. – Ders., The New Perspective on Paul. Collected Essays, Tübingen 2005, 89–110. – J. Gnilka, Paulus von Tarsos. Apostel und Zeuge, Freiburg/Basel/ Wien 1996. – L. Goppelt, Die apostolische und nachapostolische Zeit, Göttingen 1962. – F. Hahn, Das Verständnis von Mission im Neuen Testament, Neukirchen-Vluyn 1963 (21965). – A. v. Harnack, Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten, 2 Bde., Leipzig 41924. – M. Hengel, Die Ursprünge der christlichen Mission, in: ders., Studien zum Urchristentum. Kleine Schriften VI, Tübingen 2008, 105–135. – H. Hübner, Art. Paulus, Apostel I. Neues Testament, in : TRE 26, 133–153. – E. Jüngel, Das Evangelium von der Rechtfertigung des Gottlosen als Zentrum christlichen Glaubens. Eine theologische Studie in ökumenischer Absicht, Tübingen 1998. – M. Öhler, Barnabas. Die historische Person und ihre Rezeption in der Apostelgeschichte, Tübingen 2003. – E. P. Sanders, Paul and Palestinian Judaism. A Comparison of Patterns of Religion, London 1977. – W. Schneemelcher (Hg.), Neutestamentliche Apokryphen in deutscher Übersetzung. II. Apostolisches, Apokalypsen und Verwandtes, Tübingen 51989, 193–243. – U. Schnelle, Paulus. Leben und Denken, Berlin/New York 2003. – A. Schweitzer, Die Mystik des Apostels Paulus, in: ders., Gesammelte Werke in fünf Bänden. Bd. 4, München 1974, 15–510. – Ders., Geschichte der Paulinischen Forschung von der Reformation bis auf die Gegenwart. Hildesheim 2004 (Nachdr. d. Ausg. Tübingen 1911). – K. Stendahl, Paul among Jews and Gentiles and other Essays, Philadelphia (1976) 21978. – G. Theißen, Die Bekehrung des Paulus und seine Entwicklung vom Fundamentalisten zum Universalisten, in: EvTh 70 (2010), 10–25. – G. Wenz, Old Perspectives on Paul. Epilegomena zum sog. Paulusjahr, in: KuD 56 (2010), 121–164; 225–255. – U. Wilckens, Rechtfertigung als Freiheit. Paulusstudien, Neukirchen-Vluyn 1974. – Th. Witulski, Die Adressaten des Galaterbriefes. Untersuchungen zur Gemeinde von Antiochia ad Pisidiam, Göttingen 2000. – W. Wrede, Paulus, Halle 1904.

Wie der Apostel Paulus in Wirklichkeit ausgesehen hat, wissen wir nicht; denn die in den apokryphen Paulusakten gegebene Beschreibung seiner äußeren Erscheinung ist eindeutig fiktiver Natur: „klein von Gestalt, mit Antiochenischer Konflikt

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kahlem Kopf und krummen Beinen, in edler Haltung mit zusammengewachsenen Augenbrauen und ein klein wenig hervortretender Nase, voller Freundlichkeit ...“ (Schneemelcher, 216). Da stellt der Dürer’sche Paulus von seiner Statur her eindeutig mehr dar. Unter den sog. Vier Aposteln in der Münchener Alten Pinakothek ist der Mann aus Tarsus neben Johannes die eindeutig bestimmende Figur. Auf das Schwert des Wortes Gottes gestützt und vom kühlen Weiß seiner majestätischen Gewandung umhüllt, beherrscht er die Szene und fixiert, wie die Kunsthistoriker es ausdrücken, mit dem herbstlich-melancholischen Blick des reifen Mannes den Betrachter. Markus ist ebenso in den Hintergrund gerückt wie der das Schlüsselamt verwaltende Petrus, dem Johannes – er trägt erkenntlich die Gesichtszüge Philipp Melanchthons – das geöffnete Bibelbuch mit den Anfangszeilen des Vierten Evangeliums vor Augen hält: „Am Anfang war das Wort.“ Nicht die formale Autorität von Personen, so Dürers reformatorische Botschaft, sondern der Inhalt ihrer Verkündigung zählt. Den biblischen Beleg hierfür erbringt u.a. ein denkwürdiger Streit zwischen den Apostelfürsten Petrus und Paulus, wie er sich Ende der 40er Jahre des 1. Jahrhunderts n.Chr. zugetragen hat: „Als Kephas aber nach Antiochia gekommen war“, schreibt Paulus im Brief an die Galater im 2. Kapitel, „bin ich ihm offen entgegengetreten“ – deutlicher noch: „widerstand ich ihm ins Angesicht“ – , „weil er sich ins Unrecht gesetzt hatte.“ Was war geschehen? Im antiken Antiochia am Orontes, der nach Rom und Alexandria und noch vor Ephesus drittgrößten Stadt im damaligen römischen Reich, entstand eine der ersten mehrheitlich heidenchristlichen Gemeinden der Alten Kirche. Paulus war an ihrem Aufbau nicht unmaßgeblich beteiligt. Entscheidend für das Verhältnis der Heidenchristen zu den auf Jerusalem zentrierten judenchristlichen „Hebraisten“ war das Problem der Verbindlichkeit der Tora, des mosaischen Gesetzes. Müssen Heidenchristen nach jüdischer Vorschrift beschnitten werden?, so lautete eine der theologischen Zentralfragen. Paulus verneinte sie dezidiert, und auch Petrus schien dem beizupflichten. Bei einem Besuch in Antiochia jedenfalls pflegte er anfangs uneingeschränkte Tischgemeinschaft mit seinen heidenchristlichen Brüdern und Schwestern. Dann allerdings erfolgte ein Rückzug: Nach Ankunft von Leuten aus dem Jerusalemer Kreis um den Herrenbruder Jakobus trennte sich Kephas von den Gesetzesfreien aus Angst vor den Beschnittenen, also vor den torafrommen Jerusalemer Judenchristen. Ebenso verhielten sich auch andere Judenchristen; selbst Barnabas, enger Mitarbeiter des Paulus und einer der führenden Köpfe der antiochenischen Gemeinde, ließ sich anscheinend dazu verleiten, die Gemeinschaft mit den Heidenchristen aufzukündigen, die sich nicht an das jüdische Gesetz gebunden wussten. Angesichts dieser Situation, in der er nichts anderes als Verrat an der Wahrheit des Evangeliums zu erkennen vermochte, trat Paulus nach eigenen Worten in aller Öffentlichkeit Petrus entgegen und sprach zu ihm: „Wenn du als Jude nach Art der Heiden und nicht nach Art der Juden lebst, wie kannst du dann die Heiden zwingen, wie Juden zu leben?“ (Gal 2,14b) Den Kontext dieser rhetorischen Frage bildet die Einsicht, dass in Jesus Christus, wie offenbar auch Petrus erkannt, aber

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wider besseres Glaubenswissen verleugnet hatte, die Differenz zwischen Juden und Heiden grundsätzlich aufgehoben ist, weil der Mensch nicht durch Werke des Gesetzes gerecht wird, sondern nur durch den Glauben an den auferstandenen Gekreuzigten und sein Evangelium von der Rechtfertigung des Sünders aus Gnade allein. Sola gratia, sola fide: mit dieser Botschaft wurde Paulus zum Weltmissionar und zum Kronzeugen evangelischen Christentums, dessen ökumenische Sendung er verbürgt. Paulus ist für das neutestamentliche Missionsverständnis (vgl. Hahn) und die Ausbreitung des Christentums in den ersten Jahrhunderten (vgl. v. Harnack) von grundlegender Bedeutung, wobei die Heidenmisssion heilsgeschichtlichen Vorrang geniesst: „denn sie bildet die Voraussetzung für die Rettung Israels bei der Parusie.“ (Hengel, 134) Als Stützpunkte seiner Missionstätigkeit dienten dem Apostel die Hauptstädte der Provinzen, von denen aus er operierte. Er nutzte die weitverzweigten Verkehrswege des römischen Reiches und entwickelte mit seinen gemeindeleitenden Briefen eine neue und richtungsweisende Kommunikationsform, die an die im Judentum zum Teil (vgl. 2. Makk 1–2) gepflegte „Briefseelsorge“ anschloss und in den deuteropaulinischen und katholischen Briefen ihre Fortsetzung fand und nach Paulus besonders intensiv von Ignatius geübt wurde. Durch seine Sendung hat Paulus das Judentum, dem er entstammte und bleibend zugehörte, über sich selbst hinausgeführt und zu einer weltumgreifenden Form der Gottesverehrung gemacht: Wer Gott fürchtet und seinem Messias, dem auferstandenen Gekreuzigten, vertraut, kommt zum vollen Heil, ohne sich beschneiden zu lassen. Unter den urchristlichen Zeugnissen von Leben und Werk des Apostels Paulus kommt seinen Briefen die eindeutige Vorrangstellung zu. Ihr Stil ist geprägt von antiker Epistolographie und griechischer Schulrhetorik. Häufig spricht man von Diatribenstil, um auf alltagssprachliche und dialogische Tendenzen sowie auf die Neigung zu exemplarischer Argumentation, auf Zitatenreichtum und den lebhaften Ton der Ausführungen aufmerksam zu machen. Der Aufbau der paulinischen Briefe folgt in der Regel einem festen Schema: Präskript, Proömium, Corpus und Briefschluss. Gleichwohl handelt es sich bei den Briefen nicht um literarische Episteln, sondern um aktuelle Gelegenheitsschriften. Eine Sonderstellung in der paulinischen Korrespondenz nimmt der Römerbrief ein, der als theTheologisches Testament ologisches Testament des Paulus angesehen werden darf. Er ist aufgrund seiner Entstehungssituation weniger als andere Briefe von speziellen Anfragen und Problemen der Gemeinde bestimmt und daher stärker systematisch strukturiert. Freilich bestimmt auch ihn eine Fülle von aktuellen Faktoren, wie etwa der Wunsch des Paulus, Missionsunterstützung zu bekommen, aktuelle Spannungen innerhalb der römischen Gemeinde sowie die Rechenschaftsabsicht gegenüber judenchristlichen Anfragen. Am Ende des Briefeingangs wird der Zentralgehalt der paulinischen Verkündigung bereits bündig ausgesprochen: „Ich schäme mich des Evangeliums nicht“, bekennt der Apostel, „es ist eine

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Kraft Gottes, die den rettet, der glaubt, zuerst den Juden, aber ebenso den Griechen. Denn im Evangelium wird die Gerechtigkeit Gottes offenbart aus Glauben zum Glauben, wie es in der Schrift heißt: Der aus Glauben Gerechte wird leben.“ (Röm 1,16f.) Nur am Rande sei auf die große Bedeutung verwiesen, welche dieser Text für die reformatorische Bewegung gewinnen sollte. Ein erster Hauptteil des Römerbriefs (1,18–3,20) handelt sodann von Gottes Zorn über Heiden und Juden, ein zweiter (3,21–8,39) von der aus Gnade durch Glauben um Christi willen geschenkten Gerechtigkeit. Nach einem Zwischenstück (9–11), das die Frage nach dem Schicksal Israels erörtert, werden die Folgen der zuvorkommenden Gnadengabe des Evangeliums für das Leben des Christen thematisiert, bis in Kapitel 16 diverse Grüße und Ermahnungen sowie ein abschließender Lobpreis Gottes dem Brief ein Ende setzen. Tritt im Brief an die Römer der systematische Gehalt paulinischer Theologie besonders deutlich zutage, so sind in biographischer Hinsicht vor allem die beiden ersten Kapitel des Galaterbriefs aufschlussreich. Paulus berichtet dort von seiner Berufung ins Apostelamt, von seinen vormaligen Aktivitäten als gesetzestreuer Jude, der die Kirche verfolgte und zu vernichten suchte, sowie von der Zeit nach seiner Bekehrung bzw. Berufung. Dabei geht es vor allem um die beiden Jerusalembesuche, deren erster drei Jahre nach der damaszenischen Lebenswende erfolgte und eine Begegnung mit Petrus und dem Herrenbruder Jakobus erbrachte. Viele Jahre später reiste Paulus in Begleitung von Barnabas und Titus erneut nach Jerusalem, wo ein „Apostelkonvent“ u.a. zu dem Ergebnis führte, Petrus sei der Aposteldienst unter den Beschnittenen, Paulus derjenige unter den Unbeschnittenen, also unter den Heiden anvertraut, die zum Toragehorsam der Beschneidung weder gezwungen werden sollen noch gezwungen werden dürfen, weil sie in Christus frei sind vom Gesetz. Nicht mehr, als der Armen zu gedenken, was zu tun sich Paulus nach eigenem Bekunden eifrig bemüht hat, sei ihm von den Jerusalemer „Säulen“ aufgetragen worden. Ob die Gründung galatischer Gemeinden bereits in die Frühphase paulinischer Mission gehört, also noch in die Zeit vor dem Apostelkonzil, ist in der Forschung umstritten und von der Entscheidung über die Adressatenschaft des Gal abhängig. „Während insbesondere die deutschsprachigen Exegeten den Gal in der Landschaft Galatien im Norden der römischen Provinz Galatia verorten (sog. nordgalatische oder Landschaftshypothese), halten die angelsächsischen Forscher die im Süden dieser Provinz gelegenen Gemeinden Antiochia ad Pisidiam, Ikonion, Lystra und Derbe, die im Rahmen der sog. ‚ersten‘ Missionsreise des Paulus (Apg 13f.) gegründet worden sind, für die Adressaten des Gal (sog. südgalatische oder Provinzhypothese ).“ (Witulski, 222; vgl. Breytenbach) Von diesem Streit bleibt die Tatsache unberührt, dass die Angaben in Gal 1 und 2 eindeutig den Vorzug verdienen vor den einschlägigen Berichten der Apostelgeschichte, wenngleich sie ihrerseits erhebliche Zeit nach den geschilderten Ereignissen aufgezeichnet wurden und durch den Bezug auf die galatische Situation mitgeprägt sind. Insgesamt kommt die Apostelgeschichte des Lukas für die Vita Pauli lediglich als Sekundärquelle bzw.

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eine Quelle von geringerem Wert als die Paulinen in Frage. Die historische Zuverlässigkeit ihrer Angaben ist im Einzelnen begrenzt, was umsomehr für die sog. Paulusakte und andere apokryphe Schriften gilt. Auch die theologische Beurteilung des Paulus in den Acta apostolorum ist mit Vorsicht zu genießen: „Der lukanische Paulus bleibt bis zu seinem Ende gesetzesfrommer, gläubiger Pharisäer; der wirkliche Paulus gab um Christi willen das Gesetz als Heilsweg preis.“ (Bornkamm, 47) Wenn den lukanischen Acta, die an keiner Stelle Kenntnisse der paulinischen Briefe verraten, Quellenwert zukommt, dann vor allem wegen der reisetagebuchähnlichen Kurznotizen, welche die Benutzung eines vorliegenden Itinerars vermuten lassen. Von erheblicher historischer Wichtigkeit ist ferner der Hinweis in Apg 18,12ff. auf die Begegnung von Paulus mit Lucius Junius Gallio vor dem Gericht in Korinth. Gallio, ein älterer Bruder des Philosophen Seneca und wie dieser unter Nero in den sog. Freitod getrieben, war zur Zeit des Kaisers Claudius Statthalter in Achaja. Sein Prokonsulat ist durch die sog. Gallio-Inschrift bezeugt, einen an die Stadt Delphi gerichteten, in Stein gehauenen und fragmentarisch erhalten gebliebenen kaiserlichen Erlass. Die Statthalterschaft des Gallio lässt sich aufgrund dieses Zeugnisses verhältnismäßig sicher auf die Zeit vom Frühjahr 51 bis zum Frühjahr 52 datieren. Damit ist zumindest ein ungefährer Fixpunkt der Vita Pauli gegeben, in Bezug auf den sich sonstige Daten aus dem Leben des Paulus chronologisch gruppieren lassen, wobei die beiden ersten Kapitel des Galaterbriefes im Verein mit den Aussagen über die sog. Kollektenreise in 1. und 2. Kor, Gal und Röm als biographisches Grundgerüst dienen können. Folgende, eingangs z.T. schon erwähnte chronoChronologische logische Rahmendaten lassen sich wahrscheinRahmendaten lich machen: Anfang der 30er Jahre wird der vormalige Christenverfolger Paulus bekehrt. Nach Missionstätigkeit in der Arabia erfolgt 34/35 ein erster zweiwöchiger Jerusalembesuch bei Petrus. Missionarische Tätigkeiten in Nordsyrien und Kilikien schließen sich an. Ab 36/37 weilt Paulus in Antiochia bzw. war als antiochenischer Gemeindemissionar tätig. 48/49 findet in Jerusalem der sog. Apostelkonvent statt. Der antiochenische Konflikt mit Petrus gehört in diesen Zusammenhang, wobei die genaue Datierung in der Forschung strittig ist; wahrscheinlich hat er kurz nach dem Apostelkonzil stattgefunden. Im Jahr 49 verläßt Paulus Antiochia, um seine erste selbständige Missionsreise über Galatien, Philippi und Thessaloniki nach Korinth anzutreten. Der Gründungsbesuch in Korinth währt wahrscheinlich von 50–52. Der Aufenthalt in Ephesus und der Asia schließt sich wohl in den Jahren 52–55 an. In diese Zeit fällt eine zweite Visite in Galatien sowie die Auseinandersetzung mit den Korinthern, die Paulus im Jahre 54 kurzfristig besucht. 55/56 reist Paulus von Ephesus über Troas und Mazedonien nach Korinth, wo er ca. drei Monate weilt und u.a. den Römerbrief schreibt. Den Anfang vom irdischen Ende des Paulus markiert die Kollektenreise nach Jerusalem 56/57. Paulus wird gefangengenommen und Ende der 50er Jahre als Gefangener nach Rom transportiert. Anfang der 60er Jahre erleidet er dort den

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Märtyrertod. (Vgl. Becker, 32 sowie – mit kleineren Abweichungen – Bornkamm, 10) Die entscheidende Wende im Leben des Paulus markiert das sog. Damaskuserlebnis zu Beginn der 30er Jahre. Über die Zeit vor seiner Bekehrung lässt sich biographisch nur wenig in Erfahrung bringen. Einschlägig sind die Texte 1. Kor 15,9; 2. Kor 11,22; Gal 1,13f.; Phil 3,5f.; Röm 9,3f. Als Sproß einer Familie, die sich dem Stamme Benjamin zugehörig wusste, im kilikischen Tarsus in den letzten Jahren der Herrschaft des Augustus (vgl. Becker, 33), nach anderer Einschätzung bereits früher (vgl. Bornkamm, 27) geboren, wuchs Paulus im hellenistisch-jüdischen Milieu seiner „nicht unbedeutenden“ (Apg 21,39) Geburtsstadt auf, in seiner Bildung von hellenistischer Kultur im Allgemeinen und von der Tradition der jüdischen Bibel, die er in der griechischen Fassung der Septuaginta benutzte, im Besonderen bestimmt. Neben des Griechischen war er des Aramäischen, möglicherweise auch des Hebräischen kundig. Wahrscheinlich im Besitz des reichsrömischen Bürgerrechts und beruflich im leinenverarbeitenden Gewerbe tätig, stand Paulus „vielleicht schon einer Tradition seiner Familie folgend“ (Bornkamm, 34) religiös auf Seiten der pharisäischen Partei. Als gesetzesstrenger Pharisäer der hellenistischen Diaspora, der gemäß Apg 22,3; 26,5 seine Erziehung in Jerusalem bei dem großen zeitgenössischen Rabbinen der Hillelschule, Gamaliel I., erhalten haben soll, war er entschieden darum bemüht, die Tora als die alleinige Lebensnorm für das ganze Volk Israel, dem er sich zugehörig wusste, zu erfüllen. Paulus war, wie er rückblickend zutreffend bekundet, ein leidenschaftlicher Eiferer für das Gesetz. Von der Erfüllung der Tora als dem Inbegriff göttlichen Willens und göttlicher Weisheit und von ihr allein erwartete er das Heil der zukünftigen Welt, die der Pharisäismus im Verein mit der frühjüdischen Apokalyptik nahe herbeigekommen sah. Dabei gehörte die peinliche Befolgung der Reinheitsgebote konstitutiv zur pharisäischen Torafrömmigkeit, weil nur durch rituelle Heiligung des Alltags die Identität des Bundesvolkes gegenüber der heidnischen Umwelt aufrecht erhalten werden konnte. Zu verweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf einen vom Synkretismus deutlich abgegrenzten, im Übrigen auch für viele Pagane attraktiven Monotheismus sowie auf einen Erwählungsglauben, für welchen der Gegensatz von Israel und Heidenwelt kennzeichnend war. Im Vergleich zu dieser Grundprägung fallen die Einflüsse des Hellenismus naturgemäß weniger ins Gewicht. Dennoch darf die Bedeutung hellenistischer Allgemeinbildung für die Entwicklung von Paulus nicht zu gering veranschlagt werden. Auch wenn er keine speziellen Kenntnisse antiker Philosophie und Dichtung verrät, ist sein Koinegriechisch sehr gut, sein Briefstil bemerkenswert und rhetorisch in hohem Maße versiert. Nicht nur in geographischer Hinsicht ist die Welt des Paulus diejenige des mediterranen Hellenismus mit Rom als politischem Weltmittelpunkt. In ihrem Kontext hat er sich nach seiner Berufung als Apostel der Völker bewegt. Das traditionelle christliche Bewusstsein von der Berufung des Paulus ist weder durch 1. Tim 1,12–16 noch auch durch die Selbstzeugnisse des Apostels insbesondere in 1. Kor 15,1–11, Gal 1,13–17 und Phil 3,2–14, sondern durch die Darstel-

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lung in Apg 9,1–22 (vgl. 22,3–21; 26,9–20) bestimmt. Deren legendarische Prägung ist allerdings unschwer zu erkennen. Historisch sicher ist lediglich die Lokaltradition „Damaskus“, der Hinweis auf die damaszenische Verfolgung als Hintergrund der Berufung sowie das Faktum der paulinischen Wende als solches. Die christliche Gemeinde an der damaszenischen Synagoge, die Paulus als ein Wortführer deizidiert antichristlichen Judentums auf wie auch immer geartete Weise verfolgt hat, dürfte sich aufgrund des Einflusses von Flüchtlingen aus dem Kreise um Stephanus nach dessen Jerusalemer Martyrium gebildet haben. Der Grund des gewaltsamen Todes von Stephanus und der anschließenden Flucht seiner Anhänger ist in einer ostentativ kritischen Haltung zur Tora zu suchen. Diese Haltung wird auch die Mission der „Hellenisten“ in Damaskus sowie in den Gebieten Phönikiens, Zyperns und Antiochias bestimmt haben, welche in Apg 11,19 eigens benannt sind. Die daraufhin in der damaszenischen Synagoge erfolgte Bildung einer durch Gesetzeskritik und tendenzielle Auflösung der Grenzen zwischen Israel und den Nichtisrealiten charakterisierten Sondergemeinde musste zwangsläufig den Zorn eines gesetzesstrengen Pharisäers wie Paulus auf sich ziehen. Es bedurfte einer grundstürzenden Kehre, um aus dem Verfolger der Damaszener Christengemeinde einen Nachfolger Jesu Christi und berufenen Apostel des Evangeliums des auferstandenen Gekreuzigten für die Völker werden zu lassen. Die Kehre im Leben des Paulus hat sich seinem Selbstzeugnis zufolge in der Weise eines visionäDamaszenische Kehre ren Widerfahrnisses ereignet: „Er hat den ‚Herrn gesehen‘ (1. Kor 9,1; vgl. Joh 20,18.25; Apg 9,27), Christus ist ihm ‚erschienen‘ (1. Kor 15,8; vgl. 15,5–7; Lk 24,34; Apg 9,17; 13,31; 26,16) und Gott ‚offenbarte‘ ihm seinen Sohn (Gal 1,16; vgl. 2. Kor 12,1.7; Gal 1,12; 2,2; ApkJoh 1,1; Mt 16,17).“ (Becker, 77) In der Konsequenz dieser Lebenswende, die er in Phil 3,2–16 und 2. Kor 4,6 als ein generelles Paradigma der Christwerdung deuten konnte, wurde Paulus zum Missionsapostel gesetzesfreien Evangeliums für die Heiden und zum Theologen der Rechtfertigung des Sünders aus Gnade um Christi willen durch Glauben und nicht durch die Werke des Gesetzes. Die Jesustradition ist zwar implizite, jedoch kaum explizierte (vgl. aber 1. Kor 7, Röm 12 etc.) Voraussetzung der paulinischen Theologie, wie sie in den Briefen dokumentiert ist; was Paulus im Einzelnen verkündigt hat, steht, wie die Abendmahlstradition in 1. Kor 11 dies belegt, auf einem anderen Blatt. Die Geschichte des Irdischen, den Paulus nicht direkt, wohl aber auf mittelbare Weise gekannt hat, wird in den Briefen auf ihren Grundsinn hin konzentriert, was entsprechende Reduktionen zur Folge hat, um im Übrigen als in der Wirklichkeit des auferstandenen Gekreuzigten aufgehoben und verherrlicht bezeugt zu werden. Auf die Erscheinung des auferstandenen Gekreuzigten, die ihn zum verspäteten zwar, aber nichtsdestoweniger vollwertigen Osterzeugen werden ließ, wusste er seine Autorität als Apostel gegründet, die ihm nicht als formale Autorität der Person, sondern als inhaltlich bestimmte Autorität des gesetzesfreien Evangeliums galt, zu dessen Verkündigung er sich berufen wusste. Zusätzlicher Autorisierungen

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bedurfte es nach seinem Urteil nicht. Deshalb zieht Paulus nach erfolgter Bekehrung keineswegs, wie man vielleicht vermuten möchte, sofort nach Jerusalem, um sich von den dortigen „Säulen“ der Urgemeinde bevollmächtigen zu lassen. Es vergehen drei Jahre bis zu einem ersten persönlichen Kurzbesuch bei Petrus und dann weit über ein Jahrzehnt, das mit selbständigem Wirken fernab von Jerusalem ausgefüllt war, bis Paulus sich zum Apostelkonvent begibt. Die Nachrichten aus dieser Anfangszeit, welche die Jahre, aus denen die paulinischen Briefe stammen, fast um das Dreifache übertrifft, sind leider äußerst spärlich. Eines ist gleichwohl unzweifelhaft: Die apostolische Vollmacht des Paulus gründet in der Gewissheit der österlichen Herrlichkeit des auferstandenen Gekreuzigten, der ihm vor den Toren von Damaskus erschien. Einer darüber hinausgehenden Autorisierung durch Jerusalemer Instanzen bedurfte, so war er überzeugt, sein Apostolat nicht. Um erneut auf Antiochia und die dortigen Vorgänge zurückzukommen, die eingangs erwähnt wurden, so hatte sich Paulus nach seinem Damaskuserlebnis und ersten missionarischen Aktivitäten in Nordsyrien und Kilikien auf Betreiben des Barnabas (vgl. Apg 11,25f ) für etwa zwölf Jahre in die Stadt am Orontes begeben. Aus dieser vergleichsweise sehr langen Zeit stammt zwar noch kein Brief des Paulus, da der Apostel erst als selbständiger Missionar literarisch tätig war. Doch theologisch hat er in den antiochenischen Jahren im Verein mit der dortigen Gemeinde, deren Anfänge mit dem Namen des Barnabas verbunden sind, bereits Wegweisendes geleistet, indem er eine Entwicklung beschleunigt vorantrieb, die auf den Auszug der christlichen Gemeinde aus dem jüdischen Synagogenverband und auf die Aufhebung der Grenzen zwischen Judentum und Heidentum auf der Basis einer allein auf das Evangelium Jesu Christi gegründeten gesetzesfreien Gemeinschaft hinauslief. Eine konsequent heidenchristlich orientierte Mission der antiochenischen „Christianer“ war eine folgerichtige Konsequenz dieser Entwicklung. Damit war die Grundsatzfrage gestellt, „ob sich das Christentum auch außerhalb der Synagoge ohne Vorgabe des Gesetzes, allein auf den Glauben an Christus gründen kann und solche Gemeinde in gleicher Weise anerkannt werde wie die judenchristliche Gemeinden innerhalb der Synagoge“ (Becker, 92). Um diese – durch Intervention gesetzesstrenger Judenchristen aus Judäa – möglicherweise in Antiochia selbst aufgebrochenen Frage ging es auf dem Jerusalemer Apostelkonvent von 48/49. Der Ablauf des Konvents, der „füglich als das wichtigste Ereignis in der Geschichte der Urkirche bezeichnet werden“ (Bornkamm, 52) darf, ist in Gal 2,1–10 und im 15. Kapitel der Apostelgeschichte geschildert. Dabei erweist sich erneut das paulinische Zeugnis als historisch zuverlässiger, wohingegen der Actabericht keinen vergleichbaren Quellenwert besitzt. Fest steht, dass die von Paulus so genannten „Säulen“ der Urkirche, Jakobus, Petrus und Johannes, die gesetzesfreie Verkündigung anerkannten. Die von Paulus und Barnabas betriebene antiochenische Mission sei ohne Beschneidungsforderung fortzuführen; den Jerusalemern sei weiterhin die Mission unter den Juden aufgegeben. Stimmen Gal und Apg soweit überein, so gehört die Apg 15,13–35 erwähnte Klausel des Jakobus,

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wonach den Heidenchristen das mosaische Verbot von Götzendienst, Unzucht sowie Genuß von Blut und nicht rituell geschlachtetem Fleisch zur Pflicht zu machen sei, nicht zu den Beschlüssen des Konvents. Das ist durch den paulinischen Bericht in Gal 2 eindeutig belegt. Vermutlich spiegelt das Aposteldekret eine auf ausgleichenden Kompromiss zwischen Juden- und Heidenchristen zielende Praxis wider, die Paulus so nicht nur nicht geteilt, sondern als die Klarheit des Evangeliums verdunkelnd abgelehnt hat. Unbeschadet der kompromisslos verteidigten Rechtmäßigkeit des gesetzesfreien Evangeliums wollte Paulus an der Einheit der geschichtlich begründeten Kirche aus Juden und Heiden dezidiert festhalten. Judenchristen galten ihm als gleichberechtigte Glieder am Leibe Christi. Bedarf es hierfür eines Beweises, so ist er durch die Konsequenz gegeben, mit der Paulus den Kollektenbeschluss des Apostelkonvents durchführte, den er im Unterschied zur Apostelgeschichte in Gal 2,10 eigens erwähnt. Bei dieser Kollekte handelt es sich nicht lediglich um eine materielle Hilfeleistung heidenchristlicher Gemeinden für die Jerusalemer Urgemeinde: „Die Opfer der heidenchristlichen Gemeinden, auch wenn sie zugleich materielle Not lindern sollten, waren für die Jerusalemer Urgemeinde im ganzen bestimmt um der geschichtlich-heilsgeschichtlichen Stellung willen, die ihr unbestritten blieb; ein Ausdruck des Dankes für die Segnungen, die von ihr in die Welt ausgegangen waren (Röm 15,27).“ (Bornkamm, 61) Solch vorbehaltlos anzuerkennende Dankespflicht hinderte Paulus indes nicht, in die Auseinandersetzung mit den Jerusalemer „Säulen“ einzutreten, wenn er dies für sachlich geboten und unumgänglich hielt. Das belegt der erwähnte antiochenische Konflikt. Auch wenn der Streit damals, wofür der Abschied von Antiochia spricht, für ihn ungünstig ausgegangen sein mag: Paulus hat, als es darauf ankam, in der strittigen und nach seinem Urteil heilsentscheidenden Angelegenheit Petrus ins Angesicht widerstanden und seine Position durch die umgehende Aufnahme selbständiger Missionstätigkeit im Weltmaßstab unterstrichen. Das missionarische Wirken von Paulus datiert seit jener Wende, die der Apostel „im GalaterMissionarisches Wirken brief als Berufung, im Philipperbrief als Bekehrung“ (Theißen, 10) darstellt. Doch verrät seine Missionstätigkeit in der Arabia, in Syrien, Kilikien, Antiochia, Zypern und im südlichen Kleinasien „zunächst noch nichts von einer weltweiten Ausrichtung seiner Pläne“ (Bornkamm, 69). Sie tritt erst nach dem Abschied von Antiochia zutage, der Paulus um die Jahrhundertmitte in Begleitung von Silas quer durch Kleinasien nach Troas und von dort erstmals auf europäischem Boden nach Makedonien und Griechenland führte. In zwei bis drei Jahren entstehen die christlichen Gemeinden in Galatien, Philippi (vgl. Bornkamm, 78f.), Thessaloniki (vgl. Bornkamm, 79ff.) und Korinth (vgl. Bornkamm, 85ff.), das Paulus über Athen (vgl. Bornkamm 83ff.) erreicht, um ca. achtzehn Monate (vgl. Apg 18,11) zu verweilen. In die Korinther Zeit, die wahrscheinlich vom Herbst 50 bis Frühjahr 52 oder vielleicht auch ein Jahr früher zu datieren ist und zahlenmäßig erhebliche, in die Dutzende reichende Missionserfolge (vgl. Be-

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cker, 156) aufzuweisen hat, fällt neben die erwähnte Anklage vor Gallio, dem römischen Prokurator der Provinz Achaja, die Abfassung des 1. Thess als des ersten uns erhaltenen Paulusbriefes und ältesten Zeugnisses des Neuen Testament überhaupt. Kennzeichnend ist die durch den Tod etlicher Gemeindeglieder nicht einzutrübende gespannte und freudige Erwartung der endzeitlichen Parusie des Herrn. Es folgen drei Jahre in Ephesus, wohin sich Paulus in Begleitung von Silas und Timotheus sowie des Ehepaares Priska und Aquila begibt. Die herausragende Bedeutung der viertgrößten Metropole des Reichs, die mit dem unweit gelegenen Artemision eines der sieben Weltwunder ihr eigen nannte, für die Antike im Allgemeinen und für das antike Christentum im Besonderen kann hier ebenso wenig gewürdigt werden wie die Ereignisfülle während des paulinischen Aufenthalts (vgl. Becker, 172f.), der heftige Konflikte mit der Polis erbrachte, denen sich Paulus zum Schluss nur durch fluchtartigen Aufbruch nach Troas und Makedonien entziehen konnte. Eigens erwähnt seien neben den Missionsaktivitäten in der Asia, in Galatien und anderwärts sowie der Onesimusepisode samt Philemonbrief und dem aus der Haft gegen Ende des Aufenthalts nach Philippi gesandten sog. „Gefangenenschaftsbriefs“ (Phil 1,1–3,1; 4,1–7.10–23) lediglich die vorhergegangenen brieflichen Interventionen in Korinth. Zu nennen sind neben einem verlorenen Vorbrief der 1. Kor aus dem Frühjahr 54, ein im Sommer desselben Jahres aufgrund der von Timotheus berichteten Vorgänge nachgereichter weiterer Brief, der 2. Kor 2,14– 7,4 erhalten ist, sowie der sehr bald nach dem erfolglosen persönlichen Zwischenbesuch verfasste sog. Tränenbrief 2. Kor 10–13, den Titus im Spätherbst 54 überbrachte. Dieser Brief scheint seine Wirkung nicht verfehlt zu haben, wie ein in großen Teilen im 2. Kor 1,1–2,14 und 7,5–16 vorliegender sog. Versöhnungsbrief beweist. Allerdings darf nicht verschwiegen werden, dass die von Bornkamm vorgetragene Briefteilungshypothese unsicher und mit manchen Schwierigkeiten belastet ist. Der bei einem letzten ca. dreimonatigen Aufenthalt in Korinth im Winter 55/56 geschriebene Römerbrief, der als Testament des Paulus zu bezeichnen ist, verrät nichts mehr von einstigen korinthischen Kämpfen. Wie er von Korinth aus den Römern bekundet, sieht der Apostel sein Missionswerk in der östlichen Reichshälfte als abgeschlossen an (Röm 15,19). „Er würde in diesem Augenblick gern unmittelbar die Reise nach Rom und darüber hinaus nach Spanien (Röm 15,24.28) antreten, muß aber zuvor die in seinen Gemeinden in Kleinasien, Macedonien und Griechenland gesammelte Kollekte nach Jerusalem bringen.“ (Bornkamm, 105) Die Jerusalemreise, die in Form der Kollektenüberbringung der Demonstration der Einheit der Kirche aus Juden und Heiden dienen sollte, führte Paulus in die Gefangenschaft, an deren Ende das Martyrium in Rom stehen sollte. Während sich Lukas über die von Paulus mit großer Energie veranstaltete Kollektensammlung und ihre schließliche Verwendung ausschweigt, berichtet er glaubwürdig, dass Paulus „die Teilnahme an der kultischen Zeremonie, die den aus dem heidnischen Ausland kommenden Paulus über eine Woche zu vorgeschriebenen Reinigungsriten im Tempel verpflichtete, zum Verhängnis wurde. Diasporajuden, die ihn kannten, begegneten ihm dort, bezichtigten ihn

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fälschlich, er habe einen Nichtjuden aus seiner Begleitung, Trophimus aus Ephesus, mit in den Tempel gebracht, und erregten wegen dieses angeblichen, sogar von den Römern respektierten Sakrilegs, auf dem die Todesstrafe stand, einen solchen Tumult gegen ihn, daß die römische Wache eingriff und ihn in Schutzhaft nahm, um ihn der Lynchjustiz des jüdischen Pöbels zu entziehen (Act 21,27–36). Seitdem ist Paulus Gefangener der Römer, und zwar sehr bald nicht mehr nur Schutzhäftling, sondern Untersuchungsgefangener.“ (Bornkamm, 114f.) Die weiteren Ereignisse von der Zeit der Gefangenschaft in Jerusalem und Caesarea bis zur Überführung nach Rom und dem dortigen Märtyrertod des Apostels bleiben historisch im Dunkeln, weil von Paulus selbst nichts in Erfahrung zu bringen und der einschlägige Bericht der Apg durchweg legendarisch gefärbt ist. Die Hinrichtung des Völkerapostels wird zu Beginn der 60er Jahre unter Nero erfolgt sein. Im dritten Kapitel des 2. Petrusbriefes ruft der New and Old Perspectives uns unbekannte Autor des jüngsten Schreibens on Paul des Neuen Testaments die christliche Gemeinde zur Ausdauer im Glauben auf und ermahnt sie zur Geduld. „Dies hat euch auch unser geliebter Bruder Paulus mit der ihm geschenkten Weisheit geschrieben; es steht in allen seinen Briefen, in denen er davon spricht. In ihnen ist manches schwer zu verstehen, und die Unwissenden, die noch nicht gefestigt sind, verdrehen diese Stellen ebenso wie die übrigen Schriften zu ihrem eigenen Verderben.“ (2. Petr. 3,15f.) Die Interpretationen der Briefe des Apostels Paulus und seiner Mission bereiteten innerhalb der frühen Christenheit nicht nur erhebliche Probleme, sondern fielen nicht selten auch höchst kontrovers aus. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Die Paulusexegese namentlich reformatorischer Provenienz fand die Mitte der Theologie des Apostels traditionellerweise durch das Evangelium von der Rechtfertigung des Sünders aus göttlicher Gnade um Christi willen durch Glauben bestimmt. Gegen diesen Ansatz wandte sich vor geraumer Zeit eine vor allem im angelsächsischen Raum verbreitete, aber keineswegs auf ihn beschränkte Forschungsrichtung, die üblicherweise mit der Wendung „The New Perspective on Paul“ bezeichnet wird. Ihr Hauptinitiator wurde neben K. Stendhal, der bereits Anfang der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts der Rechtfertigungslehre ihre Stellung als zentraler Topos paulinischer Soteriologie bestritten hatte (vgl. Stendhal), E. P. Sanders mit seinem Werk „Paul and Palestinian Judaism“ von 1977 (vgl. Sanders). Wie Stendhal hält Sanders die Lehre von der Rechtfertigung aus Glauben für eine ausschließlich zum historischen Zweck der Heidenmission und ihrer Legitimierung ausgebildete Theorie, die für das Judentum und die Gesetzesfrage keine grundsätzliche Bedeutung habe. Der Christusglauben namentlich des Apostels Paulus sei von der jüdischen Religion weniger durch einen theologischen Prinzipienkonflikt in Bezug auf das Verhältnis von Gnade und Gerechtigkeit Gottes als durch die Tatsache geschieden, dass mittels des Glaubens an Christus allen Menschen – ob Juden oder Heiden – der Zugang zu Gott erschlossen sei. Wer im Glauben an Christus teilhabe, partizipiere zugleich an der göttlichen Erwählung und

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am eschatologischen Heil, das die apokalyptische Tradition erwarte, welche für das frühe Christentum wie für das Judentum des Zweiten Tempels gleichermaßen bestimmend gewesen sei. Modifizierend fortgeführt hat den Ansatz Sanders D. G. Dunn, der die Wendung „The New Perspective on Paul“ 1982 forschungsgeschichtlich geprägt und als gegenwärtig wichtigster Vertreter dieser Richtung zu gelten hat. Weit davon entfernt, so Dunn, die Geltung der Tora für die Heiden und die christliche Verbindlichkeit des jüdischen Gesetzes grundsätzlich zu bestreiten, habe der Völkerapostel die Bedeutung der in der jüdischen Religion offenbaren Gottesgerechtigkeit gerade dadurch ins rechte Licht gesetzt, dass er die Funktion gesetzlicher Bestimmungen, als grenzsetzende Identitätsmarker zu fungieren, behoben und damit die Universalität des göttlichen Gesetzes habe hervortreten lassen. Auch wenn sich inzwischen die Stimmen mehren, die für „a Post-‚New Perspective‘ Perspective“ (vgl. Byrne) plädieren, gibt es bleibende Verdienste der sog. neuen Paulusperspektive, die nicht gering zu schätzen sind. Indem sie den historischen Aspekt des Verhältnisses der im Entstehen begriffenen christlichen Gemeinde zur jüdischen Gemeinschaft ins Zentrum rückte, erschloss sie zweifellos Horizonte, die über manche Schranken üblich gewordener Paulusdeutung hinausweisen. Das größte und wichtigste Verdienst dürfte in der Korrektur eines Bildes vom Judentum bestehen, das lediglich als dunkles Kontrastmittel dazu diente, den Paulinismus und mit ihm das Christentum als strahlenden Neubeginn erscheinen zu lassen. James Dunn hat Recht: „There can surely be no possibility of scholarship in the Christian tradition going back to the old portrayal of Judaism, either now or in the first century, as an arid, sterile and narrowly legalistic religion.“ (Dunn, New Perspective, 87) Die etikettisierende Beschreibung des Frühjudentums als einer „gesetzlichen“ Religion der Werk-, um nicht zu sagen: Selbstgerechtigkeit darf als erledigt gelten. Erfreulicherweise wird die Komplexität und innere Differenziertheit frühjüdischer Religiosität inzwischen deutlicher wahrgenommen als in vormaligen Zeiten. Sorgsam zu beachten ist fernerhin die missionspraktische Ausrichtung paulinischer Theologie. Paulus ist es nicht darum zu tun, die jüdische Religion auf zeitlose Wesensmerkmale zu fixieren und sie abstrakt zu kritisieren. Seine Polemik richtet sich nicht gegen das Judentum, was immer dies im Einzelnen sei, sondern in einer konkreten Situation gegen konkrete Fronten in erster Linie judenchristlicher Gegner, welche die Legitimität seiner Missionspraxis bestreiten. Dies durch den Versuch einer konsequenten Historisierung paulinischer Theologie deutlicher zu Bewusstsein gebracht zu haben, als dies vormals gelegentlich der Fall war, ist ein unbestreitbares Verdienst der neuen Forschungsperspektive. Selbst der z.T. abenteuerlichen, weil auf mangelhafter Kenntnis beruhenden Polemik gegen die reformatorische Paulusrezeption wird man ein Wahrheitsmoment insofern nicht bestreiten können, als die Lehre Luthers selbstverständlich nicht unmittelbar mit derjenigen des Paulus gleichgesetzt werden kann, da der Reformator Probleme seiner Zeit in die Paulusauslegung eingebracht hat, die nicht im historischen Horizont des Apostels lagen.

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Richtig an der neuen Paulusforschungsperspektive ist sicher auch der kritische Aspekt, dass die paulinische Rechtfertigungslehre nicht aus dem Gesamtzusammenhang der Theologie des Apostels isoliert, nicht zum doktrinären Axiom verfestigt, nicht in einem antieffektiven Sinn bloß forensisch aufgefasst und nicht gegen ethische Verbindlichkeit sowie das gebotene Tun guter Werke ausgespielt werden darf. Um Fehlbestimmungen dieser Art zu vermeiden, heben Dunn und Sanders mit besonderem Nachdruck den Gedanken eschatologischer Christusgemeinschaft hervor, der für die paulinische Gesamttheologie – systematisch und von seiner historischen Missionssituation her geurteilt – schlechterdings zentral sei. Dieser Interpretationsansatz ist hilfreich und das umso mehr, als seine heilsgeschichtliche Fassung im Sinne der durch Christi Leben, Tod und Auferstehung eröffneten Einbeziehung der Heiden in das Gottesvolk Engführungen nach Art einer lediglich individualistischen Anthropologie und Soteriologie abwehrt. Die Theologie des Paulus ist durchweg eschatologisch ausgerichtet, und dem Gedanken der Christuspartizipation des Glaubens kommt in ihr eine theoretische und praktische Schlüsselfunktion zu. Dies haben im Übrigen schon William Wrede und namentlich Albert Schweitzer erkannt, auf die sich die Repräsentanten der „New Perspective on Paul“ gerne berufen. Nach Maßgabe von Wredes 1904 erschienenen Paulusbuch steht im Zentrum der Soteriologie des Apostels, welche ihm als der eigentliche Gründer des Christentums gilt, der Gedanke einer nicht auf individuelle Rechtfertigung vor Gott beschränkte, sondern den ganzen Kosmos umfassenden eschatologischen Christusteilhabe. Auch nach Schweitzer ist die paulinische Heilslehre kosmisch-geschichtlich auf die Endzeit ausgerichtet, wobei der Glaube in Form mystischer Vereinigung mit Christus jetzt schon an dessen göttlichem Reich partizipiert. Vorbereitet hat Schweitzer diese exegetische Auffassung durch seine „Geschichte der Paulinischen Forschung von der Reformation bis auf die Gegenwart“, die fünf Jahre nach Erscheinen der ungleich bekannteren Geschichte der Leben-Jesu-Forschung „Von Reimarus zu Wrede“ als deren Fortsetzung 1911 erstmals publiziert wurde; durchgeführt ist die Grundthese dann zwei Dezennien später in dem Werk über „Die Mystik des Apostels Paulus“ von 1929. Dort findet sich u.a. der Satz: „Die naturhafte Erlösungslehre der Mystik des Seins in Christo auf die Lehre von der Gerechtigkeit aus dem Glauben zurückzuführen, ist ... in jeder Hinsicht unmöglich.“ (Schweitzer, Mystik, 294) Wie den Vertretern der „New Perspective on Paul“ gilt Schweitzer die paulinische Lehre von der Gerechtigkeit aus Glauben lediglich als „ein Nebenkrater, der sich im Hauptkrater der Erlösungslehre der Mystik des Seins in Christo bildet“ (Schweitzer, 300). Bleibt zu fragen, ob der paulinische Gedanke eschatologischer Christuspartizipation denjenigen der Rechtfertigung aus Glauben tatsächlich marginalisiert. Bilden nicht Rechtfertigungsgeschehen und Christusteilhabe einen zwar differenzierten, aber doch untrennbaren Zusammenhang? Besteht daher nicht die interpretatorische Aufgabe wesentlich darin, den Partizipationsgedanken in ein angemessenes Verhältnis zum Rechtfertigungsmotiv zu setzen? Was die Tendenz zur Marginalisierung der paulinischen Rechtfertigungslehre betrifft, wie sie

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zumindest bei einigen Vertretern der neuen Paulusperspektive virulent ist, so sei einstweilen nur vermerkt, dass die Aussagen zu diesem Thema im Römer-, 2. Korinther-, Galater- und Philipperbrief einen nicht unerheblichen Raum einnehmen. Dies mag in einigen Fällen mit der konkreten Gemeindesituation zusammenhängen. Aber zumindest im Falle des Römerbriefs hat Paulus die Rechtfertigungsthematik durchaus in systematischer Absicht und unabhängig von bestimmten Streitigkeiten erörtert. Darauf verweist offenkundig schon die Formulierung des Leitthemas in Röm 1,16f. Namentlich den Taufaussagen in Röm 6 ist zudem ein evidenter Beleg für die Zusammengehörigkeit von Rechtfertigungsaussagen und Aussagen über das In-Christus-Sein der Glaubenden zu entnehmen. Entsprechendes gilt für Gal 2,16–20. Verständnisprobleme der besonderen Art, die Werke des Gesetzes und in der Diskussion um „The New Perspective“ Rechtfertigungsglaube eine wichtige Rolle spielen, gibt die in Gal 2,16 und Röm 3,28 begegnende Genitivverbindung erga nomou auf. Dass das Syntagma einen „Schlüsselbegriff“ (vgl. Schnelle) paulinischer Theologie dargestellt, steht außer Zweifel. Aber was ist unter „Works of the Law“ genau zu verstehen? Ist die herkömmliche Wiedergabe mit „Werke des Gesetzes“ überhaupt zutreffend oder nicht missverständlich bzw. irreführend? Von sachlicher Relevanz ist die Beantwortung dieser Frage nicht zuletzt deshalb, weil die Wendung häufig als Indikator für die christliche Einschätzung des Judentums gebraucht und mit Verdikten wie Gesetzlichkeit, Werk-, ja Selbstgerechtigkeit assoziiert wurde. Einem angeblichen jüdischen Legalismus konnte so umstandslos die christliche Gnadenreligion entgegengesetzt werden. Dass diese Sicht zu plakativen Verzeichnungen führt, die weder der einen noch der anderen Seite und am allerwenigsten der paulinischen Theologie gerecht werden, darf sowohl historisch als auch systematisch als ausgemacht gelten. Diese Feststellung nötigt zu Differenzierungen, darf aber nicht zum Anlass genommen werden, eine Karikatur durch eine andere oder durch ein Bild zu ersetzen, das Differenzen prinzipiell ausblendet und damit die Konfliktträchtigkeit der Beziehungen zwischen dem Judentum des Zweiten Tempels und dem werdenden Christentum historisch verkennt. Wenn Paulus die Überzeugung äußert, dass der Mensch gerecht wird durch den Glauben, unabhängig von den „Werken des Gesetzes“ (Röm 3,28), und wenn er hinzufügt, dass durch die „Werke des Gesetzes“ niemand gerecht wird (Gal 2,16), dann steht damit nicht weniger als das Verständnis der Gerechtigkeit Gottes selbst zur Disposition. Ist die Annahme theologisch rechtens, dass Gott durch den Glauben an das Evangelium Jesu Christi auch denjenigen rechtfertigt, welcher seiner im Gesetz offenbaren Gerechtigkeit nicht nur nicht entsprach, sondern durch Tun des Ungerechten manifest widersprach und zuwiderhandelte? Trifft es zu, wofür gute evangelische Gründe sprechen, dass der Ausdruck erga nomou bei Paulus weniger Handlungen als Regelungen des Gesetzes bezeichnet und die besagten Regelungen nicht nur Spezialobservanzen wie Ritual- und Zeremonialbestimmungen etc., sondern den Zentralgehalt der Tora betreffen, von deren Allgemeinverbindlichkeit das

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zeitgenössische Judentum nicht ohne Grund überzeugt war, dann ist die paulinische Rechtfertigungslehre nicht nur „gegen das Vertrauen auf menschliche Leistung oder gegen Ausrichtung auf ‚identity‘ bzw. ‚boundary markers‘“ (Bachmann [Hg.], 80), sondern gegen dasjenige gerichtet, was unter jüdischen, aber keineswegs nur unter jüdischen Bedingungen, sondern nach Maßgabe der genuinen Menschenvernunft als gerecht und der göttlichen Gerechtigkeit gemäß erachtet werden muss. Geht das Gesetz darin auf, Identitäts- und Grenzmarkierung des Judentums zu sein, oder ist es nicht gerade auch nach jüdischem Verständnis die von Gott selbst gesetzte Norm, der allgemeine Verbindlichkeit inhäriert? Ginge es Paulus lediglich um Beschneidungsfreiheit, dann wäre dies ein historisch geurteilt zwar keineswegs marginales, aber doch kein Unterfangen von jener religiösen Dramatik, die der Annahme einer Rechtfertigung des Gesetzwidrigen und Gottlosen innewohnt. Diese Dramatik wird gewiss auch dann verkannt, wenn durch die paulinische Rechtfertigungslehre lediglich Werkgerechtigkeit im Sinne einer Selbstrechtfertigung durch Tun des Gebotenen ausgeschlossen würde. Denn gerecht vor Gott ist auch nach jüdischem Urteil nicht derjenige, der auf seine Selbsttätigkeit und die Gottgefälligkeit seiner Handlungen vertraut, sondern wer alles Vertrauen auf Gott setzt, um ihm von ganzem Herzen zu dienen. Der Dienst des Gesetzes schließt auch nach jüdischem Verständnis alles Sichrühmen aus, ohne doch deshalb die richtende Gerechtigkeit, die Gutes und Böses scheidet und ihrer Alternative gegenüber niemals gleichgültig ist, und den Zusammenhang jemals theologisch in Zweifel zu ziehen, der zwischen Tun und Ergehen waltet. Mag dieser Zusammenhang erst unter eschatologischen Bedingungen evident werden, so hat er doch stetigen Bestand, weil er in Gottes Gottheit selbst begründet liegt. Gottes Gerechtigkeit richtet und lässt das Unrecht, das der Gesetzeswidrige verschuldet hat, aus Treue zu sich selbst und zu denen, welchen Unrecht geschah, nicht ungesühnt. Darin hat es seinen Grund, dass im Alten Testament nur der Fromme, nie hingegen der Gottlose gerechtfertigt wird. Wer also, wie Paulus, die Rechtfertigung des Gottlosen predigt und lehrt, „dass der Mensch nicht durch erga tou nomou, sondern durch den Glauben an Jesus Christus gerecht wird“ (Gal 2,16), muss sich die generelle und grundsätzliche Frage stellen lassen, ob dies gerecht und theologisch zu rechtfertigen ist? Ist der paulinische Begriff der Gerechtigkeit Gottes mit dem jüdischen, ja nicht nur mit dem jüdischen, sondern darüber hinaus mit jenem kompatibel, für den alle Vernunftgründe sprechen? Durch diese radikale Frage, die durch keine Art von Historisierung entprinzipialisiert werden kann, ist jeder theologischen Paulusexegese ihre Zentralaufgabe gestellt. Die Antwort auf sie versteht sich, wo ihre Radikalität ernst genommen und nicht verharmlost wird, mitnichten von selbst. Was Paulus verkündet, ist unerhört und religiös anstößig keineswegs nur für Juden, sondern auch für Christen. Nicht dass Paulus jemals behauptet hätte, die Gesetze der Tora seien nach Gottes Willen nicht zu tun geboten. Das Gegenteil ist der Fall. Nach Röm 2,13 sind nicht diejenigen gerecht vor Gott, die das Gesetz hören, sondern Gott wird die für gerecht

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erklären, die das Gesetz tun. Zuvor schon wurde gesagt, dass Gott im Endgericht jedem vergelten wird wie es seine Taten verdienen: „denen, die beharrlich Gutes tun und Herrlichkeit, Ehre und Unvergänglichkeit erstreben, gibt er ewiges Leben, denen aber, die selbstsüchtig nicht der Wahrheit, sondern der Ungerechtigkeit gehorchen, widerfährt Zorn und Grimm.“ (Röm 2,6–8) Offenbar ist also auch nach Paulus die Gerechtigkeit Gottes von vergeltender Art. Damit stellt sich die Frage nach der theologischen Kompatibilität des Begriffs der Gottesgerechtigkeit zu demjenigen, dem zufolge Gott den Gottlosen und Gesetzeswidrigen rechtfertigt, nur umso dringlicher, sofern er sich in den Binnenraum der paulinischen Argumentation selbst verlagert. Die Röm 2,6 vorausgesetzte Annahme einer göttlichen Vergeltung nach den Werken begegnet fast wörtlich in Prov 24,12 sowie Ps 61 (62),13 und sachlich identisch in einer Reihe weiterer Septuagintastellen; sie „ist charakteristisch für das alttestamentlich-jüdische Glaubensdenken“ (Bachmann [Hg.], 195f.). Auch dem Neuen Testament ist sie alles andere als fremd. Doch wie passt ihre Affirmation, die offenbar auch Paulus teilt, mit der paulinischen Negation zusammen, derzufolge das Gesetz als Heilsmittel um des Evangeliums willen abgetan ist? Die Leugnung der Faktizität dieser Negation ist ausgeschlossen, weil sie in Widerspruch steht zu einer ganzen Reihe eindeutiger Aussagen des Apostels. Auszuschließen ist aber auch ihre antinomistische Deutung, sofern Paulus die Geltung des Gesetzes nicht nur nicht leugnet, sondern ausdrücklich behauptet. Durch das Evangelium von der Rechtfertigung des Gottlosen sind Gottes Tora und das Gesetz distributiver Gerechtigkeit offenbar nicht so erledigt, dass ihre theologische Gültigkeit unvermittelt bestritten werden könnte. Doch bleiben überhaupt Möglichkeiten gedanklicher Vermittlung übrig und wenn ja welche? Nicht selten wird an dieser Stelle mit dem Hinweis argumentiert, das Gesetz in seiner Gänze zu erfüllen sei nach Paulus menschenunmöglich, womit der entscheidende Grund benannt sei, warum niemand durch Werke des Gesetzes im Endgericht errettet werden könne. Nach U. Wilckens etwa liegt der Grund für den soteriologischen Ausschluss des Gesetzes und der Gesetzeswerke für Paulus darin, „daß alle Menschen Sünder sind – nicht darin, daß das Gesetz und die Gesetzeswerke als solche strukturell nicht zur Rechtfertigung taugten. Gegenüber einem breiten Trend in der Paulusexegese, den Nerv der paulinischen Rechtfertigungslehre in dem Gegensatz zwischen Gratuitäts- und Leistungsprinzip zu sehen statt in dem zwischen der unendlichen Unheilsmacht der Sünde und ihrer umfassenden Aufhebung in Christi Tod, geht es hier darum, zu erkennen, daß die paulinische Rechtfertigungslehre aus dem Schmerz über die faktische Verhinderung von Gerechtigkeit durch die Sünde geboren ist“ (Wilckens, 9). Dieser Hinweis ist nicht falsch, aber richtig nur unter der Voraussetzung, dass er nicht abstrakt und in einer Weise gehandhabt wird, die zu irrigen Folgerungen Anlass gibt. Das göttliche Gebot, das ist wahr, wird nachgerade von denen, die es ernst nehmen, immer auch als Anklage und Vorwurf vernommen. Die jüdischen Frommen wussten darum mehr als alle anderen. Doch sie wussten auch, dass die anklagenden Vorwürfe des gött-

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lichen Gebots ebenso konkret sind wie seine Forderungen. Zur abstrakten These einer universalen Sündenverfallenheit des Menschengeschlechts und einer darin begründeten Unerfüllbarkeit des göttlichen Gebots konnten sie sich daher nicht ohne weiteres verstehen. Auch unter christlichen Bedingungen ist die Lehre vom peccatum originale vertretbar nur unter der Voraussetzung, dass damit die Verfehlung gegen die Forderungen Gottes nicht fatalisiert und um ihre Schuldhaftigkeit gebracht wird. Die Täter des Gesetzes werden gerechtfertigt werden. Die Gültigkeit dieser Aussage bleibt auch unter der Voraussetzung bestehen, die für Paulus kein Grundsatz, sondern eine im auferstandenen Gekreuzigten in der Kraft des Geistes offenbare göttliche Zusage ist, dass nämlich alle gesetzeswidrigen Sünder, die sich im Glauben auf Jesus Christus verlassen, in ihm gerechtfertigt sind in Gott. Beide Aussagen stehen in einem Zusammenhang nicht synthetisierbarer Differenz, die sich weder durch Theorie noch durch Praxis beheben lässt, so wahr sie mit und in der Erscheinung Jesu Christi für Juden und Heiden behoben ist. Indes kann diese Wahrheit nicht außerhalb des konkreten religiösen Verhältnisses wahrgenommen und daher nicht als ein vom religiösen Verhältnis abstrahierter Sachverhalt festgestellt werden. Ist die im Evangelium Jesu Christi offenbare Gerechtigkeit Gottes, welche den Sünder rechtfertigt, der Offenbarung des Zornes Gottes über die Sünde, wie sie mittels des Gesetzes erfolgt, vermittlungslos entgegengesetzt? Handelt es sich um zwei Gerechtigkeiten bzw. um zwei Offenbarungen, die nur auf formal-terminologische Weise verbunden, im Übrigen aber ganz konträr und gegensätzlich sind? Wie lässt sich, wenn er denn überhaupt besteht, der Zusammenhang von der im Gesetz und der im Evangelium offenbaren Gerechtigkeit Gottes begründen – vom Gesetz oder nur vom Evangelium her? Folgt man Eberhard Jüngels Ausführungen zur Rechtfertigungslehre, wie er sie in Anschluss an Karl Barths Lehre von Evangelium und Gesetz vorgelegt hat, dann hat in dem in zwei einander kategorial entgegengesetzten Weisen sich vollziehenden Offenbarungsgeschehen göttlicher Gerechtigkeit die im Evangelium statthabende Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes nach Paulus den eindeutigen Primat. „Literarisch klammert sie bei Paulus durch die analogen Sätze Röm 1,17 und Röm 3,21 die Offenbarung des Zornes Gottes (Röm 1,18–3,20) regelrecht ein. Das besagt: die Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes im Evangelium setzt (sich) die Offenbarung des Zornes Gottes voraus und begrenzt sie zugleich.“ (Jüngel, 57) Ist das Evangelium und nicht das Gesetz der priDas Evangelium der märe Ort der Offenbarung der GottesgerechtigGottesgerechtigkeit keit, so ist diese im eigentlichen Sinn niemals Strafgerechtigkeit, sondern der Inbegriff reinen Heils. Dies an Röm 1,17 erkannt zu haben, ist nach Jüngel die reformatorische Entdeckung Luthers und die ursprüngliche Einsicht der Reformation. Es erhellt, „daß Gottes Gerechtigkeit nicht die gesetzliche Gerechtigkeit ist, in der Gott jedem das Seine gibt, sondern vielmehr die Gerechtigkeit, die durch die Relation von Evangelium und Glauben eine

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neue Bedeutung gewinnt. Ist das Evangelium das Wort, in dem Gott selber zugunsten des Menschen spricht, ist das Evangelium also nicht nur informative Anrede, sondern schöpferischer Zuspruch, dann muß die im Evangelium offenbar werdende Gerechtigkeit Gottes im Unterschied zu der gesetzlich jedem das Seine gebenden Gerechtigkeit die Gerechtsprechung des ungerechten Menschen durch Gott meinen. Die Gerechtigkeit Gottes ist dann die Gerechtigkeit, durch welche Gott aus Gottlosen Gerechte macht.“ (Jüngel, 61) Dem ist nicht zu widersprechen. Doch gilt es festzuhalten, dass nach Luther unbeschadet seiner Wiederentdeckung des paulinischen Evangeliums von der Rechtfertigung des Gottlosen auch die gesetzlich jedem das Seine zuteilende Gerechtigkeit göttliche Gerechtigkeit ist. In Form des Gesetzes erweist sich Gott als gerecht, indem er zwischen Recht und Unrecht scheidet und urteilend richtet, in Form des Evangeliums erweist er sich als gerecht, indem er Ungerechte rechtfertigt. Zwischen beiden Formen der Gerechtigkeit ist strikt zu unterscheiden, nicht aber zu trennen. Fragwürdig und genauerer Prüfung bedürftig sind daher Sätze wie diese, die sich kaum auf Luther und nur bedingt auf Karl Barth berufen können: „Gott ist gerecht, aber gerade nicht im Sinne der distributiven Gerechtigkeit, die jedem das Seine gibt, sondern Gott ist gerecht, indem er Gnade übt.“ (Jüngel, 64) Der zitierte Satz und die These, Gottes Gericht sei ein Akt der Gnade (vgl. Jüngel, 71ff.) haben ihre evangelische Richtigkeit, wenn sie nicht prinzipialisiert, sondern in Form konkreter Zusagen des Evangeliums Jesu Christi verstanden werden, das in seiner kategorialen Unterschiedenheit vom Gesetz zugleich auf das Gesetz bezogen bleibt. Das Verhältnis beider ist ein Zusammenhang begrifflich nicht synthetisierbarer Differenz, der nur durch eine trinitarische Offenbarungstheologie erfassbar ist, die nicht bei abstrakten theologischen Grundsätzen ihren Ausgang nimmt, sondern das Ereignis der Gerechtigkeit Gottes in der Person Jesu Christi, des auferstandenen Gekreuzigten, konkret bedenkt, wie Jüngel dies mit Recht fordert (vgl. Jüngel, 65ff.). Ob der Gedanke der Selbstentsprechung Gottes in Jesus Christus geeignet ist, trinitarische Einheit und Differenz Gottes angemessen zu erfassen, bedürfte ebenso weiterer Prüfung wie Jüngels Verständnis der Sündenerkenntnis. Das Gesetz wirkt Erkenntnis der Sünde. Ob diese Erkenntnis heilsam ist oder von einer heillosen Art, die nur umso tiefer in den sündigen Abgrund führt, entscheidet sich nicht am Gesetz, sondern am Evangelium. Heilsame Erkenntnis der Sünde gibt es nicht ohne das Evangelium. Doch ebenso wenig gibt es Sündenerkenntnis ohne das Gesetz. Es ist daher problematisch, wenn ohne weitere Differenzierung gesagt wird, das Evangelium sei „Erkenntnisgrund der Sünde“ (Jüngel, 81). „The New Perspective on Paul“ hat mit Recht darauf hingewiesen, dass die paulinische Rechtfertigungslehre einen missionspraktischen Sitz im Leben und ihren konkreten Ort primär in den Auseinandersetzungen des Apostels mit bestimmten judenchristlichen Kreisen im Kontext des zeitgenössischen Judentums hat. Dieses zutreffende Urteil schließt indes die prinzipielle Bedeutung der Rechtfertigungslehre des Apostels keineswegs aus. Ihre historische Funktion als Kampfeslehre,

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welche das Evangelium vom allein in Christus gründenden Gnadenheil Gottes für den Sünder polemisch gegen „gesetzliche“ Bestreitungen geltend macht, spricht nicht gegen die theologische Grundsatzbedeutung der Rechtfertigungslehre, sondern im Gegenteil dafür, sie für den ganzen Lehrzusammenhang in Anschlag zu bringen, weil man andernfalls dessen Kohärenz und innerer Konsistenz nicht ansichtig wird. Die geforderte Historisierung der paulinischen Rechtfertigungslehre und ihre Funktionalisierung auf den konkreten Vollzug missionarischer Evangeliumsverkündigung hin berechtigt nicht zu ihrer tendenziellen Marginalisierung.

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Lit.: J. Becker, Johanneisches Christentum. Seine Geschichte und Theologie im Überblick, Tübingen 2004. – K. Berger, Im Anfang war Johannes. Datierung und Theologie des vierten Evangeliums, Gütersloh 32004. – R. Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 3 1958. – Ders., Das Evangelium des Johannes, Göttingen 1953. – J. Ernst, Johannes. Ein theologisches Portrait, Düsseldorf 1991. – J. Frey, Die johanneische Eschatologie. Bd. I: Ihre Probleme im Spiegel der Forschung seit Reimarus. Bd. II: Das johanneische Zeitverständnis. Bd. III: Die eschatologische Verkündigung in den johanneischen Texten, Tübingen 1997/ 1998/2000. – Ders./U. Schnelle (Hg.), Kontexte des Johannesevangeliums. Das vierte Evangelium in religions- und traditionsgeschichtlicher Perspektive, Tübingen 2004. – K. Haldimann/H. Weder, Aus der Literatur zum Johannesevangelium I, in: ThR 67 (2002), 328– 348. – Dies., Aus der Literatur zum Johannesevangelium II, in: ThR 68 (2003), 425–456. – F. Hahn, Theologie des Neuen Testaments. 2 Bde., Tübingen 2002. – M. Labahn/K. Scholtissek/A. Strotmann (Hg.), Israel und seine Heilstraditionen im Johannesevangelium, Paderborn 2003. – T. Nagel, Die Rezeption des Johannesevangeliums im 2. Jahrhundert. Studien zur vorirenäischen Aneignung und Auslegung des vierten Evangeliums in christlicher und christlich-gnostischer Literatur, Leipzig 2000. – U. Schnelle, Die johanneische Schule, in: F. W. Horn (Hg.), Bilanz und Perspektiven gegenwärtiger Auslegung des Neuen Testaments. Symposion zum 65. Geburtstag von Georg Strecker, Berlin/New York 1995, 198–217. – K. Scholtissek, Eine Renaissance des Evangeliums nach Johannes, in: ThRev 97 (2001) 267–288. – Th. Söding (Hg.), Johannesevangelium – Mitte oder Rand des Kanons? Neue Standortbestimmungen, Freiburg/Basel/Wien 2003. – P. Stuhlmacher, Biblische Theologie des Neuen Testaments. Bd. 2: Von der Paulusschule bis zur Johannesoffenbarung, Göttingen 1999. – U. Wilckens, Theologie des Neuen Testaments. Bd. I: Geschichte der urchristlichen Theologie. Teilband 4: Die Evangelien, die Apostelgeschichte, die Johannesbriefe, die Offenbarung und die Entstehung des Kanons, Neukirchen 2005.

