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German Pages 454 [449] Year 2005
Supply-Chain-Management und Warenwirtschaftssysteme im Handel
Joachim Hertel · Joachim Zentes Hanna Schramm-Klein
Supply-Chain-Management und Warenwirtschaftssysteme im Handel Mit 197 Abbildungen und 2 Tabellen
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Professor Dr. Joachim Hertel
Dr. Hanna Schramm-Klein
Geschäftsführender Gesellschafter Dacos Software GmbH Stuhlsatzenhausweg 3 D-66123 Saarbrücken E-mail: [email protected]
H.I.MA. Institut für Handel & Internationales Marketing Universität des Saarlandes Gebäude 15 D-66123 Saarbrücken E-mail: [email protected]
Professor Dr. Joachim Zentes H.I.MA. Institut für Handel & Internationales Marketing Universität des Saarlandes Gebäude 15 D-66123 Saarbrücken E-mail: [email protected]
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ISBN 3-540-21916-1 Springer Berlin Heidelberg New York Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2005 Printed in Germany Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Einbandgestaltung: design & production GmbH Herstellung: Helmut Petri Druck: Strauss Offsetdruck SPIN 11006169
Gedruckt auf säurefreiem Papier – 42/3153 – 5 4 3 2 1 0
Vorwort und Einführung
Das vorliegende Buch versteht sich als Lehrbuch und als Handbuch. Es soll Studierenden der Betriebswirtschaftslehre, insbesondere der Handelsbetriebslehre und der Logistik, sowie der Wirtschaftsinformatik an Universitäten, Fachhochschulen und Berufsakademien, aber auch in der unternehmerischen Praxis Tätigen einerseits Standardwissen vermitteln und andererseits neue Wege auf dem dynamischen Gebiet des Supply-ChainManagements und der Warenwirtschaftssysteme aufzeigen. Der Fokus liegt auf dem Gebiet der Konsumgüterwirtschaft; einbezogen werden sowohl die Bereiche Food, Near-Food und Non-Food oder – in einer anderen Abgrenzung – sowohl Fast Moving Consumer Goods (FMCG) als auch Slow Moving Consumer Goods (SMCG). Angestrebt wird ein holistischer Anspruch, der dem Anliegen eines Supply-Chain-Managements gerecht wird: Die Versorgungskette wird, ausgehend vom privaten Verbraucher (Konsumenten) über den Einzel- und ggf. den Großhandel bis zum Konsumgüterhersteller, einschließlich aller dazwischen geschalteten Dienstleister, z.B. der Logistik-Dienstleister, betrachtet. Wenngleich die Supply-Chain bei umfassender Betrachtung auch die Lieferanten der Konsumgüterhersteller und wiederum deren Vorlieferanten umfasst, wird aus pragmatischen Gesichtspunkten die Versorgungskette „up-stream“ auf die Herstellerebene (Industrie) begrenzt. Die Betrachtung der Supply-Chain erfolgt vom Standpunkt des Handels, i.e.S. des Einzelhandels, aus, da – wie noch zu zeigen ist – der Handel zunehmend die fokale Rolle im Sinne des Netzwerkmanagements einnimmt. Vor diesem Hintergrund nehmen Fragen der computergestützten Warenwirtschaftssysteme im Handel eine zentrale Rolle ein, da sie „das Herzstück“ darstellen, d.h., die informatorischen Grundlagen zur (operativen) Steuerung der Supply-Chain liefern. Dieser Ansatz basiert auf dem warenwirtschaftlichen Paradigma, „dass die Kasse im Einzelhandel letztlich die Produktion steuert.“ Dieser paradigmatische Ansatz wurde von den Autoren Hertel und Zentes bereits in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts formuliert,
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Vorwort und Einführung
wenngleich er erst später, so unter dem Einfluss der ECR-Diskussion, auf die noch näher einzugehen ist, aufgegriffen und durch moderne Informations- und Kommunikationstechnologien („enabling technologies“) praktisch ermöglicht wurde. Die Fokussierung auf Konsumgütermärkte ist dabei nicht als eine ausschließliche Betrachtungsweise zu interpretieren. Die meisten der dargestellten Ansätze – dies gilt überwiegend auch für die präsentierten ITTools und Software-Module – lassen sich gleichermaßen auf den Bereich der technischen Branchen, so den Technischen Großhandel bzw. den Produktionsverbindungsgroßhandel übertragen, bei denen der Ausgangspunkt der Supply-Chain der gewerbliche Abnehmer, z.B. der Handwerker oder wiederum ein Industriebetrieb, ist. Das Buch basiert auf einer Reihe von Vorarbeiten der Autoren Hertel und Zentes, die z.T. bis in die achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts zurückgehen. Herauszustellen sind in diesem Kontext die Monografie „Warenwirtschaftssysteme“ (3. Aufl., Springer, 1999) von Joachim Hertel, die aus der gleichnamigen Dissertation aus dem Jahre 1992 hervorgegangen ist, die Studie „Warenwirtschaftssysteme im Handel“ des Gottlieb Duttweiler Instituts (Rüschlikon/Zürich) von Joachim Zentes (und Ralf Exner) aus dem Jahre 1989 sowie die Proceedings der GDI-Informationstagung „Moderne Warenwirtschaftssysteme im Handel: Vorsprung durch Information“ aus dem Jahre 1989. Zu erwähnen ist auch das Lehrbuch „Handelsmanagement“ von Hans-Peter Liebmann und Joachim Zentes (Vahlen, 2001), in dem in umfassender Form Fragen des Supply-Chain-Managements in eine moderne Handelsbetriebslehre integriert wurden. Das vorliegende Buch versucht, dem Aspekt einer holistischen Betrachtungsweise des Supply-Chain-Managements dadurch gerecht zu werden, dass in umfassender Form die Grundelemente sowie die modernen Leitlinien warenwirtschaftsbasierter Informationssysteme im Handel aufgezeigt werden. Dieses Kapitel (Kapitel 3) nimmt daher auch vom Umfang her eine zentrale Stellung ein. Die Gestaltung der Supply-Chain – sowohl aus strategischer als auch aus operativer Sicht und weiterhin sowohl aus organisatorischer (prozessualer) als auch aus informatorischer Sicht – stellt einen zweiten Hauptteil (Kapitel 2) dar. Die effektivitäts- und effizienzorientierte Steuerung der Kernprozesse des Handels auf der Grundlage moderner Warenwirtschaftssysteme ist Gegenstand des abschließenden Kapitels 4. Den wettbewerbsstrategischen Grundlagen und insbesondere den fundamentalen Sourcing-Strategien, auf denen letztlich die Supply-Chain-Management-Prozesse aufsetzen, ist das einführende Kapitel (Kapitel 1) gewidmet.
Vorwort und Einführung
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Die Verfasser danken allen, die am Zustandekommen dieses Lehr- und Handbuches mitgewirkt haben. Frau Heidrun Asmus, Frau Heike Frensch und Frau Gariele Thös danken wir für die sorgfältige Erledigung der komplexen Schreibarbeiten; Herrn Lambert Scheer, M.A., und Frau Sabine Herwig danken wir für die kreative Layout-Gestaltung und die redaktionellen Abschlussarbeiten. Saarbrücken, im Januar 2005 Joachim Hertel Joachim Zentes Hanna Schramm-Klein
Inhaltsverzeichnis
1 Grundlagen und Sourcing-Strategien im Handel .............................. 1 1.1 Gegenstand ................................................................................... 1 1.2 Begriffliche Grundlagen............................................................... 5 1.3 Entwicklungen und Rahmenbedingungen.................................. 13 1.3.1 Wettbewerbsstrategisches Umfeld und wettbewerbsstrategische Orientierungen.............................................. 13 1.3.2 Wettbewerbsvorteile durch Leistungsdominanz und Wertschöpfungsdominanz................................................ 17 1.3.3 Wettbewerbsvorteile durch Outsourcing und Systemführerschaft........................................................... 20 1.3.4 Erfolgspotenziale und Erfolgsvoraussetzungen unternehmensübergreifender Konzepte.................................... 22 1.4 Beschaffungsstrategien und ihre Bedeutung für das SCM......... 26 1.4.1 Wechselbeziehungen zwischen Beschaffung und Supply-Chain-Management ............................................. 26 1.4.2 Entwicklungstendenzen in der Beschaffung des Handels ................................................................................... 28 1.4.3 Autonome vs. kooperative und konventionelle vs. elektronische Beschaffungsprozesse....................................... 30 1.4.4 Situative Clusterung der Beschaffungsprozesse .............. 33 1.5 Gestaltung der Beziehungen zu den Lieferanten........................ 41 2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel ......................................... 47 2.1 Gesamtmodell des Supply-Chain-Managements im Handel..... 47 2.1.1 Konkretisierung des Begriffsverständnisses .................... 47 2.1.2 Strukturmodelle der Supply-Chain .................................. 52 2.2 Dimensionen der Supply-Chain ................................................. 58 2.2.1 Überblick.......................................................................... 58 2.2.2 Supply-Chain-Prozesse .................................................... 62 2.2.3 Ströme in der Supply-Chain............................................. 65 2.3 Gestaltung der Struktur der Supply-Chain ................................. 71 2.3.1 Unternehmensübergreifende Aspekte der Strukturgestaltung der Supply-Chain ............................................ 71
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Inhaltsverzeichnis
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2.3.2 Unternehmensinterne Gestaltung der Logistik................. 94 Grundstrukturen und Komponenten von Logistiksystemen..... 102 2.4.1 Überblick........................................................................ 102 2.4.2 Komponenten von Logistiksystemen............................. 113 2.4.3 Sonderformen von Logistiksystemen und -prozessen.... 150 Supply-Chain-Kooperationen................................................... 167 2.5.1 Gründe für die Entwicklung kooperativer SupplyChain-Konzepte ............................................................. 167 2.5.2 ECR-Konzept als Grundansatz ...................................... 171 2.5.3 Demand-Side-Konzepte ................................................. 176 2.5.4 Supply-Side-Konzepte ................................................... 185 2.5.5 Verknüpfung von Demand- und Supply-Side: CPFR .... 196 2.5.6 Bedeutung von IT-Systemen im Rahmen der ECRAnsätze........................................................................... 200 Enabling Technologies ............................................................. 201 2.6.1 Überblick........................................................................ 201 2.6.2 Identifikationssysteme ................................................... 203 2.6.3 Kommunikationssysteme und Kommunikationsstandards ........................................................................ 211 2.6.4 Stammdatenpools ........................................................... 215
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel......... 219 3.1 Begriffliche Abgrenzungen ...................................................... 219 3.1.1 Warenwirtschaftssysteme, Handelsinformationssysteme und ERP-Systeme .......................................................... 219 3.1.2 Teilprozessmodelle von Warenwirtschaftssystemen ..... 221 3.1.3 Arten von Warenwirtschaftssystemen............................ 224 3.2 Grundprinzipien von Warenwirtschaftssystemen..................... 232 3.2.1 Vereinfachung durch Vereinheitlichung ........................ 232 3.2.2 Operative Einheiten........................................................ 234 3.3 Die Ebenen von Warenwirtschaftssystemen ............................ 247 3.3.1 Überblick........................................................................ 247 3.3.2 Warenprozessebene........................................................ 248 3.3.3 Abrechnungsebene ......................................................... 249 3.3.4 Vorteile des Mehr-Ebenen-Konzepts............................. 250 3.3.5 Das Baukastenkonzept ................................................... 252 3.4 Aufgabenbereiche von Warenwirtschaftssystemen.................. 252 3.4.1 Grundüberlegungen........................................................ 252 3.4.2 Einkauf/Beschaffung...................................................... 255 3.4.3 Verkauf .......................................................................... 275 3.4.4 Warenabwicklung .......................................................... 283 3.4.5 Abrechnungssysteme ..................................................... 312
Inhaltsverzeichnis
3.5 3.6
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3.4.6 Rechnungsschreibung .................................................... 319 3.4.7 Rechnungsprüfung ......................................................... 321 3.4.8 Inventur .......................................................................... 324 Informationslogistik und Data-Warehousing ........................... 329 3.5.1 Grundlagen der Datensammlung.................................... 329 3.5.2 Datenbankabfragen, -analysen und Data-Mining........... 338 Betriebliches Rechnungswesen ................................................ 341 3.6.1 Das Abrechnungssystem als Basis ................................. 341 3.6.2 Ergebnis- und Kostenrechnung ...................................... 342 3.6.3 Schnittstellen zu Standardsystemen ............................... 343 3.6.4 Integration zur Konzernwarenwirtschaft........................ 344 Standard- vs. Individualsysteme............................................... 345
4 Warenwirtschaftsbasierte Steuerung der Kernprozesse des Handels ........................................................................................ 349 4.1 Gegenstand ............................................................................... 349 4.2 Steuerung des Supply-Chain-Managements............................. 349 4.2.1 Supply-Chain-Controlling.............................................. 349 4.2.2 Supply-Chain-Performance-Measurement..................... 355 4.2.3 Supply-Chain-Event-Management................................. 364 4.3 Steuerung des Supplier-Relationship-Managements................ 365 4.3.1 Überblick........................................................................ 365 4.3.2 Lieferantenanalyse und -bewertung ............................... 366 4.4 Steuerung des Category-Managements .................................... 373 4.4.1 Category-Management-Prozess ..................................... 373 4.4.2 Sortimentsanalyse und Wirkungscontrolling ................. 378 4.4.3 SimMarket als CM-Tool ................................................ 385 4.5 Steuerung des Customer-Relationship-Managements.............. 388 4.5.1 Ablauf des Beziehungsmanagement-Prozesses ............. 390 4.5.2 Zielgruppen-Bildung ...................................................... 399 4.5.3 Web-Usage-Mining........................................................ 401 Literaturverzeichnis .............................................................................. 405 Stichwortverzeichnis.............................................................................. 437
1 Grundlagen und Sourcing-Strategien im Handel
1.1 Gegenstand Warenwirtschaftssysteme und Formen des Supply-Chain-Managements gibt es letztlich, seit Handel betrieben wird. Händler kauften stets Waren von Lieferanten (Herstellern oder Großhändlern) ein, lagerten sie und verkauften sie einschließlich distributiver Operationen. Insofern existierten schon immer eine Versorgungskette („Supply-Chain“) und auch immer Warenwirtschaftssysteme, versteht man darunter Aufzeichnungen über Warenflüsse und -bestände oder auch nur einen „virtuellen Überblick“. Wenn man heute von Supply-Chain-Management und Warenwirtschaftssystemen spricht, dann wird darunter eine andere Qualität des Beobachtens, des Aufzeichnens, des Steuerns und auch eine andere Quantität der hierzu erforderlichen Informationen verstanden. Warenwirtschaftssysteme sind heute stets computergestützt oder IT-gestützt, um die komplexen logistischen und administrativen Operationen abzubilden und letztlich – bezogen auf übergeordnete Effektivitäts- und Effizienzziele – zu steuern. In Anlehnung an Hertel (1999, S. 4) wird ein Warenwirtschaftssystem als ein Modell aller Geschäftsprozesse eines Handelsunternehmens verstanden. Es besteht aus vier Ebenen, die jeweils Teilprozessmodelle bilden (siehe im Einzelnen hierzu Kapitel 3): 1. das Warenprozessmodell 2. das Dispositionsprozessmodell 3. das Abrechnungsprozessmodell 4. das Informations- und Planungsprozessmodell. Auf der untersten Ebene ist das Warenwirtschaftssystem (WWS) ein Modell der Warenprozesse, also der physischen Warenflüsse: Die Warenprozesse, wie Entladen, Einlagern, Kommissionieren, Transportieren, werden dabei in einem IT-System abgebildet. Das Dispositionsprozessmodell stellt die zweite Ebene eines WWS dar. Dispositive Prozesse sind solche Prozesse, die nicht direkt mit der Ware zu tun haben, die aber durch Wa-
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1 Grundlagen und Sourcing-Strategien im Handel
renprozesse ausgelöst werden oder die ihrerseits Warenprozesse auslösen, z.B. Warenbestellung, Auftragseingang, Rechnungseingang, Rechnungsprüfung, Rechnungsbeschreibung, Lieferscheinschreibung, Inventur usw. Das Abrechnungsprozessmodell stellt die dritte Ebene eines WWS dar und bildet unter Verwendung von Einkaufs- und Verkaufspreisen und -konditionen die Vorgänge des Warenprozessmodells und des Dispositionsprozessmodells wertmäßig ab. In der vierten Ebene (Informations- und Planungsprozessmodell) werden alle Informationen über sämtliche Waren-, Dispositions- und Abrechnungsprozesse gesammelt und den Steuerungs-, Kontroll-, Optimierungs- und Planungsprozessen dieser Ebene zur Verfügung gestellt. Diese umfassende Betrachtungsweise zeigt den engen Bezug der WWS zu den Fragen des Supply-Chain-Managements (SCM), d.h. dem Management der Versorgungskette, auf. So setzt das Warenprozessmodell unmittelbar an den operativen Aktivitäten der Vorstufe an, so das Entladen der vom Hersteller angelieferten Ware oder bereits die Abholung der Ware, die von den Herstellern an der Rampe ihrer Produktionsstätten oder ihrer Läger bereitgestellt wird. Das Dispositionsprozessmodell stellt eine direkte informatorisch-administrative Schnittstelle zur Vorstufe dar, sei es in Form konventioneller Warenbestellungen durch den Handel, die ggf. über Formen des Electronic Data Interchange (EDI) an die Lieferanten weiter geleitet werden, oder in Form moderner Dispositionsprozesse, bei denen der Hersteller auf der Grundlage bei ihm vorliegender Bestands- und Abverkaufsdaten seiner Handelskunden den Nachschub selbst steuert (VendorManaged Inventory, VMI).1 Wenngleich das Abrechnungsprozessmodell primär handelsintern ausgerichtet ist, ist die informatorische, weniger die logistische, Verbindung zur Vorstufe evident. Die wertmäßige Abbildung der Warenströme greift auf Einkaufspreise und -konditionen (z.B. Skonti, Zahlungsziele u.Ä.) zu, die in moderner Form auf elektronischem Wege (elektronische Stammdaten) bereitgestellt werden, bspw. auf proprietären und branchenbezogenen Marktplätzen oder Portalen. Das Informations- und Planungsprozessmodell knüpft ebenfalls an der Vorstufe an und liefert zugleich dieser Stufe erforderliche Marktinformationen, so für Formen des kollaborativen Category-Managements oder des kollaborativen Customer-Relationship-Managements, worauf in Kapitel 4 näher eingegangen wird. Der Ansatz des Supply-Chain-Managements berücksichtigt nicht nur – wie im Falle der Warenwirtschaftssysteme aufgezeigt – die logistischen und informatorisch-administrativen Schnittstellen zu den vor- und – bspw. 1
Vgl. hierzu Abschnitt 2.5.4.
1.1 Gegenstand
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im Falle des Großhandels – nachgelagerten Stufen, sondern steht für einen unternehmensübergreifenden Ansatz der Planung und Durchführung des Warenflusses unter Berücksichtigung einer Gesamtsystemeffizienz, so einer Lagerreduktion im gesamten Distributionskanal.2 Supply-ChainManagement kann dabei als eine moderne Konkretisierung eines flussorientierten Logistikverständnisses angesehen werden, das in einer weiten Auslegung eine Optimierung sämtlicher „Flüsse“ von der Vor-Produktion und Produktion bis zum (End-)Kunden beinhaltet. Der Ansatz des Supply-Chain-Managements erfährt in der neueren Entwicklung eine inhaltliche Erweiterung, der hier gefolgt wird. So sind unternehmensübergreifende („kollaborative“)3 Anstrengungen von Handelsund Industrieunternehmen nicht nur darauf ausgerichtet, die sich am Markt manifestierende Nachfrage möglichst effizient, so kostenoptimal unter Vermeidung von Out-of-Stock-Situationen, zu erfüllen („demand supply“), sondern auch Nachfrage zu intensivieren oder Nachfrage nach neuen Gütern (Waren und Dienstleistungen) zu generieren („demand creation“) und zugleich zu erfüllen (Zentes 2004). Diese Überlegungen münden in neuere Konzepte des „Demand- & Supply-Chain-Management“, das auch die bereits erwähnten Konzepte des Category-Managements (CM) und des Customer-Relationship-Managements (CRM) einschließt (Marbacher 2001). Letztlich basieren auch diese Konzepte weit gehend auf Informationen, die moderne Warenwirtschaftssysteme liefern, so Daten über Warenkörbe, die zusammenhängend eingekauft (und an der Kasse registriert) werden, und kundenspezifische Daten, so über Kundenkarten, die eine Zuordnung der einzelnen Artikel oder Warenkörbe zu individualisierbaren Konsumenten ermöglichen. Ein integriertes „Demand- & Supply-Chain-Management“ basiert somit – dem Marketingkonzept folgend – auf dem Prinzip der gestaltbaren Nachfrage, wobei auch hier ein kollaborativer Ansatz dominiert. Wenn im Folgenden dennoch einengend meist von Supply-ChainManagement gesprochen wird, dann soll dadurch der schwerpunktmäßigen Betrachtung der logistischen und warenwirtschaftlichen Prozesse entsprochen werden, da eine umfassende Betrachtung auch der Demand-Side im Rahmen dieses Buches zu weit führen würde. Jedoch bleibt die synthetisie-
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Vgl. hierzu Liebmann/Zentes 2001, S. 582 ff., und die dort angegebene Literatur. Der Begriff „kollaborativ“ ist im Deutschen ursprünglich negativ geprägt (i.S.v. „sich gegen andere verbünden“). Abgeleitet aus dem Englischen (“collaborative“) wird er insbesondere im Kontext von ECR-Diskussionen zunehmend für die Charakterisierung eines positiv geprägten gemeinschaftlichen Verhaltens genutzt.
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1 Grundlagen und Sourcing-Strategien im Handel
rende Perspektive eines „Demand- & Supply-Chain-Management“ erhalten. Warenwirtschaftssystem
Supply-Chain-Management („demand supply“)
Demand-Management („demand creation“)
„Demand- & Supply-ChainManagement“
Effektivität
Effizienz
Abb. 1.1. Warenwirtschaftssysteme als Grundlage des „Demand- & SupplyChain-Management“
Aus dieser Perspektive ergeben sich zugleich die dominanten Zielsetzungen der strategischen und operativen Gestaltung und Steuerung der Prozesse: Effektivität und Effizienz. Effektivität zielt auf die Wirksamkeit unternehmensbezogener und unternehmensübergreifender Geschäftsprozesse ab, so die – gemessen an Umsatz- oder Deckungsbeitragsgrößen – erfolgreiche Entwicklung und Einführung neuer Produkte oder Sortimente, die erfolgreiche Durchführung von Werbe- und Promotionskonzepten oder die erfolgreiche Platzierung von Produkten oder Sortimenten, um nur einige zu nennen. Effektivitätsvorteile als Kategorie von Wettbewerbsvorteilen liegen dann vor, wenn die durch das Handelsunternehmen angebotenen Leistungsbündel in der subjektiven Sicht der Nachfrager dem Angebot der Konkurrenz hinsichtlich der Befriedigung der Bedürfnisse überlegen sind. Effizienz ist auf die bestmögliche Input/Output-Relation bei der operativen Abwicklung der Prozesse ausgerichtet, so auf möglichst geringe Lagerbestände bei gleichzeitiger Erfüllung einer gegebenen Servicerate bzw. der Einhaltung oder Unterschreitung vorgegebener Out-of-Stock-Quoten. Effizienzvorteile als Kategorie von Wettbewerbsvorteilen bestehen dann, wenn durch die Handelsunternehmen eine wirtschaftlichere Leistungser-
1.2 Begriffliche Grundlagen
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stellung realisiert wird. Zunächst losgelöst von der Betrachtung der Nachfrager steht hier der „Anbietervorteil“ im Vordergrund, indem eine verglichen mit den Wettbewerbern höhere Wirtschaftlichkeit erzielt wird. Dabei zeigt sich gerade bei einer vernetzten Betrachtungsweise eines „Demand- & Supply-Chain-Management“, dass beide Zielrichtungen sich gegenseitig bedingen und fördern (Zentes/Schramm-Klein/Neidhart 2004; Schramm.Klein 2004). Insofern ist „Demand- & Supply-Chain-Management“ auch Ausdruck eines Strebens nach höchstmöglicher Performanz bzw. eines Strebens nach „Performance Leadership“ (Zentes 2004; Liebmann/Angerer/Gruber 2003, S. 117 ff.) als wettbewerbsstrategische Orientierung, auf die in Abschnitt 1.3 näher eingegangen wird. In Abb. 1.1. ist schematisiert der Zusammenhang zwischen „Demand- & Supply-ChainManagement“, Warenwirtschaftssystemen und den verfolgten Basiszielsetzungen dargstellt.
1.2 Begriffliche Grundlagen Die auch den Titel dieses Buches prägenden Basisbegriffe Supply-ChainManagement und Warenwirtschaftssysteme wurden im vorangegangenen Abschnitt bereits in einer ersten Arbeitsdefinition bzw. Abgrenzung vorgestellt. Die inhaltliche Präzisierung und Konkretisierung des komplexen Aufgabenbereiches des Supply-Chain-Managements erfolgt in Kapitel 2. Die definitorischen Abgrenzungen und die Vorstellung der relevanten Begriffe aus dem äußerst dynamischen Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien, die zur Erörterung der komplexen Mechanismen der (computergestützten) Warenwirtschaftssysteme (Kapitel 3) unabdingbar sind, sind Gegenstand des letzten Abschnittes von Kapitel 2. In dem Abschnitt 1.2 werden die begrifflichen Abgrenzungen daher auf ausgewählte Grundbegriffe eingeengt, die für das Verständnis der hier zu behandelnden Systemzusammenhänge erforderlich sind. Es wird dabei versucht, weitestgehend die üblichen Abgrenzungen, sofern in der betriebswirtschaftlichen Literatur diesbezüglich Konsens herrscht, zu übernehmen. Logistik und Merchandising Der Logistikbegriff kann im Kontext der hier zu behandelnden Phänomene als der weitestgehende betrachtet werden. In der Literatur wird die Vielzahl der vorliegenden Definitionen oftmals in drei Gruppen zusammengefasst (Pfohl 2004, S. 12 ff.). Der erste Definitionsansatz, dem hier gefolgt wird, kann als flussorientierte Definition bezeichnet werden. Er lautet in Anlehnung an Pfohl (2004, S. 12) wie folgt: „Zur Logistik gehören alle
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1 Grundlagen und Sourcing-Strategien im Handel
Tätigkeiten, durch die die raum-zeitliche Gütertransformation und die damit zusammenhängenden Transformationen hinsichtlich der Gütermengen und -sorten, der Güterhandhabungseigenschaften sowie der logistischen Determiniertheit der Güter geplant, gesteuert, realisiert oder kontrolliert werden. Durch das Zusammenwirken dieser Tätigkeiten soll ein Güterfluss in Gang gesetzt werden, der einen Lieferpunkt mit einem Empfangspunkt möglichst effizient verbindet.“ Bereits in diesem Ansatz kommt das Streben nach Effizienz zum Ausdruck, was in der betriebswissenschaftlichen Logistikliteratur mit dem so genannten „4 r“-Konzept charakterisiert wird (Pfohl 2004, S. 12): „Die Logistik hat dafür zu sorgen, dass ein Empfangspunkt gemäß seines Bedarfs von einem Lieferpunkt mit dem richtigen Produkt (in Menge und Sorte), im richtigen Zustand, zur richtigen Zeit, am richtigen Ort zu den dafür minimalen Kosten versorgt wird.“ Aus der hier im Vordergrund stehenden Perspektive wird der Begriff „Güter“ auf Waren im i.S.v. Endprodukten eingeengt, da es für den Wertschöpfungsprozess des Handels typisch ist, Waren, die nicht selbst be- oder verarbeitet werden, von anderen Marktteilnehmern zu beschaffen und an Dritte abzusetzen (Liebmann/Zentes 2001, S. 2).4 Das „4 r“-Konzept verdeutlicht nochmals die im vorangegangenen Abschnitt herausgestellte Sichtweise einer „demand supply“. Ein zweiter Definitionsansatz kann nach Pfohl (2004, S. 13) als lebenszyklusorientierte Definition der Logistik bezeichnet werden; sie baut auf dem Lebenszyklus eines Produktes im Sinne seiner Lebensdauer auf. „Dem Begriff des Lebenszyklusses liegt der Gedanke zu Grunde, dass ein Produkt – allgemeiner ein System – durch Maßnahmen der Planung, des Entwurfs und der Entwicklung entsteht und nach einer Periode des Betriebs schließlich stillgelegt oder verschrottet wird. Als Lebenszyklusphasen werden z.B. die Initiierungs-, Planungs-, Realisierungs-, Betriebs- und Stilllegungsphase unterschieden. Logistische Aktivitäten beziehen sich dann auf die Unterstützung der Transformationsaktivitäten in den verschiedenen Lebenszyklusphasen.“ Elemente der lebenszyklusorientierten Definition der Logistik werden im Folgenden unter dem Aspekt der Retrodistribution aufgegriffen, die einen – für den Handel höchst relevanten – Weiterentwicklungsprozess aus der Perspektive der Kreislaufwirtschaft darstellt. Man denke etwa an die
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Dies schließt nicht aus, dass Handelsunternehmen zunehmend Produkte (Waren) produzieren lassen, um sich dadurch eine Alleinstellung (über Eigenmarken oder Handelsmarken) im Markt zu verschaffen. Aus der Perspektive von WWS bzw. des SCM wird diese Ware wie Handelsware behandelt.
1.2 Begriffliche Grundlagen
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Verpflichtungen des Handels zur Rücknahme und Entsorgung gebrauchter Produkte oder Verpackungen, bspw. auf der Basis von Pfandsystemen. Ein dritter Definitionsansatz kann als dienstleistungsorientierte Definition der Logistik bezeichnet werden, auf die hier jedoch nicht näher eingegangen wird (vgl. Pfohl 2004, S. 13 f.). Der Begriff „Merchandising“ gilt teilweise als Synonym für Logistik im Sinne der dargestellten flussorientierten Definition, bezogen auf Endprodukte bzw. Waren im handelsbetrieblichen Sinne. Er tritt in einer Vielzahl von Facetten auf (Zentes/Swoboda 2001, S. 381). In einer fundamental anderen Abgrenzung versteht man darunter die Gesamtheit der abverkaufsfördernden Maßnahmen im Handel. In einer sehr engen, wiederum anderen Abgrenzung bezeichnet Merchandising die Tätigkeit von verkaufsorientierten Mitarbeitern der (Markenartikel-)Hersteller („Merchandiser“), deren Aufgabe die Warenplatzierung, d.h. das Auspacken der Ware, das Einräumen der Ware ins Regal und die Preisauszeichnung ist. Diese Tätigkeiten werden auch als Regalpflege bezeichnet. Im Folgenden wird dieser engen Abgrenzung gefolgt. Distribution und Retrodistribution Im Mittelpunkt des durch Warenwirtschaftssysteme gesteuerten SupplyChain-Managements steht die Distribution der Endprodukte (= Waren) von den Herstellern, ggf. über dazwischen geschaltete physische und/oder dispositive Außenhandels- bzw. Großhandelsstufen und/oder Logistikdienstleister, über Läger bzw. Verteilzentren des Einzelhandels in seine Verkaufsstellen und dort letztlich in die „Einkaufstaschen“ der Endkunden oder im Falle nicht-stationärer Handelsformen, z.B. klassischer Versandhandel, Internet-Handel oder Heimzustelldienste, bis in die Wohnung der Endkunden. Dabei ist es zunächst unerheblich, ob die Produktion durch den Hersteller quasi autonom erfolgt (Produktion von Markenartikeln) oder ob die Produktion im Auftrag der Handelsunternehmen, so bei Handelsmarken, erfolgt. Unerheblich ist es weiterhin auch, wer die entsprechenden operativen Tätigkeiten ausführt, ob bspw. der Transport der Ware vom Hersteller an die Läger oder Verkaufsstellen des Handels durch den Hersteller – ggf. unter Einschaltung von Dienstleistern – erfolgt oder ob der Handel – ggf. auch unter Einschaltung von Dienstleistern – die Ware an der „Rampe des Herstellers“ abholt oder abholen lässt. Wie bereits erwähnt, wird hier die distributive Kette ausgehend von den Endproduktherstellern betrachtet, weiter „up-stream“-orientierte Prozesse werden ausgeklammert (s. Abb. 1.2.).
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1 Grundlagen und Sourcing-Strategien im Handel
Groß- / Außenhandel
Hersteller
Einzelhandel
Konsument
dispositiver Warenfluss physischer Warenfluss
Abb. 1.2. Supply-Chain als lineares System – Grundmodell
Die in der Vergangenheit vorherrschende „lineare“ Betrachtungsweise der Distributionskette bzw. Versorgungskette weicht heute unter dem Einfluss einer ganzheitlichen Sichtweise – auch unter dem Einfluss des veränderten Rechtsrahmens (Salje 2001) – einer Betrachtung des Wertschöpfungskreislaufs, d.h., die dem Gebrauch und/oder Verbrauch einer Ware nachgelagerten Phasen der Entsorgung (Retrodistribution) und Wiederbzw. Weiterverwendung (Reduktion, Recycling) werden einbezogen. Kreislaufsysteme sind – wie bereits erwähnt – zunehmend auch Gegenstand von Warenwirtschaftssystemen und auch des Supply-Chain-Managements.
Hersteller
Groß- / Außenhandel
Einzelhandel
Konsument
physischer Warenfluss physischer Warenrückfluss
Abb. 1.3. Supply-Chain als Kreislaufsystem – Grundmodell
Dies gilt sowohl bezüglich der warenwirtschaftlichen Erfassung von Warenrücknahmen als auch der Erfassung von zurückgenommenen Verpackungseinheiten u.Ä. (s. Abb. 1.3.). Wenngleich die empirische Relevanz derartiger Kreislaufsysteme erheblich gestiegen ist und weiterhin steigen wird, verfügen weite Teile des Handels, so der Lebensmittelhandel im Be-
1.2 Begriffliche Grundlagen
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reich der Mehrweggetränke, hier über langjährige Erfahrungen (Schwarz 2001).5 Netzwerke und Wertschöpfungspartnerschaften Der Grundgedanke des Supply-Chain-Managements ist – wie vorne bereits erwähnt – unternehmensübergreifend ausgerichtet. Diese Betrachtungsweise zielt auf eine Gesamtsystemoptimierung durch Vermeidung/Reduzierung von Redundanzen (z.B. in Form von zu vielen Lägern), Eliminierung nicht-wertschöpfender Aktivitäten, Abbau von Schnittstellen u.Ä. ab und bedeutet letztlich eine aufeinander abgestimmte kooperative Vorgehensweise, für die sich zunehmend die Bezeichnung „kollaborativ“ durchsetzt, zumeist in der englischen Bezeichnung („collaborative“). Gemeint ist damit eine vertikal-kooperative Zusammenarbeit, d.h. eine Zusammenarbeit mit den Herstellern bzw. der Vorstufe auf logistischem bzw. warenwirtschaftlichem Gebiet („supply side“) als auch auf den Gebieten Category-Management und Customer-Relationship-Management („demand side“)6. Diese – heute meist als ECR-Konzept (Efficient Consumer Response) propagierte – Wertschöpfungspartnerschaft hat in der Konsumgüterwirtschaft eine lange Tradition und zahlreiche Vorläufer (Hensche 1989).7 Neben den primär vertikal-kooperativen Formen der Zusammenarbeit, die meist effektivitätsorientiert (so die „demand side“-orientierten Ansätze) und effizienzorientiert (so die „supply side“-orientierten Ansätze) ausgerichtet sind, zeichnen sich zugleich zahlreiche horizontal-kooperative Formen im Supply-Chain-Management ab. Derartige primär effizienzorientierte Konzepte finden sich vorrangig auf der Ebene der Hersteller, z.B. kooperative Konzepte der Distributionslogistik (Pohlmann 2003), aber auch auf der Ebene der Logistikdienstleister. Während vertikal-kooperative Formen des Supply-Chain-Managements – dies gilt auch weitestgehend für Formen des „Demand- & Supply-ChainManagements“ – bilaterale Kooperations- oder Allianzformen darstellen,8 bilden sich die horizontalen Kooperationen meist als Netzwerke (i.e.S.) heraus, so bestehend aus mehreren Lieferanten, die, operativ abgewickelt 5 6 7 8
Vgl. Abschnitt 2.4.1.2. Vgl. hierzu umfassend Laurent 1996; Liebmann/Zentes 2001, S. 589 ff. Vgl. zum ECR-Konzept auch Abschnitt 2.5. Handelsunternehmen können insofern zahlreiche parallele vertikal-kooperative Beziehungen unterhalten; sie sind dann als Netzwerkunternehmen zu charakterisieren. Oftmals werden derartige Strukturen als „einfache Netzwerke“ bezeichnet, die von einem zentralen Akteur – hier dem Handel – gesteuert werden (Morschett 2003, S. 401).
10
1 Grundlagen und Sourcing-Strategien im Handel
über mehrere Logistikdienstleister, unterschiedliche (konkurrierende) Handelsunternehmen beliefern. Kennzeichnend für derartige Netzwerke ist, dass i.d.R. ein Unternehmen als Systemkopf die fokale Rolle übernimmt, d.h., es steuert das Netzwerk (Morschett 2003, S. 403 f.). In diese Rolle streben – wettbewerbsstrategisch motiviert – zunehmend die Logistikdienstleister, wie in den nachfolgenden Abschnitten noch zu zeigen ist. Sourcing und E-Procurement Warenwirtschaftliche Prozesse stehen nahe liegender Weise in enger Beziehung zu Beschaffungsprozessen, die im Handel schon immer eine große, auch strategische Bedeutung haben. Fragen der Beschaffung – oftmals auch als Einkauf bezeichnet – haben, wie die Überlegungen zu Wertschöpfungspartnerschaften (ECR) bereits gezeigt haben, eine neue Qualität erhalten, weil die mit ihnen verbundenen Prozesse zunehmend unternehmensübergreifend betrachtet werden. So steht nicht nur – wie in einer traditionellen Betrachtung des „Einkaufs“ – die Suche nach geeigneten Lieferanten und das Aushandeln möglichst günstiger Konditionen im Vordergrund oder wird gar ausschließlich betrachtet; die moderne Perspektive der Beschaffung („Sourcing“) schließt die informatorisch-administrativen und logistischen Prozesse ein. Diesem Verständnis der Beschaffung wird hier gefolgt. Synonym wird hierfür auch der Terminus „Procurement“ verwendet. Procurement wird heute meist im Zusammenhang mit elektronischen Prozessen, so auf der Basis der Internet-Technologie, verwendet: „E-Procurement“ meint dann die operative Abwicklung aller Beschaffungsaktivitäten, so die Online-Suche nach Lieferanten, das Aushandeln der Preise und Konditionen, z.B. in Form von „reverse auctions“ über das Internet, als auch die elektronische Übermittlung von Bestellungen oder die elektronische Übermittlung von Verkaufsdaten im Rahmen von herstellergesteuerten Nachschubversorgungssystemen wie VMI. In diesem Kontext wird oftmals auch von „E-Logistics“ gesprochen (Baumgarten 2001; Straube 2002), wobei E-Procurement weiter gehend verwendet wird, so ergänzt um die Aspekte der Lieferantenauswahl und die Preis-/Konditionenverhandlungen. E-Procurement ist zugleich ein Teilbereich des E-Business, das darüber hinaus auch die elektronische (meist Internet-/Intranet-/Extranet-)Abwicklung interner Prozesse, so der Produktionssteuerung und der absatzmarktorientierten Prozesse, z.B. den Verkauf über proprietäre oder Branchenportale, einschließt (Zentes/Swoboda/Morschett 2004, S. 135 ff.).
1.2 Begriffliche Grundlagen
11
Die folgenden Überlegungen schließen primär die beschaffungsmarktorientierten Prozesse ein; absatzmarktorientierte „E-Prozesse“ stellen letztlich, so im Business-to-Consumer-Bereich („B2C“), eine Form des Versandhandels dar („Internet-Handel“), der warenwirtschaftlich keine neuartigen Fragen aufwirft, wenngleich die logistischen Anforderungen an das „Fulfillment“ ernorm sind9 und in den letzten Jahren für viele „startups“ in diesem Sektor den eigentlichen Grund des Scheiterns darstellten. Die Fokussierung der „E-Prozesse“ auf den Beschaffungsmarkt bringt zugleich eine Einengung auf den sog. „Business-to-Business-Bereich“ („B2B“) mit sich. Diese Einengung relativiert keineswegs die spannenden absatzbezogenen Fragen des Internet-Marketing, einschließlich des Verkaufs über das Internet, und der Gestaltung der Marketing- oder Verkaufsaktivitäten des Handels im Rahmen eines Multi-Channel-Retailing (Schramm-Klein 2003a). Diese Fragen werden jedoch aus der Sicht der Warenwirtschaft und des Supply-Chain-Managements nur am Rande behandelt. Im Kontext des E-Business – auch im Zusammenhang mit Fragen der Logistik – wird oftmals auch von Virtualisierung bzw. von virtuellen Unternehmen gesprochen (Scheer/Odenthal 2001; Zentes/Swoboda/Morschett 2004, S. 201). Diese Virtualisierung ist zugleich Ausdruck verschwimmender Unternehmensgrenzen, was sich auch in der unternehmensübergreifenden Gesamtperspektive des Supply-Chain-Managements äußert.10 Die Virtualisierung der Leistungserstellung resultiert daraus, „dass diese nicht von einem tatsächlich bestehenden Unternehmen erbracht wird, sondern durch einen losen und zeitlich begrenzten Zusammenschluss von Partnerunternehmen erfolgt. Jedes Partnerunternehmen realisiert in dem Verbund einen bestimmten Ausschnitt der Wertschöpfungskette, nämlich den Ausschnitt, den es auf Grund seiner Kernkompetenzen am besten durchführen kann. Leistungspotenziale solcher Kooperationen sind eine hohe Handlungsflexibilität und die Fähigkeit, schnell auf Marktanforderungen reagieren zu können“ (Scheer/Odenthal 2001, S. 3). Überträgt man diesen Ansatz auf die Entstehung logistischer Netzwerke, so finden sich diese bspw. in der Form der „3PL“ und insbesondere der „4PL“. Die Logistik-Systemdienstleister („3PL“) haben ihr Leistungsspektrum kontinuierlich um dem Transport nahe stehende Dienstleistungen erweitert und sich somit im Segment der Kontraktdienstleistung (Kontraktlogistik) positioniert (Baumgarten/Zadek 2002, S. 7 ff.). Ein LogistikSystemintegrator („4PL“) ist nach einer Abgrenzung von Andersen Consulting „ein Supply-Chain-Manager, der die Ressourcen, Kapazitäten und 9 10
Vgl. hierzu Abschnitt 2.4.3.3. Vgl. hierzu umfassend Picot/Reichwald/Wigand 2003.
12
1 Grundlagen und Sourcing-Strategien im Handel
Technologien seiner eigenen Organisation mit denen anderer beteiligter Dienstleister zusammenführt und managt, um dem Kunden eine vollständige Supply-Chain-Lösung anbieten zu können“ (zit. nach Baumgarten/Zadek 2002, S. 12). Geschäftsprozesse und Geschäftsmodelle In der betriebswirtschaftlichen Diskussion der letzten Jahre ist die Betrachtung der Prozesse, i.e.S. der „Geschäftsprozesse“, in den Mittelpunkt organisatorischer und damit auch informatorischer Überlegungen gerückt. In Anlehnung an Scheer (1998, S. 3 f.) kann ein Geschäftsprozess in allgemeiner Form als die Beschreibung des Ablaufs eines für die Wertschöpfung einer Organisation wichtigen Vorgangs von seiner Entstehung bis zu seiner Beendigung charakterisiert werden. Die unternehmensinterne wie unternehmensübergreifende Prozessorientierung hat zwar in der betriebswirtschaftlichen Forschung eine breite Akzeptanz erreicht, in der unternehmerischen Umsetzung einer Prozessorganisation tun sich dagegen nach wie vor viele noch schwer. Ausschlaggebend hierfür ist die über viele Jahre oder gar Jahrzehnte etablierte Aufbau- bzw. Strukturorganisation mit ihrer primär funktionalen Betrachtungsweise.11 Die hier zu Grunde liegende Betrachtungsweise des Supply-ChainManagements geht von einer Prozessorientierung aus, die im Sinne einer Flussorientierung eine integrative Gesamtperspektive anstrebt. Unternehmensintern und -übergreifend werden dabei kundenorientierte Prozesse in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt und optimiert. Der Begriff des Geschäftsmodells („business model“) ist im Zusammenhang mit Fragen des E-Business und der Start-up-Unternehmen und Spin-offs in die Diskussion gerückt und heute weit verbreitet, wenngleich jedem Unternehmen ein derartiges „Modell“ zu Grunde liegt, wenn man darunter den spezifischen Schwerpunkt der unternehmerischen Aktivitäten und der Erlöserzielung versteht (Wirtz 2000, S. 81). In umfassender Form, der hier gefolgt wird, kann ein Geschäftsmodell in Anlehnung an Timmers (1999, S. 31) definiert werden: „A business model is defined as the organization (or ‚architecture’) of product, service and information flows, and the sources of revenues and benefits for suppliers and customers.“ Bezogen auf Handelsunternehmen, vorrangig Einzelhandelsunternehmen, wird bei aller Vielgestaltigkeit der Betriebs- und Vertriebstypen so-
11
Vgl. hierzu Swoboda/Morschett 2001, S. 2 f., und die dort angegebene Literatur.
1.3 Entwicklungen und Rahmenbedingungen
13
wie der kooperativen Arrangements im horizontalen wie vertikalen Sinne12 ein Basis-Geschäftsmodell zu Grunde gelegt, das in den Begriffsdefinitionen aus der Handels- und Absatzwirtschaft („Katalog E“) implizit enthalten ist. Danach liegt Einzelhandel im funktionellen Sinne vor, „wenn Marktteilnehmer Güter, die sie i.d.R. nicht selbst be- oder verarbeiten, von anderen Marktteilnehmern beschaffen und an private Haushalte absetzen“ (Ausschuss für Begriffsdefinitionen aus der Handels- und Absatzwirtschaft 1995, S. 41). Im institutionellen Sinne umfasst dann Einzelhandel jene Institutionen, „deren wirtschaftliche Tätigkeit ausschließlich oder überwiegend dem Einzelhandel im institutionellen Sinne zuzurechnen ist“ (Ausschuss für Begriffsdefinitionen aus der Handels- und Absatzwirtschaft 1995, S. 41).
1.3 Entwicklungen und Rahmenbedingungen 1.3.1 Wettbewerbsstrategisches Umfeld und wettbewerbsstrategische Orientierungen Handelsunternehmen stehen vor der Herausforderung, sich in ihrem wettbewerbsstrategischen Umfeld zu positionieren und zu profilieren.13 Dieses Umfeld ist – schränkt man die Überlegungen auf die wesentlichen (Markt-) Akteure ein – einerseits gekennzeichnet durch die Konkurrenten, andererseits durch die Lieferanten und die Abnehmer (Endkunden bzw. Konsumenten) (s. Abb.1.4.). Betrachtet man die Konkurrenten, dann lassen sich dort zum einen die Anbieter herausstellen, die mit gleichartigen Betriebs- oder Vertriebstypen am Markt operieren („Intra-Channel-Konkurrenten“), zum anderen die Anbieter, die zwar mit z.T. fundamental unterschiedlichen Formaten agieren, aber die gleichen Waren anbieten („Inter-Channel-Konkurrenten“). Man denke etwa an einen „frischeorientierten“ Supermarkt, der mit anderen Supermärkten konkurriert, zugleich aber auch mit Discountern, SBWarenhäusern und den Lebensmittelabteilungen der Warenhäuser. Das Phänomen der Inter-Channel-Konkurrenten wird in den letzten Jahren verschärft durch „verschwimmende Branchengrenzen“ im Sinne einer „Business-Migration“ bzw. „Category-Migration“ (Zentes/Swoboda/Morschett 2004, S. 161). So nehmen Unternehmen, z.B. Discounter, temporär, so für wöchentliche Sonderangebote, Waren in ihr Sortiment auf (so genannte 12 13
Vgl. hierzu umfassend Liebmann/Zentes 2001, S. 345 ff. Vgl. zu dem Spektrum der wettbewerbsorientierten Strategien Liebmann/Zentes 2001, S. 167 ff.
14
1 Grundlagen und Sourcing-Strategien im Handel
Rotationssortimente), die mit dem Kernsortiment in keinerlei sachlichem Zusammenhang stehen.
Lieferanten
Intra-ChannelKonkurrenten
Handel
Inter-ChannelKonkurrenten
Kunden
Abb. 1.4. Wettbewerbsstrategisches Umfeld des Handels
Während die Profilierung gegenüber Konkurrenten letztlich keine neuartige Fragestellung darstellt, die Bedeutung bzw. die diesbezügliche Herausforderung ist nur immens gestiegen, ist die Festlegung der Position des Handels in der Wertschöpfungskette bzw. die Abgrenzung der Wertschöpfung des Handels innerhalb des Wertschöpfungssystems der Konsumgüterwirtschaft fundamental geworden. So zeigt sich – wie im Folgenden erörtert wird – eine veränderte Arbeitsteilung in Form von neuartigen Wertschöpfungspartnerschaften. Betrachtet man die wettbewerbsstrategische Orientierung gegenüber Konkurrenten, so ist das Streben nach Erzielung einer Position der Kostenund Qualitäts-/Leistungsführerschaft im Sinne einer Outpacing-Strategie (Liebmann/Zentes 2001, S. 202 ff.) vorherrschend. Handelsunternehmen zielen zunehmend nach dem Prinzip des „more for less“ auf beste Qualität (bezogen auf Produkte, Service, Standorte u.Ä.) bei gleichzeitig möglichst attraktiven Preisen ab. Die Lösung dieser wettbewerbsstrategischen „Quadratur des Kreises“ bringt den ökonomischen Zwang mit sich, alle vorhandenen Effektivitäts- und Effizienzpotenziale auszuschöpfen, die Handelsunternehmen in erster Linie in den Supply-Chain-Prozessen erwarten und durch neuartige Verfahren des Prozess-Controlling in den nächsten Jahren realisieren wollen (s. Abb. 1.5. und Abb. 1.6.).
1.3 Entwicklungen und Rahmenbedingungen
15
Mittelwert
Supply-ChainManagementProzess
Category-ManagementProzess
Customer-RelationshipManagement-Prozess
37,0 %
37,0 %
22,2 %
37,0 %
14,8 %
22,2 %
44,4 %
sehr hoch
hoch
14,8 %
niedrig
2,1
3,8 %
14,8 %
22,2 %
mittel
3,8 7,4 % %
2,4
7,4 %
11,2 %
2,5
sehr niedrig
Abb. 1.5. Effizienzsteigerungspotenziale der handelsbetrieblichen Kernprozesse Quelle: in Anlehnung an Biesiada/Neidhart 2004, S. 98.)
Vor diesem Hintergrund ist zugleich zu erwarten, was mehrere aktuelle Studien belegen (Schramm-Klein 2004b), dass die Bedeutung von Warenwirtschaftssystemen bzw. des Supply-Chain-Managements künftig weiter steigen wird. Mittelwert der zukünftigen Bedeutung
EinsatzfaktorenControlling
33,4 %
OrganisationseinheitenControlling
33,4 %
11,1 %
Umfeld-Controlling 7,4 % Prozess-Controlling
22,2 %
40,7 %
25,9 %
Funktionen-Controlling Marketing-Controlling
44,4 %
48,2 %
37,0 %
18,5 %
59,3 %
63,0 %
vollständig
25,9 %
2,2
25,9 %
1,9
51,9 %
25,9 %
weit gehend
1,8
7,4 %
18,5 %
teilweise
1,8
2,4
1,6
nicht
Abb. 1.6. Anwendungsgrad von Controlling-Formen im Handel (Quelle: H.I.MA. 2003.)
Betrachtet man die „vertikale“ wettbewerbsstrategische Positionierung des Handels, so zeigt sich ein Streben nach Wertschöpfungsdominanz, das
16
1 Grundlagen und Sourcing-Strategien im Handel
sich in einer Rückwärts- und Vorwärtsintegration äußert und die bereits angesprochene veränderte Arbeitsteilung in der Konsumgüterwirtschaft mit sich bringt (Zentes 2001; s. Abb. 1.7.). F&E Produktion Beschaffungslogistik Lagerhaltung Distributionslogistik PoS-Marketing Sortimentspolitik früher = Handelsdominanz
heute / zukünftig = Industriedominanz
Abb. 1.7. Vertikalisierung des Handels (Quelle: Zentes/Schramm-Klein 2004, S. 1701.)
Vorwärts- und Rückwärtsintegration bedeuten auch makroökonomisch, dass der Handel seinen originären Anteil an der Wertschöpfung ausbaut.
Logistikführerschaft
Kostenführerschaft
Handel
Marketingführerschaft
Abb. 1.8. Wettbewerbsstrategische Ausrichtung des Handels
Qualitätsführerschaft
1.3 Entwicklungen und Rahmenbedingungen
17
Der Handel betreibt damit– weit gehend im Gegensatz zur strategischen Orientierung der Industrie, die durch ein Outsourcing charakterisiert werden kann – Insourcing. Dieses Streben nach („vertikaler“) Wertschöpfungsdominanz äußert sich in der Zielsetzung nach Marketingführerschaft und nach Logistikführerschaft, was erneut die Bedeutung von Warenwirtschaftssystemen und des Supply-Chain-Managements unterstreicht. Verbindet man das konkurrentenorientierte Streben nach Leistungsdominanz (Kosten- und Qualitätsführerschaft) mit dem Streben nach Wertschöpfungsdominanz (Marketing- und Logistikführerschaft), so ergibt sich die in Abb. 1.8. schematisiert dargestellte wettbewerbsstrategische Orientierung des Handels. 1.3.2 Wettbewerbsvorteile durch Leistungsdominanz und Wertschöpfungsdominanz 1.3.2.1 Kosten- und Qualitätsführerschaft Das handelsbetriebliche Streben nach Leistungsdominanz zur Erzielung von Wettbewerbsvorteilen manifestiert sich – wie im vorangegangenen Abschnitt bereits aufgezeigt – in einer strikten Kosten- bzw. Effizienzorientierung (Kostenführerschaftsposition), wozu der Einsatz computergestützter Warenwirtschaftssysteme, elektronischer Datenaustausch mit Lieferanten u.Ä. unabdingbar sind.14 100
80
60
40
20
0
Fast Moving Consumer Goods
Slow Moving Consumer Goods
Kostensenkung
Effizienz-/Produktivitätssteierung
Flexibilität
Kundenbindung
Servicesteigerung
Umsatzsteigerung
Informationsfluss-Verbesserung
MA-Motivation
Abb. 1.9. Zielsetzungen von IT-Investitionen (Quelle: Gerling/Hampe/Spaan 2003, S. 11.) 14
Vgl. Zentes 2001a, S. 5 f., und die dort angegebene Literatur.
18
1 Grundlagen und Sourcing-Strategien im Handel
Dies belegt auch eine Studie des EHI aus dem Jahre 2003 sowohl für den Bereich der Fast Moving Consumer Goods (FMCG) als auch der Slow Moving Consumer Goods (SMCG) (s. Abb. 1.9.). „Optimierte Lieferantenanbindung und WWS“ sowie „Prozessoptimierung in der Lieferkette“ nehmen in der Rangliste der geplanten IT-Investitionen einen hohen Stellenwert ein. IT-gestützte Warenwirtschaftssysteme und darauf aufbauende moderne Konzepte des Supply-Chain-Managements ermöglichen nicht nur die Erzielung von Kostenführerschaftspositionen, sondern auch von Qualitätsführerschaftspositionen, so bezogen auf die Präsenzquote bzw. die Vermeidung von Out-of-Stock-Situationen. So zeigt eine neuere Analyse des H.I.MA. (Zentes/Biesiada 2003) die zentrale Rolle eines möglichst geringen Out-of-Stock zur Erzielung von Kundenzufriedenheit. Der Out-ofStock-Quote kommt insofern die Bedeutung eines „Key-PerformanceIndicators“ (KPI) zu.15 In eine ähnliche Richtung zielen die Ergebnisse einer neueren Studie zu dem Nutzen der Geschäftsprozessoptimierung (s. Abb. 1.10.): Mit Kundenzufriedenheit, Qualität und Liefertreue dominieren eindeutig kundenorientierte Kriterien. 68 %
Kundenzufriedenheit
25 % 34 %
57 %
Kosten
6 %3 % 3 %1 %
39 %
57 %
Qualität
7%0%
Durchlaufzeit
44 %
44 %
11 % 1 %
Liefertreue
43 %
46 %
8% 3%
Ressourceneinsatz Flexibilität
24 %
51 %
22 % sehr wichtig
11 % 0 %
53 %
36 %
wichtig
weniger wichtig
3%
unwichtig
Abb. 1.10. Nutzen der Geschäftsprozessoptimierung (Quelle: IDS Scheer/Pierre Audoin Consultants 2003, S. 9.)
1.3.2.2 Marketing- und Logistikführerschaft Das Streben nach Marketingführerschaft zielt auf das Erreichen einer Einzigartigkeit bzw. einer Alleinstellung aus der Sicht der Kunden ab. Maß15
Auf diese Überlegungen wird in Kapitel 4 näher eingegangen.
1.3 Entwicklungen und Rahmenbedingungen
19
nahmen hierzu sind – im Sinne einer Strategie des Retail-Branding (Morschett 2002) – die Sortimentspolitik (Category-Management), das PoSMarketing, die Kundenpolitik (Customer-Relationship-Management), aber auch das Angebot von Handelsmarken (Eigenmarken). Auch zur Erzielung von marketingorientierten Wettbewerbsvorteilen leisten moderne Warenwirtschaftssysteme und Supply-Chain-Konzepte wesentliche Beiträge. So liefern Warenwirtschaftssysteme artikelspezifische Abverkaufsdaten, die zur Optimierung des Category-Managements genauso unabdingbar sind wie kundenbezogene Verkaufsdaten (bspw. auf der Basis von Kundenkarten) zur Gestaltung dauerhafter Beziehungen oder zum zielgruppenspezifischen Promotioneinsatz. Einen unmittelbaren Supply-Chain-Bezug weist die Produktion von Eigenmarken – i.d.R. durch Dritte (Hersteller) – auf. Die Übernahme bzw. Integration logistischer Aktivitäten in die Wertschöpfungskette des Handels (Logistikführerschaft) weist nahe liegender Weise den engsten Bezug zu den hier interessierenden Fragen der Warenwirtschaftssysteme und des Supply-Chain-Managements auf. Der Bedeutungsanstieg der Logistik manifestiert sich nicht nur in der, unter dem Aspekt der Kostenführerschaft bereits angesprochenen, Ausschöpfung aller möglichen Effizienzsteigerungspotenziale, sondern in einem massiven Ausbau des Anteils des Handels an der Wertschöpfung durch Vertikalisierung in Form von Rückwärtsintegration. So errichtet der Handel verstärkt Zentralläger oder Warenverteilzentren (Transit-Terminals) bzw. CrossDocking-Systeme und übernimmt die Belieferung seiner Filialen selbst. In einem weiter gehenden Schritt holen Handelsunternehmen die Ware an den Produktionsstätten der Hersteller selbst ab. In diesem Fall werden die Beschaffungs- und die Distributionslogistik (des Handels) vollständig von den Handelsunternehmen übernommen.16 Als Beispiel einer ganzheitlichen Handelslogistik, das nach Ansicht des Unternehmens selbst als Referenzmodell betrachtet wird, sei das Supply-Chain-Konzept der METRO Group erwähnt (Prümper 2003, S. 3)17: Grundsätzliches Ziel muss es also sein, einen logistischen Prozess von den eigentlichen Bedarfsträgern her zu planen und zu steuern sowie diesen unter Beachtung des Fließprinzips so kundennah wie möglich zu gestalten. Denn letztlich spielt sich der Wettbewerb zunehmend nicht mehr auf einer einzelnen Wertschöpfungsstufe, sondern zwischen ganzen Supply-Chains ab. Die Supply-Chain umfasst 16
17
Vgl. zu diesen Formen moderner Handelslogistik Abschnitt 2.4.2.4 sowie Liebmann/Zentes 2001, S. 581 ff., und die dort angegebene Literatur. Im Rahmen ihres Strebens nach Marketing- und Logistik- sowie Kosten- und Qualitätsführerschaft streben Handelsunternehmen, so die METRO Group, auch nach Technologieführerschaft, bspw. im Zusammenhang mit RFID; vgl. CCG 2004b, S. 6.
20
1 Grundlagen und Sourcing-Strategien im Handel
dabei alle Prozesse, die direkt mit der Erstellung und Lieferung des Produktes zusammenhängen. Der zunehmend stärkere Wettbewerb im Handel und die damit einhergehende Fokussierung auf die Bedürfnisse des Endkunden haben dazu geführt, dass die Frage nach der Verfügbarkeit der Waren im Verkaufsregal inzwischen zunehmend an Bedeutung gewinnt. Die logistische Vision der METRO Group lehnt sich daher an moderne Prinzipien des Supply-Chain-Managements an und soll die auf die Verkaufsflächen der einzelnen Vertriebslinien zulaufenden Warenbewegungen so organisieren, dass die Ware mit der geringst möglichen gesamtwirtschaftlichen Transportkapazität befördert wird. Handling und Warenmanipulation werden dabei auf das niedrigst mögliche Kostenniveau reduziert, Warenvereinnahmungs- und Vertriebsprozesse greifen in den Filialen überlappungsfrei ineinander. Der so geglättete und begradigte Warenfluss wird durch einen durchgehend standardisierten Informationsfluss und ‚Workflow’ abgesichert, unterstützt und verstetigt. 1.3.3 Wettbewerbsvorteile durch Outsourcing und Systemführerschaft Die Übernahme bzw. Integration logistischer Aktivitäten in die Wertschöpfungskette des Handels bedeutet aber nicht zugleich die operative Abwicklung dieser Prozesse durch die Handelsunternehmen. „Neben einem fortschrittlichen Design von Geschäftsprozessen kann auch die Frage nach dem ‚best owner’ für einzelne Aktivitäten in der Supply-Chain Effizienzsteigerungspotenziale erschließen. Dabei geht es darum, Eigenleistungen besonders dort durch marktgängige Dienstleistungen zu ersetzen, wo sich Skaleneffekte und Spezialisierungsvorteile erschließen lassen“ (Prümper 2003, S. 5). Im Ergebnis steuert der Handel die Logistik in einem strategischen Sinne. Zur Durchführung der Logistikaktivitäten bzw. der einzelnen Prozesse werden jedoch (verstärkt) logistische Dienstleister eingeschaltet. In diesem Selbstverständnis entwickeln sich Handelsunternehmen immer stärker in Richtung eines „Fourth Party Logistics Providers“ (4PL), für den sich vorrangig die Steuerung der Supply-Chain, die Logistikplanung und -beratung für Unternehmensnetzwerke als Aufgabengebiete herauskristallisieren. Diese sorgen für den reibungslosen Ablauf der gesamten Prozesskette und die informatorische Anbindung aller Prozessbeteiligten sowie der Kunden (Prümper 2003, S. 5). In diesem Sinne kann nochmals auf das Beispiel der Logistik der METRO Group zurückgegriffen werden (s. Abb. 1.11.). So versteht sich die METRO MGL Logistik GmbH (MGL) als Querschnittsgesellschaft für
1.3 Entwicklungen und Rahmenbedingungen
21
die Logistik der METRO-Vertriebslinien (Prümper 2003, S. 5): „Die MGL als Internal 4PL hat sich auf das logistische Prozessdesign und auf die Supply-Chain-Steuerung konzentriert und den gesamten Bereich des operativen Netzbetriebes an leistungsstarke Dienstleister fremd vergeben. Obwohl die MGL das eigene Sendungsaufkommen permanent auf Optimierungspotenziale in der Verkehrsführung überprüft, greift sie als 4PL bewusst nicht in das tägliche Dispositionsgeschehen ein.“ Beschaffungslogistik
MGL INTERNAL 4PL
Lager- / Distributions-Logistik
Filial-Logistik
Abb. 1.11. MGL als Querschnittsgesellschaft (Quelle: Prümper 2003, S. 4.)
Die übergreifende Steuerung des logistischen Gesamtsystems durch den Handel, d.h. die Systemführerschaft des Handels, wird – wie neuere empirische Studien belegen – von den Handelsunternehmen als dominanter Trend gesehen (s. Abb. 1.12.). Die Hersteller erwarten – oder erhoffen – dagegen, dass ihre heutige Systemführerschaft durch eine beiderseitige Steuerung abgelöst wird. Die Systemführerschaft durch den Handel – oder auch durch Hersteller – steht nicht zwangsläufig im Widerspruch zur partnerschaftlichen Erzielung von so genannten Win-Win-Situationen im Rahmen der modernen ECRKonzepte, wenngleich auf Kongressen und Foren oftmals „kooperationsromantische“ oder gar „folkloristische“ Gedanken auftauchen: Eine unternehmensübergreifende Optimierung in der Konsumgüterwirtschaft durch kollaborative Formen des Supply-Chain-Managements – auch des „Demand- & Supply-Chain-Management“ – zielt zunächst auf die Ausschöp-
22
1 Grundlagen und Sourcing-Strategien im Handel
fung von Effektivitäts- und Effizienzpotenzialen ab, die i.d.R. bei allen an der Wertschöpfung beteiligten Partnern „verborgen“ sind, und ermöglicht damit vom Grundsatz her Win-Win-Situationen. Die Verteilung der Potenziale ist dann letztlich keine Frage der logistischen bzw. betriebswirtschaftlichen Systemführerschaft, sondern eine Frage der Machtpositionen und damit auch eine Frage der Kooperationskultur. 47 %
heute aus Industriesicht
29 % 22 % 18 %
heute aus Handelssicht
33 % 39 % 20 %
in 3 Jahren aus Industriesicht
50 % 30 %
in 3 Jahren aus Handelssicht
4% 41 % 53 % Hersteller (fast ausschließlich/überwiegend) beide zu gleichen Teilen Handel (fast ausschließlich/überwiegend)
Abb. 1.12. Wer steuert die Supply-Chain? (Quelle: PWC Consulting/Lebensmittel Zeitung 2002, S. 13.)
Aus Handelssicht verlieren die Hersteller fast völlig die alleinige Steuerungsfunktion der Supply-Chain, da „the tightest integration of supply and demand is possible when supply is triggered by actual customer usage” (Reary 2002, S. 3). 1.3.4 Erfolgspotenziale und Erfolgsvoraussetzungen unternehmensübergreifender Konzepte Die Überlegungen zu Fragen der Systemoptimierung und Systemführerschaft (Zentes 2004) leiten über zur Diskussion der Erfolgspotenziale und der Erfolgsvoraussetzungen unternehmensübergreifender und damit „kollaborativer“ Konzepte. Wenngleich man heute weiß, dass die Anfang der neunziger Jahre euphorisch verkündeten Gesamteffekte der ECRKonzepte, so die Studie des Food Marketing Institute (FMI) oder die Studie der Coca-Cola Retailing Research Group, Europe (CCRRGE) – um ein
1.3 Entwicklungen und Rahmenbedingungen
23
Vielfaches überschätzt wurden18, so zeigen Best-Practice-Fälle und auch großzahlige empirische Studien, dass moderne Konzepte des SupplyChain-Managements, gestützt auf Warenwirtschaftssysteme, beachtliche Effizienzsteigerungspotenziale erschließbar machen. Vor dem aufgezeigten wettbewerbsstrategischen Hintergrund und der gegenwärtigen und wohl auch künftigen Situation eines „Hyperwettbewerbs“, muss es darum gehen, auch Verbesserungen der Umsatzrendite im Bereich von Zehntelprozentpunkten oder auch nur eines Zehntelprozentpunktes und weniger zu realisieren. Beispielhaft zeigt Abb. 1.13. die Kosteneinsparpotenziale verschiedener ECR-Konzepte wie CRP (Continuous Replenishment), JMI (JointlyManaged-Inventory) oder CPFR (Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment), die von Herstellern und Handelsunternehmen erwartet – oder zumindestens erhofft – werden.19 CM
JMI
JIT
CRP
CPFR niedrig
3,86
4,31
4,10
4,53 4,64 hoch
Abb. 1.13. Kosteneinsparpotenzial durch verschiedene ECR-Konzepte (Quelle: IDS Scheer 2002.)
Abb. 1.14. zeigt am Beispiel eines Best-Practice-Falles die Entwicklung der Reichweite durch CRP/VMI (Zentes u.a. 2002, S. 265). Über dieses CRP-Programm ist es gelungen, die Reichweite der Bestände in den Verteilzentren der Drogeriemarktkette dm entscheidend zu senken. So zeigte sich bei einer Auswahl von zehn Lieferanten bei nahezu allen eine Reduzierung der Reichweite und damit der Lagerbestände sowie des gebunde-
18
19
Vgl. zu diesen Studien Abschnitt 2.5.2 sowie Liebmann/Zentes 2001, S. 589 ff., und die dort angegebene Literatur. Auf diese Konzepte wird im Einzelnen in Kapitel 2 näher eingegangen.
24
1 Grundlagen und Sourcing-Strategien im Handel
nen Kapitals im Verteilzentrum von dm. Der Lieferservicegrad ist dabei i.d.R. gleich geblieben oder hat sich ebenfalls verbessert. - Reichweite in Tagen 11,3
11,1 vor CRP
10,9
mit CRP 9,0
8,7
8,1 7,5
7,3
7,2
4,8
5,9
5,3
4,9 4,1
4,6 3,8
3,7 3,1
Lieferant 10
Lieferant 9
Lieferant 8
Lieferant 7
Lieferant 6
Lieferant 5
Lieferant 4
Lieferant 3
Lieferant 2
Lieferant 1
2,3 2,3
Abb. 1.14. Entwicklung der Reichweite durch CRP/VMI (Quelle: dm-drogerie markt 2001.)
Die Ausschöpfung der Potenziale kollaborativer bzw. unternehmensübergreifender Konzepte des Supply-Chain-Managements ist im Kern an drei Voraussetzungen geknüpft (s. Abb. 1.15.) (Zentes 1998, S. 51 ff.): x strategischer Fit x organisatorisch-technischer Fit x kultureller Fit. Organisatorischtechnischer Fit
Strategischer Fit
SCM-Konzepte
Kultureller Fit
Abb. 1.15. Voraussetzungen unternehmensübergreifender Konzepte
1.3 Entwicklungen und Rahmenbedingungen
25
Diese Fit-Dimension ist „herstellbar“, wenngleich die hiermit korrespondierenden Kosten oder die erforderlichen Investitionen im Einzelfall prohibitive Hürden darstellen können (s. Abb. 1.16.). 60 %
interne Barrieren Kosten
47 % 42 %
Mangel an Vertrauen in Partner schwer messbare Vorteile
39 %
kein Budget für Software
34 %
keine Unterstützung durch Top-Management
34 %
schwierige Inhouse-Lösungen Unternehmenspolitik, Prognosen nicht mit Partnern zu teilen
15 % 9% 16 %
andere keine Probleme
10 %
Abb. 1.16. Herausforderungen an SCM-Konzepte – Beispiel CPFR (Quelle: Industry Directions/Syncra Systems.)
Als wesentliche Barrieren unternehmensübergreifender Konzepte erweisen sich unternehmenskulturelle Faktoren. Interessanterweise liegt eine erste maßgebliche Hürde bereits im internen Bereich (s. auch Abb. 1.16.). Daher muss jedes Unternehmen, das eine übergreifende Kooperation anstrebt, zunächst eine konsequente interne Prozessorientierung erreichen (Zentes 1998, S. 53): „Das Kästchendenken in Kategorien wie Abteilungen und Ressorts gilt es unbedingt zu überwinden, um den Blick für übergeordnete Prozesse freizumachen.“ Diesen Befund aus dem Jahre 1998 bestätigt die Managerbefragung des HandelsMonitor (Bd. 7) aus dem Jahre 2003 (Liebmann/Angerer/Gruber 2003). So erwiesen sich (s. Abb. 1.17.) „Angst vor Veränderungen“ und „ineffiziente Strukturen und Prozesse in Unternehmen“ als die wesentlichen Barrieren des Unternehmenserfolges. Als kritischer Erfolgsfaktor erweist sich die Beziehungsebene zwischen Industrie und Handel.20 So können als Schlüsselfaktoren für den Erfolg unternehmensübergreifender Konzepte die Kooperationsbereitschaft und die Kooperationsfähigkeit („Kooperationskultur“) von den Unternehmen des Handels und der Industrie herausgestellt werden. Daher überrascht es
20
Vgl. zur kulturellen Steuerung von Logistiknetzwerken Wittig/Zentes 2002; Wittig 2004.
26
1 Grundlagen und Sourcing-Strategien im Handel
nicht, dass „Mangel an Vertrauen in Partner“ als eine der zentralen Herausforderungen in CPFR-Projekten genannt wird (s. Abb. 1.16.). Angst vor Veränderungen
77,1
13,3
9,6
ineffiziente Strukturen und Prozesse im Unternehmen
75,8
16,2
8,0
zu einseitige Ausrichtung auf Preispolitik
75,6
14,7
9,7
mangelnde Kundenbindung
71,3
Dominanz des Mengen- und Umsatzdenkens
71,0
16,9
12,1
zu geringe Nutzung der Kenntnisse und Fähigkeiten der Mitarbeiter
70,3
19,2
10,5
Mangel an Eigenkapital
70,0
17,6
12,2
0%
18,6
10,1
10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%
trifft voll und ganz/eher zu
neutral
trifft eher nicht/überhaupt nicht zu
- Angaben in Prozent, Mehrfachnennungen möglich -
Abb. 1.17. Barrieren des Unternehmenserfolges (Quelle: Liebmann/Angerer/Gruber 2003, S. 30.)
1.4 Beschaffungsstrategien und ihre Bedeutung für das SCM 1.4.1
Wechselbeziehungen zwischen Beschaffung und Supply-Chain-Management
Im Handel existieren im Wesentlichen drei Kernprozessbereiche, die in ihrer Gesamtheit das Handelsmanagement determinieren und somit die Kernmanagementobjekte des Handels, nämlich die Lieferanten, die Kunden sowie die Sortimente, über systematische, moderne, meist IT-gestützte Managementprozesse optimal zu bearbeiten ermöglichen (Zentes u.a. 2002, S. 7 ff.) (s. Abb. 1.18.). Die beschaffungsmarktbezogenen (Kern-)Prozesse umfassen dabei sowohl das Supply-Chain-Management (in der vorne vorgenommenen Abgrenzung) als auch die Beschaffung i.e.S. (Sourcing). Der Teilbereich der Beschaffung/des Sourcing steht in diesem Abschnitt im Zentrum der Überlegungen. Die Überlegungen sind dabei einerseits ausgerichtet auf innovative und richtungsweisende Beschaffungskonzepte sowie die Prozesse bei der Nutzung der Beschaffungskanäle, die in der Zukunft an Bedeutung
1.4 Beschaffungsstrategien und ihre Bedeutung für das SCM
27
gewinnen werden. Andererseits erfolgt eine situative Clusterung adäquater Beschaffungsprozesse, die vor allem marktorientierte Determinanten nahe legen (Zentes u.a. 2002, S. 430). Es handelt sich dabei um die Situation auf der Seite der Beschaffungsmärkte und auf der Seite der Absatzmärkte, hier insbesondere die Profilierungsbedeutung der Artikel für ein Unternehmen, welche die Komplexität und die Bedeutung der Beschaffung bestimmen. Des Weiteren wirken die Qualitätsmerkmale auf der Produktebene, so bei der Frage, ob ein Produkt hohen Qualitätsanforderungen oder einer Standardqualität, so bei Massenware, genügen muss. Sortimente
Kunden
Beschaffungsmarkt
Handelsunternehmen
Absatzmarkt
Category-Management
Customer-RelationshipManagement
Managementprozesse
Lieferanten
Supply-Chain-Management / Beschaffung
Managementobjekte
Abb. 1.18. Die Kernprozesse des Handels (Quelle: Zentes u.a. 2002, S. 8.)
Die Beschaffung/das Sourcing steht in enger Wechselbeziehung zu den Teilprozessen des Supply-Chain-Managements (s. Abb. 1.19.). Einen ersten strategisch-integrativen Teilprozess bildet der Bereich der SupplyChain-Planung. In diesem Bereich geht es zum einen darum, den Warenfluss bzw. den Warennachschub optimal zu steuern, aber auch entsprechende Distributionswege optimal zu strukturieren bzw. unterschiedliche Beschaffungskanäle optimal in die Supply-Chain zu integrieren. Zum anderen geht es darum, eine optimale Konfiguration von Beschaffungskanälen, die einen möglichst effizienten Warenfluss und möglichst kostengünstige Strukturen erlauben, aufzubauen. Der Bereich der Supply-Chain-Execution fokussiert auf die physischen Warenbewegungen und somit auf die Waren- bzw. Distributionsflüsse vom Hersteller über die eigene Handelslogistik bis in die Filialen. Hierunter werden sowohl Aspekte der Anbindung der Lieferanten, der logisti-
28
1 Grundlagen und Sourcing-Strategien im Handel
schen Abwicklung im eigenen Logistiksystem bis hin zur Anbindung der Filialen subsumiert. Supply-ChainPlanung
Supply-ChainExecution
Beschaffung / Sourcing
Abb. 1.19. Wechselbeziehungen zwischen den beschaffungsmarkt-bezogenen Prozessen
1.4.2
Entwicklungstendenzen in der Beschaffung des Handels
In den letzten Jahren lassen sich vielfältige Tendenzen in der Beschaffung des Handels beobachten. Dies hat u.a. damit zu tun, dass der Beschaffung zunehmend eine strategischere Bedeutung bzw. Rolle zukommt als vielleicht noch vor einigen Jahren (Zentes/Bartsch 2002). Vor dem Hintergrund der Umkehr von Verkäufer- zu Käufermärkten ist als erster Trend in der Beschaffung zunächst der Wandel von einer lieferantenorientierten Beschaffung hin zu einer kunden- bzw. absatzmarktorientierten Beschaffung zu nennen. Dies zeigt sich in vielfältigen Aspekten, so der steigenden Hersteller-Handel-Interaktion im Sinne vertikaler WinWin-Kooperationen, Category-Management (CM) oder Customer-Relationship-Management (CRM). Aber auch die Zunahme der Bedeutung von Handelsmarken bzw. speziell gefertigter Exklusivmarken für den Handel spiegelt diese Entwicklung wider. Gesamthaft findet eine Professionalisierung der Sortimentspolitik statt (s. Abb. 1.20.). Als weiterer Trend ist in diesem Zusammenhang – wie vorne bereits erwähnt – die zunehmende Prozess- bzw. Effizienzorientierung in der Beschaffung des Handels zu sehen, sowohl inter- als auch intraorganisatorisch. Efficient Consumer Response (ECR)- und Reengineering-Projekte stellen mittlerweile „Werkzeuge des täglichen Gebrauchs“ im Handel dar. Auch eine steigende Bedeutung der internationalen Beschaffung ist derzeit festzustellen. So betätigt sich der Handel zunehmend im Rahmen der Beschaffung europaweit oder sogar international.
1.4 Beschaffungsstrategien und ihre Bedeutung für das SCM
29
Der Bedeutungsanstieg der Beschaffung, bspw. der internationalen Beschaffung, ist jedoch nicht nur auf der Unternehmensebene zu sehen, sondern auch auf kooperativer Ebene. Kooperationen können in diesem Zusammenhang sowohl vertikal (Hersteller-Handels-Interaktion, Einzelhandels-Großhandels-Interaktion oder Handels-Dienstleister-Interaktion) als auch horizontal, so in Form von Strategischen Allianzen, Einkaufsgemeinschaften oder anderen Verbundgruppen, ausgeprägt sein. Zudem ist zu erwarten, dass Einkaufs- oder Beschaffungsallianzen zukünftig virtuell, so im Rahmen von Ad-hoc-Allianzen unter Zuhilfenahme elektronischer Marktplätze, entstehen werden. Als abschließender Trend ist in diesem Zusammenhang die inter- und intraorganisatorische Technologisierung bzw. Elektronisierung/Digitalisierung der Beschaffung zu nennen. Was vor einigen Jahren mit Electronic Data Interchange (EDI) begann, wird heute zunehmend über das Internet oder firmeneigene Extranets vollzogen. Fachportale und Business-toBusiness (B2B)-Marktplätze bieten in diesem Zusammenhang diverse Möglichkeiten zur Generierung von globalen Beschaffungsmarktinformationen als auch zur Durchführung kompletter Beschaffungsauktionen oder -ausschreibungen. Durch die Vernetzung von Unternehmen bieten sich vielfältige Ansatzpunkte, welche die Optionen in der Beschaffung verändern.
Beschaffungsorganisation
kundenorientiert
prozessorientiert
international
kooperativ
elektronisch
Multi-Channel-Sourcing lieferantenorientiert
funktional
national
autonom
konventionell
Abb. 1.20. Entwicklungstendenzen in der Beschaffung des Handels – MultiChannel-Sourcing (Quelle: Zentes/Bartsch 2002, S. 36.)
30
1 Grundlagen und Sourcing-Strategien im Handel
Auf Grund der vielfältigen Entwicklungstendenzen in der Beschaffung des Handels stellt sich zugleich die Frage, ob und in welchem Ausmaß die verschiedenen Trends in der Beschaffungspraxis Anwendung finden. Es ist anzunehmen, dass die vielfältigen Instrumente der Beschaffung nicht standardisiert über alle Produktbereiche, sondern tendenziell eher situationsbedingt im Sinne eines Mehrkanal-Systems (Multi-Channel-Sourcing), je nach den Anforderungen des Beschaffungs- als auch des Absatzmarktes, eingesetzt werden (s. Abb. 1.20.). Im Folgenden werden – wie in Abschnitt 1.4.1 herausgestellt – ausgewählte Entwicklungstendenzen näher betrachtet, so die Frage der autonomen vs. kooperativen Beschaffung und der konventionellen vs. elektronischen Beschaffung sowie die situativ differenzierten Beschaffungsprozesse. Die beiden erstgenannten Dimensionen werden dabei einer kombinierten Betrachtungsweise unterzogen. 1.4.3
Autonome vs. kooperative und konventionelle vs. elektronische Beschaffungsprozesse
Eine erste – pragmatisch orientierte – Strukturierung des Beschaffungsbereiches lässt sich über eine Vier-Felder-Matrix beschreiben, die in den einzelnen Zellen jeweils sehr unterschiedliche Beschaffungsprozesse enthält. Diese sind in ihrer Gesamtheit in der Lage, das Komplexitätsfeld von Beschaffungsprozessen und ihre Konsequenzen für die Ausgestaltung von Warenwirtschaftssystemen und SCM-Konzepten bereits weit gehend abzudecken (s. Abb. 1.21.).21 konventionell
autonom
kooperativ
Abb 1.21. Strukturierung der Beschaffungsprozesse
21
Vgl. hierzu umfassend Zentes u.a. 2002, S. 24 ff.
elektronisch
1.4 Beschaffungsstrategien und ihre Bedeutung für das SCM
31
So kann auf einer ersten Ebene grundsätzlich zwischen autonomen und kooperativen Beschaffungsprozessen unterschieden werden. Letztere stellen in Form von Einkaufsgemeinschaften eine der ältesten Kooperationsformen dar (Zentes/Schramm-Klein 2003, S. 272). 6,2 %
Die Bedeutung internationaler Kooperationen wird in den nächsten Jahren steigen.
81,3 %
Die Bedeutung kooperativer Beschaffung auf der Einzelhandelsebene wird in den nächsten Jahren steigen.
20,3 % 3,0 %
76,7 %
Eine kooperative Beschaffung ist zukünftig insbesondere für mittelständische Unternehmen relevant.
Eine kooperative Beschaffung ist vor allem bei Markenartikeln von hoher Relevanz.
45,3 %
9,4 %
28,1 %
62,5 %
45,9 %
12,4 %
18,8 %
68,8 %
Eine kooperative Beschaffung ist vor allem bei Commodities / MRO-Gütern von hoher Relevanz.
7,8 %
20,3 %
71,9 %
Eine kooperative Beschaffung ist vor allem bei Handelsmarken von hoher Relevanz. Die Bedeutung fallweiser (virtueller) Kooperationen bei sich bietenden Gelegenheiten wird in den nächsten Jahren steigen.
12,5 %
36,1 %
26,6 %
18,0 %
28,1 %
stimme vollkommen zu / stimme zu neutral stimme nicht zu / stimme überhaupt nicht zu
Abb. 1.22. Bedeutung unterschiedlicher Aspekte einer kooperativen Beschaffung (Quelle: Zentes/Bartsch 2002, S. 148.)
Es ist davon auszugehen, dass in den nächsten Jahren sowohl die Bedeutung kooperativer Beschaffung auf der Einzelhandelsebene gesamthaft steigen wird als auch ein kooperative Beschaffung zukünftig – insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen – zunehmend relevant wird (s. Abb. 1.22.). Nach der Managerbefragung des HandelsMonitor (Bd. 6) dürfte insbesondere die Bedeutung von Kooperationen auf internationaler Ebene in den nächsten Jahren weiter steigen. Dies unterstreicht die Relevanz der Mitgliedschaft in europäischen bzw. globalen Allianzen im Sinne eines existenziellen Wettbewerbsfaktors. Die zweite Dimension, nach der in diesem Zusammenhang unterschieden werden kann, bezieht sich auf die konventionellen bzw. traditionellen Beschaffungskanäle sowie die Beschaffung über elektronische Kanäle bzw. elektronische Märkte. Gerade die letztgenannte Beschaffungsoption, die erst in den letzten Jahren durch ein verstärktes Aufkommen von E-Business-Plattformen an Relevanz gewonnen hat, bringt eine neue Perspektive in die Beschaffung von Handelsunternehmen, die zum einen neue Chancen eröffnet und eine flexiblere Beschaffung erlaubt, zum anderen aber auch die Komplexität erhöht und die Notwendigkeit der Integration solcher Kanäle in die bestehenden Beschaffungsstrategien entstehen lässt.
32
1 Grundlagen und Sourcing-Strategien im Handel
Kosten- und Zeitvorteile Ausnutzung von Synergieeffekten
44,6 %
reine Nachfragebündelung
44,6 %
Risikoteilung
23,4 %
9,2 %
46,2 %
13,9 %
41,5 %
21,9 %
37,5 %
40,6 % 38,5 %
12,3 %
38,5 %
49,2 %
zentrales Key-Supplier-Management
11,0 %
35,9 %
53,1 %
Widerstand gegen steigende Konzentrationsund Wettbewerbstendenzen
6,2 %
37,5 %
56,3 %
Spezialisierungs- und Know-how-Vorteile
9,4 %
28,1 %
62,5 %
verbesserter Zugang zu Märkten, Ressourcen oder Kenntnissen
Inanspruchnahme von Rahmenverträgen mit Lieferanten
23,1 % 4,6 %
72,3 %
Ausgleich von größenbedingten Defiziten
Inanspruchnahme von Logistikdienstleistungen
6,2 % 13,8 %
80,0 %
23,0 %
38,5 % 50,0 %
26,6 %
À À À À À À À ¼ À ¼ ¼
Einschätzung der zukünftigen Entwicklung
Die modernen Informations- und Kommunikationstechnologien eröffnen zugleich Optionen zur Effektivitäts- und Effizienzsteigerung in traditionellen Beschaffungskanälen. So revolutionierte in den zurückliegenden Jahren Electronic Data Interchange (EDI) die operative HerstellerHandels-Kommunikation im Rahmen der Beschaffungsprozesse. Heute prägen Konzepte wie E-Business, E-Procurement, Web-EDI, Extranet oder elektronische Marktplätze das Geschehen. Beispielhaft soll im Folgenden kurz auf die Zellen der Vier-FelderMatrix eingegangen werden.22 Das Feld „kooperativ/elektronisch“ dürfte – so der HandelsMonitor (Bd. 6) (s. Abb. 1.23.) – in Form fallweiser bzw. so genannter virtueller Kooperationen bei sich bietenden Gelegenheiten in den nächsten Jahren an Relevanz gewinnen. „Kooperativ/konventionelle“ Formen der Beschaffung dürften auch weiterhin primär aus Kosten- und Zeitvorteilen genutzt werden (s. Abb. 1.24.) sowie zur Ausnutzung von Synergieeffekten und zum Ausgleich von größenbedingten Defiziten.
sehr hohe Bedeutung / hohe Bedeutung mittlere Bedeutung geringe Bedeutung / gar keine Bedeutung
Abb. 1.23. Motive kooperativer Beschaffung (Quelle: Zentes/Bartsch 2002, S. 150.)
Die Reduzierung von Prozess- und Transaktionskosten dürfte nach neueren (exploratorischen) Studien auch die Basismotivation für „autonom/ elektronische“ Beschaffungsprozesse sein (Zentes/Bartsch 2002, S. 155). Das Feld „autonom/konventionell“ wird auch weiterhin relevant bleiben, so im Rahmen der Beschaffung von Eigenmarken (z.B. „Premium-Eigen22
Vgl. zu Best-Practice-Beispielen, die dieser Matrix zugeordnet werden können, Zentes u.a. 2002, S. 26.
1.4 Beschaffungsstrategien und ihre Bedeutung für das SCM
33
marken“), die qualitativ möglichst über dem Niveau von Markenartikeln liegen sollen und die im Rahmen eines konsequenten Produktentwicklungsprozesses von Handelsunternehmen „gemanagt“ werden.23 1.4.4
Situative Clusterung der Beschaffungsprozesse
1.4.4.1 Typische Beschaffungssituationen im Handel
hoch
Commodities / MRO-Güter (Beschaffungscluster 2)
Handelsmarken (Beschaffungscluster 3)
Markenartikel (Beschaffungscluster 1)
niedrig
Komplexität der Beschaffungssituation
Die Beschaffungsgegebenheiten im Handel sind i.d.R. durch eine besonders hohe Artikelanzahl und eine hohe Sortimentsdynamik – um hier nur zwei Determinanten zu nennen – gekennzeichnet. Trotzdem lassen sich die vielfältigen Beschaffungssituationen vereinfacht in insgesamt drei Beschaffungssituations-Cluster unterscheiden, die sich durch die Kombination der (unabhängigen) Dimensionen „absatzmarktorientierte Profilierungsrelevanz“ und „Komplexität der Beschaffungssituation“ ergeben (s. Abb. 1.24.).24
niedrig
hoch absatzmarktorientierte Profilierungsrelevanz
Abb. 1.24. Typische Beschaffungsprozesse im Handel (Quelle: Zentes/Bartsch 2002, S. 44.)
Die Profilierungsrelevanz zielt hierbei aus der Perspektive des Category-Managements auf die Bedeutung („Rolle“) einer Warengruppe oder Artikelgruppe ab. Vereinfacht kann die Profilierungsrelevanz als „hoch“ (z.B. Categories in der „Profilierungsrolle“ oder „Haupt-/Pflichtrolle“) oder 23 24
Vgl. hierzu die „Fallstudie tegut“ in Zentes u.a. 2002, S. 129 ff. Vgl. hierzu Zentes u.a. 2002, S. 490 ff.; Zentes/Bartsch 2002, S. 38 ff.
34
1 Grundlagen und Sourcing-Strategien im Handel
„niedrig“ (z.B. Categories in der „Ergänzungsrolle“) eingestuft werden. Auf die Profilierungsrelevanz wirkt gleichermaßen die Komplexität der Kundenbedürfnisse, die sich in der Sensibilität hinsichtlich der Qualitätsanforderungen (z.B. Lebensmittelsicherheit), des Produktinvolvements („high interest“ vs. „low interest“) und der Kontinuität der Bedürfnisse (z.B. Einflüsse von Modetrends und saisonalen Schwankungen) manifestiert. Die Komplexität der Beschaffungssituation, die analog als „hoch“ oder „niedrig“ eingestuft wird, ist ebenfalls durch unterschiedlichste Einflussgrößen gekennzeichnet. Fragestellungen im Rahmen der Komplexität der Beschaffungssituation betreffen u.a. die Transparenz über mögliche Beschaffungsquellen und die Anzahl der (potenziellen) Lieferanten. Aber auch die geografische Dislozierung der Lieferanten (Inlandsbeschaffung vs. Direktimport) sowie der Konzentrationsgrad und die Leistungsfähigkeit der Lieferanten (Hersteller) sind diesbezüglich von erheblicher Bedeutung. Aus dieser Sichtweise können drei typische und gleichermaßen empirisch relevante Beschaffungssituationen unterschieden werden (s. Abb. 1.24.), die nachfolgend eingehender erläutert werden. 1.4.4.2 Beschaffungscluster 1: Markenartikel Das Beschaffungscluster 1 ist durch eine hohe Profilierungsrelevanz bei gleichzeitig niedriger Beschaffungsmarkt-bezogener Komplexität charakterisiert. Diese Situation ist typisch für viele Markenartikelbereiche, die zur Herausstellung der Sortimentskompetenz des Handels unabdingbar sind, bei denen meist jedoch nur wenige nationale oder internationale Anbieter (Markenartikelindustrie) mit starken Marken – oftmals „Euro Brands“ oder „Global Brands“ – als Lieferanten zur Verfügung stehen. Zudem sind dies meist Categories mit hohem Beschaffungsvolumen und hoher Umschlaggeschwindigkeit. Es ist zu vermuten, dass das Beschaffungscluster 1 ein erhebliches Potenzial für (vertikale) Supply-Chain-Management-Partnerschaften aufweist, da in diesem Cluster die Grundmodelle des ECR-Ansatzes in den neunziger Jahren ansetzten. Dementsprechend sollte dieses Beschaffungscluster heute Ansatzpunkte für weiter gehende („fortgeschrittene“) kollaborative Formen des Supply-Chain-Managements – so VMI, CRP oder CPFR – zur Erzielung von Win-Win-Situationen darstellen. Konventionelle Formen des elektronischen Datenaustauschs und neuere Internetgestützte Formen der Zusammenarbeit sind in diesem Fall eine unabdingbare Voraussetzung. Diese Einschätzung bestätigt die Managerbefragung des HandelsMonitor (Bd. 6) (s. Abb. 1.25. und Abb. 1.26.).
1.4 Beschaffungsstrategien und ihre Bedeutung für das SCM
35
Markenartikel Handelsmarken Commodities / MRO-Güter
handelsinterne Prozessoptimierung
handelsübergreifende Prozessoptimierung
kollaboratives Supply-Chain-Management
Continuous Replenishment / Quick Response
Vendor-Managed Inventory
Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment sehr hohe Bedeutung
hohe Bedeutung
mittlere Bedeutung
geringe Bedeutung
gar keine Bedeutung
Abb. 1.25. Clusterspezifische Bedeutung unterschiedlicher Aspekte einer prozessorientierten Beschaffung (Quelle: Zentes/Bartsch 2002, S. 104.)
Gleichermaßen zeigt sich die hohe Bedeutung IT-gestützter Dispositions- und Planungssysteme sowie des klassischen Datenaustauschs (EDI) im Bereich der Markenartikel. Hingegen sind elektronische B2B-Marktplätze, Internetgestützte Preis-/Konditionenverhandlungen sowie virtuelle Kooperationen/Allianzen nur von geringer Bedeutung. IT-gestütztes Dispositions- / Planungssystem
eigenes Extranetsystem zum Datenaustausch
klassische EDI-Infrastruktur zum Datenaustausch elektronische B2B-Marktplätze
Internet-gestützte Preis- / Konditionenverhandlungen virtuelle Kooperationen / Allianzen
Internet-gestütztes Supply-Chain-Management sehr hohe Bedeutung
Markenartikel Handelsmarken Commodities / MRO-Güter
hohe Bedeutung
mittlere Bedeutung
geringe Bedeutung
gar keine Bedeutung
Abb. 1.26. Bedeutung der Elektronisierung für die Beschaffungscluster (Quelle: Zentes/Bartsch 2002, S. 194.)
Wenngleich in diesem Cluster der Beschaffungsmarkt nur eine geringe Komplexität aufweist, ist die Beschaffung hier i.d.R. von erheblicher Re-
36
1 Grundlagen und Sourcing-Strategien im Handel
levanz (A- und B-Produkte), gemessen am Beschaffungs- und Absatzvolumen, am Rohertrag (Deckungsbeitrag I) usw. Preis- und Konditionenverhandlungen in der Hersteller-Handels-Interaktion, sei es auf konventionellem oder elektronischem Wege, werden daher auch in Zukunft nicht an Bedeutung verlieren. Jedoch werden logistische und warenwirtschaftliche Aspekte als neue Verhandlungs- und damit „Konditionenfelder“ hinzukommen. Tendenziell ist anzunehmen, dass in diesem Bereich auch bei fortschreitender Technologisierung der Kommunikationsmöglichkeiten die persönliche Interaktion weiterhin dominieren wird. Das Erreichen von Win-Win-Situationen durch kollaboratives Supply-Chain-Management und Category-Management erfordert jedoch Interaktionen zwischen unterschiedlichen funktionalen Akteuren beider Seiten, die weit über die klassische Verkäufer-Einkäufer-Dyade hinausgehen. 1.4.4.3 Beschaffungscluster 2: Commodities / MRO-Güter Im Gegensatz zum Beschaffungscluster 1 ist das Beschaffungscluster 2 durch eine niedrige Profilierungsrelevanz, jedoch hohe Beschaffungskomplexität gekennzeichnet. In den meisten Fällen trifft dies für eine hohe Artikelanzahl mit meist geringer Umsatzbedeutung (C-Artikel) zu, für die eine Vielzahl von Lieferanten, die i.d.R. weltweit verstreut sind, existiert. Eine Transparenz hinsichtlich der potenziellen Beschaffungsquellen ist meist nicht gegeben, zudem liegen keine oder allenfalls eine geringe Markenbedeutung (anonyme Produkte oder Labels, keine wirklichen „Brands“) vor sowie i.d.R. eine geringe Qualitätssensibilität. Diese Situation ist sowohl bei Handelsgütern (oft bei Nebensortimenten), den so genannten Commodities („nicht-markierte Standard-Massenware“), aber auch i.d.R. bei indirekten Gütern (MRO-Güter), d.h. Güter aus den Bereichen Instandhaltung (Maintenance), Reparatur (Repair) und dem operativen Geschäft (Operating), gegeben. Auf Grund der niedrigen Profilierungsrelevanz stellt sich in diesem Beschaffungscluster die Frage eines etwaigen Outsourcing der Beschaffung, so durch Einschaltung von Systemlieferanten. Diese übernehmen im Sinne klassischer Rack-Jobber oder Service-Merchandiser die operative Beschaffung einer ganzen Category. Als Systemlieferanten kommen hier Hersteller, die ihr eigenes Produktionsprogramm durch Handelsware arrondieren, und Großhandelsunternehmen in Betracht. Hierbei steht die Reduzierung der Beschaffungskosten in ihrer Gesamtheit, d.h. der Wareneinsatzkosten und der Prozesskosten, als dominantes Ziel im Vordergrund. Gegenwärtig steht dieses Beschaffungscluster bei vielen Handelsunternehmen im Mittelpunkt einer Neuorientierung des Beschaffungsmanagements, da hier im Sinne einer ganzheitlichen Perspektive – wie bereits er-
1.4 Beschaffungsstrategien und ihre Bedeutung für das SCM
37
wähnt – die größten Effizienz- und Effektivitätssteigerungspotenziale gesehen werden (s. Abb. 1.27.). starke partnerschaftliche Zusammenarbeit Zusammenarbeit mit dem eigenen CM Konsumentenanforderungen Preis- / Konditionenpolitik effiziente Verkaufsförderung der Industrie hohe Produktqualität hohe Produktaktualität Innovationskraft der Industrie Zusammenarbeit bei F&E Lieferantenentwicklung Beschaffungssicherheit Markenartikel Handelsmarken Commodities / MRO-Güter
Beschaffungsflexibilität niedrige Beschaffungsprozesskosten sehr hohe Bedeutung
hohe Bedeutung
mittlere Bedeutung
geringe Bedeutung
gar keine Bedeutung
Abb. 1.27. Clusterspezifische Bedeutung unterschiedlicher Aspekte einer absatzmarktorientierten Beschaffung (Quelle: Zentes/Bartsch 2002, S. 64.)
1.4.4.4 Beschaffungscluster 3: Handelsmarken Das Beschaffungscluster 3 weist eine bezüglich beider Dimensionen, also der Komplexität der Beschaffungssituation einerseits und der absatzmarktorientierten Profilierungsrelevanz andererseits, hohe Bedeutung auf. Diese Situation ist bspw. bei Handelsmarken gegeben, bei denen eine weit gehende Integration des Handels in die Wertschöpfungskette („Rückwärtsintegration“) vorliegt, so hinsichtlich der Produktentwicklung oder des Supply-Chain-Managements. Im Bereich des Lebensmitteleinzelhandels (LEH) ist zudem der Bereich der Frischware diesem Beschaffungscluster zuzuordnen. Dieses Beschaffungscluster bietet – so bei Handelsmarken – wesentliche Potenziale zur Effektivitäts- und Effizienzsteigerung durch weit gehende Wertkettenverknüpfung, z.B. in Form einer kollaborativen Produktentwicklung oder eines kollaborativen Supply-Chain-Managements (s. Abb. 1.28.). Diese Potenziale sollten auf Grund ihres höheren Integrationsgrades über die Potenziale der ECR-Partnerschaften des Beschaffungsclusters 1 hinausgehen. Zugleich spielen hier die Dimensionen Qualität, Zuverlässigkeit und Innovationsstärke der Lieferanten bei gleichzeitig hoher Lieferantenkomplexität eine wesentliche Rolle.
38
1 Grundlagen und Sourcing-Strategien im Handel
Die Bedeutung dieses Beschaffungsclusters im Handel dürfte in den nächsten Jahren wesentlich steigen, da ein Marktanteilszuwachs von Handelsmarken erwartet wird (s. Abb. 1.28). 32 % 28 % 24 % 21 %
1995
2000
2005
2010
Abb. 1.28. Erwartete Entwicklung des Marktanteils von Handelsmarken im deutschsprachigen Raum (Quelle: Funder/Huppertz/Michael 2002, S. 8.)
1.4.4.5 Ausgewählte Best-Practice-Beschaffungsprozesse Hinsichtlich der drei unterschiedlichen Beschaffungscluster lassen sich Best-Practice-Beschaffungsprozesse aufzeigen. Dabei wird zusätzlich wegen der branchen- bzw. produktspezifischen Gegebenheiten eine Differenzierung nach den Segmenten Fashion (z.B. Textil, Mode, Schuhe) und Food vorgenommen. Im Folgenden werden beispielhaft herausgestellt:25 x Markenartikel Fashion x Handelsmarken/profilierungs- und qualitätskritische Ware Food. Best-Practice-Beschaffungsprozesse: Markenartikel Fashion Bei den Markenartikeln im Fashion-Bereich werden zunächst zwei Kategorien unterschieden: x Standardqualitäten/Massenware x Ware mit hohen Qualitätsanforderungen bzw. hohem Profilierungspotenzial. In diesen Markenartikelkategorien ist die Situation in den FashionBereichen gekennzeichnet durch vergleichsweise niedrige Anforderungen des Beschaffungsmarktes auf Grund einer entsprechenden Lieferantenstruktur und durch hohe Anforderungen des Absatzmarktes. 25
Vgl. hierzu im Einzelnen Zentes u.a. 2002, S. 432 ff.
1.4 Beschaffungsstrategien und ihre Bedeutung für das SCM
39
Insofern sind in diesem Bereich die Best-Practice-Beschaffungsprozesse geprägt durch eine primäre Partnerschaftsorientierung. Die Lieferanten sind oft selbst Marketing- und somit Category-Management-orientiert und präsentieren eigene Verkaufskonzepte. Die Geschäftsbeziehungen sind charakterisiert durch eine möglichst langfristige Zusammenarbeit zwischen Handelsunternehmen und Lieferanten. Die grundsätzlich hohe Bedeutung der Prozessabläufe und damit korrespondierend der unterstützenden technologischen Infrastruktur hat je nach zu Grunde gelegtem Supply-Chain-Modell unterschiedliche Ausprägungen. Zentrale Bedeutung kommt der ECR-Anbindung im Rahmen des Never-out-of-Shelf oder der Last-Minute-Allocation sowie dem CrossDocking zu. primäre Partnerschaftsorientierung Prozessorientierung und IT-gestützte Prozesse Anstreben möglichst langfristiger Beziehungen
Supply-ChainModelle
traditionelles Sourcing
Systemlieferanten
Fokus auf Life-Style-orientiertes CM Beschaffungsaufgabe im Bereich der Kollektionskonfiguration
ThemenSourcing
klassischer Einkauf Standardqualitäten / Massenware
SpeedSourcing
ECRPartnerschaften
Markenartikel hohe Qualitätsanforderungen / Profilierungspotenzial primär relevanter Beschaffungskanal
Never-out-ofShelf
additiver Beschaffungskanal
Abb. 1.29. Best-Practice-Beschaffungsprozesse: Markenartikel Fashion (Quelle: Zentes u.a. 2002, S. 434.)
Als erfolgskritischer Kernprozess im Rahmen der Beschaffung steht im Fashion-Bereich die Musterung der Kollektionen der Markenartikler bzw. die Durchführung der Sortimentsplanung bzw. -definition auf dieser Basis im Vordergrund (s. Abb. 1.30.). Dies setzt umfassende Kenntnis der eigenen strategischen Ausrichtung voraus und gleichzeitig einen Überblick über die lokalen Bedingungen in den Outlets. Hier ergibt sich bei der Definition der Sortimente bzw. der Auswahl von Kollektionen oder Kollektionsteilen eine wichtige Schwerpunktsetzung für das gesamte Verkaufsangebot in den Filialen, da solchen Markenartikeln im Fashion-
40
1 Grundlagen und Sourcing-Strategien im Handel
Bereich eine hohe Aufmerksamkeit auf Grund des i.d.R. hohen Involvements der Konsumenten zukommt. Kollektion / Design / Sortimentsfindung
Pattern / Design / Musterung
Produktentwicklung / Prototyping
Modifikation / Verbesserung
Verhandlungen / Vertragsabschluss
Produktion
Execution / An- und Auslieferung
Sales / Produkt- / Partnerbetreuung
Lieferantenauswahl
Abb. 1.30. Beschaffungs- und SCM-Prozesse: Markenartikel Fashion (Quelle: in Anlehnung an Zentes u.a. 2002, S. 435.)
Best-Practice-Beschaffungsprozesse: Handelsmarken/profilierungs- und qualitätskritische Ware Food Diese Kategorie ist gekennzeichnet durch sehr hohe Anforderungen der Absatz- und Beschaffungsmärkte. Es handelt sich um Artikel, die auf komplexen Beschaffungsmärkten oft bei einer gleichzeitig hohen Umschlagsgeschwindigkeit zu beschaffen sind und zugleich eine hohe Profilierungsbedeutung für die Handelsunternehmen aufweisen. Somit resultieren hieraus die höchsten Anforderungen für Handelsunternehmen, denn das Image des Unternehmens insgesamt ist verwoben mit dem Image dieser profilbildenden Produkte. Die Best-Practice-Beschaffungsprozesse im Rahmen dieser Kategorie der hohen Qualitätsanforderungen und Profilierungspotenziale sind gekennzeichnet durch ausgeprägte Lieferantensuch- und -bewertungsprozesse. Aus der Palette denkbarer Sourcing-Channels wird meist der klassische Einkauf bevorzugt. Auf Grund der Profilierungsrelevanz der Artikel – die oftmals in direkter Konkurrenz zu hochpositionierten Markenartikeln gestellt sind – ist ein ausgeprägtes Qualitätsmanagement entscheidend, da der Beachtung der warengruppenübergreifenden Qualitäts-/Positionierungsstandards eine hohe Bedeutung in der Beschaffung zukommt. Im Gegensatz zu der wenig profilierungsrelevanten Massenware werden in diesem Bereich möglichst langfristige Lieferantenbeziehungen, oft mit kleineren Herstellern, angestrebt. Ein Channel-Switching wird, wenn überhaupt, nur bei der Lieferantenfindung vorgenommen, wenngleich Verletzungen der Vertrauensbasis, so infolge der Nichteinhaltung der Qualitätsstandards, zu drastischen Maßnahmen führen können. Insgesamt bilden in diesem Bereich die strategischen Aufgaben wie die Qualitätssicherung und das Beschaffungsmarkt-Monitoring ebenso erfolgskritische Kernelemente wie das Lieferantenmanagement, die Identifi-
1.5 Gestaltung der Beziehungen zu den Lieferanten
41
kation bzw. Entwicklung zu beschaffender Produkte oder das Konditionenmanagement (s. Abb. 1.31.). elektronische Märkte
Handelsmarken
Systemlieferanten
hohe Qualitätsanforderungen / Profilierungspotenzial
Einkaufsgemeinschaften
ausgeprägte Lieferantenbewertungsprozesse ausgeprägtes Qualitätsmanagement Anstreben möglichst langfristiger Beziehungen Channel-Switching, wenn überhaupt nur bei Lieferantensuche hohe Komplexität / Bedeutung der Beschaffung primär relevanter Beschaffungskanal
klassischer Einkauf
ECRPartnerschaften
additiver Beschaffungskanal
Abb. 1.31. Best-Practice-Beschaffungsprozesse: Handelsmarken/profilierungsund qualitätskritische Ware Food (Quelle: in Anlehnung an Zentes u.a. 2002, S. 441.)
1.5 Gestaltung der Beziehungen zu den Lieferanten Während in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts Fragen des Customer-Relationship-Managements (CRM) oder des Customer-RelationshipMarketing im Zentrum der marktorientierten betriebswirtschaftlichen Diskussion standen, rücken in neuerer Zeit zunehmend Fragen des beschaffungsmarktbezogenen Beziehungsmanagements, so das Supplier-Relationship-Management (SRM), in das Zentrum der betriebswirtschaftlichen Forschung und der unternehmerischen Praxis (Stölzle 2000; Stölzle/Heusler 2003; Schramm-Klein 2004a). Neben das absatzmarktbezogene Management der Key-Accounts tritt das beschaffungsmarktbezogene Management der Key-Supplier (Key-Supplier-Management). Ein Schlüssellieferant ist dabei ein Lieferant, „bei dem ein Unternehmen wichtige Güter und Dienstleistungen bezieht und mit dem eine enge Zusammenarbeit besteht“ (Belz/Mühlmeyer 2001, S. 9).
42
1 Grundlagen und Sourcing-Strategien im Handel
Der Bedeutungsanstieg des Supplier-Relationship-Managements hat mehrere Bestimmungsgründe. So haben sich im Zuge der bereits erwähnten ECR-Orientierung in der Konsumgüterwirtschaft „supply side“- und „demand side“-orientierte Wertschöpfungspartnerschaften herausgebildet, die den beiderseitigen Nutzen unternehmensübergreifender Konzepte belegten. Darüber hinaus, teilweise damit im Zusammenhang stehend, hat die im voran gegangenen Abschnitt aufgezeigte Neuorientierung des Beschaffungsmanagements im Handel die Zweckmäßigkeit einer situativ differenzierten Betrachtung der Beschaffungs- und somit der Lieferantengegebenheiten verdeutlicht. So lassen sich Beschaffungssituationen unterscheiden, bei denen weltweit eine Vielzahl von potenziellen Lieferanten zur Verfügung steht und in denen die Beschaffungstransaktionen den Charakter von „Spot-Transaktionen“ tragen: Preis- und Konditionenverhandlungen dominieren diese Beschaffungssituation. Andererseits bestehen relationale Beschaffungssituationen, die durch langfristig stabile und partnerschaftliche Merkmale charakterisiert sind, so im Bereich der Markenartikellieferanten oder der Lieferanten von Handelsmarken. Hier dominieren Ansätze zur kollaborativen Reduzierung von Prozesskosten oder zur Ausschöpfung von Effektivitätssteigerungspotenzialen durch kooperative Formen des Category-Managements und des Customer-Relationship-Managements. Trotz eines tendenziell kooperativen Klimas zwischen Industrie und Handel (s. Abb. 1.32.), bestehen gegenwärtig und auch zukünftig zahlreiche Konfliktfelder, die in „genuinen“ Interessengegensätzen begründet sind. Dies ist nahe liegender Weise in besonderer Form in der Preis- und Konditionenpolitik der Fall wie auch bezüglich des Bereichs „Markenartikel vs. Handelsmarken“ (s. Abb. 1.33.). Einschätzung durch den Handel
zunehmend kooperativ
zunehmend konfliktär
Einschätzung durch die Industrie
zunehmend kooperativ
20,5 25,0
zunehmend konfliktär
28,6
28,6
42,8
54,5 gleichbleibend
gleichbleibend
Angaben in Prozent
Abb. 1.32. Zukünftiges Kooperationsklima (Quelle: Zentes/Bartsch 2002, S. 22.)
1.5 Gestaltung der Beziehungen zu den Lieferanten
43
Die herausgestellte Unterschiedlichkeit der Beschaffungssituationen führt nicht nur zu divergierenden Prozessen, so Beschaffungsprozessen auf konventionellem Wege, auf der Basis moderner Formen des Datenaustauschs oder gar auf der Basis elektronischer (virtueller) Marktplätze, sondern auch zu unterschiedlichen Interaktionsmustern zwischen Lieferanten (Herstellern) und Handelsunternehmen. Handelssicht Industriesicht
Markenartikel / Handelsmarken Preispolitik / Konditionenpolitik Logistik Erfüllung ökologischer Anforderungen Teleshopping / Online-Shopping Bereitstellung von Verkaufsdaten datentechnische Vernetzung Einschätzung der Verbraucherwünsche Kommunikationspolitik Einschätzung der eigenen Ertragsreserven Einschätzung der Ertragsreserven des Partners Grundhaltung zur Zusammenarbeit Produktinnovationen Lieferbereitschaft / Kapazität der Industrie Bestandsdisposition sehr hohes Konfliktpotenzial
hohes Konfliktpotenzial
mittleres Konfliktpotenzial
geringes Konfliktpotenzial
gar kein Konfliktpotenzial
Abb. 1.33. Aktuelle Konfliktfelder zwischen Handel und Industrie (Quelle: Zentes/Bartsch 2002, S. 24.)
Neben klassische dyadische Formen der Verkäufer-Käufer-Interaktion (s. Abb. 1.34.) treten multipersonale Interaktionen unter der Moderation der Key-Account-Manager oder Trade-Marketing-Manager auf der Seite der Hersteller und der Category-Manager auf der Seite des Handels (s. Abb. 1.35.) (Baumgarten u.a. 1998, S. 200 ff.). Handel Einkäufer
Hersteller Key-Account-Manager
Abb. 1.34. Dyadische Verkäufer-Käufer-Interaktionen
44
1 Grundlagen und Sourcing-Strategien im Handel
Handel
Hersteller
Marktforschung
Marktforschung
Sortimentsplanung
Produktion
Produktentwicklung
Produktentwicklung
Logistik
Logistik
Finanzen
Finanzen
Informationssysteme
Informationssysteme
Abb. 1.35. Multipersonale Interaktionen
Das Supplier-Performance-Measurement dient im Rahmen des SupplierRelationship-Managements der systematischen Steuerung der Lieferantenbeziehungen, so x der Lieferantenauswahl auf der Grundlage der Lieferantenbewertung (Lieferantenevaluation) und damit der Unterstützung von SourcingEntscheidungen, x der Lieferantenentwicklung, z.B. im Rahmen von Lieferantenkontrakten bzw. -verhandlungen und der Vorbereitung und operativen Umsetzung kollaborativer Prozesse. Hierzu erfolgen eine periodische Kontrolle auf der Basis einheitlicher Beurteilungskriterien und -verfahren, ausgerichtet an den unternehmerischen Zielen (z.B. Beschaffungsziele, Category-spezifische Ziele). Zugleich dient das Supplier-Performance-Measurement der proaktiven Steuerung der Lieferantenbeziehungen i.S. eines Früherkennungssystems, d.h. eines Informations- bzw. Monitoringsystems, das auf sich abzeichnende Chancen und Gefahren hinweist (s. Abb. 1.36.).26
26
Vgl. hierzu auch Stölzle 2002.
1.5 Gestaltung der Beziehungen zu den Lieferanten
45
Lieferantenauswahl
Lieferantenentwicklung
Lieferantenbewertung
Abb. 1.36. Klassische Aufgabenfelder eines Supplier-Relationship-Measurements
Das Supplier-Performance-Measurement geht jedoch über diese „konventionellen“ Aufgaben einer Lieferantenanalyse hinaus. So umfasst es auch ein Wirkungscontrolling, so die Messung der Effektivität und auch der Effizienz von herstellerspezifischen Maßnahmen im Rahmen des Category-Managements und des Customer-Relationship-Managements, die von Herstellern weitestgehend autonom – und damit i.d.R. nicht spezifisch auf die Gegebenheiten eines einzelnen Handelsunternehmens zugeschnitten sind – oder mit Handelspartnern kollaborativ ausgeführt werden. Auf diese Ansätze wird im Rahmen der Überlegungen der Warenwirtschaftsystem-gestützten Steuerung des Category-Managements und des CustomerRelationship-Managements in Kapitel 4 eingegangen.
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
2.1 Gesamtmodell des Supply-Chain-Managements im Handel Handel
2.1.1
Konkretisierung des Begriffsverständnisses
Der Terminus „Supply-Chain“ hängt eng mit einer Vielzahl von Begriffen zusammen wie „Wertschöpfungskette“, „logistische Kette“, „MarketingChannel“, „Prozesskette“ oder „Value-Chain“, die z.T. in ähnlichem Kontext oder z.T. synonym verwendet werden. Diese Begriffsverwendungen zeigen, dass unterschiedliche Auffassungen über das Begriffsverständnis bestehen, die eine Abgrenzung notwendig machen.27 Die unterschiedlichen Begriffsauffassungen lassen sich in drei wesentliche Kategorien systematisieren, die dadurch gekennzeichnet sind, dass ihnen eine zunehmende Anforderung bzw. eine steigende inhaltliche Spannweite des Begriffs der Supply-Chain zu Grunde liegt (Otto 2002): 1. Supply-Chain als Wertschöpfungsprozess 2. Supply-Chain als Gruppe von Unternehmen 3. Supply-Chain als überbetriebliche Organisation. In der ersten Begriffsauffassung wird unter „Supply-Chain“ ein Wertschöpfungsprozess verstanden. Dieser Wertschöpfungsprozess beginnt bei der Gewinnung der Rohstoffe und beinhaltet als Teilprozesse die Herstellung bzw. Produktions- und Leistungserstellungsprozesse, Distributionsund Vermarktungsprozesse sowie Transport- und Lagerprozesse. Diese Begriffsauffassung knüpft damit am Grundgedanken der Wertkette von Porter (1985, 1999) an. Dabei wird die Sichtweise allerdings insofern er27
Zu ausführlichen Diskussionen und Abgrenzungen des Begriffs der SupplyChain vgl. z.B. Klaus 1998, 1999; Grünauer 2001; Otto 2002 oder Göpfert 2002.
48
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
weitert, als nicht nur unternehmensinterne Wertschöpfungsprozesse, in denen die Reichweite einer Supply-Chain auf ein Unternehmen begrenzt wird, eine solche Supply-Chain darstellen können, sondern insbesondere auch unternehmensübergreifende Wertschöpfungsprozesse darunter verstanden werden. Zudem wird i. d. R. nur dann von einer Supply-Chain gesprochen, wenn die Wertschöpfungsprozesse bzw. Wertschöpfungsstufen eng miteinander verbunden sind. Häufig besteht darüber hinaus eine weitere „normative Begriffsaufladung“, indem nicht nur die Wertschöpfungsbeziehung zwischen den einzelnen Stufen im Sinne des Wertschöpfungsprozesses betrachtet wird, sondern im Rahmen der Supply-Chain (Prozess-) Optimierungen angestrebt werden, z.B. mit dem Ziel von Lagerbestandsreduktionen über die gesamte Prozesskette hinweg (Kotzab 1997, S. 12; Liebmann/Zentes 2001, S. 583). Die zweite Begriffsabgrenzung basiert auf der Sichtweise, dass es sich bei einer Supply-Chain um eine Gruppe von Unternehmen handelt. Bei dieser Auffassung wird zunächst von der Prozesssicht abstrahiert. Eine Supply-Chain kann im Sinne dieser Auffassung aus einer Sequenz von über Aufträge miteinander verbundenen Unternehmen bestehen (Chow/Heaver/Henriksson 1994) oder es kann sich um Unternehmen handeln, die jeweils eine funktional definierte Wertschöpfungsstufe übernehmen (Chopra/Meindl 2004; Christopher 1992). Oftmals wird im Rahmen dieser Begriffskonzeption zusätzlich als Anforderung an eine Supply-Chain gestellt, dass die miteinander in Verbindung stehenden Unternehmen eine bestimmte Form der Zusammenarbeit aufweisen, so z.B. die Verfolgung gemeinsamer Ziele, kooperative Abstimmungsprozesse, gemeinsame Verantwortung u.Ä. Dabei werden nicht nur dyadische Beziehungen betrachtet, sondern die Betrachtung bezieht sich auf die gesamte Kette (Swaminathan/Smith/Sadeh 1998). Die dritte Begriffsauffassung knüpft an dieser Konzeptionalisierung an. Dabei wird die Supply-Chain als unitäre Organisation angesehen, die als „extra corporate body“ fungiert (Otto 2002). Im Sinne eines geschlossenen und kooperativ agierenden Akteurs stehen nicht mehr (nur) die einzelnen Elemente der Supply-Chain, also die einzelnen Unternehmen, im Wettbewerb, sondern die Supply-Chain tritt als Ganzes in den Wettbewerb mit anderen Supply-Chains als Konkurrenten (Christopher 1999; Lambert/Cooper/Pagh 1998). Der Übergang von der zweiten zur dritten Begriffsauffassung ist dabei fließend. Ein Überblick über die unterschiedlichen Begriffskonzeptualisierungen und ausgewählte Vertreter der jeweiligen Begriffsauffassungen ist in Abb. 2.1. dargestellt.
