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German Pages 284 Year 2022
Corina Färber Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
Edition Moderne Postmoderne
Corina Färber (Dr. phil.) ist Referentin im Gleichstellungsbüro der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Von 2018 bis 2021 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am dortigen Institut für Sozialphilosophie und von 2014 bis 2018 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Leipzig. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Subjektivierungstheorien, postmarxistische und poststrukturalistische Theorien, Kritische Theorie, Gender Studies, Macht- und Ideologietheorien.
Corina Färber
Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit Althusser, Foucault und Butler
Das Buch »Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit. Althusser, Foucault und Butler« wurde zur Erlangung des Grades eines Doktors der Philosophie im Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Goethe-Universität zu Frankfurt am Main als Inauguraldissertation vorgelegt. Siegelziffer D.30 Gutachter 1: Prof. Dr. Martin Saar. Gutachter 2: Prof. Dr. Daniel Loick.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2022 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-6185-9 PDF-ISBN 978-3-8394-6185-3 https://doi.org/10.14361/9783839461853 Buchreihen-ISSN: 2702-900X Buchreihen-eISSN: 2702-9018 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschaudownload
Inhalt
Danksagung ........................................................................ 7 Einleitung .......................................................................... 9 1. 1.1 1.2
Begriffliche Verortung I Schwache und starke Subjektivierungsanalytik ................................. 19 Subjektivierung als subjektivitätszentrierte, praxeologische oder genealogisch-diagnostische .............................................. 19 Starke und schwache Subjektivierungsanalysen ............................... 29
2.
Begriffliche Verortung II Zum Vorschlag einer integrierten Subjektivierungsanalytik – Althusser, Foucault, Butler .............................................................. 35 2.1 Ambivalenz der Subjektivierung ............................................... 35 2.2 Eine Heuristik der Integration der Subjektivierungsanalytiken.................. 39
3. Subjektivierung bei Louis Althusser ......................................... 43 3.1 Das Subjekt der ideologischen Anrufung ...................................... 43 3.2 Althussers Ideologietheorie – Ideologische Staatsapparate, Institutionen und Subjekte der Praxis ......................................... 46 3.3 Das Subjekt der Anrufung – Umwendung, Reflexivität und kritische Distanz .... 63 3.4 Das Subjekt des Unbewussten – Imaginäres, Begehren, Identifizierung ......... 72 4. 4.1 4.2 4.3
Subjektivierung bei Michel Foucault .......................................... 91 Das Subjekt der Macht: Körper, Vorstellungen, Normen und Historizität .......... 91 Das Subjekt der Disziplin – Körper und Seele .................................. 92 Außen und Innen in der Subjektwerdung oder Lesarten zum Verhältnis zwischen Körper und Seele ................................... 105
4.4 Das Subjekt des Lebens – affirmative Selbstunterwerfung? .................... 116 4.5 Die historische Komponente der Subjektivierungsanalyse und ihr Gegenwartsbezug ..................................................... 127 4.6 Assujettissement oder Subjectivation – ein Vexierbild ? ....................... 136 4.7 Das Selbstverhältnis – Schlüssel zum Widerstand?............................. 151 Subjektivierung bei Judith Butler ........................................... Diskursive Subjektivierung................................................... Subjektwerdung und Geschlecht ............................................. Subjektivierung und Materialität ............................................. Psychische Dimension der Subjektivierung – Scheitern als Grenze und Möglichkeit des Anders-Werdens......................................... 5.5 Melancholische Subjektwerdung ............................................. 5.6 Grenzen und Möglichkeiten der Subjektivierungsanalyse Butlers .............. 5. 5.1 5.2 5.3 5.4
6.
165 165 168 180 186 196 201
6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6
Eine integrierte Subjektivierungsanalytik Das komplexe Ganze, die Historizität, die Normalisierung, die Psyche und das Unbewusste, das Scheitern und die Ethik ............................ 233 Das komplexe Ganze ......................................................... 235 Historizität .................................................................. 238 Normalisierung .............................................................. 239 Die Psyche oder das Unbewusste............................................. 242 Scheitern.................................................................... 245 Ethik ........................................................................ 247
7.
Politische Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit .............. 251
Literatur ......................................................................... 269
Danksagung
Die vorliegende Arbeit ist eine leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit. Althusser, Foucault und Butler, die ich im Fach Politikwissenschaft am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt a.M. im September 2020 eingereicht habe. Mein Dank gilt zunächst meinem Betreuer Martin Saar, der mein Projekt stets unterstützt hat und mir mit wertvollen Kommentaren hilfreich zur Seite stand. Ich bedanke mich außerdem bei Daniel Loick für wertvolle Anregungen und die Übernahme der Zweitbetreuung. Für die Lektüre und Diskussion meiner Arbeit sowie hilfreichen Anmerkungen danke ich Christina Engelmann, Alexandra Colligs, Tobias Albrecht, Jonathan Klein, und Anastassija Kostan. Bei Norma Schneider bedanke ich mich außerdem für das sorgfältige Lektorat der Erstfassung. Für inspirierende Diskussionen und den Blick über den Tellerrand danke ich den Teilnehmer*innen des Kolloquiums für Sozialphilosophie der Goethe-Universität und des Doktorand*innen-Kolloquiums Frankfurt und Leipzig sowie des Kolloquiums für politische Theorie an der Universität Leipzig. Besonders: Bastian Mokosch, Moritz Rudolph, Anastasiya Kasko, Hannes Glück, Tobias Heinze, Tobias Alberecht, Luca Sagnotti, Choi Ji-Young, Johanna Lohfink, Julia Leser, Javier Burdman, Janoš Klocke und meinen Kolleg*innen Sarah Bianchi, Hannes Kuch, Kristina Lepold, Wolfgang Günther und Dorothee Riese. Für kontinuierliche und spannende Diskussionen möchte ich außerdem den Studierenden in meinen Kursen an der Universität Leipzig und Frankfurt a.M. danken. Nicht zuletzt gilt der Dank meinen Freund*innen, die mich in meiner theoretischen Arbeit bei Kaffee, Mittagspausen und ausgiebigen CoronaSpaziergängen mit politischen und theoretischen Diskussionen sowie
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
emotionalem Rückhalt unterstützt haben, sowie meiner Familie* Felix, Christian, Franzi, Christine, Wolfgang und Inge. In Gedenken an Adam und Marta.
Einleitung
»Wie wollen wir miteinander umgehen? Wie wollen wir miteinander reden? Wie wollen wir uns berühren? Wie wollen wir zusammenleben? Wie wollen wir was zusammen machen? Wie wollen wir kommunizieren? Wie wollen wir uns betrachten? Wie wollen wir uns berühren? Sag doch mal, was du denkst. Sag doch mal, was du fühlst. Wie werden wir glücklich? Wie wollen wir uns organisieren? Wie wollen wir zusammen kämpfen? Und für was überhaupt? Sag doch mal, was du denkst. Sag doch mal, was du willst. Sag doch mal, was du denkst. Sag doch mal, was du fühlst. Wie wollen wir miteinander umgehen – Anders! Wie setzen wir uns in Beziehung – Anders!« (Pogendroblem 2020) »You got to look at it sideways. Out of the corner of your eye. So you gotta think about it out the corner of your mind. It’s there and it en’t, both at the same time …« (Pullman 2019) Wie werden Individuen zu Subjekten ›gemacht‹? Diese scheinbar einfache Frage geht bereits mit einer theoretischen Vorannahme einher, nach der davon ausgegangen wird, dass politische Ordnungen nicht aus dem Handeln einzelner Individuen und Subjekte abgeleitet oder erklärt werden können – die Subjekte sind vielmehr selbst grundlegend durch die Einrichtung der Gesellschaft und ihrer politischen Ordnung bedingt und geprägt. Die Subjekte stehen der Ordnung nicht als unabhängige gegenüber und können diese nicht nach freiem Willensentschluss gründen und gestalten, jedoch ist auch die Ordnung ohne die Subjekte nicht existent, so dass von einem wechselseitigen Hervorbringungsprozess ausgegangen werden muss. Wie diese wechselseitige Hervorbringung zu denken ist, bleibt insbesondere bei der Frage, wie die politische Ordnung durch die Subjekte verändert und grundlegend transformiert werden kann, von besonderer Bedeutung.
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
Werden die Subjekte gleichsam passiv den bestehenden Strukturen, Regeln und (diskursiven) Ordnungen unterworfen und erhalten sie auch erst so ihre Handlungsfähigkeit? Wann können sie überhaupt als handlungsermächtigte gelten; wann als freie? Wenn politische Ordnungen nicht aus dem Handeln autonomer Subjekte abgeleitet werden können, sondern die Subjekte umgekehrt erst als Produkte dieser Ordnungen zu verstehen sind, was bedeutet dies für die Möglichkeit des politischen Handelns, welches transformierend in die Ordnung einzugreifen versucht? Wie ist ein Anders- oder Besser-Handeln möglich und was bedeutet dies für das Handeln eines politischen Subjekts, welches koordiniert, strategisch und kollektiv aufzutreten versucht? Meine Arbeit setzt an diesen Fragen an und versucht sie zu beantworten, indem sie die Figur des ambivalenten Subjekts bei Louis Althusser, Michel Foucault und Judith Butler untersucht. Die geteilte Grundannahme besteht jeweils darin, die Figur eines autonomen, den Strukturen gegenüberstehenden und von diesen weitgehend unabhängigen Subjekts zu kritisieren und stattdessen die Ambivalenz der Subjektwerdung zu betonen. Diese wird zum einen darin gesehen, dass Subjekte immer zugleich als Machtstrukturen unterworfene und ermächtigte produziert werden. Zum anderen in der Produktion einer psychischen Struktur des Subjekts, nach der die heteronomen Anteile in der Subjektwerdung zugunsten der autonomen Selbsterfahrung und -verortung abgeblendet werden und so unsichtbar bleiben müssen. Ausgangspunkt dieser Arbeit ist daher die Frage: Was wird mit dem Begriff Subjektivierung bei den jeweiligen Autor*innen gemeint und wie wird innerhalb dieser Konzeptionen Handlungsfähigkeit und Ermächtigung gedacht? Wie kann man einen konzeptionellen Unterschied zwischen Handlungsfähigkeit und politischer Handlungsfähigkeit denken und ist dieser Unterschied in den jeweiligen Subjektivierungskonzepten (implizit) gedacht oder enthalten? Dies betrifft auch die Fragen, ob es überhaupt ein politisches Subjekt geben kann und wie dieses sich konstituiert. Ist es lediglich das gesellschaftlich handlungsfähige Subjekt, welches sich auf eine spezifische Weise, nämlich politisch, artikuliert, oder gibt es davon unterschieden ein politisch handlungsfähiges (Kollektiv-)Subjekt? Gibt es so etwas wie eine politische Subjektivierung und wie findet diese statt? Damit berührt man nicht zuletzt die Frage, welchen Begriff des Politischen oder der Politik man über die hier diskutierten Subjektivierungskonzepte entwickeln kann. Das grundlegende Ziel in meiner Dissertation besteht darin, eine integrierte Subjektivierungsanalytik aufzustellen, nach der Subjektwerdung
Einleitung
nicht nur als ambivalenter, sondern als konkreter Prozess analysierbar wird, der sowohl historisch konkrete als auch affektive, unbewusste, uneindeutige und ethische Aspekte reflektieren kann, so dass Subjektwerdung im vollen Sinne analysierbar und im Hinblick auf die Möglichkeiten der politischen Handlungsfähigkeit und Konstitution befragt werden kann. Diese integrierte Subjektivierungsanalytik kann wiederum dazu dienen, den Prozess der Subjektwerdung im zweifachen Sinne auch auf seine politische Dimension hin zu befragen: Erstens kann so analysiert werden, welche gesellschaftlichen und ökonomischen Bedingungen gegenwärtig unser individuelles Subjektsein und damit unsere Identität, unsere Sexualität und Geschlechtsidentität sowie unsere Wahrnehmungs- und Affektmuster, unsere Körperwahrnehmung, unser Denken und unsere Reflexionsmöglichkeit konstituieren; zweitens ist dieser Prozess als politischer ein kollektiver, nicht nur weil das individuelle Sein grundlegend von der kollektiven Einrichtung der Welt abhängt, sondern auch weil die Gestaltung der Möglichkeiten des Subjektseins nicht durch das einzelne Individuum, sondern nur durch den Zusammenschluss vieler Individuen transformiert werden kann. Die Analytik soll – so die zu begründende Annahme in dieser Arbeit – über das Aufzeigen der Bedingungen und Grenzen des Subjektseins dazu beitragen, diese kritisch zu reflektieren, so dass sie im politischen Zusammenschluss der Subjekte auch kollektiv, strategisch und bewusst transformiert werden können. Und zwar durch die Überschreitung dieser Grenzen, das Experimentieren mit neuen Lebensund Beziehungsformen, aber auch über die Vorstellungen und Bilder eines anderen Subjektseins und die permanente Kritik an den Einschränkungen unseres gegenwärtigen Seins. Politische Handlungsfähigkeit wäre damit nicht schon durch den Konstitutionsprozess gegeben, sondern würde aktive Subjekte erfordern. Das Subjekt ist demnach zwar politisch, da auch das singuläre Sein grundlegend durch das Sein der Anderen und der kollektiven Einrichtung bedingt ist, diese Bedingungen und damit die individuelle Möglichkeit des Andersseins erfordert aber auch einen strategischen Zusammenschluss und eine Aktivität der Subjekte, um sich gemeinsam als politisches Subjekt zu konstituieren. Das politische Subjekt ist damit aber kein feststehendes oder aus einer Kollektividentität ableitbares, auch wenn es durchaus sein kann, dass sich das politische Subjekt auch anhand der gesellschaftlichen Zuweisung zu Subjektpositionen und ihren Einschränkungen bildet, da die einzelnen Subjekte auch einen gemeinsamen Erfahrungs- und Leidenshintergrund teilen.