„Im Anfang war Johannes.“ (Berger) Folgt man Klaus Berger, dann müssen die gesamte Jesusü- Kerygma und Narration berlieferung und die Geschichte der frühen Christenheit neu gedeutet werden. Diese Forderung ist Konsequenz seiner Frühdatierung des Johannesevangeliums. Nach Berger ist das vierte Evangelium Ende der 60er Jahre des 1. Jahrhunderts entstanden. Das Martyrium Petri sei vorausgesetzt, die Zerstörung Jerusalems im Jahr 70 n.Chr. noch nicht vollzogen. Konzipiert habe das einheitliche Werk ein Verfasser, der seiner Herkunft nach Alexandriner gewesen sei, später Kontakt mit dem Christentum in Palästina/Syrien und dort auch mit dem Apostel Paulus gehabt habe, bis er schließlich in Verbindung mit Ephesus und dem dortigen Täufer- und Christenkreis getreten sei. Am Ende

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seines Lebens sei er möglicherweise wieder in seine Heimat zurückgekehrt, wo sein Evangelium sehr früh bezeugt werde. Als Ziel des Johannesevangeliums dürfe gelten, die unterschiedlichen Gruppen, an die es sein Verfasser adressiert habe, zusammenzubinden und aus Täuferjüngern, christlichen Pharisäern und Samaritanern, Petrinern und Paulinern etc. eine einige Gemeinschaft zu formen. Während die Vertreter einer Spätdatierung das Johannesevangelium um 100 n.Chr., manchmal auch erst nach 140 n.Chr. oder gar, wie F. C. Baur, erst im späten 2. Jahrhundert ansetzen und in der Regel als abschließende Synthese der neutestamentlichen Tradition würdigen, stellt es für Berger das Bindeglied zwischen Brief- und Evangelienliteratur dar. Da der Verfasser des Evangeliums sehr viele Grundüberzeugungen mit Paulus, aber auch mit den Autoren etwa des Kol oder des Hebr teile, sei von einem zeitweiligen intensiven Gedankenaustausch zwischen ihnen auszugehen. Von der synoptischen Tradition hingegen sei das Johannesevangelium nur in Teilen abhängig. Als eine Evangelienbildung sui generis stehe das vierte Evangelium mehr noch als die Synoptiker ganz im Banne des Primäreindrucks, den Jesus bei den Seinen hinterlassen habe. Sowohl sachlich als auch zeitlich stehe es ganz am Anfang der Evangelienentwicklung. Bergers Frühdatierungshypothese hat sich in der Exegese nicht durchgesetzt, sondern wird fast ausnahmslos abgelehnt. Das vierte Evangelium steht nicht am Anfang der frühchristlichen Theologiegeschichte, sondern bildet deren kreativen Abschluss, von dem die Dogmengeschichte der Alten Kirche ihren Ausgang nehmen konnte. Bergers Annahme, der Text fungiere als Bindeglied zwischen Briefund Evangelienliteratur, hat gleichwohl seine Richtigkeit, wenn auch nicht im zeitlichen, so doch im inhaltlichen Sinn. In der Tat kann das Johannesevangelium als produktive Synthese der Paulinen samt einiger Deuteropaulinen und derjenigen Literaturgattung bzw. Theologieart gelten, die im Evangelium nach Markus ihre prototypische Gestalt gefunden hat. „Als ‚Meistererzählung‘ vereinigt das Johannesevangelium zwei Hauptlinien frühchristlicher Theologiebildung: Während Paulus eine kerygmatisch ausgerichtete Jesus-Christus-Geschichte präsentiert, entfaltet Markus eine narrative Jesus-Christus-Geschichte. Johannes verbindet beide Tendenzen, indem er die Erinnerungen an den Irdischen konsequent aus der Perspektive des Erhöhten gestaltet. Er übernimmt die Gattung Evangelium, erweitert sie in Kontinuität zu Paulus um die Präexistenzchristologie und intensiviert (anders als Matthäus und Lukas) die bei Markus und vor allem bei Paulus vorherrschende kreuzestheologische Ausrichtung. Stärker als bei Markus durchdringt die Hoheit des Erhöhten beim Vierten Evangelisten das Bild des Irdischen, anders als bei Paulus bleibt Johannes nicht bei einer vornehmlich begrifflich strukturierten hohen Christologie stehen, sondern überführt sie in eine dramatische Erzählung.“ (Söding [Hg.], 144f.) Das Johannesevangelium hebt den Unterschied kerygmatisch-reflexiv orientierter und narrativer Theologiebildung in sich auf und gelangt so zu einer formalen Synthese frühchristlicher Briefliteratur und der Gattung des Evangeliums. Die synthetisierende Kraft von Joh, welche die Voraussetzung seiner breiten Rezeption

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und Wirkungsgeschichte in der Alten Kirche darstellt, bewährt sich auch in inhaltlicher Hinsicht. Man hat exegetisch darüber gestritten, ob das Johannesevangelium doketische Tendenzen verfolge oder nicht. Parallel zu dem variantenreichen Streit verlief die Debatte, ob die Johannesbriefe antidoketisch oder gegen Irrlehrer gerichtet seien, welche die wahre Gottheit Jesu und die Einheit des Sohnes mit Gott dem Vater bestritten. Wie immer man die exegetischen Akzente zu setzen gedenkt: Die Kraft zu synthetischer Integration, die das Johannesevangelium kennzeichnet und weit über den im engeren Sinne johanneischen Kreis hinauswirkte, darf weder in formaler noch in inhaltlicher Hinsicht gering geschätzt werden. Was als Zentralaussage des Prologs zu gelten hat, bildete die Grundlage der gesamten johanneischen Theologie: der Mensch Jesus ist Gottes Sohn, der Sohn Gottes Jesus als der inkarnierte Logos, der im Anfang war. An Ostern ist dies offenbar geworden. Der auferstandene Gekreuzigte vereint in seiner Person in versöhnender und erlösender Weise Gottheit und Menschheit und erschließt in der Kraft des Hl. Geistes die Väterlichkeit Gottes zum Heil von Menschheit und Welt, das in ihm beschlossen und durch ihn gewirkt ist. An diese Grundbotschaft konnte die Entwicklung anschließen, die zur Ausbildung des trinitarisch-christologischen Dogmas der Alten Kirche führte. Nicht von ungefähr ist der Prolog derjenige Text des Johannesevangeliums, „der im 2. Jh. n.Chr. am intensivsten rezipiert wurde“ (Nagel, 479). Was der Prolog geltend macht, bestätigt der ursprüngliche Epilog auf nachdrückliche Weise. Ursache und Ziel des Johannesevangeliums ist es, den Glauben an Jesus als den Messias und Sohn Gottes zu befördern und zu begründen (Joh 20,31). Mit dieser Standortbestimmung weist das vierte Evangelium sich und seinem Kreis einen Platz inmitten der frühchristlichen Glaubenstradition zu, die es nicht durch Neues ersetzen, sondern auf jenes Zeugnis hin vertiefen und konzentrieren will, das Thomas dem auferstandenen Gekreuzigten gegenüber bekennt: „Mein Herr und mein Gott!“ (Joh 20,28) Steht dieses Bekenntnis fest, dann können die vielfältigen sonstigen Aspekte der johanneischen Frage mit exegetischem Interesse, aber auch mit einiger systematischer Gelassenheit erörtert werden: Unter den vielen vom Johannesevangelium aufgegebenen Fragen standen lange Zeit Probleme literarischer Art im Vordergrund der Aufmerksamkeit, die u.a. mögliche Störungen der ursprünglichen Textordnung betrafen. Die Hypothesen zum Zwecke ihrer Wiederherstellung sind ebenso zahlreich und uneinheitlich wie die Gründe, die zur Erklärung der tatsächlichen oder vermeintlich vorliegenden Unordnung angeführt werden. Als plausibel darf die Annahme gelten, derzufolge der überlieferte Endtext Ergebnis redaktioneller Bearbeitung ist. Sie wird neben möglichen Umgruppierungen und Einfügungen durch den nachträglichen Anhang von Joh 21 an das ursprünglich mit Joh 20,30f. endende Werk bestätigt. Rudolf Bultmann führte die Endredaktion des Johannesevangeliums, in der er Korrekturen vor allem an der Sakramentenlehre und der Eschatologie des genuinen Bestandes zu erkennen meinte, auf einen Bearbeiter zurück, der seine modifizierenden Eingriffe im Interesse dogmatischer Orthodoxie vorgenommen und so das vierte Evangelium erst kirchlich akzeptabel gestaltet habe. Diese Hypothese wird heute

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kaum mehr vertreten. Der angebliche kirchliche Redaktor der Grundschrift des Johannesevangeliums führt in der derzeitigen Exegese nur noch ein Schattendasein. Auch in der Postulierung von Quellen ist man gegenwärtig sehr viel zurückhaltender als zu Bultmanns Zeiten. Dieser meinte, neben Stücken, die aus mündlicher Tradition stammen, drei schriftliche Quellen mit einiger Wahrscheinlichkeit namhaft machen zu können: eine Sammlung von Wundergeschichten, von Offenbarungsreden und schließlich eine den johanneischen Passions- und Ostergeschichten zugrundeliegende Quellenschrift. Doch wies bereits Bultmann auf die im einheitlichen Stil des Johannesevangeliums begründete Schwierigkeit einer präzisen Identifikation von Quellen hin. Mit ihrer durchgreifenden Redaktion durch den Evangelisten rechnete auch er. Tatsache ist, dass der Aufbau des Evangeliums im Großen und Ganzen planvoll, die Ausdrucksweise und Gedankenführung im Wesentlichen einheitlich ist. Nichtsdestoweniger wird man die Verwendung von Quellenmaterial nicht definitiv ausschließen können. Auch gibt es Hinweise und Spuren der heutigen Gestalt des Evangeliums, die auf die Vornahme von Überarbeitungen und redaktionellen Ergänzungen schließen lassen. Es lässt sich vermuten, dass mehrere Hände an der Abfassung des Johannesevangeliums in seiner vorliegenden Form beteiligt waren. Der Gedanke an einen theologischen Schulkreis liegt nahe. Das muss nicht heißen, dass man den Gedanken an einen originalen Verfasser aufzugeben und das vierte Evangelium zu einem Kollektivprodukt einer Vielzahl von Redaktoren zu erklären hätte. In seinem zentralen Bestand stellt der Text durchaus ein einheitliches, bewusst konzipiertes Ganzes dar, welches eine Unterscheidung diverser literarischer Schichten unnötig macht. Allerdings hat man mit redaktionellen Bearbeitungen und Fortschreibungen innerhalb eines Kreises zu rechnen, den man die johanneische Schule nennen kann. In den Zusammenhang der deuterojohanneischen Redaktionsgeschichte sind wohl auch die Evangelium und Briefe Johannesbriefe einzuordnen. Doch selbst für den Fall, dass sie älter sein sollten als das vierte Evangelium: in den Kontext des johanneischen Kreises gehören sie eindeutig. Ob sich seinem theologischen Schulbetrieb auch die Johannesapokalypse zurechnen lässt, ist hingegen mehr als zweifelhaft. Zwar heißt der Verfasser des letzten Buches der Bibel Johannes (vgl. Apk 1,1.4.9; 22,8); auch lassen sich neben nominellen inhaltliche Bezüge zum vierten Evangelium entdecken: Bemerkenswerterweise kommt, um ein Beispiel zu geben, in der Johannesapokalypse als einziger neutestamentlicher Schrift neben dem Johannesevangelium die Logosbezeichnung vor. Ansonsten aber sind die inhaltlichen Differenzen trotz einiger auffälliger Sprachverwandtschaften zu groß, um die Apokalypse dem johanneischen Schrifttum und ihren Autor dem Kreis zuzuordnen, aus welchem das Johannesevangelium und die Johannesbriefe stammen. Die Annahme einer Verfasseridentität verbietet sich, und selbst von einer Schulzusammengehörigkeit kann schwerlich die Rede sein: die Endzeitprophetie des Apokalyptikers Johannes ist von erkenntlich anderer Art als die Theologie der johannei-

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schen Schule. Das schließt nicht aus, dass Beziehungen zwischen der johanneischen Gemeinde und dem Trägerkreis der in der Johannesoffenbarung dokumentierten apokalyptischen Tradition bestanden. Ist der Kreis, aus dem das Johannesevangelium und die Johannesbriefe stammen, von dem Kontext, dem die Johannesapokalypse zugehört, trotz möglicher Verbindungen sachlich zu unterscheiden, so bleibt seine nähere Bestimmung gleichwohl noch Desiderat. Nach J. Becker bestand der johanneische Kreis aus einer Reihe von selbständigen Hausgemeinden, die durch eine theologische Schule verbunden waren. Ekklesiologisch sei der Gedanke einer „Geschwisterschaft der Geistbegabten“ (Becker, 17) grundlegend. Die Schule habe mündliches Überlieferungsgut weitertradiert, nach ihr eigentümlichen Regeln inhaltlich gestaltet und zudem den Prozess der Literalisierung forciert. Der erst im Nachhinein „Vierte Evangelist“ genannte Autor des „Johannesevangeliums“ habe als unbekannt und nicht mehr identifizierbar zu gelten. Er erzähle in Verkoppelung zweier ihm vorliegender Kompositionen, die einerseits auf das öffentliche Wirken Jesu, andererseits auf die Vorgänge seiner Passion bezogen seien, im johanneischen Kreis die Geschichte des gesandten Gottessohnes, seiner Herabkunft auf die Erde (1,1–18), seines Wirkens in der Gestalt seiner öffentlichen Selbstoffenbarung (1,19–12,43), seines Abschieds von den Jüngern (13f.) sowie der Ereignisse um seinen Tod (18f.) und der Rückkehr zu seinem Vater (20,1–29), um dies alles mit 20,30f. abzuschließen. Aufgabe der johanneischen Schule sei es gewesen, das Johannesevangelium in den Gemeinden zu verbreiten und es durch gottesdienstliches Vorlesen vertraut zu machen. Dabei sollte die Theologie des Evangelisten produktiv fortentwickelt werden. Daraus ergab sich nach Becker ein zeitlich gestreckter literarischer Dialog (vgl. Becker, 190ff.). Eine chronologisch präzise Erfassung der einzelnen Stationen des Redaktionsprozesses sei schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Als letzte Station dürfe Joh 21 gelten; vorangegangen seien die drei Johannesbriefe. Der Redaktionsprozess habe sich immer stärker auf die Christologie konzentriert, die praktisch alle anderen Themen absorbiert habe. Die erreichten Spitzenaussagen von der Gottgleichheit des irdischen Gesandten Gottes hätten erheblich auf die Genese des altkirchlichen Dogmas eingewirkt und das in Joh 1,17 programmatisch angesprochene Thema des durch Mose gegebenen Gesetzes und der durch Jesus Christus gewordenen Gnade und Wahrheit auf eine neue Basis gestellt, die für die weitere Christentumsgeschichte grundlegend geworden sei. Das Ende des johanneischen Kreises liegt im Dunkel der Geschichte, von seinen Anfängen sind nur dürftige Konturen erkennbar. Die Biographie seiner prägenden Personen ist nicht einmal in Umrissen deutlich. Selbst über die geographische Heimat des johanneischen Gemeindeverbands können nur Mutmaßungen angestellt werden. In der Forschung werden Ägypten, Palästina, Samaria, Transjordanien, Syrien und die Asia, insbesondere die Gegend um Ephesus genannt. Angesichts solcher Unsicherheiten überrascht es nicht, dass die johanneische Frage in vieler Hinsicht nach wie vor offen ist. Um nur noch einen Aspekt näher in Betracht zu

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ziehen, nämlich denjenigen der Verfasserschaft des Johannesevangeliums, der von Spezialisten seit geraumer Zeit wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt wurde: Nach eigenem, freilich erst in einem Nachtragskapitel begegnendem Bekunden ist das vierte der kirchlich kanonisierten Evangelien von dem Jünger geschrieben, den Jesus, wie es mehrfach heißt, lieb hatte. Die anonyme, nirgends mit Namen benannte Gestalt begegnet beim Letzten Mahl (Joh 13,23), unter dem Kreuz (Joh 19,26f.) und in den Ostererzählungen (Joh 20,2–20; 21,7.20–23). In Joh 21,24 wird der sog. Lieblingsjünger Jesu als derjenige bezeichnet, „der dies alles bezeugt und aufgeschrieben hat“. Zum Evangelium nach Johannes wurde das vierte Evangelium durch Identifikation des Lieblingsjüngers mit dem Zebedaiden Johannes. Der Sohn des Fischers Zebedäus gehörte zusammen mit seinem Bruder Jakobus dem jesuanischen Zwölferkreis an. Nach Mk 3,17 hat Jesus die Zebedaiden „Boanerges, das heißt Donnersöhne“ genannt; auch ansonsten werden beide von den Synoptikern mehrfach hervorgehoben. Das Johannesevangelium hingegen erwähnt sie nur ein einziges Mal (Joh 21,2). Nichtsdestoweniger hat die altkirchliche Tradition spätestens seit Irenäus (Haer III,1,1) Johannes mit dem sog. Lieblingsjünger gleichgesetzt und zum Verfasser des vierten Evangeliums erklärt. Gegen diese Gleichsetzung spricht historisch nicht nur der in Mk 10,38f. par angekündigte, von Papias und verschiedenen anderen altkirchlichen Traditionen bezeugte Märtyrertod des Jesusjüngers, sondern auch die angezeigte Tatsache, dass im Johannesevangelium alle aus den synoptischen Evangelien bekannten Szenen fehlen, in denen die beiden Zebedaiden besonders hervortreten. Unvereinbar mit der altkirchlichen Zuweisung der Autorenschaft sind ferner die von den Synoptikern deutlich abgehobenen Stileigentümlichkeiten des Johannesevangeliums, die charakteristische Kennzeichen einer Schulsprache aufweisen, und die spezifische theologische Form, in welcher die Inhalte dargeboten werden. In der Forschung herrscht daher weitgehende Einigkeit, dass der Jesusjünger Johannes entgegen altkirchlicher Überlieferung als Verfasser weder des vierten Evangeliums noch auch der mit ihm formal und inhaltlich verwandten Johannesbriefe in Frage kommt. Umso dringlicher stellt sich das Problem, wer mit dem sog. Lieblingsjünger gemeint sein könnte, auf den Joh 21,24 das Schriftzeugnis des vierten Evangeliums zurückführt. Ist der namenlose Jünger wenn auch nicht der Zebedaide Johannes, so doch eine andere Einzelperson; oder hat man sich ihn etwa als Idealgestalt jesuanischer Jüngerschaft zu denken? Nicht nur in der Beantwortung dieser Frage Die johanneische Frage herrscht Uneinigkeit unter den Exegeten. Folgt man U. Wilckens, dann handelt es sich bei dem im Johannesevangelium mehrfach hervorgehobenen Jünger, den Jesus lieb hatte, weder um den Zebedaiden Johannes noch überhaupt um eine individuelle Gestalt, sondern um den für die ganze Kirche an allen Orten und zu allen Zeiten exemplarischen und repräsentativen Jesusjünger. Als solcher wurde er, so Wilckens, in der „Stunde“ der Vollendung der jesuanischen Sendung mitten hineingestellt in den Kreis der Zwölf, um fernerhin als Idealgestalt wahrer Jüngerschaft zu gelten. Nicht

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auf einen individuellen Vorzug sei die johanneische Rede vom Jünger, den Jesus lieb hatte, zu beziehen: „Die Bezeichnung ‚der Lieblingsjünger‘, die sich im Deutschen eingebürgert hat, ist also schlicht falsch.“ (Wilckens, 156) Seine prominente Stellung im Johannesevangelium verdanke der fälschlich so genannte Lieblingsjünger nicht persönlichen Eigentümlichkeiten, sondern seiner Vorbildfunktion für die gesamte Christenheit. „In dieser einzigartigen Rolle liegt der Grund für seine Namenlosigkeit.“ (Wilckens, 157) Sei Anonymität im gegebenen Fall sonach Programm, so schließe dies dennoch nicht aus, dass der Evangelist mit dem von Jesus geliebten Jünger auf indirekte Weise eine bestimmte Person, „möglicherweise sich selbst“ (ebd.), in Verbindung gebracht habe. Möglich sei fernerhin, dass er von seinen Schülern als repräsentativer Jesusjünger verehrt wurde, der sein wahres Zeugnis gemäß Joh 21,24 im Evangelium niedergeschrieben habe. Offen hält Wilckens fernerhin die Möglichkeit, das Johannesevangelium und die Johannesbriefe in eine verfasserschaftliche Verbindung zu bringen. Damit ist eine Tendenz zum Ausgleich mit Exegetenmeinungen signalisiert, denen zufolge im sog. Lieblingsjünger trotz seiner Anonymität und der idealen Züge, mit der im Johannesevangelium seine Gestalt versehen wird, nicht lediglich eine fiktive Gestalt erblickt werden darf. Einen historisch tragfähigen Hinweis seiner Identifikation biete die in Joh 21,20–23 erfolgende Korrektur einer Herrenwortüberlieferung, derzufolge Jesus gesagt habe, der Lieblingsjünger werde nicht vor seiner Wiederkunft sterben. Diese Korrektur lasse sich am plausibelsten als apologetische Reaktion auf den eingetretenen Tod einer in der johanneischen Gemeinde mit dem sog. Lieblingsjünger assoziierten Person erklären, auf dessen Zeugen- und Autorenschaft die johanneische Tradition wesentlich zurückzuführen sei. Es spreche vieles dafür, dass der Lieblingsjünger ein der johanneischen Gemeinde und den Endredaktoren des Johannesevangeliums wohl bekannter Traditionsträger war, auf dessen Verfasserschaft man das postum edierte Werk des vierten Evangeliums hauptsächlich zurückzuführen habe. Gelegentlich wird unter Verweis auf die sprachliche und inhaltliche Verwandtschaft des Johannesevangeliums mit den drei Johannesbriefen die Möglichkeit erwogen, den „Presbyteros“, der sich 2. Joh 1 und 3. Joh 1 als Verfasser des zweiten und dritten Johannesbriefes zu erkennen gibt, als das Haupt des johanneischen Kreises zu identifizieren und das Johannesevangelium in wesentlichen Teilen auf seine Verfasserschaft zurückzuführen. Ist jener Presbyter mit dem bei Papias genannten Johannes, dem Alten, gleichzusetzen, dann wäre dieser der Autor des vierten Evangeliums. Man wird diese Zuweisung nicht ausschließen können. Doch bleibt auch im Falle ihrer Richtigkeit das Problem bestehen, wie man die redaktionelle Gleichsetzung des Verfassers des vierten Evangeliums mit dem Lieblingsjünger zu beurteilen hat. Im Übrigen muss es als fraglich erscheinen, ob die altkirchliche Identifikation des Evangeliumsautors mit dem Zebedaiden Johannes auf dessen direkte Verbindung zu dem Presbyter Johannes schließen lässt. Dass dieser Schüler des Zebedaiden gewesen sei und sich als Tradent von Überlieferungen des Jesusjüngers verstanden habe, wie manche Forscher annehmen, ist historisch unerwiesen. Als

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wahrscheinlich darf immerhin gelten, dass die johanneische Schultradition mit einem maßgebenden ursprünglichen Traditionsträger rechnet. Als dieser wird der sog. Lieblingsjünger identifiziert, der redaktionell mit dem Verfasser des Evangeliums gleichgesetzt wurde, als welcher der aus den Johannesbriefen und altkirchlichen Zeugnissen bekannte „Alte“, der Presbyter Johannes, in Frage kommt. Wie in der Verfasserproblematik, kommt man auch in Bezug auf eine Reihe anderer Aspekte der johanneischen Frage über Mutmaßungen nicht hinaus. Ein Kapitel für sich ist die Erforschung des religionsgeschichtlichen Kontexts des vierten Evangeliums bzw. des johanneischen Kreises (vgl. Frey/Schnelle [Hg.], bes. 30– 45). Es dürfte sich kaum eine denkbare Hypothese benennen lassen, die historisch nicht vertreten wurde. Die von Irenäus und Euseb überlieferte Anekdote, derzufolge Johannes beim Anblick Kerinths das ephesenische Badehaus, in dem er sich gerade aufgehalten hatte, fluchtartig und mit Schreckensrufen verlassen habe, bietet hierzu ein Präludium, insofern die in ihr kolportierte Annahme, der vierte Evangelist sei ein dezidierter Antignostiker gewesen, von den sog. Alogern mit der Behauptung konterkariert wurde, just jener Kerinth und nicht etwa Johannes sei der Autor des – in Wahrheit nicht antignostischen, sondern gnostischen – Logosevangeliums. Auch später fiel die Kontextualisierung des Werkes nicht selten konträr oder doch höchst divergent aus. Von der christlichen Gnosis über den alexandrinischen Hellenismus eines Philo bis hin zu iranischen und anderen Zeugnissen wurde eine Vielzahl von religionsgeschichtlichen Einflüssen geltend gemacht. Besonders wirkungsreich erwies sich Bultmanns These, wonach ein gnostischer Erlösungsmythos die Grundkonzeption der johanneischen Darstellung der Sendung Jesu bilde. Inzwischen wurden jüdische Elemente des Johannesevangeliums, auf die bereits Außenseiter wie Adolf Schlatter aufmerksam gemacht hatten, stärker hervorgehoben. Die alttestamentlichen Traditionen und die Überlieferungen des palästinischen Judentums bilden danach den religionsgeschichtlichen Mutterboden johanneischer Verkündigung. Die Nähe zu rabbinischen Texten ist ungleich größer als etwa zur hermetischen Literatur oder zum mandäischen Schrifttum. Logosaussagen, wie sie sich im Prolog des Evangeliums finden, verweisen weniger auf gnostische als auf Vorstellungen, wie sie in der jüdisch-hellenistischen Weisheitstradition ausgebildet worden sind. Die Qumranfunde bekräftigen die Voraussetzung jüdischer Elemente bei Johannes, die trotz erkennbarer Diskrepanzen mit den offiziellen Vertretern des Judentums erhalten blieben und auf eine ungebrochene Traditionskontinuität mit den judenchristlichen Überlieferungen hindeuten. Man hat die johanneische Gemeinschaft geleIntegraler Bestandteil der gentlich als Konventikel und als eine SonderGesamtkirche gruppe mit stark separatistischen Tendenzen charakterisiert, die sich kaum in den Überlieferungszusammenhang der frühen Christentumsgeschichte einordnen lassen. In der Tat kennzeichnet den Kreis eine spezifische Theologie, Spiritualität und Organisationsform. Doch ist er „keine Sekte, keine Konkurrenzgruppe neben anderen, sondern bei aller Eigenständigkeit

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ein integraler Bestandteil der Gesamtkirche“ (Ernst, 17). Als integralem Bestandteil der Gesamtkirche eignete dem johanneischen Kreis seinerseits große integrative Kraft, die weit über sein geschichtliches Bestehen hinausreichte und eine Wirkungsgeschichte von großer Bedeutung hervorrief. Die Rezeptionsgeschichte der johanneischen Logoschristologie ist dafür beispielhaft und zugleich paradigmatisch für den Entwicklungsgang des altkirchlichen Dogmas. Entscheidend für die Integrationskraft des johanneischen Kreises war nicht zuletzt die Konzeption des vierten Evangeliums selbst, die, wie eingangs erwähnt, reflexiv-kerygmatische und narrative Theologiemodelle des frühen Christentums synthetisierte und dabei jene christologisch-theologischen Fundamente legte, auf denen die Folgegenerationen unter konstruktivem und kritischem Bezug auf die Geisteswelt des antiken Hellenismus aufbauen konnten. Diese Feststellungen gelten unabhängig von dem Problem, in welchem Umfang und in welcher Form der vierte Evangelist neben dem Alten Testament die Synoptiker bzw. die synoptische Tradition sowie die paulinischen Überlieferungen kannte, und unabhängig auch von der Frage, in welchem zeitlichen Verhältnis das Johannesevangelium und die Johannesbriefe zueinander stehen. Dass beide aufs engste aufeinander bezogen und miteinander verbunden sind, ist ebenso evident wie ihre christologische Gemeinsamkeit, den auferstandenen gekreuzigten Jesus von Nazareth, dessen Menschsein „selbstverständlich“ (Becker, 140) vorausgesetzt wird, in seiner wahren Gottheit und als einigen Sohn Gottes des Vaters zu bekunden, ohne dabei dem monotheistischen Bekenntnis zur wesentlichen Einheit und Einzigkeit Gottes den Abschied zu geben. Damit war die Basis für das trinitarische und christologische Dogma der Alten Kirche gelegt. Das Johannesevangelium hat allen Anspruch darauf, als ein frühchristliches Glaubenszeugnis wahrgenommen zu werden, das nicht an den Rand, sondern in die Mitte des Kanons gehört (vgl. Söding [Hg.]). Dass es sich dabei nicht lediglich um das Zeugnis eines Einzelnen handelt, lässt sowohl das vierte Evangelium selbst als auch die nahe Verwandtschaft zwischen ihm und den drei Schriften unter den sog. Katholischen Briefen des Neuen Testaments vermuten, die als Johannesbriefe bezeichnet werden. Dass Evangelium und Briefe allesamt vom selben Autor stammen, ist unwahrscheinlich. Offen bleiben muss auch die Frage, ob der Autor des zweiten und dritten Johannesbriefes zugleich als derjenige des ersten und der Verfasser des ersten als Hauptverfasser des Johannesevangeliums gelten darf. Man wird mit schulmäßigen Produktionszusammenhängen zu rechnen haben, die theologisch entscheidend von einem, möglicherweise mehreren Schulhäuptern bestimmt waren. Auch wenn sich die Verfasserschaftsfragen im Einzelnen nicht aufklären lassen, so kann doch eindeutig gesagt werden, dass die johanneischen Texte einem identifizierbaren Kreis mit erkennbarem Zentrum und einer Theologie mit klar konturiertem Profil entstammen. Wie immer man das Verhältnis von freier Komposition, redaktioneller Modifikation und Verarbeitung überlieferten Guts sei es mündlicher oder schriftlicher Art zu beurteilen hat: außer Zweifel steht, dass es sich beim vierten Evangelium um

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ein literarisches Werk von ausgeprägter Eigenart handelt, das durch einen unverwechselbaren Sprachstil und charakteristischen Gehalt gekennzeichnet und durch beides mit den Johannesbriefen verbunden ist. Diese Eigenart tritt nicht zuletzt im Vergleich mit den synoptischen Evangelien deutlich hervor, deren Zeugnis transformiert und inhaltlich fortgebildet wird. Der Zentralbegriff der synoptischen Tradition, der zugleich die Mitte der Verkündigung Jesu bildete, bleibt im Hintergrund erhalten, wie die Rede von der Basileia Gottes in zwei Logien in Joh 3 zeigt. Schon bei den Synoptikern ist der Verkündiger des nahen Gottesreiches selbst zum Verkündigten geworden. Bei Joh gibt sich der Verkündigte selbst als Subjekt seines Zeugnisses und als derjenige zu erkennen, der sich in der Kraft des göttlichen Geistes selbst zu bezeugen vermag. Im Gedächtnis der Seinen bringt er sich von sich aus lebendig in Erinnerung, um sich als der zu erweisen, der er ist, der er war und der er in Ewigkeit sein wird. In den „Ich-bin-Worten“ spricht Jesus Christus, dessen österliche Herrlichkeit Joh bezeugt, ohne die Niedrigkeit des Kreuzes zu vergessen, seine Vollmacht als göttlicher Offenbarer von Anbeginn offen aus. Statt der für die synoptische Überlieferung typischen Redeformen wie Logien, Kurzgleichnisse und Apophtegmata werden längere Dialogpassagen und Redeszenen geboten, in denen sich Jesus in der Kraft des Geistparakleten als der erhöhte Gekreuzigte, der Sohn seines allmächtigen Vaters und als göttlicher Offenbarer zu erkennen gibt, in dessen Person Gott und Mensch vereint sind. Das johanneische Zeugnis verbindet Narration mit gesteigerter theologischer Reflexion, wie sie im Neuen Testament in vergleichbarer Form nur in den Paulinen oder im Hebräerbrief begegnet. Ausgangs- und beständiger Bezugspunkt der Reflexionen ist dabei Ostern, wie in allen anderen neutestamentlichen Zeugnissen auch. An Ostern ist der Gekreuzigte als derjenige offenbar, der an sich selbst Herr und Gott ist und damit nicht länger der Differenz von Passion und Aktion unterliegt, wie sie für das irdische Menschenleben kennzeichnend ist. In diesem Sinne spricht der johanneische Christus: „Wie nämlich der Vater Leben in sich selbst hat, hat er auch dem Sohn verliehen, Leben in sich selbst zu haben.“ (Joh 5,26) Man wird nicht sagen dürfen, dass dieses Diktum sowie die in Joh 10,17f. begegnende Sohnesrede von einem Freiheitsvermögen, sein Leben in der Kraft des väterlichen Sendungsauftrags hinzugeben und wieder an sich zu nehmen, die urchristliche Theologie göttlicher Auferweckung Jesu „christologisch überflüssig macht“ (Stuhlmacher, 245). Auch sollte man nicht behaupten, „daß die Ostererscheinungen nur die göttliche Seinsweise Jesu bestätigen, die er von Anfang an besessen hat“ (ebd.). Hermeneutisch angemessener und traditionsgeschichtlich alternativlos ist im Gegenteil die These, dass die Ostererscheinungen Voraussetzung der göttlichen Seinsweise Jesu sind. Ohne Ostern würde Jesus nicht nur nicht als der Sohn Gottes erkannt, er wäre es auch nicht. Ostern ist sowohl der Erkenntnis- als auch der Seinsgrund der göttlichen Sohnschaft Jesu. Weder der Logosprolog, noch die Christusprädikationen des Johannesevangelium noch auch die johanneischen Ich-bin-Worte lassen sich unter Absehung von der österlichen Erhöhung des Gekreuzigten durch Gott ver-

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stehen. Es ist der auferstandene Gekreuzigte, der sich in den Ich-bin-Worten als derjenige präsentiert, der er war, der er ist und der er sein wird, wobei hinzuzufügen ist, dass es sich bei diesen Worten um Formen sowohl der Präsentation, als auch der Identifikation, der Qualifikation und der Rekognition handelt. Der auferstandene Gekreuzigte gibt sich den Seinen als derjenige zu erkennen, den sie als Jesus erinnern, und erweist sich so als lebendiger Wirkgrund seines Gedächtnisses, der selbst die gewisse Aussicht auf seine endzeitliche Wiederkunft erschließt, welche die Gemeinde harrend erwartet. Wenn der johanneische Christus schließlich sagt, dass er die Auferstehung und das Leben selbst sei, so darf dieses Wort ebenso wenig im Sinne unmittelbarer Selbstvergottung gedeutet werden wie die sonstigen Ich-bin-Worte, seien diese in Verbindung mit einem Nomen oder absolut (vgl. Joh 8,24.28.58; 13,19) gebraucht. Der Sohn, wie er österlich offenbar ist, ist, was er ist, nicht unmittelbar aus sich selbst, sondern vom Vater her, der ihn gemacht hat, und auf den Vater hin, dessen Gottheit seine Mission gilt. Doch offenbart sich Gott an Ostern seinerseits als derjenige, der seine Gottheit ganz und gar mit dem Sohn teilt, dessen Vater er ist. Gott ist seinem göttlichen Willen und Wesen nach nicht Gott ohne den Sohn. Der am Kreuz österlich offenbare Sohn ist Sohn nur vom Vater her und auf den Vater hin; aber auch der Vater ist, was er ist, nur im Sohn und durch ihn. Wenn der johanneische Christus sagt, ich und der Vater sind eins (vgl. Joh 10,30), identifiziert er sich keineswegs unmittelbar mit dem Vater. Die Annahme einer Selbstvergottung Christi würde der johanneischen Christologie nicht nur nicht entsprechen, sondern fundamental widersprechen. Der Sohn ist mit dem Vater nicht auf indifferente, sondern auf eine differenzierte Weise eins, die jede unmittelbare Gleichsetzung von Sohn und Vater ausschließt. Die Einheit von Vater und Sohn ist durch den Die differenzierte Einheit von Unterschied beider vermittelt. Sie ist aber unbeVater und Sohn schadet dessen vorbehaltlose und gänzliche Einheit und nicht sonst und darüber hinaus. Die These, dass die Johannesschule „(t)rotz der wesenhaften Gleichheit und Immanenz von Gott-Vater und GottSohn ... an der Subordination des Sohnes unter den Willen des Vaters festgehalten“ habe (Stuhlmacher, 225), ist sonach zumindest terminologisch verfehlt, sofern der Subordinationsbegriff ungeeignet ist, das Vater-Sohn-Verhältnis im johanneischen Sinn zu erfassen. Wohl ist es wahr, dass der Sohn in Wort, Tat und Person nichts ist ohne den Vater. Die Sohnschaft des Sohnes ist von der Vaterschaft des Vaters schlechterdings abhängig, was mehr und anderes ist als bloße Unterordnung. Der Sohn ist an sich selbst nichts ohne den Vater. Aber auch die Väterlichkeit des göttlichen Vaters ist nicht ohne den Sohn. Ohne den Sohn wäre daher auch der göttliche Vater nicht, was er ist. Zwar kann eine, wenn man so will, sohnlose Selbstbehauptung der Gottheit Gottes an sich nicht abgesprochen werden, aber durch Ostern ist in der Kraft des Hl. Geistes offenbar, dass Gott nicht anders auf seiner Gottheit besteht als in und durch den Sohn, dessen Vater er ist und in dem er sich in seiner Väterlichkeit verwirklicht, zu der er sich durch ihn bestimmt weiß.

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Der tiefgründige Gehalt und präzise Sinn dieser Reflexionen tritt noch deutlicher ans Licht, wenn man sich die aktuelle Situation vergegenwärtigt, in welche hinein die johanneische Botschaft verkündet wird, und dabei die zentrale Bedeutung mitbedenkt, die den Parakletensprüchen in ihr zukommt. Die äußerliche und innerliche Notsituation der johanneischen Gemeinden war nach dem Zeugnis der beiden ersten Johannesbriefe durch Bestreitungen des Taufbekenntnisses zu Jesus als dem menschgewordenen Gottessohn bzw. durch die Behauptung der Unvereinbarkeit dieses Bekenntnisses mit dem monotheistischen Zeugnis von der Einzigkeit Gottes bestimmt, welche die Tora Israels gebot. Dass Jesus Christus als himmlischer Sohn des Vaters bezeugt werde, der in seiner Person Mensch und Gott vereine, sei eine Lästerung Gottes und dem Zentralbekenntnis Israels zuwider. „Der Konflikt wird deutlich, wenn ‚die Juden‘ Jesus in Joh 5,18 vorwerfen, er mache sich ‚Gott gleich‘, dann variiert in Joh 10,33, er mache sich ‚selbst zu Gott‘, bzw. in 19,7 ‚zu Gottes Sohn‘.“ (Labahn/Scholtissek/Strotmann, 51) Ihren konkreten Sitz im Leben haben diese Vorhaltungen in Streitigkeiten zwischen den johanneischen Gemeinden und Kreisen der Synagoge, die beider Trennung folgten bzw. ihr schon vorhergingen. Wenn, was wahrscheinlich ist, das Johannesevangelium und die johanneischen Briefe trotz möglicher, ja nahe liegender Traditionsverbindungen zu Palästina und Syrien im kleinasiatischen Raum von Ephesus zu lokalisieren sind, dann wird man vor allem an dortige Konflikte zwischen Juden und Christen zu denken haben. Sie betrafen mit den Juden- auch die Heidenchristen, sofern es in der Frage des judenchristlichen Verhältnisses zur synagogalen Tradition immer auch um die Legitimität eines gesetzesfreien Heidenchristentums ging. Der Bruch mit der Synagoge einerseits und die Einheit von Juden- und Heidenchristen andererseits bilden die Spannungspole, durch welche die Situation der johanneischen Gemeinden in Kleinasien bestimmt war, in die hinein das Evangelium und die Briefe sprechen. Ursprünglich motiviert ist ihr Zeugnis von der differenzierten Einheit Gottes des Vaters mit seinem Gottheit und Menschheit vereinenden Sohn, mit welchem die johanneische Theologie den Grund gelegt hat für das trinitarisch-christologische Dogma der Alten Kirche, weder durch einen angeblichen gnostischen Erlösermythos noch durch sonstige fremdreligiöse Einflüsse, sondern durch die Notwendigkeit, das unaufgebbare Bekenntnis zu dem einzig-einen Gott Israels stimmig mit dem ebenso unaufgebbaren Bekenntnis zur göttlichen Sendung und Sohnschaft des am Kreuz erniedrigten und österlich erhöhten Jesus Christus zu verbinden. Die Zentralaussage der wahrscheinlich im letzten Jahrzehnt des 1. Jahrhunderts entstandenen und zu Beginn des 2. Jahrhunderts publiziert vorliegenden Schriften des Corpus Johanneum besteht in dem nicht nur von Seiten der Synagoge, sondern, wie die Johannesbriefe belegen, wohl auch von Teilen der christlichen Gemeinde bestrittenen Bekenntnis, „dass Jesus der Christus, der Sohn Gottes“ (Joh 20,31) sei. Diesem Bekenntnis reflektierten Ausdruck zu verschaffen, ist das konstruktive und kritische Grundanliegen johanneischer Theologie. Zentral ist das

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Thema der einigen Gemeinschaft des Vaters und des Sohnes, wie sie in der am Kreuz sich vollendenden Sendung Jesu österlich offenbar geworden ist. Der am Kreuz Erhöhte ist der Offenbarer Gottes, in welchem dieser als er selbst väterlich sich manifestiert. Vater und Sohn sind von daher zu unterscheiden, nicht aber zu trennen. Wer den Sohn gesehen hat, hat den Vater gesehen (Joh 14,9), dessen unsichtbare Gottheit in der österlichen Erscheinung des Gekreuzigten zum Heil der Welt offenbar geworden ist. Der soteriologische Sinn der väterlichen Selbstoffenbarung Gottes im Sohn ist in dieser insofern inbegriffen, als der Sohn die Seinen, welche ihm im Glauben anhängen, hineinnimmt in sein Sohnesverhältnis zum Vater. Die Sühnewirkung des Todes Jesu, der die Gottwidrigkeit der Sünde und die Trennung der Sünder von Gott behebt, ist dabei vorausgesetzt und österlich verewigtes Implikat des Verhältnisses von Vater und Sohn, wie es im Hl. Geist erschlossen ist. Das johanneische Geistverständnis tritt insbesondere in den Parakletensprüchen zutage. Der Paraklet Der Begriff des Parakleten, der sonst nirgends im Neuen Testament verwendet wird, ist der juristischen Fachsprache entnommen und bedeutet ursprünglich Advokat im Sinne von Rechtsanwalt, im übertragenen Sinne etwa Beistand, Fürsprecher und Helfer. Gemäß johanneischem Verständnis ist es die Wirkung des Parakleten, die Wahrheit des in Jesus Christus offenbaren Gottes zu bezeugen, damit die Welt die göttliche Mission des vom Vater gesandten und zu ihm zurückgehenden Sohnes erkenne und glaube. Der Paraklet ist Vater und Sohn, deren Verhältnis er besiegelt und zugleich offen hält, um Anteil zu geben an ihm, innigst verbunden, so dass er Geist Gottes und Geist Christi genannt, ja in seinem Wesen und seiner Wirklichkeit mit Vater und Sohn identifiziert werden kann. Dennoch ist der Paraklet, so sehr er zu Recht der Geist Gottes und der Geist Christi zu nennen ist, schon bei Johannes tendenziell eine eigene Größe, die nicht unmittelbar gleichzusetzen ist mit Vater und Sohn oder ihrem Verhältnis zueinander. Den traditionsgeschichtlichen Hintergrund der jedenfalls der Tendenz nach erfolgten „Hypostasierung“ des Geistes bilden u.a. weisheitliche Erwägungen zur theologischen Stellung der Sophia, die im antiken Judentum mit dem Hl. Geist bzw. mit dem Geist des Herrn gleichgesetzt werden konnte. Doch erschließt sich der Sinn der Pneumatologie der johanneischen Schule primär nicht von äußeren Einflüssen, sondern von dem internen Gehalt her, der mit ihr verbunden und charakteristisch ist für ihre theologische Gesamtkonzeption, die man mit der Wendung epikletische Anamnese umschreiben könnte. Ohne Erinnerung des gekreuzigten Jesus von Nazareth kann es kein Christentum geben. Dieser Grundsatz wird vom Corpus Johanneum in Übereinstimmung mit der synoptischen Tradition eindeutig bestätigt. Hier wie dort ist es die österliche Retrospektive, in der die Tradition des irdischen Jesus Gegenstand der Evangeliumsverkündigung wird. Der materiale Gehalt der Jesusüberlieferung wird dabei durch Ostern weder ergänzt noch gar ersetzt, wohl aber in einer Weise transformiert und finalisiert, dass das

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vollendete Perfekt der Sendung Jesu Christi eindeutig zutage tritt: „es ist vollbracht“ (Joh 19,30). Aus der Gewissheit des vollendeten Perfekts der Sendung Jesu Christi, dass das johanneische Zeugnis seinen Adressaten durch Verweis auf den sich im Geist selbst bezeugenden Herrn zu vermitteln sucht, erwächst die hoffnungsfrohe Zuversicht auf dasjenige, was kommen wird. Ist doch die Zukunft selbst in der Erscheinung des auferstandenen Gekreuzigten, der sich als der prä- und postexistente Herr der Zeiten erweist, schon vorweggenommen. Nicht so, als ob es für die johanneische Gemeinden nichts mehr zu erwarten gäbe: Das Parusieproblem bleibt; doch ist die Naherwartung der Wiederkunft Christi, ohne aufgegeben zu sein, unter johanneischen Bedingungen vom Zwang chronologischer Berechnungen oder Quasiberechnungen grundsätzlich befreit und, wenn man so will, prinzipiell mit mehr Geduld verbunden, sofern Jesus Christus im Geiste schon jetzt seine Realpräsenz gewährt, auch wenn er in der körperlichen Gestalt seiner irdischen Lebtage nicht mehr und in seiner himmlischen Leibhaftigkeit, welche den ganzen Kosmos umfassen und die gesamte Welt in sich bergen wird, noch nicht auf allgemein erkenntliche Weise gegenwärtig ist. Das eschatologische Zeugnis des urchristlichen Propheten, von dem das letzte Buch des neutestamentlichen Kanons stammt, ist, wie mehrfach vermerkt, erkennbar anders geprägt als dasjenige des Johannesevangeliums und der johanneischen Briefe. Von den römischen Provinzialbehörden als vermeintlicher oder tatsächlicher Gegner in die menschenleere Ödnis der Insel Patmos verbannt, versucht der Verfasser der Johannesapokalypse Trost und Ermutigung in der verheerenden politischen Situaion einer sich forcierenden Christenverfolgung zu spenden. Er tut dies in apokalyptischer Tradition und in Form einer Apokalypse. Ob die Johannesapokalypse ein zeitlich früheres Traditionsstadium gegenüber den anderen johanneischen Schriften repräsentiert oder ein Spätwerk der johanneischen Schule darstellt, wird gelegentlich erwogen. Erhebliche Zweifel bleiben. Eine unmittelbare Zugehörigkeit der Apokalypse zum johanneischen Kreis ist eher unwahrscheinlich. Umso bemerkenswerter ist es, dass man bereits in der Kirche des 2. Jahrhunderts n.Chr. von einer Verfasserschaftsidentität bezüglich der johanneischen Briefe, des Johannesevangeliums und der Johannesapokalypse ausging, die allesamt dem Jesusjünger Johannes zugeschrieben wurden. Dieser Sachverhalt zeigt, wie immer es um die Motive des Vorgangs im Einzelnen bestellt gewesen sein mag, dass eschatologische Zukunftserwartung und präsentische Heilsgewissheit für das entwickelte christliche Bewusstsein keineswegs in einem Gegensatz zueinander standen, sondern einen differenzierten Zusammenhang bildeten, der im auferstandenen Gekreuzigten seinen Grund gefunden hatte.

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H.-M. Barth, Art. Gesetz und Evangelium I. Systematisch-theologisch, in: TRE I, 126–142. – F. Chr. Baur, Vorlesungen über neutestamentliche Theologie. Hg. v. F. F. Baur. Mit einer Einführung zum Neudruck von W. G. Kümmel, Darmstadt 1973. – G. Friedrich, Art. euaggelizomai u.a., in: ThWNT II, 705–735. – M. Hengel, Zur urchristlichen Geschichtsschreibung, in: ders., Studien zum Urchristentum. Kleine Schriften VI, Tübingen 2008, 1– 104. – Ders., Überlegungen zu einer Geschichte des frühesten Christentums im 1. und 2. Jahrhundert, in: ebd., 313–352. – H. Hübner/B. Jaspert (Hg.), Biblische Theologie. Entwürfe der Gegenwart, Neukirchen 1999. – K. Kertelge, Art. Rechtfertigung II. Neues Testament, in: TRE III, 286–307. – H. M. Kuitert, Kein zweiter Gott. Jesus und das Ende des kirchlichen Dogmas, Düsseldorf 2004. – G. Sauter, Art. Rechtfertigung VII. Dogmatisch, in: TRE III, 352–364. – J. Taubes, Die Streitfrage zwischen Judentum und Christentum. Ein Blick auf ihre unauflösliche Differenz, in: ders., Vom Kult zur Kultur. Bausteine zu einer Kritik der historischen Vernunft. Gesammelte Aufsätze zur Religions- und Geistesgeschichte, hg. v. A. u. J. Assmann, München 1996, 85–98. – G. Theißen, Die Entstehung des Neuen Testaments als literaturgeschichtliches Problem, Heidelberg 2007. – M. Theobald, Studien zum Corpus Johanneum, Tübingen 2010. – U. Wilckens, Der Brief an die Römer. I. Teilband, Neukirchen 21987; II. Teilband, Neukirchen 31993. – Ders., Theologie des Neuen Testaments. Bd. I: Geschichte der urchristlichen Theologie. Teilband 2: Jesu Tod und Auferstehung und die Entstehung der Kirche aus Juden und Heiden, Neukirchen (2003) 22007; Teilband 3: Krise des Urchristentums: Paulus und seine Schüler, Theologen aus dem Bereich judenchristlicher Heidenmission,, Neukirchen 2005; Teilband 4: Die Evangelien, die Apostelgeschichte, die Johannesbriefe, die Offenbarung und die Entstehung des Kanons, Neukirchen 2005.

Das Neue Testament enthält 27 Schriften. Sie Frühchristliche sind als verbindliches Ganzes erstmals im 39. Literaturgeschichte Osterfestbrief des Athanasius aus dem Jahr 367 n.Chr. für dessen bischöflichen Zuständigkeitsbereich belegt. Neben der Lektüre der kanonischen Schriften empfiehlt Athanasius den Katechumenen auch die Lektüre außerkanonischen Schrifttums. Um eine strikte Trennung zwischen Kanon und Nichtkanon war es dem ägyptischen Bischof offenbar nicht zu tun. Die Frage der Bestimmung der Ränder des Kanons galt auch ihm noch eher als dogmatische Randfrage. Wichtiger als das Problem des genauen Quantums verbindlicher Schriften scheint die Qualitätsproblematik gewesen zu sein. Dies wird durch die Tatsache bestätigt, dass es in frühchristlicher Zeit „nie einen formellen Beschluss über den Kanon gegeben“ (Theißen, 285) hat.

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Trotz Fehlens eines förmlichen Kanonbeschlusses und einer entsprechenden Definition seiner Grenzen im Frühchristentum stand das Grunddeposit des Neuen Testaments schon Ende des 2. Jahrhunderts n.Chr. im Wesentlichen fest; nur die kanonische Zugehörigkeit vergleichsweise weniger Schriften blieb längere Zeit umstritten. Dies ist umso bemerkenswerter, als die neutestamentlichen Texte nur „einen Ausschnitt aus einem umfangreichen urchristlichen Schrifttum (bilden), von dem ca. 90 Schriften ganz oder in Fragmenten enthalten sind“ (Theißen, 15). Entstanden sind die neutestamentlichen Schriften allesamt in der Zeit etwa dreier Generationen nach der Mitte des 1. Jahrhunderts n.Chr., woran sich zeigt, dass verhältnismäßige Ursprungsnähe zumindest ein Kennzeichen neutestamentlichen Schrifttums darstellt. Unter den nach dem ersten Drittel des 2. Jahrhunderts n.Chr. geschriebenen Texten hat signifikanterweise keiner mehr Eingang in den Kanon gefunden. Weil das Erschließungsereignis christlichen Glaubens in einem unveräußerlichen Bezug zu geschichtlichen Ereignissen steht, konnte das zeitliche Merkmal bei der Bildung des neutestamentlichen Kanons nicht unberücksichtigt bleiben. Das Auswahlkriterium der Verfasserschaft durch Apostel oder Apostelschüler steht trotz verbleibender Klärungsbedürftigkeit des Apostelbegriffs und unbeschadet der Tatsache, dass chronologisch späteren Schriften der Vorzug vor früheren gegeben werden konnte, in einem Zusammenhang hiermit. Klar jedenfalls ist, dass der Begriff des Apostels und das mit ihm verbundene Kriterium kanonischer Auswahl nicht nur und auch nicht primär auf formale Autorität einzelner Personen, sondern etwa auf ihre Funktion sachlicher Traditionsgewährleistung abgestellt war. Generell gilt, dass der Gehalt ihres Zeugnisses über die autoritative Stellung der Apostelgestalt befand und nicht umgekehrt. Um als apostolisch zu gelten, musste eine Schrift als rechtgläubig und mit dem Konsens der Glaubenden kompatibel eingeschätzt werden. Formal reflektiert sich dieser Sachverhalt in der kriteriologischen Bedeutung, die „katholischer“ Akzeptanz für die kanonische Auswahl einer Schrift oder eines Schriftkorpus zukam. Ihre Verbreitung und ihr allgemeiner Gebrauch in den gottesdienstlichen Feiern der Gemeinde wurden als Ausdruck kirchlichen Konsenses gewertet, ohne welchen das Merkmal apostolischer Verfasserschaft keinen Bestand hatte. Schriften waren umstritten, wenn ihre direkte oder indirekte apostolische Herkunft oder der Gehalt ihrer Lehre in Zweifel stand. „Beides bedingte zweifellos einander. Wer eine Schrift inhaltlich ablehnte, postulierte auch bald, dass sie nicht apostolisch sein könne.“ (Theißen, 285) Das Programm der Bildung des neutestamentlichen Kanons, in dessen Genese sich der Prozess kirchlicher Formierung widerspiegelt, ist durch die korrespondierenden Faktoren von Interpretation und Abgrenzung bestimmt. Pluralität wird akzeptiert und zwar in einem durchaus erstaunlichen Maße, aber nicht grenzenlos, sondern in einem bestimmten Rahmen, der klare Grenzen absteckt, ohne einen geschlossenen Zirkel zu bilden. Konkret ging es bei der theologischen Begründung des kirchlichen Schriftkanons um die Überwindung historischer Krisen, welche die Angriffe namentlich von Gnosti-

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kern, Markioniten und Montanisten auf die überkommene Glaubenstradition mit sich brachten. Die Krise durch die christliche Gnosis blieb auf das 2. Jahrhundert beschränkt, obwohl sich die kirchliche Polemik im 3. Jahrhundert unvermindert heftig fortgesetzt hat. Wie schon im Kampf gegen die Gnosis ging es auch in den Auseinandersetzungen mit Markion und seinen Schülern um die Verteidigung des wesenhaften Zusammenhangs von Schöpfung und Erlösung und die Abwehr der Konstatierung eines intransigenten Gegensatzes zwischen dem Gott des Alten Testaments und dem Gott des Evangeliums. Eine neue, ganze eigene Gefahr entstand der Kirche dann im 3. Jahrhundert durch Mani und die manichäische Gegenkirche, die noch im 4. bis ins 5. Jahrhundert hinein eine erhebliche Wirkung gewonnen hat. Erst die prophetische Bewegung des Montanismus war es, die „zur endgültigen Festlegung eines nunmehr eigenen katholischen Schriftenkanons mit einer prinzipiell begrenzten Zahl heiliger Schriften nötigte“ (Wilckens, I/4, 319; bei W. teilweise kursiv). Grundlegend für das christliche Kanonverständnis ist der Zusammenhang des Neuen Testaments mit dem Alten und seine bereits nomenklatorisch angezeigte Bestimmung. Die Bibel Israels gehört unveräußerlich zum kanonischen Schrifttum der christlichen Kirche, aber als sog. Altes Testament. Im Unterschied zum jüdischen Schriftverständnis, das auf die Tora konzentriert ist, haben die Christen von Anfang an das Alte Testament als prophetisches Zeugnis verstanden, das über sich selbst hinaus auf die in Person und Werk des auferstandenen Gekreuzigten gegebene Erfüllung verweist. „Nicht die Tora ist ihre (sc. der Schrift) Mitte, sondern Jesus Christus.“ (Wilckens, I/4, 294) Entscheidender und zentraler Gesichtspunkt für das Schriftverständnis des Judentums ist „die fundamentale Bedeutung der Tora als Heilsgabe Gottes an sein erwähltes Eigentumsvolk und für die Bewahrung ihrer Gebote im Leben der Frommen. Das drückt sich in der Voranstellung der fünf Bücher Mose aus. Die Propheten als die Autoritäten des umfangreichen zweiten Teils sind die Verkünder der Tora und die Wächter über deren Befolgung in der Geschichte Israels vom Einzug in das verheißene Land bis zur Neukonstituierung nach der Rückkehr aus dem babylonischen Exil unter der Führung Esras und Nehemias. Und das Kriterium der Aufnahme weiterer ‚Schriften‘ ist das Leben mit den Geboten der Tora. Das zeigt sich exemplarisch an der Voranstellung des 1. Psalms im Psalter als Gebetbuch gesetzestreuer Frommer (vgl. Ps 119). Die ‚Weisheit‘, die in den Büchern von Salomo bis Jesus Sirach gelehrt wird, ist selbstverständlich das Gesetz (vgl. Sir 24,23; Bar 4,1–4; Vorrede Sir § 14.31–36).“ (Ebd.) Die Weisungen der Tora blieben zumindest in Teilen wie ihrem dekalogischen Kernbestand Toraweisungen und evangelische Botschaft auch im Christentum von grundlegender Bedeutung. Doch die Erfüllung dessen, was die jüdische Bibel im Pentateuch, den Prophetenbüchern und den übrigen Schriften bezeugt, sucht und findet der christliche Glaube in Jesus Christus, dessen Evangelium nach seinem Bekenntnis Grund,

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Inbegriff und Sinnziel nicht nur des neutestamentlichen, sondern des gesamtbiblischen Zeugnisses darstellt. „,Evangelium‘ ist ein Schlüsselwort urchristlicher Theologie. Es bezeichnet nach alter kerygmatischer Tradition die Kunde von Tod und Auferweckung des Christus Jesus (1Kor 15,1–5) als den zentralen Inhalt der Heilsverkündigung, durch die der, der zum Glauben gekommen ist und Jesus als ‚den Herrn‘ bekennt, der endzeitlichen Rettung teilhaftig wird (Röm 10,9f.). In diesem Sinn ist ‚Evangelium‘ ein Grundwort in den Briefen des Paulus und darüber hinaus (Apg 15,7; 20,24; 1 Petr 4,17), und zwar sowohl absolut als ‚das Evangelium‘ (1Kor 15,1f.; 1Thess 1,5; Röm 1,16 u. ö.) wie auch als ‚Evangelium Gottes‘ (Röm 1,1; 1Thess 2,2.8.9 u. ö.; so ebenso Apg 15,7; 20,24; 1 Petr 4,17) und als ‚Evangelium Christi‘ (Röm 15,9; 2Kor 2,12; 4,4 u. ö.; vgl. 1Thess 3,2, wo beides in einem Satz zusammensteht). In beiden Genitivbestimmungen drückt sich ein Doppelsinn aus: Gott und Christus sind einerseits Inhalt der vom Apostel verkündigten Heilsbotschaft, zugleich andererseits die im Evangelium selbst Redenden (vgl. 2Kor 5,18ff.; 13,3; Röm 15,18f.).“ (Wilckens, I/4, 19f.) Im Evangelium erschließt sich der in Jesus Christus, dem österlich erschienenen auferstandenen Gekreuzigten, offenbare Gott in der Kraft seines Hl. Geistes dem Glauben als unbedingtes Heil und vorbehaltlose Gnade. Das Evangelium, dessen Gehalt ganz von der Gestalt des sich in ihm kraft des göttlichen Geistes selbst bezeugenden Jesus Christus bestimmt ist, fungierte nicht nur als entscheidender Beweggrund und kriteriologische Basis der Kanonisierung der neutestamentlichen Schriften, sondern markiert zugleich ihre innere Mitte und das regulative Prinzip einer gesamtbiblischen Theologie im Sinne christlicher Hermeneutik. Nicht als ob die in reformatorischer Tradition gelegentlich anzutreffende Zuordnung von Altem und Neuem Testament im Sinne von Gesetz und Evangelium unkritisch erneuert werden sollte. Sie ist zu pauschal und erliegt allzuleicht der Gefahr, die Differenziertheit der exegetischen Befunde systematisch einzuebnen. Gegenwärtige Entwürfe biblischer Theologie gemahnen gerade in ihrer Unterschiedlichkeit, Komplexität nicht abstrakt zu reduzieren. Es kann nicht darum gehen, „die beiden Testamente theologisch gleichzuschalten, sondern ihr Verhältnis zueinander theologisch zu reflektieren“ (Hübner/Jaspert [Hg.], 5), wozu die Wahrnehmung ihrer internen Differenziertheit elementar hinzugehört. Indes ändert dies nichts an der Einsicht, dass dem Evangelium dem Begriff und der Sache nach eine hermeneutische Zentralstellung für die angemessene Würdigung der Gehalte des Neuen Testaments sowie ihrer Verhältnisbestimmung zu den Überlieferungsbeständen der jüdischen Bibel zukommt. Neben der Sammlung von Paulusbriefen ist die Sammlung derjenigen Schriften für die christliche Kanonbildung entscheidend, die als Evangelien bezeichnet werden. In Mk 1,1 begegnet der Evangeliumsbegriff als Überschrift des Buches, noch nicht als literarische Gattungsbezeichnung, als die sie sich im Laufe des 2. Jahrhunderts im kirchlichen Sprachgebrauch eingebürgert hat. In der älteren Rede vom Evangelium nach Markus, Matthäus etc. hat sich dieser modus loquendi vorbereitet. Die betreffenden Wendungen belegen das Bewusstsein, dass es ein und dassel-

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be Evangelium ist, das in den Evangelien auf unterschiedliche Weise bezeugt wird. Dieses Bewusstsein hat sich auch später erhalten. Als sich im 2. Jahrhundert die literarische Gattung wachsender Beliebtheit erfreute und neue Evangelienbücher entstanden wie judenchristlicherseits etwa das Nazaräer-, das Ebionäer- und Hebräerevangelium, sah man sich veranlasst, die vier schließlich kanonisch gewordenen Evangelien zusammenzustellen und zwar unter Vermeidung einer Harmonisierung, wie Tatian sie vornahm. Dies war umso nötiger geworden, als die zahlreichen neuen Evangelien auf apostolische Autorenschaft zurückgeführt und mit der gleichen Autorität versehen wurden wie die bisherigen, obwohl sie sich von diesen inhaltlich mehr oder minder deutlich unterschieden. Erneut zeigt sich, dass es im Wesentlichen Sachkriterien waren, nach denen über die Kanonisierung befunden wurde. Den Anfängen der Evangelienliteratur ging ein längerer Prozess zunächst mündlicher Überliefe- Die Anfänge der Evangelienliteratur und der paulinische rung von Jesustraditionen voran, der belegt, dass Gesetzeskonflikt die Gewissheit der Einheit des österlich Erhöhten mit dem am Kreuz gestorbenen irdischen Jesus von Nazareth für das Christentum von Anbeginn grundlegend war. Damit ist nicht gesagt, dass das Evangelium, welches nach Ostern und nach erfolgter Sendung des Pfingstgeistes mündlich und schließlich auch schriftlich bezeugt wurde, lediglich die Fortsetzung der Verkündigung Jesu sei. Die Tatsache, dass aus dem Verkündiger der Verkündigte geworden ist, konnte nicht ohne Rückwirkung auf die irdische Erscheinung Jesu und ihre Wahrnehmung bleiben. Zwar änderte sich nichts am Stoff, der materialiter identisch blieb und inhaltlich als suffizient zu gelten hat. Die Annahme, das frühe Christentum habe den Gehalt der Jesusüberlieferung unter Berufung etwa auf prophetische oder anderweitig vermittelte Worte des Erhöhten angereichert, ergänzt oder gar ersetzt, ist exegetisch unhaltbar und gehört ins Reich der Phantasie. Gleichwohl erscheint die Gestalt Jesu unter österlichen Bedingungen nicht nur in einem anderen Licht, sondern auch anders als vor Ostern, ohne dass der Erhöhte deshalb ein anderer wäre als Jesus von Nazareth. Der österlich Erscheinende ist mit Jesus identisch, ohne dass diese Identität unter vorösterlichen Bedingungen bereits eindeutig zu identifizieren war. Dieser Sachverhalt ist bei der Würdigung der nachösterlichen Jesusüberlieferung ebenso zu berücksichtigen wie bei der Bestimmung des Verhältnisses von vorösterlicher Jesusverkündigung und nachösterlicher Evangeliumsbotschaft, welche das Moment der Kontinuität ebenso enthält wie dasjenige der Diskontinuität und des unableitbar Neuen. Die in den Evangelien vorgenommene eindeutige Hinordnung der Jesusgeschichte auf Kreuz und Auferstehung, von woher sie erinnert und nacherzählt wird, bestätigt diesen Befund und entspricht ihm formal und inhaltlich. Die Ausrichtung der Jesustradition auf das Geschehen von Kreuz und Auferstehung ist für die frühchristliche Überlieferung nach Ostern sowohl im Hinblick auf ihre vorliterarische als auch auf ihre literarische Gestalt kennzeichnend. Dies wird

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durch die hypothetisch zu rekonstruierende Spruchquelle Q keineswegs falsizifiziert, sofern das Fehlen der Themen von Kreuz und Auferstehung in ihr auf ihren Charakter als Handbuch für Lehrende zum Zwecke katechetischer Vermittlung der Logien Jesu zurückzuführen ist. Die These, es habe eine gewissermaßen nichtkerygmatische Sondergemeinde von Jesusjüngern gegeben, die in Galiläa zurückgeblieben sei und sich auf die Verehrung ihres Meisters als eines eschatologischen Propheten beschränkt habe, ist in hohem Maße unwahrscheinlich. Auf die Eigenart der Logienquelle näher einzugehen, ist im gegebenen Zusammenhang ebenso wenig erforderlich wie eine eingehendere Kennzeichnung der einzelnen kanonischen Evangelien, die nach 70 n.Chr. wahrscheinlich in der Diaspora und möglicherweise in ihren Zentren wie Antiochia, Rom oder Ephesus entstanden sind, auch wenn in Bezug auf Zeiten und Orte der Entstehung letzte Sicherheiten nicht zu erlangen sind. Das älteste Evangelium nach Markus ordnet die seinen Lesern wohl weitgehend bekannte Jesusüberlieferungsstoffe in den Gesamtzusammenhang eines bei der Jordantaufe beginnenden und konsequent auf Kreuz und Auferstehung hingeordneten Geschichtsverlaufs ein. Damit war das für alle folgenden Evangelien grundlegende narrative Paradigma geschaffen. Sowohl Mt als auch Lk sind je auf ihre Weise Neubearbeitungen des Mk, wobei die Eigenart der lukanischen Konzeption nicht zum Geringsten darin besteht, die Jesusgeschichte mit der Geschichte der Apostel zu verbinden. Die Leistung des auctor ad Theophilum als theologischen Geschichtsschreibers werden von der Forschung unterschiedlich eingeschätzt. Auch die Authentizität des verwerteten Überlieferungsmaterials wird kontrovers beurteilt. Für die Zeit von der Steinigung des Stephanus und der Verbreitung der Griechisch sprechenden Judenchristen aus Jerusalem bis zum dortigen „Apostelkonzil“ hat er vermutlich zwei Quellenstränge verarbeitet, einen antiochenischen, die sog. Hellenistenquelle, die wahrscheinlich Berichte von Stephanus, Philippus, Barnabas und dem frühen Paulus enthielt, sowie eine Zusammenstellung von Petruserzählungen (vgl. im Einzelnen Hengel, Urchristliche Geschichtsschreibung). Ohne auf den formalen und inhaltlichen Sonderstatus des Johannesevangeliums, das in der kanonischen Anordnung des Neuen Testaments den direkten Zusammenhang von Lk und Apg unterbricht, näher einzugehen, sei lediglich konstatiert, dass die Voranstellung der Geschichtsbücher und namentlich der Evangelien im Neuen Testament den von Mk geschaffenen narrativen Modell eine hermeneutische Schlüsselbedeutung für die christliche Glaubensverkündigung einräumt. Diese ist Christuszeugnis, wie der den Anhängern Jesu in Antiochien beigelegte Name Christianoi, Christiani bestätigt. Weil aber der österlich bezeugte Christus kein anderer ist als Jesus, ist die Jesusüberlieferung für das Christentum von Anfang an von zentraler Bedeutung. Paulus macht darin keine Ausnahme, so sehr sich seine Theologie auf den auferstandenen Gekreuzigten konzentriert. Wie für die Geschichte des frühen Christentums überhaupt, so war Paulus auch für die christliche Kanongeschichte von weichenstellender Bedeutung, sofern die Sammlung seiner Briefe neben den Evangelien den Grundstock des Neuen Testa-

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ments bildet. „Der Besitz von Briefen des Apostels war nach dessen Tod von höchstem Wert. Man darf annehmen, daß an Zentralorten wie Korinth und Ephesus sowie vor allem auch in Rom Paulusbriefe gesammelt und einander zugesandt worden sind.“ (Wilckens, I/4, 302) Mit ihrer schließlichen Kanonisierung wurde die Legitimität und Verbindlichkeit paulinischer Theologie für die ganze christliche Kirche anerkannt, was keineswegs von Anfang an feststand. Vielmehr war diese lange Zeit in hohem Maße strittig und zwar auch und gerade innerhalb des Christentums, wo der Paulinismus anfangs nur eine Strömung von mehreren darstellte. Zwar kam es schon bald nach dem gemeindegründenden Ostergeschehen in der Griechisch sprechenden Gruppierung des Jerusalemer Judenchristentums infolge der auch von den sog. Hebräern, ihren Aramäisch sprechenden Glaubensgenossen geteilten Auffassung, dass der Tod des auferstandenen Gekreuzigten nicht das Ende eines gottverfluchten Lästerers, sondern ein eschatologisches Versöhnungsgeschehen gewesen sei, zu tempel- und torakritischen Äußerungen, die über den religiösen Rahmen des Judentums hinaus- und auf eine kirchliche Gemeinschaft aus Juden und Nichtjuden in Jesus Christus vorauswiesen. Doch blieben diese Tendenzen zunächst auf Ansätze bei den sog. Hellenisten beschränkt. Nach ihrer Flucht aus Jerusalem infolge der Steinigung des Stephanus missionierten sie in den Gebieten von Phönizien, Syrien und Kilikien. Die größte Gruppe der Flüchtlinge siedelte sich in der syrischen Hauptstadt an, wo ebenfalls Missionsarbeit geleistet wurde und zum Glauben an den auferstandenen Gekreuzigten Gelangte als gleichberechtigte Glieder Aufnahme in die kirchliche Gemeinschaft fanden. An der gottesdienstlichen Mahlgemeinschaft hatten antiochenische Heidenchristen vollen Anteil. Beschneidung der Männer wurde als Zugangsbedingung nicht abverlangt. Obwohl die Einheit im Glauben an Jesus Christus zwischen den Hellenisten und den in Jerusalem verbliebenen Hebräern nie grundsätzlich in Frage stand, kam es doch zu nicht unerheblichen Spannungen, die auch durch das sog. Apostelkonzil Ende der 40er Jahre nicht gänzlich und endgültig behoben werden konnten. Wohl erkannte man sich gegenseitig als Brüder und Schwestern im Herrn an und vereinbarte die Fortführung einer der Mission unter Juden parallel laufenden beschneidungsfreien Heidenmission sowie die kommuniale Koexistenz judenund heidenchristlich geprägter Gemeinden. Doch zeigt abgesehen von dem berühmt-berüchtigten Konflikt zwischen Paulus und Petrus das mit dem Konzilsbeschluss ursprünglich nicht verbundene sog. Aposteldekret, dass nicht alle Probleme behoben waren. Während nach Paulus die einzige Auflage des Apostelkonzils darin bestand, in den heidnischen Missionsgemeinden eine Kollekte für die Armen in Judäa einzusammeln, verlangte das Aposteldekret von heidenchristlichen Gemeindeteilen die Einhaltung von Mindestforderungen der Tora wie Verzicht auf Götzenopferfleisch, Blut und Ersticktem, um bei gemeinsamen Mahlfeiern die anwesenden Judenchristen nicht zu verunreinigen. Die antiochenische Gemeinde einschließlich Barabas scheinen sich der nachträglichen Kompromissformel der Jerusalemer gefügt zu haben. Paulus widersetzte sich ihr, blieb aber offenbar mit seiner ablehnenden Haltung zunächst allein.

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Wie immer es sich historisch genau verhalten haben mag: dass Paulus die Gesetzesfrage, wie er sie durch Kreuz und Auferstehung Jesu Christi gestellt sah, radikaliserte und prinzipialisierte, steht fest. In seinen Gemeinden lebten ungeachtet des sog. Aposteldekrets Heidenchristen und Judenchristen ohne Verpflichtung gesetzlicher Reinheitsgebote zusammen. Dies rief in einigen christlichen Kreisen Widerstände und Gegenbewegungen hervor, die ihrerseits den Aposteldekretskompromiss in Frage stellten und ihre ablehnende Haltung zur Forderung der Beschneidung von Heidenchristen zusteigerten. Spätestens in dieser Situation war für Paulus die Notwendigkeit gegeben, den gesamten Bereich des Verhältnisses von Glauben an Jesus Christus und den vom Gesetz geforderten Werken zu durchdenken. In seiner Rechtfertigungslehre als der Reflexionsgestalt des Evangeliums vom auferstandenen Gekreuzigten hat er dies unternommen. Sie ist die gedankliche Explikation dessen, was ihm in der damaszenischen Apokalypsis offenbar wurde. Im Brief an die Römer hat er seine ursprüngliche Einsicht systematisch entfaltet und damit das theologische Resultat formuliert, zu dem ihn seine in Damaskus grundgelegte Glaubensentwicklung führte. Der Römerbrief unterscheidet sich von allen übrigen Paulusbriefen durch seine thematische Einheit, die am Ende des Briefeingangs thetisch markiert (1,14–17) und im folgenden Briefkorpus in aneinandergereihten Gedankenschritten traktathaft abgehandelt wird. Alle, Juden wie Heiden, sind ausnahmslos Sünder, die, durch das Gesetz ihrer Schuld überführt und gerichtet, dazu bestimmt sind, um Christi willen aus göttlicher Gnade durch Glauben gerechtfertigt zu werden. Während die Tora als Offenbarungsgestalt göttlicher Gerechtigkeit den Sünder zu Recht verflucht, spricht das Evangelium des auferstandenen Gekreuzigten, der zur Versöhnung aller Sünder vor Gott gestorben ist, den Sünder gerecht und trennt ihn ohn all sein Zutun von der Sünde. „Im Glauben an Christus sollen alle, Juden wie Heiden, als Sünder, die sie waren, gerecht werden. Sie werden ‚ohne Gesetz‘ gerecht, weil Gottes Gerechtigkeit in Christus selbst die Unheilswirkung seines Zornes aufgehoben hat.“ (Wilckens, Brief an die Römer II, 3) Der wegen unserer Sünde Gestorbene und der um unserer Gerechtigkeit willen Auferstandenen ist Grund und Inbegriff der Heilsbotschaft, die Paulus zu verkünden hat; er ist das Rechtfertigungsevangelium in Person. Die Gerechtigkeit Gottes, von der das EvangeliDas Evangelium von der um kündet, erweist sich nach Paulus darin, dass Rechtfertigung des sie den Sünder, den Ungerechten, den Gottlosen Gottlosen um Jesu Christi willen durch Glauben gratis, aus reiner Gnade, rechtfertigt. Ist dies gerecht und rechtens mit dem Begriff der Gerechtigkeit zu verbinden, der die Tradition der griechisch-römischen Antike, aber auch die jüdische Tradition bestimmt, wenngleich auf je spezifische Weise? Wer diesbezüglich keine Zweifel hegt, wird die Provokation kaum ermessen können, welche die paulinische Theologie für Juden und Griechen bedeuten musste. Gott ist gerecht, sagt Paulus, aber gerade nicht im Sinne der distributiven Gerechtigkeit, die durch Scheidung von Recht und Unrecht urteilend richtet und jedem nach

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Maßgabe eines allgemeingültigen und allgemeinverbindlichen Gesetzes das Seine zuteilt, sondern indem er Gnade übt und den Ungerechten gerecht spricht. Ist damit nicht der Gerechtigkeitsbegriff um seine Sinnidentität gebracht und in völlig äquivoker Weise verwendet? Spricht Paulus von Gerechtigkeit Gottes nicht in einer Weise, die der überkommenen theologischen Rede nur durch ihre terminologische Form verbunden, inhaltlich aber konträr und gegensätzlich ist? Musste seine Verkündigung und Theologie daher nicht notwendigerweise und aus guten Gründen den frommen Juden als ein empörendes Ärgernis und den weisen Heiden als eine törichte Dummheit erscheinen (vgl. 1. Kor 1,23)? Das Evangelium von der Rechtfertigung des Sünders bezeichnet nicht nur die innere Mitte paulinischen Christentums, sondern christlichen Glaubens überhaupt (vgl. Kertelge, Sauter). Gott, wie er sich in Jesus Christus in der Kraft seines Hl. Geistes offenbart, nimmt sich der menschlichen Schwachheit an, er verdrängt in seiner Herrlichkeit das Leid der Welt nicht, sondern lädt es mitleidend auf sich, wobei denen seine besondere Zuwendung gilt, die nicht nur äußere Übel zu erdulden haben, sondern durch eigene Schuld ins Verderben gerieten. Gott in Christus will, dass allen Menschen geholfen werde; er beschränkt seine Liebe nicht auf Gerechte und Weise, sondern nimmt sich auch und gerade jener an, die wider alle Vernunft dem Bösen verfallen sind. Christliche Theologie ist österliche theologia crucis. Sie denkt das für antike Geistigkeit Undenkbare. Gottes Gottheit erschließt sich nicht als leidenslose Ataraxie und Apathie, sondern in mitleidender Sympathie gegenüber jenen, welche äußere Übel schrecken und die an innerer Schuld zugrunde zu gehen drohen. Gottes Wesen, wie es in Jesus Christus erscheint, ist erlösende und versöhnende Liebe. Diese Erkenntnis ist das wahrhaft Neue, das mit Christus und dem christlichen Glauben in die Welt gekommen ist und vom Evangelium angezeigt und bezeugt wird. Gott ist einer und der eine Gott ist nicht nur allmächtig, sondern gerecht, ja der Inbegriff aller Gerechtigkeit und der Grund alles Guten, in dem nachgerade die menschliche Vernunft ihre Bestimmung findet. Aber die Güte Gottes erschöpft sich nicht darin, jedem zuzuteilen, was er verdient. Zwar wird das Gesetz der iustitia distributiva durch die Botschaft von der Liebe Gottes nicht beseitigt, was nicht nur unvernünftig, sondern wider alle Vernunft wäre. Gleichwohl weiß das Evangelium von einer göttlichen Liebe zu künden, die höher ist als alle Vernunft und auch das Maß der Gerechtigkeit übersteigt. Suum cuique, lautet das Gesetz der Gerechtigkeit, das jedem zuerkennt, was ihm nach vernünftigem Urteil zukommt. Ohne solche gerechte und vernünftige Unterscheidungsleistung kann kein humanes Gemeinwesen existieren. Doch bedarf es um Gottes und der Menschen willen einer weiteren, anderen Unterscheidung, nämlich derjenigen zwischen Gesetz und Evangelium. Das Gesetz behält sein Recht im Rahmen der Gerechtigkeit. Das Evangelium aber rettet aus dem Gericht. Es ist unbedingter Zuspruch und Trost, der an keine Vorbedingungen gebunden ist. Das österliche Wirkzeichen für diesen Zuspruch und Trost ist das Kreuz Jesu Christi. Ja, der auferstandene Gekreuzigte ist Grund und Inbegriff des Evangeliums in Person. Die Gewissheit, seiner zu be-

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dürfen, um vor Gott bestehen zu können, macht den christlichen Glauben aus. Der Geist des Christentums geht von dem in Jesus Christus offenbaren Gott gerechter, aber die Gerechtigkeit zugleich transzendierender Liebe aus, in der zur Vollendung zu gelangen Ziel und Bestimmung des Glaubens ist. In der theologisch reflektierten Gestalt einer Lehre ist das Evangelium von der Rechtfertigung des Sünders nur in den paulinischen Briefen entwickelt worden, nicht hingegen in den Geschichtserzählungen der neutestamentlichen Evangelien. Gleichwohl bildet auch in ihnen wie im gesamten Neuen Testament das Rechtfertigungsevangelium die innere Mitte der Frohbotschaft Jesu Christi (vgl. Friedrich). Dies lässt sich u.a. an jenem neutestamentlichen Schreiben belegen, dessen Autor einen Ansatz vertritt, der an theologischer Grundsätzlichkeit hinter dem paulinischen nicht zurücksteht. Paulus hatte mit seiner Rechtfertigungslehre das Verhältnis zwischen Christus und dem Gesetz in einer prinzipiellen Weise durchdacht, die über die Frage heidenchristlicher Freiheit von der Beschneidungspflicht weit hinausging. Damit war, ohne sie abstrakt zu negieren, die Grenze der Geschichte Gottes mit Israel grundsätzlich geöffnet, so dass der universalen Weltmission des Christentums theologisch nichts mehr im Wege stand. Realer Wirkgrund der Rechtfertigung des Sünders, welche das Evangelium Jesu Christi Juden und Heiden jenseits der und ohne die Werke des Gesetzes auf Glauben hin zuspricht, ist nach Paulus die im auferstandenen Gekreuzigten gründende und in der Kraft des Geistes offenbare Versöhnung Gottes mit den Menschen. An diese Einsicht schließt der Verfasser des Hebräerbriefs an, in dem er den Gehalt des gottmenschlichen Versöhnungsgeschehens in Jesus Christus bezüglich seiner Implikationen und Folgen für den Sühnekult bedenkt, wie er am Jerusalemer Tempel und auf andere Weise überall dort in der antiken Welt geübt wurde, wo geopfert wurde. Die Religionen der Antike waren wesentlich Versöhnung in Christus durch kultische Opfervollzüge bestimmt. Darin machte das Judentum keine Ausnahme. Eine Änderung erbrachte erst das Christentum, was religionsgeschichtlich in hohem Maße erstaunlich und bemerkenswert ist. Unter Berufung auf Jesu Kultkritik und die Ansage des Endes des Tempels sowie auf der Grundlage der Deutung seines Sterbens als eines eschatologischen Sühnopfers für alle Menschen, wie es an Ostern als von Gott anerkannt, ja durch ihn selbst gewirkt offenbar geworden war, hatten bereits die hellenistischen Judenchristen Jerusalems grundsätzliche Zweifel am Sinn einer Fortführung des Sühnekults im Tempel und der fortgesetzten Teilnahme an ihm geäußert, wie sie von der Mehrzahl der Glieder der Urgemeinde neben den gottesdienstlichen Herrenmahlfeiern geübt wurde. Damit stand das Verhältnis des werdenden Christentums zur Tora unter dem Gesichtspunkt ihrer kultischen Ordnungen und rituellen Vorschriften zur Disposition, die sich von den sonstigen Weisungen göttlicher Gerechtigkeit unterscheiden, nicht aber trennen lassen, weil es hier wie dort um die für Gesamtisrael verbindliche Lebensordnung ging. Die jüdischen Gegner des Stephanuskreises werden dessen Infragestellung der Kulttora deshalb konsequenterweise als einen Angriff auf das mosaische Gesetz insgesamt

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beurteilt haben. In der Perspektive des Verfassers des Hebräerbriefs stellt sich dies nicht grundsätzlich anders dar. Seine Auseinandersetzung mit der Kulttora, welche die bei den Jerusalemer Hellenisten erkennbaren kritischen Ansätze prinzipialisiert und theologisch konstruktiv entwickelt, beschränkt sich nicht auf einen Teilbereich der Gesetzesfrage, sondern beantwortet sie in einer Grundsätzlichkeit, die dem paulinischen Ansatz vergleichbar ist, auch wenn die Akzente thematisch und begrifflich anders gesetzt werden. Seiner Form nach ist der sog. Hebräerbrief eine Predigt oder ein Lehrtraktat, auch wenn er brieflich schließt (vgl. Hebr 13,18–25). Seine sachliche Mitte bildet die auf der Basis der Schrift dargelegte Lehre von dem zu Gott erhöhten Gekreuzigten als unserem himmlischen Hohenpriester (vgl. Hebr 7,1–10,18). Erniedrigung und Erhöhung Jesu Christi als des österlich offenbaren Sohnes Gottes, der zum Heil von Menschheit und Welt Mensch geworden ist, stellen einen differenzierten Zusammenhang und die einheitliche Basis des christlichen Glaubens dar. Als der über alle Engel Erhabene ist Jesus Christus zugleich jener, der in seiner Erniedrigung jedes menschliche Leid bis hin zum Tode am Kreuz geteilt hat. Transzendente Erhabenheit und bis in den äußersten Abgrund hinabreichende Deszendenz korrespondieren einander christologisch ebenso wie vorbehaltloser Gehorsam gegen Gott und vollkommene Menschenliebe. Zur Koinzidenz gelangen Gottesgehorsam und Menschenliebe Jesu Christi gemäß der im Geiste Osterns dem Glauben erschlossene Einsicht am Kreuz als dem Ziel der Menschwerdung des Gottessohnes. Am Kreuz bringt sich Jesus Christus als der unmittelbar von Gott in sein Amt eingesetzte Hohepriester selbst als Opfer dar, um durch die singuläre Einmaligkeit seines Todes ein für allemal Sühne für die Sünde und Versöhnung Gottes mit den Sündern leidend zu erwirken. An Ostern ist das Perfekt des Versöhnungsopfers Jesu Christi durch Gott selbst offenbar, der den am Kreuz Erniedrigten als den ewig Erhöhten erweist, um in der Kraft seines Geistes die durch die Passion seines Sohnes gewirkte Sühne in unvergängliche Geltung zu setzen. Damit ist jedwede Form von Opfer vollendet und der Sühnekult, wie Priester ihn im Tempel üben, an sein definitives Ende gelangt. Jesu Christi Kreuzesopfer ist soteriologisch suffizient. Es bedarf daher keiner weiteren und keiner ständig wiederholten Opferdarbringungen zur Sühnung der Sünden. Alle Priester haben ausgedient, nachdem der ewige Hohepriester Gottes sich selbst als Opfer dargebracht hat. An die Stelle des Tempelkults tritt ein Gottesdienst, in dem in der Erwartung seiner universalen Verherrlichung das Gedächtnismahl des Hoheit und Niedrigkeit umfassenden Herrn gefeiert und das Geistevangelium von dem durch Jesus Christus hohepriesterlich erschlossenen Versöhnungsheils verkündet wird. Des vorbehaltlosen Entgegenkommens Gottes in Jesus Christus pneumatisch gewiss, kann das „wandernde Gottesvolk“ der christlichen Kirche in allen Anfechtungen getrost den Weg gehen, der ihm gewiesen ist. Autor und Adressat des Hebräerbriefs sind unbekannt. Als Abfassungszeit kommen am ehesten die Jahre nach 70 in Betracht. Das Schreiben reagiert auf die