2.1 Gesamtmodell des Supply-Chain-Managements im Handel Konzept Supply-Chain als Wertschöpfungsprozess
Supply-Chain als Gruppe von Unternehmen
Supply-Chain als überbetriebliche Organisation
49
Autoren Houlihan 1985; Scott/Westbrook 1991; Kotzab 1997; Spekman/Kamauff/Myhr 1998; Bowersox/Closs/Stank 1999; Liebmann/Zentes 2001; Pfohl 2000, 2004; Baumgarten 2004; Zentes/Swoboda/Morschett 2004 Ellram/Cooper 1990; Scott 1991; Christopher 1992; Chow/Heaver/Henriksson 1994; LaLonde/Masters 1994; Swaminathan/Smith/Sadeh 1998; Chopra/Meindl 2004 O’Neill/Sackett 1994; Morehouse 1997; Lambert/Cooper/Pagh 1998; Christopher 1999
Abb. 2.1. Konzeptualisierungen des Begriffs „Supply-Chain“
Im Folgenden wird dem prozessorientierten Verständnis gefolgt, wobei schwerpunktmäßig Fragestellungen logistischer und warenwirtschaftlicher Prozesse in den Vordergrund gestellt werden.28 Dabei werden im Rahmen der Supply-Chain-Betrachtungen sowohl unternehmensinterne Wertschöpfungsketten erörtert als auch unternehmensübergreifende Analysen der Supply-Chain vorgenommen, so bezogen auf Lieferantenbeziehungen, Kundenbeziehungen sowie Gesamt-Supply-Chain-Analysen. Die Betrachtungsebenen sind in Abb. 2.2. dargestellt.
28
Diese Auffassung bedeutet nicht, dass dem hier verfolgten Begriffsverständnis eine synonyme Betrachtung der Begriffe „Logistik“ und „Supply-ChainManagement“ zu Grunde liegt, wie es z.T. in der Literatur der Fall ist (vgl. hierzu z.B. Kotzab 2000; Pfohl 2000; Croom/Romano/Giannakis 2000), sondern es erfolgt lediglich eine Eingrenzung der Betrachtungsperspektive auf logistische und warenwirtschaftliche Fragestellungen. Vgl. hierzu auch die Begriffsabgrenzungen in Kapitel 1.
50
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
gesamte Supply-Chain
Kundenbeziehung
Lieferantenbeziehung
interne Supply-Chain
Wertkette der Rohstoffgewinnung
Wertkette der Vorproduktlieferanten
Wertkette der Endprodukthersteller
Wertkette des Handels
Konsumenten
Abb. 2.2. Ebenen der Supply-Chain-Betrachtungen (Quelle: in Anlehnung an Otto 2002, S. 99.)
Die typische Supply-Chain in der Konsumgüterbranche ist somit dadurch gekennzeichnet, dass eine Vielzahl von Wertschöpfungspartnern beteiligt ist. Dabei steht der Kunde bzw. der Konsument in der Konsumgüterwirtschaft als Ziel der Bemühungen im Rahmen der Supply-Chain im Vordergrund. Relevante Wertschöpfungspartner sind u.a. (Liebmann/Zentes 2001, S. 584 ff.; Chopra/Meindl 2004, S. 4 f.): x die Kunden, also die Konsumenten bzw. „Endverbraucher“ x der Handel als letztes Glied in der Supply-Chain, bevor die Ware zum Verbraucher gelangt, bzw. als erstes Glied in der Supply-Chain, durch das die Konsumenten die Ware beziehen x die Hersteller, also die Konsumgüterindustrie x Lieferanten von Vorprodukten, z.B. Rohmaterialhersteller, Lieferanten von Betriebs- und Hilfsstoffen oder Verpackungshersteller x Logistikdienstleister, die im Rahmen von Outsourcing-Prozessen für die Hersteller oder für die Handelsunternehmen logistische Aktivitäten (z.B.
2.1 Gesamtmodell des Supply-Chain-Managements im Handel
51
die Lagerung, den Transport oder ganze Logistikkonzeptionen29) übernehmen x Kreditinstitute, die im Rahmen der Abwicklung der Zahlungsströme von Bedeutung sind (z.B. Banken, Finanzdienstleister, Versicherungen) x weitere Wertschöpfungspartner, wie z.B. Verbundgruppenzentralen, Importeure u.Ä. Im Rahmen der Supply-Chain-Betrachtungen stehen insbesondere die Warenströme, die zwischen den Wertschöpfungspartnern ablaufen, im Vordergrund, da diese an den Grundfunktionen des Handels anknüpfen, nämlich insbesondere an der Raum- und Zeitüberbrückungsfunktion sowie der Warenfunktion (Seyffert 1972, S. 6, 10; Tietz 1993, S. 12 ff.). Diese Grundfunktion wird anhand der Initiierung der Warenströme durch den Handel wahrgenommen.
Bank
Wertkette der Vorproduktlieferanten
Bank
Wertkette der Endprodukthersteller
Wertkette der Logistikdienstleister
Wertkette des Handels
Wertkette der Logistikdienstleister
Konsumenten
Wertkette der Logistikdienstleister
Warenströme Finanzströme Informationsströme
Abb. 2.3. Wertschöpfungssystem in der Konsumgüterbranche (Quelle: in Anlehnung an Liebmann/Zentes 2001, S. 607.)
Neben diesen physischen Prozessen ist im Rahmen der Supply-Chain eine Vielzahl von Informations- und Finanzströmen notwendig, die in en29
Entsprechend unterscheidet man die Logistikdienstleister in Komponentenanbieter, die lediglich Teilbereiche der Logistiksysteme anbieten, und in Systemanbieter, die ganzheitliche, komplexe Logistiklösungen anbieten (Liebmann/Zentes 2001, S. 586). Vgl. hierzu auch Abschnitt 1.2.
52
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
ger Interdependenz zu den Warenströmen stehen (Pfohl 2004, S. 325). Relevante Informationsströme sind z.B. Bestellungen, Abverkaufs- oder Bestandsinformationen. Der Fluss von Informationen kann Warenströme anstoßen oder zur Optimierung oder Umleitung von Warenströmen beitragen. Der Fluss von Finanz- bzw. Zahlungsmittelströmen entlang der SupplyChain dient der wertmäßigen Verrechnung der Waren- und Leistungsströme (Liebmann/Zentes 2001, S. 589).30 In Abb. 2.3. ist das Grundkonzept einer Supply-Chain in der Konsumgüterwirtschaft schematisiert. Den Ausgangspunkt der Betrachtungen bildet der Handel als Fokusunternehmen. Ausgehend vom Handel lassen sich dann die externen Wertschöpfungspartner als vorgelagerte („up-stream“) und als nachgelagerte („down-stream“) Partner in der Supply-Chain unterscheiden (Handfield/Nichols 1999, S. 2 ff.). „Up-stream“ sind insbesondere die Hersteller als direkte Partner von Bedeutung; „down-stream“ stehen die Kunden bzw. die Konsumenten im Mittelpunkt der Betrachtungen. 2.1.2
Strukturmodelle der Supply-Chain
2.1.2.1 Gesamtmodell der Supply-Chain Zur Konzeptualisierung der Supply-Chain werden oftmals Strukturmodelle eingesetzt, in denen eine Systematisierung der unterschiedlichen Prozesse vorgenommen wird. Dazu werden die Wertschöpfungsprozesse in eine dedizierte Reihenfolge gebracht, sodass die Modelle eine idealtypische Supply-Chain im Sinne eines Referenzmodells repräsentieren. Ein branchenübergreifender Ansatz eines solchen generischen Wertschöpfungsmodells wurde vom „Supply-Chain Council“ mit dem „SCOR“Modell (SCOR = Supply-Chain Operations Reference-model) entwickelt. Das Supply-Chain Council (SCC) ist eine in den USA ansässige, international tätige Nonprofit-Organisation, die 1996 gegründet wurde. Mit der Definition und der kontinuierlichen Weiterentwicklung des SCOR-Modells wurde ein idealtypisches Prozessmodell entwickelt, das als branchenübergreifendes Standardmodell die einheitliche Beschreibung, Bewertung und Analyse von Supply-Chains ermöglichen soll. Vorteile, die sich aus dem Einsatz eines derartigen Prozessmodells ergeben, sind dabei v.a. (Supply-Chain Council 2004; Zentes/Swoboda/Morschett 2004, S. 515):
30
Zu den unterschiedlichen Strömen, die entlang der Supply-Chain ablaufen, vgl. Abschnitt 2 dieses Kapitels.
2.1 Gesamtmodell des Supply-Chain-Managements im Handel
53
x Anhand der Verwendung einer allgemeingültigen Terminologie im Sinne standardisierter Beschreibungen ist die eindeutige Beschreibung der Prozesse möglich. Sie dient insbesondere der unternehmensinternen, aber auch der unternehmensübergreifenden Kommunikation, die auf einem einheitlichen Begriffsverständnis und einer konsistenten Basis ablaufen kann. Dadurch werden Missverständnisse sowie „Übersetzungsvorgänge“ vermieden bzw. eingespart. x Im SCOR-Modell werden nicht nur die Prozesse in idealtypischer Form beschrieben, sondern es erfolgt zudem die Definition von Kennzahlen und Benchmarking-Prozessen. Dadurch ist es möglich, spezifische Performance-Ziele für jeden Prozessschritt vorzunehmen, sodass die Identifikation von Prioritäten und die Quantifizierung von Prozessveränderungen auf dieser Basis möglich sind. Dadurch lassen sich effiziente Supply-Chain-Praktiken identifizieren, wobei der Einsatz spezifischer IT- bzw. Software-Systeme zur Unterstützung dieser PerformanceMessungen möglich ist. x Der Einsatz des SCOR-Modells als Referenzmodell dient nicht nur dem unternehmensinternen Einsatz, sondern dadurch wird ein Gesamtverständnis für die gesamte Supply-Chain aufgebaut – im Sinne einer umfassenden Sichtweise auf die Supply-Chain-Prozesse. Im SCOR-Modell werden alle Prozesse, Ströme und Transaktionen berücksichtigt, die von den Vorlieferanten bis zum Endkunden reichen. Somit werden alle Interaktionen – beginnend bei dem Kunden mit dem Auftragseingang bis zum Zahlungseingang –, alle physischen Transaktionen zwischen den Akteuren, dabei auch die Versorgung mit Betriebsmitteln, sowie alle Marktinteraktionen von der Erfassung der aggregierten Bedarfe bis zur individuellen Auftragsabwicklung einbezogen. Im SCOR-Modell nicht erfasst sind Prozesse der Nachfragegenerierung, insbesondere Marketingprozesse, Forschungs- und Technologieentwicklungs- oder Produktentwicklungsaktivitäten sowie After-Sales-Service-Aktivitäten.31 Im SCOR-Modell werden im Rahmen der Modellierung fünf Prozesstypen unterschieden, die auf allen Ebenen der Supply-Chain ablaufen. Als grundlegende Prozesse werden dabei die Planung („Plan“), die Beschaffung („Source“), die Produktion („Make“), die Distribution („Deliver“) sowie Rückführungsprozesse („Return“) betrachtet (s. Abb. 2.4.).
31
Vgl. hierzu ausführlich Supply-Chain Council 2004.
54
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
Plan
Plan
Deliver Return
Source Return
Suppliers‘ Supplier
Make
Plan
Deliver Return
Source
Make
Return
Return
Supplier
Deliver Source
Make
Return
Your Company
Internal or External
Deliver
Source
Return
Return
Customer‘s Customer
Customer Internal or External
Unternehmensbezogener Supply-Chain-Ausschnitt
Plan
…
…
Plan
Source Return
Kunde und Lieferant
Plan
Make
Plan
Deliver
…
Return
Kunde und Lieferant Kunde und Lieferant
Abb. 2.4. Grundlegende Prozesse des SCOR-Modells (Quelle: in Anlehnung an Supply-Chain Council 2004, S. 3, S. 13.)
Die Grundlagenprozesse in dem SCOR-Modell lassen sich wie folgt beschreiben (Supply-Chain Council 2004; Zentes/Swoboda/Morschett 2004, S. 516; Corsten/Gabriel 2004, S. 277 ff.): x „Source“: In den Prozessen dieses Typs sind Aktivitäten der Beschaffung von Waren und Dienstleistungen zusammengefasst. In das Aktivitätenspektrum in diesem Zusammenhang fallen Prozesse der Auswahl, des Erwerbs, der Prüfung und der Lagerung von Gütern, dabei auch die Auswahl und die Bewertung von Lieferanten. Bezogen auf den Handel sind im Zusammenhang mit Beschaffungsprozessen die Konzepte des Efficient Consumer Response (ECR) von Bedeutung, so insbesondere Efficient-Replenishment- bzw. Vendor-Managed- oder Co-ManagedInventory-Konzepte.32 x „Make“: Der Prozesstyp „Produktion“ bezieht sich auf Aktivitäten, die mit der Durchführung der Produktion im Zusammenhang stehen. Dabei sind die Durchführung der einzelnen Produktionsschritte, Qualitätssicherungsaktivitäten, die Lagerung und der Transfer der fertigen Güter an den Vertrieb von Bedeutung. In Handelsunternehmen tritt die Bedeu32
Vgl. hierzu die Ausführungen in Abschnitt 5 dieses Kapitels; vgl. auch die Ausführungen in Abschnitt 1.3.4.
2.1 Gesamtmodell des Supply-Chain-Managements im Handel
55
tung des „Produktionsprozesses“ im engeren Sinne zurück, da i.d.R. nur in geringfügigem Maße Manipulationsprozesse an den Waren vorgenommen werden. x „Deliver“: Im Rahmen des Prozesstyps der „Distribution“ stehen Aktivitäten des Kundenauftragsmanagements, des Transport- und Lagermanagements u.Ä. im Vordergrund. Bezogen auf die Konsumgüterindustrie bzw. Handelsunternehmen spielen in diesem Zusammenhang – in der Denkweise des ECR-Ansatzes – v.a. die Konzepte des CategoryManagements eine besondere Rolle, so Efficient Assortment, Efficient Promotions und Efficient Product Introduction.33 x „Plan“: Der Prozesstyp der „Planung“ dient der Koordination der Kernprozesse Beschaffung, Produktion und Distribution sowie der Rückführungsprozesse. Sie sind jeweils an den Schnittstellen zwischen zwei Ausführungsprozessen (Source-Make-Deliver) bzw. an Lieferanten-Kunden-Schnittstellen erforderlich, um eine Abstimmung zwischen den Prozessschritten vorzunehmen. Planungsprozesse haben somit eine Ausgleichsfunktion innerhalb der Supply-Chain. Die Voraussetzung für eine optimierte Planung bildet insbesondere der Austausch von Marketing- und Logistikdaten, dabei insbesondere der Austausch von Prognosedaten. In diesem Zusammenhang gewinnt das Konzept des Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment (CPFR) zunehmend an Bedeutung.34 x „Return“: Diese Prozesse beinhalten Prozesse der Rückführung, so z.B. von falschen, defekten oder Überschussprodukten, aber auch von Verpackungs- oder Transportmaterialien, von den Abnehmern zu den jeweiligen Lieferanten in Form von „Deliver Return“ oder „Source Return“. Dabei spielen in Handelsunternehmen zusätzlich Mehrwegprozesse (z.B. im Rahmen von Pfandsystemen oder Entsorgungsprozessen) eine besondere Rolle. Diese Grundprozesse der Planung („Plan“) bzw. der Ausführung („Source“, „Make“, „Deliver“, „Return“) werden durch Hilfsprozesse („Enable“) unterstützt.
33
34
Diese Konzepte kooperativer Zusammenarbeit zwischen Hersteller und Handel werden in Abschnitt 5 dieses Kapitels detailliert erläutert. Vgl. hierzu auch die Ausführungen in Abschnitt 5 dieses Kapitels.
56
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
Vorproduktlieferant
Vorproduktlieferant
Hersteller
Großhandel
Einzelhandel
Materialeinkauf / Beschaffung Hersteller
Hersteller
Fall A Distribution
Großhandel
Warenbeschaffung / Einkauf Fall B Distribution
Einzelhandel Fall A
Einzelhandel Fall B
Kunde
Kunde
Warenverteilung Marketing-Logistik
Fall B Warenbeschaffung / Einkauf Fall A Warenbeschaffung / Einkauf
Warenverteilung Zum Kunden
Abb. 2.5. Betrachtungsstufen der Supply-Chain des Handels (Quelle: in Anlehnung an Henning 1981, S. 4; Toporowski 1996, S. 14.)
Das SCOR-Modell als branchenübergreifend konzipiertes Referenzmodell dient einer grundsätzlichen, generischen und idealtypischen Beschreibung der Supply-Chain. Fokussiert man spezifisch auf logistische und warebezogene Prozesse von Handelsunternehmen, so ist die Spezifizierung dieses Modells erforderlich. Im Rahmen der Analyse der Supply-Chain des Handels setzt die Betrachtung in der Regel erst beim Hersteller an und es wird von weiteren Vorlieferanten abstrahiert.35 Hinsichtlich der Anzahl der Supply-Chain-Stufen ist dabei zu differenzieren, ob zusätzlich die Stufe des Großhandels zwischengeschaltet wird oder eine direkte Distribution von dem (Konsumgüter-)Hersteller an den Handel erfolgt (s. Abb. 2.5.). 2.1.2.2 Interne Supply-Chain des Handels Die interne Supply-Chain des Handels ist wiederum in unterschiedliche Prozessschritte unterteilt. Folgt man einer funktionsorientierten Sichtweise, so können – im Sinne eines idealtypischen Referenzmodells – die logis-
35
Vgl. hierzu die Darstellungen zum Grundmodell der Supply-Chain in Kapitel 1 (Abb. 1.2. und Abb. 1.3.).
2.1 Gesamtmodell des Supply-Chain-Managements im Handel
57
tik- bzw. warenprozessorientierten Systeme zunächst in sechs Basisprozesse unterteilt werden: Einkauf/Beschaffung Disposition Wareneingang Lagersteuerung/Lagerung Warenausgang Retouren.
Teilprozesse
Basisprozesse
x x x x x x
Einkauf / Beschaffung
Disposition
Wareneingang
Lagersteuerung / Lagerung
Warenausgang
Retouren
Lieferantenverwaltung
Bestandsführung
Anliefertransportplanung/ Anliefertransport
Umlagerungsplanung
Ausliefertransport-/ Tourenplanung
Retourenrückgabe
Artikel /Konditionen-/Kontraktverwaltung
Bedarfsrechnung
Wareneingangsplanung
Umlagerung
Warenausgangsplanung
Retourentransportplanung/ -transport
Rechnungsprüfung
Bestell-/Lieferrechnung
Warenvereinnahmung/ -kontrolle
Auslagerung/ Kommissionierung
Retourenweiterverarbeitung
Bestellüberwachung
Einlagerung
Warenverladung Ausliefertransport
Abb. 2.6. Idealtypisches Modell der internen Supply-Chain des Handels (Quelle: Biesiada/Neidhart 2004, S. 99.)
Die jeweiligen Basisprozesse lassen sich wiederum in einzelne Teilprozesse als weitere Untergliederung unterteilen. Eine Übersicht über die Basisprozesse sowie die zugeordneten Teilprozesse der internen SupplyChain des Handels ist in Abb. 2.6. exemplarisch dargestellt. Diese Teilprozesse weisen in der Regel Gültigkeit sowohl auf der Ebene der Zentrale als auch – bei filialisierten Einzelhandelsunternehmen – auf der Filialebene auf. So wird z.B. sowohl auf der Ebene eines Zentrallagers als auch auf der Ebene der einzelnen Filialen eine Wareneingangsplanung durchgeführt, wobei u.a. Anlieferfenster definiert und Kapazitäten zur Warenvereinnahmung entsprechend der lieferanten- oder zentrallagerseitig avisierten Mengeneinheiten vorgehalten werden. Insofern handelt es sich bei der dargestellten Unterteilung des internen Supply-Chain-Prozesses in Basis- und Teilprozesse um ein idealtypisches Modell, das variabel bzw. flexibel ist, d.h., die dargestellte Reihenfolge ist nicht als fix anzusehen. Es können z.B. die jeweiligen Basis- und Teilprozesse je nach Stufigkeit des Handelsunternehmens auch mehrfach oder in Abhängigkeit von der Struk-
58
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
turierung des Handelsunternehmens in grundsätzlich anderer Reihenfolge durchlaufen werden. Die hier dargestellten Teilprozesse können wiederum im Sinne einer weiter gehenden Differenzierung der Betrachtung in weitere Unterprozesse unterteilt werden.
2.2 Dimensionen der Supply-Chain 2.2.1
Überblick
Zur Ableitung der Dimensionen der Supply-Chain ist es zunächst notwendig, eine Betrachtung der grundsätzlichen Funktionsweise des Zusammenspiels zwischen den unterschiedlichen Stufen der Supply-Chain vorzunehmen. Die Supply-Chain in der Konsumgüterbranche ist dadurch gekennzeichnet, dass auf den vertikal miteinander verbundenen Stufen eine Veränderung bzw. eine Transformation von Gütern (im Sinne von physischen Gütern, Real- bzw. Sachgütern) stattfindet (s. Abb. 2.7.). Entsprechend einer arbeitsteilig bzw. spezialisiert organisierten Wirtschaft hat jede Stufe eine bestimmte Funktion bei dieser Gütertransformation. Güterbereitstellung
Güterverteilung
Güterverwendung
Produktionsprozesse
Transferprozesse
Konsumprozesse
qualitative Gütertransformation
raum-zeitliche Gütertransformation
qualitative Gütertransformation
Güter- / Warenfluss
Hersteller
Handel
Konsumenten
Abb. 2.7. Systeme der Gütertransformation
Allgemein unterscheidet man drei Prozesse der Gütertransformation, die auf den im Rahmen der Supply-Chain-Betrachtungen relevanten Ebenen bzw. Stufen stattfinden (Pfohl 2004, S. 3 ff.):
2.2 Dimensionen der Supply-Chain
59
x Güterbereitstellung: Die Güterbereitstellung erfolgt auf der Stufe der Vorlieferanten bzw. der Hersteller (der Konsumgüterindustrie). Sie beinhaltet Gewinnungs-, Verarbeitungs- und Bearbeitungsprozesse, also Produktionsprozesse auf Vorstufen- und Industrieebene, die der Herstellung der Ware dienen. Im Rahmen solcher Prozesse erfolgt eine qualitative Veränderung (qualitative Transformation) der Güter. x Güterverwendung: Im Rahmen der Güterverwendung werden die Güter verbraucht bzw. (ab-)genutzt. Fokussiert man auf die Konsumgüterbranche, so vollzieht sich die Güterverwendung vorwiegend auf der Ebene der Konsumenten. Sie bezieht sich dann also auf Konsumprozesse auf Endverbraucherebene. Grundsätzlich kann eine solche Güterverwendung auf allen Stufen der Supply-Chain erfolgen, also z.B. bei den Herstellern, bei den Handelsunternehmen oder bei Dienstleistungsunternehmen. Auch die Güterverwendung stellt dabei einen Transformationsprozess dar, bei dem die betrachteten Güter in qualitativer Hinsicht verändert werden. x Güterverteilung: Während die Güterbereitstellung und die Güterverwendung Prozesse einer qualitativen Transformation von Gütern darstellen, handelt es sich bei der Güterverteilung um einen Transformationsprozess, der sich vornehmlich auf die raum-zeitliche Veränderung der Güter bezieht. Die Güterverteilung stellt somit einen verknüpfenden Prozess dar, indem sie die Güterbereitstellung und die Güterverwendung miteinander koppelt. Prozesse, die im Rahmen der Güterverteilung auftreten, sind somit v.a. Transferprozesse, also insbesondere Bewegungsund Lagerprozesse, anhand derer die raum-zeitliche Veränderung der Güter vollzogen wird. Die logistisch bzw. warenwirtschaftlich relevanten Fragestellungen knüpfen v.a. an dem Prozess der Gütertransformation an. Dabei stehen die räumliche, die zeitliche, aber auch die mengenmäßige Änderung bzw. die Sortenänderung im Vordergrund. Diese Transformationsprozesse korrespondieren mit den „Hauptfunktionen“ des Handels (s. Abb. 2.8.).36 Dabei stehen v.a. die Überbrückungsfunktion und die Warenfunktion im Vordergrund.37
36
37
Zu den Funktionen des Handels und Systematisierungsansätzen der unterschiedlichen Aufgabenbereiche vgl. ausführlich Tietz 1993, S. 12 ff. Die gängigste Einteilung der Handelsfunktionen stellt der Systematisierungsansatz von Seyffert (1972) dar. Seyffert (1972) betrachtet zudem noch die Maklerfunktion, bei der die Markterschließung (im Sinne von Akquisitions- und Marketingaktivitäten) sowie die Interessenwahrung und Beratung im Vordergrund stehen.
60
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
Prozesse der Warentransformation
Funktionen des Handels
räumliche Transformation
Raumüberbrückungsfunktion Überbrückungsfunktion
zeitliche Transformation
Zeitüberbrückungsfunktion
mengenmäßige Transformation
Quantitätsfunktion Warenfunktion
Sortentransformation
Sortimentsfunktion
Abb. 2.8. Handelsfunktionen und Transferprozesse
Die Überbrückungsfunktion bezieht sich auf Ausgleichsprozesse, die vom Handel wahrgenommen werden (Seyffert 1972, S. 6 ff.). Die wichtigsten Überbrückungsprozesse im Rahmen von Supply-Chain-Betrachtungen beziehen sich auf die Raumüberbrückung, worunter insbesondere Transportleistungen des Handels fallen, sowie auf die Zeitüberbrückung, so gegenüber den Konsumenten (Lagerungsfunktion), gegenüber dem Lieferanten (Vordispositionsfunktion) und zwischen Kauf und Zahlung (Kreditfunktion).38 Bei der Warenfunktion sind v.a. die Quantitätsfunktion, also der Ausgleich von Mengenunterschieden zwischen der Angebotsmenge der Hersteller und der Nachfragemenge der Konsumenten, und die Sortimentsfunktion, also die Zusammenstellung einer Produktauswahl durch den Handel anhand der Mischung unterschiedlicher Angebote bzw. Waren zumeist unterschiedlicher Hersteller im Hinblick auf die Kundennachfrage, von Bedeutung. Zum Bereich der Warenfunktion wird zudem die Übernahme der Qualitätsfunktion durch den Handel hinzugerechnet. Dabei werden Manipulationsvorgänge an der Ware vorgenommen. Kennzeichnend für die Supply-Chain in der Konsumgüterbranche ist, dass die Ware weitestgehend unverändert durch die Versorgungskette läuft. In der Regel sind deshalb solche Manipulationsvorgänge im Handel von eher unterge38
Als weitere Überbrückungsfunktion wird zudem die Preisausgleichsfunktion, also die Überbrückung von Wertschätzungsdifferenzen, genannt (Seyffert 1972, S. 6). Diese ist jedoch im Rahmen von Supply-Chain-Betrachtungen von untergeordneter Bedeutung.
2.2 Dimensionen der Supply-Chain
61
ordneter Bedeutung. Die durch den Handel geführte Ware stellt somit zumeist reine „Handelsware“ dar, die beim Hersteller eingekauft und in unveränderter Form an die Konsumenten weiter veräußert wird (Liebmann/Zentes 2001, S. 287).39 Die Überbrückungsfunktionen (Raum-/Zeit-Überbrückung) können als direkte Supply-Chain-Funktionen aufgefasst werden, während die Warenfunktion neben hohen logistischen Konsequenzen auch akquisitorische bzw. Marketing-Elemente aufweist (Pfohl 2004, S. 214). Die Quantitätsbzw. Mengenfunktion beinhaltet z.B., dass große Produktionsmengen der Hersteller aufgelöst und in den Kundenanforderungen entsprechende bedarfsgerechte Mengen eingeteilt werden. Von besonders hoher Bedeutung ist zudem die Sortimentsfunktion des Handels. Dabei wird versucht, den Kundenwünschen nach einer bestimmten Sortimentsauswahl zu entsprechen, so z.B. einer besonders breiten Auswahl (z.B. zur Ermöglichung eines „One-Stop-Shopping“) oder einer besonders tiefen Auswahl (z.B. anhand des Angebots eines sehr spezialisierten Sortiments).40 Während somit die Überbrückungsfunktion direkte Supply-ChainFunktionen beinhaltet, ist die Warenfunktion v.a. von „indirekter“ SupplyChain-Relevanz, indem sie zum einen zwar nicht direkte Supply-ChainProzesse beinhaltet, dennoch aber Supply-Chain-Prozesse auslöst, da sie eine „Umgruppierung“ der Waren voraussetzt, so z.B. durch Umschlagsoder Kommissionierungsvorgänge. Weiterhin haben die mit der Warenfunktion verbundenen Marketingzielsetzungen Auswirkungen auf die Supply-Chain-Kosten des Handels. Die Kundenorientierung, die der Warenfunktion zu Grunde liegt, kann z.B. das Angebot eines besonders breiten Sortiments beinhalten, z.B. auch als Reaktion auf One-to-OneMarketing-Ansätze oder Customizing-Ansätze des Handels (Piller/Schaller 2002). Diese Variantenvielfalt hinsichtlich des im Handel angebotenen Produktspektrums führt dazu, dass die Sortimentsvielfalt tendenziell erhöht wird, was i.d.R. mit erhöhten Lagerbeständen – und damit höheren Lagerkosten – verbunden ist. Zudem bedeutet eine hohe Sortimentsbreite i.d.R. auch eine heterogene Sortimentsstruktur, was wiederum die Komplexität der Supply-Chain steigert (Zentes 2004).
39
40
Wenngleich Manipulationsprozesse grundsätzlich wenig Bedeutung im Handel haben, gewinnen sie im Rahmen von Customizing-Bestrebungen bzw.-Prozessen aktuell zunehmend an Bedeutung. Die hohe Bedeutung der Sortimentsfunktion zeigt sich insbesondere im Rahmen des Category-Managements, dabei v.a. hinsichtlich des Teilprozesses „Efficient Assortment“. Vgl. hierzu die Ausführungen in Abschnitt 5 dieses Kapitels.
62
2.2.2
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
Supply-Chain-Prozesse
Mit den jeweiligen Arten der Warentransformationsprozesse im Handel sind unterschiedliche Supply-Chain-Prozesse verbunden (s. Abb. 2.9.). Supply-Chain-Prozesse Gütertransformation Lagerung
Zeitänderung
Raumänderung
Mengenänderung
Transport / Umschlag (Handhabung)
Umschlag (Zusammenfassung / Auflösung)
Umschlag (Sortierung)
Verpackung / Signierung
Auftragsübermittlung / -bearbeitung
z
z
z
z
Sortenänderung Änderung in den Transport-, Umschlags- u. Lagereigenschaften
z
Änderung in der logistischen Determiniertheit des Gutes
z
Güterfluss
Informationsfluss
Abb. 2.9. Supply-Chain-Prozesse und damit verbundene Gütertransformation und Ströme (Quelle: in Anlehnung an Pfohl 2004, S. 9.)
Als wichtigste Prozesse unterscheidet man die Transport- und Lagerprozesse, das zugehörige Ein- und Auslagern der Ware, den Umschlag und das Kommissionieren (Fleischmann 2004). Dieses Verständnis der logistischen Aufgabenbereiche wird auch als „T-U-L-Logistikverständnis“ bezeichnet (T = Transport, U = Umschlag, L = Lagerung): x Lagerprozesse: Die zeitliche Transformation wird anhand von Lagerprozessen vollzogen. Dazu zählen die Einlagerung, die eigentliche Lagerung und die Auslagerung. Die Lagerung selbst stellt dabei im engeren Sinne keine Aktivität dar. Aktive Lagerprozesse sind lediglich das Einlagern und das Auslagern der Ware. Durch die Lagerung von Waren wird die zeitliche Überbrückung ermöglicht. Die Lagerung erfolgt dabei nicht nur in speziellen Lägern, wie z.B. in Zentral- oder Regionallägern des Handels, sondern auch die Verkaufsstellen selbst bzw. die Regalplätze können als (kurzfristiges) Lager interpretiert werden. x Transportprozesse: Transportprozesse dienen der räumlichen Transformation der Ware. Dabei unterscheidet man unternehmensexterne Transportprozesse, also z.B. Transporte vom Hersteller zum Handelsunter-
2.2 Dimensionen der Supply-Chain
63
nehmen oder vom Handelsunternehmen zu den Konsumenten, sowie unternehmensinterne Transportprozesse. Unternehmensinterne Transporte finden zwischen unterschiedlichen Lägern eines Unternehmens, so von Zentral- zu Regionallägern oder von Zentral- bzw. Regionallägern zu den Filialen des Handels statt. Sie werden aber auch innerhalb von Lägern bzw. innerhalb der Verkaufsstellen des Handels (z.B. vom Filiallager zum Regalstandort) vorgenommen. x Umschlagprozesse: Anhand des Warenumschlags erfolgt die Verbindung unterschiedlicher Supply-Chain-Prozesse, so z.B. unterschiedlicher Transportprozesse bei gebrochenen Transporten. Umschlagprozesse sind insbesondere das Beladen oder das Entladen der Transportmittel oder das Sortieren der Waren. x Kommissionierung: Die Kommissionierung beinhaltet die Zusammenfassung bzw. Auslösung der Ware im Sinne der Zusammenstellung unterschiedlicher Artikel zu Aufträgen, die jeweils eine bestimmte Menge unterschiedlicher Artikel enthalten. Kommissionierungprozesse finden v.a. in den Lägern statt, aber auch der Einkaufsvorgang der Konsumenten in den Filialen kann als „Kommissionierungsprozess“ verstanden werden, bei dem sich der jeweilige Kunde aus dem Sortiment des Handels seinen spezifischen Warenkorb im Rahmen des Einkaufs zusammenstellt. x Verpackung: Die Verpackung hat unterschiedliche Funktionen im Rahmen der Supply-Chain-Prozesse. So dient sie einerseits dem Schutz der Ware, andererseits hat sie darüber hinausgehende Funktionen, die sich z.B. auf das Handling der Ware bei Umschlags- oder Kommissionierungsprozessen beziehen. Zudem soll die Verpackung den optimalen Transport und die optimale Lagerung ermöglichen (z.B. bezogen auf die Raumausnutzung). Im Rahmen von Verpackungsprozessen sind zudem Signierungsprozesse von Bedeutung. Dabei wird die Ware mit Informationen versehen, z.B. über Wareneigenschaften, Transportwege, Empfangsorte u.Ä. In diesem Zusammenhang sind insbesondere Identifikationssysteme in automatisierter Form von Bedeutung (z.B. Barcode oder RFID-Systeme41). Während Transport, Lagerung, Umschlag und Kommissionierung als Supply-Chain-Kernprozesse bezeichnet werden, da sie grundsätzliche Supply-Chain-Transaktionen repräsentieren, werden Verpackung und Signierung auch als Supply-Chain-Unterstützungsprozesse bezeichnet (Pfohl 2004, S. 8).
41
Vgl. hierzu ausführlich die Ausführungen in Abschnitt 6 dieses Kapitels.
64
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
Als weitere Prozesse sind neben diesen v.a. auf den physischen Warenfluss bezogenen Prozessen Informations- und Kommunikationsprozesse von Bedeutung, so z.B. die Auftragsübermittlung oder die Auftragsbearbeitung (s. Abb. 2.9.). Der Austausch von Informationen im Rahmen der innerbetrieblichen und unternehmensübergreifenden Supply-Chain stellt eine wesentliche Voraussetzung für die Planung und Steuerung der SupplyChain-Prozesse dar. Anhand dieser Supply-Chain-Prozesse werden somit die räumlichen, zeitlichen, qualitäts- und mengenbezogenen Disparitäten zwischen den Partnern in der Supply-Chain ausgeglichen. Die Prozesse sind dabei auch mit Eigentums-, Kosten- und Risikoübertragungen zwischen den beteiligten Akteuren verbunden und äußern sich in unterschiedlichen Formen von Strömen bzw. Flüssen bzw. lösen diese aus (Ahlert 1995, Sp. 501). Im Hinblick auf die spezifischen Supply-Chain-Betrachtungen werden dabei v.a. die Warenströme (als Realgüterströme) und die Informationsströme herausgehoben (Bowersox/Closs 1996; Pfohl 2004, Chopra/Meindl 2004). Darüber hinaus sind die Supply-Chain-Prozesse mit weiteren Flüssen verbunden, so insbesondere mit Finanzströmen (Nominalgüterströme), die der wertmäßigen Verrechnung der Waren- und Leistungsströme dienen (Liebmann/Zentes 2001, S. 598).42 Mit den Supply-Chain-Prozessen stehen die Warenströme in einem direkten Zusammenhang. Anhand der Warenströme wird die Raum- und Zeitüberbrückung in der Supply-Chain vollzogen, d.h., die Warenströme kennzeichnen die Bewegungen der Ware durch die Supply-Chain. Die Informationsströme sind notwendig, um die Warenströme vollziehen zu können, da sie die logistische Determiniertheit der Ware verändern bzw. konkretisieren. Sie dienen damit der Verbindung der unterschiedlichen Supply-Chain-Prozesse und der unterschiedlichen Stufen der SupplyChain (Chopra/Meindl 2004, S. 61).
42
In der Literatur werden hinsichtlich der im Rahmen von Supply-ChainBetrachtungen zu berücksichtigenden Ströme z.T. sehr breite Auffassungen vertreten. So betrachten z.B. Coughlan u.a. (2001) oder Bowersox/Morash (1989) in Anlehnung an Vaile/Grether/Cox (1952) als relevante Ströme im Marketing-Channel, die in Verbindung zu den Logistikprozessen stehen, acht generische Ströme: Besitzströme (physischer Besitz), Eigentumsströme, Marketingströme, Verhandlungsströme, Finanzierungsströme, Risikoströme, Bestellströme und Zahlungsströme. Als übergeordnete Ströme, die mit den acht generischen Strömen eng verbunden sind, ordnen sie die Informationsströme zwischen den Supply-Chain-Partnern ein.
2.2 Dimensionen der Supply-Chain
2.2.3
65
Ströme in der Supply-Chain
2.2.3.1 Warenströme Die Hauptströme in der Supply-Chain beziehen sich auf die Bewegung der Ware durch die unterschiedlichen Stufen bzw. innerhalb der jeweiligen Stufen der Supply-Chain. Im Vordergrund der Betrachtungen stehen deshalb die Warenströme, also die Bewegungen der Waren durch die SupplyChain. Dieser Warenfluss ist mit der Erfüllung der Grundfunktionen des Handels verbunden, indem dadurch die Raum-, Zeit- und Mengenüberbrückung vollzogen wird. Hinsichtlich der Warenprozesse besteht die logistische Kernproblematik im Handel darin, die Verfügbarkeit aller am Point-of-Sale benötigten Artikel sicherzustellen. Dabei ist eine hohe Komplexität dadurch gegeben, dass das Sortiment des Handels i.d.R. vergleichsweise heterogen ist. Je größer die Artikelvielfalt ist und je unterschiedlicher die einzelnen Artikel hinsichtlich ihrer Eigenschaften sind, umso anspruchsvoller sind die Anforderungen, die sich an die Supply-Chain-Gestaltung ergeben. Die Gestaltung der Supply-Chain, also z.B. die Wahl der Transportmittel oder der Transportwege, die Lagerhaltung u.Ä., wird von den Eigenschaften der Ware beeinflusst. In diesem Sinne haben z.B. die Größe der Artikel, die Transport- oder Temperaturempfindlichkeit oder die Verderblichkeitseigenschaften der Ware einen hohen Einfluss auf die SupplyChain-Gestaltung. Die Sortimente der Handelsunternehmen werden deshalb häufig in unterschiedliche Sortimentsbereiche unterschieden, die jeweils durch unterschiedliche logistische Anforderungen gekennzeichnet sind (Liebmann/Zentes 2001, S. 588). Von besonderer Bedeutung ist dabei die Einteilung der Sortimente nach der Aktualität, da hierdurch z.B. die Lagerdauer bzw. Lagermöglichkeiten und die Bestell- bzw. Lieferhäufigkeit bestimmt werden. In diesem Zusammenhang unterteilt man nach zunehmendem Aktualitätsgrad des Sortiments in Stapelsortiment, Modesortiment und Tages- bzw. Frischesortiment (Berekoven 1995, S. 76; Liebmann/Zentes 2001, S. 479, 588): x Stapelsortiment: Bei der „Stapelware“ handelt es sich um kontinuierlich geführte Artikel, die jeweils immer wieder in unveränderter Form und meist vom gleichen Lieferanten nachgekauft werden. Zu dem Bereich der Stapelware zählen z.B. ein großer Teil der Hartwaren (z.B. Eisenwaren, Hausrat, Sanitärartikel u.Ä.) oder Teilbereiche des Textilsortiments (z.B. „Standard“-Bekleidungsstücke wie einfache T-Shirts, Hosen oder Pullover). x Modesortiment: Modesortimente sind dadurch gekennzeichnet, dass die Artikel ständig wechseln. Modische Ware ist i.d.R. in hohem Maße sai-
66
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
sonabhängig43 und wird von der Industrie meist nur einmal und in nur einer Auflage produziert.44 x Tagessortiment/Frischesortiment: Das Tagessortiment wird täglich gewechselt bzw. ausgetauscht wird. Die Frischesortimente – als Unterbereich des Lebensmittelsortiments – sind durch ähnlich kurze – meist jedoch nicht tägliche – Rhythmen gekennzeichnet. In diesen Bereich fallen v.a. Obst und Gemüse sowie Molkereiprodukte. Frischware weist zusätzliche logistische Anforderungen auf, die sich aus der Verderblichkeit der Artikel, aus dem Gewicht oder aus Pfandsystemen ergeben, und bedarf deshalb zumeist einer eigenen Logistikstruktur („Frischelogistik“). Betrachtet man die Sortimente nach dem Warenbereich, so ist insbesondere der Lebensmittelbereich dadurch gekennzeichnet, dass spezifische Logistiksysteme erforderlich sind. Lebensmittel werden zumeist (abgesehen von den Frischwaren) dem Bereich der Stapelware zugeordnet, wenn es sich um das Trockensortiment (z.B. Konserven, Spirituosen) handelt. Für den Lebensmittelbereich ist aber auf Grund der Besonderheiten des Warenbereichs, z.B. hohe Mengen und z.T. ein hohes Gewicht der jeweiligen Artikel, besonders kurze Wiederbeschaffungszeiten u.Ä., ein eigenes Logistiksystem erforderlich. Auch großvolumige Ware („Großstücke“), wie z.B. Möbel oder Elektrogroßgeräte, stellen besondere Anforderungen an die Logistiksysteme, z.B. einen großen Raumbedarf oder Auslieferungen an die Kunden (Liebmann/Zentes 2001, S. 588). 2.2.3.2 Informationsströme Der Warenfluss in der Supply-Chain vollzieht sich nicht „von alleine“, sondern er setzt voraus, dass er durch den Fluss von Informationen zwischen den Akteuren begleitet wird. Die Informationen können dem Warenfluss vorauseilen, den Warenfluss begleiten und ihn erläutern, dem Warenfluss nachfolgen und ihn bestätigen oder nicht bestätigen oder den Warenfluss auslösen und kontrollieren (Hilgenfeld 1995, S. 38; Pfohl 2004, S. 8; s. Abb. 2.10.).45
43
44
45
Dabei ist die Tendenz zu beobachten, dass die saisonalen Zyklen bzw. die „Modezyklen“ in zunehmendem Maße verkürzt werden. Insbesondere im Textilbereich sind die produzierten Auflagen meist bereits durch vorhandene Aufträge abgedeckt (Vororder des Einzelhandels). Vgl. hierzu Abschnitt 2.4.2.
2.2 Dimensionen der Supply-Chain
67
auslösender und kontrollierender Informationsfluss
Material- und Warenfluss
nacheilende Informationen
begleitende Informationen
vorauseilende Informationen
Abb. 2.10. Waren- und Informationsflüsse in der Logistik (Quelle: Hilgenfeldt 1995, S. 38.)
Im Rahmen des Informationsflusses sind somit entsprechend v.a. Auftragsübermittlungs- und Auftragsbearbeitungsprozesse von Bedeutung. Neben diesen direkt im Rahmen der Supply-Chain-Prozesse relevanten Informationen sind zudem weiter gehende Informationen, wie z.B. Prognosedaten, Kaufverhaltensinformationen, Informationen über die Angebotsverfügbarkeit bei den Herstellern oder allgemeine, die Lieferanten betreffende Informationen von Bedeutung. Die Informationen bzw. das Informationsmanagement sind dabei von hoher Relevanz, da sie nicht nur der Planung, Steuerung und Kontrolle der Supply-Chain-Prozesse dienen, sondern auch die Voraussetzung für schnelle und flexible Reaktionen (z.B. auch Chancen oder Gefahren in Absatz- oder Beschaffungsmärkten) darstellen und es ermöglichen, eine proaktive Gestaltung der Supply-Chain vorzunehmen (Liebmann/Zentes 2001). Als Informationsströme sind im Rahmen der Supply-Chain-Betrachtungen deshalb zum einen Planungs- und Koordinationsinformationen – also eher strategisch orientierte Informationen – von Bedeutung und weiterhin Informationen, die sich auf die Transaktionen selbst, also vornehmlich auf die operativen Abläufe, beziehen (Bowersox/Closs 1996; s. Abb. 2.11.). Planungs- und Koordinationsinformationen betreffen allgemeine Planungs- und Abstimmungsprozesse im Rahmen der Supply-Chain-Gestaltung und -Prozesse. Die Planung und die Koordination stellen die Grundlage für die gesamten Abläufe in der Supply-Chain dar. Planungs- und Koordinationsinformationen sind dabei sowohl auf unternehmensinterner Ebene (z.B. zwischen den unterschiedlichen Unternehmenseinheiten) als auch auf unternehmensübergreifender Ebene zur Abstimmung der unter-
68
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
schiedlichen internen Einheiten bzw. der Stufen in der Supply-Chain erforderlich (Schramm-Klein 2004b). PLANUNG UND KOORDINATION Kundenanforderungen
strategische Ziele
Kapazitätsengpässe
logistische Anforderungen
Produktionsbedingungen
Beschaffungsbedingungen
Lagerbestand Prognose Lagermanagement
Auftragsbearbeitung
Auftragsabwicklung
Distributionsvorgänge
Transport / Versand
Beschaffung
TRANSAKTIONEN
Abb. 2.11. Informationsflüsse und -anforderungen in der Supply-Chain (Quelle: in Anlehnung an Bowersox/Closs 1996, S. 38.)
Den Ausgangspunkt stellen die strategischen Zielsetzungen im Rahmen der Supply-Chain dar, die sich insbesondere aus den allgemeinen Unternehmenszielen, den Finanz- bzw. Kostenzielen und den Marketingzielen, die in enger Verbindung zu den Kundenanforderungen stehen, ableiten. Anhand der Festlegung der strategischen Ziele werden z.B. die Zielgruppen des Unternehmens, die darauf abgestimmte Art des erforderlichen Sortiments, lokale Faktoren u.Ä. konkretisiert. Diese geben die Anforderungen an die Grundausrichtung der Supply-Chain vor. Weiterhin werden Kostenziele oder Finanzzielsetzungen konkretisiert, die als Vorgabe für die Ausgestaltung des Supply-Chain-Systems von Bedeutung sind (z.B. hinsichtlich der Lager- und Transportkapazitäten, der Anlagen und der Ausstattung). Diese strategischen Zielvorgaben bzw. Restriktionen bestimmen somit wesentlich die Kapazität des Handelsunternehmens hinsichtlich der Supply-Chain-Prozesse. Die damit korrespondierenden Informationen hinsichtlich der Supply-Chain-Kapazität des Unternehmens sind somit von wesentlicher Bedeutung für die weitere Planung der Supply-Chain, insbesondere der logistischen Anforderungen. Diese spezifizieren die logistischen Leistungen, die auf der Basis der strategischen Zielplanungen und der Kapazitätsvorgaben zu vorgegebenen Kostenstrukturen realisiert werden sollen. Weiterhin sind im Rahmen der Planungs- und Koordinationsinformationen solche Informationen von Bedeutung, die von den Vorstufen
2.2 Dimensionen der Supply-Chain
69
im Rahmen der Supply-Chain vorgegeben werden, also z.B. Produktionsanforderungen, welche die logistisch durch den Handel realisierbaren Warenströme determinieren (z.B. Mengenbegrenzungen, die aus der Vorgabe bestimmter Produktionskapazitäten resultieren), die Beschaffungsbedingungen der Vorlieferanten u.Ä. Zudem sind auch die Anforderungen der Konsumenten – als nachgelagerte Stufen in der Supply-Chain (als Kunden des Handels) zu berücksichtigen. Diese sind insbesondere bei der Bestimmung der Unternehmens- bzw. Marketingstrategien von Bedeutung. Die Marktinformationen bezüglich der Absatz- und Beschaffungsmärkte sind weiterhin bezüglich der Anpassungsfähigkeit des Supply-ChainSystems von Relevanz, so z.B. hinsichtlich der Reaktionsmöglichkeiten auf Chancen und Gefahren oder der Adaption der Supply-Chain an neue Marktanforderungen. Die Planungs- und Koordinationsinformationen gehen somit auch in Prognosen ein, welche die Grundlage für die weitere Gestaltung der operativen Supply-Chain-Prozesse darstellen. Weiterhin geben sie auch Vorgaben für den Lagerbestand bzw. das Lagerbestandsmanagement. Die entsprechenden Informationen vermitteln somit die Bedingungen für die Transaktionen im Rahmen der Supply-Chain, indem sie die Vorgaben und Restriktionen für die einzelnen Prozesse konkretisieren. Entsprechend der Planungs- und Koordinationsinformationen, welche die strategischen Vorgaben darstellen, werden die Supply-Chain-Prozesse vollzogen. Als operative Informationen in diesem Zusammenhang sind zunächst die Auftragsbearbeitung und die Auftragsabwicklung von Bedeutung. Die entsprechenden Informationen über die Aufträge geben die Vorgabe für die Beschaffungs- und Distributionsprozesse. Dabei werden die Lager- und Transportprozesse einerseits beschaffungsmarktgerichtet und weiterhin hinsichtlich des Absatzmarktes koordiniert. Die Daten, die im Rahmen der Informationsströme zwischen den Partnern der Supply-Chain bzw. im Rahmen der internen Supply-Chain des Handels ausgetauscht werden, sind dabei vielfältig und beziehen sich u.a. auf die Abverkaufsdaten und Bestelldaten des Handels, Stammdaten, Preislisten, Lagerbestandsberichte, Lieferavise, Lieferscheine, Zahlungsavise u.v.m. (Swoboda 1998, S. 360). Die Basis der Informationsflüsse auf der operativ-transaktionsbezogenen Ebene bilden dabei v.a. die Warenwirtschaftsdaten des Handels. Damit die jeweiligen Prozesse bzw. Transaktionen realisiert werden können, sind somit auf allen Ebenen und in allen Bereichen der SupplyChain die relevanten Informationen erforderlich. Insbesondere durch die Übermittlung und die Bearbeitung von Aufträgen wird die Ware von logistisch indeterminierter Ware zu logistisch determinierter Ware. Je umfangreicher also die Informationen bezüglich der Ware des Handelsunterneh-
70
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
mens, dabei insbesondere hinsichtlich des Warenflusses in der SupplyChain, sind, umso „determinierter“ wird sie (Pfohl 2004, S. 8 f.). Von hoher Bedeutung bei der Abwicklung der Informationsprozesse ist der Einsatz von IT-Systemen. In diesem Zusammenhang sind als Systeme des elektronischen Informationsaustauschs z.B. EDI-, Internet-, Intranetoder Extranet-Technologien von Bedeutung.46 IT-Systeme können als die essenziellen „Enabler“ von unternehmensinternen, aber vor allem auch von unternehmensübergreifenden Koordinationsprozessen, dabei insbesondere von Prozessen, die unterschiedliche Stufen der Supply-Chain betreffen, angesehen werden (Mabert/Venkataramanan 1998). Durch den IT-Einsatz werden ein effizienter und effektiver Informationsaustausch und somit eine unternehmensinterne und unternehmensübergreifende Koordination auf breiter Basis überhaupt erst ermöglicht (Lewis/Talalayevsky 1997). Vor allem wird die Geschwindigkeit der Verbreitung und des Austauschs von Informationen zu „Real-Time-Informationen“ erhöht (Whipple/Frankel/Daugherty 2002). Durch die zusätzlich breitere und qualitativ bessere Informationsbasis wird die Entscheidungsqualität erhöht (Day/Glazer 1994). Der Einsatz von IT-Systemen ermöglicht effizientere Prozesse bzw. Prozessvereinfachungen im Hinblick auf die Steuerung der gesamten Supply-Chain. Die positiven Effekte resultieren dabei nicht nur aus der Verbesserung der Prozesssteuerung, sondern auch aus der Vernetzung der jeweiligen Prozesse untereinander (Lee 2002). Durch den Einsatz von ITSystemen können die Prozess-, Koordinations- und Kommunikationskosten gesenkt werden (Angeles/Nath 2001). Dabei ist der Einsatz von ITSystemen nicht in sich selbst „wertschöpfend“, sondern die Vorteile für die Supply-Chain ergeben sich aus der „Supportfunktion“ der IT-Systeme (Sanders/Premus 2002).
46
Vgl. hierzu die Ausführungen zu den „Enabling Technologies“ in Abschnitt 6 dieses Kapitels.
2.3 Gestaltung der Struktur der Supply-Chain
71
2.3 Gestaltung der Struktur der Supply-Chain 2.3.1
Unternehmensübergreifende Aspekte der Strukturgestaltung der Supply-Chain
2.3.1.1 Logistikintensität als Gestaltungsgegenstand Die Fragestellung nach der Ausgestaltung der Intensität der Leistungserbringung steht eng im Zusammenhang mit Überlegungen, welche die Frage betreffen, inwieweit die jeweiligen Leistungsbestandteile bzw. -prozesse als Kernkompetenz des Unternehmens angesehen werden bzw. zur Differenzierung oder Profilierung des Unternehmens beitragen. Überträgt man die Diskussion auf logistische Leistungen bzw. logistische Prozesse, stellt sich somit die Frage der optimalen Logistikintensität von Handelsunternehmen. Diese Frage ist nicht in genereller Form beantwortbar, doch zeigt sich, dass vor allem in Situationen, in denen die Leistungsangebote der Unternehmen (z.B. die Sortimentsleistungen im Handel) in hohem Maße austauschbar sind, gerade logistische Aspekte an strategischer Bedeutung gewinnen. In diesem Fall können logistische Leistungen zur Profilierung der Handelsunternehmen beitragen, indem die Produkte in besonders effektiver und effizienter Form den Kunden zur Verfügung gestellt werden. Eine solche Konstellation „austauschbarer“ Sortimente und sonstiger Leistungen trifft in besonderem Maße auf den Handel zu. Gerade in diesem Zusammenhang erlangen deshalb Faktoren wie die Produktverfügbarkeit in den Filialen des Handels und eine effiziente und effektive Versorgung der Verkaufsstätten eine besondere Bedeutung als Wettbewerbsvorteile bzw. Profilierungsdimensionen im Wettbewerb. Aus diesem Blickwinkel lässt sich auch erklären, warum der Handel – wie in Kapitel 1 herausgestellt – in zunehmendem Maße die Logistikführerschaft im Rahmen der Supply-Chain anstrebt. Dies bedeutet vornehmlich, dass die Kontrolle über die Supply-Chain angestrebt wird und ist nicht gleichbedeutend mit einer tatsächlichen Übernahme der gesamten logistischen Aktivitäten. Im Gegenteil werden sogar zunehmend logistische Aktivitäten – insbesondere Aktivitäten mit geringem Differenzierungspotenzial wie z.B. Transportleistungen – an externe Dienstleister ausgelagert oder in Kooperation durchgeführt (Liebmann/Zentes 2001, S. 612 ff.). Die Fragestellungen hinsichtlich der optimalen Logistikintensität im Handel knüpfen an diesen Aspekten an. Dabei steht die Frage im Vordergrund, welche bzw. wie viele logistische Leistungen oder Prozesse im Rahmen der internen Supply-Chain des Handelsunternehmens übernommen werden sollen. Die Gestaltung der Logistikintensität ist somit einer-
72
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
seits mit der Frage nach der optimalen Logistikbreite und weiterhin mit der Frage nach der optimalen Logistiktiefe verbunden. Beide Bereiche stehen miteinander in einer engen Verbindung. Allgemein sind Fragestellungen hinsichtlich der Leistungsbreite v.a. auf Diversifikationsaspekte ausgerichtet, also auf den Umfang der Tätigkeitsfelder, die das Unternehmen durchführt. Die Gestaltung der Logistikbreite bezieht sich somit auf die Anzahl und Art der durch das Unternehmen übernommenen logistischen Aufgabenbereiche. Im Vordergrund der Diskussion um die optimale Leistungstiefe stehen v.a. Aspekte der Eigen- bzw. Fremderstellung von Leistungen. Die Logistiktiefe bezieht sich auf die Übernahme logistischer Aufgabenbereiche, also das Ausmaß, in dem logistische Aktivitäten von dem Unternehmen selbst durchgeführt werden oder von anderen Unternehmen übernommen werden (z.B. durch die Lieferanten, die Kunden oder externe Logistikdienstleister) (Teichmann 1995, S. 20 f., S. 133). Der Zusammenhang zwischen diesen beiden Dimensionen der Logistikintensität ist in Abb. 2.12. dargestellt. zunehmende Logistikintensität
Logistiktiefe
Planung
Kontrolle
Entsorgung/ Recycling
Auftragsabwicklung
BestandsManagement
Lagerung
Verpackung
Durchführung
Transport
Phase der Ausübung
Logistikbreite
logistische Aufgabenbereiche
Abb. 2.12. Zusammenhang zwischen Logistikbreite, Logistiktiefe und Logistikintensität (Quelle: Liebmann/Zentes 2001, S. 311.)
Der Intensitätsgrad der logistischen Leistung ist entsprechend zunächst abhängig von der Art der logistischen Aufgaben, die übernommen werden, da nicht alle Aufgabenbereiche Logistik von gleicher Bedeutung für das Unternehmen sind. Weiterhin bestimmt die Anzahl der übernommenen lo-
2.3 Gestaltung der Struktur der Supply-Chain
73
gistischen Aufgaben die Logistikintensität. Je mehr Aufgabenbereiche übernommen werden, umso höher ist die Logistikintensität (Pfohl 2004, S. 8 ff.; Teichmann 1995, S. 133). Während die Logistikbreite auf die funktionale Tätigkeit fokussiert, bezieht sich die Logistiktiefe als zweite Dimension der Logistikintensität auf die dispositive bzw. operative Durchführung der logistischen Aktivitäten. Ausgehend von Planung, Kontrolle und Durchführung als Phasen der Aufgabenausübung, liegt die höchste Stufe der Logistikintensität dann vor, wenn die Aufgaben vollständig durch das Handelsunternehmen durchgeführt werden, also alle Phasen der Ausübung durch das Handelsunternehmen selbst übernommen werden. Tendenziell steigt dabei die Logistikintensität nicht nur mit der Anzahl der selbst durchgeführten Aktivitäten, sondern auch mit dem Grad der Wertschöpfung der Aktivitäten. Erfolgt eine reine Durchführung logistischer Aktivitäten, so bezieht sich die dispositive Ebene v.a. auf operative Ausführungsaktivitäten. Im Gegensatz dazu weisen die Planung und Steuerung des logistischen Systems einen höheren Komplexitätsgrad und eine strategische Dimension auf, was die Wertschöpfung und damit die Logistikintensität erhöht (Liebmann/Zentes 2001, S. 614 f.). Der enge Zusammenhang zwischen Logistikbreite und Logistiktiefe als Dimensionen der Logistikintensität lässt sich daran veranschaulichen, dass für jeden Aufgabenbereich die Frage nach der Ebene der dispositiven bzw. operativen Ausführung der Aufgabe gestellt werden muss. In monetären Dimensionen ausgedrückt, lässt sich die Logistikintensität als Verhältnis der im eigenen Unternehmen erbrachten Logistikwertschöpfung zu der gesamten Logistikwertschöpfung, also der Summe der internen und der externen Logistikwertschöpfung, ermitteln (Göpfert 2000, S. 232): Logistikintensität
interne Logistikwertschöpfung (EUR) gesamte (interne und externe) Logistikwertschöpfung (EUR)
(2.1)
Die Gestaltung der Logistikintensität steht im Vordergrund der Analyse von Spezialisierungsstrategien im Rahmen der Logistik. Die Reduktion der Logistikbreite bzw. der Logistiktiefe kann als Ausdruck der Spezialisierung bzw. der „Arbeitsteilung“ im Rahmen der Wertschöpfungsbeziehungen der Unternehmen angesehen werden (Göpfert 2000, S. 230 ff.). Eine solche arbeitsteilige Organisation im Rahmen der Supply-Chain kann sich einerseits auf die vertikale und weiterhin auf die horizontale Dimension beziehen. Die vertikale Spezialisierung bezieht sich auf die Gestaltung der Logistiktiefe und kann mit einer Verringerung der Logistiktiefe gleichgesetzt werden. Die horizontale Spezialisierung betrifft in diesem Kontext die Dimension der Logistikbreite und entspricht somit einer Verringerung der Logistikbreite.
74
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
2.3.1.2 Gestaltung der Logistiktiefe Bei der Gestaltung der Logistiktiefe steht die Fragestellung im Vordergrund, in welchem Umfang logistische Aktivitäten durch die Handelsunternehmen selbst durchgeführt werden bzw. in welchem Umfang eine Übertragung logistischer Leistungen auf die Wertschöpfungspartner erfolgt. Die Logistiktiefe wird somit durch die Art und die Quantität der logistischen Eigenleistungen in dem Unternehmen bestimmt. Die Wahl der „Transaktionsform“ (s. Abb. 2.13.), d.h. die Frage, durch wen die logistischen Aktivitäten erbracht werden sollen, stellt somit eine Fragestellung dar, die sich auf die Eigen- bzw. die Fremderstellung der logistischen Prozesse bezieht. Die Entscheidung betrifft somit zunächst die grundsätzliche Frage, ob ein Bezug der Logistikleistungen über den Markt erfolgen oder ob die Leistung durch das Handelsunternehmen selbst erbracht werden soll.
Markt
Kooperation
Integration
Fremdlogistik
Mischformen
Eigenlogistik
zunehmende vertikale Integration der Logistikleistungen
Abb. 2.13. Transaktionsformen logistischer Aktivitäten
Die Gestaltung der Logistiktiefe hängt damit – wenngleich sie nicht damit gleichgesetzt werden kann – eng mit der vertikalen Integration zusammen. Im Rahmen der Gestaltung der Logistiktiefe sind zwei „Richtungen“ der vertikalen Integration von Relevanz, so die Vorwärtsintegration und die Rückwärtsintegration: x Unter Vorwärtsintegration wird die Integration von „down-stream“Logistikaktivitäten verstanden. Dies bedeutet, dass down-stream-orientierte logistische Aufgabenbereiche durch das Unternehmen selbst durchgeführt werden. x Im Kontext der Supply-Chain-Gestaltung des Handels steht insbesondere die Rückwärtsintegration im Vordergrund. Dabei erfolgt eine zunehmende Einflussnahme auf logistische Aktivitäten bzw. die Übernahme
2.3 Gestaltung der Struktur der Supply-Chain
75
logistischer Aktivitäten, die herstellergerichtet („up-stream“) sind, also die Beschaffungsseite des Handels betreffen. Die Diskussion um die Gestaltung der Logistiktiefe hängt eng mit Umorientierungen im Rahmen der Gestaltung der Supply-Chain in der Konsumgüterbranche zusammen. Wenngleich auch zukünftig die Unternehmen der Konsumgüterindustrie eine ihrer Hauptzielsetzungen in der Festigung der Position ihrer Marken gegenüber dem Handel sehen werden und der Handel auch in Zukunft anhand der ausgewählten Kombination unterschiedlicher Marken, dabei auch unter verstärktem Einsatz von Handelsmarken, seine Hauptzielsetzung in der Unternehmens- bzw. Einkaufsstättenprofilierung sehen wird, deutet sich eine Neuorientierung in der Aufgabenverteilung zwischen Industrie und Handel in der Wertschöpfungskette an (Zentes/Bartsch 2002, S. 12ff.), die eng mit der Gestaltung der Logistiktiefe zusammenhängt (s. Abb. 1.7).47 Den Ausgangspunkt stellt die Informationsführerschaft des Handels dar. Vor allem die zunehmende Professionalisierung des Handels, PoSSysteme sowie auch die Etablierung von Kundenkarten haben zu einer Ausweitung der Informationsbasis des Handels geführt. Flankiert durch verbesserte Entscheidungsgrundlagen mithilfe IT-gestützter Warenwirtschafts- und Managementinformationssysteme hat dies dazu geführt dass, dem Handel eine immer stärkere Rolle als Gatekeeper zukam (Zentes 1996, S. 163), die eine Grundlage des steigenden Engagements des Handels in Management und Organisation der Supply-Chain darstellt (Hallier 1995, S. 104) und fördert Veränderungen des Einflusses des Handels auf die gesamte Wertschöpfungskette. 2.3.1.3 Gestaltung der Logistikbreite Die Gestaltung der Logistikbreite knüpft an den Aufgabenfeldern der Logistik an. Als wichtigste Aufgabenbereiche – bezogen auf die interne Supply-Chain des Handels – lassen sich dabei die Auftragsabwicklung, der Transport, das Lagermanagement, das Bestandsmanagement sowie Kommissionierung, Verpackung und Warenauszeichnung unterscheiden (Toporowski 1996). Die Auftragsabwicklung umfasst die Steuerung der Warenströme von den Lieferanten bis zur Filiale und die Koordination der damit in Verbindung stehenden Einzelprozesse (Darr 1992). Auslöser aller Aktivitäten in der Supply-Chain sind Aufträge.48 Die Auftragsabwicklung bezieht sich 47 48
Vgl. hierzu auch Abschnitt 1.3.1. Im „traditionellen“ Sinne werden die Aufträge durch Bestellungen der Kunden (als „externe Aufträge“) ausgelöst. Bei Systemen des Continous Replenishment
76
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
auf die Übermittlung, Bearbeitung und die Kontrolle der Aufträge. Sie steht in enger Verbindung zu informatorischen Fragestellungen. Das Auftragsabwicklungssystem selbst stellt einen Bestandteil der Handels- bzw. Logistikinformationssysteme dar.49 Die besondere Bedeutung der Auftragsabwicklung liegt darin, dass sie einen wesentlichen Einfluss auf die Steuerung des Warenflusses nimmt. Aus diesem Grund setzt eine Vielzahl von Optimierungsansätzen im Rahmen der informationstechnologischen Unterstützung der Prozesse an diesem Bereich an. Der Bereich des Transports bezieht sich auf die Überbrückung räumlicher Distanzen. Das Transportsystem umfasst die Elemente Transportgut, Transportmittel und Transportprozess. Im Rahmen der Gestaltung der Transportsysteme besteht die Zielsetzung darin, für ein gegebenes Sortiment die günstigsten Transportmittel und den günstigsten Transportprozess festzulegen. Im Rahmen unternehmensinterner Transportprozesse, z.B. zwischen unterschiedlichen Lägern bzw. den Lägern und den Filialen des Unternehmens bzw. innerhalb der Läger oder Filialen, steht die Wahl von Transport- und Fördermitteln im Vordergrund. Das Lagermanagement bezieht sich auf die Gestaltung der Lagerstruktur und der Lagerausstattung. Die Festlegung der Lagerstruktur beinhaltet Entscheidungen im Sinne von langfristigen Investitionen, da sie mit dem Bau, dem Kauf oder der Miete von Lagerhäusern verbunden ist. Solche Entscheidungen sind langfristiger Natur und zunächst schwer revidierbar. Die Lagerausstattung umfasst die technische Ausstattung der jeweiligen Läger, z.B. hinsichtlich Kommissionieranlagen, Regalsystemen u.Ä. (Schulte 1991) Das Bestandsmanagement bezieht sich im Wesentlichen auf Entscheidungen hinsichtlich der Bestellmengen sowie der Bestell- und Lieferzeitpunkte. In diesem Zusammenhang ist die Bedarfsermittlung von besonderer Bedeutung, da sie die Grundlage hierfür darstellt. Bei der Kommissionierung werden die Bestellmengen der Filialen (bzw. bei mehrstufigen Systemen der Regionalläger) zu Lieferungen aggregiert, indem die Bedarfsmengen der jeweiligen Artikel zusammengefasst werden. Die Kommissionierung umfasst somit einerseits die Auflösung von Warenströmen und andererseits die Zusammenfassung von Warenströmen, indem die Lieferungen einzelner Hersteller in Bedarfsmengen der Filialen aufgelöst bzw. die Bedarfsmengen der Filialen in Bezug auf die unterschiedlichen Artikel zu einer Lieferung zusammengefasst werden.
49
(vgl. Abschnitt 5 dieses Kapitels), als neueren Ansätzen, bilden die Abverkäufe den Ansatzpunkt der Aktivitäten, indem sie „interne Aufträge“ auslösen. Vgl. hierzu ausführlich Kapitel 3.
2.3 Gestaltung der Struktur der Supply-Chain
77
Die Verpackungstätigkeit im Handel ist vornehmlich auf den Bereich der Auslieferungsläger begrenzt, indem die kommissionierte Ware verpackt und dadurch für den Weitertransport gesichert wird. Die Hauptaufgabe der Verpackungsprozesse besteht in der Bildung logistischer Einheiten, z.B. indem Paletten, Rollbehälter oder Kunststoffbehälter eingesetzt werden (Pfohl 2004). In diesem Zusammenhang werden häufig Mehrwegbehälter verwendet, die im Rahmen der Transport- und Lageraufgaben zu einer Erhöhung der Komplexität der logistischen Abläufe führen, da sie Rückführungsprozesse u.Ä. erfordern. Die Problematik der Warenauszeichnung bezieht sich v.a. auf die Fragestellung, durch wen bzw. an welcher Stelle sie vorgenommen werden soll. Dies kann einerseits bereits durch den Hersteller erfolgen, häufig wird sie jedoch durch die Handelsunternehmen selbst vorgenommen. Ist dies der Fall, so kann wiederum zwischen der Warenauszeichnung in den Lägern und der Warenauszeichnung in den Filialen unterschieden werden. Zum Teil wird vollständig auf die Auszeichnung der Ware verzichtet und lediglich die Preisauszeichnung am Regal vorgenommen, um eine höhere Flexibilität in der Preisgestaltung realisieren zu können und die Abläufe zu verkürzen. 2.3.1.4 Outsourcing von Logistikaufgaben Das Outsourcing logistischer Aktivitäten in der Konsumgüterbranche hat sich in den vergangenen Jahren dynamisch entwickelt. Der Anteil der Logistikkosten, der auf externe Dienstleister entfällt, liegt bei über 50 %, mit weiter zunehmender Tendenz (Baumgarten 2002). Im Vordergrund steht dabei die Auslagerung vornehmlich operativer logistischer Aktivitäten, die insbesondere an spezielle Logistikdienstleister übertragen werden, sodass eine stärkere Fokussierung der Handelsunternehmen bzw. der Unternehmen der Konsumgüterindustrie auf ihre Kernkompetenzen erfolgt (Zentes/Morschett 2003). Die Entscheidung, inwieweit logistische Aktivitäten als Kernkompetenzen des Unternehmens aufgefasst werden, hängt eng mit der Fragestellung zusammen, ob eine Eigenerstellung dieser Leistungen durchgeführt soll oder ob die Aktivitäten an Wertschöpfungspartner ausgelagert werden sollen. Die grundsätzliche Entscheidung, ob logistische Leistungen „outgesourct“ werden sollen, hängt also eng mit der Bedeutung dieser Aktivitäten für den Unternehmenserfolg zusammen (Liebmann/Zentes 2001). Diese Einstufung hängt v.a. davon ab, ob die logistischen Leistungen Prozesse darstellen, die zur Profilierung bzw. zur Differenzierung der Unternehmen im Hinblick auf ihre Kunden beitragen. Trotz eventueller Einsparpotenziale, die aus einem Outsourcing resultieren können, kann durch die Differen-
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2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
zierungswirkung die Eigenausführung der jeweiligen Aktivitäten durch das Unternehmen von größerem Vorteil sein. Weiterhin ist die Fragestellung nach dem Outsourcing naturgemäß abhängig von der Verfügbarkeit kompetenter Partner in der Supply-Chain, die zur Übernahme der jeweiligen Aktivität in der Lage sind. Die Verfügbarkeit kompetenter Partner ist dabei z.B. abhängig von dem Grad der Spezifität der logistischen Leistungen (z.B. der Transport- und Lagerressourcen), der Höhe des Serviceniveaus, das die Partner realisieren können, sowie grundsätzlich von der kritischen „Outsourcing-Masse“. Stellt man diese beiden Dimensionen der Differenzierungspotenziale der jeweiligen logistischen Aktivitäten und der Verfügbarkeit kompetenter Logistikdienstleister einander gegenüber (s. Abb. 2.14.), so kann die Vorteilhaftigkeit des Outsourcing der jeweiligen Aktivitäten untersucht werden bzw. es können Outsourcing-Potenziale abgeleitet werden (Pirk/Türks/Mayer 1998; Liebmann/Zentes 2001, S. 257 ff.). Verfügbarkeit kompetenter Logistikdienstleister niedrig hoch
hoch
Kernkompetenz
Einzelfallentscheidungen
Differenzierung durch Logistikstrategie
Outsourcing sinnvoll Randkompetenz
• wettbewerbsgetriebene Leistungen • hohe Synergien bei Dienstleistern • hohe Austauschbarkeit von Dienstleistern • große Einkaufsmacht
niedrig Eigenbetrieb sinnvoll • hohe Abhängigkeit von Dienstleistern • geringe Synergien bei Dienstleistern • niedrige Flexibilität der Dienstleister (bei Bedarfsschwankungen) • Individualität der Leistungen besser durchsetzbar • geringe Einkaufsmacht
Abb. 2.14. Outsourcing in der Logistik (Quelle: in Anlehnung an Pirk/Türks/Mayer 1998, S. 259.)
Insbesondere bezogen auf Prozesse bzw. Aktivitäten, die als Kernkompetenz des Unternehmens einzustufen sind, da sie in hohem Maße zur Differenzierung des Unternehmens beitragen, sollten im Sinne dieser Betrachtung im Eigenbetrieb durchgeführt werden. Differenzierungsmöglichkeiten, die durch die Logistikstrategie realisiert werden können, liegen dabei z.B.
2.3 Gestaltung der Struktur der Supply-Chain
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in einer hohen Flexibilität, kurzen Durchlaufzeiten, hoher Kundennähe und einem hohen Serviceniveau (bezogen auf zeitliche, quantitative und qualitative Aspekte). Randkompetenzen hingegen, die nur in geringfügigem Maße zur Differenzierung des Unternehmens beitragen können, bieten ein hohes Outsourcing-Potenzial. Entscheidungskriterien im Rahmen von Outsourcing-Entscheidungen Dieses einfache Entscheidungsraster lässt sich erweitern, indem die zweidimensionalen Betrachtungen konkretisiert werden. Als Entscheidungskriterien zur Bestimmung der Logistikintensität lassen sich insbesondere vier Bereiche unterscheiden, die herangezogen werden können, um zu beurteilen, ob es vorteilhaft ist, die Logistikaktivitäten bzw. -prozesse selbst durchzuführen oder an Wertschöpfungspartner zu übertragen (Isermann/Lieske 1998, S. 405 ff.): x x x x
servicebezogene Kriterien integrationsbezogene Kriterien marktorientierte Kriterien kostenbezogene Kriterien.
Die servicebezogenen Kriterien beziehen sich auf Anforderungen, die an die Qualität der Logistikleistungen, der Prozesse bzw. des Potenzials der logistischen Leistungserbringung gestellt werden. In diesem Zusammenhang sind z.B. zeitliche oder räumlich-geografische Anforderungen im Rahmen der Prozesse bzw. Aktivitäten zu berücksichtigen, aber auch Anforderungen, die sich auf die Flexibilität im Rahmen der Logistikprozesse (z.B. kurzfristige Mengenänderungen, Änderungen der Lieferzeiten oder -zeitpunkte) sowie auf die Zuverlässigkeit, d.h. die Servicequalität, beziehen. Als integrationsbezogene Kriterien werden solche Entscheidungskriterien betrachtet, die sich auf die vertikalen Beziehungen zwischen den Wertschöpfungspartnern beziehen. Zum einen sind dabei Koordinationsaspekte im Rahmen der Verknüpfung der Wertschöpfungspartner anhand der logistischen Prozesse zu beachten. In diesem Zusammenhang spielen z.B. Abstimmungs- und Koordinationsproblematiken zwischen den Partnern eine besondere Rolle. Weiterhin ist die Standardisierung von hoher Relevanz, so einerseits die Standardisierung im Rahmen der Vernetzung über IT-Systeme (Schramm-Klein/Morschett 2004), weiterhin aber auch die Standardisierung auf der „physischen Ebene“. Dabei spielt einerseits die Standardisierung der Prozessabläufe eine Rolle, zudem sind aber auch Standardisierungen von Hilfsmitteln, z.B. Transportbehältern, Paletten usw. von Bedeutung.
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2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
Marktorientierte Kriterien betreffen v.a. die durch die Realisierung unterschiedlicher Logistikintensitäten erzielbaren zusätzlichen Marktleistungen bzw. Marktpotenziale, z.B. zusätzlich erschließbare Absatzpotenziale (u.a. auch in geografischer Hinsicht) oder zusätzliche Potenziale auf der Beschaffungsseite. Kostenbezogene Kriterien beziehen sich auf die Kosten der Logistik im engeren Sinne. Die Kosten, die im Rahmen der Logistik entstehen, können in zwei Bereiche unterteilt werden, die abhängig davon sind, ob der Prozess bzw. die Logistikaktivität durch das Unternehmen selbst erbracht wird oder ob die Leistung von Wertschöpfungspartnern bezogen wird. Zum einen sind deshalb die „Produktionskosten“ der eigenen logistischen Leistungserstellung von Bedeutung, weiterhin sind die „Beschaffungskosten“ der von Wertschöpfungspartnern bezogenen Logistikleistungen von Relevanz. Bedeutung der Transaktionskosten für Outsourcing-Entscheidungen Neben diesen Kostenbetrachtungen sind insbesondere die Transaktionskosten von Bedeutung. Die Wahl der Transaktionsform, die zur Koordination leistungswirtschaftlicher Austauschsituationen genutzt wird, so die Frage nach der Eigen- bzw. Fremderstellung der Logistikleistungen, hängt von den relativen Transaktionskosten ab, die diese verursachen. Betrachtet man die vier Bereiche von Einflussfaktoren auf die „Makeor-Buy-Entscheidung“ hinsichtlich der Logistik, zeigt sich, dass grundsätzlich neben reinen Kostenbetrachtungen bei der Entscheidung auch übergeordnete strategische Überlegungen eine besondere Rolle spielen. Dennoch gehen mit dem Outsourcing von Logistikleistungen eine Vielzahl von Kostenvorteilen einher (Bretzke 1998, S. 393 ff.; Zentes/Swoboda/Morschett 2004, S. 499 f.): 1. Volumenabhängige Kostendegression: Im Bereich der Logistik sinken die Stückkosten bei steigender Transportmenge oft in erheblichem Maße. Durch die Fremdvergabe der Logistikleistungen an Wertschöpfungspartner (z.B. externe Logistikdienstleister) können diese eine Bündelung der Transporte für mehrere Kunden übernehmen und dadurch Größendegressionseffekte realisieren. Ähnlich verhält sich die Situation im Rahmen der Lagerhaltung. Auch hier kann durch die Bündelung der Lagerhaltung für mehrere Unternehmen eine Senkung der durchschnittlichen Lagerkosten im Sinne von Größendegressionseffekten erreicht werden. 2. Kostendegression durch Auslastungsoptimierung: Eine häufige Problematik im Rahmen der Vorhaltung eigener Logistikkapazitäten ist nicht nur die Erreichung einer optimalen Menge bzw. Größe, sondern die Er-
2.3 Gestaltung der Struktur der Supply-Chain
81
reichung einer hohen Durchschnittsauslastung. Solche Auslastungsprobleme können sich z.B. für Waren bzw. Absatzaktivitäten mit einem hohen saisonalen Charakter ergeben, bei denen die Kapazitäten auf eine hohe Spitzenbelastung (z.B. zu Weihnachten) ausgelegt werden müssen, die aber im übrigen Jahresverlauf nur selten benötigt werden. Die dadurch anfallenden Fixkosten fallen dann deutlich ins Gewicht. Erfolgt eine Fremdvergabe an externe Wertschöpfungspartner, können diese Kosten variabilisiert werden. Diese Fremdvergabe ist allerdings umso schwieriger, je spezifischer die Anforderungen der jeweiligen Produkte bzw. Warenbereiche sind. 3. Effizienzsteigerung durch Spezialisierung: Insbesondere für Logistikdienstleister stellt die Logistik das „Kerngeschäft“ dar. Dadurch kann ein höheres Know-how aufgebaut werden und oftmals werden spezialisiertere bzw. „bessere“ Technologien eingesetzt. Dadurch können Spezialisierungsvorteile erreicht werden. 4. Opportunitätskosten: Effektivitätssteigerungen können sich dadurch ergeben, dass die Handelsunternehmen ihre Ressourcen nicht in Logistikkapazitäten investieren, sondern anderweitig verwenden. Bei einer eigenen Durchführung der Logistikprozesse könnten insofern Gewinne im Kerngeschäft entgehen. Diese „entgangenen Gewinne“ können als Opportunitätskosten der Eigendurchführung der Logistik bezeichnet werden. 5. Lohnkostensenkung durch Branchenarbitrage: Von Bedeutung im Rahmen von Outsourcing-Entscheidungen sind weiterhin Gesichtspunkte der Lohnkosten. Diese können bei der Fremdvergabe von Logistikleistungen niedriger ausfallen, als wenn die Durchführung durch das Handelsunternehmen selbst erfolgt. Begründungen hierfür finden sich z.B. in der Tarifstruktur der Mitarbeiter. In Deutschland gilt das Prinzip, dass sämtliche Mitarbeiter eines Unternehmens den Bedingungen eines Tarifvertrags unterliegen. Dadurch kann es sich ergeben, dass z.B. Kraftfahrer, die bei einem Handelsunternehmen angestellt sind, einen wesentlich höheren Lohn erhalten als solche, die bei einem Speditionsunternehmen angestellt sind. Zudem sind die arbeitszeitlichen Bedingungen im Handel nicht auf die spezifischen Anforderungen des Kraftfahrereinsatzes abgestimmt, sodass sich auch hierdurch Wettbewerbsnachteile einer Eigendurchführung ergeben können. Diese Kostenvorteile, die aus dem Outsourcing von Logistikleistungen resultieren können, gehen zumeist mit einer Erhöhung der Transaktionskosten einher. Transaktionskosten umfassen die Kosten für Information, Koordination, Kontrolle und Kommunikation (Richter/Furubotn 2003, S. 61). Darunter fallen Such- und Informationskosten, Verhandlungs- und
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2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
Entscheidungskosten sowie Überwachungs- und Kontrollkosten (Brand 1990, S. 17). Die Hauptdeterminanten der Transaktionskosten im Rahmen der Logistik sind die Häufigkeit, mit der die logistischen Prozesse realisiert werden, die Ressourcenspezifität und die Unsicherheit der logistischen Transaktionen (Williamson 1981; Isermann/Lieske 1998). Es gilt dabei, dass mit zunehmender Spezifität, Unsicherheit und Häufigkeit der Transaktionen die Transaktionskosten steigen: x Häufigkeit: Je häufiger eine logistische Aktivität durchgeführt wird, umso niedriger sind die Durchschnittskosten der Prozesse, da einerseits Sach-, Fach- und Handlingkompetenzen bei den Mitarbeitern aufgebaut werden und weiterhin die fixen Kosten auf eine steigende Anzahl an Logistiktransaktionen aufgeteilt werden. Solche Kosten sind z.B. Investitionskosten in EDI oder interne logistische Kapazitäten. x Spezifität: Von hoher Bedeutung ist zudem die Ressourcenspezifität. Dabei stehen zum einen spezifische Investitionen z.B. in Sachgüter wie Läger, spezifische Kommissionieranlagen oder Transportkapazitäten im Vordergrund, weiterhin sind auch Investitionen in Humanressourcen, also Personalinvestitionen zur Durchführung der Logistik von Bedeutung, z.B. bezogen auf die notwendige Sachkompetenz des Personals hinsichtlich der Transport-, Umschlags- oder Lagerprozesse (z.B. Handling von Gefahrgütern). x Unsicherheit: Als weiterer Einflussfaktor auf die Transaktionskosten im Rahmen der Logistik ist die Unsicherheit zu beachten. Dabei sind zunächst „Umfeldunsicherheiten“, die sich z.B. auf die Nachfrage- und Bedarfsentwicklung beziehen können, von Bedeutung. Je komplexer und dynamischer die Umfeldsituation ist, umso höher sind die Transaktionskosten. Die interne Durchführung der logistischen Aktivitäten kann dann vorteilhaft sein. Weiterhin sind die Verhaltensunsicherheiten der Partner in der Supply-Chain zu berücksichtigen. Diese können sich z.B. auf drohendes opportunistisches Verhalten der Wertschöpfungspartner beziehen, das aus Informationsasymmetrien zwischen dem Unternehmen und den Partnern in der Supply-Chain resultieren kann. In diesem Zusammenhang sind v.a. Unsicherheiten von Bedeutung, die auf Grund der Abhängigkeit entstehen, die bei der Auslagerung von Logistikleistungen auftritt. Da die Handelsunternehmen auf die Durchführung der logistischen Aktivitäten durch den jeweiligen Partner angewiesen sind, kann dieser diese Abhängigkeit ausnutzen, indem er z.B. Maßnahmen der schrittweisen Preiserhöhung ergreift. Aspekte der Unsicherheit spielen weiterhin bei der Betrachtung des Differenzierungspotenzials, das von diesen Prozessen auf die Kunden im Sinne einer Service-Differen-
2.3 Gestaltung der Struktur der Supply-Chain
83
zierung ausgeht, eine Rolle. Trägt die logistische Leistung zur Profilierung des Handelsunternehmens bei, kann eine Eigendurchführung trotz eventueller direkter Kosteneinsparungseffekte eines Outsourcing sinnvoll sein, da dadurch die Kontrolle der Prozessdurchführung bzw. der Durchgriff auf die logistischen Prozesse sichergestellt ist. Erfolgt ein Outsourcing von logistischen Prozessen, entstehen Schnittstellen im Rahmen der Supply-Chain. Dadurch können Reibungsverluste auftreten. Diese können einerseits auf der physischen Ebene auftreten, weiterhin können sie auf der kommunikativen Ebene entstehen. Von besonderer Bedeutung ist im Rahmen der Logistik deshalb der Einsatz von Systemen der Informationstechnologie. Von hoher Relevanz sind dabei z.B. die Entwicklungen im Rahmen der Technologien zur informatorischen Vernetzung, v.a. die EDI-, Internet-, Intranet- bzw. Extranet-Technologien. Sie dienen der unternehmensinternen Vernetzung sowie der Anbindung der Geschäftspartner auf der Beschaffungsseite und der Konsumenten auf der Absatzseite (Schramm-Klein/Morschett 2004). IT-Systeme tragen zur Senkung der Transaktionskosten bei und ermöglichen z.T. erst die Realisierung spezifischer Transaktionsformen wie z.B. elektronische Märkte u.Ä. (Isermann/Lieske 1998, S. 461 ff.). Der Einsatz von IT-Systemen – dabei insbesondere der Informations- und Kommunikationssysteme, wie z.B. der Systeme unternehmensübergreifender Vernetzung, – trägt dazu bei, dass der Übergang von Eigenlogistik zum marktlichen Bezug der Logistikleistungen, d.h. zur Fremdlogistik, ab einem höheren Grad der Spezifität, Unsicherheit bzw. Häufigkeit der betrachteten Prozesse lohnenswert sein kann. Funktionale Betrachtungen im Rahmen von OutsourcingEntscheidungen Der größte Anteil der in der Handelspraxis ausgelagerten Logistikprozesse bezieht sich – wie in Tabelle 2.1. dargestellt –, auf „klassische“ Logistikaktivitäten wie Transport-, Lager-, Umschlagsprozesse oder die Etikettierung (Baumgarten/Thoms 2002; Ihde 2001, S. 13; Zentes/Morschett 2003, S. 422 f.).
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2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
Tabelle 2.1. Outsourcing logistischer Aufgaben in Handel und Konsumgüterindustrie Konsumgüterindustrie
Handel 2002
2005*
2002
2005*
Transporte
75 %
75 %
91 %
93 %
Kommissionierung Lagerhaltung und Umschlag Verpackungsentsorgung
23 %
23 %
43 %
43 %
27 %
30 %
50 %
50 %
41 %
46 %
29 %
30 %
Verpackung
18 %
18 %
14 %
14 %
Etikettierung
27 %
27 %
14 %
10 %
Transportbehältersteuerung
5%
5%
24 %
29 %
Altproduktrückführung
18 %
18 %
33 %
33 %
Angaben in Prozent der befragten Unternehmen (Mehrfachnennungen möglich) * Schätzung. (Quelle: in Anlehnung an Baumgarten/Thoms 2002.)
Ein besonders hohes Bündelungspotenzial und damit OutsourcingPotenzial besteht dabei zunächst für Transportleistungen, insbesondere für Spezialtransporte (z.B. Kühltransporte, Frischelogistik). Spezifische Vorteile, die sich aus dem Outsourcing von Transportleistungen ergeben können, sind dabei (Specht 1998, S. 106): x x x x x
professioneller Service durch Logistikdienstleister nationale und internationale Abdeckung Delegation von Pflichten und Verantwortlichkeiten keine Investitionen/keine Instandhaltungskosten höhere Flexibilität durch kombinierten Verkehr.
Andererseits kann auch die Eigendurchführung der Transporte vorteilhaft sein. Spezifische Vorteile können z.B. sein (Specht 1998, S. 106): x x x x
bessere Kontrollmöglichkeiten bezüglich Service Flexibilität in der Flächenabdeckung stärkere Kundenbeziehung/höhere Kundennähe kurzfristige Verfügbarkeit.
Auch bezüglich der Lagerhaltung stellt sich die Frage, ob Outsourcing sinnvoll ist. Dies kann z.B. dann der Fall sein, wenn die Lagerbetriebe ü-
2.3 Gestaltung der Struktur der Supply-Chain
85
ber eine besonders hohe Kompetenz verfügen (z.B. Spezialläger) oder wenn die Einbindung der Läger in ein Lagernetz der Logistikdienstleister erfolgt, das schnelle Kapazitätsveränderungen ermöglicht. Dies ist insbesondere im Fall stark saisonaler Ware oder bei stark schwankender Nachfrage von Vorteil. Ist hingegen die Nachfrageentwicklung sehr stabil, sind die Märkte stark konzentriert oder ist der Lagerdurchsatz sehr stetig, so kann der Eigenbetrieb der Läger vorteilhaft sein (Specht 1998, S. 86). Diese Überlegungen gelten in besonderer Weise für Umschlagsläger. 2.3.1.4 Logistikkooperationen Unter Kooperation wird allgemein die unternehmerische Zusammenarbeit mit dem Ziel der Harmonisierung oder der gemeinsamen Erfüllung bestimmter Aufgaben durch die beteiligten Unternehmen verstanden. Es handelt sich dabei um i.d.R. enge und u.U. langfristig angelegte Vereinbarungen zwischen den Unternehmen, bei denen Ressourcen, Fähigkeiten und Kompetenzen der Partner geteilt bzw. eingebracht werden, um die Wettbewerbsposition der beteiligten Partner zu verbessern (Tietz/Mathieu 1979, S. 9; Zentes/Swoboda/Morschett 2003a). Logistikkooperationen beziehen sich auf die unternehmensübergreifende Koordination bzw. die gemeinsame Durchführung von Logistikaktivitäten bzw. -prozessen. Solche Kooperationen werden durch die beteiligten Unternehmen v.a. realisiert, um Effizienz-, Rationalisierungs- bzw. Leistungsvorteile zu erzielen. Logistikkooperationen des Handels lassen sich nach unterschiedlichen Kriterien systematisieren. Zunächst kann man zwischen überbetrieblichen und zwischenbetrieblichen Kooperationsformen unterscheiden (Pfohl 2004, S. 314 ff.; Freichel 1992, S. 63): x Bei überbetrieblichen Kooperationen werden die Logistikaufgaben in einer gemeinsamen – übergeordneten – Institution abgestimmt bzw. sie werden dieser übergeordneten Institution übertragen. Solche überbetrieblichen Kooperationsformen finden sich eher selten im Handel. Sie werden primär auf der Ebene von Logistikdienstleistern umgesetzt. Beispiele für solche überbetrieblichen Kooperationsformen sind die Bildung von Gemeinschaftsunternehmen mehrerer Speditionsunternehmen, wie sie bei Paketdiensten (DPD) oder im Stückgutverkehr (IDS Logistik) zu finden sind. Die Zielsetzung liegt dabei v.a. in der Erreichung eines flächendeckenden Angebots von Logistikleistungen. x Bei zwischenbetrieblichen Kooperationen wird keine überbetriebliche Institution aufgebaut, sondern die Beziehung zwischen den Unternehmen bzw. Kooperationspartnern findet im Rahmen des direkten Leis-
86
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
tungsaustauschs zwischen den Partnerunternehmen statt. Der Großteil der durch Handelsunternehmen realisierten Logistikkooperationen liegt auf einer solchen zwischenbetrieblichen Ebene. Zwischenbetriebliche Logistikkooperationen von Handelsunternehmen können grundsätzlich hinsichtlich ihrer Ausrichtung unterschieden werden in horizontale, vertikale bzw. diagonale Kooperationen (Liebmann/Zentes 2001, S. 620; Pfohl 2004, S. 316 ff.): x Horizontale Kooperationen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie sich auf Kooperationen zwischen Unternehmen der gleichen Wertschöpfungsstufe beziehen. Im Rahmen horizontaler Logistikkooperationen erfolgt somit eine Zusammenarbeit zwischen mehreren Handelsunternehmen, z.B. in Form der Errichtung gemeinsamer logistischer Plattformen, der Zusammenlegung von Lageraktivitäten oder dem Aufbau gemeinsamer Zuliefer- bzw. Zustelldienste im Rahmen der Distributionslogistik an die Endverbraucher. x Im Rahmen vertikaler Logistikkooperationen erfolgt eine Zusammenarbeit der Handelsunternehmen mit Wertschöpfungspartnern vor- bzw. nachgelagerter Stufen der Supply-Chain. Dabei steht einerseits die Zusammenarbeit mit der (Konsumgüter-)Industrie im Vordergrund. In diesem Kontext sind insbesondere die Kooperationsformen im Rahmen des ECR-Konzeptes von Bedeutung.50 Beispiele für Kooperationen zwischen den Herstellern und Handelsunternehmen sind weiterhin der gemeinsame Betrieb von Distributionszentren. Weiterhin sind Kooperationen mit Logistikdienstleistern von Relevanz. x Diagonale Logistikkooperationen sind Kooperationen, die Handelsunternehmen mit Unternehmen aus anderen Branchen bzw. anderen Sektoren umsetzen. Logistikkooperationen kann man zudem in funktionaler Hinsicht in XAllianzen bzw. Y-Allianzen systematisieren (Porter/Fuller 1989; Zentes 1992a; Lubritz 1998, S. 40 f.): x Im Rahmen von X-Allianzen teilen sich die Kooperationspartner die Durchführung der Wertschöpfungsaktivitäten auf, indem die Partner jeweils bestimmte Aktivitäten für den bzw. die anderen an der Kooperation beteiligten Unternehmen ausführen. Die Zusammenarbeit ist somit aktivitätsübergreifend. Die X-Allianzen entstehen meist aus einer asymmetrischen Kompetenzverteilung der Partner, d.h., die Kooperationspartner führen jeweils die Logistikaktivitäten aus, für die sie spezifi50
Vgl. hierzu ausführlich die Ausführungen im Abschnitt 5 dieses Kapitels.
2.3 Gestaltung der Struktur der Supply-Chain
87
sche Stärken aufweisen. Diese Kooperationsform wird deshalb auch als komplementäre Allianz bzw. als „closing gap alliance“ bezeichnet. x Als Y-Allianzen werden solche Formen von Logistikkooperationen bezeichnet, bei denen eine gemeinsame Durchführung der logistischen Aktivitäten vorgenommen wird. Die beteiligten Unternehmen betreiben somit bestimmte Wertschöpfungsaktivitäten gemeinsam. Bei dieser Allianzform erfolgt eine Bündelung der Stärken der Kooperationspartner, was in der Regel damit korrespondiert, dass eine größere Ähnlichkeit der Allianzpartner bezüglich ihrer Stärken-Schwächen-Profile gegeben ist. Im Rahmen von Y-Allianzen erfolgt somit die Bündelung gleichartiger Kompetenzen, um einen gemeinsamen Wettbewerbsvorteil realisieren zu können. Logistikkooperationen, die als Y-Allianz eingestuft werden, dienen oftmals dazu, eine bestimmte kritische Masse (z.B. hinsichtlich der Lager- oder Transportkapazitäten) zu erreichen. Diese Form der Kooperationen wird deshalb auch als „critical mass alliance“ bezeichnet. Beispiele für zwischenbetriebliche Logistikkooperationen von Handelsunternehmen sind in Abb. 2.15. dargestellt. Horizontale Kooperation
Vertikale Kooperation
Diagonale Kooperation
X-Allianz
gemeinsames Zentrallager mehrerer Handelsunternehmen der gleichen Branche (z.B. Verbundgruppen)
gemeinsam geführte Läger von Handel und Hersteller
gemeinsam geführtes Lager von Handelsunternehmen unterschiedlicher Branchen
Y-Allianz
Verbundgruppenkonzepte (Einkauf über die Zentrale; Lager und Verkauf bei den Anschlusshäusern)
Vendor-Managed Inventory
gemeinsame Lager- und Transportoptimierung mehrerer Handelsunternehmen unterschiedlicher Branchen, wobei ein Partner die Lagerung und der andere den Transport übernimmt
Abb. 2.15. Beispiele für Logistikkooperationen von Handelsunternehmen (Quelle: in Anlehnung an Liebmann/Zentes 2001, S. 620.)
Mit den unterschiedlichen Formen der Logistikkooperationen korrespondieren die Zielsetzungen bzw. Vorteile, die mit dem Eingehen von Logistikkooperationen angestrebt werden (s. Abb. 2.16.).
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2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel operativer Schwerpunkt
Full-Service Anbieter
administrativer Schwerpunkt
Erweiterung des Leistungsportfolios Nutzung des Partner-Know-hows Verbesserung des Marktzutritts Synergieeffekte Erhöhung der Flexibilität höhere Kundenzahl neue Geschäftsfelder Erweiterung der Ressourcen Kostenreduzierung höhere Reaktionsgeschwindigkeit auf Marktveränderung niedrige Bedeutung
hohe niedrige Bedeu- Bedeutung tung
hohe niedrige Bedeu- Bedeutung tung
hohe Bedeutung
Abb. 2.16. Erwartete Vorteile durch Logistikkooperationen (Quelle: in Anlehnung an Baumgarten/Thoms 2002.)
Spezifische Vorteile, die anhand des Eingehens von Logistikkooperationen realisiert werden können, resultieren z.B. aus der Vermeidung einer unnötigen Duplizierung bzw. Redundanz logistischer Aktivitäten. Dies wird dadurch ermöglicht, dass die logistischen Aktivitäten (z.B. umfangreiche Lageraktivitäten) im Rahmen des Logistikkanals nicht auf jeder Stufe bzw. bei jedem Partner durchgeführt werden müssen. Zudem wird die Koordination bzw. die Abstimmung der logistischen Aktivitäten der Kooperationspartner aufeinander ermöglicht. Dies ist insbesondere im Rahmen vertikaler Kooperationen zwischen Hersteller und Handel von Bedeutung. Oftmals ist auch die Implementierung spezifischer logistischer Systeme oder neuer Technologien erst möglich, wenn „große“ Logistiksysteme realisiert werden. Betrachtet man das Kooperationsausmaß bzw. die Kooperationsintensität, so ist diese – analog der Betrachtungen zur Logistikintensität – durch die zwei Dimensionen der Kooperationsbreite und der Kooperationstiefe gekennzeichnet (Pfohl 2004, S. 320 ff.). Die Kooperationsbreite bezieht sich auf die Art und die Anzahl der Logistikaufgaben, die im Rahmen kooperativer Aktivitäten durchgeführt werden. Auf Grund der bestehenden Logistikinterdependenzen steigt die Stärke des Eingriffs in den Logistikbereich eines Unternehmens und damit die Kooperationsintensität in der Reihenfolge Transport, Verpackung, Lagerung, Bestandsmanagement, Auftragsabwicklung und Entsorgung. Die Kooperationstiefe nimmt analog mit
2.3 Gestaltung der Struktur der Supply-Chain
89
dem Einfluss auf die logistischen Entscheidungsprämissen in der Reihenfolge Durchführung, Kontrolle und Planung zu. Eine spezifische Form der Kooperationen stellen Netzwerke dar. Unter Netzwerken werden allgemein Organisationsformen ökonomischer Aktivitäten zwischen rechtlich selbstständigen und wirtschaftlich teilweise abhängigen Unternehmen verstanden, die durch komplex-reziproke, eher kooperative und nur begrenzt kompetitive Beziehungen gekennzeichnet sind. Netzwerkbeziehungen sind relativ stabil und auf die gemeinsame Realisierung von Wettbewerbsvorteilen ausgerichtet. Die einzelnen Netzwerkeinheiten werden als Netzwerkunternehmen bezeichnet (Sydow 1992, S. 79; Jarillo/Ricard 1987, S. 82 ff.; Jarillo 1988, S. 32; Winkler 1999, S. 25). Logistiknetzwerke repräsentieren eine spezifische Form von Netzwerken, bei denen logistische Anforderungen einen wesentlichen Grund der Kooperation darstellen (s. Abb. 2.17.).
Hersteller 1
Logistikdienstleister 1
Hersteller m
Logistikdienstleister 2
Handel 1
Logistikkette 1
Logistikdienstleister k
Handel n
Logistikkette i
Abb. 2.17. Beispiel für ein Logistiknetzwerk in der Konsumgüterbranche (Quelle: in Anlehnung an Wittig/Zentes 2002, S. 405.)
Die Hauptgründe zur Bildung von Logistiknetzwerken liegen einerseits in der zunehmenden Ausgliederung logistischer Funktionen durch die Unternehmen im Rahmen der Strukturierung ihrer Logistik- bzw. SupplyChain-Aktivitäten und weiterhin in der Intensivierung von Kooperationen zwischen Unternehmen der gleichen oder unterschiedlicher Stufen der Supply-Chain. Die Bildung von Logistiknetzwerken beinhaltet gleichzeitig
90
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
die „Quasi-Externalisierung“ und die „Quasi-Internalisierung“ von Logistikfunktionen (Wittig 2004, S. 2): x „Quasi-Externalisierung“ von Logistikfunktionen: Als Folge der zunehmenden Konzentration der Handelsunternehmen auf ihr Kerngeschäft erfolgt zunehmend die Ausgliederung von Logistikleistungen aus dem Kern-Leistungsspektrum der Handelsunternehmen, insbesondere um Effizienzpotenziale zu realisieren. x „Quasi-Internalisierung“ von Logistikfunktionen: Innovative Logistikleistungen, die es ermöglichen, flexibel und individuell auf die Kundenwünsche angepasst zu agieren, können oftmals lediglich in Kooperation mit anderen Unternehmen erbracht werden. Logistiknetzwerke sind als Transaktionsform logistischer Aktivitäten als „Mischformen“ einzuordnen, bei denen keine vollständige Auslagerung der Logistikaktivitäten erfolgt, gleichzeitig aber auch keine vollständige Eigendurchführung, sondern eine kooperative Realisierung der Logistikprozesse vorgenommen wird (s. Abb. 2.13.). Im Handel bzw. in der Konsumgüterbranche wird die Netzwerkbildung v.a. durch die strategische Zusammenarbeit von Handel und Herstellern sowie kooperative Konzepte auch auf der horizontalen Ebene zwischen mehreren Handelsunternehmen gefördert. Im Vordergrund stehen dabei neuere Konzepte der Steuerung der Supply-Chain, so z.B. im Rahmen der ECR-Ansätze (Zentes 1998). Als unterschiedliche Formen von Logistiknetzwerken sind grundsätzlich zu unterscheiden (Baumgarten/Darkow 1999; Bretzke 1997, S. 626): x Distributionsnetze: Distributionsnetzwerke dienen der Optimierung der Distributionsorganisation. Dabei steht die Optimierung der Waren- bzw. Distributionsströme der beteiligten Unternehmen im Vordergrund, so hinsichtlich der Steuerung und Bündelung der Warenströme. x Beschaffungsnetzwerke: Beschaffungsnetze werden im Rahmen der Strukturierung des Beschaffungs- bzw. Versorgungskanals gebildet. Dabei sollen insbesondere die Beschaffungsprozesse der Unternehmen optimiert und Größenvorteile realisiert werden. Zudem dienen die Beschaffungsnetzwerke der Bündelung der Warenströme der beteiligten Unternehmen. x Logistiknetzwerke zwischen Logistikdienstleistern: Logistiknetze zwischen unterschiedlichen Logistikdienstleistern dienen der Bündelung der Warenströme in offenen Systemen. Dabei können Warenströme in unterschiedliche Richtungen (z.B. vom Hersteller zum Handel und umgekehrt (z.B. bei Rückführungsprozessen)) oder zwischen unterschiedlichen Lägern oder Filialen aufgenommen werden.
2.3 Gestaltung der Struktur der Supply-Chain
91
x Informations- und Kommunikationsnetzwerke: Diese Form der Netzwerke dient dem Transfer von Informationen und der Kommunikation im Rahmen der Unterstützung der Warenprozesse. Als weitere Form von Logistiknetzwerken werden zudem Produktionsnetzwerke angesehen, die jedoch für den Bereich des Handels nicht von Relevanz sind, da sie der Verbindung mehrerer Fertigungsstufen bzw. Fertigungsstätten dienen. Hinsichtlich des Kooperationsausmaßes sowie der zeitlichen Stabilität können Logistiknetzwerke in unterschiedliche Formen systematisiert werden (s. Abb. 2.18.). Dabei werden vier idealtypische Formen von Netzwerken unterschieden (Pfohl 2004, S. 326 ff.; Sydow 1999, S. 286 ff.): x x x x
strategische Netzwerke operative Netzwerke regionale Netzwerke virtuelle Unternehmen. hierarchisch
strategische Netzwerke
operative Netzwerke Broker
Logistikdienstleister
Logistikdienstleister
Hersteller
fokales Unternehmen (Handelsunternehmen)
Handelsunternehmen Handelsunternehmen
Hersteller Hersteller ten an fer er rlie ign o V Des
Liefe
rant
Hersteller Broker
Pro d
VU
un
uz
en t
Ha ter ndel ne shm en
virtuelle Unternehmen
regionale Netzwerke
heterarchisch stabil
dynamisch
Abb. 2.18. Idealtypische Formen von Logistiknetzwerken (Quelle: in Anlehnung an Pfohl/Buse 1998, S. 51; Sydow 1999, S. 287.)
Strategische Netzwerke sind dadurch gekennzeichnet, dass sie auf die langfristige Kooperation zwischen den beteiligten Unternehmen ausgerich-
92
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
tet sind. Zumeist steht dabei ein fokales Unternehmen im Vordergrund, das die zentrale Koordination bzw. die strategische Führung des Netzwerks übernimmt und damit auch in wesentlichem Umfang die Organisation des Netzwerks bestimmt (Corsten 2001; Sydow 1999, S. 286). Die weiteren Netzwerkmitglieder sind häufig eng an das fokale Unternehmen gebunden, wenngleich sie auch wirtschaftliche Beziehungen außerhalb des Netzwerks unterhalten (Pfohl 2004, S. 327). Im Rahmen der Supply-Chain in der Konsumgüterbranche stellt sich zunehmend die Frage danach, welcher der Akteure die Position des fokalen Unternehmens übernimmt. Grundsätzlich kommen hierfür sowohl neutrale Logistikdienstleister, aber auch die Industrie- und Handelsunternehmen in Frage (Bretzke 1997). Im Wettstreit gegenüber der Industrie hat der Handel dabei zunehmend die grundsätzlich stärkere Ausgangsposition, die insbesondere aus der Gatekeeper-Funktion des Handels resultiert (Liebmann/Zentes 2001, S. 625; Zentes/Schramm-Klein 2004). Der Handel tritt deshalb – wie in Kapitel 1 bereits herausgestellt – in verstärktem Maße als das fokale Unternehmen in der Supply-Chain auf, das die Aufgabe der Koordination übernimmt. Insbesondere da er über die Nähe zum Endkunden und damit zu den Abverkaufszahlen verfügt, strebt der Handel die dominante Position in der Wertschöpfungskette an, die er bereits z.T. erreicht hat (Zentes 2000; 2004). Als operative Netzwerke werden solche Formen von Logistiknetzwerken bezeichnet, bei denen die unternehmensübergreifende Koordination operativer logistischer Aktivitäten im Vordergrund steht. Effizienzsteigerungspotenziale werden in diesem Kontext insbesondere dadurch realisiert, dass die beteiligten Partner kurzfristig auf logistische Leistungen, aber auch auf freie Kapazitäten (z.B. Transport- oder Lagerkapazitäten) der Partnerunternehmen zugreifen können oder gemeinsame Ressourcen (im Sinne von Poolingaktivitäten, z.B. in Form gemeinsamer Läger) nutzen (Pfohl 2004, S. 328). Die Zusammenarbeit ist somit insbesondere auf vergleichsweise standardisierte Leistungen ausgerichtet. Eine wesentliche Grundlage im Rahmen der Koordination bildet dabei in der Regel ein interorganisatorisches Informationssystem. Der Zugang für neue Akteure ist im Rahmen von operativen Logistiknetzwerken meist weniger restriktiv, da dadurch die realisierbaren Effizienzsteigerungspotenziale (z.B. auf Grund von Größendegressionseffekten) erhöht werden (Sydow 1999, S. 289). Bei regionalen Netzwerken handelt es sich um eine Form von Logistiknetzwerken, bei denen eine wiederholte, oft lediglich fallweise Zusammenarbeit von Unternehmen erfolgt, die in räumlicher Nähe zueinander angesiedelt sind (Pfohl/Buse 1998, S. 52). Das Hauptkennzeichen solcher Netzwerke liegt somit in der räumlichen Agglomeration der Akteure, die
2.3 Gestaltung der Struktur der Supply-Chain
93
durch die Zusammenarbeit Größen- und Innovationsvorteile anstreben. Beispiele für solche Formen regionaler Netzwerke finden sich z.B. hinsichtlich der Organisation der City-Logistik des Einzelhandels.51 Virtuelle Unternehmen stellen eine Form der interorganisationalen Zusammenarbeit auf der Basis interorganisationaler Informationssysteme dar. Dabei schließen sich mehrere Unternehmen temporär für die Erstellung bestimmter Leistungen zusammen. Es handelt sich somit um ein Unternehmen „der Wirkung nach“ (Sydow/Winand 1998, S. 18). Anwendungsfelder virtueller Unternehmen finden sich weniger in Bezug auf Logistikaktivitäten, sondern sie beziehen sich zumeist auf Wertschöpfungsprozesse, bei denen die jeweiligen Unternehmen komplementäre Ressourcen einbringen, um gemeinsam und dabei zeitlich begrenzt eine bestimmte Leistung zu erstellen (Scholz 2000, S. 324), so z.B. in der Hightech-, Biotechnologie-, Software- oder Medienbranche. Hinsichtlich der Koordinationsform unterscheiden sich die unterschiedlichen Formen von Netzwerken zudem danach, ob zur Koordination eine zentrale Steuerungseinheit geschaffen wird oder nicht (Freichel 1992, S. 66 ff.). Die Fragestellung der Errichtung einer solchen zentralen Koordinationseinheit hängt wiederum eng mit der Frage nach der Systemführerschaft zusammen. Dabei bezieht sich die Systemführerschaft im Rahmen der Supply-Chain allerdings stärker auf die Einflussnahme auf die strategischen Zielsetzungen sowie die Steuerungs- und Koordinationsprozesse. Logistiknetzwerke, bei denen die Zusammenarbeit durch eine gemeinsam getragene Institution gekennzeichnet ist, werden auch als überbetriebliche Logistiknetzwerke bezeichnet, während Netzwerkformen, die auf der direkten Zusammenarbeit zwischen den Unternehmen basieren, als zwischenbetriebliche Logistiknetzwerke bezeichnet werden (Wittig/Zentes 2002, S. 343 f.). Die Wahrscheinlichkeit, dass eine solche zentrale Koordinationseinheit aufgebaut wird, ist dabei umso höher (Liebmann/Zentes 2001, S. 625; Ruehli 1992, Sp. 1165; Staehle 1999, S. 552), x je intensiver die Zusammenarbeit zwischen den Unternehmen im Rahmen des Netzwerks ist, da hiervon oftmals auch der Grad der gegenseitigen Abhängigkeit der Partner abhängt, x je mehr logistische Aufgaben über das Netzwerk abgewickelt werden, da hiervon einerseits der Differenzierungsgrad der Arbeitsteilung bzw. auf der anderen Seite der Grad der Spezialisierung der Unternehmen abhängt, x je komplexer die Leistungsverflechtung zwischen den Unternehmen ist, wobei die Komplexität der Beziehungen eng mit der Intensität der Zu51
Vgl. hierzu Abschnitt 2.4.3.1.
94
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
sammenarbeit der Partner, der Anzahl und der Art logistischer Aufgaben, die über das Netzwerk abgewickelt werden, aber auch mit der Anzahl der Partner, die in den Leistungsprozess eingebunden sind, zusammenhängt. Die zentrale Steuerungsfunktion kann dabei über reine Führungsfunktionen hinaus auch selbst die Durchführung logistischer Aufgaben vornehmen. 2.3.2
Unternehmensinterne Gestaltung der Logistik
2.3.2.1 Allgemeine aufbauorganisatorische Aspekte Fokussiert man auf aufbauorganisatorische Fragestellungen, so werden Logistikaufgaben in Handelsunternehmen i.d.R. institutionalisiert, indem sie bestimmten Organisationseinheiten zugeordnet werden. Bezüglich der Zuordnung sind dabei in Abhängigkeit von der jeweiligen Organisationsstruktur unterschiedliche Einordnungsmöglichkeiten denkbar. Grundsätzlich kann eine Eingliederung der Logistik in die Organisationsstruktur entweder in integrierter oder in nicht-integrierter Form vorgenommen werden (Pfohl 2004, S. 250 ff.): x Bei der integrierten Einordnung erfolgt eine Zusammenfassung aller logistischen Aufgabenbereiche in einer organisatorischen Einheit des Handelsunternehmens. Diese organisatorische Einheit ist zuständig für alle logistischen Aufgaben des Gesamtunternehmens. x Erfolgt die nicht-integrierte Zuordnung der logistischen Aufgabenfelder, bedeutet dies, dass die Zuständigkeit für logistische Auggabenbereiche unterschiedlichen Einheiten in dem Unternehmen zugeordnet wird. Dabei bestehen unterschiedliche Auffassungen darüber, ob eine Aufsplittung der logistischen Aufgabenbereiche und Verteilung auf unterschiedliche Unternehmensbereiche oder eine Zusammenfassung aller logistischen Aktivitäten in einer Einheit die sinnvollere Strukturierungsform darstellt. Hinsichtlich der organisatorischen Verankerung gilt dabei insbesondere, dass die adäquate Organisationsform situativ zu bestimmen ist und keine allgemeingültige Aussage darüber getroffen werden kann, welche Strukturierungsform die optimale Lösung darstellt.52
52
Zu einer ausführlichen Diskussion dieser Fragestellung vgl. insbesondere Bowersox/Closs 1996, S. 596 ff. und Pfohl 2004, S. 250 ff.
2.3 Gestaltung der Struktur der Supply-Chain
95
Als wichtigste Gliederungskriterien zur aufbauorganisatorischen Gestaltung von Handelsunternehmen werden die Gliederungen nach dem Verrichtungsprinzip, also nach Funktionen bzw. Aufgaben (wie z.B. Sortimentserstellung, Einkauf, Marketing u.Ä.), und nach dem Objektprinzip, z.B. nach unterschiedlichen Betriebstypen, Categories oder Regionen, angesehen (Liebmann/Zentes 2001, S. 744 ff.). Entsprechend der darauf basierenden unterschiedlichen Kombinationsmöglichkeiten ergeben sich als relevante aufbauorganisatorische Grundstrukturen für Handelsunternehmen die funktionale Organisation, die divisionale Organisation und mehrdimensionale Organisationsformen (insbesondere Matrixorganisationen) (Müller-Hagedorn 1998, S. 574 ff.; Liebmann/Zentes 2001, S. 744 ff.; Krüger 1994, S. 95 ff.).
Projektorientierung turbulent komplex unsicher
Netzwerk Mischformen Matrix
Umfeldbedingungen
stabil einfach sicher
Division
Funktion
dauerhaft
temporär
Organisationsstruktur
Abb. 2.19. Zusammenhang zwischen Umfeldbedingungen und Organisationsstruktur (Quelle: in Anlehnung an Pfohl 1994, S. 209.)
In der Handelspraxis zeigt sich dabei ein immer stärkerer Übergang zu flexibleren Organisationsformen im Rahmen der aufbauorganisatorischen Strukturierung der Unternehmen. Wenngleich die Festlegung der aufbauorganisatorischen Strukturierung grundsätzlich eine vergleichsweise langfristige Entscheidung darstellt, gilt der Zusammenhang, dass je stabiler, je einfacher und je dauerhafter die Umfeldbedingungen sind, umso dauerhafter auch die Organisationsform sein kann. Mit steigender Umfeldkomplexität und -unsicherheit wird hingegen der Übergang zu komplexeren Orga-
96
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
nisationsformen notwendig, die über ein größeres Flexibilisierungspotenzial verfügen (s. Abb. 2.19.). Die Flexibilitätsanforderungen an die Handelsunternehmen steigen insbesondere auch bezüglich der Einordnung logistischer Aufgabenbereiche, da das Umfeld auf Grund von Neustrukturierungen, neuen Konzepten und neuen Technologien und Anwendungen gerade im Rahmen der SupplyChain eine besonders hohe Dynamik und Komplexität aufweist. Die Organisation der Logistikabteilung muss deshalb durch eine Mischung aus stabilitätsfördernder Strukturkonstanz und flexibilitätsfördernder Temporarität gekennzeichnet sein (Liebmann/Zentes 2001, S. 629). Einen Ansatz zur Lösung dieser Anforderungen, die sich aus den Veränderungen im Rahmen der Supply-Chain-Prozesse, neuen Systemen und neuen Anforderungen durch neue technologische Entwicklungen ergeben, stellt die Etablierung von Projektorganisationen als Sekundärorganisation dar (Pfohl 1994, S. 208). Auf diese Weise können insbesondere Veränderungsprozesse im Bereich der Logistik, wie z.B. Verbesserungen spezifischer Logistikprozesse oder die Einführung neuer Warenwirtschaftssysteme realisiert werden (Liebmann/Zentes 2001, S. 628). 2.3.2.2 Eingliederung der Logistik in funktionale Organisationsstrukturen Ist die aufbauorganisatorische Grundstruktur des Handelsunternehmens als Funktionalstruktur ausgestaltet, sind unterschiedliche Eingliederungsmöglichkeiten der logistischen Aktivitäten denkbar. Der Funktionalstruktur liegt die Gliederung nach dem Verrichtungsprinzip zu Grunde. Den einzelnen organisatorischen Einheiten sind somit bestimmte Aufgabenbereiche zugeordnet. Die Einordnung der Logistik kann dabei grundsätzlich nach zwei Prinzipien vorgenommen werden. Die erste Möglichkeit der Einordnung in die Funktionalstruktur kann in der Form erfolgen, dass die Logistikaufgaben aufgesplittet werden und eine Zuordnung unterschiedlicher logistischer Teilaufgaben zu unterschiedlichen Funktionsbereichen erfolgt. So sind z.B. die Zuordnung der Beschaffungslogistik zur Einkaufsabteilung oder die Zuordnung der Distributionslogistik zum Marketing- bzw. Vertriebsbereich denkbar (Bowersox/Closs 1996). Diese Strukturierungsform, bei der die Zuständigkeit für unterschiedliche logistische Aufgabenbereiche auf die Funktionseinheiten aufgeteilt wird, kann zudem ergänzt werden durch eine übergeordnete Steuerungseinheit, welche die Aufgabe hat, die logistischen Aufgaben zu koordinieren. Diese Einheit kann entweder beratende Funktion haben oder ihr kann
2.3 Gestaltung der Struktur der Supply-Chain
97
eine funktionsbezogene (fachliche) Weisungsbefugnis gegenüber den übrigen Funktionsbereichen zugeordnet werden (s. Abb. 2.20.). Unternehmensleitung
Einkauf
Marketing
Verkauf
Logistik
Warengruppe 1 . . .
Warengruppe 1 . . .
Warengruppe 1 . . .
Warengruppe n
Warengruppe n
Warengruppe n
Logistik
...
Lagerung
Transport
Logistik
Verwaltung
Verwaltung
Verwaltung
funktionale Beziehung Linienbeziehung
Abb. 2.20. Eingliederung der Logistik in die Funktionalstruktur: Aufgabenaufsplittung
Die zweite Strukturierungsform im Rahmen funktionaler Organisationsstrukturen besteht in der Implementierung eines eigenständigen Funktionsbereichs „Logistik“. Unternehmensleitung
Einkauf
Logistik
Marketing
Verkauf
Controlling
...
Transport
Lager
...
Abb. 2.21. Eingliederung der Logistik in die Funktionalstruktur: Aufgabenkonzentration
98
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
In diesem Fall erfolgt die Zusammenfassung aller Logistikaufgaben in diesem Funktionsbereich, der neben den weiteren Funktionen (z.B. Einkauf, Marketing oder Controlling) steht (s. Abb. 2.21.) und gesamtunternehmensbezogen die organisatorische Zuständigkeit für die Logistik übernimmt (Fieten 2004). 2.3.2.3 Eingliederung der Logistik in divisionale Organisationsstrukturen Bei einer Strukturierung der Aufbauorganisation der Handelsunternehmen nach dem Objektprinzip können die einzelnen Sparten z.B. nach Betriebstypen, Sortimentsbereichen bzw. Categories oder nach Regionen gegliedert sein. Oftmals geht mit dieser Gliederungsstruktur eine Führung nach dem Cost-Center- oder Profit-Center-Prinzip einher. Im Falle der divisionalen bzw. Spartenstruktur sind wiederum zwei Eingliederungsalternativen der Logistik denkbar. Zum einen kann der Logistikbereich als Zentralbereich geführt werden. In diesem Fall werden den objektbezogenen Sparten keine logistischen Aufgaben zugewiesen bzw. die logistischen Aufgabenbereiche werden ausgegliedert und in einem unmittelbar unter der Unternehmensleitung eingeordneten Zentralbereich über alle Sparten hinweg zusammengefasst (s. Abb. 2.22.). In diesem Zentralbereich werden alle logistischen Kompetenzen für die operativen Einheiten gebündelt (Pfohl 2004, S. 203 ff.). Unternehmensleitung
Controlling
Recht
Personal
Logistik
Division 1 (Betriebstyp 1)
Division 2 (Betriebstyp 2)
...