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
Der systematische Beitrag der in dieser Arbeit herangezogenen Primärautor*innen Althusser, Foucault und Butler liegt darin, dass sie über ihren Begriff der Subjektivierung ein Instrument liefern, um analysieren zu können, wie die gesellschaftlichen Bedingungen unser Sein prägen. Die Kombination und Integration der verschiedenen Aspekte des Subjektivierungsbegriffs der jeweiligen Autor*innen ermöglicht es, eine umfassendere Perspektive auf den Prozess der Subjektwerdung und damit auf die Konstitutionsbedingungen unseres Seins zu erhalten. Die Frage nach der Möglichkeit der politischen Handlungsfähigkeit und dem politischen Subjekt ist aber in den Subjektivierungskonzeptionen von Althusser, Foucault und Butler oft nur implizit enthalten und ich werde deshalb den Begriff der politischen Subjektivierung im abschließenden Kapitel gesondert betrachten und herausarbeiten. Als Arbeitsthese lässt sich jedoch zu Beginn feststellen, dass über die Subjektivierungsperspektive das politische Handeln und die Konstitution eines politischen Subjekts nur in Abhängigkeit zur Analyse der Subjektivierung gedacht werden können – die Frage nach der ambivalenten Subjektwerdung geht so der Frage nach dem politischen Subjekt und seiner Konstitution voraus, auch wenn sich der Zusammenhang nur als wechselseitiger verstehen lässt. Damit ist einerseits das individuelle Subjektsein kollektiv und damit politisch bestimmt, andererseits müssen bei der Konstitution eines politischen (Kollektiv-)Subjekts die Bedingungen des Subjektseins reflektiert und berücksichtigt werden. In dieser Arbeit soll, über die Subjektivierungsanalytiken von Althusser, Foucault und Butler hinausgehend, ein Instrument entwickelt werden, welches es ermöglichen kann, die politische Arbeit, und damit das politische Handeln und die Konstitution eines politischen Subjekts, strategisch und normativ anzuleiten, da über die integrierte Subjektivierungsanalytik deutlich werden kann, welche gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsverhältnisse unser Sein, Fühlen und Denken prägen und wie und an welcher Stelle Transformationen wünschenswert und erfolgreich sein können. Dies heißt im Umkehrschluss aber nicht, dass jeder politische Zusammenschluss und jede politische Transformationskraft intendiert oder strategisch planbar ist. Wie die Analytik der Subjektivierung zeigt, wird das Zusammenleben maßgeblich auch über das immer schon stattfindende Handeln und Leben in der Gesellschaft bestimmt, so dass auch (unbewusste) Lebensformen und Seinsweisen Einfluss auf die Gestaltung der konstitutiven Bedingungen nehmen, auch wenn sie vielleicht nicht als explizit politische Lebensformen gedacht waren.
Einleitung
Die Arbeit knüpft dabei, wie schon anhand der Auswahl der Bezugsautor*innen Althusser, Foucault und Butler offengelegt wurde, sowohl in der Behandlung der Primär- als auch der Sekundärtexte überwiegend an postmarxistische und poststrukturalistische Subjektivierungskonzeptionen an, nimmt sich jedoch auch zum Ziel, diese Konzeptionen im Hinblick auf die Möglichkeiten einer gesellschaftlichen und transformativen Befreiung kritisch zu diskutieren. Die Arbeit versucht, auf drei existierende Lücken in der Rezeption und Konzeption des Subjektivierungsbegriffs zu antworten. Die erste Lücke sehe ich in der Rezeption des Subjektivierungsbegriffs von Althusser, Foucault und Butler. Es gibt bisher weder systematische und ausführliche Darstellungen des Begriffs, die sich auf die Primärquellen beziehen, noch Studien, die eine Subjektivierungsanalytik mit dem Ziel, den Subjektwerdungsprozess zu untersuchen, aufgestellt haben.1 Die zweite Lücke bezieht sich auf die Verwendung und Rezeption des Subjektivierungsbegriffs im Allgemeinen, das heißt auf die sekundäre Verwendung des Begriffs, die nicht mehr direkt an die oben genannten Autor*innen rückgebunden ist. Hier lässt sich feststellen, dass einerseits der Begriff seit circa zehn Jahren zunehmend in Veröffentlichungen der Geistes- und Sozialwissenschaften auftaucht, andererseits die Verwendung des Begriffs sehr schwammig oder überhaupt nicht definiert wird, so dass nicht klar ist, ob noch ein Zusammenhang zu den theoretischen Konzeptionen von Althusser, Foucault und Butler besteht und wie der Begriff alternativ verwendet wird. Bevor man mit dem Begriff arbeitet, sollte deshalb knapp dargestellt werden, 1
Jedoch gibt es durchaus sehr gute Veröffentlichungen, die sich dem Begriff bei den jeweiligen Autor*innen widmen, und zwei nennenswerte Ausnahmen, die den Begriff des Subjekts oder der Subjektivierung ins Zentrum stellen. Hierzu gehört erstens die 2010 von Hanna Meißner veröffentlichte Arbeit Jenseits des autonomen Subjekts zu Foucault, Butler und Marx und zweitens die Pionierarbeit von Christine Hauskeller Das paradoxe Subjekt zu Butlers und Foucaults Subjektkonzeption, die allerdings schon vor längerer Zeit, nämlich im Jahr 2000, veröffentlicht wurde. Während die Arbeit Meißners als wichtiger Beitrag zur integrierten Subjektivierungsanalytik gelten kann, wird dort allerdings die genealogische Entwicklungslinie und die psychoanalytische Dimension des Subjektivierungsbegriffs nicht genügend berücksichtigt, die in dieser Arbeit hauptsächlich auch über die systematische Einbeziehung der Texte von Althusser erfolgen soll. In der Arbeit Hauskellers wird wiederum keine Systematisierung der Subjektivierungsanalytik angestrebt und die Arbeit richtet ihren Fokus zu stark auf die körperliche Dimension in der Subjektivierung, ohne die Bedeutung der ökonomischen Verhältnisse, der historischen Bedingungen, der psychoanalytischen und imaginären sowie ethischen Dimension zu diskutieren.
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
welche unterschiedlichen Verwendungsweisen es gibt und welche begriffliche Abgrenzung vorgenommen werden kann. Die dritte Lücke bezieht sich auf das Ziel dieser Arbeit, eine Integration der Ansätze von Althusser, Foucault und Butler bezüglich ihres Subjektivierungsbegriffs vorzunehmen.2 Über die Diskussion der Autor*innen Althusser, Foucault und Butler kann einerseits eine genealogische Linie der Begriffsentwicklung abgelesen werden, andererseits soll zugleich gezeigt werden, dass man diese nicht in eine chronologische Abfolge stellen muss, sondern sie anhand spezifischer Kategorien ordnen und so eine integrierte und umfassende Perspektive auf Subjektivierung eröffnen kann, die auch die ökonomischen, historischen, psychisch-affektiven und ethischen Aspekte reflektiert. Die Kategorien, anhand derer die Integration erfolgen soll, sind: das Unbewusste und die Psyche, das Ökonomische, die Historizität, die Normalisierung sowie das Scheitern und die ethische Dimension der Subjektwerdung. Damit komme ich im ersten Hauptteil (Kapitel 1 und 2) zum Versuch, diese Lücken zu schließen, oder zur begrifflichen Verortung der Subjektivierung. Als Erstes sollen die bisherigen Forschungsansätze kurz umrissen werden, um zu sehen, welche Arbeiten es im Feld der Subjektivierungsanalysen gibt und welchen Platz diese Arbeit in diesem Feld einnehmen kann – es ist letztendlich die Frage nach der Rezeption des Begriffs selbst. Es soll systematisch zwischen einem subjektivitätszentrierenden, einem praxeologischen und einem diagnostisch-genealogischen Subjektivierungsbegriff unterschieden werden und die Analyse im Bereich der letzten Definition verortet werden. Zweitens werde ich, um die Rezeption zu ordnen, einen heuristischen Vorschlag zur Trennung der unterschiedlichen Konzepte und Begriffsverwendungen vorstellen und zwischen einer schwachen und starken Subjektivierungsanalytik unterscheiden und ein Plädoyer für die starke Konzeption halten, die darin besteht, gesellschaftliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse in ihrer historischen Konkretion zu analysieren. Drittens versuche ich, bevor ich mit der 2
Nennenswert sind hier zwei Ausnahmen, die beide den Begriff der Subjektivierung anhand der drei Autor*innen thematisieren: Le Blanc (2004) und Saar (2013). Bei Saar (2013) werden sehr systematisch und überzeugend die grundlegenden Elemente und Funktionsweisen einer ›Analytik der Subjektivierung‹ im Anschluss an Althusser, Foucault und Butler genannt, jedoch nur thetisch umrissen und nicht ausführlich ausgearbeitet. Insbesondere Althusser wird in Publikationen, die mit dem Subjektivierungsbegriff arbeiten, nur als Stichwortgeber für den Anrufungsbegriff gedacht und nicht als eigenständiger Beitrag zur Subjektivierungsanalyse wertgeschätzt (vgl. u.a. Bröckling 2013; Müller 2013).
Einleitung
Analyse im engeren Sinne beginne, darzustellen, anhand welcher Kategorien man die unterschiedlichen Subjektivierungskonzeptionen bei Althusser, Foucault und Butler ergänzen kann, um so eine vorläufige Antwort auf die Frage nach dem theoretischen Mehrwert der integrierten Subjektivierungsanalytik zu formulieren. Im nächsten Schritt soll dann die Analyse der jeweiligen Subjektivierungskonzeptionen der Autor*innen in jeweils einem Hauptkapitel (Kapitel 3-5) erfolgen. In Kapitel 3 wird der Subjektivierungsbegriff bei Louis Althusser herausgearbeitet. Es wird versucht, die sogenannte ›Anrufungskonzeption‹ Althussers, nach der die Individuen über eine ideologische Anrufung zu Subjekten transformiert werden, nicht als isolierte zu verstehen, sondern sie in Althussers Gesellschafts- und Staatskonzeption einzubetten, so dass die Subjektwerdung nicht nur allgemein als gesellschaftliche, sondern spezifischer auch als Teil eines ökonomischen, politischen und ideologischen Prozesses begriffen werden kann. Die ambivalente Subjektivierung lässt sich somit nicht nur in konkreten und vereinzelten Praktiken analysieren, sondern auch als kollektive Hervorbringung verstehen, so dass in der Analyse der Zusammenhang zur Makroebene wiederhergestellt werden kann. Ein weiterer Fokus wird sich auf Althussers Betonung psychoanalytischer Mechanismen in der Subjektwerdung richten. Auch wenn Althussers psychoanalytische Bezüge nicht systematisch ausgearbeitet sind, können sie als Assoziationsanreiz für eine Analytik der integrierten Subjektivierung fungieren, nach der Subjektwerdung auch als individueller und psychischer Prozess verstanden werden muss. Kapitel 4 widmet sich dem Subjektivierungsbegriff bei Michel Foucault. Die Analyse erfolgt insbesondere anhand seiner mittleren Schaffensphase, der machtanalytischen Schriften, jedoch wird auch das Verhältnis zum Spätwerk, den subjektanalytischen Schriften, reflektiert. Anhand der Werke Überwachen und Strafen und Der Wille zum Wissen wird diskutiert, inwiefern die Subjektivierung bei Foucault als körperliche und als unkörperliche, das heißt als über die Vorstellung laufende, verstanden werden kann. Dies betrifft auch das Verhältnis von Körper und Innerlichkeit. Lässt sich Subjektwerdung bei Foucault nur als Prozess der körperlichen Dressur, das Innen nur als Verlängerung des Außen verstehen und wie ist das Selbstverhältnis in den machtanalytischen Schriften konzipiert? Des Weiteren werden Foucaults Begriffe der Normalisierung und des Dispositivs diskutiert, da diese zur Analyse der historisch konkreten Subjektivierungsweisen und Selbstverhältnisse herangezogen werden können – erst so kann der bei Althusser herausgearbeitete allge-
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
meine Subjektivierungsmechanismus auch historisch aktualisiert und historisch konkret untersucht werden. Daran anschließend wird auf das Verhältnis zum Spätwerk Foucaults eingegangen und versucht zu zeigen, dass die Schaffensphasen durchaus in Kontinuität zueinanderstehen, auch wenn die Gewichtung des Selbstverhältnisses in den späteren Schriften stärker ausfällt und deutlicher sichtbar werden lässt, wie bei Foucault die Möglichkeit der kritischen Reflexion und Transformation der konstitutiven Bedingungen gedacht werden kann. In Kapitel 5 wird schließlich Judith Butlers Subjektivierungskonzeption, die den Begriff der Ambivalenz ins Zentrum ihrer Überlegungen gestellt hat, diskutiert. Butler betont den Zusammenhang von Subjektwerdung und Geschlechtlichkeit. Ihr zufolge wird das Subjekt erst durch die Unterwerfung unter eine heteronormative Zwangsordnung als Subjekt intelligibel, so dass die Kritik des autonomen Subjekts immer auch die Kritik an der Geschlechterordnung miteinschließen muss. Butler entwickelt eine Perspektive auf Subjektivierung, die nicht nur stark den Begriff der Ambivalenz betont und herausgearbeitet hat, sondern auch, über die Begriffe der Performativität und Iterabilität, auf die Veränderungsmöglichkeiten der bestehenden Ordnung hinweist. Außerdem hat sie in Anschluss an Althusser die psychoanalytischen Bezüge in der Subjektwerdung weiter ausgearbeitet und darauf hingewiesen, dass in der Subjektwerdung eine melancholische Verwerfung erfolgt, die das Subjekt nach Außen und Innen trennt und die nur durch die reflexive Bezugnahme auf den (verworfenen) Anderen sichtbar- und betrauerbar gemacht werden kann. Butlers Subjektivierungskonzeption wurde von ihr deshalb auch im Hinblick auf die ethische Dimension hin ausgearbeitet, die in dieser Arbeit einerseits aufgegriffen, andererseits auch kritisiert wird, da sie, so die Kritik in dieser Arbeit, zu stark auf den Abhängigkeitsaspekt der Subjekte fokussiert. In einem abschließenden Unterkapitel zu Butler werden die Grenzen und Möglichkeiten ihrer Subjektivierungskonzeption diskutiert, da diese zum einen sehr ertragreich ist, zum anderen aber mit einigen zentralen Problemen einhergeht, die sich auf die für diese Arbeit so wichtigen Fragen von Autonomie, Materialität und Repräsentationspolitik im Subjektwerdungsprozess beziehen. Die Integration und Zusammenfassung der in den Kapiteln 3-5 herausgearbeiteten Aspekte der Subjektivierung sollen schließlich in Kapitel 6 erfolgen. Dort wird eine Perspektive auf Subjektivierung eröffnet, die sich anhand der vorher bei Althusser, Foucault und Butler ausgearbeiteten Kategorien der Subjektwerdung zusammensetzen lässt: das komplexe Ganze, die Historizi-
Einleitung
tät, die Normalisierung, das Unbewusste oder die Psyche, das Scheitern und die Ethik. Abschließend wird im letzten Kapitel 7 die Frage diskutiert, wie mit einer integrierten Subjektivierungsanalytik, die auf die Autor*innen aufbaut, politische Handlungsfähigkeit und politische Subjektivierung gedacht werden kann und welche Konsequenzen sich für eine emanzipative politische Praxis daraus ableiten lassen. Die Arbeit soll im Gesamten so immer auch der Erörterung der Möglichkeiten von konkreter politischer Praxis verpflichtet sein.