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Katatstrophe der Zerstörung des Tempels, die nicht nur Juden, sondern auch Judenchristen schockierte, erschöpft sich aber theologisch nicht in dieser aktuellen Reaktion, sondern ist ganz grundsätzlich gefasst. Sein prinzipielles Ende hatte der Tempel und der an ihm geübte priesterliche Sühnekult schon vor seinem historischen gefunden, nämlich am Kreuz Jesu Christi, der, um es im Anklang an den Philipperhymnus zu sagen, sich entäußerte und gottgehorsam erniedrigte bis zum Tode am Kreuz, um in seiner Hoheit als hohepriesterlicher Versöhner von Menschheit und Welt in Erscheinung zu treten. Der frühen Christenheit galt der Hebräerbrief bald schon als Schreiben des Paulus. Dies ist historisch zwar unzutreffend, aber sachlich insofern nicht abwegig, als der Traktat die paulinische Theologie um einen Aspekt bereichert, der zu deren Ansatz gehört, ohne von ihr eingehend berücksichtigt worden zu sein. Wenn das Heil nicht durch die Werke des Gesetzes, sondern allein durch den Glauben an Jesus Christus zu erlangen ist, dann hat dies für die christliche Stellung zur Tora Konsequenzen, die auch deren kultische Vorschriften betreffen. Rechtliche und kultisch-rituelle Bestandteile der Tora lassen sich zwar unterscheiden, nicht aber trennen, weil sie von einem einheitlichen Verständnis der Gerechtigkeit Gottes umgriffen sind. Dem entspricht, dass das neue Verständnis der Gottesgerechtigkeit, wie es durch Jesus Christus erschlossen ist, kritische und konstruktive Auswirkungen hat auf alle Bestände des jüdischen Gesetzes und ihrer christlichen Wahrnehmung. Zugleich erhellt, dass das Evangelium Jesu Christi nicht allein in juridischer, sondern analog auch in kultisch orientierter Terminologie zum Ausdruck zu bringen ist. Auch andere traditionelle Vorstellungskontexte bieten sich an, um das unaussprechliche Heil in Worte zu fassen, welches der auferstandene Gekreuzigte bereitet hat. Bekanntlich wird sein Werk im Neuen Testament nicht nur als Rechtfertigung und versöhnende Sühne, sondern auch als Loskauf, Erlösung, Tod und Teufel überwindende Befreiungstat oder etwa als Heilung beschrieben, die Jesus Christus als ein Arzt erwirkt hat, der selbst das Leben ist. Doch kommt es nicht von ungefähr, dass im Vergleich zu medizinischen, ökonomischen oder sonstigen Kategorien den juridisch-kultisch geprägten Ausdrucksformen ein Vorrang zukommt, weil sie eine besondere Nähe zu jener Thematik aufweisen, die im Zentrum jüdischer Religion und der frühchristlichen Auseinandersetzung mit ihr stand: die Frage der Gerechtigkeit Gottes. Diese Frage betrifft gewiss alle Daseinsdimensionen und reicht bis in die somatische Sphäre kreatürlicher Körperlichkeit hinab. Doch so dringend und bedrängend leibliche Übel auch sind: das entscheidende Problem, welches das Innerste einer Theologie göttlicher Gerechtigkeit betrifft, ist durch das Unwesen gestellt, welches die Sünde treibt. Es kann daher nicht überraschen und ist seiner Herkunft aus und seiner bleibenden Bezogenheit auf die jüdische Religion gemäß, wenn im Zentrum der Soteriologie des werdenden Christentums die Rechtfertigungs- und Versöhnungsthematik steht. Neben den paulinischen Texten gehört der Hebräerbrief „zu den theologisch anspruchs- und gehaltvollsten Schriften des Neuen Testaments“ (Wilckens I/3,

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306). Als dritter im Bunde der überragenden Theologen der frühen Christenheit darf der Verfasser des Johannesevangeliums gelten. Er war es, der die Voraussetzung, auf der die paulinische Rechtfertigungslehre und die Lehre des Hebräerbriefs von der hohenpriesterlichen Versöhnung gemeinsam basierten, in einer theologischen Grundsätzlichkeit reflektierte, wie sie vorher so nicht gegeben war. Indem er den auferstandenen Gekreuzigten als den inkarnierten Logos und als denjenigen bezeugte, der „mein Herr und mein Gott“ (Joh 20,28) zu nennen ist, hat er auf die Frage nach dem Verhältnis von Jesus und Gott und Gottes zu Jesus, welche die Christenheit von Anbeginn bewegte, eine Antwort von solch grundsätzlicher Art gegeben, die alle bisherigen in sich aufhob und alle folgenden bis hin zum trinitarisch-christologischen Dogma der Alten Kirche antizipierte. Zwar ist für Johannes ebenso wie für das altkirchliche Dogma Jesus Christus „kein zweiter Gott“ (vgl. Kuitert), aber er ist jener, der als der Sohn des göttlichen Vaters dessen Gottheit von Anbeginn an und in alle Ewigkeit unveräußerlich zugehört. Man muss Ferdinand Christian Baur in seinem Urteil nicht unkritisch folgen, dass im Jo- Gott ist Liebe hannesevangelium „die neutestamentliche Theologie ihre höchste Stufe und ihre vollendetste Form“ (Baur, Neutestamentliche Theologie, 351) erreicht hat. Wahr aber ist, dass der im vierten Evangelium in Form und Inhalt erlangte Grad theologischer Reflexion nicht unterboten werden darf, wenn christlicher Glaube überzeugende gedankliche Rechenschaft von seinem Ursprung und Grund geben will. Nach Baur ist im johanneischen Evangelium, das er erst gegen Ende des 2. Jahrhunderts datiert, die ursprüngliche Antithese von Paulinismus und christlichem Judaismus aufgehoben und die Idee einer katholischen, die Schranken des Judentums transzendierenden Geistgemeinschaft zur Vollendung gebracht. Nun erst habe das christliche Bewusstsein eine Gestalt angenommen, aus der heraus sich jene Denkungsart entfalten konnte, die mit dem altkirchlichen Dogma die Identität des Christentums als einer eigenständigen Religion auf den Begriff zu bringen vermochte. In der johanneischen Logoschristologie und in der theologischen Grundannahme des Johanneismus, dass Gott Liebe und nichts als Liebe sei, sieht Baur diesen Prozess präfiguriert. In der Selbstoffenbarung göttlichen Liebeswesens, wie es sich im inkarnierten Logos kraft des Hl. Geistes manifestiert, ist nach seinem Urteil die Alternative, das Christentum sei entweder das alte Gesetz in neuer Gestalt oder Glaube ohne des Gesetzes Werke, aufgehoben, will heißen: bestimmt negiert, bewahrt sowie in vollendeter Weise erfüllt und das Christentum als offenbare und absolute Religion der Liebe gesetzt, die sich zur Kirche nicht auf der Basis amtlicher Autorität, sondern allein auf der Grundlage einer in der Freiheit des Geistes gewonnenen Überzeugung herauszubilden anschickte. Baurs Beschreibung johanneischer Theologie ist äußerst bemerkenswert, aber nicht unbedenklich. Die Bedenken beziehen sich neben Datierungsfragen, der Dialektik, welcher die urchristliche Geschichtsentwicklung unterstellt wird, sowie der allzu deutlichen Kontrastierung römisch-katholischer und liberalprotestanti-

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scher Ekklesiologie, die Baur mit seiner Exegese verbindet, vor allem auf die Zentralthese, wonach das Evangelium der Liebe das Gesetz der Gerechtigkeit dergestalt in sich aufhebe, dass der Unterschied beider nicht nur als prinzipiell, sondern auch schon als aktuell und geschichtlich vergangen gelten könne. Bedenklich ist diese These, weil sie darauf angelegt ist, Form und Gestalt des Liebesevangelium Jesu Christi in überlegener Weise rein an sich selbst und ohne bleibende Beziehung auf das Gesetz zur Darstellung zu bringen. Entspricht diese Auffassung dem Johannesevangelium? Der paulinischen oder derjenigen des Hebräerbriefs jedenfalls nicht und zwar ebensowenig wie der Auffassung etwa der synoptischen Evangelien. Baur räumt dies selbst unumwunden ein, etwa wenn er in Bezug auf Paulus sagt: „So hoch auch der Apostel Paulus die Liebe Gottes stellt, so steht doch in seiner Anschauungsweise vermöge seiner Ansicht vom Gesetz der Liebe noch immer die Gerechtigkeit gegenüber. Der Mensch kann von dem Gesetz nicht hinwegkommen, ohne dass dem Rechtsanspruch des Gesetzes an ihn Genüge geschehen, seine Schuldforderung getilgt, das Lösegeld bezahlt ist. Diess geschieht durch den Tod Jesu, er ist das Hauptmoment, in welchem das ganze Werk der Erlösung sich vollzieht. Mit dieser centralen Bedeutung, welche der Tod Jesu im paulinischen Lehrbegriff hat, ist sogleich alles gegeben, was den eigenthümlichen Inhalt desselben ausmacht, der intensive Begriff des nur auf den Tod als sein eigentliches Object gerichteten Glaubens, und das eben dadurch bedingte Verhältniss des Glaubens und der Werke in Hinsicht der Rechtfertigung. Im johanneischen Lehrbegriff fehlt vor allem eine solche Bedeutung des Todes Jesu, wie bei Paulus, und zwar aus dem doppelten Grunde, weil das Gesetz dem Gesichtskreis des Evangeliums schon so entrückt ist, dass seine Ansprüche gleichsam als antiquirt anzusehen sind, und sodann weil die ganze Anschauung von der Person Jesu es nicht gestattet, ein einzelnes Moment auf so überwiegende Weise hervorzuheben, dass der Schwerpunkt des ganzen Erlösungswerkes in dasselbe fällt. Erlösend ist Jesus durch seinen Tod nur in demselben Verhältniss, in welchem er es durch seine irdische Erscheinung überhaupt ist. Was bei Paulus die Thatsache des Todes ist, ist hier das rein persönliche, die Person Jesu in ihrer absoluten Bedeutung.“ (Baur, 400f.) Man wird den zitierten Ausführungen Baurs weder theologisch noch exegetisch beipflichten können, so eindrucksvoll sie sind. Formal ist geltend zu machen, dass das Johannesevangelium nicht nach Maßgabe einer Lehrbegriffsmethode, sondern wie die Synoptiker auch als ein Erzählwerk gelesen werden will, das ohne Zukunftsbezüge ebenso wenig auskommt wie ohne Bezüge temporaler Vergangenheit, und das schon aus diesem Grund nicht auf eine rein präsentische Eschatologie restringiert werden kann, wie Baur dies intendierte mit der Folge, dass sich der Gnosisverdacht nicht von ungefähr einstellte. Inhaltlich aber gilt, dass das innerste Zentrum der johanneischen Geschichte des inkarnierten Gottessohnes durchaus im Kreuzesgeschehen begründet liegt. Die österliche Einheit von Vater und Sohn, wie der Pfingstgeist sie repräsentiert, ist nicht ohne bleibenden Rückbezug auf den Sühnetod des Gekreuzigten und nicht ohne Aussicht auf die Wiederkehr des Auferstandenen zu denken, dessen Zukunft mit der Erfüllung der göttlichen Liebe

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auch die vollkommene Realisierung der Gerechtigkeit Gottes erbringen wird. Zwar ist dem Glauben im Geiste des Auferstandenen jetzt schon gewiss, dass die Differenz von Gerechtigkeit und Liebe Gottes in Jesus Christus behoben ist. Doch darf gerade um des im auferstandenen Gekreuzigten beschlossenen Heils willen noch nicht als gegenwärtig gegeben behauptet werden, was Ziel glaubensgewisser Hoffnung ist. Der Geist des im Sohne offenbaren Vaters ist aller Wirklichkeit mächtig; aber die Begeisterung, die er zu bewirken vermag, ist noch nicht zu jener Vollendung gelangt, in welcher mit dem Glauben sich alles im Schauen Gottes erfüllt. Gott ist Liebe, lautet der Grundsatz johanneischer Theologie, der ihr organisierendes Prinzip und den Inbegriff allen Christentums bildet. Wie Gott selbst ist seine Liebe absolut und ohne jede relativierende Einschränkung. Doch uneingeschränkt offenbar ist sie allein in dem, der wegen unserer Sünde gestorben und um unserer Gerechtigkeit willen auferweckt ist. So bezeugt es der Geist, der das Christentum zu dem macht, was es ist. Als geschichtliche Erscheinung ist das Christentum ebenso wenig wie der christliche Glaube, der sein Wesen ausmacht, vollendet in sich, sondern mit einer internen Spannung versehen, ohne deren Wahrnehmung nicht begriffen werden kann, was es heißt, im Übergang vom Alten zum Neuen begriffen zu sein. Mit dem christlichen Zeitalter des Geistes der Liebe, sagt Baur, endet die Periode jüdischer Religionsgeschichte und auf den Alten Bund wird nur mehr in der religiösen Absicht Bezug genommen, ihn als proleptischen Typos des Neuen zu erweisen, auf den alle alttestamentlichen Traditionen angelegt seien, um sich in ihnen zu erfüllen. Mit dem Alten Bund ist nach Baur auch die Tora und der in ihr manifeste Wille göttlicher Gerechtigkeit in jene Liebe aufgehoben, die Gottes in Jesus Christus kraft des Hl. Geistes offenbares Wesen ausmacht. Bereits im Johannesprolog sei die Alternative zwischen Judentum und Christentum offen ausgesprochen, wenn gesagt werde, dass das Gesetz durch Mose gegeben, die Gnade und Wahrheit aber durch Jesus Christus gekommen sei (Joh 1,17). „Gesetz und Evangelium“, so Baur, „treten hier in ihrer ganzen Weite auseinander, und wie hier in dem Gegensatz zum Evangelium auch schon die Aufhebung des Gesetzes liegt, so wird überhaupt das Gesetz überall, wo von ihm die Rede ist, nur als ein particuläres, nationales und ebendesswegen vergängliches bezeichnet.“ (Baur, 390) Man wird um die Feststellung nicht umhin können, dass mit dieser Behauptung der Geltungsanspruch der Tora als Offenbarung des universalen Gerechtigkeitswillens Gottes eklatant unterbestimmt ist. Unterbestimmt ist damit zugleich die bleibende Bedeutung, die das Judentum für das Christentum hat und bis zum Ende der Tage behalten wird. Ein Christentum ohne Bezug zum Judentum ist ebenso undenkbar wie der Gedanke göttlicher Liebe unhaltbar ist, welcher der Gerechtigkeit Gottes nicht vollkommen genügt. Ohne Gerechtigkeit ist Liebe nichts als Belieben. Beliebigkeit aber ist das gerade Gegenteil der Liebe, von der das Evangelium kündet. Als von ihm kategorisch unterschieden verweist daher das Evangelium auf das Gesetz zurück, nicht um seine tödliche Anklage, von der es

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gratis befreit, zu wiederholen, wohl aber um das göttliche Gebot der Gerechtigkeit der Dankbarkeit des umsonst Gerechtfertigten dergestalt anzuempfehlen, dass er in der gewissen Hoffnung, die mit der Glaubensgewissheit unveräußerlich verbunden ist, dem Entgegenkommen Gottes nach Kräften entspricht. Der Glaube weiß sich ausschließlich in der Liebe Gottes begründet, aber zugleich von der Hoffnung getragen, dass in Gott Liebe nichts anderes ist als Gerechtigkeit und Gerechtigkeit nichts anderes als Liebe. Vom jüdischen Religionsphilosophen und ordinierten Rabbiner Jacob Taubes (1923–1987) ist Liebe und Gerechtigkeit zu seinen Lebzeiten nur ein großes Werk publiziert worden, die Dissertation über „Abendländische Eschatologie“, mit der er 1947 in Zürich promoviert wurde, um bald danach einen Ruf als Dozent ans Jewish Theological Seminary in New York zu erhalten, wo er Gershom Scholem kennen lernte. Dieser holte ihn an die Hebräische Universität Jerusalem. Nach Stationen in Harvard, Princeton und an der Columbia Universität in New York wurde Taubes 1966 auf den neugegründeten Lehrstuhl für Judaistik an der Freien Universität Berlin berufen und zugleich mit der Leitung der Abteilung für Hermeneutik am Institut für Philosophie betraut. Wenige Wochen vor seinem Tod hielt er an der Forschungsstätte der evangelischen Studiengemeinschaft in Heidelberg Vorträge über „Die politische Philosophie des Paulus“, die Aleida und Jan Assmann 1993 aufgrund von Tonbandaufzeichnungen veröffentlichten. Die Auseinandersetzung mit dem Denken des Heidenapostels beschäftigte Taubes zeitlebens. Dies belegen seine 1996 von A. und J. Assmann mitherausgegebenen „Gesammelten Aufsätze zur Religions- und Geistesgeschichte“, die u.a. bemerkenswerte Beiträge zur Geschichte der „Theologie nach der Kopernikanischen Wende“ (Taubes, 199ff.) im Allgemeinen und kenntnisreiche Studien zur sog. Theologie der Krise im Besonderen enthalten; Karl Barths Kommentar zum Römerbrief, in dem sich nach Taubes’ Urteil „revolutionäre Einsichten in die Bedeutung der ursprünglichen Symbole mit einer anachronistischen Exegese verbinden“ (Taubes, 233), wird in seinen unterschiedlichen Auflagen eingehend analysiert. Für das eigene Paulusverständnis des jüdischen Religionsphilosophen ist vor allem der frühe Aufsatz von 1993 über die „Streitfrage zwischen Judentum und Christentum. Ein Blick auf ihre unauflösliche Differenz“ aufschlussreich (Taubes, 85ff.). Gleich zu Beginn beklagt Taubes die herrschend gewordene Mode, die grundlegenden Unterschiede zwischen Judentum und Christentum „zu bemänteln und zu entstellen“ (Taubes, 85). Statt bestehende Differenzen zu verschleiern, müssten sie erneut festgestellt und zu klarem Bewusstsein gebracht werden. „Davor sollte man sich nicht scheuen, denn mit guten Gründen läßt sich erwarten, daß sogar im praktischen Bereich durch Definition und Verständnis der betreffenden Probleme mehr zu gewinnen ist als durch deren Verdunkelung und die Vortäuschung, es gäbe sie gar nicht.“ (Ebd.) Folgt man Taubes, dann bildet das identitätsstiftende und kriteriologische Prinzip der jüdischen Religion nicht schon der strenge Monotheismus mit seiner bild-

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losen Gottesverehrung, sondern die Tora, in welcher der eine Gott Israels seinen Willen und sein Wesen erschließt. Sie und nicht der Tempel „war und ist das geistige Zentrum der Judenheit“ (Taubes, 92). Keiner habe das klarer gesehen als Paulus. Im Unterschied zu modernen Apologeten habe der ehemalige Pharisäer, „der behauptet, bei Gamaliel studiert und sich durch seinen Eifer für Gesetz und Tradition ausgezeichnet zu haben“ (ebd.), die Streitfrage identifiziert, die Judentum und Christentum voneinander trennt. „Und diese Frage ist das Gesetz. Alle Voraussetzungen der paulinischen Theologie waren ‚jüdisch‘, ja sogar ‚pharisäisch‘, doch zog er daraus häretische Konsequenzen“ (Taubes, 93), wenn er unter dem Eindruck, den der Gekreuzigte in seiner Damaszenischen Erscheinung auf ihn machte, verlauten ließ, Christus sei des Gesetzes Ende, und wer an ihn glaube, der sei gerecht (vgl. Röm 10,4). Nicht weil er sich, was auch unter jüdischen Bedingungen möglich, ja geboten sei, gegen kasuistische Einzelbestimmungen und gegen „gesetzliche“ Selbstgerechtigkeit gewendet habe, sei der vom Saulus zum Paulus konvertierte Apostel mitsamt seinem Herrn als Ketzer zu beurteilen. Ketzerei sei seine Lehre nach jüdischem Urteil, weil sie mit der Tora und der Halacha als dem „,Weg‘ des Gesetzes im Leben der Menschen“ (Taubes, 93) das grundlegende theologische Prinzip der Gerechtigkeit in Frage gestellt habe. Soweit sich dies feststellen lasse, habe „die rabbinische Tradition den messianischen Anspruch Jesu und die Theologie des Paulus immer als häretischen Anitnomismus interpretiert“ (Taubes, 94). Nicht durch dieses oder jenes, sondern durch den unumstößlichen Grundsatz göttlicher Gerechtigkeit sei die „unauflösliche Differenz“ (Taubes, 85) zwischen Judentum und Christentum bestimmt. Das Judentum, so Taubes, müsse darauf insistieren, dass die paulinische Lehre die Grundfesten der jüdischen Religion destruiere, da sie keineswegs nur tote Gesetzlichkeit und äußeres Zeremoniell problematisiere, sondern weil sie mit der zwischen Recht und Unrecht scheidenden Gerechtigkeit Gottes die innere Mitte der Tora um ihres Liebesevangeliums willen in Frage stelle. „Paulus wäre, als Saulus, der erste gewesen, dies einzuräumen, und tatsächlich hat er die älteste christliche Gemeinde eben deshalb verfolgt, weil sie das Gesetz mißachtete. Das Judentum ist den Weg nach Damaskus nie gegangen, und es kann, ohne sich selbst zu zerstören, Sauls Urteil nicht ändern.“ (Taubes, 94) Judentum, sagt Taubes, ist „eine Frage der Prinzips“ (Taubes, 96), nämlich des Prinzips der göttlichen Gerechtigkeit, und er fügt hinzu: „Die jüdischen Heiligen Schriften werden auf deutsch ‚Altes Testament‘ genannt. Der Ausdruck ‚Altes Testament‘ enthält zugleich jenen christlichen Grundanspruch, daß der ‚neue‘ Bund an die Stelle des ‚alten‘ getreten ist. Es ist aber ein jüdischer Glaubensartikel, daß das Gesetz nicht veralten kann, daß der Sinaibund heute so gültig ist, wie er immer war.“ (Taubes, 97) Wer dies nicht wahrnehme, müsse die entscheidende Streitfrage zwischen der jüdischen und der christlichen Religion zwangsläufig verkennen. Sie verweise „auf den immerwährenden Konflikt zwischen dem Prinzip des Gesetzes und dem Prinzip der Liebe. Das ‚Joch des Gesetzes‘ wird vom Enthusiasmus der Liebe in Frage gestellt. Aber am Ende könnte allein die ‚Gerechtigkeit des Gesetzes‘

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die Willkür der Liebe in Frage stellen.“ (Taubes, 98) Christliche Theologie hat ein Wort wie dieses ernster zu nehmen als es gewöhnlich und immer dann geschieht, wenn „die ‚pathologische Neigung der Liebe‘ (Kant) ... gegen das ‚blinde Prinzip‘ der Gerechtigkeit hochgepriesen“ (ebd., 98) wird. Die jüdische Religion bedarf der christlichen nicht, um zu sein, was sie ist; das Christentum aber hat ohne das Judentum ebenso wenig Bestand wie eine Liebe, die der Gerechtigkeit entbehrt. Die johanneische Theologie und ihre das trinitarisch-christologische Dogma der Alten Kirche antizipierende Zentralaussage, dass der in Jesus Christus pneumatisch offenbare Gott nichts als reine Liebe sei (vgl. insgesamt Theobald), hebt diese Grundtatsache nicht auf, an der sich alle christliche Theologie, die ihren Namen verdient, zu bewähren hat. Recht verstanden bestätigt sie diese Tatsache vielmehr und mit ihr die reformatorische Einsicht, dass ohne Wahrnehmung des differenzierten Zusammenhangs von Gesetz und Evangelium vom christlichen Glauben nicht angemessen die Rede sein kann (vgl. Barth).

13. Apostolische Väter und Apologeten

Lit.: B. Altaner/A. Stuiber, Patrologie. Leben, Schriften und Lehre der Kirchenväter, Freiburg/Basel/Wien 81978. – C. Andresen/A. M. Ritter, Die Anfänge christlicher Lehrentwicklung, in: diess. (Hg.), Handbuch der Dogmen- und Theologiegeschichte. Bd. 1: Die Lehrentwicklung im Rahmen der Katholizität, Göttingen 21999, 1–98. – O. Bardenhewer, Geschichte der altkirchlichen Literatur. Erster Band. Vom Ausgang des apostolischen Zeitalters bis zum Ende des zweiten Jahrhunderts, Freiburg 21913. – H. v. Campenhausen, Griechische Kirchenväter, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 51977. – H. Chadwick, Early Christian Thought and the Classical Tradition, Oxford 1966. – A. v. Harnack, Dogmengeschichte, Tübingen 81991. – W.-D. Hauschild, Lehrbuch der Kirchen- und Dogmengeschichte. Bd. 1: Alte Kirche und Mittelalter, Gütersloh 22000. – E. Hennecke/W. Schneemelcher, Neutestamentliche Apokryphen in deutscher Übersetzung. Bd. I: Evangelien, Tübingen 41968. Bd. II: Apostolisches, Apokalypsen und Verwandtes, Tübingen 41971. – E. v. Ivanka, Plato Christianus. Übernahme und Umgestaltung des Platonismus durch die Väter, Einsiedeln 1964. – H.-J. Jaschke, Art. Irenäus von Lyon, in: TRE 16, 258–268. – A. Lindemann/H. Paulsen (Hg.), Die Apostolischen Vater. Griechisch-deutsche Parallelausgabe, Tübingen 1992. – W. Pannenberg, Die Aufnahme des philosophischen Gottesbegriffs als dogmatisches Problem der frühchristlichen Theologie, in: ders., Grundfragen systematischer Theologie. Gesammelte Aufsätze, Göttingen 21971, 296–346. – H. van der Sandt (Ed.), Matthew and the Didache. Two Documents from the Same Jewish-Christian Milieu?, Assen/Minneapolis 2005. – C. Zintzen (Hg.), Der Mittelplatonismus, Darmstadt 1981.

In der johanneischen Theologie ist das trinitarische Dogma der Alten Kirchen einschließlich des Evangelium und Dogma christologischen wenn auch nicht förmlich ausgebildet, so doch im Ansatz antizipiert. Als der inkarnierte Logos ist Jesus Christus der Offenbarer der Gottheit Gottes schlechthin, wie der Geist dies bestätigt. Was der Offenbarer offenbart, ist nichts anderes als er selbst in seiner differenzierten, geistvermittelten Einheit mit Gott, dessen väterliche Menschenfreundlichkeit er in der Welt dem Glauben erschließt. Jesus Christus offenbart sich als derjenige, welcher er ist, um an seiner Sohnesgemeinschaft mit dem Vater, welcher die reine Liebe selbst ist, in der Kraft des Hl.Geistes dem Glauben Anteil zu geben. Es bedürfte einer Einzelexegese der Bestände des Johannesevangeliums, um die Tragweite dieser Einsicht detailliert aufzuweisen. Gott ist Vater und wirkt als solcher im Sohn, um sich mittels des Geistes als absolute Liebe zu erweisen. Wie der Vater mit dem göttlichen Sohn, so ist der Sohn eins mit dem göttlichen Vater, und wer beide durch den Geist erkennt, der erkennt auch ihr wechselseitiges In- und Miteinander, durch welches sie in innigster Liebe verbunden sind. Als Liebe und Geist ist

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die Gottheit Gottes reines Licht, vor dem alle Finsternis weicht. Der Sohn hat als Logos an diesem göttlichen Licht nicht nur wesentlichen Anteil, er ist wie der Vater reines Licht und hat Fleisch angenommen, um auf die Welt zu kommen und die Finsternis der Welt zu erleuchten. So grundlegend die Vorstellung der göttlichen Präexistenz des Logos für das johanneische Inkarnationsverständnis ist, so ist der inkarnierte Logos gleichwohl wahrer und wirklicher Mensch, um jene Herrlichkeit und Wahrheit nicht abgehoben, sondern unter Menschen zu offenbaren. Die Worte und Werke des inkarnierten Logos sind von gottmenschlicher und von einer Art, die nur auf eine gottmenschliche Weise erfasst werden kann. Dies betrifft vor allem den Tod Jesu Christi, der zugleich Ende und Vollendung, tiefste Erniedrigung und höchste Erhöhung, äußerste Schmach und Erschließung ewigen Lebens in Herrlichkeit ist. Dabei legt die johanneische Theologie entschiedenen Wert auf die in der Person Jesu Christi gegebene Einheit der Gegensätze. Der Erhöhte ist der Gekreuzigte, Christus mit Jesus identisch. Wer die Identität Jesu Christi auflöst und leugnet, dass Jesus der Christus ist (vgl. 1. Joh 2,22), wird daher zum Lügner erklärt, der nicht aus der Wahrheit ist. Wie Jesus Christus selbig und als inkarnierter Logos personal identisch ist mit sich, so lassen sich in Bezug auf ihn auch Person und Werk nicht trennen. Der Sohn als der vom Vater gesandte Bote ist selbst die göttliche Botschaft, die er zu verkünden hat. In den Ich-bin-Worten oder in der johanneischen Bilderchristologie kommt dies treffend zum Ausdruck. Jesus Christus, der nicht nur als Logos und Sohn Gottes, sondern auch als Messias, König der Juden, Kyrios, Menschensohn, Heiland, Lamm und Heiliger Gottes, ja als Gott selbst tituliert wird, ist sein Werk in Person und bewirkt in der Kraft des Geistes jene gottmenschliche Einheit, die er als Person an sich selbst ist. Die Systemqualität, die man der johanneischen Theologie seit Baurs Zeiten nicht ohne Recht Patrologie immer wieder bescheinigt hat, blieb geraume Zeit singulär und wurde im Laufe des 2. Jahrhunderts n.Chr. erst durch die Apologeten zu allmählicher Wirkung gebracht. Mit ihnen und den sog. Apostolischen Vätern tritt die Christentumsgeschichte in ihr „nachapostolisches“, patristisches Zeitalter ein. Der Begriff „Patrologie“ wurde durch die 1653 erschienene „Patrologia“ des altlutherischen Dogmatikers Johann Gerhard geprägt. Der Patrologiebegriff bezeichnet in seiner geläufigen Verwendung die Wissenschaft von den theologischen Lehrern der Alten Kirche in der Zeit der Christianisierung der griechisch-römischen Welt. Theologia patristica heißt entsprechend die altkirchliche Väterlehre bzw. die wissenschaftliche Beschäftigung mit ihr. Doch kann der Terminus Patristik auch in einem umfänglicheren Sinne gebraucht werden und neben der Väterlehre als dem Gegenstand der Patrologie die gesamte altkirchliche Dogmengeschichte umfassen. Die traditionelle Patrologie namentlich römisch-katholischer Prägung behandelte die altkirchliche Literatur unter Ausschluss von Schrifttum, das für häretisch erklärt wurde, und in der „Überzeugung von der göttlichen Herkunft der Kirchenlehre und ihrer ungetrübten Fortpflanzung im Laufe des Altertums“ (Bardenhe-

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wer, 36). Ihr Gegenstand waren Texte von Kirchenvätern bzw. Kirchenlehrern, deren charakteristische Merkmale neben „antiquitas“ mit „doctrina orthodoxa“ und „approbatio ecclesiae“ umschrieben wurden. Als weiteres Kennzeichen trat das heiligmäßige Leben, die „sanctitas vitae“ der Autoren hinzu. Dagegen hat in einer altkirchlichen Literaturgeschichte etwa Harnack’scher Provenienz, mit Otto Bardenhewer zu reden, ein Markion „auf dasselbe Maß an Beachtung Anspruch wie Justinus Martyr, Valentinus ist ebenso sitz- und stimmberechtigt wie Irenäus“ (Bardenhewer, 33). Faktum ist, dass sich in den Anlagen patrologischer Entwürfe die hermeneutische Position des jeweiligen Patrologen widerspiegelt, die den Gegenstand der Untersuchung nicht unwesentlich mitbestimmt. Als Entwicklungsstadien altkirchlicher Literatur lassen sich der Zeitraum vom Ausgang des 1. bis zum Beginn des 4. Jahrhunderts, vom Beginn des 4. bis gegen Ende des 5. und eine Abschlussperiode unterscheiden, die in der griechischen Literatur von Leontius von Byzanz bis auf Johannes von Damakus reicht und in der lateinischen das Schrifttum der letzten vorscholastischen Jahrhunderte umfasst. In Betracht gezogen sollen zunächst nur die ersten beiden Zeiträume werden (vgl. im Einzelnen: Andresen/Ritter sowie Hauschild, 1ff.), wohingegen der letzte im Zusammenhang der Rezeptionsgeschichte des trinitarisch-christologischen Dogmas der Alten Kirche in den Blick treten wird. Das Hauptaugenmerk gilt naturgemäß den Produkten griechischsprachiger Schriftsteller des Orients, also aus dem syropalästinischen, ägyptischen und kleinasiatischen Raum, wohingegen Schrifttum anderer Sprachräume, einschließlich des für die Okzidentalen bestimmenden lateinischen, erst in zweiter Linie gewürdigt werden. Einen grundlegenden Teilbereich der Patrologie bildet seit Anbeginn die wissenschaftliche Untersuchung der sog. Apostolischen Väter, denen die ältesten christlichen Schriftsteller außerhalb des Neuen Testaments zugerechnet werden. Fünf von ihnen sind unter dem Signum „Patres aevi apostolici“ in der Edition dokumentiert, die der Patristiker J. B. Cotelier 1672 herausgab: Clemens von Rom, Ignatius von Antiochien, Polykarp von Smyrna, Barnabas und der ihm zugeschriebene Brief sowie Hermas in Gestalt des ihm zugeordneten Engelshirten. In späteren Ausgaben der Apostolischen Väter sind auch Papias von Hierapolis sowie der unbekannte Schreiber eines Briefs an einen zeitgenössischen Gebildeten namens Diognet aufgeführt. Gelegentlich wird neben dem kurzen Quadratusfragment auch die Didache dem besagten Schrifttum zugewiesen. Die Didache, die man gelegentlich demselben judenchristlichen Milieu zugerechnet hat wie Mt Didache (vgl. van der Sandt), gehört zur literarischen Gattung der Gemeindeordnungen und umfasst vier Teile, die sog. „Zwei-Wege-Lehre“ (Did 1–6), die ursprünglich ein selbständiges nichtchristliches Traditionsstück darstellt (vgl. Barn 18–20), Anweisungen zu den Themen Taufe, Fasten, Beten und Eucharistie (Did 7–10) sowie zu bestimmten Aspekten gemeindlicher Organisation und Praxis (Did 11–15) und ein eschatologisches Lehrstück apokalyptischer Prägung (Did 16), das mit der Aussicht auf das bevorstehende Kommen des Herrn

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der Welt auf den Wolken des Himmels schließt. Der Entstehungsort der Didache ist unbekannt. Als Entstehungszeit einzelner ihrer Teile kommen das 1. und das beginnende 2. Jahrhundert n.Chr. in Frage, wohingegen die Endredaktion einer späteren Zeit angehört. Dass die Didache direktes Zeugnis „der Lehre des Herrn durch die zwölf Apostel für die Heiden“ sei, wie es zu ihrem Beginn heißt, ist historisch auszuschließen; damit ist nicht gesagt, dass keine sehr alten Überlieferungen in ihr enthalten seien. Das in Did 1–6 aufgenommene vorchristliche Traditionsstück der Zwei-WegeLehre fand auch im sog. Barnabasbrief Verwendung (Barn 18–20), der im Übrigen keinen eigentlichen Brief, sondern eine theologische Abhandlung darstellt, die mittels allegorischer und typologischer Exegese den geistlichen Sinn der Tora, ja des gesamten Alten Testaments und des in ihm bezeugten Heilsgeschehens zu erheben sucht, um es als zeichenhafte Antizipation des Christusereignisses zu deuten. Die Zuschreibung des vermutlich nicht vor 130 n.Chr. entstandenen Textes an den Paulusbegleiter Barnabas ist sekundär. Inwieweit mit philonischen Einflüssen zu rechnen ist, die auf Alexandrien als möglichen Entstehungsort hinweisen, bleibt unsicher. Als sicher hingegen darf gelten, dass die Schrift in einer Situation schroffer Abgrenzung, ja Entgegensetzung des Christentums zum Judentum entstanden ist. Die Beschneidung (vgl. etwa Barn 9,4) wird samt allen jüdischen Gesetzesvorschriften als fleischlich abgetan; allein im Christentum ist der ursprüngliche und wahre Sinn der Tora in Erfüllung gegangen. Die in der Alten Kirche beliebteste, wahrscheinlich noch in der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts Hirt des Hermas n.Chr. verfasste außerkanonische Schrift war der sog. Hirt des Hermas. Hermas, der Autor des vermutlich mehrfach redigierten, aber insgesamt einheitlichen, möglicherweise sukzessiv entstandenen Werkes, war ein ehemaliger Sklave, der nach Rom verkauft wurde und dort als Freigelassener und Angehöriger der christlichen Gemeinde eine Familie gründete und zu gewissem Wohlstand gelangte. Der kirchlichen Tradition gilt er als Bruder des um die Jahrhundertmitte wirkenden römischen Bischofs Pius. Der Werktitel rührt von einem als Hirte bezeichneten Bußengel her, der Hermas im Text beigesellt ist und ihm einige der Erklärungen zukommen lässt, die für das Verständnis der Inhalte notwendig sind. Die teilweise in Form einer Apokalypse gestaltete Bußschrift und Anleitung zur christlichen Lebensführung enthält fünf Visionen, zwölf Gebote und zehn Gleichnisse. In den Visionen wird die Kirche unter dem Symbol eines aus unterschiedlichen Steinen gefügten Turmes als Gemeinschaft von Büßern und Urbild der bußbereiten Menschheit vorgestellt. Nach einer Zeit der Trübsal und der Verfolgungen, die im vierten Gesicht in Gestalt eines riesengroßen Meerungeheuers vorabgebildet sind, darf sie wunderbare Errettung und Erfüllung im Reiche Gottes erwarten, wenn die eingeräumte Bußfrist im Sinne der Gebote genutzt wird, die der Bußengel als ideale Hirtengestalt (Vis 5,3: „,Ich bin der Hirt’, sprach er, ‚dem du übergeben wurdest!‘“) Hermas im Auftrage Gottes und Jesu als des Knechtes Gottes vermittelt, in dem der Heilige Geist wohnt.

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Das erste Gebot, das der angelicus pastor Hermas niederzuschreiben befiehlt, gebietet allem anderen zuvor den Glauben, „dass Gott einer ist, der alles schuf und gestaltete, der aus dem Nichtsein das All ins Dasein rief, der alles in sich fasst, einzig, aber unfassbar“ (Mand I,1). Erstmals ist damit innerhalb der christlichen Theologie die Lehre von der creatio ex nihilo explizit ausgesprochen, wofür Hermas nicht nur von Origenes hochgeschätzt und belobigt wurde, der ihn fälschlich mit dem von Paulus Röm 16,14 Gegrüßten identifiziert. Neben Glauben an den einen Gott und allmächtigen Schöpfer des Alls in seiner unbegreiflichen Einzigkeit, der zu fürchten und zu lieben sei, fordern die Engelsgebote des Hirten in Form eines Katechismus christlicher Moral zu Enthaltsamkeit und Abstandnahme von den Untugenden des Zweifels und der Traurigkeit sowie zur Meidung von Falschprophetie auf. Die nachfolgenden Gleichnisse, die sich Hermas von seinem englischen Begleiter erläutern lässt, gestalten die gebotene christliche Sittenlehre durch anschauliche Bildbeispiele aus, wobei wie zuvor schon im Visions- und Mandatsteil der Schrift auf Traditionen jüdischer Weisheit und Apokalyptik, gelegentlich auch auf Überlieferungen paganer Literatur zurückgegriffen wird. Der Hirt des Hermas ist eine kirchliche Bußschrift und ein Ausdruck persönlicher Bußbereitschaft ohne systematisch ausgearbeitete Theologie. Selbst als Theoretiker einer möglichen zweiten Buße nach der Taufe (vgl. etwa Mand IV,3) wird man ihn nur unter Vorbehalt verstehen können. Die Christologie ist wenig entwickelt, Jesus ist der geisterfüllte Knecht Gottes; die Pneumatologie hinwiederum steht trotz bemerkenswerter Aussagen zur Präexistenz und Schöpfungsmittlerschaft des Hl. Geistes (vgl. etwa Sim V,6) ganz im Dienst der Ekklesiologie, die freilich ebenso wie die Bußlehre in primär praktischem Interesse entwickelt wird. Interessante Aufschlüsse gibt Hermas über die kirchlichen Verhältnisse im Rom seiner Zeit. Die Leitung liegt, wie es scheint, hauptsächlich bei Presbytern, wohingegen der Bischof eher am Rande in Erscheinung tritt. Dieser Sachverhalt wird nicht nur durch den Korintherbrief von Clemens Romanus, sondern auch durch den Römerbrief des Ignatius von Antiochien bestätigt, so sehr dieser ansonsten für eine episkopal verfasste Kirche plädiert. Während der sog. zweite Clemensbrief weder 1. Clemensbrief und von Clemens Romanus stammt, noch einen Ignatianen Brief, sondern eine sehr alte christliche Homilie darstellt, handelt es sich beim ersten Clemensbrief um eine in den letzten Jahren des Kaisers Domitian geschriebene Epistel der Kirche von Rom an die Gemeinde zu Korinth, deren Glieder anlässlich entstandener Wirren ermahnt werden, sich den von den Aposteln und ihren Nachfolgern eingesetzten kirchlichen Vorstehern unterzuordnen und zu fügen. Die als Aufruhr gewertete Absetzung korinthischer Presbyter bietet das Motiv zu einer sehr weit ausholenden Bußpredigt. Die Identifikation des Autors mit dem in der Liste der römischen Bischöfe als dritter Nachfolger Petri aufgeführten Clemens dürfte im Kern zutreffend sein, wirft aber wie der Brief selbst eine Fülle von kirchenverfassungsgeschichtlichen Fragen auf, die bis heute nicht befriedigend gelöst sind. Sie betreffen die Ausbildung des dreiglied-

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rigen kirchlichen Amtes von Diakonat, Presbyterat und Episkopat im Allgemeinen und des monarchischen Bischofsamtes im Besonderen. Auch Primatsfragen spielen trotz ihres Anachronismus in der überkommenen Clemensauslegung eine wichtige Rolle. Mit kirchenverfassungsgeschichtlichen Themen der genannten Art ist auch die traditionelle Exegese der Ignatiusbriefe beschäftigt, die in drei Rezensionen überliefert sind. Authentisch ist die mittlere: Bei ihr handelt es sich um eine Sammlung echter Briefe, die Ignatius von Antiochien als Gefangener auf dem Weg zu seinem römischen Martyrium von Smyrna und Troas aus an die Gemeinden zu Ephesos, Magnesia, Tralles und Rom sowie nach Philadelphia, Smyrna und an den dortigen Bischof Polykarp schrieb. Entstanden sind die Ignatianen während der Regierungszeit Trajans oder kurz danach. Ihr theologischer Schwerpunkt liegt im christologischen und ekklesiologischen Bereich. Jesus Christus wird nach dem Fleisch als David- und Mariensohn, nach dem Geiste als Sohn Gottes bekannt (vgl. etwa Eph 7,2; 18,2; Smyrn 1,1). Der inkarnationstheologische Ansatz der späteren Zwei-Naturen-Lehre ist bereits identifizierbar. In ekklesiologischer Hinsicht stellt Ignatius vor allem die unveräußerliche Notwendigkeit der Gemeinschaft mit dem Bischof als dem Gewährsmann der Einheit der Kirche heraus. Den monarchischen Episkopat scheint er vorauszusetzen, sei es als eine historische Gegebenheit seiner Gemeinde, sei es als ein axiomatisches Erfordernis. Wirkungsgeschichtlich bedeutsam ist Ignatius Polykarpbrief, nicht zuletzt durch seine Haltung als Märtyrer Papiasfragmente und geworden, die er in seinen Briefen auf eindrucksSonstiges volle Weise und unter Bezug auf das Vorbild reflektiert, welches Petrus und Paulus gegeben haben (vgl. Röm 4,2). Bischof Polykarp von Smyrna, an den Ignatius eines seiner Schreiben persönlich gerichtet hat, ist ihm auf dem Weg ins Martyrium nach geraumer Zeit nachgefolgt. Von ihm ist ein Brief an die Philipper überliefert. Wie bei Ignatius lässt sich auch bei Polykarp eine theologische Nähe zu Paulus erkennen. Erneut erfolgt die Rezeption im Wesentlichen auf der Linie der Pastoralbriefe unter Betonung kirchlicher Disziplin und Amtsautorität. Zentrales Thema des Polykarpbriefs ist die christliche Gerechtigkeit (vgl. 3,1), die in paränetischer Perspektive und unter Bezug auf konkrete Problemlagen expliziert wird, wie sie durch allgemeine häretische Tendenzen und insbesondere durch den Fall des Presbyter Valens (vgl. 11f.) gegeben waren, dessen genaue historischen Hintergründe allerdings nicht mehr aufklärbar sind. Christologisch entscheidend ist der antidoketische Grundsatz, wonach jeder, der nicht bekennt, dass Jesus Christus wahrhaft und wirklich Fleisch angenommen hat, ein Antichrist sei. „Und wer das Zeugnis des Kreuzes nicht bekennt, der ist aus dem Teufel. Und wer die Werke des Herrn nach seinen eigenen Begierden verdreht, und sagt, es gibt weder Auferstehung noch Gericht, der ist Erstgeborener des Satans.“ (7,1) Beigegeben ist dem Polykarpbrief in den Sammlungen der Texte der Apostolischen Väter in der Regel das Schreiben, welches die Gemeinde von Smyrna kurze Zeit nach dem wahrscheinlich 155/156 erfolgten Bekennertod ihres Bischofs an

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die Gemeinde von Philomelium in Phrygien geschickt hat. Der Text ist das älteste Beispiel aus der literarischen Gattung der sog. Martyrologien, die sich bald großer Beliebtheit erfreuen und immer mehr legendarisch ausgestaltet werden sollten. Als ein Freund des Polykarp und ein Mann aus ältester Zeit, der noch beim Apostel Johannes in die Schule gegangen sei, wird bei Irenäus (Adv. Haer. V,33,4) Papias von Hierapolis bezeichnet. Als das einzige von ihm verfasste Werk werden fünf Bücher mit „Erklärungen von Herrenworten“ erwähnt. In der Kirchengeschichte Eusebs (III,39) ist auf die Irenäusnotiz Bezug genommen und aus dem Proömium des verschollenen Papiaswerkes zitiert. Auf dieses Zitat wird in der Einleitungswissenschaft insbesondere zum Johannesevangelium und zu den Johannesbriefen einschließlich der Johannesapokalypse häufig Bezug genommen, da in der entsprechenden Papiaspassage im Zusammenhang einer Benennung von Gewährsmännern authentischer Überlieferung christlichen Glaubens zweimal der Name Johannes erwähnt wird. Das erste Mal, so kommentiert Euseb, ist offenbar der Apostel und Evangelist Johannes gemeint, das zweite Mal im Rahmen einer von den Aposteln eigens unterschiedenen Gruppe ein anderer Johannes, von dem Papias sagt, er sei ebenfalls Jünger des Herrn, und den er „presbyteros“ nennt. Für Euseb ergibt sich daraus die Wahrheit der Überlieferung, es habe in Kleinasien zwei Jünger mit demselben Namen gegeben, wie es denn auch in Ephesus zwei Gräber gebe, von denen noch jetzt jedes den Namen Johannes trage. Dies sei bemerkenswert, da einige Wahrscheinlichkeit dafür spreche, dass, sofern man nicht an den ersten Johannes denken wolle, der zweite die unter dem Namen Johannes umlaufende Offenbarung geschaut habe. Euseb geht unter Berufung auf Papias davon aus, dass der Presbyteros Johannes nicht mit dem gleichnamigen Zebedaiden identisch, sondern Schüler des Apostels und als solcher einer der Gewährsmänner gewesen sei, auf die sich der Hierapolite zum Beleg der Authentizität der von ihm tradierten Überlieferungen berief. Trifft dies zu, dann war Papias kein unmittelbarer Apostelschüler, sondern Repräsentant der dritten Christengeneration und ein Schüler jener nachapostolischen Vätergestalten, denen u.a. der Presbyter Johannes zugerechnet wird. Näheres über die bestehenden Zusammenhänge ist aus den vorliegenden altkirchlichen Nachrichten nicht mehr in Erfahrung zu bringen. Entsprechend unsicher ist die Datierung der sog. Papiasfragmente. Abgefasst ist das verlorene bzw. nur noch in Fragmenten aus zweiter bzw. dritter Hand erhaltene fünfteilige Papiaswerk zu den Logia des Herrn ursprünglich in griechischer Sprache. Wahrscheinlich handelte es sich nicht lediglich um eine Sammlung von Einzelsprüchen Jesu, sondern um eine der frühchristlichen Evangelienliteratur vergleichbare Schrift. Doch lassen sich auch hierüber keine präzisen Angaben machen. Zu langfristiger Wirkung gekommen ist das Werk ohnehin weniger um seiner selbst, sondern um derjenigen Einsichten willen, die man aus ihm in einleitungswissenschaftlicher und kanongeschichtlicher Hinsicht zu gewinnen meinte. Dies betrifft die Angaben zu Mk und Mt sowie insbesondere die erwähnten Notizen zur johanneischen Frage, die Euseb in dem Interesse wiedergab,

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die Apostolizität der Apokalypse in Frage zu stellen, ohne ihren Inhalt ausdrücklich zu problematisieren. Ausdrücklich problematisiert wird von Euseb hingegen der angebliche Chiliasmus des Papias. Die Behauptung der Ankunft eines tausendjährigen Reiches nach der Auferstehung der Toten, in denen das Reich Christi sichtbar auf Erden bestehen werde, habe der Hierapolit nur deshalb auf die Lehre der Apostel zurückführen können, weil er diese aufgrund seiner geistigen Beschränktheit nicht bzw. falsch verstanden habe. Die Autoren und ihre Schriften, die seit dem 17. Jahrhundert unter dem irreführenden Namen Apostolische Väter zusammengefasst wurden, geben zusammen mit älteren apokryphen Evangelien und Apostelgeschichten wie dem Thomasevangelium oder den Acta Petri, Pauli und Johannis wichtige Aufschlüsse nicht nur über Glauben und Theologie der aufblühenden frühen Christengemeinden, sondern auch über ihre organisatorische Struktur, über ihren Kult und ihre Sitte. Die allgemeine Tendenz ist durch einen Konsolidierungskurs bestimmt. Die Gemeindeverfassung nimmt mit der fortschreitenden Ausbildung instituionalisierter Ämter feste Formen an, die gottesdienstliche Ordnung und die Bußdisziplin folgen Tradition gewordener Gewohnheit, und mit dem Taufsymbol wird dem Glauben eine klare Regel seines Gehalts vorgegeben. Zugleich nimmt der Kanon Hl. Schriften der Christenheit mit der literarischen Fixierung der mündlichen Überlieferungen und der beginnenden Sammlung der paulinischen Briefe anfängliche Gestalt an. Der laufende Konsolidierungsprozess wurde Apologetik aus Anlass durch innere und äußere Krisen, die sich wähinnerer und äußerer Krisen rend des 2. Jahrhunderts ergaben, weniger gehemmt als vielmehr beschleunigt. Die äußere Krise hebt an mit ernsthaften Gegenmaßnahmen des römischen Staates und häufiger werdenden Christenprozessen aus Anlass der Verweigerung des Kaiserkults sowie der Anrufung der Staatsgötter, die als Sakrileg und crimen laesae maiestatis bzw. Romanae religionis gewertet wurde. Doch war die Zahl der Martyrien anfangs eher gering. Zu allgemeinen staatlich verordneten Christentumsverfolgungen, die sich über alle Teile des Imperiums erstreckten, kam es erst in der Mitte des 3. Jahrhunderts unter Decius (249–251) und Valerian (253–260) sowie erneut unter Diokletian (284–305) und seinen nächsten Nachfolgern. Schwieriger als die durch staatliche Repressionen bedingten Probleme war die innere Krise zu bewältigen, welche die christlichen Gemeinden des 2. Jahrhunderts in Form des Montanismus einerseits und des Gnostizismus andererseits erfasste. Beim Montanismus handelte es sich um eine durch die „neue Prophetie“ des Montanus und seiner Gefährtinnen Priska und Maximilla in Kleinasien initiierte apokalyptisch-enthusiastische Bewegung, die in Erwartung des unmittelbar bevorstehenden Weltendes eine strenge Askese und einen sittlichen Rigorismus pflegten, der, wie Tertullians spätes Beispiel lehrt, auf „entschiedene“ Christen ein hohes Maß an Attraktion ausübte. Mit dem Namen Gnostizismus werden Konventikel und Schulbildungen bezeichnet, deren Anhänger durch Rezeption antiker Philo-

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sophietraditionen namentlich platonischer Herkunft, die mit Anleihen bei altorientalischen Mythen- und Mysterienüberlieferungen versetzt wurden, eine den einfachen Gemeindegläubigen verschlossene esoterische Erkenntnis zu erlangen suchten. Pauschal geurteilt sind die einzelnen hochdifferenzierten gnostischen Systeme und Richtungen durch die Annahme eines mehr oder minder schroffen Dualismus zwischen den Sphären des Spirituellen und der gottfeindlichen materiellen Welt, durch Abhebung des guten Erlösergottes vom bösen Demiurgen und durch entsprechende Vorstellungen in Bezug auf die Erscheinung des Heilsmittlers charakterisiert, die man Doketismus zu nennen gewohnt ist. Die Zwischensphäre zwischen dem lichten Jenseits des Himmels und der Dunkelheit des irdischen Diesseits, welches der Erleuchtung harrt, wird im Übrigen durch allerlei Mittelwesen bevölkert, die den Übergang von Transzendenz und Immanenz repräsentieren und mediatisieren. Lange Zeit nur aus Zitaten der sie bekämpfenden Kirchenväter bekannt können gnostische Schriften seit den Funden von Nag Hammadi auch im Original bzw. in Übersetzungen von Originalen studiert werden. War die Grenze zwischen Gnostizismus und kirchlicher Rechtgläubigkeit bis zu Markion (gest. um 160) vielfach noch fließend, so zwang spätestens dessen Kirchenbildung, die mit der Formierung eines eigenen Kanons unter Verwerfung der alttestamentlichen Schriften aufwartete, zu klaren Scheidungen. Durch die Abgrenzung von Montanismus und Gnostizismus erhielt die Alte Kirche, die den künftigen Gang der Christentumsgeschichte wesentlich bestimmen sollte, das für sie eigentümliche Format. Als ihre drei tragenden Säulen werden gewöhnlich die regula fidei, der sich ausbildende und mit dem Alten Testament verbundene neutestamentliche Schriftkanon sowie der durch apostolische Sukzession vermittelte monarchische Episkopat angegeben. Dieser Hinweis ist nicht falsch; doch bleibt von ihm das nicht erst im Reformationsjahrhundert virulent gewordene Problem des Verhältnisses der drei Größen untereinander unberührt. Für die geistliche Stabilisierung und geistige Konturierung der in ihren Grundbeständen gegen Ende des 2. Jahrhunderts festgefügten Großkirche hatten diejenigen Theologen Erhebliches beigetragen, die als Apologeten in die Geschichte eingegangen sind. In der Absicht seiner gedanklichen Verteidigung gegenüber heidnischer Polemik haben sie das Christentum mit hellenistischer Philosophie verbunden und dem Gottesbegriff der antiken Metaphysik Aufnahme in die frühchristliche Theologie verschafft. Dieser Prozess ist namentlich von der protestantischen Dogmengeschichtsschreibung häufig sehr negativ beurteilt und im Sinne einer Verfälschung einer ursprünglichen Christlichkeit gedeutet worden. Adolf von Harnack und Albrecht Ritschl geben hierfür Beispiele. Inzwischen hat man auch evangelischerseits von dem Verdikt einer überfremdenden Hellenisierung genuinen Christentums weithin Abstand genommen. „Nicht nur muss die Anknüpfung an den philosophischen Gottesbegriff, wie sie von den Apologeten vollzogen wurde, als eine vom universalen Anspruch des jüdisch-christlichen Gottes her legitime Aufgabe anerkannt werden, sondern auch gegenüber der Durchführung dieser Aufgabe in der frühchristlichen Theologie ist ein differenziertes Urteil

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nötig. Aufs Ganze gesehen wird man nicht von einer unkritischen Übernahme des philosophischen Gottesbegriffs sprechen dürfen, jedenfalls nicht bei Tatian, Theophilus, Irenäus, aber auch nicht ohne weiteres bei Justin.“ (Pannenberg, 341) Dies gilt entsprechend auch für den Logosbegriff, dessen Rezeption die altkirchliche Christologie und Trinitätslehre entscheidend bestimmt hat. Die führende Philosophie der Zeit, in der das Christentum erstmals in nachhaltiger Weise kriMittlerer Platonismus tisch und konstruktiv auf die pagane Geisteskultur einging, war der sog. Mittlere Platonismus (vgl. im Einzelnen Chadwick, Ivanka). Mit seiner Wirkkraft und Entwicklungsfähigkeit konnten sich in der Kaiserzeit weder nach wie vor virulente peripatetische Unternehmungen noch der vormals höchst einflussreiche Stoizismus messen, dessen schulmäßiger Lehrbetrieb im Absterben begriffen bzw. bereits abgestorben war. Unter dem Begriff des Mittelplatonismus werden in der Regel die philosophischen Erscheinungsgestalten der platonischen Akademie von etwa 80 v.Chr. bis zum Beginn des 3. nachchristlichen Jahrhunderts zusammengefasst, also die Epoche des Platonismus von der Abkehr vom Skeptizismus des Arkesilaos und des Karneades, die Antiochos von Askalon vollzogen hat, bis hin zu Ammonios Sakkas, dem Lehrer Plotins und Initiator des Neuplatonismus. Eine der charakteristischen Gestalten des frühen Mittelplatonismus war Eudoros von Alexandria: „Er trägt an den stoisierten, von Antiochos geerbten Platonismus das Element der pythagoreischen Lehre heran, welches der mittelplatonischen Bewegung ihre besondere Prägung gibt.“ (Zintzen [Hg.], 27) Gaios, von dem keinerlei direkte Schriftzeugnisse erhalten sind, hat als Lehrer des Albinos entscheidenden Einfluss auf die platonische Schultradition gewonnen, die er unter dem Gesichtspunkt der Angleichung an Gott systematisierte. Was Albinos selbst betrifft, der mit seinem „Didaskalikos“ „das einzig verlässliche griechische Testimonium mittelplatonischer Lehre hinterlassen hat“ (Zintzen [Hg.], XVI), so besteht die Originalität seiner Metaphysik insbesondere in der einheitlichen Verbindung dreier Ideen, die er als konsequenter Platonexeget herzustellen suchte: „(a) der unabhängigen, ewigen Existenz der Materie und der Weltseele; (b) der nicht zeitlich aufzufassenden Erschaffung des Kosmos als solchen durch Gott; (c) des Begriffes des letztursächlichen Charakters der Ursächlichkeit Gottes.“ (Zintzen [Hg.], 116) Inwieweit im Zusammenhang des von Albinos konzipierten Verbindungsmodells bereits neuplatonische Triadologien formiert worden sind, ist in der Forschung strittig. Dies hängt mit der Frage zusammen, ob der Mittelplatonismus als eine philosophiegeschichtliche Epoche von eigener Valenz oder lediglich als ein mediatisierendes Durchgangsstadium zwischen platonischer Akademie und Neuplatonismus zu beurteilen ist. Wie immer man diese Frage zu beantworten und damit die Bedeutung des Albinos für die Ausbildung der christlichen Trinitätstheologie zu beurteilen hat: mit der Klassifizierung von Methoden, via negationis, per analogiam oder durch unendliche Steigerung göttliche Attribute zu prädizieren, hat Albinos die christliche Lehre von den Eigenschaften Gottes nachhaltig beeinflusst.

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Allerdings bleibt nach ihm alles Streben, durch Negation oder Aufweis positiver Beziehungen Gott begreifen und Aussagen über ihn treffen zu wollen, lediglich approximativ, da Gottes Gottheit an sich selbst unbegreiflich ist und sich nur einer Schau erschließt, die alle wissenschaftliche Einsicht transzendiert. Wie Albinos war auch Apuleius Schüler des Gaios. Über seine und die Stellung der gesamten Gaios-Schule im Mittelplatonismus unterrichtet ausführlich ein in den von Zintzen herausgegebenen Sammelband aufgenommener Text von C. Moreschini (vgl. Zintzen [Hg.], 219–274). Darauf sowie auf die beigegebenen Philo-Studien (vgl. Zintzen [Hg.], 33–63) sei hier nur verwiesen, weil von Philo und seiner dezidiert monotheistischen Platonrezeption ebenso wie von Plutarch bereits die Rede war. Im Übrigen ist von den Schriften der Genannten und anderen Mittelplatonikern nur verhältnismäßig wenig erhalten geblieben, so dass es schwer fällt, ihre Gedankensysteme in ihrem Verhältnis zueinander und die einzelnen Phasen und Perioden der mittelplatonischen Philosophiegeschichte präzise zu rekonstruieren. Eindeutig und konstant ist die gemeinsame Orientierung an Platon, dessen Texte indes nur auf schmaler Basis studiert wurden. Im Zentrum des Interesses standen theologische und kosmologische Probleme. Dies traf sich mit christlichen Anliegen und trug zur modifizierten Aufnahme mittelplatonischer Auffassungen ins christliche Lehrsystem bei. Erkennbar wird dies vor allem im trinitätstheologischen Kontext. Bestanden zwischen Platonismus und jüdisch-christlichem Monotheismus seit jeher inhaltliche Affinitäten, so trugen die mittelplatonischen Erwägungen zum Wesen der Gottheit und ihrem Verhältnis zur Welt der Ideen nicht unerheblich zur Ausbildung christlicher Trinitätstheologie bei. Insbesondere die Spekulationen zum Verhältnis von Gott und Vernunft, Gott und Weisheit, Gott und Geist etc. wurden trinitätstheologisch fruchtbar gemacht. Dabei kam dem Christentum die traditionelle Transzendenzausrichtung des Platonismus theologisch entgegen, wenngleich die Vorstellung einer gestuften Transzendenz Schwierigkeiten bereitete und Anlass zu binnenchristlichen Streitigkeiten gab. Während man beispielsweise unter den Arianern und ihren Vorläufern das Verhältnis von Vater, Sohn und Geist im Sinne einer graduellen Sequenz deutete, setzte sich die orthodoxe Annahme einer Wesensgleichheit und Parität der trinitarischen Hypostasen erst allmählich durch. Gänzlich ablehnend war das Verhältnis orthodoxen Christentums zur Lehre von der Ewigkeit der Materie, wie sie mancher Mittelplatoniker im „Timaios“ vorfand, bzw. zur kosmologischen These, die Welt sei nicht zeitlich, sondern ewig erschaffen. Abgelehnt wurde christlicherseits ferner die platonische Seelenwanderungslehre, so sehr man die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele in den Dienst der Verteidigung christlichen Auferstehungsglaubens stellte. Der erste Theologenphilosoph, in dessen Denken Christentum und philosophische Kultur der Justin klassischen Antike eine enge Verbindung eingingen, war Justin der Märtyrer, dessen Gelehrsamkeit erst wieder von den großen Alexandrinern Clemens und Origenes erreicht wurde. Er ist bereits vor seiner Be-

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kehrung zum Christentum ein dezidiert religiöser Philosoph, näherhin ein Repräsentant jener mittelplatonischen Schulphilosophie gewesen, deren Zentrum durch die philosophische Gotteslehre markiert war. Seine Hervorhebung der absoluten Transzendenz Gottes, an der ihm als Christ gelegen war, passte durchaus mit der mittelplatonischen Betonung der Unbegreiflichkeit und Unaussprechlichkeit göttlichen Wesens zusammen. Doch bleibt trotz konstruktiver Rezeption paganer Philosopheme die Hauptform der Bezugnahme auf sie von kritischer Art und auf den Zweck ausgerichtet, gedanklich begründete Angriffe von heidnischer Seite auf das Christentum abzuwehren. In der Geschichte der im Neuen Testament und bei den Apostolischen Vätern nur in Ansätzen vorhandenen, erst im Laufe des 2. Jahrhunderts n.Chr. schrittweise sich ausbildenden Apologetik, die bei aller Kritik Zeichen christlicher Öffnung und Aufgeschlossenheit für das Geistesleben der Heiden erkennen ließ, stellt das Werk des „Philosophen und Märtyrers“ (Tertullian, Adv. Val. 5,11) Justin einen ersten Höhepunkt dar, auf den sogleich zurückzukommen sein wird. Während Tatian unter den unmittelbaren Schülern der bekannteste ist, sind unter den Vorgängern vor allem Quadratus und Aristides von Athen hervorzuheben. Das nur bei Euseb (vgl. KG IV,3) überlieferte Quadratusfragment gilt als die älteste christliche Apologie überhaupt. Da es nur wenige Zeilen umfasst, bleibt das Gesamtkonzept weithin im Dunkeln. Die gelegentlich begegnende Gleichsetzung der verlorenen Apologie des Quadratus mit dem Diognetbrief, der die Widersinnigkeit heidnischer Götterverehrung und jüdischer Kultbräuche sowie den göttlichen Ursprung der christlichen Religion aufzuweisen sucht, entbehrt einer plausiblen Begründung. Neben dem Verfasser sind auch Zeit und Ort der Entstehung des an einen hochgestellten Heiden namens Diognetus gerichteten, dem Barnabasbrief verwandten Schriftstücks unbekannt. Aufschlussreicher als das Quadratusfragment und andere nur bruchstückhaft erhaltene oder lediglich indirekt bezeugte frühe Apologien (vgl. etwa Ariston von Pella, Miltiades aus Kleinasien, Apollinaris von Hierapolis) ist die christliche Streit- und Verteidigungsschrift des Aristides, eines Philosophen aus Athen. Nach einer ausführlichen, zum Teil sehr herben Polemik gegen die Religion der Barbaren, Griechen und Juden wird unter Verweis auf die Reinheit von Lehre und Leben der Christen die Überlegenheit des Christentums als der vollendeten Gottesoffenbarung allen vorhergehenden gegenüber behauptet. Schroffe Angriffe auf nichtchristliche Überlieferungen namentlich jüdischer Provenienz finden sich auch beim Justinschüler Tatian, der zu seiner Zeit weniger als Verfasser der als Diatessaron bezeichneten Evangelienharmonie denn als Autor einer „Rede an die Hellenen“ bekannt war. Abgesehen davon, dass Mose älter und daher von vorneherein von höherer Autorität sei als Homer, zeichne sich der jüdisch-christliche Monotheismus durch ein unvergleichlich höheres Maß an Vernünftigkeit aus als der Anthropomorphismus der traditionellen griechischen Religion. Aber auch die griechische Philosophie erreicht nach Tatian selbst in ihren führenden Repräsentanten kaum je das sittliche Niveau, wie es für das Christen-

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tum üblich sei. Hält sich Tatian mit Argumenten dieser Art in dem Rahmen, der von früheren Apologeten einschließlich seines Lehrers vorgezeichnet war, so geriet er nach Justins Tod dem Urteil des Irenäus zufolge als radikaler Enkratit und Sympathisant der Gnosis auf eine häretische Bahn, worunter seine kirchliche Wirkungsgeschichte nachgerade als Apologet nicht unerheblich litt. Der bereits mehrfach erwähnte, im palästinischen Flavia Neapolis, dem ehemaligen Sichem und heutigen Nablus, geborene Justin bekannte sich nach eingehender Beschäftigung mit den Strömungen griechischer Philosophie zunächst zu einer der zeitgenössischen Mittelplatonismusvarianten, wurde dann zum Christentum bekehrt und zog im Pallium, dem griechischen Philosophenmantel, als christlicher Wanderlehrer umher, bis er in Rom eine eigene Schule gründete. Namentlich vom Kyniker Crescens heftig angefeindet, wurde er unter dem römischen Präfekten Rusticus im Jahr 165 n.Chr. hingerichtet. Von Justin Martyr sind zwei Apologien und ein umfangreicher, jedoch unvollständig überlieferter „Dialog mit Tryphon“ erhalten, der von einer zweitägigen Unterredung des Verfassers mit einem gelehrten Juden handelt. Nach einer Schilderung des geistigen Werdegangs Justins wird gezeigt, dass erstens das jüdische Zeremonial- und Ritengesetz nur vorübergehende Bedeutung und nicht – wie das göttliche Sittengesetz – zeitinvariante Geltung beanspruchen kann, zweitens, dass die Verehrung und Anbetung Jesu Christi dem Monotheismus nicht widerstrebt, und drittens, dass auch die Nichtjuden und Heiden zur christlichen Kirche berufen sind. Der „Dialog mit Tryphon“ schließt an die beiden um 150/155 verfassten Apologien Justins an. Die erste, zu der die zweite möglicherweise lediglich eine Art von Anhang oder Nachtrag darstellt, wehrt in einem ersten Teil die Beschuldigung ab, die Christen seien Atheisten, weil ihnen die paganen Gottheiten als nichtige Götzen gelten, und führt in einem zweiten Teil den Beweis aus den alttestamentlichen Schriften, dass Jesus wahrhaft Gottes Sohn sei, welcher den Satan und die Dämonen durch sein Leiden, Sterben und Auferstehen besiegt habe. Angefügt sind Beschreibungen der Tauffeier und des sonntäglichen Gottesdienstes der Christen sowie die Wiedergabe eines Reskripts Kaiser Hadrians an den Prokonsul Minucius Fundanus, in dem ein geregeltes Rechtsverfahren gegen die Christen gefordert wird. Theologie- und dogmengeschichtlich ist Justin vor allem als Christologe und wegen seiner Logoslehre Logoslehre einflussreich geworden, die auch bei anderen Apologeten des 2. Jahrhunderts eine wichtige Rolle spielt. Er verbindet mit dem Begriff des Logos, der ihm als Inbegriff gottgegründeter und von Gott herrührender Vernunft gilt, den Gedanken der Schöpfungsmittlerschaft und die Vorstellung, der schöpfungsmittlerische Logos habe den Samen der Wahrheit in alle vernunftbegabten Kreaturen ausgesät. Mit einer allgemeinen Logosteilhabe geschaffener Vernunftwesen sei daher gemäß der Vorstellung vom logos spermatikos unzweifelhaft zu rechnen. Sie ist je nach Vernünftigkeit der betreffenden Entität graduell abgestuft und mehr oder minder stark ausgebildet. Was die Logoshaftigkeit des Menschengeschlechts anbelangt, so ist sie zwar im Vergleich zu anderen

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Kreaturen mit Ausnahme der Engel prinzipiell sehr beachtlich. Der Mensch ist geschöpflich dazu bestimmt, vernünftig zu sein und seine Vernunft unter den Bedingungen der sinnlichen Welt und seiner eigenen Sinnlichkeit zu realisieren. Aber in der Regel verwirklicht er diese Bestimmung entweder nicht oder nur in Ansätzen. Seine Vernunft ist üblicherweise schwach, unklar und vielfältig eingetrübt, ja durch Bosheit und Sünde ins fundamentale Gegenteil ihrer selbst verkehrt. Vollendet realisiert hat die Vernünftigkeit, in welcher die Menschheit bestimmt ist, nur Jesus Christus, der als der inkarnierte Logos zu gelten hat. Justins allgemeine Logoslehre und seine Theorie vom logos spermatikos im Besonderen enthält reiche apologetische Potentiale, die sich vielfältig nutzen lassen. In seiner ganzen Fülle ist der Logos in Jesus Christus erschienen. Doch besitzt jeder Mensch in seiner Vernunft einen Logoskeim, der ihm durch göttliche Schöpfung mitgeteilt wurde und seiner kreatürlichen Bestimmung nach zukommt. Dieser Logoskeim kann sich, wenn er denn nicht schon im stadium nascendi erstickt wird oder auf wie auch immer geartete Weise erstirbt, mit unterschiedlicher Kraft entwickeln. In einigen Menschen war diese Entwicklung besonders erfolgreich, und ihre Logosteilhabe ist entsprechend hoch. Sokrates wird unter den Griechen als hervorragendes Beispiel aufgeführt, wohingegen in Bezug auf das Judentum neben den Propheten vor allem Moses genannt wird, der Justin als der älteste Schriftsteller überhaupt gilt. Moses und die an ihn anschließende jüdische Literatur sei die eigentliche und wesentliche Quelle jener Wahrheiten, wie sie unter den griechischen Dichtern und Denkern später vertreten worden sei. Als der Urquell aller Wahrheit aber gilt Justin der Logos selbst, der in Jesus Christus vollendete Gestalt angenommen hat. Wie im Prolog und im Gesamtkonzept des Johannesevangeliums stellen Inkarnations- und Präexistenzgedanke auch bei Justin einen differenzierten logoschristologischen Zusammenhang dar. Der in Jesus Christus inkarnierte Logos ist zwar bereits als präexistenter Schöpfermittler von Anbeginn der Zeit wirksam, hat aber sein Wesen erst mit und in der Erscheinung Jesu Christi hinreichend zur Erfahrung gebracht, um auf diese Weise die Vollendung der Schöpfung zu wirken. Als die erfüllte Logosgestalt ist Jesus Christus einerseits das Maß aller Dinge, was andererseits aber nicht ausschließt, dass in gewissem Sinne bereits vor Christus mit Christen zu rechnen ist. Als solche haben im Prinzip alle zu gelten, die gemäß der Vernunft gelehrt und gelebt haben, welche in Christus in vollkommener und ungetrübter Wahrheit erschienen ist. Was das Verhältnis des präexistenten und in Jesus Christus inkarnierten Logos zu Gott als dem Urquell aller Dinge betrifft, so darf für Justin eine voll entwickelte Homoousielehre im Sinne des späteren altkirchlichen Dogmas naturgemäß noch nicht vorausgesetzt werden. Die diesbezüglichen Reflexionen weisen, soweit sie vorhanden sind, subordinatorische Tendenzen auf, ohne dass von einem lehrhaft ausgebildeten Subordinatianismus die Rede sein könnte. Wie andere Apologeten mit ihm denkt Justin Gott als ursprungs- und namenlos. Seine Transzendenz verbietet die Annahme einer substantiellen Weltpräsenz

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des Göttlichen. Gott ist dem Kosmos jenseitig, den er aus freiem Willen erschaffen hat. Zum Zwecke der Schöpfung der Welt und ihrer Erhaltung bedient sich der Schöpfer des Logos, mittels dessen er den Kosmos gründet, ursprünglich ordnet und der Ursprungsordnung gemäß regiert, damit dieser und die Kreaturen in ihm ihrem Bestimmungsziel zugeführt werden, wobei dem Menschengeschöpf besondere Aufmerksamkeit zugewendet wird. Als Schöpfungsmittler ist der Logos der Gottheit Gottes zwar durchaus wesentlich zugehörig, ohne doch bereits an sich selbst im Sinne einer förmlichen Hypostase thematisiert zu werden. Generell ist zu sagen, dass die theologischen und christologischen Implikationen und Konsequenzen der Logoslehre bei Justin erst anfangsweise bedacht sind. Überdies darf ihr Stellenwert im Gesamtzusammenhang seiner Apologetik nicht überschätzt werden. In den beiden förmlichen Apologien spielt die Logoslehre kaum eine Rolle; erst im „Dialog mit Tryphon“ wird der christologische Schriftbeweis, der Jesus Christus als die Erfüllung der messianischen Weissagungen des Alten Testaments vorstellig macht, logostheoretisch ergänzt und angereichert. Dies ändert indes nichts an der erwähnten Tatsache, dass Justin vor allem als Logoslehrer zu wirkungsgeschichtlicher Bedeutung gelangt ist. Seine philosophische Vorbildung hatte Justin vor allem aus dem mittleren Platonismus bezogen, den er eklektisch rezipierte und im Verein mit stoischen Gedanken für seine christologisch-theologische Logoslehre fruchtbar machte. Direkte Einflüsse Philos sind kaum nachweisbar, so sehr die bei diesem beginnende Verschmelzung stoisch-mittelplatonischer Traditionen mit alttestamentlichem Überlieferungsgut auch für Justin kennzeichnend ist. Ähnlich stellt sich der Sachverhalt bei Theophilos von Antiochien dar, um einen weiteren Apologeten zu benennen, der sich als Logostheologe ausgezeichnet hat. Von den Werken des Theophilos, der 169 n.Chr. Bischof von Antiochien wurde, sind allein die kurz nach 180 verfassten Bücher an Autolykos erhalten. Der nicht näher bekannte Adressat dient als Repräsentant einer heidnischen Öffentlichkeit, die in Kritik und Konstruktion von der Wahrheit des Christentums überzeugt werden soll. Als Mittel der Überzeugungsarbeit finden Logosüberlieferungen und Weisheitstraditionen Verwendung. Der von Ewigkeit her im göttlichen Inneren beschlossene Logos (logos endiathetos) wurde von Gott vor der Weltschöpfung, aber in Bezug auf diese eigens hervorgebracht und als Sohn des göttlichen Vaters gezeugt (logos prophorikos), damit durch ihn die Schöpfung vernünftig ins Werk gesetzt und mit der nötigen Vernunftordnung ihrer Erhaltung versehen werde. Schöpfungstheologisch beigestellt ist dem Logos sophia, durch deren Weisheit die Logosordnung ratifiziert und harmonische Einheit in der kreatürlichen Vielfalt gewährleistet und auf Dauer gestellt wird. Ähnliche Überlieferungen finden sich auch bei anderen Apologeten des 2. Jahrhunderts. Während diese jedoch Logos und Sophia in der Regel gleichsetzen, macht Theophilos neben der Identität beider auch explizite Unterschiede zwischen ihnen und eine entsprechende göttliche Dreiheit geltend. Er ist einer der ersten Theologen, die den Terminus trias ausdrücklich auf die Gottheit anwenden und

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zwischen göttlichem Ursprung, Logos und Weisheit differenzieren. Eine förmliche Trinitätslehre im Sinne des späteren altkirchlichen Dogmas hat er dennoch nicht geliefert und das umso weniger, also die Rolle des Geistes im Einzelnen unklar blieb. Theophilos begnügt sich damit, das pneuma mit Logos und Weisheit sowohl schöpfungstheologisch als auch inspirationstheoretisch in Verbindung zu bringen, ohne Wirklichkeit und Wirksamkeit des Geistes näher zu spezifizieren. Erst in ihrer Rezeption durch Irenäus nimmt die triadische Struktur der Theologie des Theophilos eine entwickelte trinitätstheologische Gestalt an. Neben theologischen und christologischen AsAthenagoras pekten enthält die Apologetik des Theophilos eine Reihe bemerkenswerter anthropologischer Gesichtspunkte. So hat er gegen verbreitete Bestreitungen nachdrücklich die gottgewollte Einheit von Leib und Seele im Menschengeschöpf und die Leiblichkeit der Auferstehung betont, auf die sich die Hoffnung der Christen richtet. Eine eigene Schrift wurde diesem Thema von dem Apologeten Athenagoras gewidmet, dessen Werk „Peri anastaseos nekron“, das am Ende eines 177 n.Chr. an Mark Aurel und seinen Sohn Commodus gerichteten „Bittgesuch für die Christen“ angekündigt ist, mit Recht als „das Beste“ gelten darf, „was die Alten über die Auferstehung geschrieben haben“ (Altaner/Stuiber, 74). Gemäß seiner geschöpflichen Bestimmung ist der Mensch nach Athenagoras ein Kompositum aus Seele und Leib. Seele und Leib sind zwar anthropologisch zu unterscheiden, nicht aber zu trennen, weil sie einen gottgewollten Zusammenhang im Menschengeschöpf bilden. Der Mensch ist, was er ist, als leibhafte Seele. Die Seele allein kann die menschliche Identität nicht gewährleisten. Als individuelle Einzelseele, die er seinem Wesen nach ist, ist der Mensch stets leibhaft verfasst. In Anbetracht des Todes des Menschen genügt es daher nicht, die Unsterblichkeit der Seele und ihre postmortale Fortexistenz zu lehren. Denn eine leiblose Seele ist keine Menschenseele bzw. keine Größe, welche das Menschsein des Menschen in seiner individuellen Wesensnatur gewährleisten könnte. In dezidiert antikdoketischer Absicht macht Athenagoras die anthropologische Notwendigkeit der eschatologischen Erwartung einer leiblichen Auferstehung geltend, wie sie im Christentum und in Teilen der jüdischen Tradition vertreten werde. Ausdrücklich abgelehnt wird sowohl die sokratische Lehre vom Körper als dem Gefängnis der Seele als auch die platonische Anschauung einer Seelenwanderung. Die Möglichkeit einer leiblichen Auferstehung der Toten, wie sie christlicher Anthropologie entspricht, verteidigt Athenagoras gegen ihre Bestreiter mit dem Hinweis auf die uneingeschränkte Schöpferallmacht Gottes. So wie Gott fähig und willens war, das Seiende aus dem Nichts ins Dasein zu rufen, so wird er sich auch als fähig und willens erweisen, Leib und Seele des Menschen nach dessen Tod in einer Weise zusammenzusetzen und wieder zu vereinigen, wie dies der anthropologischen Bestimmung des Menschen gemäß ist. Seiner Substanz nach wird der auferstandene Mensch als leibseelisches Kompositum kein anderer sein als zu seinen irdischen Lebzeiten, wenngleich seine eschatologische Existenz nicht mehr