Division n (Betriebstyp n)
Abb. 2.22. Eingliederung der Logistik in die Divisionalstruktur: Zentralbereich
2.3 Gestaltung der Struktur der Supply-Chain
99
Diese organisatorische Eingliederung der Logistik ist v.a. in solchen Fällen geeignet, in denen die Logistikaufgaben des Handelsunternehmens über die Sparten hinweg sehr ähnlich sind. Dies ist z.B. der Fall, wenn das Handelsunternehmen über wenige Betriebstypen, Verkaufsstellen oder Outlets oder über einen geringfügigen Dezentralisierungsgrad verfügt. Die Zusammenfassung der Logistik ermöglicht dann die Realisierung von Größendegressionseffekten und Synergiepotenzialen, also die Erzielung von Effizienzvorteilen. Als zweite Eingliederungsform in divisionale Strukturen ist die Eingliederung der Logistik in die jeweiligen Sparten denkbar. In diesem Fall übernimmt jede Sparte anhand eigener Logistikeinheiten die Logistikaufgaben für die Division (Fieten 2004; Bowersox/Closs 1996). Alle logistischen Aufgaben für die jeweilige Division werden dann in der jeweiligen Division zusammengefasst. Eine solche Eingliederung wird oftmals dann vorgenommen, wenn eine hohe Selbstständigkeit und Ergebnisverantwortung der jeweiligen Divisionen gegeben ist oder wenn die logistischen Problemstellungen in den jeweiligen Sparten sehr spezifisch sind, z.B. weil eine sehr heterogene Betriebstypen- und Vertriebstypenstruktur gegeben ist. Unternehmensleitung
Finanzen
Logistik
Betriebstyp A
Betriebstyp B
Recht
Betriebstyp C
Einkauf Verkauf Filiale 1 Filiale N
Logistik Linienbeziehung
Logistik
Logistik
funktionale Beziehung
Abb. 2.23. Eingliederung der Logistik in die Divisionalstruktur (Quelle: in Anlehnung an Liebmann/Zentes 2001, S. 632.)
100
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
Da eine vollständige Separation der jeweiligen Logistikbereiche mit Nachteilen (z.B. im Sinne von Effizienzverlusten) verbunden sein kann, kann im Falle einer solchen Eingliederung eine Logistikstruktur implementiert werden, bei der zusätzlich zu den logistischen Einheiten in den jeweiligen Divisionen ein Zentralbereich Logistik aufgebaut wird, der bestimmte logistische Funktionen spartenübergreifend für das Gesamtunternehmen übernimmt (s. Abb. 2.23.). Dadurch sollen z.B. Doppelausführungen logistischer Aufgaben vermieden oder die Realisierung von Größeneffekten ermöglicht werden (Liebmann/Zentes 2001, S. 632 f.). Es kann auch eine Aufgabenaufteilung vorgenommen werden, indem z.B. die Beschaffungslogistik über die Zentrale koordiniert wird und „absatzmarktnahe“ Logistikbereiche wie insbesondere die Distributionslogistik den jeweiligen Divisionen zugeordnet werden (Zentes 1992b, Sp. 765). 2.3.2.4 Eingliederung der Logistik in mehrdimensionale Organisationsstrukturen In mehrdimensionalen Organisationsformen erfolgt die Strukturierung nach mehreren Gliederungsprinzipien, z.B. kann dabei eine Kombination der verrichtungsorientierten Funktionalgliederung mit aufgabenorientierten Gliederungsprinzipien vorgenommen werden Unternehmensleitung
Einkauf
Verkauf
Logistik
Marketing
Betriebstyp 1 betriebstypenbezogene Kompetenzen
Betriebstyp 2
Betriebstyp 3
verrichtungsbezogene Kompetenzen
Abb. 2.24. Eingliederung der Logistik in die Matrixstruktur: Logistik als Querschnittsfunktion (Quelle: in Anlehnung an Liebmann/Zentes 2001, S. 633.)
2.3 Gestaltung der Struktur der Supply-Chain
101
Mehrdimensionale Strukturierungen, bei denen eine hierarchisch gleichrangige Gliederung nach zwei Dimensionen erfolgt, werden dabei als Matrixorganisation („Dualorganisation“) bezeichnet. Strukturierungsformen, bei denen mehr als zwei Gliederungsprinzipien gleichzeitig angewandt werden (Tensororganisation), sind in der Handelspraxis praktisch nicht zu finden. Die Matrixorganisation ist dadurch gekennzeichnet, dass sich die beiden nach unterschiedlichen Kriterien (z.B. nach Funktionen und nach Betriebstypen) aufgebauten Leitungssysteme überlagern. Die Einbindung der Logistik in diese Strukturierungsform kann wiederum nach zwei Prinzipien erfolgen. Zum einen kann die Eingliederung der Logistik als Querschnittsfunktion erfolgen (s. Abb. 2.24.). Bei dieser aufbauorganisatorischen Einordnungsvariante ergibt sich der Vorteil, dass Koordinations-, Steuerungs- und Bündelungsvorteile im Rahmen der Logistik realisiert werden können. Es können dadurch somit die Problematiken vermieden werden, die bei der Zuordnung der Logistik zu einzelnen Divisionen auftreten können, wie z.B. Redundanzen oder Doppelausführungen logistischer Aufgaben. Auf der anderen Seite treten im Rahmen einer solchen Eingliederung auch hinsichtlich der Logistik die typischen Problematiken von Matrixstrukturen auf, die auf Grund von Doppelunterstellungen und Kompetenzüberschneidungen entstehen und mit Koordinations- und Abstimmungsproblematiken verbunden sind (Schreyögg 1999, S. 184 ff.). Über horizontale Abstimmungsprozesse müssen die Manager der „Matrixspalten“ und die Manager der „Matrixzeilen“ einen Konsens erreichen. Die Manager der „Matrixzellen“ sind für die Aufgabenerfüllung in Abhängigkeit der beiden vorgegebenen Dimensionen zuständig. Produktive Interessenskonflikte sind damit vorprogrammiert und gewollt, denn die Entscheidungen sind durch geplante Kompetenzüberschneidungen hinsichtlich des Einsatzes von Ressourcen untereinander gekoppelt und zwingen zur Abstimmung (Pfohl 2004, S. 276 ff.). In der (Handels-)Praxis werden zur Handhabung solcher Konflikte oftmals „Vortrittsregeln“ implementiert, bei denen Kompetenzregelungen festgelegt werden, die zur Konfliktlösung beitragen sollen. Als zweite Strukturierungsmöglichkeit ist die Etablierung der Logistik als Zentralbereich denkbar, der unter der Ebene der Unternehmensleitung angegliedert ist (s. Abb. 2.25.). Im Rahmen dieser Strukturierungsform wird versucht, die Problematiken, die im Rahmen der Matrixgliederung hinsichtlich der Kompetenz bzw. Verantwortung bezüglich der logistischen Aufgaben auftreten können, zumindest teilweise zu überwinden. Dabei können auf Grund der Zentralbereichsfunktion die Vorteile, die aus
102
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
der gesamtunternehmensbezogenen Bündelung resultieren, erhalten bleiben. Unternehmensleitung (Matrixleitung)
Finanzwesen
Rechnungswesen
Personalwesen
Logistik
Categories
Betriebstypen Category 3 Betriebstyp 1
Category 2 Category 1
Betriebstyp 2 Betriebstyp 3
Abb. 2.25. Eingliederung der Logistik in die Matrixstruktur: Logistik als Zentralbereich
2.4 Grundstrukturen und Komponenten von Logistiksystemen systemen 2.4.1
Überblick
2.4.1.1 Allgemeine Grundstrukturen von Logistiksystemen Logistiksysteme sind durch ein Ineinandergreifen von Transportprozessen (bzw. Bewegungsprozessen) und Lagerprozessen (bzw. Speicherprozessen) charakterisiert. Grafisch können Logistiksysteme als Netzwerke53 dargestellt werden, in denen Knoten durch Kanten verbunden sind. Die Knoten repräsentieren dabei Orte bzw. Punkte, an denen Waren oder Informa53
Der an dieser Stelle verwendete Netzwerkbegriff wird hierbei im Sinne der grafentheoretischen Terminologie verwendet und ist abzugrenzen von dem organisationstheoretischen Netzwerkbegriff (vgl. hierzu Abschnitt 2.3.2).
2.4 Grundstrukturen und Komponenten von Logistiksystemen
103
tionen gelagert (bzw. „gespeichert“) werden. Die Kanten stellen die Verbindungen zwischen den Lagerorten („Transportwege“) dar. Entlang der Kanten werden die Waren bzw. die Informationen durch das System geleitet (bzw. „transportiert“) (Fleischmann 2004). Als Grundstrukturen von Logistiksystemen sind grundsätzlich einstufige und mehrstufige Logistiksysteme bzw. kombinierte Systeme voneinander zu unterscheiden (Pfohl 2004, S. 5 ff.; Liebmann/Zentes 2001, S. 634 f.; s. Abb. 2.26.): x Einstufige Logistiksysteme: Einstufige Logistiksysteme sind durch den direkten Güterfluss zwischen Lieferpunkten („Quelle“) und Empfangspunkten („Senke“) gekennzeichnet. Der Warenstrom zwischen den Lieferpunkten und den Empfangspunkten ist also in einstufigen Systemen ununterbrochen, d.h., es finden keine Umlagerungsprozesse zwischen der Quelle und den Senken statt. x Mehrstufige Logistiksysteme: Bei mehrstufigen Logistiksystemen erfolgt der Warenfluss zwischen den Liefer- und Empfangspunkten in indirekter Form. Die Ware wird zwischen Quelle und Senke an mindestens einer Stelle unterbrochen und umgeschlagen, d.h., es finden zusätzliche Transport- und Lagerprozesse an den Unterbrechungspunkten statt. Dabei unterscheidet man zwei unterschiedliche Formen von Unterbrechungspunkten: 1. Auflösungspunkt („break-bulk point“): Finden an den Unterbrechungspunkten Auflösungsprozesse statt, so bedeutet dies, dass die Waren in großen Mengen an diesen Punkten eintreffen und in kleinen Mengen an die verschiedenen Empfangspunkte weitergeleitet werden. Dabei unterscheidet man als unterschiedliche Formen der Auflösung zum einen die reine Verkleinerung der Mengeneinheiten, bei der große Liefermengen homogener Waren in kleinere Einheiten aufgeteilt werden, und weiterhin die Aussortierung. Dabei erfolgt die Aufteilung heterogener Lieferungen in homogene kleinere Einheiten. 2. Konzentrationspunkt („consolidation point“): An Konzentrationspunkten erfolgt die Konsolidierung bzw. die Bündelung von Waren in Form der Sammlung oder der Sortimentierung. Finden an den Konzentrationspunkten Sammlungsprozesse statt, so bedeutet dies, dass kleine Mengen verschiedener Lieferpunkte zu größeren (homogenen) Einheiten zusammengefasst werden. Bei der Sortimentierung werden hingegen unterschiedliche Waren unterschiedlicher Lieferpunkte zu Sortimenten zusammengefasst. Es erfolgt somit die Zusammenstellung heterogener Lieferungen für unterschiedliche Empfangspunkte.
104
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
x Kombinierte Systeme: Bei kombinierten Systemen finden sowohl direkte (also ununterbrochene) als auch indirekte (unterbrochene) Warenflüsse zwischen den Liefer- und Empfangspunkten statt. Die Handelslogistik ist dadurch charakterisiert, dass die Empfangspunkte einerseits bei dem Handel selbst liegen, wenn er durch den Hersteller beliefert wird. Empfangspunkte in diesem Sinne können also z.B. Läger des Handelsunternehmens (z.B. Zentral-, Regional- oder Filialläger) oder der Point-of-Sale, also die Filialen bzw. die Verkaufsräume selbst, sein. Auf der anderen Seite stellen auch die Konsumenten (bzw. bei Großhandelsstrukturen auch Wiederverkäufer) Empfangspunkte dar, die durch das Handelsunternehmen bedient werden. Typische Lieferpunkte sind die Standorte der Hersteller oder die Standorte zwischengeschalteter Distributionsorgane bzw. Logistikdienstleister (Toporowski 1996, S. 17). direkter Güterfluss / einstufiges System
Lieferpunkt (Güterbereitstellung)
indirekter Güterfluss / mehrstufiges System: Auflösungspunkt („break-bulk point“)
Empfangspunkt (Güterverwendung) Lieferpunkt
direkter und indirekter Güterfluss / kombiniertes System
Lieferpunkt
Empfangspunkte
Empfangspunkte
indirekter Güterfluss/mehrstufiges System: Konzentrationspunkt („consolidation point“)
Lieferpunkte
Empfangspunkt
Abb. 2.26. Grundstrukturen von Logistiksystemen (Quelle: in Anlehnung an Pfohl 2004, S. 6.)
2.4.1.2 Subsysteme der Handelslogistik Die Subsysteme der Handelslogistik können verrichtungsspezifisch nach den Phasen der Warenströme gegliedert werden. Als Hauptkomponenten bzw. phasenspezifische Subsysteme im Sinne dieser funktionalen Unter-
2.4 Grundstrukturen und Komponenten von Logistiksystemen
105
gliederung der Logistiksysteme unterscheidet man (Kotzab 1997, S. 36; Pfohl, 2004, S. 18): x x x x
Beschaffungslogistik Produktionslogistik Distributionslogistik Entsorgungslogistik/Retrodistributionslogistik.
Die Produktionslogistik beinhaltet Aktivitäten, die im Zusammenhang mit der Versorgung der Produktionsprozesse mit Inputs (z.B. Roh-, Hilfsund Betriebsstoffe, Halbfertigerzeugnisse u.Ä.) und der Abgabe der Halbfertig- oder der Fertigerzeugnisse an die Absatzläger verbunden sind (Pfohl 2004, S. 193). Der Bereich der Produktionslogistik ist dabei für Handelsunternehmen i.d.R. irrelevant, da zumeist keine Produktions- bzw. Manipulationsprozesse an der Ware vorgenommen werden. Dieses Subsystem der Logistik wird aus diesem Grund im Folgenden nicht weiter betrachtet. Beschaffungslogistik Die Beschaffungslogistik bezieht sich auf die Warenflüsse und die damit im Zusammenhang stehenden Informationsflüsse, die bei der Versorgung mit Waren (Handelsware) und mit weiteren Inputfaktoren (z.B. für administrative Prozesse, im Rahmen der Verkaufsraumgestaltung, Beschaffung von Dienstleistungen u.Ä.) auftreten. Die Beschaffungslogistik steht damit, fokussiert man auf die Phasen des Warenflusses, am Anfang der internen Supply-Chain des Handels und bezieht sich insbesondere auf die physische Versorgung mit Waren bzw. Gütern. Als wichtige Komponenten der Beschaffungslogistik werden angesehen (Bloech 1997, S. 70; Zentes/Swoboda/Morschett 2004, S. 458 ff.): x Transport- und Lagersysteme im Beschaffungs- und Bereitstellungsbereich des Handelsunternehmens x Standortverteilung der Läger x Bestandsmanagement in den Beschaffungslägern x Beschaffungsorganisation von Zentrale und Filialen x Kooperationssysteme mit Herstellern und Logistikdienstleistern. Einen besonderen Einfluss auf die Beschaffungslogistik haben die Beschaffungsarten. Zu unterscheiden sind dabei insbesondere die Einzelbeschaffung im Bedarfsfall, die Vorratsbeschaffung und die abverkaufssynchrone Beschaffung (Grochla 1978, S. 23 ff.; Dehler 2001, S. 108 f.; Pfohl 2004, S. 185 f.).
106
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
Bei der Einzelfallbeschaffung erfolgt die Beschaffung spezifischer Produkte in Einzelfällen, die (in der Regel) nur dann durchgeführt wird, wenn eine tatsächliche Nachfrage nach der betreffenden Ware besteht. Dies kann z.B. bei Sonderbestellungen oder Einzelbestellungen für spezifische Kunden der Fall sein. Logistisch vorteilhaft ist dabei, dass keine Bevorratung bzw. Lagerhaltung der betreffenden Ware erfolgt, sodass die Kapitalbindungskosten minimiert werden. Auf der anderen Seite ist die Einzelfallbeschaffung in der Regel mit längeren Lieferzeiten verbunden, was gleichzeitig bedeutet, dass Wartezeiten für die Kunden entstehen. Zudem sind im Regelfall bei Einzelfallbeschaffungen die Beschaffungskonditionen (z.B. Rabatte u.Ä.) schlechter, da kaum Größen- oder Mengeneffekte realisiert werden können. Die in Handelsunternehmen zumeist wichtigste Form der Beschaffung stellt die Vorratsbeschaffung dar. Dabei werden Warenbestände in den Lägern bzw. den Filialen des Handels aufgebaut. Wenngleich die Bevorratung zu einer erhöhten Kapitalbindung führt, ist sie mit höherer Zuverlässigkeit hinsichtlich der Verfügbarkeit der Produkte verbunden. Zudem kann ein höherer Filialbestand insbesondere in den Warenträgern der Outlets angestrebt werden, um „optische“ Zielsetzungen umzusetzen oder bei den Kunden Effekte im Sinne eines Abverkaufs durch „Warendruck“ zu erreichen. Auf Grund der im Rahmen der Vorratsbeschaffung höheren Bestellmengen können weiterhin Degressionseffekte bzw. Mengeneffekte im Rahmen der Beschaffung, so hinsichtlich der Konditionen oder der logistischen Abläufe, erreicht werden. Eine wesentliche logistische Aufgabe bei der Vorratsbeschaffung besteht in der Bestimmung der optimalen Bestellmengen und Bestellrhythmen, um die optimale Balance zwischen ausreichend hohen, aber nicht zu hohen Lagerbeständen (insbesondere relevant ist dies z.B. hinsichtlich der Frischeprodukte im Lebensmitteleinzelhandel) sowie Einkaufskonditionen und Logistikkosten zu erreichen. Als dritte Form der Beschaffung ist die abverkaufssynchrone Beschaffung denkbar. Dabei ist es das Ziel, ähnlich der Just-in-time-Konzepte der Industrie eine möglichst abverkaufsnahe Beschaffung zu realisieren und dadurch die Lagerbestände so gering wie möglich zu halten. Eine solche Form der Beschaffung wird als eine der Zielsetzungen im Rahmen der ECR-Konzepte angestrebt. Wesentliche Voraussetzungen stellen dabei eine besonders hohe Zuverlässigkeit der Hersteller bzw. der Lieferanten hinsichtlich Zeit und Menge der Waren dar. Die Grundvoraussetzung liegt zudem in zuverlässigen Abverkaufsprognosen, auf deren Basis die Bestellund Lieferrhythmen und -mengen bestimmt werden. Aus diesem Grund ist ein konstanter und zuverlässiger, möglichst umfassender Informationsaustausch zwischen Hersteller- und Handelsunternehmen erforderlich, was
2.4 Grundstrukturen und Komponenten von Logistiksystemen
107
insbesondere die Produktions- und Lieferkapazitäten der Hersteller und andererseits die Abverkaufsprognosen der Handelsunternehmen betrifft. Besonderen Einfluss auf die Beschaffungslogistik des Handels hat auch die Belieferungsform, mit der die Handelsunternehmen beliefert werden. Dabei ist zu differenzieren, welcher Akteur die Verantwortung für die Ware im Rahmen der Belieferung trägt (s. Abb. 2.27.). Liegt diese bei dem Hersteller, so erfolgt die Koordination der Belieferung durch den Hersteller im Rahmen der Distributionslogistik des Herstellers. Erfolgt die Koordination durch das Handelsunternehmen, so fällt sie in die Beschaffungslogistik des Handels. Weiterhin sind Mischformen denkbar, bei denen die Verantwortung im Rahmen des Warenflusses vom Hersteller auf den Handel übergeht (z.B. auf der Stufe der Zentral- oder Regionalläger des Handels oder im Rahmen von Cross-Docking- oder Transshipment-Prozessen54) (Wittig/Zentes 2002, S. 51 f.; Liebmann/Zentes 2001, S. 635 f.; Thorndike/Waltemath 1999, S. 18 ff.). Distributionslogistik Hersteller
I WA Hersteller
II
Beschaffungslogistik Handel
Mischsystem
III
IV
V
VI
VII WA Hersteller
WA Hersteller
WA Hersteller
WA Hersteller
WA Hersteller
WA Hersteller
UP
ZL / RL Handel
TSP / CD
ZL / RL Handel
TSP / CD
Outlet
WA = Warenausgang UP = Umschlagpunkt
Outlet
ZL = Zentrallager RL = Regionallager
TPS = Transshipment Punkt CD = Cross Docking
in Verantwortung des Herstellers in Verantwortung des Handels
Abb. 2.27. Alternative Belieferungsformen des Handels (Quelle: Thorndike/Waltemath 1999, S. 21.)
54
Vgl. zu den Konzepten des Cross-Docking bzw. des Transshipment Abschnitt 2.4.2.2.
108
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
Distributionslogistik Die Distributionslogistik stellt die absatzmarktorientierte Endphase des logistischen Leistungsvollzugs dar (Ihde 1974, Sp. 1619). Sie wird deshalb auch als Absatzlogistik, Vertriebslogistik oder als Marketing-Logistik55 bezeichnet (Kotzab 1997, S. 42; Pfohl 2004, S. 17). Die Distributionslogistik stellt den „spiegelbildlichen“ Bereich zur Beschaffungslogistik dar. Sie umfasst alle logistischen Aktivitäten, die im Zusammenhang mit der Verteilung der Ware an die Kunden stehen. In dem Bereich der Distributionslogistik sind von Bedeutung (Zentes/Swoboda/Morschett 2004, S. 460; Schulte 1997, S. 177): Standorte der Distributionsläger Planung der Transportverfahren Bestandsmanagement in den Transportlägern Kommissionierung Verpackung Tourenplanung, Transportmitteleinsatzplanung, Anlieferungsterminplanung x Kundenauftragsabwicklung x Kooperationen mit Logistikdienstleistern. x x x x x x
Die Distributionslogistik im Handel unterscheidet sich v.a. nach der Betriebs- bzw. Vertriebstypenstruktur der Handelsunternehmen. Dabei ist insbesondere danach zu differenzieren, ob im Rahmen der Distribution nach dem Bring- oder dem Holprinzip verfahren wird, d.h., ob das Handelsunternehmen nicht-stationäre oder stationäre Absatzkanäle einsetzt. Beim Versandhandel („Bringkauf“) wird die Ware jeweils an den Kunden geliefert. Die „Distanzüberwindung“ im Rahmen des Warenflusses erfolgt somit durch das Handelsunternehmen bzw. wird von ihm initiiert (s. Abb. 2.28.).
55
Zum Teil wird der Begriff Marketing-Logistik auch als Oberbegriff für die beiden marktorientierten Subsysteme der Logistik, die Beschaffungslogistik und die Distributionslogistik, verwendet (Pfohl 2004, S. 17).
2.4 Grundstrukturen und Komponenten von Logistiksystemen
RohmaterialLieferant
Logistikdienstleister
Vorlieferant
Hersteller
Lager des Handel
Logistikdienstleister (KEP)
109
Konsument
handelseigene Distribution
Abb. 2.28. Warenverteilung beim Distanzhandel56
Im stationären Handel („Holkauf“) hingegen wird diese Distanzüberwindung durch den Kunden selbst übernommen (s. Abb. 2.29.), d.h., um die Ware zu erhalten, muss der Kunde in die Filialen des Handelsunternehmens gelangen (Liebmann/Zentes 2001, S. 371). RohmaterialLieferant
Logistikdienstleister
Vorlieferant
Hersteller
Einzelhandel
Konsument
Abb. 2.29. Warenverteilung über stationären Handel57
56
57
Logistikdienstleister können grundsätzlich auf jeder Stufe zwischengeschaltet werden. In analoger Weise können auch in diesem Fall grundsätzlich auf jeder Stufe Logistikdienstleister zwischengeschaltet werden.
110
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
Die beiden Prinzipien der Distanzüberwindung im stationären und nichtstationären Handel sind dadurch gekennzeichnet, dass im Rahmen der Distributionslogistik des Handels unterschiedliche Stufen bzw. Akteure eingesetzt werden. Beim stationären Handel nehmen die Konsumenten selbst die Kommissionierung in den Läden vor und übernehmen auch den Transport der Ware zu ihrem Bestimmungsort. Beim Distanzhandel wird die Kommissionierung durch die Handelsunternehmen (bzw. evtl. durch spezialisierte Logistikdienstleister) übernommen und auch der Transport der Ware wird durch das Handelsunternehmen oder externe Logistikdienstleister (z.B. spezialisierte KEP-Dienstleister (Kurier-, Express- und Paketdienstleister)) durchgeführt. Entsorgungslogistik Als weiteres Subsystem der Logistik ist die Entsorgungslogistik bzw. die „Retroditributionslogistik“ von Bedeutung. Im Rahmen der zunehmenden Bedeutung von Ressourcenschonung und Abfallvermeidung und des Ausbaus der „Wertkette“ in Richtung eines „Wertkreislaufs“ (s. Abb. 2.30.), bei dem Stoffkreisläufe immer wichtiger werden,58 gewinnen Entsorgungssysteme, Recylingprozesse, Pfand- und Rücknahmesysteme der Produkte zunehmend an Bedeutung (Kirchgeorg 2003, S. 419 ff.; Kroon/Vrijens 1995). Im Rahmen der Entsorgungs- bzw. Retrodistributionslogistik des Handels stellen im Sinne dieser Kreislaufbetrachtungen Prozesse der Retrodistribution (Entsorgung) und der Reduktion (Recycling) eine besondere Herausforderung dar. Die Anforderungen an den Handel und die Aufgaben, die er im Rahmen von Rückführungs-, Recycling- oder Einweg- oder Mehrweg-Pfandsystemen zu übernehmen hat, steigen dabei zunehmend (Higginson/Libby 1997). Dabei sind nicht nur gesetzliche Anforderungen hinsichtlich der Recycling-, Rücknahme- oder Pfandsysteme von Bedeutung, sondern auch die Kundenanforderungen, die aus einem erhöhten Umweltbewusstsein resultieren, spielen in diesem Zusammenhang eine große Rolle (Hughes 2003).
58
Vgl. hierzu auch Abb. 1.3. in Abschnitt 1.2.
2.4 Grundstrukturen und Komponenten von Logistiksystemen
111
Distribution PoS Herstellungsphase
Abfall zur Beseitigung
Input
Output
Induktion PoE
Transaktion
Primärressourcen
Reduktionsphase PoS = Point-of-Sale PoR = Point-of-Return PoE = Point-of-Entry
Transaktion
Kreislaufzyklus
Nutzungsphase
Transaktion Kollektion PoR
Abb. 2.30. Wertkreislauf der Produkte (Quelle: in Anlehnung an Kirchgeorg 2003, S. 420.)
Die Redistributionskanäle können dabei einstufig (direkte Systeme) oder mehrstufig aufgebaut sein. Sie sind i.d.R. identisch mit den Distributionskanälen oder es werden spezifische Logistikdienstleister mit eingebunden. Als Rückstandszyklen werden solche Kreislaufsysteme verstanden, bei denen der Wiedereinsatz der Rohstoffe sichergestellt werden soll. Als Beseitigungskanäle werden solche Güterströme bezeichnet, die den Rückstand der ordnungsgemäßen Beseitigung (z.B. in Verbrennungsanlagen oder Deponien) zuführen (Pfohl 2004, S. 236 f.). Ein Überblick über das System der Entsorgungslogistik und die beteiligten Akteure ist in Abb. 2.31. dargestellt.
112
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel 1 2/3/5/7
2
Hersteller A
Endabnehmer
Handelsunternehmen 3
3/5/7 4
1
6 7 3/5 5
Hersteller B
6
4
7 5 3/7
Entsorgungslogistische Spezialisten
7
Beseitigungsunternehmen
6 Redistributionskanäle: Rückstandszyklen Beseitigungskanäle
1 2 4 3/5 6 7
einstufiger Redistributionskanal mehrstufiger Redistributionskanal einstufiger Rückstandszyklus mehrstufiger Rückstandszyklus einstufiger Beseitigungskanal mehrstufiger Beseitigungskanal
Abb. 2.31. System der Entsorgungslogistik (Quelle: in Anlehnung an Stölzle 1993, S. 195.)
Der Bereich der Rücknahmelogistik bezieht sich jedoch nicht nur auf Recycling- oder Pfandsysteme, sondern in diesem Zusammenhang sind auch Rückgaben der Konsumenten von Relevanz, die aus anderen Gründen erfolgen, z.B. aus Nichtgefallen oder auf Grund von Produktfehlern. Relevante Objekte der Redistribution des Handels sind somit z.B. (Liebmann/Zentes 2001, S. 660; Hughes 2003, S. 31 f.): x Produkte, welche die Kunden in ungebrauchtem Zustand zurückgeben (z.B. Anprobeartikel von Versandhandelsunternehmen) x Altprodukte, welche von den Konsumenten bereits gebraucht wurden x Verpackungen in Form von Einweg- und Mehrwegverpackungen x mängelbehaftete Produkte, die von den Kunden im Rahmen von Garantieprozessen zurückgegeben werden x beschädigte oder falsch gelieferte Produkte, die an den Hersteller zurückgeführt werden x nicht verkaufte Produkte (z.B. auf Grund von Überbeständen, Saisonablauf, Überschreitung des Haltbarkeitsdatums o.Ä.), die zurück an die Hersteller zur Verwertung oder zur Entsorgung geführt werden.
2.4 Grundstrukturen und Komponenten von Logistiksystemen
113
Bezogen auf die unterschiedlichen Verpackungssysteme gilt, dass bei nicht-standardisierten, hersteller-spezifischen Verpackungen (z.B. spezifische Mehrwertverpackungen oder Transportbehälter der Hersteller) der Redistributionskanal in der Regel dem Distributionskanal mit rückwärtsgerichtetem Warenfluss entspricht. Bei standardisierten Mehrwegverpackungen (z.B. Cheb-Paletten) können auch über Kooperationslösungen (z.B. Pooling-Systeme) Systeme geschaffen werden, bei denen die Bereitstellung der Verpackung an die Hersteller durch zentrale Stellen erfolgt und die Rücknahme durch die Handelsunternehmen organisiert wird (Liebmann/Zentes 2001, S. 660; Specht 1998, S. 309). Auch im Rahmen der Rückführung von Einwegverpackungen haben sich Kooperationssysteme herausgebildet, z.B. das Duale System Deutschland (DSD), durch das die Rücknahme von Verpackungen, die mit dem „Grünen Punkt“ gekennzeichnet sind, koordiniert bzw. übernommen wird (Kroon/Vrijens 1995). Im Rahmen der Redistributionslogistik von Waren, die durch den Handel zurückgenommen werden bzw. werden müssen oder an die Hersteller zurückgeführt werden, steht nicht nur die Abwicklung der damit verbundenen logistischen Prozesse im Vordergrund, sondern auch die Frage nach der Art der Wieder- oder Weiterverwertung der Produkte ist zu lösen, da sie einen wesentlichen Einfluss auf die erforderlichen logistischen Prozesse ausübt. Die Verwendungs- oder Verwertungsmöglichkeiten von zurückgegebenen bzw. zurückgenommenen Produkten oder nicht verkauften Produkten sind dabei vielfältig. 2.4.2
Komponenten von Logistiksystemen
2.4.2.1 Auftragsabwicklungssysteme Die besondere Bedeutung der Auftragsabwicklung ergibt sich daraus, dass Aufträge die Grundlage des Informationsflusses in Logistiksystemen bilden. Sie stellen „Informationsquellen“ für alle Bereiche bzw. alle Komponenten oder Punkte in der Supply-Chain dar. Man unterscheidet dabei externe Aufträge, welche die Verbindung des Logistiksystems des Handelsunternehmens mit den Partnern in der Supply-Chain bilden (z.B. Kundenaufträge), und interne Aufträge, die der Verbindung zwischen den unternehmensinternen Subsystemen der Supply-Chain dienen.59
59
„Externe Aufträge“ sind z.B. Bestellungen von Kunden. Als „externe Aufträge“ können auch im Rahmen von VMI-Systemen auf der Basis von Abverkaufsdaten generierte Bestellungen angesehen werden.
114
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
Die Auftragsabwicklung dient der Koordination und Steuerung des Warenstroms und der damit in Verbindung stehenden logistischen Prozesse (Filz 1993, S. 69 ff.). Die wesentlichen Aufgaben der Auftragsabwicklung bestehen dabei in der Aufnahme, Aufbereitung, Umsetzung, Weitergabe und Dokumentation von Auftragsdaten sowie der Information und Kommunikation zwischen den im Rahmen der Supply-Chain beteiligten internetn und externen Akteure (Vastag/Schürholz 2004). Die Funktionen der Auftragsübermittlung bestehen somit v.a. in der Gewährleistung des Informationsflusses bezogen auf den Warenfluss.60 Dabei sind die dem Warenfluss vorauseilenden, die den Warenfluss begleitenden und die dem Warenfluss nachfolgenden Informationen zu unterscheiden (Pfohl 2004, S. 81 f.): x Bezogen auf die dem Warenfluss vorauseilenden Informationen dient die Auftragsabwicklung insbesondere der rechtzeitigen Information aller am Warenfluss beteiligten Stellen (unternehmensintern und unternehmensextern) über das Eintreffen der Ware. Diese Informationen sind z.B. zur Gewährleistung des erforderlichen Planungs- und Dispositionsspielraums und der optimalen Realisierung des Warenflusses erforderlich. x Im Rahmen der Auftragsabwicklung werden weiterhin den Warenfluss begleitende Informationen vermittelt. Dies erfolgt zur Versorgung der beteiligten Akteure mit Informationen, die zur operativen Ausführung der Logistikprozesse, so insbesondere der Transport-, Lager- und Umschlagsaktivitäten, erforderlich sind. x Nachdem die Realisierung der Warenströme erfolgt ist, werden im Rahmen der Auftragsabwicklung Informationen vermittelt, die z.B. relevant für die Fakturierung sind oder den Stand und die Qualität der Auftragsabwicklung bzw. -durchführung betreffen. Solche Informationen sind insbesondere für Controlling- oder Performance-MeasurementProzesse von Bedeutung. Exemplarisch kann die Auftragsabwicklung anhand der folgenden Beispiele erläutert werden (Toporowski 1996, S. 21): x Unterstellt man, dass die Filialen von einem Zentrallager beliefert werden, so läuft der Auftragsabwicklungsprozess etwa dem folgenden Schema entsprechend ab. Die Filiale bestellt die Ware im Zentrallager, indem ein Auftrag an das Zentrallager übermittelt wird. Der Bestellauf60
Die Auftragsabwicklung wird deshalb auch als Bestandteil der Logistikinformationssysteme angesehen (Coyle/Bardi/Langley 1988, S. 490; Bowersox/Closs 1996, S. 38). Vgl. zur Auftragsabwicklung ausführlich Kapitel 3.
2.4 Grundstrukturen und Komponenten von Logistiksystemen
115
trag wird im Zentrallager aufbereitet und in einem Kommissionierauftrag umgesetzt. Anhand des Kommissionierauftrags wird die Kommissionierung gesteuert. Ist der Kommissioniervorgang abgeschlossen und die Ware für den Versand vorbereitet, werden die Transportinformationen im Versandauftrag zusammengefasst und der Transport ausgelöst. x Bei einer mehrstufigen Lagerstruktur der Handelsunternehmen läuft die Auftragsabwicklung zwischen den regionalen Auslieferungslägern und dem Zentrallager in ähnlicher Form ab. Die Grundlage der Bestellmenge der Regionalläger können die aggregierten Aufträge der ihnen zugeordneten Filialen oder bei neueren Verfahren wie Continuous Replenishment die Abverkäufe in diesen Filialen bilden. Die gleiche Abwicklung gilt für die Bestellung bei den Herstellern. Parallel zu der Warenlieferung durch den Hersteller wird die Fakturierung vorgenommen. 2.4.2.2 Lagersysteme Einen der wichtigsten Bestandteile im Logistiksystem stellen Läger dar. Unter einem Lager versteht man dabei „Knoten“ im logistischen Netz, also „Speicherorte“, an denen die Ware zeitweise festgehalten wird oder auf einen anderen Weg der Supply-Chain übergeleitet wird (Schulte 1997, S. 477). Entsprechend können Läger sowohl Liefer- und Empfangspunkte als auch Auflösungs- oder Konzentrationspunkte im logistischen System darstellen, denn in den Lägern laufen sowohl Bewegungsprozesse (in Form von Umschlags- oder Transportprozessen) als auch Lager- bzw. Speicherprozesse ab. Entsprechend kann man die Lagerfunktionen in die folgenden Aufgabenbereiche einteilen (Appelt 1997, S. 477): x Überbrückungsaufgabe: Überbrückung von zeitlichen und räumlichen Asynchronitäten. x Bereitstellungsaufgabe: Bereitstellung der erforderlichen Waren zur richtigen Zeit, Menge und Qualität. x Sicherheitsaufgabe: Überbrückung unbekannter stochastischer Asynchronitäten. x Anpassungs-/Umschlagsaufgabe: Umschlag bzw. Umformung eingehender Mengen bzw. Sortimente in weiterleitungsgerechte Mengen. x Steuerungsaufgabe: Lagerinhalt steuert die angeschlossenen Prozesse. x Spekulationsaufgabe: Versuch der Ausnutzung von Wertsteigerungen, die sich im Zeitablauf ergeben können. Die Entscheidungen, die im Rahmen des Lagermanagements zu treffen sind, beziehen sich auf (Toporowski 1996, S. 24):
116
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
x die Lagerstruktur, also auf die Anzahl der Lagerstufen, die Anzahl und Standorte der Läger auf den unterschiedlichen Lagerstufen sowie die Ausgestaltung der Beziehungen zwischen den einzelnen Lägern der unterschiedlichen Stufen und die Zuordnung der Läger zu den einzelnen Liefer- und Empfangspunkten x die Lagerausstattung, also die technische Ausstattung der Läger, z.B. hinsichtlich der Regalsysteme, der innerbetrieblichen Fördermittel u.Ä. x die Lagerprozesse, also die Lager-, Transport- und Umschlagsprozesse, die im Rahmen der Läger realisiert werden. Lagerstruktur Die wesentlichen Entscheidungen, die hinsichtlich der Lagerstruktur zu treffen sind, beziehen sich auf die vertikale Lagerstruktur, also die Anzahl der Lagerstufen, sowie auf die horizontale Lagerstruktur, d.h. die Anzahl der Läger auf den jeweiligen Stufen. Dabei sind auch Standortentscheidungen sowie Entscheidungen hinsichtlich der Verbindungen zwischen den unterschiedlichen Lägern und den Filialen zu treffen. Um diese Entscheidungsbereiche näher analysieren zu können, ist zunächst die Abgrenzung unterschiedlicher Lagerformen notwendig. Legt man zunächst eine funktionale Untergliederung zu Grunde, bei der insbesondere die Prozesse, die im Lager durchgeführt werden (Bewegungs- und Lagerprozesse), die Basis der Eingliederung bilden, so kann man die Lagerarten grundsätzlich in Vorratsläger, Umschlagsläger und Verteilungsläger systematisieren (Schulte 1997, S. 478 f.; Klaus 1996, Sp. 1013 ff.): x Vorratsläger: In Vorratslägern dominieren die Lagerprozesse gegenüber den Bewegungsprozessen. Sie dienen vornehmlich der Bevorratung mit Ware. Hierzu zählen z.B. die Distributions- bzw. Absatzläger des Handels. x Umschlagsläger/Transitläger („Transit-Terminals“): Die Umschlagsbzw. Transitläger werden auch als Durchgangsläger bezeichnet. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass sie nur kurzfristig Ware aufnehmen, nämlich zwischen dem Umschlag von einem Transportmittel zum nächsten Transportmittel. Umschlagsläger stellen je nach Funktion Konsolidierungs- („Bündelung“) und/oder Auflösungspunkte („Aufteilung“) im logistischen System dar. Entsprechend dominieren somit Bewegungsprozesse. Die Lagerfunktion ist demgegenüber von geringerer Bedeutung und kann im Extremfall auf Umschlagflächen minimiert werden. Die Standorte von Transit-Terminals werden auf Grund ihrer Bedeutung als Umschlagsorte zumeist stark „transportorientiert“ ausgewählt. Bei der Ausgestaltung der Läger spielt zudem die Erreichung ei-
2.4 Grundstrukturen und Komponenten von Logistiksystemen
117
ner hohen Umschlagsgeschwindigkeit eine besondere Rolle. Umschlagsläger gewinnen im Handel zunehmend vor dem Hintergrund der steigenden Bedeutung von Cross-Docking-Prozessen an Relevanz. x Verteilungsläger: In Verteilungslägern wird eine Veränderung des Warenflusses hinsichtlich seiner Zusammensetzung vorgenommen. Es handelt sich um Auflösungspunkte im logistischen System. Lager- und Bewegungsprozesse sind deshalb etwa gleichbedeutend. Die Zielsetzung im Rahmen der Ausgestaltung von Verteilungslägern liegt insbesondere in der Erreichung einer hohen Leistungsfähigkeit im Rahmen der Umstrukturierungsprozesse des Warenflusses (z.B. bei der Kommissionierung für die Filialen). Bezogen auf die vertikale Struktur wird hinsichtlich der unterschiedlichen Lagerstufen im Rahmen der Lagerstruktur von Handelsunternehmen insbesondere zwischen Filiallägern, Regionallägern und Zentrallägern differenziert. Filialläger sind jeweils einer einzelnen Filiale zugeordnet, während Regionalläger mehreren Filialen einer Region zugeordnet werden. In Regionallägern wird dabei z.T. nicht das gesamte Sortiment des Handelsunternehmens, sondern oftmals lediglich ein Teil bzw. Ausschnitt des Gesamtsortiments vorgehalten. Zentralläger hingegen repräsentieren in der Regel die gesamte Sortimentsbreite des Handelsunternehmens. Die Ware wird dabei im Zentrallager für alle Filialen gebündelt. Wenngleich er oftmals nicht explizit als eigenständige Lagerstufe aufgefasst wird, kann zudem auch der einzelne Verkaufsraum der Filialen als „Lager“ interpretiert werden. Die Regalplätze in den Outlets des Handels können somit auch als „Lagerflächen“ – quasi auf der untersten Ebene der Lagerstufen – angesehen werden. In Abb. 2.32 und Abb. 2.33. sind die relevanten Alternativen der Lagerstruktur filialisierter Einzelhandelsunternehmen überblicksartig dargestellt. Werden Lagerstrukturen mit Zentrallager gewählt, so ist die Schnittstelle zu den Herstellern auf dieser Ebene angesiedelt. Wird kein Zentrallager errichtet, unterscheiden sich die Schnittstellen zu den Herstellern dahingehend, dass entweder auf der Regionallager-, der Filiallager- oder der Verkaufraumebene die Schnittstelle zum Hersteller besteht. Dabei wird im Rahmen der Lagerstrukturgestaltung nicht die Ausgestaltung dieser Schnittstelle bestimmt, sondern die Festlegung, welcher der Akteure die Verantwortung für die Warenflussgestaltung bzw. deren Koordination und welcher der Akteure die tatsächliche Durchführung der Logistikprozesse übernimmt, d.h., ob die Zuständigkeit beim Hersteller oder beim Handel liegt, ist somit zunächst unabhängig von der Lagerstruktur.
118
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
RL
Lieferanten
Lieferanten
ZL
ZL
RL
RL
FL
FL
FL
VR
VR Lagerstruktur 1
VR
FL VR
RL
VR
RL
VR Lagerstruktur 2
Lieferanten
Lieferanten
ZL
ZL
FL
RL
VR
FL
VR VR Lagerstruktur 3 ZL: Zentrallager RL: Regionallager
VR
VR VR Lagerstruktur 4 FL: Filiallager VR: Verkaufsraum
Abb. 2.32. Unterschiedliche Lagerstrukturen eines filialisierten Handelsunternehmens mit Zentrallager (Quelle: Toporowski 1996, S. 50.)
Grundsätzlich sind somit Entscheidungen darüber zu treffen, ob und wie viele Läger auf der jeweiligen Stufe (Filial-, Regional-, Zentralläger) vorgehalten werden sollen. Im Vordergrund steht dabei somit zum einen die Grundsatzentscheidung darüber, ob die Schnittstelle zum Hersteller im Rahmen einer Anlieferung von Lägern erfolgen soll, oder ob auf Zwischenstufen der Lagerhaltung verzichtet und eine Direktbelieferung der Filialen vorgenommen werden soll („direct store delivery“). Die zweite Grundsatzfragestellung besteht in Entscheidungen darüber, ob – wenn Lagerstufen vorgesehen sind – eine zentrale oder eine dezentrale Lagerhaltung erfolgen soll.
2.4 Grundstrukturen und Komponenten von Logistiksystemen
Lieferanten
RL
RL
Lieferanten
RL
FL
FL
FL
VR
VR Lagerstruktur 5
VR
RL
VR
Lieferanten
FL VR
FL
VR Lagerstruktur 7 RL: Regionallager
119
RL
VR Lagerstruktur 6
RL
VR
Lieferanten
FL VR
VR FL: Filiallager
VR VR Lagerstruktur 8 VR: Verkaufsraum
Abb. 2.33. Unterschiedliche Lagerstrukturen eines filialisierten Handelsunternehmens ohne Zentrallager (Quelle: Toporowski 1996, S. 50.)
Auf die Entscheidungen hinsichtlich der Wahl der Lagerstruktur haben dabei insbesondere die folgenden Determinanten einen Einfluss (MüllerHagedorn 1998, S. 511 ff.): x Logistikkosten: allgemeine Lagerkosten: Von Bedeutung sind zum einen allgemeine Lagerkosten wie Personalkosten oder Raumkosten, dabei insbesondere Miete u.Ä., die v.a. in Innenstadtlagen (z.B. bei Innenstadtfilialen) besonders hoch sein können, sodass eine Lagerhaltung vor Ort in den Filialen mit erheblichen Kosten verbunden sein kann. Bestandskosten: Weiterhin relevant sind die Bestandskosten, die im Rahmen der Lagerhaltung entstehen, also insbesondere Kosten der Kapitalbindung. Transportkosten: Einen wesentlichen Kostenfaktor stellen die Transportkosten dar. Hierbei stehen v.a. die auf Grund der Lagerstruktur entstehenden Transportwege im Vordergrund, die einen wesentlichen Einfluss auf die Transportkosten haben, also z.B. Transportwege zu den Filialen, zwischen den unterschiedlichen Lagerstufen oder auch lagerinterne Transportwege.
120
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
Handlingkosten: Eine weitere relevante Kostendimension stellen die Handlingkosten dar, also Kosten, die z.B. im Zusammenhang mit Umschlagprozessen in den Lägern entstehen (z.B. bei der Kommissionierung oder bei Verpackungsprozessen). Steuerungs- und Koordinationskosten: Von Relevanz sind zudem die Steuerungskosten. Sie steigen tendenziell mit der Anzahl der Läger, da der Koordinationsaufwand tendenziell mit steigender Anzahl von Lagerstufen und von einzelnen Lägern auf den Stufen erhöht wird. x Zeit: Im Rahmen von Logistikprozessen steht neben Kostenaspekten auch die Zeit als Zielgröße im Vordergrund, so Liefer- bzw. Transportzeiten, Wartezeiten, aber auch die zeitliche Flexibilität. x Quantität: Quantitätsfragestellungen beziehen sich v.a. auf die Lagerkapazitäten, die auf den einzelnen Stufen vorgehalten werden. x Qualität: In diesem Zusammenhang ist insbesondere die Qualität der Abwicklung der logistischen Aufgaben bzw. eventueller Warenmanipulationen von Bedeutung. In Abb. 2.34. ist die Bedeutung der Entscheidungen hinsichtlich zentraler versus dezentraler Lösungen im Rahmen der Lagerhaltung des Handels für die unterschiedlichen Zielgrößen im Rahmen der Logistik dargestellt. Dabei werden Filial-, Regional- und Zentralläger einander gegenübergestellt. In engem Zusammenhang mit diesen Zielgrößen zu sehen sind die wesentlichen Einflussgrößen auf die Lagerstruktur. Die wichtigsten Faktoren stellen in diesem Zusammenhang die Standortstruktur und die Sortimentsstruktur der Handelsunternehmen dar.61 Die Standortstruktur bzw. die Filialstruktur des Handelsunternehmens bestimmt insbesondere die Anzahl der Empfangspunkte auf der Ebene der Outlets, die im Rahmen des Logistiksystems zu beliefern sind. In diesem Zusammenhang sind somit bei der Bestimmung der Lagerstruktur einerseits die Anzahl der Filialen des Handelsunternehmens und weiterhin die räumliche Ausdehnung bzw. die geografische Verteilung dieser Filialen zu beachten. Daneben sind auch die Standorte der Filialen selber von Relevanz. So sind Filialen „auf der Grünen Wiese“ i.d.R. wesentlich flexibler, was Belieferungszeiten und die räumliche Kapazität von Laderampen betrifft, wohingegen in Innenstadtlagen nicht nur die Raumkosten, die bei einer dezentralen Lagerhaltung in den Filialen auftreten, i.Allg. wesentlich höher sind, sondern auch die Flexibilität hinsichtlich der Belieferungszei61
Zu einem ausführlichen Überblick über die Einflussfaktoren auf die Lagerstruktur vgl. Toporowski 1996, S. 52 ff.; Pfohl 2004, S. 125 ff.; Müller-Hagedorn 1998, S. 509 ff.; Bowersox/Closs 1996, S. 501 ff.
2.4 Grundstrukturen und Komponenten von Logistiksystemen
121
ten ist in der Regel auf bestimmte, oft fest geregelte Zeiten begrenzt und auch die räumliche Belieferungskapazität ist oftmals begrenzt (Seifert 1992, S. 92). Filialläger
Regionalläger
Zentrallager
Lagerkosten
• Filiallager notwendig (hohe Mieten im Standzentrum) (-) • keine weiteren Lagerstufen (+) • kein ausgebildetes Lagerpersonal (-) • einfache Lagertechnik (-)
• kein Filiallager erforderlich (+) • geringerer Flächenbedarf (+) • Bündelung von Lagertätigkeiten in größeren Einheiten möglich (+) • besser ausgebildetes Personal; bessere Lagertechnik (+)
• kein Filiallager erforderlich (+) • minimaler Flächenbedarf • Bündelung von Lagertätigkeiten im Zentrallager (+) • besser ausgebildetes Personal, bessere Lagertechnik (+) • ein einziger Lagerort (+)
Bestandskosten
• hohe Bestände bei Mindestbestellmengen (-) • Sicherheitsbestände an verschiedenen Orten (-)
• Sicherheitsbestände an verschiedenen Orten (-)
• gesamter Sicherheitsbestand an einem Ort (+)
Transportkosten
• kürzere Transportstrecken zwischen Lieferant und Filiale (Direkttransport) (+) • große Zahl von kleineren Transportmengen (-)
• Bündelung von Transportströmen möglich (Strecke Lieferant-Lager: Ware für mehrere Filialen; Strecke Lager-Filiale: Ware verschiedener Lieferanten für eine Filiale (+) • längere Transportstrecken zwischen Lieferant und Filiale (indirekter Weg über Regionallager) (-)
• Bündelung von Transportströmen möglich (Strecke Lieferant-ZLager: Ware für alle Filialen; Strecke ZLagerFiliale: Waren verschiedener Lieferanten für eine Filiale) (+) • längere Transportstrecken zwischen Lieferant und Filiale (indirekter Weg über Zentrallager) (-)
Handlingkosten
• keine zusätzlichen Umschlagtätigkeiten (Ein- und Auslagern, Kommissionieren, Verpacken) (+)
• Umschlagtätigkeiten im Lager erforderlich (-)
• Umschlagtätigkeiten im ZLager erforderlich (-)
Zeit
• längere Zeiträume zwischen zwei (festen) Lieferterminen (-) • geringe zeitliche Flexibilität (-)
• auf Grund der größeren Bestellmengen (mehrere Filialen) kann der Lieferrhythmus im RL verkürzt werden (+) • größere zeitliche Flexibilität (+)
• auf Grund der großen Bestellmengen (alle Filialen) ist ein kurzer Lieferrhythmus im ZL möglich (+) • größere zeitliche Flexibilität (+)
Quantität
• geringer Spielraum für Zwischendispositionen (-)
• größerer Spielraum für Zwischendispositionen (+)
• größter Spielraum für Zwischendispositionen (+)
Qualität
• keine Zwischenstufen, auf denen Warenmanipulationen erforderlich sind (+) • hohe Belastung mit logistischen Tätigkeiten in den Filialen (-)
• Warenmanipulation im Regionallager erforderlich (-) • Entlastung der Filiale von logistischen Tätigkeiten (+)
• Warenmanipulation im Zentrallager erforderlich (-) • Entlastung der Filiale von logistischen Tätigkeiten (+) • filialgerechte Warenmanipulation an einem zentralen Ort (+)
Abb. 2.34. Vergleich von zentralen und dezentralen Lösungen der Lagerhaltung (Quelle: Müller-Hagedorn 1998, S. 512 f.)
Besonders hohe Bedeutung für die Ausgestaltung der Lagerstruktur hat weiterhin die Sortimentsstruktur des Handelsunternehmens. Zunächst ist dabei der Sortimentsumfang bzw. das Gesamtsortiment des Handelsunternehmens von Bedeutung. Bei einem großen Sortimentsumfang besteht oftmals die Tendenz zur Zentrallagerhaltung, da in diesem Fall Sicherheitsbestände nur einmal zentral vorgehalten werden müssen. Dadurch sind (in der Regel) in der Summe niedrigere Bestände ausreichend, sodass die Kapitalbindungskosten insgesamt durch die Zentrallagerhaltung reduziert werden können. Ähnliche Überlegungen wie für ein besonders umfangreiches Sortiment gelten auch für besonders hochwertige bzw. teure Waren. Auch in diesem Fall können die Kapitalbindungskosten durch die Zentrallagerhaltung tendenziell reduziert werden (Toporowski 1996, S. 53). Relevant ist neben dem Gesamtsortimentsumfang auch der Grad der Überschneidungen zwischen den Sortimenten der einzelnen Filialen. Je
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2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
stärker die Sortimentssteuerung durch die Zentrale des Handelsunternehmens ist, umso homogener sind in der Regel die Sortimente der einzelnen Filialen. Mit steigender Homogenität im Rahmen der Sortimente steigen wiederum die potenziell durch Zentrallagerhaltung realisierbaren Konsolidierungseffekte. Einen wesentlichen Einfluss hat weiterhin die Beschaffenheit der Ware. Zum Beispiel wird Frischware häufig lokal beschafft. Insbesondere auf Grund der hohen Bedeutung der „Transportzeit“ bei Frischware kann diesbezüglich oftmals eine Direktbelieferung der Filialen oder eine Regionallagerhaltung die sinnvollere Alternative darstellen. Neben direkt sortimentsbezogenen Aspekten haben auch beschaffungsmarktbezogene Dimensionen einen Einfluss auf die Lagerstruktur, insbesondere auf die Zusammensetzung der Warenströme und die räumliche Verteilung der Lieferpunkte. Deren Anzahl hängt z.B. von der Zahl der Lieferanten oder den Produktions- und Lagerstandorten der Hersteller ab. Als weiterer Einflussfaktor ist zudem die Nachfrage in den Filialen von Bedeutung. Sie bestimmt insbesondere die mengenmäßigen und zeitlichen Dimensionen der Warenströme. Weitere Einflussfaktoren auf die Lagerstruktur bestehen in externen Rahmenbedingungen. Neue Technologien im Bereich der Lagertechnik oder der Informations- und Kommunikationstechnologie ermöglichen z.B. Automatisierungen oder Optimierungen der Lagerprozesse. Dadurch können die mit der Lagerhaltung verbundenen Kosten reduziert werden und auch im Rahmen der Lagerstrukturgestaltung können – z.B. durch innovative Vernetzungsmöglichkeiten – neue Systeme umgesetzt werden. Von besonderer Relevanz sind zudem verkehrsinfrastrukturelle Faktoren, welche die Transportbedingungen wesentlich beeinflussen (z.B. die Autobahn-, Schienen- oder Wasserstraßenanbindung). Auch Bedingungen, die sich aus politisch-rechtlichen Strukturen und Anforderungen ergeben, so z.B. aus umweltpolitischen Gesichtspunkten (z.B. die Diskussion „Straße vs. Schiene“) oder aus steuerlichen bzw. Abgaben- und Gebührenkonstellationen (z.B. Maut), üben einen Einfluss auf die Lagerstrukturgestaltung aus. Dadurch werden z.B. die Transportkosten wesentlich beeinflusst, was wiederum eng mit der Lagerstandortgestaltung zusammenhängt. Weiterhin können auch Förderbedingungen und ansiedelungsrechtliche Einflüsse diese – fördernd oder hemmend – beeinflussen. Als wesentliche Grundfragestellung, die hinsichtlich der Ausgestaltung der Lagerstruktur zu beantworten ist, wurde die Problemstellung skizziert, die in der Festlegung besteht, ob ein Verzicht auf zwischengeschaltete Lagerstufen erfolgen und damit eine Direktbelieferung der Filialen vorgenommen werden soll. Anhand der unterschiedlichen Einflussfaktoren können als Argumente, die für ein System des „direct store delivery“ durch
2.4 Grundstrukturen und Komponenten von Logistiksystemen
123
den Hersteller sprechen, angeführt werden (Liebmann/Zentes 2001, S. 637; Laurent 1996, S. 206): x x x x x x x
niedrige geografische Dichte der Filialen breites und tiefes Produktprogramm des jeweiligen Herstellers hohe Bestell- und Warenvolumina je Lieferung hoher Warenwert hohe Transportempfindlichkeit der Ware hohe bzw. schnelle Verderblichkeit der Ware Durchführung von Sortiments-, Präsentations- und Merchandisingaktivitäten am Point-of-Sale durch den jeweiligen Hersteller.
Die Direktbelieferung ist jedoch auch mit unterschiedlichen Nachteilen verbunden, so u.a. (Liebmann/Zentes 2001, S. 638; GEA 1994, S. 28 f.): x Zentral- oder Regionalläger führen dazu, dass die Anzahl der Transportrelationen zwischen Quelle und Senke gegenüber einer Direktbelieferung z.T. erheblich reduziert wird. x Regionalläger ermöglichen i.d.R. eine bessere Transportbündelung als die Läger individueller Hersteller. x Der Warenfluss über Regional- oder Zentralläger findet meist mit Komplettladungen statt, was Kosteneinsparungen gegenüber dem Stückgutverkehr ermöglicht. x In den Filialen kann auf Grund der hohen Frequenz der Belieferung über ein zentrales Lager zumeist ein geringerer Bestand (insbesondere ein geringerer Sicherheitsbestand) gehalten werden, ohne dass zusätzliche Belieferungskosten entstehen. Insbesondere handelseigene Läger ermöglichen dabei die Reduktion der Pufferläger in den Filialen, da Bestände im eigenen Lager verlässlicher geprüft bzw. kontrolliert werden können und häufigere Belieferungen der Filialen durchgeführt werden. Als wesentliche Entwicklung hat sich in den letzten Jahren in der Logistik des Handels die Tendenz der Zentralisierung gezeigt. Es wurden von vielen Handelsunternehmen Zentralläger aufgebaut, in denen die Warenströme gebündelt werden (Seifert 1999, S. 92). Lagerausstattung Hinsichtlich der Lagerausstattung sind Entscheidungen darüber zu treffen, welche technischen Ausstattungen in den jeweiligen Lägern eingesetzt werden sollen. Das erforderliche Lager-Equipment und auch die Anordnung der Läger ist insbesondere von der Art und Beschaffenheit der zu lagernden Waren abhängig; so stellen z.B. Frischeprodukte oder Tiefkühl-
124
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
ware völlig andere Anforderungen als Gartenbedarf oder Möbel. Die Lagerausstattung bezieht sich dabei insbesondere auf (Jünemann/Schmidt 2000, S. 41 ff.; Martin 1999):62 x Lagergebäude (z.B. Freiläger, Flachläger, Etagenläger oder Hochregalläger) x Lagergestelle (z.B. Fachbodenregale, Palettenregale, Einfahrregale, Kompaktregale, Hochregale) x innerbetriebliche Transportmittel/Bediengeräte zum Ein-, Aus- und Umlagern (z.B. Gabelstapler, Förderbänder, fahrerlose Transportfahrzeuge, spezielle Regalbediengeräte). Die Entscheidungen hinsichtlich der Lagerausstattung dienen oftmals auch der Lagerautomatisierung. Dabei ist es das Ziel, durch den Einsatz innovativer Lagertechnologien und -systeme den Automatisierungsgrad zu erhöhen, die Effizienz der Lagerprozesse zu verbessern und die Durchlaufzeiten zu erhöhen. Innovative Systeme im Rahmen der Lagerausstattung sind dabei insbesondere Systeme zur automatischen Behältersteuerung, zur automatischen Sortierung der Verbrauchseinheiten, Kommissionierautomaten oder Systeme der Roboter-Lagerlogistik (Kotzab 1997, S. 119; Liebmann/Zentes 2001, S. 642 f.). Lagerprozesse Die Aufgaben, die im Lager zu erfüllen sind, und damit die erforderlichen Lagerprozesse, die zu realisieren sind, lassen sich aus den unterschiedlichen Lagerbereichen ableiten. Die wichtigsten Bereiche im Lager (s. Abb. 2.35.) sind dabei (Pfohl 2004, S. 130 ff.): x Wareneingang: In diesem Bereich erfolgen die Warenannahme und die Vorbereitung der Ware zur Lagerung. x Einheitenlager: Im Einheitenlager werden Waren gelagert, die in derselben Einheit (z.B. Palettenlager) eingelagert, gelagert und ausgelagert werden, ohne dass eine „Aufsplittung“, Zusammenfassung oder ein Umpacken der Einheiten erfolgt. x Kommissionierungslager/Sortierlager: In diesem Bereich erfolgt die Kommissionierung von Ware, die in bestimmte Einheiten für die Weiterleitung umgruppiert werden muss. Die Lagerzeit ist aus diesem
62
Auf die IT-technische Unterstützung der Lagerprozesse, die ebenfalls zur Lagerausstattung gezählt werden kann, wird im Rahmen von Kapitel 3 eingegangen.
2.4 Grundstrukturen und Komponenten von Logistiksystemen
125
Grund i.d.R. sehr kurz. Kommissionierläger werden deshalb auch als „Greifläger“ oder „Arbeitsläger“ bezeichnet. x Packerei: Im Lagerbereich der Packerei wird die Zusammenstellung der kommissionierten Aufträge zu versandfertigen Einheiten vorgenommen. x Warenausgang: Im Warenausgang erfolgt die Warenabgabe zum Transport an die jeweiligen Empfänger (z.B. weitere Lagerstufen oder die Filialen). Wie bereits dargestellt, lassen sich in die Lagerprozesse grundsätzlich in Bewegungs- (bzw. Transport- und Umschlagsprozesse) und Speicherprozesse (also Lagerungsprozesse) einteilen. Von hoher Bedeutung im Lagerbereich sind, da es sich bei Handelslägern in der Regel nicht um reine Vorratsläger handelt, als Umschlagsprozesse die Kommissionierung und das Cross-Docking.63 außerbetrieblicher Transport Lager
Lagerverwaltung
Wareneingang
Einheitenlager
Kommissionierungslager
Packerei Warenausgang
außerbetrieblicher Transport
innerbetrieblicher Transport
Abb. 2.35. Lagerbereiche (Quelle: in Anlehnung an Pfohl 2004, S. 130.)
63
Zu den weiterhin relevanten Lagerprozessen zählen die Transportprozesse und die Verpackung.
126
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
Kommissionierung Unter Kommissionierung wird allgemein die Zusammenstellung von Waren aus dem Artikelsortiment nach vorgegebenen Aufträgen verstanden (Specht 1998, S. 91). Die Hauptleistungsinhalte der Kommissionierung kann man dabei einteilen in (Gudehus 2004, C 2-62): x Vorleistungen: Vorleistungen dienen der Vorbereitung bzw. der Unterstützung der Kommissionieraufgaben. Hierzu zählen z.B. die Vorbereitung der Aufträge, die Bereitstellung des Artikelsortiments, die Beschickung der Bereitstellplätze, die Nachschubversorgung mit Reserveeinheiten, die Lagerung von Reserveeinheiten oder die Disposition von Nachschub und Beständen. x Grundleistungen: Die eigentlichen Kernleistungen der Kommissionierung liegen in den „Pickvorgängen“ bzw. „Greifvorgängen“ zur Zusammenstellung der Kommissioniereinheiten, so insbesondere in der Entnahme der Artikelmengen und der Befüllung der Versandeinheiten sowie der Zusammenstellung der Auftragsmengen. x Zusatzleistungen: Zusätzlich zu den eigentlichen Kommissionieraufgagen, die sich lediglich auf die Zusammenstellung beziehen, können weitere Aufgaben übernommen werden, wie Preisauszeichnungen, Etikettierungen oder die Kennzeichnung der Versandeinheiten. Im Rahmen der Kommissionierung unterscheidet man hinsichtlich der Entnahmeeinheiten bzw. der Einheiten der Zusammenstellung wiederum unterschiedliche Arten, so zunächst die Grobkommissionierung, bei der z.B. Großpackstücke oder Ganzpaletten die Kommissioniereinheiten darstellen. Sie wird auch als Ladungszusammenstellung bezeichnet. Die Packungskommissionierung bezieht sich auf Kommissioniervorgänge, bei denen Umverpackungseinheiten oder Verpackungseinheiten die Kommissioniereinheiten darstellen. Im Rahmen der Feinkommissionierung bilden einzelne Verkaufseinheiten bzw. Verbrauchseinheiten die Kommissioniereinheiten. Die unterschiedlichen Kommissioniersysteme unterscheiden sich insbesondere hinsichtlich der Stufigkeit bzw. der Orientierung im Rahmen der Kommissionierung. Weiterhin wird differenziert zwischen statischen („Mann-zu-Ware“) und dynamischen („Ware-zu-Mann“) Kommissioniersystemen. Man unterscheidet darüber hinaus die auftragsorientierte Kommissionierung, bei der die einzelnen Aufträge die Grundlage bilden, anhand derer der Ablauf der Kommissionierung ausgerichtet wird, und die artikelorientierten Kommissioniersysteme, bei denen die Artikel den Aus-
2.4 Grundstrukturen und Komponenten von Logistiksystemen
127
gangspunkt der Kommissionierung bilden (Liebmann/Zentes 2001, S. 644; Seifert 1997, S. 35 f.):64 x Die auftragsorientierte Kommissionierung läuft einstufig ab, indem entweder im Rahmen des „Mann-zu-Ware-Systems“ die Kommissionierer65 sich an den Regalen entlang zu den einzelnen Artikeln begeben und diese in einen kundenspezifischen Auftragsbehälter kommissionieren, oder indem beim „Ware-zu-Mann-Prinzip“ dem Kommissionierer die benötigte Artikelpalette automatisch (über Fördersysteme) an seinem Kommissionierplatz bereitgestellt wird und er die erforderliche Ware entnimmt und sie auf die bereitstehenden Aufträge verteilt. x Bei den artikelorientierten Prinzipien erfolgt die Kommissionierung in einem zweistufigen System. Beim „Mann-zu-Ware-System“ begibt sich der Kommissionierer zu den jeweiligen Artikellagerplätzen und sammelt die für mehrere Aufträge erforderliche Menge der jeweiligen Artikel in einem Sammelbehälter. In einer zweiten Bearbeitungsstufe werden die Einzelstücke dann auf die einzelnen Aufträge verteilt. Im Rahmen des „Ware-zu-Mann-Systems“ wird dem Kommissionierer die Artikelpalette am Kommissionierplatz bereitgestellt. Die Ware wird wiederum arikelbezogen entnommen und in einem zweiten Schritt den einzelnen Aufträgen zugeordnet. Neben diesen grundsätzlichen Formen der Kommissionierung werden zudem unterschiedliche Arten der Kommissionierung hinsichtlich der Umsetzung von Filialaufträgen unterschieden (Schulte 1991, S. 113; Toporowski 1996, S. 27): x Sequenzielle Kommissionierung: Bei der sequenziellen Kommissionierung werden die Aufträge der Filialen nacheinander abgearbeitet. Für jeden Filialauftrag erfolgt somit ein eigener Kommissioniervorgang. x Parallele Kommissionierung: Bei dieser Form der Kommissionierung werden die Filialaufträge in Teilaufträge zerlegt, die parallel bearbeitet
64
65
Als neuere operativ-technische Formen der Kommissionierung sind insbesondere die Verfahren „Pick-by-Light“ und „Pick-by-Voice“ von Bedeutung. Beim „Pick-by-Light“-System wird die Kommissionieranweisung über Lichtsignale gegeben, während beim „Pick-by-Voice” die Kommissioniersysteme sprachgesteuert ablaufen, indem die Pickanweisungen über Kopfhörer gegeben wird und die Bestätigung über Mikrofone erfolgt, sodass die Kommissionierer beide Hände zur Kommissionierung frei haben. Vgl. hierzu auch das Fallbeispiel in Zentes u.a. 2002, S. 257 ff. Bei den „Kommissionierern“ kann es sich grundsätzlich um Personen, aber auch um automatische Kommissioniersysteme handeln (z.B. Roboter).
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2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
werden. Dies reduziert die Durchlaufzeit für die einzelnen Filialaufträge. x Artikelweise Kommissionierung: Hierbei werden Filialaufträge zusammengefasst, indem mit jeder Artikelentnahme simultan mehrere Filialen bedient werden. Dadurch wird die Zahl der Zugriffe auf jeden Lagerplatz deutlich reduziert. Cross-Docking Beim Cross-Docking handelt es sich um ein Verfahren, das auf ein schnelles Umschlagen und bedarfsgerechtes Auflösen von Warensendungen abzielt (Andel 1994, S. 93; Cooke 1994, S. 54). Cross-Docking-Prozesse werden z.B. auf speziellen Flächen in Zentrallägern oder in Warenverteilzentren des Handels umgesetzt. Dabei erfolgt eine zeit- und bedarfsgenaue Kommissionierung, bei der die Ladungen durch das Lager bzw. das Verteilzentrum geleitet werden, ohne dass eine Zwischenlagerung stattfindet (Swoboda/Morschett 2000; Liebmann/Zentes 2001, S. 645). Der Begriff des Cross-Docking ist abgeleitet aus „across the dock“ (Bowersox/Closs 1996, S. 394). Cross-Docking bedeutet somit die konsequente Anwendung des Flussprinzips, indem eine möglichst abverkaufssynchrone Belieferung der Filialen erfolgt. Dadurch können einerseits die Sicherheitsbestände im System und weiterhin auch Redistributionen verringert werden. Zudem werden die Durchlaufzeiten erheblich verkürzt. Dies ist insbesondere von Vorteil, da dadurch die (Sicherheits-) Bestände in den Lägern der Filialen reduziert werden können, denn gerade in den Verkaufsstellen sind die Flächenkosten i.d.R. am höchsten. Zudem sind die vorverteilten Angebotsmengen insbesondere im Lebensmitteleinzelhandel durch Frische- und Verfallsdaten begrenzt, sodass auch aus diesem Grund das Cross-Docking-Prinzip mit einer „Quasi-Just-in-time-Belieferung“ besonders vorteilhaft ist (Ihde 2001, S. 318). Als Formen des Cross-Docking können grundsätzlich drei unterschiedliche Verfahren unterschieden werden (ECR Europe 1996, S. 66; Liebmann/Zentes 2001, S. 645 f.; Swoboda/Morschett 2000):66 1. Cross-Docking ganzer Paletten 2. Cross-Docking einzelner Pakete (Umverpackungen) 3. Cross-Docking vorkommissionierter Paletten. 66
Neben diesen drei Grundformen können zudem weitere Formen des CrossDocking unterschieden werden, vgl. z.B. den Überblick in Kotzab 1997, S. 166 f.
2.4 Grundstrukturen und Komponenten von Logistiksystemen
Filiale I
Filiale II
Filiale III
Filiale IV
129
Filiale V
volle, sortenreine Paletten
Umschlagsplattform
volle, sortenreine Paletten
Lieferant A
Lieferant B
Lieferant C
Lieferant D
Lieferant E
Lieferant F
Abb. 2.36. Cross-Docking ganzer Paletten
Beim Cross-Docking ganzer Paletten werden volle Paletten einzelner Produkte von den Lieferanten empfangen, umgeladen und unverändert zu den Verkaufsstellen weitergeleitet (s. Abb. 2.36.). Diese Form stellt die einfachste Form des Cross-Docking dar. Sie ist jedoch nur für hochvolumige Ware geeignet, da jeweils ganze Paletten die Cross-DockingEinheiten bilden. Filiale I
Filiale II
Filiale III
Filiale IV
Filiale V
gemischte Paletten
Palettenzerlegung und -zusammensetzung
volle, sortenreine Paletten
Lieferant A
Lieferant B
Lieferant C
Lieferant D
Lieferant E
Lieferant F
Abb. 2.37. Cross-Docking einzelner Pakete (Transit-Terminal-Prinzip) (Quelle: in Anlehnung an Swoboda/Morschett 2000, S. 333.)
130
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
Das Cross-Docking einzelner Pakete (Umverpackungen) ist dadurch gekennzeichnet, dass der Hersteller (bzw. der Lieferant) volle, sortenreine Paletten an das Lager bzw. das Verteilzentrum des Handels liefert. Diese Paletten werden zu Filiallieferungen zusammengestellt. Bei dieser CrossDocking-Form erfolgt somit die Zusammenstellung von artikelspezifisch gelieferten Vollpaletten unterschiedlicher Hersteller zu filialspezifischen Sendungen für die einzelnen Verkaufsstellen. Die der Zusammenstellung zu Grunde liegenden Einheiten stellen somit einzelne „Pakete“ der jeweiligen Hersteller dar (s. Abb. 2.37.). Dabei ist es z.T. erforderlich, einzelne Paletten kurzfristig einzulagern, z.B. als Puffer oder bei nicht zeitsynchroner Be- und Auslieferung. Diese Methode wird z.T. nicht als Cross-Docking bezeichnet, sondern als „bestandslose Lagerabwicklung im Transitlager“ (Wild 1999) oder als Transshipment (Zentes/Wittig 2002). Beim Cross-Docking vorkommissionierter Paletten übernimmt der Hersteller bzw. der Lieferant die filialspezifische Kommissionierung der Paletten. Dafür ist es erforderlich, dass der Hersteller den filialgenauen Bedarf kennt. Im Cross-Docking-Lager erfolgt die Bündelung der vorkommissionierten Ware mehrerer Hersteller und die Weiterleitung an die Verkaufsstellen (s. Abb. 2.38.). Als Cross-Docking wird in einer engen Auslegung z.T. nur diese Methode bezeichnet (Wild 1999). Filiale I
Filiale II
Filiale III
Filiale IV
Filiale V
filialspezifisch kommissionierte Paletten
Bündelungsplattform
filialspezifisch kommissionierte Paletten
Lieferant A
Lieferant B
Lieferant C
Lieferant D
Lieferant E
Lieferant F
Abb. 2.38. Cross-Docking vorkommissionierter Paletten
Die Umsetzung von Cross-Docking-Systemen ist auf Grund der hohen Anforderungen, die an die Effizienz und die Genauigkeit der Prozesse gestellt werden, wesentlich komplexer als die Realisierung traditioneller
2.4 Grundstrukturen und Komponenten von Logistiksystemen
131
Distributionssysteme. Insbesondere sind als Voraussetzungen zur Realisierung von Cross-Docking-Systemen u.a. erforderlich (Liebmann/Zentes 2001, S. 646; Kotzab 1997, S. 164 f.; LaLonde/Master 1994, S. 146 f.; Swoboda/Morschett 2000): einheitliche Barcodes und Palettenmarkierungsstandards EDI-Verbindungen zwischen Verteilzentrum, Filialen und Hersteller leistungsfähige Informationssysteme zuverlässige Transporteure, die in der Lage sind, die engen Zeitpläne einzuhalten, die ein solches System erfordert x ausreichend hohe Anzahl von Wareneingangs- und Warenausgangsdocks, um Verzögerungen bei der An- und Auslieferung zu vermeiden x mindestens teilautomatisierte Prozesse im Verteilzentrum, die den Transport innerhalb des Lagers übernehmen (z.B. stetige Fördermittel). x x x x
2.4.2.3 Bestandsmanagement Das Bestandsmanagement bezieht sich auf alle Entscheidungstatbestände, die im Zusammenhang mit der Lagerhaltung stehen. Lagerbestände dienen als Puffer zwischen den Input- und den Output-Strömen der Güter. Sie können an unterschiedlichen Stellen in der Supply-Chain entstehen. Lagerbestände haben unterschiedliche Funktionen in der Supply-Chain. Daraus lassen sich unterschiedliche Gründe ableiten, warum Lagerbestände gehalten werden (Lambert/Stock/Ellram 1998, S. 112 ff.; Toporowski 1996, S. 25; Pfohl 2004, S. 99 f.): x Ausnutzung von Größeneffekten, z.B. beim Einkauf (z.B. Konditionenverbesserungen durch Mengenrabatte) oder beim Transport (z.B. durch günstigere Transportkonditionen oder auf Grund der Möglichkeit zur Transportbündelung) x Ausgleich bei Auseinanderklaffen von Angebot und Nachfrage, z.B. bei saisonalen Angeboten oder saisonal unterschiedlicher Nachfrage x Spekulation, indem z.B. Lagerbestände von Produkten aufgebaut werden, für die ein Preisanstieg erwartet wird oder weil die Ware knapp ist x Schutz vor Unsicherheiten, z.B. weil die Nachfrage der Konsumenten nicht sicher prognostizierbar ist oder weil Lieferunsicherheiten hinsichtlich der Lieferung durch die Hersteller bestehen x Verkürzung der Lieferzeit, z.B. weil besondere Flexibilitätsanforderungen bestehen. Lagerbestände sind gleichzeitig aber mit z.T. erheblichen Kosten verbunden, so insbesondere den Kosten, die sich aus der Kapitalbindung ergeben (wie Zinskosten in Abhängigkeit von Wert und Menge der gelager-
132
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
ten Güter), Kosten durch Schwund oder Beschädigung, Verwaltungskosten u.Ä. (Liebmann/Zentes 2001, S. 648; Specht 1998, S. 93 f.). Aus diesem Grund bestehen Bestrebungen, die Lagerbestände so gering wie möglich zu halten. Insbesondere die Ansätze im Rahmen des Efficient Consumer Response setzen deshalb oftmals an dieser Zielkomponente an. Die Bestrebungen bestehen dann darin, entlang der Supply-Chain die Warenbestände (v.a. die Sicherheitsbestände) zu reduzieren und dadurch Kosteneinsparungen auf allen Ebenen zu realisieren.67 Aufbauend auf diesen Überlegungen, beinhaltet das Bestandsmanagement Entscheidungen darüber, welche Ware und wie viel von der jeweiligen Ware gelagert werden soll. Damit im Zusammenhang stehen Entscheidungen, die sich auf die Bestellmengen und die Bestell- und Lieferzeitpunkte beziehen (Pfohl 204, S. 98 ff.). Diese Überlegungen, die im Rahmen des Bestandsmanagements die zentralen Entscheidungstatbestände darstellen, können anhand von Abb. 2.39. illustriert werden. Lagerbestand
Nachfrageverlauf
NW
Bestellpunkt
Bestellmenge =Q
mittlerer LagerBestand = Q/2
gesamter Durchschnittsbestand
Sicherheitsbestand
Wiederbeschaffungszeit
Bestellzyklus
Zeit NW = Nachfrage während der Wiederbeschaffungszeit
Abb. 2.39. Komponenten des Lagerbestands und der Bestelldisposition (Quelle: Specht 1998, S. 96.)
Der Lagerbestand wird dabei durch die Bestellmenge (Q) bestimmt, mit welcher der Vorrat jeweils ergänzt wird. Je größer die Bestellmenge ist 67
Vgl. hierzu insbesondere den Abschnitt 5 dieses Kapitels.
2.4 Grundstrukturen und Komponenten von Logistiksystemen
133
bzw. je seltener bestellt wird, umso größer ist der durchschnittliche im Lager vorhandene Bestand (der „mittlere Lagerbestand“). Hiervon zu unterscheiden ist der „Durchschnittsbestand“, der über den mittleren Lagerbestand hinausgehend noch den Sicherheitsbestand beinhaltet. Sicherheitsbestände werden gehalten, wenn Unsicherheiten bezüglich des Nachfrageverlaufs bzw. der Wiederbeschaffung bestehen, da oftmals der prognostizierte Nachfrageverlauf nicht mit dem tatsächlichen Nachfrageverlauf übereinstimmt und auch die geplanten Lieferungen häufig nicht den tatsächlichen Anlieferungen entsprechen (Pfohl 2004, S. 101 f.). Von besonderer Bedeutung im Rahmen des Bestandsmanagements ist die Bedarfsermittlung und damit zusammenhängend die Ermittlung der optimalen Bestellmengen. Die Bedarfsermittlung wird i.d.R. ausgehend vom Status quo der Nachfrage prognostiziert. Da die Nachfrage der Kunden zumeist nicht im Sinne einer deterministischen Form vorhersagbar ist, erfolgt die Bedarfsprognose von Handelsunternehmen meist auf der Basis stochastischer oder verbrauchsbezogener Verfahren. Dabei wird ausgehend von historischen Abverkaufsentwicklungen unter Einbeziehung aktueller Entwicklungen und Rahmenbedingungen (wie z.B. Marketingaktivitäten oder Verkaufsförderungsaktivitäten des Handels, aber auch allgemeiner Kaufverhaltensentwicklungen u.Ä.) der Bedarf ermittelt. Verfahren, die in diesem Zusammenhang zum Einsatz kommen können, sind z.B. Methoden der Mittelwertbildung, der exponentiellen Glättung oder der Regressionsanalyse.68 Auf Grund der Unsicherheit, die hinsichtlich der tatsächlichen Abverkaufsentwicklung besteht, sind diese Verfahren oftmals zwar für kurzfristige Abverkaufsprognosen geeignet, jedoch ergeben sich Schwierigkeiten hinsichtlich einer langfristigen Prognose der Abverkäufe und damit der Ermittlung der Bedarfsmengen. Aus diesem Grund wird immer stärker dazu übergegangen, möglichst „permanente“ Bestands- und Abverkaufsbeobachtungen und -prognosesysteme zu implementieren, gestützt auf ITSysteme69, die im Sinne „rollierender“ Prognosesysteme zu einer Verbesserung der Prognoseergebnisse führen sollen.70 Insbesondere ist im Rahmen der Bedarfsanalyse zu berücksichtigen, dass der Bedarf strukturell unterschiedlich sein kann. So können einerseits konstante Bedarfssituationen bestehen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass nur geringe Abverkaufsschwankungen auftreten. Derartige Situatio68
69 70
Zu den unterschiedlichen Prognosemethoden im Rahmen der Bedarfsermittlung vgl. z.B. Hartmann 1997 oder Müller-Hagedorn 1998, S. 514 ff. Vgl. hierzu Kapitel 3. Abverkaufsprognosen stellen zudem einen wichtigen Kooperationsbereich im Rahmen der ECR-Ansätze dar. Vgl. hierzu ausführlich Abschnitt 2.5.
134
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
nen bestehen z.B. im Lebensmitteleinzelhandel hinsichtlich der „Grundnahrungsmittel“ wie z.B. Milch oder Butter. Diese Warengruppen können daher tendenziell zeitlich und mengenbezogen mehr oder weniger gleich bleibend bestellt werden. Zudem kann eine solche Situation tendenziell konstanter Nachfrage durch den Einsatz von Dauerniedrigpreisstrategien („Every-Day-Low-Price“-/„EDLP-Politik“) erreicht werden, die tendenziell logistisch vorteilhaft sind, da durch den (weit gehenden) Verzicht auf Promotionaktivitäten keine durch das Unternehmen induzierten Umsatzschwankungen auftreten. Diese tendenziell gleichmäßigen Abverkäufe bewirken eine verhältnismäßig gute Prognostizierbarkeit der Umsatzentwicklung. Saisonbedingt unterschiedliche Bedarfssituationen hingegen sind dadurch gekennzeichnet, dass die Nachfrage saisonal schwankt. Typische Bespiele hierfür stellen z.B. Festtagsartikel (z.B. Weihnachten, Ostern) oder Ware, die v.a. im Sommer nachgefragt wird (z.B. Eis) dar. Die Bedarfsprognose für solche Saisonartikel ist wesentlich komplexer, insbesondere wenn lange Lieferzeiten für die jeweiligen Produkte bestehen. Vor dem Hintergrund des ermittelten Bedarfs steht im Rahmen des Bestandsmanagements oftmals die Ermittlung der optimalen Bestellmenge im Vordergrund. Dabei existiert eine Vielzahl von Bestellregeln, die festlegen, wie viel von der jeweiligen Ware bestellt werden soll. Als Grundprinzipien, wann eine Bestellung ausgelöst werden soll, können dabei insbesondere das „Bestellpunktverfahren“, bei dem eine Bestellung dann ausgelöst wird, wenn ein bestimmter Lagerbestand unterschritten wird („Bestellpunkt“, s. Abb. 2.41.), und das „Bestellrhythmusverfahren“, bei dem jeweils eine Bestellung ausgelöst wird, wenn eine bestimmte Periode („Bestellzyklus“, s. Abb. 2.41.) abgelaufen ist, unterschieden werden. Die Bestellmenge kann dabei entweder eine vorgegebene, immer gleiche Bestellmenge sein oder es kann eine variable Menge festgelegt werden, die den Lagerbestand jeweils bis zu einem bestimmten Niveau ergänzt (Hamman/Palupski 1997, S. 88 ff.). Mit diesen „klassischen“ Bestellregeln verbunden ist auch die klassische Bestellmengenformel:71 Optimale Bestellmenge
200 Jahresbedarf Bestellkosten Einstandspreis Lagerhaltungskostensatz
(2.2)
Wenngleich diese klassische Losgrößenformel von vergleichsweise unrealistischen Annahmen ausgeht72 und in der Handelspraxis nur selten in
71
Vgl. hierzu Pfohl 2004, S. 106 ff. und Müller-Hagedorn 1998, S. 515 ff.
2.4 Grundstrukturen und Komponenten von Logistiksystemen
135
dieser Form zum Einsatz kommt, illustriert sie in anschaulicher Form die in der Logistik typischen Zielkonflikte. So hängen zum einen die Höhe der Kapitalbindung und damit verbunden auch die Höhe der Lagerhaltungskosten von der Höhe der Bestellmenge ab. Diese wiederum ist abhängig von der Häufigkeit der Bestellungen. Mit jeder Bestellung fallen fixe Bestellkosten an, die in Bezug auf die Bestellmenge degressiv verlaufen. Die Ermittlung der optimalen Bestellmenge wird in der Handelspraxis zumeist durch die Disponenten vorgenommen. Sie haben die Aufgabe, im Rahmen des festgelegten Sortiments und bezogen auf die gelisteten Lieferanten die Ware abzurufen, indem sie die Bestellungen aufgeben. Ausgehend von den verfügbaren Lagerbeständen und den Bestellbeständen73 sowie den Prognosewerten für Lager- und Bestellbestand wird ermittelt, über wie viele Perioden die künftige Nachfrage befriedigt werden kann. Dabei ist die individuelle Prognosesicherheit in die Ermittlung des optimalen Bestands je Artikel mit einzubeziehen. Insbesondere ist es dabei u.U. sinnvoll, Sicherheitsbestände festzulegen, die dazu dienen sollen, Unsicherheiten auszugleichen, indem sie Fehlprognosen bzw. Fehldispositionen ausgleichen können (Müller-Hagedorn 1998, S. 514; Liebmann/Zentes 2001, S 649 f.). Die Hauptzielsetzung im Rahmen der Disposition liegt darin, bei möglichst geringen Beständen (um die Bestandskosten so niedrig wie möglich zu halten) logistische Fehlleistungen zu vermeiden. Im Vordergrund stehen dabei die so genannten „Out-of-Stocks“.74 Unter „Out-of-Stock“ werden Nullbestände eines Handelsunternehmens auf Filialebene verstanden, also Regalbestände von Null. Dies bedeutet, dass Artikel, die von den Kunden 72
73
74
Diese klassische Bestellmengenformel (bzw. analog Losgrößenformel in der Produktionswirtschaft) geht von einer Vielzahl von Prämissen aus, so konstantem Nachfrageverlauf, konstantem Bedarf, konstanter Lagerabgangsgeschwindigkeit, konstantem Einstandspreis, konstantem Lagerhaltungskostensatz, konstanten Bestellfixkosten sowie keinen Lager- oder Finanzierungsrestriktionen. Da diese Annahmen vergleichsweise unrealistisch sind, wurde eine Vielzahl von Modifikationen dieser Bestellmengenformel entwickelt, vgl. hierzu ausführlich Müller-Hagedorn 1998, S. 526 ff. Hierbei handelt es sich um Ware, die bereits bestellt, aber noch nicht im Lager bzw. in der Filiale eingetroffen ist. Out-of-Stock-Situationen sind von Situationen des „Out-of-Assortment“ abzugrenzen (Berekoven 1995). Situationen des Out-of-Assortment bedeuten, dass Artikel, welche die Kunden nachfragen, nicht im Sortiment des Handelsunternehmens geführt werden. Beim Out-of-Assortment handelt es sich somit um eine „Marketing-Fehlleistung“. Out-of-Stock-Situationen bedeuten dabei das „Verfehlen“ von Verkäufen, während Out-of-Assortment-Situationen grundsätzliche „Nichtverkäufe“ durch das Handelsunternehmen darstellen.
136
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
nachgefragt werden, nicht in den Filialen vorhanden sind. Dadurch können dem Handelsunternehmen potenzielle Umsätze (bzw. Deckungsbeiträge oder Gewinne) entgehen und es kann zu Unzufriedenheit und Imageverlusten bei den Kunden führen. Im Vordergrund der Betrachtungen und Bestrebungen der Handelsunternehmen im Rahmen des Bestandsmanagements steht vor dem Hintergrund der Zielsetzung grundsätzlicher Bestandreduktionen insbesondere die Vermeidung von Out-of-Stock-Situationen. Trotz der Optimierungsbestrebungen im Rahmen von ECR-Ansätzen75 und des zunehmend ausgefeilteren Einsatzes informationstechnologischer Unterstützungssysteme (wie z.B. Warenwirtschaftssysteme, Identifikationssysteme) und Prognosesysteme ist die Nicht-Verfügbarkeit von Artikeln in Handelsunternehmen ein häufig anzutreffendes Problem (Angerer 2004). Die Out-of-StockQuote im Einzelhandel liegt bei weltweit durchschnittlich ca. 8,3 % (s. Abb. 2.40.). 8,6 % 8,3 %
8,2 % 7,9 %
weltweiter Durchschnitt
Europa
USA
andere Regionen
Abb. 2.40. Durchschnittliche Out-of-Stock-Quote nach Regionen (Quelle: Gruen/Corsten/Bharadwaj 2002, S. vii.)
Die Problematik der Out-of-Stocks liegt in den Konsumentenreaktionen auf Präsenzlücken begründet. Tendenziell resultieren daraus Verluste für die Handelsunternehmen, die sich daraus ergeben, dass die Konsumenten auf Käufe verzichten oder die Produkte bei anderen Handelsunternehmen kaufen (s. Abb. 2.41.). An Brisanz gewinnen solche Verluste insbesondere bei einer langen Dauer der Präsenzlücken oder bei dem wiederholten Auftreten von Out-of-Stocks bezogen auf bestimmte Produkte, da damit jeweils die Rate der Nichtkäufe im Vergleich zu Substitutionen durch andere Produkte zunimmt und weil die Unzufriedenheit der Kunden mit dem Handelsunternehmen dadurch steigt (Angerer 2004).
75
Vgl. hierzu Abschnitt 2.5 dieses Kapitels.
2.4 Grundstrukturen und Komponenten von Logistiksystemen
Substitution andere Marke 26 %
137
Kunde verzichtet auf Produkt 9%
Kunde kauft Produkt in einem anderen Geschäft 31 % Substitution selbe Marke 19 % Kunde verschiebt Einkauf 15 %
Abb. 2.41. Kundenreaktionen auf Out-of-Stock-Situationen (Quelle: in Anlehnung an Gruen/Corsten/Bharadwaj 2002, S. 22.)
Die Umsatzausfälle, die dadurch entstehen, sind nur schwer zu ermitteln, da u.a. die Drehgeschwindigkeit, die Dauer der Out-of-Stocks und die Substitutionsraten zu berücksichtigen sind (Gruen/Corsten/Bharadwaj 2002). Sie sind je nach Produktkategorien, in denen die Präsenzlücken auftreten, sehr unterschiedlich. So werden z.B. Snackprodukte oder Produkte wie Toilettenpapier häufiger substituiert und verursachen somit geringere Umsatzausfälle als beispielsweise Kosmetikprodukte (Anderer 2004). Zu beachten ist dabei insbesondere die Marketing-Bedeutung von Schlüsselprodukten, also Artikeln, die als Frequenzbringer angeboten werden. Treten Out-of-Stocks in diesen Bereichen vermehrt auf, so sind die damit in Verbindung zu sehenden Umsatzausfälle wesentlich gewichtiger, da die Marketing-Wirkung bzw. die Frequenzwirkung dadurch verloren geht. 2.4.2.4 Transportsysteme Transporte sind allgemein definiert als die Raumüberbrückung bzw. die Ortsveränderung von Transportgütern unter Einsatz von Transportmitteln (Pfohl 2004, S. 162). Dabei unterscheidet man grundsätzlich in den innerbetrieblichen Transport, also den Transport z.B. innerhalb eines Lagers eines Handelsunternehmens oder innerhalb einer Filiale (z.B. vom Filiallager in den Verkaufsraum), und den außerbetrieblichen Transport, so z.B. den Transport vom Hersteller zum Handelsunternehmen, zwischen unterschiedlichen Lägern bzw. Lagerstufen des Handelsunternehmens oder vom Lager zu den Filialen des Handels (Toporowski 1996, S. 22).
138
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
Das Transportsystem besteht aus dem Transportgut, den eingesetzten Transportmitteln und dem Transportprozess (Pfohl 2004, S. 162). Die Hauptproblemstellungen, die sich im Zusammenhang mit der Ausgestaltung dieses Systems ergeben, beziehen sich v.a. auf die Wahl der Transportmittel und die Wahl des Transportprozesses, also die ablauforganisatorische Dimension der Transporte. Somit besteht eine der wesentlichen Fragestellungen, die hiermit im Zusammenhang steht, in der Ausgestaltung der Transportkette. Die Transportkette kann entweder eingliedrig oder mehrgliedrig ausgestaltet sein (Pfohl 2004, S. 164 f.): x Eine eingliedrige Transportkette ist dadurch gekennzeichnet, dass die Lieferpunkte und die Empfangspunkte ohne Wechsel des Transportmittels unmittelbar miteinander verbunden sind. In diesem Zusammenhang spricht man deshalb auch von „ungebrochenem Verkehr“ oder von „Direktverkehr“. x Mehrgliedrige Transportketten sind umgekehrt dadurch charakterisiert, dass ein Wechsel der Transportmittel zwischen den Liefer- und den Empfangspunkten stattfindet. Aus diesem Grund werden solche mehrgliedrigen Transportketten auch als „gebrochener Verkehr“ oder als „kombinierter Verkehr“ bezeichnet. Der Aufbau des Transportsystems bzw. der Transportkette steht dabei in einem engen Zusammenhang zum Aufbau des Lagersystems. Dieses bestimmt z.B. mit seiner Stufigkeit, ob eine eingliedrige Transportkette oder eine mehrgliedrige Transportkette notwendig ist (Liebmann/Zentes 2001, S. 651). Unterschiedliche Möglichkeiten des Aufbaus einer Transportkette sind in Abb. 2.42. dargestellt.
2.4 Grundstrukturen und Komponenten von Logistiksystemen
139
Transportkette
eingliedrige Transportkette
mehrgliedrige Transportkette
= ungebrochener Verkehr = Direktverkehr (ohne Wechsel des Transportmittels)
= gebrochener Verkehr = kombinierter Verkehr i.w.S. (mit Wechsel des Transportmittels)
gebrochener Verkehr i.e.S.
kombinierter Verkehr i.e.S.
(mit Wechsel des Transportgefäßes; häufig mit Zwischenlagerung, Ein-, Aus-, UmLadeerleichterung durch Paletten usw.)
(ohne Wechsel des Transportgefäßes)
Huckepackverkehr (i.w.S.)
Behälterverkehr (i.w.S.)
(ganzes Verkehrsmittel bzw. Teil davon verladen)
(Transportgefäße verladen)
• Huckepackverkehr i.e.S. • roll-on-roll-off-Verkehr • swim-on-swim-off-Verkehr, z.B. Lash • bimodaler Sattelanhänger
• Großbehälterverkehr • Kleinbehälterverkehr, z.B. Collico
Abb. 2.42. Alternative Möglichkeiten des Aufbaus der Transportkette (Quelle: in Anlehnung an Pfohl 2004, S. 165.)
Transportmittel Die im Rahmen der Transportkette einsetzbaren Transportmittel können anhand der genutzten Verkehrswege grundsätzlich systematisiert werden in:76 x x x x
Straßenverkehr Schienenverkehr Schiffsverkehr Luftverkehr.77
76
Vgl. zu einem detaillierten Überblick, ausführlichen Beschreibungen und der Diskussion der grundsätzlichen Vor- bzw. Nachteilsstruktur der unterschiedlichen Transportmittel z.B. Ihde 2001, S. 135 ff.; Pfohl 2004, S. 167 ff. Zusätzlich wird oftmals noch der Rohrleitungsverkehr (z.B. Pipelines) angeführt. Dieser ist jedoch im Rahmen der Transportsystementscheidungen des Handels i.d.R. nicht von Relevanz.
77
140
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
Die Entscheidungsprozesse hinsichtlich der Wahl der Transportmittel werden durch eine Vielzahl von Kosten- und Leistungskriterien beeinflusst (Specht 1998, S. 104; Liebmann/Zentes 2001, S. 652): 1. Kostenkriterien: Transportkosten Kostenauswirkungen in sonstigen Bereichen der Distributionslogistik (z.B. auf Lagerhaltungskosten) Kostenauswirkungen außerhalb der (Distributions-)Logistik 2. Leistungskriterien: Transportzeit (z.B. 24-h-Lieferung, Nachtsprung) Transportfrequenz quantitative und qualitative Eignung der Transportvariante in technischer Hinsicht (Kühlmöglichkeit, Maße des Transportmittels, Artikelschutz bei empfindlichen Artikeln) Vernetzungsfähigkeit (Schnittstellenoptimierung) Elastizität und Flexibilität der Transportvariante Anfangs- und Endpunkte der Transportvariante (z.B. Bahnhof oder Verkaufsstelle) Zuverlässigkeit des Transports Nebenleistungen der Transportvariante (z.B. Leergutrücknahme, akquisitorische Eignung). Insbesondere auf Grund der Flexibilitätsvorteile und der erhöhten Schnelligkeit stellt der Straßengüterverkehr dabei das relevanteste und weiterhin an Bedeutung gewinnende Transportmittel im Rahmen der Logistikprozesse des Handels dar. Vor allem der Schienenverkehr verliert demgegenüber zunehmend an Bedeutung, da eine Door-to-Door-Versorgung innerhalb von 24 Stunden oder sogar im Nachtsprung i.d.R. nicht sichergestellt werden kann. Evtl. gegebene Kostenvorteile werden zudem v.a. auch dadurch aufgezehrt, dass nur ein geringer Anteil der Handelsunternehmen über einen eigenen Gleisanschluss verfügt. Zwar sind Gleisanschlüsse z.T. in den Zentrallägern, aber praktisch nie in den Filialen verfügbar. Dies macht entsprechend zusätzliche Transporte per Straße erforderlich. Im Bereich des Schiffsverkehrs können v.a. Massengüter transportiert werden. Der Seeschiffsverkehr kann zudem auch Stückgüter aufnehmen, die für einen Versand per Flugzeug z.B. auf Grund ihres Volumens oder ihres Gewichts nicht geeignet sind. Insgesamt hat der Flugverkehr in den letzten Jahren deutlich an Relevanz gewonnen, dies aber weniger auf Grund einer erhöhten Nachfrage im konventionellen Luftfrachtbereich, sondern der Bedeutungsanstieg ist v.a. auf das deutliche Wachstum der von Integrators (z.B. Federal Express, UPS oder TNT) an-
2.4 Grundstrukturen und Komponenten von Logistiksystemen
141
gebotenen Expressdienste zurückzuführen (Liebmann/Zentes 2001, S. 652 f.). Erfolgt im Rahmen der Transportkette der Einsatz mehrerer Transportmittel, so spricht man – wie bereits erwähnt – vom kombinierten Verkehr. Dabei wird versucht, die Vorteile unterschiedlicher Transportmittel so miteinander zu kombinieren, dass die für den Transport notwendige Verladung der Ware vereinfacht wird. Als Form des kombinierten Verkehrs ist dabei v.a. der „Schiene-Straße-Verkehr“ von besonderer Bedeutung. Auf Grund der Möglichkeit, die Kosten- und Leistungsvorteile unterschiedlicher Verkehrsträger miteinander zu verbinden (z.B. die Flexibilität von Lkw mit den Kostenvorteilen der Bahn auf langen Strecken), wird der kombinierte Verkehr vielfach als vorteilhaft angesehen. Dabei wird meist versucht, die Vorteile des Nahverkehrs (insbesondere des Lkw-Verkehrs) mit den Vorteilen des Fernverkehrs (z.B. Bahn, Schiff, Flugzeug) zu kombinieren. Allerdings sind beim Übergang von einem Verkehrsträger auf den nächsten Umschlagsprozesse erforderlich, die weitere Kosten verursachen (Liebmann/Zentes 2001, S. 653 f.). Beim kombinierten Verkehr liegt deshalb die Zielsetzung darin, ein System integrierter Transportmittel aufzubauen, bei dem die Transportmittel so aufeinander abgestimmt sind, dass die bei der Umladung von einem Transportmittel auf das nächste notwendigen Umschlagsprozesse möglichst geringfügig ausfallen (Pfohl 2004, S. 173). Unterscheiden kann man als Formen des kombinierten Verkehrs grundsätzlich die Prinzipien des „Huckepackverkehrs“ und des „Behälterverkehrs“. Beim Huckepackverkehr handelt es sich um Transportsysteme, bei denen ein Transportmittel ein anderes transportiert (z.B. Lkw auf Güterzügen). Der Behälterverkehr ist dadurch gekennzeichnet, dass die Güter in Behältern transportiert werden, die als rationalisierende Transportmittel genutzt werden, die unselbstständig auf Transportmitteln den Transportweg zurücklegen. Hierzu zählen insbesondere der Containerverkehr (Pfohl 2004, S. 173). Transportprozesse Im Rahmen der Festlegung der Transportprozesse steht v.a. die Bestimmung der Transportstrecken im Vordergrund. Hierbei findet eine Vielzahl von Tourenplanungssystemen Anwendung, die auf Optimierungsverfahren aufbauen und die i.d.R. IT-gestützt ablaufen.78 Die Optimierung erfolgt da78
Auf Grund der hohen Relevanz von Transportkosten im Kontext der Gestaltung der Transportkette existieren zahlreiche Optimierungsmodelle und Optimierungsalgorithmen. Die Entwicklungen in diesem Bereich sind sehr dynamisch.
142
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
bei unter unterschiedlichen Gesichtspunkten, wie z.B. der Strecke, der Fahrtzeit, der Auslastung der Fahrzeuge, der Kosten u.Ä., wobei eine Vielzahl von Restriktionen zu beachten ist, so z.B. die Öffnungszeiten der Filialen, vorgegebene Lieferfenster, die Transportkapazitäten u.Ä. Ausgangspunkte zur Transportoptimierung liegen z.B. in x der Koordination von Transporten (z.B. Hin- und Rückfahrten, Fahrten zwischen unterschiedlichen Lägern oder Filialen), x der Vermeidung von Leerfahrten, x der Reduktion der Anzahl der Dienstleister, x der Erhöhung der Fahrzeugauslastung, x der Verringerung der Rampenkontakte oder x der Konsolidierung von Lieferungen. Diese Ansätze weisen darauf hin, dass im Rahmen von Transportoptimierungsüberlegungen die Lösung des Zielkonflikts zwischen der Minimierung der Transportkosten und der Maximierung des Lieferservice bzw. der Lager- und Umschlagsauslastung im Vordergrund steht. Die Transportkosten sind tendenziell umso niedriger, je mehr Ganzladungen („volle Lkw“) eingesetzt werden können, je größere Fahrzeuge genutzt werden bzw. je größer die jeweiligen Sendungen sind. Insbesondere steht dabei die Reduktion von Transportfrequenzen im Vordergrund. Allerdings sind großvolumige Transporte bzw. Lieferungen i.d.R. mit einem hohen Umschlagsaufwand verbunden und verhältnismäßig störanfällig. Diesem generellen Transportkostenminimierungsziel stehen zudem Zielsetzungen gegenüber, die tendenziell dazu führen, dass die Transportkosten steigen, so z.B. Ziele wie bedarfsgerechte Filialbelieferungen oder eine hohe Lieferfrequenz (z.B. für Frischware), die i.d.R. auch mit geringeren Liefermengen verbunden sind. Es zeigt sich zudem die Interdependenz zwischen Lagerstruktur- und -größenentscheidungen und Transportoptimierungsüberlegungen. So führen z.B. die Tendenz zum Abbau von Lagerkapazitäten im Rahmen von Bestandsreduktionsbestrebungen oder die Problematik, dass Filialläger i.d.R. nur eine geringe Kapazität aufweisen (z.B. auf Grund hoher Raumkosten von Filialen in Innenstadtlagen), dazu, dass in den jeweiligen Lägern bzw. in den Filialen nur eine geringe Liefermenge aufgenommen werden kann (oder angestrebt wird), sodass häufigere Lieferungen notwendig werden – im Extremfall im Sinne einer quasi „Just-in-timeInsbesondere innovative Modelle, wie z.B. Systeme der Künstlichen Intelligenz, kommen dabei verstärkt zum Einsatz; vgl. hierzu z.B. Bürckert/Vierke 1999. Auf Optimierungsmodelle zur Tourenplanung wird im Weiteren nicht eingegangen.
2.4 Grundstrukturen und Komponenten von Logistiksystemen
143
Anlieferung“ – was tendenziell mit einer Erhöhung der Transportkosten verbunden ist. Selbstabholung Im Zusammenhang mit der Diskussion um die Konzeption der Logistiksysteme wird immer wieder die Frage nach der Systemführerschaft in der Konsumgüterdistribution gestellt.79 Auch im Rahmen der Gestaltung der Transportsysteme steht diese Fragestellung im Vordergrund. Die Diskussionen, ob der Handel oder die Hersteller die Systemführerschaft im Distributionskanal übernehmen sollen,80 bezieht sich grundsätzlich auf die Gestaltung der gesamten Supply-Chain. So haben bereits die Implementierungen von Zentrallagerkonzepten des Handels81 dazu geführt, dass der Handel der Industrie einen Teil der logistischen Versorgungsaufgaben abgenommen hat. Durch die Zentralläger erfolgt eine Bündelung der Lieferungen unterschiedlicher Hersteller an die Filialen. Bei diesen Konzepten verbleibt die Primärlogistik, also der Warenfluss vom Hersteller zum Handelszentrallager, weiterhin in der Verantwortung des Herstellers und die Sekundärlogistik (die Belieferung der Filialen des Handels) wird durch den Handel koordiniert (Laurent 1996, S. 205).82 Die Vorteile, die sich durch die Konsolidierung auf der zweiten Stufe für den Handel ergeben, legen die Frage nah, warum nur auf dieser Stufe und nicht schon bereits auf der ersten Stufe eine Bündelung unter Koordination des Handels erfolgen soll, also eine Bündelung der Warenströme ab der Herstellerrampe (Bretzke 1999). An diesen Überlegungen setzen die Konzepte der „Selbstabholung“ der Ware beim Hersteller durch den Handel an.83 Im Rahmen dieser Diskussionen steht insbesondere die Bündelung von Stückgut-Sendungen (z.B. Sendungen der Hersteller mit zwei bis drei Paletten) unterschiedlicher Hersteller im Vordergrund. Im Rahmen der Selbstabholung werden die Lieferungen mehrerer Hersteller einer Region bzw. eines „Quellgebiets“ z.B. durch Gebietsspediteure unter der Koordi79
80
81 82
83
Vgl. hierzu die Abschnitte 1.3.3 und 2.3.1.2. Zur Frage der Systemführerschaft im Distributionskanal vgl. auch Schneider 1986; Zentes 1992a; Zentes/Swoboda 2001; Zentes/Schramm-Klein 2004. Zu ausführlichen Diskussionen der Vorteilhaftigkeit bzw. der Effizienzwirkungen unterschiedlicher Strukturierungskonzepte und Konzepte der Systemführerschaft in der Konsumgüterdistribution vgl. z.B. Müller-Hagedorn/Toporowski 1993 und Bretzke 1999. Vgl. hierzu Abschnitt 2.4.2.2. Ähnliches gilt für Transitlagersysteme, wie z.B. Transshipment- oder CrossDocking-Systeme. Vgl. hierzu Abschnitt 1.3.2.2.
144
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
nation des Handels verdichtet und in gebündelter Form an das Zentrallager geliefert (s. Abb. 2.43.). Gebietsspediteur 3
Hersteller 1
Filiale 1
Hersteller 2
Filiale 2
Hersteller 3
Gebietsspediteur 1
Handelszentrallager
Filiale 3
Hersteller 4
Filiale 4
Hersteller 5
Filiale 5
Gebietsspediteur 2
Abb. 2.43: Selbstabholungskonzept des Handels (Quelle: in Anlehnung an Bretzke 1999, S. 84.)
Der Verdichtungseffekt, der dabei realisiert werden kann, ist umso höher, je mehr Hersteller im Quellgebiet zusammengefasst sind, je dichter ihre Standorte um den Standort des Konsolidierungspunktes verteilt sind und je weiter die Distanz zwischen Quellgebiet und Zielgebiet (also dem Zentrallager) ist (Bretzke 1999). Ein weiterer positiver Effekt für den Handel ergibt sich zudem durch die Reduktion der Anzahl der anliefernden Fahrzeuge an der Rampe des Handelslagers. Dadurch kann eine bessere Planbarkeit der Prozesse im Wareneingang erreicht werden und auch lange Wartezeiten können reduziert werden, da jeweils weniger Fahrzeuge mehr Ware liefern, was sich auch positiv im Sinne von Rationalisierungspotenzialen auf die Personalkosten am Wareneingang auswirkt (Schmickler 2001, S. 176; Thiesse 2001). Die Bedeutung der Reduktion der Rampenkontakte ist sehr hoch, da die Rampe des Eingangslagers häufig einen räumlichen und zeitlichen Engpassfaktor darstellt (Liebmann/Zentes 2001, 656). Im Gegensatz zum Stückgut-Verkehr sind die Bündelungseffekte bei Teil- oder Komplettladungen, die oftmals an die Zentralläger oder im Streckengeschäft an die Filialen des Handels geliefert werden, also umschlagsfrei, befördert werden, nur begrenzt, da sie nur wenig konsolodierungsbedürftig sind. Die Vorteile, die sich aus Selbstabholungskonzepten in die-
2.4 Grundstrukturen und Komponenten von Logistiksystemen
145
sem Fall ergeben, liegen deshalb weniger in der Bündelung, sondern v.a. in Auslastungseffekten. Durch die Übernahme auch von Streckenlieferungen kann die Transportkapazität besser ausgenutzt werden, denn im Rahmen von Selbstabholungskonzepten liegen die angestrebten Vorteile nicht nur in der Bündelung, sondern auch in der Vermeidung von Leerfahrten (GEA 1994, S. 32). Solche Leertransporte verringern die Effizienz des logistischen Systems. Sie können z.B. auftreten, wenn der Handel die Distribution von seinen Zentrallägern zu den Filialen selbst übernimmt und auf der Rückfahrt Transportkapazitäten frei sind. Diese Rückbefrachtungspotenziale können ausgenutzt werden, indem z.B. auf solchen Rückfahrten, um Leertransporte zu vermeiden, Produkte bei Herstellern in den jeweiligen Regionen abgeholt und zum Zentrallager des Handelstransportiert werden. In diesem Zusammenhang ist gerade die Aufnahme von Teil- oder Komplettladungen besonders attraktiv (Bretzke 1999; Liebmann/Zentes 2001, S. 655). Die dargestellten Formen der Selbstabholung setzen Konsolidierungspunkte wie insbesondere Zentrallagerkonzepte oder Transitläger im Distributionssystem des Handels voraus. Sind keine solchen Bündelungspunkte vorhanden, ist die Umsetzung von Selbstabholungskonzepten problematisch, da dann eine sehr große Anzahl an Quellen (die unterschiedlichen Hersteller) mit einer sehr großen Zahl an Senken (die einzelnen Filialen des Handels) verbunden werden müssten. Dabei wird die Komplexität zusätzlich dadurch gesteigert, dass i.d.R. eine sehr große Warenvielfalt mit unterschiedlichen Transportanforderungen besteht und eine hohe Anzahl an Umschlagsvorgängen zu realisieren ist.
Hersteller 1
Filiale 1
Hersteller 2
Filiale 2
Hersteller 3
Hausspediteur des Handels
Hausspediteur des Handels
Filiale 3
Hersteller 4
Filiale 4
Hersteller 5
Filiale 5
Abb. 2.44. Selbstabholung des Handels auf Basis von Dienstleistungsnetzwerken (Quelle: in Anlehnung an Bretzke 1999, S. 90.)
146
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
Eine Form der Selbstabholung, die ohne handelseigene Zentralläger realisiert werden kann, stellt die Selbstabholung auf Basis von Speditionsdienstleistern dar. Dabei werden die Lieferungen von den Herstellern an die Filialen in das Netz der Speditionen eingespeist. Im Rahmen dieses Speditionsnetzwerks werden unterschiedliche Konsolidierungs- bzw. Auflösungspunkte genutzt (s. Abb. 2.44.). Bei dieser Form der Selbstabholung können die Vorteile der Selbststeuerung bzw. Systemführerschaft durch den Handel genutzt werden, ohne dass eigene Investitionen in Zentrallagersysteme erforderlich sind (Bretzke 1999). Die Bündelungs- bzw. Verdichtungseffekte, die der Handel im Rahmen von Selbstabholungssystemen realisieren kann, stellen die Hauptvorteile dar, die anhand solcher Konzepte angestrebt werden. Sie bedeuten aber auch, dass diese Bündelungsmöglichkeiten auf der Seite der Industrie verloren gehen. Insbesondere wenn große Handelsunternehmen, die ein hohes Warenvolumen von den Herstellern abnehmen, zu Systemen der Selbstabholung übergehen, bedeutet dies zumeist hohe Effizienzverluste im Rahmen der Distributionslogistik der Hersteller. Zudem sind die Hersteller, wenn eine Vielzahl ihrer Handelskunden zu Selbstabholungskonzepten übergeht, spiegelbildlich mit den gleichen Problemen konfrontiert, mit denen zuvor der Handel zu kämpfen hatte, so z.B. hohen Rampenfrequenzen und auf Grund des gesunkenen (Rest-)Transportvolumens proportional höheren Transportkosten. Die Motive für die Selbstabholung des Handels liegen somit zunächst nicht darin, im Sinne von „Win-Win-Situationen“ gesamtsystembezogene Effizienzgewinne zu realisieren, sondern sie liegen v.a. darin, im Distributionssystem realisierbare Synergien in die eigene Erfolgsrechnung umzulenken und die Koordinationsmöglichkeiten im eigenen Wareneingang zu verbessern (Ernst 2002, S. 26; Bretzke 1999, S. 93 f.). 2.4.2.5 Verpackung und Warenträger Eine Verpackung stellt eine vom Produkt lösbare teilweise oder vollständige Umhüllung eines Produktes („Packgut“) unter Einsatz eines Packmittels dar (Isermann 1997, S. 1227). Der Verpackung kommen unterschiedliche Funktionen bzw. Aufgaben zu, die abhängig von den unterschiedlichen Stufen in der Supply-Chain sind. Die Funktionen unterscheiden sich z.B. hinsichtlich der Produktion (z.B. Erleichterung der Produktionsvorgänge, Erleichterung von Umschlagsvorgängen), der Vermarktung (z.B. Verpackung als Werbeträger oder Funktionen der Verpackung im Rahmen der Verkaufsförderung) oder der Verwendung der Produkte (z.B. Wiederverwendung oder Transporterleichterung). Entsprechend ergeben sich unterschiedliche Einflussfaktoren,
2.4 Grundstrukturen und Komponenten von Logistiksystemen
147
die auf die Gestaltung der Verpackungen einwirken. Dabei sind neben „betriebswirtschaftlichen“ Fragestellungen auch gesetzliche Vorgaben, Konsumentenbedürfnisse oder ökologische Anforderungen zu berücksichtigen (s. Abb. 2.45.).84
gesetzliche Vorgaben
ökologische Anforderungen
Wirtschaftlichkeit
Vormaterialverpackung Marketing Einzelpackung Sammelverpackung Versand / Transportverpackung
Produkteigenschaften
Verbraucher
Logistik
Abb. 2.45. Einflussfaktoren auf die Verpackungsgestaltung (Quelle: in Anlehnung an Pfohl 2004, S. 152.)
Fokussiert man auf die Logistikfunktionen der Verpackung, so dient sie insbesondere dazu, die Realisierung der weiteren Logistikprozesse zu erleichtern oder überhaupt erst zu ermöglichen. Die Hauptfunktionen der Verpackung können dabei systematisiert werden in (Pfohl 2004, S. 147 ff.): x Schutzfunktion: Im Rahmen der Schutzfunktion dient die Verpackung z.B. dem Schutz vor mechanischen Belastungen (z.B. Druck, Stoß, Staub), dem Schutz vor klimatischen Belastungen (z.B. Feuchtigkeit, Temperatur), aber auch dem Schutz vor Diebstahl sowie – aus einer umgekehrten Perspektive – dem Schutz der Personen, die mit den Produkten im Rahmen des Produkthandlings in Kontakt kommen. x Lager- und Transportfunktion: Die Verpackung dient dazu, Lagerung und Transport zu erleichtern. Dabei spielen Gestaltungsfaktoren wie die 84
Vgl. hierzu auch die Ausführungen zur Entsorgungslogistik in Abschnitt 2.4.1.2.
148
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
Stapelbarkeit, Stoßfestigkeit, Druckfestigkeit, Standardisierung, raumund flächensparende Gestaltung u.Ä. eine große Rolle. x Manipulationsfunktion: Manipulationsvorgänge sind Prozesse, die zwischen die Lagerungs- und Transportvorgänge der Produkte geschaltet werden. In diesem Zusammenhang dient die Verpackung dazu, die Handhabung der Produkte beim Handling zu erleichtern, indem sie z.B. den Einsatz technischer Hilfsmittel (wie Gabelstapler oder Regalbediengeräte) ermöglicht. x Informations- und Identifikationsfunktion: Insbesondere im Rahmen der Auftragszusammenstellung und -bearbeitung ist es erforderlich, dass die Ware gekennzeichnet und mit Informationen versehen ist, sodass sie identifiziert werden kann. Zudem sind relevante Informationen über die Handhabung (z.B. ob es sich um zerbrechliche oder verderbliche Produkte handelt) erforderlich. In diesem Zusammenhang sind Systeme zur automatischen Identifikation von hoher Bedeutung, so z.B. Barcodes oder RFID-Systeme, die neben reinen Identifikationsinformationen auch darüber hinausgehende Informationen (z.B. hinsichtlich der Herkunftsund Bestimmungsorte, hinsichtlich des Handlings u.Ä.) enthalten können.85 Die wichtigsten Verpackungsarten sind Transportverpackungen, die insbesondere dem Schutz der Ware auf dem Weg vom Hersteller zum Handel vor Schäden bewahren sollen, Verkaufsverpackungen, die v.a. dem Transport vom Handel zum Endverbraucher dienen, und Umverpackungen, also Folien, Kartonagen o.Ä., welche die Aufgabe haben, SelbstbedieungsProzesse in den Filialen des Handels zu ermöglichen, Diebstahl zu verhindern oder Werbung zu ermöglichen (Strecker/Berndt 1992, S. 25 f.). Entscheidungen hinsichtlich der Produktverpackungen werden hauptsächlich von den Herstellern getroffen. Die Zielsetzung des Handels liegt dabei darin, auf die Verpackungsgestaltung Einfluss zu nehmen, um eine Anpassung der Verpackung durch die Hersteller an die logistischen Anforderungen des Handels zu erreichen. In diesem Zusammenhang sind jedoch nicht nur die Herstellervorgaben und die Handelswünsche von Relevanz, sondern die Verpackungsverordnung stellt als gesetzliche Grundlage (in Deutschland) eine wesentliche Rahmenbedingung dar. In der Verpackungsverordnung sind insbesondere Regelungen über Rücknahmepflichten für die jeweiligen Verpackungsarten sowie Pfandregelungen enthalten (Strecker/Berndt 1992).86 Diese Rücknahmeverpflichtungen des Handels führen dazu, dass in verstärktem Maße versucht wird, Einfluss auf die Her85 86
Vgl. hierzu ausführlich Abschnitt 2.6. Vgl. hierzu die Ausführungen zur Entsorgungslogistik in Abschnitt 2.4.1.2.
2.4 Grundstrukturen und Komponenten von Logistiksystemen
149
steller dahingehend auszuüben, dass Verpackungen entsprechend verändert oder reduziert werden, sodass ggf. Rücknahmeverpflichtungen entfallen. Von besonderer Bedeutung im Rahmen der Logistik ist die Bildung logistischer Einheiten („unitization“). Darunter versteht man die Zusammenfassung mehrerer auszuliefernder Produkte zu größeren Einheiten („UnitLoad-Konzept“). Die Grundüberlegung dabei ist, dass sich der Güterfluss vom Lieferanten zum Kunden umso reibungsloser gestalten lässt, je weniger Einzelbestandteile dabei zu berücksichtigen sind, da dadurch weniger Handhabungs-, Kontroll-, Mess- bzw. Zählvorgänge notwendig sind (Bowersox/Closs 1996, S. 436 f.). Prinzipiell kann dabei jede Verpackung eine logistische Einheit bilden. In Abb. 2.46. sind unterschiedliche Möglichkeiten zur Bildung solcher logistischen Einheiten dargestellt. logistische Einheit
Behälter
Faltkisten
Paletten
paketierte Einheiten
Packgut
Großbehälter
Kleinbehälter
Boxpalette
Flachpalette
Rungenpalette
Abb. 2.46. Möglichkeiten zur Bildung logistischer Einheiten (Quelle: Pfohl 2004, S. 156.)