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1. Begriffliche Verortung I Schwache und starke Subjektivierungsanalytik
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Subjektivierung als subjektivitätszentrierte, praxeologische oder genealogisch-diagnostische
Der Begriff der Subjektivierung hat sich mittlerweile in den Geistes- und Sozialwissenschaften etabliert und wird zunehmend selbstverständlich verwendet. Obwohl es seit Mitte der 2000er Jahre eine zunehmende Dichte an Veröffentlichungen gibt, die mit dem Begriff arbeiten, und auch Publikationen, die den Begriff in das Zentrum ihrer Analysen setzen, ist dieser bisher weder klar definiert noch wird er einheitlich verwendet. Bisher gibt es kaum Studien, die sich systematisch mit dem Begriff beschäftigen oder eine Begriffsdefinition der Subjektivierung aufgestellt haben, die zwischen den unterschiedlichen Verwendungsweisen differenziert oder diese reflektiert.1 Meines Erachtens kann man jedoch drei Verwendungsweisen des Subjektivierungsbegriffs und in jüngerer Zeit auch eine vierte Verwendungsweise, die sich explizit auf den Begriff der politischen Subjektivierung bezieht, unterscheiden. Erstens wird der Begriff für Analysen verwendet, die die Zunahme von subjektiven Faktoren – Persönlichkeit, Affekte, Individualität, Subjektivität – in verschiedenen Bereichen wie etwa im politischen, ökonomischen oder technischen Umfeld unter den Stichworten von Entgrenzung, Individualisierung, Emotionalisierung und Flexibilisierung thematisieren. Subjektivierung meint hier, dass das Subjekt nun in diesen Bereichen eine
1
Im Sammelband Techniken der Subjektivierung von den Herausgebern Gelhard/ Alkemeyer/Ricken (2013) wird der Begriff der Subjektivierung in den verschiedenen Beiträgen unter dem Punkt ›Arbeit am Begriff‹ definiert, wobei auch hier eine systematische Darstellung der unterschiedlichen Verwendungsweisen des Begriffs fehlt (vgl. u.a. Ricken 2013; vgl. Bröckling 2013; 2007; vgl. Schmidt 2013).
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
zunehmende Rolle spiele, insbesondere in Bereichen, in denen traditionell und gemäß ihrer Systemfunktionalität das Subjekt keine beziehungsweise nur das rationale, nicht das affektgesteuerte, private und subjektive Sein eine Rolle gespielt habe. Diese Studien thematisieren beispielsweise, wie Arbeitskräfte zunehmend auch im Hinblick auf ihre subjektiven Faktoren, wie ihrer Identifikationsfähigkeit und affektiven Verhaftung mit dem Unternehmen, bewertet werden, so dass nicht mehr nur klassische Qualifikationsfähigkeiten (Leistung, Wissen, technische Fertigkeiten), sondern auch persönliche Eigenschaften (emotionale Intelligenz, Affekte, Identifikationsfähigkeit) miteinbezogen werden. Die Arbeitskräfte würden so zunehmend ›komplett‹ in ihrer subjektiven und menschlichen Beschaffenheit erfasst und als aktive, sich selbst optimierende Subjekte ›angerufen‹. Die Subjektivität gehöre so nicht mehr länger in den von der Arbeitswelt getrennten Bereich des Privaten, sondern werde zum unabdingbaren Anteil der Arbeitskraft (vgl. Carstensen et al. 2014; vgl. Eversberg 2014; vgl. Koschel 2014; vgl. Schaaf 2014; vgl. Hardering 2011; vgl. Kels 2009; vgl. Jung 2009; vgl. Drinkuth 2007; für eine kritische und gouvernementale Perspektive auf den Begriff der subjektivitätszentrierten Subjektivierung vgl. Penz/Sauer 2013). Subjektivierung wird hier als Begriff verwendet, der die Zunahme von subjektiven Faktoren in ehemals ›subjektfreien‹ oder von Subjektivität befreiten Bereichen bezeichnet. Um diese Studien in ihrer Begriffsverwendung zu kennzeichnen, könnte man von subjektivitätszentrierter Subjektivierung sprechen. Von diesem Verständnis möchte ich mich in meiner Arbeit jedoch abgrenzen, da in dieser Begriffsverwendung bereits von ›fertigen‹, d.h. von souveränen, sich selbst bewussten und mit Subjektivität ausgestatteten Subjekten ausgegangen wird und so gerade nicht der Herstellungs- und Konstitutionsprozess von Subjektwerdung betrachtet und analysiert werden kann. Zweitens wird Subjektivierung als praxeologische Variante der Sozialisationsoder Rollentheorie verstanden, die den Fokus auf die Herstellung von Subjekten in oder über konkrete Praktiken richtet. Hierzu zählen Studien zur Konstitution von ›Sport-Subjekten‹, ›Lehrer*innen-Subjekten‹, ›Web-2.0Subjekten‹, ›Schüler*innen-Subjekten‹ oder zu Praktiken der Selbstverortung im Hinblick auf kulturelle Rollen- oder Weltbilder (vgl. Bosančić 2014; vgl. Brümmer 2015; vgl. Pille 2013; vgl. Paulitz 2014; vgl. Carstensen et al. 2014; vgl. Alkemeyer/Budde/Freist 2013; vgl. Alkemeyer/Michaeler 2013; vgl. Alkemeyer 2013; vgl. Etzemüller 2013). Gemeinsam ist diesen Studien, dass sie das Subjekt als Produkt von Praktiken verstehen sowie Aspekte des Prozessualen und Praktischen in der Konstituierung von Subjekten betonen; sie unterscheiden
1. Begriffliche Verortung I
sich aber durchaus darin, ob sie Subjektivierung auch als Selbst- und Anerkennungsverhältnis thematisieren und ob sie Identifikationsprozesse in die Analyse miteinbeziehen (vgl. Alkemeyer/Budde/Freist 2013a: 19ff.). Diese praxeologische Subjektivierungsanalyse verweist auf den Herstellungsprozess von Subjekten in Alltags- und Mikropraktiken. Dieses Verständnis von Subjektivierung ist derzeit das vorherrschende, nicht zuletzt weil es sich auch für empirische Analysen der Subjektkonstitutionen eignet, da konkrete Praktiken beobachtet werden können (vgl. Schmidt 2013).2 Als beispielhaft für dieses praxeologische Verständnis von Subjektivierung können die sehr interessanten Analysen in den Sammelbänden von Gelhard, Alkemeyer und Ricken (2013): Techniken der Subjektivierung, sowie von Alkemeyer, Budde und Freist (2013): Selbst-Bildungen stehen, auch wenn nicht alle darin enthaltenen Texte diesen, im folgenden Zitat beschriebenen, weiten und praxeologischen Begriff von Subjektivierung teilen: »Wer der Überzeugung ist, dass Subjekte nicht einfach ›da‹, sondern Produkt von Prozessen der Selbstbildung und Selbstformung sind, kann sich nicht mehr allein auf transzendentalphilosophische, sprachanalytische oder phänomenologische Argumente stützen, sondern muss die Techniken untersuchen, die an diesen Prozessen beteiligt sind. Dabei handelt es sich häufig um Techniken in einem weiten Sinn, der es gestattet, Intelligenz- und Kompetenztests, Feedback- und Kommunikationsverfahren, Methoden der Selbststeuerung, des Coachings und des Trainings als Techniken der Subjektivierung zu begreifen.« (Gelhard/Alkemeyer/Ricken 2013: 10; Herv. C.F.) Wie im Folgenden noch erläutert werden soll, schlage ich vor, diese praxeologische Perspektive auf Subjektwerdung als schwache Subjektivierungsanalyse zu bezeichnen, da in dieser das Subjekt zwar als gesellschaftlich hergestelltes betrachtet wird, die Perspektive auf diese gesellschaftliche Herstellung jedoch Macht- und Herrschaftsverhältnisse ausblendet und keine Differenzierung in
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»Subjektivierung wird als ein Prozess verstanden, an dem alltägliche Praktiken, Verhaltensweisen, Körperbewegungen, Haltungen, Gesten und Kommunikationsformen genauso wie medizinische oder psychologische Diskurse, eine entsprechende Ratgeberliteratur, aber auch Bilder, Videos, Filme etc. beteiligt sind. Diese kulturanalytische Neuausrichtung leitet zugleich eine Empirisierung der Frage nach dem Subjekt ein. An die Stelle einer Theorie des Subjekts rücken Analysen von Subjektordnungen als Komplexe sozialer Praktiken und empirische Studien einzelner diskursiver, materieller und praktischer Subjektivierungsarrangements.« (Schmidt 2013: 93)
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gesellschaftskonstitutive und nichtkonstitutive Praktiken vornimmt oder vornehmen kann (vgl. Färber 2019). Drittens wird Subjektivierung als diagnostischer oder genealogischer Begriff gebraucht, der die Gewordenheit von Subjekten und die gesellschaftlichen Möglichkeiten des Seins analysieren will. Die Analyse setzt an der strukturanalytischen Grundannahme an, dass das Subjekt die Kraft zum Sein und zum Handeln erst durch eine Unterwerfung (assujettissement) unter die soziale Ordnung erlangt. Das Subjekt wird demnach in einem ambivalenten Sinne über eine Entmächtigungsbewegung ermächtigt. Die Subjektivierungsanalyse ist so zugleich eine Form der Machtanalyse, da die subjektivierende Unterwerfungsbewegung als Machteffekt verstanden wird. Das Spezifische der Analyse besteht jedoch darin, dass Macht hier nicht nur in ihrer repressiven Wirkung, sondern auch in ihrer Produktivität, als hervorbringende oder konstituierende Macht, gefasst wird. Das Subjekt wird in dieser Perspektive als machtdurchdrungenes Subjekt und nicht als Gegenüber der Macht verstanden. Die Gleichzeitigkeit von Ent- und Ermächtigung – von Unterwerfung und Subjektwerdung – beschreibt auf dieser Ebene vorerst nur einen sozialontologischen Befund. Herauszufinden, was dieses Durchdrungensein von Macht jedoch genau bedeutet, unter welchen historisch konkreten gesellschaftlichen und institutionellen Bedingungen die Subjektivierung stattfindet, ist Aufgabe und Ziel einer Analytik der (politischen) Subjektivierung. In dieser Arbeit soll der Begriff in diesem letzten Sinne, als Analyse der konstitutiven Bedingungen des gesellschaftlichen Seins und des politischen Seins, verwendet werden. Sein meint hier in einem sozialontologischen Sinne das gesellschaftliche und normative Sein und verweist somit auf historisch und gesellschaftlich spezifische und konkrete Bedingungen des Seins. Diese dritte Verwendungsweise, die anhand der poststrukturalistischen Begriffskonzeptionen bei Althusser, Foucault und Butler entwickelt werden soll, werde ich im Folgenden als starke Subjektivierungsanalyse bezeichnen. Um besser zu verstehen, worin das Besondere in dieser Verwendungsweise des Begriffs liegt, versuche ich, die von mir eingeführte begriffliche Unterscheidung zwischen schwachen und starken Subjektivierungsanalysen auszuführen und zu begründen. Bevor ich auf diese begriffliche Unterscheidung eingehe, gilt es noch eine vierte Verwendungsweise des Begriffs, nämlich die sogenannte politische Subjektivierung, vorzustellen. Diese begriffliche Verbindung zwischen dem Politischen und dem Subjekt oder der Subjektwerdung lässt sich in aktuel-
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len Veröffentlichungen zunehmend beobachten (Martens 2013; 2014; FlügelMartinsen 2017; Benedikter 2004). Auch hier ist noch nicht systematisch erfasst worden, wie und ob dieser Begriff einheitlich verwendet wird. Es liegt nahe, dass dieser seine zunehmende Verwendungsweise der Popularität von Jacques Rancière und der expliziten Verwendung des Begriffs durch ihn zu verdanken hat. »Die Politik ist Sache der Subjekte oder vielmehr der Subjektivierungsweisen [modes de subjectivation; C.F.]. Unter Subjektivierung wird man eine Reihe von Handlungen verstehen, die eine Instanz und eine Fähigkeit zur Aussage erzeugen, die nicht in einem gegebenen Erfahrungsfeld identifizierbar waren, deren Identifizierung also mit der Neuordnung des Erfahrungsfeldes einhergeht. Formell ist das cartesianische ego sum, ego existo das Modell dieser Subjekte, die untrennbar von einer Reihe von Verrichtungen sind, die die Erzeugung eines neuen Erfahrungsfeldes mit sich führen. Jede politische Subjektivierung hängt von dieser Formel ab. Sie ist ein nos sumus, nox existimus. Was heißen soll, dass das Subjekt, das sie da sein lässt, nicht mehr und nicht weniger Beständigkeit als diese Menge von Verrichtungen und dieses Erfahrungsfeldes hat. Die politische Subjektivierung [subjectivation politique; C.F.] erzeugt eine Vielheit, die nicht in der polizeilichen Verfassung der Gemeinschaft gegeben war, eine Vielheit, deren Zählung der polizeilichen Logik widerspricht.« (Rancière 2014: 47) Auch wenn im Kapitel 7 detaillierter auf das Rancièr’sche Verständnis von politischer Subjektivierung eingegangen werden soll, wird im vorangegangenen Zitat deutlich, dass sein Begriff der Subjektivierung nahezu gegensätzlich zu dem von Althusser, Foucault und Butler entwickelten Begriff der Subjektivierung steht. Während Letztere über den Begriff vor allem auf die grundlegende Abhängigkeit der Subjekte von der (polizeilichen) Ordnung des Bestehenden verweisen und die Bedeutung dieser Abhängigkeit kritisch in Bezug zu den Fragen nach Handlungsfähigkeit, Kritik, Freiheit und Selbstbewusstsein diskutieren, scheint Rancière den Begriff der Subjektivierung und der politischen Subjektivierung zum einen synonym und zum anderen gerade als Begriffe zu verwenden, die den Akt der Des-Identifikation mit der Ordnung und eine Selbstermächtigung bezeichnen. So fällt die Frage nach der Konstitution der Subjekte (der polizeilichen Ordnung) weg, und es bleibt unklar, ob es bei Rancière verschiedene Modi der Subjektivierung – beispielsweise der polizeilichen im Gegensatz zur politischen – gibt und ob der von ihm an dieser Stelle im Französischen verwendete Begriff der subjectivation in Abgrenzung
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zur assujettissement verwendet und verstanden werden kann und somit die Unterscheidung zwischen diesen Modi reflektieren soll.3 Es lassen sich zwei Ausrichtungen in der Verwendung des Begriffs der politischen Subjektivierung unterscheiden: Erstens wird der Begriff mit Rancière entwickelt und verwendet (vgl. Flügel-Martinsen 2017; vgl. Martens 2014) und zweitens wird er im weiteren Sinne gebraucht und meint Subjekte, die politisch oder revolutionär handeln bzw. die als revolutionäres (Träger-)Subjekt zukünftig dazu bestimmt sein sollen, so zu handeln. Es liegt nahe, dass der Begriff der politischen Subjektivierung hier als Ableitung der Frage nach dem politischen Subjekt als Träger der politischen Ordnung und ihrer Revolution bzw. Transformation verstanden wird. In der Verwendung des Begriffs der politischen Subjektivierung variiert allerdings, ob die politische Subjektivierung sich auf ein Kollektivsubjekt oder ein einzelnes Subjekt bezieht. In der Gebrauchsweise von Benedikter (2004) wird beispielsweise, ähnlich des subjektivitätszentrierten Subjektivierungsbegriffs, die Miteinbindung der Subjektivität im politischen Handeln betont und die Verwendung steht in keiner Beziehung mehr zu Rancière (vgl. ebd.: 146).4 In beiden Varianten bezeichnet 3