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von sterblicher, sondern dauerhafter und unverweslicher Art sein wird. Weit davon entfernt, ein irrationaler Aberglaube zu sein, hat die Auferstehungshoffnung nach Athenagoras als vernunftgemäß, ja in gewisser Weise als vernunftnotwendig zu gelten, weil nur unter ihrer Voraussetzung anthropologischen Erfordernissen vernünftigerweise Rechnung getragen wird. Gott hat den Menschen als leibseelische Einheit erschaffen. Weil aber der Schöpfer den geschaffenen Menschen auch erhalten will, darf dessen spezifische Geschöpflichkeit als Unterpfand leiblicher Auferstehung von den Toten und Wiedervereinigung von sterblichem Leib und unsterblicher Seele am Ende der Tage gelten. Protologischer Ursprung und eschatologischer Endzweck entsprechen sich. Gemäß seiner kreatürlichen Bestimmung wird der Mensch nicht als körperlose Seele, sondern in seiner psychosomatischen Ganzheit verewigt werden. Spätestens mit den Apologeten ist das Christentum in die griechisch-römische Denkgeschichte eingetreten, um die Auseinandersetzung mit den philosophischen Strömungen der Zeit zu suchen und sich unter Bezug auf sie kritisch und konstruktiv zu gestalten. Dieser Schritt war geistesgeschichtlich von weichenstellender Bedeutung. Die großen Synthesen von Glauben und Wissen, wie sie in den theologischen Systemen des Hochmittelalters, aber auch vorher und nachher immer wieder versucht wurden, sind ohne die apologetischen Anfänge nicht denkbar. Christlicher Offenbarungsglaube und antike Philosophie stehen nach Urteil der Apologeten in einem differenzierten Zusammenhang. Äußerlich ist dieser Zusammenhang ihrer Meinung zufolge durch die Bekanntschaft vermittelt, welche die Griechen von Moses und mosaischen Schriften hatten, auf die sich auch das Christentum vornehmlich bezog. Christentum und antike Philosophie haben sonach eine gemeinsame Herkunftsgeschichte. Mit Justin zu reden: „Die Lehre von der sittlichen Freiheit hat Platon von Moses entnommen, wie denn jener das ganze Alte Testament gekannt hat. Ferner stammt alles, was Philosophen und Dichter über die Unsterblichkeit, über die Strafen nach dem Tode, über die Betrachtung der himmlischen Dinge und ähnliches gesagt haben, ursprünglich von den jüdischen Propheten her; von diesen aus sind überallhin Samenkörner der Wahrheit gedrungen, wenn auch durch ungenaue Auffassung derselben Widerstreit unter den Ansichten entstanden ist.“ (Apologie I,44) Dem äußeren Zusammenhang zwischen Christentum und antiker Philosophie, wie er durch den gemeinsamen Bezug auf die Quellen des Judentums vermittelt ist, entspricht nach Urteil der Apologeten eine innere Beziehung. Die Wahrheit ist eine. Alles, was je an Wahrheit erkannt wurde, kann deshalb nicht im Gegensatz stehen zur christlichen Wahrheit, wie sie in Jesus Christus offenbar ist. Als der inkarnierte Logos ist er die Fülle aller Wahrheit, die ohne ihn unvollendet bleiben muss. Das heißt freilich nicht, dass es vor dem bzw. außerhalb des Christentums keine Erkenntnis der Wahrheit gegeben habe oder gebe. Das sperma tou logou gibt nach Maß der Vernunft allgemeinen Anteil an ihr. Was immer an Wahrheit erkannt wurde und wird, ist inbegriffen im Logos, der in Jesus Christus Mensch geworden ist. In ihm begegnet die Vernunft dem Inbegriff ihrer selbst und mit ihm

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dem Grund, in dem alles gründet: dem unbegreiflichen Gott, der ohne Gestalt und Namen, ohne Anfang und Ende ist. Die christlichen Apologeten des 2. Jahrhunderts n.Chr. beanspruchten, das Christentum vor dem Irenäus Forum der Vernunft erfolgreich verteidigen zu können. Den gnostischen Anspruch, die göttliche Offenbarung in Jesus Christus in reine Vernunftzusammenhänge aufzulösen, haben sie hingegen nicht vertreten. Darin stimmen sie völlig mit Irenäus überein, der wie kein anderer Theologe des 2. Jahrhunderts um die „Entlarvung und Widerlegung der falschen Gnosis bzw. der fälschlich so genannten ‚Erkenntnis‘“ bemüht war. Sein aus fünf Büchern bestehendes Werk mit dem zitierten Titel, gewöhnlich „Adversus haereses“ genannt, stammt aus der Zeit um 180–185. Es ist bis heute eine der wichtigsten Quellen für die Theologie- und Häresiegeschichte des 2. Jahrhunderts n.Chr. Die gnostischen Gegner des Irenäus befinden sich z.T. noch innerhalb, zum größten Teil aber bereits außerhalb der Kirche, wo sie sich zu Schulen, losen Organisationsgruppen, aber auch, wie im Falle der Anhängerschaft Markions, zu festen Gemeinschaftsformen zusammengefunden hatten. Irenäus konzentriert sich auf die Auseinandersetzung mit dem gnostischen System Valentins und der Valentinianer, die neben den Markioniten die gnostische Gemeinschaft von der größten Ausdehnung und dem längsten Bestand bildeten. Darüber hinaus gibt er einen Überblick über die Geschichte des Gnostizismus, um ihn anschließend aus Gründen der Vernunft, der Schrift (worunter Irenäus nicht mehr nur das Alte Testament, sondern auch den anfangsweise ausgebildeten neutestamentlichen Kanon versteht) und der kirchlichen Überlieferung zu widerlegen. Ob die verlorengegangene Rede des Theophilus von Antiochien gegen Markion für die Häresiekritik des Irenäus von grundlegender Bedeutung war, kann dahingestellt bleiben. Faktum ist, dass er mit dem alten kirchlichen Schrifttum bestens vertraut war. Polykarp von Smyrna hatte der aus Kleinasien Stammende noch persönlich gekannt. Vergleicht man das Werk des Irenäus mit demjenigen des ein Menschenalter vorher geborenen Justin, so fällt vor allem ein weniger den Inhalt als die Form betreffender Unterschied zwischen beiden Darlegungen auf. „Irenäus hat die Redeweise eines erfahrenen kirchlichen Predigers, nicht eines Philosophen oder werbenden Missionars“ (v. Campenhausen, 24). Seine Bücher, von denen neben „Adversus haereses“ nur „Die Darlegung der apostolischen Verkündigung“ vollständig erhalten ist, zielen vor allem auf Bestandssicherung durch antihäretische Abgrenzung nach außen und durch innere Konsolidierung. Gedankliche Originalität ist kein Kennzeichen irenäischer Theologie. Sie will Neuerungen vermeiden und zielt auf Wahrung des überkommenen depositum fidei, dessen authentische Repräsentation Irenäus durch Schrift, Tradition und apostolische Amtssukzession gewährleistet sieht. Die in der Kirche fortlebenden Lehrüberlieferungen gelten ihm gleichermaßen als Quelle und Norm des Glaubens. Weil er es als erster unternommen hat, diesen Glauben möglichst umfassend darzustellen, darf Irenäus als der „bedeutendste Theologe des 2. Jh.“, gegebenenfalls auch als „der Begründer der

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Dogmatik“ (Jaschke, 266) gelten, obzwar er bezüglich systematischer Gedankenkraft hinter manchem Apologeten zurücksteht. Unter den einzelnen Stücken seiner Lehre ist vor allem die christologische Theorie der anakephalaiosis bzw. recapitulatio wirksam geworden, derzufolge in Jesus Christus, dem „Haupt“ der Menschheit, die ganze Heilsgeschichte zusammengefasst und die ursprüngliche Bestimmung der Welt in vollendeter Weise realisiert ist. Der Kleinasiate Irenäus predigte und schrieb auch als Presbyter und Bischof im gallischen Lyon in seiner griechischen Muttersprache. Dies war nicht ungewöhnlich. Griechisch wurde im 2. Jahrhundert n.Chr. auch im Abendland von weiten Teilen der Bevölkerung, insbesondere von allen Gebildeten mühelos verstanden. Noch der Irenäusschüler Hippolyt, auf den die für die Kenntnis der älteren römischen Liturgie grundlegende, um 215 in Rom verfasste „Apostolische Überlieferung“ zurückgeht, hat – freilich als einer der Letzten im Westen – Griechisch geschrieben. Zwar reichen die Anfänge der Latinisierung der westlichen Kirche weit ins 2. Jahrhundert zurück, doch wurde das Griechische in ihr erst im Laufe des 3. Jahrhunderts durch das Lateinische ersetzt. Bis dahin war Griechisch nicht nur die Sprache des christlichen Ostens, wo es erst allmählich und nur zum Teil durch einzelne Landessprachen wie das Syrische, Armenische und Koptische verdrängt wurde, sondern wurde auch in Predigt, Katechese und Liturgie der römischen, ja der abendländischen Kirche überhaupt verwendet. Auch Tertullian, dem wichtigsten lateinischen Kirchenschriftsteller vor Augustin, war die grie- Tertullian chische Sprache noch völlig geläufig. Zum Vater der alten christlichen Latinität hat ihn seine ausgeprägte Fähigkeit werden lassen, Sachverhalte in jener formalen Klarheit auf den Begriff zu bringen, wie sie für den ausgebildeten Juristen kennzeichnend ist. Als beispielhaft hierfür lässt sich die um 213 entstandene Tertullianschrift „Adversus Praxean“ benennen, welche nicht nur eine der klarsten vornizänischen Darlegungen der kirchlichen Trinitätslehre, sondern zugleich die lateinische Begriffsform bietet, in der das trinitarische Dogma im Westen mitgestaltet und rezipiert wurde. Neben dem Terminus „trinitas“ findet sich bei ihm erstmals der trinitätstheologisch verwendete persona-Begriff. Vergleichbare terminologische Vorarbeiten hat Tertullian für das christologische Dogma der Alten Kirche geleistet. Die Schrift gegen Praxeas hat sowohl auf die trinitätstheologische Entscheidung des Konzils von Nizäa, als auch auf das christologische Lehrschreiben Papst Leos I. an Flavian im Vorfeld des Chalcedonense nicht unerheblich eingewirkt. Daran hat auch Tertullians Wechsel ins montanistische Lager nichts geändert, so sehr es sein großkirchliches Andenken trübte. Eine vergleichbare, vermutlich sogar noch größere Nachwirkung als der Schrift „Adversos Praxean“ war im kirchlichen Westen und Osten Tertullians Apologeticum beschieden, einer aus Anlass christentumsfeindlicher Umtriebe 198 n.Chr. verfasste, an die Provinzstatthalter des römischen Reiches gerichtete Schrift, in der von der heidnischen Staatsgewalt Rechtssicherheit für Christen eingeklagt sowie pauschale Aburteilungen wegen Majestätsbeleidung und Verachtung der Staats-

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götter als unrechtmäßig kritisiert werden. Eine inhaltliche Nähe zu dem an gebildete Heiden gerichteten apologetischen Dialog „Octavius“ des römischen Rechtsanwalts M. Minucius Felix ist häufig beobachtet worden, auch wenn literarische Abhängigkeiten umstritten sind. Faktum ist, dass in beiden Fällen und insbesondere bei Tertullian neben philosophischen Fragen wie Monotheismus, Unsterblichkeitsglauben und sittliche Vollkommenheit auch juristische Fragen apologetische Berücksichtigung finden. Dies verdient insofern eigens vermerkt zu werden, als die literarische Tätigkeit der Apologeten und der nachfolgenden Kirchenväter in vorkonstantinischer Zeit nicht nur durch die Angriffe heidnischer Philosophen im Sinne etwa des um 178 n.Chr. entstandenen Pamphlets des Platonikers Celsus (griech. Kelsos) „Alethes logos“ veranlasst war; provoziert wurde sie mindestens ebenso sehr durch die von staatlicher Seite gegen Christen unternommenen Maßnahmen, denen man durch Aufweis grundsätzlicher Friedfertigkeit und Kooperationsbereitschaft im Rahmen des religiös-sittlich Zumutbaren entgegenzutreten suchte. Hatte Melito von Sardes in seiner Anfang der 70er Jahre des 2. Jahrhunderts verfassten, an Marc Aurel gerichteten Apologie ein friedliches Verhältnis von Staat und Kirche als für beide Seiten nutz- und segensbringend erklärt, so bleibt Tertullians Apologeticum zur Jahrhundertwende auf dieser Linie, um den Vorwurf an die Christen, sie seien Atheisten und Staatsfeinde, die der Amoral Vorschub leisteten, zu entkräften und fälschliche Anklagen zurückzuweisen, die auf Unkenntnis und Vorurteilen beruhten. Trotz der herausragenden Leistungen eines Tertullian und seiner reichhaltigen theologischen Clemens und Origenes Literatur im lateinischen Westen lag der Schwerpunkt christlicher Theologie im 3. Jahrhundert n.Chr. nach wie vor im griechischen Osten. Zentrum theologischer Forschung und Lehre waren Alexandrien und Antiochien, wo es zu Schulbildungen von nachhaltiger Wirkung auf alle kirchlichen Bereiche kam. Zwar waren die besagten Schulen keine Einrichtungen kirchenoffizieller Art, sondern Privatunternehmungen einzelner Lehrer, die einen Schülerkreis um sich sammelten. Aber die Theologen, die aus ihnen hervorgingen, hatten später häufig kirchenleitende Funktionen inne und neben geistlichen nicht selten auch erheblichen weltlichen Einfluss. Als erster namentlich bekannter Lehrer der alexandrinischen Schule trat um 180 n.Chr. neben Pantaenus Clemens von Alexandrien auf, von dessen umfangreichem Schrifttum nur noch der Protreptikos, eine Mahnrede an die Heiden nach Vorbild der älteren Apologeten, insbesondere Justins, der Paidagogos, der vor allem Einzelmahnungen zur sittlichen Gestaltung des Lebens enthält, und die Stromateis bekannt sind, die, wie ihr Name sagt, ein buntes Gewebe von diversen Beiträgen bieten, die auf die eine oder andere Weise die Stellung des Christentums in der hellenistischen Welt betreffen, ohne einen durchlaufenden Gedankengang aufzuweisen. Das Argumentationspotential hat sich im Vergleich zur vormaligen apologetischen Theologie bemerkenswert gesteigert; der Darstellungsstil ist ausgewogen und differenziert, das Streben nach Einsicht ausgeprägt und frei von äußeren Autoritätsbindungen. Gnostische Neigun-

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gen sind Clemens gleichwohl fremd; er zeigt sich im Gegenteil durchweg als ein entschiedener Gegner der Gnosis. Zu dem mit Abstand bedeutendsten Repräsentanten der alexandrinischen Schule wurde Origenes, dessen acht Bücher gegen Celsus, um 246 n.Chr. verfasst, den Höhepunkt der vornizänischen Apologetik bilden. Seine zuvor entstandene Einführung in die Hauptlehren des christlichen Glaubens „Peri archon“ (De principiis), die mit Recht als erste Dogmatik des Christentums gilt, wird Gegenstand spezieller Erörterungen sein. Im gegebenen Zusammenhang genügt der Hinweis, dass die von Clemens und Origenes geprägte alexandrinische Tradition für den Geist christlicher Theologie und die theologischen Debatten der Zeit über Jahrzehnte hinaus höchst einflussreich wurde und über die Schule im palästinischen Caesarea, die Origenes nach seinem erzwungenen Abgang aus Alexandrien gründete, nicht nur auf Männer wie Gregor Thaumaturgos oder Eusebius von Caesarea, dem Geschichtsschreiber der alten Kirche von ihrer Gründung bis zum Sieg Konstantins über Licinius, sondern auch, wenngleich in antiochenisch modifizierter Form, auf die drei großen Kappadozier Basilios den Großen, Gregor von Nyssa und Gregor von Nazianz einwirkte. Auch Julius Africanus, Dionysius und Petrus von Alexandrien, Pierius und sein Schüler Pamphilus sowie Athanasius und Cyrill sind in einem weiteren Sinne der alexandrinischen Schule zuzurechnen. Im Unterschied zur spekulativ-philosophischen Ausrichtung der Alexandriner und ihrer allegorisierenden Tendenz war die zweite profilierte Schulbildung im griechischen Osten des 3. Jahrhunderts, die von Lukian von Samosata gegründete Schule von Antiochien, auf die wissenschaftliche Exegese des Literalsinns der Heiligen Schrift konzentriert, der unter Anwendung historisch-grammatischer Methoden herhoben werden sollte. Ihre Glanzzeit hat die Antiochener Schule unter Diodor von Tarsus und seinen Nachfolgern erlebt. Die syrische Schule von Edessa in Mesopotamien und ihr berühmtester Lehrer Ephräm der Syrer standen unter ihrem Einfluss. Zwei der wichtigsten Vertreter der antiochenischen Richtung sind Nestorius und Theodoret von Cyrus. Meletius von Antiochien, Johannes Chrysostomus und Theodor von Mopsuestia waren direkte Schüler Diodors. Dass und inwiefern die trinitarischen und christologischen Auseinandersetzungen der Alten Kirche vielfach von Gegensätzen zwischen der alexandrinischen und der antiochenischen Schule überlagert und mitbestimmt waren, wird im Folgenden zu zeigen sein.

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Lit.: F.C. Baur, Die christliche Lehre von der Dreieinigkeit und Menschwerdung Gottes in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Erster Theil: Das Dogma der alten Kirche bis zur Synode von Chalcedon, Tübingen 1841. Nachdruck: Hildesheim/Zürich/New York 2005. – P. Carnley, The Structure of Resurrection Belief, Oxford 1987. – A. v. Harnack, Dogmengeschichte, Tübingen 81991. – W.-D. Hauschild, Lehrbuch der Kirchen- und Dogmengeschichte. Bd. 1: Alte Kirche und Mittelalter, Gütersloh 2000. – B. J. Hilberath, Pneumatologie, in: Th. Schneider, Handbuch der Domgatik. Bd. I, Düsseldorf 1992, 445–552. – E. Jüngel, „Was ist er inwerds?“ Bemerkungen zu einem bemerkenswerten Aufsatz, in: ZThK 105 (2008), 443–455. – J. N. D. Kelly, Altchristliche Glaubensbekenntnisse. Geschichte und Theologie, Göttingen 1972. – H. Kessler, Christologie, in: Th. Schneider (Hg.), ebd., 241–442. – J. Leipoldt, Zu den Auferstehungs-Geschichten, in: P. Hoffmann (Hg.), Zur neutestamentlichen Überlieferung von der Auferstehung Jesu, Darmstadt 1988, 285–296. – Origenes, Vier Bücher von den Prinzipien. Hg. v. H. Görgemann/H. Karpp, Darmstadt 1976. – W. Pannenberg, Art. Christologie II. Dogmengeschichtlich in: RE3 I. Band, 1762– 1777. – A. M. Ritter, Dogma und Lehre in der Alten Kirche, in: C. Andresen/A. M. Ritter (Hg.), Handbuch der Dogmen- und Theologiegeschichte. Bd. 1: Die Lehrentwicklung im Rahmen der Katholizität, Göttingen 21999, 99–283. – H. Chr. Schmitt/W. Sparn, Monotheismus als religiöses und kulturelles Problem, Erlangen-Nürnberg 2007. – U. Wilckens, Theologie des Neuen Testaments. Band II: Die Theologie des Neuen Testaments als Grundlage kirchlicher Lehre. Teilband 1: Das Fundament, Neukirchen 2007.

Grund und Inbegriff neutestamentlichen Zeugnisses ist die evangelische Frohbotschaft, welche Jesus Christus, der auferstandene Gekreuzigte, in der Einheit seiner Person und seines Wirkens ist. In ihm ist Gott selbst in der Kraft seines Hl. Geistes als väterliche Gnade und Liebe offenbar. An Ostern ist dies manifest, um im Geiste Pfingstens für uns erschlossen und ratifiziert zu werden. Ostern und Pfingsten bilden in ihrem differenzierten Zusammenhang den Horizont aller anamnetischen und epikletischen Bezüge, die Andacht und Zuversicht christlichen Glaubens bestimmen. Der Zentralgehalt christlicher Anamnese, die zurückreicht bis in die protologischen Ursprünge von Schöpfung und Fall, ist durch den Jesusnamen bezeichnet. Auf Jesus ist die Erinnerung des Christentums vor allem bezogen. Doch sind Sein und Bedeutung Jesu, dessen irdisches Leben am Kreuz endete, ohne Ostern nicht so zu erfassen, wie es ihnen gemäß ist. Das heißt nicht, dass Botschaft und Wirken des irdischen Jesus an sich selbst bedeutungslos wären. Es ist im Gegenteil so, dass der irdische Jesus als implizite Voraussetzung Ostern und Pfingsten

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österlicher Christologie schlechterdings unentbehrlich ist, weil seine Gestalt ihren materialen Gehalt ausmacht. Eine Christologie ohne Jesus ist nicht christlich. Doch lässt sich die Einheit des gekreuzigten Jesus von Nazareth mit dem auferstandenen Christus und damit die Identität Jesu Christi eindeutig nur von Ostern her und im Geiste Pfingstens erfassen. „Wer ist dieser?“ (Mk 4,41b par.) Christologisch eindeutig beantwortet wird diese Frage weder von den historischen Zeugen des irdischen Lebens Jesu noch vom irdischen Jesus selbst, sondern allein von den Osterzeugen, denen sich der auferstandene Gekreuzigte im Geiste Gottes als derjenige gezeigt hat, der er in Wahrheit ist, immer war und von Ewigkeit zu Ewigkeit sein wird: „Mein Herr und mein Gott!“ An Ostern erweist sich der auferstandene Gekreuzigte denjenigen, die sein irdisches Leben als ein vergangenes und zugrundegerichtetes in Trauer und peinlicher Trübnis erinnern, als Subjekt seines Gedächtnisses, und er wandelt so Totengedenken in die Frohbotschaft des Evangeliums, in welchem der dem Kreuz entgegengehende irdische Jesus als er selbst und in der ihm eigenen Lebendigkeit verewigt ist. Das neutestamentliche Osterzeugnis liegt in Form von Auferstehungsbekenntnissen, den Erzählungen vom leeren Grab und in Berichten von Erscheinungen des auferweckten Gekreuzigten vor. Das älteste Zeugnis in 1. Kor 15,3–8 geht wahrscheinlich auf die Anfänge der Jerusalemer Urgemeinde zurück. Es enthält in seinem Kern die Sequenz von Kreuzestod, Begräbnis, Auferweckung und Erscheinung vor Kephas und darauf vor den Zwölfen. Zusätzliche Zeugenangaben werden ergänzt, ohne dadurch die personale und zeitliche Begrenzung der Erscheinungen in Frage zu stellen. Diese wird vielmehr bei allen Unterschieden etwa zwischen dem paulinischen und dem lukanischen Zeugnis im ganzen Neuen Testament behauptet, was als ein Indiz der unveräußerlichen Beziehung des Osterereignisses zu Jesu Erscheinung in Raum und Zeit zu werten ist. Wie es keinen Zweifel duldet, „daß man die Auferstehungsberichte der Evangelienberichte nicht aus dem Glauben an sterbende und auferstehende Götter ableiten kann“ (Leipoldt, 288), so steht der Zusammenhang Osterns mit der irdischen Jesusgeschichte unzweifelhaft fest, auch wenn durch ihn deren historische Grenzen ebenso transzendiert werden wie diejenigen der irdischen Körperlichkeit Jesu, der als der auferstandene Gekreuzigte in verherrlichter Leibesgestalt erscheint. „The Raised One whom the first witnesses claimed to recognize from Easter Day onwards was not a new and anonymous presence but the very presence of their remembered master and teacher who had been crucified on the cross.“ (Carnley, 266) Die Osterwirklichkeit liegt jenseits des Gegensatzes von Materialismus und Spiritualismus, den sie überwindet. Sie kündet von einer unvergänglichen Leiblichkeit, welche im Unterschied zum körperlichen Vergehen nie Vergangenheit wird, sondern das Vermögen ständiger Selbstvergegenwärtigung hat. Als Gehalt Osterns, wie er in Gestalt des Auferstandenen erscheint, ist das irdische Leben Jesu als vollendetes Ganzes unvergänglich. Die Evangelien bezeugen dieses Perfekt durch ihre Form und ihren Inhalt. Die österlichen Erscheinungen, welche den irdischen Glauben an die Auferweckung und Auferstehung des gekreuzigten Jesus ursprüng-

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lich begründen, sind Ereignisse in der Zeit, die zugleich deren irdische Schranken eschatologisch transzendieren. Vergleichbares gilt in räumlicher Hinsicht. Die Berichte vom leeren Grab geben darauf einen ersten Hinweis. Der am Kreuz gestorbene Jesus ist nicht dort, wo die Leichname Verstorbener erfahrungsgemäß ihre letzte Bleibe finden. Er wurde zwar begraben, ist aber nicht im Grabe, das die trauernden Frauen aufsuchen, um seiner als eines Vergangenen und dem Gewesenen Anheimgegebenen erinnernd zu gedenken. Auch wenn diese Erkenntnis für sich genommen nur „Furcht und Schrecken“ erzeugt und darauf angewiesen ist, durch die Erscheinungen des Auferstandenen zur österlichen Gewissheit geführt zu werden, gehört die Grabesleere und das Entsetzen über sie doch als aufgehobenes Moment unveräußerlich zum christlichen Osterglauben hinzu, weil es ihn davon abhält, seinen Herrn an Orten zu suchen, wo er nicht zu finden ist. Zu finden ist der auferstandene Gekreuzigte allein dort, wo er sich von sich aus österlich zeigt. Dies war nach neutestamentlichem Zeugnis ursprünglich an bestimmten Lokalitäten der Fall, woran deutlich wird, dass das Ostergeschehen räumliche ebenso wie temporale Bezüge in sich enthält, die in konstitutivem Zusammenhang stehen zur konkreten Geschichte des gekreuzigten Jesus, der aufgrund seiner Erscheinungen als der von Gott väterlich erwählte Sohn Gottes zu bekennen ist. Doch kann der neutestamentlichen Lokalisierung der Christophanien sowohl in Galiläa als auch in Jerusalem, die nicht selten als widersprüchlich empfunden wurde, ein Verweis darauf entnommen werden, dass das Osterzeugnis, das in Paulus einen späten Zeugen an entfernterem Ort gefunden hat, unbeschadet seines konkreten Raumbezugs, von dem wegen der Selbigkeit des auferstandenen Christus mit dem gekreuzigten Jesus nicht abstrahiert werden darf, nicht an räumliche Schranken gebunden ist. An Ostern erweist sich Jesus Christus in Raum und Zeit als der Herr von Raum und Zeit. Im Geist ist dies manifest. Man hat die Erscheinung des Auferstandenen vor den mehr als fünfhundert Brüdern, von der 1. Kor 15,6 im Zusammenhang der Christophanien berichtet, die zuvor Kephas und den Zwölfen, sodann Jakobus sowie allen Aposteln und schließlich Paulus als dem nach seinem Urteil Geringsten unter ihnen (vgl. 1. Kor 15,8) zuteil wurden, gelegentlich mit dem Pfingstbericht in Verbindung gebracht. Historische Beweise für ein Recht hierzu lassen sich schwerlich erbringen. Zum einen stellt die Traditionsanalyse von Apg 2,1–13 vor kaum lösbare Probleme. Die Terminierung des Geschehens auf den Pfingsttag scheint sekundär zu sein. Auch das sog. Sprachenwunder ist am ehesten auf lukanische Komposition zurückzuführen. Als älteres Überlieferungsgut verblieben sonach neben einer Völkerliste die Überlieferung von einer möglicherweise mit Glossolalie verbundenen Massenergriffenheit von Jesusjüngern in einem Haus in Jerusalem. Damit wäre ein tertium comperationis zu 1. Kor 15,6 gegeben. Doch gehen nicht nur die Zahlenangaben weit auseinander; auch gegen eine unmittelbare Gleichsetzung von Christophanietradition und Tradition des geistgewirkten Osterzeugnisses der Jünger lassen sich Einwände geltend machen. Bleibt die Verbindung der österlichen Erscheinung vor den über fünfhundert

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Brüdern mit dem Pfingstbericht Apg 2 historisch unbeweisbar, so belegt 1. Kor 15,6 doch immerhin dies, dass die Christophanieen sich trotz ihrer Ausrichtung auf namentlich und in bestimmter Ordnungsreihenfolge genannte Einzelne über den engeren Jesusjüngerkreis hinaus bald schon erweiterten, was mit dem Wirken des Pfingstgeistes in Verbindung zu bringen nicht falsch sein kann, zumal ohne dieses Wirken das Ostergeschehen von Beginn an nicht denkbar ist. Christuserscheinung und Geistsendung sind zu unterscheiden, nicht aber zu trennen, was u.a. daraus erhellt, dass die Personen, denen die österliche Erscheinung zuteil wurde, ipso facto in jene Begeisterung des Glaubens versetzt wurden, zu dessen innerstem Wesen das Bekenntnis des Geschauten hinzugehört. Die Autorität dieses Bekenntnisses hat nicht unmittelbar in der Person des Zeugen, sondern in der begeisternden Wirklichkeit dessen seinen Grund, den zu bezeugen der Zeuge berufen ist. Es ist der in der Kraft des Geistes Erscheinende, der geistliche Autorität vermittelt. Die Erscheinungsterminologie darf daher nicht im Sinne einer technischen Legitimationsformel verstanden werden, die Einzelne mit einer ausschließlich ihnen zukommenden Autorität versieht. Der Hinweis auf die namenlosen Fünfhundert kann als Beleg hierfür gelesen werden. Bedenkenswert ist ferner, dass jene beiden, die in 1. Kor 15 an erster und letzter Stelle in der Reihe der Osterzeugen genannt werden, von sich zu bekennen hatten, ehemals Verleugner Jesu bzw. Verfolger der Christengemeinde gewesen zu sein. Beider Visionen, die von jeweils charakteristischer, den gesamten österlichen Verstehenszusammenhang prägender Eigenart sind, stehen in einem unübersehbaren Bezug zu vorausgehender Schuld und Verfehlung, was den Gnadencharakter des österlichen Widerfahrnisses und die Tatsache nur umso deutlicher werden lässt, dass die Autorität der Osterzeugen und nachgerade der Vornehmsten unter ihnen in nichts anderem besteht, als im Evangelium von der Rechtfertigung des Sünders, das der auferstandene Gekreuzigte in der Einheit seiner Person und seines Werkes ist. Die pneumatologischen Aussagen des Neuen Testaments setzen das alttestamentlich-frühjüdi- Der Geist des Christentums sche Geistverständnis voraus und schließen in Kritik und Konstruktion daran an, indem sie das Wirken des göttlichen Geistes untrennbar mit der Person Jesu Christi verbinden. Als exemplarischer Repräsentant menschlicher Gotteskindschaft ist Jesus Christus zugleich paradigmatischer Träger des Geistes. Doch wie er nicht nur als Gotteskind im Allgemeinen, sondern als einzig geborener Sohn Gottes in unvergleichlicher Singularität zu gelten hat, so ist er pneumatologisch nicht nur als Geistträger, sondern auch als Geistspender zu würdigen. Dabei bleibt das Verhältnis von Geist und Christus nicht selten in der Schwebe. Es finden sich sowohl Tendenzen zur Identifikation als auch zur Differenzierung, ohne dass eine definitive begriffliche und gedankliche Klarheit erreicht würde. Die dogmengeschichtliche Entwicklung spiegelt diesen Sachverhalt wider. Es bedurfte geraumer Zeit, bis der Geist im altkirchlichen Dogma die ihm gebührende Stellung gewann. Zunächst konzentrierte sich die theologische Aufmerk-

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samkeit auf die genauere Bestimmung des Verhältnisses des auferstandenen Gekreuzigten zu seinem göttlichen Vater, der ihn österlich aus dem Tode erweckte. Menschensohn, Messias/Christus, Herr, David- und Gottessohn, Logos – die Reihe der christologischen Hoheitstitel ist lang, und die neutestamentlichen Zeugnisse von Sein und Bedeutung des österlich erscheinenden Jesus reichen von Adoptionsvorstellungen über die Erzählungen seiner wunderbaren Geburt bis hin zu elaborierten Präexistenz- und Inkarnationstheorien. All dies drängte auf eine durchreflektierte Beantwortung der Frage, wie sich die – das irdische Leben und Sterben Jesu integrierende und eschatologisch vollendende – Wirklichkeit des auferstandenen Gekreuzigten zur Gottheit Gottes verhält. Im trinitarischen Dogma liegt diese Antwort in definierter Form vor. Was die Geschichte seiner Entwicklung betrifft, so ist zunächst eine binitarische, auf das Verhältnis Jesu Christi zu Gott konzentrierte Perspektive bestimmend. Die Relation Gottes und Christi zum Geist wird anfangs weit weniger intensiv bedacht als die Beziehung Gottes und Christi zueinander, für deren Bestimmung zusammen mit der Logostheorie die Erkenntnis der Vater-Sohn-Gemeinschaft entscheidend wurde, wie sie in Jesu Gebetsanrede exemplarisch anklingt, um im Ostergeschehen auf singuläre und vollendete Weise zutage zu treten (vgl. Kessler). Das christliche Verständnis Gottes ist trinitarisch, nicht binitarisch verfasst. Obwohl sich eine förmliche Trinitätslehre im Neuen Testament nirgends finden lässt, ist ihre Ausbildung durch das neutestamentliche Offenbarungsverständnis doch inhaltlich gefordert. Dies gilt auch in pneumatologischer Hinsicht. Ohne den Hl. Geist als den Dritten im göttlichen Bunde kann Gott im christlichen Sinne nicht verstanden werden (vgl. im Einzelnen Hauschild, 1ff.). Zum wichtigsten formalen Bezugspunkt der späteren Trinitätslehre wurde Mt 28,19, wo Jesus Christus im Rahmen des Missionsbefehls seinen Jüngern aufträgt, im Namen des Vaters und des Sohnes und des Hl. Geistes zu taufen. Vergleichbare triadische Aussagen finden sich in 1. Kor 12,4–6, 2. Kor 13,13 und Apk 1,4b.5a. Doch fehlt jede explizite Trinitätstheologie; das Comma Johanneum 1. Joh 5,7f. ist nachträgliche Einfügung. Obwohl im Neuen Testament nicht förmlich entwickelt liegen die Trinitätslehre und das christologische Dogma der Alten Kirche dennoch in der Konsequenz seines Inhalts, den sie auszulegen und gedanklich zu erfassen suchen. Um die theologischen, christologischen und pneumatologischen Faktoren und Komponenten des österlichen Mysteriums auf differenzierte Weise zusammenzudenken und auf ihren einheitlichen Grund in Gott zurückzuführen, musste dessen Identität als in sich differenziert und als wesenseins und hypostatisch unterschieden zugleich gedacht werden. Im einen Gott sind Einheit und Unterschiedenheit paritätisch gegeben, wobei die trinitarische Identität von Identität und Differenz weitere Differenzeinheiten in sich birgt, wie diejenige personaler Unio Gottes und des Menschen im inkarnierten Logos Jesus Christus. Im trinitarisch-christologischen Dogma der Alten Kirche ist dies zur Geltung gebracht. Auf einen formalen Geltungsstatus ihres Begriffs bleiben Christologie und Trinitätslehre indes nur dann

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nicht restringiert, wenn sie in pneumatologischer Erfassung göttlicher Ökonomie auf Sündenschuld und Übel des zu Gottes Ebenbild geschaffenen Menschen in seiner kreatürlichen Welt sowie auf die versöhnende Rechtfertigung des Sünders, auf die Erlösung von Menschheit und Welt von allem Übel und auf die eschatologische Vollendung bezogen werden, welcher Bezug zum Gehalt des altkirchlichen Dogmas konstitutiv und elementar hinzugehört. Was ist Gott „inwerds“ (vgl. Jüngel, 443)? Die Antwort, welche das trinitarische Dogma auf diese Frage zu geben versucht, muss notwendig missverstanden werden, wenn man sie herauslöst aus dem Zusammenhang göttlicher Heilsökonomie, wie sie im Geiste Osterns offenbar ist. Daran war zu erinnern, um die nachfolgende Skizze der Genese des altkirchlichen Dogmas auf eine entsprechende Basis zu stellen. Gott ist in sich selbst kein anderer als derjenige, welcher in Jesus Christus in der Kraft seines göttlichen Geistes offenbar geworden ist. Er ist aber als der sich selbst Offenbarende zugleich der allem Begreifen vorhergehende Grund seiner Offenbarung, der mit dieser alles umfasst, was ist. Gott löst in seiner Selbstoffenbarung das ihm eigene Geheimnis nicht auf, sondern erfüllt es, indem er sein göttliches Wesen in Jesus Christus kraft des Hl. Geistes als unbegreifliche Liebe erschließt, mit der er von Ewigkeit zu Ewigkeit nicht nur sich selbst, sondern auch uns liebt, die wir in der Zeit zu vergehen und an der Schuld der Sünde zugrunde zu gehen drohen. Es ist die Aufgabe der Theologie, dies im Bewusstsein der Unvordenklichkeit Gottes zu bedenken. Die Trinitätslehre ist, wenn man so will, der Begriff der unbegreiflichen Liebe, die der Inbegriff des göttlichen Wesens Gottes des Vaters, des Sohnes und des Hl. Geistes ist, deren Ökonomie von ihrem innertrinitarischen Sein zu unterscheiden, nicht aber zu trennen ist. Während die vereinzelten christologischen Jenseits von Modalismus und Formulierungen der Apostolischen Väter mit Tritheismus Ausnahme vielleicht des Ignatius von Antiochien noch kein kohärentes Lehrsystem ergaben, versuchten die Apologeten Jesus Christus systematisch als Offenbarungsgestalt des göttlichen Logos zu begreifen. Motiviert war dieser Versuch durch die Absicht, eine Verbindung des christlichen Glaubens mit der damaligen Wissenschaft herzustellen, um in eine vernünftige Auseinandersetzung mit dem Zeitgeist eintreten zu können. Dazu bot der Logosbegriff die beste apologetische Gelegenheit. Lässt er sich einerseits mit alttestamentlichen und jüdischen Vorbildern wie etwa der Weisheit in Verbindung bringen, die bei dem jüdisch-hellenistischen Philosophen Philo von Alexandrien, einem Zeitgenossen Jesu, analog zum Logos hypostatische Gestalt annimmt, so ist er andererseits auch der zeitgenössischen Popularphilosophie wohl vertraut, um in der Stoa mit der Vorstellung einer alles hervorbringenden und durchdringenden Kraft assoziiert zu werden. Zu erwähnen sind ferner platonisch-neuplatonische Spekulationen, unter deren Einfluss bereits Philo steht, wenn er die absolute Jenseitigkeit des streng monotheistisch gedachten Gottes durch den göttlichen Logos vermittelt sein lässt mit dem Gegebensein der Welt und ihrer immanenten Vernunftordnung, welche den kosmischen Bestandserhalt gewährleistet. In der Theo-

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logie der Apologeten konnte der Logosbegriff entsprechend vielfältige Verwendung finden mit dem durchgängigen Ziel, Jesus Christus als den inkarnierten Logos, als die Manifestationsgestalt des weltfundierenden und erhaltenden Schöpfungswortes, des Grundes und Inbegriffs der natürlichen und sittlichen Weltordnung, der Urform des Denkens usw. zu erweisen und ihn als Mediator göttlicher Vernunft und göttlichen Willens in Anschlag zu bringen. Dabei kam es, wie nicht anders zu erwarten, auch zu Lehrdifferenzen, die zum kleineren Teil die Logoslehre überhaupt und die Frage ihrer grundsätzlichen Legitimität, zum größeren Teil das Problem des theologischen Status betrafen, welcher dem in Jesus Christus inkarnierten Logos zuzuerkennen ist. Die verschiedenen Richtungen, die seit etwa 180 n.Chr. gegen die Annahme einer göttlichen Logoshypostase von eigener Subsistenz stritten, werden seit Tertullian häufig unter dem Stichwort Monarchianismus zusammengefasst. Dabei wird dogmengeschichtlich in der Regel zwischen einem dynamischen Monarchianismus oder Adoptianismus und einem sog. Modalismus unterschieden. Ersterer wird nach dem Vorgang kleinasiatischer „Aloger“ durch die römisch-adoptianische Parteiung der Theodotianer und durch den späteren antiochenischen Adoptianismus repräsentiert. Dem nach zunächst erfolglosen Interventionen im Jahre 268 n.Chr. abgesetzten und anathematisierten Metropoliten von Antiochien, Paul von Samosata, zufolge ist der Logos, der auch Sophia genannt werden kann, keine im eigentlichen Sinne gottunterschiedene Größe, sondern lediglich eine göttliche Eigenschaft bzw. eine an sich selbst unpersönliche göttliche Kraft, welche bereits in Moses und den Propheten gewirkt habe, um sodann den Menschen Jesus in einzigartiger und vollendeter Weise dynamisch zu durchwalten mit der Konsequenz, dass dieser in all seinem Denken und Trachten dem Willen Gottes entsprochen und als dessen in Wohlgefallen angenommener Sohn zu gelten habe. Pauls Vorstellung einer gleichsam dynamisch-ethisch und nicht physisch-naturhaft verfassten Einheit Gottes und des Menschen in Jesus Christus hat nicht nur im Arianismus, sondern auch im Nestorianismus der jüngeren antiochenischen Schule fortgewirkt, von der im Zusammenhang der vorchalcedonischen Streitigkeiten um die Verfassung des Personseins Jesu Christi noch zu reden sein wird. Stellt sich dem dynamischen Monarchianismus Jesus Christus als ein in seinem ganzen Sein von göttlicher Geisteskraft durchwirktes Wesen, nicht hingegen als Inkarnationsgestalt einer proprie subsistierenden Logoshypostase dar, so wird im sog. modalistischen Monarchianismus diese Tendenz dadurch verstärkt, dass der göttliche Logos und analog der göttliche Geist als bloße Modi und Erscheinungsweisen der einen und einzigen Gottheit Gottes in Betracht kommen. Als konsequentester Vertreter des Modalismus hat neben den Kleinasiaten Noet und Praxeas der seit ca. 215 in Rom agierende Sabellius zu gelten, weshalb der Modalismus nicht selten auch Sabellianismus genannt wird. Nach Sabellius fungieren Vater und Sohn (sowie Geist) lediglich als Benennungen einer und derselben göttlichen Substanz, durch welche die heilsgeschichtlichen Offenbarungsweisen Gottes in Schöpfung, Erlösung und Vollendung bezeichnet werden, ohne dass mit dem göttlichen

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Schöpfer, Erlöser und Vollender die Annahme personaler Subsistenz zu assoziieren wäre. Primärmotiv dieser Lehrbildung war zweifellos die Sorge um die Einheit und Einzigkeit Gottes sowie das Interesse, das dezidiert festgehaltene Bekenntnis zur wahren Gottheit Jesu Christi von allen polytheistischen Missverständnissen freizuhalten. Indes vermag der modalistische Monotheismus die Einheit des göttlichen Wesens nur auf indifferente Weise und in Form abstrakter Selbigkeit zur Geltung zu bringen. Indem er die in der neutestamentlichen Überlieferung stets vorausgesetzte Unterscheidung von Vater und Sohn im Zuge ihrer bloß modalen Differenzierung tendenziell einzieht, um beide zuletzt in eins zu setzen, musste er zwangsläufig u.a. den Vorwurf des Patripassianismus auf sich ziehen. Selbst wenn die Modalisten nicht explizit gelehrt haben, dass Gott der Vater am Kreuz gelitten habe, liegt diese Auffassung doch in der Konsequenz ihres gegenüber jeder wirklichen Interndifferenzierung abgeschotteten Gottesbegriffs. Die im Modalismus offenkundig gewordene Schwäche des Monarchianismus hat den endgültigen Sieg der Logoschristologie nicht unwesentlich befördert. Erschloss dem lateinischen Westen Tertullian die terminologische Möglichkeit, mit den Begriffen Substanz und Person die essentielle Identität und personale Differenziertheit der Gottheit Gottes auszusagen, so verhalfen im griechischen Osten insbesondere Clemens und Origenes der Lehre von der in Jesus Christus inkarnierten Logoshypostase zum definitiven Durchbruch. Sie setzten im 3. Jahrhundert n.Chr. in ihrer alexandrinischen Katechetenschule das von den Apologeten begonnene Werk auf höherem Niveau und in noch größerer Aufgeschlossenheit für die hellenistische Bildungswelt fort. Was Origenes (185–254) betrifft, so hat er mit den 230/231 entstandenen vier Büchern „Peri archon“, die in Rufins lateinischer Übersetzung „De principiis“ betitelt sind, „den ersten Versuch einer systematisch angelegten Darstellung des christlichen Glaubens“ (Görgemanns/Kerpp, 9) überhaupt unternommen. In achtfacher Hinsicht wird das apostolische Kerygma thematisch entfaltet: in Bezug auf Gott, Jesus Christus, Hl. Geist, Seele, Freiheit des Willens, Teufel und böse Mächte, Schöpfung und Vollendung der Welt sowie bezüglich Ursprung und geistlichem Sinngehalt der Hl. Schrift. Band IV/4 bietet eine knappe Zusammenfassung der Inhalte. Seiner literarischen Gattung nach ist das Werk, das im Oeuvre des Origenes eine Sonderstellung einnimmt, eine Zwischenform von Lehrbuch und problemorientierter Abhandlung mit dem Zweck, das Christentum apologetisch und polemisch gegen äußere Bestreitungen und innere Anfechtungen zu verteidigen und im Sinne eines philosophisch-theologischen Gedankensystems spekulativ zu erfassen. Obwohl seine Lehre zu zahlreichen rechtgläubigen Einwänden Anlass gegeben hat, die im 6. Jahrhundert zu förmlichen Anathematisierungen geführt haben, ist der Einfluss des Origenes auf die Doktrin der Alten Kirche und auf die Ausbildung des altkirchlichen Dogmas sehr groß gewesen. Dies gilt in erster Linie für seine Trinitätslehre, wie sie in den ersten vier Kapiteln des ersten Buches von „De principiis“ entfaltet wird, aber auch in anderen Kontexten die Basis der theologischen Argumentation bildet. Mit seinen schrifttheologischen und philosophisch fun-

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dierten Bestimmungen zur Gleichewigkeit von Gottvater und Logos, welcher – vor aller Zeit durch ewige Zeugung geworden – aus dem Wollen des Vaters hervorgeht, um diesem an Macht und Herrlichkeit gleich zu sein, und mit seiner trinitarischen Pneumatologie, derzufolge der Hl. Geist gleich dem Sohn nicht geschaffen ist in der Zeit, sondern geworden vor ihr, hat Origenes den Grund gelegt für die spätere Definition des Dogmas. Indes blieb im origenistischen System fraglich, ob der Logos der Gottheit des Vaters in wesenseiniger Parität zugehört oder im Vergleich zu ihr als eine Größe von subtiler Subordiniertheit zu denken ist. Denn die origenistische Formel einer ewigen Zeugung des Logos macht diesen einerseits als der Gottheit Gottes von Ewigkeit her verbunden, andererseits und in Anknüpfung an neuplatonische Emanationsvorstellungen als erstes Geschöpf vorstellig. Diese Ambivalenz führte in der Folgezeit zu heftigen Streitigkeiten zwischen sog. Rechtsorigenisten, die wie etwa Gregor Thaumaturgos die Einheit von Logos und Gottvater betonten, und sog. Linksorigenisten, die durch Betonung der Geschöpflichkeit des Logos die Differenz und wesenhafte Andersheit beider hervorhoben. Ein Beispiel linksorigenistischer Argumentation bietet etwa Dionysius von Alexandrien, der die Logoschristologie scharf subordinatianisch ausbildete. Entsprechendes trifft bei allen sonstigen Unterschieden auch für Lukian von Antiochien zu, der als Lehrer des Arius zu einem der Hauptinitiatoren des nach seinem Schüler genannten Streites wurde. Die entscheidende Frage der arianischen Auseinandersetzungen lautete, ob das Göttliche, das auf Erden erschienen ist und die Menschen mit Gott vereinigt hat, der Gottheit Gottes wesentlich zugehört oder ob mit einer Unterordnung und subordinierten „Halbgöttlichkeit“ zu rechnen ist. Ersteres behaupteten mit Nachdruck die Gegner des Arius, unter denen die Alexandriner Alexander und Athanasius hervorragen. Beide lehrten übereinstimmend die ewige Koexistenz von Vater und Sohn, derzufolge der Sohn ebenso konstitutiv zur Gottheit des Vaters gehört wie der Vater zur Gottheit des Sohnes. „Eben der Vatername besagt, daß in der Gottheit ein Zweites vorhanden ist. Gott ist immer Vater gewesen: wer ihn so nennt, nennt den Sohn mit; denn der Vater ist der Vater des Sohnes, nur uneigentlich der Vater der Welt, denn diese ist geschaffen, ungeschaffen aber ist die in der Einheit ruhende göttliche Trias.“ (Harnack, 217) Gegen die arianische Bestreitung der irreduziblen Gleichewigkeit und Wesensgleichheit von Vater und Sohn sowie gegen die Annahme, der Sohn habe seine Göttlichkeit als höchstes – seiner Kreatürlichkeit wegen Gottes Gottheit gleichwohl prinzipiell subordiniertes – Geschöpf erworben, wird geltend gemacht, dass der Sohn aus dem einen Wesen des Vaters und diesem in allem gleichwesentlich sei, ohne deshalb aufzuhören, von ihm als der Sohn des Vaters unterschieden zu sein. Gleichwohl sind Vater und Sohn nicht als Wesen für sich gleichwesentlich. Ihre Differenz ist vielmehr der Einheit des göttlichen Wesens inbegriffen, welches hinwiederum ohne den Unterschied von Vater und Sohn nicht zu begreifen ist. Auf dem Konzil von Nizäa 325 hat sich die Doktrin von Alexander und Athanasios, der jenem 328 auf dem alexandrinischen Bischofsstuhl folgte, einstweilen gegen den Arianismus durchgesetzt. Das

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Symbolum Nizänum bezeugt dies und gibt zugleich Anlass, kurz auf den Prozess altkirchlicher Symbolbildung insgesamt einzugehen. Das Symbolum Apostolicum ist ein an Pfingsten von den Aposteln höchstpersönlich verfasstes Altkirchliche Symbolbildung Glaubensbekenntnis. Ihrer Zahl entsprechend ist das Ganze aus zwölf Teilen gefügt. Von Petrus, der den ersten Artikel formuliert hat, bis hin zu Matthias, von dem das Bekenntnis der eschatologischen Zukunft des ewigen Lebens stammt, trug jeder der zwölf Apostel je eine spezifische Wendung bei. So besagt es die Entstehungslegende des Apostolikums am Anfang einer Predigtreihe „De symbolo“ (vgl. MPL 39, 2189), die von der Tradition fälschlich Augustin zugeschrieben wurde. Die historisch-kritische Forschung hat längst gezeigt, dass sich der Prozess altkirchlicher Bekenntnisbildung nicht nur im Falle des sog. apostolischen Glaubensbekenntnisses anders darstellt, als die fromme Legende es will. Der Text des Apostolikums, der im westlichen Mittelalter normative Geltung erlangte und von den Reformatoren als bindend rezipiert wurde, ist eine „fortgebildete Variante“ (Kelly, 363) des altrömischen Taufbekenntnisses, das in seinem Kernbestand bereits frühzeitig auch in anderen Gegenden der westlichen Christenheit für die Katechumenenunterweisung Verwendung fand, etwa in Norditalien, Spanien und Gallien sowie in Nordafrika und auf dem Balkan. Ein Vergleich der Text- und Bedeutungsgeschichte des Romanums und seiner Tochtersymbole (vgl. Kelly, 103ff.) mit Bekenntnissen der östlichen Christenheit ergibt typische Unterschiede formaler Art, die genetische Abhängigkeits- bzw. unmittelbare Verwandtschaftsverhältnisse als eher unwahrscheinlich erscheinen lassen (vgl. Kelly, 180ff.). Generell ist für die christliche Frühzeit mit einer Mehrzahl von örtlichen Taufbekenntnissen und katechetischen Glaubensregeln zu rechnen, die sich nicht auf eine Wurzel zurückführen lassen, ohne deshalb in einem inhaltlichen Widerspruch zu stehen. Im textus receptus des Apostolikums ist der inhaltliche Kernbestand des Romanums von insgesamt elf Abweichungen abgesehen (vgl. Kelly, 364) wesentlich unverändert erhalten geblieben. Die gewichtigste Veränderung betrifft das Bekenntnis zum descensus ad inferna im zweiten Artikel und die ekklesiologische Zusatzklausel von der „sanctorum communio“, die auf östliche Einflüsse zurückzuführen ist und jedenfalls teilweise im Sinne gläubiger Teilhabe an den sancta verstanden wurde, auch wenn dieses Verständnis nicht durchweg führend war. Ob die Endredaktion des Apostolikums in Rom selbst durchgeführt wurde oder sich in nördlicheren Gefilden vollzog, etwa im Südwesten Frankreichs (vgl. Kelly, 403ff.), kann unentschieden bleiben. Faktum ist, dass für den Prozess der Kanonisierung des Apostolikums als des einzigen Taufbekenntnisses der abendländischen Kirche die Umstände im fränkischen Reich des ausgehenden 8. und beginnenden 9. Jahrhunderts von entscheidender Wichtigkeit waren. Bekenntnishafte Elemente gibt es schon im Neuen Testament in reichem Maße. Den ererbten Stoff der Überlieferung authentisch weiterzugeben war ein Anliegen bereits der ersten und zweiten Generation von Christen. Zeitig bildete sich ein

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fester Bestand an Lehrgütern heraus, die in formelhaften Aussagen fixiert wurden. Der weitere Prozess christlicher Bekenntnisentwicklung steht in engster Beziehung zur Taufe. Zwar sind es nicht eigentlich die Taufe selbst und ihr Ritual, die zur Ausbildung umfänglicher Bekenntnisformulierung geführt haben. Aber im Kontext des katechetischen Taufunterrichts und im Zusammenhang der Befragung der Katechumenen gestalteten sich feste Strukturen von deklaratorischen Glaubensbekenntnissen aus. Von den Apostolischen Vätern über Justin, Irenäus und Tertullian etc. lässt sich ein stetes Wachstum fixer Formen beobachten. Dennoch ist mit Stereotypen und durch kirchliche Autorität förmlich sanktionierten Bekenntnistexten im 2. und 3. Jahrhundert noch nicht zu rechnen. Auch hatten die einzelnen Ortskirchen lange ihr je eigenes Bekenntnis, das sich von anderen ortskirchlichen Bekenntnissen zum Teil nicht unerheblich unterschied. Erst seit Nizäa 325 machen sich Tendenzen zu Bekenntnisformen von gesamtkirchlicher Reichweite geltend, ohne dass dadurch die Pluralität unterschiedlicher Konfessionsgestalten gänzlich beseitigt worden wäre. Vor Beginn des 4. Jahrhunderts haben die Glaubensbekenntnisse sowohl des christlichen Ostens als auch des christlichen Westens lokalen Charakter. Dies gilt selbst für ein in Gehalt und Gestalt wirkungsgeschichtlich so bedeutsames Symbol wie das erwähnte altrömische Taufbekenntnis, das sog. Romanum (vgl. Kelly, 103ff.). Ein allmählicher Wandel setzte mit der Einführung von synodalen bzw. konziliaren Bekenntnissen ein. „Beginnend mit dem Konzil von Nizäa wird es gebräuchlich, daß Kirchenführer sich in feierlichem Konklave versammeln, um Formen festzulegen, die ihre Übereinstimmung in Glaubensdingen verkünden sollen. Diese neuen Bekenntnisse sollten natürlich viel mehr als eine bloß örtliche Autorität haben. Gelegentlich mit Anathematismen ausgestattet, wurden sie auch nicht nur als kurze Leitfäden des Glaubens ihrer Verkündiger veröffentlicht, sondern zugleich auch als Prüfsteine für die Rechtgläubigkeit von Christen überhaupt.“ (Kelly, 205) Obwohl ein Ersatz der vorhandenen örtlichen Taufbekenntnisse durch synodale bzw. konziliare Symbole anfangs nicht intendiert war; bedeutete die durch Nizäa begonnene Entwicklung mittelfristig dennoch eine Zäsur und das umso mehr, als das sog. Nizänum, besser: Konstantinopolitanum bzw. Nizänokonstantinopolitanum aus ihr hervorging. Während das sog. Apostolikum in der östlichen Christenheit niemals theologisch normativen Charakter erhalten und anders als im Westen keinen Platz in der gottesdienstlichen Liturgie gefunden hat, stellt das konstantinopolitanische bzw. nizänokonstantinopolitanische Symbol die wichtigste Bekenntnisformel der Gesamtchristenheit dar. Es steht in der Ost- und in der Westkirche gleichermaßen in Ansehen, auch wenn mit ihm der notorische Streit um das sog. filioque-Problem verbunden ist. Das gesamtökumenische Bekenntnis von Nizäa-Konstantinopel hat eine nicht unkomplizierte Entstehungs- und Wirkungsgeschichte. Als eine offizielle Formel wird es beim Konzil von Chalcedon geltend gemacht, auf dessen fünfter und sechster Sitzung am 22. und 25. Oktober 451 es als das Glaubensbekenntnis der Väter des Konzils von Konstantinopel 381 neben dem nizänischen Bekenntnis

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von 325 in die Konzilsdefinition aufgenommen wurde. Diese wurde im Beisein des byzantinischen Kaisers von allen anwesenden Bischöfen und dem päpstlichen Legaten unterzeichnet. Weil man seit Mitte des 5. Jahrhunderts in der Regel davon ausging, dass das vom Chalcedonense durch normative Definition rezipierte Bekenntnis lediglich eine durch das Konstantinopolitaner Konzil von 381 vorgenommene Ergänzung der Bekenntnisformel von Nizäa 325 darstellte, ist die Rede vom sog. Nizänokonstantinopolitanum üblich geworden. Das in Chalcedon als verbindliche Glaubensnorm rezipierte Symbol hat nach Maßgabe der Nizänokonstantinopolitanum Konzilsprotokolle folgenden Wortlaut: „Wir glauben an den einen Gott, den Vater, den Allmächtigen, Schöpfer des Himmels und der Erde, alles dessen, was sichtbar und unsichtbar ist. Und an den einen Herrn Jesus Christus, den eingeborenen Sohn Gottes, gezeugt vom Vater vor aller Zeit, Licht von Licht, wahrer Gott von wahrem Gott, gezeugt nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater, durch den alle Dinge wurden, der um uns Menschen und um unserer Erlösung willen von den Himmeln herabkam und Fleisch annahm vom Heiligen Geist und der Jungfrau Maria und Mensch wurde und der für uns unter Pontius Pilatus gekreuzigt wurde und litt und begraben wurde und auferstand am dritten Tage nach den Schriften und gen Himmel fuhr und zur rechten Hand des Vaters sitzt und wiederkommen wird in Herrlichkeit, zu richten Lebendige und Tote, dessen Reich kein Ende haben wird. Und an den Heiligen Geist, den Herrn und Lebensspender, der vom Vater ausgeht, der mit dem Vater und dem Sohn zusammen verehrt und zusammen verherrlicht wird, der durch die Propheten geredet hat; an eine heilige katholische und apostolische Kirche. Wir bekennen eine Taufe zur Vergebung der Sünden; wir warten auf die Auferstehung der Toten und das Leben der zukünftigen Welt. Amen.“ (Vgl. DH 150) Der zitierte, in der zweiten Sitzung des Chalcedonense verlesene und später vom Konzil offiziell ratifizierte Text stellt die authentische und normative Gestalt des Bekenntnisses dar. Dies gilt unabhängig von der Frage, ob besagtes Bekenntnis tatsächlich auf dem Konzil von Konstantinopel von 381 festgelegt wurde, wie die Väter von Chalcedon dies voraussetzten. Sie gingen von der Annahme aus, das von ihnen für das Symbol des Konzils von Konstantinopel gehaltene Bekenntnis sei nichts anderes als ein durch Interpolation von Klauseln ausgestaltetes Nizänum, also eine Fortschreibung desjenigen Bekenntnisses, das auf dem Konzil von Nizäa 325 versehen mit Anathemata in folgendem Wortlaut verabschiedet wurde: „Wir glauben an einen einigen Gott, den Vater, den Allmächtigen, Schöpfer all dessen, das sichtbar und unsichtbar ist. – Und an einen einigen Herrn Jesus Christus, den Sohn Gottes, der vom Vater geboren ist, eingeboren, d.h.vom Wesen das Vaters, Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrhaftiger Gott vom wahrhaftigen Gott, geboren, nicht geschaffen, von einerlei Wesen mit dem Vater, durch welchen alles ins Sein kam, was im Himmel und auf Erden ist, welcher um uns Menschen und um unserer Seligkeit willen vom Himmel herabgekommen ist und Fleisch annahm, Mensch wurde, litt und am dritten Tage auferstand, aufgefahren ist gen Himmel,

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kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten. – Und an den Heiligen Geist. – Was aber die angeht, die sagen, es gäbe eine Zeit, da er nicht war, und, ehe er geboren wurde, sei er nicht gewesen, und dass er ins Dasein kam aus nichts, oder die behaupten, dass der Sohn Gottes von einer anderen Hypostase oder Substanz sei oder der Änderung und dem Wechsel unterworfen – diese verflucht die katholische und apostolische Kirche.“ (Vgl. DH 125f.) Das literarische Problem des nizänischen Bekenntnisses hat in der Forschung heftige Kontroversen hervorgerufen. Seine inhaltliche Hauptabsicht war zweifellos die Abwehr der arianischen Häresie. Arius und seine Anhänger hatten aus ihrem Begriff der absoluten Transzendenz des einen Gottes die Konsequenz der Subordination des Logossohnes gezogen, der als göttliches Geschöpf im Unterschied zum göttlichen Vater einen Anfang in der Zeit gehabt haben muss. Die wesenseinige Zugehörigkeit des Sohnes zum Vater wurde infolgedessen in Abrede gestellt und seine Unwandelbarkeit und Sündlosigkeit nicht durch sein göttliches Wesen, sondern durch einen entschlossenen Akt seines menschlichen Willens begründet. Dem hielt das Nizänum entgegen, dass der Sohn aus dem ureigensten Wesen des Vaters gezeugt sei und an der göttlichen Wesenheit vollen Anteil habe. Die antiarianische Klausel „wahrhaftiger Gott von wahrhaftigem Gott“ unterstreicht dies ebenso wie der Satz, dass der Sohn zwar gezeugt bzw. geboren, nicht aber geschaffen sei. Die dem Bekenntnis angefügten Anathematismen schließen fernerhin aus, dass es eine Zeit gegeben habe, in welcher der Logos nicht war, bzw. dass er nicht war, ehe er gezeugt wurde oder dass er aus nichts ins Dasein kam. Verworfen wird ferner, dass der Sohn der Änderung und dem Wechsel unterworfen und von einer anderen Hypostase oder Substanz sei als der Vater. Aus letzterem Anathem geht hervor, dass die Begriffe hypostasis und ousia 325 noch gleichbedeutend verwendet wurden. Erst später wurde zwischen beiden sachlich differenziert. Ousia bezeichnet dann die göttliche Substanz bzw. Essenz selbst, wohingegen mit dem Begriff hypostasis der Gedanke der trinitarischen Personen assoziiert wird. Vor Probleme der besonderen Art stellt der nizänische homoousios-Begriff, der im Lateinischen Wesen und Hypostase mit consubstantialis oder consubstantivus übersetzt zu werden pflegt. Er wurde selbst von Befürwortern des Nizänums gelegentlich als störend und dem biblischen Sprachgebrauch fremd empfunden. Auch im philologisch-philosophischer Hinsicht ist der Begriff nicht unproblematisch, da der Sinn von ousia nicht ein-, sondern vieldeutig ist. Das Wort kann zum einen das Wesen der Gattung und dasjenige bedeuten, was Aristoteles sekundäre Substanz genannt hat. Als Primärsubstanz meint ousia im aristotelischen Sinn hingegen eine besondere Entität als Trägergröße von Qualitäten. Daneben kann das Wort auch Materie, Stoff oder Ähnliches bedeuten wie im stoischen Sprachgebrauch. Die Interpretationsmöglichkeiten der Wendung homoousios sind entsprechend vielfältig. Es ist nicht auszuschließen, dass man in Nizäa diese mögliche Bedeutungsvielfalt nicht nur billigend in Kauf genommen, sondern in der Absicht umfänglicher Integration als Vorteil erachtet hat. Die homoousianische Formel war in gewissem

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Rahmen deutungsoffen und nicht auf eine exklusive Verwendungsweise fixiert. Dies belegen die Debatten im Anschluss an Nizäa, in der alte Konflikte durchaus im Rahmen der Bekenntnisformel ausgetragen werden konnten. Selbst ein Mann wie Athanasios hat von der homoousios-Formel – wenn er sie denn überhaupt verwendete – einen keineswegs spannungsfreien Gebrauch gemacht. Im Zeitalter der sog. Synodalbekenntnisse (vgl. Kelly, 260ff.) wird das Nizänum dann ohnehin noch einmal insgesamt auf den Prüfstand gestellt, bis sich nach einem kurzfristigen Triumph wenn nicht der radikalarianischen Anhomöer, so doch der Homöer, die den Sohn dem Vater nur ähnlich sein ließen, die Homoousianer in Form des neunizänischen Homöousianismus durchsetzten, der die Konzilsentscheidung von Konstantinopel bestimmen sollte. Vergleicht man das in Chalcedon 451 als das Symbol von Konstantinopel 381 normativ rezipierte Bekenntnis mit dem Nizänum, dann ergeben sich Zweifel, ob es lediglich als dessen Ergänzung angesehen werden kann. Zwar hat sich diese Sicht kirchengeschichtlich allgemein durchgesetzt und zwar teilweise bis dahin, dass man die ursprüngliche Unterschiedenheit beider Texte vergaß und sie unmittelbar in eins setzte. Dieser wirkungsgeschichtliche Sachverhalt ändert indes nichts an der Differenziertheit und Komplexität ihres historischen Verhältnisses. Historisch nicht unproblematisch ist bereits die von den chalcedonischen Konzilsvätern als selbstverständlich in Anschlag gebrachte Annahme, das von ihnen unterschriebene Bekenntnis sei das Symbol, welches von den Vätern des von Mai bis Juni 381 in Konstantinopel tagenden Konzils ratifiziert wurde. In Teilen der Forschung wurde nachdrücklich bestritten, dass das Konstantinopolitanum des Chalcedonense die autoritative Bekenntnisformel der Konstantinopolitaner Konzilsväter gewesen sei. Man sah in ihm vielmehr ein christliches Taufbekenntnis, das auf wie auch immer geartete Weise sekundär mit dem Konzil in Verbindung geriet. Faktum ist, dass der Text des sog. Konstantinopolitanums bereits vor 381 existierte. Im Übrigen ist in den erhaltenen Quellen nirgendwo erwähnt, dass sich das damalige Konzil ein eigenes Bekenntnis gegeben habe. Wird dadurch die traditionelle Annahme eines förmlichen, das Nizänum normativ fortschreibenden konstantinopolitanischen Symbols problematisiert, so ist doch andererseits nicht mit einer lediglich zufälligen und marginalen Verbindung von Konstantinopolitaner Konzil und Konstantinopolitanum zu rechnen. Wahrscheinlich hat das Konzil auf ein in Grundbeständen bereits vorhandenes örtliches Taufbekenntnis zurückgegriffen, um auf seiner Basis das Nizänum zu bekräftigen, wobei Modifikationen des Wortlauts oder Textergänzungen des vorliegenden Formulars durchaus denkbar sind. Dies betrifft insbesondere den dritten Artikel, dessen Ausarbeitung das charakteristischste Merkmal des sog. Konstantinopolitanums im Vergleich mit dem Nizänum darstellt. Ohne die Homoousie des Hl. Geistes und seine Gottheit förmlich zu benennen, wird sie gegen die auch als Makedonianer bekannten Pneumatomachen faktisch gelehrt. Trotz des vergleichsweise milden Tons des pneumatologischen Artikels vertrat das Konzil eindeutig die völlige Wesenseinheit bzw. -gleichheit des Hl. Geistes mit der Gottheit Gottes.

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Das vom Konzil von Konstantinopel 381 auf die eine oder andere Weise kanonisch rezipierte, in der Definition von Chalcedon förmlich bestätigte Konstantinopolitanum ging, weil es traditionell als Fortschreibung des Nizänum verstanden wurde, als Nizänokonstantinopolitanum in die Geschichte der Kirche ein, um in ihr eine Wirkung wie kein anderes Bekenntnis zu entfalten. Es wurde zum grundlegenden Taufbekenntnis der östlichen Christenheit und fand in dieser Funktion teilweise auch im Westen Verwendung, wo es wie zuvor schon im Osten allmählich in den Zusammenhang der Abendmahlsliturgie übernommen wurde. Erheblich belastet worden ist die ökumenische Wirkungsgeschichte des Nizänokonstantinopolitanums durch das sog. filioque-Problem, nämlich durch die im Westen in den ursprünglichen Text des Konzilsbekenntnisses eingefügte Klausel, derzufolge der Geist vom Vater und vom Sohn ausgeht. Der Osten hat diese Einfügung aus formalen und zumeist auch aus sachlichen Gründen heftig bekämpft. Die westliche Lehre vom doppelten Ausgang des Heiligen Geistes ist entscheidend von Augustin geprägt worden, der zwar zugab, „daß dem Ursprunge nach (principialiter) der Geist vom Vater ausging, weil es der Vater war, der den Sohn mit der Fähigkeit ausstattete, den Heiligen Geist zu erzeugen. Aber es war eine Hauptprämisse seiner Theologie, daß alles, was von einer der Personen ausgesagt werden könne, auch von den anderen Personen ausgesagt werden könne. So war es unvermeidbar, daß er die Leugnung des doppelten Ausgangs als eine Verletzung der Einheit und Unteilbarkeit der Gottheit betrachtete.“ (Kelly, 353) Liturgisch ist die filioque-Formel erstmals in Spanien wirksam geworden, von wo aus sie in den gallischen Messritus und schließlich ins Bekenntnis selbst gelangte. Karl der Große beförderte diese Entwicklung, wohingegen die Päpste sich eher zurückhaltend und zögerlich verhielten. „Obwohl ... zu Beginn des 9. Jahrhunderts die Lehre vom doppelten Ausgang überall in der westlichen Kirche gelehrt wurde und das filioque in Spanien, Frankreich, Deutschland und sogar Norditalien einen festen Platz im Bekenntnis gefunden hatte, lehnte Rom es ab, mit dem autorisierten Text zu experimentieren.“ (Kelly, 360) Sieht man vom filioque-Problem ab, dann hat die Reichssynode von Konstantinopel 381 einem langen Streit ein Ende gesetzt, der durch die nizänische homoousios-Formel allein noch nicht entschieden war. „Während der Westen von der durch Tertullian und Novatian ausgebildeten Form der Logos-Chr(istologie) her – substantia und persona unterscheidend – keinen Anlaß hatte, sich der Formel von Nicäa zu widersetzen, musste das homoousios für die durch Eusebius von Nicomedien zusammengeschlossene Mehrzahl der östlichen Theologen zunächst einen monarchianischen Geruch behalten.“ (Pannenberg, 1767) Den Verteidigern der nizänischen Homoousie von Vater und Sohn, die in Athanasius ihren unbeugsamen Vorkämpfer fanden, traten Bewegungen entgegen, die zum Teil im Zuge einer radikal arianischen Renaissance jede Ähnlichkeit des Sohnes mit dem Vater bestritten (Anhomöer), zum anderen Teil zwar eine gegebenenfalls bis zur Vollständigkeit reichende Ähnlichkeit zugestanden, ohne diese freilich als Ähnlichkeit auch dem Filioque

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Wesen nach anzuerkennen (Homöer). Letzteres war erst bei den sog. Homöousianern und der aus ihnen hervorgehenden Partei der sog. Jungnizäer der Fall, zu denen u.a. die drei großen Kappadozier Gregor von Nyssa, Gregor von Nazianz und Basilius von Caesarea zu rechnen sind. Ihr Zusammenschluss mit den Homoousianern sollte die endgültige Durchsetzung der nizänischen Tradition erbringen. Voraussetzung dafür war die bei Athanasius trotz seiner Betonung unaufhebbarer Unterschiedenheit von Vater und Sohn so noch nicht gegebene Differenzierung von ousia und hypostasis. Homoousios musste nun nicht länger als Wesenseinheit im Sinne einer Hypostase gedeutet werden. Vielmehr galt es, den Gedanken des einen Wesens der Gottheit mit demjenigen der Dreiheit göttlicher Hypostasen im Sinne von Wesensgleichheit auf differenzierte Weise zu vereinen. Auf der Reichssynode von Konstantinopel 381 hat die jungnizänische Orthodoxie unter Bestätigung des Glaubens der Väter von Nizäa und unter Bekräftigung der antiarianischen und sonstiger antihäretischer Anathematismen ihren definitiven Ausdruck gefunden. Die Lehrentscheidungen von Nizäa und Konstantinopel haben klargestellt, dass der christliche Trinitarischer Monotheismus Monotheismus, der an den jüdischen anschließt und dabei das Erbe griechischer Ontotheologie integriert, seine Wahrheit nur erschließt, wenn er nicht abstrakt, sondern konkret erfasst wird. Christlicher Monotheismus ist trinitarischer Monotheismus. Der trinitarische Gott entzieht sich der binären Logik von Identität und Alterität. Denn Identität und Differenz haben nach Maßgabe des trinitarischen Gottesgedankens als gleichursprünglich zu gelten. Zwar lässt sich für diesen Gedanken nach christlichem Urteil nicht ohne weiteres philosophische Allgemeinheit beanspruchen, weil er sich nicht unmittelbarer Vernunfterkenntnis, sondern einer religiösen Vermittlung verdankt, die im Geistmittler Jesus Christus ihren Ursprung und dauerhaften Grund hat. Dies muss indes nicht gegen die Vernünftigkeit dieses Gedankens und seine rationalitätsförderlichen Folgen sprechen. Das formale Strukturproblem trinitarischer Theologie, eine Einheit von Identität und Differenz zu denken, war auch der Philosophie gewissermaßen von ihrem Beginn an aufgegeben. Ansätze, sich ihm zu stellen, lassen sich bereits in der Vorsokratik entdecken. Nachdem die ionischen Naturphilosophen Thales, Anaximander und Anaximenes den Urgrund der Dinge auf einen Urstoff des Wassers, auf das apeiron bzw. auf das Substrat der Luft zurückgeführt hatten, suchten die Phythagoreer eine arithmetische Letztbegründung durch Rückführung aller Entitäten auf Zahlen zu erreichen, bis schließlich die Eleaten um Parmenides und Zeno den Scheincharakter von Vielheit und Veränderung behaupteten und alles Seiende in jenem Einen gründen ließen, das sie das Sein selbst und als solches nannten. Alles, was außer dem einen Sein zu sein scheint, ist in Wahrheit nichts. Der eleatischen Neigung, Differenz auf einen defizitären Modus von Identität herabzusetzen, begegnete Heraklik mit der These, dass das einzig Beständige die laufende Veränderung sei. Alles befindet sich in unaufhörlichem Fluss, und das Fließen al-

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lein ist es, was immer währt. Das Urfeuer, das als kosmisches Prinzip waltet, bewirkt nach Heraklit eine unablässige Transformation, die nichts sich selbst gleich sein lässt, sondern alles permanent verändert. Differenz ist irreduzibel und gerade in seiner Irreduzibilität Prinzip aller Dinge. Die Antithetik von eleatisch-parmenideischem und heraklitischem Denken drängte darauf, behoben zu werden. Erste Ansätze hierzu finden sich bei Empedokles, der die differenzierte Einheit von unveränderlichem Sein und ewigem Werden durch einen Prozess der Mischung und Entmischung der Grundelemente von Feuer und Luft, Wasser und Erde zu erklären suchte. Daran schlossen die Atomisten Leukipp und Demokrit an, indem sie die Binnenverfassung kosmischer Entitäten und ihr Verhältnis zueinander durch den Zusammenhang konstituiert sein ließen, der zwischen den Atomen und der sie umgebenden und sie von einander scheidenden Leere besteht. So wie Seiendes von Andersseiendem durch das Nichts unterschieden ist, welches zwischen ihnen liegt, so enthält auch jede Einzelentität leere Zwischenräume, was ihre Veränderung plausibel machen soll. Man kann in der naturphilosophischen Theorie der Atomisten die Erkenntnis vorbereitet finden, dass alles, was ist, durch die Negation dessen bestimmt ist, was es nicht unmittelbar selbst ist. Positivität und Negativität lassen sich kosmologisch offenbar ebenso wenig trennen wie Identität und Differenz. Der Grund aller Dinge kann entsprechend weder nur als Identität noch als bloße Differenz gedacht werden, wenn er sowohl Einheit als auch Unterschiedenheit fundieren soll. Begrifflich entwickelt ist diese Einsicht allerdings noch nicht bei den Atomisten, sondern erst in der nachsokratischen Philosophie, in der das antike Denken zu einem entwickelten Bewusstsein seiner selbst gelangte, um schließlich in Gestalt vor allem des Mittel- und Neuplatonismus zu einem entscheidenden Bezugspunkt altkirchlicher Theologie zu werden. Dies gilt in besonderem Maße für die Trinitätslehre, auf deren pneumatologische Implikationen noch eigens hinzuweisen ist. Die Lehre vom Hl. Geist gehört grundlegend zur christlichen Trinitätslehre (vgl. im Einzelnen Hilberath). Sie ist mehr und anderes als ein bloßer Anhang zur Lehre von Gottes Sohn und vom göttlichen Vater. Zwar hat die Pneumatologie die Theologie als Lehre von der ersten göttlichen Person und die christologische Lehre vom menschgewordenen Logos zur Voraussetzung, auf der sie basiert. Aber die Lehre von Gottvater und seinem Sohn Jesus Christus lassen sich ihrerseits ohne pneumatologische Prämissen nicht angemessen begreifen. Die Lehre vom Hl. Geist steht sonach in keinem äußerlichen Folgeverhältnis zu Theologie und Christologie, weil sie für beide gleichermaßen konstitutiv ist. Der christliche Gottesbegriff bedarf nicht lediglich einer binitarischen, sondern einer trinitarischen Fassung, die im Verein mit den immanenten Beziehungen der Gottheit der Ökonomie göttlicher Externbeziehung dergestalt Rechnung trägt, dass Innen- und Außenverhältnisse als ein differenzierter Zusammenhang zur Geltung kommen. Theologie, Christologie und Pneumatologie haben sich wechselseitig zur jeweils impliziten Voraussetzung, ohne dass dadurch die Sukzessivität ihrer Abfolge einfachhin aufgehoben würde.