Bei der Bildung logistischer Einheiten sind Abstimmungsprozesse zwischen den Partnern der Supply-Chain (z.B. Lieferant, Hersteller, Handel, Logistikdienstleister) erforderlich. Dies erfordert, dass die zu bildenden logistischen Einheiten in Form und Abmessung standardisiert sein müssen Das Ziel ist es dabei, den Güterfluss durch die gesamte Supply-Chain zu vereinfachen und die damit im Zusammenhang stehenden Kosten zu senken. Als wichtigste Anforderungen an die Bildung logistischer Einheiten gelten deshalb (Pfohl 2004, S. 155): x Zusammenfassung der Güter zu größeren Einheiten x Standardisierung der Einheiten (Form, Abmessungen) x Erleichterung des Einsatzes technischer bzw. mechanischer Mittel bei den Manipulationsvorgängen
150
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
x Stapelfähigkeit der Einheiten x Wahl von Einheiten, die eine weit gehend ununterbrochene Transportkette vom Lieferanten zum Kunden ermöglichen. Auf Grund der hohen Bedeutung der Zusammenhänge in der SupplyChain und der damit in Verbindung stehenden Anforderungen, die an die logistischen Einheiten gestellt werden, ist es erforderlich, Abstimmungsprozesse mit den Partnern entlang der Supply-Chain vorzunehmen. Da auf den unterschiedlichen Stufen der logistischen Kette die Gefahr besteht, dass im Rahmen einer isolierten Vorgehensweise jeweils unterschiedliche Formen logistischer Einheiten gebildet werden, die jeweils isoliert auf die individuellen Transport- und Lagerkapazitäten abgestimmt werden, dienen Ansätze im Rahmen des ECR-Konzeptes dazu, die logistischen Einheiten entlang der gesamten Supply-Chain zu standardisieren, um anhand dieser Harmonisierung der logistischen Einheiten entlang der Prozesskette übergreifende Effizienzpotenziale realisieren zu können. In diesem Zusammenhang steht das Konzept der „Efficient Unit-Loads“ im Vordergrund. Dabei besteht das Ziel darin, durch die Schaffung eines einheitlichen Regelwerks Supply-Chain-übergreifend einheitliche UnitLoads (z.B. Paletten, Umverpackungen, Lkw-Nutzung) zu definieren. Das Konzept beinhaltet Standards zur Schaffung einheitlicher, optimaler Ladungsträger und Transportverpackungen, die jeweils unter Berücksichtigung der vorhandenen Transport- und Lagerkapazitäten herangezogen werden können (Wiezorek 1998, S. 395). Dabei geht es z.B. um Standards für einheitliche Grundmaße für die Warenstapelung, für die einheitliche Kennzeichnung oder für die einheitliche Stapelbarkeit der Einheiten (Gleißner 2000, S. 192). Das Ziel dieser Standardisierung liegt darin, die Integration (horizontal und vertikal) der Supply-Chain zu vereinfachen. Die Hauptziele der Standardisierung der Verpackungen liegen dabei zum einen in der optimalen Auslastung des zur Verfügung stehenden Raums bei Lagerung und Transport und weiterhin in der Erreichung eines vereinfachten und kostensparenden Handlings im Rahmen der Umschlagprozesse (Liebmann/Zentes 2001, S. 658; Tröster 1997, S. 21). 2.4.3
Sonderformen von Logistiksystemen und -prozessen
2.4.3.1 City-Logistik Einen besonderen Problembereich im Rahmen der Konzeption von Logistiksystemen stellt für den Handel die Belieferung von Innenstadtfilialen
2.4 Grundstrukturen und Komponenten von Logistiksystemen
151
dar. Im Kontext der Belieferung von Innenstadtfilialen treten Probleme auf, die sich z.B. ergeben aus x x x x x x x x
schwierigen Verkehrssituationen, hohem Verkehrsaufkommen, engen Straßen, Fußgängerzonen, parkenden Autos, begrenzten Lieferzeiten, begrenzten Ladezonen, beschränkten Lkw-Größen u.Ä.
Die daraus resultierenden Schwierigkeiten sind spezifisch für Innenstadtlagen. Auf der anderen Seite werden aber auch die Innenstädte selbst durch die Belieferung der Handelsunternehmen belastet. Insbesondere wird das Verkehrsaufkommen in den Innenstädten durch die Arten der Transportlösungen, die Lagerungsorte sowie den Umschlag im Innenstadtbereich beeinflusst. Zwar sind bereits im Rahmen der etablierten Verdichtungssysteme (z.B. durch Zentrallagerkonzepte des Handels) die Lieferungen, die an die Filialen im Innenstadtbereich erfolgen, gebündelt, dennoch sind die Innenstädte durch den Lieferverkehr der Handelsunternehmen noch stark belastet (Liebmann/Zentes 2001, S. 661). Die Ansätze im Rahmen der City-Logistik dienen in diesem Zusammenhang als Problemlösungsinstrument zur Begrenzung des Güterverkehrsaufkommens und zur effizienten stadtübergreifenden Koordination der Güterflüsse. Die City-Logistik bezieht sich somit auf die effiziente logistische Steuerung und Gestaltung des Güterverkehrsflusses zwischen den Stadträumen bzw. zwischen Städten, um diesen möglichst störungsfrei auszugestalten. Dabei erfolgt eine abgestimmte Konsolidierung anhand der Bündelung der Güterflüsse durch eine zunächst auf die Branchenverteilung der Stadträume bezogene und weiterhin auf die Güterarten orientierte Konsolidierung der Güterflüsse (Wagner 2002, S. 68). Die City-Logistik beruht auf einer ganzheitlichen Sichtweise des Wirtschaftsverkehrs in Städten (s. Abb. 2.47.) und stellt damit ein an den ökonomischen und den ökologischen Zielen ausgerichtetes Planungs-, Steuerung- und Kontrollsystem logistischer Leistungsprozesse in einem unternehmensübergreifenden Logistiksystem zur Versorgung mit Gütern und Entsorgung der Güter einer Stadt oder eines Ballungsraums dar, das auf Kooperationskonzepten beruht (Kaupp 1998, S. 24). Beteiligte an solchen Konzepten sind zum einen Einzelhandels- und Logistikdienstleistungsunternehmen und auf der anderen Seite die Kommunen (Wagner 2002, S 79 f.).
152
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
City-Logistik Stadtgrenze
Direktzustellung
Teil der Wertschöpfungskette
Auslieferungslager
Absatzlager
Umschlagslager
Lieferung
Abnehmermarkt
Entsorgungslager Entsorgung
Verteilung
unternehmensbezogen
Teil der Logistikkette
stadtraumbezogen
Distributions-Logistik
Re-Distributions-Logistik
Rückführ-Logistik von EntsorgungsSpezialisten
Güterfluss der Versorgungs-Logistik Güterfluss der Entsorgungs-Logistik
Abb. 2.47. City-Logistik und Schnittstellenbereiche (Quelle: Wagner 2002, S. 87.)
Die Realisierung solcher kooperativen Konzepte im Rahmen der CityLogistik kann z.B. anhand des Aufbaus von Güterverteilzentren in Stadtrandlagen erfolgen, die von unterschiedlichen Herstellern und Handelsunternehmen beliefert werden und bei denen die Waren für die jeweiligen Kunden (z.B. einzelne Filialen unterschiedlicher Handelsunternehmen) in der Innenstadt gebündelt werden (s. Abb. 2.48.). Die Güterverteilzentren werden oftmals von mehreren Logistikdienstleistern in Kooperation betrieben (Liebmann/Zentes 2001, S. 662). Diese Konzeption der Innenstadtbelieferung ist dabei nicht nur auf Grund der positiven Effekte für die Stadt (z.B. Reduktion der Belastung mit Lieferverkehr, Reduktion der Abgasbelastung u.Ä.), sondern sie ist auch – insbesondere auf Grund der Restriktionen, die i.d.R. im Rahmen der Belieferung der Innenstadtfilialen bestehen, von Vorteil für die Handelsunternehmen. So kann dadurch verhindert werden, dass die Filialen nacheinander oder gleichzeitig von einer Vielzahl von Lkw (z.B. Transporte vom eigenen Zentrallager, Belieferungen durch Hersteller, Spediteure, Paketdienste, Einkaufsvereinigungen u.Ä.) beliefert werden. Im Extremfall werden sie dann nur noch durch einen Lkw angefahren (Liebmann/Zentes 2001, S. 662).
2.4 Grundstrukturen und Komponenten von Logistiksystemen
153
keine Bündelung im Nahbereich Lieferant Empfänger Geschäft
Lieferant
Empfänger Geschäft
Lieferant
Fernbereich / Regionalbereich
Bündelung im Nahbereich Lieferant Empfänger Geschäft
Lieferant
Empfänger Geschäft
Lieferant Fernbereich / Regionalbereich Güterfluss
Lastzug
Nahbereich Stadt-Lkw
Güter
Bündelungspunkt
Abb. 2.48. Konzeption der City-Logistik (Quelle: Wagner 2002, S. 105.)
2.4.3.2 Instore-Logistik Einen besonders wichtigen Bereich in der Logistikkette stellen die Warenprozesse in den Verkaufsstellen des Handels dar. Die dort vorhandene Fläche ist i.d.R. mit den höchsten Raumkosten in der gesamten SupplyChain belastet. Deshalb stehen die Optimierung der Regalpflege und die Reduktion von Warenhandlingprozessen in den Filialen im Vordergrund der Instore-Logistik bzw. der Filiallogistik. Die Instore-Logistik bezieht sich auf alle Prozesse, die in der Filiale vom Wareneingang bis zur Einlagerung in die Warenträger (die Regale) ablaufen. Die einzelnen Prozessschritte, die im Rahmen der InstoreLogistik ablaufen, sind in Abb. 2.49. dargestellt. Eine wesentliche Zielsetzung im Rahmen der Instore-Logistik liegt darin, das (teure) Verkaufspersonal in erster Linie für Serviceaufgaben einzusetzen, so insbesondere für die Beratung und Betreuung der Kunden, und es nicht zu stark in logistische Prozesse in der Filiale einzubinden. Aus diesem Grund erfolgt oftmals die Durchführung operativer logistischer
154
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
Prozesse durch Dienstleistungsunternehmen, welche diese Aktivitäten zumeist auch – auf Grund ihrer Tarifstruktur – zu geringeren Kosten durchführen können. Die Durchführung der operativen Prozesse, wie z.B. der Regalauffüllung, wird oftmals zeitlich verlagert, um diese außerhalb der Öffnungszeiten zu realisieren und somit den Kunden einen störungsfreien Einkauf zu ermöglichen (Liebmann/Zentes 2001, S. 663 f.).
Logistik außerhalb des Outlets Liefermenge (kg) Liefervolumen (m3) Lieferrhythmus (Tage) Lieferzeitpunkt (Uhrzeit)
Anlieferung Hof / Rampe
Bestellmenge (kg) Bestellrhythmus (Tage) Bestellzeitpunkt (Uhrzeit) Bestellung Zeitbedarf (h)
Bestellung
Warenannahme
Lagerfläche (m2) Lagerbestand (Stk) Lagerdauer (h) Zeitbedarf (h)
Befüllung
Lagerung
Wegstrecke (m) Fläche belegt (m2) Verkauf (Stk) Zeitbedarf (h)
Entsorgung
Gewicht (kg) Zeitbedarf (h)
Lieferung Größe der Verpackung
Anzahl verdorbener Ware (Stk) Verpackungsmaterial (m3) Zeitbedarf (h)
Befüllung
Regal im Outlet Stock Out (Stk) Gesamt-Anzahl Artikel (Stk)
Verkauf ohne Befüllung (Stk)
Kunde kommissioniert Zufriedenheit (%)
Störung (%)
Kassieren Umsatz (Euro) Kundenanzahl (Personen) Wartedauer (min) Verkaufszahlen (Stk)
Rahmendaten: Verkaufsfläche (m2) Verkehrsfläche (m2) Anzahl der Mitarbeiter (Personen)
Abb. 2.49. Prozessschritte im Rahmen der Instore-Logistik (Quelle: Teller 2004.)
Ansatzpunkte zur Optimierung der Filialprozesse liegen dabei nicht nur in der Filiale selbst, sondern sie setzen bereits auf den Vorstufen der Filialbelieferung an. Die Basis der Filialbelieferung bilden i.d.R. Ladungsträger wie z.B. Rollcontainer, auf denen die Artikel angeliefert werden und die dann im Laden auf bzw. in die entsprechenden Warenträger (z.B. Regale, Kühltheken, Kleiderständer) einsortiert werden. Um diese Prozesse der Warenträgerbefüllung in den Filialen zu optimieren, werden in den Zentrallägern des Handels spezifische Kommissionierungsverfahren eingesetzt. Das so genannte „Roll-Cage-Sequencing“ stellt einen solchen Ansatz dar. Dabei erfolgt eine filialgerechte Kommissionierung der Ware, indem die Kommissionierung in die Rollcontainer nicht entsprechend des Layouts des Zentrallagers erfolgt, sondern entsprechend des Layouts der
2.4 Grundstrukturen und Komponenten von Logistiksystemen
155
zu beliefernden Filiale durchgeführt wird (Gleißner 2000, S. 361; s. Abb. 2.50.).87 W1 P2 P1
W2 P2
W2
W2
P1
P1
P3
P2 P3
W2 W1 W3
P3
W1
W1
W3
W3
W3
Distributionszentrum
Transport
Filiale
W: Warengruppe P: Produkt
Abb. 2.50. Verfahren des Roll-Cage-Sequencing (Quelle: in Anlehnung an Koschorz 2001, S. 100.)
Die filialgerechte Kommissionierung ist mit unterschiedlichen Vorteilen verbunden. Sie ermöglicht zum einen effizientere Prozesse der Regalauffüllung in der Filiale, indem die Einräumwege verkürzt werden. Zudem werden die Wareneingangs- und -ausgangskontrollen und das Handling auf Grund der strukturierten Beladung vereinfacht. Beides führt dazu, dass der Personalbedarf in der Filiale (insbesondere bei der Regalauffüllung und im Wareneingang) reduziert werden kann (Moll 2000, S. 252). Diesen Vorteilen stehen allerdings Nachteile auf den vorgelagerten Distributionsstufen entgegen. So steigen i.d.R. die Kommissionierzeiten in den Distributionszentren, da zumeist größere Wege zurückgelegt werden müssen. Ebenso kann die filiallayoutbezogene Kommissionierung dazu führen, dass die Transportbehälter nicht effizient ausgenutzt werden können, woraus eine ungünstigere Ausnutzung nicht nur der Rollcontainer, sondern auch der Transportkapazitäten resultiert, da zumeist der Einsatz einer höheren Anzahl von Rollcontainern erforderlich ist (Koschorz 2001, S. 100). Diese Nachteile können jedoch durch die Vorteile in den Filialen überkompensiert werden.
87
Zu einem Fallbeispiel zum Roll-Cage-Sequencing vgl. Zentes u.a. 2002, S. 335.
156
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
Die besondere Bedeutung der Instore-Logistik und der Realisierung einer hohen Prozesseffizienz ist offensichtlich, da am Point-of-Sale der direkte Kontakt zu den Kunden besteht. Da die hier ablaufenden Prozesse direkt für die Kunden ersichtlich sind, sind hier – im Gegensatz zum „BackEnd-Bereich“ – evtl. auftretende Fehler in den Abläufen für die Kunden direkt wahrnehmbar, woraus Unzufriedenheit bei den Kunden und negative Imageeffekte für den Handel resultieren können. 2.4.3.3 Logistikprozesse beim Versandhandel Versandhandelskanäle (Remote-Ordering) sind dadurch gekennzeichnet, dass das angebotene Sortiment nicht in physischer Form, sondern durch Abbildungen, erläuternde Texte und Beschreibungen oder bei elektronischen Medien zusätzlich z.B. in Form von „Video-Clips“ vorgestellt wird. Die Kunden müssen nicht zum Ort des Angebotes kommen, sondern können von beliebigen Orten aus bestellen und die Ware nach Hause, an den Arbeitsplatz, an Pick-up-Stationen usw. liefern lassen (Meyer 1979, S. 8 f.; Lee/Whang 2001, S. 59 f.). Remote Ordering
Printmedien
Telefon
Telefax
PCgestützt
E-Mail
HomeScanning
Portable Devices
Elektron. Kiosk
Automatic Replenishment
Internet
Abb. 2.51. Bestellformen des Remote-Ordering (Quelle: Liebmann/Zentes 2001, S. 397.)
In Versandhandelsformaten besteht somit im Gegensatz zum stationären Handel eine zeitliche Differenz zwischen dem Zeitpunkt des Vertragsabschlusses und der Lieferung bzw. tatsächlichen Produktverfügbarkeit (Palmer 1997, S. 76 ff.). Alternative Formen des Remote-Ordering sind in Abb. 2.51. dargestellt. Eine spezifische Form des Versandhandels stellen Online-Kanäle dar, dabei insbesondere Internet-Shops. Dabei erfolgt im Gegensatz zu traditionellen Versandhandelsformen, bei denen insbesondere Print- bzw. CD-
2.4 Grundstrukturen und Komponenten von Logistiksystemen
157
ROM-Kataloge eingesetzt werden, das Angebot der Ware anhand elektronischer Medien. Das Sortiment wird z.B. im Internet abgebildet bzw. beschrieben. Weiterhin erfolgt der Vertragsabschluss über das Internet, d.h., es werden alle Phasen des Kaufprozesses von der Informationsphase bis zum tatsächlichen Kauf durch das Internet unterstützt. Online-Formate sind dabei an die Verfügbarkeit und die Interaktion mit dem PC bzw. anderen Internet-Zugangsformen gebunden. Dies kann örtlich eingeschränkt sein, wobei durch technische Weiterentwicklungen eine zunehmende Mobilität gegeben ist, die auch unter dem Stichwort des „M-Commerce“ (Mobile Commerce) in zunehmendem Maße an Relevanz gewinnt (Möhlenbruch/Schmieder 2002, S. 75 ff.). Die für die Logistik relevantesten Unterschiede ergeben sich somit dadurch, dass der Versandhandel im Gegensatz zum stationären Handel dadurch gekennzeichnet ist, dass die Kunden ihre Ware nicht selbst am Standort des Verkäufers abholen, sondern dass sie die Waren geliefert bekommen. Dies ist damit verbunden, dass nicht sie – so wie es im stationären Handel der Fall ist –, sondern die Handelsunternehmen die Kommissionierung und den Transport der Ware auf der letzten Distributionsstufe übernehmen.88 Warenbeschaffung
Lagerhaltung
Überhangverwertung
Bestellannahme und Verarbeitung
Auftragszusammenstellung
Kundenbelieferung
Retourenbearbeitung
Abb. 2.52. Prozesskette im Versandhandel (Quelle: Müller 1999. S. 733.)
Somit unterscheiden sich die Aufgaben, die im Rahmen der SupplyChain des Handels bei Versandhandelsprozessen erbracht werden müssen, 88
Vgl. hierzu die Ausführungen zur Distributionslogistik in Abschnitt 2.4.1.2.
158
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
wesentlich gegenüber stationären Verkaufsformen (Albers/Peters 1997). Diese Unterschiede zeigen sich insbesondere bei der Betrachtung der Prozesskette im Versandhandel (s. Abb. 2.52.). Dabei liegen die Hauptunterschiede im Vergleich zum stationären Handel darin, dass der Vertrieb an die Kunden über Bestellprozesse initiiert wird, die Auftragszusammenstellung (Kommissionierung) durch das Handelsunternehmen durchgeführt wird und schließlich eine Lieferung an die Konsumenten erfolgt. Im stationären Handel hingegen werden anstatt dieser drei Prozessbestandteile InStore-Prozesse im Handelsoutlet realisiert.89 Die Unterschiede zwischen Versandhandel und stationären Einzelhandel lassen sich weiterhin anhand der Verteilung der Kosten verdeutlichen, die im Rahmen der Versandhandelsprozesse anfallen (s. Abb. 2.53.). Die zeitbezogenen Kosten, die sich prozessbezogen beim Versandhandel ergeben, sind durch ein Ungleichgewicht zwischen den akquisitorischen Kosten und den Kosten, die im Rahmen der physischen Durchführung der Kundenbelieferung anfallen, gekennzeichnet (Daduna 2003, S. 13 f.). Kosten
(6) (1) (2) (3) (4)
Kommunikation Kontrahierung Auftragsbearbeitung Kommissionierung / Bereitstellung (5) Auslieferung (6) Retouren
(5)
(4) (3) (1)
to
(2)
t1
t2
t3
t4
t5
t6
Zeit
Abb. 2.53. Zeitbezogene Kostenentwicklung von Prozessen im Rahmen des Versandhandels (Quelle: Daduna 2003, S. 14.)
Eine wesentliche Problematik90 im Rahmen der logistischen Abwicklung von Versandhandelsprozessen im Endkundenbereich besteht darin, dass die Kundenstruktur stark atomistisch ist und dass die Kunden hinsichtlich ihrer Standorte durch eine stark dislozierte und variable Struktur gekenn89 90
Vgl. hierzu Abschnitt 2.4.3.2. Eine weitere Problematik, die im Versandhandel von besonderer Relevanz ist, besteht in der Abwicklung von Retouren. Diese ist mit hohen Kosten für die Versandhandelsunternehmen verbunden.
2.4 Grundstrukturen und Komponenten von Logistiksystemen
159
zeichnet sind. Zudem sind die Sendungen oftmals sehr heterogen und hinsichtlich des Volumens vornehmlich klein strukturiert (Bone 2004). Aus diesen Gründen sind für die jeweils erforderlichen Auslieferungen zumeist fallspezifische Strukturen erforderlich. Im Rahmen der operativen Abwicklung der Auslieferungen an die Kunden erfolgt deshalb oftmals der Einsatz externer Logistikdienstleister, wie klassischer Speditionen, Kurier, Express- oder Paketdiensten (KEP-Dienste) oder produktspezifisch spezialisierter Dienstleister (Albers/Clement/Skiera 2000; Daduna 2003). Dabei ist es möglich, über den Dienstleister Bündelungseffekte zu realisieren. Zum Teil werden – bei entsprechend hohem Liefervolumen – auch eigene Zustelldienste durch die Handelsunternehmen eingesetzt (z.B. Hermes Versand Service als Tochterunternehmen von Otto). Hinsichtlich der Zustellungsformen im nicht-stationären Handel an die Kunden sind unterschiedliche Formen denkbar (s. Abb. 2.54.). Regionallager / Verkaufseinrichtung
Kunde
direkte Belieferung
indirekte Belieferung
Zuführung
Pick upPoint
Pick upPoint
BoxSystem Abholung
Abholung
Abb. 2.54. Auslieferungsformen im Versandhandel (Quelle: Daduna 2003, S. 21.)
Grundsätzlich kann dabei zwischen der (direkten oder indirekten) Belieferung der Kunden und der Abholung der Produkte durch die Kunden an bestimmten Standorten unterschieden werden. Die wichtigsten Formen sind somit:91 x Zustelldienste: Bei den Zustelldiensten erfolgt eine direkte oder indirekte Belieferung der Kunden. Im Rahmen der direkten Belieferung wird die Ware unmittelbar an den Kunden (bzw. eine bevollmächtigte Person) an einem vereinbarten Ort übergeben („Home Delivery“). Dabei sind unterschiedliche Lieferkonditionen denkbar, z.B. die Lieferung oh91
Vgl. hierzu Liebmann/Zentes 2001, S. 397; Diller 1999; Daduna 2003; Albers/Clement/Skiera 2000; Bone 2004.
160
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
ne die Zusicherung bzw. Vereinbarung eines bestimmten Zeitpunkts (die Lieferung erfolgt dann innerhalb eines „zumutbaren“ Zeitrahmens) oder die Lieferung zu einem bestimmten Zeitpunkt (z.B. an einem vorgegebenen Tag). Eine spezielle Lieferform ist die Expresslieferung, bei der eine besonders schnelle Lieferung (z.B. Übernacht-Service, 24-hService) zugesichert wird. Weiterhin kann eine unterschiedlich häufige Anzahl von Zustellversuchen vereinbart werden, da gerade im Fall der Direktbelieferung das Zusammentreffen von Kunden und Lieferant einen kritischen Faktor darstellt. Die Termintreue des Lieferanten spielt dabei eine besonders wichtige Rolle. Neben der direkten Lieferung ist die indirekte Lieferung von Bedeutung. Dabei erfolgt die Lieferung an eine spezifische, beim Kunden installierte feste Einrichtung, zu welcher der Lieferant Zugang hat. Beispiele hierfür sind Box-Systeme, die z.B. in der Garage der Kunden installiert sein können. Durch die Einrichtung solcher Systeme ist es möglich, die Lieferfenster für die Lieferanten auszudehnen. x Abholdienste: Abholdienste sind dadurch gekennzeichnet, dass die Kunden die per Remote-Ordering bestellte Ware nicht direkt geliefert bekommen, sondern sie an spezifischen Orten abholen können. Neben der grundsätzlich denkbaren Form der Abholung bei den Lägern oder Verkaufseinrichtungen des Handels, die abgesehen von den Kommissionierungsprozessen, die durch den Handel übernommen werden, eine große Nähe zu stationären Verkaufssystemen aufweisen, sind v.a. Abholungen an zentralen Punkten („Pick-up-Points“) von Bedeutung. In diesem Fall kommen sich Händler und Kunde im Rahmen des Distributionsprozesses auf der „letzten Meile“ entgegen. Die Sendungen bzw. Lieferungen werden dabei an vereinbarte Einrichtungen abgegeben. Dabei kann es sich z.B. um Einrichtungen wie „Paket-Shops“ o.Ä. handeln, bei denen bestehende Shop-Systeme von Partner-Unternehmen (z.B. Tankstellen oder stationäre Einrichtungen von Distributionspartnern) als Lieferbzw. Abholort genutzt werden, oder um ortsfeste Einrichtungen mit Schließfachsystemen (z.B. Shopping Box oder DropBox24) oder Behälterläger (z.B. Tower2492) handeln, die an verkehrsgünstigen bzw. gut erreichbaren Standorten installiert werden. Die Vorteile solcher Abholkonzepte liegen insbesondere darin, dass die zeitliche Bindung der Lieferungen weit gehend aufgehoben werden kann, also die Lieferfenster vergrößert werden. Da es nicht zwingend erforderlich ist, dass – wie bei der Direktbelieferung – die Kunden (oder bevollmächtigte Personen) zur Lieferung anwesend sind, können wei92
Vgl. zum Tower24 als Fallbeispiel einer Pick-up-Station mit vollautomatischer Warenübergabe an die Kunden Bone 2004.
2.4 Grundstrukturen und Komponenten von Logistiksystemen
161
terhin Mehrfachanfahrten vermieden werden. Die Standorte sind zudem (i.d.R.) sowohl für die Kunden als auch für den Lieferanten günstig erreichbar. Während bei Direktbelieferungen kaum Warenbündelungseffekte erreicht werden können, ist es zudem möglich, die Lieferungen an die Stationen zu bündeln und dadurch weitere Effizienzvorteile zu realisieren. Jedoch sind solche Zustellsysteme auf die Akzeptanz durch die Kunden angewiesen, welche die Bereitschaft haben müssen, diese Standpunkte selbst anzufahren. Weiterhin sind Box- oder Schließfachsysteme nicht für alle Produktarten geeignet. Zum Beispiel sind Restriktionen zu berücksichtigen, die z.B. sperrige Güter, Frisch- oder Tiefkühlwaren betreffen. Ebenso sind die Abholsysteme i.d.R. durch Kapazitätsbegrenzungen gekennzeichnet (z.B. durch begrenzte Lagerkapazitäten bei Pick-Stationen wie Tankstellen oder Kiosken oder begrenzte Kapazitäten durch die Schließfachgrößen).93 In Abb. 2.55. sind die unterschiedlichen denkbaren Formen der Übergabe der Ware an die Kunden einander vergleichend gegenüber gestellt. Alternative
Beispiel
persönliche Übergabe an den Kunden Abstellen von Behältern vor der Haustür des Kunden Übergabe an Klimaboxen vor der Haustür des Kunden
wird bei allen Heimlieferdiensten angewandt praktiziert von LeShop in der Schweiz
Übergabe an persönlichen Agenten des Kunden
als „Notlösung“ bei fast allen Lieferdiensten akzeptiert
93
praktiziert von diversen amerikanischen Heimlieferdiensten
Vorteile x persönlicher Kontakt zum Kunden x Unattended Delivery x keine Investitionskosten x Unattended Delivery
x Unattended Delivery aus Kundensicht x keine Investitionen erforderlich
Nachteile
Verbreitung
x ineffiziente logistische Prozesse x Sicherheitsund Qualitätsprobleme
Standardübergabe
x begrenzte Kapazität x keine Mehrfacheinlieferungen möglich x hohe Investitionskosten für den Kunden x Zuverlässigkeits- und Qualitätsprobleme
nur bei unkritischen Kunden in normalem sozialen Umfeld aufgrund der geringen Zahlungsbereitschaft der Kunden nur in Einzelfällen vorhanden
wird im Einzelfall angewandt, wenn Vertrauensperson vorhanden
Pick-up-Stationen konnten sich trotz ihrer logistischen Vorteile in der Praxis bisher kaum durchsetzen. Gründe hierfür liegen einerseits in Akzeptanzproblemen bei den Kunden und weiterhin in den mit Pick-up-Systemen, insbesondere Box- oder Schließfachsystemen, verbundenen Investitionen. Zudem ist es erforderlich, eine vergleichsweise hohe Dichte an Pick-up-Stationen zu realisieren, um genug Zugangs- bzw. Abholmöglichkeiten für die Kunden anbieten zu können.
162
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
Überlassung an den Betreiber eines Übergabepunktes
Übergabe an Tankstellenbetreiber (z.B. Pick-up-Point)
x Unattended Delivery aus Kundensicht x keine Investitionen erforderlich
Nutzung von zentral aufgestellten Boxensystemen („Shared Delivery Boxes“)
Anwendung beispielsweise durch Tengelmann Kaiser’s Lieferservice
x Unattended Delivery x Mehrfacheinlieferungen möglich x Kühlkette kann eingehalten werden (temperierte Fächer)
Zwischenspeicherung in vollautomatisierten Pufferlägern
Tower 24 der Fraunhofer Gesellschaft
x Unattended Delivery x Mehrfacheinlieferungen möglich x Kühlkette kann eingehalten werden x flexible Paketgrößen
x zusätzlicher Dienstleister in der Wertschöpfungskette x Kühlkette schwierig einzuhalten x keine Garantien für Verfügbarkeit bei Kapazitätsengpässen x Paketgröße begrenzt x hohe Investitionskosten beim Betreiber x zusätzliche Anfahrt für den Kunden x hohe Investitionskosten für den Betreiber x hohe laufende Kosten für Wartung x keine Mikrostandorte möglich x zusätzliche Anfahrt für den Kunden
wird als Alternative für Lebensmittel aber kaum genutzt
nur wenige Installationen, die begrenzt in Anspruch genommen werden
Prototyp wurde Ende 2002 in Dortmund fertig gestellt und wird derzeit pilotmäßig betrieben
Abb. 2.55. Alternative Formen der Warenübergabe an die Kunden im Vergleich (Quelle: in Anlehnung an Pflaum 2003, S. 32 f.)
Die alternativen Zustellformen unterscheiden sich zudem hinsichtlich der Kosten, die mit den jeweiligen Systemen verbunden sind. Insbesondere hängt die Kostenstruktur von der Kapazität bzw. der Anzahl der im Rahmen der jeweiligen Zustellform abgewickelten Pakete ab. In Abb. 2.56. sind die Kosten, die im Rahmen von Hauszustellungen (Zustelldienste) anfallen, den Kosten von Abholsystemen gegenübergestellt.
2.4 Grundstrukturen und Komponenten von Logistiksystemen
163
5,00
4,50
4,00
Zustellkosten [EUR/Paket]
3,50
3,00
2,50
2,00
1,50
Hauszustellung
1,00
Pick-up-Point (persönl. Übergabe) 0,50
Schließfach Volautomatische Pick-up-Systeme
0,00 0
50
100
150
200
250
300
350
400
450
500
Kapazität [Pakete/Station]
Abb. 2.56. Zustellkostenvergleich nach Übergabeform (Quelle: in Anlehnung an Bone 2004.)
Die unterschiedlichen Sortimente bzw. Warengruppen führen dazu, dass im Versandhandel je nach Produktbereich und differenziert nach der Menge der von den Kunden bestellten Waren unterschiedliche Formen der Distribution an die Kunden eingesetzt werden. Die wichtigsten Grundformen der Lieferung stellen dabei dar (Liebmann/Zentes 2001, S. 667; Daduna 2003): x Paketware: Hierbei handelt es sich um Warensendungen bis ca. 30 kg. Die Abwicklung der Lieferung wird oftmals von KEP-Diensten wahrgenommen. x Stückgut: Stückgut (z.B. Möbel, Waschmaschinen, Küchenherde) wird häufig durch Speditionen ausgeliefert. Stückgut wird oftmals nicht lediglich an die Kunden ausgeliefert, sondern die Auslieferung wird häufig mit weiteren Dienstleistungen, wie z.B. Installation, Aufbau oder Entsorgung ersetzter Produkte, verbunden. x Hängeware: Im Textil- und Modebereich (insbesondere bei hochwertiger Kollektion) kann eine gesonderte Transportabwicklung erfolgen, bei der die Ware nicht als Paketware abgewickelt, sondern hängend transportiert wird. Eine besondere Problematik besteht hinsichtlich der Profitabilität der logistischen Abwicklung. Insbesondere im Bereich des Lebensmitteleinzelhandels stellen sich hier besondere Problembereiche. So ist im Lebens-
164
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
mittelbereich bezüglich der Frisch- und Tiefkühlware z.B. eine spezifische logistische Abwicklung erforderlich, da die Produkte im Rahmen der Lieferung gekühlt werden müssen. Zur Abwicklung der Frisch- und Tiefkühlwaren sind zumeist dezentrale Logistikstrukturen erforderlich, da i.d.R. ein unmittelbarer räumlicher Bezug zwischen Lager- und Kundenstandort gewährleistet werden muss, um die erforderliche Produktqualität sicherstellen zu können. Besonders problematisch ist zudem die logistische Abwicklung von geringwertiger Ware mit einem hohen Transportkostenanteil am Gesamtumsatz (z.B. Mineralwasser). Diese lässt sich i.d.R. lediglich im Rahmen einer Mischkalkulation profitabel realisieren (Liebmann/Zentes 2001, S. 667). Eine besondere Problematik in der logistischen Abwicklung ergibt sich, wenn die Handelsunternehmen nicht nur eine Form der Distribution an die Kunden bieten (z.B. reiner Versandhandel oder rein stationärer Handel), sondern wenn sie Mehrkanalsysteme im Vertrieb („Multi-Channel-Retailing“) anhand des Angebots mehrerer Betriebs- und Vertriebstypen aufgebaut haben. Im Rahmen des Multi-Channel-Retailing sind bezüglich der alternativen integrierten Kanäle unterschiedliche Arten denkbar. So sind zu unterscheiden (Schramm-Klein 2003a, S. 21): x die Betriebstypendiversifikation, bei der ein paralleler Einsatz mehrerer stationärer Absatzkanäle erfolgt x die Vertriebstypendiversifikation, bei der ein paralleler Einsatz mehrerer nicht-stationärer Absatzkanäle erfolgtG x Mischformen, bei denen ein paralleler Einsatz (mehrerer) stationärer und nicht-stationärer Absatzkanäle erfolgt. Logistisch besonders schwierig abzuwickeln sind Mischformen, da hierbei vollständig unterschiedliche Systeme der Endkundendistribution erforderlich sind. Es ist somit erforderlich, unterschiedliche Distributionssysteme für die alternativen Vertriebs- bzw. Belieferungsformen aufzubauen. Dabei ist eine Koordination und Integration der unterschiedlichen Logistiksysteme erforderlich, um im „Back-End-Bereich“ Synergieeffekte zwischen den alternativen Kanälen solcher Multi-Channel-Systeme realisieren zu können (Schramm-Klein 2003). Ansatzpunkte zur kanalübergreifenden Steuerung der Logistiksysteme und zur Realisierung von Bündelungseffekten (z.B. im Beschaffungs- und Lagerbereich) finden sich z.B. hinsichtlich der Kommissionierung im Rahmen von Systemen, in denen stationäre Kanäle mit Versandhandelskanälen kombiniert werden. Die Kommissionierung im Versandhandel erfolgt im Gegensatz zum stationären Handel nicht durch die Kunden, sondern wird von den Handelsunternehmen bzw. – seltener – von spezifischen
2.4 Grundstrukturen und Komponenten von Logistiksystemen
165
Logistikdienstleistern übernommen. Als Kommissionierungsformen im Rahmen von Multi-Channel-Systemen sind hinsichtlich der Quellen unterschiedliche Formen denkbar (Liebmann/Zentes 2001, S. 668): x x x x
Kommissionierung auf der Verkaufsfläche Kommissionierung in den Lägern der Verkaufsstelle Kommissionierung in Zentral- oder Regionallägern Kommissionierung in speziellen Distributionszentren. Hersteller
Filialhändler
Versandhändler
Online-Händler
Vorteile: • Warenkompetenz • Beratung • Umgehung von Handelsstufen • Mass-Customization
Vorteile: • Zugang zu Kunden • Präsenz vor Ort • Bekanntheit, Kundenvertrauen
Vorteile: • Zugang zu Kunden • Bekanntheit, Kundenvertrauen • Kenntnis der Kundenanforderungen • Logistikkompetenz für Belieferung privater Endkunden
Vorteile: • Kenntnisse des Mediums Internet • Bekanntheit bei Internetnutzern
Problembereiche: • i.d.R. bisher fehlender Kontakt zum Endkunden • kein Servicedenken • fehlende Logistikkompetenz
Problembereiche: • fehlende Logistikkompetenz • Konflikt zwischen den Vertriebskanälen
Problembereiche: • Flexibilität und Geschwindigkeit des Distributionssystems
Problembereiche: • geringes Auftragsvolumen • Zugang zu Beschaffungsquellen
wichtigste Aufgaben: • Kundenmanagement • Gewinnung von Logistikkompetenz • Konzentration auf Produkte mit hoher Wertdichte
wichtigste Aufgaben: • Lösungen für „letzte Meile“ • Sortimentsanpassung für B2C-Vertriebskanal • Kombination mehrerer Vertriebskanäle
wichtigste Aufgaben: • Anpassen von Lieferleistungen und Lieferzeitfenster • Ausbau der Logistikkompetenz • Dienstleistungsangebote an andere B2C-Anbieter
wichtigste Aufgaben: • Kundengewinnung und Kundenbindung zur Volumenerhöhung • Gewinnung von Logistikkompetenz • Zugang zu Beschaffungsstrukturen
Abb. 2.57. Vorteile, Probleme und Aufgaben unterschiedlicher Akteure bei der Aufnahme von Versandhandelskanälen als zusätzliche Absatzkanäle (Quelle: Lasch/Lemke 2003, S. 46.)
Weitere Herausforderungen, die sich in logistischer Hinsicht im Rahmen von Multi-Channel-Systemen ergeben, wenn Handelsunternehmen Versandhandelskanäle (insbesondere Online-Kanäle) als neue Kanäle in ihr Absatzkanalportfolio aufnehmen, sind in Abb. 2.57. dargestellt. Eine besondere Problemstellung in der Versandhandelslogistik stellt das bereits erwähnte Retourenhandling dar. Bei bestimmten Warengruppen, wie z.B. Bekleidung und Textilien, liegen die Retourenquoten im Versandhandel zwischen 40 und 60 %. Die Hauptproblematik besteht dabei in den Kosten und in der Gestaltung der Prozesse der Rücksendung der Artikel. Diese können grundsätzlich in gleicher Form – quasi die Supply-Chain
166
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
„rückwärts“ – erfolgen wie die Lieferformen an die Konsumenten realisiert werden.94 Es sind somit z.B. Abholungen der Ware bei den Kunden möglich, die Kunden können die Ware an Pick-up-Stationen oder in bereitgestellten Schließfächern zurückgeben oder per KEP-Dienst zurück an das Handelsunternehmen senden. Im Rahmen von Multi-Channel-Systemen ist zudem prinzipiell die Möglichkeit gegeben, die Retourenprozesse über die unterschiedlichen Kanäle des Handelsunternehmens abzuwickeln, indem z.B. per Versandhandel bestellte Ware in stationären Kanälen zurückgegeben oder umgetauscht werden kann (Schramm-Klein 2003b). Die Prozesse der Retourenabwicklung beziehen sich dabei v.a. auf die Redistribution der Ware (inklusive der Überprüfung der Ware hinsichtlich Art und Menge, eventueller Schäden, der Zahlungsabwicklung eventueller Rückerstattungsbeträge u.Ä.). Die wesentlichen Unterschiede der Redistributionslogistik im Rahmen des Versandhandels liegen darin, dass die Distanzüberwindung auch in der Redistribution i.d.R. durch die Handelsunternehmen übernommen bzw. koordiniert wird. Das Retourenmanagement im Rahmen des Versandhandels ist in Deutschland im Fernabsatzgesetz geregelt. Dabei wird den Konsumenten das Recht zugesprochen, den Versandhandelskaufvertrag innerhalb einer Frist von 14 Tagen ohne Angabe von Gründen und ohne Regressansprüche seitens des Handelsunternehmens zu widerrufen. Die Kosten der Rücknahme sind dabei ab einem bestimmten Warenwert vom Handelsunternehmen zu tragen.95 Die Abwicklung der Retouren ist mit erheblichen Kosten verbunden. Je nach Warenwert können sie die Rentabilität des Versandhandels stark beeinträchtigen.96 Auf Grund des per Fernabsatzgesetz geregelten Widerrufsrechts der Kunden weisen die Retourenquoten eine steigende Tendenz auf (Vogel 2004).97
94
95
96
97
Vgl. zur Retourenabwicklung auch die Ausführungen zur Entsorgungslogistik in Abschnitt 2.4.1.2. Der Großteil der Versandhandelsunternehmen bietet eine für die Kunden kostenlose Retourenabwicklung grundsätzlich als Serviceleistung an. Dies ist insbesondere auch dann von Relevanz, wenn auch die Retourenabwicklung im Rahmen von Pfandsystemen (insbesondere im Bereich des Versandhandels mit Lebensmitteln, z.B. im Bereich der Getränke) durch das Unternehmen übernommen wird. Auf Grund dieser steigenden Retourenvolumina sind die Versandhandelsunternehmen in Deutschland aktuell bestrebt, die Regelungen des Fernabsatzgesetzes, nach denen den Versendern die alleinige Kostentragungspflicht der Rücksendung zukommt, zu kippen, um die kostenlose Warenrücksendung abzuschaffen oder mindestens zu lockern (Klein 2004). Zumindest „Retourensün-
2.5 Supply-Chain-Kooperationen
167
Entsprechend der unterschiedlichen Ursachen, aus denen eine Warenrücksendung erfolgt (z.B. Produktfehler, Nichtgefallen der Produkte u.Ä.) ist im Rahmen der Retourenabwicklung zudem oftmals ein individuelles Handling erforderlich. Sind die Produkte nicht beschädigt, können sie wieder in den Auslieferungskreislauf übergeben werden. Weisen sie allerdings Schäden auf, so ist zu überprüfen, ob eine Reparatur der Produkte möglich ist oder ob die Produkte, z.B. im Fall von Garantieabwicklungen, an die Hersteller zurückgesandt werden müssen (Dundl/Gutknecht 2004, S. 195).
2.5 Supply-Chain-Kooperationen 2.5.1 Gründe für die Entwicklung kooperativer Supply-ChainKonzepte Die Supply-Chain in der Konsumgüterbranche ist dadurch gekennzeichnet, dass sie ein zusammenhängendes vertikales System ist, bei dem die jeweiligen Stufen eng miteinander zusammenhängen.98 Wenn die einzelnen Wertschöpfungspartner im Rahmen dieser Systeme in isolierter Form planen und ihre Supply-Chain nicht auf die vor- und nachgelagerten Partner abstimmen, ergeben sich Ineffizienzen im Gesamtsystem. Diese treten v.a. auf, weil bei isolierten Systemen keine Koordination zwischen den Partnern hinsichtlich der Strategien und Prozesse stattfindet und somit die Schnittstellen in ineffizienter Form ausgestaltet sind. Dadurch treten nicht nur Systembrüche zwischen den Supply-Chain-Stufen auf, sondern auch die Prozessergebnisse können durch die fehlende Abstimmung nicht optimal realisiert werden. Insbesondere Fragestellungen, die von Relevanz für die jeweils vor- oder nachgelagerte Stufe bzw. auf das Gesamtsystem bezogen sind, werden in solchen Fällen oftmals vernachlässigt. Zudem kann es auf Grund der fehlenden Koordination dazu kommen, dass Redundanzen in den Prozessen und Systemen (z.B. der Datenhaltung, der Informationsbeschaffung u.Ä.) auftreten, die im Rahmen aufeinander abgestimmter Supply-Chain-Stufen vermieden werden können. Ineffizienzen, die durch ein isoliertes Vorgehen im Rahmen der Planungen von Bedarfs- oder Bestellmengen entlang der Supply-Chain möglich sind, können anhand des „Peitscheneffekts“ („bullwhip effect“) visuali-
98
der“, die für den Großteil der Rücksendungen verantwortlich sind, sollen an den Kosten der Rücksendung beteiligt werden (Vogel 2004). Vgl. hierzu ausführlich Abschnitt 2.1.1.
168
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
siert werden.99 Dieser Effekt ist dadurch gekennzeichnet, dass Abverkaufsbzw. Bestellmengenschwankungen sich über die Stufen der Wertschöpfungskette hinweg „aufschaukeln“ und die Schwankungen bzw. Ausschläge über die Stufen hinweg ansteigen (Gleißner 2000, S. 195f.). Obwohl die Nachfrage der Endverbraucher verhältnismäßig konstant ist, weist die Nachfrage, welche die Handelsunternehmen gegenüber dem Großhändler zeigen (die Bestellungen der Handelsunternehmen beim Großhändler), bereits größere Schwankungen auf. Die Nachfrage, die dann bei dem Lieferanten auftritt (die Bestellungen der Großhändler beim Lieferanten) zeigt wiederum eine noch höhere Variabilität, die wiederum auf der Stufe der Vorlieferanten noch weiter verstärkt wird (s. Abb. 2.58.). Je weiter „upstream“ man sich im Rahmen der Supply-Chain bewegt, umso stärker ist somit die Variabilität der Nachfrage (Lee/Padmanabhan/Wang 1997a). Consumer Sales
15
20
Order Quantity
Order Quantity
20
10 5 0
15 10 5 0
Time
Time
Wholesaler‘s Orders to Manufacturer
15
Manufacturer‘s Orders to Supplier
20
Order Quantity
Order Quantity
20
Retailer‘s Orders to Wholesaler
10 5 0
15 10 5 0
Time
Time
Abb. 2.58. Peitscheneffekt (Quelle: Lee/Padmanabhan/Wang 1997b, S. 94.)
99
Dieser Effekt wird auch als „Forrester-Effekt“ bezeichnet, da die Beobachtung solcher Ineffizienzen im Rahmen der Supply-Chain auf Forrester (1958) zurückgeht.
2.5 Supply-Chain-Kooperationen
169
Die Gründe für diesen Peitscheneffekt wurden in einer Vielzahl von Untersuchungen analysiert (z.B. Forrester 1958; Lee/Padmanabhan/Wang 1997a; 1997b; Disney/Towill 2003). Fasst man diese Gründe zusammen, so ergibt sich der Peitscheneffekt z.B. auf Grund folgender Verhaltensformen (Liebmann/Zentes 2001, S. 594): x Anpassung von Nachfrageprognosen: Wenn auf einer Stufe der SupplyChain höhere Bestellungen eingehen als ursprünglich erwartet wurden, wird dies oftmals als Indikator für die zukünftige Nachfrage gesehen. Die Nachfrageprognose wird dann auf der betrachteten Stufe der Supply-Chain nach oben angepasst und auch der Sicherheitsbestand wird entsprechend erhöht. Beim Vorlieferanten wird darauf basierend entsprechend mehr bestellt. Diese Denk- und Vorgehensweise wiederholt sich auf den vorgelagerten Stufen der Supply-Chain. Dies führt zu dem Aufschaukeln der Nachfrage auf den jeweiligen Stufen (s. Abb. 2.58.). x Zusammenfassung von Bestellungen: Bestellungen werden i.d.R. nicht sofort entsprechend der Lagerabgänge an die Vorlieferanten abgegeben, sondern zunächst gesammelt und dann z.B. im Batch-Verfahren an die Lieferanten übermittelt. Diese Auftragsbündelungen erfolgen v.a. auf Grund der hohen Fixkosten, die pro Auftrag bzw. Bestellvorgang anfallen, bzw. zur Konsolidierung von Transporten. Anstatt eines kontinuierlichen Bestellverfahrens erfolgt deshalb oftmals ein Bestellvorgehen nach dem Bestellrhythmusverfahren (z.B. wöchentlich, monatlich). Dies führt dazu, dass – selbst wenn mehrere Nachfrager vorhanden sind – die Bestellungen, die bei den Lieferanten eingehen, zumeist nicht kontinuierlich anfallen, sodass eine gleichmäßige Produktionsauslastung nicht realisiert werden kann und auch keine gleichmäßige Bestellung bei den Vorlieferanten erfolgt. Dadurch, dass die Bestellungen in periodischer Form bei den jeweils vorgelagerten Stufen der Supply-Chain eingehen, wird die Variabilität der Nachfrage auf den unterschiedlichen Stufen gefördert. Selbst bei einer vergleichsweise konstanten Nachfrage auf der Ebene der Endverbraucher führt das periodische Bestellverhalten somit dazu, dass die Maximalkapazität der Hersteller bzw. Vorlieferanten tendenziell erhöht werden muss und auch höhere Sicherheitsbestände auf den vorgelagerten Ebenen notwendig sind. x Preisschwankungen: Da nicht nur das Endkundenverhalten dadurch gekennzeichnet ist, dass i.d.R. Preispromotionen genutzt werden, um Vorratskäufe zu tätigen, sondern auch auf den Ebenen der Handelsunternehmen und der Hersteller bzw. der vorgelagerten Stufen eine Ausnutzung von günstigen Preisangeboten erfolgt, indem in solchen Situationen größere Mengen geordert werden als eigentlich für die be-
170
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
trachtete Periode benötigt werden (sog. „forward buying“), ergeben sich Schwankungen der Nachfrage. x Rationierung des Angebots: Ist das Produktangebot auf einer Ebene der Supply-Chain knapp bzw. überschreitet die Nachfrage das Angebot in einer bestimmten Periode, erfolgt oftmals eine Rationierung, indem die tatsächliche Liefermenge an die Nachfrage entsprechend des Verhältnisses der Bestellmenge angepasst wird. Erwarten die Nachfrager Lieferengpässe in einer Periode und daraus resultierende Rationierungen, so erhöhen sie ihre Bestellmenge künstlich über die tatsächliche Nachfrage hinaus, um einen höheren Anteil an der tatsächlich verfügbaren Menge zugeteilt zu bekommen. Verringert sich die Nachfrage, werden die Bestellmengen überproportional reduziert. Teilweise erfolgt zudem die Platzierung mehrerer Bestellungen bei unterschiedlichen Lieferanten, wobei dann ggf. nach der ersten Lieferung die übrigen Bestellungen storniert werden. Gründe für solche nicht nur für die jeweiligen Unternehmen einer Stufe, sondern auch im Sinne einer Gesamtbetrachtung ineffizienten Verhaltensweisen sind somit v.a. Zeitverzögerungen durch nicht aufeinander abgestimmte Planungszyklen, die Nutzung unterschiedlicher und z.T. veralteter Kundeninformationen bzw. Abverkaufsdaten zur Planung sowie fehlende Transparenz der Angebots- und Bedarfsmengen über die Wertschöpfungsstufen hinweg (Lee/So/Tang 2000). Die Hauptansatzpunkte zur Überwindung dieser Problemstellungen liegen deshalb in der Implementierung umfassender und unternehmensübergreifender Informations- und Planungssysteme, die einen Informationsaustausch ermöglichen, der zur Reduktion der Ineffizienzen beitragen kann. Werden z.B. die Bestell- und Nachfragemengen der Endkunden simultan an die vorgelagerten Stufen in der Supply-Chain übermittelt, so kann das „Aufschaukeln“ entlang der Supply-Chain verhindert werden, da die tatsächlichen Nachfrageänderungen dann auf allen Stufen bekannt sind. Dadurch kann die Prognoseunsicherheit auf den unterschiedlichen Stufen der Supply-Chain wesentlich verringert werden (Zentes/Swoboda/Morschett 2004, S. 464). Zudem kann eine Verkürzung der „lead times“ erreicht werden, da lange Wiederbeschaffungszyklen den Peitscheneffekt forcieren. Dies führt dazu, dass die Sicherheitsbestände reduziert und die durch lange Wiederbeschaffungszyklen forcierten Ausschläge des Peitscheneffekts reduziert werden können. Je näher das System an einem Just-in-time-Prozess ist, umso geringer sind die Ausschläge. Ähnliche Effekte werden durch die Einführung kontinuierlicher Bestellungen erreicht, also durch das Abrücken von Bestellmengenbündelungen.
2.5 Supply-Chain-Kooperationen
171
Kontinuierliche Bestellmengenübermittlungen ermöglichen eine Verstetigung der Produktionsauslastung der Hersteller. Auch die Reduktion von Preisaktionen der Hersteller kann von Vorteil sein, da auf diese Weise das Forward-Buying-Verhalten des Handels bzw. der Nachfrager verhindert werden kann (Ailawadi 2001; Lee/Padmanabhan/Wang 1997a). An diesen Ansätzen knüpfen die Prinzipien des ECR-Konzeptes an. 2.5.2
ECR-Konzept als Grundansatz
Das Konzept des Efficient Consumer Response (ECR) geht auf Entwicklungen im Industriegütersektor zurück, insbesondere im Bereich der Automobilwirtschaft. Seit Anfang der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts ist es in der Konsumgüterwirtschaft bekannt (Zentes 1996), wenngleich auch dort weitestgehend perfektionierte „Vorläufer“ existieren, die ähnliche Konzepte bereits früher etabliert hatten.100 Das Konzept des ECR rückt in der jüngsten Zeit verstärkt in den Mittelpunkt, um unternehmensübergreifende Optimierungspotenziale bei der Gestaltung und Steuerung von Wertschöpfungsketten freizusetzen (Seifert 2001; Wildemann 2001, S. 219 ff.). ECR bezieht sich auf die Bildung strategischer Partnerschaften in der Supply-Chain, bei denen die Zielsetzung der besseren Befriedigung der Bedürfnisse der Konsumenten durch die Gewährleistung eines effizienten Warennachschubs, einer effizienten Verkaufsförderungspolitik, einer effizienten Sortimentsgestaltung am Point-of-Sale und einer effizienten Politik der Einführung neuer Produkte im Vordergrund steht (Kotzab 1997, S. 171). Die Ansätze des ECR zielen damit darauf ab, Ineffizienzen entlang der Supply-Chain unter Berücksichtigung der Kundenbedürfnisse zu beseitigen, um Nutzen für alle Beteiligten im Rahmen der Supply-Chain zu realisieren, der anhand einer isolierten, nicht koordinierten bzw. nicht kooperativen Vorgehensweise nicht erreichbar wäre (v.d. Heydt 1998).101 Die Grundüberlegung, auf der das Konzept des Efficient Consumer Response basiert, ist, dass ein unternehmensübergreifender Ansatz zur Optimierung der Waren-, Informations- und Finanzströme erforderlich ist (Klaus 1998), um eine Gesamtsystemoptimierung („total system efficiency“) von den Zulieferanten über die Hersteller und den Handel bis zu den Endabnehmern realisieren zu können (Skjoett-Larsen 2000, S. 377f.). Zu unterschiedlichen Konzepten, die als „Vorläufer“ des ECR-Konzepts angesehen werden können, vgl. auch Kotzab 1997, S. 182; Tietz 1995, S. 183 f.; Sherman 1994, S. 143. 101 Zu einer detaillierten Diskussion unterschiedlicher Begriffsverständnisse vgl. z.B. Kotzab 1997 und v.d. Heydt 1998. 100
172
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
Abgesehen von überbetrieblichen Aspekten der Kooperation hinsichtlich der Formulierung von Standards (z.B. im Rahmen des elektronischen Datenaustauschs) zielt die ECR-Orientierung somit primär auf vertikale Kooperationen ab (Stank/Daugherty/Autry 1999; McKaige 2001). Dabei steht die Etablierung einer kooperativ-partnerschaftlich ausgerichteten Beziehung zwischen Herstellern und Handelsunternehmen im Vordergrund. Es geht somit nicht nur darum, nicht abgestimmtes, isoliertes Vorgehen der Supply-Chain-Mitglieder zu überwinden, sondern auch darum, gegenseitiges Vertrauen und gegenseitiges Verständnis aufzubauen und auch eine „Offenlegung“ der für die Supply-Chain-Partner relevanten Informationen vorzunehmen. Eine wesentliche Voraussetzung ist somit die Etablierung einer „Kooperationskultur“ zwischen den ECR-Partnern (s. Abb. 1.16.; Zentes 1998, S. 54). Dabei steht nicht die Suche nach einer jeweils isolierten Optimierung (im Sinne „lokaler Optima“) der jeweiligen Systeme der Wertschöpfungspartner im Vordergrund, sondern der Fokus liegt darin, eine „Win-Win-Situation“ für alle beteiligten Akteure zu erreichen, also eine Gesamtsystemoptimierung zu realisieren. Dies bedingt z.B. auch, dass im Rahmen der ECR-Ansätze nicht lediglich eine „Verschiebung“ von Kosten auf andere Wertschöpfungsstufen angestrebt werden kann, sondern tatsächliche Kosteneinsparungen in der gesamten SupplyChain angestrebt werden (Corsten/Gabriel 2004, S. 17 f.). Wertschöpfungskette nach dem Push-Prinzip Produktion des Herstellers
Lager des Herstellers
Lager des Handels
Einzelhandel
Konsument
Einzelhandel
Konsument
Wertschöpfungskette nach dem Pull-Prinzip Produktion des Herstellers
Lager des Herstellers
Lager des Handels
Abb. 2.59. Übergang vom Push- zum Pull-Prinzip (Quelle: Zentes 1996, S. 29.)
Der Ansatz des Efficient Consumer Response beinhaltet eine Umorientierung im Rahmen der Wertschöpfungskette. Während die traditionelle Supply-Chain dadurch gekennzeichnet war, dass die Produktionsplanung der Konsumgüterhersteller zumeist relativ unabhängig von der tatsächlichen Nachfrage auf der Konsumentenebene erfolgte und Fertiglagerbe-
2.5 Supply-Chain-Kooperationen
173
stände produziert wurden, die dann durch die Distributionslogistik über den Handel bis hin zum Kunden „gedrückt“ wurden, indem durch große Mengen am Point-of-Sale ein Abverkaufsdruck an die Konsumenten erzegt wurde („Push-Prinzip“), beinhaltet die Denkweise des ECR eine Umkehrung des Verständnisses, indem zu einer „Pull-Denkweise“ übergegangen wird (Zentes/Swoboda/Morschett 2004, S. 646 f.; Liebmann/Zentes 2001, S 597 f.; s. Abb. 2.59.). Den Ausgangspunkt bildet dabei die konsequente Kundenorientierung, bei der die Nachfrage, die von den Konsumenten ausgeht, die gesamte Supply-Chain steuert (Corsten 2002, S. 948). Da die Steuerung der Nachfrage in diesem Fall von den Konsumenten ausgeht, wird in diesem Zusammenhang oftmals von der „demand chain“ gesprochen (Zentes/Swoboda/Morschett 2004, S. 465). Das ECR-Konzept (s. Abb. 2.60.) wurde vom Food Marketing Institute, einer US-amerikanischen Branchenorganisation, initiiert, mit dem Ziel der Verbesserung der Beziehungen zwischen Industrie und Handel. Als Strategie-Mix umfasst es Konzepte der Kooperation in der Logistik (SupplyChain-Management) und Kooperationen im Bereich des Marketing (Category-Management). Das Supply-Chain-Management ist somit auf die kooperative Steuerung der „Supply-Side“ orientiert, während das CategoryManagement kooperative Konzepte im Rahmen der „Demand-SideSteuerung“ beinhaltet (ECR Europe 2001; Wiezorek 1998, S. 395).
EFFICIENT CONSUMER RESPONSE (ECR) SUPPLY-SIDE Efficient Replenishment
Efficient Operating Standards
DEMAND-SIDE Efficient Administration
Efficient Store Assortment
Supply-Chain-Management
Efficient Promotion
Efficient Product Introduction
Category-Management
Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment (CPFR) XML
INTEGRATOR Performance Management
EDI EAN
EPC
Scanning
ENABLING TECHNOLOGIES
ILN WWS
RFID
Electronic Fund Transfer
Abb. 2.60. Komponenten des Efficient-Consumer-Response-Konzepts
Während das Supply-Chain-Management den effizienten Warennachschub und damit den Bereich der (physischen) Logistik in den Vordergrund stellt (Efficient Replenishment), beinhaltet das Category-Management das kooperative Marketing zwischen Industrie und Handel.
174
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
Die Basisstrategien der „Demand-Side“ des ECR-Konzeptes fokussieren v.a. auf die Marketing-Effektivität. Die Zielsetzung liegt dabei im Aufbau und in der Festigung langfristiger Kundenbeziehungen durch ganzheitliche, aber differenzierte Marketing-, Vertriebs- und Servicekonzepte (Hippner/Wilde 2002, S. 6). Insbesondere das Customer-Relationship-Management bildet dabei einen Teilbereich der strategischen Ausrichtung der Handelsunternehmen, das den Paradigmenwechsel von der Push- zur PullOrientierung beinhaltet (Hippner/Wilde 2002, S. 6; Corsten/Gabriel 2004, S. 16 f.). Mit diesem Paradigmenwechsel geht auch eine integrierte Betrachtung zwischen „Supply-Side“ und „Demand-Side“ einher, die es ermöglicht, gleichzeitig Marketing-Effektivität durch Steigerung des Marktanteils bzw. des Umsatzes und Logistik-Effizienz durch Kostenreduktion zu erzielen (Zentes 2004; Min/Mentzer 2000).102 Die Demand-Side-Konzepte des Category-Managements und des Customer-Relationship-Managements weisen somit einen direkten Bezug zum Supply-Chain-Management auf bzw. haben direkte „logistische Konsequenzen“. Die strategischen Planungsaufgaben im Rahmen der DemandSide-Konzepte bestehen vor allem in der Marktanalyse und Marktsegmentierung zur Zusammenführung der Märkte, Kunden und Produkte. Die operativen Aufgaben liegen vornehmlich in der Umsetzung der Marketingmaßnahmen. Die Steuerungsaufgaben beinhalten die einzelnen Phasen des Kundenmanagements (Zentes 2004). Die Planungsaufgaben der Supply-Side-orientierten Ansätze liegen auf der anderen Seite in der Bereitstellung der richtigen Waren und Informationen zur richtigen Zeit in der richtigen Menge am richtigen Ort („4 r“). Dies erfordert Entscheidungen über die Gestaltung und Steuerung des Logistiksystems entlang der Sypply-Chain. Der interdependente Zusammenhang zwischen „Demand-Side“ und „Supply-Side“ liegt somit darin, dass für die Demand-Side-Entscheidungen die Informationen aus dem Leistungserstellungsprozess in der Supply-Chain benötigt werden, um die Kunden mit den entsprechenden Waren zu versorgen. Auf der anderen Seite können im Rahmen von Supply-Side-Entscheidungen nur dann die Logistiksysteme effizient geplant und gestaltet werden, wenn sie durch Kundeninformationen fundiert werden (Busch/Langemann 2002, S. 421ff.). Anhand der Strategien im Rahmen des ECR-Systems werden eine Vielzahl von Einsparpotenzialen im Bereich der Transaktionskosten, der Prozessoptimierung sowie der Kapitalbindung (z.B. durch Reduktion von Lagerbeständen und die Steigerung des Lieferservicegrades) angestrebt.103 102 103
Vgl. hierzu die Ausführungen in den Abschnitten 1.1 und 1.2. Zu den anhand des ECR-Konzeptes angestrebten Einsparpotenzialen, so z.B. durch die Reduzierung von Sicherheitsbeständen entlang der Supply-Chain
2.5 Supply-Chain-Kooperationen
175
Weiterhin steht dabei auch eine Vielzahl nicht direkt finanzieller Potenziale im Vordergrund, so u.a. (Wiezorek 1998, S. 394; Zentes 1998, S. 54 ff.; Liebmann/Zentes 2001, S. 592 f.; Gleißner 2000, S. 100): x Verstärkung der Kundenorientierung und Maximierung des Kundennutzens x Steigerung des Lieferservices x Vermeidung von Out-of-Stock-Situationen x Umwidmung von Lagerflächen der Verkaufsstellen in Verkaufsfläche und dadurch realisierbare Umsatzsteigerung x bessere Fahrzeugauslastung im Rahmen der Transportabwicklung x Verkürzung der Transportketten x verbesserter Lagerbetrieb durch Prozessabstimmung und -optimierung sowie Optimierung der Bestände x Verringerung des Anteils unverkäuflicher bzw. verdorbener Ware x Reduktion der Verwaltungskosten und Verringerung des administrativen Aufwands (z.B. durch Vermeidung von Daten- und Prozessredundanzen) x Reduktion des Mehrfachhandlings x Verkürzung der Auftragsdurchlaufzeiten x Steigerung des Frischegrads der Produkte x Reduktion der Beschwerden der Kunden x nachfragegerechte, effiziente Sortimentsgestaltung und absatzfördernde Positionierung der Produkte x höhere Reaktionsgeschwindigkeiten auf sich veränderndes Kundenverhalten durch höhere Marktnähe x Reduktion von Rückgaben und Annahmeverweigerungen durch den Handel x schnellere Belieferung. Als Nutzenpotenziale, die im Rahmen von ECR-Ansätzen angestrebt werden, stehen Einspareffekte im Vordergrund. Vor allem werden dabei Einspareffekte in den folgenden Bereichen angestrebt (Kotzab 1997, S. 177; KSA 1993, S. 30 ff.): x Produktion: z.B. bessere Ausnutzung der Kapazitäten der Hersteller, geringere Verpackungskosten, bessere Einkaufsmöglichkeiten für Vorprodukte, Einsparungen durch geringere bzw. weniger Schäden.
oder Kosteneinsparungen im Bereich der operativen Prozesse, vgl. ausführlich Abschnitt 1.3.4.
176
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
x Marketing: geringere und effektivere Handels- und EndverbraucherPromotionen, geringere administrative Kosten, geringere Fehlerrate bei Neuprodukteinführungen. x Beschaffung: weniger Administration durch automatisierte, computergestützte Abläufe. x Logistik: bessere Auslastung der vorhandenen Lager- und Transportkapazitäten, weniger Lagerbedarf/Abbau der Bestände, erhöhter Durchsatz. x Administration: Personaleinsparungen. x Tätigkeiten auf der Filialebene: höhere Produktivität durch automatisierte Bestellsysteme. 2.5.3
Demand-Side-Konzepte
2.5.3.1 Category-Management Die Demand-Side-Konzepte des ECR-Systems zielen auf die koordinierte Optimierung der auf die Kunden ausgerichteten Prozesse ab. Das Category-Management beinhaltet dabei die Führung der Warengruppen des Handels als strategische Geschäftseinheiten und steht im Fokus des Marktauftritts des Handels (ECR Europe 2001). Produktprogramm Hersteller 1
Produktprogramm Hersteller 2 Produktprogramm Hersteller 3
Produktprogramm Hersteller 4
Gesamtsortiment Handel Produktprogramm Hersteller n Definierte Kategorie
Abb. 2.61. Categories als Steuerungsobjekte des Handels (Quelle: Schmickler/Rudolph 2002, S. 66.)
Unter einer „Category“ versteht man eine unterscheidbare, eigenständig steuerbare Gruppe von Produkten bzw. Dienstleistungen, die als zusammenhängend definiert und von den Konsumenten als untereinander aus-
2.5 Supply-Chain-Kooperationen
177
tauschbar empfunden werden. Die Bildung der Categories erfolgt dabei ausgehend von den Konsumentenbedürfnissen. Categories können prinzipiell aus unterschiedlichen Sichtweisen gebildet werden (s. Abb. 2.61.), indem sie einerseits als Sortimentsteil des Handels bzw. andererseits als Teilbereich des Produktprogramms des Herstellers interpretiert werden können (Schmickler/Rudolph 2002, S. 67 f.) Im Rahmen der ECR-Denkweise wird unter Category-Management die kooperative Sortimentssteuerung verstanden. Je nach Initiator im Rahmen des Category-Managements kann man unterscheiden in vom Hersteller initiiertes Category-Management, vom Handel initiiertes Category-Management oder das kooperative Category-Management (s. Abb. 2.62.). Handel initiiert CM:
Handel initiiert CM:
Kooperatives CM:
Hersteller initiiert CM:
• Definition der Warengruppen ohne Berücksichtigung von Herstellerinteressen
• Definition der Warengruppen nach Maßgabe des Handels
• gemeinsame Planung von CM-Zielen und Strategien
• Warengruppendefinition nach Maßgabe des Herstellerkonzeptes
• Mitspracherecht des Herstellers (auf Grund von Zahlungen) z.B. bei Regalflächenoptimierung (z.B. Anzahl Facings)
• gemeinsame Definition von Warengruppen
• keine Rücksichtnahme auf handelsspezifische Besonderheiten
• Berücksichtigung von Handelsvorgaben (z.B. Eigenmarken)
• keine Mitwirkung des Handels bei Verkaufsförderung und Produktneueinführung
• Handel forciert Eigenmarkenentwicklung
keine Herstellerexklusivität
keine Herstellerexklusivität
• gemeinsame Planung von Verkaufsförderungsaktionen Herstellerexklusivität
Führerschaft Handel
händlergetriebenes Category-Management
Herstellerexklusivität
Führerschaft Hersteller
kooperatives Category-Management
herstellergetriebenes Category-Management
Abb. 2.62. Formen des Category-Managements (Quelle: Schmickler/Rudolph 2002, S. 67.)
Das Category-Management stellt im Sinne des ECR-Verständnisses einen gemeinsamen Prozess der Händler und Hersteller dar, bei dem (Produkt- und Service-) Kategorien als strategische Geschäftseinheiten geführt werden, um durch die Erhöhung des Kundennutzens Ergebnisverbesserungen auf allen Ebenen der Supply-Chain zu realisieren (ECR Europe 2001). Zur Realisierung des Category-Managements wird die Vorgehensweise nach einem standardisierten Acht-Stufen-Prozess (s. Abb. 4.19.) vorgeschlagen. Dieser Prozess ist nach den wesentlichen absatz- bzw. marketingseitigen Aufgabenbereichen des Category-Managements systematisiert
178
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
und stellt sie in Form eines Phasenmodells zur Aufgaben- sowie Problemlösung zusammen (Eckhardt/Gutknecht 2002, S. 286).104 In der Regel werden drei Dimensionen des Category-Managements betrachtet (Liebmann/Zentes 2001, S. 589 ff.):105 x Efficient Product Introduction x Efficient Promotion x Efficient Store Assortment. Die Hauptzielsetzungen im Rahmen des Category-Managements liegen in der Steigerung des Umsatzes, z.B. anhand der Erreichung größerer Einkaufskörbe und höherer Durchschnittsbons oder der Erzielung von Verbundeffekten im Sortiment. Weiterhin werden Marktanteilssteigerungen und Steigerungen des Deckungsbeitrags der Warengruppen angestrebt (Biehl 1995, S. 42 ff.). Eine weitere wichtige Zielsetzung liegt in der Erreichung einer höheren Kundenloyalität, um somit die Kundenprofitabilität steigern zu können (Kenning 2002, S. 85 ff.). Efficient Store Assortment Das Kernstück des Category-Managements stellt das Konzept der effizienten Sortimentsgestaltung dar. Die Maßnahmen der effizienten Sortimentsgestaltung betreffen v.a. die Ressourcenzuteilung (z.B. Lagerbestand, Regalfläche, Verkaufsfläche, Werbeaktionen, Managementkapazität u.Ä.) für die Warengruppen auf der Basis der Rollenzuteilung sowie die Ressourcenzuteilung für einzelne Subkategorien oder Artikel innerhalb der Warengruppen. Als Steuerungsgrößen stehen die Sortimentsbreite und die Sortimentstiefe im Vordergrund. Die realisierbare Breite und Tiefe des Sortiments ist durch die Verkaufsfläche begrenzt. Für die effiziente Sortimentsgestaltung wurde zur Systematisierung ein Sechs-Stufen-Prozess (s. Abb. 2.63.) vorgeschlagen (ECR Europe 2001). Als Maßnahme der effizienten Sortimentsgestaltung ist deshalb z.B. die Reduktion der Komplexität der Sortimente von großer Bedeutung (ECR Europe 2001). In diesem Zusammenhang spielt v.a. der Abbau der Variantenkomplexität im Sortiment eine besondere Rolle. Für die Markenartikelhersteller ergibt sich dabei die Möglichkeit, ihre Produkte bzw. Marken –
104 105
Zum Acht-Stufen-Prozess des Category-Managements vgl. Abschnitt 4.4.1. Zum Teil wird darüber hinausgehend noch die „Effiziente Platzierung“ als separater Bereich betrachtet (ECR Europe 2001). Im Folgenden wird sie als Teilbereich des „Efficient Assortment“ angesehen.
2.5 Supply-Chain-Kooperationen
179
insbesondere die Top- bzw. „A-Marken“ – im Rahmen des Handelssortiments zu stärken. Schritt 1
Marktabdeckung
Für die Untersuchung der einzelnen Artikel des endgültigen Sortiments wird ein Ziel zur prozentualen Marktabdeckung definiert (z.B. 60 %, 80 %, 90 %).
Schritt 2
Validierung der Artikel-Streichung
Artikel, die die als Ziel definierte Marktabdeckung nicht erreichen, werden auf Basis von Markt-, Händler- und Konsumenten-Maßstäben überprüft, um die Richtigkeit der Streichung zu beurteilen.
Schritt 3
Validierung der Artikel-Beibehaltung
Artikel, die die als Ziel definierte Marktabdeckung nur leicht überschreiten, werden auf Basis von Markt-, Händler- und Konsumenten-Maßstäben überprüft, um die Richtigkeit der Beibehaltung zu beurteilen.
Schritt 4
Validierung der Artikel-Ergänzung
Artikel, die nicht beim Händler gelistet sind, jedoch die als Ziel definierte Marktabdeckung überschreiten, werden auf Basis von Markt-, Händler- und Konsumenten-Maßstäben überprüft, um die Richtigkeit der Neulistung zu beurteilen.
Schritt 5
Endgültige Festlegung des Sortiments
Die Ergebnisse der vorherigen Schritte werden in einer „Marken-Eigenschaft-Matrix“ zusammengefahren, um das neue Sortiment endgültig festzulegen.
Schritt 6
Quantifizierung des Sortiments
Der Effekt des erarbeiteten Sortiments wird quantifiziert und mit dem bestehenden Sortiment verglichen.
Abb. 2.63. Sechs-Schritte-Prozess zur effizienten Sortimentsgestaltung (Quelle: ECR Europe 2001.)
Die Umsetzung kooperativer Strategien im Rahmen der Sortimentsgestaltung dient der Effektivitätssteigerung sowohl auf der Seite der Konsumgüterindustrie als auch auf der Seite des Handels. Dabei steht im Rahmen der effizienten Sortimentsgestaltung das Ziel im Vordergrund, eine gemeinsame Optimierung der Sortimente bzw. Warengruppen, der Produktplatzierungen und der Preise vorzunehmen, um z.B. Zielsetzungen wie eine höhere Flächenproduktivität oder einen höheren Warenumschlag zu erreichen (Schmickler/Rudolph 2002, S. 79 ff.). Unterschiedliche Formen der Zusammenarbeit von Hersteller und Handel sind in Abhängigkeit von ihrer Marken- bzw. Marketingposition in Abb. 2.64. dargestellt. Eine Extremform im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen Hersteller und Handel im Rahmen des Category-Managements bildet das Modell des „Category-Captains“. Dabei wird von dem Handelsunternehmen derjenige Hersteller ausgewählt, der über die höchste Kompetenz bezüglich der Warengruppe verfügt (Holzkämper 1999, S. 56) und am besten zur Unternehmensstrategie des Handelsunternehmens passt. Dieser Hersteller wird als Partner in den gesamten Entscheidungsprozess bezüglich der Sortimentsgestaltung einbezogen (Wiezorek 1998, S. 401 f.), wobei die endgül-
180
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
Händlerposition
stark/hoch entwickelt
„H an d Pa els rt m ne ar r“ ke n-
tige Entscheidung bei dem Handelsunternehmen verbleibt. Der Hersteller übernimmt damit eine Beraterfunktion. Im Rahmen dieses Konzeptes wird er deshalb auch häufig als „Category-Consultant“ bezeichnet (Zentes/Schramm-Klein 2004).
mittel/weniger entwickelt
schwach/wenig entwickelt
„CategoryCaptain“
„Marken-Bastion“
„Marken-Dampfwalze“
schwach
mittel
stark
Marken-/Marketingposition Hersteller
Abb. 2.64. Strategiewahl zur Zusammenarbeit mit dem Handel aus Herstellersicht (Quelle: in Anlehnung an Biehl 1995, S. 32.)
Der Hauptvorteil für den Markenartikelhersteller liegt dabei v.a. darin, dass er die Möglichkeit hat, auf Grund seiner Beraterfunktion einzelnen Produkten seiner Konkurrenten den Markteintritt zu erschweren (Battenfeld 2001, S. 96). Allerdings besteht für die Hersteller im Rahmen solcher exklusiven Partnerschaften mit ausgewählten Handelsunternehmen die Gefahr, dass diese sich u.U. negativ auf die Beziehung zu anderen Handelsunternehmen auswirken kann. Efficient Promotion Bei der effizienten Verkaufsförderung steht die Koordination der Kommunikationspolitik von Herstellern und Handel im Vordergrund, insbesondere die Gestaltung der konsumentengerichteten Werbe- und Verkaufsförderungskonzepte. Der größte Teil der Verkaufsförderungsaktionen wird in der Praxis in Form von Preisaktionen durchgeführt. Aus Handelssicht dominiert dabei vor allem die Signalisierung der Preiskompetenz und die Profilierung gegenüber der Konkurrenz. Zudem werden neben einer Steigerung der Absatzmenge des Aktionsproduktes Verbundeffekte mit Gesamtsortimentsbezug angestrebt. Diese Verbundeffekte stehen für den
2.5 Supply-Chain-Kooperationen
181
Handel im Vordergrund. Das Interesse des Absatzes des im Rahmen der Aktion geförderten Produktes ist i.d.R. dieser Zielsetzung nachrangig. Die im Rahmen der Aktion beworbenen Produkte sollen vielmehr eine Funktion als „traffic builders“ ausüben, um gesamtsortiments- bzw. einkaufsstättenbezogene Zielsetzungen zu fördern. Dabei zeigt sich eine grundsätzliche Zieldivergenz, die zwischen Hersteller- und Handelsunternehmen besteht. Für die Markenartikelhersteller steht vorrangig das Ziel des Absatzes ihrer eigenen Produkte im Fokus. Zudem ist aus ihrer Perspektive der Einfluss von Preisaktionen auf das Image der Marken eher negativ (Zentes/Schramm-Klein 2004; Litzinger 1995, S. 86). Erfolgt eine koordinierte Vorgehensweise im Rahmen der Promotions, so können im Rahmen der effizienten Verkaufsförderung anhand des Einsatzes von Nicht-Preismaßnahmen preispolitisch orientierte Aktionen (so Sonderpreise, Sonderverkäufe u.Ä.) überwunden werden, indem im Rahmen eines kooperativen Vorgehens unterschiedliche Maßnahmen wie z.B. Sonderverpackungen, Produktzugaben, Events, Direct Mailings, Treueaktionen u.Ä. realisiert werden. Die Zielsetzung liegt dabei darin, Anreize zu schaffen, die nicht auf das Preisargument fokussieren, sondern v.a. dem Aufbau von Loyalität bei den Konsumenten dienen (Hallier 1995, S. 106). Der Einsatz von Strategien des Nicht-Preiswettbewerbs im Rahmen der Verkaufsförderung soll damit auch dazu beitragen, die Herstellermarke zu stärken, indem qualitäts- oder erlebnisorientierte Aspekte in den Vordergrund gestellt werden (Liebmann/Zentes 2001, S. 190). Zur Koordination der kooperativen Vorgehensweise wird wiederum ein allgemeiner Rahmenprozess vorgeschlagen, der die folgenden Basisschritte vorsieht (ECR Europe 2001): 1. Schritt: Definition und Verständigung über die Ausgangssituation. 2. Schritt: Bewertung bisheriger Verkaufsförderungsaktionen. 3. Schritt: Beurteilung der Verbraucher- und Käufersegmentierung (z.B. Einkaufsstättentreue/Markentreue). 4. Schritt: Analyse des Verbraucher- und Käuferverhaltens. 5. Schritt: Definition geeigneter Promotion-Taktiken (Reduktion von Preis-Promotions). 6. Schritt: Durchführung von Tests ausgewählter Promotion-Taktiken. 7. Schritt: Einigung auf die Promotion-Strategien und -Pläne. 8. Schritt: Umsetzung des abgestimmten Promotion-Plans.
182
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
Efficient Product Introduction Bei der effizienten Produkteinführung liegt die Zielsetzung in der Optimierung der Produktentwicklung und der auf neue Produkte bezogenen Einführungsaktivitäten. Auf Grund der direkten Nähe des Handels zu den Konsumenten und seines daraus resultierenden Informationsvorsprungs bezüglich der Konsumentenanforderungen und -reaktionen besteht die Zielsetzung der Hersteller bei der Realisierung kooperativer Strategien im Rahmen der Produktentwicklung und -einführung darin, durch die Integration des Handels Misserfolge der Produkteinführung zu verhindern bzw. zu reduzieren (Zentes/Schramm-Klein 2004). Dabei wird das spezifische Handelswissen über die Einkaufs- und Konsumgewohnheiten der Konsumenten mit dem spezifischen Herstellerwissen über Produktspezifika verknüpft. Das dadurch realisierbare bessere Verständnis für die Konsumentenbedürfnisse ermöglicht eine bessere Anpassung der Produkte an die Markterfordernisse. Dabei wird einerseits die Anpassung an die Konsumentenanforderungen gesteigert und weiterhin die Anpassung der Produkteinführungsaktivitäten an die Anforderungen des Handels optimiert (Zentes/Schramm-Klein 2004; Schmickler/Rudolph 2002, S. 77 ff.).
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8. Untersuchung der Auswirkung auf Kategorien
6. gemeinsame Kommunikation zum Konsu5. menten gemeinsame
2. Konzeptentwicklung und Erprobung
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7. Bewertung der gemeinsamen Einführung
1. Ideengenerierung
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3. Produktion und Marketingplan
L II. n au ch
4. Planung Umsetzung gemeinsame Einführungs- Produkteinführung plan
Abb. 2.65. Acht-Stufen-Prozess der effizienten Produkteinführung (Quelle: ECR Europe 2001.)
2.5 Supply-Chain-Kooperationen
183
Die Kooperation im Rahmen der Produkteinführung ist somit auf die Verbesserung der Produktentwicklung und der Einführungsaktivitäten ausgerichtet, z.B. durch optimierte Testmöglichkeiten und schnellere Reaktionsmöglichkeiten auf das Konsumentenverhalten (ECR Europe 2001). Vor allem können Produktneueinführungsprobleme wie z.B. zu geringe „Geduld“ des Handels im Rahmen kooperativer Konzepte überwunden werden. Zur konkreten Vorgehensweise wird wiederum ein mehrstufiger Standard-Prozess vorgeschlagen, nach dem der Ablauf der Produkteinführungsaktivitäten strukturiert werden kann (s. Abb. 2.65.). 2.5.3.2 Customer-Relationship-Mangement Customer-Relationship-Management im allgemeinen Begriffsverständnis drückt den grundsätzlichen Orientierungswandel im Rahmen des ECRKonzeptes aus.106 Es beinhaltet einen Wandel in der Marketingphilosophie von der Transaktionsorientierung, die lediglich auf die Anbahnung von einzelnen Transaktionen mit nicht näher konkretisierten Kunden ausgerichtet ist, hin zur Beziehungsorientierung (Berry 1983, 1995; Grönroos 1994; Bruhn 2001). Die Zielsetzung liegt in der Ausrichtung auf den Aufbau und die Steuerung der gesamten Kundenbeziehungen, um nicht nur einzelne Transaktionen zu realisieren, was einer Fokussierung auf die Gewinnung von Neukunden gleich kommt, sondern um Kundenbeziehungen zu initiieren, zu stabilisieren und zu intensivieren (Bruhn 2001, S. 8 ff.). Anhand der Steigerung der Loyalität der Kunden soll eine langfristige Beziehung aufgebaut werden, um auf diese Weise eine Erhöhung der Profitabilität der Kundenbeziehung und die Optimierung des Kundenportfolios zu erreichen (Homburg/Sieben 2001). Es werden einzelne Kunden bzw. Kundengruppen in den Mittelpunkt des Beziehungsmarketing gerückt, die für die Unternehmen „wertvoll“ sind, also einen hohen Kundenwert („customer value“) aufweisen (Cornelsen 1998). Im Rahmen des CustomerRelationship-Managements ist somit die Kundenbindung die zentrale Zielgröße unternehmerischer Aktivitäten. Dabei ist es erforderlich, den Kunden zusätzlich zu dem direkten Nutzen, der aus dem Produkt- und Leistungsangebot resultiert, einen weiteren direkten Nutzen aus der Fortsetzung der Geschäftsbeziehung („relationship equity“) mit dem betreffenden Anbieter zu bieten (Rust u.a. 2001, S. 5). Im Kontext des Efficient-Consumer-Response-Konzepts stehen kooperative Aspekte des Customer-Relationship-Managements im Vordergrund. Das Konzept wird deshalb auch als „Collaborative Customer-Relationship-Management“ (CCRM) bezeichnet, worunter die gemeinsame Ge106
Zum Customer-Relationship-Management vgl. auch Abschnitt 4.5.
184
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
winnung, Bindung und Weiterentwicklung von Kundenbeziehungen durch Hersteller und Handelsunternehmen verstanden wird (Kracklauer u.a. 2002, S 24). Im Rahmen des kooperativen oder „kollaborativen“ CRM sind unterschiedliche Perspektiven zu berücksichtigen, mit denen die Supply-ChainPartner die Kundenbeziehungen betrachten. Man kann dabei die Stufen der Industrie, des Handels sowie der Konsumenten unterscheiden. Im Rahmen des Customer-Relationship-Managements sind (unter Vernachlässigung von Wertschöpfungsstufen wie Vorlieferanten, Großhandel, Logistikdienstleister usw.) zunächst vier unterschiedliche Dimensionen (s. Abb. 2.66.) zu betrachten (Zentes/Swoboda/Morschett 2003b). Hersteller Handelspartnerbindung
Markenbindung
Integratives CRM
Handel Einkaufsstättenbindung Konsument
Abb. 2.66. Dimensionen des CRM (Quelle: Zentes/Swoboda/Morschett 2003b.)
Aus der Perspektive der Konsumgüterhersteller steht die Bindung der Konsumenten als Endabnehmer der Produkte an ihre Marke im Vordergrund, während die Handelsunternehmen die Bindung der Konsumenten an ihre Geschäfte bzw. Betriebs- und Vertriebstypen anstreben. Diese konfliktären Interessen von Industrie und Handel im Rahmen gegenüber den Konsumenten weisen darauf hin, dass sowohl die Hersteller als auch die Handelsunternehmen „Nachfrager“ im Rahmen der vertikalen Beziehung sind. Die Handelsunternehmen sind Nachfrager der Produkte des Herstellers und die Hersteller treten als Nachfrager nach „Regalplatz“ bei dem Handel auf. Die dritte Dimension der Kundenbindung knüpft hieran an und bezieht sich auf die Bindung der Handelspartner an die Konsumgüterhersteller („Trade-Marketing“). Zwischen den CRM-Systemen von Herstellern und Handel gegenüber den Konsumenten besteht somit ein wesentlicher Zusammenhang. Einerseits ist die Bindung der Konsumenten an die Handelsunternehmen von der Zufriedenheit der Konsumenten mit den Leistungsdimensionen des Handels abhängig. Diese Zufriedenheit hat wiederum einen wesentlichen
2.5 Supply-Chain-Kooperationen
185
Einfluss auf die Bindung der Konsumenten an die Marke der Hersteller (Bloemer/Lemmink 1992, S. 359). Diese Abhängigkeit der Kundenbindungssysteme zwischen Hersteller- und Handelsunternehmen bildet die Basis für die vierte Dimension der Kundenbindung, die in der Integration der bisher genannten Kundenbindungsdimensionen liegt. Sie beinhaltet die Abstimmung der jeweiligen Customer-Relationship-Management-Maßnahmen bzw. ihre koordinierte Nutzung (Zentes/Swoboda/Morschett 2003b). Die Realisierung koordinierter Systeme des Customer-RelationshipManagements bietet die Möglichkeit, die Effizienz und Effektivität der CRM-Maßnahmen zu erhöhen. Insbesondere stehen dabei die Bündelung des Know-hows der Supply-Chain-Partner sowie der abgestimmte Einsatz von Marketing-Maßnahmen im Vordergrund. Die Kundenorientierung, welche die Basis des (kooperativen) Customer-Relationship-Managements bildet, stellt den Ausgangspunkt der weiteren Elemente des ECRKonzeptes dar, da ausgehend von diesen Kundenbedürfnissen die Steuerung der gesamten Supply-Chain erfolgt. Dabei lassen sich durch das koordinierte Vorgehen von Industrie und Handel bei der Gestaltung der Schnittstellen zu den Kunden (z.B. Point-of-Sale, Call-Center oder Internet) Vorteile erzielen, so hinsichtlich der Kundengewinnung, der Kundenidentifikation oder der Kundenentwicklung im Rahmen der Optimierung der Kundenbeziehungen, die der Verbesserung der Kundenbindung gegenüber Hersteller und Handelsunternehmen dienen (Piller/Schaller 2002). 2.5.4
Supply-Side-Konzepte
2.5.4.1 Überblick Die ECR-Konzepte im Rahmen der Supply-Side fokussieren auf die Optimierung der Supply-Chain hinsichtlich der Prozessabläufe sowohl „upstream“ (in Richtung der Hersteller) als auch „down-stream“ (in Richtung der Kunden). Dabei stehen logistische Fragestellungen im Vordergrund, so die Optimierung der Geschäftsprozesse bis in die Regale der Filialen des Handels. Im Rahmen der Supply-Side-orientierten Ansätze erfolgt somit eine Fokussierung auf die kooperative, unternehmensübergreifende Gestaltung und Steuerung des Waren- und Informationsflusses. Die Supply-Side bezogenen ECR-Betrachtungen beziehen sich auf Konzepte, die auf die effiziente Administration („Efficient Administration“, EA), die effiziente operative Logistik („Efficient Operating Standards“, EOS) sowie auf die effiziente (Lager-)Nachschubversorgung ausgerichtet sind (Seifert 2002a, S. 28).
186
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
Im Vordergrund der effizienten Nachschubversorgung steht dabei das Konzept des Efficient Replenishment (ER). Die Zielsetzung des Efficient Replenishment liegt darin, die Synchronisation der Produktion der Hersteller (bzw. der Vorlieferanten) mit der Kundennachfrage zu erreichen, indem alle Beteiligten bzw. Prozessstufen im Rahmen der Supply-Chain (Kunden, Handel (Zentrale, Läger, Filialen), Hersteller, Logistikdienstleister usw.) in einem integrierten System verbunden werden. Das Ziel ist die Realisierung eines „Just-in-time“-artigen Pull-Systems, das durch die tatsächlichen Abverkäufe am Point-of-Sale gesteuert wird (s. auch Abb. 2.62.) (Gleißner 2000, S. 109; Klaus 1998; Liebmann/Zentes 2001, S. 599). BestandsBestands-und und LagerhaltungsLagerhaltungsstrategien strategien
BeschaffungsBeschaffungsund undVertriebsVertriebsstrategien strategien
• Vendor-Managed Inventory (VMI)
• Continuous Replenishment (CRP)
• Co-Managed Inventory (CMI)
• Quick Response (QR)
• Buyer-Managed Inventory (BMI) • Perpetual Inventory System (PIS)
• Computer-Aided Ordering (CAO) • Integrated Suppliers (IS) • Synchronized Production (SP)
DistributionsDistributionsund undTransportTransportstrategien strategien • Cross-Docking (CD) • Direct-StoreDelivery (DSD) • Integrated Forwarders (IF) • Transport Pooling (TP) • Efficient Unit-Loads (EUL) • Roll-Cage-Sequencing (RSC)
Abb. 2.67. Strategieansätze im Rahmen des Efficient Replenishment nach logistischen Kernaufgagen (Quelle: in Anlehnung an Gleißner 2000, S. 169.)
Efficient Replenishment stellt dabei eine Basisstrategie dar, unter der eine Vielzahl unterschiedlicher Teilstrategien subsumiert wird. Die einzelnen Strategieansätze können in unterschiedlicher Form systematisiert werden. Ein Überblick über unterschiedliche Strategieansätze im Rahmen des Efficient Replenishment in einer Zuordnung nach logistischen Kernaufgaben ist in Abb. 2.67. dargestellt. Dabei ist der Ansatz das Continuous Replenishment (CRP) als übergreifendes bzw. übergeordnetes Konzept zu verstehen, bei dem die kontinuierliche Warenversorgung im Vordergrund steht, indem die Nachschubversorgung durch die Nachfrage der Konsumenten bestimmt wird. Im Zusammenhang mit den Supply-Side-orientierten Betrachtungen werden oftmals die Bereiche der Supply-Chain-Planung (Supply-ChainPlanning, SCP) und der Supply-Chain-Execution (SCE) in den Vorder-
2.5 Supply-Chain-Kooperationen
187
grund gestellt.107 Im Rahmen der Supply-Chain-Planung stehen bei dieser Sichtweise die Planung und Steuerung des Warenflusses sowie die Strukturierung der Distributionskanäle im Vordergrund, während die Supply-ChainExecution auf die operative Durchführung der Waren- und Informationsflüsse fokussiert (Zentes u.a. 2002, S. 27 ff.). Diese Systematisierung stammt aus der Software- bzw. Informationstechnologie.108 Dabei werden die „Tools“ bzw. „Werkzeuge“ zur Unterstützung des Supply-ChainManagements in Planungsunterstützungssysteme (SCP) und Systeme zur operativen Prozessabwicklung (SCE) eingeteilt. Zusätzlich werden Systeme des „Supply-Chain-Event-Managements“ (SCEM) unterschieden (Kuhn/Hellingrath 2002, S. 144 ff.; Grünauer 2001, S. 123 ff.):109 x Die Systeme des Supply-Chain-Planning dienen der Unterstützung der Planung der Logistikressourcen, um die Kundenaufträge realisieren zu können. Sie umfassen Unterstützungssysteme zur strategischen Planung, zur Bedarfsplanung, zur Netzwerkplanung (Koordination der Partner in der Supply-Chain), zur Beschaffungsplanung und zur Distributionsplanung (insbesondere Lagerbestände, Lieferungen bzw. Transportkapazitäten). In diesem Bereich sind z.B. die APS-Systeme von hoher Bedeutung.110 x Die Systeme der Supply-Chain-Execution dienen v.a. der Unterstützung der operativen Prozessabläufe. Im Vordergrund steht dabei die unternehmensübergreifende Steuerung und Kontrolle der Supply-ChainProzesse. In diesem Bereich sind z.B. Auftragssteuerungssysteme, Lagerabwicklungssysteme oder Transportabwicklungssysteme von Bedeutung. Vgl. hierzu auch Abschnitt 1.4.1. Oftmals erfolgt der Versuch einer Einordnung der Supply-Side-orientierten Prozesse des ECR-Konzeptes in diese Systematik. Da die Unterscheidung zwischen SCP und SCE jedoch eher auf einer Prozesssicht im Sinne eines strategischen Managementprozesses basiert, bei dem ausgehend von der generellen Strategiefestlegung die Planung der Supply-Chain und die Durchführung der Supply-Chain-Prozesse erfolgen (Chopra/Meindl 2004, S. 7), ist diese Vorgehensweise nicht sinnvoll. Eine Zuordnung der Bestandteile der ECR-SupplySide-Konzepte zu den unterschiedlichen Bereichen ist dadurch nicht möglich, denn in jedem der Konzepte sind jeweils sowohl Planungs- als auch Steuerungs- und Kontrollprozesse notwendig. SCP-, SCE- und SCEM-Systeme dienen somit der Unterstützung aller Konzeptbestandteile der ECR-Supply-Side. 109 Zur informationstechnologischen Unterstützung des Supply-Chain-Managements vgl. Kapitel 3. 110 APS-Systeme („Advanced Planning Systems“) werden zur Optimierung von Planungsprozessen eingesetzt. 107 108
188
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
x Die Systeme des Supply-Chain-Event-Managements dienen v.a. der Überwachung der Aktivitäten in der Supply-Chain. Dabei steht das Monitoring der Prozesse im Vordergrund, sodass bei Planabweichungen Meldungen bzw. Warnungen generiert werden und die Einleitung notwendiger (korrigierender) Maßnahmen erfolgen kann. Die Systeme des SCEM dienen somit insbesondere dazu, Transparenz über die wichtigsten Prozessparameter in der Supply-Chain zu schaffen, z.B. über Störungen, über Bestände, über bestehende Bedarfe u.Ä. Dabei steht nicht nur das – unternehmensübergreifende – Monitoring der Supply-ChainProzesse im Vordergrund, sondern auch die Früherkennung bzw. Frühwarnung und das Krisen-Management sind von zentraler Bedeutung.111 2.5.4.2 Beschaffungs- und Vertriebsstrategien im Rahmen des Efficient Replenishment Continuous Replenishment und Quick Response Unter Continuous Replenishment werden – wie bereits erwähnt – Strategiekonzepte zur kontinuierlichen Warenversorgung zusammengefasst. Dabei erfolgt die Steuerung des Nachschubs im Handel bzw. der Produktion bei den Herstellern und Vorlieferanten auf der Basis der Nachfrage der Konsumenten. hoher Sicherheitsbestand wg. hoher Prognoseungenauigkeiten beliefert Zentrallager
Produktion Hersteller steuert Produktion gemäß Bedarfsprognosen
liefert bestellte Mengen
Zentrallager Hersteller
übermittelt Bestellmengen
Zentrale Hersteller prognostiziert zukünftige Bedarfe auf Basis der Bestellungen
hoher Sicherheitsbestand wg. Bestellvorlauf und mögl. Lieferengpässe
Zentrallager Händler
meldet Erreichen von Sicherheitsbeständen
bestellt Ware
beliefert Filialen
übermittelt Bedarfe der Filialen
Zentrale Händler
Filiale
meldet Bedarf an Zentrale
Abb. 2.68. Traditioneller Bestell- und Lieferprozess (Quelle: Swoboda/Janz 2002, S. 206.)
111
Vgl. hierzu Abschnitt 4.2.3.
2.5 Supply-Chain-Kooperationen
189
Die Grundidee setzt an der Just-in-time-Belieferung an. Der Point-ofSale muss dementsprechend immer genau zum richtigen Zeitpunkt über die benötigte Ware verfügen. Der Waren- und Informationsfluss entlang der Supply-Chain wird somit im Sinne eines automatisierten Wiederbestellsystems im Gegensatz zu herkömmlichen Systemen (s. Abb. 2.68.) auf der Basis der tatsächlichen bzw. der prognostizierten Abverkäufe optimiert (v.d. Heydt 1998, S. 56). geringer Sicherheitsbestand wg. genauer Kenntnis der Abverkäufe und Bestände beliefert Zentrallager
liefert kontinuierlich abverkaufte Produkte nach
Zentrallager Händler
Zentrallager Hersteller
Produktion Hersteller
beliefert Filialen
leitet weiter greifen zu
passt Produktion unmittelbar an aktuelle Bestandsund Abverkaufssituation an
geringer Sicherheitsbestand wg. Wegfall des Bestellvorlaufs und geringerem Lieferengpassrisiko
Zentrale Hersteller
Infoplattform
Filiale übermittelt Abverkäufe
Zentrale Händler
Abb. 2.69. Bestell- und Lieferprozess auf der Basis von Abverkaufszahlen (Quelle: Swoboda/Janz 2002, S. 207.)
Die Basis des Continous Replenishment bildet eine informationstechnischen Vernetzung (z.B. per EDI), anhand derer eine verbrauchsnahe Übermittlung von Abgangsdaten erfolgt, einerseits Lagerabgangsdaten der Hersteller- und Handelsläger und weiterhin Abverkaufsdaten als „Abgangsdaten“ in den Filialen (s. Abb. 2.69.). Dies ermöglicht die Synchronisation der Produktion. Durch einen optimalen Informationsaustausch werden die Reaktion auf Kundenwünsche und der Servicegrad bei gleichzeitiger Reduktion der Bestände erhöht (Fürst/Schmidt 2001, S. 528f.). Auf Grund der auf diese Weise realisierbaren kürzeren „lead times“ bzw. Bestellvorlaufzeiten können die Hersteller ihre Abhängigkeit von längerfristigen und dadurch meist ungenauen Prognosedaten reduzieren (Liebmann/Zentes 2001, S. 600; ECR Europe 2001). Bei Quick-Response-Systemen handelt es sich ebenfalls um partnerschaftlich orientierte Systeme zwischen Industrie und Handel, die auf die Beschleunigung des Warenflusses ausgerichtet sind. Das Konzept des Quick Response stellt einen der ersten Ansätze zur bedarfsgerechten Steu-
190
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
erung des Waren- und Informationsflusses dar, der insbesondere bei schnellen Nachfrageänderungen von Bedeutung ist (Kotzab 1997, S. 126 ff.). Entwickelt wurde das Konzept Anfang der neunziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts in der US-amerikanischen Textilindustrie. Aus diesem Grund wird dieses Konzept z.T. als „Just-in-time-Konzeption der Textilbranche“ bezeichnet (Zentes 1989, S. 39; Liebmann/Zentes 2001, S. 602).112 Die hohe Variantenvielfalt in der Modebranche sowie die saisonalen Gegebenheiten im Rahmen der Modesortimente bildeten den Ausgangspunkt der Entwicklung. Die Zielsetzung liegt darin, den Warenstrom mit kleineren Bestellmengen und kürzeren bzw. schnelleren Bestellrhythmen stärker an die tatsächliche Nachfrage zu koppeln, damit schneller auf unvorhergesehene Änderungen (z.B. Änderungen des Modetrends) reagiert werden kann. Dadurch soll die Lagerhaltung von Fertigwaren durch die Lagerhaltung von Vorprodukten abgelöst werden und mit einer flexibleren Produktionssteuerung zur schnellen Nachproduktion zu einer verbesserten Liefersicherheit führen (Gleißner 2000, S. 172). Dem Quick-Response-Gedanken liegt damit – analog des CRPKonzepts – die artikelgenaue Erfassung der Abverkaufsdaten am Point-ofSale zu Grunde, die regelmäßig an die Hersteller übermittelt werden und auf deren Basis die Produktionsplanung und -steuerung erfolgt (Walker 1994). Die Prinzipien des Continuous Replenishment und des Quick Response korrespondieren somit miteinander und werden deshalb z.T. gleichgesetzt (Liebmann/Zentes 2001, S. 602). Continuous Replenishment bildet eine Klammer für die logistischen Ansätze im Rahmen der ECR-Aktivitäten. Die nachfragesynchrone Versorgung als Basiskonzept ermöglicht zudem den Einsatz veränderter Lagerbzw. Umschlagskonzepte. So erleichtert bzw. ermöglicht das Continuous Replenishment z.B. die (ggf. partielle) Umstellung von (Zentral-)Lägern auf Warenverteilzentren im Sinne von Transit-Terminals oder den Einsatz von Cross-Docking-Systemen. Computer-Aided Ordering, Synchronized Production und Integrated Suppliers Das Computer-Aided Ordering (auch Computer-Assisted Ordering oder Automated Store-Ordering) dient der kontinuierlichen, standardisierten Bestell- und Nachschubversorgung, das anhand computergestützter Dispositionssysteme realisiert wird (Seifert 2001, S. 125). Dabei werden auto-
112
Vgl. hierzu z.B. Kotzab 1997, S. 126 ff.; Gleißner 2000, S. 171 ff.
2.5 Supply-Chain-Kooperationen
191
matisch Bestellungen auf der Basis der verfügbaren Daten vorgenommen. Hierbei sind z.B. relevant (Gleißner 2000, S. 175 f.; ECR 2001): Profil der Filiale (Produkte, Regalfläche) Abverkaufsdaten Absatzprognose Bestandsdaten (z.B. verfügbarer Bestand, avisierte Lieferungen, Sicherheitsbestand) x Umfeldfaktoren mit Auswirkungen auf die Nachfrage (z.B. Wetter, Urlaubszeit) x logistisch effizientes Bestellvolumen (z.B. Mindestbestellmengen) x Wiederbeschaffungszeit. x x x x
Die Voraussetzung für Computer-Aided Ordering stellt somit insbesondere die artikelgenaue Erfassung der Wareneingänge, der Lagerabgänge sowie der Filialverkäufe dar. Die Grundlage bilden Informationen der Warenwirtschaftssysteme. An automatisierten Bestellsystemen schließt das Konzept der „Synchronized Production“ gedanklich an. Den Ausgangspunkt der Überlegungen bildet dabei die Erkenntnis, dass zur Realisierung von Bestandreduktionen entlang der Supply-Chain das Produktionsvolumen an die Konsumentennachfrage angepasst werden muss. Im Rahmen des Konzepts der synchronisierten Produktion erfolgt eine Anpassung und Abstimmung des Produktionsvolumens in Bezug auf die tatsächliche bzw. prognostizierte Nachfrage – im Sinne abverkaufssynchroner Losgrößen -, um auf diese Weise eine Reduktion der Bestände im Gesamtsystem zu realisieren (Gleißner 2000, S. 178). Das Konzept der „Integrated Suppliers“ dient der Integration der Zulieferer der Konsumgüterhersteller in den ECR-Prozess. Hierbei handelt es sich somit um die Erweiterung der an den Austausch- bzw. Kooperationsprozessen (insbesondere Datenaustausch) beteiligten Unternehmen in Richtung der Beschaffungsseite der Hersteller, indem die Zulieferer der Hersteller (insbesondere die wichtigsten Partner, die für den Großteil ihrer Lieferungen (z.B. Rohmaterial, Vorprodukte, Verpackungen) verantwortlich sind), in die ECR-Prozesse mit einbezogen werden (Gleißner 2000, S. 177). Dieses Konzept dient somit dazu, konsequent die ECR-Prozesse auf allen Ebenen zu realisieren. Es stellt eine logische Konsequenz des ECR-Gedankens dar, bei dem grundsätzlich alle Partner der Supply-Chain in die Kooperations- und Austauschprozesse mit einbezogen werden sollen (vom Rohstofflieferanten über die Vorprodukthersteller, die Hersteller, den Handel bis zum Kunden). In der Praxis sind jedoch Austauschprozesse
192
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
oftmals auf die Hersteller-Handels-Interaktion begrenzt. Diese Beschränkung soll durch das Konzept der Integrated Suppliers überwunden werden. 2.5.4.3 Bestands- und Lagerhaltungsstrategien im Rahmen des Efficient Replenishment Die Bestands- und Lagerhaltungsstrategien im Rahmen des Efficient Replenishment können je nachdem, welcher der Akteure (Hersteller, Handel oder beide) über die Entscheidungshoheit bzw. die Bestandsverantwortung verfügt, unterschieden werden in x Vendor-Managed Inventory (VMI) x Buyer-Managed Inventory (BMI) x Co-Managed Inventory (CMI). Eine weitere Form des Lagermanagements stellt das „Perpetual Inventory System“ (PIS) dar. Hierbei handelt es sich um ein automatisches Lagerführungssystem, bei dem eine permanente Überwachung der Regalbestände für alle Artikel anhand der elektronischen Erfassung der Wareneingänge und der Abverkäufe erfolgt. Auf der Basis automatisch generierter Meldungen erfolgt die Übermittlung der Informationen an die Hersteller, die darauf basierend ihre Produktion synchronisieren können. Dieses System ist in der Praxis nur sehr wenig verbreitet (Gleißner 2000, S. 200), kann aber im Rahmen der Entwicklung neuer Technologien der Bestandserfassung (z.B. RFID) in der Zukunft potenziell an Relevanz gewinnen.113 Vendor-Managed Inventory (VMI) Das Konzept der Vendor-Managed Inventories stellt eine spezifische Form des Lagerbestandsmanagements dar, das auf den automatischen Warennachschub ausgerichtet ist. Beim VMI wird dem Hersteller die Dispositions- und damit auch die Bestandsverantwortung übertragen. Es handelt sich bei diesem Konzept somit um ein zwischen Hersteller und Handelsunternehmen stattfindendes Partnerschaftsprogramm, bei dem der automatisierte Warennachschub in der Verantwortung des Herstellers liegt. Der Hersteller bestimmt somit quasi in „Alleinregie“ über die Warenbestände im Lager des Handels. Dieses Konzept basiert auf dem permanenten Angleichen von Angebots- und Nachfragerhythmen (Kotzab 1997, S. 142). Der permanente Abgleich der Aktivitäten der Partner erfolgt durch kontinuierlichen Austausch 113
Vgl. hierzu Abschnitt 2.6.2.
2.5 Supply-Chain-Kooperationen
193
der Bestands- und Abverkaufsdaten. Die Zielsetzung liegt in der Vermeidung (überflüssiger) Sicherheitsbestände auf der Handelsstufe (Kaipia/Holmström/Tanskanen 2002). Die Vorteile des VMI-Konzepts entstehen v.a. daraus, dass der Hersteller seine Nachfrageprognosen auf der Basis der vorliegenden Handelsdaten selbst erstellt. Dies wirkt sich positiv auf Sicherheitsbestände, Out-ofStock-Situationen sowie die Prozesskosten der Tourenplanung, Produktionsverschiebungen und Optimierungen von Produktionslosgrößen aus, was mit einer verbesserten Lieferbereitschaft und einer Verkürzung der Lieferzeiten verbunden ist (Gleißner 2000, S. 195f.; Lee/Padmanabhan/Wang 1997a, 1997b). Allerdings führen VMI-Konzepte dazu, dass ein „Ungleichgewicht“ entlang der Supply-Chain entsteht. Der Hersteller übernimmt mit der Übernahme der Dispositionsaufgabe zusätzliche betriebswirtschaftliche Aufgaben, was zunächst mit höheren Kosten verbunden ist (z.B. für Sach- und Personalaufwendungen), während beim Handel durch die Reduktion der Bestände der Aufwand reduziert wird, was direkt als messbarer Vorteil realisiert werden kann. Die Vorteile, die sich für die Hersteller ergeben, insbesondere positive Rückwirkungen über den gleichmäßigeren Warenabfluss auf die Produktion, werden erst langfristig und auch erst ab einer bestimmten „kritischen Masse“ für den Hersteller spürbar (Liebmann/Zentes 2001, S. 601 f.). Co-Managed Inventory / Buyer-Managed Inventory Die dargestellten Ungleichgewichtssituationen, die sich entlang der Supply-Chain ergeben können, sind damit verbunden, dass in der Praxis oftmals eine „Zurückhaltung“ seitens der Hersteller gegenüber VMIKonzepten besteht. Eine weitere relevante Form der Zusammenarbeit von Industrie und Handel im Rahmen des Lagermanagements stellt in diesem Kontext das Konzept der „Co-Managed Inventories“ (auch „JointlyManaged Inventories“) dar. Bei diesem Konzept erfolgt die Disposition weiterhin durch die Handelsunternehmen, es findet jedoch ein breiter Informationsaustausch über alle relevanten Informationen, z.B. die Lagerbestände, die Abverkaufsentwicklung, Nachfrageprognosen, geplante Aktionen u.Ä., zwischen Handelsunternehmen und Hersteller statt. Diese Daten bilden wiederum die Grundlage für die Losgrößenentscheidungen der Hersteller. Der Hersteller schlägt bei dem Konzept des CMI die Produkte und Mengen, die produziert und geliefert werden sollen, dem Händler zunächst nur vor. Dieser hat dann die Möglichkeit, diese Vorschläge zu akzeptieren oder abzulehnen und behält damit in letzter Instanz die Bestandsverant-
194
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
wortung. Die Formen der „Co-Managed Inventories“ sind somit i.d.R. handelsdominiert (Simacek 1999, S. 139). Das „Buyer-Managed-Inventory-Konzept“ (BMI) stellt prinzipiell die Inverse des VMI-Konzeptes dar. Hierbei erfolgt eine Übernahme der Bestandsverwaltung im Produktionslager des Herstellers durch den Handel. Dieser hat damit Zugriff auf das Fertigwarenlager des Herstellers und kann prinzipiell auch – bei weiter Auslegung des Konzeptes – bestimmte Produktionslose für sich reservieren bzw. initiieren (Gleißner 2000). 2.5.4.4 Distributions- und Transportstrategien im Rahmen des Efficient Replenishment Im Rahmen des Efficient Replenishment wird ein kontinuierlicher Warenfluss durch die Supply-Chain angestrebt, bei dem die Waren nicht unnötig in den Lägern auf den einzelnen Stufen der Supply-Chain „aufgestaut“ werden sollen, aus denen heraus dann jeweils wieder neu zu kommissionieren wäre (Gleißner 2000, S. 179). Aus diesem Grund werden im Kontext des Efficient Replenishment dynamische Abwicklungsformen zur Realisierung von Distribution und Transporten vorgeschlagen. Von besonderer Bedeutung sind dabei v.a. die bereits an anderer Stelle erörterten Systeme des Cross-Docking bzw. des Transshipment.114 Dabei erfolgt eine weit gehend bestandslose Abwicklung der Lagerprozesse und Bündelung der Transportströme. Von Bedeutung ist zudem das ebenfalls bereits erwähnte System des „Direct Store Delivery“, bei dem unter Ausschaltung von zwischengeschalteten Lagerstufen die Belieferung der Filialen des Handels direkt durch den Hersteller (im Streckengeschäft) erfolgt. Voraussetzung hierfür stellt allerdings eine ausreichend große Belieferungsmenge, möglichst auf Basis ganzer Transporteinheiten, dar. Eine weitere Realisierungsform der Distributions- und Transportprozesse liegt in der Integration externer Dienstleister („Integrated Forwarders“), so insbesondere von Distributionsdientsleistern (z.B. Transporteure, Spediteure) bei der Warenverteilung. Durch die Bündelung der Warenströme mehrerer Hersteller kann eine bessere Auslastung der Transportkapazitäten realisiert werden. Als weitere Optimierungsformen im Rahmen des Efficient Replenishment erfolgt beim so genannten Transport-Pooling die Bündelung der jeweils einzeln vorhandenen Transportkapazitäten der Hersteller, Handelsunternehmen und Dienstleistungsunternehmen. Dabei steht die Realisie-
114
Vgl. zum Cross-Docking und zum Transshipment Abschnitt 2.4.2.2.
2.5 Supply-Chain-Kooperationen
195
rung von Verdichtungs- bzw. Pooling-Potenzialen im Rahmen der Filialbelieferung im Vordergrund (Gleißner 2000, S. 189).115 Ebenfalls im Rahmen der Distributions- und Transportstrategien im Kontext des Efficient Replenishment werden die Konzepte „Efficient UnitLoads“116, wobei die Bildung standardisierter logistischer Einheiten im Vordergrund steht, und des „Roll-Cage-Sequencing“117, das der filialgerechten Kommissionierung bzw. Belieferung dient, diskutiert. 2.5.4.5 Voraussetzungen und Problembereiche der Konzepte des Efficient Replenishment Um die Vorteile zu realisieren, die durch die ER-Konzepte erreicht werden können,118 müssen bestimmte Rahmenbedingungen bei der Implementierung der Konzepte berücksichtigt werden (Zentes 2004, S. 260 f.): x Zunächst sind branchen- oder unternehmensinterne Widerstände zu überwinden. Die Konzepte basieren auf dem Austausch von Unternehmensdaten über Abverkäufe, Lagerbestände u.Ä. an die Hersteller bzw. umgekehrt von Produktionsdaten oder Bestandsdaten an die Handelsunternehmen. Dies setzt die Bereitschaft zum Austausch sensibler Daten voraus. Dabei wird z.T. durch die Unternehmen die Gefahr am höchsten eingeschätzt, dass wettbewerbsrelevante Daten über den Umweg der Kooperationspartner zum Wettbewerber gelangen. x Eine weitere Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, bezieht sich auf die Frage nach der Systemführerschaft zwischen Industrie und Handel in der Supply-Chain, insbesondere wenn der Handel durch Zentrallagerkonzepte versucht, die Systemführerschaft im Absatzkanal an sich zu ziehen. Dabei sieht sich v.a. die Industrie der Gefahr gegenüber, den Handlungsspielraum im eigenen Distributionssystem zu verlieren, das auch als Mittel der Nachfragesteuerung eingesetzt wird (Gleißner 2000, S. 113f.). x Die jeweiligen Konzepte sind zudem mit hohen Investitionen verbunden, die vor allem zusätzliche Personalressourcen zur organisatorischen Abwicklung sowie Investitionen im Bereich der neuen Informationsund Kommunikationstechnologien erfordern (Brown/Bukovinsky 2001, S. 78).
Vgl. hierzu die Ausführungen zu Logistikkooperationen in Abschnitt 2.3.1.4. Vgl. zum Konzept der Efficient Unit Loads Abschnitt 2.4.2.5. 117 Zum Roll-Cage-Sequencing vgl. ausführlich Abschnitt 2.4.3.2. 118 Vgl. hierzu auch die Ausführungen in Abschnitt 1.3.4. 115 116
196
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
Die Realisierung der ER-Konzepte setzt zudem bestimmte „marktmäßige“ Entwicklungen voraus. Insbesondere ist der erfolgreiche Einsatz dieser Konzepte an vergleichsweise stabile Absatz- bzw. Nachfrageentwicklungen geknüpft. Um Systeme der kontinuierlichen Nachschubversorgung umsetzen zu können, ist eine gewisse Vorhersehbarkeit und damit „Steuerbarkeit“ der Nachfrage erforderlich. Aus diesem Grund werden derartige Verfahren vorrangig bei Unternehmen oder in Warengruppen eingesetzt, die keinen starken oszillativen Absatzschwankungen unterliegen, wie sie z.B. durch Promotionsaktivitäten des Unternehmens selbst induziert werden (Chandon 1995). Gerade Handelsunternehmen, die durch eine „Dauerniedrigpreispolitik“ (EDLP-Politik) gekennzeichnet sind – wie z.B. dmDrogeriemarkt in Deutschland oder Wal-Mart in den USA – setzen diese Konzepte erfolgreich ein (Zentes u.a. 2002, S. 282). Empirische Studien belegen den erfolgreichen Einsatz der Konzepte in Warengruppen mit einem geringen Umschlag und geringen Nachfrageschwankungen (Kaipia/Holmström/Tanskanen 2002; Fraza 1998). Zugleich sind mit diesen Konzepten auch weiter gehende Chancen verbunden, insbesondere dann, wenn die Sichtweise von der operativen Steuerung und Durchführung auf die Ebene des strategische Managements gelenkt wird (Mentzer u.a. 2001, S. 4). In den ECR-Konzepten wird deshalb oftmals ein Ansatz zur Lösung bestehender Problem- und Konfliktfelder gesehen (Chandra/Kumar 2000, S. 100). 2.5.5
Verknüpfung von Demand- und Supply-Side: CPFR
Im Rahmen der „traditionellen“ ECR-Ansätze erfolgt entweder eine Fokussierung auf Marketingfragestellungen („Demand-Side“) oder auf Logistikfragestellungen („Supply-Side“), wenngleich beide Ansatzpunkte eng miteinander zusammenhängen, da die Demand-Side-orientierten Ansätze logistische Konsequenzen in der Umsetzung bzw. Realisierung der Marketingkonzepte mit sich bringen und die Supply-Side-orientierten Ansätze mit der Zielsetzung einer guten Logistikleistung zu verkürzten Reaktionszeiten auf Kundenwünsche, zu geringen Lieferzeiten oder einer erhöhten Flexibilität führen, was wiederum positiv mit den Demand-SideKonzepten verbunden ist (Lasch 1998).119 Auf Grund dieser Zusammenhänge ist eine isolierte Betrachtung der „Demand-Side“ und der „Supply-
119
Vgl. hierzu Abschnitt 1.1.
2.5 Supply-Chain-Kooperationen
197
Side“ und damit eine isolierte Betrachtung von Marketing- bzw. Logistikaspekten nicht sinnvoll.120 Über die isoliert auf die „Supply-Side“ oder die „Demand-Side“ ausgerichteten Ansätze hinaus geht der Ansatz des Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment (CPFR). CPFR wird dabei als Weiterentwicklung bzw. Ausbau des ECR-Konzeptes angesehen und z.T. als „zweite Generation von ECR“ bezeichnet (Seifert 2002b, S. 55). CPFR stellt ein Konzept zur kooperativen Planung, Prognose und Bestandsführung dar. Im Vordergrund steht der Prozess zur Entwicklung einer Prognose der Konsumentennachfrage und darauf basierend einer gemeinsamen Planung, an welche die beteiligten Partner in der Supply-Chain gebunden sind. CPFR stellt somit einen Prozess zur Entwicklung einer gemeinsamen Prognose der Konsumentennachfrage dar, welche die Planung entlang der gesamten Wertkette steuert. CPFR zielt dabei ausdrücklich auf die Integration der Demand- und der Supply Side-Prozesse ab (Seifert 2002b). Das Konzept des CPFR stellt ursprünglich eine Weiterentwicklung des CRP- bzw. VMI-Ansatzes dar, das aus einem Supply-Chain-Projekt hervorgegangen ist, das Wal-Mart mit Warner-Lambert unter Mitarbeit von den Softwareunternehmen SAP und Manugistics 1996 begonnen hat (Cooke 1998). Nach dem erfolgreichen Pilotprojekt engagierten sich eine Reihe von US-Institutionen (so insbesondere das amerikanische Standardisierungsgremium „Voluntary Interindustry Commerce Standards“, VICS) und Unternehmen (u.a. Wal-Mart, Target, Procter & Gamble, Kimberly-Clark und Nabisco) bei der Entwicklung und Einführung von CPFR (Rode 2003; Harrington 2002; Hallier 1997). Im Rahmen des CPFR-Konzepts erfolgt bei der gemeinsamen Planung die Zusammenführung des Wissens von Industrie und Handel. Damit werden v.a. Schwächen der einseitig orientierten Prognoseerstellung, die v.a. in den ECR-Konzepten der „ersten Generation“ gesehen werden, überwunden. Die Handelsunternehmen haben zwar bessere Prognosemöglichkeiten bezüglich des zukünftigen Absatzes in den eigenen Filialen als die Hersteller, aber diese verfügen zusätzlich über andere Informationen, z.B. über mehrere Handelsunternehmen und deren Verkaufsförderungspläne.