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Woodford und Chambers gehen beide davon aus, dass Subjektivierung hier mit dem (durch Foucault geprägten) Begriff der subjectivation bezeichnet werden muss, da Rancière in seinen Werken im Französischen durchgängig den Begriff der subjectivation benutzt und den Begriff der assujettissement nicht verwendet (vgl. Woodford 2017: 166; vgl. Chambers 2013: 100f.). Es ist plausibel, mit Woodford davon auszugehen, dass die Seite der subjektivierenden Unterwerfung bei Rancière über die polizeiliche Ordnung thematisiert wird. Allerdings führt diese Lesart meines Erachtens dazu, dass beide Seiten der Subjektwerdung nun eindeutig einer Seite der Unterwerfung und einer Seite der emanzipativen Ent-Unterwerfung zugeordnet werden. »This subjectivation is not a lasting condition but is instead momentary, since the social will reorder and tuck this subjectivated subject back in, giving it a place, and particular ways of being, doing and saying that constitute its identity. Thus subjectivation is always a moment that leads back into subjection. Rancière tells us that the police order is the order of domination. […] Rancière’s writing on subject formation as subjectivation via ›politics‹ is not to deny that structures of power/knowledge restrict or subordinate us via the ›police‹ structuring the very possibilities of resistance, but that subjectivation as the trigger of ›politics‹ involves a relation of the self to being albeit within this wider matrix.« (Woodford 2017: 165-166) Beispielhaft hierfür Benedikter: »Was heißt ›politische Subjektivierung‹? Ein Akt politischer Subjektivierung findet statt, wenn sich ein Einzelner aus freiem Willen – man könnte sagen: aus einer Art individueller Intuition heraus, die nur in ihm selbst begründet liegt – für eine Sache engagiert, und wenn er für dieses Engagement zugleich auch in völliger Unabhängigkeit die persönliche Verantwortung übernimmt. […] Die
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politische Subjektivierung aber den Akt 5 , durch den die Subjekte zum ›revolutionären‹ oder politischen Subjekt werden (vgl. Martens 2013; 2014; vgl. Benedikter 2004). Diese zwei Bedeutungen können sich auch ergänzen, denn in Rancières Konzeption ist die politische Subjektivierung der Akt, in dem die Subjekte mit der identifizierenden Logik der bestehenden Ordnung brechen und sich erst im Akt selbst als politisches Subjekt konstituieren. »Was aber ist politische Subjektivierung? Ganz offensichtlich baut Rancière an dieser Stelle auf die von uns bereits vielfach angesprochene Annahme, die auch in den kritischen Subjekttheorien Foucaults und Butlers zentral ist, dass nämlich die Subjekte dem sozialen und politischen Geschehen keineswegs vorgeordnet sind, sondern dass sie erst hervorgebracht werden. In Rancières Begriff der politischen Subjektivierung wird nun aber ganz offensichtlich die widerständige Seite in hohem Maße betont – weit deutlicher noch als bei Foucault oder Butler […], bei denen aber die emanzipatorische Dimension der Subjektivierung nicht ganz so deutlich hervorgehoben wird wie bei Rancière. […] Politik via politische Subjektivierung vollzieht sich demnach notwendig als eine ›Desidentifikation‹.« (Flügel-Martinsen 2017: 233f.) Die Lesart des Begriffs der politischen Subjektivierung bei Rancière von Flügel-Martinsen ist einerseits interessant, da er eine direkte Verbindung zu Foucaults und Butlers Subjektkonzeptionen zieht, andererseits ist diese jedoch auch problematisch. Für Flügel-Martinsen liegt der Unterschied in der Verwendung des Subjektivierungsbegriffs zwischen Foucault und Rancière nur im Aktivitätsanteil begründet; unklar bleibt aber, wie die Subjekte, die durch die Unterwerfung unter die bestehende politische Ordnung grundlegend bedingt sein sollen, sich gegen die Ordnung stellen können und welche Voraussetzungen dieser Selbstermächtigungsakt hat. Auch Flügel-Martinsen spaltet in seiner Lesart die ambivalenten Seiten der Subjektivierung in die
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zweite Voraussetzung ist, daß dieser nur in sich selbst begründete individuelle Akt des Handelns trotz des subjektiven Ausgangspunktes eine ›substantielle‹ Veränderungswirkung auf das gesamte ihn umgebende politische und soziale Feld hat, also in seinen Konsequenzen gerade wegen seiner individuellen Authentizität über sich selbst hinausreicht.« (Benedikter 2004: 145) Politische Subjektivierung wird auch nicht mehr auf den Konstitutionsprozess der Subjektivierung bezogen, sondern konstatiert die Bewegung und das Ergebnis, als politisches Subjekt aufzutreten oder zu handeln – also einen politischen Akt oder eine politische Aktivität.
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Seiten der assujettissement (Unterwerfung unter die polizeiliche Ordnung) und die subjectivation als selbstermächtigende Des-Identifikation mit der Ordnung (politische Subjektwerdung) auf (vgl. ebd.: 233f.; vgl. hierzu auch Woodford 2017: 165ff.; vgl. Chambers 2013: 99ff.). In dieser Arbeit wird jedoch argumentiert, dass die assujettissement immer schon subjectivation ist, ob die Seite der Ermächtigung zur Einordnung in die polizeiliche Ordnung oder zum Bruch mit der Ordnung führt, bleibt aber eine Frage der Aktivität und eine Frage der Haltung des Subjekts, die allerdings den Modus der politischen Subjektivierung vom Modus der ambivalenten Subjektwerdung trennt. Die politische Subjektivierung steht dabei jedoch nicht im Gegensatz zur Subjektivierung, sondern die Subjektivierung ist die Voraussetzung des politischen Handelns, so dass dieses immer auch auf die konstitutiven Bedingungen bezogen bleibt. Bei Rancière bezeichnet Subjektivierung jedoch nicht die ambivalente Bewegung der Subjektkonstitution, sondern ausschließlich einen ›widerständigen‹ oder emanzipativen Prozess.6 Die ambivalente Gleichzeitigkeit der Unterwerfung und Hervorbringung des Subjekts im Feld des Politischen wird so ausgeblendet und bezeichnet nun, in Anknüpfung an den subjektivitätszentrierten Begriff des autonomen Subjekts, den Prozess der erfolgreichen Aktivierung eines freien Subjekts, welches aus sich selbst heraus bewusst politisch handelt. In dieser Arbeit soll hingegen ein Begriff der politischen Subjektivierung entwickelt werden, der sowohl die Voraussetzung des ambivalenten Prozesses reflektieren als auch den aktiven und koordinierten Eingriff in die Ordnung des Bestehenden bezeichnen kann (s. Kapitel 7). Doch zurück zur deutschsprachigen Rezeption des Begriffs der Subjektivierung. Versucht man diesen aus den aktuellen und einschlägigen Sammelbänden zu systematisieren, können die grundlegenden Bestimmungen wie folgt unter fünf Aspekten zusammenfassend dargestellt werden. Erstens wird nicht von einem bereits gegebenen, der Welt zugrundeliegenden Subjekt ausgegangen, sondern die Grundannahme der Subjektivierungsanalytiken besteht darin, von einem immerwährend prozessual produzierten oder konstituierten Subjekt (und seiner Subjektivität) zu sprechen. Ein solches Subjekt entsteht demnach als Produkt von gesellschaftlichen Praktiken und Techniken und kann somit als relational gebildetes betrachtet werden – es entsteht nicht 6
»Der Begriff zielt auf Prozesse demokratischen Widerstands im Sinne einer Selbstermächtigung der subalternen Klassen, der den herrschenden Machtverhältnissen unterworfenen Subjekte.« (Martens 2014: 12)
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in Opposition, sondern in Relation zu gesellschaftlichen Strukturen und ihren gesellschaftlichen Praktiken.7 Diese Relationalität verweist zweitens konzeptionell auf ein dezentriertes und de-essentialisiertes Subjekt, denn es ist in seiner Relationalität zugleich Produkt vielfältiger – in der zur Einheit zentrierten Subjektform abgeblendeten – Kräfteverhältnisse. Drittens wird über den Begriff der Kontingenz betont, dass das Subjekt zwar historisch geworden, also in historisch- und gesellschaftsspezifischen Praktiken und Strukturen gebildetes Subjekt ist, aber zugleich behauptet, dass diese Gewordenheit unbestimmt ist, da sie sowohl in ihrer Unabgeschlossenheit zu begreifen also auch in ihrer Möglichkeit des Anders-Werdens gefasst werden kann. Kontingenz sollte hier jedoch nicht Willkürlichkeit oder Zufälligkeit bezeichnen, sondern eine historische und gesellschaftliche, das heißt auch menschengemachte und damit veränderbare, Gewordenheit (vgl. Ricken 2013: 33f., 35). Der vierte Aspekt fasst die vier Bestimmungen unter dem begrifflichen Verweis der Doppeldeutigkeit des Subjektbegriffs zusammen. Vom lateinischen subiectum (das Daruntergeworfene) abgeleitet, ist das Subjekt nicht nur das der Welt zugrundeliegende, sondern auch das der Welt unterworfene. Wenn man diese Begriffsherleitung ernst nimmt, kann das Subjekt dann in einem ambivalenten und doppeldeutigen Sinne zugleich als das ermächtigte, handlungsfähige Subjekt, welches die strukturellen Verhältnisse produziert, und das den Strukturen unterworfene Subjekt benennen. Dadurch entsteht aber fünftens die Schwierigkeit, wie diese Ambivalenz begrifflich zu fassen ist. Althusser hat in seiner Ideologietheorie diese Doppeldeutigkeit herausgearbeitet und betont; Foucault wiederum knüpft in seinen machtanalytischen Schriften an diese Verwendung mit seinem – in deutscher Übersetzung gelegentlich als Subjektivierung übersetzten – Begriff der assujettissement (Unterwerfung) an, um die Konstituierung des (Disziplinar-)Subjekts zu beschreiben. Diese Ambivalenz zwischen Unterwerfung und Hervorbringung 7
Der Begriff der Techniken verweist auf institutionalisierte Unterwerfungspraktiken, wie etwa auf die Prüfung, die in der Schule eine Technik der Unterwerfung ist, anhand derer Subjekte konstituiert werden (vgl. hierzu auch Gelhard/Alkemeyer/Ricken 2013: 10). Mit Praktiken sind hingegen die von den Subjekten im Alltag (›freiwillig‹ und unbewusst) ausgeführten (mehr oder weniger stark) ritualisierten und institutionalisierten einzelnen Handlungen der Subjekte zu verstehen. Hierzu könnte dann das ›Lernen‹ für die Prüfung oder das ›Aufstehen‹ zur Begrüßung des Lehrkörpers in der Schule zählen. Auffällig ist allerdings, dass das (Lohn-)Arbeiten als gesellschaftliche Praxis in den meisten subjektivierungsanalytischen Untersuchungen, die die Ambivalenz berücksichtigen, nicht thematisiert wird.
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im Subjektwerdungsprozess hat insbesondere Butler betont und herausgearbeitet, und in dieser Arbeit soll dieser These der ambivalenten Verschränkung im Subjektivierungsprozess gefolgt werden. In der (gegenwärtigen) Rezeption wird jedoch stärker zwischen der unterwerfenden Subjektkonstitution im Sinne der assujettissement und der selbstkonstituierenden Subjektkonstitution im Sinne des von Foucault später verwendeten Begriffs der subjectivation unterschieden (vgl. Ricken 2013: 32; vgl. Flügel-Martinsen 2017; vgl. Woodford 2017; vgl. Chambers 2013: 100; vgl. Schubert 2018: 204, 234).8 Der theoretische Hintergrund dieser Betonung einer Differenz zwischen diesen beiden Begriffen liegt in der begrifflichen Problematik der ambivalenten Subjekthervorbringung selbst begründet. Die Gleichzeitigkeit von Unterwerfung und Hervorbringung wirft die Frage nach der Strukturdeterminiertheit des Subjekts und damit die Frage nach der Möglichkeit von Reflexivität, Selbstbildungen, Selbstregierungen oder, mit anderen Worten, die Frage nach der Möglichkeit von Freiheit und Autonomie auf. Demgegenüber scheint der Begriff der subjectivation, der den »Prozess der ›Konstitution seiner selbst als Subjekt‹« (Ricken 2013: 32) bezeichnet, nicht nur die Unterworfenheit, sondern auch den Handlungsspielraum der konstituierten Subjekte sowie ein reflexives Verhältnis des Subjekts zu seinen Konstitutionsbedingungen erfassen zu können. Wenn man aber am Postulat der Gleichzeitigkeit von heteronomen und autonomen sowie passiven und aktiven Momenten in der Subjektkonstitution festhalten will, dann stellt sich die Frage, wie das Verhältnis zwischen Selbst- und Fremdkonstitution gedacht werden kann, ohne auf eine dichotome Vorstellung von Heteronomie und Autonomie zurückfallen zu müssen, deren Überwindung doch das ausgesprochene Ziel der Subjektivierungsperspektive war. Festzuhalten gilt, dass über die begriffliche Differenz zwischen assujettissement und subjectivation der Subjektbegriff selbst verhandelt wird, so dass die Entscheidung, welcher Begriff wie verwendet wird, von theoretischer Relevanz ist. An dieser Stelle soll der Hinweis auf diese Relevanz genügen, es 8
Robert Lembke unterscheidet hingegen zwischen unterwerfender und autopoietischer Subjektivierung. Diese Unterscheidung mag auf den ersten Blick die Trennlinie zwischen den Subjektivierungsformen noch stärker ziehen, jedoch bin ich der Auffassung, dass in dieser Begriffsverwendung besser deutlich wird, dass der Unterschied in der Subjekthervorbringung eine Frage der Form ist, die sich auf die Aktivität und Freiheit der Subjekte bezieht (vgl. Lembke 2005). In beiden Formen findet aber sowohl eine Unterwerfung als auch eine Hervorbringung statt, und in beiden Fällen bildet sich ein Selbstverhältnis in der Unterwerfung aus.