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Es dauerte, wie vermerkt, geraume Zeit, bis das Christentum ein klares Bewusstsein entwickelte, dass die Lehre vom Hl. Geist der Lehre vom göttlichen Vater und Sohn nicht bloß anhangsweise zugehört. Noch das Konzil von Nizäa begnügte sich in pneumatologischer Hinsicht mit dem einfachen Zusatz, dass man an den Hl. Geist glaube. „Dieß war überhaupt bis auf jene Zeit der Stand dieses Dogma.“ (Baur, 491) In eine Form, die dem Begriff eines Dogmas entspricht, wurde die Lehre vom Hl. Geist recht eigentlich erst auf dem Ökumenischen Konzil von Konstantinopel im Jahre 381 gebracht. Vorangegangen waren heftige Streitigkeiten, in denen sich in modifizierter Weise die Auseinandersetzungen um das Verhältnis Gottes zu seinem Logos fortsetzten. Nachdem von der nizänischen Synode die Homoousie des Sohnes mit dem Vater, aus dessen Wesen er von Ewigkeit gezeugt ist, bestimmt ausgesprochen war, erklärten sich die gemäßigten Vertreter der abgewiesenen Lehrmeinung zwar bereit, dem Logos eine Wesensähnlichkeit mit Gottvater zu attestieren, die beider Verhältnis vom Verhältnis von Schöpfer und Geschöpf entschieden abhob. Entsprechendes auch für den Hl. Geist in Anschlag zu bringen, sahen sich die Postarianer indes nicht in der Lage. Sie erkannten im Geist im Wesentlichen eine kreatürliche Größe, welcher in der Gottheit – wenn überhaupt – nur eine eindeutig subordinierte Stellung zukommt. Der mögliche und von der Reichspolitik unter mancherlei Repressionen angestrebte Kompromiss stieß daher unter pneumatologischen Gesichtspunkten bald an eine Grenze, die umso deutlicher gesehen wurde, je klarer die Hüter der Orthodoxie von Nizäa die Äußerlichkeit des durch den Begriff der Homöousie, um nur diese Kompromissformel zu nennen, nahe gelegten Ausgleichs erkannten. Die Repräsentanten der nizänischen Partei bestanden auch in Bezug auf den Hl. Geist immer Die Gottheit des Geistes konsequenter auf der definierten Homoousielehre. Zwar gestand man zu, dass das göttliche Wesen des Geistes von der Hl. Schrift nicht ebenso eindeutig ausgesprochen sei wie die wesentliche Zugehörigkeit des Sohnes zur Gottheit. Gleichwohl hielt man es aus Gründen gedanklicher Folgerichtigkeit nicht nur für berechtigt, sondern für notwendigerweise geboten, dem Geist, dessen Wirksamkeit dem Glauben lebendigen Anteil gibt am Vater-SohnVerhältnis der Gottheit, eine göttliche und nicht lediglich eine kreatürliche Stellung beizumessen. Die Wirkung des Geistes hat ihren Grund in der Wirklichkeit seines göttlichen Wesens; um das Vater-Sohn-Verhältnis als ein für uns erschlossenes behaupten zu können, muss der Lehre von der Homoousie des Vaters und des Sohnes diejenige von der Homoousie des Geistes zur Seite gestellt werden. Der Hl. Geist ist Gott von Gott wie der Sohn. Als Dritter im göttlichen Bunde steht er dafür ein, dass das Vater-Sohn-Verhältnis nicht verschlossen ist in sich selbst, sondern offen für gläubige Wahrnehmung, wie dies dem Wesen Gottes und seiner Offenbarung in Jesus Christus gemäß ist. Würde der Hl. Geist aus dem absoluten Verhältnis, in dem der im Sohn als Vater offenbare Gott zu sich selbst steht, ausgeschlossen oder herausgenommen, wäre dieses Verhältnis nicht, was es ist, nämlich ein aus sich selbst heraus erschlossenes. Der Hl. Geist gehört daher der Gottheit

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Gottes unveräußerlich und wesenseinig zu. Eben dies bekennt die Lehre von der Homoousie des Hl. Geistes: Der Geist ist seinem Wesen nach Gott wie Vater und Sohn und insofern mit beiden identisch. Im konstantinopolitanischen Bekenntnis zum Herrsein des Geistes ist dessen Identität mit Vater und Sohn klar ausgesprochen, wenngleich der Homoousiebegriff im pneumatologischen Artikel nicht explizite Verwendung findet. Klar angezeigt ist fernerhin, dass die Wesensidentität von Vater, Sohn und Geist nicht mit Indifferenz gleichgesetzt werden darf. Gleichewig mit beiden ist der Hl. Geist doch eine von Vater und Sohn unterschiedene göttliche Größe. Ist der Sohn vom ungezeugten Vater durch sein ewiges Gezeugtsein unterschieden, so liegt die für den Hl. Geist kennzeichnende Unterschiedenheit innerhalb der göttlichen Trinität in seinem ewigen Hervorgang begründet. Dabei darf offen bleiben, ob der Ausgang des Geistes als aus dem Vater oder aus dem Vater und dem Sohne geschehend zu denken ist. Diese Frage dürfte sich im 4. Jahrhundert jedenfalls in ihrer alternativen Form nicht gestellt haben. Man konnte es und kann es daher bei der Feststellung belassen, dass Gott als der Vater durch den Logos im Hl. Geist seine wirksame Wirklichkeit hat. Durch den Sohn erweist sich Gott in seiner Gottheit erschlossen für Anderes, welches er nicht unmittelbar, aber auf vermittelte Weise selbst ist: als der ungezeugte Zeuger des ewig Gezeugten, als der göttliche Vater des göttlichen Sohns, der als der Andere des Vaters mit ihm eins ist. Im Geist aber ist die Differenzeinheit von Vater und Sohn als eine solche Differenzeinheit identifiziert, die aufgeschlossen ist für das von ihr Differente, um es als Differentes eins sein zu lassen mit sich. Der Geist, so könnte man sagen, erschließt Vater und Sohn – als differenziert vereinten Anderen – Anderes als Anderes ihrer selbst, um allem, was von Vater und Sohn in ihrer Differenzeinheit als Differentes unterschieden ist, wesentlichen Anteil zu geben an ihrem Verhältnis, ohne die Differenziertheit des von diesem Verhältnis Differenten einfachhin in die Vater-Sohn-Beziehung aufzulösen. Durch den ewigen Ausgang des Geistes differenziert sich die Differenzeinheit des ungezeugten Vaters und des ewig gezeugten Logos zu demjenigen aus, was die Wirklichkeit des trinitarischen Gottes ausmacht: unter den Bedingungen in sich differenzierter Differenz, will heißen: in Gestalt dreifach unterschiedener Hypostasen wesenseins zu sein mit sich. An seinem durch den Begriff des Aus- bzw. Hervorgangs bezeichneten Verhältnisses zum Vater-Sohn-Verhältnis, das durch die Wendungen des Ungezeugt- bzw. Gezeugt-Seins umschrieben ist, ergibt sich, dass der Geist in sich eins und eine Einheit in sich, also eine göttliche Hypostase von eigener Subsistenz gerade darin ist, dass er Differentes als Differentes vereint. Der Vater erkennt im Geist den gezeugten Sohn unbeschadet seines Gezeugtseins als gleichwesentlich mit sich. Der Sohn aber beansprucht im Geist nichts anderes zu sein als der ewig Gezeugte des ungezeugten Vaters, im dem allein er den Grund und Ursprung seiner selbst hat. Der Geist hinwiederum ist, was er ist, indem er Vater und Sohn als derjenige gegenübersteht, der in ihnen ist und ihr Verhältnis als ein Verhältnis paritätischer Differenzeinheit bestimmt, welcher ökonomisch betrachtet ein eindeutiger und

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unumkehrbarer Richtungssinn innewohnt. Dieser Richtungssinn, den der Hl. Geist gerade dadurch verifiziert, dass er das Vater-Sohn-Verhältnis als Verhältnis der Parität bestimmt, hat darin seinen göttlichen Wesensgrund, dass Gott von innen her darauf aus ist, schöpferisch zu sein und in der Freiheit des Willens, der in seinem Wesen gründet, durch den Logos im Geist eine Welt ins Sein zu rufen, um ihr in der in sich differenzierten Differenziertheit ihrer gottunterschiedenen Realität im Wirken des Geistes durch den menschgewordenen Sohn Anteil zu geben an seiner väterlichen Güte. Ist die göttliche Ökonomie sonach bereits in Die Ökonomie des Gottes trinitarischem Wesen angelegt, worauf dreieinigen Gottes der den hypostatischen Unterschieden der göttlichen Personen innewohnende Richtungssinn hindeutet, wie er durch die Begriffe Zeugung und Ausgang umschrieben ist, so gilt umgekehrt, dass von der immanenten Trinität Gottes unter irdischen Bedingungen nur in Ansehung jenes ökonomischen Prozesses geistvoll die Rede sein kann, der durch Schöpfung, Versöhnung und Vollendung charakterisiert ist. Dabei gilt es einerseits Schöpfung, Versöhnung und Vollendung als ungeteiltes Werk des trinitarischen Gottes in der Einheit seines Wesens zu erfassen, andererseits zu beachten, dass Gottes Schöpferhandeln primär der Person des göttlichen Vaters, Gottes Versöhnungswerk primär dem inkarnierten Logos und das Gotteswerk der Vollendung primär dem Hl. Geist zu assoziieren ist. Im Werk der Schöpfung erschließt sich Gott der Vater durch den Sohn im Hl. Geist in seiner göttlichen Allmacht, im Werk der Versöhnung sind die göttliche Gerechtigkeit und Gnade des Vaters im Sohn durch den Hl. Geist offenbar und im Werk der Vollendung verwirklicht der Hl. Geist unter kreatürlichen Differenzbedingungen jene Liebeseinheit, in der Vater und Sohn in ihm, dem Geist, füreinander und auf anderes Andere hin verbunden sind. Erkennbar inbegriffen hinwiederum sind Ursprung und Ziel des ökonomischen Prozesses göttlicher Trinität in der Person dessen, der Menschheit und Gottheit vereint, um inmitten der Weltgeschichte deren A und O zu markieren: Jesus Christus. Eine trinitarische Pneumatologie, dergemäß der Hl. Geist das in der Sohnesoffenbarung des göttlichen Vaters beschlossene Heil für Menschheit und Welt erschließt, löst die Tatsache nicht auf, sondern bestätigt sie, dass die Einheit Jesu Christi mit Gott und Gottes Einheit mit Jesus Christus nicht nur den Inbegriff neutestamentlicher (vgl. Wilckens II/1, 184), sondern christlicher Theologie überhaupt bilden. Um dies begrifflich angemessen zum Ausdruck zu bringen, bedarf es nicht nur trinitätstheologischer, sondern auch binnenchristologischer Differenzierungen. Wie Gott und Jesus Christus nicht unmittelbar, sondern auf vermittelte Weise eins sind, so ist auch die Identität Jesu Christi keine unmittelbare, sondern eine vermittelte Einheit, die zu Differenzierungen nötigt. Zu unterscheiden ist zum einen zwischen dem vorösterlich-irdischen Jesus und dem österlichen Christus. Beide sind eins, aber auf eine durch Leben, Tod und Auferstehung vermittelte Weise. Der österliche Christus ist kein anderer als der irdische Jesus; beide sind vielmehr unveräußerlich eins und eine Person. Die personale Einheit Jesu

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Christi enthält aber Unterschiede, ja Gegensätze in sich, die jeden vorgefassten Identitätsbegriff sprengen. Als der Gekreuzigte und am Kreuz Gestorbene ist der irdische Jesus der auferstandene und erhöhte Christus, wie umgekehrt der erhöhte und auferstandene Christus als der vom Tode erweckte gekreuzigte Jesus von Nazareth ist, was er ist. Tod und Leben, ja Hölle und Himmel sind in der Identität Jesu Christi inbegriffen: freilich so, dass sein Name für den unvergänglichen Sieg des Lebens über den Tod und des Lichts über die Mächte der Finsternis, des Bösen und der Sünde einsteht. Keines von beiden darf unterschlagen werden, wenn die personale Identität Jesu Christi christologisch angemessen erfasst werden soll. Der erhöhte Christus ist ganz und gar eins und eine Person mit Jesus, dessen Leben in tiefster Niedrigkeit endete. Jesu Leben, Leiden und Sterben sind in der österlichen Erscheinung Christi inbegriffen. Der erstandene Christus und der gekreuzigte Jesus sind eine Person. Ebendies wird an Ostern in der Kraft des göttlichen Pfingstgeistes offenbar. Deshalb kann das österliche Christuszeugnis vom Bekenntnis zu Jesus dem Gekreuzigten nicht abgelöst werden. Dem österlichen Christusgedächtnis ist die Erinnerung an Jesus unveräußerlich eingestiftet. Der österliche Christus weiß sich untrennbar eins mit Jesus, dessen Selbst- und Weltbewusstsein bis hin zur Agonie und zur Höllenpein allem ausgesetzt war, was Menschen schuldhaft und unverschuldet zu erleiden haben. All dies und vieles mehr ist in dem Bekenntnis zu Jesus als dem Christus beschlossen, das in der österlichen Selbsterschließung des auferstandenen Gekreuzigten seinen in der Kraft des göttlichen Geistes offenbaren Grund hat. Um diesem Bekenntnis gedanklich angemessenen Ausdruck zu verschaffen, bedurfte es einer weiteren dogmengeschichtlichen Entwicklung, die mit der trinitätstheologischen untrennbar verbunden ist und wie diese zu mancherlei Auseinandersetzungen in der Alten Kirche geführt hat.

15. Die Wesenseinheit der trinitarischen Hypostasen und die Person des Gottmenschen

Lit.: F.C. Baur, Die christliche Lehre von der Dreieinigkeit und Menschwerdung Gottes in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Erster Theil: Das Dogma der alten Kirche bis zur Synode von Chalcedon, Tübingen 1841. Nachdruck: Hildesheim/Zürich/New York 2005. – J. Baur, Die Trinitätslehre als Summe des Evangeliums, in: ders., Einsicht und Glaube. Aufsätze, Göttingen 1978, 112–121. – A. Bayer, Spaltung der Christenheit. Das sogenannte Morgenländische Schisma von 1054, Köln/Weimar/Wien 2002. – Christologie I und II (Texte zur Theologie. Dogmatik 4.1). Bearbeitet von K.-H. Ohlig, Graz/Wien/Köln 1989. – P. Gray, Art. Neuchalcedonismus, in: TRE 24 (1994), 289–296. – A. Grillmeier, Jesus der Christus im Glauben der Kirche Bd. 2/1 u. 2, Freiburg/Basel/Wien 1986 u. 1989. – A. v. Harnack, Lehrbuch der Dogmengeschichte. 2. Bd.: Die Entwickelung des kirchlichen Dogmas, Tübingen 41909. – F. Loofs, Leitfaden zum Studium der Dogmengeschichte. 1. u. 2. Teil: Alte Kirche, Mittelalter und Katholizismus bis zur Gegenwart, Tübingen 61959. – Chr. Markschies, Alta Trinità Beata. Gesammelte Studien zur altkirchlichen Trinitätstheologie, Tübingen 2000. – G. Ostrogorsky, Geschichte des byzantinischen Staates, München 1965. – C. H. Ratschow, Jesus Christus, Gütersloh 1982. – R. Seeberg, Lehrbuch der Dogmengeschichte. 2. Bd.: Die Dogmenbildung in der Alten Kirche, Leipzig 1910. – M. Strieth (Hg.), Monotheismus Israels und christlicher Trinitätsglaube, Freiburg/Basel/Wien 2004. – J. Werbick, Trinitätslehre, in: Th. Schneider (Hg.), Handbuch der Dogmatik. Bd. 2, Düsseldorf 1992, 481–576. – K. Wessel, Dogma und Lehre in der Orthodoxen Kirche von Byzanz, in: C. Andresen/A. M. Ritter (Hg.), Handbuch der Dogmen- und Theologiegeschichte. Bd. 1: Die Lehrentwicklung im Rahmen der Katholizität, Göttingen 21999, 284–405.

Die altkirchlichen Lehren von der göttlichen Dreieinigkeit und der Menschwerdung Gottes in Das Andere in Gott Jesus Christus (vgl. im Einzelnen Harnack, Loofs, Seeberg, Wessel), dem auferstandenen Gekreuzigten, sind in ihrer geschichtlichen Entwicklung durch mancherlei Umstände historischer Kontingenz bedingt, stellen aber nichtsdestoweniger einen gedanklichen Zusammenhang dar, auf dessen interne Stringenz systematische Theologie sorgsam zu achten hat. Dies gilt vor allem für die Beziehung, in der Trinitätstheologie und Inkarnationslehre zueinander stehen. Zwar sind die Dogmen vom einen Wesen Gottes und den drei göttlichen Hypostasen sowie der personalen Einheit göttlicher und menschlicher Natur in Jesus Christus erst nacheinander zu förmlicher Definition gelangt. Doch bilden die Konzilsentscheide von Nizäa/Konstantinopel einerseits und Chalcedon andererseits Momente eines zusammenhängenden Ganzen, das es zu erfassen gilt,

294 Die Wesenseinheit der trinitarischen Hypostasen und die Person des Gottmenschen wenn der theologische Sinn der altkirchlichen Lehrentwicklung systematisch erschlossen werden soll. Die von der Trinitätslehre erörterten Verhältnisse in Gott und das Verhältnis des dreieinigen Gottes zu Menschheit und Welt, dessen in der Person Jesu Christi inbegriffene Gestalt das Dogma vom Gottmenschen bedenkt, sind untereinander nicht beziehungslos, sondern stehen in einem Zusammenhang, dessen Auflösung zwangsläufig und nach beiden Seiten hin zu unsachgemäßen Abstraktionen führen muss. Diese lassen sich nur vermeiden, wenn die Lehre von der Homoousie des Sohnes (Nizäa) bzw. des Sohnes und des Geistes (Konstantinopel) mit dem Vater und diejenige von der Homoousie des Sohnes mit der Menschheit (Chalcedon) als differenzierte Einheit begriffen werden. Ohne die Homoousie des Sohnes mit der Menschheit bzw. ohne Erscheinung des Gottmenschen, in dessen Person göttliche und menschliche Natur unvermischt und ungetrennt vereint sind, bleibt das trinitarische Wesen Gottes unerschlossen; ohne einen Begriff vom unbegreiflichen Geheimnis des dreieinigen Gottes kann die göttliche Offenbarung in Jesus Christus in ihrem Ursprung und Ziel nicht recht verstanden werden. Die christliche Lehre von der Dreieinigkeit Gottes setzt, wie mehrfach erwähnt, den jüdischen Monotheismus implizit voraus (vgl. Werbick, 484ff.). Diese Voraussetzung ist mit der Botschaft Jesu unverrückbar gegeben, in deren Mittelpunkt nicht seine eigene Person stand, „sondern der Vater und sein ankommendes Reich. Von ihm als dem einen Gott hat er sich als ein bloßer Mensch unterschieden. Seinem Vater hat er sich so untergeordnet, wie es das Erste Gebot verlangt.“ (Strieth [Hg.], 256) Steht dies fest, dann stellt sich die Frage nur umso dringlicher, wie „Diskontinuität und Kontinuität zwischen dem jüdisch-alttestamentlichen und dem christlich-trinitarischen Gottesbild“ (Strieth [Hg.], 93ff.) angemessen zu würdigen sind? Kann die „trinitarische Fortbestimmung des Gottes Israels“, wie sie im Christentum statthat, als „konkreter Monotheismus“ (Strieth [Hg.], 155) aufgefasst werden? Ist die für den jüdischen Toramonotheismus obligate Theologie göttlicher Gerechtigkeit ohne weiteres mit dem Evangelium der bedingungslosen Gnadenliebe Gottes vereinbar, als dessen „Summe“ (vgl. J. Baur; ferner Strieth [Hg.], 86ff.) die Trinitätslehre zu begreifen ist? Während im Kontext heidnischer Naturreligionen und Kosmotheologien Göttliches und Weltliches in einem zu Indifferenz tendierenden Verhältnis stehen, weil sich der unvergleichliche Unterschied zwischen der wesentlichen Transzendenz des einen Gottes und der weltimmanenten Vielheit der Erscheinungen noch nicht hinreichend entwickelt hat, ist der vom Judentum bekannte Gott seinem Wesen nach einer und in seiner Einheit wesentlich verschieden von Menschheit und Welt, die er in Freiheit aus dem Nichts erschaffen hat, um ihnen im Gesetz seinen Willen zu offenbaren. Durch die Tora erschließt der transzendente Gott sein gerechtes Wesen und eröffnet seinem auserwählten Bundesvolk die Möglichkeit, durch Gebotsgehorsam eins zu werden und eins zu sein mit ihm. Der jenseitige Gott ist mithin unbeschadet seiner schlechthinnigen Welttranszendenz durch keinen vermittlungslosen Gegensatz zu allem bestimmt, was er nicht unmittelbar selbst ist. Gott vermittelt sich vielmehr willent-

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lich durch seine Tora, damit sein Bundesvolk ihn erkenne und ihm und seiner Gerechtigkeit die Ehre gebe. Dass diese Vermittlung Gott nicht äußerlich ist, sondern seiner Gottheit unveräußerlich zugehört, ist im Judentum im Verein mit der Erkenntnis der Gottgegebenheit der Tora zu klarem Bewusstsein gekommen. Die Tora ist zwar von Gottes Gottheit verschieden, aber als göttliche Willensbekundung zugleich aufs engste und untrennbar mit ihr verbunden. Im Laufe der Zeit und im Zuge der mannigfachen Verbindungen, welche namentlich das Diasporajudentum mit der Philosophie der griechischen Antike einging, konnte die reflektierte Einsicht in die theologische Mediatisierungsfunktion der Tora dazu führen, ihr eine eigene Stellung in der Gottheit Gottes zuzudenken. Analoge Hypostasierungstendenzen lassen sich in Bezug auf die Weisheit Gottes, auf den göttlichen Geist und auf das göttliche Wort registrieren. Als Instanzen, mittels derer Gott sich in Beziehung setzt zu Menschheit und Welt, gehören sie in elementarer Weise zu Gott hinzu, wobei vielfach noch in der Schwebe bleibt, wie diese Zugehörigkeit genau zu bestimmen ist. Formelhaft lässt sich sagen, dass mit Begriffen wie göttlicher Geist, göttliche Weisheit, göttlicher Wille etc. theologische Größen bezeichnet werden, die einerseits von Gott zumindest terminologisch und momentan unterscheidbar sind, die aber andererseits seiner Gottheit in unveräußerlicher Weise zugehören, so dass sie von ihr nicht abgelöst und getrennt werden können. Gottes Einheit ist in sich differenziert, ohne aufzuhören, unteilbar eins zu sein. Durch den Geist der Weisheit und Gerechtigkeit, wie er sich in Gottes Wort dem göttlichen Willen gemäß zu verstehen gibt, tritt Gott aus sich heraus, ohne sich äußerlich zu werden, da der Geist der Weisheit und der Gerechtigkeit sein Innerstes ausmacht. Gottes Außenverhältnis hat in einem göttlichen Internverhältnis seinen Grund. Die Aufgeschlossenheit für Anderes und Differentes ist in Gott selbst begründet. Seine alle Vielheit transzendierende Einheit ist deshalb nicht als Indifferenz, sondern als in sich differenzierte Identität zu denken. Gottes gerechtes und weises Wort, wie es sich nach jüdischem Urteil in der Tora konzentriert ausspricht, ist kein seiner Gottheit äußerliches Medium, sondern der absolute Reflex seines Wesens. Mit der Logostheologie des alexandrinischen Juden Philo ist ein herausragender Höhepunkt In sich differenzierte Einheit der skizzierten Gedankenentwicklung erreicht und zugleich eine definitive Verbindung hergestellt worden zwischen dem Gottesverständnis der alttestamentlichen Überlieferung und den ontotheologischen Traditionen antiken Denkens. Gott ist nach Philo einerseits absolute Einheit jenseits aller Verschiedenheit; aber Gottes alle Verschiedenheit transzendierende Identität ist nicht einfachhin indifferente Einheit, sondern birgt ein Differenzmoment in sich, mittels dessen Gott sich aus sich selbst heraus mit dem vermittelt, was er nicht unmittelbar selbst ist. Dieses Gott mit sich selbst und zugleich mit demjenigen, was er nicht unmittelbar selbst ist, Vermittelnde wird in der philonischen Theologie primär mit dem Logosbegriff assoziiert, kann aber ebenso mit den Begriffen der Weisheit oder der Tora als der offenbaren Gestalt des gerechten Willens Gottes in

296 Die Wesenseinheit der trinitarischen Hypostasen und die Person des Gottmenschen Verbindung gebracht werden. Zwar sind die genannten Begriffe nicht einfachhin austauschbar, sondern behalten ihre je eigenen Konturen. Von einer möglichen Übersetzbarkeit des einen Begriffs in den anderen geht Philo allerdings aus, und nachgerade dies verdient besondere Aufmerksamkeit, sofern nun die jüdische Tora und die am alttestamentlichen Gesetz orientierte Weisheit als logoskonform bezeichnet und damit auf einen vernünftigen Geltungsanspruch hin universalisiert werden. Der philonische Aufweis der Logoshaftigkeit der Tora, in der sich nach jüdischem Glauben der göttliche Wille und das Wesen seiner Weisheit aussprechen, entnimmt das Gesetz Israels tendenziell der Partikularität, die für seine Genese und seinen traditionellen Sitz im Leben eines einzelnen Volkes charakteristisch ist, um es mit Vernunftgründen für allgemeingültig zu erklären. In dieselbe Richtung verweist die allegorische Auslegung, die Philo den Hl. Schriften der jüdischen Überlieferung zuteil werden ließ. Sie verfolgt erkenntlich das Ziel, die buchstäbliche Positivität der Schriftaussagen auf ihren geistigen Sinngehalt hin zu durchleuchten, welcher der göttlichen Logosvernunft entspricht. Dass dabei der konkrete Literalsinn gelegentlich auf der Strecke blieb, ist unschwer auszumachen und Indiz einer bei Philo offenkundigen Tendenz, Gott und seinen Logos in platonischer Manier in der idealen Sphäre reiner Geistigkeit über den irdischen Realien schweben zu lassen. Die für die platonische Tradition kennzeichnende Abhebung der Ideenwelt von der realen Welt des Endlichen bestimmte für geraume Zeit auch den Entwicklungsgang des altkirchlichen Dogmas. Solange die trinitarische Lehre von der Homoousie des Sohnes und des Geistes mit dem göttlichen Vater nicht definitiv rückvermittelt war mit der Lehre von der personalen Einheit von Gott und Mensch in Jesus Christus, lässt sich eine mehr oder minder ausgeprägte doketische Neigung altkirchlicher Christologie bei vielen Kirchenlehrern namentlich der alexandrinischen Schule schwerlich in Abrede stellen. Dies hat wesentlich zu tun mit dem bestimmenden Einfluss platonischer Philosophietraditionen auf die Ausbildung des trinitarischen Dogmas. Erst durch die stärker aristotelisch orientierte antiochenische Theologie wurde diesbezüglich ein Gegengewicht gesetzt, wodurch eine förmliche Abstraktion der idealen Verhältnisse immanenter Wesenstrinität von der realen Erscheinung Jesu Christi verhindert wurde. Es bestätigt sich die eingangs erhobene Forderung, dass die beiden Dogmen von der Dreieinigkeit und der Menschwerdung Gottes nicht getrennt werden können, weil sie trotz der Sukzessivität ihrer geschichtlichen Ausbildung einen gedanklichen Zusammenhang bilden. Für die Entwicklungsgeschichte der Trinitätslehre wurde die Rezeption der Logosidee von entscheidender Bedeutung. Die Gründe, warum dies der Fall ist, wurden bereits benannt und sind hier nicht erneut anzugeben. Die Schwierigkeit, vor die sich die christlichen Rezipienten des Logosgedankens gestellt sahen, waren im Wesentlichen dieselben wie in der philosophischen Tradition, an die sie anknüpften: Wie ist das Verhältnis des Logos zu Gott zu bestimmen? Bei Justin, Tatian,

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Irenäus und anderen Repräsentanten frühchristlicher Lehre vom Logos bezeichnet dieser eine auf einen göttlichen Akt zurückzuführende und damit göttliche Größe, die aber, weil von Gott gesetzt, ihrem Ursprung wenn nicht unter-, so doch nachzuordnen ist. Weil der göttliche Akt als ein willentlich vollzogener zu denken ist, geht der Logos nicht in der Weise natürlicher Emanation, sondern nach Weise der Freiheit aus Gott hervor, ohne dessen Wesen zu mindern und seine Einheit duplizierend aufzuheben. Ist Gott in der Einheit seines Wesens der endlichen Vernunft des Menschen unerschwinglich, so vermittelt er sich dieser doch durch den Logos, der als eine Gott zugeordnete Größe das unbegreifliche göttliche Wesen zugleich erschließt, ohne es in seiner Unbegreiflichkeit begrifflich aufzuheben. Ihre differenzierte wissenschaftliche Ausgestaltung erhielt die christliche Logoslehre vor allem durch die alexandrinischen Kirchenlehrer Clemens und Origenes. Ersterer unterstreicht die Unbegreiflichkeit Gottes durch den Hinweis, dass das göttliche Wesen selbst den Begriff des Einen noch transzendiere und wie über alles Seiende so auch über den Logos hinausgehe. Dieser sei lediglich ein Abbild Gottes und seinem Urbild trotz in Anschlag gebrachter Wesensteilhabe subordiniert. Ein entsprechendes, wenngleich subtiler gestaltetes Subordinationsverhältnis kann man bei Origenes finden, der wie sein Lehrer die Einheit des Gott beigeordneten Logos mit seinem Ursprung wesentlich durch einen zielgerichteten Prozess willentlicher Angleichung vermittelt sein ließ. Christologie und Anthropologie sind analog zu diesem theologischen Grundgedanken gebildet, wobei der Unterschied zwischen Jesus und den übrigen Menschen darin besteht, dass dieser vermöge seiner vollkommenen Konformität mit dem Logos den Prozess der Angleichung an Gott in höchstem Grade und vollendet verwirklicht hat. Gottes Gottheit ist nach Lehre des Clemens und des Origenes keine unterschiedslose Identität. Aber der Unterschied in Gott ist doch nur in eingeschränktem Sinne Differenz zu nennen, sofern die Andersheit des Logos dem göttlichen Wesen in seiner Unbegreiflichkeit nachgeordnet und mit ihm nicht in streng wesentlicher Weise, sondern allein über einen Prozess der Willensangleichung vereint zu denken ist. Ungleich stärker als in der semisubordinatianischen Logostheologie der beiden großen Alexandriner wird der Unterschied in Gott bei denjenigen Theologen zurückgenommen, die von der traditionellen Dogmengeschichtsschreibung Monarchianer genannt werden, wobei man nicht selten zwischen einer adoptianisch-dynamistischen und einer modalistischen Fraktion unterschied. Über die Angemessenheit dieser dogmenhistoriographischen Nomenklaturen ist hier nicht zu streiten. Festzuhalten ist lediglich, dass die Vertreter dieser und ähnlicher Richtungen bei allen gegebenen Verschiedenheiten durch das gemeinsame Interesse an der unmissverständlichen Wahrung eines konsequenten Monotheismus motiviert waren. Das Bekenntnis der Einzigkeit Gottes schien ihnen durch die Annahme der Göttlichkeit des Logos auch unter der Voraussetzung gefährdet, dass dessen Unterschied zu Gott subordinatorisch expliziert wurde. Die Tendenz der theologischen Argumentation der sog. Monarchianer richtete sich auf die Beseitigung jedes Unterschieds im göttlichen Wesen. Auf der einen

298 Die Wesenseinheit der trinitarischen Hypostasen und die Person des Gottmenschen Seite identifizierte man, um jeden Anschein eines Ditheismus zu vermeiden, Vater und Sohn derart, dass die Gegner den Vorwurf des Patripassianismus erhoben. Praxeas, Noet und Sabellius gehören in diese Linie, weshalb man den modalistischen Monarchianismus gelegentlich auch Sabellianismus genannt hat. Auf der anderen Seite suchte man die Transzendenz des einzigen Gottes dadurch zu sichern, dass dem Sohn ein selbständiges persönliches Sein nur als Mensch zugeschrieben wurde. Welche Stellung der antiochenische Bischof Paul von Samosata in diesem Zusammenhang einnahm, ist bereits angesprochen worden. Zum archetypischen Häretiker der Alten Kirche wurde er deshalb, weil er die wesentliche Einheit des Sohnes mit seinem göttlichen Vater leugnete und Jesus Christus nur vermittels sittlicher Qualifikation an der Gottheit partizipieren ließ. Hob Sabellius aus Gründen der Monotheismusverteidiung den Unterschied zwischen Vater und Sohn tendenziell auf, um Letzteren zu einem Modus Gottes zu erklären, betonte der Samosatener die Differenz zwischen beiden in einer Weise, welche die Göttlichkeit des Sohnes in Frage stellte. Beide Auffassungen wurden von der Kirche als Häresien anathematisiert. Die weitere Lehrentwicklung – repetitio est mater studiorum! – war durch das Anliegen bestimmt, sowohl die persönliche Subsistenz des Sohnes als auch seine Identität mit dem Wesen Gottes des Vaters gleichermaßen zur Geltung zu bringen. Im Westen hatte dieser Lehrentwicklung Tertullian einen mächtigen Impuls verliehen mit der von ihm sachlich intendierten, wenngleich noch nicht fixierten Formel: una substantia – tres personae. Im Osten hinwiederum, wo das Zentrum der theologischen Auseinandersetzungen lag, scharte sich die breite Mehrheit der Theologen um Origenes, der die Logoschristologie im Kontext philosophischer Theoriebildung systematisch ausgestaltet hatte, ohne seinen Ansatz bereits zu völliger Klarheit durchgearbeitet zu haben. Die verbliebenen offenen Fragen betrafen vor allem den neuralgischen Punkt der angemessenen Bestimmung des Verhältnisses Gottes und seines Logos. Zwar finden sich bei Origenes Gedanken, die sich für die These einer Konsubstantialität von Vater und Sohn anführen lassen. Dominierender aber war zweifellos die subordinatianische Tendenz seiner Logostheologie, welche von den Hauptrepräsentanten alexandrinischer Theologie in der Nachfolge des Origenes eher verstärkt als eingeschränkt wurde. Während das Schulhaupt darum bemüht war, die Nachordnung des gezeugten Sohnes dem ungezeugten Vater gegenüber mit der Ewigkeit des Logos durch den Begriff der ewigen Zeugung zusammenzudenken, problematisierten seine Schüler diesen Begriff, indem sie die Zeugung des Sohnes zwar von der Erschaffung der Welt unterschieden und dieser vorhergehen ließen, ohne sie von kreatürlichen Assoziationen und entsprechenden subordinatianischen Vorstellungen freihalten zu können oder freihalten zu wollen. Es blieb Arius vorbehalten, den origenistischen Begriff der ewigen Zeugung des Sohnes zu desArianischer Streit truieren und die Unvereinbarkeit seiner Bestimmungsmomente zu behaupten. Ist der Sohn gezeugt, dann ist er dem ungezeugten Vater nicht wesensgleich und das göttliche Prädikat der Ewigkeit kann ihm im

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strikten Sinne nicht beigelegt werden. Wird der Sohn aber als gleichewig mit dem Vater behauptet, dann ist er auch notwendigerweise ungezeugt und der Monotheismus wird in die Annahme zweier gleichursprünglicher Gottheiten pervertiert. Weil Letzteres theologischer Widersinn ist, kann die Zeugung des Sohnes nach Urteil des Arius nur auf schöpfungsanaloge, strikt subordinatianische Weise gedacht werden. Wie alles Gottunterschiedene ist auch der Sohn entstanden und nicht ewig. Ob man behaupten darf, Arius habe die ewige Zeugung auf einen zeitlichen Schöpfungsakt Gottes reduziert, bleibt dennoch fraglich, da er die gedankliche Möglichkeit offen hält, den Anfang der Weltzeit mit dem Anfang des Logos zusammenfallen zu lassen, so dass seine Zeugung zwar als zeitlich bzw. die Zeit zeitigend, nicht aber als ein Geschehen in der Zeit zu gelten hätte. Wie dem auch sei: die Geschöpflichkeit des Logos gilt Arius wie diejenige von Menschheit und Welt als ausgemacht, was durch den Hinweis nicht revoziert, sondern bestätigt wird, der Sohn sei ein schlechthin vollkommenes Geschöpf und in seiner Art singulär unter allen Geschöpfen. Der Auffassung des Arius setzte das Konzil von Nizäa die Lehre von der Homoousie des Vaters und des Sohnes entgegen, derzufolge beide zwar vermöge der Differenz von Ungezeugtsein und Gezeugtsein unterschieden, in der Gleichheit ihres Wesens aber vollkommen eins sind. Substantielle Einheit Gottes und VaterSohn-Differenz sollen sonach zugleich in Geltung stehen. Der als Einziggeborener aus dem Vater gezeugte Sohn ist nicht geschaffen, sondern wesensgleich und von einer Substanz mit dem Vater, wahrer Gott aus wahrem Gott. Diejenigen aber, welche sagen, es gab einmal eine Zeit, als der Sohn nicht war, bzw. er war nicht, bevor er geboren wurde, werden, wie schon erwähnt, ebenso anathematisiert wie die Vertreter der Annahme, der Sohn sei aus dem Nichts geworden, wandelbar oder veränderlich und aus einer anderen Hypostase oder Wesenheit als der Vater. Das Sein des Sohnes aus Gott ist somit kategorial anderer Art als das Sein aus Gott der geschaffenen Entitäten; denn das Sein des Sohnes ist ein Sein aus dem Wesen des Vaters, mit dem der Sohn gleichen Wesens ist. In allem dem Vater gleich und eines Wesens mit ihm unterscheidet sich der Sohn von diesem allein durch sein ewiges Gezeugtsein, wie denn auch der Vater vom Sohn nicht dem Wesen nach, sondern allein darin differiert, dass er, der an sich selbst ungezeugt ist, ihn in Ewigkeit gezeugt hat. Hinzuzufügen ist, dass nach nizänischer Terminologie die Begriffe Wesen und Hypostase synonym verwendet werden. Der wenige Jahre zuvor ausgebrochene arianische Streit konnte durch den Entscheid der Synode von Nizäa 325 nicht oder nur sehr bedingt beigelegt werden. Dies geschah erst durch das Konzil von Konstantinopel 381 und eine Nachsynode am selben Ort, welche die Lehre von Nizäa in neunizänischer Weise modifizierte, was im Westen auf der Synode von Aquileia schnelle Anerkennung fand. Die neunizänische Modifikation betraf weniger den Homoousiebegriff und die etwaige Unterscheidung von Wesenseinheit und Wesensgleichheit, als vielmehr die begriffliche Differenzierung zwischen Wesenheit und Hypostase auf homoousianischer Basis, der im Lateinischen die Differenzierung von substantia bzw. essentia und

300 Die Wesenseinheit der trinitarischen Hypostasen und die Person des Gottmenschen subsistentia bzw. persona in etwa entsprach, wenngleich mit terminologischen Äquivalenzen nicht ohne weiteres zu rechnen ist. Veranlasst wurde die neunizänische Modifikation des Synodenbeschlusses von Nizäa, die in der Trinitätstheologie der drei großen Kappadozier systematisch expliziert ist und schließlich zur Beilegung der arianischen und postarianisch-eunomianischen Streitigkeiten führte, durch die im sog. Tomus ad Antiochenos ausgesprochene Bereitschaft des Athanasius, die origenistische Lehre differenter göttlicher Hypostasen bei Zurückweisung des mit ihr vielfach verbundenen Subordinatianismus für vereinbar zu erklären mit dem nizänischen Homoousieverständnis. Dieses versuchte beides in sich zu begreifen, nämlich sowohl das Gezeugtsein des Sohnes aus dem Vater und seinen dadurch bestimmten Unterschied zu ihm als auch die Ewigkeit des Sohnes und seine wesentliche Identität mit dem Vater. Abgesehen von dem Ungezeugtsein des Vaters und dem Gezeugtsein des Sohnes sollte die vollkommenste Einheit beider als ausgemacht gelten. Arius und seine Gefolgschaft, unter der Aetius und Eunomius hervorragten, kritisierten die nizänische Lösung als eine unstatthafte Herabsetzung des Unterschieds von Vater und Sohn zu einem verschwindenden Moment, dem sie durch strikte Differenzierung beider zu begegnen suchten. Der Sohn ist ihrer Grundannahme zufolge mit dem Vater weder wesenseins noch wesensgleich, sondern von ihm als sein Geschöpf, wenngleich als das vollkommenste zu unterscheiden. Als vom unendlichen Gott different ist der Sohn wesentlich endlich, wenngleich nach Maßgabe des Willens des Vaters dazu bestimmt, sich über die Schranken des Endlichen zu erheben und willenskonform zu werden mit ihm. Als in allem Gott gehorsames Geschöpf ist der Sohn eins mit seinem allmächtigen Vater, ohne deshalb aufzuhören, dessen Geschöpf zu sein. Näher als die Arianer von der ursprünglichen Art standen dem von Athanasius und den Kappadoziern Basilius, Gregor von Nyssa und Gregor von Nazianz verteidigten nizänischen Lehrbegriff jene Theologen, die dem Logos zwar keine Wesenseinheit oder Wesensgleichheit mit dem Vater, immerhin aber eine Wesensähnlichkeit attestierten. Doch blieb ihre Vermittlungsposition zu sehr vager Kompromiss, um sich dauerhaft durchsetzen zu können. Auf dem Konzil von Konstantinopel 381 obsiegten daher nicht die Homöousianer vom halben Weg, sondern die Neunizäner mit ihrem Versuch, im Kontext terminologischer Differenzierung zwischen dem Begriff des Wesens bzw. der Substanz und dem Hypostasebegriff Differentes zu denken, das „in unvermischter Weise geeint“ (Markschies, 235) ist. Durch die pneumatologische Ergänzung des Modells einer „Zweiheit absolut Gleicher in ungeschiedener Einheit“ (Markschies 236 Anm. 173a) gewann die altkirchliche Dreieinigkeitslehre schließlich ihre klassische Gestalt, wie sie in der Trinitätsformel vom einen Wesen Gottes in drei vollkommenen Hypostasen bündig zusammengefasst ist. Während auf die trinitarische Stellung des HeiliVon Konstantinopel nach gen Geistes und auf seine differenzierte Einheit Chalcedon mit Vater und Sohn bereits ausführlich eingegan-

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gen wurde, muss der Weg von der zweiten Ökumenischen Synode von Konstantinopel 381 bis zur Ökumenischen Synode in Chalcedon im Jahr 451 noch eigens ins Auge gefasst werden, weil die dort definierte Homoousie des Sohnes mit der Menschheit nicht nur für das Verständnis altkirchlicher Trinitätstheologie insgesamt, sondern auch für das Verständnis der trinitarischen Pneumatologie der Alten Kirche von grundlegender Bedeutung ist. Ist doch die Erkenntnis der Homoousie des Sohnes mit dem Vater weder geistreich noch heilsam, wenn nicht zugleich erkannt wird, dass der göttliche Logos der Menschheit durch Inkarnation wesenseinig verbunden ist. So klar der Sieg der Orthodoxie gegen den Arianismus trotz dessen historischem Fortwirken trinitätstheologisch auch ausgefallen war, das Problem, den göttlichen Sohn zugleich als wahren Menschen zu denken, war damit nicht erledigt. Mit ungewöhnlicher Schärfe wurde dieses Problem durch Apollinaris von Laodizea aufgeworfen, der die Annahme einer persönlichen Einheit zweier vollkommener Wesenheiten für eine gedankliche Unmöglichkeit erklärte und eine menschliche Vernunft im inkarnierten Logos ausschloss. Zwar leugnete Apollinaris nicht, dass der Logos als zweite göttliche Person mit dem Menschensohn Jesus identisch sei. Doch meinte er diese Identität nur auf der Basis der Annahme einer Unvollständigkeit der menschlichen Natur des Gottmenschen behaupten zu können. Der göttliche Logos ist in Leib und Somaseele Jesu Christi vollkommen präsent und inkarniert, jedoch so, dass er die Vernunftnatur des Menschen Jesus durch die göttliche ersetzt. Dass in Jesus Christus göttliche und menschliche Vernunft koexistieren und simultan am Werke sind, hält Apollinaris für einen Ungedanken. Genau dies wollten seine Gegner nicht gelten lassen. Dass dem Gottmenschen als Menschen nur Leib und Somaseele, nicht aber rationale Natur im Sinne einer vernunft- und verstandesbegabten Seele zuerkannt wurde, beurteilten sie als Fragmentierung der Inkarnationswirklichkeit. Der Apollinarismus wurde verdammt (vgl. DH 151; ferner: 159). Damit waren die Grenzmarken der orthodoxen Lehrentwicklung abgesteckt: die Wirklichkeit des Gottmenschen ist christologisch und soteriologisch nur angemessen erfasst, wenn in ihm Gottheit und Menschheit als in jeweils uneingeschränkter Vollkommenheit vereint gedacht werden. Weder durfte die Menschheit Jesu Christi doketisch zu einem bloßen Akzidens der Substanz der göttlichen Logoshypostase herabgesetzt, noch die göttliche Sohnschaft Jesu Christi zur bloßen Zusteigerung eines Vermögens erklärt werden, das er als Mensch im höchstmöglichen Grade realisiert habe. Die Schwierigkeiten, beide Abwege zu vermeiden und Gottheit und Menschheit in Jesus Christus in ihrer Differenz vereint zu denken, treten in den Streitigkeiten zwischen der alexandrinischen und der antiochenischen Theologie offen zutrage. In ihrem Gegensatz reflektieren sich zwei divergierende Richtungen theologischer Theoriebildung, „die sich schon seit längerer Zeit in ihren eigentlichen Character auszubilden begannen, und sobald sie ihre bestimmte Gestalt gewonnen hatten, sehr natürlich auch in einen äussern Conflict mit einander kommen mußten“ (F. C. Baur, 695). Die im Wesentlichen platonisch geprägte alexandrinische Theologie, „wie sie uns schon bei Clemens und Origenes

302 Die Wesenseinheit der trinitarischen Hypostasen und die Person des Gottmenschen ... erscheint, bewegt sich beinahe ausschließlich in der Sphäre der eigentlichen Theologie, ihre ganze, nicht von unten nach oben, sondern von oben nach unten gerichtete Betrachtungsweise hat zu ihrem unmittelbarsten Object die Idee Gottes als des Absoluten, und ihr ganzes Streben geht dahin, diese Idee auf ihren adäquaten Begriff und Ausdruck zu bringen. Das nicänische Dogma in seiner Vollendung, sofern es seinem wesentlichen Inhalt nach nichts anderes ist, als die sich in sich selbst objectivirende Idee des Absoluten, ist das eigenthümliche Erzeugniß dieser Theologie.“ (Ebd.) Das zentrale Problem alexandrinischer Theologie, wie es sich insbesondere in der Lehre von der Person Jesu Christi stellen musste, ergab sich aus der Schwierigkeit, die trinitätstheologische Idealität so mit der Realität von Menschheit und Welt in Beziehung zu setzen, wie das durch die konkrete Erscheinungsgestalt Jesu Christi und das biblische Zeugnis von ihr gefordert war. Andernfalls lag der Abstraktionsverdacht und der Vorwurf des Doketismus nahe, wie er von Seiten der antiochenischen Theologie tatsächlich erhoben wurde. Die weniger platonisch als aristotelisch geprägte Antiochenische und antiochenische Theologie war im Unterschied alexandrinische Theologie zur alexandrinischen traditionell orientiert an den Realitäten der gegebenen Wirklichkeit, wie sie sich der empirischen Anschauung erschlossen. War ihr primäres exegetisches Interesse auf den Literalsinn der biblischen Schriften gerichtet, so galt ihre Aufmerksamkeit in christologischer Hinsicht in erster Linie dem Menschen Jesus, wie er der Erfahrung auf unmittelbare oder mittelbare Weise zugänglich ist. Nicht dass man es durchweg bei der bloßen Betrachtung des Menschseins Jesu Christi belassen hätte: Ziel war es in aller Regel, sich von der Erhabenheit seiner irdischen Erscheinung erheben zu lassen zum Wesen der Gottheit, der Jesus Christus auch nach üblicher antiochenischer Sicht durchaus zugehört. Aber der Ansatz war doch typisierend betrachtet ein anderer als der alexandrinische, der vom Idealen zum Realen fortschritt statt sich vom Realen auf das Ideale hinzubewegen. War das für die antiochenische Tradition typische Theologieprogramm im Zuge der im Trinitätsdogma kulminierenden Entwicklung eher ins Hintertreffen geraten, so steigerte sich sein kirchlicher Einfluss in der Folgezeit erheblich. Zu danken ist dies vor allem Kirchenlehrern wie Diodor von Tarsus und Theodor von Mopsuestia, die – zu Lebzeiten in ihrer Rechtgläubigkeit unangefochten – als die Begründer der antiochenischen Schule im eigentlichen Sinne anzusehen sind. Ohne die Homoousie des Logos mit dem Vater und die wesentliche Gottheit des Sohnes in Frage zu stellen, setzten sie alles daran, auch dessen wesentliches Menschsein zu gebührendem Recht kommen zu lassen. Der Mensch Jesus Christus darf nach ihrem Urteil nicht lediglich als äußere Erscheinung des göttlichen Wesens der trinitarischen Logoshypostase in Betracht gezogen werden, sondern er muss in seiner Menschheit als inneres Bestimmungsmoment sowohl der Logosidee als auch der Trinitätstheologie insgesamt gewürdigt werden. Ist das Recht dieser Sicht soweit unbestreitbar, so wurde das Anliegen der Antiochener doch dadurch in Misskredit gebracht, dass die Einheit des Menschen Jesus Christus mit dem göttlichen Logos

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nicht in der nötigen Innigkeit zur Geltung gebracht wurde. Der göttliche Logos ist lediglich Ziel und Endpunkt menschlichen Strebens Jesu Christi, ohne dass von einem selbstexplikativen Insein des Sohnes Gottes im Menschensohn wirklich die Rede sein könnte. Auch die nicht geleugnete Einheit von Menschsein und Gottsein im Gottmenschen, den als solchen durchaus auch die Antiochener bekennen, steht unter der Bedingung unaufhebbarer Differenz von Gottheit und Menschheit, die als selbstverständliches Grunddatum der Argumentation in Anschlag gebracht wird. Bei Nestorius tritt diese Fundamentalprämisse antiochenischen Denkens offen zutage. „Wenn auch die Einheit der Person (sc. des Gottmenschen) festgehalten werden soll, so tritt doch der Unterschied der Naturen so sehr hervor, daß sie ebenso gut als zwei verschiedene Personen angesehen werden können. Der göttliche Logos ist für sich eine Person und ebenso der Mensch Jesus.“ (F. C. Baur, 734) Der Widerspruch der Alexandriner, wie namentlich Cyrill ihn formulierte, war damit vorprogrammiert: „Wie Nestorius das Objective und Reale nur in dem Unterschied der Naturen sah, und die Einheit nur in die Vorstellung sezte, so war dagegen dem Cyrillus die Einheit so sehr das Reale, daß der Unterschied ein blos ideeller zu seyn schien.“ (F. C. Baur, 739) Man muss kein Hegelianer sein, um anzuerkennen, dass damit der Gegensatz der Schulen bündig umschrieben ist, die den christologischen Streit bestimmten. Der Verlauf dieses Streits und das vorläufige Ergebnis, zu dem er im Konzilsentscheid von Chalcedon unter Beihilfe Papst Leos geführt wurde, ist bereits zur Kenntnis gegeben worden. Dies ist hier nicht zu wiederholen. Zu fragen ist indes noch einmal nach der bleibenden Bedeutung des christologischen Dogmas für die Selbstverständigung christlicher Theologie. Haben die theoretischen Spekulationen über das Verhältnis menschlicher und göttlicher Natur in der einen Person Jesu Christi einen erkennbaren religionspraktischen Sinn, der sie pneumatologisch bedeutsam macht? Schon einige der 451 am Bosporus versammelten Bischöfe gaben zu bedenken, es gehe in Chalcedon nicht piscatorie, sondern aristotelice, nicht nach Art der galiläischen Fischer zu, denen der Herr das Evangelium anvertraut habe, sondern nach schulmäßiger Art der Philosophen, deren Lehre nicht selten unverständlich und ohne erkennbaren praktischen Effekt sei. Bei allem Verständnis für solche Vorbehalte wird man dem christologischen Dogma von Chalcedon gleichwohl zugute halten müssen, dass es eine gedanklich ausgewiesene Antwort zu geben versucht auf eine Frage, die nicht oder nicht mehr zu stellen, auf die Selbstaufgabe nicht allein der Christologie, sondern des Christentums überhaupt hinausliefe. Wie verhält sich die geschichtliche Erscheinungsgestalt Jesu, der geboren wurde, wirkte und am Kreuz gestorben ist, zur alles bestimmenden Wirklichkeit der Gottheit Gottes, der Himmel und Erde geschaffen hat und das Seiende im Sein erhält? Christologische Hoheitstitel des Neuen Testaments wie Menschensohn, Messias, Gottessohn und Kyrios und das biblische Zeugnis von der Weihnacht und der jungfräulichen Geburt bis hin zur Präexistenzvorstellung des Johannesprologs belegen, dass eine reflexe Antwort auf diese Frage seit den apostolischen Ursprüngen versucht wurde. Das Dogma von

304 Die Wesenseinheit der trinitarischen Hypostasen und die Person des Gottmenschen Chalcedon steht hier durchaus in der Kontinuität der apostolischen Tradition, auch wenn die Einflüsse der hellenistischen Kultur und ihrer Denkungsart sicher bedeutend stärker geworden sind. Zum zentralen biblischen Ausgangspunkt der dogmatischen Deutung der Person Jesu wurde Der inkarnierte Logos der johanneische Gedanke der Fleischwerdung des Logos nach Joh 1,14. Jesus Christus ist der inkarnierte göttliche Logos. Die Frage, wie in dem einen Jesus Christus Gottheit und Menschheit eins sein können und wie sich sowohl der doketische Missverstand einer nur scheinbaren Inkarnation des Logos als auch derjenige einer inkarnatorischen Verwandlung der Gottheit vermeiden lässt, hatte bereits Generationen von Theologen und Kirchenmännern intensiv beschäftigt, als das Konzil im Jahre 451 in Chalcedon zusammentrat. Von den Apostolischen Vätern und den Apologeten, deren Logoslehre gleichermaßen vom Johannesprolog und der hellenistischen Philosophie namentlich des Mittleren Platonismus und der Stoa geprägt war, über Irenäus, Tertullian, Hippolyt, die Alexandriner Clemens und Origenes, und wie sie alle heißen, führte der Weg der Christologie, wie erwähnt, zunächst in die arianischen Auseinandersetzungen, die durch das Konzil von Nizäa im Sinne der Wesensgleichheit des präexistenten Sohnes mit dem Vater entschieden wurde. Dabei wurde implizit vorausgesetzt, dass der dem Vater wesensgleiche Logos kein anderer ist als der fleischgewordene, ohne dass das Verhältnis von logos und sarx bereits einem geklärten Verständnis zugeführt war. Auf das Verhältnis von logos und sarx in dem einen Jesus Christus musste sich deshalb die folgende Auseinandersetzung konzentrieren, um im Konzilsentscheid von Chalcedon zu dem besagten Ergebnis zu führen. Dieses steht, was Fragehorizont und Antwortversuch anbelangt, durchaus im Kontext des neutestamentlichen Zeugnisses, als dessen Konsequenz es sich begreift. Anderes zu behaupten, wäre gegenüber der gedanklichen Leistung und kerygmatischen Intention der Konzilsväter von Chalcedon ungerecht und im Übrigen ökumenisch kontraproduktiv, da sich die Mehrzahl der christlichen Kirchen der chalcedonischen Entscheidung bis heute verpflichtet weiß. Dennoch genügt es nicht, das christologische Dogma von den in Jesus Christus personal vereinten zwei Naturen formelhaft zu reproduzieren. Vielmehr ist es nötig, die chalcedonische Konstruktion der differenzierten Gott-Mensch-Einheit in Jesus Christus gewissermaßen zu dekonstruieren, um sie auf ihren genuinen Beweggrund zurückzuführen und nicht mit Mythologemen gleichzusetzen. Rekuriert man auf seine traditionsgeschichtliche Genese, dann wird deutlich, dass das christologische Dogma von Chalcedon ebenso wie die Trinitätslehre von Nizäa und Konstantinopel genau auf jene evangelische Gewissheit zielt, von der sie ursprünglich motiviert ist: In der menschlichen Erscheinungsgestalt Jesu von Nazareth hat sich der allmächtige Gott, dessen Schöpfungslogos die Schöpfung ins Sein gerufen hat und erhaltend durchwirkt, in der Kraft seines Geistes als er selbst erschlossen, um vorbehaltlos dazusein für uns. In dem, der unsereiner war und Sohn Gottes nicht sein wollte ohne jene, die im Übel gefangen und durch den Fall der Sünde ihrer

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Gotteskindschaft verlustig gegangen waren, ist Gott selbst offenbar, um im Geiste Jesu Christi, des auferstandenen Gekreuzigten, uns nahe zu sein bis ans Ende der Tage, an welchem der Gekommene wiederkommen und Gott alles in allem sein wird. Unter diesem Aspekt betrachtet ergibt sich hinsichtlich des christologischen Dogmas von Chalcedon folgende kritische Würdigung: Die chalcedonische Lehre, derzufolge Jesus Christus ein und dieselbe Person in zwei Naturen sei, der göttlichen und der menschlichen, will in ontologisch bestimmter Weise der urchristlichen Wahrheit Ausdruck verleihen, dass der Herr zugleich als wahrhafter Gott und wahrhafter Mensch zu bekennen ist, wenn er in seiner österlich offenbaren Wirklichkeit bezeugt werden soll. Diese Wahrheit wird in der – schon bei Irenäus begegnenden, im urchristlichen Schema einer doppelten Beurteilung Jesu „nach dem Fleisch“ und „nach dem Geist“ (1. Tim 3,16; 1. Petr 3,18; vgl. Röm 1,3f.) vorbereiteten – Formel von Chalcedon „vere deus, vere homo“ bündig zusammengefasst. Indes geht das Chalcedonense über frühere Bekenntnisformeln hinaus, indem es mit ihnen die Vorstellung eines personalen Zusammenseins zweier eigentümlicher Naturen verbindet, die ihre substantielle Eigentümlichkeit im Personsein Jesu einerseits wahren sollen, ohne doch andererseits als getrennt und als die personale Einheit auflösend gedacht werden zu dürfen. Diese Vorstellung beinhaltet eine Fülle ungelöster und unter chalcedonischen Bedingungen wohl auch nicht zu lösender Probleme, da sie nicht nur die Frage aufwirft, ob der Ausdruck „Natur“ auf Gott und Mensch überhaupt gleichmäßig angewendet werden kann, sondern auch zweifeln lässt, ob unter der Voraussetzung einer Substanzmetaphysik göttlicher und menschlicher Natur die differenzierte Personeinheit Gottes und des Menschen in Jesus Christus wirklich so gedacht werden kann, wie sie der chalcedonischen Intention gemäß gedacht werden muss: als Einheit von Einheit und Unterschiedenheit. Dass das Chalcedonense seine eigene Intention gedanklich nicht oder nur bedingt realisiert hat, zeigt sich vor allem an der Tatsache, dass es den Gegensatz von alexandrinischer und antiochenischer Christologie nicht dauerhaft zu überwinden vermochte. Es ist vielmehr so, dass die Antagonismen von sog. Einigungschristologie und sog. Trennungschristologie in anderer Gestalt erneut hervorbrachen und eine erste große christliche Konfessionsspaltung mit verhängnisvollen Folgen für das Christentum bewirkten: Die altchristlichen Stammlande Syriens, Palästinas und Ägyptens fielen im Zuge der monophysitischen Verfolgungen nahezu widerstandslos dem andrängenden Islam anheim, der im Unterschied zum byzantinischen Kaisertum religiös vergleichsweise tolerant auftrat. Mehrfache Versuche der griechischen Kaiser misslangen, die nachchalcedonischen Glaubenskämpfe mit dauerhaftem Erfolg zu befrieden. Statt sie zu beheben, bestätigten die Streitigkeiten um Mono- bzw. Dyotheletismus, also um das Willensverhältnis Jesu Christi, die unbewältigten Probleme der Zwei-Naturen-Lehre. Diese konnten auch durch die Theorien der wechselseitigen Perichorese beider Naturen sowie der in der communio naturarum begründeten communicatio idiomatum, will heißen: der gegen-

306 Die Wesenseinheit der trinitarischen Hypostasen und die Person des Gottmenschen seitigen Eigenschaftsmitteilung bestenfalls gemildert, aber nicht behoben werden, wie die nachchalcedonischen Auseinandersetzungen um den sog. Monophysitismus belegen. Um die monophysitischen Streitigkeiten zwiMonophysitische schen dem vierten und dem fünften ökumeniStreitigkeiten schen Konzil angemessen beurteilen zu können, muss man zur Kenntnis nehmen, dass nicht alle Gegner des Chalcedonense Monophysiten im strengen Sinn des Begriffs waren. Ein bemerkenswerter Teil jener Theologen, die den chalcedonischen Entscheid ablehnten, wollten ihrer Selbsteinschätzung gemäß im Grunde nur auf der Lehre des Cyrill beharren, ohne sich deshalb die eutychianische Position anzueignen. Es legt sich daher nahe, als eigentliche Monophysiten im Unterschied zur erwähnten Gruppierung nur jene Minderheit zu bezeichnen, die über Cyrill hinauszugehen und einen theologischen Sachgegensatz zur chalcedonischen Zwei-Naturen-Lehre zu begründen suchten. Während die chalcedonische Orthodoxie im Osten des 5. Jahrhunderts keinen dogmatischen Vertreter von Rang aufweisen konnte, war der Widerstand gegen das Chalcedonense im gesamten Orient weit verbreitet und Anlass zu Unruhen, die den Frieden und die Sicherheit im byzantinischen Reich erheblich beeinträchtigten. Von kaiserlicher Seite wurde darauf teils mit Mitteln der Gewalt, teils aber auch dadurch reagiert, dass man auf die „monophysitischen“ Anliegen einging und das Chalcedonense entweder zu umgehen oder gar zu unterdrücken suchte. Für ersteres Verfahren ist das Henotikon des Zeno von 482, für letzteres die Enzyklika des Basiliscus von 476 ein Beleg. Die prochalcedonische Partei formierte sich erst im 6. Jahrhundert zu einer theologischen Wirkmacht von nennenswerter Bedeutung. Auffällig ist, wie intensiv man sich um eine betont cyrillische Auslegung des Chalcedonense bemühte, welche dem Anliegen der personalen Einheit Jesu Christi betont Rechnung trug. Ein hervorragendes Beispiel hierfür bieten Leontius von Byzanz und Leontius von Jerusalem, die – wie die großen Kappadozier einst in trinitätstheologischer Hinsicht – zu Vätergestalten jener christologischen Neoorthodoxie wurden, die in der Dogmengeschichte seit gut hundert Jahren als Neuchalcedonismus bezeichnet wird. Auf der Basis des Begriffs der hypostatischen Union wurde das personale Vereintsein der beiden Naturen in Jesus Christus hervorgehoben und betont, dass es sich bei diesen um zwei geeinte Naturen handle. Ein solcher Dyophysitismus sei mit Cyrills Formel von der einen fleischgewordenen Natur des Wortes Gottes durchaus kompatibel, wie dieser selbst wiederholt bestätigt habe. Kombiniert wurde die als analoger Ersatz für Cyrills Wendung fungierende Lehre von der hypostatischen Einung mit der Vorstellung einer Enhypostasie der menschlichen Natur Jesu Christi im Logos, wie sie sich etwa bei Leontius von Byzanz findet. Die menschliche Natur Jesu Christi subsistiert niemals unabhängig, sondern stets und ausschließlich im Logos, dessen Hypostase ihre göttliche, trinitätstheologisch sorgsam zu beachtende Eigentümlichkeit im Vollzug der Menschwerdung und der Einheit mit individuellem Menschsein unter Beweis stellt.

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Zur Durchsetzung gebracht wurde der neuchalcedonische Geist im fünften Ökumenischen Konzil zu Konstantinopel 553 mit erheblicher Nachhilfe der Religionspolitik des großen Justinian (527–565), der das Imperium Romanum mit beachtlichem Erfolg als orthodox-christliches Kaiserreich in seinen alten Grenzen zu restituieren trachtete. Im Verein mit der antinestorianischen Verurteilung der „Drei Kapitel“, wozu neben einem Brief des Ibas von Odessa Schriften Theodors von Mopsuestia und Theodorets von Cyros zu rechnen sind, wurde durch eine Reihe von insgesamt vierzehn Anathematismen eine strikt cyrillische Deutung des Chalcedonense nach Maßgabe der Christologie des Neuchalcedonismus verteidigt und festgeschrieben. Verurteilt werden sowohl diejenigen, welche nicht die in drei Hypostasen bzw. Personen anzubetende wesensgleiche Trinität und die eine Gottheit des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes bekennen (vgl. DH 421), als auch jene, welche leugnen, „daß unser Herr Jesus Christus, das Wort Gottes, das Fleisch und Mensch wurde, ein und derselbe (ist), und daß die Wunder und die Leiden, die er freiwillig im Fleisch auf sich nahm, demselben angehören“ (DH 423). Verbleiben sonach zwar die sog. Theopaschiten unter dem Verdikt eines häretischen Sabellianismus, so konnte die Lehrformel, dass einer aus der Dreifaltigkeit im Fleische gelitten habe, als sanktioniert und orthodox gelten gemäß dem Grundsatz: „Wer leugnet, daß unser im Fleisch gekreuzigter Herr Jesus Christus wahrer Gott und Herr der Herrlichkeit und einer der heiligen Dreifaltigkeit ist, der sei mit dem Anathema belegt.“ (DH 432) Im Übrigen wurde zwar der Vorstellung einer Einung der beiden Naturen in Jesus Christus durch deren Vermischung bzw. tendenzielles Verschwinden der menschlichen Natur eine klare Absage erteilt (vgl. DH 425); noch deutlicher aber wurde jedweder Form nestorianisierender Trennungschristologie und der Leugnung der Tatsache wiedersprochen, „daß sich das Wort Gottes in der Hypostase mit dem Fleisch geeint hat und es deshalb eine Hypostase bzw. eine Person desselben (gibt), und daß in diesem Sinne auch das heilige Konzil von Chalkedon eine Hypostase unseres Herrn Jesus Christus bekannt hat“: „Denn wenn auch der eine der heiligen Dreifaltigkeit, Gott, das Wort, fleischgeworden ist, so hat die heilige Dreifaltigkeit doch keine Hinzufügung einer Person bzw. Hypostase erfahren.“ (DH 426) Die Bekräftigung der wahren Gottgebärerschaft Mariens (vgl. DH 427) gehört in diesen Kontext. Zum Abschluss gebracht wurde die förmliche Explikation des christologischen Dogmas der Alten Kirche in der sechsten Ökumenischen Synode von Konstantinopel von 680/81, welche die durch die monenergistischen und monotheletischen Streitigkeiten gestörte reichskirchliche Einheit wiederherstellte. Zwar schienen Monenergismus und Monotheletismus, also die Annahmen, der aus zwei Naturen bestehende Gottmensch habe vermöge der hypostatischen Union alles mit einer gottmenschlichen Energie und aus einem gottmenschlichen Willen heraus gewirkt, auf den ersten Blick in der Konsequenz des Lehrentscheids von 553 zu liegen. Doch setzte sich nach langen Wirren, die das Verhältnis von Kaiser und Kirche, Orient und Okzident erheblich beeinträchtigten, schließlich der Dyotheletismus bzw. Dyenergismus durch, wonach in dem einen Jesus Christus zwei Energien

308 Die Wesenseinheit der trinitarischen Hypostasen und die Person des Gottmenschen und zwei Willen walten. Dabei ist der menschliche Wille Jesu Christi, ohne aufgehoben zu sein, in allem dem göttlichen konform zu denken. In diesem Sinne befindet die im „Trullos“, dem Sitzungssaal des kaiserlichen Palastes in Konstantinopel, abgehaltene Synode in Form einer Ergänzung zur Lehrentscheidung von Chalcedon, daß in Jesus Christus, dessen Personeinheit nicht nur nicht geleugnet, sondern nachdrücklich bekräftigt wird, zwei den beiden Naturen zugehörende Willen oder Willensbewegungen sowie Wirkkräfte oder Energien zu unterscheiden seien, ohne deshalb getrennt werden zu können. Wie dasjenige der beiden Naturen in Christus ist das Verhältnis seiner beiden natürlichen Wollens- und Wirkweisen als „ungetrennt, unveränderlich, unteilbar und unvermischt“ (DH 556) zu bezeichnen. „Da wir nun also allseits das Unvermischte und Ungetrennte bewahren, verkünden wir“, heißt es im auf der Schlusssitzung des Konstantinopeler Konzils vom 16.9.681 gebilligten Horos, „das Ganze mit einem knappen Satz: Im Glauben, daß unser Herr Jesus Christus, unser wahrer Gott, auch nach der Fleischwerdung Einer der heiligen Dreifaltigkeit ist, behaupten wir seine zwei Naturen, die in seiner einen Hypostase aufleuchten, in der er sowohl die Wunder als auch die Leiden während seines gesamten heilschaffenden Wandels nicht scheinbar, sondern wahrhaftig offenbar machte; dabei wird der natürliche Unterschied in dieser einen Hypostase daran erkannt, daß jede der beiden Naturen in Gemeinschaft mit der anderen das ihr Eigene will und wirkt; in diesem Sinne also preisen wir auch die zwei natürlichen Willen und Tätigkeiten, die zum Heil des Menschengeschlechts wechselseitig zusammenkommen.“ (DH 558) Hinzuzufügen ist, dass Papst Leo II. in mehreren Briefen die Konzilsentscheidungen und damit auch die in ihrem Zusammenhang erfolgte Anathematisierung seines Vorgängers im Amt Honorius (vgl. DH 552) anerkannt hat. Honorius I., der von 625 bis 638 die Cathedra Petri besetzte und sich explizit zum einen Willen des Gottmenschen Jesus Christi bekannt hatte, gilt seither als paradigmatischer Fall eines papa haereticus. Durch das sechste Ökumenische Konzil von 680/81 ist der Prozess der Ausbildung des christologischen Dogmas zu einem förmlichen Abschluss gebracht worden. Ein ganz neues Kapitel der byzantinischen Geschichte scheint mit dem durch Leon III. provozierten Bildersturm eröffnet worden zu sein. Doch lässt sich auch noch die ikonoklastische Krise, die in den Jahren 711 bis 843 phasenweise das Reich erschütterte, auf das Fortwirken unbewältigter christologischer Differenzen zurückführen. Man hat jüdische und arabische Einflüsse geltend gemacht, um den byzantinischen Ikonoklasmus zu erklären; doch kann der Bilderstreit mindestens ebenso gut als eine Spätfolge der alten christologischen Gegensätze verständlich gemacht werden. Während die Bilderfreunde, unter denen Johannes von Damaskus hervorragte, das Recht der Verehrung der Christusikone mit der Realität der Inkarnation des Logos und der vermöge der unio personalis gegebenen wahren Präsenz der Gottheit im Menschsein des Gottmenschen begründeten, bestritten die Bilderfeinde unter Berufung auf die alles Menschliche transzendierende göttli-

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che Natur Jesu Christi die Möglichkeit von dessen bildhafter Darstellung, die ihnen im Gegenteil als Idolatrie galt. Die monophysitische Tendenz zumindest des radikalen Ikonoklasmus ist unverkennbar, selbst wenn die gemäßigten Bilderfeinde um Kontinuität ihrer Argumentationen zu den bisherigen Konzilsentscheidungen bemüht waren, ja ihre Gegner sei es einer monophysitischen Vermengung der Naturen Christi, sei es einer nestorianischen Trennung derselben bezichtigten. Am Ende obsiegten die Bilderfreunde. Auf Betreiben namentlich von Kaiserin Irene wurde der ikonoklastischen Bewegung Einhalt geboten; das im Frühherbst 787 gleich dem ersten in Nizäa tagende siebte Ökumenische Konzil, das der östlichen Kirche als das letzte dieses Titels gilt, erklärte unter Verweis auf den zwar differenzierten, aber doch einigen Zusammenhang von Urbild und Abbild die Verehrung heiliger Bilder für rechtens. Zwar komme wahre Anbetung allein der göttlichen Natur zu, doch sei die Verehrung der Christusikone einschließlich der dieser zugeordneten Bilder angemessen, weil die Verehrung des Bildes sich in Wahrheit auf das Urbild beziehe und derjenige, welcher dem Bild seine Reverenz erweise, in ihm nicht dieses als solches, sondern die Person des darin Abgebildeten verehre. Zwar kam es noch einmal zu einer ikonoklastischen Reaktion, doch konnte sie ihres epigonenhaften Charakters wegen die getroffene Entscheidung nicht mehr dauerhaft in Frage stellen.

16. Schulmäßige Rezeptionsgestalten des Dogmas der Alten Kirche

Lit.: A. Augustini, Hipponensis Episcopi, Opera Omnia. Tomus Octavus, Paris 1886 (MPL 42). – A. Augustinus, Über den Dreieinigen Gott. Ausgewählt und übertragen v. M. Schmaus, Leipzig 1936. – J. Baur, Die Trinitätslehre als Summe des Evangeliums, in: ders., Einsicht und Glaube. Aufsätze, Göttingen 1978, 112–121. – H. Beck, Kirche und theologische Literatur im byzantinischen Reich, München 1959. – Die Schriften des Johannes von Damaskos. Hg. v. Byzantinischem Institut der Abtei Scheyern. II. Expositio fidei. Besorgt v. B. Kotter, Berlin/New York 1973. – H. Dörrie, Hypostasis. Wort- und Bedeutungsgeschichte, Göttingen 1955. – D. B. Evans, Art. Leontius von Byzanz, in: TRE 21 (1991), 5–10. – M. Fuhrmann, Persona, ein römischer Rollenbegriff, in: O. Marquard/K. Stierle (Hg.), Identität, München 1979, 83–106. – A. v. Harnack, Dogmengeschichte, Tübingen 81991. – R. Kany, Augustins Trinitätsdenken. Bilanz, Kritik und Weiterführung der modernen Forschung zu „De trinitate“, Tübingen 2007. – T. Mannermaa, Hat Luther eine trinitarische Ontologie?, in: A. Ghiselli u.a. (Hg.), Luther und Ontologie. Das Sein Christi im Glauben als strukturierendes Prinzip der Theologie Luthers, Helsinki/Erlangen 1993, 9–27. – E. Mühlenberg, Von Augustiin bis Anselm von Canterbury, in: C. Andresen/A. M. Ritter / Hg.), Handbuch der Dogmen- und Theologiegeschichte. Bd. 1: Die Lehrentwicklung im Rahmen der Katholizität. Göttingen 21999, 406–566. – B. Oberdorfer, Filioque. Geschichte und Theologie eines ökumenischen Problems, Göttingen 2001. – St. Otto, Person und Subsistenz. Die philosophische Anthropologie des Leontios von Byzanz. Ein Beitrag zur spätantiken Geistesgeschichte, München 1968. – W. Pannenberg, Art. Person, in: RGG3 V, 230–235. – A. M. Ritter, Konstantinopel I. Ökumenische Synode von 381, in: TRE 19 (1990), 518–524. – E. Schlink, Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften, München 3 1948. – B. Schultze, Zur Gotteserkenntnis in der griechischen Patristik, in: Gregorianum 63 (1982), 525–558. – F. S. Schmitt (Ed.), S. Anselmi Cantuariensis archiepiscopi Opera omnia I-VI, Edinburgh 1946–1961 (Stuttgart/Bad Canstatt 1968). – B. Studer, Augustins De Trinitate. Eine Einführung, Paderborn/München/Wien/Zürich 2005. – G. Wenz, Rationale und suprarationale Gotteslehre in der „Summa contra gentiles“ des Thomas von Aquin, in: J. Lauster/B. Oberdorfer (Hg.), Der Gott der Vernunft. Protestantismus und vernünftiger Gottesgedanke, Tübingen 2009, 35–57.