120
Zum Zusammenhang zwischen Marketing- und Logistikzielen vgl. ausführlich Zentes 2004 sowie Zentes/Schramm-Klein/Neidhart 2004.
198
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
9. Bestellung / Auftrag generieren
8. Aktualisierung Bestellprognose
g
P
1. GrundsätzlicheRahmenvereinbarung
Auftragserfüllung
nin
R
an Pl
t en m ish en Abverkauf l p Re
2. Entwicklung gemeinsamer Geschäftsplan
C
Collaboration 3. Erstellung Bedarfsprognose
7. Erkennen von Abweichungen
F
6. Erstellung Bestellprognose
4. Erkennen von Abweichungen
5. Aktualisierung Bedarfsprognose
Forecasting
Abb. 2.70. CPFR-Prozess (Quelle: ECR D-A-CH 2001.)
Zur Realisierung des CPFR-Prozesses (s. Abb. 2.70.) wurde ein neunstufiges Modell vorgeschlagen (s. Abb. 2.71.), in dem die jeweiligen Aufgaben von Hersteller und Handel im Verlauf des gemeinsamen Planungsprozesses beschrieben werden (Voluntary Interindustry Commerce Standards (VICS) Association 2002; Harrington 2003). Dabei wird eine gemeinsame Planung durchgeführt. An die Ergebnisse dieser Planung sind beide Partner gebunden. Innerhalb bestimmter, fest vereinbarter Parameter kann jeder der Partner die Planung im Verlauf anpassen. Werden größere Anpassungen vorgenommen, ist jedoch das Einverständnis des Partners erforderlich. Zu einem bestimmten Zeitpunkt werden die Prognosen dann „eingefroren“ und automatisch in eine Bestellung und die Produktionsplanung umgesetzt (McKaige 2001, S. 36). Insofern korrespondiert das Konzept des CPFR mit den Systemen der Co-Managed oder der Jointly-Managed Inventories. Die Händler generieren dabei i.d.R. ihre Bestellungen selbst, wobei die Hersteller allerdings vorab in die Planung einbezogen und wesentlicher genauer und präziser über Aktionen und Lagerbestände der Händler informiert werden (Zentes 2004).
2.5 Supply-Chain-Kooperationen
199
Abb. 2.71. CPFR-Basisschritte im Rahmen des Neun-Stufen-Prozesses (Quelle: cpfr.org 2004.)
Mit der Betonung der gemeinsamen Planung zielt CPFR insbesondere auf solche Situationen ab, in denen eine hohe Prognoseunsicherheit gegeben ist, wie dies z.B. bei Neuprodukteinführungen oder besonders ausgeprägten Verkaufsförderungsaktivitäten der Fall ist. Besonders hohe Er-
200
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
folgswahrscheinlichkeiten werden dem Konzept z.B. dann zugesprochen, wenn die folgenden Situationen gegeben sind (Seifert 2002b, S. 57 f.): x x x x x x
schwer prognostizierbare Nachfrage hohe Promotionaktivität häufige Produktneueinführungen lange Durchaufzeiten für Produktion und/oder Auffüllen der Bestände kurze Lebensdauer der Produkte (z.B. Modeartikel) saisonale Schwankungen in der Nachfrageentwicklung.
Das Konzept des CPFR basiert auf Kooperation, Vertrauen und intensiver Kommunikation und zielt – wie alle ECR-Konzepte – auf eine WinWin-Situation ab (Min/Mentzer 2000). Die Hauptzielsetzungen liegen dabei in den folgenden Bereichen: x Verbesserung der Transparenz entlang der Supply-Chain durch Datenaustausch x Verbesserung der Prognosegenauigkeit x Verringerung der Herstellkosten der Industrie x Verbesserung der Nutzung der Produktionskapazitäten x Verringerung der Lagerkosten (Reduktion von Sicherheitsbeständen, Schwankungen u.Ä.) x Reduktion der Vertriebskosten (Transportkostenoptimierung u.Ä.) x Erhöhung der Produktverfügbarkeit am Point-of-Sale (Verringerung von Out-of-Stocks) x Verringerung von Überbeständen x Beschleunigung der Reaktionsgeschwindigkeit auf Nachfrageveränderungen der Kunden. Durch CPFR-Aktivitäten wird ein gegenseitiger Informationsaustausch zwischen Industrie und Handel realisiert, der durch die Integration der Zielsetzung einer langfristigen Kundenbindung zusätzliche Gewinnpotenziale schafft (Kopczak/Johnson 2003, S. 33f.). 2.5.6
Bedeutung von IT-Systemen im Rahmen der ECRAnsätze
Im Rahmen der klassischen ECR-Ansätze sowie der erweiterten Ansätze des CPFR bzw. des CCRM wird die Bedeutung des Einsatzes von ITSystemen hervorgehoben. So werden IT-Systeme als die essenziellen „Enabler“ von unternehmensinternen, aber vor allem unternehmensübergreifenden Koordinationsprozessen angesehen (Mabert/Venkataramanan
2.6 Enabling Technologies
201
1998). Durch den IT-Einsatz werden ein effizienter und effektiver Informationsaustausch und somit eine unternehmensinterne und unternehmensübergreifende Koordination auf breiter Basis überhaupt erst ermöglicht (Lewis/Talalayevsky 1997). Vor allem wird die Geschwindigkeit der Verbreitung und des Austauschs von Informationen zu „Real-Time-Informationen“ erhöht (Whipple/Frankel/Daugherty 2002). Durch die zusätzlich breitere und qualitativ bessere Informationsbasis wird die Entscheidungsqualität verbessert (Day/Glazer 1994). Die Verfügbarkeit und der Einsatz von IT-Systemen wirken sich positiv auf die Bereitschaft zur Durchführung koordinierter Vorgehensweisen aus und sind mit einer Ausweitung der unternehmensinternen und unternehmensübergreifenden Integration verbunden (Whipple/Frankel/Daugherty 2002). Durch den Einsatz von IT-Systemen können effizientere Prozesse bzw. Prozessvereinfachungen bezogen auf Marketing- und Logistikprozesse und funktionsübergreifende Prozesse sowie auch bezogen auf die übrigen Unternehmensprozesse realisiert werden (Angeles/Nath 2001). Die positiven Effekte resultieren dabei nicht nur aus der Verbesserung der Prozesssteuerung, sondern auch aus der Vernetzung der jeweiligen Prozesse untereinander (Lee 2002). Durch den Einsatz von IT-Systemen können dadurch die Prozess-, Koordinations- und Kommunikationskosten gesenkt werden (Angeles/Nath 2001).
2.6 Enabling Technologies 2.6.1
Überblick
Die Realisierung der intraorganisatorischen und der interorganisatorischen Supply-Chain-Prozesse basiert auf vielfältigen informationstechnologischen Unterstützungsprozessen. Insbesondere im Rahmen der Realisierung der Informationsströme in der Suply-Chain dient der Einsatz von ITSystemen der Effektivitäts- und Effizienzsteigerung. Allerdings stellt der Zusammenhang zwischen dem Einsatz von IT-Systemen und der Verbesserung der Wirtschaftlichkeit der Geschäftsprozesse keinen Automatismus dar (Olbrich 1994, S. 434; Piller 2001). Damit die Informationsströme in der Supply-Chain optimal realisiert werden können, ist es notwendig, die Schnittstellen einerseits zwischen den intraorganisatorischen Logistiksystemen und andererseits im unternehmensübergreifenden Kontext zu verknüpfen. Eine Hauptvoraussetzung für den reibungslosen Übergang stellt die Kompatibilität der eingesetzten Systeme dar (Schramm-Klein 2004b).
202
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
Auf Grund der Bedeutung dieses Integrationsgedankens sind deshalb insbesondere die Offenheit sowie die Standardisierung der eingesetzten Systeme von besonderer Relevanz. Offenheit bedeutet, dass die ITSysteme im Verbund mit anderen Systemen eingesetzt werden können; sie stellt damit die Voraussetzung der intra- und interorganisationalen Vernetzung dar und ermöglicht den Einsatz komplementärer, aufeinander abgestimmter Technologien (Weiber 2002). Eng mit Offenheit verbunden ist die Standardisierung. Hersteller- und anwendungsübergreifende Standards bilden die notwendige Voraussetzung des Datenaustauschs zwischen den Systemen. Dabei ist die Standardisierung der Übertragungsformate sowie der übermittelten Inhalte im Hinblick auf die semantische Abstimmung der Geschäftsprozesse notwendig (Schramm-Klein/Morschett 2004). Von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang die so genannten „Enabling Technologies“. Sie dienen als Basis-Technologien der Unterstützung der Geschäftsprozesse. In diesem Zusammenhang sind einerseits Identifikationssysteme und Kommunikationsstandards sowie Stammdatensysteme von Relevanz (Schramm-Klein 2004b; SchrammKlein/Morschett 2004): x Identifikationssysteme: Dabei handelt es sich um (Auto-)ID-Technologien, d.h. fest definierte Datenträger, die der Identifikation an jedem Punkt in der Versorgungskette dienen (z.B. EAN-UCC-Identifikationsund Nummerierungssysteme auf Strichcode- bzw. Radiofrequenzbasis). x Kommunikationsstandards: Hierbei stehen einheitliche Nachrichtenstandards wie z.B. EANCOM im Vordergrund. x Stammdatensysteme: Die Stammdaten bilden die Grundlage der Transaktionen. Sie beinhalten z.B. Informationen über die Artikel, Kunden oder Lieferanten. Für einen reibungslosen Ablauf der Geschäftsprozesse müssen diese Daten bei allen beteiligten Geschäftspartnern den gleichen (aktuellen) Stand und das gleiche Format haben, um einen optimalen Ablauf erreichen zu können (Liebmann/Zentes 2001, S. 675 ff.). Ansätze zur Standardisierung der Datenformate und zur Vermeidung von Dateninkonsistenzen und -redundanzen bilden Stammdatenpools (z.B. SINFOS, Transora, WWRE) (Morschett/Schramm-Klein 2003). Die Standardisierung der Prozesse, der Daten und der Formate sowie die Offenheit der Systeme bilden damit die Voraussetzungen für die Integration der Datenströme und der Datenbestände im Rahmen der Supply-Chain.
2.6 Enabling Technologies
2.6.2
203
Identifikationssysteme
2.6.2.1 Überblick über die Auto-ID-Systeme Identifikationssysteme dienen der Erkennung der logistischen Einheiten an jedem Punkt der Supply-Chain. Im Rahmen der Identifikationssysteme in der Supply-Chain stehen dabei Kennzeichnungen im Vordergrund, die den Prozess des Erkennens der Einheiten fördern, so vor allem automatische Identifikationssysteme (Auto-ID-Systeme), die es ermöglichen, den Identifikationsprozess anhand des Einsatzes technischer Hilfsmittel zu beschleunigen. Die wichtigsten Verfahren der automatischen Identifikation sind (Finkenzeller 2002, S. 2 ff.): x Barcode-Systeme: Barcodes oder Strichcodes stellen die gebräuchlichste Form der Auto-ID-Systeme dar. Sie bestehen aus einem Feld parallel angeordneter Striche und Trennlücken, die nach einem festgelegten System angeordnet sind. Die Lesung der Barcodes erfolgt anhand von Scanning-Systemen, also optischen Laserabtastungen. Der am weitesten verbreitete Barcode ist der EAN-Code. x Optical Character Recognition: OCR-Systeme stellen Systeme dar, bei denen spezielle Schrifttypen anhand ihrer Stilisierung automatisch eingelesen werden. Besondere Bedeutung haben diese Systeme z.B. im Bankenbereich (z.B. Registrierung von Schecks). x Biometrische Verfahren: Bei diesen Verfahren erfolgt die Identifikation anhand des Vergleichs bestimmter individueller Körpermerkmale. Hierbei sind z.B. Fingerabdrucksverfahren, Sprachidentifikationen oder die Augen-Netzhaut-Identifizierung von Bedeutung. Biometrische Verfahren werden zunehmend im Bereich des CRM als Unterstützungssysteme diskutiert. x Magnet- und Chipkarten: Bei Magnetkarten sind die Informationen auf einem Magnetstreifen gespeichert. Chipkarten („Smartcards“) stellen elektronische Datenspeicher oder Mikroprozessoren (Mikroprozessorenkarten) dar, die – zur besseren Handhabung – in Plastikkarten integriert sind. Magnet- und Chipkarten sind z.B. im Bereich der Kundenkarten von hoher Bedeutung. x RFID-Systeme: Bei RFID-Systemen werden Daten auf einem elektronischen Datenträger (dem „Transponder“) gespeichert. Die Energieversorgung und die Datenübertragung erfolgen dabei über magnetische oder elektromagnetische Felder.
204
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
Ein Vergleich der unterschiedlichen Systeme hinsichtlich ihrer Stärken und Schwächen ist in Abb. 2.72. dargestellt. System: Parameter: Typische Datenmenge / Byte Datendichte Maschinenlesbarkeit Lesbarkeit durch Personen Einfluss von Schmutz / Nässe Einfluss von (opt.) Abdeckung Einfluss von Richtung und Lage Abnutzung / Verschleiss Anschaffungskosten / Leselektronik Betriebskosten (z.B. Drucker)
Sprechererkennung
Biometrie
Chipkarte
RFIDSysteme
Barcode
OCR
1 ~ 100
1 ~ 100
-
-
16 ~ 64k
16 ~ 64k
gering
gering
hoch
hoch
sehr hoch
sehr hoch
gut
gut
aufwändig
aufwändig
gut
gut
bedingt
einfach
einfach
schwer
unmöglich
unmöglich
sehr stark
sehr stark
-
-
möglich (Kontakte)
kein Einfluss
totaler Ausfall
totaler Ausfall
-
möglich
-
kein Einfluss
-
eine Streckrichtung
kein Einfluss
gering
gering
-
bedingt
bedingt
-
-
Kontakte
kein Einfluss
sehr gering
mittel
sehr hoch
sehr hoch
gering
mittel
gering
gering
keine
keine
mittel (Kontakte)
keine
unmöglich
unmöglich
unmöglich
Unbefugtes Kopieren / Ändern
leicht
leicht
möglich (Tonband)
Lesegeschwindigkeit (incl. Handhabung des Datenträgers)
gering ~4s
gering ~3s
sehr gering >5s
sehr gering > 5 … 10 s
gering ~4s
sehr schnell ~ 0,5 s
Maximale Entfernung zwischen Datenträger und Lesegerät
0 … 50 cm
< 1 cm (Scanner)
0 … 50 cm
direkter Kontakt
direkter Kontakt
0 … 5 m, Mikrowelle
Abb. 2.72. Vergleich der wichtigsten Auto-ID-Systeme (Quelle: Finkenzeller 2002, S. 7 f.)
2.6.2.2 Nummernsysteme Die Basis der Identifikationssysteme bilden bestimmte Identifikationsstandards. Im Vordergrund stehen dabei v.a. Nummernsysteme. Nummernsysteme spielen in unterschiedlichen Bereichen der Supply-Chain eine besondere Rolle. Sie dienen z.B. (CCG 2002) x der Kennzeichnung von Artikeln in Preislisten und Katalogen (Artikelnummern), x der Übertragung von Bestellungen, x der Kennzeichnung von Aus- und Anlieferstellen (Lokationsnummern, z.B. Filialnummern, Mitgliedsnummern), x der Kennzeichnung von Artikeln im Rahmen der Lagerhaltung (z.B. Einlagerung, Umlagerung, Auslagerung), x der Kennzeichnung von Versandeinheiten zur Steuerung der Transporte (Packstücknummern, Mehrwegtransportkennzeichnung),
2.6 Enabling Technologies
205
x der Kennzeichnung der Artikel am Point-of-Sale zur Erfassung der Abverkäufe (Scanning-Kassensysteme). Den wichtigsten internationalen Nummerierungsstandard stellt das EAN-Nummernsytem dar. EAN steht für „European Article Number“ (Internationale Artikelnummer).121 Der EAN-Code stellt eine Weiterentwicklung des UPC („Universal Product Code“) dar, der in den USA konzipiert wurde. Inzwischen ist der UPC eine Untermenge des EAN-Codes (Finkenzeller 2002, S. 2). Bei der EAN handelt es sich somit um eine international einheitliche und weltweit überschneidungsfreie Nummer für Produkte und Dienstleistungen. Die wichtigsten Nummernsysteme in diesem Kontext sind (CCG 2002, S. 18): x die internationale Lokationsnummer (ILN) x die internationale Artikelnummer (EAN) x die Nummer der Versandeinheit (NVE) bzw. „Serial Shipping Container Code“ (SSCC) x die Identnummer für Mehrwegtransportverpackungen (MTV-Identnummer). ILN Die Internationale Lokationsnummer (ILN) als weltweit eindeutiger Adress-Identifikationsstandard dient der Kennzeichnung von Sendern und Empfängern in der Supply-Chain. Dabei handelt es sich um eine eindeutige Kennzeichnung der einzelnen Akteure in der Supply-Chain. Anhand der ILN lassen sich die (physischen und elektronischen) Adressen der Unternehmen, Tochterunternehmen, Niederlassung oder Filialen, aber auch organisatorisch relevanter Betriebsteile (z.B. Wareneingangsrampen) eindeutig kennzeichnen (www.ccg.de). EAN und EAN-128 Die internationale Artikelnummer (EAN) dient der eindeutigen Kennzeichnung der Artikel. Dabei erfolgt die Kennzeichnung auf der Ebene der Verbrauchseinheit. Die Vergabe der EAN erfolgt durch den Hersteller bzw. den Lieferanten als Markeninhaber. Die EAN besteht aus 13 (EAN-13) bzw. 8 (EAN-8) numerischen Zeichen, die einem exakt vordefinierten Zeichenrahmen entsprechen. Dieser 121
Der EAN-Code wurde von EAN International entwickelt. Diese europäische Organisation ist inzwischen mit dem Uniform Code Council (UCC) fusioniert zur „GS1 International“.
206
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
besteht aus einem Ländercode, einem Herstellercode, der eigentlichen Produktnummer sowie einer Prüfziffer. In den meisten Fällen wird der EAN-Code in Form des Strichcodes umgesetzt. Dieser Strichcode kann direkt auf den Produkten bzw. Verpackungen aufgebracht oder in Form von Etiketten nachträglich angebracht werden. Die EAN kann zudem im Bereich der Bestell- und Lieferabwicklung sowie der Rechnungsabwicklung (z.B. im Rahmen des elektronischen Datenaustauschs) eingesetzt werden, indem sie als Verbindung zwischen den individuellen Artikelnummern von Industrie und Handel verwendet wird. Eine spezifische Form des Strichcodes stellt die Reduced Space Symbology (RSS) dar. Dabei handelt es sich um eine neue Form des Strichcodes, der v.a. der Kennzeichnung von Kleinstprodukten dienen soll, für die „normale“ Strichcodesysteme zu groß dimensioniert sind. DB 00 01 10 11 13 15 17 20 21 30 310 314 315 400 410 421
Codierter Dateninhalt Nummer der Versandeinheit EAN der Handelseinheit Chargennummer Herstellungsdatum (JJMMTT) Packdatum (JJMMTT) Mindesthaltbarkeitsdatum (JJMMTT) Verfallsdatum (JJMMTT) Produktvariante Seriennummer Menge (enthaltene Stückzahl) Nettogewicht in Kilogramm Fläche in Quadratmetern Nettovolumen in Litern Bestellnummer des Warenempfängers „Lieferung an“, ILN des Warenempfängers „Lieferung nach“, Postleitzahl mit vorangestelltem 3stelligem ISO-Ländercode
Abb. 2.73. Beispiele für Datenbezeichner beim EAN-128 (Quelle: CCG 2004a.)
Eine Weiterentwicklung der EAN stellt die EAN-128 dar. Diese wird insbesondere im Rahmen der Kennzeichnung logistisch relevanter Einheiten (z.B. Bestell-, Transport- oder Liefereinheiten) eingesetzt und dient der Identifikation dieser Einheiten im Rahmen der Steuerung und Verfolgung der Warenströme in der Supply-Chain sowie der Unterstützung von Qualitätssicherungssystemen. Der EAN-128 liegt ein einheitliches, erweitertes Datenbezeichnersystem (s. Abb. 2.73.) zu Grunde, das es ermöglicht, eine breitere Basis an Informationen zu übermitteln. Die Nutzer können dabei selektieren, welche Informationen sie jeweils als relevant ansehen. Der
2.6 Enabling Technologies
207
EAN-128-Code stellt damit keine grundsätzlich feste Informationsabfolge dar, sondern ein variabel einsetzbares System unterschiedlicher „Datenbezeichner“ (CCG 2001).122 Der EAN-128-Code wird insbesondere zur Kennzeichnung im Rahmen von Transportetiketten (z.B. „Palettenlabel“) eingesetzt. Weiterhin wird er auch zunehmend zur Kennzeichnung von Produkten genutzt. NVE und MTV-Identnummer Anhand der Nummer der Versandeinheit (NVE) erfolgt die Kennzeichnung von Versandeinheiten. Im Vordergrund stehen dabei Transportgebinde wie Paletten, Versandkartons, Pakete oder Päckchen. Die NVE dient insbesondere der Kennzeichnung zum Zweck der Warenrückverfolgung, des Routings oder im Rahmen von Qualitätssicherungssystemen. Anhand der NVE kann somit jede logistische Einheit auf ihrem Weg durch die Supply-Chain eindeutig identifiziert werden. Im Rahmen von Mehrwegsystemen sind die MTV-Identnummern von Bedeutung. Sie dienen der Kennzeichnung von Mehrwegtransportbehältern und sollen das Handling von wieder verwertbaren Transportbehältern (z.B. Paletten, Roll-Container, Fässer) in der logistischen Kette erleichtern (CCG 2001). 2.6.2.3 Radiofrequenzidentifikation (RFID) Im Gegensatz zu den Strichcode-Systemen, die auf der Scanning-Technologie basieren, erfolgt im Rahmen der Radiofrequenzidentifikation („Radio Frequency Identification“, RFID) das Aufbringen der Informationen auf einem Transponder (engl. transceive and respond). Das System basiert auf der berührungslosen Datenübertragung mithilfe elektromagnetischer Wechselfelder. Grundlage bildet dabei der RFID-Tag als Datenträger. Hierbei handelt es sich um ein Identifikations-Etikett, das aus einem programmierbaren Chip und einer Miniaturantenne besteht. Das Lesen, Verarbeiten und ggf. das Verändern der Daten erfolgt über ein elektromagnetisches Frequenzfeld. Dabei ist keine eigene Energiequelle auf dem Tag notwendig. Zudem ist der Identifikationsprozess möglich, ohne dass ein Sichtkontakt oder ein Umpacken der Artikel notwendig ist, und es ist möglich, mehrere Datenträger in einem Lesevorgang zu erfassen („Pulkerfassung“) (Füßler 2004).
122
Der Datenbezeichner (DB) dient jeweils als „Ankündiger“ des jeweils darauf folgenden Datenelements, das einem standardisierten Format folgt.
208
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
8 9
6
Distributionszentrum Produktionsstätte
1
Filiale 3
2
5
7
4 4
Der Transportinhalt eines LKWs wird kontinuierlich überwacht, um Diebstahl zu vermeiden
Produkte werden in getaggte Kartons und auf Paletten verpackt
5
Bei Ankunft der Ware im Lager wird sie automatisch kontrolliert und vereinnahmt
Ein Lesegerät erfasst alle Paletten, Kartons und Artikel, die die Fabrik verlassen
6
Regelmäßiges Scannen der RFID-Label im Lager erleichtert Zähl- und Kommissionierprozesse sowie das Cross-Docking von Produkten
1
Anbringen der RFID-Label auf Produkt
2 3
7
Beim Verlassen des Lagers werden alle Artikel, Kartons und Paletten eingelesen
8
In den Filialen werden eingehende Lieferungen, Lagerbestände und Produktflüsse von RFID erfasst
9
„Intelligente Regale“ kontrollieren die Warenverfügbarkeit und vermeiden so Stock Outs; RFID kommt auch bei der elektronischen Artikelsicherung zum Einsatz
Abb. 2.74. Einsatz von RFID in der Supply-Chain (Quelle: IBM/Auto-ID Center 2002.)
Grundsätzliche Einsatzbereiche für RFID liegen v.a. im Bereich der Transport- und Lagerprozesse (z.B. Anbringen von RFID-Tags auf Paletten, Umverpackungen oder dem Einzelprodukt). Grundsätzlich kann zudem ein Einsatz im Back-Store-Bereich oder im Verkaufsraum erfolgen, z.B. im Rahmen „intelligenter Regale“, die anhand von RFID-Systemen Informationen über den Regalbestand übermitteln können, oder im Rahmen von Kassiervorgängen, bei denen eine automatische Erfassung der Einkäufe der Kunden anhand auf der Verbrauchseinheit angebrachter RFID-Tags erfolgen kann, oder im Bereich der Diebstahlsicherung. Zudem wird der Einsatz von RFID-Systemen im Bereich der Rückverfolgbarkeit bzw. des „Tracking & Tracing“ diskutiert (CCG 2001). Die Haupteinsatzmöglichkeiten für RFID in der Wertschöpfungskette sind in Abb. 2.74. dargestellt. Sie liegen dabei in den folgenden Bereichen (ECR-D-A-CH 2003; Füßler 2004): x Produktion: Nach der Fertigstellung können die Artikel mit einem RFID-Tag ausgestattet werden. Anhand des Tags kann der Artikel an jeder Position der Supply-Chain identifiziert werden. x Verpackung: Werden die einzelnen Artikel in Gebinden verpackt oder auf Paletten gestapelt, so können diese Einheiten anhand von RFIDTags gekennzeichnet und somit individuell identifiziert werden. x Warenausgang: Anhand der RFID-Tags können die Artikel sowohl auf der Ebene der Verbrauchseinheiten als auch auf der Ebene der Paletten oder Umverpackungen erfasst werden. Dazu ist kein Sichtkontakt oder Umpacken erforderlich.
2.6 Enabling Technologies
209
x Wareneingang/Distributionszentrum: Beim Wareneingang können ebenfalls eine vollautomatische Identifikation und mengenmäßige Erfassung der Artikel bzw. Gebinde per RFID erfolgen. Zudem kann gleichzeitig automatisch ein Abgleich mit hinterlegten Bestell- und Lieferavisdaten stattfinden sowie eine Empfangsbestätigung an die Hersteller initiiert werden. x Ein- und Auslagerungsprozesse: Im Lager können die Bestände anhand der RFID-Technologie automatisch überwacht werden. x Kommissionierung: Die Kommissionierprozesse können per RFID gesteuert werden. Zudem können die Paletten mit dem filialspezifischen Warenmix mit RFID-Tags versehen werden. x Wareneingang/Filiale: Wiederum kann eine automatische Erfassung der Wareneingänge per RFID-System erfolgen. Entsprechend des Bedarfs erfolgt eine Verräumung ins Filiallager oder Weiterleitung ins Verkaufsregal. x Point-of-Sale: Am Point-of-Sale können die RFID-Systeme dazu genutzt werden, die Bestände in den Regalen automatisch zu erfassen und zu überwachen. Anhand von RFID-Tags können am Point-of-Sale zudem weitere Informationen über die einzelnen Produkte übermittelt werden, die z.B. in Form von Displays den Kunden zur Verfügung gestellt werden. Dabei können z.B. Produktinformationen, Informationen über Promotions u.Ä. vermittelt werden. x Kaufabschluss/Bezahlung: RFID-Systeme können zudem zur Erfassung der im Einkaufswagen befindlichen Artikel der Kunden genutzt werden. Dadurch können Kassiervorgänge wesentlich vereinfacht werden. Außerdem können durch die automatisierte Erfassung Diebstahlsicherungssysteme realisiert werden. x After-Sales: Auch im After-Sales-Bereich ist der Einsatz von RFIDSystemen potenziell möglich, so z.B. zur Steuerung von Nachschubprozessen bei den Verbrauchern, im Rahmen von Reklamations- oder Umtauschprozessen oder zur Nachdisposition. Der Großteil der dargestellten Einsatzmöglichkeiten stellt eine Zukunftsvision dar. Auf Grund der bislang noch verhältnismäßig hohen Kosten der Transpondertechnologie steht aktuell v.a. die Nutzung im Rahmen der Transport- und Lagerprozesse im Vordergrund, so zur Identifikation von (Mehrweg-) Transportbehältern sowie logistischer Versandeinheiten. Die potenziellen Vorteile, die anhand des Einsatzes von RFID realisiert werden können, sind in Abb. 2.75. zusammengefasst.
210
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel Vorteile Tags auf Einzelartikel
hoch
Tags auf Transportverpackungen
Tags auf Paletten
niedrig
• VMI / Replenishment • Produktionssteuerung • Eingangskontrolle • Einlagerung • Lagerkontrollprozesse • Real-Time-Lagerbestandserfassung
• Karton-Diebstahl • Abverkaufsplanung • Bedarfsplanung • Pick, Pay & Ship • Bestandserfassung und -abgleich • Durchlaufkontrolle • Übergabekontrolle
• PoS-Promotion- und -preis-Steuerung • produktbezogene Diebstahlkontrolle • Pay-on-Scan • Kundenverständnis • produktbezogene F&E-Prozesse • Routing • Sortimentsbildung • Alters-/MHD-/Qualitätskontrolle • Kapazitätsplanung • Produktsortimentierung • Rückruf-/Garantieprozesse
Zeit aktuell
+ 5 Jahre
Abb. 2.75. Vorteile von RFID (Quelle: IBM/Auto-ID Center 2002.)
Von besonderer Bedeutung zur Kennzeichnung der Produkte im Rahmen von RFID-Systemen ist der Elektronische Produktcode („Electronic Product Code“, EPC). Der EPC wurde von der gemeinsam von EAN International und dem Uniform Code Council (UCC) gegründeten Organisation EPCglobal entwickelt (Füßler 2004). Dieser Code, welcher der elektronischen, sicht- und (physischen) kontaktlosen Identifikation der Artikel dient, wird als „Nachfolger“ des EANBarcodes diskutiert. Er wird in den RFID-Tags gespeichert und ermöglicht, jedem einzelnen Artikel eine eindeutige Nummer zuzuordnen, indem zusätzlich zu der EAN-Basisnummer eine für den einzelnen Artikel spezifische Seriennummer aufgenommen wird. Beim EAN hingegen verfügt nur jede einzelne Artikelart über eine eigene Nummer (Vogell 2004).123
123
Beim EPC wird die EAN-Artikelnummer um eine Seriennummer ergänzt, sodass man die SGTIN (Serialized Global Trade Item Number) als artikelspezifische Nummer erhält. Eine analoge Kennzeichnung erfolgt im EPC-System für die Versandeinheiten, indem die NVE um eine spezifische Seriennummer zum SSCC (Serial Shipping Container Code) ergänzt wird, bzw. auf der Ebene der Ladungsträger, wobei die EAN-Ladungsträgeridentnummer um einen spzeifischen Code ergänzt wird (GRAI/GIAI; Global Returnable/Individual Asset Identification) (Füßler 2004).
2.6 Enabling Technologies
2.6.3
211
Kommunikationssysteme und Kommunikationsstandards
Im Rahmen der Supply-Chain-Prozesse ist neben dem physischen Warenfluss die unternehmensinterne, aber auch der unternehmensübergreifende Austausch von Informationen von Bedeutung (s. Abb. 2.76.). Hierzu sind kompatible Kommunikationssysteme erforderlich. Partnerstammdaten Preisliste/Katalog Lagerbestandsbericht Verkaufsdaten Verkaufsprognose Anfrage Angebot
Lieferant
Bestellung
Handel
Bestellbestätigung Bestelländerung Lieferabruf Lieferavis Warenempfangsbestätigung Rechnung Zahlungsavis Zahlung Steuernachweis
Abb. 2.76. Datenaustausch zwischen Hersteller und Handel
Im Kontext des unternehmensinternen und unternehmensübergreifenden Datenaustauschs sind insbesondere das Internet sowie Intra- und Extranets von Bedeutung. Das Internet ist im Gegensatz zu Intra- und Extranets weltweit öffentlich zugänglich. Ein Intranet hingegen ist auf das interne Unternehmensnetzwerk begrenzt (Alpar u.a. 2002, S. 379 ff.). Im Rahmen von Extranets wird das Intranet um externe Partner erweitert, indem ausgewählten externen Partnern der kontrollierte Zugriff auf dieses Intranet gewährt wird. Der Hauptzweck von Extranets liegt somit in der effizienten Business-to-Business-Kommunikation (Horn 1999, S. 14). Von wesentlicher Bedeutung ist das Konzept des EDI („Electronic Data Interchange“). EDI kennzeichnet die unternehmensübergreifende Übermittlung von strukturierten und normierten Geschäfts- bzw. Transaktions-
212
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
daten zwischen den beteiligten Unternehmen unter Einsatz offener elektronischer Kommunikationsverfahren. Anhand von EDI können somit strukturierte, gleichartige und repetetive Geschäftsprozesse unterstützt werden (Neuburger 1994, S. 6; Gourdin 2001, S. 165 ff.). Neben bilateralen Systemen können EDI-Systeme auch auf der Basis der Internettechnologie realisiert werden (s. Abb. 2.77.). Konventioneller Datenaustausch manuell
Brief / Telex Sender
Empfänger Telefax
IT-unterstützt PC Sender
Punkt-zu-Punkt Kommunikationsserver Sender
Electronic Mail
Elektronischer Datenaustausch (EDI) Modem / ISDN
Kommunikationsserver Empfänger
PC Empfänger
Clearing-Stelle PC Sender
PC Empfänger
Online-Dienste / Internet
Kommunikationsserver Empfänger
Abb. 2.77. Konventioneller vs. elektronischer Datenaustausch (Quelle: in Anlehnung an Pfohl 2004, S. 96.)
In diesem Kontext steht das „Web-EDI“ im Vordergrund. Hierbei erfolgt der elektronische Datenaustausch zwischen den Geschäftspartnern über das World Wide Web. Dabei werden EDI-Eingabemasken genutzt, zu denen der Zugang über Intra- oder Extranets erfolgt (CCG 2004a, S. 5). Der Einsatz von EDI-Systemen ist mit Effizienzsteigerungen im Rahmen der informatorischen Vernetzung der Partner in der Supply-Chain verbunden. Die wichtigsten Vorteile, die dabei generiert werden können, sind in Abb. 2.78. dargestellt.
2.6 Enabling Technologies Operative Effekte des EDI Kosteneffekte x Wegfall der Daten-Mehrfacherfassung x Reduktion von Übermittlungs-, Personal- sowie administrativen Kosten Zeiteffekte x Beschleunigung der Datenübertragung und interner Abläufe x ständige Erreichbarkeit und Überwindung der Zeitzonen Qualitätseffekte x keine Fehler manueller Datenerfassung x aktuellere Daten x Überwindung von Sprachbarrieren und Vermeidung von Missverständnissen
213
Strategische Effekte des EDI Intraorganisatorisch x Reduktion von Lagerbeständen x Steigerung der Planungs- und Dispositionssicherheit x Entlastung des Personals x Realisierung neuer Logistik- und Controllingkonzepte x schnellere Auftragsabwicklung x bessere Kontrolle der Warenbewegungen Interorganisatorisch x Beschleunigung der Geschäftsabwicklung x Intensivierung des Lieferantenkontaktes x neue Kooperationsformen x Angebot neuer Leistungen x Beschleunigung des Zahlungsverkehrs
Abb. 2.78. Operative und strategische Effekte des EDI-Einsatzes (Quelle: Scheckenbach 1995, S. 36.)
EDI basiert auf einheitlichen Nachrichtenstandards. Den wichtigsten EDI-Datenstandard stellt EDIFACT („Electronic Data Interchange für Administration, Commerce and Transport“) dar. Dieser Standard wird insbesondere in der Konsumgüterwirtschaft eingesetzt (Zentes/Swoboda/Morschett 2004, S. 909). Dabei wurden unterschiedliche branchenspezifische Subsets abgeleitet (s. Abb. 2.79.). Standard EANCOM EDITEX EDIFASHION EDIFICE EDI-BHB EDIWHITE LOGIFURN CEFIC UNSM
Branche Konsumgüterwirtschaft Textilbranche Modische Bekleidung Elektroindustrie Heimwerker-, Bau- und Gartenmärkte Haushaltsgeräte (weiße Ware) Möbelbranche Chemische Industrie Transportwirtschaft
Abb. 2.79. EDIFACT-Branchenstandards (Quelle: Kloth 1999, S. 96.)
214
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
Auf der Basis dieser Branchenstandards können unterschiedliche, vordefinierte Geschäftsprozesse in Form spezifischer Nachrichtenstandards abgewickelt werden. Relevante Nachrichtenstandards sind insbesondere (Liebmann/Zentes 2001, S. 692 f.; CCG 2004a, S. 6 ff.): x SEDAS: SEDAS stellt die erste in Deutschland entwickelte Norm für den elektronischen Datenaustausch dar. Die „Standardregelung Einheitlicher DatenAustauschSysteme“ diente insbesondere dem Rechnungsdatenaustausch zwischen Herstellern und Handelsunternehmen der Konsumgüterbranche. Inzwischen ist SEDAS nur noch von untergeordneter Bedeutung. x EANCOM: EANCOM ist das EDIFACT-Subset der Konsumgüterbranche. Hierbei handelt es sich im Gegensatz zu SEDAS um einen internationalen Nachrichtenstandard. Beispiele für EANCOM-Nachrichten sind in Abb. 2.80. dargestellt. Nachrichtenkennung Nachrichtenname Stammdatenabgleich PARTIN Partnerstammdaten PRICAT Preisliste / Katalog PRODAT Produktstammdaten Handelstransaktions-Nachrichten (Bewegungsdaten) DESADV Liefermeldung IFTMAN Ankunftsmeldung IFTMBF Buchung / Reservierung IFTMIN Transport- / Speditionsauftrag INSDES Lieferanweisung INVOIC Rechnung ORDCHG Bestelländerung ORDERS Bestellung ORDRSP Bestellantwort OSDTENQ Bestellstatusanfrage OSTRPT Bestellstatusbericht QUOTES Angebot RECADV Wareneingangsmeldung REMADV Zahlungsavis REQOTE Anfrage RETANN Ankündigung der Warenrückgabe RETINS Anweisung zur Warenrückgabe Berichts- und Planungsnachrichten INVRPT Lagerbestandsbericht SLSFCT Verkaufsprognose SLSRPT Verkaufsdatenbericht Abb. 2.80. EANCOM-Nachrichten – Beispiele (Quelle: CCG 2004a.)
2.6 Enabling Technologies
215
x EAN.UCC XML: XML (eXtensible Markup Language) stellt eine Weiterentwicklung der EDI-Nachrichtenstandards dar. Die Zielsetzung besteht darin, ein plattformunabhängiges, flexibles Nachrichtensystem zu etablieren. Vorteilhaft im Rahmen von XML-Systemen ist zunächst, dass das Datenvolumen, das übermittelt werden kann, verhältnismäßig groß ist. Allerdings kann dies zu einer „Aufblähung“ der Informationen bzw. des Datenaustauschs und zu höheren Übertragungs- und Verarbeitungszeiten führen. Zudem ist das System – auf Grund der hohen Flexibilität – nicht in gleicher Form wie EANCOM standardisiert, sodass jeweils bilaterale Abstimmungen zwischen den Transaktionspartnern erforderlich sind (s. Abb. 2.81.). XML Meta-Aufzeichnungssprache W3C-Empfehlung seit 1998 festgelegte Syntax flexible Semantik Maschine-zu-MaschineKommunikation Mensch-zu-MaschineKommunikation flexible Datenstrukturierung flexibles Datenlayout noch wenige Erfahrungswerte aus EDI-Anwendungen
EDIFACT / EANCOM EDI-Standard ISO Norm seit 1988 festgelegte Syntax festgelegte Semantik Maschine-zu-MaschineKommunikation ca. 220 festgelegte Nachrichtentypen keine Spezifikation für Datenlayouts umfangreiche technische Ausstattung notwendig
Abb. 2.81. Vergleich von XML und EANCOM (Quelle: in Anlehnung an CCG 2004a, S. 7.)
2.6.4
Stammdatenpools
Stammdaten sind Grunddaten in der betrieblichen Informationsverarbeitung, die über einen bestimmten Zeitraum nicht verändert werden. Stammdaten dienen somit der allgemeinen Charakterisierung der jeweiligen Objekte. Wichtige Stammdaten in logistischen Informationssystemen sind: x Artikel-Stammdaten x Kunden-Stammdaten x Lieferanten-Stammdaten. Während die Kunden- bzw. Lieferanten-Stammdaten unternehmensindividuellen Charakter haben, werden im Rahmen von EDI-Prozessen v.a. die Artikel-Stammdaten zwischen den beteiligten Akteuren der Supply-Chain ausgetauscht. Als Artikel-Stammdaten können Informationen wie z.B. die
216
2 Gestaltung der Supply-Chain im Handel
EAN-Artikelnummer, die Warengruppe, Herstellerangaben, Abmessungen oder Gewichte, Verpackungsangaben oder Preisinformationen gepflegt werden. Die Artikel-Stammdaten werden nicht nur in den unternehmensinternen Informationssystemen eingesetzt und stellen damit z.B. die Basis der Warenwirtschaftsinformationen dar, sondern sie werden – z.B. im Rahmen von EDI-Systemen – zwischen Industrie und Handel ausgetauscht. Zu Beginn von EDI-Datenaustauschverbindungen ist somit zunächst der Austausch der Stammdaten zwischen den Akteuren notwendig, damit eine Identifikation der übermittelten Informationen möglich ist. Weiterhin ist auch jede Änderung oder Aktualisierung der Stammdaten den jeweiligen Transaktionspartnern zu übermitteln. Hersteller 1
Hersteller 2
Hersteller 3
Hersteller 4
Zugriff / Abgleich ArtikelInformationen
ArtikelInformationen
zentrale Datenpflege
zentraler StrammdatenPool
zentrale Datenaktualisierung
ArtikelInformationen
ArtikelInformationen Zugriff / Abgleich
Handelsunternehmen 1
Handelsunternehmen 2
Handelsunternehmen 3
Handelsunternehmen n
Abb. 2.82. Grundprinzip zentraler Stammdatenpools
Da jedes Unternehmen prinzipiell unterschiedliche Informationen in dem Stammdatensatz pflegen kann, ist der bilaterale Austausch von Stammdatensätzen sehr aufwändig, da i.d.R. nicht nur mit einem, sondern mit mehreren Partnern EDI-basierte Transaktionen realisiert werden. Zur Verminderung des Abstimmungs- und Pflegeaufwands von Stammdaten in bilateralen Systemen kann auf zentrale Stammdatenpools zurückgegriffen werden (Schramm-Klein/Morschett 2004). In zentralen Stammdatenpools werden die Stammdaten angelegt, aufbereitet und aktualisiert und den Akteuren zur Verfügung gestellt (s. Abb.
2.6 Enabling Technologies
217
2.82.). Ein Beispiel für einen solchen Artikel-Stammdatenpool stellt das SINFOS-System dar. Der SINFOS-Stammdatenpool wurde 1987 von der CCG (Centrale für Coorganisation) initiiert und war zunächst auf die Konsumgüterbranche fokussiert. Inzwischen wurde er zu einem branchenübergreifenden und international ausgerichteten Stammdatensystem erweitert (CCG 2004a). Greifen die Akteure auf solche einheitlichen Stammdaten zurück, führt dies zu einer Vielzahl von Vorteilen. Insbesondere verfügen die Unternehmen über einheitliche Artikelinformationen, die nicht nur hinsichtlich der Ausprägungsmerkmale einheitlich sind, sondern auch standardisiert hinsichtlich der Speicherformate und der Datenstruktur sind. Dies erleichtert den Austausch von Daten zwischen den Unternehmen, indem redundante Informationen, aufwändige Abgleichs- und „Übersetzungsprozesse“ sowie manuelle Datenpflegeprozesse vermieden werden und somit die Datenübertragung beschleunigt werden kann.
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im im Handel Handel
3.1 Begriffliche Abgrenzungen 3.1.1 Warenwirtschaftssysteme, Handelsinformationssysteme und ERP-Systeme Die Hauptströme in der Supply-Chain sind die Warenströme, die Informationsströme und die Finanzströme. Bei der informatorischen Unterstützung der Supply-Chain stehen dabei die Organisation und Koordination der Informationsflüsse zur Steuerung der Güter- und Finanzflüsse durch Planungs-, Koordinations- und Transaktionsinformationen im Vordergrund.124 Im Handel haben in diesem Zusammenhang die Warenwirtschaftssysteme als Basis der informatorischen Unterstützung eine herausragende Bedeutung. Allgemein besteht die Hauptaufgabe der Warenwirtschaftssysteme in der mengen- und wertmäßigen Steuerung des Güter- bzw. Warenflusses im Rahmen der Supply-Chain von Handelsunternehmen. Abgrenzungen bzw. Definitionen von Warenwirtschaftssystemen fokussieren zumeist auf die inhaltlichen Bestandteile bzw. die Funktionen von Warenwirtschaftssystemen, wobei Warenwirtschaftssysteme allgemein als immaterielles Abbild der warenorientierten dispositiven, logistischen und abrechnungsbezogenen Prozesse für die Durchführung der Geschäftsprozesse in Handelsunternehmen – also als Abbild des physischen Warenflusses auf der informatorischen Seite – definiert werden. Dabei stehen Prozesse wie u.a. Dispositions-, Bestell-, Wareneingangs-, Lagerungs-, Warenausgangs-, Kassenabwicklungs-, Inventur- oder Berichtsprozesse im Vordergrund (Zentes 1985, 1988a; Becker/Schütte 2004).125 124 125
Vgl. hierzu Abschnitt 2.2.3. Vgl. zur Definition von Warenwirtschaftssystemen insbesondere Becker/Schütte 2004, Schütte/Vering 2004 und Hertel 1999. Frühe Definitionsansätze sind z.B. bei Zentes 1988a und 1988b, Hertel 1995, Ebert 1986, Sternberg 1990 oder Tietz 1993 dargestellt.
220
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
Im Kontext der Diskussion von Warenwirtschaftssystemen werden oftmals die Begriffe der Handelsinformationssysteme sowie der EnterpriseResource-Planning-Systeme diskutiert, die jedoch mit Warenwirtschaftssystemen nicht gleichgesetzt werden können. Bei beiden handelt es sich um weiter gefasste IT-System-Konzepte, die im Kontext von Handelsunternehmen in enger Verbindung mit den Warenwirtschaftssystemen stehen. Die Handelsinformationssysteme beziehen sich auf den Bereich der Informationslogistik von Handelsunternehmen. Sie sind insofern gegenüber den Warenwirtschaftssystemen weiter gefasst, als sie nicht nur die Informationssysteme beinhalten, die mit den physischen Warenströmen in einem Kontext stehen,126 sondern sie beziehen sich im Sinne holistischer ITSysteme auf alle Informationssysteme eines Handelsunternehmens (Becker/Schütte 2004). Auch Enterprise-Resource-Planning-Systeme (ERP-Systeme) sind den Warenwirtschaftssystemen übergeordnete Systeme. Hierbei handelt es sich um integrierte Anwendungssysteme, bei denen der Anspruch darin liegt, möglichst alle betriebswirtschaftlichen Aufgaben eines Unternehmens in einem System zusammenzufassen. ERP-Systeme sind i.d.R. zunächst branchenübergreifend konzipiert und können anhand umfangreicher Customizing-Möglichkeiten auf die Bedürfnisse der jeweiligen Branchen bzw. Unternehmen zugeschnitten werden.127 Bei ERP-Systemen für den Handel handelt es sich um universelle betriebliche StandardsoftwareSysteme, die durch die Integration von handelsspezifischen Funktionalitäten als spezifische Branchenlösungen auf den Handel ausgerichtet werden (Schütte/Vering 2004). Grenzt man ERP-Systeme von Warenwirtschaftssystemen ab, so zeigen sich die wesentlichen Unterschiede bei der Betrachtung der spezifischen Merkmale von ERP-Systemen (Schütte/Vering 2004, S. 26 f.): x ERP-Systeme sind Anwendungssysteme, also Systeme zur Unterstützung der Anwender bei ihrer Aufgabenerfüllung. x ERP-Systeme sind auf die Unterstützung „sämtlicher“ Aufgaben eines Unternehmens ausgerichtet.
126 127
Vgl. hierzu Abschnitt 3.4. Zum Beispiel wird der Begriff der ERP-Systeme lediglich für solche Systeme verwendet, die sich auf Industrie- bzw. Fertigungsunternehmen beziehen. Dieser Begriffsauffassung wird im Folgenden nicht gefolgt, sondern es wird der weiter verbreiteten Betrachtung gefolgt, bei der ERP-Systeme als branchenunabhängige Systeme definiert werden, welche der integrierten Steuerung aller betriebswirtschaftlichen Aktivitäten von Unternehmen dienen (Zentes/Swoboda/Morschett 2004, S. 926).
3.1 Begriffliche Abgrenzungen
221
x ERP-Systeme bestehen i.d.R. aus mehreren integrierten Teilsystemen, die eine Planung und Kontrolle der Ressourcen und Abläufe eines Unternehmens ermöglichen. x ERP-Systeme sind durch eine hohe Anwendungsbreite gekennzeichnet, was eine Vielzahl von Ablauf- und Anwendungsalternativen ermöglicht. Auf Grund der Ausrichtung auf im Grundsatz alle Aufgabenbereiche eines Unternehmens handelt es sich bei den ERP-Systemen um gegenüber den Warenwirtschaftssystemen umfassendere IT-Systeme. Sie werden zumeist in die Komponenten „Human Resource“, „Finance“ und „Logistics“ unterteilt. Der Begriff der ERP-Systeme bezieht sich also in übergeordneter Form auf Systeme, die prinzipiell für alle Branchen denkbar sind. Warenwirtschaftssysteme sind oftmals Bestandteile solcher ERPSysteme für den Handel. In der dargestellten Systematik beziehen sie sich auf den Teilbereich „Logistics“ in Handelsunternehmen. Die ERP-Systeme sind entsprechend im Wesentlichen gegenüber den Warenwirtschaftssystemen um die Bereiche der Personalwirtschaftssysteme und der Rechnungswesenssysteme erweitert (Schütte/Vering 2004). 3.1.2
Teilprozessmodelle von Warenwirtschaftssystemen
Warenwirtschaftssysteme dienen der mengen- und wertmäßigen Darstellung und Steuerung des Güter- und Warenstroms in Handelsunternehmen. Sie können somit als Modelle der Geschäftsprozesse von Handelsunternehmen interpretiert werden. Sie bestehen aus vier Ebenen bzw. Teilprozessmodellen (s. Abb. 3.1.; Hertel 1999, S. 4 ff.): 1. Warenprozessmodell: Auf der untersten Ebene stellt das Warenwirtschaftssystem (WWS) ein Modell der Warenprozesse, also der physischen Warenflüsse, dar. Die Warenprozesse wie z.B. Entladen, Einlagern, Kommissionieren, Transport usw. werden dabei – i.d.R. – in einem IT-System abgebildet. Das Warenwirtschaftssystem stellt somit ein Modell des physischen Warenflusses dar. Es wird dabei implizit davon ausgegangen, dass der IT-Einsatz ein unverzichtbarer Bestandteil eines WWS ist. Dies ist – grundsätzlich – nicht erforderlich, denn eine solche Abbildung des physischen Warenflusses könnte prinzipiell ebenso auch auf Karteikarten oder in sonstiger Weise erfolgen. Allerdings lassen die Mengenvolumina der Warenflüsse für die meisten Handelsbe-
222
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
triebe eine Modellierung nur in Form eines entsprechenden IT-Systems zu.128 2. Dispositionsprozessmodell: Bei dem Dispositionsprozessmodell als zweiter Ebene des WWS handelt es sich um ein Modell der Dispositionsprozesse bzw. der dispositiven Prozesse eines Handelsunternehmens. Dispositionsprozesse sind solche Prozesse, die nicht direkt auf die Ware bezogen sind, die aber durch Warenprozesse ausgelöst werden bzw. die ihrerseits Warenprozesse auslösen, also z.B. Warenbestellung, Auftragseingang, Rechnungseingang, Rechnungsprüfung, Rechnungsschreibung, Lieferscheinschreibung, Inventur usw. 3. Abrechnungsprozessmodell: Das Abrechnungsprozessmodell stellt die dritte Ebene eines WWS dar und bildet unter Verwendung von Einkaufs- und Verkaufspreisen und -konditionen die Vorgänge des Warenprozessmodells und des Dispositionsprozessmodells wertmäßig ab. Zum Beispiel werden die warenwirtschaftlichen Elementarfunktionen Wareneingang und Warenausgang als Belastung und Entlastung von Leistungsstellen abgebildet. Hierbei wird die Modellierung der Preispolitik eindeutig als Aufgabenstellung für das WWS angesehen, da Waren- und insbesondere Dispositionsprozesse nachhaltig durch die Ausgestaltung der Preispolitik beeinflusst werden und umgekehrt, sodass das WWS eine integrierte Betrachtungsweise dieser Themenschwerpunkte ermöglichen muss. 4. Informations- und Planungsprozessebene: Auf dieser vierten Ebene der WWS werden alle Informationen über sämtliche Waren-, Dispositionsund Abrechnungsprozesse gesammelt und den Steuerungs-, Kontroll-, Optimierungs- und Planungsprozessen dieser Ebene zur Verfügung gestellt. Die Informations- und Planungsprozessebene des WWS dient der Steuerung, Kontrolle und Optimierung der Sortimente, Preise, Bestände und aller damit in Verbindung stehenden Waren-, Dispositions- und Abrechnungsprozesse des Modells.
128
Erfolgt ein Einsatz von IT-Systemen zur Daten- und Informationsgewinnung, -verarbeitung, -verwaltung und -auswertung spricht man genauer auch von computergestützten Warenwirtschaftssystemen (CWWS). Auf Grund der hohen Datenvolumina, die in der Handelspraxis vorliegen, ist der Einsatz computergestützter Warenwirtschaftssysteme selbstverständlich. Aus diesem Grund werden die Begriffe WWS und CWWS i.d.R. synonym verwendet. (Grünblatt 2004, S. 68; Olbrich 1992, S. 50 f.).
Warenwirtschaftssystem (operativ)
Informationsflüsse Warenflüsse
Planung
Bestellung
Abrechnungsprozessmodell
Bestandsführung
Wareneingang
223
Entscheidungsunterstützung
Steuerung
Dispositionsprozessmodell
Warenprozesssystem
Managementunterstützungssystem
3.1 Begriffliche Abgrenzungen
Be-/Entlastung
Lager
Bewertung
Warenausgang
Warenprozessmodell
Wareneingang
Lager
Warenausgang
Abb. 3.1. Aufbau der Warenwirtschafts- und Informationssysteme im Handel (Quelle: in Anlehnung an Hertel 1999, S. 6.)
Das Zusammenwirken der vier Prozessebenen von Warenwirtschaftssystemen ist in Abb. 3.2. beispielhaft dargestellt. Beispiel 1
Prozessebenen
Beispiel 2
Sortimentsplan
Information und Planung
Limitplanung
Verfügbarkeit
Disposition
Bestellung
Menge
Warenbewegung
Wareneingang
Umsatz
Abrechnung
Bewertung
Abb. 3.2. Zusammenwirken der Prozessebenen in Warenwirtschaftssystemen (Quelle: in Anlehnung an Arend-Fuchs 2004.)
224
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
Der Ausgangspunkt der Umsetzung von Warenprozessen in Informationsflüsse kann z.B. an der Realisierung von Umsätzen anknüpfen (Beispiel 1 in Abb. 3.2.). Dabei lösen in den Verkaufsstellen realisierte Umsätze Informationsprozesse auf der Abrechnungsprozessebene aus und sind mit Mengenänderungen auf der Warenprozessebene verbunden. Diese lösen wiederum dispositive Prozesse auf der Dispositionsprozessebene aus (z.B. in Form von Verfügbarkeitsprüfungen). Zudem wird die Informations- und Planungsebene der Warenwirtschaftssysteme z.B. im Rahmen der Sortimentsplanung angesprochen. Auf der anderen Seite können Informationsprozesse von der Informations- und Planungsprozessebene angestoßen werden. Zum Beispiel kann, ausgehend von einer Limitplanung im Dispositionsprozessmodell, der dispositive Prozess der Bestellung ausgelöst werden, der auf der Warenprozessebene nach erfolgter Lieferung zu einem Wareneingang führt, der entsprechend im Rahmen des Abrechnungsprozessmodells im Kontext der Verbuchung einer Bewertung (z.B. zu Einkaufs- oder Verkaufspreisen) unterzogen wird (Beispiel 2 in Abb. 3.2.). 3.1.3
Arten von Warenwirtschaftssystemen
3.1.3.1 Offene und geschlossene Warenwirtschaftssysteme Anhand der Informationsbasis, die im Rahmen der Warenwirtschaftssysteme erfasst wird, kann man die Warenwirtschaftssysteme in offene und geschlossene Warenwirtschaftssysteme unterscheiden. In offenen Warenwirtschaftssystemen erfolgt lediglich die Erfassung entweder der Wareneingangsdaten oder der Warenausgangsdaten. In geschlossenen Warenwirtschaftssystemen hingegen liegt die Zielsetzung darin, den gesamten Warenfluss zu erfassen. Es erfolgt somit die Abdeckung aller Phasen des Warenflusses von der Disposition bis zum Warenausgang (s. Abb. 3.3.). Die Erfassung wird sowohl mengen- und wertmäßig als auch artikelgenau, d.h. nach Bewegungs- bzw. Bestandspositionen differenziert, durchgeführt (Feldbauer-Durstmüller 2001, S. 82). Die Abbildung der Warenprozesse erfolgt dabei möglichst unverzüglich, also besonders zeitnah. Insbesondere bei automatischen Erfassungsprozessen ist dabei auch eine „real-time“ Umsetzung der Warenbewegungen im Warenwirtschaftssystem realisierbar.129
129
Vgl. hierzu auch die Ausführungen in Abschnitt 2.6 zum Einsatz neuer Technologien in der Logistik.
3.1 Begriffliche Abgrenzungen
225
7
Bedarfsermittlung Bestellvorschlag Automatischer Abruf
2
6 Bestandsführung WWS-Inventur
Bestellung Auftragsrückstand
1 Stammdaten (Listung) 3 Wareneingang
5
Auszeichnung Lagerung
VK-Datenerfassung
4 Rechnungsprüfung
Regulierung Buchhaltung
Abb. 3.3. Kreislauf eines geschlossenen Warenwirtschaftssystems (Quelle: West 1985, S. 132.)
Während also in offenen Warenwirtschaftssystemen die Fortschreibung der Wareneingänge bzw. Warenausgänge im Rahmen des Warenwirtschaftssystem erforderlich ist, liegt der Anspruch geschlossener Warenwirtschaftssysteme darin, nicht nur die artikelgenaue Warenein- bzw. Warenausgangserfassung, sondern auch eine artikelgenaue Bestandsführung zu realisieren. Dies erfordert z.B. auch die Erfassung von Bruch, Verderb, Inventurdifferenzen u.Ä. Damit ist ein zusätzlicher konzeptioneller, organisatorischer und personeller Aufwand verbunden. Werden in einem Warenwirtschaftssystem nicht nur die warenwirtschaftlichen Prozesse einer Ebene, sondern auch die Warenprozesse, dispositiven Prozesse, Abrechnungsprozesse sowie Informations- und Planungsprozesse über mehrere Handelsstufen hinweg modelliert, so spricht man von mehrstufigen Warenwirtschaftssystemen. Dies bedeutet, dass sowohl die Großhandels- als auch die Einzelhandelsebene einschließlich ihrer Wechselwirkungen in dem Warenwirtschaftssystem abgebildet werden. Im Rahmen von mehrstufigen Warenwirtschaftssystemen ist es dadurch möglich, die warenwirtschaftlichen Anforderungen großer Handelsunternehmen sowohl auf der Zentralseite als auch auf der der Regional- oder Filialseite zu realisieren. Eine weitere Differenzierungsebene von Warenwirtschaftssystemen liegt in der Unterscheidung zwischen zentralen und dezentralen Warenwirtschaftssystemen. Zentrale Warenwirtschaftssysteme sind Systeme, die in der Zentrale von Handelsunternehmen angesiedelt sind, während es sich bei den dezentralen Warenwirtschaftssystemen um Systeme der angeschlossenen Filialen des Handelsunternehmens handelt.
226
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
3.1.3.2 Integrierte Warenwirtschaftssysteme Eine gegenüber den geschlossenen Warenwirtschaftssystemen weiter gehende Stufe stellen die integrierten Warenwirtschaftssysteme dar. Hierbei handelt es sich um Warenwirtschaftssysteme, bei denen die Warenwirtschaftssysteme unterschiedlicher Einheiten verknüpft werden. Man unterscheidet dabei die interne und die externe Integration. Von interner Integration spricht man, wenn die Warenwirtschaftssysteme der Unternehmenszentrale mit den dezentralen Warenwirtschaftssystemen der einzelnen Filialen verbunden werden, indem ein Datenaustausch zwischen den Systemen stattfindet. Bei der externen Integration erfolgt eine Integration der Systeme unterschiedlicher Supply-Chain-Partner, indem die Systeme z.B. der Lieferanten, der Finanzdienstleister oder von Marktforschungsinstituten eingebunden werden, um einen möglichst lückenlosen Datenfluss vom Lieferanten bis zum Kunden zu realisieren (Ahlert 1997). Führt man die unterschiedlichen Differenzierungsebenen zusammen, so kann man im Wesentlichen vier Formen von Warenwirtschaftssystemen in Handelsunternehmen unterscheiden (s. Abb. 3.4.; Grünblatt 2004, S. 68 ff.; Olbrich 1992, S. 50 ff.): 1. Isoliert-offene Warenwirtschaftssysteme: Im Rahmen von isoliertoffenen Warenwirtschaftssystemen werden auf der Ebene der Systemzentrale nur die Bestelldaten bzw. die Daten des zentralen Wareneingangs erfasst. In solchen Systemen ist anhand der Bestelldaten der Filialen bei der Zentrale zunächst kein Rückschluss auf den tatsächlichen Absatz bzw. Umsatz der einzelnen Filialen möglich. Dieser kann anhand der verfügbaren Informationen lediglich indirekt bzw. zeitverzögert ermittelt werden. 2. Isoliert-geschlossene Warenwirtschaftssysteme: In isoliert-geschlossenen Warenwirtschaftssystemen werden neben den Bestell- und Wareneingangsdaten auch die Daten des zentralen Warenausgangs an die Filialen erfasst. Dabei ist allerdings keine Verknüpfung mit den Bestellund v.a. den Bestandsdaten der Filialen gegeben, sodass auch hier lediglich eine indirekte bzw. zeitverzögerte Ermittlung der Warenausgangssituation der Filialen möglich ist. 3. Teilintegrierte Warenwirtschaftssysteme: In teilintegrierten Warenwirtschaftssystemen erfolgt eine Verknüpfung der zentralen Warenwirtschaftssysteme und der Bestell- bzw. Wareneingangsdaten der dezentralen Filialsysteme. Informationsdefizite bestehen bei den teilintegrierten Warenwirtschaftssystemen wiederum hinsichtlich der tatsächlichen Abverkaufssituation in den Filialen. Jedoch ermöglicht die Teilintegration
3.1 Begriffliche Abgrenzungen
227
eine verbesserte Steuerung der Warenversorgung der Filialen und eine verbesserte Prognose der Bestellungen der Filialen. 4. Vollintegrierte Warenwirtschaftssysteme: In vollintegrierten Warenwirtschaftssystemen werden in den zentralen sowie den dezentralen Warenwirtschaftssystemen sowohl die Wareneingangs- als auch die Warenausgangsinformationen erfasst und zwischen den Systemen verknüpft. Dadurch sind in den zentralen Systemen Information über die tatsächliche Bestands- und Abverkaufssituation in den Filialen verfügbar.
II WWS der Zentrale
Bestelldaten /
I
Wareneingangsdaten Bestandsführung / Warenausgangsdaten
WWS der Geschäftsstätten
Bestelldaten / Wareneingangsdaten
III
Bestandsführung / Warenausgangsdaten I:
Isoliert-offenes System
II:
Isoliert-geschlossenes System
IV
III: Teilintegriertes System IV: Vollintegriertes System
Abb. 3.4. Formen von Warenwirtschaftssystemen in Handelsunternehmen (Quelle: in Anlehnung an Olbrich 1992, S. 54.)
Zur Realisierung integrierter Warenwirtschaftssysteme ist es erforderlich, ein System zu realisieren, das durch die Verwendung standardisierter Schnittstellen sowohl nach außen, also in Richtung der Lieferanten, Kunden, Banken oder Marktforschungsinstitute, als auch nach innen, also zwischen den einzelnen warenwirtschaftlichen Subsystemen (z.B. den zentralen Systemen sowie den dezentralen Filialsystemen), eine hohe Kommunikationsfähigkeit aufweist. Insbesondere im Rahmen großer Handelskonzerne ist es erforderlich, die oft, z.B. resultierend aus Akquisitionen, mit vielen völlig unterschiedlichen und damit häufig inkompatiblen Warenwirtschaftssystemen ausges-
228
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
tatteten verschiedenen Unternehmensbereiche unter einem einheitlichen Softwaresystem zusammenzufassen.130 Aber auch kleinere Handelsunternehmen sind darauf angewiesen, integrierte Systeme zu realisieren, wenn sie mit ihren Lieferanten und ggf. auch mit ausgewählten Kunden oder den Banken elektronischen Datenaustausch betreiben oder mit anderen Handelsunternehmen gemeinsam einkaufen wollen und dazu ihre meist grundverschiedenen Systeme miteinander kommunizieren lassen müssen. Als Teilkomponenten können z.B. zur Realisierung eines integrierten Warenwirtschaftssystems beitragen:131 x rechnerunabhängige Betriebssysteme x integrierte, offene, rechnerunabhängige Software-Architekturen x über heterogene Rechnerwelten verteilte, standardisierte relationale Datenbanken x genormte Stammdatensätze x genormter Bewegungsdatenaustausch, z.B. nach EDIFACT bzw. EANCOM mit den Marktpartnern x genormter Stammdatenaustausch mit den Marktpartnern, z.B. nach SINFOS. Neben diesen Systemen liegen Ansatzpunkte zu Realisierung integrierter Warenwirtschaftssysteme, auf die im Folgenden fokussiert wird, in den nachfolgenden Bereichen: x Standardisierung durch ein sinnvolles oder strukturell einfaches Design der Systeme („Vereinfachung durch Vereinheitlichung“)132 x Konzept der operativen Einheiten mit ihren einzelnen, dezentralen Warenwirtschaftssystemen133 x genormter Stammdaten- und Bewegungsdatenaustausch zwischen den verschiedenen Unternehmenseinheiten wie Zentralen, Niederlassungen, Lägern und Verkaufsstellen sowie Supply-Chain-Partner-übergreifend.134 Vgl. hierzu auch die Ausführungen zur Standardisierung, Offenheit und Integration in Abschnitt 2.6. Die Integration solcher heterogenen Systemlandschaften einzelner Unternehmensbereiche ist oftmals mindestens übergangsweise erforderlich, da z.T. (zunächst) keine einheitlichen Warenwirtschaftssysteme etabliert werden können, weil eine Neuetablierung mit zu hohen Kosten verbunden wäre. 131 Vgl. hierzu auch Abschnitt 2.6. 132 Vgl. hierzu Abschnitt 3.2.1. 133 Vgl. hierzu Abschnitt 3.2.2. 134 Vgl. hierzu Abschnitt 2.6.3. 130
3.1 Begriffliche Abgrenzungen
229
Weiterhin kann die Implementierung der Schnittstellen zwischen den einzelnen warenwirtschaftlichen Subsystemen wie Einkauf, Marketing, Logistik oder Abrechnung zur Verwirklichung des Ziels integrierter Warenwirtschaftssysteme beitragen. Diese Schnittstellen sollten so „schmal“ bzw. so „autark“ wie möglich sein. Solche schmalen Schnittstellen erhöhen nicht nur die Qualität des Gesamtsystems, sondern sie tragen auch dazu bei, dass sich ein solches Subsystem leichter in eine bestehende Systemumgebung integrieren lässt. Eine derartige Realisierung schmaler Schnittstellen zwischen den warenwirtschaftlichen Subsystemen sollte allerdings umgekehrt nicht durch eine redundante Datenhaltung „erkauft“ werden. Die Integration heterogener Anwendungssysteme in einer insgesamt äußerst komplexen Systemlandschaft ist vor allem in großen Handelsunternehmen eine der wichtigsten Herausforderungen, die an die IT-Abteilungen gestellt wird. Auf Grund der großen Anzahl von Betriebsstätten, z.B. regionale Zentren, Läger und Filialen, der hohen Anzahl von Lieferanten und der damit verbundenen Schnittstellenproblematik sind insbesondere große Handelsunternehmen von dieser Problemstellung in höherem Maße betroffen. Die Problematik wird dabei noch verstärkt, wenn z.B. im Rahmen von Expansionsstrategien durch Akquisitionen die Komplexität und Heterogenität des IT-Systems-Spektrums noch erhöht wurde. Ansätze zur Realisierung von Integrationssystemen für solche heterogenen Systemlandschaften liegen insbesondere im Bereich der EnterpriseApplication-Integration (EAI). Hierbei handelt es sich um MiddlewareSysteme, die der Integration unterschiedlicher Systeme dienen (SchrammKlein 2004b). Die Zusammenführung von Anwendungen und Daten aus unterschiedlichen Systemen innerhalb eines Unternehmens oder zwischen Partnern im Rahmen der Supply-Chain wird durch zahlreiche eigenständige EAI-Produkte unterstützt. Hierbei handelt es sich i.d.R. um generische Lösungen, bei denen v.a. die folgenden Protokolle von besonderer Bedeutung sind:135 x Extensible Markup Language (XML): XML wurde ursprünglich entwickelt, um die Funktionalität des Web durch eine flexiblere und besser anpassbare Identifikation von Informationen zu verbessern. Bei XML handelt es sich nicht um ein festes Format, sondern um eine Art Metasprache, in der auf die jeweiligen Bedürfnisse zugeschnittene Protokolle definiert werden können. XML dient nicht nur der Beschreibung von Web-Seiten, sondern es kann darüber hinaus auch zur Speicherung beliebiger strukturierter Information genutzt werden und zur Kapselung 135
Vgl. hierzu auch Abschnitt 2.6.
230
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
solcher Informationen, um sie zwischen unterschiedlichen Systemen auszutauschen. x Simple Objekt Access Protocol (SOAP): Bei SOAP handelt es sich um ein Kommunikationsprotokoll für Web-Services bzw. – allgemeiner formuliert – um ein Protokoll zum Austausch strukturierter und typisierter Informationen zwischen IT-Systemen in einer dezentralen, verteilten Umgebung. x Universal Description, Discovery and Integration (UDDI): Ein Unternehmen, das zum Datenaustausch einen Web-Service allgemein anbieten möchte, kann eine UDDI-Registrierung erstellen. Hierbei handelt es sich um ein spezifisches XML-Dokument. Dessen Format ist in einem von UDDI136 definierten Schema festgelegt. Danach werden die Registrierungen in einer replizierten Datenbank gespeichert („UDDI Business Registry“). Dabei werden in Form eines Verzeichnisses zusätzlich spezifische Unternehmensangaben veröffentlicht, anhand derer angegeben wird, welche Netzwerkprotokolle die Unternehmen nutzen bzw. es werden weitere Informationen veröffentlicht, die für einen effektiven Datenaustausch zwischen den Unternehmen notwendig sind. EAI-Applikationen sind aber nicht nur zur Integration von TeilSystemen unterschiedlicher funktionaler Bereiche oder Supply-ChainPartner notwendig. In einer typischen Systemlandschaft haben die Handelsunternehmen zudem eine große Zahl von Alt-Systemen und AltDatenbanken, die auch in der Zukunft weiter genutzt bzw. nur teilweise ersetzt werden sollen. Gleichzeitig sollen neue Applikationen entwickelt oder zugekauft und integriert werden. Um diese unterschiedlichen Alt- und Neu-Systeme integrieren zu können, werden wiederum Systeme zur Application-Integration erforderlich. Vor der gleichen Aufgabe stehen auch die Hersteller von Standardsoftware. Insbesondere die ERPHersteller haben aus Zeit- und Kostengründen nicht die Möglichkeit, bei jedem „Technologiesprung“ ihre Systeme in der neuen Technologie neu zu entwickeln. Ihre Aufgabe besteht vielmehr darin, x neue Module in der neuen Technologie zu entwickeln, x Änderungen an bestehenden Modulen – soweit möglich – auch in der neuen Technologie zu entwickeln,137
Die UDDI wurde auf Initiative von Unternehmen wie u.a. Microsoft, IBM und Ariba gegründet wurde. Inzwischen hat sich eine Vielzahl weiterer namhafter Unternehmen angeschlossen, wie z.B. Dell, Sun Microsystems, SAP, Cisco Systems oder Intel. 137 Dies ist jedoch oftmals nicht möglich. 136
3.1 Begriffliche Abgrenzungen
231
x eine neue Benutzeroberfläche zu definieren, unter der Alt- und NeuSysteme integriert werden können, x insgesamt Systeme zu schaffen, in denen die Anwender ohne erkennbare Systembrüche arbeiten können.138 Im Zusammenhang mit der Diskussion integrierter Warenwirtschaftssysteme sind auch die Entwicklungen von Interesse, die sich im Bereich der Open-Source-Software-Systeme abzeichnen. Bei Open-Source-Systemen handelt es sich um Software-Systeme, die der Anwender lizenzfrei erwerben und nutzen kann.139 Es existieren neben den Standardsystemen bzw. Individuallösungen im Bereich der ERP-Systeme inzwischen auch die ersten Open-Source-ERP-Systeme.140 Der Einsatz von Open-SourceSystemen wird insbesondere für kleine und mittlere Handelsunternehmen diskutiert. Die bisher existierenden Open-Source-ERP-Systeme bieten zumeist noch nicht die Funktionalitäten vollwertiger Warenwirtschaftssysteme und erreichen nicht die Leistungsfähigkeit der etablierten Anbieter von Standardsoftware wie z.B. SAP oder Retek. Diesen Anspruch erheben sie jedoch auch nicht. Der entscheidende Vorteil der Open-Source-Systeme liegt zunächst v.a. in der Tatsache, dass die Software den Anwendern kostenlos zur Verfügung steht. Jedoch liegt ein weiterer Vorteil der Open-SourceSysteme in dem Beitrag, den sie dazu leisten, insgesamt eine „Öffnung“ der Anwendungssysteme allgemein zu realisieren, da sie leichter mit anderen Systemen integrierbar bzw. koppelbar sind, weil ihre Schnittstellen grundsätzlich offen gelegt sind und jeder darauf zugreifen kann.141 Der Die großen Software- und Systemanbieter haben hierzu ihre eigenen Architekturen definiert, unter denen sie diese Integrationsaufgaben lösen wollen, wie z.B. SAP Netweaver, IBM Websphere oder Microsoft .net. Die Schnittstellen hierzu werden dabei offen gelegt, um möglichst vielen externen Softwareanbietern die Möglichkeit zu bieten, ihre Systeme jeweils in die vorgelegte Architektur zu integrieren. 139 Das bekannteste Open-Source-System ist das Betriebssystem „Linux“, das sich inzwischen zu einem ernst zu nehmenden Konkurrenten für die etablierten Betriebssysteme Unix und Microsoft Windows entwickelt hat. Ausgehend von diesem Ansatz hat sich die Open-Source-Idee weiter ausgedehnt, so existieren z.B. Open-Source-Datenbanken (wie z.B. OpenSQL) oder Open-SourceApplication-Server (wie z.B. JBOSS). 140 Beispiele für Open-Source-ERP-Systeme sind z.B. Compiere, ein vollständiges ERP-System, oder ERP5, ein Open-Source-Framework, bei dem eine Vielzahl der Komponenten von ERP-Systemen abgedeckt wird. 141 Wenn die Verbreitung eines Open-Source-Systems eine gewisse kritische Masse überschritten hat, entwickelt sich über die große „Anwendergemeinde“ ein beträchtlicher Markt an Weiterentwicklungen, die dann ebenfalls allen Nutzern 138
232
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
mögliche Hauptschwachpunkt aller Open-Source-Systeme gegenüber den gängigen Standardsystemen liegt auf der anderen Seite jedoch in der Fehleranfälligkeit und der Wartung der Systeme.
3.2 Grundprinzipien von Warenwirtschaftssystemen 3.2.1
Vereinfachung durch Vereinheitlichung
Die bestehenden Warenwirtschaftssysteme sind oftmals durch einen sehr hohen Komplexitätsgrad gekennzeichnet, so gibt es z.B. in vielen heutigen Warenwirtschaftssystemen für verschiedene Sortimentsbereiche unterschiedliche Module. Zum Beispiel werden in Warenwirtschaftssystemen für den Lebensmitteleinzelhandel oftmals spezifische Module für Frischeartikel mit eigenem Wareneingang, eigener Kommissionierung, eigener Rechnungsschreibung usw. integriert. Dies erfolgt meist einzig aus dem Grund, dass dieser Bereich organisatorisch in gewissem Umfang anders abläuft als Sortimentsbereiche, die über das „normale“ Lagergeschäft abgewickelt werden. Eine solche Vorgehensweise führt dazu, dass die IT-Systeme unnötig „aufgebläht“ werden und sie erschwert die Wartung der Systeme. Grundsätzlich ist es jedoch möglich, Warenwirtschaftssysteme so zu konzipieren, dass die Anforderungen solcher Sonderbereiche im Rahmen einheitlicher Module mit abgedeckt werden können. Erfolgt dies nicht, sondern werden z.B. in der Artikelstamm-Grundkonzeption nur Stückartikel vorgesehen, wird man auf Schwierigkeiten stoßen, wenn damit Artikel einer anderen Konzeption, z.B. Gewichtsartikel, abgewickelt werden sollen. Das Ziel liegt somit darin, im Rahmen der Systemkonzeption so vorzugehen, dass die jeweiligen Anforderungen oder Eigenschaften so weit verallgemeinert werden, dass sie eine höhere logische Ebene repräsentieren, auf der ursprünglich unterschiedliche Dinge unter einem einheitlichen Konzept zusammengefasst werden können. Als Beispiel für eine solche Vorgehensweise können z.B. unterschiedliche Lagertypen wie Aktionsläger, Textilläger, Kleinteileläger u.Ä. im Rahmen einer solchen einheitlichen Grundkonzeption unter einem modernen Warenverteilzentrum zusammengefasst werden (s. Abb. 3.5.).
kostenlos zur Verfügung stehen könnten. Hiervon sind die heutigen OpenSource-ERP-Systeme jedoch noch weit entfernt.
3.2 Grundprinzipien von Warenwirtschaftssystemen
233
Aktionslager Textillager MoProLager Obstlager Kleinteilelager Hauptlager
Verteilzentrum
Abb. 3.5. Zusammenfassung unterschiedlicher Lagertypen unter modernem Warenverteilzentrum
Ein weiteres Beispiel, anhand dessen die Möglichkeit zur Vereinfachung der Systeme verdeutlicht werden kann, stellt die Behandlung von Retouren und Umlieferungen im Rahmen von Warenwirtschaftssystemen dar. Beide werden in Warenwirtschaftssystemen oftmals typischerweise als Spezialfälle behandelt, obwohl es sich eigentlich jeweils um Warenausgänge an einer Stelle und an einer anderen Stelle um entsprechende Wareneingänge handelt. Ebenfalls als Beispiel kann die Behandlung von Lager- und Streckenartikeln, also von Artikeln, die über ein Zentrallager oder direkt vom Lieferanten an die Verkaufsstellen geliefert werden, herangezogen werden. In vielen Warenwirtschaftssystemen werden diese beiden unterschiedlichen Typen von Artikeln – bzw. eigentlich nur Belieferungswegen – auf völlig getrennte Weise behandelt, angefangen mit den Stammdaten, über die Einkaufskonditionen bis hin zu den Ordersätzen. Vereinfachung durch Vereinheitlichung würde in diesem Bereich bedeuten, dass Lager- und Streckenartikel in einer einheitlichen Konzeption behandelt werden sollten, unterschiedlich sollten nur die Belieferungswege sein. In einer effizienten Warenwirtschaft sollten keine derartigen Sonderfälle enthalten sein, für die eigene Prozesse modelliert werden müssen, sondern die Standardprozesse in den angesprochenen Bereichen sollten in so verallgemeinerter Form modelliert sein, dass sie diese Fälle mit abdecken.
234
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
Bei der Konzeption und beim Entwurf von Warenwirtschaftssystemen im Handel wird jedoch häufig der Fehler gemacht, sich zu eng an den bestehenden Verhältnissen, Strukturen und organisatorischen Abläufen zu orientieren. Bei der Einführung neuer Systeme werden die alten Arbeitsbedingungen oft exakt reproduziert. Wichtig ist es jedoch, bei der Konzeption von Warenwirtschaftssystemen genau diese „alten“ Arbeitsbedingungen kritisch zu hinterfragen und dort, wo es sinnvoll erscheint, durch neue, einfachere Strukturen und Abläufe zu ersetzen. 3.2.2
Operative Einheiten
3.2.2.1 Grundprinzip der operativen Einheiten Bei Warenwirtschaftssystemen handelt es sich im Prinzip um vergleichsweise einfache Systeme mit klaren Schnittstellen zur Außenwelt (s. Abb. 3.6.). Bestellung
Lieferant
Ware Auszahlung
Auftrag
Warenwirtschaftssystem
Ware
Abnehmer
Einzahlung
Abb. 3.6. Kontext-Diagramm eines Warenwirtschaftssystems
Die äußere Umgebung bzw. der Kontext eines Warenwirtschaftssystems ergibt sich aus dem Supply-Chain-Kontext der Handelsunternehmen. Im Falle eines Warenwirtschaftssystems wird die Ware, die vom Lieferanten geliefert wird, i.d.R. dieselbe Ware sein, die dann an den Abnehmer verkauft wird, d.h., in den meisten Handelsunternehmen werden keine Produktions- oder Manipulationsvorgänge an der Ware vollzogen. Es kann sich dabei z.B. um das Warenwirtschaftssystem für ein beliebiges Lager handeln. Die Verbindungen bzw. Pfeile (s. Abb. 3.6.) zwischen den operativen Einheiten stellen die einzelnen Datenflüsse dar, so die Dispositions-, Güter- und Zahlungsströme. Die Dispositionsströme sind x Auftragsausgang (= Bestellung beim Lieferanten) und x Auftragseingang (= Auftrag vom Abnehmer). Diese Dispositionen lösen entsprechende Güterströme aus: x Auftragsausgang löst Wareneingang aus
3.2 Grundprinzipien von Warenwirtschaftssystemen
235
x Auftragseingang löst Warenausgang aus. Diese Güterströme, die i.d.R. sowohl mengen- als auch wertmäßig erfasst werden, lösen ihrerseits Zahlungsströme in umgekehrter Richtung aus: x Wareneingang löst Auszahlungen aus x Warenausgang löst Einzahlungen aus. Im Warenwirtschaftssystem werden die Dispositionsströme und die Güterströme sowohl mengen- als auch wertmäßig erfasst. In der Finanzbuchhaltung dagegen werden nur die wertmäßigen Güterströme und die wertmäßigen Zahlungsströme erfasst. Aus Gründen der Übersichtlichkeit ist die Darstellung in Abb. 3.6. bewusst einfach gehalten. Tatsächlich können alle Stromgrößen auch in umgekehrter Richtung auftreten, so z.B. bedingt durch Retouren, d.h. die Rückgabe von Ware an den Lieferanten oder vom Abnehmer an das Handelsunternehmen. 142 In der hier vorgestellten Beschreibung wird von dem Denkmodell ausgegangen, dass es sich um das Warenwirtschaftssystem eines Zentrallagers handelt, bei dem die Lieferanten die Ware für dieses Zentrallager liefern und die Verkaufsstellen die Abnehmer der Ware sind. Es sind jedoch auch andere Konfigurationen vorstellbar, so z.B. das Warenwirtschaftssystem einer Verkaufsstelle, bei dem die Endkunden die Abnehmer sind, bei den Lieferanten kann es sich um ein Zentrallager oder um entsprechende Streckenlieferanten handeln und ein Fremdsystem könnte z.B. die Finanzbuchhaltung sein. Auf einem entsprechend hohen Abstraktionsniveau kann man also eine Verkaufsstelle und ein Zentrallager auf dieselbe Art beschreiben, sodass sie sich in ihrer grundlegenden Funktionsweise nicht wesentlich unterscheiden. Bei beiden werden Bestellungen bei Lieferanten ausgelöst, beide erhalten Ware von diesem Lieferanten, beide erhalten Bestellungen von den Abnehmern und beide liefern (bzw. verkaufen) Ware an die Abnehmer. Der einzige auf diesem Level erkennbare Unterschied besteht darin, dass der Bestellvorgang des Abnehmers in der Verkaufsstelle i.d.R. kein eigener Vorgang ist, weil der Abnehmer (Kunde) zumeist die Ware direkt dem Regal im Verkaufsraum entnimmt und Bestellungen im stationären Handel eher die Ausnahme darstellen.143 Im Prinzip handelt es sich dabei jeweils nur um einen Spezialfall des allgemeineren Falls, bei dem Bestellung und Warenentnahme bzw. -liefe142 143
Vgl. hierzu die Ausführungen in Abschnitt 2.4.1.2. Im Gegensatz zum stationären Handel treten im Versandhandel ebenfalls solche Bestellvorgänge der Kunden auf. Vgl. hierzu auch Abschnitt 2.4.3.3.
236
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
rung getrennte Vorgänge sind. Dieses Beispiel ist gut geeignet, um die bereits dargestellte Grundkonzeption der „Vereinfachung durch Vereinheitlichung“ zu illustrieren. Anhand der allgemeineren Betrachtungsweise, dass Bestellungen und Warenentnahme überall, also nicht nur im Lager, sondern auch in der Verkaufsstelle, als getrennte Vorgänge anzusehen sind, gelangt man automatisch dazu, alternative Vertriebsformen wie z.B. Versandhandel, Internet-Shopping, Abholmärkte u.Ä. von ihren grundsätzlichen Anforderungen her bereits zu einem Zeitpunkt zu berücksichtigen, an dem diese Anforderungen noch nicht formuliert sind. Wesentliches Ziel ist es somit, die organisatorischen Grundkonzeptionen von integrierten, mehrstufigen Warenwirtschaftssystemen so einfach und so einheitlich wie möglich zu gestalten. Der Ansatzpunkt dazu besteht in der hier umrissenen einheitlichen Betrachtungsweise der wesentlichen warenwirtschaftlichen Funktionsbereiche in Verkaufsstellen und Lägern, die deshalb im Folgenden unter dem Begriff „operative Einheit“ zusammengefasst werden. Unter einer operativen Einheit versteht man allgemein eine beliebige betriebliche Einheit oder Leistungsstelle (z.B. Einkauf oder Verkauf), in der das operative Geschäft, also Warenprozesse oder damit im Zusammenhang stehende dispositive Prozesse, abgewickelt werden. Durch die Einbeziehung der dispositiven Prozesse in diese Definition lassen sich zudem auch Zentralen oder regionale Niederlassungen als operative Einheiten betrachten. Als wesentliche operative Einheiten werden im Folgenden die Verkaufsstellen, Zentral- und Regionalläger sowie Niederlassungen und Zentralen näher charakterisiert. 3.2.2.2 Verkaufsstellen Die wesentlichen funktionalen Bereiche eines Warenwirtschaftssystems sind Einkauf, Marketing, Warenabwicklung und die Abrechnung. Grob skizziert lassen sich die Bereiche wie folgt abgrenzen: Die Warenabwicklung umfasst das gesamte Warengeschäft von der Disposition über den Wareneingang bis zum Warenausgang bzw. zum eigentlichen Verkauf der Ware. Bei einer Verkaufsstelle handelt es sich um eine operative Einheit, in der Ware an die Kunden, i.d.R. die Endkunden, verkauft wird. Wesentliche Teilaspekte dabei sind die Präsentation der Ware, ggf. die Beratung des Kunden usw. Typische Beispiele sind etwa die Filialen eines Lebensmitteleinzelhändlers oder Cash & Carry-Märkte, also Verkaufsstellen des Großhandels.
3.2 Grundprinzipien von Warenwirtschaftssystemen
237
In der operativen Einheit Verkaufsstelle ist der Einkauf, d.h. die Lieferantenauswahl, das Aushandeln von Einkaufskonditionen usw. je nach Firmenphilosophie nur gering bis gar nicht als Aufgabenbereich vorhanden, da dieser Funktionsbereich i.d.R. der Zentrale vorbehalten bleibt, jedoch gibt es auch Ausnahmen von dieser Regel. Bei größeren Verkaufsstellen haben teilweise die Filialleiter einen höheren Einfluss und können auch teilweise Einfluss auf den Einkauf nehmen bzw. diesen für bestimmte Artikel oder Artikelgruppen selbst vornehmen. Ähnliches gilt auch für Marketingaspekte in den Verkaufsstellen, speziell bezogen auf die Sortimentspolitik und die Verkaufspreisgestaltung. Hierbei ist der Handlungsspielraum der Filialleiter z.T. höher. Der eigene Handlungsspielraum der Filialleiter liegt dabei z.B. in spezifischen Regionalsortimenten, bestimmten Konkurrenzsituationen, vor allem bei Sonderaktionen, und besonders bei Preisnachlässen, z.B. im Obstbereich, bei leicht beschädigter Ware usw. Bei der Warenabwicklung zeigen sich auf den ersten Blick die größten Unterschiede zwischen den einzelnen operativen Einheiten. In diesem Bereich ist es deshalb notwendig, einen wesentlichen Beitrag zur Abstraktion und Vereinheitlichung der organisatorischen Abläufe zu leisten. Unterteilt man Warenabwicklung in die Hauptbereiche Disposition, Wareneingang, Lagerverwaltung, Bestellannahme und Warenausgang, so ist erkennbar, dass alle diese Bereiche, die eigentlich bereits von der Terminologie her auf eine operative Einheit (Zentral-)Lager „zugeschnitten“ sind, auch in einer Verkaufsstelle existieren. Ob für eine Verkaufsstelle oder für ein Lager disponiert wird, unterscheidet sich im Prinzip nur hinsichtlich der bestellten Mengen. Ebenso kann auch der Wareneingang im Rahmen der Umsetzung in Warenwirtschaftssystemen für unterschiedliche Arten operativer Einheiten in gleicher Form behandelt werden. Unterschiede bestehen häufig nur hinsichtlich der Art der verwendeten Ladehilfsmittel. So werden im (Zentral-)Lager i.d.R. große Paletten angeliefert, die mit meist einheitlicher Ware bestückt sind, während in den Verkaufsstellen oftmals kleinere Einheiten wie z.B. Rollcontainer angeliefert werden, die gemischt beladen sind. Auch eine Form der Lagerverwaltung ist in den Verkaufsstellen vorhanden, so existieren auch dort „Greifzonen“ – in Form der normalen Regalfläche im Verkaufsraum – und „Reservezonen“ – je nach Größe der Verkaufsstelle u.U. lediglich ein einfaches „Hinterzimmer“, in dem der Nachschub für die schnell drehenden Artikel gelagert wird. In den Verkaufsstellen des Großhandels, so z.B. in einem „typischen“ Cash & CarryMarkt, hat der eigentliche Verkaufsraum prinzipiell denselben Aufbau wie ein Zentrallager, d.h., in diesem Fall sind auch die Verkaufsstellen in echte Greif- und Reservezonen untergliedert.
238
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
Formen der Bestellannahme finden sich in den Verkaufsstellen nur in geringem Maße, sind aber durchaus existent, so z.B. im Zustellhandel oder in Form von Einzelbestellungen spezifischer Artikel durch die Kunden direkt in der Verkaufsstelle. Als Warenausgang ist der eigentliche Verkauf der Ware an den Endkunden zu kennzeichnen, der bis auf wenige Ausnahmen durch ScannerKassen-Subsysteme unterstützt wird.144 Der Warenausgang in der Verkaufsstelle ist vom Ablauf her „einfacher“ als im Lager, da hier der Endkunde selbst kommissioniert und die im Lager mit der Kommissionierung verbundene zusätzliche Komplexität entfällt. 3.2.2.3 Zentral-/Regionallager Die operative Einheit „Lager“ – in diesem Zusammenhang wird insbesondere auf Zentral- bzw. Regionalläger fokussiert – ist dadurch gekennzeichnet, dass in diesem Bereich die Lagerprozesse im Vordergrund stehen.145 Im Rahmen der Konzeptualisierung dieser operativen Einheit im Warenwirtschaftssystem stellt sich deshalb die Frage, ob auch die Bereiche Einkauf und Marketing in dieser operativen Einheit durchgeführt werden, oder ob lediglich mit der Lagerung im Zusammenhang stehende Prozesse realisiert werden. Die Konzeptualisierung hängt wesentlich von der Gesamtstruktur des jeweiligen Handelsunternehmens ab: x Bei einem zentral organisierten Filialunternehmen mit nur einem Zentrallager – einer Organisationsform, wie sie bei den meisten regional begrenzt tätigen Filialisten anzutreffen ist – können Lager und Zentrale gleichgesetzt werden. Entsprechend können die zentralen Bereiche Einkauf und Marketing im Kontext dieser operativen Einheit „Zentrallager“ durchgeführt werden. In den Bereichen Einkauf und Marketing wird somit die Funktionsausübung für das Zentrallager und alle angeschlossenen Verkaufsstellen durchgeführt. x Bei einem zentral organisierten Filialunternehmen mit mehreren (Regional-)Lägern werden Einkauf und Marketing oft in der Zentrale angesiedelt sein. x Bei einem stärker regional organisierten Filialunternehmen mit mehreren (Regional-)Lägern sind Einkauf und Marketing u.U. am einzelnen Regionallager angesiedelt. Erkennbar ist, dass eine Vielzahl unterschiedlicher Organisationsformen denkbar ist, auf welche die entsprechenden organisatorischen Abläufe ab144 145
Vgl. hierzu z.B. auch Grünblatt 2004. Vgl. hierzu die Ausführungen in den Abschnitten 2.2.2 und 2.4.2.
3.2 Grundprinzipien von Warenwirtschaftssystemen
239
gestimmt werden müssen. Das Ziel im Rahmen der Warenwirtschaftssysteme ist es, die Gestaltung dieser Abläufe soweit zu verallgemeinern, dass die unterschiedlichen Formen automatisch und ohne spezielle Anpassungen in jedem Handelsunternehmen abgedeckt werden können. Aus diesem Grund können im Rahmen des Warenwirtschaftssystems für jedes Lager zunächst allgemein die Funktionsbereiche Einkauf, Marketing, Warenabwicklung, Abrechnung und Informationslogistik vorgesehen werden. Dabei wird zunächst davon abstrahiert, ob die jeweiligen Funktionen auch tatsächlich von der betrachteten operativen Einheit übernommen werden. Die Einkaufs- und Marketingfunktionen werden dabei für das Lager selbst und möglicherweise auch für die untergeordneten Verkaufsstellen oder für sonstige Abnehmer, wie z.B. Franchisenehmer, Großhandel oder Fremdunternehmen, bereitgestellt. Inwieweit diese Funktionen tatsächlich durch die betrachtete operative Einheit genutzt werden, hängt von der jeweiligen Organisationsform des Handelsunternehmens ab. Die gesamte Warenabwicklung mit Disposition, Wareneingang, Lagerverwaltung, Bestellannahme und Bestellweiterleitung sowie Warenausgang stellt die eigentliche „klassische“ Lagerfunktion dar. Inwieweit Abrechnungs- und Informationssysteme von der betrachteten operativen Einheit übernommen werden – wiederum können diese für das Lager selbst, häufig aber auch für die untergeordneten operativen Einheiten durchgeführt werden -, hängt wiederum stark von der Organisationsform des Handelsunternehmens ab. Diese Funktionen können z.T. auch in der Zentrale angesiedelt sein. 3.2.2.4 Niederlassungen/Zentralen Eine regionale Niederlassung oder eine Zentrale unterscheidet sich von den bisher vorgestellten operativen Einheiten dadurch, dass in den Niederlassungen bzw. der Zentrale i.d.R. kein eigentliches Warengeschäft, d.h. keine Warenabwicklung, durchgeführt wird. Dennoch ist in einem einheitlichen Gesamtkonzept im Rahmen des Warenwirtschaftssystems auch eine solche Zentrale als eine operative Einheit zu betrachten, ohne dass Sonderfälle konstruiert werden sollten. In dieser Form der operativen Einheiten bestehen die Bereiche Einkauf, Marketing, Abrechnung und Planungs- und Informationssysteme, die dabei sowohl die Aufgabenabwicklung für die operative Einheit Zentrale bzw. Niederlassung selbst übernehmen als auch – im Sinne einer Mandantenabwicklung – häufig die Aufgaben für die ihnen unterstellten operativen Einheiten durchführen. Eine eigene Warenabwicklung in den Niederlassungen bzw. der Zentrale existiert i.d.R. nicht, es ist allerdings denkbar, dass von einer solchen
240
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
Niederlassung oder Zentrale die Warenabwicklung für untergeordnete operative Einheiten übernommen wird. Vor allem in den großen Handelsunternehmen wird teilweise auch ein echtes Warengeschäft von den Zentralen oder regionalen Niederlassungen übernommen. Zum Beispiel kauft die Zentrale große Mengen eines Artikels ein und verkauft sie an die untergeordneten Läger weiter. Der Unterschied zum klassischen Warengeschäft besteht darin, dass die Ware zumeist direkt vom Lieferanten an die untergeordnete operative Einheit, in diesem Fall z.B. ein Lager, geliefert wird. Im Prinzip handelt es sich dabei also um eine Art Vermittlungs- oder Provisionsgeschäft, das auch zwischen Lager und Verkaufsstelle auftreten kann, wenn die Verkaufsstelle beim Lager Ware bestellt, das Lager aber nicht direkt selbst über diese Ware verfügt, sondern es die Ware vielmehr bei einem Lieferanten zur direkten Lieferung an die Verkaufsstelle bestellt. Im Sinne einer einheitlichen warenwirtschaftlichen Abwicklung lassen sich also auch die Zentralen von Handelsunternehmen als operative Einheiten behandeln. 3.2.2.5 Die Abbildung von Unternehmenshierarchien Eine der Grundfragen bei der Modellierung eines filialisierenden Handelsunternehmens im Kontext eines Warenwirtschaftssystems ist die Frage, wie viele Unternehmenshierarchiestufen vorhanden sind und entsprechend berücksichtigt werden müssen. So sind z.B. zweistufige Modelle (z.B. Zentrale und Verkaufsstellen), dreistufige Modelle (z.B. Zentrale, Niederlassungen und Verkaufsstellen) oder noch komplexere Modelle in Form mehrstufiger Modelle denkbar (s. Abb. 3.7.). Regionale Niederlassungen
Zentrale
Unabhängiger Großhändler
Zentrallager
unabhängige Einzelhändler
Filialen
Lager
Filialen
Lager
FranchiseNehmer
Abb. 3.7. Beispiel mehrstufiger Unternehmensstrukturen
Filialen
3.2 Grundprinzipien von Warenwirtschaftssystemen
241
Das in Abb. 3.7. dargestellte Beispiel einer mehrstufigen Unternehmensstruktur mit einem Zentrallager, einer regionalen Niederlassung mit zwei angeschlossenen Regionallägern, einem externen Großhandelsunternehmen und unterschiedlichen eigenständigen und abhängigen Verkaufsstellentypen ist vom Aufbau her relativ einfach. In der Handelspraxis sind die vorherrschenden Unternehmensstrukturen insbesondere auf Grund der Betriebstypenvielfalt häufig wesentlich komplexer, da die unterschiedlichen Betriebs- und Vertriebstypen häufig über eigene Logistikkonzeptionen mit eigenständigen Distributionsschienen verfügen.146 Folgt man dem Konzept der operativen Einheiten, so sind bei der Umsetzung der Strukturen in Warenwirtschaftssystemen keine Unternehmenshierarchien zu berücksichtigen, da lediglich die Definition der unterschiedlichen operativen Einheiten vorgenommen wird und Über- bzw. Unterordnungsbeziehungen im Kontext des Warenwirtschaftssystems zunächst irrelevant sind. Zwischen den definierten operativen Einheiten können über die Stammdaten unterschiedliche Beziehungen im Sinne einer Vernetzung der operativen Einheiten definiert werden. Bei den zwischen den unterschiedlichen operativen Einheiten bestehenden Beziehungen kann es sich um hierarchische Beziehungen oder auch um jede Form sonstiger Beziehungen zwischen den jeweiligen operativen Einheiten handeln. Ändert sich der organisatorische Aufbau des Unternehmens, z.B. durch Neuerrichtungen von Regionallägern oder die Integration eines neuen Unternehmenszweiges, führt dies zu neuen operative Einheiten oder zumindest zu neuen Beziehungen zwischen diesen Einheiten im Rahmen des Warenwirtschaftssystems; die funktionalen Bereiche des Warenwirtschaftssystems selbst bleiben jedoch unverändert. Eine solche Konzeption ermöglicht die Aufrechterhaltung einer hohen Flexibilität der Systeme hinsichtlich potenzieller Veränderungen bzw. Entscheidungen im Kontext der strategischen Unternehmenspolitik. 3.2.2.6 Das Zusammenwirken operativer Einheiten Die Konzeption der operativen Einheiten darf in keinem Fall mit einer Summe von Insellösungen verwechselt werden, denn solche Insellösungen haben prinzipiell Kommunikations- und Integrationsprobleme zur Folge. Anhand der Etablierung operativer Einheiten im Rahmen des Warenwirtschaftssystems erreicht man vielmehr den Aufbau dezentraler Lösungen mit einem hohen Integrationscharakter, da all diese Systeme einer einheitlichen Konzeption folgen und über gemeinsame, verteilte Datenbanken 146
Vgl. hierzu auch die Ausführungen zum Multi-Channel-Retailing in Abschnitt 2.4.3.
242
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
miteinander gekoppelt sind. Die homogene Gesamtstruktur der Menge verschiedener operativer Einheiten basiert auf einer einheitlichen, verteilten Datenbank mit einer Verteil- und Steuerungsebene zur Kommunikation, Koordination und Synchronisation zwischen den verschiedenen Unternehmenseinheiten (s. Abb. 3.8.). Datenbank Lager
Datenbank Filiale
Datenbank Filiale
Verteil- und Steuerungsebene
Datenbank Zentrale
Datenbank Filiale
Datenbank Niederlassung
Abb. 3.8. Kommunikation, Koordination und Synchronisation zwischen den verschiedenen operativen Einheiten
Die logische Gleichberechtigung der operativen Einheiten führt zu einer Bereinigung der warenwirtschaftlichen Funktionen, indem hierarchische Denkweisen durch ein Denken in Prozessen ersetzt werden. Bei einer prozessorientierten Betrachtungsweise des Zusammenwirkens der operativen Einheiten kann man zwischen vertikalen und horizontalen Prozessen unterscheiden. Vertikale Prozesse sind solche Prozesse, die zwischen hierarchisch untereinander angeordneten operativen Einheiten ablaufen, also z.B. zwischen der Zentrale und einer Niederlassung, einer Niederlassung und einem Lager oder einem Lager und einer Verkaufsstelle. Bei horizontalen Prozessen handelt es sich um solche Prozesse, die zwischen organisatorischen Einheiten ablaufen, die sich auf der gleichen hierarchischen Ebene befinden, also z.B. Prozesse, die zwischen verschiedenen Verkaufsstellen, Lägern oder Niederlassungen ablaufen. Vertikale Prozesse Das Zusammenwirken operativer Einheiten im Rahmen vertikaler Prozesse kann in unterschiedlichen Formen ablaufen. Die vertikalen Prozesse können in drei Formen eingeteilt werden:
3.2 Grundprinzipien von Warenwirtschaftssystemen
243
x Prozesse der Warenbewegung x Prozesse des Informationsaustauschs x Prozesse im Bereich der Mandantenabwicklung. Die Warenbewegungsprozesse können dabei unterschieden werden in Prozesse, die zwischen operativen Einheiten ablaufen, und solche, die mit externen Unternehmen durchgeführt werden. Als Warenbewegungsprozesse zwischen operativen Einheiten sind insbesondere Warenbelieferungen vom Lager an die Verkaufsstelle sowie Retouren von der Verkaufsstelle an das Lager zu nennen. Als Warenprozesse zwischen dem betrachteten Unternehmen und der Außenwelt kommen u.a. die Warenlieferungen der Lieferanten, die Retouren an die Lieferanten, die Warenlieferungen an die Kunden sowie die Retouren von den Kunden hinzu. Warenlieferungen bzw. Retouren sind zusammengesetzte Prozesse, die aus einem Warenausgang in einer operativen Einheit und einem Wareneingang in einer anderen operativen Einheit bestehen. Sie sind mit Informationsflüssen verbunden. Insbesondere von Relevanz sind in diesem Zusammenhang die Warenbestellung, der Lieferavis, der Lieferschein sowie die Rechnung. Auch bei Retouren sind diese Informationsflüsse grundsätzlich denkbar, auch wenn sie in der Praxis i.d.R. nicht in dieser Form realisiert werden. Die Abbildung dieser Warenprozesse einschließlich der damit verbundenen Informationsflüsse in das Warenwirtschaftssystem kann prinzipiell über eine direkte Datenkommunikation zwischen den operativen Einheiten oder über eine Art Vermittlungszentrale erfolgen. Als zweite Form vertikaler Prozesse sind die Prozesse des Informationsaustauschs von Bedeutung. Sie bestehen vor allem im Austausch statistischer Daten zwischen den operativen Einheiten, so z.B. die Meldung von Abverkaufszahlen der Verkaufsstellen an die Zentrale oder das Lager, der Stammdatenaustausch zwischen der Zentrale und den Verkaufsstellen, die Meldung betriebswirtschaftlicher Ergebnisse durch alle Unternehmenseinheiten an die Zentrale o.Ä. Die technische Realisierung des Datenaustauschs kann wiederum entweder anhand des direkten Austauschs zwischen den jeweiligen operativen Einheiten oder über eine Vermittlungszentrale mit Datenpool erfolgen. Die in der obigen Aufzählung als dritte Form vertikaler Prozesse aufgeführten Prozesse sind die Prozesse der Mandantenabwicklung.147 Hierbei handelt es sich um alle Prozesse, bei denen eine operative Einheit im Sinne
147
In anderen Auffassungen wird diese Form der Prozesse z.T. nicht als eigenständige Prozessart angesehen.
244
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
einer Mandantenabwicklung Aufgaben für eine andere Einheit übernimmt, wie z.B.: x zentrale Artikellistung oder Sortimentsgestaltung für eine Verkaufsstelle oder eine ganze Vertriebsschiene x zentrale Verkaufspreiskalkulation für eine Verkaufsstelle oder eine Vertriebsschiene x zentrale Rechnungsprüfung für Rechnungen von Streckenlieferanten, also von Rechnungen, die eigentlich an die Verkaufsstellen gehen x Zuteilung von Aktionsware an die Verkaufsstellen x zentrale Kosten- oder Ergebnisrechnung für alle Unternehmenseinheiten. In den meisten der bestehenden Warenwirtschaftssysteme erfolgt die Realisierung dieser Mandantenprozesse über speziell zu diesem Zweck entwickelte Subsysteme. Diese Vorgehensweise ist insbesondere aus Effizienzgründen vorteilhaft. Nimmt man jedoch eine Konzeption im Rahmen des Warenwirtschaftssystems vor, bei der operative Einheiten mit identischen Funktionsmodulen in allen Unternehmenseinheiten modelliert werden, bietet dies für die Realisierung der Mandantenprozesse vereinfachte Lösungswege, indem die übergeordnete operative Einheit das entsprechende Funktionsmodul ausführt, dies aber nicht für die eigene, sondern für eine untergeordnete operative Einheit bzw. für eine Mehrzahl solcher untergeordneter operativer Einheiten erfolgt. Wendet man diese Vorgehensweise z.B. auf die Sortimentsgestaltung an, so kann z.B. ein Subsystem eingerichtet werden, mit dem eine Verkaufsstelle ihr Artikelsortiment festlegen kann. Eine zentrale Sortimentsgestaltung bedeutet dann, dass in der Zentrale das gleiche Subsystem eingesetzt wird. Aus Effizienzgründen könnte man dabei das Sortimentsgestaltungssystem zusätzlich in dem Sinne erweitern, dass der Anwender zunächst die Menge der operativen Einheiten definiert, für die er dann im nächsten Schritt Sortimente gestalten will, d.h., er kann dann die Sortimentgestaltung für mehrere Verkaufsstellen oder eine ganze Vertriebsschiene in einem Schritt durchführen. Horizontale Prozesse Bezogen auf logistische bzw. warenwirtschaftliche Fragestellungen sind die denkbaren Prozesse, die in horizontaler Hinsicht in Handelsunternehmen ablaufen, wesentlich seltener, da die einzelnen Unternehmenseinheiten, die auf derselben Hierarchiestufe stehen, i.d.R. weniger miteinander in Verbindung stehen.
3.2 Grundprinzipien von Warenwirtschaftssystemen
245
Der wichtigste horizontale Prozess, der zwischen den operativen Einheiten der Handelsunternehmen auftritt, ist die Umlieferung von Ware. Sie wird insbesondere zwischen Verkaufsstellen durchgeführt, ist aber auch zwischen mehreren Lägern möglich. Bei der Umlieferung handelt es sich um einen zusammengesetzten Prozess. In der abgebenden operativen Einheit besteht er aus einem Warenausgang, der dann i.d.R. zu einer Entlastung führt, und in der empfangenden operativen Einheit besteht er aus einem Wareneingang, der dann entsprechend zu einer Belastung führt. Solche Umlieferungen sind z.B. im Textilhandel von großer Bedeutung, da in bestimmten Sortimentsbereichen auf Grund der Modezyklen keine Nachbestellmöglichkeiten bestehen und es häufig vorkommt, dass bestimmte Artikel in einer Verkaufsstelle erfolgreich sind, in einer anderen jedoch keinen Erfolg haben. Allgemein kann auch der Informationsaustausch zwischen gleichgeordneten operativen Einheiten als weiterer horizontaler Prozess gesehen werden. Ein solcher horizontaler Informationsaustausch stellt in der Mehrzahl der filialisierten Handelsunternehmen jedoch eher die Ausnahme dar. 3.2.2.7 Unternehmensübergreifende Aspekte In den operativen Einheiten als Objekte eines mehrstufigen Warenwirtschaftsystems wird das „operative Geschäft“ abgewickelt. In diesem Sinne können sowohl Verkaufsstellen und Läger als auch Zentralen und regionale Niederlassungen als operative Einheiten interpretiert werden. Es lässt sich anhand eines einfachen Beispiels illustrieren, dass auch unternehmensübergreifende Aspekte in dieses System der operativen Einheiten integriert werden können. Die operative Einheit Verkaufsstelle erhält Ware von einem Lieferanten. Dieser Lieferant kann sowohl ein externer Lieferant als auch eine andere operative Einheit, i.d.R. ein Lager, sein. Umgekehrt erhält eine operative Einheit Retouren von ihren Abnehmern. Bei einer Retoure an ein Lager ist dies i.d.R. die operative Einheit Verkaufsstelle, bei einer Retoure an eine Verkaufsstelle dagegen ein Kunde. Ein möglicher Ansatz zur Auflösung dieser Differenzierung in „intern“ und „extern“ besteht darin, den Begriff der operativen Einheit nicht nur auf unternehmensinterne Einheiten, sondern auch auf externe Partner wie z.B. Lieferanten auf der einen Seite und Kunden auf der anderen Seite auszudehnen (Hertel 1992). Auf diese Weise wird die gesamte Wertschöpfungskette in miteinander kooperierende operative Einheiten eingeteilt. Unter einer operativen Einheit versteht man in dieser weiten Begriffsauslegung somit eine beliebige betriebliche Einheit oder Leistungsstelle eines Unternehmens, in der operatives Geschäft abgewickelt wird, also Warenprozesse (oder in Industrieunternehmen als externe Partner der Han-
246
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
delsunternehmen Produktionsprozesse) und damit im Zusammenhang stehende dispositive Prozesse.
operative Einheit
dispositive Prozesse
MaterialLager
operative Einheit
dispositive Prozesse
Produktion
Warenprozesse
operative Einheit
dispositive Prozesse
AuslieferungsLager
Warenprozesse
operative Einheit
dispositive Prozesse
VerteilZentrum
Warenprozesse
operative Einheit
Filiale
Warenprozesse
dispositive Prozesse
operative Einheit
EndKunde Warenprozesse
Abb. 3.9. Zusammenwirken von operativen Einheiten in einer dreistufigen Wertschöpfungskette
In Abb. 3.9. ist das elementare Zusammenwirken der verschiedenen operativen Einheiten am Beispiel einer dreistufigen Wertschöpfungskette Lieferant – Händler – Endkunde dargestellt. Materiallager, Produktion und Auslieferungslager sind die operativen Einheiten des Lieferanten, Verteilzentrum und Verkaufsstelle sind die operativen Einheiten des Handelsunternehmens und am Ende der in dem Beispiel dargestellten Wertschöpfungskette steht der Endkunde. Eine solche dreistufige Wertschöpfungskette stellt in der Praxis eher die Ausnahme dar. Die vorherrschenden Wertschöpfungsketten sind i.d.R. wesentlich komplexer. Wertschöpfungsketten müssen zudem auch keineswegs so einfach aufgebaut, d.h. linear, sein wie dies in obigem Beispiel der Fall ist. Sobald z.B. der Herstellungsprozess über mehrere Stufen differenziert wird, werden die Zusammenhänge komplexer (s. Abb. 3.10.). Ebenso ist es auch vorstellbar, dass der Distributionsprozess über eine Mehrzahl von Handelsstufen abgewickelt wird. Betrachtet man allgemein die gesamte Supply-Chain, lässt sich die Wertschöpfungsprozesskette als das Zusammenwirken von operativen Einheiten unterschiedlicher Unternehmen in fast beliebiger Art und Weise kombinieren.
3.3 Die Ebenen von Warenwirtschaftssystemen operative Einheit
operative Einheit
operative Einheit
MaterialLager
Produktion
AuslieferungsLager
operative Einheit
operative Einheit
operative Einheit
MaterialLager
Produktion
AuslieferungsLager
Hersteller
Händler
247
Zulieferer
Zulieferer
operative Einheit
operative Einheit
operative Einheit
MaterialLager
Produktion
AuslieferungsLager
operative Einheit
operative Einheit
VerteilZentrum
Filiale operative Einheit
Warenprozesse dispositive Prozesse
Endkunde
Verbraucher
Abb. 3.10. Zusammenwirken von operativen Einheiten in einer vierstufigen Wertschöpfungskette mit nicht-linearen Ausprägungen
3.3 Die Ebenen von Warenwirtschaftssystemen 3.3.1
Überblick
Im Vordergrund der folgenden Betrachtungen von Warenwirtschaftssystemen stehen die Warenprozessebene und die Abrechnungsebene. Auf der Warenprozessebene werden die Warenströme mengenmäßig erfasst und verarbeitet und auf der Abrechnungsebene werden die Warenprozesse wertmäßig verarbeitet. Die Warenprozessebene wird wiederum unterteilt in Wareneingang und Warenausgang, die Abrechnungsebene in Belastung und Entlastung (Einkauf und Verkauf) interner oder externer Unternehmenseinheiten oder Leistungsstellen. Auf diese Grundelemente, so Wareneingang, Warenausgang, Belastung und Entlastung, können alle Abläufe innerhalb des Warenwirtschaftssystems zurückgeführt werden. Diese Trennung zwischen Warenprozessebene einerseits und Abrechnungsebene andererseits ist abzugrenzen von der allgemein üblichen Schnittstelle zwischen operativen Systemen und Finanzbuchhaltung.
248
3.3.2
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
Warenprozessebene
Auf der Warenprozessebene sind im Wesentlichen die Vorgänge Wareneingang und Warenausgang (bzw. bei Industrieunternehmen als externen operativen Einheiten zusätzlich noch die Produktion) von Relevanz. Untersucht man ein mehrstufiges Handelsunternehmen als Ganzes, so treten z.B. Warenlieferungen, Umlieferungen oder Retouren als Wareneingänge bzw. Warenausgänge in unterschiedlichen operativen Einheiten auf, so z.B. im Zentrallager, in den Verkaufsstellen usw. Diese Vorgänge (Wareneingänge, Warenausgänge bzw. Produktion) werden deshalb auch als Elementarfunktionen der Warenprozessebene bezeichnet. Alle komplexeren Vorgänge bauen auf diesen Funktionen auf, d.h., sie ergeben sich durch Verknüpfung, Projektion, Erweiterung usw. der Elementarfunktionen Wareneingang und Warenausgang (bzw. Produktion in Industrieunternehmen). Die Elementarfunktionen Wareneingang und Warenausgang der Warenprozessebene haben drei Argumente, nämlich die operative Einheit, die betreffenden Artikel sowie die jeweilige Menge. Die operative Einheit gibt an, wo der Wareneingang oder der Warenausgang erfolgt, die Artikelnummer gibt an, welcher Artikel bei dem betroffenen Prozessen Wareneingang bzw. Warenausgang bewegt wird, und die Menge gibt an, welche Menge des betreffenden Artikels bewegt wird.148 Diese Vorgänge der Warenprozessebene lösen jeweils entsprechende Abrechnungsmeldungen auf der Abrechnungsebene aus. Über die betrachteten Elementarfunktionen hinaus existieren Vorgänge, die prinzipiell auch zur Warenprozessebene gezählt werden müssen, die aber anderer Natur sind, wie z.B. eine Warenbestellung beim Lieferanten. Dieser Vorgang unterscheidet sich von den bisher betrachteten vor allem dadurch, dass in diesem Zusammenhang die Ware nicht physisch bewegt wird und entsprechend auch an keiner Stelle Bestandsveränderungen ausgelöst werden. Entsprechend erzeugt dieser Vorgang auch keine Abrechnungsmeldung. Die Warenbestellung erzeugt vielmehr nur eine „Warenbewegungserwartung“. Es werden jedoch auch nicht alle tatsächlichen physischen Warenbewegungen auf der Abrechnungsebene abgebildet. 148
Betrachtet man zusätzlich die Elementarfunktion „Produktion“, die prinizipiell auch denkbar wäre, so hat diese als Argumente die operative Einheit und n-mal das Wertepaar (Artikel, Menge), womit das Rohmaterial für den entsprechenden Produktionsprozess charakterisiert wird. Als Ergebnis liefert diese Elementarfunktion m-mal das Wertepaar (Artikel, Menge), womit das Ergebnis des entsprechenden Produktionsprozesses gekennzeichnet wird. Diese Funktion wird im Folgenden nicht weiter betrachtet, da in Handelsunternehmen i.d.R. keine Produktionsprozesse realisiert werden.
3.3 Die Ebenen von Warenwirtschaftssystemen
249
Zum Beispiel stellt eine Umlagerung von Ware innerhalb eines Lagers eine Warenbewegung dar, die keinerlei abrechnungstechnische Auswirkungen hat. 3.3.3
Abrechnungsebene
Wie bereits oben erläutert, nimmt die Abrechnungsebene die Abrechnungsmeldungen der operativen Funktionsbereiche entgegen und verarbeitet sie. Es handelt sich bei der Abrechnungsebene also um einen vollständig eigenständigen Bereich, der nicht in die operativen Bereiche integriert ist, sondern mit diesen über definierte Schnittstellen, die Abrechnungsmeldungen, kommuniziert. Das Wareneingangsmodul z.B. ist nur für die mengenmäßige Verbuchung der Warenbewegung zuständig, es sendet anschließend eine entsprechende Meldung an das Abrechnungssystem. Wenn eine solche Abrechnungsmeldung von einer Warenbewegung, d.h. Wareneingang oder Warenausgang, erzeugt wird, wird sie insbesondere durch folgende Informationen charakterisiert:149 x x x x x x x
Absender der Ware Empfänger der Ware bewegter Artikel Menge des bewegten Artikels Warenbewegungsdatum Warenbewegungsart Warenbewegungskonditionen.
Absender oder Empfänger der Ware sind operative Einheiten. Die Warenbewegungsart beschreibt die Art der Warenbewegung und steuert damit die Verarbeitung im Abrechnungssystem. Der Normalfall ist dabei der, dass der Absender der Ware entlastet und der Empfänger der Ware belastet wird – dies i.d.R. zum für die betroffenen Einheiten am entsprechenden Datum gültigen Einkaufs- bzw. Verkaufspreis, wobei die Warenbewegungskonditionen darüber hinausgehende Sonderkonditionen enthalten können.
149
Wird die Abrechnungsmeldung nicht von einer Warenbewegung, sondern durch einen Produktionsprozess erzeugt, enthält sie etwa folgende Informationen: Rohmaterial, Menge des Rohmaterials, produzierte Artikel, Menge der produzierten Artikel, Produktionsart, Produktionsdatum.