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wird jedoch auf diese Fragen zurückzukommen sein. Zusammenfassend lässt sich der Subjektivierungsbegriff also durch die Merkmale der 1) prozessualen Konstituiertheit, 2) der relationalen Hervorbringung in Praktiken und Techniken, 3) der kontingenten Dezentrierung und De-Essentialisierung, 4) der ambivalenten Hervorbringung und 5) dem komplexen Zusammenspiel von (gouvernementalen) Selbst- und Fremdregierungen beschreiben (vgl. Ricken 2013: insbes. 35; vgl. Bröckling 2007: 31ff.).
1.2
Starke und schwache Subjektivierungsanalysen
In der Verwendung des Subjektivierungsbegriffs gibt es jedoch konzeptionelle Unterschiede, die über die begriffliche Differenz zwischen einem schwachen (praxeologischen) Subjektivierungsbegriff und einem starken (kritisch-diagnostischen) Subjektivierungsbegriff erfasst und sichtbar gemacht werden können – diese Differenzen beziehen sich auf Aspekte der Macht, des Zwangs, der Identität, der Affektivität sowie der Innerlichkeit und Reflexivität im Subjektivierungsprozess. Um diese Differenzen begrifflich erfassen zu können, schlage ich vor, von einem schwachen Subjektivierungsbegriff oder einer schwachen Subjektivierungsanalyse zu sprechen, wenn dieser oder diese sich lediglich auf praxeologische Aspekte des Subjektwerdens beziehen, ohne den Zwangs- und Unterwerfungsaspekt oder das identifikatorische Selbstverhältnis im Prozess zu berücksichtigen. Diese begriffliche Markierung zwischen stark und schwach soll hier allerdings nicht gemäß der üblichen Verwendungsweise in der Subjekttheorie auf starke oder schwache, d.h. aktive oder passive Subjekte, die aufgrund ihres Grades an Determiniertheit durch Natur oder Strukturen in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt oder ermächtigt sind, verweisen. Sie soll vielmehr sichtbar machen, inwiefern die Ambivalenz in der Subjektivierung stark oder schwach konzipiert ist und ob die gesellschaftskonstitutive Unterwerfung auch als Herrschafts-, Macht- und Zwangsverhältnis sichtbar werden kann. In schwachen Subjektivierungskonzeptionen wird davon ausgegangen, dass das Subjekt durch das Ausüben von sozialen Praktiken als konkretes Subjekt dieser Praktiken hervorgebracht wird. Sie analysieren entweder soziale Rollen, die gesellschaftlich nicht konstitutiv sind (Musiker*in, Sportler*in oder Berufsrollen), oder sie vernachlässigen in ihrer Analyse die libidinös besetzte Identitätsbildung, die politische Dimension und die Machteffekte im Subjektivierungsprozess. Sie stellen ihre Studien in direkte theoreti-
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sche Verbindung zu ethnographischen und praxeographischen Analysen, um sogenannte Mikro- und Alltagspraktiken erfassen zu können (vgl. Brümmer 2015; vgl. Pille 2013; vgl. Alkemeyer/Budde/Freist 2013; abgrenzend dazu vgl. Bröckling 2007: 43f.). Der Fokus auf Mikro- und Alltagspraktiken wird jedoch unzureichend für eine starke Subjektivierungsanalytik, wenn sie nicht mehr in einen gesellschaftstheoretischen und politischen Kontext gestellt werden können. So ist zum Beispiel die Analyse der ›Mitspielfähigkeit‹ der Subjekte im Sport (vgl. Brümmer 2015) für eine starke Subjektivierungsanalyse uninteressant, da hier keine gesellschaftskonstitutiven Subjektivierungsprozesse betrachtet werden. Wenn man am Beispiel des Sports allerdings die Subjektkonstitution anhand der Kategorie race und rassistischen Praktiken im Sport untersuchen würde, könnte die Analyse von Mikropraktiken, wenn sie denn in einen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang gestellt werden, wieder ein anderes, nämlich ein politisches, Gewicht annehmen. Über die Einführung des Begriffs der Subjektivierung wird versucht, in die ethnographische und praxeologische Perspektive die Eigenaktivität, die Selbstbildungen und Selbstverhältnisse in der Praxisausübung miteinzubeziehen und zu betonen (vgl. Alkemeyer/Budde/Freist 2013a: 21; vgl. Pille 2013: 39, 67; vgl. Brümmer 2015: 7, 13ff., 73f.; vgl. Alkemeyer 2013: 35). Auch wenn sie sich gegen die Figur eines autonomen Subjekts wenden, führen sie sie so zugleich wieder ein, da sie die – für die starke Subjektivierungsanalytik charakteristische – Skepsis gegenüber den Möglichkeiten der selbstbestimmten und freien Aneignung und Eigenaktivität sowie einer durch Macht unangetasteten Subjektivität vorschnell wieder aufheben. So beschreiben beispielsweise Alkemeyer und Michaeler (2013) im Sammelband Techniken der Subjektivierung den Subjektivierungsprozess aus kulturwissenschaftlicher Perspektive, die vor allem auch den aktiven und ›schöpferischen‹ Aspekt hervorheben soll: »Genau dies ist das Anliegen des vorliegenden Beitrags: Es soll im Rahmen der skizzierten kulturwissenschaftlichen Perspektive auf Subjektivierungsprozesse gezeigt werden, wie in der Teilnahme an sozialen Praktiken bzw. Spielen Fähigkeiten erworben und verfügbar gemacht werden, die es einem ›Mitspieler‹ nicht nur gestatten, routiniert einen funktionalen Beitrag dazu zu leisten, ein Spiel ›am Laufen zu halten‹, sondern auch schöpferisch in das Geschehen einzugreifen, es von innen heraus mitzugestalten, darin einen eigenen Sinn zu verwirklichen, womöglich kritisch Stellung zu beziehen oder ganz und gar ›auszusteigen‹.« (Alkemeyer/Michaeler 2013: 215; Herv. C.F.)
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Die der starken Subjektivierungsperspektive eigentümliche Gleichzeitigkeit der Ent- und Ermächtigung, die über den Begriff assujettissement sichtbar gemacht werden soll, läuft meines Erachtens in dieser Perspektive Gefahr, durch die Betonung des Schöpferischen mit einem, im Gegensatz zur Unterwerfung, umfassenderen Begriff der subjectivation zu arbeiten und mit der Überbetonung der Aktivität wieder zu einem dichotomen Gegenverhältnis zwischen Heteronomie und Autonomie, zwischen Fremd- und Selbstregierung, zu gerinnen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn man die Aktivität in der Subjektwerdung als eine Form der selbstbestimmten oder freiheitlichen Selbstführung versteht. Die praxeologische Perspektive tendiert dabei dazu, die den klassischen Sozialisationstheorien charakteristische Dichotomie zwischen Natur und Kultur in der Subjektwerdung zugunsten der Seite der Kultur aufzulösen, da sie hauptsächlich auf die konkrete und situative Hervorbringung der Subjekte in gesellschaftlichen Praktiken und damit auf die Seite der Kultur fokussieren und diese durch ihren starken Fokus auf die Eigenaktivität überhöhen. Sowohl die Bedeutung der Natur als auch die der gesellschaftlichen Strukturen für die Subjektwerdung wird so vernachlässigt und die komplexen Verschränkungen zwischen Natur und Kultur sowie die Ambivalenz zwischen Heteronomie und Autonomie zugunsten der Seite der aktiven Selbstführungsfähigkeit ausgeblendet.9 In ihrer Fokussierung auf gesellschaftliche Praktiken knüpfen sie aber auch an die interaktionstheoretische Soziologie an, nach der das Subjekt und seine Subjektivität nicht als entwicklungspsychologisches Geschehen, sondern als immer wieder neu in sozialen Interaktionen konstituierte und in diesen Interaktionen mit Sinn und Bedeutung ausgestattete betrachtet werden können (vgl. Färber 2019; vgl. Alkemeyer/Michaeler 2013: 223). Anders als die Doing-Culture-Perspektive10 versuchen sie aber das Selbstverhältnis, welches 9
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Vergleiche hier wieder Alkemeyer und Michaeler, die von der Analyse der Interaktion zwischen einer Athletin und einem Trainer im Volleyballspiel auf die gesellschaftliche Analyse von Subjektivierungsprozessen schließen wollen: »Der Subjektivierungsbegriff richtet die Aufmerksamkeit hingegen zum einen auch auf die aktive Beteiligung der Athletin [bzw. des Subjekts; C.F.] an ihrer eigenen (Aus-)Bildung zu einem Handlungsträger des Volleyballspiels, zum anderen darauf, dass diese (Aus-)Bildung mit der Ausformung spezifischer Selbstbeziehungen, Selbstverhältnisse sowie Selbstregulations- und Handlungsfähigkeiten einhergeht.« (Alkemeyer/ Michaeler 2013: 222) Für das Selbstverständnis der Doing-Culture-Perspektive siehe beispielhaft Hörning/ Reuter (2015: insbes. 10, 13). Hierzu gehört auch das 1987 von West und Zimmerman
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im ›doing‹ entsteht, stärker zu betonen und mit einzubinden. Das Selbstverhältnis verweist hier aber nur auf die Seite der Aneignung über die Eigengestaltung der Praktiken und nicht auf die gleichzeitige Hervorbringung einer libidinösen Bindung zur Subjektwerdung und damit zur so konstituierten Identität. Ein weiterer Kritikpunkt am schwachen Subjektivierungsbegriff liegt meiner Ansicht nach deshalb in der fehlenden Möglichkeit, die Innerlichkeit des Subjekts – trotz der konzeptionellen Betonung des Selbstverhältnisses im Subjektivierungsakt – angemessen, in seiner affektiven und psychischen Bedeutung, erfassen zu können. Die Unterscheidung zwischen einer schwachen und starken Analyse lässt sich nicht nur über die politische Dimension der zu untersuchenden Kategorien bestimmen, sondern erfolgt auch über die Perspektive, die in der Analyse eingenommen wird. Beispielsweise könnten Studien zur Konstitution eines Schüler*innen-Subjekts zur starken Subjektivierungsanalyse gehören, wenn der Zwangsmechanismus und die Machtaspekte erfasst werden (s. beispielsweise Meyer-Drawe 2013). Die Herstellung von ›Schüler*innenSubjekten‹ wird, auch wenn nicht so benannt, in Foucaults Überwachen und Strafen und Althussers Ideologie und ideologische Staatsapparate thematisiert, jedoch immer unter den Aspekten der Macht, des Zwangs und des gesellschaftlichen Zusammenhangs. Wenn die Analyse sich hingegen nur auf die neutralen und isolierten Praktiken der Herstellung bezieht, ohne gesellschaftliche Machtaspekte zu berücksichtigen, könnte man in der Analyse derselben Kategorie nur von einer schwachen Subjektivierungsanalytik sprechen. Dies kann aber auch auf die Analyse von gesellschaftlich konstitutiven Kategorien zutreffen, zu denen zum Beispiel das Geschlecht, die Klasse, die Gesundheit, die Nationalität oder die Kategorie ›race‹ gehören. Diese Kategorien haben eindeutig hohe politische und gesellschaftliche Relevanz – es gibt jedoch auch hier Analysen, die durch die enge Fokussierung auf die Praktiken die gesellschaftspolitischen Aspekte nicht ausreichend erfassen können. Dies ist beispielsweise im Doing-Gender-Ansatz der Fall, der zwar den Subjektivierungsbegriff nicht verwendet, jedoch strukturelle Ähnlichkeiten zu den schwachen Subjektivierungsanalysen aufzeigt, da er auf die praxeologische Dimension des Herstellungsprozesses fokussiert und deshalb auch in einigen Studien zur Subjektivierung in direkte Verbindung gestellt wird (vgl. entwickelte Konzept des Doing Gender, nach dem Geschlechtlichkeit als in sozialen Interaktionen mit Anderen immer wieder spezifisch hervorgebracht und relevant gemacht verstanden werden soll (vgl. West/Zimmerman 1987).