In Jesus Christus sind in ein und derselben Person göttliche und menschliche Natur ungetrennt und ungeschieden verbunden, ohne sich zu vermischen oder zu verändern. So lehrt es das christologische Dogma von Chalcedon im Kontext der Trinitätslehre von Nizäa und Konstantinopel. Auch wo man die Dogmenbildung der Alten Kirche nicht, wie etwa im Falle Adolf von Harnacks, mit dem Verdikt hellenistischer Überfremdung ursprünglichen Christentums belegte, wurde die

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chalcedonische Lehre von den zwei Naturen in der einen Person des Gottmenschen in der Moderne und insbesondere in der evangelischen Theologie der Neuzeit nicht selten als ahistorisches Produkt einer statischen Metaphysik kritisiert, in welcher das dynamische Relationsgefüge der konkreten Geschichte Jesu Christi substanzontologisch verkannt werde. Diese Kritik ist gewiss nicht völlig abwegig. So hat, um nur diesen zu nennen, Schleiermacher zweifellos recht, wenn er in seiner Glaubenslehre die gleichmäßige Anwendung des Naturbegriffs auf Gott und Mensch beanstandet und die Vorstellung personaler Einheit zweier differenter Substanzen problematisiert (GL2 §96,1). In der Tat bedarf die chalcedonische Formel von der einen Person Jesu Christi in zwei Naturen, um glaubwürdig vertreten werden zu können, „einer fortgesetzten kritischen Behandlung“ (GL2 §95, Leitsatz), und das um so mehr, als ihre gedankliche und kirchengeschichtliche Integrationsleistung von mannigfachen Desintegrationen begleitet wurde und bis heute begleitet wird. Konstruktiv kann eine solch fortgesetzte kritische Behandlung allerdings nur sein, wenn sie das Chalcedonense nicht abstrakt negiert, sondern in einer Weise fortzuentwickeln vermag, die begründeten Anspruch auf Wahrnehmung seiner genuinen Intentionen erheben kann. Beispiele einer derartigen konstruktiven Fortentwicklung lassen sich keineswegs erst in der Neuzeit, sondern bereits bei jenen Theologen erkennen, die durch ihre systematische Durchdringung der chalcedonischen Lehrdefinition den schulmäßigen Abschluss der christologischen Lehrentwicklung der Alten Kirche und damit des altkirchlichen Dogmas überhaupt bewirkten. Genannt sei als erster Johannes von Damaskus, um die Mitte des 7. Jahrhunderts geboren Johannes von Damaskus und hochbetagt am 4. Dezember eines unbekannten Jahres gestorben. Ein origineller Denker war er nicht und wollte er nicht sein. Tätig wurde er vorwiegend als Kompilator. Gerade deshalb gilt er als einer der großen Lehrer der Ostkirche, der den Ertrag der patristischen Tradition und der altkirchlichen Dogmatik summarisch und in definitorischer Prägnanz zusammengefasst hat. „Selbst auf dem Reichsboden wird es Jahrhunderte dauern, bis wieder ein Theologe mit ähnlicher Spannweite der Interessen und ähnlichem Geschick für die Synthese der theologischen Tradition auftaucht.“ (Beck, 486) Als entschiedener Bilderverehrer von der Ikonoklastensynode von Hieria 754 mit dreifachem Anathem belegt und vom zweiten nizänischen Konzil rehabilitiert, genießt sein dreiteiliges Hauptwerk „Pege gnoseos“ („Die Quelle der Erkenntnis“) spätestens seit dem Vierten Laterankonzil von 1215 auch im Westen das Ansehen einer die Lehrentwicklung der Alten Kirche in sich beschließenden klassischen Dogmatik, die in vielfältiger Form auf die mittelalterliche Scholastik eingewirkt hat. Johannes von Damaskus war einer der wichtigsten Systematiker der byzantinischen Kirche und für die werdende Scholastik des Westens von hohem Einfluss. Sein Hauptwerk ist in drei Teile untergliedert: Die sog. Dialektik will eingangs das Beste aus dem Gedankengut der heidnischen Philosophen namentlich des Aristoteles und der neuplatonischen Tradition darlegen. Es folgt eine Auflistung von Irr-

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lehren, die weithin an überkommenen Häresienkatalogen orientiert ist. Das dritte Buch ist schließlich der genauen Auslegung (Ekdosis; gelegentlich auch Ekthesis) des orthodoxen Glaubens gewidmet und bietet u.a. eine schulmäßige Zusammenfassung der trinitätstheologischen und christologischen Lehrentwicklung der Alten Kirche (vgl. MPG 94, 792ff.). Seit Mitte des 13. Jahrhunderts wurde die exakt 100 Kapitel umfassende, im Jahrhundert zuvor bereits ins Lateinische übersetzte „Expositio fidei“ des Damaszeners in Anlehnung an die Sentenzen des Petrus Lombardus in vier Abteilungen untergliedert (I,1–14; II,15–44; III,45–73; IV,74–100) und mit dem Namen „Sententiae Damasceni“ versehen. Das Werk ist kein originaler Entwurf, sondern verfolgt das Ziel, den Traditionsbestand der Rechtgläubigkeit zu sammeln und zu ordnen. Das erste Buch der Ekdosis enthält die Lehre vom einen Wesen Gottes in seiner Unbegreiflichkeit und von den trinitarischen göttlichen Personen in ihrer hypostatischen Unterschiedenheit, wobei der Gehalt des altkirchlichen Dreieinigkeitsdogmas übersichtlich und in klassischer Form zur Darstellung kommt. Nicht ohne Grund hat man vermerkt, die „Ekdosis“ vermöge neben der Christologie namentlich in der Trinitätslehre geradezu eine Kirchenväterbibliothek zu ersetzen, weil sie deren Summe enthalte. Die trinitätstheologische „Expositio fidei“, wie Johannes von Damaskus sie in Zusammenstellung der Väterlehren unter besonderer Berücksichtigung von Athanasius, Gregor von Nazianz, Gregor von Nyssa, Cyrill von Alexandrien, Basilius von Caesarea, Pseudo-Dionysios Areopagita und anderen vornimmt, wird eingeleitet durch Erörterungen über die menschliche Gotteserkenntnis, welcher das, wie es heißt, überwesentliche Wesen Gottes unbegreiflich ist, so dass Gott allem, was über ihn gesagt wird, einschließlich des Gottesbegriffes selbst, schlechterdings transzendent (I,8: „hypertheon“) ist. Als „Gott über Gott“ kommt der unbegreifliche Gott gleichwohl nicht jenseits allen Begreifens und in einer Transzendenz zu stehen, die durch den schieren Gegensatz zur Vernunft bestimmt ist. Unbeschadet der Unbegreiflichkeit und Unaussprechlichkeit seines Wesens ist die Existenz Gottes nach Johannes zwar nicht unmittelbar, aber auf kosmologisch und physikoteleologisch vermittelte Weise der Vernunft annäherungsweise zur Einsicht zu bringen. Entsprechendes gilt für die Einheit und Einigkeit Gottes, für die der Damaszener in apologetischer Absicht ebenfalls Vernunftgründe beibringt. Selbst in der Erschließung des trinitarischen Geheimnisses der wesenseinen göttlichen Hypostasen wird die Vernunft nicht stillgestellt, so sehr die Dreieinigkeit Gottes nur dem Glauben offenbar ist. Johannes schickt sich vielmehr an, vernünftige Argumente sowohl für das Dasein des Logos als auch des Hl. Geistes beizubringen. Begrifflich auflösen lässt sich das Mysterium des in drei vollkommenen Hypostasen subsistierenden göttlichen Wesens indes nicht. Man wird vielmehr sagen müssen, dass sich der trinitätstheologische Begriff in der ihn selbst transzendierenden und zu doxologischer Anbetung erhebenden Einsicht in die Unbegreiflichkeit des dreieinigen Gottes vollendet. Darauf muss insgesamt bezogen werden, was Johannes über den zwar begrifflich nicht synthetisierbaren, aber gleichwohl gegebenen Zusammen-

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hang von Erkenntnis des göttlichen Daseins und der Unerkennbarkeit göttlichen Wesens sagt, ohne deren Einsicht keine rechte Gotteserkenntnis zu gewinnen ist (vgl. B. Schultze, 528ff.). Vater, Sohn und Hl. Geist: das eine Wesen des wesenseinen Gottes subsistiert in drei vollkommenen göttlichen Hypostasen, die – ohne Vermischung vereint und ohne Trennung unterschieden – in ihrer Verschiedenheit eins und in ihrer Einheit verschieden sind. Nach Maßgabe der philosophischen Kapitel seiner sog. Dialektik verwendet Johannes den Hypostasebegriff synonym mit dem Begriff „prosopon“ in der Regel im Sinne der ersten Substanz des Aristoteles, also um ein mit eigener Subsistenz Bestehendes zu bezeichnen. Für die zweite Substanz des Aristoteles gebraucht er demgegenüber Begriffe wie physis und ousia. Doch können die philosophischen Begriffe von Wesensnatur und Hypostase weder für sich genommen noch in ihrem aristotelisch bestimmten Zusammenhang das Geheimnis fassen, das in seiner Unbegreiflichkeit zu bedenken Aufgabe der Trinitätslehre ist. Die trinitätstheologische Anwendung des Hypostasebegriffs auf Vater, Sohn und Geist bezeichnet diese als Personen, deren in sich subsistierendes Fürsichsein durch ihre Beziehungen zueinander konstituiert ist. Der personale Unterschied, der als personaler ein realer zu nennen ist, ohne deshalb ein Unterschied des Wesens zu sein, ist mit den Eigentümlichkeiten gegeben, welche durch verschiedene Ursprungsrelationen bedingt sind. Der Vater ist als göttliche Ursache und Prinzip unverursacht und unprinzipiiert. Der Sohn – aus dem göttlichen Wesen des Vaters gezeugt vor aller Zeit und in der Zeit- und Anfangslosigkeit seiner Zeugung gleichwesentlich mit dem Vater – ist hypostatisch durch Prinzipiiertsein und Gezeugtsein bestimmt, wohingegen dem Personsein des Hl. Geistes Prinzipiiert- und Ausgegangensein vom Vater eigentümlich ist, weil der Geist im Unterschied zum Sohn, in welchem er, wie es mehrfach heißt, in singulärer Weise präsent ist, nicht zeugungs-, sondern ausgangsweise aus dem Vater hervorgegangen ist, wobei Zeugung des Sohnes und Ausgang des Geistes zugleich und in einem Hervorgang statthaben. Vom Vater und untereinander durch verschiedene Ursprungsverhältnisse real unterschieden sind Sohn und Geist mit diesem doch eines numerisch gleichen Wesens. Perichoretisch vereint ist die göttliche Trinität von jedwedem Tritheismus definitiv geschieden, wie umgekehrt auch modalistisch-sabellianische Vorstellungen grundsätzlich irren, weil sie die hypostatischen Unterschiede indifferenzieren und die göttlichen Personen zu bloßen Modi göttlichen Wesens herabsetzen. Richtig und orthodox hingegen ist es zu sagen: Nur in den hypostatischen Eigentümlichkeiten unterscheiden sich die drei göttlichen Personen voneinander. Im Wesen eins sind sie durch das Merkmal der eigenen Hypostase ungetrennt geschieden (vgl. bes. I,8). Der dreieinige Gott ist in der Unterschiedenheit eins und in der Einheit unterschieden. Strukturell Vergleichbares gilt nach Urteil des Damaszeners in Bezug auf Jesus Christus, in dessen Person göttliche und menschliche Natur in ihrer wesentlichen Verschiedenheit hypostatisch vereint sind. Seine systematische Summe der Christologie der Väter entfaltet Johannes insbesondere im Kontext des nach späte-

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rer Einteilung dritten Buches seiner Ekdosis, welches der göttlichen Heilsökonomie gewidmet ist. Konsequent verteidigt er die kirchlichen Dogmen gegen den Nestorianismus einerseits und den Monophysitismus einschließlich des Monotheletismus und Monenergismus andererseits, deren vermeintliche Gegensätzlichkeit in der defizitären Unterscheidung und Zuordnung von ousia und hypostasis häretisch konvergieren. Gegen jedwede Indifferenzierung bzw. Trennung von Wesen und Hypostase bzw. – wie der Damaszener sinngleich sagen kann – prosopon wird der Grundsatz verteidigt, dass Jesus Christus aus und in zwei Naturen hypostatisch eins ist. Die hypostatische Einheit ist dabei keine bloß scheinbare, zusammengesetzte etc., sondern eine wirkliche, vermöge derer sich die beiden Naturen gegenseitig durchdringen, ohne dass durch diese Perichorese der Unterschied göttlichen und menschlichen Wesens aufgehoben würde. Die christologische Lehre von der communicatio idiomatum bestätigt diesen Befund. Mag das bisher Referierte als bloße Paraphrase der gegebenen christologischen TraditionsbeSystem des Damaszeners stände erscheinen, so besteht die eigentliche systematische Leistung des Damaszeners in dem konsequenten Bemühen, die ererbte trinitarische Begrifflichkeit mit der christologischen in Verbindung zu setzen und umgekehrt. Die Person dessen, in dem göttliche und menschliche Natur differenziert eins sind, ist diejenige des Logos, der von Vater und Geist hypostatisch unterschieden und zugleich mit beiden eines Wesens ist. Wegen der Einheit der Person ist der eine Sohn Gottes zwar nicht ein vermenschlichter Gott oder ein vergöttlichter Mensch, wohl aber Gott-Mensch und Mensch-Gott, vollkommener Gott und vollkommener Mensch in der naturdifferenten Personeinheit jener Hypostase, die als zweite der Gottheit Gottes wesenseinig zugehört, ohne je mit Vater und Geist personal identifiziert werden zu können, von welchen beiden sie vielmehr unaufhebbar unterschieden ist. Sowohl in Bezug auf die Trinitätslehre als auch in Bezug auf die Christologie ist sonach eine Einheit von Einheit und Unterschiedenheit zu konstatieren und zwar in der Weise differenzierter Verbundenheit insofern, als die von Vater und Geist zwar hypostatisch unterschiedene, aber der Gottheit Gottes wesenseinig zugehörige Person des Logos die göttliche und menschliche Natur in ihrer Unterschiedenheit hypostatisch vereint. Die Gottheit und Menschheit in ihrer wesentlichen Verschiedenheit in sich vereinende Hypostase Jesu Christi ist eins mit der zweiten Person der Trinität, die im Vollzug der Inkarnation aus einer, wie es heißt, einfachen zu einer aus zwei vollkommenen Naturen zusammengesetzten wurde, ohne darüber ihre Logosidentität zu verlieren und ohne durch ihre personbildende Funktion die Vollkommenheit der menschlichen Natur Jesu Christi zu problematisieren. Was Letzteres betrifft, so verneint der Damaszener zwar entschieden die Frage, ob es eine subsistenzlose Natur, im gegebenen Fall eine subsistenzlose menschliche Natur geben könne. Eine genaue Begründung für diese Antwort hatte bereits die einführende philosophische Dialektik im Zusammenhang einer terminologischen Klärung des aristotelischen Begriffs der ersten und zweiten Substanz sowie der Begriffe ousia, hypos-

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tasis, prosopon und enhypostaton bzw. anhypostaton gegeben. Doch unbeschadet der eindeutigen These, dass es eine anhypostatische Natur oder eine unpersönliche Wesenheit nicht geben könne, hält Johannes es gleichwohl für möglich, dass wesensdifferente Substanzen in einer Hypostase zusammenlaufen und dann weder anhypostatisch sind, noch je für sich eine eigene Hypostase haben. Eben dies sei in dem – freilich unvergleichlichen und nicht durch Vernunftspekulation, sondern nur durch Offenbarung erschließbaren und erschlossenen – Falle Jesu Christi gegeben, dessen menschliche Natur niemals für sich bestand, sondern von ihrem ersten Anbeginn an in der Hypostase des Logos subsistierte, in welche sie im Vollzuge der Inkarnation ipso facto aufgenommen wurde. Der komplexe Systemzusammenhang, den die scholastische Aufbereitung der christologischen Lehrbestände der Alten Kirche bei Johannes von Damaskus ergibt, lässt sich übrigens nicht erst bei diesem, sondern schon weitaus früher entdecken, etwa im Corpus Leontianum, das sowohl auf den Damaszener als auch auf einen für die byzantinische Orthodoxie so entscheidenden Mann wie Maximus Confessor (580–662) nicht unerheblich eingewirkt hat. Ohne auf die komplizierte Leontiusfrage und insbesondere auf das genaue Verhältnis zwischen Leontius von Byzanz und Leontius von Jerusalem eigens eingehen zu können, sei zum Beleg nur ein Passus aus einer Abhandlung „Gegen die Nestorianer und Eutychianer“ herangezogen, welche gemeinhin als die Hauptschrift von ersterem gilt, dessen Wirkungszeit in die erste Hälfte des 6. Jahrhunderts gehört. Ausgangspunkt der Argumentation bildet die Einsicht, dass vermeintlich gegensätzliche Irrlehren demselben häretischen Grundirrtum aufsitzen. Während die Modalisten wegen ihres indifferenten Substanzbegriffs die Unterschiedenheit der Hypostasen tendenziell negierten, trennte Arius die trinitarischen Hypostasen und löste die Gleichheit ihres Wesens auf. Die christologischen Häretiker verfahren auf ähnlich kontraproduktive und zersetzende Weise: Eutyches vermischt die beiden Naturen Christi zu einer, Nestorius zerteilt ihre in der Person Jesu Christi gegebene Einheit, indem er faktisch zwei Hypostasen in Anschlag bringt. Vermeiden läßt sich dieser Missverstand nur, wenn man das Verhältnis von ousia und hypostasis als differenzierten Zusammenhang und als ein Relationsgefüge erfasst, in dem henotische und diakritische Bezüge stets zusammenwirken. Für Leontius von Byzanz bezeichnen ousia und hypostasis „Bestimmungen der Vereinigungen und Unterschiede der Dinge. Ferner stehen sie in einem Korrelationsverhältnis: wenn eine Bestimmung (z.B. Hypostasis) von der einen Beziehung ausgesagt wird (z.B. Unterscheidung), dann muß die andere (in diesem Fall Usia) von der anderen Beziehung ausgesagt werden (in diesem Fall von der Vereinigung). Diese Nebeneinanderstellung zweier Gegensatzpaare (Vereinigung/Unterscheidung; Hypostasis/Usia) ist die Grundlage dessen, was wir Leontius’ Theorie vom Austausch der Beziehungen nennen können ... .“ (Evans, 7) Die Theorie vom Austausch der Beziehungen Theorie des Beziehungsist bestimmt von einer nicht lediglich methodi- austausches schen, sondern in ihrer Methodik von den Inhal-

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ten selbst erforderten Dialektik, welche nach Leontius das kirchliche Dogma in der Doppelbezüglichkeit seiner Identifizierungen und Differenzierungen durchwaltet und dabei durchgängig der Maxime folgt: Einigung mittels Unterscheidung und Unterscheidung mittels Einigung. Näherhin ergeben sich drei Relationspaarungen, die alle möglichen Beziehungen umfassen, welche der trinitarisch-christologischen Lehre von Gott, Gottmensch und Mensch innewohnen, um henotisch und diakritisch zugleich erfasst zu werden. Die erste Wechselbeziehung hat zwischen Vater und Logos bzw. Logos und Vater statt, die in ihrer hypostatischen Unterschiedenheit wesentlich eins und in ihrer Wesenseinheit hypostatisch verschieden sind, also in einem Verhältnis der Einheit von Einheit und Unterschiedenheit stehen. Das zweite Relationspaar betrifft das Verhältnis zwischen dem Logos und seiner menschlichen Natur und umgekehrt, wie es durch Wesensunterschiedenheit und Hypostaseneinheit als identisch und differenziert zugleich gekennzeichnet ist. Schließlich stellt sich die Relation zwischen dem Menschgewordenen und dem ganzen Menschengeschlecht und umgekehrt zwischen allen Menschen und dem Menschgewordenen als ein ebenso differenzierter wie einiger Zusammenhang dar. Hinzuzufügen ist, dass auch im Verhältnis der Relationspaarungen zueinander eine ihrer jeweiligen Internbeziehung entsprechende Dialektik wirksam ist, sofern dieses Verhältnis seinerseits nach Maßgabe der zugleich henotisch und diakritisch fungierenden Zuordnung von ousia und hypostasis bestimmt ist. Dabei fällt auf, dass das unbegreiflich eine Wesen Gottes hypostatisch eindeutig bestimmt ist, wohingegen die vermeintlich offenkundig vorliegende Menschennatur hypostatisch unbestimmt bleibt und nur durch den Gottmenschen Jesus Christus ihrer personalen Bestimmung zugeführt werden kann, in welchem der göttliche Logos Fleisch angenommen hat, um Gottheit und Menschheit hypostatisch zu vereinen. Um das komplexe Verhältnis von Beziehungen zu erfassen, welches den Zusammenhang des altkirchlichen Dogmas bestimmt, dürfte es nützlich sein, sich analog zum internen Trend der neuchalcedonischen Rezeption des Chalcedonense zunächst auf die hypostatische Union göttlicher und menschlicher Natur, also auf das Personsein Jesu Christi zu konzentrieren, was sinnvoll nur geschehen kann, wenn zumindest ansatzweise die komplexe Terminologiegeschichte des Personbegriffs in Betracht gezogen wird. Das dem Lehnwort Person zugrundeliegende lateinische persona war für die Römer primär ein Rollenbegriff (vgl. Fuhrmann). Aus der ursprünglichen Bedeutung „Maske“ ergab sich über die Zwischenstufe „Bühnenrolle“ der übertragene Sinn der charakteristischen Lebensrolle, die ein Mensch in einer für ihn typischen Weise in einem gegebenen Systemzusammenhang sei es des Berufs oder anderer sozialer Rollen spielt. Namentlich in juristischem Kontext konnte der Personbegriff sodann zur allgemeinen Bezeichnung menschlicher Individuen werden. Doch hat sich daneben auch die geläufige Bedeutung von Person als Charaktertyp erhalten, wohingegen das Verständnis des Begriffs im Sinne von Rolle seit der Spätantike nur noch als gelehrte Reminiszenz begegnet. Neben dem griechischen prosopon, welches in der Septuaginta und im Neuen Testament den Menschen nach seiner äußeren Erscheinung kennzeichnet, ist das

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lateinische persona auch vom Hypostasenbegriff nachhaltig geprägt worden, als dessen Übersetzung es nicht selten fungierte. Der Begriff hypostasis, der in der von Platon ausgehenden Metaphysik zentrale Stellung erlangen und die förmliche Bedeutung einer Manifestationsgestalt des göttlichen Einen annehmen sollte, bezeichnet als antiker Terminus der Logik „die konkrete Realisierung des Seins im Einzelding“ (Dörrie, 83). Als Sein einer Entität in concreto galt die Hypostase jeweils als Realisierung einer besonderen ousia. Personalität und Individualität sind unter diesen begrifflichen Voraussetzungen identisch zu setzen, wobei hypostatische Differenz auf differente Wesenheiten verweist. Die trinitätstheologischen und christologischen Schwierigkeiten mit dem Personbegriff erklären sich aus diesem Sachverhalt, der in der berühmten Boethiusdefinition der Person als naturae rationalis individua substantia (MPL 64, 1343C), wie sie sich im Caput III des Liber de persona et duabus naturis contra Eutychen et Nestorium findet, einen gleichsam sprichwörtlichen Ausdruck gefunden hat. Beheben lassen sich diese Schwierigkeiten nur, wenn der Begriff der Person nicht länger mit dem der individuierten Substanz gleichgesetzt, sondern relational verstanden wird (vgl. Pannenberg). Die leontinische Theorie des Personseins Jesu Christi bietet hierfür einen wichtigen Ansatzpunkt, indem sie das personale Sein dessen, in dem nach chalcedonischer Lehre Gott und Mensch hypostatisch vereint sind, wesentlich als Beziehung denkt. Das Personsein Jesu Christi ist seinem Wesen nach durch den Gottesbezug konstituiert und zugleich wesentlich bezogen auf Mitmensch und Welt. Als der logospersonierte Mensch ist Jesus Christus sowohl der zweite Adam, indem sich die kreatürliche Bestimmung des Menschengeschlechts erfüllt, als auch derjenige, in welchem Gott als er selbst ganz und gar da ist für Menschheit und Welt, um sie aufzunehmen in die göttliche Gemeinschaftsbeziehung, wie sie in der Wesenseinigkeit der trinitarischen Personen gründet. Was es heißt, dass Jesus Christus wahrer Gott und wahrer Mensch ist, lässt sich ohne Einsicht in das in ihm inbegriffene und durch ihn erschlossene personale Beziehungsgefüge nicht fassen. Als der in seinem ganzen Sein gottbezogene Mensch ist Jesus Christus die Inkarnation des göttlichen Logos, der ihn personiert. Dass die Kategorie der Beziehung für die Theologie von fundamentalster Bedeutung ist, hatte in Rezeption und Fortbildung der neunizänischen Trinitätslehre bereits Augustin herausgestellt, was nicht nur für die westliche Tradition epochemachend wurde. Sein „Begriff der innertrinitarischen Relationen gilt als einer seiner theologisch und wirkungsgeschichtlich wichtigsten Beiträge zur Trinitätslehre“ (Kany, 200). Indem er Relation sowohl von Substanz als auch von Akzidentien abhob, wies er ihr die kategorientheoretische Funktion zu, Identität und Differenz in Gott als gleichursprünglich, simultan und paritätisch zu denken. Hinzuzufügen ist, dass auch für Augustins Christologie die „in manchem dem Konzil von Chalcedon vorarbeitet“ (Kany, 211), der trinitätstheologisch entwickelte Relationsgedanke grundlegend ist. Doch sei die okzidentale Rezeption des Chalcedonense nicht am Fallbeispiel der augustinischen Tradition, sondern an Thomas von Aquin exemplifiziert.

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Das Werk „De trinitate“, in dem Augustin seine für das Gesamtsystem grundlegende relationale Trinitätslehre entwickelt hat, besteht aus fünfzehn Büchern; es ist bereits im Jahre 398 begonnen und nach mehrfachen Arbeitsunterbrechungen im Jahre 417 vollendet worden (vgl. Studer). Im 3. Unterabschnitt des letzten Buches gibt der Autor selbst einen zusammenfassenden Überblick über Einteilung und Inhalt des perspektivenreichen, nicht durchweg nach einer strengen Systematik komponierten Textes. Von wirkungsgeschichtlich herausragender Bedeutung ist zweifellos das V. Buch, in dem Augustin von den göttlichen Personen als Beziehungen handelt. Den Ausgangspunkt der Argumentation bildet die klassische Formel vom einen Wesen Gottes und den drei göttlichen Hypostasen. Bemerkenswert in dieser Hinsicht ist vor allem, dass Augustin Wesen und Wesensbestand identifiziert und daher statt dem Terminus Hypostase, der im Lateinischen Wesensbestand bedeutet, lieber den Personbegriff gebraucht, um die interne Differenziertheit der Gottheit Gottes zum Ausdruck zu bringen. (Vgl. neben V,2.8 etwa VII,4.7: „Itaque loquendi causa de ineffabilibus, ut fari aliquo modo possemus, quod effari nullo modo possumus, dictum est a nostris Graecis una essentia, tres substantiae: a Latinis autem, una essentia vel substantia; tres personae, quia, sicut iam diximus, non aliter in sermone nostro, id est, latino, essentia quam substantia solet intellegi.“) Die traditionelle Lehre hatte die innergöttliche Differenziertheit damit begründet, daß sie mit den trinitarischen Personen Proprietäten assoziierte, nämlich mit dem Vater das Vatersein bzw. Ungezeugtsein (ingenitus), mit dem Sohn die Sohnschaft bzw. das Gezeugtsein (genitus) und mit dem Hl. Geist den Hervorgang (processio), wobei offen blieb, ob der Hl. Geist vom Vater allein oder, wie Augustin nahelegt und von der späteren westlichen Tradition gelehrt wurde, vom Vater und vom Sohn (filioque) ausgeht. Da die personalen Proprietäten weder das Wesen noch den Wesensbestand Gottes betreffen, aber auch nicht Akzidentien meinen, welche in Gottes Gottheit nicht vorkommen, verbleibt nach Augustin nur die Möglichkeit sie „relative“, „beziehungsweise“ (V,5.6: „ad invicem atque ad alterutrum“) zu denken. Ebensowenig wie „Vater“ und „Sohn“ sind „ungezeugt“ und „gezeugt“ in sich ruhende Aussagen, die wesentliche oder zum Wesen akzidentiell hinzukommende Unterschiedenheiten in der Gottheit begründen. Es handelt sich bei ihnen vielmehr gleichermaßen um beziehentliche Begriffe. In seiner Beziehung zum Sohn ist der Vater dem Sohn nicht gleich, wohingegen er hinsichtlich des Wesens und des Wesensbestand ihm vorbehaltlos gleicht. Umgekehrt ist der Sohn dem Vater in allem wesensgleich, jedoch durch die Sohnschaft beziehungsweisepersonal von ihm unterschieden. Entsprechendes gilt vom Hl. Geist. Weit davon entfernt, einen Tritheismus zu begründen, bestätigt die Lehre von den trinitarischen Personen nach dem Urteil Augustins die Einheit des göttlichen Wesen, sofern die personalen Unterschiede als beziehungsweise Unterschiede keine Wesensdifferenz ausmachen. Es ist im Gegenteil so, dass alles, was von den einzelnen Personen in Bezug auf sie selbst als göttlich zu bezeugen ist, von ihnen zuAugustins Werk „De trinitate“

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sammen nicht in der Mehrzahl, sondern in der Einzahl, also strikt monotheistisch auszusagen ist. Denn jede nicht ihre trinitarische Internbeziehung betreffende Aussage von Gott gilt für Vater, Sohn und Hl. Geist gleichermaßen, doch nicht in pluraler Weise, sondern in absolutem Singular. Gottes Wesen besteht infolgedessen nicht etwa aus drei Personen, sondern in drei Personen. Der durch diese markierte Unterschied ist nicht wesentlicher, sondern beziehentlicher Art. Als implizite Konsequenz dieser Einsicht ergibt sich der traditionelle Befund, dass das Gezeugtsein des Sohnes als eine vor aller Zeit statthabende und der Ausgang des Geistes als ein ewiger zu denken ist. Auch wenn der Geist in der Zeit geschenkt wird, ist er doch als trinitarische Person immerfort geschenkt von Ewigkeit zu Ewigkeit und als solcher dem göttlichen Vater und seinem gleichwesentlichen Sohn paritätisch zugehörig. Art und Gattungsnamen, denen die trinitarischen Personen zu subsumieren wären, um sie zusammenzufassen und auf einen Begriff samt spezifischen Differenzen zu bringen, kann es nicht geben, so wahr Gott ein Wesen und wesentlich eins ist. Entsprechend sind die personalen Unterschiede ausschließlich als relational bestimmte innerhalb des einen göttlichen Wesens zu begreifen, welches Wesen sein Sein indes nicht anders als in beziehungsweisen Unterschieden hat. Denn der Vater ist nicht der Sohn und der Hl. Geist, und der Hl. Geist ist nicht der Vater und der Sohn, welcher hinwiederum nicht unmittelbar dem Vater und dem Hl. Geist gleichzusetzen ist, mit denen er eines Wesens ist. Im Bewusstsein der theologisch notwendigen Annahme, dass Gottes Sein sein Wesen und Gottes Wesen sein Sein, die trinitarischen Personen sonach weder Gattungs- noch Artnamen sein können, gibt Augustin unumwunden zu, dass die trinitätstheologischen Lehrformeln unter dem Zwange geschaffen wurden, über die Dreieinigkeit zu reden und ihre Wahrheit gegenüber Häretikern zu verteidigen. Dabei ist vorausgesetzt, dass die griechische Formel von den drei Hypostasen und der einen ousia Gottes sachlich gleichbedeutend ist mit der Wendung „una substantia, tres personae“ (vgl. VII,4.7). Nichtsdestoweniger lohnt es sich, genauer nachzufragen, warum Augustin dem Personbegriff vor demjenigen der Hypostase den Vorzug gibt. Der entscheidende Grund hierfür ist, dass der Hypostasenbegriff nach Augustins lateinischem Verständnis keine beziehentliche Wirklichkeit bezeichnet, sondern ein für sich Bestehen oder einen Wesensbestand, der Gottes Gottheit, dessen Wesen Sein ist, nicht nur bedingtermaßen wie den endlichen Wesen, sondern unbedingt eignet. Der Hypostasenbegriff ist daher nach Augustin nicht geeignet, die interne Differenzierung des göttlichen Wesens zu begründen, da er mit dessen Begriff zusammenfällt. Diese Begründung kann nur der beziehungsweise gedachte Personbegriff leisten. Sind bei Gott Sein und Fürsichsein, Wesen und Wesensbestand ein und dasselbe, so liegt die Annahme in der Konsequenz dieser Identifizierung, dass Gottes Sein und Wesen auch mit seinem Personsein eins ist. „Nicht so“, sagt Augustin in VII,6.11, „heißen wir die Dreieinigkeit drei Personen oder Wesensbestände, ein Wesen und einen Gott, als ob drei bestimmte Träger in selbständigem Dasein aus einem Grundstoffe bestünden, der, was immer er ist, in den dreien zur Entfaltung

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käme. Es gibt nämlich nichts an diesem Wesen, was außerhalb der Dreieinigkeit läge; wir sagen jedoch, daß die drei Personen von einem und demselben Wesen sind oder daß die drei Personen ein Wesen sind, nicht aber sagen wir, daß die drei Personen aus einem und demselben Wesen bestehen, gleich als ob dort etwas anderes wäre das Wesensein, etwas anderes das Personsein.“ („Nec sic ergo Trinitatem dicimus tres personas vel substantias, unam essentiam et unum Deum, tanquam ex una materia tria quaedam subsistant, etiamsi quidquid illud est, in his tribus explicatum sit. Non enim aliquid aliud eius essentiae est praeter istam Trinitatem: tamen tres personas eiusdem essentiae, vel tres personas unam essentiam dicimus: tres autem personas ex eadem essentia non dicimus, quasi aliud ibi sit quod essentia est, aliud quod persona.“) Einheit und Unterschiedenheit des trinitarischen Gottes können nicht so gedacht werden, dass die Einheit mit einem transpersonalen Wesen und die Unterschiedenheit mit wesenssubsumierten Personen zu assoziieren wäre (VII,6.11: „Non sunt ... tres species unius essentiae Pater et Filius et Spiritus sanctus.“) Gottes Wesen ist vielmehr ebenso dreipersonal wie die trinitarischen Personen wesentlich eins und an sich selbst in ihrer beziehungsweisen Verschiedenheit nicht nur teilweise, sondern ganz und gar das eine göttliche Wesen sind. Auch wenn das dogmengeschichtliche Urteil üblich geworden ist, Augustin habe seine trinitätstheologische Aufmerksamkeit im Unterschied zur griechischen Überlieferung und in Übereinstimmung mit der entscheidend durch ihn geprägten westlichen Tradition vor allem dem Gedanken der wesentlichen Einheit Gottes und weniger dem seiner personalen Differenziertheit gewidmet, wird man sagen müssen, dass er zumindest der Intention nach Identität und Differenz in Gott als schlechterdings paritätisch zum Ausdruck zu bringen versuchte. Gott ist in Einheit verschieden und in Verschiedenheit eins. Nicht um das „mysterium trinitatis“ aufzulösen, Begriff der Unbegreiflichkeit sondern um den trinitätstheologischen Begriff Gottes der Unbegreiflichkeit Gottes abbildhaft zu plausibilisieren, ist Augustin fernerhin darum bemüht, in der Grundverfasstheit des Seienden und namentlich in der Grundverfasstheit des menschlichen Geistes das dreieinige Gefüge dessen zu entdecken, der das Sein selbst ist. Das dreieinige Gefüge des Seins gibt sich, wie die Schrift bestätige, in paradigmatischer Weise am differenzierten und gleichwohl einigen Zusammenhang der Liebe zu entdecken: liebendes Ich, geliebter Gegenstand sowie Gegenstand und Ich vereinende Liebe selbst. Analoges ergibt sich nach Augustin aus der Triade Gedächtnis, Einsicht und Wille (vgl. IX,11.16). Auch sie lässt sich als vestigium trinitatis deuten. Spuren des dreieinigen Gottes sind im Übrigen nicht nur in den Verhältnisstrukturen des inneren Menschen, sondern in bestimmter Weise auch am äußeren Menschen wahrzunehmen. So fügen sich etwa die Gestalt des Körpers, der sinnlich affiziert wird, sein den Sinnen eingedrücktes Bild, welches Augustin Schau oder geformten Sinn nennt, und der die Sinne zum sinnenfälligen Gegenstand hinbewegende Seelenwille zu einem dreieinigen Zusammenhang (vgl. XI,2ff.). Die Beispiele ließen sich vermehren. Sie dürfen indes nicht übersehen lassen, dass das Entsprechungsver-

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hältnis zwischen der Verfasstheit des Seienden und der trinitarischen Verfasstheit des Seins selbst das Geheimnis der Trinität nicht aufzulösen, sondern zu wahren sucht. Der trinitätstheologische Gedanke erfüllt sich nach Augustin daher auch nicht in der Überführung christlichen Glaubens in die Absolutheit reinen Denkens. Er vollendet sich vielmehr im Begriff der Unbegreiflichkeit Gottes, in dem das Denken des an sich selbst unergründlichen Grundes seiner selbst gewahr wird, um gerade so permanent in Bewegung gehalten zu werden: „nicht soll glauben, nichts gefunden zu haben, wer finden konnte, wie unbegreiflich das ist, was er suchte.“ (XV,2.2: „ne se existimet nihil invenisse, qui quam sit incomprehensibile quod quaerebat, potuerit invenire.“) Denn die Einsicht in die Unbegreiflichkeit seines göttlichen Grundes, der sich nur von sich aus zu verstehen gibt, ist die Voraussetzung eines rechten Begriffs des Denkens von sich selbst und die Bedingung der Möglichkeit seines stetigen Selbstvollzugs. Die Trinitätslehre ist nach Augustin der theologische Begriff der Unbegreiflichkeit Gottes, welcher dem Denken als der unvordenkliche, nur in der Weise erleuchtender Selbstoffenbarung erschlossene Grund seiner selbst zur Einsicht kommt. Zur Sprache gebracht werden kann dieser an sich selbst unaussprechliche Grund nur nach Maßgabe einer Logik, welche die Verstandesregeln auf jene Vernunft hinordnet, welche dem göttlichen Logos gemäß ist. Für die Lehre von den göttlichen Eigenschaften bedeutet dies, dass die Attribute der Ewigkeit, Unsterblichkeit, Unwandelbarkeit, Allwissenheit, Allmacht usw. nicht vom göttlichen Wesen und seinem Bestand unterschieden gedacht werden dürfen. Gott hat keine Eigenschaften, er ist alles, was ihm eignet, wesentlich und seinem Wesensbestand nach. Es macht infolgedessen keinen wesentlichen Unterschied, ob man Gott eine oder mehrere Eigenschaften zuschreibt, da sie alle mit der Einheit des einen Gottes seiner personalen Trinität dergestalt zukommen, dass sie mit dem einen Wesen und den drei Personen der Gottheit gleichermaßen eins sind. Die Differenziertheit der Personen ist also weder eine solche des Wesens noch eine solche der Eigenschaften, auch nicht eine nach Maßgabe des Begriffs der Gattung und der Art fassbare, sondern allein eine beziehungsweise. Die Spuren der Trinität im inneren und äußeren Menschen wären infolgedessen missdeutet, wenn man sie zu einem unmittelbaren Vergleich mit der Trinität heranziehen würde, so als sei der Vater allein der Liebende, der Sohn allein der Geliebte und der Geist allein das Band der Liebe. Vielmehr gilt, dass Vater, Sohn und Geist die differenzierte Einheit von Liebendem Geliebtem und Liebe stets zugleich sowie in ungeteilter und vollkommener Gänze sind, ohne deshalb ihren beziehungsweisen Unterschied einzubüßen, wie er ihrer wechselseitigen Relation innewohnt. Gänzliches Beim-anderen-Sein und gänzliches Insich-sein sind in Gott ein und dasselbe. Wie erwähnt, wird häufig geurteilt, die für den lateinischen Typus prägende Augustinische Trinitätslehre habe ihre Aufmerksamkeit im Unterschied zur griechischen Tradition vor allem auf den Gedanken göttlicher Einheit und weniger auf denjenigen personaler Differenziertheit Gottes ausgerichtet. Auch habe der Bischof von Hippo durch unzulässige Rationalisierung das mysterium trinitatis ten-

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denziell beseitigt und die Bindung an das Zeugnis der Bibel durch neuplatonische Spekulationen ersetzt. Dieses Urteil verkennt nicht nur die sekundäre Stellung, die Augustin allen Versuchen einer Erhellung trinitarischer Strukturen durch vestigia trinitatis der rationalen Erkenntniswelt zuweist, es übersieht auch seine Intention, der unergründlichen Einheit von Identität und Differenz in Gott, die paritätisch in Geltung stehen, gedanklich zu entsprechen. Richtig allerdings ist, dass Augustin seinen trinitarischen Begriff der Unbegreiflichkeit des als Geheimnis offenbaren dreieinigen Gottes systematischer entwickelt hat als das selbst bei den großen Kappadoziern der Fall war. Dies führte ihn über die seit Gregor von Nazianz zur Benennung der konstitutiven Merkmale der göttlichen Personen angeführten Ursprungsrelationen insofern hinaus, als nun die relationale Konstitution aller göttlichen Personen behauptet und der Relationalität ihres Personseins ein relationales Verständnis des Wesens Gottes überhaupt korreliert wurde. Die Gottheit Gottes ist ein in sich unergründliches Verhältnis von Verhältnissen, deren innerer Verhältnis von Verhältnissen Zusammenhang sich nur durch göttliche Selbstäußerung erschließt, um als Geheimnis offenbar zu werden. Zutage tritt die bezeichnete Fortentwicklung der klassischen Trinitätslehre vor allem in pneumatologischer Hinsicht, sofern die personale Eigentümlichkeit des Geistes nicht mehr nur in der Weise seiner Abhängigkeit vom Vater, sondern auch in seiner Bedeutung für ihn und für die Vater-Sohn- bzw. Sohn-Vater-Gemeinschaft zur Geltung gebracht wird. Als patris et filii spiritus steht der Geist in einer für sein Personsein konstitutiven Beziehung zu beiden. Augustin scheut daher nicht die Formulierung, dass der Geist der Gemeinschaft des Vaters und des Sohnes bei beiden sowohl seinen Ausgang als auch seinen Eingang nimmt. Indes ist dies ein Widerspruch gegen die klassischen Formeln nur, wenn unter Relationalität ausschließlich Ursprungsbezüglichkeit verstanden wird, welche Festlegung bei Augustin nicht nur nicht getroffen, sondern aufgehoben wird. Innertrinitarische Abhängigkeitsverhältnisse werden zwar nicht abstrakt negiert, aber von bloßer Einseitigkeit abgehoben, um so der wechselseitigen Liebesgemeinschaft des dreieinigen Gottes Ausdruck zu verschaffen. Die bleibende Spannung aber, die auch bei Augustin zwischen ursprungsrelationalen Abkunfts- und Gemeinschaftsaussagen reziproker Relation zu konstatieren ist, wäre als ein Indiz der in ihrer Unergründlichkeit unerschöpflichen Liebe Gottes zu deuten. Una essentia, tres personae: die Wesenheit des dreieinigen Gottes ist eine, die trinitarischen Unterschiede sind weder substantiell, noch auch akzidentell, sondern relational aufzufassen. Der Relationsbegriff fungiert bei Augustin als eine Kategorie jenseits der Differenz von Substanz und Akzidenz, die in ihm aufgehoben ist. Wie man das genau zu denken hat, bleibt freilich ein Problem, das dem Dreieinigkeitsdogma indes nicht äußerlich, sondern insofern intern ist, als es verlangt, Wesenseinheit und personale Unterschiede trinitätstheologisch paritätisch zur Geltung zu bringen. Ob Augustin dies gelungen ist, kann man bezweifeln; anzunehmen ist in jedem Fall, dass er das Mysterium des dreieinigen Gottes mit

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seinen gedanklichen Mitteln konsequent zu wahren suchte. Weder wird die Einheit Gottes in eine personale Dreiheit aufgelöst, noch werden die trinitarischen Unterschiede aus einer vorausgesetzten Einheit des göttlichen Wesens deduziert. Auch die bereits von den kappadozischen Vätern vertretene These von der Gemeinsamkeit des Wirkens der drei göttlichen Personen nach außen dient Augustin nicht als Basis einer solchen Herleitung. Zwar wirken die göttlichen Personen gemäß seinem Urteil nach außen „inseperabiliter“. Aber „untrennbar“ bedeutet im gegebenen Zusammenhang nicht „undifferenziert“. Die Externwirkungen der Gottheit können also nicht auf einen planen Begriff göttlicher Einheit zurückgeführt werden, sondern geben sich nur unter der Voraussetzung des mysterium trinitatis zu verstehen, dessen dreieiniges Geheimnis alle Verstandesbegriffe transzendiert und nur als unbegreiflich zu begreifen ist. Darin besteht grundsätzliche Übereinstimmung mit den für die Entschlüsse von 381 grundlegenden kappadozischen Konzeptionen der Trinitätslehre, auch wenn bei Augustin ein höheres Maß an rationalem Systematisierungsstreben selbst im Vergleich zu Gregor von Nyssa zu konstatieren ist. Dass die Trinitätslehre Augustins nicht die rationale Auflösung des mysterium trinitatis inten- Vestigia trinitatis diert, sondern sich als Begriff der Unbegreiflichkeit Gottes und seines offenbaren Geheimnisses versteht, wird durch seine Theorie der vestigia trinitatis insofern nicht widerlegt, als diese keine Begründung, sondern mittels Analogie lediglich eine nachträgliche Plausibilisierung der vom trinitarischen Dogma in Anschlag gebrachten Einheit und Dreiheit beabsichtigen. Nicht der Beweis rationaler Erschwinglichkeit der Wirklichkeit des dreieinigen Gottes sollte durch die beigebrachten Analogien geführt, sondern lediglich der Vorwurf schierer Irrationalität des trinitarischen Dogmas abgewiesen werden. Allerdings ist nicht in Abrede zu stellen, dass Augustins Lehre von den vestigia trinitatis eine namentlich im abendländischen Mittelalter wirksam werdende Tendenz befördert hat, die trinitarischen Aussagen aus einem vorgefertigten Begriff in sich differenzierter Einheit herzuleiten. Insbesondere die Triaden von mens, notitia und amor sowie memoria, intellectus und voluntas, mit der Augustin die Trinitätsebenbildlichkeit des menschlichen Geistes und seiner Vollzüge beschrieb, haben Anlass gegeben oder zumindest dazu beigetragen, das Innesein geistiger Selbstreferentialität zur Basis trinitätstheologischer Reflexionen zu machen und entsprechende Bestimmungen unmittelbar in das dogmatische Verständnis der innergöttlichen Verhältnisse einzutragen. Exemplarisch für diese Entwicklung ist Anselms „Monologion“. Im Unterschied zu Augustin, der die allgemein einsichtige Selbstreferentialität des erkennenden Geistes trinitätstheologisch lediglich als Hilfsargument einführt, fungiert bei Anselm von Canterbury die Einheit von Denken und Gedanken im geistigen Vollzug als Strukturierungsprinzip der Trinitätslehre, die nun nach Maßgabe selbstreferentieller Geistigkeit des Geistes gedacht wird. Wie im Denkvollzug Denkender und Gedanke auf differenzierte Weise eins sind, so lassen sich im dreieinigen Gott die

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drei göttlichen Personen als Vollzugsmomente des einen göttlichen Geistwesens begreifen. Daraus ergibt sich notwendigerweise eine Tendenz, die Pluralität der trinitarischen Personen dem Begriff des einen Wesens Gottes als Geist nachzuordnen. Die Neigung, die göttlichen Persondifferenzen als Momente der vorausgesetzten Wesenseinheit Gottes zu erfassen, reflektiert sich im Aufbau der Dogmatik formal darin, dass die Trinitätslehre erst im Anschluss an die Lehre von Dasein, Wesen und Eigenschaften Gottes abgehandelt wird. Spätestens seit der Hochscholastik ist dieses Verfahren üblich geworden, um im Abendland über Jahrhunderte hinweg theologisch das Feld zu beherrschen. Der klassische Beleg hierfür sind die Summen des Thomas von Aquin, in denen die von Augustin initiierte Entwicklung zu einem spekulativen Höhepunkt gelangte. Am Beispiel des Thomas lässt sich allerdings auch zeigen, dass die Unterscheidung der Traktate „De Deo uno“ und „De deo triuno“ keine Trennung von Zusammengehörigem intendierte. Den Beweis hierfür habe ich anhand der „Summa contra gentiles“ anderwärts zu erbringen versucht (vgl. Wenz). Statt die dortige Argumentation zu wiederholen, sei abschließend nur noch skizziert, welchen konstitutiven Beitrag der Aquinate, der als Normaltheologe römisch-katholischer Tradition gelten darf, zur westlichen Rezeptionsgeschichte chalcedonischer und nachchalcedonischer Christologie geleistet hat. Als Bezugstext soll die große Summe fungieren. Die Lehrüberlieferung der Alten Kirche und die Mysterium incarnationis bei Tradition der griechischen Kirchenväter wird Thomas von Aquin von Thomas vorbehaltlos akzeptiert. Er sucht sie weder zu revidieren noch zu modifizieren, sondern lediglich systematisch zu deuten. Zu den am häufigsten zitierten Autoritäten zählt Johannes von Damaskus, dessen schulmäßige Darstellung der definierten christologischen Lehrbestände dem Aquinaten offenkundig sehr entgegenkam, wobei ihm, um in Kürzeln zu reden, die Probleme von En- und Anhypostasie besonderes zu denken gaben. Auf diese soll deshalb spezielle Aufmerksamkeit gerichtet werden. Abgehandelt wird die thomasische Christologie neben den Erörterungen zur Trinität im I. Buch im Wesentlichen im III. Buch der Summa theologica. Die quaestiones 1–15 handeln von der Menschwerdung Christi, q. 16–34 von deren Auswirkungen und der Mariologie, q. 35–45 von Christi Leben, q. 46–59 schließlich von seinem Leiden und seiner Erhöhung. Was das mysterium incarnationis betrifft, so stellt es theologisch vor drei Fragen: 1. War es angemessen, dass Gott Mensch wurde? 2. Wie geschah die Vereinigung des Wortes mit der menschlichen Natur? und 3. Was folgt aus ihr für Christus? Nachdem er die erste Frage einer detaillierten affirmativen Antwort zugeführt und den Hauptzweck der Menschwerdung mit der Tilgung der Sünde und der Wiederherstellung der menschlichen Natur erläutert hat, handelt Thomas in III q. 2 „De modo unionis verbi incarnati quantum ad ipsam unionem“. Die Vereinigung von Gott und Mensch vollzog sich nach Maßgabe traditioneller Lehre „in persona verbi, non autem in natura“ (2,2 ad primum). Vorausgesetzt ist

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dabei, dass die Menschheit Christi, auch wenn sie im Bereich des selbständig Seienden eine Einzelnatur darstellt (individuum quodam in genere substantiae), kein eigens menschliches Personsein ausbildet (personalitas propria), weil sie nicht durch sich in abgesonderter Weise besteht (non per se separatim existit), sondern in quodam perfectioni, nämlich im Logos bzw. im Worte Gottes. Der Logos als zweite Person der Trinität bildet die Hypostase, in der sich die Vereinigung von Gott und Mensch in Jesus Christus vollzieht. Er und er allein personiert den Gottmenschen, der, mit Gregor von Nazianz zu reden, nicht einer und ein anderer zugleich ist, sondern eines und ein anderes, nämlich menschliche und göttliche Natur in hypostatischer Union vereint. Zwar ist die menschliche Natur eine Einzelsubstanz (substantia particularis) und individuiert, doch nicht im Sinne einer eigenen Hypostase, sondern als vom Logos personiert. Fragt man, utrum persona Christi sit composita (2,4), so ist darauf eine doppelte Antwort zu geben: In Bezug auf das, was die Person des Logos in sich selbst ist, ist sie schlechterdings einfach (omnino simplex) wie die göttliche Logosnatur, mit der sie eins ist. Hinsichtlich ihrer Bestimmung als einer göttliche und menschliche Natur vereinigenden Hypostase hat sie hingegen als zusammengesetzt zu gelten, ohne deshalb aufzuhören eine und nur eine zu sein. Zusammenfassend läßt sich mit Thomas und im Anschluss an den Damaszener, der im gegebenen Zusammenhang eigens zitiert wird, in Bezug auf die Inkarnation des Logos sagen, „quod assumpserit humanam naturam in atomo, idest in individue, non quidem in alio individuo, quod sit suppositum vel hypostasis illius naturae, quam in persona Filii Dei“ (2,3). Dass die menschliche Natur Jesu Christi, obzwar in ihrem Einzelsein bestimmt, kein selbständiges Einzelwesen im Sinne einer von der Person des Logos verschiedenen Person darstellt, hat Thomas immer wieder und mit zunehmender Schärfe betont. Hat der Sohn Gottes eine Person angenommen? Nein, sagt der Aquinate, denn des Logos Annahme einer menschlichen Natur „in atomo, idest, in individuo“ (4,2) setzte kein menschliches Personsein voraus, das von der hypostatischen Trägerschaft des Logos unterschieden ist. Es gilt die Devise: „Persona ... non praeintelligitur in humana natura assumptioni, sed magis se habet ut terminus assumptionis.“ (Ebd.) Personsein ist für die Annahme menschlicher Natur nicht die Voraussetzung, sondern hat für sie eher die Bedeutung eines Resultats. Im Übrigen beeinträchtige die Enhypostasie der menschlichen Natur im Logos deren Vollkommenheit mitnichten, vollende sie im Gegenteil aufs Allervollkommenste durch hypostatische Union mit dem göttlichen Logos, der sie personiert. Dennoch lassen sich weitere Fragen nicht unterdrücken. Thomas stellt sie selbst: Hat die göttliche Person, wenn sie keine menschliche Hypostase angenommen hat, überhaupt einen Menschen angenommen? Nein, lautet erneut die Antwort, im eigentlichen Sinne könne man dies nicht sagen, sofern die Inkarnation des Logos keine menschliche Person voraussetzt, um sie, wie die Adoptianisten meinen, daraufhin als solche anzunehmen, sondern sofern die Inkarnation als Personierung des Menschseins im Vollzuge von dessen Annahme erfolgt. Der Sohn Gottes ist nicht der Mensch, den er angenommen hat, sondern dessen Natur er angenom-

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men hat (4,3). Hätte der Logos dann nicht besser die menschliche Natur „abstractam ab omnibus individuis“ (4,4) annehmen sollen? Auch dies verneint Thomas, ohne diese Verneinung als inkonsequent gewertet wissen zu wollen. Zwar habe der Logos die menschliche Natur nicht in einem bestimmten Träger der Art „Mensch“, also nicht in Gestalt eines in einem Einzelwesen per se subsistierenden Menschseins angenommen, aber ebensowenig in ihrer von den Einzelwesen losgelösten und abgesonderten Allgemeinheit. Auch könne nicht die Rede davon sein, dass der Sohn Gottes die menschliche Natur in allen einzelnen Menschen angenommen habe. Es bleibe vielmehr dabei, dass die angenommene Menschennatur vermöge ihrer Enhypostasie im Logos individuiert und damit ihrer Bestimmung, Einzelwesen zu sein, zugeführt worden sei. Bleibt hinzuzufügen, dass der Logos, wie Thomas wiederholt gegen die Apollinaristen vorbringt, keinen Leib ohne Seele, auch keinen Leib mit einer bloß prärationalen Seele, sondern Leib und vernünftige Seele, also Leib, Seele und Geist in ihrem differenzierten, aber im Menschen untrennbaren Zusammenhang angenommen hat, wobei der Logos den Leib durch die Seele und diese hinwiederum durch den Geist zwar nicht nach der Ordnung der Zeit, aber nach der Ordnung der Wesensnatur hypostatisch mit sich vereinte (vgl. 6,1ff.). In der personalen Vereinigung mit dem Logos, wie sie in Jesus Christus in singulärer und einzigartiger Weise statthat, gelangt die Bestimmung des Menschen zur Gottesgemeinschaft ans Ziel und zur absoluten Vollendung. Denn es kann keine größere Einheit des vernunftbegabten Geschöpfes mit Gott sein und gedacht werden als die Einheit in der Person (vgl. 7,12). Die hypostatische Union ist die Gottesgemeinschaft, über die hinaus eine höhere nicht gedacht werden kann. In seiner Lehre von der communicatio idiomatum und von der Bedeutung der Reduplikation in den Aussagen über Christus (vgl. 16,1–12) wie in den Erwägungen bezüglich der Folgen der hypostatischen unitio für die Einheit Jesu Christi (vgl. 16,13ff.) bestätigt sich Thomas die innigste Einigkeit Gottes und des Menschen in der Person des Gottmenschen. Weil Jesus Christus eine und dieselbe Person ist, deshalb ist auch sein Sein und Dasein eines. Die Einheit seines personalen Daseins hebt freilich die interne Differenziertheit, die in der Bezeichnung Gottmensch zum Ausdruck kommt, nicht auf. Thomas ist nicht nur Dyophysit, sondern auch erklärter Dyenergist und Dyothelet. Wie zwei Willen, so sind in Jesus Christus auch ein göttliches und ein menschliches Wissen (vgl. 9,1ff ). In alledem bestätigt sich die Richtigkeit des christologischen Dogmas, wie es in der Alten Kirche definiert wurde: Während die Häretiker entweder zwei Hypostasen bzw. supposita in Christus setzen und damit dessen personale Einheit auflösen, oder die Differenziertheit seiner Naturen auf monophysitische Weise zerstören, kann allein die kirchliche Lehre von der hypostatischen Union göttlicher und menschlicher Natur dem Geheimnis Jesu Christi entsprechen. Im Wesentlichen erschien dem doctor angelicus die christologische Frage damit als gelöst und das christologische Dogma zum Abschluss gebracht. Die thomasische Christologie im Allgemeinen und die spezifische Lehre vom

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logospersonierten Menschsein Jesu Christi, der Logospersoniertes die besondere Aufmerksamkeit galt, ist kein ori- Menschsein ginelles Eigenprodukt, sondern findet sich analog z.B. in der erwähnten „Ekdosis“ des Damaszeners, auf dessen Autorität sich Thomas mehrfach beruht. Schon Johannes von Damaskus lehrte, dass es sich beim logospersonierten Menschsein Jesu Christi weder um eine vom individuellen Fürsichbestehen abstrahierte allgemeine Menschennatur, noch um eine alle menschengattungsspezifischen Hypostasen umfassende Größe, sondern um ein individuelles Menschenwesen handelt, dessen individuelles Personsein in der differenzierten Einheit von Leib, Seele und Geist allerdings keinen Augenblick als unabhängig von seiner Enhypostasie im Logos vorgestellt werden darf, der seine Hypostase und damit sein individuelles Personsein bildet. Dass seine Natur in Bestätigung der unaufhebbaren Unterschiedenheit göttlichen und menschlichen Wesens niemals logoslos für sich, sondern in uranfänglicher und beständiger Einheit mit dem Logos subsistiert, dem sie nicht nur dieses oder jenes, sondern ihr Personsein und im Verein damit ihre eigentümliche menschliche Individualität verdankt, unterscheidet das Menschsein Jesu zwar einerseits faktisch von allen anderen Menschen, welche durch sündige Verkehrung der Gottesbeziehung sich ihrer Logospersonalität entzogen; es verbindet sie aber zugleich mit der Wesensnatur aller Menschen, sofern sie deren Bestimmung realisiert. Die Bestimmung menschlicher Wesensnatur erfüllt sich nämlich darin, durch den göttlichen Logos individuell personiert zu werden. Der Sinn dieses Satzes kann freilich nur dann angemessen erfasst werden, wenn man ihn nicht gemäß einer von Beziehungen abstrahierenden Substanzontologie, sondern nach leontinischer Maßgabe auf relationale Weise versteht. Die individuelle Personierung des Menschseins Jesu Christi im Vollzuge seiner Annahme durch den Logos ist Vollendung menschlichen Seins insofern, als ein Mensch wahrer Mensch nur sein kann in ungebrochener Gottesbeziehung. Die Enhypostasie der menschlichen Natur im göttlichen Logos beeinträchtigt das Menschsein des Menschen im Unterschied zu dem Eindruck, den die Rede von der Anhypostasie menschlicher Natur beinahe zwangsläufig hinterlässt, mitnichten, sie erwirkt im Gegenteil allererst die Vollkommenheit der Menschennatur, sofern sie die Bestimmung des Menschen zur Gottesgemeinschaft auf vollendete Weise erfüllt. Der logospersonierte individuelle Mensch Jesus ist der mit Leib, Seele und Geist gottbezogene Mensch. Seine vollkommene Gottbezogenheit ist zugleich der Grund und die Weise seiner Selbstbeziehung und seiner Beziehung zu Mitmensch und Welt. Als der ganz und gar gottbezogene Mensch ist Jesus im Unterschied zum alten Adam wahrer Mensch, weil er als er selbst nichts anderes zu sein beansprucht, als ein gottunterschiedener Mensch unter Menschen in einer gemeinsam gegebenen Welt zu sein. Nicht sein zu wollen wie Gott, ist charakteristisches Kennzeichen des zweiten Adam und wesentliches Indiz seiner individuellen Logospersonalität. Als der in seiner schlechthinnigen Gottbezogenheit sich selbst kategorisch von Gott Unterscheidende ist der wahre Mensch Jesus zugleich einzigartiger Inbegriff

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der Mitmenschlichkeit, sofern er grundsätzlich nicht einer allein, sondern einer unter anderen sein will, deren Andersartigkeit zu achten und zu lieben ist wie die Einzigkeit des Eigenen. Mit der Einsicht in die differenzierte Einheit von Gottes-, Selbst- und Weltbeziehung, welche das wahre Menschsein Jesu Christi ausmacht, ist der Beziehungsreichtum der christologischen Lehre von der hypostatischen Union indes noch längst nicht erschöpft. Denn die inkarnationstheologische Theorie der Enhypostasie läßt sich nicht auf die Wahrnehmung der für sein wahres Menschsein konstitutiven Gottbezogenheit Jesu Christi beschränken, sie muss zugleich in Bezug auf die Beziehung entwickelt werden, die sich von Gott her mittels des Logos eröffnet, damit es zur Gottesbeziehung des Menschen überhaupt erst kommen kann. Dass Gott als Gott aufgeschlossen ist für die Beziehung zu Mensch und Welt, dafür steht der Logos als die der Gottheit Gottes wesenseinig zugehörige trinitarische Person in der Kraft des göttlichen Geistes ein. Er steht dafür aber nicht nur in abstracto, sondern in concreto insofern ein, als er als das in der Kraft des göttlichen Geistes wirksame Prinzip der Aufgeschlossenheit Gottes wirkliche Gestalt annimmt, um in dem von ihm individuell personierten Menschenwesen Jesus Christus und als diese individuelle Person realiter dazusein. Wegen dieses wirklichen Daseins des Logos in seiner individuellen Person kann Jesus Christus nicht nur, sondern muss notwendigerweise sowohl als wahrer Mensch, als auch als wahrer Gott bekannt werden, wobei Bekenntnis zum wahren Menschsein und Bekenntnis zum wahren Gottsein Jesu Christi, wie unschwer zu sehen ist, in einem Verhältnis wechselseitiger Beziehung, ja wechselseitiger Selbstauslegung stehen. In Jesus Christus ist der im Logos kraft des Hl. Geistes für Mensch und Welt aufgeschlossene Gott nicht nur für uns da, sondern als unsereiner, nämlich als Mensch für uns da. Umgekehrt ist das Dasein Gottes für uns im Menschen Jesus Christus nur dann als das Dasein Gottes erfasst, wenn der uns wesenseinig verbundene Jesus Christus nicht nur faktisch, nämlich vermöge der Sündlosigkeit seines Menschseins, sondern kategorial von uns unterschieden und zwar so unterschieden wird, dass die Unbedingtheit dieser Unterscheidung, die keine andere ist als diejenige von Gott und Mensch, als in seiner Person selbst inbegriffen gedacht wird. In Jesus Christus ist Gott als Mensch dergestalt da, dass er in seiner Gottheit eins ist mit dem logospersonierten Menschen Jesus. Von Gott her ist also jede Scheidung von Gott und Mensch aufgehoben. Wenn Gott gleichwohl Unterscheidungen aufrechterhält, dann recht eigentlich nicht um seiner selbst, sondern um des Menschen willen, der nicht Gott gleichgeschaltet, sondern nach Gottes Willen als Mensch und mithin als er selbst eins sein soll mit Gott. Dass die Person Jesu Christi als wahrer Gott nicht aufhört, wahrer Mensch zu sein und umgekehrt, dass Jesus Christus vielmehr als der eine und selbe, welcher er ist, stets beides zugleich ist, muss also auch in dieser Hinsicht gewahrt werden. Was für den dreieinigen Gott gilt, gilt in bestimmter Weise auch für Jesus Christus, in dem sich die immanente Wirklichkeit der göttlichen Trinität ökonomisch offenbart: er ist in der Unterschiedenheit eins und in der Einheit unterschieden. Es bestätigt sich die

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Richtigkeit des Grundsatzes, mit dem die Alten die Struktur des chalcedonischen Dogmas zusammenfassend umschrieben haben: „Einer ist es, der auf selbige Weise das eine und das andere ist.“

17. Cur Deus homo: zur altkirchlichen, mittelalterlichen und reformatorischen Soteriologie

Lit.: Petri Abaelardi opera, hg. v. V. Cousin. Tomus posterior, Paris 1859. – Anselm von Canterbury, Cur Deus homo – Warum Gott Mensch geworden. Lateinisch und Deutsch. Besorgt und übersetzt von F. S. Schmitt O.S.B., Darmstadt 31970. – G. Aulen, Die drei Haupttypen des christlichen Versöhnungsgedankens, in: ZSTh 8 (1931), 501–538. – Ders., Christus Victor. A Historical Study of the Three Main Types of the Idea of the Atonement, London u.a. 1931 (Neudruck 1970). – J. Baur, Lutherische Christologie im Streit um die neue Bestimmung von Gott und Mensch, in: EvTh 41 (1981), 423–439. – S. M. Heim, Saved from Sacrifice. A Theology of the Cross, Michigan/Cambridge, U.K. 2006. – R. Herrmann, Anselms Lehre vom Werke Christi in ihrer bleibenden Bedeutung, in: ZSTh 1 (1923), 376–396. – H.-P. Kopf, Die Beurteilung von Anselms Cur Deus Homo in der protestantischen deutschsprachigen Theologie seit Ferdinand Christian Baur, Theologische Dissertation Basel o. J. – Th. Mahlmann, Das neue Dogma der lutherischen Christologie. Problem und Geschichte seiner Begründung, Gütersloh 1969. – M. Mühling. Versöhnendes Handeln – Handeln in Versöhnung. Gottes Opfer an die Menschen, Göttingen 2005. – W. Pannenberg, Art. Christologie II. Dogmengeschichtlich, in: RGG3 I, 1762–1777. – E. Schlink, Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften, München 31948. – R. Schwarz, Gott ist Mensch. Zur Lehre von der Person Christi bei den Ockhamisten und bei Luther, in: ZThK 63 (1966), 289–351. – O. Tiililä, Das Strafleiden Christi. Beitrag zur Diskussion über die Typeneinteilung der Versöhnungsmotive, Helsinki 1941. – G. Wenz, Theologie der Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche. Eine historische und systematische Einführung in das Konkordienbuch, 2. Bde. Berlin/New York 1996/98. – Ders., Geschichte der Versöhnungslehre in der evangelischen Theologie der Neuzeit, 2 Bde., München 1984/86.

Das trinitarisch-christologische Dogma der Alten Kirche wurde im Verlauf der weiteren theologiegeschichtlichen Entwicklung unter dem Vorzeichen des Amtes, des Werkes oder des Berufs Jesu Christi fortgebildet. Diese Fortbildung entbehrt insofern nicht der theologischen Konsequenz, als das Personsein Jesu Christi ohne seine Heilswirksamkeit ebenso wenig zu erfassen ist wie die Inkarnation ohne die Ereignisse von Kreuz und Auferstehung. Ob die Orientierung der Lehre vom Heilswerk des Gottmenschen an den traditionellen Ämtern des Alten Bundes und die christologische Unterscheidung eines munus propheticum, munus sacerdotale und munus regale sinnvoll ist, mag dahingestellt bleiben. Als entscheidender hat die Feststellung zu gelten, dass Christologie und Soteriologie zwar zu unterscheiden, nicht aber zu trennen sind und dass die Lehre vom Heilswerk Jesu Christi

Cur Deus homo: zur altkirchlichen, mittelalterlichen und reformatorischen Soteriologie

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nicht nur auf die Behebung von Übeln, sondern auch und vor allem auf die Befreiung von der Schuld der Sünde zu beziehen ist. Die Lehre von Amt, Werk oder Beruf Jesu Christi ist vorrangig als Versöhnungslehre zu entfalten. Dieser Sachverhalt ist nicht erst in der mittelalterlichen Theologie ins Bewusstsein getreten, sondern bereits für die neutestamentliche Theologie grundlegend. Versöhnungslehre enthält als „Zurechtbringungslehre“ (Mühling) zwei für sie konstitutive Momente, die freilich in einem asymmetrischen, eindeutig gerichteten Verhältnis zueinander stehen, nämlich die Negation des Verkehrten mit dem Ziel der Bekehrung auf das Rechte hin. Im Zentrum christlicher Versöhnungslehre steht das Kreuz des auferstandenen Jesus Christus. Seine Deutung als Versöhnung wirkendes Sühnopfer, als Satisfaktion etc. ist seit langem in die Kritik geraten, häufig verabschiedet und etwa durch den Gedanken der Solidarität mit den Opfern ersetzt worden (vgl. neuerdings z.B. Heim). Letzterer Aspekt darf nicht ausgeblendet werden. Doch ist der Tod Jesu nicht nur auf die Opfer der Sünde, sondern auch auf deren Täter und damit auf das Unwesen zu beziehen, welches die Sünde selbst treibt. Hierauf und damit auf den Gedanken göttlicher Gerechtigkeit sind der Sühnopferbegriff, der Satisfaktionsbegriff und andere vergleichbare Begriffe ausgerichtet und zwar u.a. mit der Pointe, dass durch das Opfer am Kreuz alle Sühnopfervollzüge an ihr Ende geraten, weil der Gekreuzigte, wie an Ostern offenbar, der Gerechtigkeit Gottes auf stellvertretende Weise vollgültig und definitiv Genüge getan hat. In der reformatorischen Theologie ist dies mit besonderem Nachdruck hervorgehoben worden, etwa im Zusammenhang der Theorie und Praxis der Messe als eines Opfers. Man hat die These vertreten, die Reformation Reformation und habe das altkirchliche Dogma und insbesondere altkirchliches Dogma die Trinitätslehre lediglich aus Gründen reichsrechtlicher Sanktion rezipiert. Das ist nicht richtig. Mögen auch juristische und politisch-taktische Beweggründe hin und wieder eine Rolle gespielt haben, Tatsache ist, dass die Lehre von der Dreieinigkeit Gottes reformatorischerseits primär aus theologischen Motiven übernommen wurde. Einer der eindrucksvollsten Belege für die trinitarische Verfassung evangelischer doctrina ist Luthers persönlichtestamentarisches Bekenntnis, das er seiner Abendmahlsschrift von 1528 angefügt hat (vgl. WA 26, 499–509) und das den wichtigsten Ausgangspunkt reformatorischer Bekenntnisentwicklung hin zur Confessio Augustana darstellt: Indem er sein im Bewusstsein eschatologischen Gerichtsernstes abgelegtes Glaubenszeugnis in den Zusammenhang der ökumenischen Symbole integrierte, hat Luther dezidiert jene theologische Verbindung zwischen reformatorischem Bekenntnisstand und altkirchlichem Dogma hergestellt, die Melanchthon dann auf seine Weise festgehalten hat und für die evangelische Bekenntnisentwicklung bestimmend werden ließ. Dabei tritt der trinitarische Gedanke als formales Gliederungsprinzip der Bekenntnisentwürfe zwar tendenziell zurück, wie denn auch die Themenorganisation der Augustana nicht im strengen Sinne trinitätstheologisch konzipiert ist. Inhaltlich jedoch bleibt der von der Trinitätslehre gedachte Gedanke der in der Kraft

332 Cur Deus homo: zur altkirchlichen, mittelalterlichen und reformatorischen Soteriologie des Hl. Geistes mächtigen Heilsgegenwart Gottes in Jesus Christus durchweg zentral. In diesem Sinn ist das, was im ersten Artikel der CA unter Verwerfung überkommener Irrlehren (BSLK 51,5f.) und unter ausdrücklicher Berufung auf das „decretum Nicaenae synodi“ (BSLK 50,1), aber im Anschluss etwa auch an das sog. „Symbolum Athanasii contra Arianos scriptum“ (vgl. BSLK 28–30) über das eine Wesen Gottes und die drei göttlichen Personen „magno consensu“ gelehrt wird, die fundierende Basis für alles Weitere und der Inbegriff der doctrina evangelii. Dem Großen Katechismus Luthers zufolge besagt die Trinitätslehre, dass Gott „sich ganz und gar ausgeschüttet hat und nichts behalten, das er nicht uns gegeben habe“ (BSLK 651,13–15). Wo dies im göttlichen Geist des auferstandenen Gekreuzigten erfasst wird, ist die Trinitätslehre als Summe des Evangeliums wahrgenommen und als Inbegriff aller evangelischen Lehraussagen verstanden. Zu sagen ist dann konsequenterweise auch dies: Die ursprüngliche Einsicht der Reformation ist als rechtfertigungstheologische immer auch und zugleich eine trinitätstheologische. Ist doch die reformatorische Rechtfertigungslehre „im strengsten Sinn trinitarisch ..., was noch dadurch unterstrichen wird, daß Versöhnung und Rechtfertigung unlösbar miteinander verbunden, ja zum Teil begrifflich miteinander identifiziert werden. Das Werk Jesu Christi wäre für uns wertlos, wenn er nicht Gottes Sohn und als solcher Gott selbst wäre, und unser Glaube wäre nur wieder ein neues Werk der Selbstgerechtigkeit, wenn in ihm nicht Gottes Geist und damit wiederum Gott selbst tätig wäre, in dessen Kraft allein wir Christi Werk ergreifen können. Wir haben einen gnädigen Gott als dreieinigen Gott, oder wir haben keinen gnädigen Gott.“ (Schlink, 103) Steht fest, dass die Reformation das altkirchliche Dogma nicht lediglich aus politisch-juristischen, sondern aus dezidiert theologischen Gründen übernommen hat, so gilt doch zugleich, dass diese Übernahme primär nicht unter Gesichtspunkten metaphysischer Spekulation, sondern unter soteriologischen Aspekten und im Interesse der Heilsvergewisserung erfolgte. Diese Rezeptionsausrichtung begründet keineswegs einen Gegensatz zur altkirchlichen Tradition, für deren Entwicklung soteriologische Motive von Anfang an bestimmend waren. Sie verweist aber auf einen Akzentunterschied, der in der in der mittelalterlichen Theologie des Westens üblich gewordenen dogmatischen Differenzierung zwischen der Lehre von der Person Jesu Christi und derjenigen von seinem Werk oder Amt förmlichen Ausdruck gefunden hat. Diese Unterscheidung als Trennung zu verstehen und Christologie und Soteriologie zu separieren ist nicht nur systematisch, sondern auch historisch gänzlich unangemessen. „Die Auseinandersetzungen um die gottmenschliche ‚Person‘ Jesu Christi sind in ihrem theologischen Gewicht unverständlich, wenn ihre soteriologische Wurzel, die für die Glaubenden grundlegende Bedeutung des in Christus Geschehenen, nicht erkannt ist. Es bedeutet daher nicht nur eine Ergänzung des für sich etwa soteriologisch neutralen altkirchlichen Dogmas, wenn die mittelalterliche Scholastik eine Lehre vom Werk Christi, die Reformation statt dessen eine Lehre von seinem Amte neben die altkirchlichen Formeln

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stellte. Vielmehr zeigt sich eine Wandlung des christologischen Denkens selbst darin, daß das soteriologische Interesse in den alten Formeln kein Genüge mehr findet, sondern in Gedanken über Werk oder Amt Christi selbständigen Ausdruck sucht. So sind Chr(istologie) im engeren Sinne und Soteriologie stets zusammen zu sehen.“ (Pannenberg, 1762) Eine systematische Lehrform und feste Grundlage für die Folgezeit hat der Lehre vom Heilswerk Jesu Christi erstmals Anselm von Canterbury (1033/34 – 1109) in seiner Schrift „Cur Deus homo“ von 1098 gegeben. In ihr wird die erste geschlossene Theorie über den Sinn und die Bedeutung des Leidens und Sterbens Jesu Christi entwickelt. Das geschieht auf der Basis des altkirchlichen Dogmas, zugleich aber in erkennbarem Unterschied zu den eher paränetisch als systematisch gestalteten Erlösungskonzepten der Patristik, von denen einige wie etwa die Vorstellung eines Loskaufs aus dem Rechtsbereich des Teufels ausdrücklich abgelehnt werden. Die Vorstellung, dass durch den Tod Christi ein Anspruch des Teufels befriedigt werden Patristische Erlösungskonzepte musste, findet sich zuerst im 2. Jahrhundert. Markion hatte die Auffassung vertreten, der Gott der Güte habe die Freilassung des sündigen Menschen nur durch ein Zugeständnis an den Demiurgen bewirken können. Die Notwendigkeit dieser Leistung an den Teufel wurde kirchlicherseits in antidualistischer Absicht zwar ausdrücklich abgelehnt, da der Apostat keinen eigentlich rechtmäßigen Anspruch auf den Menschen habe; aus Billigkeitsgründen, so meinte man, habe sich Gott aber dennoch entschieden, den Menschen durch Zahlung eines Lösegelds an den Teufel freizukaufen. Denn es sei – so etwa Irenäus (adv. haer. V, 1,1) – der göttlichen Vollkommenheit angemessener, auch gegen den Ungerechtesten nicht mit brachialer Gewalt, sondern nach Art der Gerechtigkeit zu verfahren. Indem Christus den Menschen durch sein unschuldig vergossenes Blut aus der Macht des Teufels erlöst habe, habe er mit rechtmäßigen Mitteln die unrechtmäßige Herrschaft der Apostasie überwunden. In mannigfachen Formen ausgeführt und teilweise vermischt mit anderen Vorstellungen findet sich dieselbe Anschauung bei Origenes und vielen anderen. Auch im Abendland fand die eigentümliche Lehre ihre Anhänger. Selbst Augustin konnte sich mit der Theorie von einem an den Teufel bezahlten Lösegeld befreunden. An die Stelle der Annahme eines durch Christi Tod erwirkten Loskaufs der Sünder aus dem Rechtsbereich des Teufels konnte gelegentlich auch die Vorstellung treten, der Satan habe, indem er sich am unschuldig Gekreuzigten vergriff, sein Recht auf den Menschen überhaupt verwirkt. Im Volk war diese Vorstellung häufig mit der eines Teufelsbetrugs verbunden; sie findet sich bereits in der frühen Patristik und wurde später immer wieder aufgenommen. Der Teufel, dem der Gottmensch gegen die sündige Menschheit angeboten wird, geht, weil er über der menschlichen Gestalt des Sohnes Gottes die ihm innewohnende allmächtige Gottheit vergisst, begierig auf den Tausch ein, sieht sich dann freilich außerstande, den Sündlosen fest- zuhalten, und geht so zuletzt völlig leer aus. Allerdings stieß die Vorstellung vom betrogenen Teufel schon frühzeitig auf religiöse und dogmatische

334 Cur Deus homo: zur altkirchlichen, mittelalterlichen und reformatorischen Soteriologie Bedenken. Den Gedanken einer wie auch immer gearteten Berücksichtigung des Teufels im göttlichen Erlösungswerk hat dann freilich erst Anselm ausdrücklich zurückgewiesen, indem er auch den letzten Rest eines diabolischen Eigenrechts bestritt: „quam causam debuit agere deus cum suo, de suo, in suo, nisi ut servum suum puniret, qui suo conservo communem dominum deserere et ad se transire persuasisset, ac traditor fugitivum, fur furem cum furto domini sui suscepisset?“ (I, 7; vgl. auch Medit. VII) Anselm hat sich mit seiner Sicht in der späteren Theologiegeschichte allgemein durchgesetzt. Man darf indes auch für die Zeit der Alten Kirche die Bedeutung des Gedankens einer Lösegeldzahlung für den Teufel und ähnliche Vorstellungen nicht überschätzen. Das eigentliche soteriologische Interesse konzentrierte sich auf den Sieg über den Tod, wie er in Folge der Vereinigung des Logos mit der Menschheit Jesu im Akt der Inkarnation errungen wurde. Das Leiden und Sterben Christi bringt, indem es die Auferstehung und damit die Überwindung des Todes herbeiführt, eigentlich nur das zur Auswirkung, was bereits in der Menschwerdung begründet ist; als spezifisches Heilsereignis kommt der Tod Christi deshalb von vornherein nur in beschränktem Maße zur Geltung. Der Akzent der altkirchlichen Erlösungslehre liegt nicht auf einer durch den Tod des Gottmenschen erstatteten Zahlung an den Teufel, freilich auch nicht auf einer durch die Sühne der menschlichen Schuld erwirkten Vergebung, vielmehr auf jener realontischen Vergottung des Menschen, welche – durch die Inkarnation begründet – in der Überwindung des Todes durch den auferstandenen Christus sich erstmals siegreich erweist. Das lässt sich exemplarisch an der wohl interessantesten altkirchlichen Parallele zu Anselms „Cur deus homo“, an der um 318 entstandenen Schrift des Athanasius (295–373) „Über die Menschwerdung des Logos und dessen leibliche Erscheinung unter uns“ (MPG 25,1–198) aufzeigen. Ihren Ausgang nimmt die Argumentation des Athanasius über die Athanasios bei der Schöpfungslehre, deren epiMenschwerdung des Logos kureische, platonische und gnostische Version vorweg abgelehnt wird. Der Gott der Güte, der jedem neidlos sein Dasein gönnt, erschuf die Welt aus dem Nichts durch den Logos. Der Mensch als vernunft- und sprachbegabtes Wesen hat schattenhaften Anteil am Logos, was zugleich seine Gottebenbildlichkeit ausmacht. Dabei unterscheidet Athanasius die Logosteilhabe des Menschen ausdrücklich von seiner naturhaften Verfassung. Entsprechend ist der Mensch wohl von Natur aus sterblich, wäre aber dank seines Anteils am Logos dem natürlichen Todeslos entronnen, wenn er gut geblieben wäre. Durch das Gesetz, welches der Wahlfreiheit des Menschen als Anhalt dienen sollte, hatte Gott selbst Vorsorge für des Menschen Verharren im Guten getroffen. Des Menschen ameleia (Kap. 6) aber bewirkte den gesetzesbrecherischen Fall der Sünde, welcher den Verlust der Logosteilhabe mit sich brachte, der seinerseits, da die mit sich allein gelassene Physis sterblich ist, die Vergänglichkeit zur Folge hatte. Somit gewann der Tod Gewalt über den Menschen. Den Zusammenhang von Sünde und Tod ohne weiteres aufzuheben, wäre der Wahrhaftigkeit Gottes ungeziemend, da er ihn