250
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
Es existieren aber auch spezielle Arten von Belastung und Entlastung, z.B.: x Bei einer Umlieferung können zwischen den betroffenen operativen Einheiten je nach Interessenslage besondere Preiskonditionen ausgehandelt werden. x Bei einer Retoure wird die abgebende operative Einheit u.U. nicht entlastet, wenn die Retoure von der annehmenden operativen Einheit nicht anerkannt wird. Es gibt aber auch Sonderfälle, bei denen ein Abrechnungsvorgang durchgeführt wird, ohne dass er von einem Vorgang der Warenprozessebene ausgelöst wurde. Ein Beispiel hierfür sind Verkaufspreisänderungen, wenn es in den Verkaufsstellen keine artikelgenaue Bestandsführung gibt und deshalb der Warenbestand nur wertmäßig auf Warengruppenebene geführt wird. In einem solchen Fall muss der wertmäßige Bestand der Warengruppe, zu welcher der von der Verkaufspreisveränderung betroffene Artikel gehört, um die Preisdifferenz multipliziert mit dem Bestand des Artikels erhöht bzw. vermindert werden. Es handelt sich also um einen Abrechnungsvorgang ohne Warenbewegung. Dieser Vorgang kann auch als eine „wertmäßige Warenbewegung“ bezeichnet werden. In einer operativen Einheit mit artikelgenauer Bestandsführung ist in diesem Fall hingegen kein Abrechnungsvorgang erforderlich, da nicht die Preisänderung selbst, sondern erst der spätere Verkauf der Ware – dann zum veränderten Preis – die Gewinnrealisierung darstellt und damit zu einer Abrechnungsmeldung führt. Zusammenfassend gilt, dass im Normalfall immer ein Vorgang der Warenprozessebene einen Abrechnungsvorgang auslöst. Die Sonderfälle, also z.B. Warenprozesse ohne Abrechnungsvorgänge oder Abrechnungsvorgänge ohne Warenprozesse, lassen sich jedoch problemlos in das Gesamtkonzept integrieren. 3.3.4
Vorteile des Mehr-Ebenen-Konzepts
Die Trennung zwischen mengen- und wertmäßiger Verarbeitung der Prozesse hat sich vor allem in den in den letzten Jahren konzipierten Warenwirtschaftssystemen durchgesetzt. Die Konzeption des Abrechungssystems mit Belastung und Entlastung von operativen Einheiten ist geprägt durch die bestehenden warenwirtschaftlichen oder allgemein prozesstechnischen Möglichkeiten und darüber hinaus auch stark durch die jeweilige Unternehmensphilosophie. Beides ist allerdings häufigem Wandel unterworfen. Änderungen in diesem Bereich erfordern mit dieser Konzeption der Trennung in Warenprozess- und Abrechnungsprozessebene nicht mehr die Rea-
3.3 Die Ebenen von Warenwirtschaftssystemen
251
lisierung von Änderungsanforderungen in einer Vielzahl von Einzelprogrammen, sondern es existiert vielmehr eine genau definierte Stelle, nämlich der Abrechnungsprozess, an der diese Änderungen vorgenommen werden müssen. Anhand des folgenden Beispiels können solche Änderungsanforderungen illustriert werden. Wenn z.B. ein Handelsunternehmen ein neues Regionallager errichtet und im gleichen Zug einer IT-technischen Dezentralisierung unterzogen werden soll, bedeutet dies, dass dieses neue Lager über einen dedizierten Lagerrechner vor Ort gesteuert werden muss. Das neue IT-System soll die Bereiche Wareneingang, Lagerverwaltung, Bestellannahme (der Filialbestellungen), Kommissionierung und Warenausgang übernehmen, die abrechnungstechnische Abwicklung soll aber in der Zentrale verbleiben. In diesem Fall sind auf dem Lagerrechner keine Einkaufspreise und Konditionen verfügbar. In einem Warenwirtschaftssystem, das gemäß der Konzeption operativer Einheiten gestaltet ist, ist diese Anforderung problemlos realisierbar. Dies zeigt auch den Vorteil der Trennung von Warenprozess- und Abrechnungsebene. Alle Warenprozessfunktionen laufen auf dem Lagerrechner ab. Dieser übermittelt die Abrechnungsmeldungen anschließend an den zentralen Host-Rechner zur Weiterverarbeitung; die Schnittstellen sind klar definiert (s. Abb. 3.11.). operative Einheit: Lager
operative Einheit: Zentrale
Warenprozess
Abrechnung
Lagerrechner
Zentralrechner
Abb. 3.11. Modularer Aufbau von Warenprozess- und Abrechnungsebene
Die Trennung von Warenbewegungs- und Abrechnungsebene stellt zudem eine entscheidende Komponente im Rahmen der Realisierung der Konzeption der operativen Einheiten dar, da sie durch ihren modularen Charakter die beliebige Kommunikation und damit die Verteilung von Funktionalitäten zwischen diesen operativen Einheiten – vor allem auch im Sinne von Mandantenabwicklungen – wesentlich erleichtert. Auch die Dokumentation der Abrechnungsphilosophie und damit des gesamten Warenwirtschaftssystems wird durch diese Einteilung in Warenprozess- und Abrechnungsebene übersichtlicher und einfacher.
252
3.3.5
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
Das Baukastenkonzept
Die Grundkonzeption, gleiche Softwaresysteme in allen operativen Einheiten einzusetzen, lässt sich nicht in allen funktionalen Bereichen mit derselben Konsequenz und Vollständigkeit realisieren. In einigen Bereichen, wie z.B. dem Wareneingang, ist diese Forderung relativ leicht zu erfüllen, denn der Wareneingang lässt sich so gestalten, dass er die Anforderungen eines Lagers genauso abdeckt wie die einer Verkaufsstelle, da diese Anforderungen lediglich geringfügig voneinander abweichen. Im Bereich des Warenausgangs sind die Abweichungen dagegen deutlich gravierender. Im Lager existieren z.B. die verschiedensten komplexen Kommissionierverfahren, in Verkaufsstellen wird die Kommissionierung hingegen i.d.R. durch die Kunden selbst durchgeführt, indem sie in den Verkaufsregalen selbst „kommissionieren“. Als weiterer Bereich mit größeren Unterschieden kann auch die Disposition angesehen werden. Wie am Beispiel Warenausgang dargestellt wurde, sind die Unterschiede, die zwischen Lägern und Verkaufsstellen bestehen können, z.T. so stark, dass z.B. in einer Einheit komplexe Verfahren erforderlich sind, während in einer anderen Einheit diese Verfahren überhaupt nicht erforderlich sind. Ein Lösungsansatz für diese Problematik liegt deshalb in der Realisierung des Baukastenkonzeptes. Dabei werden im Warenwirtschaftssystem für bestimmte funktionale Bereiche Sammlungen von Funktionen, so genannte Baukästen, zur Verfügung gestellt, aus denen die Anwender in den unterschiedlichen operativen Einheiten die für sie am besten geeignete Verfahren auswählen bzw. zusammenstellen können. Bei dieser Zusammenstellung können neben den Anforderungen der jeweiligen operativen Einheiten selbst auch weitere Einflussfaktoren eine Rolle spielen. Bei der Auswahl eines geeigneten Dispositionsverfahrens ist z.B. die Art des zu disponierenden Artikels zumeist die wesentlich bedeutendere Einflussgröße als die Art der operativen Einheit, für die disponiert wird: Modeartikel werden z.B. anders disponiert als Frischeprodukte usw. Erkennbar ist somit, dass dieses Baukastenkonzept wesentliche Vorteile hinsichtlich der Modularität und Flexibilität der Systeme bietet.
3.4 Aufgabenbereiche von Warenwirtschaftssystemen 3.4.1
Grundüberlegungen
Die Aufgabenbereiche von Warenwirtschaftssystemen sind sehr umfangreich und wurden in den letzten Jahren – v.a. auch bedingt durch erhebli-
3.4 Aufgabenbereiche von Warenwirtschaftssystemen
253
che Fortschritte der Informations- und Kommunikationstechnologie – noch erweitert. Insbesondere betrifft dies Erweiterungen i.S. einer unternehmensübergreifenden Vernetzung. Dabei erfolgt nicht nur die Einbeziehung der dem Handel vor- und nachgelagerten Stufen der Wertschöpfungskette, sondern auch eine Neudefinition oder zumindest Überarbeitung der Geschäftsprozesse innerhalb der gesamten Wertschöpfungskette, denn im Rahmen von unternehmensübergreifenden Supply-Chain-ManagementAnsätzen bestehen Rationalisierungsbemühungen nicht nur hinsichtlich der Optimierung der Prozesse isoliert in den einzelnen Unternehmen, sondern es gilt, die Wertschöpfungskette als Ganzes zu optimieren. Als Warenprozesse sind also nicht nur die Prozesse innerhalb eines Handelsunternehmens zu betrachten, sondern es ist der Warenfluss über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg zu betrachten, entsprechendes gilt für die Dispositionsprozesse, die Abrechnungsprozesse sowie die Informations- und Planungsprozesse. Entscheidenden Einfluss auf eine durchgängige Gestaltung der Geschäftsprozesse und deren Abbildung in Warenwirtschaftssystemen hat die organisatorisch konzeptionelle Ausgestaltung von Unternehmensstrukturen in Unternehmenseinheiten. Eine möglichst modulare Vorgehensweise hat dabei erhebliche Vorteile.150 Strukturell lässt sich ein Handelsunternehmen in unterschiedliche operative Einheiten wie z.B. Verkaufsstellen, Läger, regional- oder vertriebsspezifische Zentren und Zentrale aufgliedern. Diese Beschreibung der Einheiten, ergänzt um Produktionsstätten, lässt sich grundsätzlich auch auf Industrie- bzw. Fertigungsunternehmen anwenden. Diese Einheiten werden im Folgenden als Unternehmenseinheiten betrachten, in denen die warenwirtschaftlichen Funktionen ganz oder teilweise angewandt bzw. abgewickelt werden. Verallgemeinert man diese Sicht der Warenwirtschaft, bedeutet dies, dass mehrere miteinander interagierende, kommunizierende bzw. kooperierende Unternehmenseinheiten nicht zwingend zum gleichen Unternehmen gehören müssen, diese Sichtweise ist somit Wertschöpfungskettenübergreifend. Als Beispiel für eine solche Strukturierung kann das Warenwirtschaftssystem von „Retek“ herangezogen werden (s. Abb. 3.12.).
150
Dies wurde bereits in Hertel (1999) ausführlich dargelegt.
254
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
Entscheidungsunterstützung und Workflow Aktive Retail Intelligence Workflow initiiert durch Ausnahmen
Retek Data Warehouse Category, Merchandising, Marketing, Store Operations Workbench Marketing
Warenwirtschaft
Retek Collaborate CPFR
Retek Promote Werbeplanung
Logistik
Retek Competitive Shopping Wettbewerberpreise
Retek Price Management Regelbasierend
Retek Allocation Verteiler
Retek Invoice Matching Rechnungsprüfung
Vertriebskanäle Filiale
Katalog
Web
Planung Retek Merchandising System
Retek Demand Forecasting Bedarfsprognose
Retek Advanced Inventory Planning Replenishment Planning
Retek Top Plan Warenwirt. Planung Retek Key Plan Eckartikel Planung
Lagersystem automatischer Nachschub
Artikelstamm Lieferanten Retek Integrator, Trading Directory, Retail Commerce, Retail Server, Design, Webtrack
Retek Customer Store Systems Filialsystem
Retek Trade Management
Retek Sales Audit Kassendaten
Retek POS Kassensystem Mitarbeiterplan
Import EK-Preise VK-Preise
Import
Bewertung Space Opt. AVT, Reseller Visuelle Präsentation
Bestände Lieferanten
Retek Customer Order Management Kundenaufträge
Finanzdaten
globale Beschaffung
Produktentwicklung
Werbung
Bestellung
Retek Assort Sortimentsplanung
Retek Distribution Management
Internet Collaborate
Abb. 3.12. Komponenten des Warenwirtschaftssystems von Retek (Quelle: in Anlehnung an Retek 2004.)
Ein weiteres Beispiel hierfür stellt das Warenwirtschaftssystem von „Compex“, einem deutschen Softwarehaus, das sich auf Warenwirtschaftssysteme spezialisiert und einige der großen deutschen Handelsunternehmen als Kunden gewonnen hat, dar.
Einkauf
Logistik
Vertrieb
Workflow / Businessobjekte Funktionsebene Bestands- / Wertesystematik Datenmodell
Oberfläche
Oberfläche
Business Engineering Environment
Fibu Controlling
Abb. 3.13. Komponenten des Warenwirtschaftssystems von Compex (Quelle: Compex 2004.)
3.4 Aufgabenbereiche von Warenwirtschaftssystemen
255
Dieses Warenwirtschaftssystem ist in die operativen Module Einkauf, Logistik und Vertrieb, sowie Finanzbuchhaltung und Controlling strukturiert (s. Abb. 3.13.). Bei der Strukturierung eines Warenwirtschaftssystems kann grundsätzlich eine funktions- oder eine prozessorientierte Vorgehensweise gewählt werden. In den folgenden Abschnitten werden der funktionsorientierten Vorgehensweise folgend die unterschiedlichen Aufgabenbereiche von Warenwirtschaftssystemen vorgestellt. 3.4.2
Einkauf/Beschaffung
3.4.2.1 Überblick Traditionsgemäß handelt es sich beim Einkauf bzw. bei der Beschaffung um die zentrale Seite der Warenwirtschaft. Zur Ausübung der Aufgaben im Rahmen der Beschaffung ist eine Vielzahl von Detailkenntnissen erforderlich. Diese betreffen nicht nur den Beschaffungsprozess selbst,151 sondern auch die Distributionsprozesse sowie das das Kaufverhalten der Verbraucher. Im Rahmen der Beschaffung bzw. des Einkaufs bestehen die zentralen Aufgaben in der Planung und Kontrolle der Einkaufsziele, der Lieferantenauswahl, der Artikellistung, dem Aushandeln der Einkaufskonditionen bzw. der Kontrakte, der Pflege der Einkaufsstammdaten u.Ä. Im Rahmen der folgenden Darstellungen wird die Disposition als „eigentliche“ Warenbeschaffung nicht als Teil des Einkaufs betrachtet, sondern der Warenabwicklung zugeordnet. Wie in allen anderen Funktionsbereichen kann auch der Einkauf für mehrere – sowohl interne als auch externe – Unternehmenseinheiten durchgeführt werden und ist somit im Rahmen eines Warenwirtschaftssystems „mandantenfähig“ zu konzipieren. Diese Anforderung ist insbesondere unter dem Blickwinkel unternehmensübergreifender Prozesse von besonderer Bedeutung. Schnittstellen bestehen im Einkauf insbesondere mit Verkauf und Marketing sowie mit der Warenabwicklung (z.B. über Listungsmeldungen), aber auch mit vor- und nachgelagerten internen oder externen Unternehmenseinheiten sowie mit dem Abrechnungssystem. 3.4.2.2 Lieferantenverwaltung Die Hauptaufgaben, die im Rahmen der Lieferantenverwaltung in Warenwirtschaftssystemen unterstützt werden, sind die Auswahl, die Listung 151
Vgl. hierzu auch die Ausführungen in den Abschnitten 1.2 und 1.4.
256
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
und die Pflege der Lieferanten.152 Eine Unternehmenseinheit steuert damit ihre Lieferanten, also z.B. ein Lager seine Lagerlieferanten oder die Verkaufsstellen ihre Streckenlieferanten und ihre Läger, denn in diesem Sinn lässt sich auch ein Lager als ein Lieferant seiner Verkaufsstellen interpretieren. Die Listung der Lieferanten kann – im Sinne einer Mandantenabwicklung – auch von einer anderen Unternehmenseinheit wie z.B. der Zentrale für andere Unternehmenseinheiten, also z.B. die der Zentrale untergeordneten Verkaufsstellen, durchgeführt werden. Im Rahmen der Lieferantenverwaltung sind neben der operativen Unterstützung der Lieferantenkontakte auch Aspekte der Lieferantenauswahl und der Lieferantenbewertung zu berücksichtigen.153 Für eine Warenbestellung und -lieferung gibt es dabei nicht unbedingt genau einen zuständigen Lieferanten. Es sind vielmehr mehrere Varianten denkbar und auch üblich, z.B.: x x x x
ein Lieferant, bei dem die Ware bestellt wird ein Lieferant, der die Ware liefert ein Lieferant, der die Rechnung stellt ein Lieferant, der mögliche Rückvergütungen gewährt.
Grundsätzlich kann es sich bei jedem dieser Lieferantentypen um einen unterschiedlichen Lieferanten handeln. In der Regel handelt es sich im Rahmen der Lieferantenkontakte jedoch bei den beiden erstgenannten Lieferantenformen um einen identischen Lieferanten. Ausnahmen bilden z.B. Broker. Bei einem Lieferanten, der lediglich die Rechnung stellt, kann es sich z.B. um einen Kontor handeln, während ein Lieferant, der eine Rückvergütung gewährt, z.B. der Lieferant sein könnte, der die Ware geliefert hat. Bei den dargestellten Beispielen handelt es sich bisher um vergleichsweise einfache Konstellationen. Tatsächlich können die Lieferantenkonstellationen wesentlich komplexer sein, z.B. mehrere Lieferanten, die Ware zu einer Bestellung liefern, oder zu einer Bestellung und einer Warenlieferung mehrere Rechnungen von unterschiedlichen Lieferanten gestellt wurden (z.B. eine Rechnung für die eigentliche Ware vom Hersteller, eine Rechnung vom Spediteur und eine Zollrechnung). Strukturiert man diese unterschiedlichen Lieferantentypen, so gehören zu einer Bestellung somit i.d.R. ein Bestell-Lieferant, einer oder mehrere Versand-Lieferanten und einer oder mehrere Konditions-Lieferanten. Der In diesem Zusammenhang steht die Unterstützung operativer Abläufe im Vordergrund. Zu strategischen Fragen der Lieferantenauswahl und -entwicklung vgl. die Abschnitte 1.5 und 4.3. 153 Vgl. zu diesen Aspekten die Ausführungen zur Lieferantenauswahl und zum Supplier-Relationship-Management in Kapitel 4. 152
3.4 Aufgabenbereiche von Warenwirtschaftssystemen
257
Bestell-Lieferant ist derjenige Lieferant, bei dem die Ware bestellt wird, unter einem Versand-Lieferanten versteht man den Lieferanten, der die Ware liefert, und der Konditions-Lieferant ist derjenige, den, der eine Einkaufskondition gewährt und in Rechnung stellt. Diese Strukturierung lässt sich anhand eines Beispiels erläutern. Bestellt eine Verkaufsstelle Ware bei ihrem Zentrallager, so sind Bestell-Lieferant, Versand-Lieferant und Konditions-Lieferant identisch; es handelt sich jeweils um die Unternehmenseinheit Lager. Dabei sind jedoch Ausnahmen denkbar. So ist es z.B. bei einer hierarchischen Lagerkonzeption mit einem Langsamdreherlager und mehreren Schnelldreherlägern denkbar, dass die Verkaufsstellen ihr gesamtes Sortiment beim Schnelldreherlager bestellen und die Bestellungen für die langsam drehenden Artikel an das Langsamdreherlager weitergeleitet, dort kommissioniert, dann an das Schnelldreherlager geschickt und von dort an die Verkaufsstellen ausgeliefert werden. Aus Sicht der Verkaufsstelle sind dann also Bestell-Lieferant und Versand-Lieferant das Schnelldreherlager, Rechnungs-Lieferanten sind aber sowohl das Schnelldreher- als auch das Langsamdreherlager. In einem Konzern mit einer Konzernzentrale und mehreren Regionallägern setzt auch diese Zentrale die Lieferantenverwaltung ein. Dies kann dabei nicht nur für untergeordnete Unternehmenseinheiten wie die Läger – was der Normalfall ist, – sondern auch für die Zentrale selbst erfolgen, wenn die Zentrale direkt Waren bei ihren Lieferanten bezieht, um sie dann an ihre Läger oder regionalen Niederlassungen weiter zu verkaufen. Bei solchen Warengeschäften handelt es sich nicht um einen „echten“ Einkauf von Ware, da die Zentrale nicht die Möglichkeit hat, diese Waren einzulagern. Ein typisches Beispiel für eine solche Konstellation ist der Abschluss eines Kontrakts, der aufgeteilt an die regionalen Niederlassungen weiterverkauft werden kann. 3.4.2.3 Artikelverwaltung Grundkonzeption der Artikelverwaltung Die Artikelverwaltung umfasst in erster Linie die Listung neuer Artikel, die Pflege des vorhandenen Artikelsortiments sowie die Auslistung von Artikeln. Auch in diesem Subsystem spielt die Mandantenfähigkeit eine besondere Rolle, d.h., es ist erforderlich, dass die Aufgaben sowohl für die eigene als auch für andere operative Einheiten durchgeführt werden können, z.B.: x Der Einkauf in der Zentrale listet für die Verkaufsstelle Artikel von Streckenlieferanten und übernimmt die Datenpflege. x Der Einkauf übernimmt die Artikelpflege für Fremdfirmen.
258
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
Die Artikellistung in einer operativen Einheit erfolgt dadurch, dass für den betreffenden Artikel Stammdaten und insbesondere Einkaufskonditionen im Warenwirtschaftssystem angelegt werden. Unter der Auslistung eines Artikels versteht man, dass alle Einkaufskonditionen – es kann mehrere solcher Einkaufskonditionen bei unterschiedlichen Lieferanten geben – im System „inaktiv“ gesetzt werden. Im Rahmen der Artikelverwaltung ist eine konzeptionelle Gleichbehandlung von Lager- und Streckenartikeln einerseits und die Möglichkeit, den gleichen Artikel bei mehreren Lieferanten einzukaufen, andererseits in einfacher Form realisierbar, indem für den entsprechenden Artikel mehrere Einkaufskonditionen für unterschiedliche Lieferanten (z.B. Einkaufskondition für den normalen Streckenlieferanten und eine weitere Einkaufskondition für den Lieferanten „Lager“) angelegt werden. In der Handelspraxis tritt häufig der Fall auf, dass Handelsunternehmen bestimmte Artikel nur für kurze Zeit vorübergehend in ihr Sortiment aufnehmen. Andere Sortimente werden z.T. – aus unterschiedlichen Gründen – nicht mengenmäßig im System geführt. Diese Artikel können z.B. als so genannte Warengruppenartikel geführt werden, also Artikel, die nur in Gruppen zusammengefasst erfasst und ausgewertet werden. Es wird dann lediglich eine wertmäßige Erfassung, also zu Einkaufs- und Verkaufswerten, vorgenommen. Dabei werden innerhalb der Warengruppe bestimmte Pauschalartikelnummern eingeführt, die – soweit erforderlich – nach bestimmten Kriterien noch weiter untergliedert werden können, z.B. in Aktionsartikel, Bestellartikel, Saisonartikel oder „sonstige Artikel“. Unter einem Bestellartikel wird dabei ein Artikel verstanden, den ein Kunde bestellt und der auch geliefert werden soll, ohne dass dieser Artikel im üblichen Sortiment enthalten ist. Konzept der modifizierten Stücklisten Ein effizientes Artikelkonzept, das die vielen Besonderheiten und Ausnahmebedingungen auf eine möglichst einheitliche Art abdeckt, ist im Rahmen der Warenwirtschaftssysteme von zentraler Bedeutung. Der Artikel, dargestellt z.B. durch eine eindeutige, unternehmensindividuelle Artikelnummer oder klassifiziert im Rahmen des EAN-Nummernsystem, ist i.d.R. die kleinste identifizierbare Einheit in einem Warenwirtschaftssystem. Auf diesem Artikel können dann beliebige Verdichtungen aufbauen. Probleme im Rahmen einer solchen Konzeption können dann entstehen, wenn zusätzliche Anforderungen in der „umgekehrten“ Richtung auftreten, beispielsweise eine weitere Aufsplittung eines Artikels erforderlich wird, so im Sinne einer Differenzierung nach Farben oder Größen.
3.4 Aufgabenbereiche von Warenwirtschaftssystemen
259
Ein Lösungsansatz für diese Problematik liegt in der Etablierung eines „Stücklistenkonzepts“. Der Begriff der Stückliste stammt eigentlich aus der Fertigung. Das Konzept ist jedoch dennoch geeignet, unterschiedliche typische „Warenwirtschaftsprobleme“ auf eine einheitliche Art zu lösen und zur Vermeidung von Sonderbehandlungen beizutragen. In ihrer ursprünglichen Verwendung dient eine Stückliste der Darstellung komplexer Baugruppen, die aus einer Vielzahl von Einzelteilen zusammengesetzt sind, bei denen es sich wiederum selbst um Baugruppen handeln kann. Artikel Nr. 74011
Artikel Nr. 74012
Artikel Nr. 74013
Artikel Nr. 74014
Abb. 3.14. Beispiel für eine Stücklistenkonzeption
Beispielhaft lässt sich diese Konzeption anhand der Darstellung in Abb. 3.14. erläutern. Der Artikel 74011 setzt sich aus den Artikeln 74012, 74013 und 74014 zusammen. Die Konzeption ist rekursiv, d.h., jeder dieser Artikel kann wiederum seine eigene Stückliste aufweisen. Zu einer solchen Stücklistenauflösung gehört zusätzlich die Angabe der mengenmäßigen Zusammensetzung, also beispielsweise wie viel Stück (oder Kilo oder eine sonstige Dimension wie Liter, Quadratmeter usw.) von jedem Artikel in die Stückliste eingehen. StücklistenAuflösung
Artikelstamm
Stückliste
Art
Stücklistennummer
Stücklistennummer
K*). Stückliste
Art
Stücklistentyp
K. Bestandsführung
Menge
*) K. = Kennzeichen
Abb. 3.15. Mögliche Datenstruktur für das Stücklistenkonzept der Artikelstammdaten
260
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
In der in Abb. 3.15. beispielhaft dargestellten Stücklistenauflösung ist jeweils ein Eintrag pro Artikel vorgesehen, der zu dieser Stückliste gehört. Zusätzlich wird angegeben, mit welcher Menge dieser Artikel in die Stückliste eingeht. Das Kennzeichen „Stückliste“ gibt an, ob es sich bei diesem Artikel um einen „normalen“ Artikel handelt, ob es ein Stücklistenartikel ist oder ob der Artikel Bestandteil einer Stückliste ist. Das Kennzeichen „Bestandsführung“ gibt an, ob für diesen Artikel ein Bestand geführt wird.154 Aus der Stücklistentabelle kann der Typ der Stückliste entnommen werden. In diesem Zusammenhang sind unterschiedliche Möglichkeiten denkbar, die im Folgenden kurz vorgestellt werden. Display-Artikel Ein Display kann als „Stückliste“ im klassischen Sinn interpretiert werden. Der Display-Artikel besteht aus einer Palette mit sortierter Ware. Bestellt und geliefert wird nur der Display-Artikel, verkauft wird aber jeweils der in dieses Display eingebundene Einzelartikel. Die Bestandsführung im Lager wird teilweise auf der Basis des Display-Artikels vorgenommen, während in der Verkaufsstelle die Bestandsführung auf der Basis des Einzelartikels erfolgt. Display Ritter Sport
Vollmilch 200 Stück
Nuss 100 Stück
Marzipan 100 Stück
Abb. 3.16. Display-Palette mit Stücklistenauflösung
Die Auflösung von Displays kann grundsätzlich in jeder operativen Einheit erfolgen. Beim Auflösen eines Displays (im Sinne des „Auspackens“) wird der Display-Artikel eliminiert. Er „verschwindet“ und eine Reihe anderer Artikel entsteht quasi neu. 154
Diese Angabe ist nur dann relevant, wenn es sich um Artikel handelt, die im Zusammenhang mit einer Stückliste stehen, da bei diesen Artikeln der Bestand wahlweise im Rahmen der Stückliste oder bei den einzelnen Artikeln selbst geführt werden kann.
3.4 Aufgabenbereiche von Warenwirtschaftssystemen
261
Set-, Verarbeitungs-, Pfandartikel Auch Set-, Verarbeitungs- und Pfandartikel lassen sich als Stücklisten interpretieren. Dies kann am Beispiel der Pfandartikel illustriert werden (s. Abb. 3.17.). So lassen sich diese wie „normale“ Artikel darstellen, die wie jeder andere Artikel eingekauft und verkauft werden. Lediglich die Anzahl der Retouren ist höher. Legt man einen Stücklistenansatz zu Grunde, so ist es möglich, auf eine eigenständige Behandlung von Pfand und Leergut zu verzichten. Set- und Verarbeitungsartikel unterscheiden sich vom Grundsatz her nicht von dem hier dargestellten Beispiel. Coca-Cola
Flasche 1,5 l 1 Stück
Coca-Cola 1,5 Liter
Abb. 3.17. Pfandartikel als Stückliste
Artikelfamilien, Farben und Größen Bei Artikelfamilien handelt es sich im Prinzip um den umgekehrten Fall einer Stücklistenauflösung. In diesem Zusammenhang werden Artikel, die in enger Beziehung zueinander stehen, unter einer Stückliste zusammengefasst. Einzelne warenwirtschaftliche Vorgänge wie z.B. die Disposition oder die Bestandsführung werden auf der Basis des Einzelartikels durchgeführt, während z.B. statistische Auswertungen auf Basis der Stückliste erfolgen können. Als Beispiel hierzu kann die Farben- oder Größenproblematik bei Artikeln etwa aus dem Textilbereich angeführt werden. Das Stücklistenkonzept ermöglicht es, einen Artikel, der in unterschiedlichen Farben oder Größen vorkommt, als einen Stücklistenartikel zu betrachten, der nur bei speziellem Bedarf, etwa bei der Disposition, genauer – eben in seine verschiedenen Größen oder Farben – aufgelöst wird. Artikelkonzeption in mySAP Retail als Beispiel Im Artikelkonzept des Warenwirtschaftssystems der SAP, „mySAP Retail“, sind die hier vorgestellten Konzepte umgesetzt. Dabei werden unterschiedliche „Sichten“ auf die Artikel unterschieden (s. Abb. 3.18.), sodass
262
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
eine Vielzahl von Möglichkeiten der Artikelverwaltung realisiert werden kann. Grunddaten
Einkaufsdaten
• • • • •
• • • • •
Mengeneinheiten EANs Gruppierungen interne Steuerungen Texte
Teilsortiment Planlieferzeit Bruttopreis Konditionen Einkäufergruppe
externe Bezugswege
unternehmensweite Gültigkeit
Artikel
interne Absatzwege
Lieferant Einkaufsorganisation
Listung • Listungsverfahren • Sortimentsstufe
ermittelt
Logistikdaten
interne Logistikdaten
Betriebe • Verteilzentrum • Verkaufsstelle
Vertriebslinien bestimmen
Verkaufsinformationen
• Daten zur Disposition • Prognosedaten • Lagerdaten
POS-Daten Verkaufsdaten • Verkaufsstatus • Verkaufspreise
• Bon-Texte • diverse Kennungen
Abb. 3.18. Sichten und Organisationseinheiten der Artikelpflege (Quelle: SAP AG 2004.)
Über die Artikelart wird gesteuert, welche dieser Sichten auf einen bestimmten Artikel möglich sind, d.h., welche Daten für diesen Artikel im Warenwirtschaftssystem angelegt und gepflegt werden können (z.B. Einkauf, Vertrieb, Disposition, Lager usw.). Das mySAP Retail-System sieht dabei bereits als Standard unterschiedliche Artikelarten vor, so z.B. Food, Frische, Getränke, Non-Food, Hartwaren, Mode (saisonal, nicht reassortierbar) und Textil (reassortierbar). Über den Artikeltyp wird die Verarbeitung der Artikel gesteuert. Dabei werden als Artikeltypen unterschieden: x x x x x x x
Einzelartikel Sammelartikel Variante Set Lot Display Wertartikel.
3.4 Aufgabenbereiche von Warenwirtschaftssystemen
263
Das System ist durch eine integrierte „Artikelpflege“ gekennzeichnet, die als Modell zur Bedienerfreundlichkeit und Beschleunigung im Rahmen der Artikelerfassung und -änderung beiträgt. Innerhalb dieses integrierten Moduls zur Artikelpflege werden die Daten zu Bildbausteinen gruppiert. Es ist dabei möglich, einzelne Datenfelder innerhalb eines Bildbausteins kundenindividuell oder ganze Bildbausteine auszublenden bzw. durch individuelle Bildbausteine zu ersetzen. Weitere Grundbausteine für Warenwirtschaftssysteme Im Rahmen des Artikelkonzepts tritt eine Vielzahl von Spezialfällen auf. So ergibt sich auf Grund einer steigenden Sortimentsdynamik, z.B. im Rahmen von Category-Migration-Erscheinungen, und der damit verbundenen zunehmenden Aufnahme von Aktions- und Rotationssortimenten in das Sortiment der Handelsunternehmen eine Vielzahl von Artikel, die nur für eine sehr kurze Zeit im Sortiment des Handelsunternehmens aktiv geführt werden, teilweise nur für eine einzige Bestellung – Artikel also ohne Vergangenheit und ohne Zukunft. Ein typisches Beispiel hierfür sind Artikel, die lediglich im Rahmen einer bestimmten Sonderaktion angeboten werden. Bei steigender Bedeutung derartiger Sonderfälle wird die Frage diskutiert, ob solche Artikel im Sinne einer datentechnischen Verarbeitung überhaupt im Warenwirtschaftssystem aufgenommen werden sollen oder ob zur Vermeidung einer unnötigen „Aufblähung“ der Artikelstammdaten auf die normale Artikellistung verzichtet werden soll. Hierfür wird als Lösungsansatz vorgeschlagen, dass nicht der Artikel als Basiselement des IT-Systems angesehen wird, sondern dass dieser durch den allgemeinen Begriff des Kosten- oder des Leistungsträgers ersetzt wird. Dieser könnte nach den individuellen Anforderungen der jeweiligen Unternehmen definiert werden. Derartige Kosten- bzw. Leistungsträger könnten z.B. sein: x x x x
Artikel Artikelgruppen Aufträge beim Lieferanten Aufträge vom Kunden.
Die Artikelgruppen könnten dabei warengruppenorientiert konzipiert werden, wie z.B. Zeitungen, die oft pauschal wertmäßig, d.h. ohne eigene Bestandsführung, abgerechnet werden. Auf der anderen Seite wäre auch eine bedürfnisgruppenorientierte Konzeption denkbar. Werden Aufträge als eigene Leistungsträger definiert, so müssen die Bestandteile eines Auftrages, also die bestellten Artikel, nicht notwendi-
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3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
gerweise im Artikelstamm vorhanden sein bzw. angelegt werden. Die Auflösung eines Auftrags in seine einzelnen Komponenten kann im Rahmen des dargestellten Stücklistenkonzepts erfolgen. Ebenso wie ein „normaler“ gelisteter Artikel in eine Stückliste aufgelöst werden kann, ist dies prinzipiell auch für einen Auftrag möglich. Ein Unterschied dabei ist jedoch, dass die einzelnen Bestandteile dieser Stückliste in diesem Fall nicht unbedingt gelistete Artikel sein müssen, sondern auf der Basis der Lieferanteninformationen z.T. nur verbal beschrieben werden können. Wichtig ist dabei, dass die gespeicherten Informationen ausreichende Angaben für die Rechnungsprüfung bereitstellen können. 3.4.2.4 Einkaufskonditionenmodell Innerhalb des Einkaufsmoduls kommt der Einkaufskonditionenverwaltung eine besondere Bedeutung zu. Die Verhandlungen um möglichst günstige Konditionen beinhalten entscheidende Gewinnpotenziale im Handel, was zu einem entsprechend „kreativen“ Verhalten der Einkäufer auf der Seite des Handels – aber auch der Verkäufer auf der Seite der Industrie – führt. Als Resultat dieses Verhaltens im Rahmen der Verhandlungen entstehen immer wieder neue Typen von Konditionen, Rabatten usw., was die Anforderungen an das Subsystem Einkaufskonditionen hinsichtlich dessen Flexibilität wesentlich erhöht. Das Konditionensystem betrifft die gesamte Warenwirtschaft bzw. die gesamte Wertschöpfungskette vom Einkauf über die Disposition, den Wareneingang im Lager, die Rechnungsprüfung bzw. den Warenausgang – dies in allen operativen Einheiten sowie über die Unternehmensgrenzen hinweg. Änderungen oder Erweiterungen in diesem Bereich ziehen sich also durch das gesamte IT-System und bedeuten einen erheblichen operativen Aufwand. In der Praxis existiert eine Vielzahl unterschiedlicher Konditionen. Ergänzt werden diese unterschiedlichen Rabattformen häufig durch viele unterschiedliche Nebenbedingungen oder Sondervereinbarungen wie z.B.: Mindestabnahmemengen begrenzte Anzahl von Lieferungen, wie z.B. einmal pro Woche feste Liefertage, feste Bestelltage der Rabatt wird auf einen anderen Artikel angewendet, als den, für den er gilt; z.B. bei Abnahme von Artikel A gibt es Naturalrabatt von Artikel B x zeitliche Befristung von Rabatten x Rabatte für einzelne Artikel, für Warengruppen oder Untergruppen, für alle Artikel eines Lieferanten x x x x
3.4 Aufgabenbereiche von Warenwirtschaftssystemen
265
x räumliche oder vertriebstypenbezogene Beschränkung von Rabatten. Als „Rabatte“ mit negativem Vorzeichen können in analoger Form Fracht, Rollgeld, Zoll sowie die unterschiedlichen Steuerarten, z.B. Mehrwertsteuer, Sektsteuer, Tabaksteuer u.Ä. behandelt werden. Strukturierung Um einen Artikel disponieren zu können, müssen ihm die Einkaufskonditionen eines bestimmten Lieferanten zugeordnet werden. Im Rahmen der IT-Unterstützung wurde in diesem Zusammenhang gelegentlich der Fehler gemacht, diese Konditionen direkt im Artikelstamm zu speichern. Dies hat zur Folge, dass derselbe Artikel nicht von unterschiedlichen Lieferanten zu unterschiedlichen Konditionen bezogen werden kann – es müsste dazu eine neue Artikelnummer vergeben werden. Im Sinne einer klaren Struktur darf jedoch keine solche Vermischung erfolgen. Im Entity-RelationshipModell155 lassen sich die korrekten Beziehungen zwischen Artikel und Lieferant anschaulich darstellen (s. Abb. 3.19.). Lieferant
gewährt
gehört zu
Artikel
hat gehört zu
Lieferbedingung
Abb. 3.19. Lieferbedingung als Beziehung zwischen Artikel und Lieferant
Die Beziehung zwischen Artikel und Lieferant wird über die Lieferbedingung hergestellt. Für jeden Artikel kann es eine oder mehrere Lieferbedingungen und zu jeder Lieferbedingung genau einen Lieferanten geben (s. Abb. 3.19.). Umgekehrt können dann jedem Lieferanten eine oder mehrere Lieferbedingungen und jeder Lieferbedingung genau ein Artikel zugeordnet werden. Anhand dieses Modells ist es somit möglich, zu einem Artikel mehrere Lieferanten zuzulassen. Hierzu ist es erforderlich, mehrere Lieferanten mit den entsprechenden Lieferbedingungen zu definieren. 155
Ein Entity-Relationship-Modell beschreibt formalisiert die Beziehungen („Relationships“) zwischen Objekten („Entities“) eines Objektraums.
266
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
Eine Lieferbedingung bezieht sich auf keine bis mehrere Einkaufskonditionen. Umgekehrt gehört zu jeder Einkaufskondition genau eine Lieferbedingung (s. Abb. 3.20.). Der Fall, dass eine Lieferbedingung keine Einkaufskonditionen hat, ist dann gegeben, wenn es nur einen BruttoEinkaufspreis gibt und keinerlei zusätzliche Konditionen gewährt werden, wenn also Brutto-Einkaufspreis gleich Netto-Einkaufspreis ist. Die einzelnen Einkaufskonditionen können sehr unterschiedlicher Natur sein. Sie werden in einer definierten Reihenfolge vom Brutto-Einkaufspreis abgezogen, was dann den Netto-Einkaufspreis ergibt. Lieferbedingung
besteht gehört
aus zu
EK-Kondition
Abb. 3.20. Beziehung zwischen Lieferbedingung und Einkaufskonditionen
Ein wesentlicher Schritt zur Abdeckung der zahlreichen Anforderungen an das Einkaufskonditionenmodell besteht in der Definition der Struktur einer Einkaufskondition. Diese lässt sich prinzipiell über drei Klassen von Eigenschaften beschreiben: x den Konditionstyp x die Konditionsausprägung x den Gültigkeitsbereich. Konditionstyp Anhand des Konditionstyps werden die grundlegenden Eigenschaften einer Kondition charakterisiert – unabhängig vom Artikel, auf den sie sich bezieht, unabhängig von dem Lieferanten, der sie gewährt und unabhängig vom gewährten Betrag im Einzelfall. Zum Konditionstyp gehören Informationen folgender Art: x Name des Konditionstyps: Naturalrabatt, Großhandelsjahresmengenrabatt, Werbebonus, Messerabatt, Rückvergütungsprämie, Skonto, Sektsteuer u.Ä. x Bedingte oder unbedingte Kondition: Hierdurch wird festgelegt, ob die Kondition immer gewährt wird oder ob die Gewährung an die Einhaltung oder Erreichung bestimmter Bedingungen geknüpft ist. Die Bedingungen selbst lassen sich, was ihre Weiterbehandlung im Warenwirtschaftssystem betrifft, dabei nochmals in zwei Klassen unterteilen, nämlich
3.4 Aufgabenbereiche von Warenwirtschaftssystemen
267
Bedingungen, deren Erreichen oder Nicht-Erreichen beim Auslösen einer Bestellung bereits feststeht, wie z.B. Mengenstaffeln oder Abnahme in ganzen Einheiten, oder Bedingungen, deren Erreichen oder Nicht-Erreichen zum Zeitpunkt der Bestellung noch nicht feststeht, wie z.B. umsatzabhängige Jahresrückvergütungen oder Werbekostenzuschüsse. x Berücksichtigung in der Rechnungsprüfung: In diesem Zusammenhang steht die Frage im Vordergrund, ob die Kondition vom Lieferanten bereits in der Rechnung berücksichtigt wird oder ob die Verrechnung erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt. In der Regel werden alle unbedingten und alle bedingten Konditionen, deren Erreichen bei der Bestellauslösung feststeht, auch in der Rechnung berücksichtigt. Es gibt aber auch Ausnahmen wie z.B. umsatzabhängige Rückvergütungen am Jahresende. x Berücksichtigung bei der Berechnung des Netto-Netto-Einkaufspreises: Der Netto-Netto-Einkaufspreis (NNEKP) bildet in vielen Bereichen der Warenwirtschaft die Basis für die Bewertung von Alternativen. Im ersten Ansatz werden zumeist genau die unbedingten Konditionen zur Berechnung des Netto-Netto-Einkaufspreises herangezogen. Dies muss jedoch nicht immer so erfolgen. Zum Beispiel handelt es sich beim Skonto um eine bedingte Kondition. Dennoch könnten Skonti in die Berechnung des NNEKP einbezogen werden, wenn es zur Abrechnungsphilosophie des Handelsunternehmens gehört, Skonti immer auszunutzen. Ähnliches ist bei der – typischerweise bedingten – Kondition Mengenstaffel möglich, wenn das Handelsunternehmen grundsätzlich in der größten Mengenstaffel bestellt. x Be- und Entlastungsregeln: Mit diesen Regeln soll festgelegt werden, wie eine Kondition zwischen den verschiedenen operativen Einheiten bzw. Leistungsstellen eines Handelsunternehmens verrechnet werden soll, d.h., welche Leistungsstellen mit dem Wert der Kondition be- bzw. entlastet werden sollen. Mit diesen Be- und Entlastungsregeln wird zugleich das Abrechnungssystem weiter parametrisiert, wodurch es flexibler gegenüber Änderungen im Konditionen- und im Abrechnungssystem wird. Konditionstyp
gehört hat
zu
EK-Konditionen
Abb. 3.21. Beziehung zwischen Einkaufs-Kondition und Konditionstyp
268
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
Die möglichen Konditionstypen eines Warenwirtschaftssystems werden zumeist im Rahmen der Systemeinführung definiert und in einer Konditionenstammdatei festgehalten. Darüber hinaus können diese Konditionstypen i.d.R. später jederzeit verändert oder ergänzt werden. Im EntityRelationship-Modell ergibt sich entsprechend der in Abb. 3.21. dargestellte Zusammenhang zwischen einer Einkaufskondition bzw. deren Ausprägung und einem Konditionstyp. Konditionsausprägung Die Konditionsausprägung ist der wichtigste, aber auch der konventionellste Teil einer Kondition. Sie dient der Festlegung des aktuellen Werts der Kondition. Zu einer Konditionsausprägung gehören insbesondere die folgenden Informationen: Artikel, auf den sich die Kondition bezieht Lieferant, der die Kondition gewährt Konditionstyp (aus dem Konditionenstamm) Konditionswert als absoluter Betrag oder als Prozentsatz Basis: Hierdurch wird die Reihenfolge festgelegt, in der die einzelnen Konditionen nacheinander angewendet werden, um aus dem BruttoEinkaufspreis den Netto-Netto-Einkaufspreis zu berechnen. x Abzugsstelle: Sie steht in enger Beziehung zur Basis und gibt das Zwischenergebnis an, von dem die entsprechende Kondition abgezogen werden soll. x Bedingungen, unter denen die Kondition gewährt wird (z.B. eine Menge, ab der sie gilt o.Ä.). x x x x x
Das Anlegen der Konditionen erfolgt durch den Einkäufer. Die hier vorgestellten, umfassenden Möglichkeiten führen dazu, dass es sich leicht zu einer fast unüberschaubaren Aufgabe entwickeln kann. Deshalb ist es bei einem konkreten Systementwurf in diesem Bereich notwendig, die erforderlichen Programme so zu konzipieren, dass die Standardfälle für den Anwender leicht abgewickelt werden können und die ganze Komplexität der Möglichkeiten nur bei den Sonderfällen benötigt wird. Gültigkeitsbereich Während Konditionstyp und Konditionsausprägung als Bestandteile des Konditionenmodells noch relativ einfach realisierbar sind, stellt die Gestaltung eines allgemeinen Konzepts für den Gültigkeitsbereich eine sehr komplexe Aufgabe dar, da die Gültigkeitsbereiche für Konditionen vielschichtigen Anforderungen unterliegen. So ist zunächst die Unterschei-
3.4 Aufgabenbereiche von Warenwirtschaftssystemen
269
dung zwischen Artikel-, Warengruppen- und Lieferantenkonditionen, also von Konditionen, die nur für einen Artikel, die für eine ganze Warengruppe oder die für alle Artikel eines Lieferanten gelten, notwendig. Diese Konditionen können sich dabei auch überlagern, d.h., mehrere Konditionen können gleichzeitig gültig sein. Dies führt zu der Nebenforderung, dass der Anwender dann festlegen muss, ob diese Konditionen additiv oder exklusiv sein sollen. Die nächste Ebene ist die der operativen Einheiten, d.h., eine Kondition kann für eine einzelne operative Einheit, eine Gruppe von Einheiten oder auch für alle Einheiten gleichermaßen gelten. Folgende Fälle, die in der Handelspraxis auftreten, lassen sich damit z.B. abdecken: x Unterschiedliche Lieferkonditionen für verschiedene Regionalläger: Dieser Fall tritt z.B. dann auf, wenn ein Lieferant am Ort eines Regionallagers des Handelsunternehmens produziert und deshalb dieses Lager zu günstigeren Konditionen beliefern kann als die anderen, oft weit entfernten Läger. x Unterschiedliche Lieferkonditionen für verschiedene Verkaufsstellen: Dies ist grundsätzlich der analoge Fall; auch hier ist es möglich, dass der Lieferant eine näher gelegene Verkaufsstelle günstiger beliefert als weiter entfernte Verkaufsstellen. Zeitraum Kondition der operativen Einheit Anzahl Bestellungen
Menge (Kontrakt)
Lieferantenkondition
Warengruppenkondition
Artikelkondition Betrag
Gültigkeitsbereiche
Artikel
Abb. 3.22. Unterschiedliche Ebenen der Gültigkeitsbereiche von Konditionen
270
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
Wendet man die Konzeption der operativen Einheiten an, so ist es möglich, die beiden Anforderungen in eine einheitliche Lösung zu integrieren (s. Abb. 3.22.). Die dritte Ebene des Gültigkeitsbereichs bezieht sich auf die Zeit. Einer Kondition wird ein Gültigkeitszeitraum zugeordnet („Von-Datum“, „BisDatum“). In diesen Bereich sind noch weitere Möglichkeiten zu integrieren, wie z.B.: x Eine Kondition gilt nur für eine Bestellung, für eine bestimmte Anzahl von Bestellungen oder für eine bestimmte Anzahl von Bestellungen in einer bestimmten Zeitspanne. x Eine Kondition gilt nur, bis eine bestimmte Menge „verbraucht“, d.h. bestellt und geliefert, wurde. x Eine Kondition gilt nur, bis ein bestimmter Betrag verbraucht ist. In die letzte Kategorie sind z.B. die Listungsgebühren einzuordnen. Dabei gewährt der Lieferant pauschal einen bestimmten Betrag, der dann in kleinen Stückelungen auf den Artikel verteilt wird, bis der Betrag verbraucht ist. In die zweite Kategorie fällt z.B. der Kontrakt. Die hier vorgestellten Überlegungen stellen keinen Datenbankentwurf dar. Sie sollen aber zeigen, dass sich auch für ein so komplexes Gebiet wie die Einkaufskonditionen ein Modell konzipieren lässt, das die Forderung nach Vereinfachung erfüllt, die Konzeption der operativen Einheiten mit abdeckt und das dabei leistungsfähiger ist als viele der derzeit bestehenden Systeme. Das Konditionensystem von mySAP Retail als Beispiel Im Warenwirtschaftssystem der SAP ist ein umfangreiches Konditionensystem realisiert, bei dem identische Techniken auf der Einkaufsseite wie auf der Verkaufsseite eingesetzt werden. Ein vereinfachtes Datenmodell ist in Abb. 3.23. dargestellt. Stammkonditionen können in einem frei definierten Schema in einer bestimmten Reihenfolge angelegt und auf beliebigen Vereinbarungsebenen, z.B. Lieferant, Artikel oder Warengruppe, mit einem Gültigkeitszeitraum gespeichert werden. Prozentangaben, absolute Beträge und Staffelmengen sind zur Eingabe vorgesehen.
3.4 Aufgabenbereiche von Warenwirtschaftssystemen
271
Konditionsart
Kondition
KonditionsStaffel
Wertestaffel
Mengenstaffel
EinkaufsArtikelpreis
PreiskonditionEinkaufsKontraktposition
VerkaufsArtikelpreis
PreisKunden individuell
PreislistenPreis
Zu-/AbschlagKonditionLieferant
Zu-/AbschlagKonditionLieferantenTeilsortiment
Zu-/AbschlagKonditionEinkaufsartikel
Zu-/AbschlagEinkaufsKontrakt
Zu-/AbschlagEinkaufskontraktposition
PreisKondition
Zu-/ AbschlagsKonditionZu-/AbschlagKondition Kundengruppe
AusgangsSteuerKondition
Abb. 3.23. Datenmodell Konditionen in mySAP Retail (vereinfachter Ausschnitt) (Quelle: SAP AG 2004.)
Das Konditionsschema legt fest, welcher Preis für den Artikel gilt, welche Konditionen verwendet werden und in welcher Reihenfolge die Zuund Abschläge berechnet werden. Mit der Konditionsart wird festgelegt, um was für eine Art der Kondition es sich handelt (Preis, Zu-/Abschlag, Bezeichnung) sowie welche Rechenregel (prozentual, fester Betrag, Betrag pro Einheit) angewandt wird. Im Konditionsbild werden alle Zwischenergebnisse vom Brutto- bis zum Nettowert angezeigt. Sie sind damit für jede Kondition nachvollziehbar (s. Abb. 3.24.).
272
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel Zugriffsfolgen Aktionskondition Artikelbonus Lieferantenrabatt Zugriffsnummer 10 20 30
KonditionsTabelle 001 002 003
Konditionstabelle 001
Konditionssätze 001
001 EKOrg 002 Lieferant 003 LTS
002 003
Konditionsarten
Kalkulationsschema
Fracht
Schema 1
Konditionsart
Rabatt Lieferantenrabatt Zugriffsnummer 10 20 30
KonditionsTabelle 001 002 003
Preis Rabatt Fracht . . .
Manuell
Kontoschl.
X FRE
Abb. 3.24. Konditionsfindung in mySAP Retail (Quelle: SAP AG 2004.)
3.4.2.5 Einkaufsbündelung Die Einkaufsbündelung, also der gemeinsame Einkauf mehrerer Unternehmen, zumeist mit dem Ziel, dadurch günstigere Einkaufskonditionen zu erreichen, lässt sich in einfacher Form in die Konzeption der operativen Einheiten integrieren. Erforderlich ist hierzu die Mandantenabwicklung. Grundsätzlich sieht die hier vorgestellte Konzeption vor, dass Anwendungen mandantenfähig sein sollen. Bezogen auf den Einkauf bedeutet dies, dass das Subsystem „Einkauf“ nicht nur für die eigene operative Einheit, sondern auch für beliebige andere operative Einheiten einkaufen kann. Zum Beispiel können also die Zentrale oder die Läger für die Verkaufsstellen einkaufen – dies z.B. zur direkten Lieferung vom Hersteller an die Verkaufsstellen. Ist diese Konzeption innerhalb des IT-Systems vorgesehen, so stellt die Realisierung von Einkaufsbündelungen kein besonderes Problem mehr dar. Das fremde Unternehmen muss dazu lediglich als eigene operative Einheit im bestehenden System definiert werden. Über die mandantenfähigen Anwendungssysteme kann von jeder operativen Einheit aus auf die Daten des fremden Unternehmens zugegriffen werden. Die Zentrale des Unternehmens A kann also z.B. jederzeit auf die Daten, wie z.B. Stammdaten, Umsätze oder Lagerbestände, eines Lagers des Unternehmens B zugreifen und damit sämtliche Einkaufsfunktionen für beide Unternehmen durchführen.
3.4 Aufgabenbereiche von Warenwirtschaftssystemen
273
In der Praxis gestaltet sich die Realisierung einer solchen Lösung jedoch schwierig, da der aufgezeigte Lösungsweg nur dann funktioniert, wenn alle an der Einkaufsbündelung beteiligten Unternehmen ein der hier vorgestellten Konzeption folgendes IT-System einsetzen. Aber auch wenn nur ein Unternehmen ein IT-System mit der Konzeption der operativen Einheiten einsetzt, bietet dieses Konzept einen Lösungsansatz. Dieser führt dann allerdings zu einer redundanten Datenhaltung, weil die für den Einkauf relevanten Daten des fremden Unternehmens in einer speziell dafür definierten operativen Einheit „nachgefahren“ werden müssen. Sie werden also vom Fremdunternehmen in die Datenbank der dieses Unternehmen simulierenden operativen Einheit „geladen“. 3.4.2.6 Die Wechselwirkung zwischen Einkauf und Verkauf Im Konzept der operativen Einheiten sind der Einkauf einer Verkaufsstelle und der Verkauf eines Lagers oder einer Zentrale eng aneinander gekoppelt, da die Verkaufsstelle unter anderem beim Lager einkauft und deshalb die Einkaufskonditionen der Verkaufsstelle gleich den Verkaufskonditionen des Lagers sind. An dieser Stelle soll nur kurz auf das Wechselspiel zwischen Einkauf und Verkauf bei der Lieferantenauswahl und Artikellistung eingegangen werden. Dieses Wechselspiel gilt insbesondere bei allen unternehmensübergreifenden Konstellationen im Rahmen der Wertschöpfungskette. Die Frage, ob der „Einkauf“ oder der „Verkauf“ für die Artikellistung verantwortlich sind, wird im Handel durchaus unterschiedlich beantwortet. Wenn ein Handelsunternehmen mit mehreren Hierarchiestufen nach dem Konzept der operativen Einheiten organisiert wird, können z.B. die folgenden Konstellationen in einem zweistufigen Unternehmen mit einem Zentrallager und mehreren Verkaufsstellen realisiert werden: 1. Der Einkauf in der Zentrale – und damit im Zentrallager – listet einen Artikel. Danach kann er von dieser operativen Einheit eingekauft werden. 2. Der Verkauf in der Zentrale nimmt den Artikel in sein Sortiment auf und legt entsprechende Verkaufspreise fest. Damit kann der Artikel von der Zentrale bzw. vom Zentrallager, wenn das gleichgesetzt sein sollte, verkauft werden (i.d.R. an die Verkaufsstellen). 3. Der Einkauf in der Verkaufsstelle listet den Artikel und kann ihn damit beim Zentrallager – bei Streckenartikeln auch beim entsprechenden Streckenlieferanten direkt – einkaufen.
274
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
4. Der Verkauf in der Verkaufsstelle nimmt den Artikel in sein Sortiment auf und legt den Verkaufspreis fest. Damit kann der Artikel an den Endkunden verkauft werden. Diese Aufsplittung des Vorgangs ist strukturell konsequent, jedoch auch aufwändig. In der Praxis kann eine Realisation z.B. wie folgt aussehen: x Auf Grund der Mandantenfähigkeit des gesamten Konzepts könnte der Zentraleinkauf seine Artikellistung für untergeordnete operative Einheiten mit abwickeln, ebenso könnte der Verkauf verfahren. Damit wäre die „Standardorganisation“ eines Handelsunternehmens abgebildet. x Will man mehr Flexibilität realisieren, so ist dies anhand der (teilweisen) Entkopplung der Vorgänge 1 bis 4 möglich. Besonderes nahe liegend ist dabei die Zusammenfassung der Vorgänge 2 und 3. Die Aufnahme eines Artikels in das Verkaufssortiment des Zentrallagers bedingt dann automatisch die Listung dieses Artikels in den jeweiligen Verkaufsstellen. Hierbei muss es jedoch nicht notwendigerweise um alle Verkaufsstellen handeln, sondern es ist durchaus denkbar, dass die Zentrale z.B. gewisse Artikel nur in einer bestimmten Vertriebsschiene oder ausgewählten Verkaufsstellen verkaufen will. Die drei bzw. vier Stufen zur Sortimentsgestaltung zeigen die Flexibilität der Konzeption: x Die Unterscheidung zwischen Artikellistung und Sortiment bildet auch die Ausnahmefälle der Realität ab. Es gibt Artikel, die eine operative Einheit zwar bestellt, aber nicht verkaufen will, wie z.B. Putzmittel, Etiketten, Schreibmaterial usw., so genannte Kosten- oder Eigenverbrauchsartikel. Diese Artikel bedürfen dann keiner Sonderbehandlung. x Die zeitliche Trennung von Artikellistung und Aufnahme ins Sortiment kommt den Forderungen der Praxis entgegen. Es gibt Fälle, v.a. im Bereich der Aktionen, bei denen sich die Zentrale bzw. das Zentrallager mit einer großen Menge eines Artikels eindeckt, der aber erst Wochen oder Monate später den Verkaufsstellen zum Kauf angeboten werden soll, z.B. bei bestimmten Saisonartikeln. x Die Aufnahme eines Artikels ins Sortiment eines Lagers bedeutet nicht immer automatisch die Listung dieses Artikels in allen untergeordneten operativen Einheiten.
3.4 Aufgabenbereiche von Warenwirtschaftssystemen
3.4.3
275
Verkauf
3.4.3.1 Leistungsstellen vs. operative Einheiten Der Verkauf umfasst Aufgaben wie z.B. x x x x x x
Sortimentsgestaltung, Regaloptimierung, Verkaufspreiskalkulation, Sonderaktionen, Kundeninformationssysteme, Konkurrenteninformationssysteme.
Auch das Verkaufs-Subsystem sollte mandantenfähig ausgestaltet werden, damit es seine Aufgaben sowohl für die eigene als auch für alle untergeordneten operativen Einheiten durchführen kann. Dementsprechend gehen Sortimentsinformationen an die über- und untergeordneten operativen Einheiten. Eine Leistungsstelle ist die kleinste Einheit in einem Handels- oder Fertigungsunternehmen, für die Kosten und Erlöse getrennt erfasst und ausgewertet werden sollen. Diese Leistungsstellen entsprechen im Wesentlichen den Unterabteilungen, wie sie in vielen Unternehmen anzutreffen sind. Ein typischer Verbrauchermarkt z.B. besteht oft aus der eigentlichen „Marktabteilung“, der Fleischabteilung, dem Getränkemarkt, der Cafeteria, der Drogerie usw. Eine Leistungsstelle kann nicht als Zusammenfassung anderer Leistungsstellen definiert werden. Es kann also keine Leistungsstelle „Vertriebsschiene“ geben, in der lediglich die Daten aller Verkaufsstellen, die zu dieser Vertriebsschiene gehören, addiert werden. Es können aber „Pseudo-Leistungsstellen“ definiert werden, so z.B. eine „Pseudo-Leistungsstelle“ „Vertriebsschiene“, zu der die Zuordnung von Kosten und Erlösen erfolgt, die zwar dieser Vertriebsschiene, nicht aber bestimmten Leistungsstellen derselben zugerechnet werden können. Auswertungen des Planungs- und Informationssystems können dann alle Leistungsstellen einer Vertriebsschiene, also z.B. die Verkaufsstellen bzw. deren Unterabteilungen und die „Pseudo-Leistungsstellen“, zusammenfassen. Vergleicht man den Begriff der Leistungsstelle mit dem der operativen Einheit, so ist letzterer zunächst der allgemeinere Begriff – eine operative Einheit kann aus mehreren Leistungsstellen bestehen. Ein sinnvolles Konzept besteht auch – zumindest bei vielen Organisationsstrukturen und Verkaufsstellentypen von Handelsunternehmen – im Gleichsetzen von operativer Einheit und Leistungsstelle. Im Rahmen einer artikelgenauen Bestandsführung ist eine solche z.T. etwas künstliche Aufteilung, die oft-
276
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
mals lediglich eine Warengruppenverdichtung darstellt, nicht mehr notwendig, weil bei Vorliegen artikelgenauer Einzelinformationen diese Verdichtungen nach beliebigen Kriterien jederzeit möglich sind, ohne dass dazu vorher Unterabteilungen definiert werden müssten – zumal oftmals auch die Kostenverteilung auf Unterabteilungen in vielen Bereichen erhebliche Probleme bereitet und teilweise etwas willkürlich ist. Weitere Probleme treten bei der Verwendung von Unterabteilungen durch die Sortimentsgestaltung und die Warenversorgung auf. Die Sortimente müssen in diesem Fall auf Unterabteilungsebene definiert werden. Entsprechend sind dann auch die Unterabteilungen für ihre Disposition verantwortlich und haben ihre eigenen Lieferadressen. Dies hat eine schwer handhabbare Organisationsstruktur zur Folge. Auch die Verdichtung von Unterabteilungen zu Verkaufsstellen löst das Problem nur teilweise, da es Unterabteilungen gibt, die allein schon von ihrer Lage her tatsächlich eine Einzelbehandlung erforderlich machen, wie z.B. oftmals die Getränkeabholläger innerhalb eines Marktes. Spezielle operative Einheiten wie z.B. Zentralen oder regionale Niederlassungen werden dagegen fast immer aus mehreren Leistungsstellen, so z.B. Einkauf Trockensortiment, Einkauf Obst, Zentrallager usw., bestehen. 3.4.3.2 Kundeninformationssysteme Während in der Industrie der Kunde traditionell eine auch informationstechnisch bedeutende Rolle spielt, steht die Erfassung des Kunden in den meisten Warenwirtschaftssystemen im filialisierenden Handel noch am Anfang. Eine Vorreiterrolle haben hier Unternehmen wie Wal-Mart, Tesco oder Metro, die bereits seit langem über ausgefeilte Kundeninformationssysteme verfügen. In vielen Handelsunternehmen werden jedoch vermehrt Anstrengungen unternommen, genauere Informationen über die Kunden zu erhalten. Ein weit verbreitetes Hilfsmittel hierzu sind z.B. Kundenkarten.156 Auf der Großhandelsstufe der filialisierenden Handelsunternehmen gestaltet sich die Situation anders. In diesem Fall sind die Kunden bekannt. Es handelt sich dabei i.d.R. um die eigenen Verkaufsstellen oder selbstständige Einzelhändler. Entsprechend sind die Kundenverwaltungs- oder Kundeninformationssysteme auch auf diese Zielgruppe zugeschnitten. Auf Endverbraucher als Kunden lassen sich diese Systeme jedoch nicht anwenden. Betrachtet man den Kunden aus der Sicht eines Warenwirtschaftssystems, so handelt es sich bei ihm um ein externes Objekt, also ein Objekt außerhalb des Handelsunternehmens, das einer operativen Einheit Ware 156
Vgl. hierzu die Abschnitte 2.5.2 und 4.5.
3.4 Aufgabenbereiche von Warenwirtschaftssystemen
277
abnimmt. Verallgemeinert man den Blickwinkel auf die gesamte Wertschöpfungskette, ist auch der Kunde eine operative Einheit. Allgemein könnte man auch von einem Abnehmer als dem allgemeineren Begriff sprechen. Ein Abnehmer nimmt einer operativen Einheit Ware ab. Ein Kunde als externer Abnehmer oder operative Einheit in der Wertschöpfungskette könnte z.B. sein: x der Endverbraucher, der in der Verkaufsstelle Ware kauft (das ist der Standardfall) x der Endverbraucher, der von einer Verkaufsstelle mit Ware beliefert wird, z.B. im Versand- oder Zustellhandel x der Großabnehmer, der in der Verkaufsstelle – oft zu günstigeren Bedingungen – Ware kauft, z.B. Vereine, Großküchen usw. x der Großabnehmer, der von einer Verkaufsstelle beliefert wird x der selbstständige Einzelhändler, der von einem Lager mit Ware beliefert wird x der selbstständige Großhändler, der von einem Lager mit Ware beliefert wird. x das Handelsunternehmen selbst, das von einem Hersteller Ware bezieht x der Zulieferer eines Herstellers, der diesen im Rahmen der Wertschöpfungskette mit Rohprodukten versorgt. Analog lassen sich auch die ersten vier genannten Fälle auf die operative Einheit Lager übertragen, d.h., auch ein Lager kann an Endverbraucher oder Großabnehmer Ware verkaufen oder diese beliefern. Ein häufig vorkommender Fall ist z.B. der Personalkauf. Ziel einer Gestaltung der Kundenverwaltung gemäß der hier vorgestellten Konzeption ist es, die Anforderungen so zu verallgemeinern, dass sich zumindest von der Basis her drei Bereiche zusammenfassen lassen: x Operative-Einheiten-Verwaltung (Leistungsstellenverwaltung) innerhalb eines Handelsunternehmens x Operative-Einheiten-Verwaltung innerhalb eines Herstellerunternehmens im Rahmen der Wertschöpfungskette x Kundenverwaltung. Ziel eines Kundeninformationssystems ist die Gewinnung kundenspezifischer Daten zur statistischen Auswertung. Das Kundenverhalten soll soweit analysiert werden, dass der Kunde als Profit-Center dargestellt werden kann. Die gewonnenen Informationen dienen der Sortimentsgestaltung sowie der Intensivierung der Beratungsfunktion durch gezielte Kundenbetreuung und Akquisition. Es ist unmittelbar einsichtig, dass diese Anfor-
278
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
derungen auf alle Abnehmer und damit auch auf operative Einheiten innerhalb der Wertschöpfungskette übertragen werden können. Die einheitliche Sicht eines Kundeninformationssystems für alle operativen Einheiten weist aber auch aus der umgekehrten Richtung heraus Vorteile auf. Auf der Großhandelsstufe z.B. hat ein Warenwirtschaftssystem fast immer ein Subsystem zur Auftragsbearbeitung, i.d.R. ein System, das die Aufträge der Verkaufsstellen entgegennimmt, aufbereitet und an das Warenausgangsmodul oder auch an das Dispositionsmodul, falls die bestellte Ware nicht vorhanden ist, zur Bearbeitung und Auslieferung weitergibt. Wird diese Auftragsbearbeitung allgemein konzipiert, kann sie auch in den Verkaufsstellen eingesetzt werden. Interessant ist dies z.B. in bestimmten Non-Food-Sortimenten, bei denen die Ware i.d.R. nur auf Bestellung bereitgestellt wird. Im Sinne des bereits vorgestellten Baukastenprinzips, in dem die einzelnen Subsysteme des gesamten Warenwirtschaftssystems realisiert werden können, gilt es, das Kundeninformationssystem in einem umfassenden, aber hinreichend allgemeinen Sinn zu gestalten, sodass bei der Systemeinführung aus dem gesamten Instrumentarium des „Kundeninformationssystembaukastens“ die für jede einzelne operative Einheit optimalen Einzelbestandteile zusammengestellt werden können. 3.4.3.3 Sortimentsgestaltung Sortimentsgestaltung und -optimierung gehören zu den zentralen Aufgaben der Leistungsprogrammpolitik eines jeden Unternehmens. Die organisatorische und informationstechnische Unterstützung dieser Aufgabe in den Warenwirtschaftssystemen ist bisher eher schwach ausgeprägt. Sie beschränkt sich i.d.R. auf die Abdeckung der Basisanforderungen wie vor allem die Definition der Sortimente für die einzelnen Unternehmensbereiche bzw. Vertriebsschienen und Verkaufsstellen. Eine weiter gehende Unterstützung, vor allem in Richtung der Entscheidungsunterstützung bei Listung und Auslistung durch die Warenwirtschaftssysteme ist in den bestehenden Systemen bisher zumeist nur in Ansätzen vorhanden. Für diesen Bereich ist der Einsatz von Simulations- und Expertensystemen zur zielgruppen- und standortorientierten Sortimentsoptimierung geeignet. Im Folgenden erfolgt jedoch eine Beschränkung auf die Darstellung der Basiskonzeption.157 Ein Sortiment oder ein Sortimentsteil wird definiert als eine Gruppe von Artikeln, die eine operative Einheit ihren Abnehmern oder auch bestimmten Abnehmergruppen zum Kauf anbietet. In dieser Definition ist bereits 157
Zu Konzepten der Sortimentsoptimierung vgl. insbesondere Abschnitt 4.4.
3.4 Aufgabenbereiche von Warenwirtschaftssystemen
279
eine gewisse Verallgemeinerung enthalten, indem unter einem Sortiment eine Gruppe von Artikeln verstanden wird, die dem Endverbraucher zum Kauf angeboten wird. Sortimente sind also eng an die Verkaufsstellen gebunden – man spricht zumeist von dem Sortiment einer Verkaufsstelle. Die hier vorgenommene Verallgemeinerung besteht darin, dass Sortimente nun nicht nur bezogen auf eine Verkaufsstelle, sondern für alle operativen Einheiten, d.h. über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg, definiert werden. Während in der herkömmlichen Sichtweise von der Zentrale auf die Verkaufsstelle ein Sortiment einerseits durch Zuordnung der dazugehörenden Artikel und andererseits durch Festlegung der Verkaufsstellen, die dieses Sortiment beziehen dürfen, definiert wurde (s. Abb. 3.25.), stellt sich die Situation bei der hier verwendeten Definition etwas allgemeiner dar. Zentrale
Artikel
Sortiment
Filiale
zentrale Sortimentsgestaltung
Abb. 3.25. Typische Struktur von Sortimentszuordnungen in herkömmlichen Warenwirtschaftssystemen aus zentraler Sicht
Durch das Herunterbrechen der Komplexität auf die einzelne operative Einheit werden Sortimente auch Abnehmern zugeordnet. Damit lassen sich auf der Lagerebene die Verkaufsstellen oder sonstige externe Abnehmer definieren, denen diese Sortimente angeboten werden. Dieselben Möglichkeiten bieten sich auch für alle anderen operativen Einheiten: Verkaufsstellen können gewisse Artikel nur bestimmten Kunden anbieten, wie z.B. Sonderangebote für Großabnehmer oder Kundenkarteninhaber usw. Sonderfälle wie diese lassen sich auf diese Weise über die Standardkonzeption abwickeln, ohne zusätzlichen Spezifikations- oder Realisierungsaufwand (s. Abb. 3.26.). Operative Einheit
Artikel
Sortiment
Abnehmer
dezentrale Sortimentsgestaltung
Abb. 3.26. Struktur der Sortimentszuordnung in operativen Einheiten
280
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
In herkömmlichen Systemen wird die Sortimentsgestaltung als eine Aufgabe der Zentrale für die Verkaufsstellen angesehen. In einem variablen Konzept, das ein Netzwerk operativer Einheiten vorsieht, kann diese Funktion auch dezentral angesiedelt werden. Jede Einheit kann ihre Sortimente und – optional – auch ihre Abnehmer selbst definieren. Im Normalfall ist die Sortimentsgestaltung jedoch vornehmlich eine Aufgabe der Zentrale oder einer regionalen Niederlassung eines Unternehmens, die diese Aufgabe im Sinne einer Mandantenabwicklung für die ihnen unterstellten operativen Einheiten durchführen. Die Vorteile dieser Vorgehensweise liegen vor allem in der strukturellen Einfachheit dieser Konzeption. Der sonst überaus komplexe Sortimentsaufbau inklusive der Zuordnung der entsprechenden Lieferanten158 wird im Rahmen einer solchen Konzeption in wesentlich einfachere Strukturen aufgelöst. Die Definition der Abnehmer erfolgt in einer solchen Konzeption nur dort, wo sie auch erforderlich ist, z.B. in den Lägern. Jeder Lieferant bzw. jede operative Einheit verfügt für jeden Abnehmer über einen Sortimentskatalog. Dieser Sortimentskatalog beinhaltet alle Artikel, die der Abnehmer beim Lieferanten bestellen kann. Dabei ist es möglich, dass eine operative Einheit für jeden Abnehmer einen anderen, unterschiedlichen Sortimentskatalog definiert. Beispielsweise sind hierbei denkbar: x Sortimentskatalog eines Lagers für eine Verkaufsstelle: Dieser bestimmt die Artikel, die diese Verkaufsstelle beim Lager bestellen kann. In der Regel sind die Sortimentskataloge bestimmter Gruppen von Verkaufsstellen (z.B. für die Verkaufsstellen einer bestimmten Vertriebsschiene) identisch. x Sortimentskatalog eines Lagers für einen externen Großhändler: In diesem Fall kann es sich um einen „echten“ Katalog handeln. Das Lager bietet in diesem Zusammenhang sein gesamtes Sortiment an (ggf. mit Ausnahme bestimmter Eigenmarken). x Sortimentskatalog einer Verkaufsstelle für seine Kunden: Er umfasst i.d.R. alle Artikel der Verkaufsstelle und ist für alle Kunden gleich. Er wird definiert durch die Artikel in den Regalen im Verkaufsraum. x Sortimentskatalog einer Verkaufsstelle für bestimmte Großkunden: Er umfasst i.d.R. ein eingeschränktes Angebot, das nur für diese Großkunden gilt.
158
Insbesondere im Streckengeschäft ist diese Strukturierung noch komplizierter, weil dort derselbe Artikel in unterschiedlichen Verkaufsstellen häufig von unterschiedlichen Lieferanten geliefert wird.
3.4 Aufgabenbereiche von Warenwirtschaftssystemen
281
x Sortimentskatalog eines Lieferanten für eine Verkaufsstelle: Er umfasst die Artikel, welche die Verkaufsstelle bei diesem (Strecken-)Lieferanten bestellen kann. x Spezialkataloge der Verkaufsstellen oder der Läger für bestimmte Kundengruppen, wie z.B. Kundenkarteninhaber. x Internet-Sortimentskatalog einer Zentrale bzw. eines Zentrallagers für die Endkunden: Er wird definiert durch die Artikel und Dienstleistungen, die im Internet-Auftritt angeboten werden. Vom Sortimentskatalog abzugrenzen ist der Begriff des Ordersatzes. Hierunter versteht man die Menge aller Artikel, die ein Abnehmer bestellen kann. Entsprechend dieser Terminologie ist z.B. der Lager-Ordersatz159 einer Verkaufsstelle gleichzusetzen mit dem entsprechenden Sortimentskatalog. Der Strecken-Ordersatz160 setzt sich entsprechend aus den gelisteten Artikeln der Sortimentskataloge aller Streckenlieferanten für die entsprechende Verkaufsstelle zusammen. 3.4.3.4 Verkaufspreisverwaltung Einkauf und Verkauf sind eng miteinander verbunden. In Abbildung 3.27. sind die Wechselwirkungen, die zwischen diesen beiden Bereichen bestehen, überblicksartig dargestellt.
Unter dem Lager-Ordersatz einer Filiale versteht man die Gesamtheit aller Artikel, die diese Filiale beim Lager bestellen kann. 160 Unter dem Strecken-Ordersatz versteht man die Gesamtheit aller Artikel, die eine Filiale bei all ihren Streckenlieferanten, also per Direktlieferung, bestellen kann. 159
282
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
Lieferant
VK-Kondition
EK-Kondition
Ware
Ware
VK-Kondition
Bestellung
Bestellung
Lager
Lieferant
VK-Kondition
EK-Kondition
Ware
Ware
Bestellung
Filiale
VK-Kondition
Abb. 3.27. Wechselwirkung der Einkaufs- und Verkaufskonditionen zwischen den operativen Einheiten Lager und Verkaufsstelle
Zu erkennen ist dabei insbesondere der Gleichklang der Abläufe in Richtung Lieferant bei Lager und Verkaufsstelle. Erkennbar ist auch, dass aus Sicht der Verkaufsstelle das Lager nichts anderes als ein Lieferant ist. Hinsichtlich der Verkaufspreisgestaltung gilt, dass die Einkaufskonditionen der Verkaufsstelle beim Lager gleich den Verkaufskonditionen des Lagers für die Verkaufsstelle sind. Aus diesem Grund kann das Verkaufskonditionensystem in vollständiger Analogie zum Einkaufskonditionensystem gestaltet werden – dies prinzipiell ohne zusätzlichen Aufwand in der Systemkonzeption und -realisierung. In der Praxis bedeutet dies, dass die Einkaufs- und Verkaufskonditionensysteme in allen operativen Einheiten gleich sind und damit eine Einheit bilden (s. Abb. 3.28.). In Abbildung 3.28. wird zusätzlich die Integration des Kunden als Beispiel einer weiteren externen operativen Einheit illustriert. Als Kunde können dabei sowohl die Endverbraucher als auch fremde Handelsunternehmen bzw. im Prinzip jede beliebige operative Einheit angesehen werden. Diese Konstellationen lassen sich dabei in analoger Form auch auf das Wechselspiel zwischen einem Hersteller und dessen Zulieferer übertragen.
3.4 Aufgabenbereiche von Warenwirtschaftssystemen
VK-Kondition
EK-Kondition
Ware
Ware
Bestellung
Lager
VK-Kondition Bestellung
Lieferant
VK-Kondition
EK-Kondition
Ware
Ware
Bestellung
Filiale
VK-Kondition Bestellung
Lieferant
283
EK-Kondition Ware
Kunde
Abb. 3.28. Wechselwirkung von Einkaufs- und Verkaufskonditionen unter Einbeziehung des Kunden
3.4.4
Warenabwicklung
3.4.4.1 Überblick Die Warenabwicklung umfasst das gesamte Warengeschäft von der Disposition über den Wareneingang bis zum Warenausgang, d.h. der Abgabe der Ware an den Abnehmer.161 Als Funktionsbereiche, die im Rahmen eines Warenwirtschaftssystems berücksichtigt werden müssen, sind insbesondere relevant: x x x x x x
Disposition Wareneingang Lagerhaltung Bestellannahme Lagerverwaltung Warenausgang.
161
Vgl. hierzu auch Abschnitt 2.4.
284
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
Der Prozess der Warenabwicklung unter Einbeziehung der unterschiedlichen Bereiche lässt sich vereinfacht wie folgt charakterisieren:162 Von der Disposition werden Meldungen über ausgelöste Bestellungen an den Wareneingang übermittelt. Dieser erhält Ware von den Lieferanten, die vereinnahmte Ware wird zum einen über Einlagerungsanforderungen an die Lagerverwaltung bzw. direkt ins Verkaufsregal weitergeleitet, zum anderen in Form von Abrechnungsmeldungen nach außen an das Abrechnungssystem. Die Bestellannahme erhält Bestellungen von außen (den Abnehmern) und leitet sie zur Bearbeitung an den Warenausgang weiter. Eine Weiterleitung von Bestellungen an die Disposition erfolgt dann, wenn die bestellte Ware nicht vorhanden ist oder wenn Filialbestellungen nur gesammelt werden, um daraus später Sammelbestellungen beim Lieferanten zu generieren. Der Warenausgang umfasst die Kommissionierung und die Auslieferung der Ware an den Abnehmer. Die Lagerhaltung dient u.a. sonstigen Aufgaben wie z.B. der Stammdatenpflege, der Inventurabwicklung u.Ä. Die Warenabwicklung im Rahmen eines Warenwirtschaftssystems ist grundsätzlich mandantenfähig zu gestalten, damit die Aufgaben sowohl für die eigene als auch für andere operative Einheiten durchgeführt werden können. Vergleicht man die Logistiksysteme für den Handel mit denen der Industrie, so liegt einer der Hauptunterschiede in den im Handel i.d.R. wesentlich höheren Mengenvolumina, die in den IT-Systemen verarbeitet werden müssen. Zudem spielen die Vielzahl der oft sehr heterogenen Warengruppen und die Schnelllebigkeit der Sortimente wichtige Rollen. 3.4.4.2 Disposition Überblick Durch die artikelgenaue Verkaufsdatenerfassung und die damit verbundene artikelgenaue Bestandsführung in allen operativen Einheiten, speziell aber in den Verkaufsstellen, eröffnen sich für die Disposition im Rahmen IT-gestützter Verfahren neue Möglichkeiten. Das Dispositionssystem im Rahmen eines Warenwirtschaftssystems sollte so allgemein ausgestaltet werden, dass u.a. die folgenden Fälle einheitlich abgedeckt werden können: x Disposition des Zentrallagers (oder der Zentrale für das Zentrallager) beim Lieferanten x Disposition eines Regionallagers beim Zentrallager 162
Vgl. hierzu ausführlich Abschnitt 2.4.
3.4 Aufgabenbereiche von Warenwirtschaftssystemen
285
x Disposition einer Verkaufsstelle beim Regionallager x Disposition einer Verkaufsstelle bei einem Streckenlieferanten x Disposition einer Zentrale, eines Zentrallagers oder eines Regionallagers bei einem Lieferanten zur direkten Lieferung an untergeordnete operative Einheiten (i.d.R. an Verkaufsstellen, aber auch an Regionalläger) x Abwicklung von Aktionsbestellungen (und Zentralzuteilungen). Anhand des Dispositionssystems soll es ermöglicht werden, dass jede operative Einheit bei jeder anderen operativen Einheit oder bei jedem Lieferanten Waren bestellen kann. Zusätzlich ist es erforderlich, dass eine operative Einheit Bestellungen für andere operative Einheiten durchführen kann. Zum Beispiel werden Aktionsbestellungen oftmals zentral abgewickelt, aber direkt, also vom Lieferanten an die Verkaufsstellen, ausgeliefert. Im Allgemeinen kann ein Dispositionsverfahren modular in die fünf Subsysteme Prognose, Bestellpunktrechnung, Bestellmengenrechnung, Bestellauslösung und Bestellübermittlung strukturiert werden. Diese werden i.d.R., aber nicht zwingend, in dieser Reihenfolge hintereinander durchlaufen. Jedes dieser fünf Subsysteme kann dabei seinerseits wiederum ein „Baukastensystem“ unterschiedlicher Einzelverfahren sein. Zur Festlegung eines Dispositionsverfahrens für eine bestimmte operative Einheit und eine bestimmte Artikelgruppe wird dann aus jedem dieser fünf Baukasten eine Methode ausgewählt. Die Hintereinanderausführung dieser Methoden stellt dann das Dispositionsverfahren dar. Zusätzlich muss das Verarbeitungsintervall festgelegt werden, also bestimmt werden, ob z.B. eine tägliche, wöchentliche, monatliche oder sonstige Verarbeitung erfolgen soll. Prognosesystem Das Prognosesystem hat die Aufgabe, die Abverkaufszahlen einer operativen Einheit auf der Basis des einzelnen Artikels für beliebige zukünftige Zeitintervalle mengenmäßig vorherzusagen. Um diese Aufgabe erfüllen zu können, sind möglichst genaue Informationen über das Verhalten aller „nachgelagerten“ Glieder der logistischen Kette erforderlich. Anhand der Einführung eigener Warenwirtschaftssysteme mit artikelgenauer Verkaufsdatenerfassung, z.B. durch Scanning, und entsprechend artikelgenauer Bestandsführung in den nachgelagerten operativen Einheiten wird die Informationsbasis für Prognoseverfahren vor allem für die übergeordneten operativen Einheiten wesentlich erweitert. Die Absatzprognose eines Lagers muss damit nicht mehr auf den eigenen Abverkaufsdaten aufbauen, sondern sie kann stattdessen auf den Abverkaufsdaten der Ver-
286
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
kaufsstellen, die von diesem Lager beliefert werden, basieren. Zudem existieren weiter gehende Verfahren, bei denen auf die Daten der gesamten Wertschöpfungskette zurückgegriffen werden kann. Dadurch ergeben sich u.a. die folgenden Vorteile: x Die Absatzprognose einer beliebigen operativen Einheit rückt näher an das Verhalten der Endverbraucher bzw. Abnehmer. x Sie „überspringt“ eine oder mehrere Stufen in der logistischen Kette und wird damit zeitnäher. x Durch Ausfiltern des – möglicherweise auch fehlerbehafteten – Verhaltens von Zwischenstufen in der Wertschöpfungskette wird sie weniger fehleranfällig und damit genauer. Neue Prognoseverfahren können also auf den Abverkaufsdaten beliebiger, dabei auch einer Vielzahl operativer Einheiten aufbauen. Der häufigste Fall in der Praxis ist dabei der, dass die Prognoseverfahren in einer operativen Einheit Verkaufsstelle auf den eigenen Abverkaufsdaten aufbauen, während der die Prognosen der operativen Einheit Lager auf den Abverkaufsdaten der von diesem Lager belieferten Verkaufsstellen basieren. Die Prognosen sind dabei umso genauer, je stärker sie auf den Abverkaufsdaten an den Endkunden der Wertschöpfungskette aufbauen. Für unterschiedliche Artikelgruppen oder unterschiedliche operative Einheiten können verschiedene Prognoseverfahren ausgewählt werden. Dabei können unterschiedliche Einflüsse berücksichtigt werden, wie insbesondere: x x x x
Trend Saisoneinflüsse Kalendersaisonalitäten (wie Ostern, Pfingsten usw.) Marketingaktivitäten (wie Sonderaktionen).
Es ist bereits angedeutet worden, dass der Prognosezeitraum variabel sein muss. Eine Prognose kann entsprechend z.B. auf der Basis „Tag“, „Woche“ oder „Monat“ bzw. auch für beliebige Teilmengen oder Vielfache dieser Basiswerte durchgeführt werden. Darüber hinaus kann das Prognosesystem sowohl ein klassisches BatchVerfahren vorsehen, wobei für alle Artikel einer operativen Einheit in einem meist umfangreichen IT-Verfahren entsprechende Prognosen erstellt werden. Das Prognosesystem kann aber auch individuell für einen einzelnen Artikel im Dialog angestoßen werden. Im Rahmen der Bedarfsvorhersage mithilfe von Methoden der kurzfristigen Prognose wird oftmals basierend auf vergangenen Bedarfswerten der
3.4 Aufgabenbereiche von Warenwirtschaftssystemen
287
zu erwartende Bedarf für einen zukünftigen Zeitraum ermittelt, den so genannten Prognosehorizont. Für die kurzfristige Prognose in Warenwirtschaftssystemen werden häufig die Verfahren der exponentiellen Glättung herangezogen. Dabei sind konstante, lineare oder quadratische Trendfunktionen denkbar. Eine quadratische Trendfunktion hat dabei die folgende Struktur: Yt,d = Mt + Tt*d + Qt*d2
(3.1)
Yt,d = Bedarfsvorhersage für Periode t+d, die in der Periode t erstellt wird Mt = Mittelwert des Bedarfs zum Zeitpunkt t Tt = linearer Trend der Zeitreihe in Periode t Qt = quadratischer Trend der Zeitreihe in Periode t Der wesentliche Vorteil der Verfahren der exponentiellen Glättung für die konkrete Realisierung in Warenwirtschaftssystemen liegt in der rekursiven Berechnung der geglätteten Mittelwerte, bei der jeweils nur der tatsächliche Bedarf der vorangegangenen Periode und der in der vorigen Periode berechnete geglättete Mittelwert benötigt werden. Die tatsächlichen Bedarfswerte weiterer vorangegangener Perioden sind implizit in den geglätteten Mittelwerten enthalten. Für die informationstechnische Realisierung besonders vorteilhaft ist dabei der geringe Speicherplatz für die Bedarfswerte der Vergangenheit. Eine besondere Bedeutung kommt bei diesem Verfahren den Glättungsparametern zu, über die gesteuert wird, wie stark die Vergangenheitswerte für die neue Prognose gewichtet werden. Für große Werte werden die aktuellen Bedarfswerte stärker berücksichtigt, das Verfahren passt sich also Veränderungen im Bedarf an. Das Verfahren der exponentiellen Glättung ist insbesondere für Artikel mit stabiler Abverkaufsentwicklung relevant, da zufällige Bedarfsschwankungen dabei nur wenig Einfluss auf die Prognose haben. Als weitere relevante Prognoseverfahren sind deshalb Prognoseverfahren für Artikel mit unregelmäßiger Nachfrage sowie Prognoseverfahren für Modeartikel erforderlich. Diese Verfahren werden für Artikel mit stark schwankender Nachfrage eingesetzt. Bei Prognoseverfahren für Modeartikel erfolgt i.d.R. nicht eine Bedarfsvorhersage für eine Periode t, sondern für die Summe der Bedarfe vom Beginn eines Saisonzyklus bis zu einer Periode t + d. Durch solche Vorgehensweisen werden die hohen Nachfrageschwankungen teilweise wieder eliminiert. Wichtig ist somit die Berücksichtigung besonderer Nachfrageschwankungen, die z.B. durch Saisonalität oder Marketingaktivitäten ausgelöst werden. Die Berücksichtigung von Saisoneinflüssen erfolgt i.d.R. über die
288
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
zusätzliche Berechnung von Saisonfaktoren, die also multiplikativ in die sonst üblichen Prognoseverfahren eingehen. Wichtig ist dabei, dass die Anzahl der Perioden eines Saisonzyklus variabel gehalten wird, d.h., es muss möglich sein, solche Saisonfaktoren z.B. auf Wochen- oder auf Monatsbasis führen zu können. Außerdem müssen die Saisonfaktoren durch Berechnung der jeweils neuen aktuellen Werte laufend automatisch angepasst werden können, um zu optimalen Ergebnissen zu kommen. Die Berücksichtigung der Saisonalität kann leicht zu einer für den Anwender nicht mehr zu beherrschenden „Datenflut“ führen, wenn nicht beim Systementwurf entsprechend vorgebeugt wird: x Die Berechnung der Saisonfaktoren muss automatisch erfolgen. Der Anwender sollte keinen manuellen Aufwand diesbezüglich haben. x Es muss möglich sein, Saisonfaktoren auch für ganze Warengruppen zu vergeben. x Damit das System auch für neu angelegte Artikel einsetzbar ist, sollte der Saisonverlauf eines vergleichbaren Artikels derselben Warengruppe als Voreinstellung zunächst automatisch angenommen werden. Eine besondere Form der Saisonalitäten sind die sog. Kalendersaisonalitäten. Hierunter versteht man Bedarfsschwankungen, die durch die unterschiedliche Anzahl von Arbeitstagen innerhalb der verschiedenen Perioden eines Jahres hervorgerufen werden. Dabei sind insbesondere die folgenden Fälle hervorzuheben: x Der Bedarf wird durch die Anzahl der Arbeitstage nicht beeinflusst. x Der Bedarf sinkt mit fallender Anzahl von Arbeitstagen. x Der Bedarf steigt mit fallender Anzahl von Arbeitstagen (z.B. bei feiertagsspezifischen Konsumgütern). Die Kalendersaisonalität spielt eine bedeutende Rolle in den Prognosesystemen, wenngleich sie in der Praxis oftmals nicht berücksichtigt wird. Dies wiederum stellt eine der typischen Fehlerquellen für Prognosen dar, weil durch solche Nichtberücksichtigungen häufig eigentlich einfach zu erklärende Bedarfsschwankungen als mögliche „Trendwenden“ interpretiert werden. Eine weitere Komponente, die häufig zu Problemen im Rahmen der Prognosen führt, stellen Marketingaktivitäten, wie z.B. Sonderaktionen, Werbemaßnahmen usw., dar. Solche Aktionen führen i.d.R. für die Dauer der Aktivität zu erhöhten Bedarfswerten und sind anschließend mit einem entsprechenden Nachfragerückgang verbunden. Die Berücksichtigung solcher Marketingaktionen kann durch eine multiplikative Komponente in der Prognoseformel realisiert werden.
3.4 Aufgabenbereiche von Warenwirtschaftssystemen
289
Bestellpunktrechnung Bei der Bestellpunktrechnung wird der Zeitpunkt ermittelt, zu dem eine Bestellung ausgelöst werden soll.163 Dabei sind v.a. die folgenden Aufgaben zu erfüllen: x Berechnung des Sollbestandes x Vergleich zwischen Soll- und Istbestand x Festhalten aller Fälle, in denen der Sollbestand größer als der Istbestand ist (zur weiteren Verarbeitung in den folgenden Dispositionsschritten), dabei jeweils bezogen auf den einzelnen Artikel, der in der betreffenden operativen Einheit gelistet ist. Der Sollbestand ist definiert als der Bestand, dessen Unterschreiten eine Weiterverarbeitung, i.d.R. eine Bestellung, im Dispositionsverfahren auslöst. Er kann für jede operative Einheit, jede Artikelgruppe bzw. jeden Artikel über verschiedene Algorithmen festgelegt werden. Diese Algorithmen müssen entsprechend in der Datenbank abgespeichert oder parametergesteuert eingesetzt werden. In der Regel erfolgt die Bestellpunktrechnung einmal pro Tag. Denkbar sind auch kürzere (oder längere) Intervalle bis hin zu einem kontinuierlichen Bestandsabgleich möglich. Bei einigen Verfahren wird auch der Bestellpunkt selbst immer wieder neu berechnet, insbesondere um den Sicherheitsbestand an mögliche Änderungen der Bedarfsschwankungen besser anpassen zu können. Diese Neuberechnungen werden in etwas größeren Intervallen durchgeführt, z.B. einmal pro Woche oder einmal pro Monat. Im Rahmen der Bestellpunktrechnung sind verschiedene Berechnungsverfahren denkbar, so insbesondere x x x x
die gleitende Bestellpunktermittlung die Bestellpunktermittlung über die Bestandsreichweite das Bestellrhythmusverfahren die manuelle Festlegung des Bestellpunktes über Parametersteuerung.
Je nach Genauigkeit werden in diesen Verfahren zur Berechnung des Bestellpunktes z.B. folgende Faktoren berücksichtigt: x der aktuelle Warenbestand der operativen Einheit x offene Wareneingänge, die eine zukünftige Bestandserhöhung bewirken x offene Bestellungen von Abnehmern, die eine zukünftige Bestandsminderung bewirken x die Lieferzeit des Lieferanten 163
Vgl. hierzu auch Abschnitt 2.4.2.3.
290
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
x sonstige einschränkende Lieferbedingungen des Lieferanten wie z.B. feste Bestell- oder Liefertage, Werksferien, maximale Anzahl von Lieferungen pro Zeitintervall usw. x die Bedarfsvorhersage für den Zeitraum von der Bestellauslösung bis zum Eintreffen der Lieferung x die gewünschte Lieferbereitschaft x die Nachfrageschwankungen x Lieferzeitschwankungen x der Sicherheitsbestand x die Lagerkapazität zum Zeitpunkt der Lieferung x die Wareneingangskapazität zum Zeitpunkt der Lieferung. Eine spezifische Form der Bestellpunktrechnung ist die gleitende Bestellpunktermittlung, bei welcher der Bestellpunkt nach folgender Formel berechnet wird: Bestellpunkt = (Wiederbeschaffungszeit * Prognose pro Tag) + Sicherheitsbestand
(3.2)
Bei der Bestellpunktrechnung über die Bestandsreichweite wird der Bestellpunkt in Zeiteinheiten berechnet. Es wird zunächst die Zeit ermittelt, für die der verfügbare Bestand den voraussichtlichen Bedarf decken soll, die so genannte Solleindeckzeit. Anschließend wird die Zeit berechnet, für die der verfügbare Bestand ausreicht, um den Bedarf zu decken, die so genannte Isteindeckzeit. Wenn die Isteindeckzeit kleiner als die Solleindeckzeit ist, wird eine Bestellung ausgelöst. Beim Bestellrhythmusverfahren als Verfahren der Bestellpunktrechnung wird von wesentlich starreren Verhältnissen ausgegangen. Dabei wird nicht dann bestellt, wenn ein bestimmter Bestellpunkt erreicht ist, sondern es wird ein fester Bestell- und Lieferrhythmus vorgegeben. Es wird dann jeweils der Bedarf bis zum nächsten Liefertermin bestellt oder es wird auf einen bestimmten Maximalbestand, den so genannten Normbestand, aufgefüllt. Den Ausgangspunkt dieses Verfahrens bildet hierbei eher eine Deckungsbeitragsoptimierung pro Regalmeter in einer Verkaufsstelle. Damit wird hierbei eine andere Zielrichtung als bei den auf eine Lagerbewirtschaftung ausgerichteten Verfahren verfolgt. Über entsprechende Optimierungsverfahren kann dabei für jeden Artikel die ihm maximal zur Verfügung stehende Regalfläche berechnet werden – der so genannte Normbestand. Eine Bestellung wird ausgelöst, sobald dieser Normbestand unterschritten ist. Dies erfolgt, indem (in der Bestellmengenrechnung) auf den Normbestand aufgefüllt wird. Das einfachste Verfahren ist die manuelle Festlegung des Bestellpunktes. Dabei legt der Anwender über den Bestellpunkt selbst fest. Im zweiten
3.4 Aufgabenbereiche von Warenwirtschaftssystemen
291
Schritt der Bestellpunktrechnung erfolgt der Abgleich zwischen dem errechneten Bestellpunkt und dem aktuellen Istbestand. Es erfolgt die Vorbereitung zur Bestellung, falls der Sollbestand größer oder gleich dem Istbestand ist. Wie oben bereits kurz angedeutet, sind im Rahmen der konkreten Bestellpunktrechnung unterschiedliche Faktoren zu berücksichtigen. Insbesondere sind dabei die folgenden Aspekte relevant: x Berücksichtigung fester Liefertermine: Wenn ein Lieferant einen festen Liefertag hat, muss dies in der Bestellpunktrechnung berücksichtigt werden. Es genügt also nicht, den Vergleich von Soll- und Istbeständen auf Basis der aktuellen Bestände durchzuführen, sondern es muss die Einbeziehung der Lieferzeit, fester Liefertage und der Absatzprognose für diesen Zeitraum erfolgen. x Verbunddispositionen nach dem Bestellpunktverfahren164: Für alle Artikel des Verbundes wird der Bestellpunkt ermittelt und geprüft, ob dieser Bestellpunkt erreicht ist. Wenn dies für einen Artikel des Verbundes zutrifft, werden auch alle anderen Artikel dieses Verbundes mitbestellt. x Verbunddisposition über die Lagerreichweite: Bei diesem Verfahren werden nur so viele Artikel mitbestellt, wie zum Erreichen vorgegebener Rabattstaffeln sinnvoll ist. Das Ziel ist es dabei, die Bestellmengen so zu optimieren, dass alle Artikel eines Verbundes ihren Bestellpunkt gleichzeitig erreichen. Bestellmengenrechnung Aufgabe dieses Subsystems ist die Berechnung der aktuellen Bestellmengen für die jeweilige Bestellung.165 Es existieren unterschiedliche Verfahren, aus denen für bestimmte Artikel oder Warengruppen in einer bestimmten operativen Einheit das am besten geeignete Verfahren ausgewählt werden kann. Folgende Faktoren können bei der Berechnung der optimalen Bestellmenge eine Rolle spielen: x Lagerhaltungskosten Kosten der Kapitalbindung Kosten der Lagerung Kosten der Sonderbewegungen (Umlagerungen usw.) Kosten der Datenerfassung Unter einem Verbund wird in diesem Zusammenhang eine Gruppe von Artikeln eines Lieferanten verstanden, für die gemeinsam Einkaufskonditionen, wie z.B. Mengenstaffeln, gewährt werden. 165 Vgl. hierzu auch Abschnitt 2.4.2.3. 164
292
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x Bestellkosten Kosten der Lieferantenauswahl Kosten der Artikelauswahl Kosten der Warendisposition Kosten der Wareneingangsplanung Kosten der Wareneingangserfassung Kosten der Einlagerung x Prognose über den zu erwartenden Bedarf x Lagerkapazität x Wareneingangskapazität x Einkaufskonditionen Mengenstaffeln Verbundkonditionen sonstige mengenabhängige Konditionen zukünftige Preisänderungen. Als Bestellmengenrechnungs-Varianten sind insbesondere denkbar: x Disposition mit fester Bestellmenge (Bestellpunktverfahren): Bei diesem einfachen Verfahren wird immer, wenn der Bestellpunkt erreicht ist, eine Bestellung mit einer fest vorgegebenen Bestellmenge ausgelöst, also z.B. immer eine volle Palette oder ein ganzer LKW. x Disposition mit fester Eindeckzeit (Bestellrhythmusverfahren): Die Bestellmenge wird so festgelegt, dass damit der Bedarf für ein bestimmtes Zeitintervall, z.B. eine Woche, gedeckt wird. Wie hoch dieser Bedarf ist, wird über das Prognosesystem berechnet. x Optimierung über klassische Losgrößenrechnung:166 Anhand der klassischen Andler’sche Losgrößenformel wird die optimale Bestellmenge pro Artikel unter Berücksichtigung der Bestell- und Lagerungskosten bestimmt. Bei der Losgrößenrechnung sind unterschiedliche Erweiterungen denkbar, auf die im Folgenden kurz eingegangen wird:167 1. Losgrößenrechnung mit Berücksichtigung von Rabattstaffeln: Rabattstaffeln oder Mengenstaffeln sind Einkaufskonditionen, die für das Erreichen bestimmter (höherer) Bestellmengen eingeräumt werden. Um 166 167
Vgl. hierzu detailliert Abschnitt 2.4.2.3. Über die im Folgenden dargestellten Methoden hinaus existiert eine Vielzahl weiterer Bestellmengenrechnungsverfahren (insbesondere aus dem Bereich der dynamischen Optimierung) auf deren detaillierte Diskussion an dieser Stelle verzichtet wird.
3.4 Aufgabenbereiche von Warenwirtschaftssystemen
293
diese zu berücksichtigen, wird berechnet, wie viel eine Abweichung von der optimalen Bestellmenge – hier ein Anheben auf die nächste Rabattstaffelgrenze – kostet. Dadurch wird der Mindestrabattsatz berechnet, d.h. der Rabattsatz, der mindestens gewährt werden muss, damit sich die entsprechende Mehrbestellung gemäß der Rabattstaffeluntergrenze lohnt. 2. Losgrößenrechnung mit Berücksichtigung von Preiserhöhungen: Preiserhöhungen werden häufig vom Lieferanten mehr oder weniger langfristig im Voraus bekannt gegeben. Für den Disponenten stellt sich dann die Frage, ob es lohnenswert ist, noch vor Inkrafttreten der Preiserhöhung eine Bevorratung mit dem betreffenden Artikel vorzunehmen, was bedeuten würde, das mehr bestellt würde als die optimale Bestellmenge gemäß der klassischen Losgrößenformel. In diesem Zusammenhang besteht in der Handelspraxis oftmals die Tendenz, mehr einzukaufen als rechnerisch sinnvoll wäre, was zu unnötig hohen Lagerbeständen führen kann.168 Die Berücksichtigung von Preiserhöhungen stellt einen besonders wichtigen Bereich in der Bestellmengenrechnung dar. Entscheidend ist dabei, dass diese Berücksichtigung, d.h. in erster Linie die Bestellauslösung, im Rahmen eines Warenwirtschaftssystems automatisch erfolgt. Ein solches System sollte hierzu möglichst die folgenden Funktionalitäten beinhalten: Bei jeder Bestellauslösung für einen Artikel, für den eine zukünftige Preiserhöhung gespeichert ist, wird berechnet, ob dies gemäß der Bestandsreichweite die letzte Bestellung vor der Preiserhöhung sein wird. Ist dies der Fall, wird die optimale Bestellmenge mit einer gegenüber der klassischen Losgrößenformel leicht modifizierten Formel neu berechnet. Zum letztmöglichen Termin vor einer Preiserhöhung wird das gesamte Verfahren erneut durchlaufen. 3. Losgrößenformel mit Berücksichtigung von Sonderangeboten: In diesem Zusammenhang steht die Frage im Vordergrund, welche Mengen bei zeitlich begrenzten Sonderangeboten disponiert werden sollen. Die Grundkonzeption entspricht weit gehend der Vorgehensweise bei Preiserhöhungen. 4. Dynamische Losgrößenrechnung: Bei den Verfahren der dynamischen Losgrößenrechnung169 erfolgt die Berechnung der optimalen Bestellmenge ohne die Vielzahl der einschränkenden Voraussetzungen der klassischen Losgrößenformel. Bei dem Verfahren mit konstantem Preis und konstanten Lagerhaltungskosten ist der Bedarf variabel im Zeitver168 169
Vgl. hierzu auch die Ausführungen zum „Bullwhip-Effekt“ in Abschnitt 2.5.1. Diese Verfahren werden auch als „gleitende Losgrößenrechnung” bezeichnet.
294
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
lauf. Der Bedarf für einen Artikel für mehrere zukünftige Intervalle lässt sich nicht in konstanter Form berechnen, sondern nur prognostizieren. Ist er vergleichsweise konstant, so reichen oftmals die Verfahren der klassischen Losgrößenberechnung aus. Unterliegen die Artikel jedoch vorhersagbaren Absatzschwankungen, z.B. Saison- oder Modeeinflüsse, ist die Anwendung dynamischer Losgrößenverfahren sinnvoll. Dabei können zusätzlich auch Mengenrabatte oder variable Lagerkosten in die Kalkulation einbezogen werden, sodass auch die Zunahme des Lagerrisikos bei einer längeren Eindeckzeit berücksichtigt werden kann. Die Anwendung der dynamischen Optimierungsverfahren ist an folgende Voraussetzungen gebunden: keine starken Bedarfsschwankungen keine Anwendbarkeit für Verbunddispositionen Bedarf endet nicht im Betrachtungszeitraum. 5. Verfahren des Stück-Perioden-Ausgleichs: Dieses Verfahren ähnelt den dynamischen Losgrößenrechnungen. Es ist leicht anwendbar, hat allerdings den Nachteil, dass die Wahl einer geeigneten Periode nicht einfach ist. 6. Losgrößenformel mit Verbundoptimierung: Im Rahmen der Verbundoptimierung steht die Bestimmung der optimalen Bestellmengen nicht nur für einzelne Artikel, sondern für eine Gruppe von Artikeln im Vordergrund, da oftmals für solche Artikelgruppen zusammengefasste Einkaufskonditionen gewährt werden. Der einfachste Lösungsansatz besteht darin, zunächst nicht die Bestellmenge, sondern die Eindeckzeit (für den gesamten Artikelverbund) zu optimieren, um dann von der optimierten Eindeckzeit mithilfe der Prognose auf die einzelnen Bestellmengen der Verbundartikel zurückzurechnen. Dieses Verfahren hat den Nachteil, dass bei jedem Bestellvorgang auch Artikel mit sehr niedrigem Absatz in kleinen Mengen mitbestellt werden, wobei auch Verfahren existieren, bei denen dies berücksichtigt wird und solche Artikel nur jedes i-te Mal mitbestellt werden, was erhebliche Kostensenkungspotenziale birgt. Der Sinn von Verbundbestellungen besteht i.d.R. darin, in den Genuss höherer Rabatte zu gelangen, die für die Bestellung größerer Mengen gewährt werden. Deshalb ist die Berücksichtigung von Rabattstaffeln auch besonders wichtig. Erfolgt dies, werden aufbauend auf der Losgrößenformel für die Verbundoptimierung die Kosten für eine Abweichung von der optimalen Bestellmenge berechnet und diese Kosten dann mit der Einsparung durch einen höheren Rabatt verglichen. 7. Dynamische Losgrößenformel bei Verbunddisposition: Bei diesem Verfahren werden nach der dynamischen Losgrößenformel zunächst die optimalen Einzellosgrößen berechnet. Daraus wird die optimale Eindeck-
3.4 Aufgabenbereiche von Warenwirtschaftssystemen
295
zeit für den Verbund abgeleitet, worauf basierend die optimale Bestellmenge für die einzelnen Artikel berechnet wird. 8. Auffüllen auf Normbestand: Dieses Verfahren zeichnet sich durch seine Einfachheit aus und wird deshalb schon seit langem in vielen Warenwirtschaftssystemen eingesetzt, dies typischerweise in den Verkaufsstellen, wo die effiziente Nutzung des zur Verfügung stehenden Regalplatzes im Vordergrund steht. Die Bestellmenge wird nach der folgenden Formel berechnet, wobei zusätzlich die voraussichtlichen Bestandsveränderungen in der Zeit zwischen Bestelltag und Liefertag berücksichtigt werden können: Bestellmenge = Normbestand – aktueller Bestand
(3.3)
Bestellauslösung und Bestelldatenübertragung Die Bestellauslösung ist i.d.R. die einfachste Stufe des Dispositionsverfahrens. Folgende Verfahren können dabei z.B. eingesetzt werden: x Manuelle Bestellauslösung im Dialog: Bei diesem Verfahren löst der Disponent die Bestellung mithilfe eines entsprechenden Dialogprogramms am Bildschirm direkt aus. Die Bestellung selbst kann er dabei vorher selbst zusammengestellt haben, es kann sich aber auch um einen automatisch erzeugten Bestellvorschlag des Systems handeln. x Manuelle Bestellauslösung über Mobile Datenerfassung (MDE): MDEGeräte werden zur Bestellauslösung vor allem in Verkaufsstellen eingesetzt. Die Bestellmengen werden direkt am Regal erfasst und später an den Lieferanten und das Zentrallager übertragen. x Automatische Bestellauslösung: Bei der automatischen Bestellauslösung wird die Bestellung direkt durch das IT-System ausgelöst. Die Bestellung ist dabei i.d.R. ebenfalls automatisch generiert worden, es sind jedoch auch Fälle denkbar, in denen die Bestellungen manuell generiert werden, wie z.B. die automatische Bestellauslösung von vorher über MDE-Geräte eingegebenen Bestellungen. Hinsichtlich der eigentlichen Bestellübermittlung, also der Übertragung der Bestelldaten an den Lieferanten, sind mehrere Varianten vorstellbar, so z.B.: x mündliche Übertragung, i.d.R. per Telefon x schriftliche Übertragung, z.B. per Telefax oder Postbrief x automatische Übertragung, z.B. EDIFACT.
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3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
Der manuelle Aufwand bei den ersten beiden Varianten ist dabei sehr hoch, sodass immer stärker Verfahren der automatischen Übertragung der Bestelldaten eingesetzt werden. Konfigurierung der Dispositions-Verfahren für operative Einheiten Grundsätzlich wird die Auswahl eines Dispositionsverfahrens für eine operative Einheit und einen bestimmten Artikel oder eine Artikelgruppe über die Parametersteuerung vom Anwender festgelegt. Dabei können unterschiedliche Maßstäbe angelegt werden. In der Regel wird z.B. für eine Verkaufsstelle ein einfacheres Dispositionsverfahren ausgewählt als für ein Zentrallager. Auch für einzelne Artikel werden – z.B. auf der Basis von ABC-Analysen, Bestellrhythmen oder ähnlichen Kriterien – meist unterschiedliche Verfahren gewählt. PROGNOSEVERFAHREN
BESTELLMENGENRECHNUNG
- bei Saisoneinflüssen - bei unregelmäßiger Nachfrage - bei Modeeinflüssen - Trend - Exponential-Glättung
- Auffüllen auf Normbestand - Stück-Perioden-Ausgl. - dynamische Losgröße - feste Bestellmenge/Eindeckzeit - klassische Losgröße
DISPOSITIONSVERFAHREN BESTELLPUNKTRECHNUNG - fester Bestellpunkt - gleitender Bestellpunkt - feste Liefertermine - Lagerreichweite - Bestellrhythmusverfahren
BESTELLAUSLÖSUNG - automatisch - manuell
Abb. 3.29. Konfigurierung individueller Dispositionsverfahren
Bei der Konfigurierung jeweils geeigneter Dispositionsverfahren aus dem Alternativenspektrum (s. Abb. 3.29.) können unterschiedliche Einflussfaktoren eine Rolle spielen und damit möglicherweise den Einsatz jeweils unterschiedlicher Verfahren erforderlich machen, so insbesondere: x die operative Einheit x der Lieferant
3.4 Aufgabenbereiche von Warenwirtschaftssystemen
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x die Warengruppe x der Artikel. Die Anforderungen der unterschiedlichen operativen Einheiten wirken sich am stärksten bei der Auswahl des geeigneten Dispositionsverfahrens aus. So könnte eine Verkaufsstelle oftmals mit sehr einfachen Verfahren wie dem Auffüllen auf einen Sollbestand oder Normbestand arbeiten, während im Lagerbereich der Einsatz komplexer Verfahren erforderlich sein kann und während die Zentralen wiederum eher mit einfachen Verfahren arbeiten, wie z.B. mit Zuteilungen, bei denen zuvor fest ausgehandelte Bestellmengen nach bestimmten Verteilerschlüsseln auf Verkaufsstellen oder Lager verteilt werden. Auch der Lieferant kann das Dispositionsverfahren maßgeblich beeinflussen. In diesem Zusammenhang ist z.B. die Unterscheidung zwischen Lagerbelieferung und Streckenbelieferung relevant. Weitere Einflussfaktoren können aus den Lieferbedingungen der Lieferanten resultieren. Wenn z.B. der Lieferant grundsätzlich nur am ersten Montag im Monat liefert, wird häufig ein einfaches Verfahren, z.B. das Bestellrhythmusverfahren, ausgewählt. Der Einfluss von Warengruppen oder einzelnen Artikeln kann sehr vielfältig und dabei ganz unterschiedlicher Art sein. Beispiele in diesem Zusammenhang sind: x Konsumgüter des täglichen Bedarfs werden anders disponiert als Gebrauchsgüter. x Modische Textilartikel werden auf der Basis spezieller Prognoseverfahren disponiert. x Frischeprodukte werden erst nach Bestelleingang der Verkaufsstellen beim Lieferanten bestellt. Das Dispositionsverfahren besteht also schlicht in der Bündelung der Filialbestellungen. x Artikel mit konstantem Absatz werden anders disponiert als solche mit starken Absatzschwankungen. Auktionen und Bietverfahren Neben den bisher vorgestellten, „klassischen“ Verfahren zur Beschaffung von Ware hat das Internet die Möglichkeiten in den Beschaffungsprozessen des Handels wesentlich ausgeweitet.170 Zu diesem Bereich zählen in erster Linie Auktionen und Bietverfahren. Am Beispiel des Systems „mySAP Supplier Relationship Management“ können diese Beschaffungsprozesse illustriert werden. 170
Vgl. hierzu auch Abschnitt 1.4.2.
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3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
1. Bietverfahren/„Request for Quotation“ (RFQ): Mittels RFQ kann das Unternehmen qualifizierte Lieferanten dazu auffordern, Angebote zu Waren oder Dienstleistungen gemäß ausgeschriebener Anforderungen abzugeben. Die Angebote der Lieferanten im Rahmen eines solchen Prozesses sind i.d.R. endgültig und bindend, sodass diese Verfahren etwas weniger „wettbewerbsintensiv“ sind als die weiter unten beschriebenen „Reverse Auctions“. Im Rahmen des „mySAP SRM“-Systems wird ein solcher RFQ-Prozess unterstützt, indem ein „Request for Quotation“ automatisch – z.B. aus einem bestehenden Kontrakt – generiert werden kann. Dabei kann nicht nur auf den Preis, sondern auch auf beliebige sonstige Attribute Bezug genommen werden. Die Lieferanten können „Self-Service-Optionen“ nutzen, um automatisch über anstehende Bietverfahren informiert zu werden und das gesamte Bietverfahren kann automatisiert werden. Zudem können abgegebene Angebote direkt in Bestellungen umgewandelt werden. 2. „Reverse Auctions“: Anhand des „mySAP SRM“-Systems können zudem „umgekehrte Auktionen“ („reverse auctions“) online durchgeführt werden. Dabei werden potenzielle Lieferanten aufgefordert, online live an einer solchen Auktion teilzunehmen. Die Auktionen haben eine definierte Start- und Endzeit, innerhalb derer Gebote abgegeben werden können. Reverse Auctions sind dabei dadurch gekennzeichnet, dass sich die Lieferanten sukzessive „unterbieten“. Die Software ermöglicht es dabei, Lieferanten-Qualifikationen und Angebote zu analysieren und zu vergleichen. Kontraktmanagement Ein großer Teil aller Beschaffungen wird über Kontrakte abgewickelt. Entsprechend hat das Kontraktmanagement eine besondere Bedeutung innerhalb eines Warenwirtschaftssystems. Der typische Aufbau und die Möglichkeiten eines softwaregestützten Kontraktmanagements können wiederum am Beispiel von „mySAP SRM“ dargestellt werden. Grundsätzlich kann das Kontraktmanagement in die Bereiche Vorbereitung, Verhandlung, Durchführung und Monitoring eingeteilt werden. In der Vorbereitungs- und Verhandlungsphase wird ein Kontrakt entworfen und verabschiedet. Diese Phasen werden im Rahmen des mySAP-Systems durch Workflow-Prozesse unterstützt, alle Veränderungen werden kontrolliert und protokolliert. Beim Anlegen eines neuen Kontrakts kann im Unternehmen bereits vorhandenes Wissen einbezogen werden, indem der Anwender z.B. auf einem bereits vorhandenen Kontrakt oder auf einem Kontrakt-Template aufsetzen kann.
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Auch der gesamte Kontrakt-Entwicklungs-Prozess wird im Rahmen dieses Systems unterstützt, einschließlich regelbasierter Bestätigungs-Workflows und Kontrakt-Freigabe-Strategien. Im Entscheidungsprozess können Vergangenheitsdaten herangezogen werden und mittels vordefinierter Reports können die Key-Performance-Indicators171 des Lieferanten oder Umsatzanalysen für alternative Artikel oder Lieferanten online analysiert werden. Sind die Kontrakte ausgehandelt und freigegeben, können sie automatisch an alle betroffenen Subsysteme weitergeleitet werden. Soll Ware bestellt werden, unterstützt das System die Auswahl des bestmöglichen Kontrakts und Bestellungen werden automatisch entsprechend den Kontraktkonditionen generiert, wobei auch Rabatte und Mengenstaffeln berücksichtigt werden. Das Kontrakt-Monitoring dient schließlich der Überwachung aller aktiven Kontrakte. Sie werden dabei online hinsichtlich Status und Ausnutzung auf dem aktuellen Stand gehalten. Ebenso erfolgt eine Überwachung von Auslaufbedingungen und automatischen Kontraktverlängerungen. 3.4.4.3 Wareneingang Anforderungen an das Wareneingangsmodul Der Wareneingang ist bei weitem nicht so komplex wie die Disposition. Folgt man den Grundprinzipien der Definition operativer Einheiten sowie der Vereinfachung durch Vereinheitlichung, so liegen die Hauptanforderungen hinsichtlich des Wareneingangsmoduls in Warenwirtschaftssystemen in den folgenden Bereichen: x Das Subsystem Wareneingang muss in allen operativen Einheiten einsetzbar sein. Es sind somit gleiche Funktionalitäten des Wareneingangs z.B. in Verkaufsstellen und Lägern vorzusehen. x Der Lieferweg, auf dem die Ware eine operative Einheit erreicht, sollte nicht notwendigerweise wesentliche Unterschiede in der Abwicklung des Wareneingangs erforderlich machen. Es sollte also z.B. keine Unterscheidung zwischen Lager- und Streckenbelieferung in der operativen Einheit Verkaufsstelle erfolgen. x Alle Sonderfälle von Wareneingängen, d.h. insbesondere alle Retouren und Umlieferungen, sollten weitestgehend über das normale Wareneingangssystem abgewickelt werden. Allgemein werden im Subsystem Wareneingang alle Vorgänge abgewickelt, die notwendig sind, um in einer operativen Einheit beliebige Waren171
Siehe hierzu auch Abschnitt 4.2.2.2.
300
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
lieferungen zu vereinnahmen. Zu den notwendigen Aktivitäten zählen insbesondere: x x x x
Identifizierung des Wareneingangs Kontrolle der Ware Vereinnahmung der Ware Meldung an das Abrechnungssystem.
Als Formen von Warenlieferungen, die im Rahmen dieses Moduls zu berücksichtigen sind, kommen z.B. in Frage: x Lieferungen von Lieferanten x Lieferungen von anderen operativen Einheiten (z.B. von der operativen Einheit Lager an die operative Einheit Verkaufsstelle) x Retouren vom Endverbraucher x Retouren von anderen operativen Einheiten x Umlieferungen von anderen operativen Einheiten x Warenlieferungen zur direkten Weiterleitung an andere operative Einheiten, Lieferanten oder Abnehmer, die nicht von der operativen Einheit, an die sie geliefert werden, vereinnahmt, sondern an andere Stellen weitergeleitet werden sollen, wie z.B.: Retouren von einer Verkaufsstelle, die an den Lieferanten zurückgesandt werden sollen vorkommissionierte Ware, d.h. Ware, die der Lieferant vorkommissioniert an das Lager schickt, das diese Ware wiederum direkt an die Verkaufsstellen weiterleitet172 Umlieferungen, die von Verkaufsstelle A an Verkaufsstelle B gehen sollen, aus technischen Gründen aber einen „Umweg“ über das zuständige Lager machen. Grundsätzlich muss das Wareneingangsmodul auf zwei verschiedenen Ausgangssituationen aufsetzen können: Entweder liegt dem Wareneingang im IT-System eine Bestellung vor oder es liegt dem IT-System im Wareneingang keine Bestellung vor. Dabei kann es z.B. der Fall sein, dass alle angelieferten Artikel gelistet sind oder es gibt in der anstehenden Lieferung nicht gelistete Artikel. Diese Fallunterscheidung ist nur dann denkbar, wenn zu dem entsprechenden Wareneingang im IT-System keine Bestellung vorliegt, da es nicht möglich ist, mit dem Dispositionssystem nichtgelistete Artikel zu bestellen.
172
Vgl. hierzu die Ausführungen zum Cross-Docking in Abschnitt 2.4.2.2.