1. Begriffliche Verortung I
Schmidt 2013; vgl. Brümmer 2015: 7). In diesem von der interaktionstheoretischen Soziologie inspirierten Ansatz wird das vergeschlechtlichte Subjekt als in konkreten Situationen und Interaktionen gebildetes betrachtet, so dass der weitere gesellschaftliche Zusammenhang, der Zwang zur Identifikation und das affektive Verhältnis zur eigenen Geschlechtsidentität und Sexualität nicht mehr ausreichend thematisiert werden können. Diese fehlende Thematisierung lässt sich jedoch nicht aus der Kategorie selbst ableiten, sondern ist der Perspektive geschuldet, die lediglich das Außen und vereinzelte Mikropraktiken erfassen kann. Zusammenfassend lässt sich so feststellen, dass schwache Subjektivierungskonzeptionen Machteffekte vernachlässigen, die gesellschaftlich und politisch relevant sind. Von einem starken Begriff der Subjektivierung sollte deshalb nur gesprochen werden, wenn die Einnahme einer Subjektposition konstitutiv für den Eintritt in die Gesellschaft ist, das heißt, wenn Subjektwerdung nicht frei wählbar ist, wenn im Prozess eine gesellschaftlich wirksame Normierung oder Normalisierung erfolgt, wenn das affektive Selbstverhältnis relevant ist und wenn Aspekte der Macht oder des Zwangs mit der Einnahme der Position verbunden sind. Diese Aspekte treffen beispielsweise auf die Subjektpositionen Geschlecht, Sexualität, Ethnie oder ›race‹, Nationalität, Klasse und Kategorien zur Beurteilung von psychischer und physischer Gesundheit zu. Von gesellschaftlich konstitutiven Positionen kann dann gesprochen werden, wenn mit der Einnahme dieser Positionen zugleich eine gesellschaftliche Positionierung und Zuschreibung verbunden ist, über die der Zugang zu sozialen und materiellen Ressourcen sowie zu diskursiv-epistemischen Verortungen reguliert wird. Diese konstitutiven Positionen sind den konkreten Individuen strukturell vorgängig und die Einnahme der Position ist weder frei wählbar noch lässt sie sich individuell ablegen. Es gibt jedoch auch Mischkategorien wie etwa die Mutter- und Vaterrolle sowie Berufsrollen, die einerseits ›frei‹ gewählt werden können, sich andererseits aber nicht einfach ablegen lassen und auch mit starken naturalisierenden und normalisierenden Zuschreibungen verbunden sein können. Das politische Ziel der Subjektivierungsanalytik besteht darin, zeigen zu können, wie und über welche Mechanismen Subjekte konstituiert werden und mit welchen Zuschreibungen, Ausschlüssen, Naturalisierungen und Normierungen die Subjekte in der Gesellschaft konfrontiert sind, um diese hinterfragen, kritisieren und überwinden zu können. Die Analytik fokussiert aber auch auf das Subjekt und seine affektive Verhaftung mit den bestehenden Konstitutionsbedingungen, zielt jedoch auf eine Transformation dieser hervorbringenden Bedingungen
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
und nicht ausschließlich auf die Pluralisierung und Anerkennung einzelner Identitäten in der Gesellschaft. Starke Subjektivierungsanalysen können somit auch als historische und materialistische Analysen verstanden werden. Historisch sind sie, da die den konkreten Individuen vorausgehenden Subjektpositionen als historisch entstandene und dynamische begriffen werden; materialistisch sind sie, da die Subjektpositionen – anders als in manchen radikal konstruktivistischen Konzeptionen – nicht als idealistische Konstrukte verstanden werden, sondern als an die gesellschaftliche Organisationsformen geknüpfte, die sich wiederum in und über die Subjekte materialisieren. So ist das Subjekt Produkt der gesellschaftlichen Bedingungen und zugleich materialisieren sich diese in der Subjektform – und damit sind Denkweisen, Erfahrungs- und Körperschemata, Weltbezüge, Selbstverhältnisse sowie Subjektivität und Identität materiell bedingt (s. hierzu Kapitel 5.3). Subjektivierung im starken Sinne weist somit auf einen Macht- oder Herrschaftseffekt hin: Eine Unterwerfung unter Strukturen, Ordnungen, ihre Normen, Diskurse und Praktiken, über die das gesellschaftliche, materielle und intelligible Sein reguliert wird. Zugleich versucht die Analyse aber den damit verbundenen eigentümlichen Machteffekt offenzulegen, der darin besteht, dass der Prozess der Unterwerfung als solcher oft nicht sichtbar wird, da er als Normalität, Naturalität oder schlicht als alternativlose Realität erscheint oder libidinös besetzt ist, da sich Subjekte auch mit ihrer Unterwerfung identifizieren.
2. Begriffliche Verortung II Zum Vorschlag einer integrierten Subjektivierungsanalytik – Althusser, Foucault, Butler
2.1
Ambivalenz der Subjektivierung
Der gemeinsame Ausgangspunkt der integrierenden Subjektivierungsanalytik besteht darin, dass sowohl Louis Althusser als auch Michel Foucault und Judith Butler die Figur des autonomen, mit sich selbst identischen Subjekts problematisiert und durch die Figur eines grundlegend ambivalenten Subjekts ersetzt haben. Althusser hat in seinem berühmten Aufsatz Ideologie und ideologische Staatsapparate (1970) explizit auf diese Ambivalenz oder Doppeldeutigkeit des Subjektbegriffs hingewiesen: Das Subjekt ist einerseits intentionaler und sich selbstbewusster Urheber von Handlung; und andererseits als Subjekt einer Macht unterworfen (vgl. Althusser 1977: 148; frz. Althusser 1995: 311). Das Subjekt wird als zugleich ent- und ermächtigtes begriffen, welches unablässig in gesellschaftlichen Institutionen und ihren Anrufungen, über epistemische Positionierungen, über Diskurse, über institutionelle Rituale und Praktiken zugleich unterworfen und produziert wird. Es ist damit ein Subjekt, welches erst durch die Unterwerfung seine Handlungsfähigkeit und Ermächtigung erhält; die Figur des ambivalenten Subjekts markiert diese Doppeldeutigkeit, die im Subjektbegriff sonst abgeblendet ist und nur im Begriff der Unterwerfung noch enthalten ist (frz. »assujettissement«; engl. »subjection«). Diese Grundzüge lassen sich in den Subjektivierungskonzeptionen von Althusser, Foucault und Butler finden; wie weitreichend jedoch die Ambivalenz der produktiven Unterwerfung und Subjektwerdung gedacht wird, ob es eine (sozial-)ontologische oder historische Subjektform gibt, ob das Sub-
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
jekt nur als sprachliche Kategorie fungiert, welche Rolle der Körper oder körperliche Praktiken in diesem Prozess spielen und wie in dieser de-essentialisierenden, dezentrierenden und außengeleiteten Perspektive ein ›Innen‹ des Subjekts gedacht wird, unterscheidet sich bei den Autor*innen stark und lässt sich nur in einer differenzierten Betrachtung erfassen (vgl. auch FlügelMartinsen 2017: 220ff.). Ulrich Bröckling beschreibt diese Ambivalenz in der Subjektwerdung als Paradox der Subjektivierung: »Das Paradox der Subjektivierung verschränkt sich so mit der Macht, verstanden als Ensemble der Kräfte, die auf das Subjekt einwirken, diesem vorgängig. Das Subjekt ist weder ausschließlich gefügiges Opfer, noch nur eigensinniger Opponent von Machtinterventionen, sondern immer schon deren Effekt. Auf der anderen Seite kann Macht nur gegenüber Subjekten ausgeübt werden, setzt diese also voraus. Sie beruht auf der Kontingenz des Handelns und damit auf einem unhintergehbaren Moment von Freiheit.« (Bröckling 2007: 19f.) In dieser Beschreibung wird deutlich, dass die ambivalente Hervorbringung unterschiedlich stark gedacht sein kann. In dieser Arbeit soll darauf hingewiesen werden, dass auch die Produktion eines Disziplinarsubjekts den Effekt der Subjektivierung angemessen beschreibt, auch wenn sein reflexives Verhalten zur Macht und seine ›Freiheit‹ des Handelns gegenüber dem »unternehmerischen Selbst« (Bröckling 2007), welches über unbestimmte Imperative – ›sei du selbst!‹ – angerufen wird, vergleichsweise gering ist. Der Unterschied zwischen beiden liegt eher in einer Variation an Intensität und Ausrichtung der Ambivalenz begründet. Denn handelt das unternehmerische Selbst gegenüber dem Disziplinarsubjekt wirklich ›selbstbestimmter‹ und in welchem Sinne kann es als frei verstanden werden? Ist das Disziplinarsubjekt nicht auch ein Subjekt, obwohl sein reflexives Verhältnis möglicherweise unterentwickelt ist? Anders als es das Zitat von Bröckling nahelegt, ist nicht nur das Paradox – affiziert zu werden und sich durch sich zu affizieren – interessant, sondern der merkwürdige Effekt der Subjektivierung besteht zugleich darin, dass das Paradox oder besser gesagt die Ambivalenz dem Subjekt nicht bewusst ist und im Handeln notwendig abgeblendet werden muss, um sich als autonomes und mit sich selbst identisches Subjekt wahrnehmen und konstituieren zu können. Autonomie und Heteronomie werden über den Begriff der Ambivalenz nicht als ununterscheidbar in eins gesetzt, sondern es wird das
2. Begriffliche Verortung II
Widersprüchliche in der – vermeintlich abgeschlossenen und einheitlichen – Subjektform betont. Der Widerspruch soll aber gemäß der Althusser’schen Begriffe nicht als einfacher Widerspruch zwischen zwei Polen – als dialektisch aufzulösender Gegensatz –, sondern über den Begriff der Ambivalenz als überdeterminierter, als aus mehreren Kräften zu einem Widerspruch verdichteter, verstanden werden (vgl. Althusser 2011c, s. Kapitel 3.2.1). Der Begriff der Ambivalenz soll auf die Abblendung des überdeterminierten Widerspruchs in der Subjektform aufmerksam machen, die zwar einerseits notwendig ist, da das Subjekt als einheitliches handeln muss, da es als dezentriertes einen psychotischen Zusammenbruch erleiden müsste, jedoch fördert die Starrheit der Subjektform die Annahme, dass auch das gesellschaftliche Sein starr und eindeutig – oder, mit anderen Worten, unveränderlich – ist. Das Paradox der Subjektwerdung, welches Bröckling beschreibt, sollte jedoch genauer betrachtet werden, um zeigen zu können, welchen Stellenwert es in der Subjektphilosophie oder politischen Theorie haben kann. Einerseits wird auch in der klassischen Subjektphilosophie nicht davon ausgegangen, dass das Subjekt sich als vollständig unabhängiges autonom zur Welt des Gegebenen oder der gesellschaftlichen Ordnung verhalten oder konstituieren könne, andererseits wird auch selten angenommen, dass das Subjekt die Fähigkeit zur aktiven Weltaneignung nicht habe oder nur in einem starr behavioristischen Sinne erlange. Doch gerade im liberalen Denken (Rational Choice, Neoklassik, Liberalismus und Neoliberalismus) wird an einem methodischen und/oder normativen Individualismus festgehalten und davon ausgegangen, dass die sozialen Strukturen lediglich das Produkt einzelner Individuen seien, und angenommen, dass die soziale Struktur dem Interesse der Individuen gemäß eingerichtet werden könne – und somit eine strikte Opposition von Individuum (welches hier als autonomes Subjekt auftritt) und Struktur behauptet (vgl. Flügel-Martinsen 2017: 15-31). Der Verweis auf das Paradox oder besser die Ambivalenz der Subjektwerdung soll hingegen, in einer nicht zu leugnenden pessimistischen Weise, darauf aufmerksam machen, dass die Abhängigkeit von – dem einzelnen, konkreten Individuum vorgängigen – Strukturen, Normen und Ordnungen tiefgehender ist, als in der klassischen Subjektphilosophie und im methodischen oder normativen Individualismus angenommen wird. Es gibt demnach keine Stunde null, nach der das Subjekt dann als autonomes der Ordnung gegenübertritt und sie in individueller Eigeninitiative gestaltet oder sich unabhängig von ihr verhalten, denken, leben, materialisieren kann. Der Begriff der Ambivalenz soll in dieser Arbeit jedoch auch auf die psychische Dimension im Subjektwerdungspro-
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
zess verweisen und analytisch miteinbeziehen, dass Subjekte in ihrem Sein auch durch unbewusste, affektuelle und uneindeutige Triebe, Gefühle, Ideen, Wahrnehmungen und Praktiken strukturiert werden. Problematisch kann diese (sozial-)ontologische Bestimmung der Ambivalenz aber dennoch in zwei Ausrichtungen werden: Erstens in der analytischen Ausrichtung, nach der, wie Althussers und auch Butlers Konzeption es nahelegen, die historische Ausrichtung und Gewichtung dieser Ontologie nicht genügend berücksichtigt wird und diese eben nicht hauptsächlich als historische (Sozial-)Ontologie verstanden wird. Dies betrifft Fragen nach der konkreten Form, die die Subjektwerdung in verschiedenen Gesellschaftsformationen annimmt, und danach, wie weit die Unterwerfung und Freiheitskonstitutionen in diesen reicht. Ab wann kann überhaupt von Subjektwerdung gesprochen werden? Kann es befreite und autonome Subjekte geben und wie unterscheiden sich historische Unterwerfungs- und Subjektivierungsformen? Zweitens in der historisch-konkreten Ausrichtung, die bei Foucault zu finden ist, dort müsste hingegen berücksichtigt werden, dass die Problematik der Ambivalenz auch darin besteht, dass das Subjekt in gesellschaftlich unfreie, unvernünftige und von Leid und Gewalt geprägte gesellschaftliche Strukturen gesetzt wird, aus denen es nicht über individuelle Autonomiebestrebungen ausbrechen kann. Diese unfreien und leidvollen Verhältnisse können aber als konsequent historisch und sozial verstandene und damit auch als zur Freiheit hin veränderbare begriffen werden. Dies ist der zugleich optimistische und pessimistische Grundton der Subjektivierungsperspektive, die nicht den Begriff der Emanzipation hinter sich lassen, sondern darauf aufmerksam machen sollte, dass diese nur über eine kollektive Transformation der gesellschaftlichen Verhältnisse erfolgen kann – und damit in den Bereich des Politischen fällt. In diesem Sinne wird jedoch zugleich an einem utopischen Ziel, nach dem ein befreites Sein in der Gesellschaft möglich sein kann, festgehalten (vgl. Flügel-Martinsen 2017: 83ff.). Ein entfaltetes und freies Leben muss vorstellbar sein und es kann nur im gesellschaftlich und institutionell vermittelten Zusammenleben realisierbar sein. Ein anderes Leben, ein kollektiv gestaltetes Anders-Sein jenseits der bestehenden Ordnung und Seinsweisen ist denkbar, auch wenn dieses nur als Negativbild, des ›Nicht-so-sein-Müssen‹ Gestalt annehmen kann (vgl. Meißner 2010: 13f.). Anders als Flügel-Martinsen (2017) in seiner politischen Reflexion argumentiert, soll damit jedoch an der Möglichkeit der Utopie festgehalten werden, denn es ist zwar kein Leben jenseits von Macht, aber durchaus jenseits von Herrschaft weiterhin denkbar und wünschenswert, und der
2. Begriffliche Verortung II
Unterschied zwischen Macht und Herrschaft darf somit analytisch nicht vorschnell aufgelöst werden (abgrenzend: vgl. ebd.: 252). Anders als in klassischen Befreiungstheorien, die mit dem Begriff des notwendig falschen Bewusstseins arbeiten, soll aber auch berücksichtigt werden können, dass solche Transformationsprozesse auch von Subjekten getragen werden, die unbewusst und affektuell mit den bestehenden Verhältnissen verbunden sind, so dass diese analytisch erfasst werden können müssen. Außerdem gibt es gesellschaftliche Transformationen, die ohne Bewusstwerdung, ohne bewusstes politisches oder emanzipatorisches Handeln, über konkrete und experimentelle Seinsweisen entstehen. Diese Perspektive darf aber keinem Kurzschluss unterliegen, nach dem diese Transformationen dann bereits als normativ gute bzw. emanzipative gelten, denn sie können auch als reaktionäre oder sogar barbarische Akte, Praktiken und Lebensweisen auftreten. Als solche können sie aber über die Subjektivierungsperspektive erfasst und analysiert werden, so dass der normative Rahmen nicht wegfällt, sondern nur methodisch zurückgestellt wird.