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selbst gesetzlich verordnet hatte. Sollte demnach der Mensch, wie es der Güte Gottes und seiner Schöpfungsintention entsprach, gleichwohl gerettet werden, musste der schöpferische Logos abermals auf den Plan treten, um durch seine Menschwerdung die Erneuerung der Welt und die Erlösung des Menschen vom Todesfluch zu bewerkstelligen (vgl. im Einzelnen Kap. 1–6). Die Menschwerdung des Sohnes Gottes zielt auf die Wiederherstellung der Logosteilhaftigkeit des Menschen; dabei ist es nicht damit getan, dass der Logos die Sünde überwindet, sosehr Athanasius auch dies betont; wirklich befreit von der Knechtschaft der Verderbnis ist die gefallene Menschheit erst dann, wenn der menschgewordene Logos sie der Vergänglichkeit entreißt, in welcher ihr eigentliches Übel besteht. Wäre es nur um die Überwindung der Schuld zu tun, würde durchaus menschliche Reue genügen. Nun aber hat die einmal begangene Sünde den Menschen zudem der natürlichen Verderbnis preisgegeben (Kap. 7 etc.). Dies erst macht die Ankunft des Sohnes Gottes erforderlich; aus dem Todesverderben zu erretten, ist mithin sein vorrangiges Werk. Um dieses Werk vollziehen und durch sein eigenes Sterben den Tod überwinden zu können, nimmt der an sich selbst körperlose, unverwesliche und immaterielle Logos einen sterblichen Leib an. Die soteriologische Funktion seines schließlichen Sterbens ist es, den Tod aller in seinem Leibe zu integrieren, um dadurch die Macht des Todes zu erschöpfen, die Vergänglichkeit aller zu überwinden und sie zur Teilhabe an der Herrlichkeit seiner Auferstehung zu führen (Kap. 8–10). Ergänzt wird diese Argumentationsfolge durch Bemerkungen zur Eigentümlichkeit der Todesart Jesu Christi. So sei der öffentliche und gewaltsame Charakter des Kreuzestodes angemessener gewesen, die Stärke des Logos zu erweisen, als etwa ein durch Krankheit oder Alter herbeigeführtes Sterben (Kap. 20–25). Nachdem ein zweiter Beweisgang die Notwendigkeit der Erlösung zur Erneuerung der Gotteserkenntnis erwiesen hat (Kap. 11– 19), schließt die Untersuchung von Athanasius mit einem Tatsachenbeweis für Tod und Auferstehung Christi (Kap. 26–32) und einer umfangreichen Widerlegung von Einwendungen seitens der Juden und Griechen (Kap. 33–57). Eine entsprechende Tendenz wie bei Athanasius ließe sich im Übrigen schon in der Rekapitulationstheorie von Irenäus nachweisen; auch bei ihm ist die Soteriologie auf die Wiederherstellung einer von keinem Tod und keinem Verderben gekennzeichneten Schöpfungsursprünglichkeit bezogen, wie sie mit der Inkarnation des Logos statthat. Anders stellt sich das Heilswerk bei Anselm dar. Nicht das Problem der Vergänglichkeit, sondern das der Sünde bildet das Zentrum seiner Konzeption. Diese Sicht ist bestimmend für die ganze westliche Tradition. Im Anschluss an das Beispiel Tertullians expliziert sich die römisch-lateinische Soteriologie bekanntlich von Anfang an mit Vorliebe in ethischen und rechtlichen Kategorien. Im Zentrum des Heilsinteresses steht entsprechend die Überwindung der Sündenschuld. Dabei wird unter dem Einfluss der Vorstellungskategorien des Bußinstituts und des eucharistischen Messopfers dem Tode Jesu Christi die Funktion sakrifizieller Rekonziliation zugedacht. In dieser Gestalt konnte sodann Augustins Soteriologie als

336 Cur Deus homo: zur altkirchlichen, mittelalterlichen und reformatorischen Soteriologie Bindeglied zwischen Antike und Mittelalter fungieren, um schließlich in Anselms Satisfaktionstheorie aufgehoben zu werden. Gegenüber dem altkirchlichen Typ der Soteriologie, der das Erlösungswerk Christi als einen siegreichen Befreiungskampf gegen die Verderbensmächte darstellt, erweist sich Anselms Lehre als eindeutiger – freilich durch die gesamte bisherige westliche Tradition vorbereiteter – Neuansatz. Das zeigt sich nicht zuletzt an dem singulären Heilswert, der dem Tod Jesu Christi weit über altkirchliche Ansätze hinaus beigemessen wurde. Der Inkarnationsgedanke beschreibt eine äußere Voraussetzung, welche im Leiden und Sterben Jesu Christi ihren inneren Grund hat. Denn nicht mehr auf Erlösung und physische Vergottung, sondern auf die Vergebung der Sünde ist jetzt das Heilsinteresse vor allem ausgerichtet. Will man sich einer in der Dogmengeschichtsschreibung gebräuchlichen Gegenüberstellung bedienen, wird man die altkirchliche Soteriologie als Erlösungslehre, die Anselm’sche hingegen als Versöhnungslehre zu bezeichnen haben (vgl. Aulen). Nachdem Anselm in einigen Kapiteln eine allgemeine Einleitung zur Sache gegeben und die Anselms Versöhnungslehre Zweifel der Ungläubigen angeführt hat (I, 1–10), die hier wie auch ansonsten von seinem Gesprächspartner Boso vertreten werden, eröffnet er sein Werk „Cur Deus homo“ mit einer förmlichen Bestimmung der Begriffe „peccare“ und „pro peccato satisfacere“ (I, 11). Das Unwesen der Sünde besteht darin, dass die vernunftbegabte Kreatur sich nicht dem Willen Gottes unterwirft und ihm damit die gebührende Ehre (honor) entzieht (I, 11). Nun ist Gottes Ehre zwar an sich unveränderlich vollkommen, so dass ihr grundsätzlich nichts genommen werden kann (I, 14f ). Was durch die Sünde verletzt wird, ist primär die Ordnung des Universums. Da diese aber von Gott zwar zu unterscheiden, nicht aber zu trennen ist, bleibt Gottes Ehre von deren Durchbrechung nicht unberührt (I, 15). Daraus ergibt sich die Frage nach möglichen Reaktionen Gottes auf die Sünde. Sie „sola misericordia, sine omni solutione“ (I, 12) nachzulassen, wäre gänzlich unangemessen; denn Gott geziemt es nicht, etwas ungeordnet zu lassen in seinem Reich („aliquid inordinatum in suo regno dimittere“ [I, 12]). Das Übergehen der Sünde würde außerdem Recht und Unrecht für gleich-gültig erklären und die Gesetzlosigkeit befördern. Dem kann auch der Verweis auf den freien göttlichen Willen nichts entgegensetzen: denn der Wille Gottes ist als ständig eins zu denken mit seinem gerechten Wesen. So wenig es Gott zukommt, eine Lüge zu sagen, so wenig kann er die Strafe ohne Ersetzung dem Sünder erlassen. Er würde seine Ehre, mithin sich selbst verlieren, wollte er auch nur die geringste Übertretung seiner Gesetze hingehen lassen (I, 15). Die Sünde darf somit um Gottes und der Ordnung seines Reiches willen nicht ohne Folgen sein. Es bleibt nur die Alternative: „aut poena aut satisfactio“ (vgl. I, 13, 15, 19). Die Bestrafung der Sünde müsste der unendlichen Verschuldung wegen die völlige Vernichtung des sündigen Menschengeschlechts bedeuten. Gott hingegen beabsichtigt nicht nur, die gefallenen Engel durch Menschen zu ersetzen (I, 16– 18); die „intentio dei qua hominem fecit“ (I, 16) hat zudem immer schon, wie

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Anselm ausdrücklich voraussetzt, die beatitudo zum Ziel des Menschen bestimmt. Die Bestrafung der Sünde, die an sich ein durchaus adäquates Mittel zur Wiederherstellung der Ehre Gottes darstellen würde, weil es keinen Unterschied macht, ob der Sünder „sponte solvit quod debet, aut deus ab invito accipit“ (I, 14), scheidet somit als sinnvolle Reparationszahlung aus, weil sie dem göttlichen Heilsplan zuwider ist. Die Möglichkeit der Sündentilgung ist damit auf die Genugtuung eingeschränkt. Dem entehrten Gott muss Satisfaktion geleistet werden, indem das geraubte Rechtsgut durch eine äquivalente Leistung ersetzt wird: „secundum mensuram peccati oportet satisfactionem esse“ (I, 20). Dabei gehört zum vollgültigen Ersatz neben der Restitution der entzogenen Ehre auch die Wiedergutmachung der Beleidigung, die mit dem Entzug der Ehre immer schon gegeben ist, da diese ein persönliches Rechtsgut darstellt (I, 11). Es versteht sich von selbst, dass der sündige Mensch nicht in der Lage ist, den verursachten Schaden abzugelten. Denn alles, was er ist und vermag, schuldet er Gott ohnehin pflichtmäßig, ganz abgesehen davon, dass er zur Versöhnung Gottes etwas Größeres beizubringen hat als dasjenige, um dessentwillen er die Sünde nicht hätte begehen dürfen (I, 21), womit gesagt ist: der Mensch muss zu seiner Entsündigung Gott Göttliches erstatten. Das aber vermag nur der Mensch, der selbst Gott ist, der Gottmensch. Damit ist gegen Ende des I. Buches implizit bereits die Notwendigkeit der Inkarnation apagogisch erwiesen. Im 6. und 7. Kapitel des II. Buches wird dieses Ergebnis ausdrücklich bestätigt. Zum einen gilt, dass die durch Menschen vollbrachte Schuld allein von einem Menschen gesühnt werden kann (II, 7); andererseits muss Gott für die Sünde der Menschen etwas Größeres gegeben werden als alles, „quod praeter deum est“ (II, 6): „Nihil autem est supra omne quod deus non est, nisi deus.“ (II, 6) Das Versöhnungswerk kann daher nur von einer Person vollbracht werden, die göttliche und menschliche Natur in sich vereint und Gott und Mensch in hypostatischer Union zugleich ist: Jesus Christus. Ist das Dass der Inkarnation, deren impliziten Voraussetzungen das christologische Dogma bedenkt, somit erwiesen, so verbleibt zur Klärung ihres soteriologischen Sinnziels nur noch die Frage, welches Werk der Gottmensch zu erbringen hat, um die nötige Satisfaktion zu leisten. Dabei ist zu bedenken, dass Jesus Christus wie alle vernünftige Kreatur, Gott den Gehorsam seines Lebens schuldet. Zu sterben hingegeben ist er wegen seiner Sündlosigkeit nicht verpflichtet (II, 10f.). Mit dem freiwilligen Tod des Gottmenschen ist somit eine Satisfaktion geleistet, die aufgrund der Würde seiner Person unendlichen Wert hat. Diese einzigartige Tat kann Gott nicht unbelohnt lassen. Da aber der Gottmensch aufgrund seiner Vollkommenheit nichts bedarf, kann sein Verdienst (meritum) den Menschen zugute kommen und ihre Sünden aufwiegen. Der Tod des Gottmenschen ist mithin der einzige zureichende Grund zur Rettung der Menschen. Über die geistesgeschichtlichen Hintergründe der in ihren Grundzügen skizzierten Soteriologie Satisfactio und honor Anselms werden in der Forschung keine einheit-

338 Cur Deus homo: zur altkirchlichen, mittelalterlichen und reformatorischen Soteriologie lichen Auffassungen vertreten. Die Kontroverse betrifft u.a. die Herkunft und Bedeutung der Formel „aut poena aut satisfactio“ (vgl. I, 11. 13–15. 29–23). Während die eine Seite im Anschluss an Hermann Cremer germanische Rechtstraditionen (Wergeld etc.) bemüht, um die sachliche Unterscheidung von Strafe und Genugtuung zu begründen, führt sie die andere Seite, der etwa Adolf von Harnack oder Friedrich Loofs angehören, auf die ans römische Recht anschließende altkirchliche Bußdisziplin zurück, dergemäß überpflichtige Leistungen ein meritum begründen und Satisfaktion als Strafersatz zu erbringen vermögen. Wie immer man über die traditionelle Herkunft seiner Konzeption urteilen will, sachlich eindeutig ist, dass Anselm den Tod Jesu Christi eher als tätig erbrachte Äquivalenzleistung für menschliche Sünde denn als zu erleidende Strafe im eigentlichen und strengen Sinne des Begriffs interpretiert. Selbst wenn der Begriff der satisfactio nicht lediglich auf einen Schadenersatz, sondern auf eine, wenn man so will, Ersatzstrafe hindeutet, ist diese doch von der Art, dass ihr pönaler Leidens- hinter ihrem aktiven Leistungscharakter zurücktritt. Dabei wird man allerdings in Rechnung stellen müssen, dass die von Jesus Christus aktiv erbrachte Genugtuungsleistung nicht bloß dinglicher, sondern persönlicher Natur insofern ist, als sie das Leben des Gottmenschen betrifft. Die satisfaktorische Gabe ist Selbsthingabe. Neben dem Begriff der Satisfaktion in seinem Verhältnis zu demjenigen der Strafe war auch der theologische Ehrbegriff (honor) Anselms Gegenstand anhaltender Forschungskontroversen. Bestimmt der Autor von „Cur Deus homo“ das Gott-Mensch-Verhältnis primär privatrechtlich oder im Wesentlichen nach Maßgabe von Kategorien des öffentlichen Rechts? A. Ritschl und A. v. Harnack etwa halten die mittelalterliche Vorstellung der Standesehre für ausschlaggebend. Danach gleiche Gott einem hochgestellten mächtigen Privatmann, dessen Ehrverletzung als Persönlichkeitsbeleidigung zu betrachten und zu ahnden sei. Zwar berücksichtigt namentlich Ritschl durchaus auch Herrschermomente im Anselm’schen Begriff der Ehre Gottes; sie erscheinen ihm allerdings eher als Zusatz. Demgegenüber haben beispielsweise I. A. Dorner, R. Seeberg und R. Herrmann nachdrücklich betont, dass Anselms Begriff der göttlichen Ehre primär nicht auf Privatehre, sondern auf Majestätsehre abhebe. Der Gott Anselms sei demnach „weder ein mächtiger Privatmann noch auch bloß der Fürst über den gewaltigen Staat der zur ewigen Seligkeit bestimmten Engel und Menschen, sondern ... vor allem der Schöpfer der Welt und der Menschheit“ (Herrmann, 377). In der Tat dürfte diese Interpretation den Intentionen Anselms am nächsten kommen, auch wenn sich gegenläufige Tendenzen nicht leugnen lassen. Bezeichnet der Anselm’sche Begriff der göttlichen Ehre aber primär die Majestätsehre des Schöpfergottes, so impliziert er zugleich die Notwendigkeit des göttlichen Eintretens für die gleichsam öffentlich-rechtliche Bestandserhaltung und Durchführung des rerum ordo. Die Rücksicht auf die Ordnung in seinem Reich kann mithin Gottes Gottheit nicht äußerlich sein. Unter dieser Voraussetzung lässt sich am ehesten eine Lösung des strittigen Problems finden, ob die Ehre Gottes durch die Sünde tatsächlich oder nur scheinbar

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verletzt ist. Schon F. C. Baur meinte ein Schwanken Anselms in dieser Frage konstatieren zu müssen; Harnack hat sich dieser Kritik angeschlossen. Die Verteidiger Anselms behalfen sich demgegenüber mit der Unterscheidung einer immanenten und transeunten bzw. subjektiven und objektiven Ehre Gottes. „Danach kann die immanente Ehre, die Ehre Gottes an sich, nicht verletzt werden, wohl aber die transeunte Ehre, indem die Kreatur Gott den schuldigen Gehorsam versagt und so die Ordnung des Alls zu zerstören droht.“ (Kopf, 19) Richtig an dieser Unterscheidung ist, dass sie an zwei für Anselm gleichwesentlichen theologischen Überzeugungen festhält, nämlich einerseits an dem Gedanken völliger göttlicher Selbstgenügsamkeit, zum anderen an der in seiner Gottheit selbst begründeten Beziehung Gottes zur Welt. Gott ist als Gott Garant der Ordnung der Welt. Insofern beschreibt der Anselm’sche Begriff der göttlichen Ehre eine in sich differenzierte Einheit, die keine Begriffsspaltungen zulässt. Gottes Ehre ist mithin nie ein bloß privates Gut, sondern als unveräußerliches göttliches Eigentum immer zugleich Inbegriff jener Gerechtigkeit, zu welcher die Welt durch die Ordnung des Gesetzes bestimmt ist. Von daher versteht sich allererst die immer wieder zu Recht betonte Abgründigkeit des Anselm’schen Sündenverständnisses; der Abfall des Menschen von seiner schöpfungsmäßigen Bestimmung und der gesetzten Ordnung der Welt ist als solcher Auflehnung gegen Gott und Ungehorsam gegen den Herrn aller Dinge. Dass Gott die Sünde nicht auf sich beruhen lassen und in diesem Sinne „sola misericordia“ vergeben kann, geht aus der theologischen Wahrnehmung ihrer Abgründigkeit notwendig hervor. Als in der necessitas immutabliltatis göttlichen Wesens begründet kann der theologische Rechtsgrundsatz „aut poena aut satisfactio“ daher als eine konsequente Folge göttlicher Gerechtigkeit und insofern nach Urteil Anselms sola ratione bzw. remoto Christi begriffen werden. Dies gilt entsprechend auch für die Notwendigkeit der Inkarnation. Deren Tatsächlichkeit führt Anselm zwar auf Gottes freien Willen zurück, der keinerlei Zwangsnotwendigkeit unterliegt. Gleichwohl hat der die Faktizität der Inkarnation begründende freie Wille Gottes als vernünftig erfassbar zu gelten, insofern er mit dem Wesen des Schöpfers übereinkommt, der dasjenige, was er erschaffen hat, auch unter den Bedingungen der Sünde erhalten möchte, ohne von seiner Gerechtigkeit Abstand zu nehmen. Aus dieser Konstellation ergibt sich nach Anselm die theologische Notwendigkeit des göttlichen Akts der Inkarnation mit jener folgerichtigen Konsequenz, die dieser Notwendigkeit entspricht. Um erneut auf den Gehalt des Heilswerkes Christi zurückzukommen, so ist die entscheiden- Donum superaditum de Frage, worin der äquivalente Ersatz besteht, der Genugtuung für die menschliche Sünde bewirkt und deren Bestrafung verhindert. Die Schwierigkeiten, die sich in diesem Zusammenhang ergeben, betreffen zunächst den Begriff der überpflichtigen Leistung, welche das Sterben des Gottmenschen darstellen soll. Vorausgesetzt ist die Möglichkeit einer ungeschuldeten Tat, welche der Verbindlichkeit des göttlichen Gesetzes nicht unterliegt und des-

340 Cur Deus homo: zur altkirchlichen, mittelalterlichen und reformatorischen Soteriologie halb das meritum eines opus supererogationis zu begründen vermag. Gegen die sittliche Zulässigkeit dieser Voraussetzung wurden immer wieder Bedenken geäußert, welche den Gedanken einer Überpflichtigkeit des Sterbens Christi und damit den formalen Rahmen der Anselm’schen Theorie in Frage stellten. Insofern die Lebenshingabe Christi als Menschenwerk zu betrachten ist, wird man diesem Einwand recht geben müssen, da es Handlungen, zu welchen der Mensch sittlich befähigt, aber nicht verbindlich verpflichtet ist, im moralisch strengen Sinne nicht geben kann. Anders stellt sich die Angelegenheit dar, wenn der Tod Christi nicht lediglich als Menschenwerk, sondern als richtende und rettende Tat Gottes begriffen wird, die den Rahmen von Sitte und Recht transzendiert, ohne ihn aufzulösen. Doch ist der Begriff des überpflichtigen Werkes zu unbestimmt, um dieser Einsicht angemessenen Ausdruck verschaffen zu können. Eine weitere Schwäche der Anselm’schen Theorie besteht darin, dass er nicht nur die formale Gestalt, sondern auch den materialen Gehalt seines christologischen Satisfaktionsbegriffs nicht eindeutig zu bestimmen vermag. Zu verzeichnen ist ein Schwanken zwischen äußerlicher Ersatzleistung und persönlicher Selbsthingabe und im Zusammenhang damit eine Unsicherheit, ob die durch satisfactio geleistete Erfüllung obligatorischer Verpflichtung lediglich Strafersatz oder nicht doch auch eine spezifische Form der Straferduldung ist. Man wird nicht leugnen können, dass die Anselm’sche Soteriologie trotz gegenläufiger Motive aufs Ganze gesehen dazu tendiert, den Gedanken eines durch die verdienstliche Leistung eines opus supererogatorium zu erbringenden Strafersatzwerkes in den Vordergrund zu stellen. Christi Satisfaktionswerk hebt die göttliche Sündenstrafe in der Weise des Ersatzes, nicht in der Weise des manifesten Vollzugs derselben auf. Der Gedanke eines persönlichen Ertragens des göttlichen Schuldfluchs und eines innersten Erduldens des Zornes Gottes durch Christus fehlt in Anselms Versöhnungslehre. Deshalb kann von einem Strafleiden Christi im strengen Sinne nicht die Rede sein. Der Tod des Gottmenschen ist für diesen keine zu erleidende Strafe, sondern im Wesentlichen eine selbsttätige Leistung. Der Verdrängung der poena durch den Satisfaktionsgedanken entspricht, dass die Passivität des Versöhners tendenziell zum bloßen Moment seiner Aktivität herabgesetzt wird. Dieser Sachverhalt wirkte sich schließlich auch auf das von Anselm freilich nur am Rande (II, 19f.) behandelte Problem der Zueignung von Christi Werk an die Menschen aus. Denn sofern Christus die Sündenstrafe bzw. Strafschuld des Menschen am Kreuz nicht an sich selbst erleidet, vielmehr Gott eine zum Äquivalent erklärte Ersatzleistung erbringt, gelangt Anselms Lehre von der Heilszueignung nicht zum Gedanken einer durch reale Stellvertretung bestimmten Mittlerschaft des Gottmenschen, sondern neben der Statuierung einer Vorbildfunktion Christi nur zu der Annahme einer dem Menschen zugute kommenden Übertragung seiner überpflichtigen meritorischen Leistung. Dass an solcher Übertragung haftende Moment der Äußerlichkeit lässt fraglich werden, ob man in ihrem Zusammenhang der heilsamen Rettung aus dem Unheil der Sünde angemessen inne werden kann. In verdichteter Form treten die benannten Probleme erneut hervor, wenn man

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zuletzt nach der Verfassung der Person, die das soteriologische Werk vollbringt, und damit nach der Anselm’schen Rezeption der traditionellen Lehre von den zwei Naturen Jesu Christi fragt. Dabei scheint der Blick auf das Gesamtwerk zunächst einen ambivalenten Befund zu ergeben. Während nach „Cur Deus homo“ durchweg die „persona Christi“ handelt, wird sie in der XI. Meditation (De redemptione humana) nur beiläufig erwähnt. Der Akzent liegt nun ganz auf dem Handeln der menschlichen Natur: „Dedit itaque humana natura Deo in illo homine sponte et non ex debito quod suum erat, ut redimeret se in aliis, in quibus quod ex debito exigebatur, reddere non habebat.“ (MPL 158, Sp. 766, Z. 3ff.) Das Zitat zeigt bereits, dass der Betonung der menschlichen Natur ein ausgeprägter Dyotheletismus korrespondiert, der den Unterschied menschlichen und göttlichen Willens weitaus stärker akzentuiert als die in der Person Christi gegebene Einheit. Entsprechendes ist für „Cur Deus homo“ vorauszusetzen, auf wenn dort „antiochenische“ Tendenzen nicht so offen zutage treten wie in der XI. Meditation. Sachlich jedenfalls bildet ein betont auf christologische Unterscheidung göttlichen und menschlichen Willens angelegter Dyotheletismus die Voraussetzung der die Versöhnungslehre bestimmenden Annahme Anselms, das Sterben Jesu sei freiwillig erbracht im Sinne einer ungeschuldeten bzw. überpflichtig-meritorischen Leistung. Man wird also auch in „Cur Deus homo“ davon ausgehen können, dass eigentlich nicht die gottmenschliche Person, sondern die menschliche Natur des Gottmenschen das Handlungszentrum des Versöhnungswerkes ausmacht. Tatsächlich wird der unio personalis nur die Funktion zugedacht, den Wert der menschlichen Natur Jesu Christi bzw. den Wert des von ihr erbrachten Heilswerkes unendlich zu potenzieren. Die Erlösungstat selbst wird im Grunde ausschließlich von der menschlichen Natur, näherhin vom menschlichen Willen Christi vollbracht. Für die folgende mittelalterlich-scholastische Versöhnungslehre wurde Anselms Satisfaktionstheorie vor allem in dieser Form bestimmend. An der Tatsache, dass Anselms SatisfaktionsAbaelard, Thomas und theorie spätestens seit Beginn des 13. Jahrhun- Duns Scotus derts für die westliche Theologiegeschichte zur klassischen Interpretation des Todes Christi wurde, konnte auch sein später Zeitgenosse und Antipode Petrus Abaelard (1079–1142) nichts ändern, der mit Anselm zwar in der vorbehaltslosen Leugnung eines Anrechts des Teufels auf den Menschen übereinstimmte, den Kreuzestod Christi daraufhin aber als die exemplarische und vollendete Offenbarung der am gesamten Auftreten Christi in Erscheinung tretenden Liebe Gottes interpretierte, durch welche des Menschen Gegenliebe erweckt und so die Sünde vertrieben wird: „Justior quoque, id est, amplius Dominum diligens quisque fit post passionem Christi quam ante, quia amplius in amorem accendit completum beneficium quam speratum. Redemptio itaque nostra est illa summa in nobis per passionem Christi dilectio, quae nos non solum a servitute peccati liberat, sed veram nobis filiorum Dei libertatem acquirit; ut amore ejus potius quam timore cuncta impleamus, qui nobis tantam exhibuit gratiam, qua major inveniri, ipso attestante, non potest ...“ (Abaelard, 207) Die göttliche

342 Cur Deus homo: zur altkirchlichen, mittelalterlichen und reformatorischen Soteriologie Gerechtigkeit kommt bei Abaelard nur insofern in Betracht, als Christus durch sein Verdienst die menschliche Unzulänglichkeit nachträglich ergänzt und fürbittend bei Gott zu des Menschen Gunsten eintritt. Von einer Gott notwendig zu leistenden Satisfaktion kann jedenfalls keine Rede sein. In neueren Zeiten sollte Abaelards Auffassung eine Reihe bedeutender Anhänger finden. Im Mittelalter hingegen blieb Anselm dominierend, wenn auch mit gewissen Modifikationen. Dass dezidiert die menschliche Natur bzw. der menschliche Wille Jesu Christi zum Subjekt des Versöhnungswerkes erklärt wurde (wenngleich im Sinne eines instrumentum coniunctum divinitatis), entsprach noch durchaus der Tendenz in Anselms eigener Entwicklung. Das Sterben Christi gilt als eine freiwillige, aktive und verdienstliche Sühneleistung Gott gegenüber. In diesem Sinn heißt es bei Thomas (1225–1274): „passio Christi fuit sacrificii oblatio, in quantum Christus propria voluntate mortem sustinuit ex caritate.“ (STh III q 47 a 4 ad 2) Dieser Bestimmung korrespondiert der Opferbegriff in seiner allgemeinen Fassung, wie sie ebenfalls bei Thomas klassischen Ausdruck gefunden hat: „sacrificium proprie dicitur aliquid factum in honorem proprie Deo debitum, ad eum placandum.“ (STh III q 48 a 3) Schwerwiegender war indes eine andere Akzentverschiebung: Schon Petrus Lombardus (ca. 1100–1160) und dann Bonaventura (1221–1274) hatten die Anselm’sche Behauptung logischer Notwendigkeit der Inkarnation abgemildert. Entsprechend rückt auch Thomas von der Behauptung absoluter Vernunftnotwendigkeit der Menschwerdung ab: „... Deum incarnari non fuit necessarium ad reparationem humanae naturae. Deus enim per suam omnipotentem virtutem poterat humanam naturam multis aliis modis reparare“ (STh III q 1 a 2 corp). Der thomasische Satisfaktionsgedanke beansprucht deshalb nur noch bedingte, nicht mehr metaphysische Notwendigkeit. Im Gegensatz zu Anselm gesteht Thomas zu, Gott hätte den Menschen auch sola misericordia erlösen können, ohne gegen seine Gerechtigkeit zu verstoßen. Denn die iustitia dei hängt von der göttlichen voluntas ab (iustitia dependet ex voluntate divina [STh III q 46 a 2 ad 3]). Die Unterschiede in der Beurteilung der Notwendigkeit von Inkarnation und Satisfaktion lassen sich auf Modifikationen im Gottesgedanken, nämlich auf eine dergestalte Differenzierung von Wesen und Willen Gottes zurückführen, wie sie Anselm so nicht kannte. Bei Thomas nimmt demgemäß die von Anselm durchaus geteilte Formel, die Menschwerdung sei nötig, insofern sie Gott will, eine die metaphysische und mithin auch die Vernunftnotwendigkeit des Inkarnationsgedankens einschränkende Bedeutung an. Daraus erklärt sich des Weiteren, dass Thomas in der Bestimmung der Satisfaktionsleistung Christi von der strengen Äquivalenzlogik Anselms abrückt. Duns Scotus (1270–1308) endlich treibt die Kritik an der ratio necessaria Anselm’scher Versöhnungstheorie in die Konsequenz und entwickelt seine Versöhnungslehre durch alle ihre Momente hindurch aus dem Prinzip der potentia absoluta Gottes. Demnach besitzt auch das Verdienst Christi – da von seiner menschlichen Natur erbracht und mithin endlich – unendlichen Wert nur durch die freie Akzeptation Gottes. Sosehr damit die Gewichte

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Anselm gegenüber verlagert sind, so ändert dies doch nichts daran, dass Duns typologisch betrachtet in dessen Tradition gehört: Das Werk Christi stellt sich auch für ihn dar als eine verdienstliche Ersatzleistung, die Gott, um die Sündenschuld des Menschen zu tilgen, von der menschlichen Natur bzw. dem menschlichen Willen des Mittlers erbracht wird. In seinem 1930 in schwedischer Sprache erschienenen Werk über die Geschichte des christlichen Versöhnungsgedankens, das unter dem programmatischen Titel „Christus Victor“ in einer französischen und einer englischen Übersetzung vorliegt, hat der Lunder Theologe G. Aulen drei prominente Soteriologietypen unterschieden: den klassischen, den lateinischen und den sog. subjektiven Typ. Während der klassische Typ das Heilswerk Christi als Erlösungssieg über die Verderbensmächte Tod und Teufel darstelle, gelte dem lateinischen – exemplarisch durch Anselm repräsentierten – Typ die Versöhnung als stellvertretende Genugtuungsleistung Christi an die göttliche Gerechtigkeit. Der sog. subjektive Typus der Aufklärung und der liberalen Theologie hinwiederum sei soteriologisch an der Erkenntnis der von Christus verkündigten unveränderlichen Liebe Gottes zu den Menschen orientiert und habe in Abaelard einen unzeitgemäßen Vorläufer gefunden (vgl. im Einzelnen Wenz, Versöhnungslehre). Was Luther anbelangt, so stellt nach Aulen die Lehre des Reformators vom Zorn Gottes über die Sünde lediglich ein Moment einer umfassenden Christus-Victor-Theologie dar, deren kosmischdualistische Kampfperspektive ihn eindeutig als Vertreter des klassischen Versöhnungstyps qualifiziere, wie er nicht nur für die Alte Kirche charakteristisch sei, sondern auch für die Gegenwart die meiste Aktualität beanspruchen könne. Melanchthon und die Theologen der altlutherischen Orthodoxie werden hingegen als Repräsentanten einer juridischen Denkweise charakterisiert, die sich grundsätzlich auf einer Linie mit Anselm von Canterbury befinden. Aulens Lutherdeutung blieb auch innerhalb der skandinavischen Forschung nicht unbestrit- Luthers Soteriologie ten. Nachhaltige Kritik hat sein Ansatz vor allem durch das Werk O. Tiililäs über „Das Strafleiden Christi“ erfahren. Im Anschluss an Arbeiten E. Vogelsangs zur Christologie Luthers hat Tiililä überzeugend klargestellt, dass die Versöhnungslehre des Reformators durchaus in den Zusammenhang der lateinischen Tradition gehört. Zentral sei für ihn – so Tiililä – nicht die Vorstellung eines kosmischen Erlösungsdramas dualistischer Prägung, sondern der Gedanke versöhnender Überwindung göttlichen Zorns über die selbstverschuldete Sünde des Menschen. Zwar übernehme Luther nicht einfach die Anselm’sche Satisfaktionstheorie; dennoch folge seine Versöhnungslehre dezidiert dem Gedanken der Selbstverwirklichung göttlicher Gerechtigkeit und Heiligkeit. Dies zeige sich u.a. daran, dass bei Luther wie bei Anselm dem Tode Christi ein spezifischer und unüberbietbarer Heilswert beigemessen werde, wie ihn die Alte Kirche so nicht kenne. Während der Inkarnationsgedanke die äußere Voraussetzung der Versöhnung darstelle, finde diese im Leiden und Sterben (und in der Auferstehung) Jesu Christi ihren inneren Grund. Dem entspreche, dass das primäre Heilsinteresse

344 Cur Deus homo: zur altkirchlichen, mittelalterlichen und reformatorischen Soteriologie nicht auf Vergottung, sondern auf die Vergebung der Sünde gerichtet sei, welche allerdings nicht weniger als Leben und Seligkeit mit sich bringe. Zentralthema der Soteriologie Luthers ist die am Kreuz Jesu Christi vollbrachte Versöhnung als Sühnung der Sündenschuld. Darin ist Tiililä gegen Aulen eindeutig recht zu geben. Bewegt sich Luther in dieser Hinsicht entschieden auf abendländischer Grundlage und im Traditionszusammenhang des Anselmismus, so versteht er im Unterschied zu diesem das Leiden und Sterben Jesu Christi als wirkliche Übernahme der göttlichen Sündenstrafe. Obwohl auch er das Wort satisfactio oder Genugtuung häufig verwenden kann, soll darunter nicht lediglich ein Strafersatz oder ein Tauschakt verstanden werden, welcher die Tilgung von Schuld mit der Behebung eines Sachschadens verwechselt. Der Übertretung des göttlichen Gesetzes kann vielmehr allein dadurch Genüge geschehen, dass persönliche Strafe erduldet wird. Damit ist in der Tat jede – wenn man sie so nennen will – juridisch-legalistische Äußerlichkeit zurückgewiesen, ohne dass freilich der Rechtsgedanke selbst verabschiedet wäre, der im Gegenteil zutiefst verinnerlicht wird. Dies zeigt sich in äußerster Zuspitzung dort, wo Luther lehrt, Christus habe wirklich die Stellung des Schuldigen eingenommen und mithin verdiente Strafe erlitten. Nicht als innerlich unbeteiligter Träger der Sünde sei er vorzustellen, vielmehr als der, welcher selbst zur Sünde und zum Fluch geworden sei und alle Schrecken der Schuld bis zur resignatio ad infernum an sich selbst erduldet habe. So wird an Christi Kreuzesnot, die ihn in die Finsternis der Gottverlassenheit und der Höllenqual hinabführt, der Gerichtsernst Gottes in einer Weise offenbar, die keine Steigerung mehr denken lässt. Die Möglichkeit, den Kreuzestod als eine verdienstliche Leistung des Menschen Jesus Gott gegenüber zu deuten, war damit grundlegend verschlossen. Er konnte einzig als ein von Gott verhängtes, von Jesus zu erleidendes „Geschick“ verstanden werden. Die Anschauung des Kreuzes bestätigte Luther somit endgültig die Unmöglichkeit einer Gerechtigkeit durch Werke. Sie musste ihn aber solange nur noch tiefer in die Anfechtung führen, bis er im Bild des Gekreuzigten die wunderbare Einheit von Zorn und Liebe jenes Gottes erkennen lernte, der durch das fremde Werk der mortificatio die vivificatio bewirkt. Mit dieser Einsicht ist die reformatorische Grunderkenntnis, das neue Verständnis der iustitia dei gegeben. Man hat die Christologie Luthers eine „Christologie der Alleinwirksamkeit Gottes“ (Y. Congar u.a.) genannt. In der Tat ist Jesus der Gerechte Gottes für ihn nicht kraft eigenmächtiger Aktivität, sondern dadurch, dass er selbst zu einem Nichts wird und so Gott in seinem verwerfenden Gericht ganz recht gibt. Die Wirksamkeit Christi ist mithin einzig vom Wirken Gottes her zu verstehen; dieser ist und bleibt alleiniges „Subjekt“ des Versöhnungsgeschehens. Nicht umsonst hat man in reformatorischer Tradition deshalb lieber vom Amte als vom Werke Christi gesprochen. Für Luther selbst folgt aus dieser Perspektive, dass er die überkommenen Interpretamente des Kreuzestodes, wo er sie nicht verwirft, weithin mit ganz neuartiger Bedeutung versieht. Zum Satisfaktionsbegriff wurde bereits das Nötige gesagt. Wie dieser darf auch der Begriff des Sühneopfers nicht im Sinne einer dar-

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gebrachten Leistung verstanden werden, durch welche mittels Entschädigung eine Gesinnungsänderung Gottes herbeigeführt werden soll. Das sacrificium propitiatorium, welches das Kreuzesopfer Jesu Christi auch nach lutherischer Lehre ist, darf keinesfalls nach der Logik des „do ut des“ als Abgelten verstanden werden, der zufolge von menschlicher Seite Gott etwas dargebracht wird, um ihn günstig und gnädig zu stimmen. Gott ist es, der allein das ihm dargebrachte Opfer der Versöhnung zu unserem Heile wirksam werden lässt. Die richtige These von der aus dem Grundsatz der Alleinwirksamkeit Gottes entwickelten Christologie und Versöhnungslehre des Reformators darf allerdings nicht zu dem Missverständnis führen, als bliebe nach Luther Gott vom Leiden und Sterben Jesu unberührt. Gott ist nicht so Subjekt des Versöhnungsgeschehens, dass er Jesus zum bloßen Objekt seines Tuns herabsetzen würde. Es zählt vielmehr zu den gewissen Überzeugungen Luthers, dass sich im Sterben dieses Menschen Gott selbst ins Elend begibt. Zu Luthers „theologia crucis“ gehört somit das Bekenntnis zur unauflöslichen Personeinheit von Gott und Mensch in Jesus Christus untrennbar hinzu: „Nein geselle, wo du mir Gott hinsetzest, da mustu mir die menscheit mit hin setzen, Sie lassen sich nicht sondern und von einander trennen. Es ist eine person worden und scheidet die menscheit nicht so von sich, wie meister Hans seinen rock aus zeucht und von sich legt, wenn er schlaffen gehet.“ (WA 26, 333, 6–10) Von daher kann, ja muss Luther das „harte Wort“ vom Tode Gottes wagen: „Aber nu Gott und Mensch vereinigt ist in einer Person, so heissts recht Gottes tod, wenn der mensch stirbt, der mit Gott ein ding oder eine Person ist.“ (WA 50, 590, 20ff.) Die Einheit der beiden Naturen in Jesu Christi Person spricht also die der humana natura zukommenden Prädikate des Leidens und Sterbens auch dem fleischgewordenen Gott zu. Dementsprechend gilt: „Vere dicitur: Iste homo creavit mundum et Deus iste est passus, mortuus, sepultus etc.“ (WA 39 II, 93, 8f. These 4) Mit Formulierungen wie diesen wusste sich Luther zwar in Übereinstimmung mit der Trini- Tod Gottes tätslehre und dem christologischen Dogma der Alten Kirche, nicht jedoch mit der Auffassung der hypostatischen Union göttlicher und menschlicher Natur in der Person Jesu Christi, wie sie in der ockhamistischen Schultheologie seiner Zeit vertreten wurde. Ockham, d’Ailly und Biel hatten im Anschluss an Duns Scotus die hypostatische Unio als suppositale Union bestimmt gemäß der Formel: „natura humana sustentificatur a persona divina“ (W. Ockham, Opera theologica VI/9: Quaestiones in librum tertium sententiarum, q. 1 [Quinto]). Danach wird die ihrer selbständigen Subsistenz entledigte menschliche Natur von der außerhalb ihrer bestehenden göttlichen Person als ihrem suppositum angenommen und – so wie das Akzidens am selbständigen Subjekt (suppositum per se subsistens) in Erscheinung tritt – zur Einzelerscheinung erhoben (sustentari), ohne dabei selber personales Sein zu empfangen, was im Gegenteil ausdrücklich ausgeschlossen wird, „weil der menschlichen Natur nur ein geschaffenes und kein göttliches, ungeschaffenes Personsein angemessen ist“ (Schwarz,

346 Cur Deus homo: zur altkirchlichen, mittelalterlichen und reformatorischen Soteriologie 299). Die Trennung von ungeschaffenem und geschaffenem Sein erweist sich somit als das ontologische Prinzip, auf welchem die Interpretation der hypostatischen als suppositaler Union basiert, wie sich denn auch Biel ausdrücklich zu dem philosophischen Axiom bekennt: „(N)ulla proportio est finiti ad infinitum“ (Schwarz, 301). Luther hingegen sah durch solche philosophischen Vorurteile das wahre Menschsein Gottes in Jesus Christus doketisch aufgelöst und betonte in dezidierter Abwehr der Idee der suppositalen Union „mit Nachdruck die Einheit beider Naturen in der einen Person Christi“ (Schwarz, 303) resp. die „Einheit und Identität des personalen Seins von Gott und Mensch in Christus“ (Schwarz, 304). Die Unterscheidung des Unendlichen und des Endlichen als zweier disparater Größen gilt nicht mehr als unhintergehbares philosophisches Axiom, das die personale Union von Gott und Mensch beschränkt, sie dient vielmehr allein dem theologischen Ausdruck des Zusammenseins von Schöpfer und Geschöpf, wie der Glaube sie an der Person Jesu Christi wahrnimmt. Unbeschadet der Tatsache, dass „Luther zwischen Gott und Mensch einen noch größeren Abstand erblickt als zwischen dem Menschen und der übrigen Schöpfung, macht er doch an dem christologisch begründeten Satz ‚Deus est homo‘ keinerlei Abstriche“ (Schwarz, 343). Die Person Christi „ist in ihrer Existenz die Identität der beiden Naturen“ (Schwarz, 342). Diese in sich unergründliche personale Einheit von Gott und Mensch im Gottmenschen Jesus Christus ist für Luther dann auch der „Grund der communicatio idiomatum, einer Gemeinschaft, in welcher die göttliche und menschliche Natur in Christus wechselseitig am eigentümlichen Sein der Naturen teilhaben“ (Schwarz, 309). Ihr hat alle theologische Rede zu entsprechen. Während die ockhamistische Lehre von der communicatio idiomatum den durch die Idee der suppositalen Union abgesteckten Gedankenkreis nirgends überschreitet, so dass eine wirkliche Kommunikation der Eigentümlichkeiten der göttlichen und menschlichen Natur aufgrund eines identisch personierten Seins nicht statthat, ist nach Luther wegen der personal-identischen Existenz göttlicher und menschlicher Natur in Jesus Christus von Gott und Mensch in einer derart kommunikativen Weise zu sprechen, „daß in der christologischen Rede von Gott ganz wie vom Menschen und vom Menschen ganz wie von Gott gesprochen wird“ (Schwarz, 338). Zwar hält Luther, wie gesagt, an den Proprien der jeweiligen Natur und damit auch an ihrer Unterscheidung durchaus fest; jedoch soll dies die wechselseitige Aufgeschlossenheit und Durchdringung von Gott und Mensch in der Person Jesu Christi nicht nur nicht einschränken, sondern geradezu unterstreichen. Wie demnach die göttliche Natur an allen Eigentümlichkeiten der menschlichen teilhat, so partizipiert umgekehrt die menschliche Natur an allen idiomata der göttlichen. Im Blick auf das konkrete Personsein Jesu Christi gilt mithin die Sprachregel: „Ut ea, quae sunt hominis, recte de Deo et e contra, quae Dei sunt, de homine dicantur.“ (WA 39 II, 93, 6 ff.) Der christologischen Auffassung Luthers, die mit seiner Soteriologie und Versöhnungslehre untrennbar verbunden ist, wurde nicht nur von altkirchlicher und

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reformierter Seite heftig widersprochen, weil man durch sie die Unveränderlichkeit Gottes CA III und die beständige Differenz von Schöpfer und Geschöpf vernachlässigt glaubte. Sie traf auch in den eigenen Reihen auf kritische Zurückhaltung. Das ließe sich namentlich am Beispiel Melanchthons und der Philippisten nachweisen. Gleichwohl ist die Akzentsetzung innerhalb der Wittenberger Reformation im Wesentlichen im Sinne Luthers erfolgt. Das beweist, obwohl insbesondere Werk Melanchthons, nicht zuletzt die Confessio Augustana. Was in CA III pointiert hervorgehoben und als inkarnationstheologischer Skopus herausgestellt wird, ist die Einheit Christi (CA III,2: „unus Christus“; BSLK 54,7: „ein Christus“), in dessen – „einer“ (BSLK 54,6) – Person (CA III,2: „in unitate personae“) die zwei Naturen, die göttliche und die menschliche, „unzertrennlich vereiniget“ (BSLK 54,6; CA III,2: „inseparabiliter coniunctae“) sind. Dass hierauf und damit auf der Einheit des differenzierten Zusammenhangs von „vere Deus et vere homo“ (CA III,2; BSLK 54,7 f.: „ein Christus ..., welcher wahr Gott und wahr Mensch ist“) das Gewicht der inkarnationstheologischen Aussagen von CA III liegt, belegt im lateinischen Text die Einleitung der entsprechenden Aussagen durch ein markantes, an zentralen Stellen des folgenden Textes noch drei weitere Male begegnendes „ut“. Im Hintergrund der dezidierten Einheitschristologie der Augustana steht zweifellos die Auseinandersetzung mit dem Nestorianismus Zwinglis, auch wenn die Form der Darstellung in CA III eine gänzlich unpolemische und ausschließlich an der Übereinstimmung mit der altkirchlichen Orthodoxie interessierte ist. Die innerreformatorische Zwietracht in der Abendmahlslehre hatte bekanntlich auch zu Differenzen im Verständnis des Natur- und Personbegriff des christologischen Dogmas geführt. Dabei war der Vorwurf der Wittenberger Reformatoren gegen die Züricher, dass unter der metaphysisch begründeten Voraussetzung trennender Scheidung göttlicher und menschlicher Natur deren wirkliche Einheit in der Person Christi, von welcher die Theologie ihren Ausgang zu nehmen habe, heillos verkannt werde und verkannt werden müsse. Im dritten Schwabacher Artikel ist dies ausdrücklich angesprochen, wenn gesagt wird, „daß man nicht glauben noch lehren soll, daß Jesus Christus als der Mensch oder die Menschheit fur uns gelitten habe, sondern also: Weil Gott und Mensch hie nit zwo Person, sonder ein unzutrennliche Person ist, soll man halten und lehren, daß Gott und Mensch oder Gottes Sohn wahrhaftig fur uns gelitten hat“ (BSLK 55,25 ff. unter Verweis auf Röm 8,32 sowie 1. Kor 2,8 „und dergleichen Spruch mehr“; vgl. Marb 3: BSLK 55,36 ff.). Zwar ist dieser Satz in seiner kritischen Gestalt in CA III nicht erhalten geblieben; erhalten geblieben ist aber das dezidierte Bekenntnis zur „unzutrennliche(n)“ (BSLK 55,23.27) und „onzertrennte(n)“ (BSLK 55,36) Person Jesu Christi, in deren Einheit göttliche und menschliche Natur „unteilbar“ (BSLK 55,5), „unzertrennlich“ (BSLK 54,6), „inseparabiliter“ (CA III,2) vereint sind. Unterstrichen wird dieses Bekenntnis durch das zweimalige „idem“ (CA III,4.6; vgl. BSLK 54,13.23: „derselbig“), welches erneut die Identität und Selbigkeit

348 Cur Deus homo: zur altkirchlichen, mittelalterlichen und reformatorischen Soteriologie Jesu Christi einschärft, dessen personale Einheit durch die notwendige Unterscheidung menschlicher und göttlicher Natur nicht aufgehoben, sondern bestätigt wird. Die Sendung des inkarnierte Logos und menschgewordenen Gottessohnes vollendet sich darin, „ut reconciliaret nobis patrem et hostia esset non tantum pro culpa originis, sed etiam pro omnibus actualibus hominum peccatis“ (CA III,3; vgl. Na). In welchen polemischen Kontext diese Wendung gehört, zeigt eine analoge Formulierung im Meßartikel der Augustana, derzufolge es ein greulicher Irrtum sei zu lehren, „unser Herr Christus hab durch seinen Tod allein fur die Erbsund genuggetan und die Messe eingesetzt zu einem Opfer fur die anderen Sunde, und also die Messe zu einem Opfer gemacht fur die Lebendigen und Toten, dardurch Sund wegnzunehmen und Gott zu versuhnen“ (BSLK 93,6 – 13). Die Heilsbedeutung von Jesu Christi Kreuzestod ist suffizient. Was hinwiederum die soteriologische Bestimmung des Kreuzestodes Christi mit der Wendung „ut reconciliaret nobis patrum et hostia esset ...“ betrifft, so bestätig sie erneut, dass das Heilswerk Jesu Christi nach Maßgabe Wittenberger Bekenntnistradition primär in versöhnender Sühne besteht. Versöhnung ist Sühne und Christus derjenige, „qui sua morte pro nostris peccatis satisfecit“ (CA IV,2). Dabei ist Gott, ohne aufzuhören, „Subjekt“ der Versöhnung zu sein, deren „Objekt“ insofern, als die mit dem Leiden und Sterben des Menschen Jesus aufs innigste verbundene zweite trinitarische Person auf die Gottheit Gottes einwirkt, um jene Versöhnung zu bereiten, deren Wirklichkeitsgrund der dreieinige Gott selbst ist. Nicht als ob Gott durch ein Menschenwerk äußerlich etwas abgerungen werden sollte und könnte. Gott ringt sich das Werk der Versöhnung selbst ab, um auf unbegreifliche und in der Auferweckung des Gekreuzigten geheimnisvoll offenbare Weise seinen gerechten Zorn in barmherzige Liebe zu verwandeln. Dieser das Innerste Gottes berührende Streit seiner Gerechtigkeit und Liebe, wie er am Kreuz Christi zum Austrag kommt, wird verkannt, wenn das Versöhnungswerk lediglich als eine belehrende Bewusstseinsaufklärung im Sinne äußerer Beseitigung eines durch die Sünde erzeugten falschen Scheins vom Sein Gottes als eines zürnenden vorgestellt wird. Denn die durch die Sünde gesetzte Verkehrung des menschlichen Gottesverhältnisses pervertiert – eben weil sie Verkehrung des Gott-Mensch-Verhältnisses ist – für den Menschen das innerste Wesen seiner selbst sowie der ursprünglichen Schöpfungsordnung und verstellt dadurch wie die Durchsichtigkeit des Verhältnisses von Sein und Bewusstsein, dessen guter Sinn durch die Sünde nicht nur nicht erkannt, sondern verkannt und ins widrige Gegenteil gewendet wird, so auch die Schöpfungsgegenwart Gottes als eines gütigen mit der Folge, dass Gott für den Sünder nur mehr als Zürnender, nicht mehr mit seinem guten Schöpferwillen, sondern nur mehr mit seinem allmächtigen Unwillen, nicht mehr als Vater, sondern nur mehr als unversöhnlicher Richter da ist. Es ist die Hölle, aus der es für den in sich verkehrten und dem bodenlos-teuflischen Abgrund seiner Sünde verfallenen Sünder keine Rettung gibt – es sei denn, Gott selbst nimmt die Schuld der Sünde auf sich, um stellvertretend für den Sünder Tod und Verwerfung zu er-

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leiden: Gott gegen Gott – für den Menschen; ohne eine ins Extreme reichende Trinitätstheologie ist das pro nobis soteriologisch nicht zu fassen. Statt auf die weitere Entwicklung einzugehen, die Christologie und Soteriologie in der Witten- Altlutherische Orthodoxie berger Bekenntnistradition genommen haben (vgl. Wenz, Bekenntnisschriften II, 687ff.), sei die Lehre vom Versöhnungswerk Jesu Christi abschließend in der Form skizziert, die sie in der Dogmatik der altlutherischen Orthodoxie gefunden hat. Grundlegend hierfür ist die Anwendung des Schemas vom dreifachen Amt Christi. Diese Einteilung (munus bzw. officium propheticum, sacerdotale, regium) tritt zwar beispielsweise schon bei Eusebius von Caesarea im Zusammenhang der Erklärung des Christusnamens zu Beginn seiner Kirchengeschichte auf (I,3). Doch mit systematischer Konsequenz durchgeführt ist das Thema des munus triplex erst bei Calvin, demzufolge die tria munera differenzierte Momente des in sich einen Mittlerwerkes und nicht etwa getrennt zu erfassende mediatorische Funktionen Jesu Christi sind. Die Ämtertrilogie wurde schließlich für die gesamte altprotestantische Orthodoxie, auch die lutherische, bestimmend: Johann Gerhard war der erste, der die Dreiämterlehre als Schema der Behandlung des gesamten Mittlerwerkes Christi in die lutherische Dogmatik einführte. Seit Ende des 18. Jahrhunderts setzte sich das Ämterschema vielfach auch in der katholischen Dogmatik als Einteilungsprinzip durch. Dass damals im protestantischen Bereich Johann August Ernesti die Eignung der Dreiämterlehre für die Systematisierung des Werkes Christi in seiner Schrift „De officio Christi triplici“ bereits entschieden bestritten hatte, sei lediglich vermerkt. Ist das Geschäft der Versöhnung und Erlösung nach Auffassung der altprotestantischen Dogmatik zuletzt auch Sache des gesamten, dreifach gegliederten Wirkens Christi, so ist es doch zentriert in seinem priesterlichen Amt. Infolgedessen steht das officium sacerdotale Christi schon vom Umfang her im Mittelpunkt des dogmatischen Interesses am Heilswerk. Dabei werden näherhin die priesterlichen Funktionen der satisfactio und der intercessio unterschieden. Was den „Empfänger“ der Satisfaktion betrifft, so kommt nicht nur der zur adäquaten Sühneleistung unfähige Mensch, sondern auch Gott in Betracht, der in seiner wesenseinen Dreieinigkeit zugleich alleiniger Geber der Versöhnung ist. Dies geschieht unter der Prämisse, welche die altlutherischen Dogmatiker ihrer Behandlung des Versöhnungswerkes ausdrücklich voranschicken, nämlich dass Jesus Christus Mittler sei „secundum utramque naturam“. Diese – von der reformierten Tradition durchaus geteilte – Festsetzung wurde getroffen sowohl gegen Theologen, welche die Mittlerschaft Jesu Christi auf seine menschliche Natur beschränkten, als auch gegen solche, die Christus einzig nach seiner Gottheit Mittler sein ließen. Bereits die Konkordienformel (Ep III, SD III) hatte diese Auffassungen als Irrlehren verworfen. Die FC, die dann zur Basis der lutherischen Scholastik werden sollte, hatte allerdings zugleich (Art. VIII) im Anschluss an Luther, Brenz und Chemnitz die unio personalis als eine solchermaßen „wunderbare Vereinigung (gelehrt), in der sich Gott und Mensch in keiner Weise mehr äußerlich bleiben. Diese Unio zeich-

350 Cur Deus homo: zur altkirchlichen, mittelalterlichen und reformatorischen Soteriologie net sich dadurch aus, daß in ihr Gott alles aufnimmt und übernimmt, was des Menschen ist und der Mensch alles empfängt, was Gottes ist.“ (Baur, 426) An dieser Bestimmung schieden sich nicht nur lutherische und altgläubige, sondern auch lutherische und reformierte Geister. Altgläubige und reformierte Theologen gingen christologisch übereinstimmend von dem klassischen Modell der suppositalen Union aus. Allerdings wurde dieses Modell von beiden Seiten unterschiedlich verfochten, weshalb es im Verständnis des Werkes Christi auch zwischen ihnen „zu diametralen Gegensätzen kam: hier die meritorische Würde, dort die ob- oedientiale Instrumentalität der Menschheit Christi“ (Baur, 428). Die konfessionellen Differenzen im Verständnis der Zweinaturenlehre sind mithin von entscheidender Bedeutung für das jeweilige Verständnis der Versöhnung. Für die lutherische Auffassung ist die Überzeugung grundlegend, dass am Kreuz nicht nur die separierte menschliche Natur, sondern die ganze Person des Gottmenschen gelitten habe. Dadurch wird zwar nicht negiert, dass Gottes Wesen seiner mangellosen Wirklichkeit wegen dem Leiden nicht unterworfen sei. Doch kann vom Wesen Gottes nicht unter abstrakter Abhebung von der konkreten Erscheinungsgestalt des Offenbarers angemessen die Rede sein. Deshalb muss gesagt werden, dass Gott in concreto durch das Leiden Christi nicht weniger bestimmt ist als durch sein autarkes göttliches Wesen, wie denn auch der göttliche Logos als zweite trinitarische Person konkret nicht unter Abstraktion vom personalen Zusammensein Gottes und des Menschen erfasst werden kann, wie es in Jesus Christus gegeben ist. Das Mittel, durch welches Christus die Versöhnung wirkt, ist sein vollständiger Gehorsam, durch welchen er das Gesetz erfüllt und der ewigen und unwandelbaren Gerechtigkeit Gottes Genüge leistet. Bereits die Konkordienformel (SD III; BSLK 918f.) hatte diese Bestimmung insofern differenziert, als sie zwischen tätigem und leidendem Gehorsam, zwischen oboedientia activa und passiva Christi unterschied. Strittig war in der Folgezeit, wie dieses Verhältnis genau zu bestimmen sei. Dieser Streit wurde durch die Behauptung zugesteigert, Christus habe stellvertretende Genugtuung lediglich durch seine passive, nicht aber durch seine aktive Oboedienz geleistet, die er für sich und nicht für uns erbracht habe. Die lutherische und reformierte Normaldogmatik hat sich diese Auffassung nicht zu eigen gemacht, sondern sich ihr aus Interesse an der soteriologischen Vollgenügsamkeit des Werkes Christi widersetzt, ohne doch selbst zu einer völlig befriedigenden Durchbildung der Lehre von der aktiven Oboedienz Christi zu gelangen. Worauf es ihr im Wesentlichen ankam, ist indes klar, dass nämlich der Gehorsam Christi dem göttlichen Gesetz, dem er zwar als Gottmensch an sich nicht unterlegen war, dem er sich aber freiwillig unterwarf, in aktiver und passiver Weise vollkommen genügte und somit eine suffiziente, keiner Ergänzung bedürftige satisfactio an des Menschen statt erbrachte, indem er das Gesetz erfüllte und die volle Strafe für des Menschen Gesetzesübertretung am Kreuz ertrug. Auch in der Bestimmung der Form der Genugtuung des Gottmenschen taucht die entwickelte Unterscheidung zwischen aktivem und passivem Gehorsam wieder

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auf. Christus habe genau dasjenige sowohl tun als auch leiden müssen, was wir hätten tun und leiden sollen. Die nähere Entfaltung der Leidensform Christi stellt die Dogmatiker dann vor die schwierige Frage, ob Christus die ewige Höllenstrafe habe erdulden müssen. Man behilft sich mit der Unterscheidung einer extensiven und einer intensiven Unendlichkeit der Höllenstrafe, wobei die letztere, sofern sie vom Gottmenschen erlitten wurde, als Ersatz für erstere gelten kann, die der Sünde des Menschen als Strafe unweigerlich folgt. Indem sie schließlich die intercessio als zweite priesterliche Funktion Christi der satisfactio beiordnen und so das fortwährend wirksame Eintreten des Erlösers für sein einmal vollbrachtes Werk hervorheben, machen die altprotestantischen Dogmatiker deutlich, dass Christus Subjekt der Versöhnung ist und in alle Ewigkeit bleibt. Christus selbst ratifiziert sein Werk für uns, indem er es in persönlich-verbaler Fürbitte vor Gott repräsentiert. Damit wird zur Geltung gebracht, dass sich das Werk Christi nicht als äußerlich-objektive Gegebenheit von seiner Person trennen lässt. Während die Reformierten dabei die Interzession Christi vorweg auf jene beschränken, die nach göttlichem Ratschluss in den ewigen Gnadenbund aufgenommen sind, tritt Christus nach Auffassung der Lutheraner seiner Intention nach generell für alle Menschen ein, wenngleich seine Fürsprache in spezieller Weise denen zugute kommt, die sich sein Verdienst im Glauben aneignen. (Zur Geschichte der Versöhnungslehre in der evangelischen Theologie der Neuzeit vgl. Wenz, Versöhnungslehre I und II.)

Epilog

Als zwei von den Jesusjüngern – einer von ihnen hieß Kleophas – am Ostertag in ein nahe Jerusalem gelegenes Dorf unterwegs waren und sich über das Leiden und Sterben ihres Meisters unterhielten, da trat ein Wanderer zu ihnen, um sie zu begleiten. Wer er sei, erkannten die beiden nicht. Seine Identität und das Wesen seiner Person blieb ihnen verborgen. Ihre Augen waren, wie es heißt, mit Blindheit geschlagen. Auch die Unterredung mit dem so nahen und doch fremd und unerkannt bleibenden Begleiter brachte keine Klarheit. Selbst als er ihnen die Hl. Schrift auslegte, um ausgehend von Mose und den Propheten zu zeigen, warum der Messias, um in seine Herrlichkeit zu gelangen, all das erleiden musste, was Jesus von Nazareth am Kreuz erlitt, verstanden sie den Sinn der Rede nicht, wenngleich sie sich später zu erinnern meinten, wie sehr ihnen das Herz in der Brust bei der Schriftauslegung gebrannt habe, die ihnen zuteil geworden war. Das helle Licht göttlicher Erleuchtung scheint den beiden um ihren Meister trauernden Jesusjüngern erst in dem Augenblick, als der – bei sich neigendem Tag um Verbleib gebetene – Begleiter beim gemeinsamen abendlichen Mahl als Tischherr das Brot bricht und den Lobpreis spricht: „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten ihn; dann sahen sie ihn nicht mehr.“ (Lk 24,31) Die österliche Geschichte von der Erscheinung des Auferstandenen vor den zwei Emmausjüngern ist zugleich eine Abendmahlsgeschichte. Im Geschehen des Mahles, das in der Urchristenheit allsonntäglich im Gedenken an den Ostertag gefeiert wurde, gibt sich der gekreuzigte Jesus von Nazareth in der Kraft des göttlichen Geistes lebendig als derjenige zu erkennen, der wahrhaft und wirklich auferstanden ist, um ganz und gar da zu sein für uns. Dass seine reale Präsenz im Zeichen des Mahles von singulärer Art und mit dinglichem Dasein nicht zu verwechseln ist, wird im Text unmissverständlich ausgesprochen. Sinnliches Hören und Sehen sind den Jüngern in bestimmter Weise vergangen. Auf fassbare Weise zu begreifen ist die Gegenwart des auferstandenen Gekreuzigten im Herrenmahl nicht. Just in dem Moment, als sich der Herr den Emmausjüngern zu erkennen gibt, verschwindet er vor ihren sinnlichen Augen, wohingegen er vorher als empirisch naher Begleiter unerkannt blieb. Wie die Wirklichkeit Osterns, in der sie gründet, transzendiert auch die Wirklichkeit des Herrenmahls die Schranken und Beschränktheiten unseres raumzeitlichen Begreifens. Zwar ist Jesus Christus leibhaftig auferstanden und im Abendmahl auf wahrhaft reale Weise präsent. Aber die Wirklichkeit seiner Präsenz umfasst alle Zeiten und Räume, um das Reich des ewigen Gottes selbst

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zum Vorschein zu bringen: „Kein Aug hat je gespürt, / kein Ohr hat mehr gehört / solche Freude.“ (EG 147, 3; vgl. auch Strophe 2) Wie die Feier des Herrenmahls gehört neben der Wortverkündigung durch Predigt die Tauf- Mittel des Heils feier seit apostolischen Zeiten zum festen Bestand gottesdienstlichen Lebens der Christenheit. Kennzeichnend und prägend für alle Gottesdienstvollzüge ist die andächtige Erinnerung des irdischen Lebens, des Todes und der Auferstehung Jesu Christi, der sich selbst als österlich lebendiges Subjekt seines Gedächtnisses erweist, um da zu sein als derjenige, welcher für uns gestorben und für uns erstanden ist. Zugleich ist der um unseres Heiles willen Gekommene und Gegenwärtige der Zukünftige, der eschatologisch wiederkehren wird, zu richten die Lebenden und die Toten. Christusanamnese bedarf der Geistepiklese, um aktuell und zukunftsweisend zu sein. Dies gilt bis zum heutigen Tage. Eine Studie zum pneumatologischen Prozess kann es daher nicht bei Bemerkungen zur Genese der Alten Kirche, des altkirchlichen Kanons und Dogmas sowie zu einigen ihrer mittelalterlich-frühneuzeitlichen Rezeptionsgestalten etc. belassen, sie muss zumindest ansatzweise davon handeln, wie und wodurch der Geist aktuell wirkt, der Jesus Christus und Gottes Offenbarung in ihm nicht vergangen sein lässt, sondern über die Grenzen des Raumes und die Schranken der Zeit hinaus lebendig vergegenwärtigt. Ein Epilog zu den Wirkzeichen des Geistes soll dieser Notwendigkeit Rechnung tragen. Ob der Hl. Geist als Dritter im göttlichen Bunde seinen innertrinitarischen Ausgang vom Vater allein, vom Vater und dem Sohn bzw. vom Vater durch den Sohn nimmt, ist zwischen ostkirchlicher und westkirchlicher Tradition strittig. Als unstrittig in der Christenheit darf hingegen gelten, dass der Geist es ist, der Gottes Offenbarung in Jesus Christus für Menschheit und Welt erschließt, um durch Glauben lebendigen Anteil zu geben an der göttlichen Gemeinschaft von Vater und Sohn. Der Hl. Geist ist in Person jene Offenheit, die Gottes Gottheit wesentlich zugehört und ohne welche Gottes Offenbarung im auferstandenen Gekreuzigten nicht wäre, was sie ist. Dementsprechend begründet – dem österlichen Urdatum des Christentums untrennbar verbunden – das Pfingstereignis, worauf Weihnachten, Karfreitag und Ostern hinzielen: menschliche Gemeinschaft mit Gott in der kreatürlichen Welt. Der Geist bezeugt den im auferstandenen gekreuzigten Jesus von Nazareth offenbaren Gott auf Glauben hin für Menschheit und Welt. Er tut dies, eben weil sein Zeugnis die göttliche Christusoffenbarung bekennt, nicht unmittelbar, sondern auf mittelbare Weise und in konstitutivem Bezug auf den gottmenschlichen Mittler. Das Medium seines Zeugnisses sind Zeichen, die ihrer Form nach Setzungen von bewusster und willentlicher Art und ihrem Inhalt nach durch das Offenbarungsgeschehen bestimmt sind, durch welches sie, um es zu bezeugen, gestiftet wurden. Will man irreführende Kontrastierungen wie etwa diejenige einer vermeintlichen Kirche des Wortes und einer solchen des Sakraments schon im Ansatz vermeiden, empfiehlt es sich, die Lehre von den media salutis als pneumatologi-

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sche Zeichenlehre zu entfalten, wie dies Augustin etwa in seinem Dialog „De Magistro“ (MPL 32, 1193–1220) in einer nicht nur für die westkirchliche Tradition beispielgebenden Weise getan hat. Ein Zeichen deutet von sich aus auf etwas hin: Augustins Zeichenlehre und Signum est res significans. Einem signum eignet der Sakramentsbegriff eine Verweisstruktur. Näherhin zu unterscheiden ist dabei nach Augustin zwischen natürlichen (signa naturalia) und gegebenen Zeichen (signa data). Natürliche Zeichen sind solche, die absichtslos und ohne bewussten Willen etwas außer sich selbst erkennen lassen, wie etwa der Rauch die Nähe des Feuers oder die hinterlassene Spur den Vorbeigang eines bewegungsfähigen Wesens. Gegebene Zeichen hingegen sind jene, die bewusst und willentlich gesetzt werden, um z.B. Gemütsbewegungen, Gefühle oder Kenntnisse unterschiedlichsten Inhalts anzuzeigen. Zeichen dieser Art sind vorrangig bei Menschen anzutreffen, wenngleich sich im Tierreich vorbereitende Ansätze hierzu finden lassen. Die menschlichen Mitteilungszeichen unterscheidet Augustin des Weiteren danach, auf welche Sinnesorgane sie sich beziehen. Dabei zeigt sich, dass die überwiegende Mehrzahl der menschlichen signa data den Gehörsinn (sensus aurium) in Anspruch nehmen, während den Gesichtssinn (sensus oculorum) nur einige und die übrigen Sinne die wenigsten affizieren. Die auf den Gehörsinn bezogenen Zeichen wiederum sind insbesondere Wörter. Den Wörtern kommt sonach eine herausragende Stellung im menschlichen Zeichenschatz zu, der principatus significandi inter homines. Augustin bestätigt dies dadurch, dass er die auf den Gesichtssinn bezogenen Zeichen verba visibilia, sichtbare Wörter nennen kann. Sinnliche Zeichen, die auf Übersinnliches hindeuten, nennt Augustin Sakramente: „sign(a), quae cum ad res divinas pertinent, sacramenta appellantur.“ (Ep 138, 1,7) Sakramente sind sonach signa sacra, die in, mit und durch hörbare und sichtbare Zeichen eine Wirklichkeit repräsentieren, die Hören und Sehen und alle menschlichen Sinne transzendieren. Seine christliche Bestimmtheit erhält der sakramentale Transzendenzverweis dabei durch konstitutiven Bezug auf das Mysterium der Offenbarung Gottes in Jesus Christus, wie sie in der Kraft des Hl. Geistes geschieht. Jesus Christus ist das Ursakrament, auf das nach Augustin alle christlichen Zeichenvollzüge ausgerichtet sind. Hält man sich an diesen Sprachgebrauch, dann ist es naheliegend, die Lehre von den media salutis als Lehre von den Wirkzeichen des Geistes sakramententheologisch zu entfalten. Neben der Tatsache, dass das augustinische Verständnis der christlichen Sakramente verba audibilia und verba visibilia unter Priorisierung der auf den Gehörsinn bezogenen Wirkzeichen umfasst, spricht für ein solches Verfahren nicht zuletzt die Terminologiegeschichte des Sakramentsbegriffs selbst, deren Kenntnis nicht nur unproduktive Entgegensetzungen von verbum und sacramentum zu vermeiden hilft, sondern für die Lehre von den Heilsmitteln insgesamt jene Weite der Perspektive eröffnet, die für ihre konstruktive Durchführung nötig ist. Der dem gegenwärtigen kirchlich-theologischen Sprachgebrauch geläufige Sa-

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kramentsbegriff, der im Deutschen um das 13. Jahrhundert aus dem Kirchenlatein entlehnt und nach Maßgabe des Grimm’schen Wörterbuchs noch im 15. Jahrhundert als fremd empfunden wurde, hat im Neuen Testament kein Äquivalent. Das biblische Wort mysterion, das in einigen altlateinischen Bibelübersetzungen mit „sacramentum“ wiedergegeben wird und in der ostkirchlichen Tradition bis heute die in der Kirche gespendeten Heilszeichen benennt, ist ursprünglich ohne direkten Bezug zu den Vollzügen, welche die spätere Theologie dem Fachausdruck „Sakrament“ subsumierte. Selbst die traditionellen „sacramenta maiora“ von Taufe und Abendmahl werden im Neuen Testament nirgends dem Terminus mysterion zugeordnet, geschweige denn durch ihn zusammengefasst. Zugleich gilt, dass der lateinische Begriff „sacramentum“, der dem deutschen Lehnwort Sakrament zugrunde liegt, die für ihn im christlichen Kontext charakteristische Bedeutungsfülle erst infolge der Übersetzung des biblischen mysterion annimmt, wie sie – im Unterschied zur Vulgata, welche die Wiedergabe durch mysterium bevorzugt – für die nordafrikanischen Texte kennzeichnend ist. Der christliche Sinngehalt des Sakramentsbegriffs übersteigt dessen klassisch antike Bedeutung „Eid, Fahneneid“ (auch „Strafsumme, Kaution“) bei weitem, wenngleich die Erinnerung an diese erhalten bleibt und im Verlaufe der Kirchengeschichte gelegentlich betont reklamiert werden konnte (z.B. bei Tertullian oder Zwingli), um die ethisch-religiöse Verbindlichkeit der Sakramente hervorzuheben. Der Begriff mysterion bezeichnet in der Antike eine geheime, nur Eingeweihten zugängliche Angelegenheit, bezüglich derer grundsätzliches Stillschweigen zu wahren ist. Die Geschichte des Begriffs, der üblicherweise nicht in Singular-, sondern in Pluralform Verwendung fand, ist von Anfang an kultisch-religiös geprägt. Mysteria heißen insbesondere die vielfältigen Mysterienkulte der antiken Geisteswelt, deren Wirkung sich vom 7. Jahrhundert v.Chr. bis zum 4. Jahrhundert n.Chr. erstreckt. In der Septuaginta begegnet das Wort mysterion nur selten und dann ausschließlich in Schriften der hellenistischen Zeit (Dan 2,18f.27–30.47; Sir 22,22; 27,16f.21; Weish 2,22; 6,22; 14,15.23; Tob 12,7.11; Jdt 2,2; 2 Makk 13,21). Dass der Begriff niemals auf die alttestamentlichen Opfervollzüge oder sonstige Kulthandlungen Anwendung findet, erklärt sich aus dem Bedürfnis der Distanz gegenüber den heidnischen Konnotationen des Begriffs. Einen eigentümlich neuen und für die weitere Entwicklung bedeutsamen Sinn erhält mysterion bei Daniel: Der Terminus bezeichnet nun die verhüllte Ankündigung der von Gott vorherbestimmten künftigen Geschehnisse. Der starke Einfluss apokalyptischer Deutungskategorien in den Schriften des Neuen Testaments wird durch die signifikant eschatologische Ausrichtung des neutestamentlichen mysterion-Begriffs bestätigt. Bezeichnenderweise steht der Terminus an der einzigen Stelle, welche ihn in den synoptischen Evangelien bietet (Mk 4,10–12; vgl. Mt 13,10–17; Lk 8,9f.), in unmittelbarer Verbindung mit dem basileia-Begriff als dem Zentralbegriff der Botschaft Jesu. Es liegt in der Konsequenz der österlichen Heilsoffenbarung, wie der Glaube sie

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wahrnimmt, den eschatologischen Sinn der Sendung Jesu und seiner Reich-Gottes-Botschaft christologisch-soteriologisch zu entfalten. Entsprechend steht der mysterion-Begriff, der nun vorwiegend im Singular gebraucht wird, in den paulinischen und deuteropaulinischen Briefen in engster Verbindung mit dem Christuskerygma (vgl. etwa 1. Kor 2,7–10; Röm 16,25f.; Kol 1,26f.; 2,1–3; Eph 1,9f.; 3,3ff.). Jesus Christus ist das wahre endzeitliche mysterion Gottes, das auf verborgene Weise vor Anbeginn der Welt in Gott dem Allschöpfer bereitet war und dessen himmlische Herrlichkeit in der Geschichte von Kreuz und Auferstehung in den alten Äon einbricht, um die verkehrte Weisheit der Welt zu überwinden. Während sich aber ein Rätsel nach seiner Lösung gewissermaßen erledigt, bleibt das mysterion Gottes Geheimnis auch und gerade in seiner Offenbarung. Sonach ist die Verkündigung der göttlichen Heilstat in Jesus Christus nicht nur Kunde von vergangenem Geschehen, sondern, wie auch der ihr folgende Glaube, selbst ein dem göttlichen Mysterium zugehöriges eschatologisches Ereignis. Aus dem Kontext des christologisch-soteriologisch konzentrierten Verständnisses des eschatologischen Heilsgeheimnisses heraus erschließen sich auch jene neutestamentlichen Stellen, in denen vom mysterion-Begriff ein allgemeiner gehaltener Gebrauch gemacht wird. Eigens erwähnt werden soll lediglich die Stelle Eph 5,32, der für die spätere Sakramententheologie eine besondere Bedeutung zukommt, insofern sie in Verbindung mit Eph 5,25 vom Trienter Konzil (vgl. DH 1799 sowie 1327) als Beleg für die Sakramentalität der Ehe herangezogen wurde. Es ist allerdings fraglich, ob das große Geheimnis, von dem der Text spricht, direkt auf die Verbindung von Mann und Frau zu beziehen ist oder nicht primär den allegorisch auf das Verhältnis Christi zur Kirche zu deutenden Sinn des im vorhergehenden Vers (Eph 5,31) zitierten alttestamentlichen Schriftwortes meint, dem gemäß ein Mann Vater und Mutter verlassen und seiner Frau anhangen wird, so dass zwei ein Fleisch sein werden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass für den neutestamentlichen mysterionBegriff in eins mit der – durch die Septuaginta-Übersetzung des Danielbuches vorbereiteten – eschatologischen seine christologische Bedeutung kennzeichnend ist. Jesus Christus ist Mysterium in Person und Inbegriff aller göttlichen Geheimnisse, sofern in der Gestalt des auferstandenen Gekreuzigten, wie sie in der Kraft des göttlichen Geistes lebendig ist, das eschatologische Reich Gottes offenbar und antizipativ gegenwärtig ist. Dieser Befund macht verständlich, warum in evangelischer Theologie stets eine gewisse Skepsis gegen die im Laufe der nachbiblischen Zeit üblich gewordene Verwendung des Sakramentsbegriffs als eines zusammenfassenden Oberbegriffs kirchlicher Zeichenvollzüge bestand. Unbeschadet aller sonstigen Differenzen sind sich Zwingli, Luther, Melanchthon und Calvin, aber etwa auch Schleiermacher und Karl Barth darin einig, dass der Sakramentsbegriff eigentlich Jesus Christus vorzubehalten sei. „Unum solum habent sacrae literae sacramenDie Ursakramentalität Jesu tum“, sagt Luther, „quod est ipse Christus DomiChristi nus.“ (WA 6, 86, Th. 18; vgl. WA 6, 96,26–