3.4 Aufgabenbereiche von Warenwirtschaftssystemen
301
Funktionale Gestaltung In einer groben und beispielhaften Ablaufbeschreibung wird im ersten Schritt der Wareneingang anhand der Lieferpapiere und den im IT-System gespeicherten offenen Bestellungen identifiziert. Dieser Schritt ist optional, d.h., im Prinzip kann dieser erste Schritt auch weggelassen werden, wenn von der Ablauflogik her klar ist, dass im IT-System keine offenen Bestellungen gespeichert sind.173 Im zweiten Schritt werden die Wareneingangs-Kontrollunterlagen zusammengestellt. Diese Kontrollunterlagen dienen der Wareneingangskontrolle, in der die ankommenden Waren nach Mengen, Qualität und Stammdaten (Liefereinheiten, Gewicht, Größe, EAN, Preise usw.) überprüft werden. Auch dieser zweite Schritt kann optional im Ablauf weggelassen oder zumindest reduziert werden, was z.B. von vielen Handelsunternehmen im Wareneingang der Verkaufsstellen bei Lieferungen aus dem eigenen Zentrallager aus Kostengründen auch der Fall ist. Im dritten Schritt erfolgt die eigentliche Warenannahme mit der Einlagerungsanforderung an die Lagersteuerung. Dieser letzte Schritt ist nicht optional, da hier der entscheidende Punkt des Wareneingangs abgewickelt wird, nämlich die Bestandsveränderung. Die Abläufe im Wareneingang und damit die entsprechenden Abläufe im Warenwirtschaftssystem müssen insgesamt so gestaltet werden, dass sie für Läger aller Typen von operativen Einheiten einsetzbar sind. Betrachtet man dies an einem Beispiel innerhalb eines Handelsunternehmens, nämlich einem „echten“ Zentrallager und einer Verkaufsstelle, so wird offensichtlich, dass die Unterschiede im Wesentlichen in zwei Punkten liegen: x unterschiedliche Ladehilfsmittel x unterschiedliche Mengen. Im Wareneingang in den Lägern werden als Ladehilfsmittel meistens verschiedene, aber genormte Palettentypen verwendet, auf denen oft nur ein, fast immer aber nur wenige unterschiedliche Artikel gepackt sind, während für die Belieferung der Verkaufsstellen häufig Rollcontainer verwendet werden, in denen meist viele verschiedene Artikel untergebracht werden.174 Die unterschiedliche Größenordnung der gelieferten Mengen ist offensichtlich. Im Wareneingang eines Lagers muss ein deutlich größeres Volumen abgewickelt werden als im Wareneingang einer Verkaufsstelle. Dies ist i.d.R. im Streckengeschäft bei nicht artikelgenauer Bestandsführung in den Verkaufsstellen bei einer nachträglichen Lieferscheinerfassung der Wareneingänge in der Zentrale der Fall. 174 Vgl. hierzu auch Abschnitt 2.4.3.2. 173
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Die angesprochenen Unterscheidungsmerkmale sind jedoch im Rahmen der Realisierung des Wareneingangsmoduls in einem Warenwirtschaftssystem irrelevant, sodass keine zusätzlichen Funktionalitäten erforderlich sind. Die Zielsetzung, ein von der Grundkonzeption her identisches Wareneingangsmodul für alle operativen Einheiten aufzubauen, bedingt in diesem Zusammenhang lediglich die Einführung des verallgemeinerten und parametrisierbaren Begriffs „Ladehilfsmittel“ anstelle einer starren Zuordnung von Paletten, Rollcontainern usw. Hierdurch wird gleichzeitig eine erhöhte Flexibilität geschaffen, da unterschiedliche Ladehilfsmittel ohne zusätzlichen Aufwand auch in einer einzelnen operativen Einheit angenommen und verarbeitet werden können. Sonderfälle im Wareneingang Im Bereich des Wareneingangs sind unterschiedliche Sonderfälle zu berücksichtigen. Diese können im Sinne der „Vereinfachung durch Vereinheitlichung“ in der nachfolgend dargestellten Form in ein Warenwirtschaftssystem integriert werden: x Wareneingang ohne Bestellung: Sowohl im Lagergeschäft also auch im Streckengeschäft kommt es vor, dass Warenlieferungen eintreffen, für die keine Bestellungen im Warenwirtschaftssystem vorliegen. Der einfachste Lösungsansatz für eine IT-technische Umsetzung dieses Problems besteht darin, dass zunächst eine entsprechende Bestellung erzeugt wird, die anschließend weiterverarbeitet wird. Diese Lösung ist allerdings dann etwas umständlich, wenn, dieser Fall sehr häufig vorkommt oder wenn auf Grund einer Verteilung der gesamten Warenwirtschaftsdatenbank auf mehrere Stellen im Unternehmen ein Zugriff auf die Disposition im Wareneingang nicht möglich ist, wie es bei dedizierten Lagerlösungen z.T. der Fall ist. Ein zweiter Lösungsansatz besteht daher in einer Verallgemeinerung des oben dargestellten Wareneingangssystems dahingehend, dass mit derselben Bildschirmmaske auch vollständige Wareneingänge direkt im Dialog erfasst werden können, ohne dass dabei auf eine offene Bestellung zugegriffen wird. x Wareneingang mit nicht gelisteten Artikeln: Der einfachste Lösungsansatz dieser Problematik besteht darin, den betreffenden Artikel zunächst zu listen, um dann wie im Sonderfall „Wareneingang ohne Bestellung“ fortzufahren. Als zweite Möglichkeit wäre es denkbar, die bestimmte Sammelartikel bzw. Warengruppen zu verwenden, für die dann allerdings lediglich eine wertmäßige, aber keine mengenmäßige Bestandsführung möglich wäre.
3.4 Aufgabenbereiche von Warenwirtschaftssystemen
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x Retouren: Retouren können ebenfalls anhand des Wareneingangsprogramms abgewickelt werden. Die eigentliche Verarbeitung kann wie bei einem normalen Wareneingang erfolgen, d.h., der Anwender sucht zu der Retoure eine „offene Bestellung“, die im Normalfall vorhanden sein müsste, da auch Retouren i.d.R. vorher zwischen den betroffenen operativen Einheiten abgesprochen werden. Sollte eine offene Bestellung für die Retoure nicht vorliegen, erfolgt die Abwicklung wie bei einem normalen Wareneingang ohne Bestellung. Es kann aber unterschiedliche Behandlungen der Retouren gegenüber einem normalen Wareneingang im Abrechnungssystem geben. Diese Unterschiede können durch Differenzierung bei den Abrechnungsmeldungen, die an das Abrechnungssystem geschickt werden, berücksichtigt werden. x Umlieferungen: Umlieferungen werden analog der Retouren behandelt. Sie stellen im Prinzip nur eine Verallgemeinerung der Retouren dar, da sie zwischen beliebigen operativen Einheiten vorkommen können. Hinsichtlich des funktionalen Ablaufs können Retouren und Umlieferungen gleich behandelt werden. 3.4.4.4 Lagerverwaltung Lagerung in den operativen Einheiten Die Lagerverwaltung stellt das Bindeglied zwischen Wareneingang und Warenausgang dar. Aufgabe der Lagerverwaltung ist die Verwaltung der Ware während der Lagerung. In der Verkaufsstelle, die auch als „Lager“ interpretiert werden kann, schließt dies die Präsentation der Ware gegenüber dem Kunden im Verkaufsraum mit ein. Folgende funktionale Bereiche sind im Rahmen der Lagerverwaltung insbesondere zu berücksichtigen: x x x x x x x
Bestandsführung Einlagerung Auslagerung Umlagerung Inventur Lagerplatzverwaltung Präsentation der Ware.
Der Begriff des „Lagers“ wird in diesem Zusammenhang in einer doppelten Bedeutung verwendet: zum einen als operative Einheit Lager, im Gegensatz zu den operativen Einheiten Verkaufsstelle oder Zentrale, zum
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3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
anderen als Lagerraum zur Lagerung von Ware, wie er in jeder operativen Einheit vorkommen kann. Aus der Sicht der Lagerung kann ein so verstandenes Lager als eine Menge von Lagerplätzen definiert werden, denen bestimmte Eigenschaften zugewiesen werden. Solche Eigenschaften können z.B. sein: x x x x x x x
Lagertyp Greifzonenplatz Reservezonenplatz chaotische/feste Lagerplatzzuordnung verwendete Ladehilfsmittel (Paletten, Umkarton usw.) Position des Lagerplatzes (relativ zu anderen Lagerplätzen oder absolut) Länge, Breite, Höhe.
Häufig wird ein Lager in verschiedene Lagermodule unterteilt, in denen unterschiedliche Sortimentsbereiche gelagert werden, wie z.B. Obstläger, Frischeläger, Trockensortimentsläger, Textilläger usw. Ein Lagermodul stellt somit eine Teilmenge von Lagerplätzen dar, die nach bestimmten Kriterien zusammengefasst sind. In der hier vorgestellten Konzeption gibt es die Lagerverwaltung und die Lagerung von Ware in allen operativen Einheiten, also nicht nur im Lager, sondern auch in den Verkaufsstellen. Während aber in einem Lager die Definition eines einzelnen Lagerplatzes i.d.R. kein Problem darstellt – zumeist ist es ein spezifischer Platz innerhalb eines Regalsystems, auf dem eine Palette mit Ware gelagert werden kann –, ist dies in der Verkaufsstelle komplizierter, da es im Verkaufsraum oftmals eine solche feste Zuordnung von Ware zu Lagerplatz nicht gibt. In der Verkaufsstelle muss ein Lagerplatz offener definiert werden, da solche festen Abgrenzungen zwischen verschiedenen Plätzen oftmals nicht möglich sind: Auf einem gegebenen Raum in einem Regal können ein einziger Artikel mit mehreren Frontstücken oder auch mehrere verschiedene Artikel mit jeweils weniger Frontstücken gelagert werden. Mögliche Lagerplätze in der Verkaufsstelle sind also z.B. ein Regal, ein Regalboden oder ein fest definierter Teilbereich dieser Kategorien. Im Verkaufsraum einer Verkaufsstelle ist dabei auch möglich, dass ein Artikel auf mehreren Lagerplätzen gleichzeitig gelagert wird (z.B. Zweitplatzierung). Auf Grund des Trends zu neuen Logistik-, dabei insbesondere Lagerkonzeptionen, wie z.B. Automatisierungen im Lagerbereich, ist im Rahmen des Warenwirtschaftssystems eine Lagerkonzeption erforderlich, die künftigen Anforderungen gegenüber flexibel ist.
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EINLAGERN
AUSLAGERN
305
INFOS
Lager
Lagerplatzsteuerung
Bestandsführung
Abb. 3.30. Lager als „black box“
Erforderlich ist dazu die Realisierung der Lagerverwaltung, in der das Lager als ein in sich gekapseltes Modell verstanden wird (s. Abb. 3.30.). Außer den informationstechnischen Aspekten kann auf das Lager nur über die Funktionen Einlagern und Auslagern zugegriffen werden. Bereits die Realisierung dieser Funktionen (in Abb. 3.30. als schwarze Kreise dargestellt) bleibt dem eigentlichen Warenwirtschaftssystem verborgen. Der Vorteil dieser Kapselung der Lagerung gegenüber der restlichen Warenwirtschaft besteht darin, dass damit die aktuellen Anforderungen an die Lagerung sehr flexibel abgedeckt werden können – und dies in allen operativen Einheiten. Für unterschiedliche Lagertypen gibt es nach außen keinerlei Unterschiede, da alle mit denselben Einlagerungs- und Auslagerungsfunktionen operieren. Lediglich die internen Realisierungen weichen voneinander ab. Auch neue Lagerkonzeptionen wie z.B. vollautomatische Hochregalläger können leichter integriert werden. Intern realisiert bzw. implementiert und nach außen „versteckt“ werden auf diese Weise Informationen über die Struktur der einzelnen Lagerplätze, ob es sich z.B. um Palettenläger mit Greif- und Reservezone, um Durchlaufregale, Blockläger, Kleinteileläger, Hochregalläger oder Verkaufsregale in den Verkaufsstellen handelt u.Ä. Kriterien für die Platzierung der Artikel Die Frage, welche Artikel auf welchen Lagerplätzen gelagert werden sollen, wird in den unterschiedlichen operativen Einheiten nach unterschiedli-
306
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
chen Kriterien behandelt und damit auch zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. In der operativen Einheit Lager können je nach Unternehmensschwerpunkten, Lagertypen und Kommissionierarten unterschiedliche Kriterien zur Artikelplatzierung von Bedeutung sein. Exemplarisch können in diesem Zusammenhang Regeln der folgenden Art genannt werden: x Die Reihenfolge der Greifplätze im Lager soll mit der im Regal in der Verkaufsstelle übereinstimmen, um das Einsortieren der Ware in den Verkaufsstellen zu erleichtern, weil die Ware dann auf den Auslieferungsladehilfsmitteln (z.B. Rollcontainer) schon in der richtigen Reihenfolge gepackt ist.175 x Artikel, die i.d.R. gemeinsam bestellt werden, sollten auch räumlich zusammen gelagert werden. x Schwere und sperrige Artikel sollten so platziert sein, dass der Kommissionierer sie möglichst leicht greifen kann. x Beim Kommissionieren sollte eine möglichst sinnvolle Reihenfolge der Artikel in den Kommissionierbehältern realisiert werden, z.B. leicht auf schwer, Ausgewogenheit von Volumen und Gewicht. x Es sollte eine ausgewogene Auslastung der einzelnen Lagergassen bzw. -gänge realisiert werden. Betrachtet man speziell die Verkaufsstellen, so sind hier auch andere Platzierungskriterien, die sich nicht an der Effizienz und Zweckmäßigkeit der „Kommissionierung“ orientieren, sondern die verkaufsfördernden Charakter haben, zu berücksichtigen, da zwischen einem Lager und einer Verkaufsstelle der Unterschied gilt, dass i.d.R. in einem Lager eingegangene Bestellungen kommissioniert werden, ohne dass der jeweilige Kunde das Lager selbst betritt. Verkaufsstellen dagegen als spezifische Formen eines „Lagers“ sind dadurch gekennzeichnet, dass die Kunden z.T. ihre Kaufentscheidung häufig erst im Laden treffen. Sie können somit durch verkaufsfördernde Maßnahmen am PoS beeinflusst werden. Daraus ergeben sich zusätzliche Platzierungskriterien. Exemplarisch können hierfür die folgenden Regeln angeführt werden: x Artikel mit hohen Deckungsbeiträgen auf verkaufstechnisch günstige Regallagen x Artikel mit niedrigen Deckungsbeiträgen in die ungünstigen Regallagen x Verkaufsförderung durch sinnvolle Artikelgruppierungen x Impulsartikel in den Kassenbereich.
175
Vgl. hierzu die Ausführungen zum Roll-Cage-Sequencing in Abschnitt 2.4.3.2.
3.4 Aufgabenbereiche von Warenwirtschaftssystemen
307
Für diese Form der Artikelplatzierung in den Verkaufsstellen existiert eine Vielzahl spezifischer Regalplatzoptimierungssysteme. 3.4.4.5 Bestellannahme/Bestellweiterleitung Die Bestellannahme ist eine Funktion, die typischerweise in einem Lager, einem logistischen Zentrum oder der Zentrale eines Unternehmens angesiedelt ist. Die Bestellungen der zugeordneten operativen Einheiten, also z.B. der Verkaufsstellen oder der externen operativen Einheiten als Abnehmer, werden dort nach unterschiedlichen Kriterien zusammengefasst und an das Kommissioniersystem zur Weiterbearbeitung übergeben. Die eingehenden Bestellungen müssen dabei nicht notwendigerweise für die empfangende Einheit, also i.d.R. das Lager, sondern können auch für beliebige andere operative Einheiten bestimmt sein. Folgende Varianten sind z.B. denkbar: x Bestellungen, die für andere Läger bestimmt sind, z.B. wenn die Verkaufsstelle ihr gesamtes Sortiment bei einem ihr fest zugeordneten Läger bestellt, das seinerseits bestimmte Sortimentsteile nicht führt, sondern an ein entsprechendes Speziallager weiterleitet x Bestellungen, die an ein anderes Lager weitergeleitet werden, weil die entsprechenden Artikel im eigenen Lager zurzeit nicht verfügbar sind x Bestellungen, die grundsätzlich an einer zentralen Stelle gesammelt werden, die dann auf Grund entsprechender Optimierungen (z.B. was den Fuhrpark betrifft) entscheidet, welche Artikel oder Sortimentsteile von welchem Lager geliefert werden x Bündelungen von Direkt-Lieferungen, i.d.R. Bestellungen an den Streckenlieferanten, der die Ware direkt an die Verkaufsstelle ausliefert (Durch vorherige Bündelung der Bestellungen aller Verkaufsstellen oder einer Gruppe von Verkaufsstellen an einer zentralen Stelle lassen sich u.U. bessere Einkaufskonditionen beim Lieferanten erreichen.). Grundsätzlich ist eine Bestellannahme in allen operativen Einheiten denkbar, also auch in den Verkaufsstellen. Ein Beispiel hierfür sind MultiChannel-Systeme im Handel, bei denen eine Bestellannahme z.B. über Kataloge oder Internet-Terminals in stationären Outlets oder im RemoteOrdering-Verfahren erfolgt. 3.4.4.6 Warenausgang Die Anforderungen der verschiedenen operativen Einheiten an das Warenausgangsmodul sind auf den ersten Blick sehr unterschiedlicher Natur. Wenn man versucht, die Aufgaben des Warenausgangs aus einer gemein-
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samen Sicht aller operativen Einheiten zu sehen, lassen sich u.a. folgende Teilaufgaben separieren: x Bereitstellung der Ware zum Warenausgang (Kommissionierung) x Erfassung der ausgehenden Waren bzw. Erfassung der Korrekturen gegenüber Bestellung/Kommissionierung x Bestandsveränderung x Rechnungsstellung an den Abnehmer. In einer informationstechnischen Realisierung im Warenwirtschaftssystem müssen diese Teilaufgaben aber nicht unbedingt getrennt bleiben, sondern mehrere dieser Aufgaben können zusammengefasst werden, dabei in den verschiedenen operativen Einheiten in durchaus unterschiedlicher Form. Der Warenausgang lässt sich dabei grob in die Teilbereiche Kommissionierung und Auslieferung unterteilen. Kommissionierung Aufgabe der Kommissionierung ist es, die vom Abnehmer bestellte Ware zu sammeln und zur Auslieferung bereitzustellen.176 Vor allem in der operativen Einheit Lager ist eine schnelle und effiziente Abwicklung dieser Kommissionierung ein entscheidendes Kriterium für die eigene Leistungserstellung. Bei der Kommissionierung werden die offenen Bestellungen nach bestimmten Kriterien in Gruppen aufgeteilt, die dann jeweils in der Kommissionierplanung bearbeitet werden. Eine solche Gruppe wird als Kommissionierwelle bezeichnet. Die Größe einer Kommissionierwelle hat entscheidenden Einfluss auf die gesamte Lagerorganisation: x Wenn eine Kommissionierwelle nur aus einem einzigen Auftrag besteht, können die Aufträge sehr schnell bearbeitet werden. Sobald ein Auftrag von einem Abnehmer ankommt, wird er bearbeitet und ggf. sofort ausgeliefert. x Wenn eine Kommissionierwelle aus allen vorhandenen Aufträgen besteht, kann das Lager den Personaleinsatz erheblich besser planen, die Effizienz steigern und Auftragsspitzen abfangen. In der Praxis wird häufig ein Mittelweg zwischen diesen Extremen gewählt. Die organisatorische Lösung im Warenwirtschaftssystem muss in jedem Fall so sein, dass der Anwender seine Kommissionierwelle frei und
176
Vgl. zur Kommissionierung auch Abschnitt 2.4.2.2.
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variabel definieren kann. Die Festlegung der Größe der Kommissionierwelle kann dabei u.a. beeinflusst werden durch: x x x x x x x x x x x
Lieferrhythmen Liefertage Kommissioniertage Fuhrparktouren Abnehmer Einzelbestellungen Eilaufträge Artikelgruppen Lagermodule Lagertechnik operative Einheiten.
Eine Kommissionier-Grobplanung im Lager ist auch bei kurzen Kommissionierwellen möglich, wenn der Einsatz eines Prognosesystems für die Filialbestellungen am Lager mittels Hochrechnung der artikelgenau erfassten Abverkaufsdaten in den Verkaufsstellen bis zum nächsten Bestelltag erfolgt. Das Kommissioniersystem kann auch detailliert und artikelspezifisch alle mit dem Kommissioniervorgang verbundenen Aufwände erfassen und auswerten – und zwar automatisch und ohne zusätzlichen Aufwand. Dazu sind zumindest halbautomatische Kommissionierverfahren erforderlich, wie z.B. die papierlose Kommissionierung, bei welcher der Kommissionierer seine Aufträge über ein am Kommissionierwagen befestigtes Display erhält und die Ausführung entsprechend bestätigt, womit dann die benötigten Zeiten pro Artikel registriert werden können. Bisher erfolgte eine Konzentration der Ausführungen auf Aspekte der Kommissionierung in den Lägern, aber auch in den anderen operativen Einheiten, den Verkaufsstellen, gibt es Formen der Kommissionierung. Sie wird jedoch im Normalfall vom einzelnen Kunden direkt am Verkaufsregal durchgeführt – Kommissionierwagen sind dabei in Selbstbedienungsläden die typischen Einkaufswagen – und stellt deshalb keinerlei Anforderungen an eine entsprechende informationstechnische Realisierung. Aber Ansätze zu einer allgemeineren Betrachtung sind durchaus vorhanden, so erfolgt bei manchen Handelsunternehmen die Kommissionierung für den Versandhandel, z.B. im Rahmen des Internet-Shopping, in den Verkaufsstellen.
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Erfassung der ausgehenden Ware Bedingt durch das eingesetzte Kommissionierverfahren gibt es grundsätzlich zwei Wege zur Erfassung der ausgehenden Waren: x Bei Einsatz eines IT-gestützten Kommissionierverfahrens erfolgt diese Erfassung automatisch über das eingesetzte Verfahren. Zusätzlich müssen Möglichkeiten zur Korrektur der gespeicherten bzw. berechneten Werte bei Bestands- oder Kommissionierfehlern bereitgestellt werden. x Bei Kommissionierung durch den Endkunden in einer Verkaufsstelle erfolgt die Erfassung der ausgehenden Ware an der Kasse. Dies wird im Rahmen einer artikelgenauen Verkaufsdatenerfassung mittels Scanning über die entsprechenden Kassenprogramme realisiert. Diese beiden verschiedenen Wege sind unabhängig von der operativen Einheit, denn IT-gestützte Kommissionierverfahren treten sowohl in den Lägern als auch in den Verkaufsstellen auf. Umgekehrt erfolgt die individuelle Warenausgangserfassung mittels Kasse nicht nur in den Verkaufsstellen, sondern dies ist grundsätzlich auch in den Lägern möglich, z.B. beim Personalkauf oder bei sonstigen Ausnahmefällen wie Bruch oder Inventurdifferenzen. Einen Sonderfall stellen die operativen Einheiten dar, in denen es keine artikelgenaue Warenausgangserfassung gibt. Die kommt z.T. in den Verkaufsstellen des Einzelhandels noch vor. In diesem Fall erfolgt die Erfassung der ausgehenden Ware ausschließlich wertmäßig. Dadurch ist es nicht möglich, eine artikelgenaue Bestandsführung in derartigen operativen Einheiten zu realisieren. Bestandsveränderung Jeder Warenausgang bewirkt eine Bestandsveränderung, d.h., der Warenbestand wird um die ausgelieferte Menge reduziert. Dabei sind unterschiedliche Verfahren denkbar, insbesondere in Bezug auf den Zeitpunkt der Bestandsreduzierung. Im Lager erfolgt die Bestandsreduzierung häufig zum Zeitpunkt der Kommissionier-Feinplanung, also bei der Erstellung der Kommissionierunterlagen. Dies bedeutet, dass bis zur Beendigung der physischen Kommissionierung der Bestand gemäß IT-System nicht mit dem „echten“ Bestand übereinstimmt – die Bestandsführung erfolgt also nicht „online“. Das korrektere Verfahren besteht darin, dass die KommissionierFeinplanung den zu kommissionierenden Bestand nur „reserviert“. Die tatsächliche Bestandsveränderung erfolgt in diesem Fall erst zu dem Zeitpunkt der physischen Warenentnahme. Eine wirkliche „Online-Verbuchung“
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setzt allerdings zusätzlich den Einsatz von IT-Systemen am Kommissionierwagen voraus, wie es z.B. bei der papierlosen Kommissionierung der Fall ist, damit die Bestandsreduzierung unmittelbar nach Entnahme der Ware durchgeführt werden kann. In der Verkaufsstelle ist die Situation ähnlich. Auch hier gibt es normalerweise eine Verzögerung zwischen der Entnahme der Ware durch den Endkunden aus dem Regal und der Abbuchung der entsprechenden Menge vom Bestand. Eine möglichst aktuelle Bestandsführung ist für ein Handelsunternehmen von erheblicher Bedeutung, da damit der Bestand effizienter überwacht werden kann. Wenn z.B. festgestellt werden kann, dass ein Artikel bereits mittags ausverkauft ist, kann für den nächsten Tag eine größere Menge dieses Artikels disponiert werden. Wird dies dagegen erst im Nachhinein, z.B. abends, festgestellt, lassen sich daraus nicht mehr die korrekten Schlüsse ziehen, da ein großer Unterschied hinsichtlich der Tatsache besteht, ob dieser Artikel bereits mittags oder erst kurz vor Ladenschluss ausverkauft war, da dies ggf. mit einem erheblichen Umsatzausfall verbunden sein kann. Mit der Erfassung der verkauften Ware an den Scannerkassen ist die Bestandsreduzierung noch nicht automatisch vollzogen, da auf dieser Ebene nur die Verkäufe pro Kasse gezählt werden. Erst mit der Übertragung der Abverkaufszahlen an den Verkaufsstellenrechner kann dann das Bestands-Update erfolgen. Eine solche Datenübertragung ist während der Verkaufszeit technisch schwierig und erfordert in jedem Fall erhebliche zusätzliche Rechnerressourcen, sodass häufig eine Begrenzung auf ein Bestands-Update einmal pro Tag erfolgt. Dies ist allerdings den oben vorgestellten Überlegungen entgegengesetzt. Rechnungsstellung an den Abnehmer Da eine Trennung der Warenprozess- von der Abrechnungsebene vorgenommen wird, gehört die Rechnungsstellung an den Abnehmer eigentlich nicht zum Warenausgang. Der Warenausgang löst vielmehr nur entsprechende Abrechnungsmeldungen an das Abrechnungssystem aus, das seinerseits die Rechnungsstellung übernimmt. In diesem Bereich lassen sich zusätzlich Lieferscheinschreibung und Rechnungsstellung unterscheiden bzw. entsprechend die Lieferscheinschreibung dem Warenausgang und die Rechnungsstellung dem Abrechnungssystem zuordnen. Dabei kann es sich in allen operativen Einheiten um eine echte Lieferscheinschreibung/Rechnungsstellung handeln, auch wenn der Verkauf auf Rechnung vor allem auf der Großhandelsstufe üblich ist. In der operativen Einheit Verkaufsstelle ist der Barverkauf der Normalfall – soweit es sich um Verkaufsstellen des Einzelhandels handelt; eine ei-
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gentliche Rechnungsstellung ist dann – im Gegensatz zu Verkaufsstellen des Großhandels oder der Fertigungsunternehmen – nicht erforderlich. Andererseits ist die sofortige Bezahlung auch im Lager denkbar, z.B. beim Personalkauf. Auch hier lässt sich also Deckungsgleichheit zwischen den Anforderungen der Verkaufsstellen und der Läger feststellen. 3.4.5
Abrechnungssysteme
3.4.5.1 Das Management von Abrechnungsmeldungen In einem Warenwirtschaftssystem sollten, wie bereits dargelegt, die Warenprozessebene und die Abrechnungsebene konsequent getrennt werden. Aufgabe des Abrechnungssystems ist es dann, die von der Warenprozessebene – oder von der dispositiven Ebene – eingehenden Abrechnungsmeldungen, d.h. die Meldungen über Warenein- und Warenausgänge der einzelnen funktionalen Bereichen, zu verarbeiten. Darüber hinaus gibt es Schnittstellen zur Finanzbuchhaltung und zu den Systemen der Lohn- und Gehaltsabrechnung sowie, auf Grund der Mandantenfähigkeit des Abrechnungssystems, auch zu über- und untergeordneten operativen Einheiten. Zudem enthält das Abrechnungssystem „operative“ Bereiche wie die Rechnungsprüfung, die Rechnungsschreibung oder die Inventurverarbeitung. Die Trennung von Warenprozess- und Abrechnungsebene bedeutet eine Entsynchronisierung und damit Entkopplung eigentlich zusammengehöriger Vorgänge. Die Abrechnungsmeldung stellt die Verbindung zwischen diesen beiden Vorgängen her, sie sorgt also für die notwendige Synchronisierung. Die Entsynchronisierung der Vorgänge führt im Rahmen der informationstechnischen Umsetzung zu erheblichen Performance-Vorteilen, da die häufig sehr zeitintensiven Abrechnungsvorgänge in diesem Fall nicht an die – im günstigsten Fall „online“ und „real-time“ ablaufenden – Warenprozesse gekoppelt sind, sondern grundsätzlich per Batch-Verarbeitung im Hintergrund abgewickelt werden können. Ziel eines Abrechnungsvorgangs ist es, die Tätigkeit einzelner betrieblicher Einheiten in wertmäßiger Form darzustellen. Dies betrifft sowohl die Kosten und Erlöse als auch die Bestandsgrößen. Die betrieblichen Einheiten, auf deren Basis Erfolgs- und Bestandsrechnungen durchgeführt werden, sind die Leistungsstellen, die i.d.R. – aber nicht grundsätzlich – mit den operativen Einheiten gleichgesetzt werden können.
3.4 Aufgabenbereiche von Warenwirtschaftssystemen
313
3.4.5.2 Aufbau und Typ der Abrechnungsmeldungen Die Struktur der Abrechnungsmeldungen ist in Abb. 3.31. dargestellt. In der dargestellten Form kommen die Meldungen, ausgelöst durch einen Vorgang auf der Warenprozessebene, in der Abrechnungsebene an. Dabei enthalten einige der genannten Positionen nur in bestimmten Sonderfällen Daten und werden zunächst von einem Verteilprozess übernommen. Der Verteilprozess ist entsprechend der Warenbewegungsart der Abrechnungsmeldung entscheidend hinsichtlich der weiteren Verarbeitung. Dabei sind unterschiedliche Warenbewegungsdaten denkbar. Diese werden im Folgenden kurz vorgestellt.
Standard-Informationen
- Warenbewegungsart - Absender der Ware - Empfänger der Ware - bewegter Artikel - Menge des Artikels - Datum / Uhrzeit
Zusatz-Informationen
- Lieferscheinnummer - Preis & Konditionen - Bewertungsdatum - verbrauchter Artikel - Menge des verbrauchten Artikels - produzierter Artikel - Menge des prod. Artikels
Abb. 3.31. Typischer Aufbau einer Abrechnungsmeldung
1. Erledigte Wareneingänge Unter „erledigten Wareneingängen“ werden solche Wareneingangsvorgänge verstanden, bei denen die Vereinnahmung der Ware und damit eine entsprechende Bestandserhöhung in der empfangenden operativen Einheit bzw. Leistungsstelle bereits erfolgt sind. Folgende Fälle sind dabei u.a. denkbar: x x x x
Lieferung eines Lieferanten Umlieferung Retoure vom Abnehmer Inventurplus.
Die Lieferung kann eine Lieferung einer externen operativen Einheit, also eines externen Lieferanten, aber auch einer anderen internen operativen Einheit, z.B. eines Lagers, sein. Analog kann die Retoure von Endkunden, aber auch von einer anderen internen operativen Einheit stammen, z.B. die Retoure einer Verkaufsstelle.
314
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
Die Abrechnungsmeldung enthält die Standardinformationen. Über das Bewertungsdatum kann gesteuert werden, ob abweichend von der im Lebensmittelhandel normalen Warenbewertung zu Konditionen des berechneten Liefertags ein anderes Datum gewählt werden soll, z.B. das Bestelloder das tatsächliche Lieferdatum. Betrachtet man diese Konstellation, so zeigt sich ein Vorteil eines modularen Aufbaus in Form der Trennung von Warenbewegungs- und Abrechnungsebene. Beim Einsatz eines derartig konzipierten Systems muss für eine Änderung des Bewertungsdatums vom Datum des erwarteten Wareneingangs auf das Datum der Bestellung lediglich die Voreinstellung in der entsprechenden Abrechnungsmeldung geändert werden. Integriert man als Zusatzinformationen Preis und Konditionen, so können bestellindividuelle Daten übermittelt werden, z.B. wenn der Einkäufer mit dem Lieferanten Sonderkonditionen außerhalb des normalen Konditionenrahmens nur für diese eine Bestellung vereinbart hat. 2. Erledigte Warenausgänge Hierbei handelt es sich um bereits verbuchte Warenausgänge, also Warenbewegungen, die bereits vom Lagerbestand der betroffenen Leistungsstelle abgebucht sind. Zu diesem Bereich zählen z.B. die folgenden Fälle: x x x x x x
Lieferung an Abnehmer Umlieferung Retoure an Lieferant Inventurmanko Bruch/Verderb Eigenverbrauch.
Die Lieferungen an Abnehmer können Lieferungen sowohl an andere operative Einheiten als auch an Endkunden sein. Bei den Retouren kann es sich analog um solche an eine externe oder an eine interne operative Einheit, z.B. ein Lager, handeln. Die an dieser Stelle angesprochene Abrechnungsinformation ist in gewissem Sinn die wichtigste Meldung des gesamten Systems, da sie auch die Lieferungen der Verkaufsstellen an die Endkunden enthält, also die Umsätze. Wie bei den Wareneingangsmeldungen können auch hier individuelle Abweichungen vom Normalfall in den Zusatzinformationen gespeichert werden, wie z.B. spezielle Verkaufspreise oder Verkaufskonditionen.
3.4 Aufgabenbereiche von Warenwirtschaftssystemen
315
3. Leistungsdaten Leistungsdaten sind Abrechnungsmeldungen, die von den bisher genannten abweichen. Sie enthalten Informationen über Mitarbeiterleistungen, die an die Lohn- und Gehaltsabrechnung weitergereicht werden, z.B. Kommissionierleistungen als Basis für Prämiensysteme. 4. Einkaufs-Abrechnungsmeldung für bedingte Konditionen Mit dieser Abrechnungsmeldung wird die Verrechnung bedingter Konditionen sichergestellt, sobald die geforderte Bedingung erfüllt ist. Das Abrechnungssystem leitet in einem solchen Fall die Meldung an das Subsystem zur Rechnungsschreibung weiter, das seinerseits eine entsprechende Rechnung oder Gutschriftsanforderung an den Lieferanten ausstellt. Das Einkaufssystem liefert die zur Verarbeitung erforderlichen Informationen mit, indem zusätzlich die Konditionen, also die vereinbarten Bedingungen, sowie der zu berechnende Betrag als Preis im Rahmen der Abrechnungsmeldung aufgeführt werden. 5. Rückwirkende Einkaufskonditionenänderung Diese Abrechnungsmeldungen werden vom Subsystem Einkauf ausgelöst, wenn nachträglich festgestellt wird, dass gewisse Einkaufskonditionen im System falsch eingepflegt wurden. Die Änderungsmeldungen können sich auf einzelne Aufträge, aber auch auf bestimmte Zeiträume beziehen. Relevant sind solche Abrechnungsmeldungen vor allem für die Rechnungsprüfung, die häufig auf Einkaufskonditionen aus der Vergangenheit zurückgreifen muss. Eine rückwirkende Einkaufskonditionenänderung bewirkt dann die Korrektur der falschen Sollrechnungsdaten. Probleme treten in diesem Bereich vor allem bei der nachträglichen Beoder Entlastung von Verkaufsstellen auf, wenn die Verkaufsstellenbelastung auf der Basis eines durchschnittlichen Bestandspreises des liefernden Lagers erfolgt und dieser Preis nachträglich durch eine rückwirkende Konditionenänderung korrigiert werden soll. In der Regel werden diese Korrekturen nicht direkt an die betroffenen Verkaufsstellen weitergegeben, weil dies kaum noch nachvollziehbar ist, sondern diese Differenzen werden pauschal auf die einzelnen Leistungsstellen verteilt. Dieses Problem entsteht allerdings erst durch die Verkaufsstellenbelastung mit durchschnittlichen Bestandspreisen des Lagers – eine Vorgehensweise, die vergleichsweise „willkürlich“, aber vor allem durch die oft unzureichende Leistungsfähigkeit bestehender Warenwirtschaftssysteme begründbar ist. Kein selbstständiger Händler würde Ware (bei einem Lager) bestellen, ohne zu wissen, welchen Preis er für diese Ware bezahlen muss – der Preis verändert sich aus Sicht des Verkaufsstellleiters willkür-
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3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
lich durch das zufällige Eintreffen oder Nichteintreffen neuer Ware am Zentrallager. Die Denkweise in operativen Einheiten löst dieses Problem jedoch auf. Eine operative Einheit (wie das Lager) verkauft ihre Ware an eine andere operative Einheit (z.B. die Verkaufsstelle) und kann hierfür die gleichen Kalkulationshilfen in Anspruch nehmen, mit der eine Verkaufsstelle den Verkaufspreis gegenüber dem Endkunden festlegt. Eine automatische Kopplung dieser Preise an durchschnittliche Bestandspreise ist nicht mehr erforderlich. Alle operativen Einheiten können somit als selbstständig agierende Leistungsstellen betrachtet werden. 6. Verkaufs-Abrechnungsmeldung für bedingte Konditionen Diese Abrechnungsmeldung entspricht grundsätzlich der Einkaufs-Abrechnungsmeldung. In diesem Fall werden jedoch die bedingte Kondition und deren Erfüllung nicht gegenüber dem Lieferanten, sondern gegenüber dem Abnehmer überwacht. 7. Rückwirkende Verkaufskonditionenänderung Diese Abrechnungsmeldung entspricht der rückwirkenden Einkaufskonditionenänderung. Ihre Bedeutung ist allerdings eher auf Spezialfälle begrenzt. 8. Verkaufspreisänderung Eine Verkaufspreisänderung bedeutet, dass sich der Verkaufspreis eines Artikels in einer bestimmten Leistungsstelle geändert hat. Eine Abrechnungsmeldung hierfür ist nur in solchen Leistungsstellen erforderlich, in denen es keine artikelgenaue Bestandsführung gibt. In solchen Einheiten – i.d.R. handelt es sich um Verkaufsstellen des Einzelhandels ohne Scannerkassen – wird der Bestand dann normalerweise nur wertmäßig zu Verkaufspreisen geführt. Verkaufspreisänderungen führen dann zu entsprechenden Be- oder Entlastungen. Die erforderlichen Informationen (z.B. Leistungsstelle, Artikelnummer, Menge, Preisdifferenz, Datum) werden durch die Standardinformation der Abrechnungsmeldung abgedeckt. 9. Abrechnungsmeldungen der Rechnungsprüfung Diese Meldungen lassen sich grob in vier Kategorien unterteilen: x x x x
Einkaufspreisfehler Mengenfehler Verkaufspreisfehler (bei Reklamationen) stimmende Rechnung.
3.4 Aufgabenbereiche von Warenwirtschaftssystemen
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Eine Abrechnungsmeldung wegen eines Einkaufspreisfehlers wird erzeugt, wenn in der Rechnungsprüfung ein – durch das einkaufende Unternehmen bedingter – Preisfehler festgestellt wird und korrigiert werden soll. Die Abrechnungsmeldung enthält dann den korrigierten Preis; die Sollrechnungsdaten werden durch diese Meldung entsprechend abgeändert. Vom einkaufenden Unternehmen zu vertretende Mengenfehler erzeugen Abrechnungsmeldungen mit den entsprechend korrigierten Mengen. Diese Korrekturen erzeugen dann Be- oder Entlastungen der betroffenen Leistungsstelle in der Kostenart Inventurmanko. Abrechnungsmeldungen wegen Verkaufspreisfehlern entsprechen denjenigen wegen Einkaufspreisfehlern, nur mit umgekehrtem Vorzeichen. Die Behandlung von Abrechnungsmeldungen über stimmende Rechnungen ist ein gutes Beispiel für die Flexibilität der hier vorgestellten Konzeption. In der Regel wird bei einem Wareneingang die Belastung der betroffenen Leistungsstelle über eine entsprechende Abrechnungsmeldung sofort erfolgen, dies mit den vom Warenwirtschaftssystem auf Grund der gespeicherten Bestellkonditionen errechneten Soll-Rechnungsdaten. Dies bedeutet, dass bei der späteren Rechnungsprüfung Belastungen oder Entlastungen von Leistungsstellen nur noch dann vorgenommen werden, wenn Fehler in den Soll-Rechnungsdaten festgestellt werden. Wenn aber ein Unternehmen an diesem Punkt eine andere Philosophie verfolgt und die empfangende Leistungsstelle erst nach der Rechnungsprüfung belasten will, so ist dies ohne Änderung des Gesamtsystems möglich. In der Regel dienen also Abrechnungsmeldungen über stimmende Rechnungen nicht der Be- oder Entlastung, sondern nur „nachgelagerten“ Zwecken, wie z.B. der Versorgung der Finanzbuchhaltung mit den entsprechenden Offenen-Posten-Sätzen. 3.4.5.3 Verteilung der Abrechnungsmeldungen Das Verteilsystem der Abrechnungsmeldungen stellt einen wesentlichen Flexibilitätsgrad innerhalb eines Warenwirtschaftssystems dar und lässt dem Anwender viele Gestaltungsmöglichkeiten offen. Wie bereits angedeutet, ist die Verteilung der Abrechnungsmeldungen an nachgelagerte Subsysteme zur Weiterverarbeitung nicht einheitlich, sondern vom Typ der jeweiligen Meldung und der Abrechnungsphilosophie des Unternehmens abhängig. Im Standardfall könnte eine solche Verteilung z.B. wie folgt aussehen: x Leistungsdaten werden an entsprechende Fremdsysteme (Lohn- und Gehaltsabrechnung) weitergeleitet.
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3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
x Abrechnungsmeldungen von der Rechnungsprüfung über stimmende Rechnungen werden an die Finanzbuchhaltung weitergeleitet. x Abrechnungsmeldungen von der Rechnungsprüfung über nichtstimmende Rechnungen gehen an die Be-/Entlastung zur Korrektur der bereits früher erfolgten Belastung. x Praktisch alle anderen Abrechnungsmeldungen gehen an das Be-/Entlastungs-Subsystem. x Alle Abrechnungsmeldungen werden, erweitert um entsprechende Bewertungen, als so genannte Informationsmeldungen zusätzlich für statistische Auswertungen an den Informations-Modul weitergeleitet. Es sind jedoch auch andere Möglichkeiten denkbar. Wie bereits oben erwähnt, könnte die Behandlung stimmender und nicht stimmender Rechnungen anders gestaltet werden, Leistungsdaten müssten nicht an Fremdsysteme weitergeleitet werden usw. Die wesentlichsten Differenzierungen zwischen unterschiedlichen Unternehmen erfolgen dabei i.d.R. nicht bereits auf dieser Verteilungsebene, sondern erst auf der nächst tieferen Ebene, d.h. im Belastungs- und Entlastungssystem. 3.4.5.4 Belastung und Entlastung Das Belastungs- und Entlastungssystem bildet die Schnittstelle zum betrieblichen Rechnungswesen. Dort erfolgt die wertmäßige Verbuchung der Warenbewegungen auf die bestands- und erfolgswirksamen Konten. In den Bestandskonten wird der wertmäßige Warenbestand der einzelnen Leistungsstellen geführt. Diese Bewertung kann zu Einkaufspreisen und zu Verkaufspreisen erfolgen. Wird in bestimmten Leistungsstellen lediglich eine wertmäßige Bestandsführung vorgenommen, so sollte diese Bewertung zu Einkaufs- und Verkaufspreisen erfolgen. Bei Leistungsstellen, in denen eine (mengenmäßige) artikelgenaue Bestandsführung vorgenommen wird, ist die wertmäßige Bestandsführung nicht zwingend erforderlich, da diese Werte jederzeit durch Multiplikation der Bestände mit den aktuellen (oder durchschnittlichen) Preisen errechnet werden können. Trotzdem werden auch für solche Leistungsstellen häufig wertmäßige Bestandskonten geführt, dies v.a. zu Kontrollzwecken. Für Leistungsstellen, in denen keine artikelgenaue Bestandsführung erfolgt, stellt die wertmäßige Bestandsführung gemeinsam mit der Inventur das einzige Kontrollmedium zur Bestandsführung dar. Die Hauptaufgabe des Belastungs-/Entlastungssystems besteht in der Erfassung und Verbuchung der Kosten und Erlöse, und zwar auf der Ebene der kleinstmöglichen Einheiten, also der Leistungsstellen und der Artikel.
3.4 Aufgabenbereiche von Warenwirtschaftssystemen
319
In Leistungsstellen, in denen eine artikelgenaue Bestandsführung vorgenommen wird, stellt dies kein wesentliches Problem dar. In Leistungsstellen ohne artikelgenaue Bestandsführung, also insbesondere ohne artikelgenaue Verkaufsdatenerfassung, ist dies dagegen nur näherungsweise möglich. Ein mögliches Verfahren besteht darin, dass auf der Basis der artikelgenau vorliegenden Wareneingangsdaten unterstellt wird, dass sich die nur pauschal über Warengruppen vorliegenden Verkaufswerte mengenmäßig genauso zusammensetzen wie die Wareneingangsdaten, die in fast allen Warenwirtschaftssystemen artikelgenau bekannt sind. Daraus lassen sich dann näherungsweise die Deckungsbeiträge oder Spannen auf Artikelebene berechnen. Die Ausgestaltung des Belastungs- und Entlastungssystem als eigenes Subsystem mit klar definierten Schnittstellen ist dann vorteilhaft, wenn die Anwender Standardprodukte zur Kostenrechnung einsetzen, die über die definierten Schnittstellen mit den erforderlichen Daten der Warenwirtschaft versorgt werden. 3.4.6
Rechnungsschreibung
Die Rechnungsschreibung stellt einen weiteren relevanten Bereich im Rahmen eines Warenwirtschaftssystems dar. Im filialisierenden Handel spielt die Rechnungsschreibung an den Endverbraucher zwar häufig keine Rolle, in anderen Branchen ist sie dagegen unabdingbar. Dies gilt z.B. für den Versandhandel, für den Großhandel und damit auch für die Großhandelsstufe der filialisierenden Handelsunternehmen. Die Rechnungsschreibung oder Fakturierung für die Warenlieferungen vom Lager an die Verkaufsstellen ist ein relativ komplexes Subsystem innerhalb eines Warenwirtschaftssystems. Dies gilt in noch stärkerem Ausmaß für die Streckenfakturierung, d.h. die Rechnungsschreibung für Warenlieferungen im Streckengeschäft, bei denen die Zentrale der Verkaufsstelle diese Streckenlieferungen in Rechnung stellt – bzw. „korrekter“ formuliert – die Verkaufsstelle entsprechend der Rechnungen der Streckenlieferanten belastet. Diese Anforderungen – und noch einige Spezialfälle mehr – lassen sich auf eine einfache und einheitliche Art und Weise im Warenwirtschaftssystem abdecken, indem operative Einheiten Rechnungen an ihre Abnehmer schreiben. Wie bereits dargestellt, steht für die Verkaufsseite und damit auch für die Rechnungsschreibung dasselbe Instrumentarium an Konditionen zur Verfügung wie auf der Einkaufsseite. Folgende Formen von Rechnungen sind dabei insbesondere relevant:
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3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
x Rechnung des Lagers an die Verkaufsstelle für Warenlieferungen: In diesem Fall schreibt eine operative Einheit eine Rechnung an eine andere operative Einheit. Das gesamte Verkaufskonditionenspektrum kann angewandt werden, wie z.B. Mengenstaffeln, Sonderrabatte usw. x Rechnung der Verkaufsstelle an den Endkunden für Warenlieferungen: In der Regel sind diese Fälle erheblich einfacher. Verkaufskonditionen werden z.T. seltener gewährt, sind aber grundsätzlich genauso möglich. Im einfachsten Fall handelt es sich bei einer derartigen Rechnung um den Kassenbon. x Rechnung der Zentrale an die Verkaufsstelle für Warenlieferungen im Streckengeschäft: Hierbei handelt es sich eigentlich nicht um Rechnungen der Zentrale, sondern um Rechnungen des (externen) Lieferanten an die belieferte Verkaufsstelle eines Handelsunternehmens, die lediglich über die Zentrale abgerechnet werden. Die Zentrale übernimmt dabei die Rechnungsbe- und -verarbeitung im Sinne einer Mandantenabwicklung. Da die Rechnung vom Lieferanten geschrieben wird, ist die Bearbeitung dieses Falls nicht Aufgabe der Rechnungsschreibung, sondern der Rechnungsprüfung. Neben diesen Standardfällen, bei denen immer Rechnungen für Warenlieferungen geschrieben werden, gibt es noch einige Sonderfälle, die nur indirekt mit Warenlieferungen zu tun haben, wie z.B. Rechnung an den Lieferanten über das Erreichen bedingter EK-Konditionen. Zu diesem Bereich zählen alle Formen nachträglicher Rückvergütungen. Wenn z.B. eine operative Einheit mit einem Lieferanten einen zusätzlichen Rabatt bei Erreichen eines bestimmten Umsatzvolumens im Jahr vereinbart hat, muss das Erreichen dieser Kondition vom Einkaufssystem überwacht und im Erfolgsfall die Rechnungsschreibung veranlasst werden, eine entsprechende Rechnung oder Gutschriftsanforderung an den Lieferanten zu schicken. Neben den Rechnungen für Warenlieferungen können den Abnehmern – oder den Lieferanten, die dadurch indirekt auch zu Abnehmern würden – auch Rechnungen über sonstige Dienstleistungen gestellt werden. Außer dieser „echten“ Rechnungsschreibung, also einer Ausgangsrechnungsschreibung, gibt es auch eine Eingangsrechnungsschreibung bzw. Sollrechnungsschreibung. Diese Eingangs- oder Sollrechnungsschreibung hat die Aufgabe, die eigentliche Lieferantenrechnung zu simulieren, um dann die Rechnungsprüfung auf der Basis des Vergleichs zwischen Sollund Istrechnung durchzuführen. Im Sinne einer einheitlichen Konzeption können Eingangs- und Ausgangsrechnungsschreibung über dasselbe Subsystem realisiert werden.
3.4 Aufgabenbereiche von Warenwirtschaftssystemen
3.4.7
321
Rechnungsprüfung
3.4.7.1 Überblick Die IT-gestützte oder automatische Rechnungsprüfung gehört zu den wichtigen Subsystemen eines Warenwirtschaftssystems, weil in diesem Bereich erhebliche Einsparungsmöglichkeiten stecken, so insbesondere in zwei Punkten: x Personaleinsparungen durch eine stärkere Automatisierung der Prüfungsabläufe x Kosteneinsparungen durch eine umfassende Kontrolle der Einhaltung der ausgehandelten Einkaufskonditionen. Die Rechnungsprüfung ist in den meisten Handelsunternehmen eine personalintensive Aufgabe. Insbesondere bei solchen Unternehmen, die einen hohen Umsatzanteil im Streckengeschäft haben, verstärkt sich dies noch, da teilweise Einzelrechnungen pro Verkaufsstelle das gesamte Volumen zu prüfender Rechnungen beträchtlich ausweiten und damit die Rechnungsprüfung auf Grund der Mengengerüste zum rechenintensivsten Subsystem innerhalb der Warenwirtschaft machen. Eine automatische oder halbautomatische Rechnungsprüfung birgt ein erhebliches Rationalisierungspotenzial für jedes größere Unternehmen – dies gilt insbesondere für Handelsunternehmen im Bereich der Konsumgüterbranche mit ihren traditionell sehr großen Rechnungsvolumina. 3.4.7.2 Zentrale Rechnungsprüfung für Lager- und Streckengeschäft Auch die Rechnungsprüfung bietet viele Ansatzpunkte für Vereinfachung und Vereinheitlichung. In vielen Unternehmen werden heute – soweit überhaupt in einem umfassenden Sinn vorhanden – für das Lagergeschäft und das Streckengeschäft unterschiedliche Systeme eingesetzt. Der erste Grund liegt in der Tatsache begründet, dass die Artikelstammdaten, speziell die Einkaufskonditionen, in diesen beiden Bereichen unterschiedlich sind. Ein zweiter Grund liegt in den häufig sehr unterschiedlichen Mengengerüsten. Während im Lagergeschäft meist wenige Rechnungen über entsprechend große Mengen pro Artikel vorliegen, ist beim Streckengeschäft eine große Anzahl meist kleiner Rechnungen von einer Vielzahl unterschiedlicher Lieferanten für alle Verkaufsstellen vorhanden. Dementsprechend wird die Rechnungsprüfung für das Lagergeschäft oft über Dialogprogramme realisiert, während beim Streckengeschäft einer Abwicklung über Batchprogramme der Vorzug gegeben wird.
322
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
Im Rahmen der Umsetzung eines Warenwirtschaftssystems liegt das Ziel in einer einheitlichen Rechnungsprüfung für alle Geschäftsarten. Ein grobes Ablaufschema für eine derartige Rechnungsprüfungskonzeption ist in Abb. 3.32. dargestellt. EDI (SEDAS)
Datenerfassung Istwerte
Abgrenzung der Zuordnung
Sollrechnung erzeugen Fehlerbehandlung
stimmend
automatischer Rechnungsabgleich
Abrechnungsmeldung an Wertfortschreibung
Auswahl oder automatische Folge der Rechnungen
offene Postensätze erstellen
Sollrechnung und Rechnungsdifferenzen anzeigen
Statistikdaten
Sonstiges
Abb. 3.32. Ablaufplan der Rechnungsprüfung
In der Abb. 3.32. ist zudem der automatische Rechnungsabgleich als einheitliche Rechnungsprüfung für Lager- und Streckengeschäft vorgestellt. Dieses Subsystem sollte so angelegt werden, dass es sowohl individuell für eine einzelne Rechnung aus einem Dialogprogramm als auch für eine große Menge von Rechnungen auf einmal aus einem Batchprogramm heraus aufgerufen werden kann. Ähnlich des Moduls zur Verarbeitung der Abrechnungsmeldungen kann der automatische Rechnungsabgleich als ein im Hintergrund permanent verfügbarer Prozess gestaltet werden, in dem zu prüfende Rechnungen sofort nach ihrer Erfassung oder nach Eintragung von Korrektursätzen verarbeitet werden. Ebenso kann er aber – und dies wird bei Rechnungen aus dem Streckengeschäft i.d.R. der Fall sein – auch einen ganzen Stapel aufgelaufener Rechnungen aus einer RechnungspoolDatei abarbeiten. Der grundlegende Ablauf der Rechnungsprüfung (s. Abb. 3.33.) beginnt mit der Erfassung der Rechnungsdaten im Dialog bzw. mit der automatischen Übernahme dieser Daten, z.B. über EANCOM.
3.4 Aufgabenbereiche von Warenwirtschaftssystemen
323
Im Falle der manuellen Erfassung, bei der i.d.R. nur Rechnungssummensätze ohne Einzelartikelinformationen erfasst werden, möglicherweise erweitert um verschiedene Mehrwertsteuerbeträge, müssen der eingegebenen Rechnung zusätzlich bestimmte Wareneingänge zugeordnet werden. Folgende Zuordnungsarten sind dabei denkbar: x zeitraumbezogene Zuordnung (alle Warenbewegungen in einem bestimmten Zeitintervall) x zeitpunktbezogene Zuordnung (alle Warenbewegungen mit einem bestimmten Lieferdatum) x leistungsstellenbezogene Zuordnung (alle Warenbewegungen für bestimmte Verkaufsstellen, Verkaufsstellengruppen, Läger usw.) x lieferantenbezogene Zuordnung (alle Warenbewegungen eines bestimmten Lieferanten) x eindeutige Identifikationskriterien (Lieferscheinnummer, Bestellnummer) x artikelbezogene Zuordnung (alle Warenbewegungen eines bestimmten Artikels oder einer bestimmten Warengruppe). Die betrachteten Objekte dieser Zuordnungen sind nicht nur Wareneingänge, sondern auch bestimmte Warenausgänge, z.B. die Retouren an die Lieferanten. Auch hierbei handelt es sich um eine Vereinheitlichung häufig getrennt abgehandelter Fälle. Die Informationsdichte der dem Warenwirtschaftssystem vorliegenden Rechnungsdaten des Lieferanten kann dabei unterschiedlich sein. Wenn der Lieferant seine Rechnungen in Papierform schickt, werden i.d.R. nur die Rechnungssummen – und möglicherweise die Steuersätze – manuell erfasst. Im Bereich des Streckengeschäfts, also der Direktlieferung an die Verkaufsstellen, werden häufig noch die Summensätze der einzelnen Verkaufsstellen miterfasst. Das manuelle Erfassen der einzelnen Rechnungspositionen wird zumeist nicht vorgenommen, weil es vor allem bei dem großen Block der stimmenden Rechnungen eine unnötige Doppelarbeit darstellen würde. Die größte Informationsdichte liegt dann vor, wenn die Rechnungen nicht auf Papier, sondern im entsprechenden EDIFACT-/EANCOMFormat automatisch übermittelt werden. In diesem Fall liegen die Rechnungen auf der Ebene der einzelnen Artikelpositionen vor. Das IT-System kann beim automatischen Rechnungsabgleich dann nicht nur die nicht stimmenden Rechnungen herausfiltern, sondern es kann i.d.R. den Fehler bereits konkret erkennen und entsprechend darauf hinweisen. Dies erleichtert den gesamten Rechnungsprüfungsvorgang wesentlich.
324
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
Nach Eingabe der Rechnungsdaten erfolgt der automatische Rechnungsabgleich, bei dem die Ist-Rechnungsdaten mit den intern über das Abrechnungssystem erzeugten Soll-Rechnungsdaten verglichen werden. Stimmende Rechnungen werden als korrekt verbucht und an die Finanzbuchhaltung zur Zahlung weitergegeben. Nicht stimmende Rechnungen müssen korrigiert werden. Hierzu stehen entsprechende Dialogprogramme zur Verfügung, mit denen die Fehler gefunden und durch Verbuchen von Differenzsätzen korrigiert werden können. Nach den Korrekturen in den Stammdaten bzw. dem Verbuchen von Differenzsätzen steht die Rechnung für einen erneuten automatischen Rechnungsabgleich zur Verfügung. 3.4.7.3 Rechnungsprüfung für alle operativen Einheiten Der zweite grundlegende Ansatz zu Vereinfachung und Vereinheitlichung der Rechnungsprüfung folgt aus der Grundkonzeption der operativen Einheiten. Die Rechnungsprüfung muss so gestaltet werden, dass sie nicht nur eine zentrale Kontrolle aller – zentral und dezentral – eingehenden Rechnungen erlaubt, sondern sie muss auch dezentral in allen operativen Einheiten, insbesondere in den Verkaufsstellen des Einzelhandels, einsetzbar sein. Als Form der Verallgemeinerung kann die mandantenfähige Rechnungsprüfung angesehen werden, also eine Rechnungsprüfung, mit der die Rechnungen mehrerer Unternehmen bzw. Unternehmenseinheiten kontrolliert werden können. Im Prinzip ist schon die zentrale Rechnungsprüfung für Lager- und Streckengeschäft mandantenfähig, weil in diesem Zusammenhang Rechnungen für die Verkaufsstellen zentralseitig mitgeprüft werden, wenn z.B. ein Lieferant eine Sammelrechnung für all seine Lieferungen an alle Verkaufsstellen oder an die Verkaufsstellen in einer bestimmten Region an die Zentrale des Handelsunternehmens schickt. 3.4.8
Inventur
Grundsätzlich hat sich die Bedeutung der Inventur mit dem Einzug der Informationstechnologie in die Unternehmen verändert. War die körperliche Bestandsaufnahme aller Artikel früher die einzige Möglichkeit, Aussagen über den mengen- oder wertmäßigen Warenbestand zu erhalten, so hat zunächst die Einführung IT-gestützter nicht-geschlossener Warenwirtschaftssysteme dazu geführt, dass der Warenbestand wertmäßig vom Warenwirtschaftssystem fortgeschrieben wurde. Mit der Einführung geschlossener Warenwirtschaftssysteme konnte dann der Warenbestand artikelgenau auch mengenmäßig fortgeschrieben werden. Die Bedeutung der Inventur
3.4 Aufgabenbereiche von Warenwirtschaftssystemen
325
besteht in einem solchen Fall dann darin, dass zum einen den gesetzlichen Bilanzierungsvorschriften Rechnung getragen wird und zum anderen durch den Soll-/Ist-Bestandsvergleich die Feststellung von Inventurdifferenzen möglich wird. Bei einer Inventur wird also der tatsächliche Ist-Bestand an Waren erfasst und mit dem i.d.R. im Warenwirtschaftssystem geführten SollBestand verglichen. Bei Abweichungen wird der Soll-Bestand entsprechend angepasst. Grundsätzlich kann dabei die Bestandsführung mengenund wertmäßig oder auch nur wertmäßig erfolgen. Bei nur wertmäßiger Bestandsführung sollte die Bestandsaufnahme zu Einkaufs- und Verkaufspreisen erfolgen, weil nur dann eine genaue Aussage über den im Lagerbestand enthaltenen Bruttoertrag möglich ist. Wird nur einer der beiden Werte erfasst, ist eine Annahme über den durchschnittlichen Aufschlag bzw. Abschlag erforderlich und damit eine Annahme über den im Lagerbestand enthaltenen Bruttoertrag. Inventurdifferenzen stellen eines der Kernprobleme des Handels dar. Die Analyse und Vermeidung solcher Inventurdifferenzen zählt deshalb zu den wichtigen Aufgaben eines Handelsbetriebs. Grundsätzlich werden drei Inventurarten unterschieden, so x Stichtagsinventur, x permanente Inventur, x Stichprobeninventur. Bei der Stichtagsinventur erfolgt die mengenmäßige Ermittlung des IstBestandes zu einem bestimmten Stichtag, zumeist dem Bilanzstichtag. Gewisse Erleichterungen in der Gesetzgebung erlauben teilweise ein Ausdehnen des Inventurzeitraums – Voraussetzung dazu ist allerdings das mengenmäßige Fortschreiben bzw. Rückrechnen auf den Bilanzstichtag. Bei der permanenten Inventur wird die Bestandsaufnahme auf das ganze Jahr verteilt. Sichergestellt werden muss dabei nur, dass jeder Artikel mindestens einmal pro Jahr gezählt und anschließend mengenmäßig auf den Bilanzstichtag fortgeschrieben wird. Ziel der Stichprobeninventur ist es, die hohen Kosten der Inventur zu reduzieren. Bei dieser Methode wird nur noch eine per Zufallsstichprobe ermittelte Teilmenge aller Artikel gezählt. Anschließend wird mithilfe mathematisch-statistischer Verfahren auf den Gesamtbestand hochgerechnet. In den meisten heutigen Warenwirtschaftssystemen wird zwischen der Inventur im Lager und der in den Verkaufsstellen streng unterschieden. Der Grund dafür liegt darin, dass im Lager fast in allen Handelsunternehmen eine artikelgenaue Bestandsführung durchgeführt wird, während in den Verkaufsstellen die Bestände teilweise nur wertmäßig, häufig auf Wa-
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3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
rengruppenebene, geführt werden, wenn es dort keine artikelgenaue Warenausgangserfassung gibt. Es handelt sich dann also um eine Mischung von geschlossenen und nicht-geschlossenen Warenwirtschaftssystemen. Die Inventur im Lager – bei artikelgenauer Bestandsführung – ist relativ einfach. Es werden Zähllisten für die zu zählenden Bereiche genutzt, wobei ausgewählt werden kann, ob der Soll-Bestand mit angegeben werden soll oder nicht. Auf diesen Zähllisten wird der tatsächliche Ist-Bestand eingetragen und später in das IT-System übertragen. Es gibt neben diesem Verfahren eine Vielzahl von Erweiterungen oder Hilfsmitteln, wie z.B. die Erfassung der Inventurbestände direkt am Regal. Dieses Verfahren ist vor allem deshalb sehr einfach, weil alle Bewertungsfragen zu Einkaufs- und Verkaufspreisen der automatischen Auswertung des IT-Systems überlassen werden können. Es gibt auch nur einen möglichen Fehlertyp, nämlich den „echten“ Mengenfehler, einer mengenmäßigen Abweichung von Soll-Bestand und Ist-Bestand. Dies ist im Falle nicht-geschlossener Warenwirtschaftssysteme erheblich differenzierter. Auch hier erfolgt zwar die Erfassung zunächst mengenmäßig am Regal. Da aber in diesem Fall die Soll-Bestände nur wertmäßig – z.T. nur auf Warengruppenebene – vorliegen, müssen die erfassten Mengen in einem zweiten Schritt bewertet und ggf. zu Warengruppen verdichtet werden. Die Fehleranalyse ist entsprechend wesentlich komplexer. So führt z.B. der Verkauf eines Artikels mit einem falschen Preis zu einer Inventurdifferenz, obwohl Soll-Bestand und Ist-Bestand übereinstimmen und ohne dass diese nur wertmäßige Differenz als solche erkannt werden kann. Das Erfassen eines Artikels beim Verkaufsvorgang mit dem richtigen Preis, aber in der falschen Warengruppe führt zu einer positiven Inventurdifferenz in der einen Warengruppe und zu einer negativen Differenz in der anderen, obwohl auch hier wieder keine Mengenfehler vorliegen. Das nur wertmäßige Führen des Bestandes bedeutet aber auch Mehraufwand bei allen internen Warenbewegungen und Wertveränderungen, weil all diese Vorgänge mengenmäßig artikelgenau durchgeführt werden müssen, um die dadurch bedingten wertmäßigen Bestandsveränderungen nachvollziehen zu können. Eine Änderung des Verkaufspreises eines Artikels z.B. bedingt immer eine körperliche Bestandsaufnahme bei diesem Artikel, weil der Warenbestand neu bewertet werden muss und nicht bekannt ist, welche Menge des betroffenen Artikels noch im Bestand vorhanden ist. Diese Probleme treten bei einer artikelgenauen Bestandsführung nicht auf, was ein wesentliches Argument für die artikelgenaue Bestandsführung und damit die Einführung von Scannerkassen in den Verkaufsstellen ist.
3.4 Aufgabenbereiche von Warenwirtschaftssystemen
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Das Erreichen des Ziels eines einheitlichen Inventur-Subsystems für alle operativen Einheiten ist vergleichsweise einfach. Die Gemeinsamkeit der unterschiedlichen Inventurverfahren liegt zunächst in der artikelgenauen mengenmäßigen Bestandsaufnahme. Die Unterschiede bestehen zum einen in der organisatorischen Durchführung und zum anderen in der Bewertung und deren Fortschreibung bei artikelgenauer Bestandsführung bzw. wertmäßiger Bestandsführung auf Warengruppenebene. Während bei der artikelgenauen Bestandsführung die festgestellten Inventurdifferenzen lediglich mengenmäßig auf Einzelartikelebene im IT-System erfasst werden, müssen ohne artikelgenaue Bestandsführung zunächst pro Warengruppe die einzelnen Bestände bewertet und addiert werden, um dann den so errechneten wertmäßigen Ist-Warenbestand als neuen Soll-Warenbestand zu erfassen. Allgemein lässt sich eine Inventur in die folgenden Schritte aufteilen: 1. Inventurvorbereitung 2. körperliche Bestandsaufnahme 3. Erfassung der Inventurdifferenzen 4. Korrektur des Sollbestandes. Der Grundansatz zu einer einheitlichen Realisierung besteht wieder aus einer Baukastenkonzeption, wie sie bereits bei der Disposition vorgestellt wurde, mit dem Unterschied, dass in diesem Bereich die Komplexität geringer ist. Die Inventurvorbereitung kann je nach eingesetztem Verfahren z.B. aus folgenden Varianten bestehen: x x x x
Auswahl des Inventurkreises bei der permanenten Inventur Auswahl der Stichprobe bei der Stichprobeninventur Erstellen der Zählzettel Laden der Erfassungsgeräte mit den erforderlichen Daten bei einer Erfassung der Inventurdaten vor Ort.
Die körperliche Bestandsaufnahme besteht aus dem Zählen des tatsächlich vorhandenen Bestandes. Beim Einsatz von Zählzetteln kommt der Eintrag der gezählten Ist-Mengen hinzu. Für die Erfassung der Inventurdifferenzen ins Warenwirtschaftssystem gibt es u.a. folgende Möglichkeiten: x spezielle Dialogprogramme zur Erfassung der Ist-Mengen anhand der ausgefüllten Zählzettel x Einsatz von Erfassungsgeräten vor Ort, sodass die Doppelerfassung auf Zählzettel und Dialogprogramm und damit eine mögliche Fehlerquelle entfallen.
328
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
Der letzte Schritt, die Korrektur des Sollbestandes, erfolgt nach der Eingabe der Inventurdifferenzen i.d.R. automatisch und kann z.B. folgende Varianten haben: x Korrektur des mengenmäßigen Bestandes auf der Ebene des einzelnen Artikels x Korrektur des wertmäßigen Bestandes auf der Ebene von Warengruppen x Korrektur des wertmäßigen Bestandes auf der Ebene des Gesamtbestandes. Betrachtet man diese Vorgänge aus der Sicht der Trennung von Warenbewegungs- und Abrechnungsebene, so unterscheidet sich die erste Variante wesentlich von den beiden weiteren. Die erste Variante ist ein Vorgang der Warenbewegungsebene, während die beiden anderen Varianten Vorgänge der Abrechnungsebene darstellen. Andererseits erzeugt auch der erste Vorgang eine Abrechungsmeldung, und zwar eine zur Verbuchung von Inventurdifferenzen. Selbst bei einer artikelgenauen Bestandsführung in allen operativen Einheiten können jedoch Inventurdifferenzen entstehen, die ausschließlich wertmäßig begründet sind. Wenn z.B. in einer Verkaufsstelle ein Artikel zu einem falschen Verkaufspreis verkauft wird – etwa weil das Laden einer Verkaufspreisänderung in einer der Scannerkassen dieser Verkaufsstelle unbemerkt nicht funktioniert hat , – so führt dies zu Inventurdifferenzen, wenn in den Kassen die Umsätze nur mengenmäßig geführt werden. In einem solchen Fall wird die Verkaufsstelle bei der Kassenabrechnung feststellen, dass der gemäß der Formel Umsatz = verkaufte Menge * Verkaufspreis
(3.4)
errechnete Soll-Umsatz über alle Kassen und über das Gesamtsortiment nicht mit den insgesamt eingenommenen Beträgen übereinstimmt. Ein Rückrechnen der so entstandenen Inventurdifferenz auf den Einzelartikel ist dann mit vertretbarem Aufwand kaum noch möglich. Diese Problematik kann jedoch dadurch umgangen werden, dass der Bestand nicht nur mengenmäßig, sondern zusätzlich auch wertmäßig geführt wird. Eine solche wertmäßige Bestandsführung muss in den Verkaufsstellen bereits in den Kassen ansetzen. Dort müssen dann nicht nur die verkauften Mengen pro Artikel, sondern zusätzlich auch die Verkaufswerte pro Artikel gespeichert werden, um sie dann beim Tagesabschluss auf Verkaufsstellenebene zu verdichten. Wenn geprüft wird, ob die Summe der so gespeicherten Umsätze mit dem errechneten Soll-Umsatz – auf der Basis der mengenmäßigen Verkaufsdatenerfassung – übereinstimmt, lässt sich die festgestellte Differenz zurückverfolgen und entsprechend auf Einzelartikelebene verbuchen.
3.5 Informationslogistik und Data-Warehousing
329
Im Lager sind diese Probleme in den meisten der heutigen Warenwirtschaftssysteme nicht vorhanden, weil hier i.d.R. auf Artikelebene operiert wird, dies zumeist sowohl mengen- als auch wertmäßig. Da die Läger als eigene operative Einheiten bzw. Leistungsstellen betrachtet werden, die entsprechend selbstständig Verkaufspreise – so genannte Lagerabgabepreise – gegenüber ihren Abnehmern festlegen können, ist es denkbar, dass dabei nicht mit einheitlichen Verkaufspreisen operiert wird, sondern dass z.B. gegenüber den eigenen Verkaufsstellen andere Preise festgesetzt werden als gegenüber einem selbstständigen Einzelhändler. Andererseits handelt es sich dabei um eine spezifische Form der Rabatte, die teilweise auch in den Verkaufsstellen gewährt werden und entsprechend auf eine für alle operativen Einheiten einheitliche Art und Weise berücksichtigt werden können.
3.5 Informationslogistik und Data-Warehousing 3.5.1
Grundlagen der Datensammlung
3.5.1.1 Überblick Informationssysteme sind allgemein definiert als aufeinander abgestimmte Arrangements personeller, organisatorischer und technischer Elemente des Informationsmanagements, das der Verbesserung des Kenntnisbzw. Informationsstands der Entscheidungsträger im Unternehmen dient (Delfmann 1997, S. 186, Liebmann/Zentes 2000, S. 669). operative Ebene
Strategie
Geschäftsprozesse
Entscheidungsunterstützung
DataWarehouse
Ergebnisanalyse Wissenserzeugung
dispositive Ebene
Abb. 3.33. Grundstruktur handelsbetrieblicher Informationssysteme (Quelle: Fischer 1998, S. 19.)
330
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
Das Informationsmanagement in Handelsunternehmen ist grundsätzlich unabhängig von einer etwaigen Computerunterstützung. Dennoch wird der Begriff des Informationsmanagements zumeist im Kontext der IT-Unterstützung diskutiert. Die Informationssysteme im Handel sind im Grundsatz in zwei Ebenen unterteilt (s. Abb. 3.33.). Zum einen dienen sie auf der operativen Ebene der Prozesssteuerung. Dabei stehen die warenbezogenen Prozesse im Vordergrund, die im Rahmen des Warenwirtschaftssystems mengen- und wertmäßig abgebildet werden. Auf der dispositiven bzw. strategischen Ebene ist die Entscheidungsunterstützung angesiedelt. In diesem Zusammenhang wird deshalb meist von Managementunterstützungssystemen (MUS) gesprochen (Liebmann/Zentes 2000, Fischer 1998, Diruf 1998). Die Basis der Informationslogistik in (Einzel-)Handelsunternehmen bildet auf der Verkaufsseite die Scanning-Technologie. Sie dient der Gewinnung der notwendigen Informationen über die Warenströme. Die Warenwirtschaftssysteme auf der Ebene der Verkaufsstellen bzw. Filialen haben somit insbesondere informationsgenerierenden Charakter, indem – zumeist anhand von Scanning-Systemen – die Abverkaufsdaten sowie ggf. Kundeninformationen erfasst werden. Die Warenwirtschaftssysteme in den Zentralen sind demgegenüber mit weiteren Funktionalitäten ausgestattet und dienen der Erfüllung von Planungs- und Dispositionsaufgaben. Während ursprünglich die Warenwirtschaftssysteme eher als operative Systeme aufgefasst wurden, in denen die Aufbereitung von Informationen zur Unterstützung von Entscheidungsprozessen zumeist nicht als ihre Aufgabe angesehen wurde, werden diese Aufgaben heute ebenfalls als Teilbereich der Warenwirtschaftssysteme angesehen und sind i.d.R. als Funktionalitäten in den Systemen integriert. Auf Grund dieser engen Verzahnung zwischen Warenwirtschafts- und Managementunterstützungssystemen werden diese deshalb zumeist nicht mehr als unabhängige Systeme angesehen (Liebmann/Zentes 2000). Die Informationssysteme177 bilden in diesem Zusammenhang somit die Basis für die Entscheidungssysteme in den unterschiedlichen Unternehmenseinheiten. In Handelsunternehmen steht eine Vielzahl von Informationen zur Verfügung („Informationsflut“), die in sinnvoller Weise verdichtet, ausgewertet und aufbereitet werden muss, sodass sie in den unterschiedlichen Unternehmensbereichen zur Verbesserung der Entscheidungsgrundlage (s. Abb. 3.34.) eingesetzt werden können (Guthunz 1994).
177
Zu Referenzarchitekturen von Handelsinformationssystemen vgl. z.B. Becker/ Schütte 2004, Schütte/Vering 2004 und Becker 1997.
3.5 Informationslogistik und Data-Warehousing
331
Informationen aufbereiten: Weiterbearbeitung in externen Systemen unabhängig vom Auswertungsergebnis Verschiedene Aufbereitungsformen wahlfreies Ausgabemedium
Informationen auswerten: 9 9 9 9
flexible Auswertungshierarchien Weiterbearbeitungsfunktionen einfaches Ändern definierter Abfragen Überwachungsfunktion (Plan/Ist)
Informationen gewinnen: 9 9 9 9
Kopplung operatives System synchron, asynchron unmittelbar, sicher aus "externen" Systemen parametrisierbar
Verd icht ung
9 9 9 9
MUS
WWS (Zentrale) WWS (Filiale) Scanning
Abb. 3.34. Aufbau der handelsbetrieblichen Informationslogistik (Quelle: in Anlehnung an Hertel 1998, S. 509.)
3.5.1.2 Verdichtung der Daten Die Informationsbasis, die den Handelsunternehmen zur Verfügung steht, muss in sinnvoller Form im Rahmen der Informationslogistik der Handelsunternehmen organisiert werden. Die Grundlage der Informationssysteme bilden Datenbanken, die als Informationsquelle bzw. als „Zentralarchiv“ die Basis der Informationsversorgung der operativen Einheiten darstellen (Kloth 1999, S. 133 ff.). Diese Daten bilden die Grundlage der Entscheidungsunterstützungssysteme. Um eine konsistente Datenbasis zu realisieren, ist die Integration der Daten der operativen Einheiten erforderlich. Im einfachsten Fall werden alle Informationsmeldungen direkt und damit ohne jede Verdichtung in einer Datenbank gespeichert. Solche Datenbanken werden auch als „Data-Warehouse“ bezeichnet. Unter einem DataWarehouse versteht man ein Datenbanksystem, das in der Lage ist, x themenorientiert, also strukturiert nach Themenbereichen, Prozessen oder Managementsichten, x integriert, also mehrere Unternehmenseinheiten verknüpfend, x zeitbezogen, also anhand einer Speicherung nach spezifischen, festen Zeitpunkten, und x dauerhaft, also langfristig, die zur Entscheidungsunterstützung notwendigen bzw. relevanten Daten zu sammeln, zu selektieren und ggf. zu verdichten (Inmon 1996; Holten/Rotthowe/Schütte 2001).
332
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
Im Rahmen der Informationslogistik von Handelsunternehmen werden zum einen alle Warenbewegungen erfasst, die damit mengen- und wertmäßig im Einzelfall pro Artikel und Tag für die weitere Analyse in den Informationssystemen zur Verfügung stehen. Darüber hinaus können noch weitere Daten in das Data-Warehouse eingespeist werden, so z.B. externe Daten von Herstellern, Marktforschungsinstituten, Logistik-Dienstleistern u.Ä. (s. Abb. 3.35.), die zur Realisierung einer umfassenden Informationsbasis als Grundlage des Supply-Chain-Managements von besonderer Bedeutung sind. intraorganisatorisches Informationssystem
Filiale Kunden
im Laden z.B. über Kundenkarte Hersteller
Banken
Logistikdienstleister
Zentrale Data Warehouse
Kunden
von zu Hause z.B. über Internet
Mafo-Institute
Abb. 3.35. Informatorische Schnittstellen von Handelsinformationssystemen (Quelle: in Anlehnung an Kloth 1999, S. 131.)
Die Verdichtung der Daten zur Entscheidungsunterstützung auf den unterschiedlichen Ebenen bzw. in den unterschiedlichen operativen Einheiten ist i.d.R. unverzichtbar, fraglich ist nur der Grad der Verdichtung. Dieser Verdichtungsgrad ist von mehreren Faktoren abhängig, so z.B.: x x x x x x x x
den Unternehmenszielen der Strategie im Bereich der Informationssysteme dem Informationsbedürfnis den Kosten den informationstechnischen Rahmenbedingungen den operativen Einheiten den Sortimenten den Mengengerüsten.
3.5 Informationslogistik und Data-Warehousing
333
Es gibt also eine Vielzahl von Einflussfaktoren, die zum großen Teil auch innerhalb eines Handelsunternehmens zu unterschiedlichen Verdichtungsanforderungen führen können. Insbesondere können diese Anforderungen bei unterschiedlichen operativen Einheiten verschieden sein, wie anhand der folgenden Beispiele illustriert werden kann: 1. In der operativen Einheit Verkaufsstelle werden die Warenausgänge, d.h. die Verkäufe an die Verbraucher, oft pro Einzelartikel und Tag abgespeichert, weil die tagesgenauen Verkaufsmengen u.a. für das Prognosesystem benötigt werden, in dem die unterschiedlichen Verkaufsmengen der einzelnen Wochentage berücksichtigt werden. In der operativen Einheit Lager dagegen werden diese artikelgenauen Daten auf Tagesbasis nur für die Rechnungsschreibung, aber nicht für spätere statistische Auswertungen benötigt. Dort sind v.a. die tägliche Warenausgangsleistung pro Lagerbereich oder der Lagerumschlag pro Artikel und Jahr, also stärker verdichtete Daten, von Interesse. 2. Für eine optimale Lieferantenbewertung werden in der operativen Einheit Lager alle Wareneingänge eines Lieferanten mit allen Informationen wie Artikel, bestellte Menge, gelieferte Menge, Lieferzeitabweichungen, Einkaufskonditionen usw. gespeichert. Diese Daten werden zur Erstellung einer Lieferantenbewertungsliste als Basis für die Jahresgespräche verwendet. In der operativen Einheit Verkaufsstelle wären diese Informationen zwar genauso interessant, sie werden aber nicht in diesem Detaillierungsgrad gesammelt, weil die Mengengerüste und der Aufwand, diese Informationen auf Unternehmensebene zusammen zuführen, zu groß sind – zumindest dann, wenn das Handelsunternehmen sehr viele Verkaufsstellen und einen hohen und regional unterschiedlichen Streckengeschäftsanteil hat. Die Beispiele zeigen die Notwendigkeit einer flexiblen Verdichtungsstrategie. Im Statistik-Subsystem ist daher eine Parametersteuerung sinnvoll, über welche die jeweilige Verdichtungsstrategie festgelegt werden kann. Verdichtungen können z.B. auf folgenden Ebenen erfolgen: x pro Zeitraum (Tag, Woche, Dekade, Monat, Quartal, Tertial, Kalenderjahr, Geschäftsjahr) x pro Artikel (Warengruppe, Sortimentsteil, Sortiment, Regal, Lieferant) x pro operativer Einheit (Lager, Verkaufsstelle, Vertriebsschiene, Region) x pro Kunde (Endverbraucher, Absatzweg). Über die Parametersteuerung können Verdichtungsstrategien etwa durch folgende Parameter beeinflusst werden:
334
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
x die operative Einheit, d.h. unterschiedliche Strategien im Lager bzw. in den Verkaufsstellen oder unterschiedliche Strategien in den verschiedenen Vertriebsschienen x den Artikel, d.h. unterschiedliche Strategien für verschiedene Warengruppen oder Sortimentsteile, z.B. artikelgenaue Speicherung aller Daten im Lebensmittelsortiment, aber nur warengruppenbezogene Speicherung bei Büchern x die Zeit, d.h. z.B. normalerweise Verdichtung auf Warengruppen, in einem bestimmten Zeitraum soll aber auf Einzelartikelebene gespeichert werden (interessant z.B. für Stichproben aller Art, Warenkorbanalysen, Beobachtung des Weihnachtsgeschäfts, Einfluss von Aktionen usw.). Die Verdichtungsstrategien können auch in verschiedenen Funktionsbereichen des Warenwirtschaftssystems unterschiedlich sein, also z.B. artikelbezogene Abspeicherung der Wareneingänge und warengruppenbezogene Abspeicherung der Warenausgänge. Auf der Basis dieser Steuerungsparameter kann dann das StatistikSubsystem für jede Variante die richtige Datenverdichtungsstrategie auswählen und die Daten dann in der gewünschten Form in die StatistikDatenbank abspeichern. Die Anforderungen an die betrieblichen Informationssysteme unterliegen dabei i.d.R. wie kaum ein anderer Bereich im Unternehmen dauernden Änderungen. Schon deshalb ist eine wirklich flexible Gesamtkonzeption wichtig. Wenn zusätzlich das Ziel verfolgt wird, einen für viele Unternehmen oder zumindest viele Unternehmensbereiche zweckmäßigen Standard zu erarbeiten, wird Flexibilität, d.h. leichte Anpassungsfähigkeit an geänderte Anforderungen, zur zentralen Forderung in diesem Bereich. Das größte Problem bei der Realisierung von Informationssystemen bzw. von nachträglichen Änderungen an bereits bestehenden Systemen besteht in der oft „konzeptionslosen“ Datensammlung. Bereits in frühen Stadien wird häufig festgelegt, welche statistischen Daten für die Informationssysteme benötigt werden. Entsprechend werden dann diese Daten z.B. im Wareneingangsprogramm bzw. im Warenausgangsprogramm abgespeichert. Wenn später aus dem Informationssystem heraus neue Anforderungen auftreten, wie etwa die Speicherung der Bewegungsdaten in einem bestimmten Bereich nicht mehr auf Wochen-, sondern auf Tagesbasis, bedeutet dies einen erheblichen Änderungsaufwand, z.B.: x Das Datenbanksystem muss erheblich verändert werden. x Alle Programme, in denen diese Daten gespeichert werden, müssen gefunden und geändert werden. Im angesprochenen Beispiel kann hiervon die gesamte Programmlogik betroffenen sein.
3.5 Informationslogistik und Data-Warehousing
335
x Durch Änderungen wird u.U. das Antwortzeitverhalten wichtiger Programme so negativ beeinflusst, dass Grundkonzeptionen in Frage gestellt werden. 3.5.1.3 Das Statistik-Subsystem Ein Lösungsansatz für diese Problematik folgt aus der vorgeschlagenen Trennung in Warenbewegungs- und Abrechnungsebene. Die Schnittstelle zwischen diesen beiden Ebenen bildet den idealen Ansatzpunkt für die Abspeicherung aller statistischen Daten, denn an dieser Schnittstelle werden alle Warenbewegungen auf Einzelartikelebene dokumentiert, dadurch dass die Abrechnungsmeldungen die Information enthalten, welcher Artikel, in welcher Menge, wann, von woher, wohin geliefert wurde. Damit werden für die Informationssysteme die Informationen bereitgestellt, welche die mengenmäßige Darstellung der Warenbewegungen betreffen. Es fehlen dann noch die wertmäßige Darstellung bzw. die Konditionen, zu denen diese Warenbewegungen erfolgt sind. Diese wertmäßige Darstellung erfolgt durch das Abrechnungssystem bzw. genauer durch dessen Bewertungs-Subsystem. Die auf diese Weise bewerteten Abrechungsmeldungen werden als Informationsmeldungen bezeichnet. An dieser Stelle kann das Statistik-Subsystem als Basis für die Informationssysteme aufsetzen. Abrechnungsebene Warenbewegungsebene
AbrechnungsBewertung meldung
Statistik Subsystem
StatistikDatenbank
Informationssystem
Abb. 3.36. Statistik-Subsystem als Schnittstelle
336
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
Dieses Statistik-Subsystem (s. Abb. 3.36.) ist von entscheidender Bedeutung für die Flexibilität des Konzepts. Dabei wird entschieden, welche Daten wie oft und in welcher Form in der Statistik-Datenbank gespeichert werden. In Frage kommen dabei alle Daten, die für Planung, Steuerung und Controlling im gesamten warenwirtschaftlichen Bereich benötigt werden. Die vom Abrechnungssystem an das Statistik-Subsystem weitergeleiteten Informationsmeldungen geben alle Informationen auf elementarster Ebene in unverdichteter Form, d.h. i.d.R. pro Einzelartikel und Tag, wieder. Es kann dann diesem Subsystem überlassen bleiben, in welcher Form die Informationsmeldungen in der Datenbank gespeichert werden sollen. Die Art und Weise dieser Speicherung ist für alle funktionalen Bereiche des Warenwirtschaftssystems irrelevant – ausschließlich die auf diese Daten zugreifenden Systeme müssen über die Information verfügen, in welcher Form die Daten in der Statistik-Datenbank gespeichert sind. Die hier vorgestellte strukturierte Konzeption einer flexiblen Datensammlung, die entsprechend der individuellen Anforderungen der verschiedenen operativen Einheiten angepasst werden kann, ist der entscheidende Schritt zu einem leistungsfähigen und flexiblen Informationssystem. Die Vorteile dieser Strukturierung lassen sich wie folgt zusammenfassen: 1. Grundsätzlich können alle für das Informationssystem erforderlichen Daten auf elementarster Ebene, d.h. auf der Ebene der einzelnen Warenbewegung, gespeichert werden. 2. Durch die Konzentration der Speicherung aller statistischen Daten in einen eigenständigen Modul wird eine erhöhte Flexibilität gegenüber neuen Anforderungen des Informationssystems erreicht, weil die funktionalen Programmbereiche von den notwendigen Änderungen nicht betroffen sind. 3. Durch die quasi asynchrone Entkopplung der Statistik-Abspeicherungen vom eigentlichen Verarbeitungsprogramm kann das Antwortzeitverhalten in den funktionalen Programmsystemen verbessert werden. 4. Durch die über die Parametersteuerung des Statistik-Subsystems auf die individuellen Anforderungen des Einzelfalls zugeschnittenen Verdichtungsstrategien kann erheblicher Speicherplatz eingespart und indirekt damit auch das Antwortzeitverhalten im Rahmen des Informationssystems verbessert werden.
3.5 Informationslogistik und Data-Warehousing
337
3.5.1.4 Informationsstrukturen im Open-Source-ERP-System Compiere als Beispiel178 Die Anwender von Entscheidungsunterstützungssystemen stellen oftmals die Anforderungen, dass Änderungen in den Informationsstrukturen möglich sein müssen, auch wenn das System sich bereits in der Implementierungsphase oder gar im Echtbetrieb befindet, denn erst im Echtbetrieb wird oft festgestellt, dass eine bestimmte Information nicht und eine andere zusätzlich für bestimmte Entscheidungsprozesse benötigt wird, oder Änderungen in den Geschäftsprozessen erfordern die Sammlung zusätzlicher Informationen. In dem System von Compiere ist es möglich, dass ein Anwender ohne spezielle IT-Kenntnisse jederzeit Informationsdimensionen hinzufügen, ändern oder entfernen kann. Die zu Grunde liegende OLAP (Online Analysis Processing)-Struktur wird automatisch angepasst. In dem System wird dabei eine ausführliche Liste vordefinierter Dimensionen zur Verfügung gestellt, die es dem Anwender ermöglicht, zusätzliche Dimensionen zu definieren. In allen Dimensionen ist es dabei möglich, Baumstrukturen aufzubauen, die jederzeit geändert werden können: Jede Informationsdimension hat einen Primärbaum und kann zusätzliche Summierungsbäume haben. Diese Strukturen können verwendet werden, wenn z.B. alte und neu angelegte Strukturen auch künftig verglichen werden sollen oder wenn man zwei verschiedene Geschäftspartnerstrukturen aufrecht erhalten will, z.B. nach Industriezweig oder nach Typ (Großhandel, Einzelhandel, Endverbraucher). Für Reporting-Zwecke ist es dem Anwender möglich, beliebig Informationsdimensionen miteinander zu kombinieren. Die Daten werden grundsätzlich auf dem feinsten Informationslevel gespeichert. Betrachtet man als Beispiel die Dimension „Zeit“, so können Transaktionen in jeder beliebigen Form summiert werden, z.B. nach Stunde, Wochentag oder beliebigen Kalenderperioden. Compiere speichert sowohl das Verrechnungsdatum als auch das Transaktionsdatum. Dies ist z.B. für die Umsatzanerkennungsregeln bei Service-Verträgen notwendig oder wenn die Kosten einer anderen Abrechnungsperiode zuzurechnen sind. Auch unterschiedliche Abrechnungsregeln können gleichzeitig angewandt und ihre Ergebnisse miteinander verglichen werden. Ebenso können mehrere unterschiedliche Abrechnungsperioden definiert werden. Das Informationssystem im Rahmen des Open-Source-Systems Compiere kommt somit der hier vorgestellten Konzeption sehr nahe.
178
Vgl. hierzu Compiere 2004.
338
3.5.2
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
Datenbankabfragen, -analysen und Data-Mining
3.5.2.1 Zentrale und dezentrale Datenhaltung Die Konzeption der operativen Einheiten unterstützt eine Dezentralisierung der Datenhaltung, indem sie zunächst durch die Dezentralisierung der funktionalen Bereiche die Dezentralisierung der Stamm- und Bewegungsdaten bietet und damit die erforderlichen Voraussetzungen für Management-Informationssysteme auch in den Verkaufsstellen schafft. Weiterhin wird die dezentrale Datenhaltung durch den Einsatz von PCs mit relationalen Datenbanken und Tabellenkalkulationsprogrammen erleichtert, deren Gebrauch auch von IT-unkundigen Mitarbeitern schnell erlernt werden kann. Bei den Informationssystemen gibt es allerdings auch einen Bereich, in dem die Grenze einer einheitlichen Konzeption für alle operativen Einheiten erreicht wird. Diese liegt im Bereich der Zusammenfassung der operativen Einheiten, also der gesamtunternehmensbezogenen Informationssysteme. Beispiele für solche Auswertungen aus gesamtunternehmensbezogenen Informationensystemen sind etwa: x die kurzfristige Erfolgsrechnung über alle operativen Einheiten x eine artikelspezifische Ergebnisrechnung für einen bestimmten Artikel, über alle Verkaufsstellen x Ordersatz eines Streckenlieferanten über alle Verkaufsstellen. Die Beispiele sind gut geeignet, die grundsätzlichen Unterschiede bei der Realisierung solcher Anforderungen aufzuzeigen. Erkennbar ist insbesondere die Bedeutung der Informationstechnologie, speziell der Datenbanktechnologie für die Entwicklung dieser Auswertungen. 3.5.2.2 Abfragen und Auswertungen Die Datenbanken der operativen Systeme sind auf die Veränderung bzw. Analyse kleinerer Datenbanken ausgerichtet („transaktionsorientiert“). Dabei stehen insbesondere OLTP-Systeme (Online Transactional Processing) im Vordergrund. Ein Data-Warehouse hingegen, als meist gesamtunternehmensbezogene Aggregation der Daten und Informationen, ist durch einen wesentlich komplexeren Aufbau gekennzeichnet und wird insbesondere zu Analysezwecken eingesetzt. Im Vordergrund stehen dabei somit das Abfragen von Informationen bzw. die Aggregation der Daten. In diesem Zusammenhang sind die Verfahren des OLAP (Online Analytical Processing) von besonderer Bedeutung. Dabei erfolgt die Abfrage von „Daten-
3.5 Informationslogistik und Data-Warehousing
339
würfeln“ bzw. die Navigation durch die Datenbanken im Rahmen einer mehrdimensionalen Struktur (Chaudhuri/Dayal 1997). OLAP-Systeme dienen somit der Analyse- und Entscheidungsunterstützung, z.B. im Rahmen von multidimensionalen Analysen, Prognosen o.Ä. Es handelt sich dabei um komplexe, interaktive Analysen, die in Form einer mehrdimensionalen Sicht auf die vorhandenen Datenbestände realisiert wird (McDonald/Gentry 1997). Eine typische Visualisierungsform der OLAP-Datensicht ist der OLAP-Würfel, wenngleich im Rahmen von OLAP-Analysen die Analyse von Daten auch hinsichtlich mehrerer Dimensionen (mehr als drei) möglich ist. Die Vorgehensweise im Rahmen von OLAP-Analysen entspricht dem „Durchschneiden“ dieses Datenraumes (s. Abb. 3.37.) und der sich daran anschließenden Analyse der sich daraus ergebenden Schichten (Liebmann/Zentes 2000, S. 698 f.). Artikel x in allen Filialen an n Tagen
alle Artikel in allen Filialen am Tag z
alle Artikel in Filiale y an n Tagen
Artikel x
Filialen Filiale y Tage
Tag z
Artikel x in Filiale y am Tag z
Abb. 3.37. OLAP-Konzept zur Datenanalyse (Quelle: Kloth 1999, S. 144.)
In vielen Handelsunternehmen und vielen Standard-Warenwirtschaftssystemen ist es üblich, die für derartige Auswertungen notwendigen Daten doppelt zu speichern (also z.B. in der jeweiligen Verkaufsstelle und der Zentrale), um auf diese Weise die Kosten der Datenübertragung zu senken und das Anwortzeitverhalten zu verbessern. Auf der Basis der heutigen Datenbanktechnologie sind jedoch wesentlich einfachere Lösungen für das beschriebene Problem denkbar. Dabei geht man von einer Konfiguration aus, in der jede operative Einheit ihr eigenes Warenwirtschaftssystem hat, die wiederum alle in einem Rechnernetz miteinander verbunden sind (s. Abb. 3.38.). Die Unternehmensdatenbank kann dabei von vornherein über alle operativen Einheiten verteilt werden; die Daten werden jeweils
340
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
nur an einer Stelle gespeichert, und zwar dort, wo sie entstehen oder auch dort, wo sie am häufigsten gebraucht werden. Die für eine artikelspezifische Ergebnisrechnung erforderlichen Artikelumsatzdaten werden also in der jeweiligen operativen Einheit gespeichert, in der sie entstehen. Artikelspez. Ergebnisrechnung
verteilte relationale Datenbank Nr. der operativen Einheit
Nr. der operativen Einheit
Nr. der operativen Einheit
Artikel-Nr.
Artikel-Nr.
Artikel-Nr.
Verkaufspreis
Verkaufspreis
Verkaufspreis
Einkaufspreis
Einkaufspreis
Einkaufspreis
direkte Produktkosten
direkte Produktkosten
direkte Produktkosten
Absatz
Absatz
Absatz
Filiale
Filiale
Lager
Abb. 3.38. Zugriffe der artikelspezifischen Ergebnisrechnung auf die Daten in einer verteilten, relationalen Datenbank
In solchen verteilten, relationalen Datenbanken (s. Abb. 3.38.) stehen leistungsfähige Datenbankabfragesprachen zur Verfügung, die z.T. – nach einer entsprechenden Schulung – auch von Mitarbeitern aus den Fachabteilungen benutzt werden können. Unter Verwendung einer solchen Datenbankabfragesprache kann dann relativ einfach eine artikelspezifische Ergebnisrechnung erstellt werden. Dabei spielt der Ort, an dem die jeweiligen Daten gespeichert sind, keine Rolle. Es wirkt, als sei das ganze System eine einheitliche, große Datenbank, während das Datenbanksystem im Hintergrund die Aufgabe übernimmt, die erforderlichen Daten im richtigen Netzknoten zu suchen, zu lesen und zu übertragen. Die Auswertung und Aufbereitung der Daten erfolgt dann in der Zentrale bzw. – zumindest i.d.R. – an der Stelle, welche die Auswertung gestartet hat. Das vorgestellte Beispiel zeigt, dass im Bereich der Informationssysteme Auswertungen ermöglicht werden müssen, die über die Grenzen der operativen Einheiten hinausgehen, also gesamtunternehmensbezogene
3.6 Betriebliches Rechnungswesen
341
Auswertungen. Im Bereich der Informationssysteme ist dabei neben der modularen Konzeption der operativen Einheiten auch eine Metaebene der Information erforderlich, in der Informationen über alle operativen Einheiten bereitgestellt werden. In Handelsunternehmen mit vielen Verkaufsstellen wird es in diesem Zusammenhang aus Effizienzgründen häufig erforderlich sein, ein eigenständiges Datenmodell für diese Metaebene zu entwickeln. Die Auswertung der zur Verfügung stehenden Informationsbasis stellt eine der wesentlichen Schlüsselkomponenten eines Data-Warehouses dar. Die Zielsetzung im Rahmen des Data-Mining liegt dabei darin, Datenmuster zu erkennen bzw. spezifische Daten aus dem Data-Warehouse zu extrahieren. Die Aufgabe des Data-Mining liegt somit darin, die Datenbanken zu „durchsuchen“, um bisher unbekannte Zusammenhänge zwischen den Daten aufzuzeigen. Dieses Data-Mining erfolgt z.B. mithilfe statistischer Verfahren, KI-Logiken179 oder unter Einsatz genetischer Algorithmen. Anhand solcher Data-Mining-Verfahren ist es z.B. möglich, Ergebnisse der folgenden Art zu extrahieren (Gilmozzi 1996, S. 169 f.; Kloth 1999, S. 147 ff.): x Verbindungen und Beziehungen, z.B. Aussagen über direkte Verbundbeziehungen zwischen Artikeln x Zeitreihenmuster, z.B. Aussagen über zeitbezogene Verbundbeziehungen zwischen Artikeln, wie die Ermittlung von Zeitspannen und Kaufwahrscheinlichkeiten für Additivgüter nach dem Erwerb eines bestimmten Artikels x Klassifikationen, z.B. Charakterisierung von Kundentypen anhand des Kaufzeitpunktes und -ortes x Cluster, z.B. Aufdecken neuer, vorher unbekannter Kundentypen x Vorhersagen, z.B. Absatzprognosen bei Einführung neuer Marketingaktivitäten.
3.6 Betriebliches Rechnungswesen 3.6.1
Das Abrechnungssystem als Basis
Die Integration des betrieblichen Rechnungswesens in das Warenwirtschaftssystem erfolgt über das Abrechnungssystem. Das Abrechnungssystem stellt die Basis für die warenwirtschaftlichen Subsysteme des betrieb-
179
Vgl. hierzu Abschnitt 4.4.3.
342
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
lichen Rechnungswesens dar, so über das Belastungs-/Entlastungs-Subsystem. Jede Warenbewegung löst eine Abrechnungsmeldung an das Abrechnungssystem aus. Im Bewertungs-Subsystem werden diese Abrechnungsmeldungen um entsprechende Bewertungen ergänzt; die so bewerteten Abrechnungsmeldungen werden dann vom Belastungs-/Entlastungs-Subsystem weiterbearbeitet. Dieses Subsystem analysiert die bewertete Abrechnungsmeldung und führt dann anhand des Typs dieser Meldung Belastungen und Entlastungen der betroffenen Leistungsstellen durch. Man erhält damit zeitnah zur physischen (mengenmäßigen) Warenbewegung die Verbuchung der wertmäßigen Auswirkungen auf den entsprechenden Leistungsstellen und damit die Basis für eine aktuelle Ergebnisund Kostenrechnung. In der Regel wird versucht, diese Verbuchungen online oder zumindest möglichst zeitnah zur physischen Warenbewegung durchzuführen, was durch die integrierte Gesamtkonzeption auch möglich gemacht werden kann. Restriktionen müssen allerdings oft aus Effizienzgründen in Kauf genommen werden; viele Handelsunternehmen führen z.B. die Verkaufsstellenabrechnung, d.h. die Belastung und Entlastung der Verkaufsstellen, in einem wöchentlichen Rhythmus durch, um den Gesamtaufwand, der in der Verbuchung von Tausenden von Warenbewegungen durch das ITSystem besteht, zu reduzieren. Aber auch solche zeitlichen Entkopplungen zwischen physischer Warenbewegung und wertmäßiger Verbuchung lassen sich durch die Trennung von Warenprozess- und Abrechungsebene leichter, d.h. ohne zusätzlichen Aufwand, realisieren als in einem konventionellen Entwurf, bei dem aus den funktionalen Anwendungsprogrammen heraus entsprechende Informationen in eigens dafür definierte Datenpools eingetragen werden müssen, während bei der hier vorgeschlagenen Lösung einfach nur die betroffenen Abrechnungsmeldungen für eine spätere Verarbeitung gepuffert werden müssen. 3.6.2
Ergebnis- und Kostenrechnung
Mit der bis hierher vorgestellten Konzeption ist die Realisierung der Ergebnis- und Kostenrechnung als Informationssystem innerhalb des Warenwirtschaftssystems aus organisatorischer und informationstechnischer Sicht eine relativ leichte Aufgabe.
3.6 Betriebliches Rechnungswesen
343
Abrechnungsebene Warenbewegungsebene
AbrechnungsBewertung meldung
Belastung / Entlastung
StatistikSubsystem
StatistikDatenbank
EntlastungsDatenbank
Informationssystem Ergebnis- und Kostenrechnung
Abb. 3.39. Ergebnis- und die Kostenrechnung als in die Warenwirtschaft integriertes Informationssystem
Die – i.d.R. unbewerteten – Abrechnungsmeldungen werden von der Warenprozessebene an das Abrechnungssystem weitergeleitet, im Bewertungs-Subsystem bewertet und von dort an das Belastungs-/EntlastungsSubsystem übermittelt (s. Abb. 3.39.). Dort erfolgen dann je nach Typ der Warenbewegung die erforderlichen Belastungen und Entlastungen der betroffenen Leistungsstellen, die dann in der Belastungs-/Entlastungs-Datenbank fortgeschrieben werden. In dieser Datenbank werden auf diese Weise für jede betriebliche Leistungsstelle alle relevanten Geschäftsvorfälle gespeichert. Die Ergebnisund Kostenrechnung hat über den Zugriff auf die Belastungs-/EntlastungsDatenbank lediglich die Aufgabe, die abgespeicherten Daten in der jeweils gewünschten Form darzustellen. 3.6.3
Schnittstellen zu Standardsystemen
Die heute am Softwaremarkt verfügbaren Warenwirtschaftssysteme enthalten i.d.R. auch ein Subsystem für die Ergebnis- und Kostenrechnung, wenngleich viele Unternehmen für diesen Bereich auch Standardsysteme einsetzen, obwohl solche Lösungen den Nachteil einer zusätzlichen Schnittstelle zwischen der Warenwirtschaft und der Kostenrechnung mit
344
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
dem dazu erforderlichen Kommunikations- und Änderungsaufwand haben. Vor allem bei Großunternehmen wird dieser Nachteil jedoch möglicherweise durch erhöhte Flexibilität und die einheitliche Gesamtlösung für alle Unternehmensbereiche – etwa auch solche, die nichts mit dem Handel zu tun haben – ausgeglichen. In jedem Fall – wenn sich das Handelsunternehmen für den Einsatz einer eigenständigen Ergebnis- und Kostenrechnung außerhalb des Warenwirtschaftssystems entscheidet - bietet die Trennung von Warenbewegungs- und Abrechnungsebene und mit den entsprechenden Subsystemen für Bewertung, Belastung/Entlastung und Statistik optimale Voraussetzungen für eine klar definierte Schnittstelle. 3.6.4
Integration zur Konzernwarenwirtschaft
Konzernübergreifende Informationssysteme sind für die großen Unternehmen nach wie vor ein schwer zu lösendes Problem. Vor allem die Unternehmen, die im Rahmen des Konzentrationsprozesses im Handel in den letzten Jahren schnell gewachsen sind, stehen hier vor einer meist völlig heterogenen Landschaft unterschiedlichster und völlig inkompatibler Warenwirtschaftssysteme. Die Aufgabe, die Ergebnisse dieser Systeme auf Konzernebene zusammenzufassen, erfordert beträchtlichen zusätzlichen Entwicklungsaufwand. Für dieses Problem gibt es grundsätzlich zwei Lösungsansätze. Der erste liegt in einer Neukonzeption des gesamten Warenwirtschaftssystems und, was dabei besonders die Integration von Warenwirtschaftssystemen der verschiedenen Unternehmensbereiche betrifft, im Einsatz verteilter relationaler Datenbanksysteme. Solche verteilte Datenbanksysteme machen es möglich, überall im System auf die erforderlichen Daten zuzugreifen, ohne dass es von Relevanz ist, wo genau diese Daten gespeichert sind. Damit haben die zentralen Informationssysteme der Konzernwarenwirtschaft direkten Zugang zu den Daten der einzelnen Subsysteme, sie können sie beliebig verdichten, auswerten und aufbereiten. Dieser erste Lösungsansatz funktioniert besonders dann gut, wenn die einzelnen Warenwirtschaftssysteme einheitlich konzipiert wurden, d.h., wenn ihnen ein einheitlicher Datenbankentwurf zu Grunde liegt. Unterstützt wird dieser Ansatz noch durch die dargestellte Konzeption des Statistik-Subsystems, bei dem eine klar definierte Schnittstelle zwischen den statistischen Daten und dem restlichen Warenwirtschaftssystem vorgesehen ist, wodurch die Integration der unterschiedlichen Statistik-Datenbanken wesentlich erleichtert wird.
3.7 Standard- vs. Individualsysteme
345
Wenn solche einheitlichen Konzeptionen nicht vorliegen, was vor allem bei der Integration von Fremdsystemen, z.B. nach dem Zukauf eines neuen Unternehmens, auch nach einer Neukonzeption auftreten kann, greift der zweite Lösungsansatz. Dieser besteht in der Definition und Verwendung genormter Schnittstellen beim Datenaustausch zwischen den einzelnen Subsystemen eines Konzerns (z.B. EDIFACT). Wenn diese Schnittstellen in Richtung der Lieferanten und auch, wie vorgeschlagen, zwischen den einzelnen operativen Einheiten innerhalb eines Handelsunternehmens verwendet werden, ist es wesentlich einfacher, über diese dann bereits vorhandenen Schnittstellen auch Daten zwischen den unterschiedlichen Warenwirtschaftssystemen der verschiedenen Unternehmensbereiche auszutauschen.
3.7 Standard- vs. Individualsysteme Eine der wesentlichen Entscheidungssituationen im Rahmen der Implementierung von Warenwirtschaftssystemen besteht hinsichtlich der Fragestellung, ob Standardsysteme oder ob Individualsysteme eingesetzt werden sollen. Unter Standardsystemen versteht man dabei allgemein solche Systeme, die von Software-Herstellern mit der Intention entwickelt werden, einen breiten Einsatzbereich (in einer Vielzahl von Handelsunternehmen) zu realisieren. Dies beinhaltet, dass in solchen Warenwirtschaftssystemen Standardabläufe und -definitionen für Geschäftsprozesse realisiert werden, die eine hohe Anwendungsbreite garantieren sollen. Sie können im Rahmen der Implementierung i.d.R. anhand einer spezifischen Parametrisierung („Customizing“) an die spezifischen Bedürfnisse der Handelsunternehmen angepasst werden. Individualsysteme hingegen werden spezifisch für das betreffende Handelsunternehmen entwickelt. Sie bilden somit Systeme ab, die genau auf die Anforderungen eines bestimmten Unternehmens ausgerichtet bzw. zugeschnitten sind (Schütte/Vering 2004, S. 17). Diese „Make-or-Buy“-Entscheidung ist v.a. deshalb von so hoher Relevanz, weil die Ausgestaltung der Warenwirtschaftssysteme hinsichtlich der Prozessabläufe in den Handelsunternehmen von besonderer Bedeutung ist und somit die Kernprozesse der Handelsunternehmen dadurch nicht nur unterstützt, sondern auch optimiert werden sollen. Dies ist damit verbunden, dass die Warenwirtschaftssysteme restriktiv (wenn sie bestimmte Prozessabläufe nicht unterstützen können) oder als Enabler (wenn die Anläufe im Warenwirtschaftssystem abgebildet sind) für die Ausgestaltung bzw. den Ablauf oder die Durchführung der Geschäftsprozesse wirken können (Schütte/Vering 2004).
346
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
Hinsichtlich der Warenwirtschaftssysteme wird oftmals unterstellt, dass die Anforderungen der unterschiedlichen Handelsunternehmen weit gehend homogen seien. Dies ist jedoch i.d.R. lediglich hinsichtlich der groben Abläufe der Fall. Bezüglich der unterschiedlichen Sortimente oder alternativ eingesetzter Absatzkanäle bestehen diesbezüglich jedoch Unterschiede, die in den Warenwirtschaftssystemen berücksichtigt werden müssen. Am Beispiel der Unterschiede, die hinsichtlich der unterschiedlichen Sortimentsbereiche bestehen, lässt sich aufzeigen, wie die unterschiedlichen Sortimentsanforderungen unterschiedliche Funktionalitäten im Rahmen der Warenwirtschaftssysteme erfordern (s. Abb. 3.40.). Branche Lebensmittel
Textil/Sport/Schuhe
Spezifika Frischeproblematik (MHD) hohe Umschlaggeschwindigkeit mit häufiger Nachdisposition Aktionsmanagement durchgehende Saisonorientierung Moderisikofaktoren Verwaltung von Artikelvarianten (z.B. Farben, Größen)
Abb. 3.40. Beispiele für Branchenspezifika von Warenwirtschaftssystemen (Quelle: in Anlehnung an Schütte/Vering 2004, S. 35.)
Noch komplexere Anforderungen bestehen in Handelsunternehmen, die nicht nur über eine Vielzahl heterogener Sortimente verfügen (z.B. Lebensmittel und Mode), sondern gleichermaßen über mehrere Vertriebskanäle agieren. Wägt man vor diesem Hintergrund die Vor- und die Nachteile von Standard- vs. Individualsystemen gegeneinander ab,180 so steht als Vorteil der Individualsysteme zunächst die Tatsache im Vordergrund, dass sie auf die Anforderungen der Handelsunternehmen „maßgeschneidert“ sind. Die Entwicklung der Systeme erfolgt somit genau entsprechend der unternehmensspezifischen organisatorischen und Prozessanforderungen. Die Software ist somit auf die unternehmensindividuellen Prozesse und Strukturen ausgerichtet und dabei i.d.R. durch eine hohe Anpassungsflexibilität gekennzeichnet. Meist sind jedoch die Individualsysteme dadurch gekennzeichnet, dass die Breite der realisierten Funktionalitäten geringer ist als dies bei Standardsystemen der Fall ist. Zudem sind die Systeme häufig durch eine wesentlich geringere Integrationsfähigkeit mit anderen Syste180
Vgl. hierzu ausführlich Schütte/Vering 2004, S. 16 ff. und Becker/Schütte 2004.
3.7 Standard- vs. Individualsysteme
347
men gekennzeichnet. Zudem besteht – falls keine unternehmensinterne Entwicklung der Software erfolgt – oftmals das Risiko einer hohen Abhängigkeit der Handelsunternehmen gegenüber dem das Individualsystem entwickelnden Softwarehaus. Da zunächst lediglich dieser Entwickler der Individualsoftware über die Kenntnis über der Struktur der Software sowie der spezifischen Programmierung verfügt. Aus diesem Grund besteht eine hohe Abhängigkeit z.B. hinsichtlich der Serviceleistungen (z.B. Wartung, Schulungen) oder der Erweiterungsmöglichkeiten, aber auch -fähigkeiten der Individualsysteme. Standardsoftwaresysteme sind zunächst dadurch gekennzeichnet, dass die Funktionalitäten zunächst nicht unternehmensindividuell, sondern möglichst „allgemein gängig“ ausgestaltet werden. Dies kann bedeuten, dass sie nicht oder nur wenig kompatibel mit den spezifischen Abläufen der Handelsunternehmen sind. In diesem Zusammenhang kann zwar im Sinne eines Customizing eine Anpassung an die Unternehmensstrukturen und -prozesse erfolgen, jedoch wird diese Anpassung zumeist nicht zu einer gleichermaßen unternehmensspezifischen Optimierung der Systeme führen wie dies bei Individualsystemen der Fall ist. Diese zumindest teilweise gegebene „Unflexibilität“ der Software kann jedoch auch als Vorteil interpretiert werden – in dem Sinne, dass ggf. auf Grund des SoftwareSystems längst „fällige“ Anpassungen und Optimierung der Unternehmensprozesse realisiert werden. Die meisten Standard-Warenwirtschaftssysteme sind zudem durch eine hohe Breite der Funktionalitäten gekennzeichnet, wie sie zumeist im Rahmen von Individualsystemen oftmals nicht realisiert werden kann. Zudem sind die Systeme meist in hohem Maße mit anderen Bereichen der handelsbetrieblichen IT-Systeme integrationsfähig. Ein wesentliches Entscheidungskriterium hinsichtlich der Frage, ob Standard- oder Individualsysteme gewählt werden, stellen die Kosten der Systeme dar. Dabei sind nicht spezifische Einzelbereiche der Kosten relevant, sondern die „total costs of ownership“ (TCO), also sämtliche in Verbindung mit dem Softwareeinsatz stehende Kosten, sind zu berücksichtigen. Hierbei sind u.a. die Kosten der Systementwicklung bzw. -einführung zu beachten, aber auch Kosten, die während des Einsatzes der Systeme auftreten, wie z.B. Schulungs-, Update- oder Systemintegrationskosten, sind von Bedeutung. Zudem sind mit dem Softwareeinsatz spezifische Risiken verbunden. Diese stehen zum einen in Verbindung zu den Risiken, die mit einer Systemeinführung verbunden sind. Sie können im Fall der Standardsysteme geringer ausfallen, da die Abhängigkeit von dem jeweiligen Entwickler meist geringer ist als im Fall der Individualsysteme, weil zumeist eine deutlich größere Verfügbarkeit von Dokumentationen hinsichtlich der Systeme gegeben ist. Zudem ist meist das Betriebsrisiko ge-
348
3 Warenwirtschaftsbasierte Informationssysteme im Handel
ringer. Dies gilt insbesondere für Softwaresysteme, die einen hohen Distributionsgrad haben. Betrachtet man die Anschaffungskosten der Softwaresysteme, so müssen diese nicht notwendigerweise im Fall der Individualsysteme höher sein als bei Standardsystemen.
4 Warenwirtschaftsbasierte Steuerung der Kernprozesse des Handels prozesse des Handels
4.1 Gegenstand Im Rahmen diese Kapitels erfolgt die Diskussion neuerer Ansätze, auf der Basis IT-gestützter Warenwirtschaftssysteme die Kernprozesse des Handels zu steuern. Wie in Kapitel 1 herausgearbeitet, gehören hierzu: x das Supply-Chain-Management x das Category-Management x das Customer-Relationship-Management. Darüber hinaus wird die Steuerung des Supplier-Relationship-Managements, letztlich eine Querschnittsdimension des Supply-Chain-Managements und des Category-Managements, berücksichtigt. Wenngleich der Fokus auf neuere Konzepte bzw. Ansätze ausgerichtet ist, werden bewährte „traditionelle“ Ansätze, die auch in der Zukunft relevant sein werden, in die Analyse einbezogen und kurz vorgestellt.
4.2 Steuerung des Supply-Chain-Managements 4.2.1
Supply-Chain-Controlling
4.2.1.1 Überblick Auf Grund der zentralen Bedeutung des Supply-Chain-Managements im Handel spielt das Controlling hier traditionellerweise eine große Rolle. So haben sich im Handel – auch bei einer konventionellen Betrachtungsweise von Warenwirtschaft und Logistik – vielfältige Methoden bzw. Instrumente heraus gebildet, die in vergleichsweise breiter Form angewendet werden. Neben diesen – hier als „traditionell“ bezeichneten – Ansätzen wurden gerade in jüngster Zeit vielfältige neuere Formen entwickelt. Hierzu
350
4 Warenwirtschaftsbasierte Steuerung der Kernprozesse des Handels
gehören Konzepte wie „Logistics Scorecard“, aber auch die Ansätze des „Performance-Measurements“, die auf Grund ihrer Bedeutung in einem separaten Abschnitt behandelt werden. Dies gilt gleichermaßen im Hinblick auf die Ansätze des Supply-Chain-Event-Managements, die trotz einer „inneren Beziehung“ zu dem Performance-Measurement in einem eigenen Abschnitt behandelt werden. 4.2.1.2 Traditionelle Ansätze des Handels-Controlling Die traditionellen Ansätze des Handels-Controlling sind – wie in Kapitel 1 herausgearbeitet (s. Abb. 1.6.) – auf Einsatzfaktoren, Organisationseinheiten, Funktionen ausgerichtet181. Aus methodischer Sicht steht dabei die Bildung von Kennzahlen oder auch Kennzahlensystemen, meist im Sinne von Kennzahlenklassifikationen, im Vordergrund. Beispielhaft sind in diesem Kontext u. a. folgende Kennzahlen herauszustellen (Zentes 2003b): x Umsatz je qm Geschäftsraum in EUR (= Gesamtflächenproduktivität) x Umsatz je qm Verkaufsraum in EUR (= Verkaufsflächenproduktivität) x Lagerumschlag (= Jahresumsatz zu Einstandspreisen in EUR: durchschnittlicher Lagerbestand zu Einstandspreisen in EUR). Ausgewählte Kennzahlen für das Controlling in Handelslägern zeigt Abb. 4.1.182
181 182
Vgl. hierzu Zentes 2003b, und die dort angegebene Literatur. Vgl. zu den Ansätzen des Handels-Controlling auch Ahlert/Olbrich 1997.
4.2 Steuerung des Supply-Chain-Managements
351
Allgemeine Kennzahlen 1.
Lagerumsatz in EUR (EK netto) oder in t oder in Euro-Paletten pro Monat
2.
Anteil Lagerumsatz in EUR (EK netto) am Gesamtumsatz des belieferten Einzelhandels in EUR (EK netto) in Prozent
3.
Anteil Cross-Docking-Umsatz in EUR (EK netto) am Lagerumsatz in EUR (EK netto) in Prozent oder Anteil Cross-Docking-Absatz in Colli oder EuroPaletten am Lagerabsatz in Colli oder Euro-Paletten in Prozent
4.
Lagerfläche in qm
5.
Gesamtkapazität des Lagers in Euro-Palettenplätzen
6.
Grundfläche der Hochregale in qm
7.
Zahl der im Lager geführten Artikelpositionen
8.
Durchschnittlicher Warenbestand in EUR (EK netto) pro Monat
9.
Bestandsreichweite des Lagers in Arbeitstagen
10. Lagerumschlag pro Monat 11. Auslastungsgrad in Prozent 12. Gesamtkosten des Lagers in Prozent vom Lagerumsatz in EUR (EK netto) Personalkosten 13. Bezahlte Kostenstunden in Std. pro Monat 14. Anwesenheitsstunden in Std. pro Monat Wareneingang 15. Durchschnittliche Zahl Anlieferungen pro Arbeitstag 16. Durchschnittliche Zahl Paletten im Wareneingang pro Arbeitstag 17. Warenwert in EUR (EK netto) pro kg eingegangene Ware oder pro eingegangene Palette Kommissionierung 18. 19. 20. 21. 22. 23.
Zahl der Kommissionier-(Griff-)einheiten in EUR pro Monat Kommissionierleistung je Lagerbereich in EUR pro Stunde Griffeinheiten je Kommissionierzeile in EUR Griffeinheiten je Kommissionierfehler in EUR Staplerleistung in Pal. pro Stunde Warenwert in EUR (EK netto) pro kg kommissionierte Ware oder pro kommissionierte Palette
352
4 Warenwirtschaftsbasierte Steuerung der Kernprozesse des Handels Warenausgang
24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31.
Zahl der Kundenbestellungen pro Woche Lieferbereitschaft in Prozent vom Lagerumsatz in EUR (EK netto) Zahl der Ladungsträger im Warenausgang pro Monat Zahl der Ladungsträger pro Auftrag Umsatz in EUR (EK netto) pro Kommissionier-(Griff-)einheit Belieferungshäufigkeit je Kunde pro Woche Systembedingte Rücklieferungen von den Kunden pro Monat, z.T. in EUR Anteil der beanstandeten Lieferungen an den gesamten Lieferungen pro Monat in Prozent Fuhrpark
32. 33. 34. 35. 36. 37.
Zahl der Fahrzeuge Gesamtkapazität in Zahl der Ladungsträger Auslastung der Ladefläche in Prozent Zeitliche Auslastung des Fuhrparks in Prozent Fuhrparkkosten in EUR pro Monat Fuhrparkkosten in EUR pro kg ausgelieferte Ware oder pro ausgelieferter Euro-Palette 38. Anteil der eingehaltenen Avis an den Auslieferungen in Prozent Abb. 4.1. Controlling in Handelslägern (Quelle: EHI.)