2.2
Eine Heuristik der Integration der Subjektivierungsanalytiken
Nach Martin Saar lassen sich die Prämissen der Subjektivierungsanalytik von Althusser, Foucault und Butler thetisch anhand von neun Punkten darstellen (Saar 2013): Bei Althusser steht die »Subjektproduktion« (ebd.: 18) im Zentrum, nach der erstens das Subjekt in konkreten Prozessen »gemacht« und hergestellt wird, zweitens das Subjekt als der Macht (in Form des anrufenden SUBJEKTs) unterworfenes konstituiert wird und dennoch drittens in dieser Unterwerfung als ›freies‹ Subjekt hervorgebracht wird (vgl. ebd.: 18-20); bei Foucault geht es um die historischen »Subjektgeschichten« (ebd.: 20), so dass das Subjekt viertens als historisches Produkt begriffen werden kann, da Geschichtlichkeit bei Foucault nicht teleologisch, sondern ein dezentriertes und mehrdimensionales ›Werden‹ ist, ist auch das Subjekt fünftens ein Schnittpunkt einer Vielzahl von Bestimmungskräften; sechstens kann aber mit Foucault die Subjektwerdung auch als Prozess gedacht werden, nach welchem das Subjekt nicht nur konstruiert wird, sondern immer zugleich als sich selbst konstituiertes, in Form einer Rückwendung der Macht, die Selbstgestaltungen und -formungen ermöglicht (vgl. ebd.: 20-23); mit Butler kann die Analytik der Subjektivierung durch die Thematisierung der »Subjektkomplikationen« (ebd.: 23) ergänzt werden, nach der sich Subjektivierungen siebtens
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auch im Medium der Sprache und des Körpers vollziehen, achtens die psychische Dimension in der Subjektwerdung miteinbezogen werden muss und neuntens Subjektwerdung mit dem Ziel der Herstellung einer abgeschlossenen Einheit – ein Mit-sich-selbst-identisch-Sein – notwendig scheitern muss, da Momente der Uneindeutigkeit und Nicht-Identität niemals vollkommen abgeblendet werden können (vgl. ebd.: 23-25). Diese Grundprämissen werden in dieser Arbeit geteilt, zugleich soll aber eine andere systematische Kategorisierung vorgenommen und keiner chronologischen Lesart der oben genannten Autor*innen gefolgt werden, das heißt es wird keine aufsteigende Entwicklungslogik der Subjektivierungskonzeptionen behauptet, sondern eine systematisch-ergänzende Lesart vorgeschlagen, auch wenn in der zeitlich geordneten Abfolge die genealogische Entwicklungslinie des Begriffs abgelesen werden kann. Die in Althussers IISA-Aufsatz enthaltene Anrufungstheorie kann dabei als allgemeiner Funktionsmechanismus der Subjektkonstitution gelesen werden. In diesem Aufsatz wird die Ambivalenz dargestellt und der Begriff der Anrufung eingeführt, über den Subjektwerdung als Reaktion und Umwendung sowie als ›Angebot des Werdens‹ erfasst werden kann. Althussers Theorie ermöglicht es, sowohl institutionelle Rituale und konkrete Praktiken im Konstitutionsprozess als auch – über die Begriffe des komplexen Ganzen und der Überdetermination – den gesamtgesellschaftlichen Kontext und die ökonomischen Bedingungen der Subjektwerdung miteinzubeziehen. Die Chance bestünde darin, mit Althusser die materiellen Produktions- und Konstitutionsbedingungen über den Begriff des Ökonomischen wieder konzeptionell in poststrukturalistische Theorieansätze zu integrieren, der in diesen gegenwärtig droht, im Begriff des Politischen unsichtbar zu werden (vgl. Althusser 2011 a, b, c; vgl. Böke 2001; vgl. Charim 2002; vgl. Özselçuk 2013). Die wohl am meisten wertzuschätzende Errungenschaft Althussers besteht jedoch darin, die Bedeutung von psychoanalytischen Aspekten in der Subjektwerdung hervorgehoben zu haben. Auch wenn die in der Althusser-Rezeption vorhandene Tendenz, Althussers Subjektivierungsansatz vor allem als Konzeption der Schließung der Subjektform und -einheit zu lesen, plausibel ist – nicht zuletzt auch weil ein Scheitern des Subjekts und der Miteinbezug des ›Realen‹ von Althusser weitgehend ausgeblendet wird –, kann man gerade mit Althussers Schrift die psychische Dimension und damit auch die Aspekte des Unbewussten und Uneindeutigen im Subjektivierungsprozess beleuchten. Althusser führt die Kategorien des Unbewussten oder Imaginären und damit die Möglichkeit, affektive und identifikatorische Elemente im Prozess
2. Begriffliche Verortung II
der Subjektivierung zu berücksichtigen, ein, wirklich ausformuliert oder differenziert ausgeführt werden die Begriffe jedoch nicht. Dies wirft einige Fragen auf: kann die Althusser’sche Konzeption des Unbewussten gedacht werden, ohne auf essentialistische Kategorien zurückgreifen zu müssen; inwiefern kann der Begriff als sozialpsychologische Kategorie gebraucht werden oder dient dieser nur als Hinweis für die Einbeziehung psychoanalytischer Kategorien; sollte man Althusser nur als Stichwortgeber nehmen und das Unbewusste im Butler’schen Sinne (vgl. Butler 2001) denken – als Bereich des konstitutiven Außen, der abgeblendeten Nicht-Identitäten, die das Subjekt immer wieder heimsuchen werden? Über diese Fragen wird deutlich, dass der Althusser’sche Bezug zu psychoanalytischen Begriffen keineswegs klar umrissen oder entwickelt wurde; deutlich ist nur, dass über ihn – im Gegensatz zu Foucault – der Subjektivierungsprozess in einen direkten Bezug zur Psychoanalyse gestellt werden kann. Mit Foucault soll hingegen darauf verwiesen werden, dass Subjektivierung zwar im Althusser’schen Sinne als allgemeiner Funktionsmechanismus darstellbar, dies jedoch nicht ausreichend ist, da Subjektivierungsprozesse in historischen und konkreten Weisen realisiert werden. Entgegen der ahistorischen Perspektive Althussers kann mit Foucault Subjektivierung als historischer Prozess verstanden werden, nach dem sowohl die Subjektformen als auch die Selbstverhältnisse historisch konkret und variabel sind. Während die sehr grobe Analyse des allgemeinen Funktionsmechanismus bei Althusser Subjektwerdung nur als ahistorischen Herrschaftseffekt erfasst, können mit Foucaults Begriff der Macht und des Dispositivs sehr viel differenzierter auch die unscheinbarsten Aspekte der Machtdurchdrungenheit von Subjekten registriert werden, ohne vorschnell eine analytische Trennung von Herrschaftsund Machtbeziehungen einführen zu müssen (exemplarisch wird dies am Sexualitätsdispositiv deutlich). Als weiterer Aspekt wird bei Foucault über die Funktionsweise der Macht-Wissens-Komplexe die Norm als diskursiver Subjektivierungs- und Normalisierungsmechanismus eingeführt, so dass der Althusser’sche Begriff der Evidenzerzeugung in der Subjektivierung nun konkreter als Prozess der Normalisierung und Naturalisierung erscheinen kann, der wiederum gegenwärtig in Selbstoptimierungsanreizen mündet und als solcher thematisierbar wird. Mit Butler wird es hingegen möglich, die Rolle des Unbewussten – beziehungsweise, mit Lacan gesprochen, des Imaginären – in Althussers Ideologietheorie weiterzuentwickeln und das Imaginäre als Ort, an dem die vollständige Erfassung des Subjekts durch die Macht scheitert, zu betrachten.
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
Mit Butler wird Subjektivierung nicht nur von der Seite der Schließung, sondern auch des möglichen Scheiterns und auch unter ethischen Aspekten betrachtet. Bei ihr werden Anerkennungsbeziehungen und ihre Verletzungen, die Bedeutung von sprachlich-symbolischen Diskursen im Subjektwerdungsprozess und der Ausschluss von Marginalisierten und Uneindeutigkeiten und die Frage, wie diese sichtbar gemacht werden können, in die Subjektivierungsanalytik miteinbezogen. So können wiederum ethische Kategorien in den Konzepten politischer Handlungsfähigkeit und politischen Handelns berücksichtigt werden: Welche Rolle spielen Empathie, Verletzbarkeit, Anerkennungsbeziehungen und Verantwortungsübernahme im politischen Handeln? Und lassen sich aus den historischen und sozialontologischen Bestimmungen des Subjektseins normative und politische Handlungsorientierungen ableiten? Besteht nicht insbesondere bei der strukturformalen Konzeption Butlers die Gefahr, marginalisierte Gruppen vorschnell als normativ schützenswert zu bewerten, nur weil sie in einem vermeintlichen ›Außen‹ stehen? Ist es überhaupt möglich oder theoretisch wünschenswert, das konstitutive Außen in seiner politischen Dimension zu erfassen, und welche Reichweite kann diese Analysekategorie beanspruchen? Aus dieser kurzen schematischen Verortung der drei Autor*innen lassen sich folgende Kategorien, anhand derer eine integrierende Subjektivierungsanalytik entwickelt werden muss, ableiten: Subjektwerdung muss erstens das Unbewusste oder Imaginäre, d.h. ihre psychische Dimension sowie die Verbindung von Subjektwerdung und gesellschaftlich-ökonomischen Bedingungen (Althusser), zweitens ihre Historizität und ihren historisch spezifischen Machteffekt der Normierung und Normalisierung (Foucault) sowie drittens ihr Scheitern und ihre ethischen Anerkennungsbeziehungen (Butler) systematisch und kategorial miteinbeziehen. Integriert man die Elemente in eine Analytik der Subjektivierung, dann kann Subjektwerdung im vollen Sinne – auch unter den Aspekten des Unbewussten, des Affektiven und des Scheiterns – in seiner historischen Konkretion erfasst werden.
3. Subjektivierung bei Louis Althusser
3.1
Das Subjekt der ideologischen Anrufung
Der französische Marxist und Philosoph Louis Althusser (1918-1990) hat weder eine Subjektivierungstheorie im engeren Sinne aufgestellt, noch lässt sich die Thematik der Subjektwerdung durchgängig bei ihm finden.1 Dennoch sollen seine theoretischen Ausführungen zum Begriff der Subjektivierung in dieser Arbeit einen zentralen Stellenwert einnehmen und er soll nicht nur als Stichwortgeber der ›Anrufung‹ fungieren. Bekannt ist Althusser seiner Zeit als Vertreter eines (strukturalen) Marxismus2 geworden und als Theoretiker, der trotz Kritik Zeit seines Lebens Mitglied in der Kommunistischen Partei Frankreichs (PCF) blieb. Während Althusser in der deutschen Rezeption – mit prominenter Ausnahme des Althusser-Herausgebers Frieder Otto Wolf – meist nicht mehr für die marxistische Theorie herangezogen wird, so wird er umso prominenter in der poststrukturalistischen Theorie rezipiert. Theoretiker*innen wie Judith Butler, Chantal Mouffe, Isolde Charim oder Slavoj Žižek haben hierfür den Grundstein gelegt. Gegenwärtig wird insbesondere dem Spätwerk Althussers zum aleatorischen Materialismus und seinem Denken der Kontingenz Beachtung geschenkt. Auch in dieser Arbeit soll Althusser, nicht zuletzt über seinen als ›Schwellentext‹ zu verstehenden Aufsatz Ideologie und ideologische Staatsapparate (IISAAufsatz) (1970), als Theoretiker gelesen werden, der über den ›Umweg‹ seines 1
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Die Rezeption reagierte erst ab den 1980er Jahren auf die Subjektivierungskonzeption bei Althusser. Hierzu beispielsweise Benton (1984), Pêcheux (1984), Eagleton (1993), Elliott (1994), Böke/Müller/Reinfeldt (1994), Ausgabe Nr. 88 der Yale French Studies (1995), Callari/Ruccio (1996), und die Sonderausgaben von Rethinking Marxism 10(3) (1998) und der Zeitschrift KultuRRevolution (1988). Althusser weist einen strukturalistischen Theoriebezug zurück, so dass die Bezeichnung strukturaler Marxismus umstritten bleiben sollte (vgl. Althusser 1975: 63-70).