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97,24) Zwar haben die Reformatoren daraus weder auf lutherischer noch auf reformierter Seite den Schluss gezogen, auf einen allgemeinen Sakramentsbegriff als Bezeichnung einzelner kirchlicher Ritenvollzüge gänzlich zu verzichten. Ansätze einer Lehre „De sacramentis in genere“ lassen sich bereits in den verschiedenen Auflagen der 1521 erstmals erschienenen Loci communes von Philipp Melanchthon sowie in Luthers Streitschrift „De captivitate Babylonica ecclesiae“ von 1520 nachweisen, in der sich der Reformator kritisch mit den sieben Sakramenten der mittelalterlichen Kirche auseinandersetzt. Gleichwohl bleibt die streng christologische Konzentration des reformatorischen Sakramentsbegriffs insofern erhalten, als die schließlich durch ihn bezeichneten kirchlichen Vollzüge niemals aus einer allgemeinen Definition und Wesensbestimmung des Sakramentalen abgeleitet, sondern stets mit dem nicht deduzierbaren, allein in persönlicher Freiheit sich erschließenden Stiftungswillen Jesu Christi begründet wurden, wie er in der durch die Hl. Schrift urkundlich bezeugten Einsetzung sich ausspricht. Jesus Christus als das offenbare Mysterium des dreieinigen Gottes ist in seiner österlich manifesten gottmenschlichen Person das eine und umfassende Sakrament, welches nach evangelischer Lehre alle natürlichen und geschichtlichen Zeichen der Nähe Gottes, wie sie namentlich im Weg des erwählten Volkes Israel gegeben und darüber hinaus in allem Geschaffenen vorhanden sind, in sich aufhebt, will heißen: in relativierende Beziehung zu sich setzt, bewahrt und vollendet. In der Kraft des Hl. Geistes, wie sie in seiner Auferweckung vom Tode am Kreuz wirksam ist und von dem im auferstandenen Gekreuzigten offenbaren Gott ausgeht, gibt sich Jesus als der leibhafte Logos zu erkennen, welcher der Gottheit Gottes wesenseinig zugehört und sie unter den – durch den Fall der Sünde verkehrten – Bedingungen von Menschheit und Welt für diese erschließt: darin ist Jesus Christus das ebenso geistgewirkte wie geistwirksame Heilszeichen aller Heilszeichen, in welchem Gott selbst heilspräsent ist. Die Wirklichkeit göttlicher Heilsgegenwart, welche in Jesus Christus wirksam ist, hat unbeschadet ihrer Einheit, welche in der ungeteilten Person des Versöhners und Erlösers besteht, als in sich differenziert zu gelten, wofür hinwiederum die Geschichte steht, welche Christologie und christliche Zeichentheologie gleichermaßen zu bedenken haben. So wie die Geschichte Jesu Christi einen zielgerichteten Verlaufsprozess sowohl in sich begreift als auch neu eröffnet, der von dem protologisch zu erfassenden Urstand der Schöpfung, von welchem abgefallen zu sein die Schuld der Sünde ausmacht, auf die schließliche Überwindung von Bosheit und Übel sowie auf die eschatologische Vollendung des Reiches Gottes hingeordnet ist, so sind alle Zeichen der Nähe Gottes, welche in der Sakramentalität Jesu Christi gründen, sowohl in sich als auch in ihrem Verhältnis zueinander auf jenen ebenso individual- wie menschheitsgeschichtlich zu erfassenden Zusammenhang zu beziehen, dessen Anfang und Ende Jesus Christus ist. Gemäß seiner irdischen Erscheinung, die auch in seiner erhöhten Gestalt nicht abgestreift wird, sondern erhalten und bei Gott ewig unvergessen bleibt, ist Jesus Christus als das exemplarische Geschöpf zugleich Zeichen der genuinen göttlichen

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Schöpfungsintention und der ursprünglichen Güte der Schöpfung, wie sie dem Willen des Schöpfers entspricht und ohne deren Wahrnehmung weder vom kreatürlichen Urstand noch von dem durch die Sünde verschuldeten Fall theologisch angemessen die Rede sein könnte. Nachgerade auf den Sündenfall ist das – alles Christentum zusammenfassende – Zeichen des Kreuzes bezogen, in welchem der Crucifixus als Opfer der Sünde vorstellig wird, was für sich genommen nicht nur nicht heilsam, sondern heillos wäre, ja als das abgründige Ende allen Heils für Menschheit und Welt erscheinen müsste. Zum Grund und personalen Inbegriff allen Heils und damit zum Heilszeichen schlechthin wird der Gekreuzigte als der, welcher nicht in Hölle und Tod geblieben, sondern auferstanden ist: An Ostern tritt der Crucifixus, welcher Gott nicht ohne seine verlorenen Menschengeschwister zugehörig sein wollte und deshalb am Kreuz nicht nur Opfer menschlicher Sünde wurde, sondern die Strafe Gottes für die Sünde der Menschen stellvertretend an sich selbst erlitten hat, in der Kraft des Hl. Geistes als der von Gott angenommene und verherrlichte Sohn in Erscheinung, um den allmächtigen Schöpfer des Himmels und der Erde als Vater zu offenbaren, welcher die Sünde hasst, aber den Sünder liebt und seinen verlorenen Menschenkindern den Himmel seines kommenden Reiches bereiten will. In diesem Sinne ist der auferstandene Gekreuzigte das offenbare Mysterium Gottes und Sakrament aller Sakramente. Das Mysterium Jesu Christi wirksam zu erweisen und in seiner Sakramentalität zu verifizieren bzw. zu ratifizieren ist das Werk des Hl. Geistes. Ostern und Himmelfahrt samt Weihnachten und Karfreitag sind ohne die Wirklichkeit des Pfingstgeistes nicht, was sie sind; denn die Wahrnehmung des so bezeichneten Heilsgeschehens im Glauben, auf welchen es wesentlich hingeordnet ist, ist nur durch die Wirksamkeit des Geistes gewährleistet. Mysterium und Sakramentalität Jesu Christi sind demnach ohne den Hl. Geist nicht fassbar, welcher mit dem Vater und dem Sohn der Gottheit Gottes gleich wesentlich zugehört. Der für das Wirken des Hl. Geistes konstitutive Bezug auf Jesus Christus wird durch Mittel repräsentiert, deren grundlegende Eigenart es ist, in einem elementaren Entsprechungsverhältnis zu Jesus Christus zu stehen, der an sich selbst der Mittler Gottes und des Menschen und damit das Urmedium schlechthin ist. Zur Näherbestimmung des EntsprechungsverChristusanamnese und hältnisses zwischen dem Urmedium Jesu Christi Geistepiklese und jenen Mitteln, welche die Dogmatik traditionellerweise „media salutis“ nennt, kann man beispielhaft auf den liturgischen – alles rechte gottesdienstliche Geschehen im Christentum strukturierenden – Zusammenhang von Christusanamnese und Geistepiklese verweisen. Anamnetischer und epikletischer Aspekt sind heilsmediatorisch in analoger Weise verbunden wie Jesus Christus und der Hl. Geist selbst. Von entscheidender Bedeutung ist in diesem Zusammenhang ferner, was die kirchliche Tradition über den rememorativen, den demonstrativen und den prognostischen Aspekt der Heilsmittel zu sagen hat. Die media salutis sind Erinnerungszeichen (signa rememorativa), die dem Gedächtnis des am Kreuz gestorbenen Jesus von Nazareth dienen und dabei von der

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– Trauer in schiere Freude kehrenden – Tatsache bestimmt sind, dass der auferstandene Gekreuzigte sich als lebendig erwiesen hat und in der Kraft des Geistes sich auch fernerhin lebendig erweist (signa demonstrativa), um als eschatologischer Herr von Menschheit und Welt sichtbar zu werden (signa prognostica). Die zeichentheologische Differenzierung zwischen dem rememorativen, demonstrativen und prognostischen Aspekt der auf Gottes Offenbarung in Jesus Christus verweisenden Wirkmittel des Geistes findet sich u.a. in der media-salutisLehre des Thomas von Aquin (vgl. bes. STh III, Q. LX-LXV), die auch deshalb ökumenische Beachtung verdient, weil sie jedwede Trennung von Wort und Sakrament zu vermeiden sucht. Als erinnernde Zeichen des Leidens Christi als der Ursache der Heiligung, als hinweisende Zeichen der Gnade als des Wesens der Heiligung sowie als vorausdeutende Zeichen der künftigen Vollendung der Heiligung sind die Heilsmittel zwar auf – durch göttlichen Einsatz gestiftete – res sensibiles bezogen, wie denn der Mensch generell durch sinnenfällige Dinge zur Erkenntnis intelligibler Wahrheit gelangt. Den sinnlichen Elementen sind aber stets Wörter beigefügt, welche den Sinneszeichen allererst ihre Eindeutigkeit verleihen, nicht nur den Leib, sondern auch die Seele des Menschen ansprechen und die Konformität zwischen sacramentum rei und res sacramenti bewirken. Näherhin verhalten sich sakramentales Wort und Sinneszeichen bzw. Element wie forma und materia, wie Form und Stoff, wobei die Form als bestimmender Grund, als Ziel und Grenze des Stoffes zu gelten hat. Thomas steht in aristotelischer, Augustin in neuplatonischer Tradition. Doch trotz dieser unterschiedlichen philosophischen Prägung stimmen beide in der Auffassung überein, dass Wort und Sakrament heilsmediatorisch-pneumatologisch einen untrennbaren Zusammenhang darstellen. Nicht das Element in seiner naturhaften Gestalt, sondern erst das hinzukommende, die Relation von Offenbarung und Glaube erschließende Wort ergibt das Sakrament gemäß der berühmten Augustinformel: „Accedit verbum ad elementum, et fit sacramentum, etiam ipsum tamquam visibile verbum.“ (CChr.SL 36,529,5–7) Auch wenn Augustin Analogien etwa zwischen dem Taufwasser und der in der Taufe statthabenden inneren Reinigung namhaft machen kann, müsste gleichwohl das nicht ins Wort gefasste natürliche Element einer geistlichen Bedeutungslosigkeit anheimfallen: „Detrahe verbum, et quid est aqua nisi aqua?“ (ebd., Z. 4f.). Sakramente gehören sonach primär nicht in den Bereich unmittelbarer, durch das Wort allenfalls nachträglich zu deutender Naturgegebenheiten, sondern zielen von vornherein auf die Sphäre geistigen Personlebens, in welcher sie dann auch ursprünglich gegründet sind, wenn anders es sich bei ihnen um bewusst eingesetzte signa, mithin um Zeichen freier göttlicher Selbstmanifestation handelt. „Sacramentum est corporale vel materiale elementum foris sensibiliter propositum ex similitudine repraesentans, et ex institutione significans, et ex sanctificatione continens aliquam invisibilem et spiritualem gratiam.“ (Hugo von St. Victor; MPL 176, 317D) „Sacramentum est sacrae rei signum; sacramentum est invisibilis gratiae visibilis forma; sacramentum enim proprie dicitur quod ita signum est gra-

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tiae Dei et invisibilis gratiae forma, ut ipsius imaginem gerat et causa existat.“ (Petrus Lombardus; MPL 192, 839) Der Wandel im Verständnis der Beziehung von Zeichen (signum) bzw. Bild (figura) zur Sache (res) und Wahrheit (veritas), wie er sich in der mittelalterlichen Scholastik Augustin gegenüber vollzogen hat, ist nicht unerheblich. Die Streitigkeiten zwischen Paschasius Radbertus und Ratramnus im 9. und zwischen Lanfrank und Berengar im 11. Jahrhundert sind dafür paradigmatisch. Nichtsdestoweniger bleibt auch in der Heilsmittellehre des Mittelalters bei allen Akzentunterschieden der innige Zusammenhang von Hörzeichen, also Worten, und verba visibilia, also solchen Zeichen erhalten, die sich nicht nur an das Gehör, sondern etwa auch an das Gesicht des Rezipienten richten. Der in der reformatorischen Theologie häufig anzutreffende Rekurs auf Augustin musste daher nicht zwangsläufig auf einen Traditionsbruch hinauslaufen. Dass die äußeren Zeichen der Sakramente bzw. die durch diese Zeichen elementar geprägten riWort und Sakrament tuellen Handlungen in ihrem Sinngehalt vom Wort her und nicht die Worte von der Eigenbedeutung der natürlichen Zeichen her zu verstehen sind, steht für lutherische ebenso wie für reformierte Bekenntnistradition außer Zweifel. So antwortet Luther im Kleinen Katechismus auf die Frage, was die Taufe sei: „Die Taufe ist nicht allein schlecht Wasser, sondern sie ist das Wasser, in Gottes Gebot gefasset und mit Gottes Wort verbunden.“ (BSLK 515,25–27) Entsprechend hängt die Wirkung des Taufbads am Wort: „Wasser tut’s freilich nicht, sondern das Wort Gottes, so mit und bei dem Wasser ist, und der Glaube, so solchem Wort Gottes im Wasser trauet; denn ohn Gottes Wort ist das Wasser schlecht Wasser und keine Taufe, aber mit dem Wort Gottes ist’s eine Taufe, das ist ein gnadenreich Wasser des Lebens ...“ (BSLK 516,13–19; vgl. 693f.). Im Blick auf die Abendmahlslehre bestätigt sich dieser Befund: „Das ist wohl wahr“, heißt es im Großen Katechismus (BSLK 710,15ff.), „wenn Du das Wort davon tuest oder ohn Wort ansiehest, so hast Du nichts denn lauter Brot und Wein, wenn sie aber dabei bleiben, wie sie sollen und müssen, so ist’s lauts derselbigen wahrhaftig Christus’ Leib und Blut. Denn wie Christus’ Mund redet und spricht, also ist es, als der nicht liegen noch triegen kann“ (vgl. BSLK 708,3ff.; 713,1ff.). Der Nutzen von Essen und Trinken im Abendmahl hängt sonach daran, dass dieses Mahl in Gottes Wort gefasst ist (vgl. BSLK 520, 32ff.). „Das Wort ...ist das, das dies Sakrament machet und unterscheidet, daß es nicht lauter Brot und Wein, sondern Christus’ Leib und Blut ist und heißet.“ (BSLK 709,32ff.) Fehlt das Wort, „so bleibt’s ein lauter Element“ (BSLK 709,44). Die sakramentale Zeichenfunktion des Elements ist allein durch das Wort begründet. Die Wirkzeichen, durch die der Hl. Geist das Heil Gottes in Jesus Christus vermittelt, sind auch in ihrer sog. sakramentalen Form nach reformatorischer Auffassung niemals wortloser Natur, sondern stets mit einem Verheißungswort verbunden, das die Evangeliumspredigt zu verdeutlichen und zu explizieren hat. Das ist deshalb der Fall, weil die Heilsmittel und der Hl. Geist durch sie auf Glauben und damit auf das innerste Personleben des Menschen hin angelegt sind. Die reforma-

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torische Polemik gegen die ex opere operato-Formel erklärt sich von daher. Dabei verstand man unter opus operatum den bloß äußerlichen Vollzug des Sakraments, ein Werk ohne Christus, ohne Glauben, ohne innere Beteiligung des Herzens (vgl. etwa BSLK 199,86; 255,12; 352,12). Dem wird entgegengehalten, die Sakramente seien eingesetzt, „unseren Glauben dadurch zu erwecken und zu stärken, derhalben sie auch Glauben fordern und dann recht gebraucht werden, so man’s im Glauben empfähet und den Glauben dadurch stärket“ (BSLK 68,7–11). Wie das Wort, so ist auch das Sakrament eindeutig auf Glauben im Sinne der fiducia als eines persönlichen Vertrauens ausgerichtet. Nicht zuletzt dies will die ständige Betonung, dass das Sakrament worthaft verfasst sei, einschärfen. Indes soll durch den Hinweis, „daß zum rechten Brauch der Sakramenten der Glaube gehöre“ (Apol XIII,20: BLSK 295,21ff.), der Glaube keineswegs zu einem die Sakramentsgnade ergänzenden Zusatz oder gar zu einer vom Menschen beizubringenden Voraussetzung erklärt werden, welche die Sakramentsgnade allererst konstituiert. Dass die Wirklichkeit der sakramentalen Gnade durch die stiftungsmäßige Verwaltung des Sakraments, also durch das gültig gesetzte Zeichen und nicht durch subjektive Bedingungen auf Seiten des Spenders oder des Empfängers zustande kommt, hat reformatorische Theologie in der Regel ebenso entschieden festzuhalten versucht, wie sie das wirksame Zuvorkommen des gnädigen Handelns Gottes vor allem menschlichen Eigenvermögen betonte. Der dreieinige Gott, näherhin der göttliche Geist, fungiert mittels der media salutis als heilsmediatorisches Wirksubjekt. Deshalb sind die Heilsmedien primär Zeichen göttlicher Gabe für uns und erst sekundär Zeichen menschlicher Glaubensantwort, nicht nur – um es unter Bezug auf den XIII. Artikel der Confessio Augustana zu sagen – „notae professionis inter homines“, sondern auch und vor allem „signa et testimonia voluntatis Dei erga nos“. In dieser Auffassung stimmen nicht nur Luther und Melanchthon überein, ihr pflichtet auch Calvin bei. Anders als Zwingli, dessen Gegensatz zur Sakramentsauffassung der Wittenberger Reformation spätestens in den Jahren 1529/30 offenkundig wurde, lässt er Sinn und Geltung der Heilszeichen nicht durch Glauben konstituiert sein, wenngleich ihre Heilswirkung nur dem Glauben zugute kommt. Das Verheißungswort ruft den Glauben hervor, das sakramentale Zeichen besiegelt und ratifiziert ihn auf elementare Weise. Es ist hier nicht näher auf die binnenreformatorischen Unterschiede in der Verhältnisbestimmung von Zeichen und Bezeichnetem im Allgemeinen und Wort und Sakrament im Besonderen einzugehen. Auch Abweichungen in der Bestimmung der Wirkung der Heilsmittel und der sakramentalen Gabe sind nicht eigens zu thematisieren. Ich verweise hierfür auf meine „Einführung in die evangelische Sakramentenlehre“ (Darmstadt 1988), der Genaueres sowohl zu den innerreformatorischen als auch zu Kontroversen mit den sog. Altgläubigen zu entnehmen ist. Angefügt seien im Folgenden nur noch einige Bemerkungen zum Problem der Zahl der Sakramente und ihrer Stiftung sowie zu Taufe und Abendmahl als sacramenta maiora. Dabei ist vorausgesetzt, dass die Unterteilung der Heilsmittellehre in die Lehre einerseits vom Wort und

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andererseits vom Sakrament missverständnisträchtig ist. Um deutlich zu machen, dass beide Medien in dem einen Wort Gottes gründen, das Jesus Christus in Person ist und das von der Hl. Schrift als der kanonischen Urkunde des Glaubens normativ bezeugt wird, sollte besser von mündlich gepredigtem und dem mit einer Zeichenhandlung bzw. einem äußeren Element versehenen Wort gesprochen werden, das über das Gehör hinaus sinnenfällig zu wirken vermag. Wie immer man sich terminologisch entscheidet: Die Zahl der Sakramente Wort und Sakrament verweisen nicht nur extern, sondern aus inneren Gründen aufeinander. Ein bloßer „Verbismus“ ist ebenso abwegig, wie ein ritualistischer Sakramentalismus, der auf das verbale Wort meint verzichten zu können. Nimmt man hinzu, was über die Terminologiegeschichte des Sakramentsbegriffs gesagt wurde, dann wird man sich zudem rasch von der Richtigkeit der These Melanchthons überzeugen, dass kein vernünftiger Mensch um die Vokabel bzw. um die Zahl der rituellen Zeichenvollzüge, die durch sie benannt werden sollen, großen Zank veranstalten wird, wenn nur „Gottes Wort und Befehl nicht abgebrochen werde“ (Apol XIII,17: „si tamen illae res retineantur, quae habent mandatum Dei et promissiones“). Melanchthon verbindet diese Feststellung mit dem historischen Hinweis, auch die Väter hätten keinen abgeschlossenen Sakramentsbegriff, mithin keine definitive Zahl von Sakramenten gekannt. In der Tat gab es vor Mitte des 12. Jahrhunderts weder eine feste Sakramentsdefinition noch eine einheitliche Zählung. So wurde bestimmten kirchlichen Riten sakramentaler Rang zuerkannt, ohne sie Sakramente zu nennen, während umgekehrt Heilszeichen des Alten Bundes sacramenta genannt wurden, ohne dass man ihnen sakramentale Bedeutung zumaß. Hinzu kommt, dass der Sakramentsbegriff lange Zeit gar nicht auf den Bereich des kirchlichen Kultus eingeschränkt war. Erst in der Frühscholastik kam es zu ersten Klassifizierungsversuchen, bis um 1150 schließlich jene Zählung und Reihenfolge von Sakramenten sich durchsetzte, die im Konzil von Trient (vgl. DH 1601) vom römisch-katholischen Lehramt unter Bezug namentlich auf das sog. Armenierdekret des Konzils von Florenz 1439 (vgl. DH 1310–1328; ferner 1347ff.) gegen die Angriffe der Reformation verteidigt und endgültig definiert wurden: Taufe (baptismum), Firmung (confirmatio), Herrenmahl (eucharistia), Beichte/Buße (paenitentia), Letzte Ölung bzw. Krankensalbung (extrema unctio), Weihe (ordo) und Ehe (matrimonium). Auch von der ostkirchlichen Theologie wurde die Siebenzahl der Sakramente seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts faktisch anerkannt, wenngleich es im Bereich der Orthodoxie zu keiner lehramtlich verbindlichen Aussage gekommen ist. Was den Westen betrifft, so hatte Thomas die Siebenzahl der Sakramente u.a. mit Verweis auf den sakramentalen Zweck persönlicher und gemeinschaftlicher Vervollkommnung begründet. Wie das körperliche Personleben durch Zeugung, Wachstum, Ernährung und gegebenenfalls durch Heilungsmaßnahmen sich erhält und erbaut, so wird das geistliche Personleben durch Taufe, Firmung, Eucharistie sowie durch Buße und Krankensalbung bewahrt und gestärkt. In seiner Beziehung

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zur Gemeinschaft aber wird der Mensch durch öffentliche Leitungsvollmacht sowie durch natürliche Fortpflanzung und entsprechend durch Weihe und Ehe vervollkommnet. Daraus ergibt sich zugleich die Reihenfolge der Sakramente, wobei als das wichtigste der Sakramente das Altarsakrament genannt wird, weil in ihm Christus selbst wesenhaft enthalten ist, wohingegen die anderen Sakramente nur eine werkzeugliche, von Christus mitgeteilte Kraft enthalten. Den Heilszeichen des Alten Bundes, unter denen die Scholastik vor allem die Beschneidung hervorhebt, wird eine eigentliche sakramentale Bedeutung abgesprochen, insofern sie die in Jesus Christus erscheinende Gnade vorläufig versinnbildlichen, keineswegs aber enthalten und verursachen. Innerhalb der lutherischen Bekenntnistradition lehnte man zwar die herkömmliche Siebenzahl der Sakramente ab, ohne deshalb zu einer klar fixierten und einheitlichen Alternativzählung zu gelangen. Neben den erwähnten Vorbehalten gegenüber einem allgemeinen Sakramentsbegriff ist dafür vor allem die Tatsache verantwortlich, dass die Reformatoren den Zeichenbegriff unterschiedlich verwendeten. Während er bei Melanchthon die ganze rituelle Handlung (ritus; ceremonia; opus) umfasst, konzentriert ihn Luther stärker auf die sichtbaren Elemente, was zu einer engeren Fassung des Sakramentsbegriffs und zu seiner Beschränkung auf Taufe und Herrenmahl führen konnte. Indes konnte Luther, wie sein Kleiner Katechismus (BSLK 517ff.) beweist, auch Buße und Beichte durchaus in einem Zusammenhang mit Taufe und Abendmahl nennen und damit zu einer entsprechenden Zählung gelangen wie Apol XIII, wo Taufe, Abendmahl und Beichte/ Buße ausdrücklich Sakramente im strengen Sinne von göttlich gebotenen Gnadenzeichen genannt werden: „Denn diese haben Gottes Befehl, haben auch Verheißung der Gnaden, welche denn eigentlich gehöret zum neuen Testament und ist das neue Testament.“ (Apol XIII,4: „Nam hi ritus habent mandatum Dei et promissionem gratiae, quae est propria novi testamenti.“) Dass es dabei nicht um den Sakramentsbegriff als solchen, sondern um die besondere Wertigkeit konkreter ritueller Vollzüge im Unterschied zu anderen geht, zeigt sich daran, dass Melanchthon gegebenenfalls die Sakramentalität des unter Handauflegung vollzogenen ordo (Weihe) anzuerkennen bereit war, wenn das ordinationsgebundene Amt nur recht verwaltet und nicht etwa nach der Weise werkgerechten Opferdienstes missbraucht werde (Apol XIII,11: „Si autem ordo de ministerio verbi intelligatur, non gravatim vocaverimus ordinem sacramentum. Nam ministerium verbi habet mandatum Dei et habet magnificas promissiones ...“). Selbst die Ehe kann unter gewissen Bedingungen Sakrament genannt werden (Apol XIII,14f.), ebenso, ja vom Neuen Testament her mit noch größerem Recht, Gebet, Almosen sowie Kreuz und Trübsal der Christen (Apol XIII,17). Dieser Befund bestätigt erneut, dass der reformatorische Sakramentsbegriff eine vergleichsweise geringe theologische Eigenbedeutung hat und nicht in dem Sinne abgeschlossen und definitiv ist, dass er eindeutige Festlegungen und Alternativen begründen könnte. Worauf es der lutherischen Reformation hinsichtlich überkommener kirchlicher Zeichenvollzüge im Wesentlichen ankam, ist neben und mit dem Problem, wie sich äußeres Zeichen

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und Wort zueinander verhalten, die Frage, ob jene Zeichenhandlungen ein klares Mandat und eine Gnadenverheißung Gottes haben (Apol XIII,3: „sacramenta vocamus ritus, qui habent mandatum Dei et quibus addita est promissio gratiae“). Ein Mandat Gottes, welches es erlaubt, einen kirchlichen Zeichenvollzug Sakrament zu nenMandat und Verheißung nen, sah man in der Wittenberger Bekenntnistradition dann als gegeben an, wenn man auf einen biblischen Beleg verweisen konnte, aus dem eindeutig hervorging, dass die entsprechende Zeremonie von Jesus Christus zu regelmäßigem kirchlichen Gebrauch eingesetzt wurde. Festgehalten werden sollte damit vor allem, dass Jesus Christus bzw. der in Jesus Christus offenbare dreieinige Gott als Subjekt aller Sakramente zu nennenden kirchlichen Handlungsvollzüge zu gelten hat. Damit ist angezeigt, dass der Begriff der Einsetzung nach lutherischem Verständnis nicht nur ein einmaliges historisches Stiftungsgeschehen bezeichnet, das isoliert betrachtet werden könnte, sondern immer auch darauf verweist, dass der Stifter des Sakraments als dessen ständiger Herr und Wirklichkeitsgarant fungiert. Entsprechend stellt Jesus Christus bzw. der dreieinige Gott als Subjekt der sakramentalen Vollzüge zugleich deren wesentlichen Inhalt dar. Dieser Sachverhalt hinwiederum ist nur unter der Voraussetzung des engen und unauflöslichen Zusammenhangs von mandatum und promissio Dei recht zu verstehen: Wie nämlich Gott in Jesus Christus um unseres Heils willen offenbar ist, so sind die vom göttlichen Offenbarer eingesetzten Sakramente uns zugute gestiftet und stets als mit einer Gnadenverheißung verbunden zu erachten. Auch wenn sich das Stiftungsproblem seit Aufkommen der historisch-kritischen Bibelexegese erschwert hat, ist seine Lösung dennoch nicht unmöglich geworden, wenn man auf der Basis des reformatorischen Einsetzungsverständnisses argumentiert. Als zum Gebrauch in der Kirche Jesu Christi eingesetzt können in einem weiten Sinne all jene Zeichen und Zeichenhandlungen gelten, die der konkreten Erinnerung an seine Geschichte dienen und solcher Erinnerung einen historisch identifizierbaren Anhalt bieten. Eine besondere Bedeutung kommt dabei jenen Zeichen zu, welche schon zu irdischen Lebzeiten Jesu das österliche Gedächtnis antizipierten, welches dem Gekreuzigten gestiftet ist, indem sie auf seine Sünderliebe und aufopferungsvolle Hingabe für die Seinen verwiesen. Die Plausibilität eines solchen Verweises muss nicht unmittelbar von der Verifikation der Historizität der klassischen biblischen Stiftungsworte abhängen. In welchem Maße die nachösterliche Gemeinde auch immer an der neutestamentlich tradierten Gestalt der Stiftungsworte beteiligt war, als dem Willen des Herrn entsprechend können sie unter der Voraussetzung gelten, dass sich ein intentionaler Bezug zu einem gegebenen Auftrag des Irdischen herstellen lässt. Es müssen gute Gründe dafür sprechen, dass sich Initiative und Wille zur Fortsetzung der durch die neutestamentlichen Einsetzungsworte begründeten Zeichenvollzüge auf den irdischen Jesus selbst zurückführen lassen, wie das bei Taufe und Abendmahl eindeutig der Fall ist, welche beide bereits beim Irdischen begegnen. Ohne einen solchen, über historische

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Erinnerungsleistungen und Traditionskontinuen zugänglichen Zusammenhang würden die besagten kirchlichen Handlungen ihre Legitimationsbasis verlieren. Für die Kirche als sakramentale Gemeinschaft bedeutet dies, dass sie die ihr aufgetragenen Zeichenvollzüge stiftungsgemäß nicht anders zu gebrauchen vermag denn als „Empfangshandlungen“ (Ebeling), in denen der Herr selbst seiner Kirche richtend und rettend begegnet. Sie ist, wo es um Heilsmittlerschaft zu tun ist, lediglich auf vermittelte Weise, nämlich in der Gewissheit tätig, dass sie sich selbst samt all ihrem Tun, mit welchem sie Menschheit und Welt zu dienen hat, jener Gabe verdankt, welche niemand anders als der Herr selbst ist und welche weiterzugeben der Kirche aufgetragen ist. Von daher sind die Sakramente auch unter ekklesiologischem Aspekt primär als Gnadenmittel zu betrachten, wohingegen sie als kirchliche Bekenntnis- und Erkenntniszeichen nur dann recht in Betracht kommen können, wenn sie zuvor als Gnadenmittel erkannt und bekannt sind, von welchen – wie Menschheit und Welt überhaupt – auch die Kirche lebt, die jedenfalls darin von Menschheit und Welt grundsätzlich ununterschieden ist. Die in Teilen der Christenheit gebräuchliche Rede von der Sakramentalität der Kirche darf diesem Sachverhalt nicht widersprechen, hat ihm vielmehr zu entsprechen, soll sie dogmatisch akzeptabel sein. Zeichen der Gegenwart Gottes für Menschheit und Welt kann die Kirche nur sein, wenn sie sich in allem, was sie ist, als sich gegeben weiß. Ihr Wesen ist entsprechend dasjenige einer – durch den Sinngehalt der ihr zum bekennenden Vollzug aufgetragenen media salutis vermittelten – Glaubensgemeinschaft. Oder anders gesagt: Die Kirche ist wesentlich communio sanctorum, also die Gemeinschaft jener, welche durch gläubige Anteilnahme an den sancta von Wort und Sakrament dazu geheiligt sind, in Wort und Sakrament bekennendes Zeugnis abzulegen von dem Grund, auf welchen wie das Heil der Kirche, so auch dasjenige von Menschheit und Welt gebaut ist. Wie aber dem Glauben die Werke der barmherzigen Liebe notwendig folgen, so ist die Kirche als sakramentale Glaubensgemeinschaft dazu bestimmt, auch exemplarische Liebes- und Dienstgemeinschaft zu sein. Unter diesem Aspekt können die sakramentalen Vollzüge der Kirche dann – um nur einige der in gegenwärtiger ökumenischer Sakramententheologie begegnenden Bestimmungen zu benennen – nicht nur als kommunikative Handlungen (Ganoczy; Hünermann), sondern auch als Ausdruck der Umkehr zu Gottes Gegenwart in dieser Welt (Boff ), als Provokationen zu gesellschaftsveränderndem Handeln (Schupp) und als Indikative und Imperative verstanden werden, für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Welt und Umwelt des Menschen (Vercruysse) einzutreten. Um gegen Ende des Epilogs noch einmal auf seine anfängliche Thematik zurückzukommen: Ekklesiologische Gleichursprünglichkeit von Als entscheidender Grund für die sakraments- Individualität und Sozialität theologische Reduktion reformatorischer Lehre und Praxis auf Taufe und Abendmahl wird in der Regel angegeben, dass im strengen Sinne nur diese beiden rituellen Empfangshandlungen und möglicherweise auch noch die Buße über ein sichtbares äußeres Zeichen verfügen und von Chris-

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tus eingesetzt sind bzw. dessen Mandat und Verheißung haben. So wichtig diese beiden Aspekte zweifellos sind, systematisch betrachtet dürfte für die besagte Zentrierungstendenz vor allem die Tatsache wirksam geworden sein, dass sich wie die theologische Aufmerksamkeit der Reformation im Allgemeinen, so auch ihre sakramentstheologische Aufmerksamkeit im Besonderen primär auf den Konstitutionszusammenhang des Glaubens ausrichtete und erst in zweiter Linie auf den empirisch-biographisch orientierten Zusammenhang der Glaubensrealisierung, -erhaltung und -stärkung, der im Tridentinum im Mittelpunkt des Interesses stand. Bestätigt wird diese Annahme durch die Einsicht, dass die eigentümliche Verfasstheit des apostrophierten Begründungszusammenhangs des Glaubens durch die sakramentale Zweieinigkeit von Taufe und Abendmahl in einer unschwer zu erkennenden und präzisen Weise strukturiert ist. Die Taufe ist nach überkommener, von der Reformation bekräftigter und namentlich gegen die sog. Anabaptisten verteidigte Lehre ihrem Wesen nach unwiederholbar. Warum? Weil das durch die Taufe vermittelte und im Glauben wahrgenommene menschliche Gottesverhältnis in seiner Art einzig und von prinzipieller Individualität ist. Während kein Welt- und Selbstbezug die irreversible und nicht reproduzierbare bzw. duplizierbare Einmaligkeit des Eigenen zu begründen vermag, darf der Getaufte seiner unverwechselbar singulären Identität gewiss sein. Er hat einen Namen bei Gott, der in Ewigkeit unvergessen bleibt. Ist sonach die Taufe in ihrer Unwiederholbarkeit das wirksame Zeichen prinzipieller Individualität des Menschen vor Gott, welche Individualität in den Selbst- und Weltbezügen des Menschen vorauszusetzen ist und zu entsprechender Wirkung kommen soll, so wäre das sacramentum individuationis der Taufe doch gründlich missverstanden ohne entsprechenden Bezug zum sacramentum communionis des Abendmahls, welches in seiner Wiederholbarkeit als elementares Wirkzeichen gottfundierter Sozialität zu gelten hat, welche ebenfalls in allen Selbst- und Weltbezügen der Menschen vorauszusetzen ist und zu entsprechender Geltung kommen soll. Indem wir im Mahl des Herrn Anteil gewinnen an Leib und Blut, will heißen: an der in Gott verewigten, zur Gottheit des dreieinigen Gottes unveräußerlich hinzugehörigen Person der auferstandenen Gekreuzigten, werden wir untereinander zu einer personalen Gemeinschaft wechselseitiger Teilhabe und Teilgabe, zum Leib Christi zusammengeschlossen, der zu sein die Kirche in allen ihren Erscheinungsformen bestimmt ist. Taufe und Abendmahl stehen so in ihrer Unwiederholbarkeit bzw. Wiederholbarkeit als wirksame Zeichen für die gottgegründete Gleichursprünglichkeit von Individualität und Sozialität, wie sie für das Leben des Glaubens und der Kirche bestimmend und charakteristisch ist. Individualität und Sozialität haben als gleichursprünglich und paritätisch zu gelten. Das Grundgesetz christlichen Kirchenverständnisses ist mit diesem Satz bündig umschrieben. Weder ist die Kirche ein vereinsmäßiger Zusammenschluss atomistischer Individuen, noch eine Größe, in der die Einzelnen zu bloßen Funktionsmomenten eines vor- und übergeordneten Gemeinschaftsganzen herabgesetzt werden. Welche ekklesiologischen Folgen hieraus zu ziehen sind, ist im dritten

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Band dieser Reihe skizziert worden. Konkretisiert wird sein Inhalt in meiner historischen und systematischen Einführung in das Konkordienbuch „Theologie der Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche“ (2 Bde., Berlin/New York 1996/98). Sie schließt zugleich die verbliebene Lücke zwischen Spätmittelalter und früher Neuzeit und markiert überdies den konfessionellen Traditionszusammenhang, aus dem heraus in den vorliegenden Reihenbänden über Religion, Offenbarung und Kirche sowie Gott, Christus und Geist argumentiert wurde und in den restlichen Folgebänden über Schöpfung, Sünde, Versöhnung und Vollendung argumentiert werden soll.

Register

Namensregister erstellt von Frau Barbara Rappenglück (In den Literaturangaben aufgeführte Personennamen werden in der Regel nicht eigens benannt.) Abaelard, P. 341ff. Albinos 260f. Alexander der Große 90f., 94f., 97f., 107, 110 Alexander von Alexandrien 280 Alt, A. 119f. Anaximenes 39 Anselm von Canterbury 323, 333f., 336, 338ff., 343 Apollinaris von Laodizea 301 Appel, N. 171 Aristides von Athen 262 Aristoteles 38, 90, 186, 284, 313 Arius 280, 284, 299f. Assmann, J. 92, 248 Athanasios/Athanasius 140f., 184f., 233, 280, 285ff., 300, 312, 334f. Athenagoras 266 Augustin 141, 281, 286, 317ff., 333, 335, 354, 359f. Aulen, G. 343f.

Biel, G. 345 Bornkamm, G. 209 Bousset, W. 131, 134ff. Braun, H. 174, 177 Bultmann, R. 86f., 135f., 176f., 221f., 226

Baarlink, H. 151 Barnabas, 145, 201, 203, 207, 238, 253f. Barth, K. 216, 248, 356 Basilius von Caesarea 287, 300, 312 Bauer, G. L. 176 Baur, F. C. 134, 194ff., 220, 245ff., 339 Becker, J. 223 Berengar 360 Berger, K. 131, 219f.

Ebeling, G. 9 Echnaton 92f., 117 Eichhorn, A. 131 Eusebius von Caesarea 140, 153, 226, 257, 271, 349 Eutyches 315

Calvin, J. 349, 356, 361 Childs, B. S. 127ff., 179, Clemens Romanus 145, 253, 255f. Clemens von Alexandrien 140, 270f., 279, 297, 301, 304 Conzelmann, H. 177 Cremer, H. 338 Crossan, J. D. 9 Cyrill von Alexandrien 271, 303, 306, 312 Diodor von Tarsus 271, 302 Diogenes von Apollonia 38 Domitian 94, 146, 160, 255 Dunn, J. D. G. 211f. Duns Scotus 342, 345

Gabler, J. P. 175 Gaios 260f.

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Register

Gallio 204, 209 Gerhard, J. 252, 349 Goppelt, L. 177 Gregor von Nazianz 287, 300, 312, 325 Gregor von Nyssa 287, 300, 312, 323 Gregor Thaumaturgos 271 Greßmann, H. 131 Gunkel, H. 131 Harnack, A. v. 259, 310, 338 Heitmüller, W. 131, 136 Hegel, G. W. F. 134, 195 Hengel, M. 106 Herrmann, R. 338 Hermas 254f. Hippolyt 77, 269, 304 Honorius I. (Papst) 308 Hübner, H. 127f., 131, 193 Hugo von St. Victor 359 Ignatius von Antiochien 193, 147, 202, 253, 255f., 277 Irenäus 85, 134, 140, 152f., 224, 226, 257, 260, 263, 268f., 282, 297, 304f., 333, 335 Jakobus (Herrenbruder) 60f., 72, 100f., 139, 158f., 193, 201, 207 Jason (Hohepriester) 99, 107 Jeremias, J. 177 Johannes der Täufer 21f., 26, 52ff. Johannes von Damaskus 308, 311ff., 327 Johannes Markus 149f. Jüngel, E. 216f. Justin 146, 183, 253, 260ff., 270, 282, 296 Käsemann, E. 173f. Kittel, R. 119 Köster, H. 131 Lanfrank 360 Leo I. (Papst) 269, 303 Leon III. (Kaiser) 308 Leontius von Byzanz 253, 306, 315f. Loofs, F. 338 Lukas 143, 150f., 156, 209

Luther, M. 42, 143, 168, 174, 197, 211, 216f., 331f., 343ff., 349, 356f., 361, 363 Mani 235 Markion 115, 127, 140, 183ff., 235, 25, 268 Markschies, C. 183ff. Melanchthon, P. 343, 347, 356f., 361ff. Melito von Sardes 126, 270 Michaelis, J. D. 175 Mose 116f., 144, 148, 154, 189, 223, 247, 262, 264, 267, Mowinckel, S. 119 Nero 160, 204, 210 Nestorius 271, 303, 315 Noth, M. 119f. Ockham, W. 345 Origenes 140, 183, 185, 255, 271, 279f., 297f., 301, 304 Papias von Hierapolis 147, 149, 253, 257 Paschasius Radbertus 360 Paul von Samosata 278, 298 Paulus 30, 42, 44ff., 57, 71, 74, 78f., 81f., 84, 87, 103, 109, 111ff., 123, 125, 127, 132, 134, 139, 143f., 149, 153ff., 160f., 189ff., 200ff., 236, 238ff., 244, 246, 249 Petrus 59ff., 72, 84, 139, 144f., 149, 159ff., 201, 204, 207f., 238f., 281 Petrus Lombardus 312, 360 Philippus 189, 238 Philo von Alexandrien 37f., 99, 196, 226, 261, 265, 277, 295f. Platon 38, 90, 186 Polykarp 79, 85, 103, 160, 253, 256f., 268 Quadratus 262 Rad, G. von 119, 178f. Räisänen, H. 178f. Ratramnus 360 Ritschl, A. 195f., 259, 338 Sabellius 278, 298

Namensregister

Sanders, E. P. 9, 210ff. Schlatter, A. 226 Schleiermacher, F. D. E. 165, 197, 356 Schmidt, K. L. 150 Schmithals, W. 57 Schneemelcher, W. 76f. Schweitzer, A. 212 Seeberg, R. 338 Semler, J. S. 164f., 175 Seneca 76, 186 Silas 208f. Stauffer, E. 25 Stendhal, K. 210 Stephanus 60, 72ff., 100, 112, 144f., 156, 188ff., 195, 206, 238f. Tatian 237, 260, 262, 296 Taubes, J. 22, 248ff. Tertullian 140, 269f., 279, 282, 286, 304, 335 Theißen, G. 51ff., 55f., 63, 131ff., 136, 155ff.

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Theodor von Mopsuestia 271, 302, 307 Theophilus von Antiochien 268 Theophilus von Alexandrien 265f. Thomas 115 Thomas von Aquin 317, 324ff., 342, 359, 362 Tiililä, O. 343f. Timotheus 78f., 82, 145, 154, 156, 209 Titus 76, 78f., 154, 156, 203, 209 Trilling, W. 148 Troeltsch, E. 56 Valentinus 253, 268 Vermes, G. 9 Weber, M. 45 Wellhausen, J. 119f. Wilckens, U. 215, 224f. Wrede, W. 131, 178, 180, 212 Zeno (Kaiser) 306 Zwingli, U. 347, 356, 361

Sachregister erstellt von Herrn Dr. Stefan Dienstbeck Abendmahl/Mahlfeier 41, 50, 60, 64, 67, 72, 86, 108f., 188, 206, 224, 239, 242f., 286, 331, 347, 352ff., 360ff. Adoptianismus 276, 278, 297, 325 Ägypten 87, 91ff., 110, 117, 186, 223, 233, 253, 305 Alexandria 37f., 91, 99ff., 110, 140, 153, 192, 196, 201, 254, 260, 270f. 277, 280, 312 Alexandrinische Schule/Theologie 110, 140, 145, 270f., 279f., 296ff., 301ff., 312 Ältestenamt/Ältestenrat/Älteste 50, 60, 62, 72, 82f. Altprotestantische/Altlutherische Orthodoxie 164f., 175, 252, 343, 349, 351

Amt – apostolisches/kirchliches/petrinisches 45ff., 57ff., 71, 76ff., 156ff., 165f., 171, 174, 184, 190, 193, 201, 203, 243, 245, 256, 258, 268, 362f. – Jesu (dreifaches Amt) 330ff., 344, 349 Anathema 278f., 282ff., 298f., 307f. Anhomöer 285f. Anhypostasie 315, 324, 327 Anthropologie 12, 36f., 177, 212, 266f., 297 Antinomismus 190, 215 Antiochenische Schule/Theologie 110, 265, 268, 270f., 277ff., 296, 298, 301ff., 341

372

Register

Antiochenischer Zwischenfall/Konflikt 84, 200ff., 239 Antiochia 46, 57, 74, 87, 100ff., 110ff., 125, 143, 147, 185, 189ff., 201ff., 238, 253, 255f., 265, 268ff., 277ff. Apokalyptik 9, 14f., 21ff., 54ff., 68, 74f., 101, 103, 107, 113, 120, 136, 146, 153, 183, 191ff., 205, 211, 222f., 232, 253, 255, 258, 355 Apokryphen 12, 76ff., 127, 140, 156, 162, 187, 200, 204, 258 Apollinarismus 301, 326 Apologetik/Apologeten 70f., 104, 119, 225, 249, 252, 258f., 262ff., 304, 312 Apostelkonvent/Apostelkonzil 70, 73, 132, 158, 191, 203f., 207f., 238f. Apostolat 46, 57f., 62f., 69, 76, 79ff., 207 Apostolische Väter 77, 252ff., 262, 277, 282, 304 Apostolisches Glaubensbekenntnis/Apostolicum 281 Apostolisches Zeitalter 46, 62, 69ff., 75ff., 85, 102f., 124f., 134, 139, 195, 353 Aramäisch 50, 60, 73, 75, 95ff., 110, 112, 144, 158, 187ff., 205, 239 Arianismus/Arianischer Streit 40, 261, 278, 280, 284ff., 299ff., 332 Aristotelismus 296, 302f., 313f., 359 Assyrien 93, 96f. Auferstehung 10, 17ff., 25f., 29ff., 42f., 48, 50f., 57ff., 67ff., 85, 102, 111, 113, 115, 120, 122, 125, 127, 132, 136, 139, 149ff., 158, 169, 177, 186ff., 202, 206f., 212, 216f., 221, 227, 229, 232, 235ff., 256, 258, 261, 263, 266f., 273ff., 283, 291ff., 305, 330ff., 343, 352ff., 366 Auferweckung 10, 26, 30ff., 59, 65f., 68, 72, 102, 112ff., 131, 137, 151, 184, 190, 228, 236, 247, 273, 348, 357 Aussendung 57f., 63 Außerkanonische Literatur 12, 78, 156, 180, 233, 254 Authentizität, historische 13ff., 25, 57f., 62, 144, 154ff., 160f., 192, 195, 238, 256, 257, 283 Babylon 90ff., 149, 160, 235, 357

Babylonische Gefangenschaft/Babylonisches Exil 97, 149, 235 basileia 16, 23, 63, 65, 74, 116f., 120, 228, 355 Bekenntnisschriften 28, 43, 165ff., 331, 347ff., 360, 363ff. Bergpredigt 147 Beschneidung 101f., 118, 133, 187, 190, 201ff., 207, 214, 239f., 242, 254, 363 Biblische Theologie 123, 127, 129, 131, 175ff., 236 Bischof/Bischofsamt 62, 76ff., 147, 166, 183ff., 233, 254ff., 265, 269, 280, 283, 298, 303, 321 Bischof von Rom siehe: Papst Böses/Böser 161, 214, 241, 259, 279, 292 Bund Gottes mit Israel/Bundesvolk 59, 71, 111, 118, 120, 125f., 128, 133, 137, 205, 247, 249, 294f., 330, 362f. Bundesnomismus 21,123, 132 Byzanz 253, 283, 305f., 308, 311, 315 Caesarea 140, 155, 183, 210, 271, 287, 312, 349 Chalcedonense/Konzil von Chalcedon (4. Ökumenisches Konzil, 451) 40, 269, 278, 282ff., 293f., 300ff., 310f., 317, 324, 329 Charismatik/charisma 9, 37, 42ff., 51ff., 62, 78, 81f., 155, 158, 171 Comma Johanneum 276 communicatio idiomatum 305, 314, 326, 346 communio sanctorum 281, 365 Confessio Augustana 331f., 347f., 361 Corpus Johanneum 125, 230f. Corpus Paulinum 81, 101, 145, 153f., 157, 173, 193f. creatio ex nihilo 31, 33, 255 Damaskus 206, 240, 308, 311ff., 324ff. Damaszener Kehre/Damaskuserlebnis des Paulus 46, 81, 203ff., 240, 249 Dämonen 263 Datierung 108, 119, 146, 153, 160, 187, 204, 208, 219f., 245, 257 Deismus 175

Sachregister

depositum fidei 268 Deuteropaulinen 46, 78, 113, 153ff., 192f., 202, 220, 356 Diadochen 90, 94, 98, 107 Diakonat/Diakon 44f., 80, 83f., 188, 256 Dialektische Theologie 179 Diaspora/Diasporajudentum 37, 60, 72ff., 87, 98ff., 106ff., 137, 145f., 158f., 192ff., 205, 209, 238, 295 Didache 77, 102, 253f. Differenzkriterium 8 Dogmatik 8ff., 20, 28, 39, 77, 82, 84f., 135, 139, 151, 164ff., 221, 233, 252, 269, 271, 304, 306, 311, 323f., 332f., 349ff., 358, 365 Doketismus 71, 221, 256, 259, 266, 296, 301ff., 346 Dreieinigkeit/Dreifaltigkeit siehe: Trinität Drei Kapitel 307 Dyenergismus 307, 326 Dyophysitismus 306, 326 Dyotheletismus 305, 307, 326, 341 Ehe 356, 362f. Eigenschaften, göttliche 260, 278, 306, 321, 324 Einsetzung 45, 58f., 78, 82, 243, 255, 348, 350, 357, 361, 364, 366 ekklesia 60f., 65, 148, 184 Ekklesiologie 28, 46f., 61ff., 79, 86f., 193, 223, 246, 255f., 281, 365f. Ekstase 36f., 42, 44f., 59 Empirie/Empirismus 18, 120, 171, 178, 198, 302, 352, 366 Engel 243, 253ff., 264, 336, 338 Enhypostasie 306, 315, 325ff. Ephesus 101, 146, 153ff., 201, 204, 209, 210, 219, 223, 226, 230, 238f., 256f. Epiklese 48, 64, 231, 272, 353, 358 Epikureismus 334 Episkopat/Episkope 46, 62, 79ff., 157, 182, 185, 255f., 259 Erhöhung 20, 31, 38, 50f., 63ff., 121, 137, 151, 177, 189, 191, 220, 228ff., 237, 243, 252, 292, 324, 357 Erlösung/Erlöser 65f., 87, 122, 133, 136,

373

212, 221, 226, 230, 235, 241, 244, 246, 259, 277ff., 283, 333ff., 357 Erniedrigung 64f., 230, 243f., 252 Erscheinungsberichte/österliche Erscheinungen/Epiphanien 10, 20, 29ff., 68f., 114, 132, 139, 158, 186, 206, 228, 231f., 273ff., 292, 352 Essener 21, 52, 72, 107 Eucharistie siehe: Abendmahl/Mahlfeier Eutychianismus 306, 315 fides 43, 169, 181ff., 259 fiducia 42, 181, 361 Filioque 39f., 282, 286, 318 Frömmigkeit/Frommer 13, 21, 24, 26, 43, 50, 74, 100, 102, 107, 120, 135, 137, 140, 147f., 165, 174, 176, 198, 201, 204f., 214f., 235, 241, 281 Frühjudentum 23, 25, 56, 99, 123, 126, 130, 134, 205, 211, 275 Frühkatholizismus 80, 162 Galatien 203f., 208f. Galiläa 9, 14, 21, 52, 238, 274, 303 Gefangenschaft/Haft 97, 155, 204, 209f., 256 Gehorsam 19, 65, 73, 191, 203, 215, 243f., 294, 300, 337, 339, 350 Gerechter, leidender 19, 64 Gerechtigkeit 17ff., 41, 43, 90f., 99, 117ff., 129, 147f., 161f., 188f., 203, 210ff., 240ff., 256, 291, 294f., 331ff., 339, 342ff., 348, 350, 365 Gericht 19, 22, 25f., 53f., 64, 118, 188, 204, 215, 217, 241, 256, 331, 344 Gesetzesfreiheit 111, 113f., 134, 189ff., 201, 203, 206ff., 230 Gesetzeskritik 61, 70, 72f., 100, 112f., 144, 189, 206 Glossolalie 44f., 274 Gnade 41ff., 125, 166ff., 202f., 206, 210, 213, 217f., 223, 236, 240f., 247, 272, 275, 291, 294, 332, 345, 351, 359ff. Gnosis 57, 87, 102f., 115, 127, 133ff., 157, 184, 226, 230, 234f., 246, 258f., 263, 268ff., 334 Gottebenbildlichkeit 15, 53, 277, 323, 334

374

Register

Gottesdienst 13, 48, 50, 60f., 64, 67, 72, 74, 78f., 86, 100, 108, 110, 127, 135f., 139f., 160, 170, 173, 181ff., 223, 234, 239, 242f., 258, 263, 282, 353, 358 Gotteskindschaft/Gotteskinder 65, 148, 275, 305 Gottessohn 7, 15, 18, 86f., 115, 136, 149ff., 221, 223, 227f., 230, 243, 246, 252, 256, 274ff., 283f., 303f., 314, 325f., 348 Gottmensch 17, 242, 252, 294, 301, 303, 307f., 311, 314, 316, 325f., 330ff., 350f., 353, 357 Götzen/Götzenopferfleisch 117, 158, 208, 239, 263 gratis 41, 240, 248 Griechenland 71, 87, 91, 101, 103, 192, 208f. Handauflegung 46, 78, 83, 84, 363 Häresie 73, 116, 132, 137, 161, 170, 185, 249, 252, 256, 263, 268, 284, 287, 298, 307, 312, 314f., 319, 326 Hausgemeinde 83, 108f., 223 Hebräische Bibel/Hebräischer Kanon 100, 110, 114, 118, 125f., 130, 137f., 173 Hebraisten/Hebräer 73, 102, 112, 144, 189, 195, 201, 239 Heidenchristentum/Heidenchristen 73ff., 83, 112ff., 134ff., 191, 195, 201, 207f., 230, 239f., 242 Heil 19ff., 41, 43, 46ff., 64, 66, 73f., 87, 111ff., 136, 149ff., 166ff., 177, 181, 189f., 202ff., 215ff., 221, 231ff., 247ff., 259, 269, 277f., 291, 301, 308, 314, 330ff. Heiligtum 24, 107 Heiligung/Heiligkeit 62, 118, 167, 205, 343, 359, 365 Heilung 45, 244, 362 Hellenisten 60f., 72ff., 100f., 106, 112, 144, 188ff., 195, 206, 238f., 243 Herrenmahl siehe: Abendmahl/Mahlfeier Himmelfahrt 33, 283, 358 Historischer Jesus 7ff., 32, 66, 80, 148 Historismus 8f., 179, 198

Hoheitstitel, christologische/messianische 14f., 17, 86, 121, 276 Hohepriester 99, 107, 145, 158, 243ff. Hölle 16, 292, 344, 348, 351, 358 Homöer 285, 287 Homoousie/homoousios 39f., 264, 284ff., 301f. Homöousie 285ff., 300 Hypostase/hypostasis 37f., 40, 231, 261, 265, 278ff., 293, 295, 299ff., 312ff. siehe auch: persona Ich-bin-Worte 228f., 252 Identität Jesu Christi 10, 17, 32f., 61, 85, 151, 237, 252, 273, 291f., 314, 347f. Identitätsmerkmale/identity marker 21, 60, 75, 107, 118, 121, 211, 214, 248 Ikonoklasmus 308f., 311 Inkarnation 31, 122, 221, 243ff., 251f., 256, 264, 267, 276, 278f., 243, 267, 291, 293, 296, 301, 304, 306, 308, 314ff., 324f., 328, 330, 334ff., 342f., 347f. Inspiration 42, 167, 266 siehe auch: Verbalinspiration intercessio Christi 349, 351 Islam 116, 305 Italien 87, 281, 286 Jesusforschung 7ff. Johannesprolog 221, 226, 228, 247, 264, 303f. Jordan 14, 53, 73, 149, 238 Judenchristentum/Judenchristen 50, 54ff., 71ff., 83, 87, 100, 102, 108ff., 125, 133, 137, 144ff., 158f., 187ff., 201ff., 217, 226, 230ff., 253 Jüdischer Krieg 70, 73, 87, 100, 138, 150, 188 Jünger/Jüngerschaft 14, 23, 27, 47, 51ff., 77, 80, 87, 111, 121, 138, 147ff., 188, 190, 220, 223ff., 232, 238, 257, 274ff., 352 Kaiserkult/Kaiseropfer 95, 103, 134, 258 Kanon/Kanonische Schriften 7, 13f., 27, 41, 48, 70f., 76ff., 89, 99, 101, 103,

Sachregister

110ff., 123, 126ff., 143, 145f., 152ff., 164ff., 182ff., 193ff., 224, 227, 232ff., 254, 257ff., 268, 281, 286, 353, 362 Kanon Muratori 140, 143, 152 Kanonizität des Kanons 165ff., 197 Kappadozier 271, 287, 300, 306, 322f. Karfreitag 353, 358 Katholische Briefe 112, 157, 202, 227 Katholizismus, römischer 62, 76, 165, 170ff., 252, 324, 349, 362 Kilikien 71, 97, 204ff., 239 Kleinasien 71, 73, 87, 90f., 101, 103, 109, 146, 154, 170, 186, 192, 194, 208f., 230, 253, 257f., 262, 268f., 278 Koine 110, 190, 205 Konfessionen 40, 84, 138, 170, 173, 282, 305, 350, 367 Konkordienbuch 28, 165, 367 Konkordienformel/Formula Concordiae 165f., 169, 349f. Konstantinopolitanum/Konzil von Konstantinopel (2. Ökumenisches Konzil, 381) 39f., 282ff., 293f., 299ff., 310 Konsubstantialität 39, 298 Konzil von Konstantinopel (5. Ökumenisches Konzil, 553) 307 Konzil von Konstantinopel (6. Ökumenisches Konzil, 680/81) 307f. Koptisch 143, 269 Korinth 44, 156, 204, 208f., 239, 255 Kreuzestod 10, 20, 22, 50, 53, 70, 101, 273, 335, 341, 344, 348 Kynismus 9, 263 Kyrios 63, 86f., 115, 121, 134ff., 252, 303 Landschaftshypothese siehe: Nordgalatische Hypothese Laterankonzil, viertes (1215) 311 Leben-Jesu-Forschung 9, 22, 212 Leeres Grab 31, 33, 273f. Liberaler Protestantismus 245, 343 Lieblingsjünger 152f., 224ff. Liturgie 48, 64, 82, 127, 269, 282, 286, 358 Logienquelle (Q) 7, 14, 80, 101f., 112, 147f., 152, 155, 159, 187, 238 Logos 39, 122, 168, 221f., 226ff., 245,

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251, 260, 263ff., 276ff., 296ff., 312ff., 325ff., 334f., 348, 350, 357 Makkabäer 89, 104, 107f., 120 Markionismus 184, 235, 268 Martyrium/Märtyrer 72f., 100, 158ff., 187, 189, 205f., 209f., 219, 224, 256ff. Masoretischer Kanon/Masoreten 138 media salutis 353f., 358ff., 365 Menschensohn 13, 15, 18, 50, 61, 64, 86, 121, 134ff., 151, 188ff., 252, 276, 301, 303 Menschwerdung siehe: Inkarnation Mesopotamien 95ff., 271 Messias/Messianität 10, 13, 16ff., 38, 49ff., 63f., 86, 115, 135f., 147ff., 188, 202, 221, 249, 252, 265, 276, 303, 352 Messiasgeheimnis 15f., 19, 151 Metaphysik 198, 259f., 305, 311, 317, 332, 342, 247 Mission – allgemein 39, 46, 53, 57ff., 70ff., 81, 87, 101, 103, 108ff., 124, 126, 143f., 148, 154, 189ff., 202ff., 217f., 229, 231, 239, 242, 268, 276 – Heidenmission 100f., 112, 144f., 190f., 210, 239 – Missionsreise 71, 203f. Mittelalter 85, 175, 196f., 267, 281, 311, 323, 331f., 336, 341, 353, 357, 360, 367 Modalismus 277ff., 297f., 313, 315 Monarchianismus 278f., 286, 297f. Monenergismus 307, 314 Monolatrie 117f., 128 Monophysitismus/monophysitischer Streit 305f., 309, 314, 326 Monotheismus 21, 88, 92, 116ff., 128, 132, 186, 191, 205, 227, 230, 248, 261ff., 270, 277, 279, 287, 294, 297ff., 319 Monotheletismus 305, 307, 314 Montanismus 133, 183, 235, 258f., 269 munus triplex siehe: Amt Jesu Mysterienkulte/Mysterienreligionen 48, 86, 136, 259, 355 mysterion 355f.

376

Register

Mysterium – Jesu Christi 276, 312, 324, 354ff. – der Trinität 320ff., 356 Mystik 212 Mythos 30, 69, 87, 90, 92, 95, 119, 132, 161, 226, 230, 259, 304 Nachfolge/Nachfolger Jesu/der Apostel 14, 27, 41, 46ff., 51, 55ff., 76, 79ff., 151, 157, 188, 206, 255 Nag Hammadi 12, 259 Naherwartung 14, 23f., 67, 232 Nestorianismus/Nestorianischer Streit 278, 307, 309, 314f., 347 Neuchalcedonismus 306f., 317 Neuplatonismus/Mittelplatonismus 38, 260ff., 277, 280, 288, 304, 311, 322, 359 New Perspective on Paul 210ff., 217 Nizäa/Nizänum/Konzil von Nizäa (1. Ökumenisches Konzil, 325) 39f., 269, 271, 280ff., 293f., 299f., 304, 309ff., 317 Nizänisches Konzil (7. Ökumenisches Konzil, 787) 309 Nizänokonstantinopolitanum 39f., 282f., 286 Nordgalatische Hypothese 203 Ökonomie, göttliche/Heilsökonomie 277, 288ff., 314, 328 Ökumene 28, 40, 45, 76, 79, 82, 184, 202, 282, 286, 304, 331, 359, 365 Ontologie 32, 305, 311, 327, 334, 346 opus supererogationis 340 Ordination 46, 78f., 82, 166, 248, 363 Osterfestbrief des Athanasios 140, 184, 233 Osterkerygma 13, 19f., 177 Osterzeungis/Osterzeugen 19, 34f., 40, 68f., 85, 112f., 206, 273ff. Ostkirche 39f., 311, 353, 355, 362 ousia 284, 287, 313ff. Papst 62f., 141, 254f., 269, 283, 286, 303, 308 Paraklet 228ff. paratheke 79, 156

Parusie 20, 23, 35, 61, 161f., 188, 191, 202, 209, 232 Parusieverzögerung 22ff., 67, 69, 74 Passion 19, 22, 39, 66, 149f., 222, 228, 243, 341 Pastoralbriefe 22, 46, 78ff., 103, 113, 154, 156f., 193, 195, 256 Patmos 146, 232 Patripassianismus 279, 298 Paulinismus 79f., 112, 160, 195, 211, 239, 245 Paulusschule/Paulusschüler 46, 76, 78, 113, 145, 154ff., 192ff. Perichorese 168, 305, 313f. Persien 90ff., 120 persona 269, 286, 298, 300, 316ff., 320ff., 341, 345, 347 siehe auch: Hypostase/hypostasis Pfingsten 27, 33, 38ff., 47, 51, 59, 64, 66, 72, 75, 112ff., 125, 187, 191, 237, 246, 272ff., 281, 292, 353, 358 Pharisäismus/Pharisäer 21, 72, 107f., 147, 204ff., 220, 249 Philippi 85, 204, 208f. Philosophie 37f., 90, 99f., 136, 154f., 186, 195, 197f., 205, 248, 259ff., 277, 279, 284, 287f., 295f., 298, 304, 313f., 346, 359 Platonismus 136, 259ff., 277, 296, 301f., 334 Plurale Identität 184ff. pneuma 36ff., 44, 266 Pneumatomachen 39, 285 Polytheismus 117f., 279 Präexistenz 87, 191, 220, 252, 255, 264, 276, 303f. Präskript 78, 153, 157ff., 192, 202 Presbyter/Presbyterat/presbyteros 46, 50, 62, 80, 83ff., 146, 153, 170, 225f., 255ff., 269 Proexistenz Jesu 19 Prophetie/Prophet 21, 36, 39, 42, 45f., 53ff., 100, 113f., 118, 127, 133, 138, 143, 146, 161, 166ff., 183, 190, 194, 222, 232, 235ff., 255, 258, 264, 267, 278, 283, 330, 349, 352 prosopon 313ff.

Sachregister

Provinzhypothese siehe: Südgalatische Hypothese Pseudepigraphie 76, 78, 154ff., 159f. Qumran 12, 14, 24, 52, 57, 226 Rabbinismus 23, 56, 88, 107f., 123, 130, 138, 147, 205, 226, 248f. Realpräsenz 64, 86, 232 Rechtfertigung 26, 64, 79, 125, 159, 166, 169f., 174, 193, 202, 206, 210, 212ff., 240ff., 275, 277, 332 Redaktionsgeschichte/Redaktor 12, 148, 222, 225 Reformation/Reformatoren 22, 28, 43, 138, 153, 164ff., 197, 201, 203, 210ff., 216, 236, 250, 259, 281, 331f., 343ff., 357, 360ff. Reich Gottes 14ff., 54ff., 65, 74, 114, 132, 136, 228, 254, 356 Religionsgeschichte/Religionsgeschichtliche Schule 21, 53ff., 75, 87, 90, 110, 115ff., 131ff., 174ff., 191, 226, 242, 247 Ritualgesetz 73, 102, 213 Rom 62, 71, 85, 94, 100, 103f., 140, 155, 160, 162, 201, 204f., 209f., 238f., 253ff., 263, 269, 278, 281, 286 Römischer Kaiser/römisches Prinzipat 52, 94 Römisches Reich/Römische Herrschaft/ Römer 52f., 70ff., 90, 98, 100ff., 109f., 131, 134, 136, 145, 150, 160, 186, 201ff., 209f., 232, 240, 252, 256, 258, 263, 267ff., 281f., 307, 338 ruah 36f. Sabbat 21, 118 Sabellianismus 278, 298, 307, 313 Sadduzäer 21 Sakrament 42, 48, 76, 86f., 132, 135f., 174, 184, 191, 221, 353ff. Samaria/Samarien 91, 96, 144, 220, 223 Satan siehe: Teufel Satisfaktion 331, 336ff., 349ff. „Säulen“ (Petrus, Jakobus, Johannes) 46, 60, 158, 203, 207f., 259

377

Scholastik 175, 253, 311, 315, 324, 332, 341, 349, 360, 362f. Schöpfung 28, 31, 33, 57, 87, 95, 114, 161, 196, 235, 255, 263ff., 272, 277ff., 291, 299, 303f., 319, 334f., 339, 345f., 348, 357f., 367 Schöpfungsmittlerschaft 87, 255, 263, 265 Schriftgelehrsamkeit/Schriftgelehrte 56, 99, 123, 136, 145, 147 Schriftprinzip 165f., 169ff., 197 Schriftsinn (vierfacher) 196ff. Seele 31, 36, 100, 122, 260f., 266f., 279, 301, 320, 326f., 359 Seligkeit 26, 283, 338, 344 Septuaginta (LXX) 29, 37, 41, 68, 71, 110, 114, 126, 130, 138, 149, 159, 173, 180, 205, 215, 316, 355f. Sinai 126, 249 Sitz im Leben 57, 126, 217, 230, 296 sola gratia 41, 202 Soteriologie 16, 19, 66, 87, 114, 159, 166, 188f., 192, 210, 212, 215, 231, 243f., 301, 330ff., 356 Speisegebote 21, 133, 187 Stellvertretung 65, 79, 188, 331, 340, 343, 348, 350, 358 Stephanuskreis 74, 144f., 188, 190, 206, 242 Stoa/Stoizismus 37, 76, 99, 136, 260, 265, 277, 284, 304 Subordinatianismus 39, 229, 264, 280, 284, 297ff. substantia 286, 298f., 317ff., 325 Südgalatische Hypothese 203 Sühne/Sühnopfer 19, 72, 100, 188, 214, 231, 242ff., 331, 334, 337, 342, 344, 348f. Sukzession, apostolische 62, 76, 79f., 82, 85, 166, 259, 268 Sünde/Sünder 19ff., 33, 39, 42, 54, 66, 121f., 166, 169, 202, 206, 210, 215ff., 231, 240ff., 264, 275, 277, 283f., 292, 304, 324, 327f., 331ff., 357f., 364ff. Synagoge 22, 46, 50, 60, 71ff., 108ff., 125, 148, 151, 206f., 230 Synkretismus 75, 87, 132, 136, 205 Synode siehe: die entsprechenden Konzilien

378

Register

Synoptiker/Synoptische Tradition 7, 12ff., 38, 53, 58f., 101f., 111ff., 128, 133, 136, 151, 156, 187, 194, 220, 224, 227ff., 246, 355 Talmud 108, 154 Tarsus 201, 205, 271, 302 Taufe 14, 38, 43, 50, 53ff., 60, 62, 67, 86, 149, 160, 188, 213, 230, 238, 253, 255, 258, 263, 276, 281ff., 353, 355, 359ff. Tempel 24, 48, 50, 52, 60f., 72f., 87, 92, 98, 100, 103, 107f., 112, 118, 120, 130, 144, 150, 187ff., 209ff., 239, 242ff., 249 Teufel 43, 244, 256, 263, 279, 333f., 341, 343 theios aner 87 Theodizee 100 Theokratie 52, 107, 119 Theopaschiten 307 Thessaloniki 204, 208 Third Quest 7ff. Thomasevangelium 12, 101, 258 Tischgemeinschaft 201 Tora 21ff., 50, 53, 66, 72f., 75, 99f., 107ff., 138, 144, 147f., 188ff., 201ff., 211ff., 230, 235, 239f., 242ff., 254, 294ff. Toramonotheismus 115, 117f., 120, 126, 294 Traditionsgeschichte 12, 14, 17, 23, 31, 40, 94, 114, 117, 146, 153, 155, 178, 187f., 190, 228, 231, 304 Trienter Konzil 356, 362 Trinität 33, 37, 39f., 88, 113, 122, 128, 133, 182, 217, 221, 227, 230, 245, 250ff., 260f., 266, 269, 271, 276ff., 291, 293ff., 307f., 310ff., 330ff., 345, 348ff., 257, 361, 364, 366 Tritopaulinen 156f. Troas 204, 208f., 256 Tun-Ergehen-Zusammenhang 21, 99, 120, 214 Uneindeutigkeit der historischen Erscheinung Jesu 9ff. Unheil 24, 215, 240, 340

unio personalis/hypostatische Unio 276, 306ff., 316, 324ff., 337, 341, 345f., 349f. Unverweslichkeit 31, 267, 335 Urchristenheit/Urchristen 10, 13, 24, 30, 49ff., 69ff., 102, 112, 114, 124ff., 174f., 178, 180, 185ff., 202, 228ff., 245, 305, 352 Urgemeinde 46, 50, 59ff., 70ff., 100f., 112, 134ff., 144, 149, 158, 176, 187ff., 207f., 242, 273 Valentinianer 268 Verbalinspiration 164f., 169 siehe auch: Inspiration Verheißung 18, 22, 26, 29, 34, 59, 111, 113, 115, 121, 127, 132, 148, 161, 169, 235, 360ff. Verkennung Jesu/seiner Sendung 16ff., 31ff., 76, 151 Verklärung Jesu 161 Versöhnung/Versöhner 28, 34, 51, 55, 64ff., 122, 209, 221, 239ff., 277, 291, 331f., 336f., 340ff., 357, 367 Wanderapostolat/Wanderradikalismus 46, 51, 55f., 81 Weihe 62, 362f. Weihnachten 303, 353, 258 Werke des Gesetzes/erga nomou 202, 206, 213ff., 240, 242, 244 Werkgerechtigkeit/gute Werke 43, 159, 162, 202, 212f., 215, 246, 344, 365 Wesenseinheit 39, 276, 280, 284ff., 299ff., 312ff., 349, 357 Wesensgleichheit 261, 280, 287, 298ff., 304, 307, 318 Wiederkunft/Wiederkehr 42, 61, 67f., 86, 135, 188, 225, 229, 232, 246, 353 Zebedaiden 50, 60, 146, 153, 158, 224f., 257 Zeloten 21, 54, 56 Zerstörung – Jerusalems 70, 97, 107f., 124, 219 – des Tempels 24, 48, 87, 98, 107f., 118, 130, 150

Sachregister

Zeugung, ewige des Sohnes 280, 291, 298f., 313 Zungenrede siehe: Glossolalie Zwei-Naturen-Lehre 256, 304ff., 341, 347 Zweiquellentheorie 12

379

Zwölferkreis der Jünger/die zwölf Apostel 45f., 50f., 56ff., 72, 77, 80f., 102, 144, 153, 188, 190, 224, 254, 273f., 281 Zypern 71, 101, 206, 208

Wenn Sie weiterlesen möchten ... Gunther Wenz

Religion Aspekte ihres Begriffs und ihrer Theorie in der Neuzeit Studium Systematische Theologie (StST), Band 1.

Band 1 erörtert im Kontext der neueren evangelischen Theologie in Deutschland Aspekte des modernen Begriffs der Religion und ihrer Theorie. Wenz geht davon aus, dass die Spaltung der westlichen Christenheit ein Ereignis mit epochalen Fragen für Begriff und Verständnis von Religion ist. Nach einer Skizze der nachreformatorischen Entwicklung entfaltet Wenz die Religionstheorien der Sattelzeit der Moderne unter Konzentration auf Kant, Hegel und Schleiermacher. Auch religionskritische Strömungen finden Berücksichtigung. Eingeleitet wird der Band mit einer an Niklas Luhmann und Jürgen Habermas orientierten Analyse zur religiösen Lage der Gegenwart. Gunther Wenz

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Unter dem Aspekt der Offenbarungsthematik bietet der zweite Band Fallstudien zur Problemgeschichte evangelischer Theologie in Deutschland während des 19. und 20. Jahrhunderts. Herangezogen werden die kritischen Rezipienten Schleiermachers, Hegels und Kants, wobei Erweckungstheologen, der späte Schelling und Ritschl samt seinen Schülern besondere Berücksichtigung finden. Erwägungen zu den Versuchen einer kulturprotestantischen Synthese sowie zum Historismus und seinen Problemen leiten über zur Theologie der Krise bei Karl Barth. Ihre Krise wiederum wird an Brunners und Bultmann, Elert, Althaus und Hirsch sowie an Tillich dargestellt.

Gunther Wenz Kirche Perspektiven reformatorischer Ekklesiologie in ökumenischer Absicht Studium Systematische Theologie (StST), Band 3.

Im Mittelpunkt von Band 3 steht die Entwicklung von Grundzügen evangelischer Ekklesiologie. In Zusammenhang mit der ökumenischen Bewegung skizziert Wenz Geschichte und gegenwärtige Verformung unter Bezug auf den Ökumenischen Rat der Kirchen, die Konfessionellen Weltbünde, die Leuenberger Kirchengemeinschaft sowie auf die EKD und die VELKD. Besondere Aufmerksamkeit gilt der Lehre vom Kirchlichen Amt und dem Dialog mit der römisch-katholischen Kirche. Den Hintergrund der Darstellung bilden die Geschichte der Konfessionalisierung der westlichen Christenheit und das Problem ziviler Befriedung von Religionsgegensätzen. Gunther Wenz

Gott Implizite Voraussetzungen christlicher Theologie Studium Systematische Theologie (StST), Band 4.

Nach den Bänden über Religion, Offenbarung und Kirche findet die Reihe zum Studium Systematische Theologie mit den Themen Gott, Christus und Geist ihre Fortsetzung. Der vorliegende Band »Gott« bietet keine allgemeine Gotteslehre in der überkommenen Form sogenannter natürlicher Theologie, sondern rekonstruiert die impliziten Voraussetzungen christlicher Theologie auf historisch-traditionsgeschichtliche Weise. Thematisiert werden zunächst die religiösen Überlieferungen Israels und die Gehalte der hebräischen Bibel. Der Entstehung des Monotheismus kommt dabei besondere Aufmerksamkeit zu. Sodann bietet Gunther Wenz eine Darstellung antiker griechischer Philosophie unter besonderer Berücksichtigung der Ontotheologie. Theologie bedarf der kritischen und orientierenden Reflexion der Philosophen. Die Philosophie kann ihrerseits nicht zu einem umfassenden Verständnis des Menschen in der Welt gelangen ohne Berücksichtigung der Bedeutung des Religiösen für die menschliche Natur. Der Folgeband »Christus« wird Jesus und den Anfängen christlicher Theologie gewidmet sein. Das trinitarisch-christologische Dogma der Alten Kirche, in dem das christliche Gottesverständnis seinen klassischen Ausdruck gefunden hat, soll im Band »Geist« erörtert werden.

Christologie

Gunther Wenz Christus Jesus und die Anfänge der Christologie Studium Systematische Theologie (StST), Bd 5. 2011. 352 Seiten, kartoniert ISBN 978-3-525-56708-1

N h den d Themen Th R li i Offenbarung, Off Nach Religion, Kirche und Gott widmet sich Gunther Wenz im fünften Band dieser Reihe einer Christologie in historischer Form. Zugeschnitten auf die Bedürfnisse von Studierenden im Hauptstudium erörtert Gunther Wenz die Geschichte der Leben-Jesu-Forschung und Grundzüge der jesuanischen Reich-Gottes-Botschaft. Er stellt außerdem die Gründe für den Prozess und die Hinrichtung Jesu dar. In drei Kapiteln zur Auferweckung des Gekreuzigten, zum Kreuz des Auferstandenen und zur Zukunft des Gekommenen rekonstruiert Wenz schließlich die Anfänge urchristlicher Christologie, deren Urdatum Ostern darstellt. In Vorbereitung sind die Bände 7-10: Schöpfung, Sünde, Versöhnung, Vollendung.

Grundfragen ökumenischen Theologie

Gunther Wenz

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Grundfragen ökumenischer Theologie

Grundfragen ökumenischer Theologie

Gesammelte Aufsätze Band 2 Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie, Band 131. 2010. 368 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-56362-5

Gesammelte Aufsätze, Band 1 Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie, Band 91. 1999. 326 Seiten, kartoniert ISBN 978-3-525-56298-7

Das 500 Jahres-Jubiläum der Reformation ist eine ökumenische Herausforderung. Sie anzunehmen und konstruktiv zu gestalten, ist das programmatische Ziel, welches diese Texte zum evangelischen, orthodoxen und katholischen Bekenntnis anstreben. Sie wollen ihren Beitrag zu einem ökumenischen Reformationsgedächtnis leisten. Gunther Wenz bietet Aufsätze aus den Bereichen 1. Evangelisches Bekenntnis und Wittenberger Reformation, 2. Orthodoxer Glaube und ostkirchliche Tradition sowie 3. Kirchliche Katholizität und römischer Katholizismus. Der Band endet mit dem Entwurf einer Gemeinsamen Erklärung zur Abendmahlslehre.

Ziel dieses Bandes ist es, durch Vertiefung in die reformatorische Bekenntnistradition zur Einsicht in das gemeinchristlich Verbindende zu gelangen. Die Beiträge sind im Rahmen der Tätigkeit des Verfassers als Mitglied des Ökumenischen Studienausschusses der Vereinigten Evangelisch-lutherischen Kirche Deutschlands und des Deutschen Nationalkomitees des Lutherischen Weltbundes, der Internationalen Dialogkommission von Lutherischem Weltbund und Päpstlichem Rat zur Förderung der Einheit der Christen sowie als der evangelische wissenschaftliche Leiter des Ökumenischen Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen entstanden.