Kennzahlen erhalten eine entscheidungsunterstützende Aufgabe durch Vergleiche (Kennzahlenvergleiche) z.B. mithilfe von x innerbetrieblichen Vergleichen. z.B. Vergleiche unterschiedlicher Läger, x zwischenbetrieblichen Vergleichen, z.B. Vergleiche mit anderen Unternehmen derselben Branche. Neben der letztgenannten Form („Betriebsvergleiche“) gewinnen zunehmend auch Vergleiche mit Unternehmen anderer Branchen an Bedeutung. Neben dieser branchenmäßigen oder sektoralen Erweiterung der Betriebsvergleiche, die einen „Blick über den Tellerrand“ ermöglicht, erreichen die Betriebsvergleiche auch dadurch eine neue Qualität, dass nicht die Orientierung an Durchschnitten im Vordergrund steht – wie meist in der Vergangenheit –, sondern im Sinne eines Benchmarking (Möller 2003) eine Orientierung an den Besten („best in class“) erfolgt.
4.2 Steuerung des Supply-Chain-Managements
353
4.2.1.3 Balanced Scorecard und Supply-Chain-BalancedScorecard Das von Kaplan/Norton (1997) in den USA entwickelte Managementinstrument zur Unternehmensführung „Balanced Scorecard“ gewinnt in der unternehmerischen Praxis immer mehr an Bedeutung. Die Balanced Scorecard zielt auf eine ganzheitliche und zugleich fokussierte Steuerung ab. Im Mittelpunkt steht eine strategisch ausgerichtete, operativ klar verankerte Steuerung mit gleichen Steuerungskriterien für alle Unternehmensteile in unterschiedlicher Art und Ausprägung (Töpfer 2000, S. 17). Das übergreifende und differenzierte Steuerungsinstrumentarium der Balanced Scorecard basiert auf Ursache-Wirkung-Beziehungen: „LeadFaktoren“ mit Ursachenfunktion und „Lag-Faktoren“ mit Wirkungsfunktionen werden in einen mehrstufigen Ursachen-Wirkungs-Zusammenhang gebracht (Töpfer 2000, S. 21). Das Grundmodell von Kaplan/Norton ist in Abb. 4.2. dargestellt. In diesem Modell wird nach den Ebenen x x x x
finanziell, Kunde, interne Geschäftsprozesse, Lernen und Entwicklung
unterschieden. „Wie sollen wir gegenüber Teilhabern auftreten, um finanziellen Erfolg zu haben?“
„Wie sollen wir gegenüber unseren Kunden auftreten, um unsere Vision zu verwirklichen?“
Finanziell en len n hm ah be nz rga ßna e le n Zi Ke Vo Ma
Kunde el Zi
e
en en en m hl za ab nah ß nn rg K e V o Ma
Vision und Strategie
„In welchen Ge- Interne Geschäftsprozesse en en en schäftsprozessen m hl ah za ab müssen wir die besten Ziele Kenn Vorg Maßn sein, um unsere Teilhaber und Kunden zu befriedigen?“
Lernen und Entwicklung „Wie können wir en unsere Veränderungslen n hm ah be nz rga ßna ele und WachstumsZi Ken Vo Ma potenziale fördern, um unsere Vision zu verwirklichen?“
Abb. 4.2. Balanced Scorecard nach Kaplan/Norton (Quelle: Kaplan/Norton 1997, S. 9.)
354
4 Warenwirtschaftsbasierte Steuerung der Kernprozesse des Handels
Auf der Basis der gesamtunternehmensbezogenen Balanced Scorecard lassen sich Scorecards für nachgeordnete Organisationseinheiten oder funktionale Bereiche wie Logistik bzw. Supply-Chain-Management ableiten (s. Abb. 4.3.). Die nachgeordnete Balanced Scorecard gibt zugleich „darüber Auskunft, wie die Vorgaben der übergeordneten Ebene zur Umsetzung gelangen“ (Stölzle 2001, S. 42). Strategie
Abstim mu Maßn ng der ahme n
Wie
Unternehmens-BSC Strategische Ziele
Herunterbrechen & Verbinden
Wie
Messgrößen Zielgröße
Abteilungs-BSC Strategische Ziele Wie Messgrößen
Maßnahme
Team
Zielgröße
Entwicklung der ersten Balanced Scorecard
Ziele
Was
(spezifisch)
Foku strate s auf die gisch en Zie le
Messgrößen
Maßnahme
(spezifisch)
Was
Zielgröße
Abb. 4.3. Top-down-Ableitung von Balanced Scorecards (Quelle: in Anlehnung an Horstmann 1999, S. 195, zit. nach Stölzle 2001, S. 41.)
Wie aus Abb. 4.2. und insbesondere Abb. 4.4. ersichtlich, fließen in eine Balanced Scorecard nicht nur Daten aus operativen Warenwirtschaftssystemen ein, sondern auch – dem holistischen Ansatz entsprechend – aus anderen Unternehmensbereichen, die z.T. auch nicht aus anderen operativen Systemen abgeleitet werden können, sondern speziell zu erheben sind.
Finanzen
Prozesse
Supply-Chain Vision und Strategie
Kooperationsqualität
Kooperationsintensität
Abb. 4.4. Supply-Chain-Balanced-Scorecard (Quelle: in Anlehnung an Weber/Bacher/Groll 2002, S. 138.)
4.2 Steuerung des Supply-Chain-Managements
355
Die Grundstruktur einer Supply-Chain-Balanced-Scorecard ist in Abb. 4.4. dargestellt. Sie basiert auf den Dimensionen Finanzen, Prozesse, Kooperationsintensität und Kooperationsqualität. 4.2.2
Supply-Chain-Performance-Measurement
4.2.2.1 Anforderungen an Performance-Measurement-Systeme „Performance-Measurement“ ist kein neuartiges Thema, wenngleich die damit angebotenen informationsbezogenen Optionen, bedingt durch die allgemeine Informationsüberlastung und die zugleich gestiegenen Erwartungshaltungen der verschiedenen Adressaten, als ein Vehikel zur verbesserten Kontrolle und Steuerung der Unternehmensausrichtung und entwicklung in jüngster Zeit verstärkt Beachtung finden. Die Realisierung von Effizienzsteigerungspotenzialen durch Prozessoptimierung und beschleunigung ist – wie neuere empirische Studien zeigen (s. Abb. 1.5.) – in diesem Kontext eine Aufgabe von höchster Priorität und gewinnt gerade in konjunkturell und strukturell schwierigen Zeiten nicht nur eine strategische, sondern sogar eine existenzielle Bedeutung. Damit rückt die Performance der betrieblichen Prozesse – hier vorrangig des Supply-ChainManagements – in den Mittelpunkt der Betrachtung: Prozess-Controlling, das heute noch eher selten eingesetzt wird, dürfte damit zukünftig zu einem „strategischen Muss“ avancieren (Neidhard/Morschett/Biesiada 2004). Für das Performance-Measurement, dem in jüngster Vergangenheit auf Grund seiner breiten Anerkennung in Wissenschaft und Unternehmenspraxis als relevante Komponente zur Kontrolle und Steuerung der Unternehmenstätigkeit eine breite Beachtung in Form von einer Vielzahl von Publikationen gewidmet wurde (Zentes/Biesiada 2003; Zentes/Biesiada/SchrammKlein 2004), ist es u.a. auf Grund seiner Entwicklungsdynamik, die zudem weiter zunimmt, schwierig, anerkannte begriffliche Abgrenzungen zu finden. So wird beispielsweise der Begriff der (Unternehmens-)Performance vielfach uneinheitlich und oftmals auffallend vage verwendet (Becker 1998). Insbesondere im deutschsprachigen Raum wird ferner der Begriff des „Performance-Measurement“ teilweise synonym zum Begriff der „Balanced Scorecard“ verwendet (Klingebiel 2001). Bei Lynch/Cross (1995) ist eine eher ungewöhnliche Begriffsdefinition in Form einer Gegenüberstellung der konstitutiven Merkmale von traditionellen Kennzahlensystemen und Performance-Measurement-Systemen vorzufinden (s. Abb. 4.5.).
356
4 Warenwirtschaftsbasierte Steuerung der Kernprozesse des Handels
Traditionelle Kennzahlensysteme x monetäre Ausrichtung (vergangenheits-orientiert x begrenzt flexibel (ein System deckt interne und externe Informationsinteressen ab) x Einsatz primär zur Überprüfung des Erreichungsgrads finanzieller Ziele x Kostenreduzierung x vertikale Berichtsstruktur x fragmentiert x unzureichende Abweichungsanalyse x individuelle Leistungsanreize x individuelles Lernen
Performance-Measurement-Systeme x Kundenausrichtung (zukunftsorientiert) x aus den operativen Steuerungserfordernissen abgeleitete hohe Flexibilität x Überprüfung des Strategieumsetzungsgrads; Impulsgeber zur weiteren Prozessverbesserung x Leistungsverbesserung x horizontale und zugleich vertikale Berichtsstruktur x integriert x Abweichungen werden direkt zugeordnet (Prozessverantwortliche) x team-/gruppenbezogene Leistungsanreize x Lernen der gesamten Organisation
Abb. 4.5. Traditionelle Kennzahlensysteme vs. Performance-Measurement-Systeme (Quelle: Lynch/Cross 1995, S. 38.)
Werden von einem Controlling-Instrument bzw. -System die in Abb. 4.5. („rechte Spalte“) genannten Anforderungen bzw. Merkmale erfüllt, so ist es als Performance-Measurement-System zu charakterisieren. Die eigentliche Informationsaufbereitung wird dabei als Reporting bzw. „Performance Scorecard“ bezeichnet (Chang/Morgan 2000). Dabei soll durch die spezielle Begriffsbildung der Anspruch einer angestrebten Leistungs- und Prozesstransparenz zum Ausdruck kommen. Die Abstimmung zwischen den Partnern der Supply-Chain stellt auch für das Performance-Measurement die zentrale Herausforderung dar. Hierbei sind gänzlich ungewohnte bzw. neue Fragen von Netzwerkfähigkeit und Vertrauen zwischen den Partnern ebenso relevant wie etwa die Sicherstellung passender Schnittstellen oder übereinstimmender Definitionen zur Messung der gemeinsam genutzten Steuerungsgrößen/Kennzahlen (Weber 2002). Dabei zeigen die Ergebnisse unterschiedlicher empirischer Studien zum praktischen Einsatz von Performance-Measurement-Systemen, dass Unternehmen noch weit von einer umfassenden Unterstützung des SCMKernprozesses durch das Performance-Measurement entfernt sind. Somit besteht in der Unternehmenspraxis ein erhebliches Defizit – und damit ein großes zukünftiges Entwicklungspotenzial des Performance-Measurements bzw. von Performance-Measurement-Systemen.
4.2 Steuerung des Supply-Chain-Managements
357
Anforderungen an Performance-Measurement-Systeme existieren in vielfältiger Form und lassen sich in Anforderungen hinsichtlich der Struktur von Performance-Measurement-Systemen und hinsichtlich der Indikatoren untergliedern (Neidhard/Morschett/Biesiada 2004). Die Strukturen von Performance-Measurement-Systemen x bedürfen zur Realisation des gestellten Informationsauftrags einer unternehmensspezifischen Anpassung (Customizing) mit einer engen Anlehnung an die strategische Ausrichtung (Mission) des Unternehmens, x sind wesentlicher Bestandteil einer abgestimmten und in sich konsistenten Informationsversorgung der verschiedenen Adressaten des Unternehmens auf der Basis von Indikatoren, x ermöglichen über die Struktur der Indikatoren (System von Leistungsindikatoren) eine gezielte Ableitung von Maßnahmen zur Verbesserung der aktuellen Situation des Unternehmens und x sind vorrangig auf den strategischen Informationsbedarf ausgerichtet. Ausgewählte Indikatoren x konzentrieren sich auf das – aus der Sicht des einzelnen Unternehmens – Wesentliche und weisen deshalb – bezogen auf den/die einzelnen Adressaten – eine geringe Quantität aus, x bilden eine konsistente und sich inhaltlich ergänzende Gruppierung mit überwiegend monetärem Charakter, x leiten den Rhythmus ihrer Berichterstattung im Wesentlichen aus der Unternehmensebene (Level) ab, x unterstützen den Erfolgsausweis neuer methodischer Ansätze durch die hohe Prozessorientierung und x bilden die aktuelle/erwartete prozessuale Leistungsfähigkeit in allen Facetten ab (Klingebiel 2000). 4.2.2.2 Grundkonzeption des „Retail-PerformanceManagement“ Konzepte des Retail-Performance-Measurement (RPM) dienen der Messung und Steuerung der Performance der handelsbetrieblichen Kernprozesse Supply-Chain-Management (SCM), Category-Management (CM) und Customer-Relationship-Management (CRM). Im Kontext der Betrachtungen im Rahmen dieses Buches steht der Kernprozess SCM im Vorder-
358
4 Warenwirtschaftsbasierte Steuerung der Kernprozesse des Handels
grund. Ihm wird auch entsprechend der Ergebnisse empirischer Untersuchungen das höchste Effizienzsteigerungspotenzial zugesprochen.183 Einen Ansatz des Retail-Performance-Measurement stellt das vom H.I.MA und T-Systems entwickelte „Retail-Performance-Management“Konzept dar. Die Performance der Prozesse wird im Rahmen des RPMKonzepts nicht anhand von klassischen Kosten- oder Finanzgrößen gemessen, sondern anhand von drei zentralen Performance-Dimensionen, die eine kausale Beziehung zu dem Unternehmenserfolg aufweisen. Bei den Performance-Dimensionen, die als Zielgrößen des Prozessmanagements zu verstehen sind, handelt es sich um die Dimensionen x Effizienz, x Qualität und x Kundenzufriedenheit. Diese Performance-Dimensionen werden durch „Key-PerformanceIndicators“ (KPI) operationalisiert, die selbst über eine mehrstufige Performance-Pyramide bzw. ein kausales Beziehungsgeflecht von „Performance-Indicators“ (PI) beeinflusst werden. Das Controlling-Instrument RPM erfüllt dabei eine dreifache Aufgabe: x Die unterschiedlichen organisatorischen Level (hierarchisch-funktionale Zuordnung) werden durch rollenspezifisch generierte PerformanceCards gesteuert, in denen z.B. perioden- und u.U. rollenspezifische Sollwerte für die jeweiligen KPI vorgegeben sind. Somit kann z.B. der Geschäftsführer eines Unternehmens mit Monatswerten informiert werden, während operativ verantwortliche Mitarbeiter die entsprechenden Werte tagesaktuell einsehen können. x Den Führungsleveln dient das Instrument zugleich als ein Diagnosesystem: Treten Abweichungen vorgegebener Sollwerte der KPI bzw. der als erfolgskritischst eingestuften Steuerungsgrößen/Kennzahlen auf, so lassen sich über Drill-down-Funktionalitäten die relevanten Objekte (z.B. Artikel, Filialen, Lieferanten) identifizieren und lokalisieren. Zugleich können im Sinne einer Ursachenanalyse die PI bzw. untergeordnete Steuerungsgrößen/Kennzahlen aufgezeigt werden, welche die Abweichungen des/der KPI ausgelöst haben. Ferner ist zugleich ein ProcessMining möglich. So lassen sich die Teilprozesse bzw. die sie bildenden Aktivitäten innerhalb des Supply-Chain-Managements identifizieren, welche die PI-Abweichungen wiederum ausgelöst haben.
183
Vgl. hierzu u. a. H.I.MA 2003; Schramm-Klein 2004b; Gerling/Hampe/Spaan 2003.
4.2 Steuerung des Supply-Chain-Managements
359
x In Form einer „Bottom-up-Analyse“ kann die Performance-Pyramide zugleich auch die Basis eines Früherkennungssystems bilden. Etwaige Abweichungen auf den unteren Ebenen der Performance-Indicators können – je nach Gewicht dieser Indikatoren – Frühwarnungen auslösen, um ein rechtzeitiges antizipatives Gegensteuern zu ermöglichen. Involvierte Leitungsebenen Die Bedeutung verschiedener Leitungsebenen für Performance-Measurement-Systeme wird in der Literatur wiederholt unterstrichen, wobei teilweise nur eine wenig konkrete Betrachtung bzw. Differenzierung vorgenommen wird (Grüning 2002; Stainer 1996). Für eine detailliertere Untersuchung der in Performance-Measurement-Systemen involvierten Leitungsebenen werden oftmals mehrstufige, leicht abgrenzbare Analyseebenen unterschieden, so „organizational level“, „process level“ und „job/performer level“ (Jetter 2000; Rummler/Brache 1995). Im Rahmen des RPM-Konzepts erfolgt ebenfalls eine Unterscheidung der Adressaten von Informationen nach mehren Stufen bzw. Hierarchieebenen, wobei das Rollenkonzept, d.h. die Zuordnung von Adressaten zu vordefinierten Rollen, eine hierarchische und zugleich funktionale Zuordnung vorsieht. Das Rollenkonzept dient dabei der Beschreibung des rollenbasierten Zugriffs eines jeden Anwenders bzw. Benutzers auf Informationen, Funktionen und Dienste und ist insofern ein wesentlicher Bestandteil im Rahmen des Implementierungsprozesses für Benutzerarbeitsplätze, um den benutzerspezifischen Zugriff auf interne und externe Informationen zu ermöglichen. Steuerungsgrößen/Kennzahlen Das RPM-Grundkonzept orientiert sich u.a. an der Methode der „critical success factors“, die auf dem Gedanken basiert, dass in jedem Unternehmen drei bis sechs – den Erfolg maßgeblich bestimmende – Schlüsselfaktoren bzw. Steuerungsgrößen/Kennzahlen existieren (Weber 1996). Die Bildung von aussagekräftigen Steuerungsgrößen/Kennzahlen hängt dabei in entscheidendem Ausmaß davon ab, inwieweit es gelingt, nicht nur beschreibende Kennzahlen über vergangene, gegenwärtige oder zukünftige Ausgangsbedingungen bzw. Zustände von Prozessen zu erheben, sondern auch Hypothesen über Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge zu entwickeln (Delfmann/Reihlen/Wickinghoff 2003). Vor diesem Hintergrund werden an die Steuerungsgrößen/Kennzahlen innerhalb des RPM-Konzepts – auch resultierend aus der empirischen Studie des Instituts für Handel & Internationales Marketing (H.I.MA. 2003) –
360
4 Warenwirtschaftsbasierte Steuerung der Kernprozesse des Handels
unterschiedliche Anforderungen gestellt, um die Schwächen traditioneller Unternehmenssteuerungskonzepte, die vorrangig rein finanzwirtschaftliche, i.d.R. vergangenheitsorientierte Kennzahlen („lagging indicators“) umfassen, zu beseitigen. So unterscheidet sich das RPM-Konzept von bestehenden Konzepten bzw. traditionellen Kennzahlensystemen u.a. dadurch, dass keine finanzwirtschaftlichen Steuerungsgrößen/Kennzahlen, wie beispielsweise Umsatz- oder Kostengrößen, sondern rein prozessuale bzw. prozessorientierte Steuerungsgrößen/Kennzahlen Verwendung finden, wobei die Steuerungsgrößen/Kennzahlen über die beschriebenen Performance-Dimensionen maßgeblich zum Unternehmenserfolg beitragen und insofern die finanzwirtschaftliche Situation eines Handelsunternehmens in erheblichem Ausmaß beeinflussen („leading indicators“). Während rein finanzielle Kennzahlen i.d.R. das Resultat der Geschäftstätigkeit eines Unternehmens abbilden, soll im Rahmen des hier beschriebenen modernen Performance-Measurement-Ansatzes die Geschäftstätigkeit in Form der Geschäftsprozesse – in allen Granularitäts-stufen – direkt gemessen werden. Die an die Steuerungsgrößen/Kennzahlen gestellten Anforderungen sind neben dem prozessualen bzw. prozessorientierten Charakter – mit dem Ziel, die Prozesse zeitnah und stringent abzubilden – u.a.: x level- und bereichsübergreifende Relevanz x Hierarchisierung und Strukturierung in Form eines Ursache-Wirkungsbzw. kausalen Beziehungsgeflechts, d.h. Unterteilung der Steuerungsgrößen/Kennzahlen in erfolgskritischste Größen (KPI) und diese wiederum kausal beeinflussenden, untergeordneten Steuerungsgrößen/Kennzahlen (PI). Aus Sicht eines Handelsunternehmens liegt vor dem Hintergrund der existierenden Vielzahl von prozessualen bzw. prozessorientierten Kennzahlen dabei die Herausforderung im Rahmen einer PerformanceMeasurement-Konzeption nicht in der Neuentwicklung von Steuerungsgrößen/Kennzahlen, sondern vielmehr in der Auswahl geeigneter Steuerungsgrößen/Kennzahlen und deren richtiger Interpretation bzw. Adaption an die unternehmensspezifischen Gegebenheiten. Auswahlkriterien für die Beschaffenheit von Steuerungsgrößen/Kennzahlen, die auch im Rahmen des RPM-Konzepts Berücksichtigung finden, sind u.a. die Interpretierbarkeit, Validität, Relevanz und Vergleichbarkeit der Steuerungsgrößen/Kennzahlen (s. Abb. 4.6.).
4.2 Steuerung des Supply-Chain-Managements
361
Kriterium
Erklärung
Interpretierbarkeit
Eine Steuerungsgröße/Kennzahl muss in faktischen oder wertmäßigen Größen interpretiert werden können.
Validität
Eine Kennzahl ist umso valider, je mehr sie tatsächlich das misst, was sie messen soll, und je weniger systematische Fehler bei der Messung auftreten.
Relevanz
Eine Kennzahl ist relevant, wenn sie für eine Entscheidung bedeutsame Informationen so wiedergibt, dass sie leicht verständlich sind und Handlungsalternativen auf ihrer Grundlage rechtzeitig diskriminiert werden können.
Anreizverträglichkeit
Eine anreizverträgliche Kennzahl fördert zielkonformes Verhalten der Mitarbeiter und verleitet nicht zu kontraproduktivem, dysfunktionalem Verhalten.
Detaillierungsgrad
Eine Kennzahl besitzt einen angemessenen Detaillierungsgrad, wenn die Erfassung und Wiedergabe der Informationen auf einem hohen Niveau erfolgt, das für den Entscheidungsträger beeinflussbar ist.
Vergleichbarkeit
Eine Kennzahl ist vergleichbar, wenn sie eine breite Akzeptanz findet und von verschiedenen Benutzern vergleichbar interpretiert werden kann.
Wirtschaftlichkeit
Eine Kennzahl ist wirtschaftlich, wenn der Nutzen aus ihrer Überwachung die Kosten der einmaligen Entwicklung sowie der laufenden Erhebung, Verarbeitung und Verbreitung überwiegt.
Integration
Eine Kennzahl ist integrativ, wenn sie möglichst viele Sachverhalte eines zu messenden Prozesses abdeckt und eine Koordination über funktionale und organisatorische Schnittstellen hinweg unterstützt.
Abb. 4.6. Kriterien für die Beschaffenheit von Steuerungsgrößen/Kennzahlen (Quelle: Delfmann/Reihlen/Wickinghoff 2003, S. 44.)
Performance-Card Das Controlling-Instrument „mündet“ in rollenspezifischen PerformanceCards, die zwei KPIs je Performance-Dimension aufzeigen (s. Abb. 4.7.). Sie geben für eine bestimmte Periode (z.B. ein Jahr oder einen Monat) Sollwerte an. Diese Sollwerte werden aus unternehmensexternen oder -
362
4 Warenwirtschaftsbasierte Steuerung der Kernprozesse des Handels
internen Benchmarks oder aus Vergangenheitswerten abgeleitet oder auch als strategische Vorgaben „gesetzt“ (z.B. die geforderte Warenpräsenzquote am Point-of-Sale). -
Abb. 4.7. Performance-Card
Die „virtuelle Karte“ bildet zugleich den Ansatzpunkt des beschriebenen Diagnosesystems. Über- oder unterschreiten rollenspezifisch zugeordnete KPIs bestimmte vorgegebene Sollwerte, so werden diese Abweichungen im Sinne einer „Ampelschaltung“ gelb (= geringfügige Über- oder Unterschreitung) oder rot (= erhebliche Über- oder Unterschreitung) angezeigt. Abb. 4.8. zeigt beispielhaft einen Ausschnitt aus der PerformancePyramide des KPI „Out-of-Stock“, der in der Performance-Card der Dimension „Kundenzufriedenheit“ zugeordnet ist. Leuchtet die Ampel des KPI „Out-of-Stock“ auf dem obersten Level (z.B. Geschäftsführung) rot, dann bedeutet dieses Signal, dass unternehmensweit eine vorgegebene Quote überschritten wurde. In einer Drill-down-Funktionalität können dann die relevanten Objekte identifiziert und lokalisiert werden, bei denen die betrachtete Steuerungsgröße/Kennzahl die stärksten Abweichungen aufweist, z.B. in Bezug auf Artikel/Artikelgruppen/Warengruppen, Filialen/Regionen oder Lieferanten. In Form eines Diagnosesystems können im Anschluss die PIs angezeigt werden, die innerhalb der zugehörigen Performance-Pyramide ihre Vorgabewerte über- oder unterschritten haben; dies erfolgt gleichermaßen im Sinne einer Ampelschaltung. Diese Ursachenanalyse führt letztlich innerhalb der Pyramide zur untersten Ebene der Performance-Indicators und
4.2 Steuerung des Supply-Chain-Managements
363
Out of Stock
1. Stufe (KPI)
Input-/ Messgrößen
Pe rfo
rm an ce -
Py ra m
id e
16
ermöglicht im Sinne eines Process-Mining die Identifizierung der Teilprozesse bzw. Aktivitäten, die eine Über- oder Unterschreitung ausgelöst haben. Damit ist zugleich ein Ansatzpunkt für „therapeutische“ Maßnahmen gegeben. Das System identifiziert somit Schwachstellen in Prozessen. Im Sinne einer unternehmensübergreifenden vertikal-kooperativen Optimierung lassen sich dabei auch (etwaige) Effizienzvorteile kollaborativer Supply-Chain-Prozesse im Vergleich zu konventionellen Vorgehensweisen identifizieren, so bei Artikelgruppen und/oder Lieferanten, mit denen beispielsweise Formen des Vendor-Managed-Inventory (VMI) oder Collaborative Planning, Forecasting & Replenishment (CPFR) realisiert werden.
LieferservicegradZLÆF
Zentrallagergrad
LieferservicegradLÆF
LieferservicegradLÆZL
PrognosequalitätZL
BestandskorrekturenZL
AusschussZL
2. Stufe (PI)
KommissionierfehlmengeZL
PrognosequaitätF
BestandskorrekturenF
AusschussF
3. Stufe (PI)
Teilprozesse SCM
Abb. 4.8. Ausschnitt aus einer Performance-Pyramide
Die über eine Performance-Pyramide kausal in Beziehung stehenden PIs und KPIs ermöglichen zugleich die Nutzung des Tools RPM als Früherkennungssystem, im engeren Sinne als Frühwarnsystem. Während bei der Diagnosefunktionalität die Pyramide „top-down“ durchlaufen wird und letztlich Ursachen identifiziert werden, kann ein progressives Durchlaufen der Pyramide („bottom-up“) frühzeitig auf Prozessstörungen hinweisen. Je nach Relevanz bzw. Stärke eines PIs (auf einer unteren Stufe der Performance-Pyramide) kann eine bereits eingetretene Abweichung auf den höheren Stufen der Pyramide zu einer Frühwarnung führen, bevor der PI bzw. KPI dieser Stufe selbst (faktisch) von seinen Sollwerten abweicht.
364
4 Warenwirtschaftsbasierte Steuerung der Kernprozesse des Handels
Performance-Matrix Das Controlling-Instrument RPM ermöglicht – abhängig vom jeweiligen organisatorischen Level – zugleich eine direkte, ebenfalls rollenspezifische Prozesssicht über eine Performance-Matrix, d.h., signalisieren die KPIs Abweichungen (im gelben oder roten Bereich), ist ein alternativer Diagnoseweg möglich. In Form einer Performance-Matrix können alle Teilprozesse aufgelistet werden, bei denen von ihnen beeinflusste PIs Abweichungen andeuten. Der Anwender erkennt somit in einem ersten Schritt die „therapiebedürftigen“ Teilprozesse seines Verantwortungsbereichs, sodass Anpassungen unmittelbar vorgenommen werden können (s. Abb. 4.9.). -
Abb. 4.9. Ausschnitt aus einer Performance-Matrix
Der Anwender hat innerhalb der Performance-Matrix-Darstellung die Möglichkeit, einerseits die Granularitätsstufen der – in seinem Verantwortungsbereich liegenden bzw. seiner Rolle zugeordneten – Prozesse zu ändern und andererseits die Matrizendarstellungen anhand vorgegebener Auswertungsdimensionen hinsichtlich der Auswertungsobjekte einzugrenzen. 4.2.3
Supply-Chain-Event-Management
SCM-Systeme unterstützen – wie in Kapitel 2 herausgestellt – nicht nur die Planung, sondern auch die operative Steuerung von Warenflüssen. Die Supply-Chain-Execution (SCE) wird hierbei durch das sog. Supply-ChainEvent-Management (SCEM) ergänzt. Inhalt der SCE ist die operative Koordination von Beschaffung, Produktion, Transport, Lagerung und Distribution sowie der dazugehörigen Informationen. Entscheidender Faktor ist
4.3 Steuerung des Supplier-Relationship-Managements
365
hierbei die Sicherstellung von Informationstransparenz über Bestände sowie Produktions-, Lager- und Transportkapazitäten innerhalb des Netzwerkes (Scheer/Angeli/Hermann 2003, S. 378; Zentes u.a. 2002, S. 24 ff.). Zur effektiven operativen Steuerung müssen oftmals kurzfristige Planänderungen vorgenommen werden, um z.B. auf Produktionsausfälle oder Transportengpässe reagieren zu können. Beim SCEM wird permanent der Status der Supply-Chain überwacht, um auf solche Ereignisse schnell reagieren zu können (Kilger/Stahuber 2002, S. 479 ff.; Nissen 2002, S. 477 f.). Das im vorangegangenen Abschnitt diskutierte Controlling-Tool RPM ist in seiner Ausprägung als Früherkennungssystem auch im Sinne des Supply-Chain-Event-Managements einsetzbar. Dies kann am Beispiel des Key-Performance-Indicators „Out-of-Stock“ verdeutlicht werden (s. Abb. 4.5.). Treten bspw. Transportengpässe bei einem Lieferanten auf bzw. sind solche absehbar bzw. zu erwarten, lassen sich deren (potenzielle) Auswirkungen auf Performance-Indicators wie Lieferservicegrad (z.B. vom Lieferant zur Filiale oder vom Lieferant zum Zentrallager) simulieren. Damit ist im Sinne einer „Bottom-up-Analyse“ erkennbar, ob dieses Ereignis („Event“) ernsthafte Auswirkungen auf den Out-of-Stock in bestimmten Filialen haben wird. Wäre dies der Fall, dann könnte bspw. im Wege eines Filialtausches eine Vermeidung einer Out-of-Stock-Situation in den betroffenen Filialen durch Querlieferungen aus Filialen, die einen „Überbestand“ aufweisen, vermieden werden.
4.3 Steuerung des Supplier-Relationship-Managements 4.3.1
Überblick
In diesem Abschnitt steht die Warenwirtschaftssystem-basierte Steuerung der Lieferantenbewertung, Lieferantenauswahl und Lieferantenentwicklung im Mittelpunkt. Sie baut auf dem Konzept des Supplier-Relationship-Managements auf. Im Vordergrund steht dabei das „SupplierPerformance-Measurement“, also die Steuerung, Koordination und Kontrolle aller Phasen der Lieferantenbeziehungen.184 Einen Ansatz des Supplier-Performance-Measurement stellt das vom H.I.MA. und T-Systems entwickelte Supplier-Relationship-Management-Konzept „SRM“ dar. Die Kernaufgabenbereiche des Supplier-Performance-Measurements sind in Abb. 4.10. dargestellt. Sie umfassen
184
Vgl. hierzu auch Abschnitt 1.5.
366
4 Warenwirtschaftsbasierte Steuerung der Kernprozesse des Handels
x die Lieferantenanalyse und -bewertung sowie x das Wirkungscontrolling bezogen auf lieferantenspezifische Maßnahmen, so insbesondere in den Bereichen des Category-Managements und des Customer-Relationship-Managements. SupplierPerformanceMeasurement
Lieferantenanalyse und -bewertung
CM- / CRMWirkungscontrolling
Abb. 4.10. Kernaufgabenbereiche des Supplier-Performance-Measurements
Die Diskussion der Lieferantenanalyse und -bewertung erfolgt in dem nachfolgenden Abschnitt; die Erörterung des Modells des Wirkungscontrolling erfolgt im Zusammenhang mit den Fragen des Category-Managements in Abschnitt 4.4. 4.3.2
Lieferantenanalyse und -bewertung
4.3.2.1 Grundkonzept Das hier vorgestellte Konzept der Lieferantenanalyse und -bewertung, als Teilbereich des Supplier-Relationship-Management-Tools „SRM“, besteht aus den Kern-Komponenten (s. Abb. 4.11.) x Supplier-Evaluation-Card, x Lieferanten-Deckungsbeitragsrechnung, x Lieferanten-Scoring-Modell und der aus der Deckungsbeitragsrechnung und dem Scoring-Modell abgeleiteten x Lieferantenwert-Matrix. Die Kernkomponenten werden aus einem gemeinsamen Kenngrößenpool „gespeist“. Hierbei handelt es sich um eine Sammlung unterschiedlicher Kenngrößen.
4.3 Steuerung des Supplier-Relationship-Managements
367
Supplier-Relationship -Management
Lieferantenanalyse und -bewertung
Supplier Evaluation Card
Lieferanten DB -Rechnung
Wirkungscontrolling
Lieferantenwert – Matrix
Lieferanten Scoring -Modell
monetärer Lieferanten wert non -monetärer Lieferanten wert
Kenngrößen-Pool monetäre Kenngrößen
non --monetäre Kenngrößen
Abb. 4.11. Lieferantenanalyse und -bewertung: Gesamtüberblick
4.3.2.2 Kenngrößen und Supplier-Evaluation-Card Traditionellerweise nehmen Kenngrößen in Systemen der Lieferantenevaluation eine bedeutende Rolle ein. So liefern die meisten „Modelle“ umfassende Kataloge von Kenngrößen, die nach unterschiedlichen Kriterien („Performance-Dimensionen“) gegliedert werden. Dabei lassen sich x monetäre Kenngrößen und x non-monetäre Kenngrößen unterscheiden. Die non-monetären Kenngrößen können wiederum in x quantitative Kenngrößen und x nicht-quantitative (qualitative) Kenngrößen differenziert werden. Die qualitativen Kenngrößen werden meist über geeignete Indikatoren einer quantitativen Erfassung (möglichst mit metrischem Messniveau) zugänglich gemacht. Beispielhaft können herausgestellt werden: x monetäre Kenngrößen: - Beschaffungswert („Einkaufsumsatz“/„Beschaffungsumsatz“) - Lieferantendeckungsbeitrag - Bonus/Rückvergütung x non-monetäre Kenngrößen:
368
4 Warenwirtschaftsbasierte Steuerung der Kernprozesse des Handels
- Out-of-Stock-Quote - durchschnittliche Lieferzeit x non-monetäre, qualitative Kenngrößen: - Kundenzufriedenheitsindizes. Aus der Vielzahl der möglichen Kenngrößen zur Lieferantenbeurteilung und der darauf basierenden Kennzahlen- bzw. Kenngrößensysteme bzw. systematiken wird hier das Konzept der Supplier-Evaluation-Card (SEC) herausgegriffen (Zentes/Knörr 2004). Die Supplier-Evaluation-Card differenziert nach drei relevanten Performance-Dimensionen (s. Abb. 4.12.): x Einkauf/Beschaffungsmarkt x Absatzmarkt x Logistikprozesse.
Einkauf
Nettowareneinsatz
Marktwirkung Qualitätssicherung
Marktentwicklung
Preisbeurteilung
Nettoumsatz
Umsatzwirkung
Absatzmarkt
Konditionenwirkung
Supplier - Evaluation Card (SEC) Bestellabwicklung
Logistik
Bestellkosten
Transport- und Lagerkosten
Bestellabwicklungsqualität
Lieferqualität
Logistikprozesse
=
monetäre Kenngrößen
Kenngrößen Kenngrößen - Pool Pool
=
non - monetäre Kenngrößen
Abb. 4.12. Grundstruktur der Supplier-Evaluation-Card (Quelle: Zentes/Knörr 2004, S. 200.)
Diese Performance-Dimensionen werden wie folgt weiter differenziert: x Einkauf/Beschaffungsmarkt - Konditionenwirkung - Nettowareneinsatz - Preisbeurteilung - Qualitätssicherung
4.3 Steuerung des Supplier-Relationship-Managements
369
x Absatzmarkt - Marktentwicklung - Marktwirkung - Nettoumsatz - Umsatzwirkung x Logistikprozesse - Bestellabwicklung - Bestellkosten - Bestellabwicklungsqualität - Logistik - Transport- und Lagerkosten - Lieferqualität. Beispielhaft kann die Schlüsselkenngröße „Preisbeurteilung“ näher charakterisiert werden. Diese non-monetäre Schlüsselkenngröße beschreibt, inwiefern die Verkaufspreise und die Konditionen eines Lieferanten gegenüber dem Handelsunternehmen von diesem als günstig und vorteilhaft angesehen werden. Sie basiert auf einer qualitativen Beurteilung des Lieferanten. Diese Schlüsselkenngröße wird über die folgenden Kenngrößen gebildet: x Stabilität des Preis- und Konditionengefüges x Komplexität des Konditionensystems x Spezifität der Konditionengestaltung. 4.3.2.3 Lieferanten-Deckungsbeitragsrechnung Der Ausbau des Handelscontrolling in Richtung einer Lieferanten-Deckungsbeitragsrechnung als Komponente eines Systems zur Lieferantenbewertung hat in etwa zeitgleich mit der Entwicklung rechnergestützter Warenwirtschaftssysteme eingesetzt, da diese wesentliche Basisinformationen liefern:185 So sind lieferantenorientierte Informationen ein wesentlicher Baustein eines Management-Support- bzw. Decision-Support-Systems des Handels. Während in der Vergangenheit lieferantenorientierte Deckungsbeitragsrechnungen sich im Sinne einer mehrstufigen Deckungsbeitragsrechnung i.d.R. nur auf den so genannten „Deckungsbeitrag I“ (DB I) – oftmals auch als Rohertrag oder Rohgewinn bezeichnet – bezogen, haben insbesondere die neueren Entwicklungen im Bereich der Prozesskostenrechnung – aber auch das steigende Bewusstsein für deren Bedeutung – zu weiter gehenden 185
Vgl. hierzu bereits Kirchner/Zentes 1984, S. 46 f., und die dort angegebene Literatur.
370
4 Warenwirtschaftsbasierte Steuerung der Kernprozesse des Handels
Formen bzw. zu einer „echten“ Lieferanten-Deckungsbeitragsrechnung geführt, deren Grundstruktur in Abb. 4.13. dargestellt ist (Zentes 2003). Position 1 2 3 4 5 6 7
lieferantenbezogene Deckungsbeitragsrechnung Bruttoumsatz (o. MwSt.) – Erlösschmälerungen („Rabatt-Charakter“) (konsumentenbezogen) = Nettoumsatz – Wareneinsatz zu Einstandspreisen (Rechnungspreisen) = Lieferanten-Rohertrag (Deckungsbeitrag I) + Rabatte, Preisnachlässe, Boni… (lieferantenbezogen) + Werbekostenzuschüsse = Lieferanten-Bruttoertrag (Deckungsbeitrag II) – Bestell-/Dispositionskosten – Transport- und Lagerkosten = Lieferanten-Deckungsbeitrag (Deckungsbeitrag III)
Abb. 4.13. Grundstruktur der Lieferanten-Deckungsbeitragsrechnung
Die in Abb. 4.13. dargestellte Grundstruktur einer Lieferanten-Deckungsbeitragsanalyse stellt zugleich einen Bezug her zu den in der SupplierEvaluation-Card (s. Abb. 4.12.) ausgewiesenen Schlüssel-Kenngrößen und der Zuordnung zu den Performance-Dimensionen. Beispielhaft sind in Abb. 4.14. und 4.15. die Bestell- und Dispositionskosten sowie die Transport- und Lagerkosten näher aufgeschlüsselt. Kosten der Bedarfsrechnung + Kosten der Bestellrechnung / Liefermengenrechnung + Kosten der Bestellübermittlung Lieferant + Kosten der Kontrolle der Auftragsbestätigung + Kosten der Bearbeitung von Rücklieferungen bei Bruch, Verderb + Kosten der Retourenabwicklung + Kosten der Reklamationsabwicklung + Kosten der Rechnungskontrolle + Verrechnung der EDV-Kosten +… = Bestell-/Dispositionskosten Abb. 4.14. Lieferanten-Deckungsbeitragsrechnung – Bestell-/Dispositionskosten
4.3 Steuerung des Supplier-Relationship-Managements
371
Transportkosten Beschaffungslogistik + Kosten eigene Transportleistung / eigener Fuhrpark + Kosten Fremdlogistik + Transportkosten Filiallogistik + Kosten eigene Transportleistung / eigener Fuhrpark + Kosten Fremdlogistik + Rücktransportkosten von Restbeständen, Leerpaletten + Kosten der Entsorgung + Wareneingangskosten Lager + Kosten der Identifizierung der Wareneingänge + Kosten Warenentladung und Grobkontrolle (Vollständigkeit, Qualität) + Feinkontrolle (MHD-Kontrolle, Kontrolle logistischer Daten) + Warenverräumungskosten Lager + Wareneinlagerungskosten + Kommissionierleistung + Warenauslagerungskosten + Warenverräumungskosten Filiale + Retourenkosten (Filiale, Lager) + Bestandskosten Lager (Abverkaufsrate) + sonstige Kosten des Lagers + ... = Transport- und Lagerkosten Abb. 4.15. Lieferanten-Deckungsbeitragsrechnung – Transport- und Lagerkosten
4.3.2.4 Lieferanten-Scoring-Modell Das dritte, hier herausgestellte Modul eines Systems zur Lieferantenbewertung setzt an den non-monetären Kenngrößen an und versucht diese (quantitativen und qualitativen) Kenngrößen im Sinne eines Scoring-Modells – auf dem Grundansatz der Nutzwertanalyse basierend186 zu einem nonmonetären Lieferantenwert zu verknüpfen.
186
Vgl. hierzu bereits Kirchner/Zentes 1984, S. 59 ff., und die dort angegebene Literatur.
372
4 Warenwirtschaftsbasierte Steuerung der Kernprozesse des Handels
Tabelle 4.1. Grundstruktur des Lieferanten-Scoring-Modells Position 1 2 3 4 5 6
Gewichtung Bezug Supplier-Evaluation-Card a x Preisbeurteilung b x Qualitätssicherung c x Umsatzwirkung d x Marktentwicklung e x Bestellabwicklungsqualität f x Lieferqualität Summe non-monetärer Lieferantenwert Bewertung auf einer 5-er Skala (sehr schlecht bis sehr gut) Lineares Gewichtungsmodell: a+b+c+d+e+f = 1
Logistikprozesse
non-monetärer Lieferantenwert
Absatzmarkt
Einkauf
Das Lieferanten-Scoring-Modell ist in Tabelle 4.1. im Überblick dargestellt. Die einzelnen Beurteilungs- bzw. nicht-monetären PerformanceDimensionen mit den sie bildenden Kriterien zeigt Abb. 4.16. Preisbeurteilung
Ken ngr öß
en
Qualitätssicherung
Umsatzwirkung
Marktentwicklung
Bestellabwicklungsqualität
Lieferqualität
Abb. 4.16. Detailstruktur des Lieferanten-Scoring-Modells (Quelle: Zentes/Knörr 2004, S. 207.)
4.3.2.5 Lieferantenwert-Matrix Die monetär ausgerichteten Kenngrößen, die letztlich über eine Lieferanten-Deckungsbeitragsrechnung in der derivativen Kennzahl „LieferantenDeckungsbeitrag III“ (s. Abb. 4.13.) verdichtet werden und die nonmonetär ausgerichteten Kenngrößen, die über ein Lieferanten-ScoringModell in einen finalen „Punktwert“ („Score“) münden, lassen sich in Form einer Lieferantenwert-Matrix verdichten (s. Abb. 4.17.). Die metrisch-skalierten Achsen (monetärer Lieferantenwert: verhältnisskaliert;
4.4 Steuerung des Category-Managements
373
non-monetärer Lieferantenwert: intervallskaliert) werden aus Gründen einer besseren Veranschaulichung in die Klassen „niedrig“, „mittel“ und „hoch“ eingeteilt.
mittel
hoch
Lieferant A
niedrig
non-monetäre Perspektive
non- monetärer Lieferanten wert
Lieferant D
Category 1
AAA
BBB
CCC
Category 2
Lieferant A
Lieferant B
Category 2
Category 1
AA
BB
CC
Lieferant C Category 1
Lieferant C Category 2
B
C niedrig
mittel
A hoch
monetäre Perspektive
monetärer Lieferanten wert
Abb. 4.17. Lieferantenwert-Matrix (Quelle: Zentes/Knörr 2004, S. 208.)
Diese Matrix ermöglicht – in Analogie zu den bekannten PortfolioDarstellungen – eine Ist-Positionierung der Lieferanten – gesamthaft oder nach Categories differenziert – und eine kurz-, mittel- und langfristige Zielpositionierung als Basis der Lieferantenentwicklung.
4.4 Steuerung des Category-Managements 4.4.1
Category-Management-Prozess
Das Management der Warengruppen (Category-Management) ist – im Sinne des ECR-Konzeptes – ein gemeinsamer Prozess von Händlern und Herstellern, bei dem Warengruppen als strategische Geschäftseinheiten geführt werden, um durch Erhöhung des Kundennutzens Ergebnisverbesserungen zu erzielen (ECR Europe 1997).187 Letztendlich ist es das Ziel, eine Profilierung im Wettbewerb durch eine stärkere Fokussierung auf relevante Warengruppen zu erreichen. Damit soll auch die Kundenloyalität (bei bestimmten Kundengruppen) erhöht werden. Im Vergleich zur bisher vorherrschenden Umsatzorientierung erfolgt eine Ausrichtung der jeweiligen Sortimentsentscheidung am Gesamt187
Vgl. zu diesen Ausführungen auch Zentes/Janz/Morschett 1999; vgl. auch die Ausführungen in Abschnitt 2.5.3.1.
374
4 Warenwirtschaftsbasierte Steuerung der Kernprozesse des Handels
erfolg (Deckungsbeitrag und/oder Marktanteil). Dabei sollen durch geschicktes Ausnutzen von Verbundeffekten größere durchschnittliche Einkaufskörbe und damit höhere Durchschnittsbons erreicht werden. Die Category-Manager sind verantwortlich für die Performance der Warengruppe; dies umfasst den Einkauf, das Marketing und Merchandising, die Logistik, den Verkauf und den IT-Einsatz. Als grundsätzliche Kritik am Category-Management bringen Handelsunternehmen vor allem einen Aspekt vor. So gehen viele Handelsunternehmen davon aus, dass die Überlegung, Category-Management als gemeinsamen Prozess von Hersteller und Handel durchzuführen, nur sehr eingeschränkt realisiert werden wird. Viele sehen Category-Management als Kernkompetenz des Handels, sodass er nur sehr vorsichtig Kooperationen eingehen wird. Die Betrachtung von Warengruppen als strategische Geschäftseinheiten wird in immer mehr Unternehmen realisiert. Gleichzeitig wird von einer ganzen Reihe von Unternehmen das „neue Abteilungsdenken“ kritisiert, da zwar eine funktionale Integration stattgefunden habe, aber Interdependenzen zwischen den Categories nun nur relativ schlecht wahrgenommen würden. Der Planungsprozess des Category-Managements hat als Grundlage eine Festlegung der strategischen Orientierung der Handelsunternehmen. Die Unternehmensstrategie, welche die Ausgangsbasis des Category-Managements ist, umfasst die Verbindungen zwischen der generellen Vision, den Zielen und Strategien eines Unternehmens und dem Management strategischer Geschäftseinheiten auf Warengruppen-Niveau. Sie garantiert somit den inneren Zusammenhalt der Category-Management-Geschäftsplanung. Die zu beantwortenden Grundfragen lauten: x x x x
Was ist das Gesamtziel des Unternehmens? Welche Positionierung strebt das Unternehmen auf dem Markt an? Wer sind die Zielkunden? Was ist die angestrebte USP des Handelsunternehmens?
Vor dem Category-Management muss also die generelle Marketingoder Wettbewerbsstrategie greifen und definieren, mit welchem Angebot der einzelne Markt, die einzelne Vertriebsschiene oder die einzelne Filiale sich profilieren will. Das ist die zentrale strategische Entscheidung. Darauf aufbauend, bietet das Category-Management einen Ansatz, der die Feinheiten des Sortiments ausarbeitet. Der (Muster-)Geschäftsplanungsprozess im Category-Management verläuft in acht Stufen, die in der Abb. 4.18. dargestellt sind und – da aus an-
4.4 Steuerung des Category-Managements
375
deren Publikationen hinreichend bekannt – hier nur kurz mit ihren wesentlichen Entwicklungen und Überlegungen erläutert werden.
Category-Überprüfung
Category-Definition
Welche Produkte gehören in die Category? Wie ist die optimale Category-Segmentierung?
Category-Rolle
Wie wichtig ist die Category? Wie kann ihre Bedeutung erhöht werden?
Category-Bewertung
Welche Ergebnisse erzielt die Category? - Verglichen mit dem Potenzial? - Verglichen mit den Rollen?
Leistungsanalysen/Ziele
Ziele, Zielsetzungen und Messgrößen
Category-Strategien
Der Geschäftsplan. Wie kann die Rolle/ Leistungsvorgabe erreicht werden?
Category-Taktiken
Sortiments-, Preispolitik, Verkaufsförderung, Regalpräsentation
Category-Planumsetzung
Wer macht was und wann?
Abb. 4.18. Der Geschäftsplanungsprozess des Category-Managements (Quelle: ECR Europe 1997.)
Category-Definition Im ersten Schritt definieren Handelsunternehmen die Kategorien und legen ihre Struktur (z.B. Unterkategorien, Segmente usw.) fest, wobei man versucht, die Konsumentenorientierung bereits hier zu beachten. In der Regel orientieren sich jedoch die Categories bei den meisten Handelsunternehmen sehr stark an den bisherigen Artikelgruppen (z.B. Molkereiprodukte, Grundnahrungsmittel, Tiefkühlkost, Konserven usw.). Eine tatsächliche Orientierung an der Bedürfnisbefriedigung (z.B. Zwischenmahlzeiten inkl. Schokolade, Chips und Pizza) ist dabei oft noch nicht erkennbar. Category-Rolle Im zweiten Schritt muss die strategische Rolle für die Category innerhalb des Portfolios eines Handelsunternehmens festgelegt werden. Ziel ist es, den Verbrauchernutzen für den Zielkonsumenten des Handelsunternehmens zu maximieren, eine Basis für die Ressourcenallokation zur Maximierung der Gesamtkapitalrendite aufzubauen und eine Basis zur Bestimmung von Category-Strategien und taktischen Entscheidungen zur Verfügung zu stellen. Dazu muss eine quantitative und qualitative Quer-
376
4 Warenwirtschaftsbasierte Steuerung der Kernprozesse des Handels
vergleichsanalyse durchgeführt werden, um anschließend die Rolle jeder Kategorie festzulegen. Die Rolle einer Kategorie wird aus drei Sichtweisen bestimmt. Hierbei muss die Bedeutung für den Zielkonsumenten und für das Handelsunternehmen ebenso bewertet werden wie die zukünftigen Aussichten im Markt. Gerade bei der Rollenzuweisung werden in der Unternehmenspraxis viele Abweichungen vom Grundprinzip festgestellt. So ist die Rollenfestlegung die Schlüsselentscheidung im Category-Management-Kreislauf. Sie zieht zahlreiche Folgeentscheidungen nach sich. Indem man formal eine Rolle zuordnet, entscheidet ein Handelsunternehmen, wie es seinen Laden aufbauen will und wie es von außen gesehen werden will. Der CategoryManagement-Prozess soll den Category-Manager durch einen Ablauf führen, der diese Rollenentscheidungen bis hin zu taktischen Implikationen weiter verfolgt, spezifisch Raum zuordnet, Preise und Verkaufsförderungsmaßnahmen festlegt. Category-Bewertung Bei der Category-Bewertung soll bestimmt werden, wie sich die aktuelle Leistung zur gewünschten Category-Rolle verhält. Zudem muss identifiziert werden, wo eine vertiefte Untersuchung und Analyse angebracht sind. Leistungsanalysen und -ziele (Performance-Measures) Nach ausführlicher Bewertung der einzelnen Kategorien nehmen die Handelsunternehmen eine Zielfestlegung vor. Diese basiert einerseits auf der Bewertung und den daraus abgeleiteten realistischen Entwicklungszielen, andererseits auf der Rollenzuteilung, die unterschiedliche Zielsetzungen nach sich zieht. Die Zielfestlegung ist einerseits Grundlage des weiteren CategoryManagements, häufig ist sie zugleich die Zielvorgabe für den CategoryManager, dessen Leistung aufgrund der Erreichung dieser Ziele (die sich nicht nur auf Umsatzgrößen, sondern auch auf Frequenzgewinnung, Marktanteilsgewinnung, Deckungsbeitragserhöhung o.A. beziehen können) beurteilt wird. Category-Strategien Im fünften Schritt muss ein strategischer Category-Plan festgelegt werden, der die Erreichung der Category-Rolle und der Leistungsvorgabe sicherstellt. Ein Rahmen für die Ressourcen-Zuordnung innerhalb der Cate-
4.4 Steuerung des Category-Managements
377
gory und Richtlinien zur Entwicklung der Category-Taktiken müssen dabei das Ergebnis sein. Mögliche Strategien sind dabei z.B.: x x x x x
Förderung der Kundenfrequenz Verbesserung der Category-Brutto-Marge Erzielung von Cash-flow Erregung von Aufmerksamkeit Imageaufwertung.
In den meisten Unternehmen kann man feststellen, dass – schon immer – verschiedenen Produkten verschiedene Aufgaben zugeordnet waren. Neu ist, dass eine recht feste Zuordnung von Category-Rollen zu Strategien und entsprechenden Produkten erfolgt. Category-Taktiken Abgeleitet aus den Strategien entstehen Pläne für Sortiment, Preis, Promotion und Präsentation, um sicherzustellen, dass die täglichen Aktivitäten den Beitrag zur Category-Rolle, den Category-Strategien und -Leistungszielen liefern und dass eine rationale und objektive Entscheidungsfindung stattfindet. Beim Category-Management steht der integrative Prozess (vertikal integriert in den hierarchischen Strategieprozess und horizontal integriert, um eine gemeinsame Ausrichtung aller Einzelinstrumente zu erreichen) im Mittelpunkt. Sortiment • Sortimentsstraffung • • • Nutzung von • Verbundeffekten • • Einführung von • Handelsmarken • Analyse von CustomizingPotenzialen • ...
Preis DB-Maximierung Image-Gewinn Individualisierung Preis-Events ...
Promotion • zielgruppenfokussierte Aktionen • Verbundaktionen • Events • ...
Präsentation • Verbundpräsentation • Ideen-Center • Zweitplatzierung • Platzierung in Kopfgondel • ...
Abb. 4.19. Mögliche Category-Taktiken
Category-Planumsetzung und Category-Überprüfung Nach Entwicklung der Strategien und Taktiken müssen Verfahren entwickelt werden, um die Umsetzung sicherzustellen. Ein Maßnahmenplan inklusive der Zuweisung von Verantwortlichkeiten muss erstellt werden.
378
4.4.2
4 Warenwirtschaftsbasierte Steuerung der Kernprozesse des Handels
Sortimentsanalyse und Wirkungscontrolling
Warenwirtschaftssysteme bildeten schon immer eine wesentliche Basis der Sortimentsanalyse, in einfachster Form als „Renner- und Pennerlisten“, letztlich eine Ausprägung von ABC-Analysen. Weiter gehende Analysen bezogen Sortimentsverbundeffekte ein, so durch Analyse der kundenbezogenen Warenkörbe („Bon-Analyse“), die – sofern die Handelsunternehmen über Kundenkartensysteme verfügten – auch Segmentierungen als Grundlage einer kundenspezifischen Ansprache ermöglichten. Hier zeichnet sich zugleich eine Schnittstelle zu Aspekten des Customer-RelationshipManagements ab, auf die im nachfolgenden Abschnitt näher eingegangen wird. Starke Verbreitung haben – gestützt auf Warenwirtschaftsdaten – auch bereits in der Vergangenheit die Systeme der Regal- bzw. Verkaufsflächenoptimierung, so „Spaceman“, „Spacemax“, „Apollo“, um nur einige zu nennen, gefunden.188 Promotion-Wirkungscontrolling189 Im Folgenden wird ein Konzept des Wirkungscontrolling bezogen auf Promotionen dargestellt, das als Teil eines umfassenden Ansatzes des Supplier-Relationship-Managements (SRM) entwickelt wurde190. Die Zuordnung dieses Konzeptes als Teil der Lieferantenevaluation basiert auf dem kooperativen Ansatz, der oftmals Promotionen im Handel zu Grunde legt (s. Abb. 4.20.). Dieser methodische Ansatz des Wirkungscontrolling gilt jedoch auch für Promotionaktivitäten des Handels, die „autonom“, d.h. nicht kooperativ, durchgeführt werden. Insofern erfolgt die Diskussion dieses Konzeptes hier im Rahmen des Category-Managements.
Vgl. hierzu Zentes/Liebmann 2001, S. 555, und die dort angegebene Literatur. Vgl. hierzu ausführlich Zentes/Knörr 2004 und die dort angegebene Literatur; vgl. auch Hüffer/Lehnert 2004. 190 Vgl. hierzu die Ausführungen in Abschnitt 4.3. 188 189
4.4 Steuerung des Category-Managements klassische Verkaufsförderung werbliche Herausstellung Preisreduktion (price-off) Events (Kochkurs, Weinseminar,..) Degustationen Zweitplatzierung / Sonderplatzierung
Neuprodukteinführung Linienerweiterung neues Produkt neue Marke Sortimentsaustausch/ -umwandlung
Couponing Couponing-Aktion
Direktkommunikation Direct Mailing Kundenkartenpromotionen
379
Abb. 4.20. Übersicht über ausgewählte kooperative Promotionmaßnahmen
Das Promotion-Wirkungscontrolling basiert auf drei „Säulen“, die in Abb. 4.21. dargestellt sind: x der Supplier-Promotion-Card x der Promotion-DB-Rechnung x dem Promotion-Scoring-Modell. Die Promotion-DB-Rechnung und das Promotion-Scoring-Modell werden in der Promotionwert-Matrix verknüpft. Supplier-Relationship-Management
Lieferantenanalyse und -bewertung
Wirkungscontrolling SupplierPromotionCard
PromotionDB-Rechnung
Promotionwert-Matrix
PromotionScoring-Modell
monetärer Promotionwert non-monetärer Promotionwert
Kenngrößen-Pool monetäre Kenngrößen
nonnon-monetäre Kenngrößen
Abb. 4.21. Struktur des Promotion-Wirkungscontrolling
Supplier-Promotion-Card Analog zu der Supplier-Evaluation-Card (s. Abb. 4.12.) stellt die SupplierPromotion-Card einen Strukturierungsansatz für die Kenngrößen dar, die
380
4 Warenwirtschaftsbasierte Steuerung der Kernprozesse des Handels
im Rahmen des Wirkungscontrolling zur Beurteilung von Promotions herangezogen werden. In Anlehnung an das Balance-Scorecard-Konzept und aufbauend auf der Supplier-Evaluation-Card werden die zur Bewertung von Verkaufsförderungsaktionen relevanten Kenngrößen in unterschiedliche Dimensionen systematisiert.
Preisbeurteilung
Nettoumsatz Umsatzwirkung
Bestellabwicklung
Logistik
Bestellkosten
Transport- und Lagerkosten
Bestellabwicklungsqualität
Lieferqualität
Promotionablaufqualität
Supplier-PromotionCard (SPC)
Logistikprozesse
=
monetäre Kenngrößen
Kenngrößen Kenngrößen--Pool
=
Promotionablauf
Einkauf
Marktentwicklung
Promotionablaufkosten
Marktwirkung Qualitätssicherung
Absatzmarkt
Entgeltwirkung Nettowareneinsatz
non-monetäre Kenngrößen
Abb. 4.22. Supplier-Promotion-Card (Quelle: Zentes/Knörr 2004, S. 214.)
Der Aufbau der Supplier-Promotion-Card (s. Abb. 4.22.) setzt an den unterschiedlichen Betrachtungsebenen im Rahmen des Wirkungscontrolling an. So bezieht sich ein wesentlicher Teilbereich der betrachteten Dimensionen auf den Warenprozess. Ergänzt werden die Betrachtungen um spezifische auf den Promotionsablauf bezogene Dimensionen. Analog zum Aufbau der Supplier-Evaluation-Card werden in der Supplier-Promotion-Card zunächst die funktionsbereichsspezifisch gegliederten Dimensionen „Einkauf“, „Logistikprozesse“ und „Absatzmarkt“ berücksichtigt. Diese Performance-Dimensionen beziehen sich im Wesentlichen auf den Ablauf des Warenprozesses sowie auf die Marktwirkungen der Promotion. Diesen Dimensionen werden wiederum bestimmte Schlüsselkenngrößen zugeordnet, die der Aggregation der Einzelkennzahlen dienen: x Einkauf: Im Rahmen dieser Performance-Dimension werden Kenngrößen erfasst, die dem Funktionsbereich „Einkauf“ zugeordnet werden. Die Kennzahlen dieses Bereichs werden in die Schlüsselkenngrößen „Nettowareneinsatz“, „Preisbeurteilung“ und „Qualitätssicherung“ eingeordnet.
4.4 Steuerung des Category-Managements
381
x Logistikprozesse: In diesem Bereich werden Kennzahlen betrachtet, die sich auf den Funktionsbereich „Logistik“ beziehen. Als Schlüsselkennzahlen werden hierbei die „Bestellkosten“ und die „Bestellabwicklungsqualität“, die dem Bereich der Bestellabwicklung zuzuordnen sind, sowie die vornehmlich logistikorientierten Schlüsselkenngrößen „Transport- und Logistikprozesse“ sowie „Lieferqualität“ betrachtet. x Absatzmarkt: Diese Dimension ist v.a. auf den Bereich des „Marketing“ bezogen. Der Systematisierung in diesem Bereich dienen die Schlüsselkenngrößen „Marktentwicklung“ sowie die die Marktentwicklung kennzeichnenden Aggregationsebenen „Nettoumsatz“ und „Umsatzwirkung“. Die Systematisierung in die jeweiligen Dimensionen und Schlüsselkenngrößen, die im Rahmen der Supplier-Promotion-Card betrachtet werden, entspricht hinsichtlich dieser Dimensionen somit inhaltlichkonzeptionell zunächst den im Rahmen der Lieferantenanalyse und beurteilung betrachteten Kenngrößen. Zu beachten ist dabei, dass entsprechend des projektorientierten Konzeptes des Wirkungscontrolling nicht eine aggregierte Gesamtbetrachtung der jeweiligen Kennzahlen erfolgt, sondern es werden lediglich die spezifischen, inhaltlich und zeitlich auf die Promotion (ggf. ergänzt um bestimmte Vor- bzw. Nachlaufzeiten) begrenzten Kenngrößen in die Supplier-Promotion-Card einbezogen. Alle Kennzahlen beziehen sich also nur auf die jeweils betrachtete Verkaufsförderungsaktion und dienen der Beurteilung des im Rahmen der spezifischen Promotionaktion realisierten Warenprozesses und der Marktwirkungen der durchgeführten Aktion. Die Supplier-Promotion-Card wird zusätzlich zu diesen Dimensionen um eine weitere Dimension ergänzt, die sich in spezifischer Form auf den Promotionablauf bezieht. Hierbei stehen die Effizienz und die Effektivität des Prozesses der Verkaufsförderungsaktion im Vordergrund der Analyse und Beurteilung. Betrachtet werden die Schlüsselkenngrößen „Promotionablaufkosten“, in der Kostengrößen, die im Rahmen der Promotion entstehen, als Kennzahlen zusammengefasst werden, sowie „Promotionablaufqualität“, unter der non-monetäre Kennzahlen aggregiert werden, welche die qualitative Abwicklung der Promotion betreffen. Konzeptionell dient die Supplier-Promotion-Card somit als Systematisierungsansatz der für die jeweils spezifische Promotionaktion erhobenen Kennzahlen. Sie wird aus dem Kenngrößenpool gespeist und dient dabei auch als „Zugriffsplattform“ – einerseits für die weiteren Module des Wirkungscontrolling, andererseits für eine davon unabhängige Beurteilung der jeweiligen Verkaufsförderungsaktion hinsichtlich einzelner Aktivitätsbereiche des Handelsunternehmens bzw. des Ablaufs der Aktion selber.
382
4 Warenwirtschaftsbasierte Steuerung der Kernprozesse des Handels
Insofern kann die Supplier-Promotion-Card insbesondere im Rahmen von Ursachen- oder Fehleranalysen als Tool herangezogen werden. Auf Grund der Zuordnung der Kenngrößen zu den unterschiedlichen Dimensionen und Schlüsselbereichen kann anhand dieses Werkzeugs aufzeigt werden, bei welchen Funktionsbereichen bzw. wo im Promotionprozess eventuell Probleme aufgetreten sind oder Problemfelder potenziell liegen können. Promotion-Deckungsbeitragsrechnung Bei der Promotion-Deckungsbeitragsrechnung steht die Überlegung im Vordergrund, dass jede durchgeführte Verkaufsförderungsaktion eine bestimmte Kosten- und Erlöswirkung bei dem Handelsunternehmen generiert. Diese kann grundsätzlich auf Kosten- und Erlöswirkungen beruhen, die sich auf den Aktionsartikel selbst beziehen, sie kann aber auch zusätzliche Kosten- und Erlöswirkungen generieren, die sich aus Spill-overEffekten auf die Markenfamilie bzw. das Gesamtsortiment des Handelsunternehmens beziehen. Im Rahmen der im Folgenden dargestellten Promotion-Deckungsbeitragsrechnung können auf Grund der lieferantenspezifischen Betrachtung lediglich die Deckungsbeitrags-Wirkungen betrachtet werden, die sich auf den Aktionsartikel selbst beziehen sowie ggf. auf weitere Produkte des jeweiligen Herstellers. Darüber hinausgehende Verbundwirkungen in Bezug auf das Gesamtsortiment des Handelsunternehmens können i.d.R. nicht monetär klar abgegrenzt werden, sodass sie in diese Betrachtungen nicht einbezogen werden können, sondern im Rahmen der Betrachtungen des Promotion-Scoring-Modells einer vornehmlich qualitativen Beurteilung unterzogen werden. Im Rahmen der Promotion-Deckungsbeitragsrechnung werden der jeweiligen Promotionaktion sämtliche direkt zurechenbaren Kosten und Erlöse zugeordnet. Im Sinne einer mehrstufigen Deckungsbeitragsrechnung wird ausgehend vom Bruttoumsatz der Promotion-Deckungsbeitrag ermittelt. Dieser Promotion-Deckungsbeitrag basiert auf den Kosten und den Erlösen, die im Kontext der Promotionaktion anfallen, also monetären Kennzahlen, und stellt damit den monetären Promotionwert dar. Die Grundstruktur der mehrstufigen Deckungsbeitragsrechnung zur Ermittlung des Promotion-Deckungsbeitrags ist in Abb. 4.23. dargestellt. Diese Grundstruktur entspricht der Struktur der Lieferanten-Deckungsbeitragsrechnung im Rahmen der klassischen Lieferantenanalyse und -beurteilung (s. Abb. 4.13.). Zusätzlich zu den im Rahmen des klassisch aufgebauten Lieferanten-Deckungsbeitragsrechnungsmodells berücksichtigten Kostengrößen wird bei der Promotion-Deckungsbeitragsrechnung eine
4.4 Steuerung des Category-Managements
383
weitere Kostenkategorie einbezogen, nämlich die spezifischen Promotionablaufkosten. Lieferantenbezogene DB-Rechnung im fiktiven „Normalzeitraum“
M
Bruttoumsatz
Erlösschmälerungen („RabattN - Charakter“) (konsumentenbezogen) = Nettoumsatz Wareneinsatz zu Einstandspreisen O - (Rechnungspreisen) = Lieferanten-Rohertrag (Deckungsbeitrag I)
Lieferantenbezogene DB-Rechnung im „Aktionszeitraum“
Bruttoumsatz
= Nettoumsatz
= PromotionNettoumsatz
Nettoumsatz
- Wareneinsatz zu Einstandspreisen (Rechnungspreisen) = Lieferanten-Rohertrag (Deckungsbeitrag I) + Rabatte, Aktionsrabatte, Preisnachlässe, Boni … (lieferantenbezogen)
Q + Werbekostenzuschüsse, …
+ Werbekostenzuschüsse, … = Lieferanten-Bruttoertrag (Deckungsbeitrag II)
Bestell-/Dispositionskosten, R - administrativer Kooperationsaufwand
- Bestell-/Dispositionskosten, administrativer Kooperationsaufwand
S - Transport- und Lagerkosten
- Transport- und Lagerkosten
T
- Promotionablaufkosten = Lieferanten-Deckungsbeitrag (Deckungsbeitrag III)
Supplier-Promotion-CardDimension
- Erlösschmälerungen („RabattCharakter“) (konsumentenbezogen)
Rabatte, Aktionsrabatte, PreisnachP + lässe, Boni … (lieferantenbezogen)
= Lieferanten-Bruttoertrag (Deckungsbeitrag II)
? DB-Rechnung „Normal- versus Aktionszeitraum“ (je Mengeneinheit)
= Lieferanten-Deckungsbeitrag (Deckungsbeitrag III)
= PromotionRohertrag (DB I)
Nettowareneinsatz
= PromotionBruttoertrag (DB II) Bestellkosten Transport- und Lagerkosten Promotionablaufkosten
= PromotionDeckungsbeitrag (Deckungsbeitrag III)
monetärer Promotionwert
Abb. 4.23. Promotion-Deckungsbeitragsrechnung
Promotion-Scoring-Modell Das Promotion-Scoring-Modell stellt das dritte Teilmodul des Wirkungscontrolling dar. Um die jeweils betrachtete Verkaufsförderungsaktion nicht nur einer monetären Analyse zu unterziehen, sondern auch nicht-monetäre Wirkungen einzubeziehen bzw. nicht direkt monetarisierbare Größen berücksichtigen zu können, erfolgt im Rahmen des Promotion-ScoringModells die Berechnung eines non-monetären Promotionwertes, in den solche nicht-monetären Kenngrößen eingehen. Der Aufbau dieses Promotion-Scoring-Modells ist wiederum grundsätzlich analog zu dem Scoring-Modell der Lieferantenanalyse und -beurteilung aufgebaut (s. Tabelle 4.1.). Die dort berücksichtigten Dimensionen bzw. Schlüssel-Kenngrößen werden wiederum um die Berücksichtigung des Ablaufs der Verkaufsförderungsaktion ergänzt. Die Grundlage des Promotion-Scoring-Modells bildet die (objektivierte) Ermittlung bzw. Beurteilung der nicht-monetären Kenngrößen. Die Ermittlung des Promotion-Score-Wertes erfolgt dann, indem die in dem Kenngrößenpool zusammengefassten Kennzahlen anhand der in der SupplierPromotion-Card vorgegebenen Systematisierung aggregiert werden.
384
4 Warenwirtschaftsbasierte Steuerung der Kernprozesse des Handels
Promotionwert-Matrix Die monetäre Bewertung der Promotion im Rahmen der PromotionDeckungsbeitragsrechnung und die non-monetäre Beurteilung der Promotion im Rahmen des Promotion-Scoring-Modells werden in der Promotionwert-Matrix – in Analogie zur Lieferantenwert-Matrix (s. Abb. 4.17.) – zusammengeführt (s. Abb. 4.24.). Die Promotionwert-Matrix stellt ein Portfolio dar, bei dem entsprechend eine Dimension durch den Promotion-Deckungsbeitrag repräsentiert ist und die zweite Dimension durch den Promotion-Score-Wert gebildet wird. Im Sinne einer aggregierten Darstellung können die Positionen unterschiedlicher Promotionen einander gegenübergestellt werden bzw. miteinander verglichen werden. Dabei können zum einen unterschiedliche Verkaufsförderungsaktionen eines Lieferanten miteinander verglichen werden, es können aber weiterhin auch verschiedene Promotionaktivitäten unterschiedlicher Lieferanten einander gegenübergestellt werden. Promotion A Promotion A
Category 1
hoch
Category 2
Promotion B
Promotion A
Category 2
Category 1
Promotion A
niedrig
non-monetäre Perspektive
non-monetärer Promotionwert
Category 1
Promotion B Category 2
niedrig
monetäre Perspektive
hoch
monetärer Promotionwert
Abb. 4.24. Promotionwert-Matrix
Zudem können im Rahmen dieser integrativen Betrachtung der monetären und der non-monetären Perspektive im Sinne von Soll-Ist-Betrachtungen Ziel-Positionen für spezifische Promotionarten hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf Promotion-Deckungsbeitrag und Promotion-Score-Wert festgelegt werden. Werden unterschiedliche Verkaufsförderungsaktionen miteinander im Rahmen dieser Portfolio-Betrachtung verglichen, so sind hinsichtlich des
4.4 Steuerung des Category-Managements
385
monetären Promotionwertes zwei unterschiedliche Betrachtungsebenen sinnvoll. Zum einen kann eine absolute Betrachtung des jeweils realisierten Promotion-Deckungsbeitrags erfolgen. Dabei werden besonders umsatzstarke Produkte bzw. Lieferanten gegenüber umsatzschwächeren, „kleineren“ Produkten positiver dargestellt. Dies ist in vielen Fällen auch Ziel der Analyse im Rahmen der Promotionbeurteilung, da anhand des stärkeren Produktes auch tatsächlich höhere Deckungsbeiträge für das Handelsunternehmen realisiert werden. Als zweite Betrachtungsebene kann jedoch auch eine relative Betrachtung der realisierten Deckungsbeiträge erfolgen, bei der z.B. der realisierte Promotion-Deckungsbeitrag ins Verhältnis zu dem Gesamtumsatz, der mit dem jeweiligen Artikel realisiert wird, gesetzt wird. Dadurch wird eine bessere Vergleichbarkeit unterschiedlich umsatzrelevanter Produkte miteinander hinsichtlich des Promotionerfolges erreicht. Allerdings wird dabei die absolute Bedeutung des jeweiligen Artikels vernachlässigt. 4.4.3
SimMarket als CM-Tool
Das Ziel des Mikrosimulationsmodells SimMarket besteht darin, „alle relevanten Elemente, Beziehungen und Einflussfaktoren im Bereich des Einzelhandels – bezogen auf eine Supermarktfiliale – möglichst exakt zu modellieren“ (Schwaiger/Stahmer 2003a, S. 13).191 SimMarket ist als ein Multiagentensystem (MAS) konzipiert. Abb. 4.25. zeigt die Architektur des Multiagentensystems. „Die Supermarktfiliale wird durch einen Supermarktagenten modelliert, der neben detaillierten allgemeinen Filialinformationen insbesondere alle Arten der in der Filiale durchgeführten Aktionen speichert und verwaltet, wie z.B. Preis-, Sortiments- und Platzierungsänderungen, Werbemaßnahmen, Sonderaktionen usw., sowie alle wichtigen Kennzahlen und Informationen über Artikelabverkäufe, Umsatz, Gewinn, Kosten, Lagerhaltung, Bondaten usw. Der Supermarktagent enthält außerdem die Menge der für ihn relevanten Kundenagenten und die Menge der Artikelagenten.
191
SimMarket basiert auf einem BMBF-Verbundprojekt des DFKI (Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz GmbH), des H.I.MA. (Institut für Handel & Internationales Marketing), der DACOS Software GmbH sowie Unternehmen des Food-/Near-Food-Handels. Erste Veröffentlichungen hierzu liegen vor von Schwaiger/Stahmer 2003a; 2003b sowie Ruß/Schwaiger/Stahmer 2004. Das Multiagentensystem liegt zwischenzeitlich in Form einer „Simulation Engine“ vor, die von der DACOS Software GmbH vertrieben wird.
386
4 Warenwirtschaftsbasierte Steuerung der Kernprozesse des Handels
Supermarket Agent Product Agents
Customer Agents Customer Group Agent
Customer Group Agent
Commodity Group Agent
Commodity Group Agent
Item Agent
Customer Agent Item Agent
Customer Agent Customer Agent
Customer Agent
Item Agent
Item Agent
Competitor Agents Competitor Agent
Competitor Agent
Manufacturer Agents Environment Agents
Competitor Agent Weather Agent
Stock Market Agent
Manufacturer Agent
Manufacturer Agent
Manufacturer Agent
Event Agent
Abb. 4.25. Architektur des Multiagentensystems SimMarket (Quelle: Schwaiger/Stahmer 2003a, S. 14.)
Die Kundenagenten repräsentieren jeweils einen individuellen Kunden mit dessen persönlichem Verhalten. Sie können anhand verschiedener Kriterien zu Gruppen zusammengefasst werden, die als Holonen modelliert werden, d.h., ein Holon repräsentiert eine Gruppe von einzelnen Kunden ohne diesen ihre Individualität zu nehmen. Insbesondere kann jeder beliebige Kunde Mitglied beliebig vieler verschiedener Gruppen sein. Genauer ermöglicht die holonische Architektur die Modellierung aller individuellen Kunden sowie zusätzlich einer beliebig großen und dynamisch veränderbaren Anzahl von Kundengruppierungen, die wiederum übergeordneten Holonen angehören können. Die größte denkbare Menge, nämlich die Menge aller Kunden, wird standardmäßig durch den Meta-Kundenagenten definiert. Ebenso werden alle einzelnen Artikel durch eigene Artikelagenten repräsentiert, wobei sich diese zu fest definierten Warengruppen formieren können. Zusätzlich ist es durchaus möglich, einzelne Artikel als Mitglieder verschiedener dynamisch veränderbarer Gruppierungen darzustellen, z.B. als die Menge aller Öko-Artikel oder aller Eigenmarken-Artikel usw. Äquivalent zum Meta-Kundenagent existiert hier ebenfalls ein Repräsentant aller Artikel, der Meta-Artikelagent“ (Schwaiger/Stahmer 2003a, S. 14).
4.4 Steuerung des Category-Managements
387
Herstelleragenten stellen im Wesentlichen Informationen über aktuelle Produkte, deren Preise und Promotionaktivitäten sowie über geplante Produktneueinführungen zur Verfügung. In Konkurrenzagenten wird das bekannte Wissen über konkurrierende Unternehmen, so Artikelpreise, Werbeaktionen u.Ä. gespeichert. Externe Einflussfaktoren, z.B. die Wirtschaftslage, das Wetter und saisonale Ereignisse (Weihnachten, Fasching) werden durch so genannte Umweltagenten verwaltet (Schwaiger/Stahmer 2003a, S. 14 f.). Die Modellierung der Agenten wird im Folgenden beispielhaft für die Kundenagenten skizziert. Abb. 4.26. zeigt die allgemeine Architektur der Kundenagenten, welche die Grundlage für die Kundensimulation bildet. Ausgangspunkt ist das Wissen über den Kunden in Form eines persönlichen Kundenprofils. Das Kaufverhalten wird durch Verhaltensnetze simuliert. Customer Agent Personal Profile Age
Sex
Domicile
Income
ID
Family Status
Profession
…
Shopping Behavior Networks
.. .
Abb. 4.26. Architektur der Kundenagenten (Quelle: Schwaiger/Stahmer 2003a, S. 16.)
Ausgangspunkt der Verhaltensnetze bilden Daten des individuellen Kaufverhaltens, die aus Kundenkarten, aus speziellen empirischen Untersuchungen oder aus generellen Marketing-Erkenntnissen gewonnen werden. Diese Daten werden in Verhaltensetzen repräsentiert. Der Lösungsansatz besteht darin, „diese Daten in Form von Regelsystemen zu kodieren, die auf bedingten Wahrscheinlichkeiten aufbauen. Um die Abhängigkeit zwischen Regeln zu berücksichtigen, werden sie in einer speziellen Netz-
388
4 Warenwirtschaftsbasierte Steuerung der Kernprozesse des Handels
struktur, den Verhaltensnetzen, gespeichert. Ein Beispiel für Verhaltensnetze sind die (…) verwendeten Bayes’schen Netze, die im Gegensatz zu neuronalen Netzen sehr intuitiv und flexibel sind“ (Schwaiger/Stahmer 2003a, S. 18). Schematisiert ist in 4.27. die Generierung der Verhaltensnetze dargestellt.
Abb. 4.27. Generierung der Verhaltensnetze (Quelle: Schwaiger/Stahmer 2003a, S. 19.)
Der eigentliche Decision-Support in SimMarket besteht in der agentenbasierten Simulation des Kundenkaufverhaltens. So können – ausgehend von der gegebenen Situation und bestimmten Annahmen über zukünftige externe Einflüsse – die Auswirkungen von bestimmten Maßnahmen und Aktionen simuliert und somit die Maßnahmen bzw. Aktionen evaluiert werden. Abb. 4.28. zeigt einen Ausschnitt aus einer prototypischen Anwendung, basierend auf konkreten empirischen Daten aus einem SB-Warenhaus. In dieser Abbildung ist ein Abhängigkeitsnetz aus den Abverkaufsdaten in der Datenbank schematisch dargestellt: Das Netz modelliert die Abverkaufsmenge in Abhängigkeit von Tag, Preis, Wochentag und den Promotionen. „Mit diesem recht einfachen Netz können bereits einige interessante Fragen beantwortet werden. Beispielsweise welche Bedingungen müssen erfüllt sein, um eine durchschnittliche Abverkaufsmenge von X Artikeln
4.4 Steuerung des Category-Managements
389
pro Tag zu erreichen? Oder wie ändern sich die Abverkaufszahlen, wenn der Artikel nächste Woche beworben und im Preis gesenkt wird?“ (Schwaiger/Stahmer 2003a, S. 42).
Abb. 4.28. Das Bayes’sche Netz der Artikelagenten (Quelle: Schwaiger/Stahmer 2003a, S. 43.)
Abb. 4.29 zeigt die Oberfläche des Artikelmanagers mit detaillierten Informationen zu einem gewählten Artikel. In diesem Fall werden die Auswirkungen unterschiedlicher Verkaufspreise simuliert.
390
4 Warenwirtschaftsbasierte Steuerung der Kernprozesse des Handels
Abb. 4.29. Der Artikelmanager (Quelle: Schwaiger/Stahmer 2003a, S. 42.)
4.5 Steuerung des Customer-Relationship-Managements 4.5.1
Ablauf des Beziehungsmanagement-Prozesses
Mit dem Ansatz des Category-Managements erreichen Handelsunternehmen eine strategische Ausrichtung ihres Produkt- bzw. Sortimentsmanagements. Was nach Ansicht vieler Handelsmanager fehlt, ist eine strategische Ausrichtung des Managements der Kunden.192 Dass eine strategische Ausrichtung des Handels auf den Kunden in den nächsten Jahren von entscheidender Bedeutung sein wird, unterstreicht die Abb. 4.30.
192
Vgl. zu diesen Ausführungen Zentes/Janz/Morschett 1999.
4.5 Steuerung des Customer-Relationship-Managements
Profitable growth
391
Consumer - Value - Management
Consumer Enthusiasm
Category Management Supply Chain Mgt. Efficiency
Abb. 4.30. ECR-Europe-Ansätze zur Konsumentenintegration (Quelle: ECR Europe 1999.)
Die Umsetzung eines systematischen Beziehungsmanagements (Relationship-Management) setzt konsequenterweise – analog zum CategoryManagement – an der Strategie des Handelsunternehmens an. Ausgehend von der Frage, wofür das eigene Unternehmen steht, welche Märkte es bedienen will, wie es diese Märkte bearbeiten will und welche Bedürfnisse die Kunden bezüglich seiner Branche haben, hängt die Gestaltung des Beziehungsmanagements in großem Maße von der Strategie und dem Marktumfeld des Unternehmens ab. Hiervon wird es u.a. abhängen, x wie stark differenziert die Kunden zu betrachten und zu bearbeiten sind, x nach welchen Kriterien Kunden segmentiert werden, x nach welchen Kriterien die Bewertung der Kundensegmente vorgenommen werden soll, x wie stark differenziert bzw. individualisiert letztendlich die Kunden angesprochen und betreut werden sollen. Ausgehend von diesen strategischen Fragestellungen müssen und werden in den nächsten Jahren innovative und marketingorientierte Handelsunternehmen dazu übergehen, ihr Beziehungsmanagement zu systematisieren und auf eine strategische Ebene zu stellen. Ansätze in dieser Richtung sind bereits zu erkennen. Im Folgenden wird ein Musterprozess für ein systematisches Beziehungsmanagement vorgestellt, der alle relevanten Aufgabengebiete abdeckt, eine strategische Sichtweise integriert und die existierenden Ansätze
392
4 Warenwirtschaftsbasierte Steuerung der Kernprozesse des Handels
Zielgruppen-Überprüfung
v.a. auf der taktischen Ebene zu einem sinnvollen Gesamtkonzept integriert. Hierbei handelt es sich weniger um einen formalisierten Prozess, der weitestgehend standardisiert in Unternehmen umzusetzen ist, als vielmehr um eine individuell anpassbare Gesamtkonzeption. Ein strategischer Kundengruppenmanagementprozess lässt sich in Analogie zum Prozess des strategischen Warengruppenmanagements aufbauen. Zu beachten ist hierbei jedoch, dass sich diese Analogie nur im Hinblick auf die Prozessschritte und die dahinter stehenden Grundfragestellungen ergibt, dass aber hinsichtlich der konkreten Umsetzung der einzelnen Schritte fundamentale Unterschiede, vor allem auf der, letztlich die Umsetzung betreffenden, taktischen Ebene bestehen. Kundengruppen-Definition
Einteilung der Kunden in Segmente anhand aus Unternehmenssicht relevanter Kriterien
Zielgruppen-Rolle (fokussieren)
Analyse der Bedeutung einzelner Gruppen für das Unternehmen
Zielgruppen-Bewertung
Analyse der Zielgruppensituation anhand relevanter Bewertungskriterien
Zielfestlegung
Zielgruppen-Strategien
Zielgruppen-Taktiken
Umsetzung
Festlegung von Zielwerten der Bewertungskriterien, die zur Erfüllung der Rolle notwendig sind Festlegung von Strategien zur Zielwerterreichung bzw. -erhaltung Festlegung von taktischen Maßnahmen zur Strategieumsetzung
Umsetzung der taktischen Maßnahmen
Abb. 4.31. Der Geschäftsplanungsprozess des strategischen Kundengruppenmanagements
Kundengruppendefinition Der erste Schritt und gleichzeitig Grundvoraussetzung für die Umsetzung eines systematischen Beziehungsmanagements ist die Frage: Wer sind eigentlich meine Kunden und durch welche Eigenschaften lassen sie sich beschreiben? Somit geht es im ersten Schritt darum, Kunden in Gruppen einzuteilen, anhand von aus Sicht des Unternehmens relevanten Kriterien. Wichtig ist im Hinblick auf Kundensegmentierungen, dass zum einen Kriterien zur Segmentierung verwendet werden, die später eine sinnvolle Einteilung der Konsumenten dahingehend erlauben, dass die gebildeten Segmente (Zielgruppen) hinsichtlich der für das Unternehmen relevanten
4.5 Steuerung des Customer-Relationship-Managements
393
Kriterien beschrieben werden und dass die gebildeten Gruppen in Bezug auf die Warengruppen des Unternehmens unterschiedliche Bedürfnisse aufweisen und somit für das Unternehmen eine differenzierte Bearbeitung dieser Gruppen einen echten Mehrwert bringt. Zum zweiten ist, in Analogie zur Definition von Warengruppen, in der Regel ein stufenweiser Segmentierungsprozess, ausgehend von einer relativ groben Einteilung anhand relativ unproblematisch zu erhebender Kriterien angebracht. sozio-ökonomische Merkmale
Segmentierung
Einstellungsmerkmale
Verhaltensmerkmale
Singles
loyale Kunden Familien
Cherry-Pickers
gesundheitsorientiert karriereorientiert
weit
eng
Abb. 4.32. Beispiel für eine Kundengruppendefinition
Eine Zielgruppenfokussierung muss nicht immer eine Fokussierung auf eine bestimmte Personengruppe bedeuten. Vielmehr können auch Konsumentenbedürfnisse und darauf aufbauend Bedürfnisstrukturen für eine Segmentierung verwendet werden. Ein anderer Segmentierungsansatz benutzt die Kaufsituationen als Segmentierungskriterium. Kaufsituationen können beispielsweise in die Gruppen Routinekäufe, Vorratskäufe, Ergänzungskäufe, Same-Day-Einkäufe und Erlebniseinkäufe unterteilt werden. Der gleiche Kunde tätigt dabei natürlich verschiedene Arten von Einkäufen, aber die Erwartungen des Käufers sind in der jeweiligen Situation unterschiedlich. Zielgruppen-Rolle Der nächste Schritt besteht im Rahmen eines systematischen Beziehungsmanagements in der Analyse der Bedeutung der einzelnen Kundensegmente für das Unternehmen und daraus folgend in einer Fokussierung auf aus Sicht des Unternehmens wichtige bzw. erfolgskritische Kundensegmente.
394
4 Warenwirtschaftsbasierte Steuerung der Kernprozesse des Handels
Die Kriterien, die bei der Bestimmung der Bedeutung von Relevanz sind, können dabei sowohl aus der Unternehmensstrategie abgeleitet werden (Wo/Wie will sich das Unternehmen positionieren?) als auch auf externen Marktbedingungen beruhen (Wie bedeutsam ist die Kundengruppe insgesamt? Welches Volumen repräsentiert sie?). Anhand dieser Kriterien können die Kundensegmente hinsichtlich ihrer strategischen Bedeutung für das Unternehmen heute und in Zukunft „sortiert“ werden. Es kann ihnen quasi eine Rolle zugeordnet werden. Eine mögliche, jedoch bei weitem nicht die einzige Einteilung wäre eine in Kernzielgruppen, Ergänzungszielgruppen und andere Kundensegmente.
Ertragspotenzial Gruppe 4
Budgetverteilung heute Ertragspotenzial Gruppe 3
Ertragspotenzial Gruppe 2
Ertragspotenzial Gruppe 1
Ertragspotenzial Marketingausgaben
Budgetverteilung in Zukunft
Kundengruppe
Abb. 4.33. Verteilung von Marketingbudgets – Effekt der Rollenfestlegung
Eine Zielgruppen-Fokussierung führt dazu, dass es zu einer differenzierten Bearbeitung der Kunden kommt und somit auch zu einer Verschiebung der Budgetprioritäten hin zu Marketingmaßnahmen, die speziell auf Kernzielgruppen ausgerichtet sind (s. Abb. 4.33.). Zielgruppen-Bewertung Nachdem die Zielgruppen identifiziert wurden, erfolgt im nächsten Schritt eine detaillierte Analyse der derzeitigen Beziehung dieser Gruppen zu dem Unternehmen. Konkret wird untersucht, wie sich das Einkaufsverhalten der Zielgruppen in den Warengruppen allgemein und wie sich das Einkaufsverhalten der Zielgruppe in Bezug auf das eigene Unternehmen darstellt. Für diesen Analyseschritt reichen jedoch interne Daten nicht aus. Insbesondere wenn eine aus Sicht des Händlers wichtige Kundengruppe noch
4.5 Steuerung des Customer-Relationship-Managements
395
nicht in ausreichendem Maße beim eigenen Unternehmen einkauft, wird die Einbeziehung externer Daten zwingend notwendig. An dieser Stelle zeigt sich einmal mehr, dass es gerade im Beziehungsmanagement nicht nur darauf ankommt zu wissen, wer die eigenen Kunden sind und was sie im eigenen Geschäft kaufen, sondern dass eine strategische Orientierung auch Informationen dahingehend benötigt, welche Kunden noch nicht im eigenen Geschäft kaufen bzw. welche Kunden was bei der Konkurrenz kaufen. Daten, die ein Warenwirtschaftssystem gerade nicht liefern kann. Zielgruppen-Analyse Ausgehend von den in der vorigen Phase ermittelten Ist-Werten in Bezug auf die momentane Situation der einzelnen Zielgruppen erfolgt in diesem Schritt eine Festlegung von realistischen Sollwerten hinsichtlich der einzelnen Kriterien. Diese müssen einerseits aus der Phase der Rollenfestlegung und der daraus abgeleiteten Wichtigkeit der Zielgruppe resultieren und zum anderen aus realistischen Analysen bezüglich der erreichbaren Werte unter Berücksichtigung externer Faktoren (Wichtigkeit der Zielgruppe für die Konkurrenz, Konkurrenzverhalten, Bedeutung des eigenen Unternehmens bzw. Image bei der Zielgruppe usw.) sowie externer und interner Restriktionen (Budgetrestriktionen, Geschäftsloyalität der Zielgruppe usw.). Zielgruppen-Strategien Im Rahmen der Zielgruppenstrategie-Festlegung erfolgen eine Festlegung von Grundstrategien in Bezug auf die Bearbeitung der einzelnen Gruppen (Strategieoptionen) sowie eine grundlegende Festlegung der Art und Weise der Umsetzung der Strategie (Ausrichtung zielgruppenspezifischer Taktiken). Die folgenden Punkte stellen eine Auswahl im Hinblick auf mögliche Strategieoptionen zur Erreichung der in der Analysephase festgelegten Sollwerte dar: x x x x
Bindung an das Unternehmen Erhaltung der Kundentreue Erhöhung der Einkaufshäufigkeit Verhaltensbeeinflussung.
Nachdem diese grundsätzlichen Strategieoptionen ausgewählt wurden, geht es im nächsten Teilschritt um die Frage, wie diese Strategien umzusetzen sind.
396
4 Warenwirtschaftsbasierte Steuerung der Kernprozesse des Handels
Auch dieser Schritt setzt wiederum eine genaue Kenntnis der Zielgruppen sowie vor allem von deren Verhalten und von deren Bedürfnissen voraus. Somit greift auch dieser Schritt wieder auf Ergebnisse der Zielgruppen-Definition zurück. Hiernach werden die Zielgruppen in dem Portfolio hinsichtlich ihrer grundsätzlichen emotionalen und rationalen Bedürfnisse positioniert. Im Sinne von Normstrategien kann dann ermittelt werden, wie grundsätzlich die Ausrichtung des taktischen Marketinginstrumentariums für die spezielle Zielgruppe zu erfolgen hat. In einem zweiten Schritt ist dann zu ermitteln, welche Bedürfnisse der Zielgruppen das Unternehmen durch sein momentan eingesetztes Marketinginstrumentarium bereits erfüllt. Aus dieser Gegenüberstellung leitet sich unmittelbar der zielgruppenspezifische Handlungsbedarf im Hinblick auf die zielgruppenspezifischen Marketingmaßnahmen bzw. auf deren Neuausrichtung ab. Zielgruppen-Taktiken Grundsätzlich gibt es eine Reihe von Ansatzpunkten für eine systematische Ausrichtung des taktischen Beziehungsmanagements an den Bedürfnissen der Zielgruppen. Diese Ebene stellt die konkrete Umsetzungsebene im Rahmen des Beziehungsmanagement-Prozesses dar. Grundsätzlich lässt sich eine Systematisierung der Zielgruppen-Taktiken in die drei Bereiche Marketing-Mix-Aktivitäten, Kaufphasenintegration und Kundenbindungsprogramme vornehmen.
Marketing-Mix
Preis • Coupons • Treuepunktsysteme • Rabattstaffeln • ... • ...
Produkt • Produktbündel • komplementärer Service Customizing • ... • ...
Kommunikation • individuelle Angebote • maßgeschneiderte Produktinfos • ... • ...
Distribution • Lieferoptionen • ... • ...
Abb. 4.34. Zielgruppenspezifische Beeinflussung über individualisierte Marketing-Mix-Technologien
4.5 Steuerung des Customer-Relationship-Managements
397
Ansatzpunkte für ein zielgruppenorientiertes Beziehungsmanagement finden sich in allen Bereichen des Marketing-Mix. Einen Überblick über ausgewählte Möglichkeiten der Zielgruppen-Fokussierung im Rahmen der Gestaltungsfelder des Marketing-Mix gibt Abb. 4.34. Der zweite grundsätzliche Ansatzpunkt im Rahmen des taktischen Beziehungsmanagements ergibt sich durch konsequente Ausrichtung der Marketingmaßnahmen an einer umfassenden Bedürfnisbefriedigung. Dies bedeutet, dass Marketing(-Mix)-Aktivitäten, die erst beim Kauf eines Produktes ansetzen, zu kurz greifen. Gefordert wird vielmehr immer stärker eine umfassende Kundenbetreuung und -ansprache in allen Phasen ihres „Kaufaktes“. Durch die zunehmenden Möglichkeiten, die Kunden zum Einkauf haben, ohne einen Laden zu betreten, wird es für Händler immer wichtiger, sich nicht nur auf die Beeinflussung der Kunden im Laden zu verlassen. Die traditionelle, verkaufsstellenzentrierte Betrachtung, bei der alle Einkaufsaktivitäten innerhalb des Ladens stattfinden, muss daher hinterfragt werden. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang das Nachkaufmarketing i.w.S. Hierunter fallen die Kundenbindungsprogramme, die vor dem Hintergrund gesättigter Märkte und somit verstärkter Notwendigkeit der Bindung existierender Kunden in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen dürften. Die Vielzahl der eingesetzten Loyalty-Programme, Kundenkartensysteme, Kundenclubs und sonstiger Nachkaufmarketingaktivitäten unterstreichen diese Bedeutung. Aufmerksamkeit
Informationssuche
Alternativbeurteilung
Kauf
Nachkauf i.e.S. Nachkauf i.w.S. (gewinnt an Bedeutung)
individuelle Angebote, Mailings, Imagewerbung
technische Beratung, individuelle Rabattstaffeln, Ausarbeitung von Lösungsansätzen Probelieferung von Produkten Produkttests im Markt Preisreduktionen (sofort einlösbare Coupons) Laufwegbeeinflussung (Einkaufswagen) Zustellung Garantien Montage
Reparaturdienst Ersatzteilversorgung Umtausch
Verpackungsdienst
Kassenzettelcoupons, Bonuspunkt-/Treuepunktsysteme, Kundenabende, Einladungen zu interessanten Veranstaltungen
Abb. 4.35. Beeinflussungsmöglichkeiten in den einzelnen Kaufphasen
398
4 Warenwirtschaftsbasierte Steuerung der Kernprozesse des Handels
Einen Überblick über mögliche Ansätze von Kundenbindungsprogrammen gibt Abb. 4.36. Service-/ Mehrwertorientierte Anreize
monetäre Anreize
• Coupons • Treue-/Bonuspunkte
• • • • • • •
Clubs Veranstaltungen Verbundanreize Air Miles Freier Eintritt Charities Expresskassen
Abb. 4.36. Kundenbindungsprogramme – Ausgewählte Beispiele
Gerade Kundenkarten entwickeln sich in Zusammenhang mit Kundenbindungsprogrammen immer mehr zu einem Standardinstrument des Handelsmarketing. Sowohl in Europa als auch in den USA mehren sich mittlerweile die Stimmen, die eine grundlegende Änderung der Beziehungsmanagement-Strategien im Zusammenhang mit Kundenkarten verlangen. Die Programme, welche die meisten Händler implementiert haben, sind i.d.R. stark auf den Preis ausgerichtet und oftmals „leicht kopierbar“, sodass am Ende jeder Händler die gleichen Leistungen anbietet und somit niemand mehr einen spezifischen Wettbewerbs- oder Positionierungsvorteil erzielen kann. Dem Schritt der Kundengruppen-Überprüfung kommt insofern eine große Bedeutung zu, als hier nun die Messung des Erfolges und der Effizienz des Kundenmanagement-Prozesses sowie der Effektivität der eingesetzten Marketinginstrumente erfolgt. Hierbei spielen wiederum Kundendaten eine große Rolle dahingehend, dass auf Basis der aktuellen Zahlen und des Vergleichs mit Vergangenheitswerten eine Analyse der Effektivität der Marketingmaßnahmen erfolgt, sowie die Überprüfung der Zielerreichung durch Vergleich von Soll- und Istwerten der im Rahmen der Phasen Bewertung und Analyse verwendeten Kriterien. Dieses Feedback auf der Basis aktueller Abverkaufszahlen und Kundendaten fließt dann wiederum in den Beziehungsmanagementprozess ein und liefert so Anhaltspunkte für Verbesserungen auf allen Ebenen des Prozesses.
4.5 Steuerung des Customer-Relationship-Managements
4.5.2
399
Zielgruppen-Bildung
Eine wesentliche Aufgabe des Customer-Relationship-Managements ist – wie in Abschnitt 4.5.1 herausgestellt – die Bildung von Zielgruppen als Basis für Marketingaktionen in Form kundenspezifischer Ansprache bzw. des Dialogmarketing. Eine Möglichkeit der Zielgruppen-Bildung bildet die Extraktion aus artikel- und kundenbezogenen Abverkaufsdaten. In diesem Falle liegt eine Segment- oder Clusterbildung auf der Grundlage des Kundenkaufverhaltens vor.193 194 Als Beispiel kann die Zielgruppen-Extraktion des Fuldaer Lebensmitteleinzelhandelsunternehmen tegut angeführt werden (vgl. hierzu Zentes u.a. 2002, S. 70 ff.): Für bestimmte Marketingaktionen werden Kunden mit einem entsprechenden Profil aus der Datenbank herausgefiltert und gezielt angeschrieben. Die Zielgruppen-Extraktion erfolgt bei tegut wie folgt: Das von tegut eingesetzte System Intelligent Miner identifiziert zunächst Cluster aus der gesamten Kundenbasis, die bezüglich der vom Anwender eingegebenen Faktoren eine ähnliche Struktur aufweisen. Diese separierten Cluster werden dann in den Ausprägungen der einzelnen verwendeten Faktoren, nach der die Clusterung erfolgt ist, dargestellt (s. Abb. 4.37.).
Direktmarketing Zielgruppenspezifische Sortimente Anzeigenerfolgskontrolle
Abb. 4.37. Beispiel einer Zielgruppen-Extraktion (Quelle: tegut 2001.)
193 194
Vgl. hierzu auch Ahlert/Olbrich 1997 und Kracklauer/Mills/Seifert 2004. Das in Abschnitt 4.4.2 dargestellte Multiagentensystem-basierte Modell SimMarket ist gleichermaßen in der Lage, genaue Analysen der Kundenzusammensetzung zu liefern (vgl. hierzu Schwaiger/Stahmer 2003a).
400
4 Warenwirtschaftsbasierte Steuerung der Kernprozesse des Handels
Zusätzlich wird dargestellt, welchen prozentualen Anteil das Cluster an der gesamten Kundenbasis hat und somit welche Relevanz bestimmten Kundenclustern in diesem Zusammenhang zukommt. Durch die detaillierte Darstellung der Eigenschaften der einzelnen Cluster ist für das Marketing eine gezielte Ansprache im Rahmen von Verkaufsförderungsaktionen möglich. Auch auf Sortimentsebene werden die generierten Kundeninformationen eingesetzt, um auf Basis von kundenbezogenen Sortimentsauswertungen zu einer Optimierung, bspw. von Aktionen, aber auch von Sortimenten und der Produktplatzierung zu gelangen. So werden bspw. kundensegmentbezogene Verbundanalysen durchgeführt. Es werden im Rahmen der Analyse Kundencluster identifiziert, die eine bestimmte Produktkombination häufig zusammen kaufen. Diese Erkenntnisse können vor allem im Rahmen der Aktionsplanung zur gezielten Bewerbung einzelner Produkte bzw. zur Abschätzung der Auswirkungen auf Komplementärprodukte genutzt werden. Ebenso werden Analysen durchgeführt, die Verkaufsläufe von bestimmten Produkten innerhalb eines Tages oder über eine bestimmte Woche hinweg anzeigen. Somit kann abgeschätzt werden, wann, welche Produkte wie häufig gekauft werden, also wann eventuell entsprechend Bestände in den Regalen angepasst werden müssen. In Verbindung mit der Erkenntnis, welche Kunden gerade solche Produkte nachfragen, lässt sich auch nachvollziehen, wann Kunden bzw. Kundengruppen i.d.R. welche Arten von Einkäufen erledigen. Einen Kern der Auswertung bilden so genannte produkt- bzw. warengruppenbezogene Kundenstrukturen. Hier wird zunächst ein bestimmter Sortimentsbereich oder ein bestimmtes Produkt ausgewählt und im Anschluss daran ermittelt, wie die Struktur derjenigen Kunden aussieht, die dieses Produkt kaufen. Auf Basis dieser Analysen kann dann warengruppen- oder sogar produktbezogen ermittelt werden, wie gut es tegut gelingt, mit einem bestimmten Produkt bestimmte Kundengruppen anzusprechen und wo Probleme bestehen, bzw. bei welchen Kundengruppen die Abdeckungsrate bezogen auf ein Produkt oder einen Sortimentsbereich unbefriedigend ist. Diese Auswertungen sind vor allem für den Bereich des Category-Managements von besonderer Relevanz. Ähnliche Analysen bezüglich der Kundenstruktur können mit Kriterien wie z.B. der Haushaltsgröße oder sonstigen sozio-demografischen Merkmalen durchgeführt werden und führen so zu einer weiteren Verfeinerung zum einen des Category-Managements, zum anderen aber auch in Bezug auf das Marketing und die Verkaufsförderung in einzelnen Warenbereichen, die nun zielgerichteter mit Fokus auf bestimmte Kundensegmente gesteuert werden können.
4.5 Steuerung des Customer-Relationship-Managements
4.5.3
401
Web-Usage-Mining
Spezifische Möglichkeiten des One-to-One-Marketing – als Maximalausprägung eines zielgruppenbezogenen Marketing – bieten sich im Rahmen des E-Commerce.195 Hierzu lassen sich einerseits Warenwirtschaftsdaten, so artikel- und kundenbezogene Abverkaufsdaten, mit Nutzungsdaten der Web-Angebote im Rahmen eines Web-Usage-Mining kombinieren (Schmidt 2001) (s. Abb. 4.38.). „Innerhalb des Web Usage Mining lassen sich durch die Analyse von Logfiles und Logins detaillierte Nutzerprofile erstellen, die in Abhängigkeit von der Qualität der Daten als Instrument der Erfolgskontrolle von Internet-Aktivitäten verwendet werden (z.B. Nutzungsstatistiken, Mustererkennung usw.). Des Weiteren können im Internet erhobene personenbezogene Nutzer- und Nutzungsdaten mit bereits vorhandenen Daten in Beziehung gesetzt werden. Daraus lassen sich wiederum umfangreiche Sortimentsanalysen (z.B. Warenkorbanalysen, Cross- und UpsellingAnalysen), Kundenwertanalysen (z.B. Customer Lifetime Value, Kundenreklamationen, Lost-Order Analysen) sowie Marktreaktions- und Wettbewerbsanalysen ableiten“ (Schmidt 2001, S. 247 f.). Kundendatenbank (im Data-Warehouse)
Web-Mining-Verfahren
Web-Content-Mining
Nutzerprofile
• Seiteninhalte • Verweise (z.B. Text-MiningVerfahren) • Strukturen der Web-Site
nicht personalisiert
Web-Usage-Mining
• Nutzeraktivitäten (z.B. Logfiles) • personenbezogene Daten (z.B. Logins, Befragungen) • externe Daten (z.B. Web-Farmings)
personalisiert
Abb. 4.38. Web-Mining-Verfahren im E-Business (Quelle: zit. nach Schmidt 2001, S. 247, in Anlehnung an Spiliopoulou 2001, S. 491.)
195
Diese Möglichkeiten sind grundsätzlich immer dann gegeben, wenn artikelbezogene und kundenbezogene Daten vorliegen, so auch im Versandhandel.
402
4 Warenwirtschaftsbasierte Steuerung der Kernprozesse des Handels
Als Beispiel eines erfolgreich umgesetzten Web-Usage-Mining, gekoppelt mit Transaktionsdaten, kann Amazon angeführt werden (Zentes/Swoboda/Morschett 2004, S. 153 ff.). Die Darstellung individualisierter Produktempfehlungen wird bei Amazon durch das Kunden- und Produktprofil, durch die Historie bisher gekaufter und betrachteter Bücher sowie durch allgemeine Vorlieben des Kunden für bestimmte Produktkombinationen determiniert.
Abb. 4.39. Personalisierter Shop bei Amazon.de (Quelle: Amazon.de)
Als Grundlage setzt Amazon die Transaktionsdaten bereits durchgeführter Bestellungen ein. Über Kunden- und Transaktions-Identifikationsnummern lässt sich der Bezug zwischen verschiedenen Produkten herleiten. Dabei wird in Echtzeit über mehrstufige Analyseschritte unter Berücksichtigung der Produktklassifikation die „semantische Nähe“ zwischen Produkten ermittelt, welche die Relevanz der Bücher für einen bestimmten Kunden ausdrückt. Ist die Differenz zwischen den bestellten Büchern zu groß, werden die betroffenen Bücher nicht empfohlen. Des Weiteren wird die Historie durch die Prüfung des Transaktionsdatums zurückliegender
4.5 Steuerung des Customer-Relationship-Managements
403
Käufe berücksichtigt, da sich der Geschmack im Laufe der Zeit ändert (Merz 2002, S. 526). Ist der Kunde bereits bekannt und hat Cookies bei vergangenen Sitzungen zugelassen, bekommt er schon beim Aufrufen der Homepage Produktempfehlungen für Bücher angezeigt, die auf seine Bedürfnisse abgestimmt sind. Cookies dienen der Kundenwiedererkennung, die eine Bereitstellung kundenindividueller Daten ohne Passwort ermöglichen. Falls der Kunde keine Cookies zugelassen hat, muss er sich über ein Kenn- und Passwort einloggen, um Empfehlungen zu erhalten. Abb. 4.39. zeigt eine Produktempfehlung in Form eines „personalisierten Shops“.
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Stichwortverzeichnis
3PL 11 4PL 11, 20 Abrechnungsebene 249 Abrechnungsmeldungen Aufbau der 313 Management von 312 Verteilung der 317 Abrechnungsprozessmodell 2, 222 Abrechnungssysteme 312 Artikelfamilie 261 Artikelverwaltung 257 Auflösungspunkt 103 Auftragsabwicklungssysteme 113 Auktionen 297 Auto-ID-Systeme 203 Balanced Scorecard 353 Bedarfsermittlung 133 Belastungssystem 318 Beschaffung 31, 255 abverkaufssynchrone 106 Beschaffungskanäle 31 elektronische 31 konventionelle 31 traditionelle 31 Beschaffungslogistik 105 Beschaffungsprozesse 31 autonome 31 kooperative 31 Beschaffungssituationen relationale 42 Beschaffungsstrategien 26 Bestandsmanagement 131 Bestandsveränderung 310 Bestellannahme 307 Bestellauslösung 295 Bestellmenge optimale 134
Bestellmengenrechnung 291 Bestellpunktrechnung 289 Bestellübermittlung 295 Best-Practice-Beschaffungsprozesse 38 Betriebliches Rechnungswesen 341 Betriebsvergleiche 352 Beziehungsmanagement-Prozess 390 Bietverfahren 298 break-bulk point 103 bullwhip effect 167 Business-Migration 13 Buyer-Managed-Inventory 194 Category 176 Category-Bewertung 376 Category-Captains 179 Category-Definition 375 Category-Management 176, 373 Steuerung des 373 Category-Management-Prozess 373 Category-Migration 13 Category-Planumsetzung 377 Category-Rolle 375 Category-Strategien 376 Category-Taktiken 377 Category-Überprüfung 377 CCRM Siehe Collaborative Customer-RelationshipManagement City-Logistik 150 Clusterung der Beschaffungsprozesse 33 CM-Tool 385 Collaborative CustomerRelationship-Management 183
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Stichwortverzeichnis
Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment 197 Co-Managed Inventory 193 Commodities 36 Computer-Aided Ordering 190 consolidation point 103 Continuous Replenishment 186, 188 CPFR Siehe Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment CPFR-Prozess 198 Cross-Docking 128 Customer-RelationshipManagement Steuerung des 390 Customer-Relationship-Mangement 183 Data-Mining 338 Data-Warehousing 329 Datenbankabfragen 338 Datenbankanalysen 338 Datenhaltung dezentrale 338 zentrale 338 Datenverdichtung 331 Dauerniedrigpreispolitik 196 Demand- & Supply-ChainManagement 3 Display-Artikel 260 Disposition 284 Dispositionsprozessmodell 1, 222 Distribution 7 Distributionslogistik 108 EAI Siehe Enterprise-ApplicationIntegration EAN Siehe European Article Number EAN.UCC XML 215 EAN-128 206 EANCOM 214 ECR Siehe Efficient Consumer Response EDI Siehe Electronic Data Interchange, Siehe Electronic Data Interchange
EDIFACT Siehe Electronic Data Interchange für Administration, Commerce and Transport EDLP-Politik Siehe Dauerniedrigpreispolitik Efficient Consumer Response 171 Demand-Side-Konzepte 176 Supply-Side-Konzepte 185 Efficient Product Introduction 182 Efficient Promotion 180 Efficient Store Assortment 178 Efficient Unit-Loads 150 Efficient-Consumer-Response Komponenten des 173 Einkauf 255 Einkaufsbündelung 272 Einkaufskonditionenmodell 264 Einkaufskonditionenmodelle Gültigkeitsbereich 268 Konditionsausprägung 268 Konditionstyp 266 Einzelfallbeschaffung 106 Einzelhandel im funktionellen Sinne 13 im institutionellen Sinne 13 Electronic Data Interchange 2, 211 Electronic Data Interchange für Administration, Commerce and Transport 213 Electronic Product Code Siehe Elektronischer Produktcode Elektronischer Produktcode 210 Enabling Technologies 201 Enterprise-Application-Integration 229 Enterprise-Resource-PlanningSystem 220 Entlastungssystem 318 Entsorgung 110 Entsorgungslogistik 110 EPC Siehe Elektronischer Produktcode E-Procurement 10 European Article Number 205 Extensible Markup Language 229 Fakturierung 319
Stichwortverzeichnis Filialläger 117 Fit kultureller 24 organisatorisch-technischer 24 strategischer 24 Forrester-Effekt 168 Frischesortiment 66 Geschäftsmodell 12 Geschäftsprozesse 12 Güterbereitstellung 59 Gütertransformation 58 Güterverteilung 59 Güterverwendung 59 Handels-Controlling traditionelle Ansätze des 350 Handelsfunktionen 60 Handelsinformationssystem 220 Handelsmarken 37 Identifikationssysteme 203 ILN Siehe Internationale Lokationsnummer Individualsysteme 345 Informations- und Planungsprozessebene 222 Informations- und Planungsprozessmodell 2 Informationsfluss 67 Informationslogistik 329 Informationsströme 66 Informationssysteme 329 Instore-Logistik 153 Integrated Suppliers 191 Internationale Lokationsnummer 205 Interne Supply-Chain des Handels 56 Inventur 324 Jointly-Managed Inventory Siehe Co-Managed Inventory Kenngrößen 367 monetäre 367 nicht-quantitative 367 non-monetäre 367 quantitative 367 Key-Performance-Indicators (KPI) 358
439
Key-Supplier-Management 41 Kommissioniersysteme 126 Kommissionierung 126, 308 artikelorientiert 127 artikelweise 128 auftragsorientiert 127 parallel 127 sequenziell 127 Kontraktmanagement 298 Konzentrationspunkt 103 Kooperationen 85 diagonale 86 horizontale 86 überbetriebliche 85 vertikale 86 zwischenbetriebliche 85 Kostenführerschaft 17 Kundengruppendefinition 392 Kundeninformationssysteme 276 Kundensegmentierungen 392 Lager 115 Lagerausstattung 123 Lagerbereiche 124, 125 Lagerbestände 131 Lagerfunktionen 115 Lagerprozesse 124 Lagerstruktur 116 Lagersysteme 115 Lagerverwaltung 303 Leistungsanalysen 376 Leistungsziele 376 Lieferantenanalyse 366 Lieferantenbewertung 366 LieferantenDeckungsbeitragsrechnung 369 Lieferanten-Scoring-Modell 371 Lieferantentypen 256 Lieferantenverwaltung 255 Lieferantenwert-Matrix 372 Logistik 5 Unternehmensinterne Gestaltung der 94 Logistikbreite 75 Logistikführerschaft 19 Logistikintensität 71, 73 Logistikkooperationen 85
440
Stichwortverzeichnis
Logistikkosten 119 Logistiknetzwerke 89 Formen 90 Logistiksysteme Grundstrukturen 102 Komponenten 113 Sonderformen 150 Logistiktiefe 74 Losgrößenformel klassische 134 Losgrößenrechnung 292 Make-or-Buy-Entscheidung 80 Markenartikel 34 Marketingführerschaft 18 Merchandising 7 Modesortiment 65 MRO-Güter 36 MTV-Identnummer 207 Multi-Channel-Retailing 164 Multi-Channel-Sourcing 30 Netzwerke 9, 89 Formen 91 operative 92 regionale 92 strategische 91 Nummer der Versandeinheit 207 Nummernsysteme 204 NVE Siehe Nummer der Versandeinheit Open-Source-Systeme 231 operative Einheiten 234 Niederlassungen 239 Regionallager 238 Verkaufsstellen 236 Zentralen 239 Zentrallager 238 Ordersatz 281 Organisationsstruktur 94 divisional 98 funktional 96 mehrdimensional 100 Out-of-Stock 18, 135 Outpacing-Strategie 14 Outsourcing von Logistikaufgaben 77 Peitscheneffekt 167
Performance-Card 361 Performance-Matrix 364 Performance-Measurement-Systeme 355 Performance-Measures 376 Pfandartikel 261 Procurement 10 Prognosesystem 285 PromotionDeckungsbeitragsrechnung 382 Promotion-Scoring-Modell 383 Promotionwert-Matrix 384 Promotion-Wirkungscontrolling 378 Prozesse horizontale 244 vertikale 242 Pull-Prinzip 172 Push-Prinzip 172 Qualitätsführerschaft 17 Qualitätsfunktion 60 Quantitätsfunktion 60 Quick-Response 189 Radiofrequenzidentifikation 207 Rechnungsprüfung 321 zentrale 321 Rechnungsschreibung 319 Rechnungsstellung 311 Redistributionskanäle 111 Regionalläger 117 Remote-Ordering 156 Request for Quotation (RFQ) 298 Retail-Performance-Management 357 Retourenhandling 165 Retrodistribution 8, 110 Reverse Auctions 298 RFID Siehe Radiofrequenzidentifikation Roll-Cage-Sequencing 154, 155 Rückstandszyklen 111 Rückwärtsintegration 16, 74 SCM Siehe Supply-ChainManagement SCOR-Modell 52 SEDAS 214
Stichwortverzeichnis Setartikel 261 SimMarket 385 Simple Objekt Access Protocol (SOAP) 230 Sortimentsanalyse 378 Sortimentsfunktion 60 Sortimentsgestaltung 278 Sortimentskatalog 280 Sourcing 10 Spartenstruktur 98 SRM Siehe Supplier-RelationshipManagement Stammdaten 215 Stammdatenpools 216 Standardsysteme 345 Stapelsortiment 65 Statistik-Subsystem 335 Stückliste 258 Supplier-Evaluation-Card 367 Supplier-Performance-Measurement 44 Supplier-Promotion-Card 379 Supplier-Relationship-Management 365 Supplier-Relationship-Management 41 Supplier-Relationship-Management Steuerung 365 Supply-Chain 47 Dimensionen der 58 Gestaltung der Struktur der 71 Ströme in der 65 Strukturmodelle der 52 Supply-Chain-Balanced-Scorecard 354 Supply-Chain-Controlling 349 Supply-Chain-Event-Management 364 Supply-Chain-Execution 27, 187 Supply-Chain-Kooperationen Gründe für die Entwicklung von 167 Supply-Chain-Management 2, 47 Steuerung des 349 Supply-Chain-PerformanceMeasurement 355
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Supply-Chain-Planning 187 Supply-Chain-Planung 27, 187 Supply-Chain-Prozesse 62 Synchronized Production 191 Systemführerschaft des Handels 21 Tagessortiment 66 Transaktionsform 74 Transaktionskosten 82 Transitläger 116 Transit-Terminals 116 Transport mittel 139 prozesse 141 Selbstabholung 143 systeme 137 Transportkette 138 T-U-L-Logistikverständnis 62 Überbrückungsfunktion 60 Umschlagsläger 116 Universal Description, Discovery and Integration (UDDI) 230 Unternehmen virtuelle 93 Unternehmenshierarchien 240 Abbildung von 240 Vendor-Managed Inventory 2, 192 Verarbeitungsartikel 261 Verkauf 275 Verpackung 146 Verpackungsverordnung 148 Versandhandel Logistikprozesse beim 156 Verteilungsläger 117 Vertikalisierung des Handels 16 Virtualisierung 11 VMI Siehe Vendor-Managed Inventory Vorratsbeschaffung 106 Vorratsläger 116 Vorwärtsintegration 16, 74 Warenabwicklung 283 Warenausgang 307 Wareneingang 299 Sonderfälle im 302 Warenerfassung 310 Warenfluss 65
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Stichwortverzeichnis
Warenfunktion 60 Warenprozessebene 248 Warenprozessmodell 1, 221 Warenströme 65 Warenwirtschaftssystem 1, 219, 221 Aufgabenbereiche 252 dezentrales 225 Ebenen 247 geschlossenes 224 Grundprinzipien 232 integriertes 226 isoliert-geschlossenes 226 isoliert-offenes 226 mehrstufiges 225 offenes 224 teilintegriertes 226 Teilprozessmodelle 221
vollintegriertes 227 zentrales 225 Web-Usage-Mining 401 Wertschöpfungspartner 50 Wertschöpfungspartnerschaft 9 Wirkungscontrolling 378 X-Allianz 86 XML Siehe Extensible Markup Language Y-Allianz 87 Zentralläger 117 Zielgruppen-Analyse 395 Zielgruppen-Bewertung 394 Zielgruppen-Bildung 399 Zielgruppen-Rolle 393 Zielgruppen-Strategien 395 Zielgruppen-Taktiken 396