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
marxistischen Denkens zentrale Elemente des poststrukturalistischen Denkens vorweggenommen und entwickelt hat. Hierzu gehören beispielsweise seine Kritik am Basis-Überbau-Modell, welches er durch eine Topik des komplexen Ganzen ersetzt, seine Kritik am zentralistischen Staatsbegriff, den er durch die ideologischen Apparate zu einem dezentrierten Staatsbegriff erweitert, und nicht zuletzt seine Kritik am autonomen Subjekt, welches er über die Figur der Ambivalenz als dezentriertes, sich selbst nicht transparentes Subjekt entschleiert hat. Mit Didier Eribon sollte jedoch daran erinnert werden, dass der theoretische Antihumanismus Althussers nicht als Kritik an den Menschenrechten missverstanden werden darf (vgl. Eribon 1998: 330f.) – ob man in diesem Sinne auch weiterhin an der Notwendigkeit von universellen Werten festhält oder sie mit Verweis auf den Antihumanismus ablehnt, dürfte zu diskutieren sein. Étienne Balibar weist darauf hin, dass der theoretische Antihumanismus Althussers in Anschluss an Marx aufzeigt, dass die Theorie nicht vom Menschen oder Subjekt, sondern »von der historischen Struktur der gesellschaftlichen Verhältnisse« (Balibar 1988: 8) ausgehen müsse. In dieser Arbeit wird die antihumanistische Position Althussers in diesem Sinne nur als Kritik am autonomen Subjekt verstanden und als Grundstein einer Perspektive gelesen, die die Ambivalenz in der Subjektwerdung aufzeigen kann (vgl. Balibar 1994: 37). Vor diesem Hintergrund lassen sich bei Althusser mindestens drei grundlegende Kategorien für eine Analytik der Subjektivierung finden. Die erste Kategorie bezieht sich auf die konzeptionelle Erfassung von institutionellen und kollektiven Praktiken im Subjektwerdungsprozess. Die in Althussers IISA-Aufsatz enthaltene Ideologietheorie ermöglicht es, in der Betrachtung der Subjektwerdung eine gesamtgesellschaftliche Perspektive einzunehmen, in der Institutionalisierungen unter Berücksichtigung ökonomischer Bedingungen erfasst werden können. So kann mit Althusser darauf aufmerksam gemacht werden, dass Subjektwerdung nicht im luftleeren Raum stattfindet, sondern konkret verortet werden kann: Sie findet permanent in der Einbettung eines jeden Einzelnen in gesellschaftlichen Institutionen und deren Praktiken statt und sie ist wiederum mit historisch konkreten Ausgestaltungen der Institutionen in letzter Instanz, in einer konkret zu analysierenden Weise, auch durch die gegenwärtige kapitalistische Produktionsweise geformt. Die zweite Kategorie bezieht sich auf die wohl bekannteste und meistverwendete Referenz, die in Althussers IISA-Aufsatz gefunden werden kann: die Anrufungstheorie. Es soll gezeigt werden, dass diese nicht isoliert betrachtet
3. Subjektivierung bei Louis Althusser
werden kann, sondern im Zusammenhang mit Althussers Staats- und Gesellschaftsbegriff gelesen werden muss, denn nur so kann diese als allgemeiner Funktionsmechanismus der Subjektkonstitution verständlich werden. Es wird außerdem gezeigt, dass über den Althusser’schen Begriff der Anrufung bereits in den ersten Überlegungen zur ambivalenten Subjektwerdung die Figur der Reflexivität eingeführt, aber nicht genauer ausgeführt wird. Dennoch kann schon bei Althusser deutlich werden, dass Subjektwerdung sich immer auf ein mehr oder weniger zwingendes ›Angebot des Werdens‹ beziehen und somit immer auch die Reaktion und Umwendung begrifflich erfassen muss. Die dritte Kategorie ist von besonderer Bedeutung, denn über sie wird deutlich, warum die bei Althusser entwickelte Konzeption der Subjektivierung auch gegenwärtig noch als eigenständiger Beitrag zum Begriff wertgeschätzt werden kann. Althusser betont wie kaum jemand nach ihm die Bedeutung des Unbewussten und des Imaginären im Subjektivierungsprozess. Und damit einen Aspekt, den insbesondere Butler in ihrer AlthusserInterpretation herausgearbeitet hat, dem aber mit einigen Ausnahmen (beispielsweise: Pêcheux 1984; Žižek 2010; Schütt 2015) weder vorher noch gegenwärtig genügend Beachtung geschenkt wurde. Diese fehlende Berücksichtigung ist aber wahrscheinlich weniger einem theoretischem Desinteresse geschuldet als der konzeptionellen Schwäche, die in Althussers Verwendung des Begriffs des Imaginären zu finden ist. So offensichtlich es sein mag, dass Althusser den Begriff bei Jacques Lacan entlehnt hat, so unklar bleibt, wie dieser konsequent in seine Ideologie- und Anrufungstheorie miteinbezogen werden kann. Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich außerdem dadurch, dass die Subjektivierungsperspektive spätestens seit Foucault eine Perspektive des Außen anstrebt, die, zumindest auf den ersten Blick, einer Perspektive, die auf das Unbewusste und das Imaginäre und damit auf ein Innen zielt, widersprechen muss. Auch wenn dieses Spannungsverhältnis in dieser Arbeit sicher nicht gelöst werden kann, so soll doch eine Lesart vorgeschlagen werden, über die es zukünftig möglich werden kann, den Aspekt des Unbewussten und so eine psychische Dimension in den Subjektivierungsbegriff zu integrieren – und das ›Innere‹ und die ›Innerlichkeit‹ des Subjekts als maßgebliche Bestandteile einer Subjektivierungsanalyse zu begreifen.
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
3.2
Althussers Ideologietheorie – Ideologische Staatsapparate, Institutionen und Subjekte der Praxis
Die Subjektivierungskonzeption der Anrufung wird bei Louis Althusser scheinbar beiläufig im Zuge seines Versuchs, eine allgemeine Theorie der Ideologie zu entwerfen, eingeführt. Bevor man jedoch auf diesen in Althussers berühmtem IISA-Aufsatz entwickelten Anrufungsbegriff und seine Subjektkonzeption eingeht, bietet es sich für ein besseres Verständnis dieser an, zuerst in einen früheren Aufsatz Althussers zu schauen. In Marxismus und Humanismus (1963) definiert Althusser Ideologie als ein »gelebtes Verhältnis der Menschen zu ihrer Welt« (Althusser 2011a: 298; Herv. im Orig.). Mit dieser Definition versucht er sich gegen das klassisch marxistische, an der Deutschen Ideologie (1845/46) von Marx und Engels entwickelte Verständnis von Ideologie als Bewusstseinsform zu wenden (vgl. Althusser 2011a: 297; vgl. Althusser 2010: 71-75). Althusser geht in seinem Aufsatz davon aus, dass die einzelnen Subjekte in der Gesellschaft immer schon ideologisch handeln, da Ideologie auf den alltäglichen und unbewussten Weltbezug der Individuen verweise. Ideologisch sei der Weltbezug nicht, weil er ›falsch‹ ist – er sei keine bloß falsche Vorstellung, die die Menschen von ihrer Welt haben –, sondern weil er die Individuen imaginär, d.h. bildhaft-unbewusst begleitet und sich vielfältig äußern könne: in den alltäglichen Handlungen, Wahrnehmungen, Denkmustern, Praktiken und Ritualen der Subjekte, aber auch in Bewusstseinsformen, in der Kunst, in der Philosophie, in der Musik oder in der Politik. Althusser verschiebt aber schon hier den Begriff der Ideologie vom Reich der Ideen zu einer von den Subjekten gelebten Struktur. Diese gelebte Form des ideologischen Weltbezuges lässt sich in Althussers Worten auch als evidente beschreiben – sie sei offensichtlich, augenfällig, sie bedürfe keines weiteren Beweises, als dass sie unmittelbar ist, so wie sie ist (vgl. Althusser 2010: 38, 50, 85f.). »Die Ideologie ist zwar ein System von Vorstellungen; aber diese Vorstellungen haben in den meisten Fällen nichts mit dem ›Bewusstsein‹ zu tun: sie sind meistens Bilder, bisweilen Begriffe, aber der Mehrzahl der Menschen drängen sie sich vor allem als Strukturen auf, ohne durch ihr ›Bewusstsein‹ hindurchzugehen. Sie sind wahrgenommene-angenommene-ertragene kulturelle Objekte und wirken funktional auf die Menschen ein, aber durch einen Vorgang, der ihnen selbst entgeht.« (Althusser 2011a: 297)
3. Subjektivierung bei Louis Althusser
Demnach könne es auch keine Gesellschaft jenseits von Ideologie geben, da jede Gesellschaftsformation, in der Subjekte zusammen leben und handeln, eine solche Form des vorgeschalteten, unbewussten Weltbezugs konstituieren müsse (vgl. ebd.: 296f.). Dieses Verständnis von Ideologie entwickelt Althusser in seinem 1970 in der Zeitschrift La Pensée publizierten IISA-Aufsatz weiter. Althusser beschäftigt sich in diesem hauptsächlich und vordergründig mit der Frage nach der Reproduktion der Produktionsverhältnisse – oder allgemeiner: mit der Reproduktion der gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen ›wir‹ leben. Im Zuge seiner Ausführungen schlüsselt Althusser auf, dass die Reproduktion über eine ideologische Unterwerfung der Subjekte erfolge, die so zu gesellschaftlich handlungsfähigen oder ›kompetenten‹ Subjekten werden sollen, die ›wissen, wie zu handeln ist‹ (savoir-faire/Know-how), so dass die Evidenz der gesellschaftlichen Ordnung bestehen bleiben könne (vgl. Althusser 2010: 41f.). Um diesen ideologischen Evidenzmechanismus zu verstehen, bedürfe es aber einer genaueren theoretischen Betrachtung der Funktionsweise von Ideologie (vgl. ebd.: 43f.). Hierfür revidiert oder ergänzt Althusser in einem ersten Schritt die theoretische Konzeption von Staat und Gesellschaft, wie sie im marxistischen Basis-Überbau-Modell angelegt ist, um sich dann in einem zweiten Schritt kritisch mit dem Ideologiebegriff der Deutschen Ideologie auseinanderzusetzen.
3.2.1
Das komplexe Ganze und seine Überdetermination
Die theoretische Schwäche des Basis-Überbau-Modells für die Analyse des Zusammenhangs von Gesellschaft, Staat und Ökonomie sieht Althusser darin, dass die Metapher die relative Autonomie des Überbaus – der Instanzen des Juristisch-Politischen und der Ideologie – nicht differenziert genug beschreiben könne (vgl. ebd.: 46). Die Metapher lege ein Bild nahe, nach welchem die Überbau-Instanzen sich nur über das Fundament der Basis, der ökonomischen Produktionsverhältnisse, stützen könnten und ›in letzter Instanz‹ als durch diese determiniert zu verstehen seien (vgl. ebd.: 45f.). Auch wenn Althusser die theoretische Konzeption einer ›Determinierung in letzter Instanz‹ durch die Basis nicht aufgeben will, so reicht ihm diese zur Erklärung der jeweils eigenen Realitäten der Überbau-Instanzen nicht aus – die Metapher bleibe ›beschreibend‹ und könne die komplexen Eigenwirkungen der Instanzen des Rechts, des Staats und der Ideologie nicht erfassen. Es be-
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stehe die Gefahr, dass sie so auf bloße reflexhafte Ableitungsphänomene der Basis reduziert werden. An anderer Stelle führt Althusser aus, dass die Gesellschaft am besten über eine Topik des ›komplexen Ganzen‹ dargestellt werden könne. In seinem Aufsatz Über die materialistische Dialektik. Von der Ungleichheit der Ursprünge (1963) versucht Althusser, in Abgrenzung zur Hegel’schen Dialektik eine Erkenntnistheorie zu entwickeln, nach der die (scheinbar) einfachen Kategorien – wie etwa die der Ideologie – »die Existenz des strukturierten Ganzen der Gesellschaft voraussetz[en]« (vgl. Althusser 2011b: 247). Die begrifflichen Abstraktionen artikulierten in ihrer Einfachheit eine ihnen immanente Struktur: »Das Einfache existiert immer nur in einer komplexen Struktur; die universelle Existenz einer einfachen Kategorie ist niemals ursprünglich, sie erscheint erst am Ende eines langen historischen Prozesses, als Produkt einer äußerst differenzierten gesellschaftlichen Struktur; wir haben es also in der Wirklichkeit niemals mit der reinen Existenz der Einfachheit zu tun, ganz gleich ob sie nun Wesen oder Kategorie ist, sondern mit der Existenz von ›Konkretheiten‹, das heißt von komplexen und strukturierten Entitäten und Prozessen.« (Ebd.: 248; Herv. C.F.) Die Kategorien artikulierten in ihrer Einfachheit die Verdichtungen einer komplexen Struktur, die sich nur in ihren zahlreichen, aber ungleichen Widersprüchen und Beziehungen, d.h. in ihrer Relationalität, erfassen ließen (vgl. ebd.: 259f.). Die einfachen Kategorien, aber auch die ›Wesenheiten‹, sind nach Althusser nichts Anderes als eine Form der immanenten Artikulation der Widersprüche einer Struktur des komplexen Ganzen. Als konkretes Beispiel für eine solche Struktur zieht Althusser die Gesellschaft heran: diese sei nicht als Totalität, sondern als Topik eines komplexen Ganzen zu fassen (vgl. ebd.: 260). Demnach seien die einzelnen Instanzen des Überbaus – Recht, Ideologie und Staat – und die Basis in einer gegliederten Struktur angeordnet, in der wiederum die Ökonomie die Stelle der Dominante einnehme, ohne jedoch, wie Isolde Charim in ihrem Aufsatz Der AlthusserEffekt (2002) betont, im Zentrum der Topik zu stehen (vgl. Althusser 2011b: 261; vgl. Charim 2002: 39). Die Dominante drücke sich zwar in einer ›Determinierung in letzter Instanz‹ aus, sie könne sich aber – aufgrund der relationalen und komplexen Beziehungen der Instanzen untereinander – nur in Form einer Verdichtung und nie in ›Reinform‹ durchsetzen. Althusser versucht mit seiner Topik, an der ›Determinierung in letzter Instanz‹ festzuhalten, ohne die relative Autonomie der anderen Instanzen in Frage stellen zu wollen. Er
3. Subjektivierung bei Louis Althusser
geht davon aus, dass die Struktur des komplexen Ganzen mit Dominante feststehe, aber die Positionen, die Hierarchien, die die einzelnen Instanzen einnehmen, variieren könnten. So bleibe es beispielsweise denkbar, dass die Politik die Stelle der Dominante in der Struktur einnehme, auch wenn die Struktur selbst erhalten bleibe (vgl. Althusser 2011b: 266f.). Die unterschiedlichen und vielfältigen Widersprüche, die sich in den einzelnen Instanzen und ihrer Beziehung zueinander ergeben könnten, sind nach Althusser als die artikulierte Struktur des komplexen Ganzen aufzufassen (vgl. ebd.: 268). Die Komplexität werde also nicht über einen ›einfachen‹ Widerspruch zwischen beispielsweise Arbeit und Kapital ausgedrückt, sondern sie artikuliere sich über ihre überdeterminierten Widersprüche (vgl. ebd.: 261; vgl. Althusser 2011c: 121ff., 128f.). Der von Althusser verwendete Begriff der Überdetermination, den er aus der Psychoanalyse entlehnt, ist für diese Arbeit besonders interessant, da er es erlaubt, die Bedeutung der Ökonomie in die Subjektivierungsanalyse miteinzubeziehen, ohne sie als determinierende Instanz setzen zu müssen. Außerdem verspricht der Begriff durch seinen Bezug zur Psychoanalyse, für die anschließende analytische Betrachtung der imaginären Funktionsweise der Ideologie fruchtbar zu sein. Es ist jedoch nicht leicht darzustellen, wie Althusser den Begriff gebraucht. Bei Laplanche und Pontalis, in Vokabular zur Psychoanalyse (1972), wird der Begriff am Beispiel des Symptoms oder des Traums erläutert. So können in einem Symptom mehrere und verschiedene traumatische Ereignisse wirksam sein; es muss nicht auf eine bestimmte Ursache zurückgeführt werden können, es gibt nicht nur den einen vorrangigen Ursprung des Symptoms (vgl. Laplanche/Pontalis 1972: 545). Auch der Traum kann in seiner Gesamtheit überdeterminiert sein, d.h. es können sich in diesem mehrere und unterschiedliche Inhalte zu einem Knotenpunkt der Bedeutung verdichten, so dass zugleich mehrere Bedeutungen nebeneinander, aber in einem Traum, in einer vorgeschalteten Bedeutung, artikuliert vorkommen können (vgl. ebd.). Überträgt man dieses Verständnis der Überdetermination auf die Widersprüche im komplexen Ganzen, so realisiert sich im überdeterminierten Widerspruch nicht die eine wirkende und determinierende Instanz der Ökonomie, sondern die vielfältigen Widersprüche der Instanzen und ihrer Beziehungen (vgl. zur Überdetermination auch: Böke 2001). Nach Althusser ist zwar, wie im marxistisch-dialektischen Denken, der Widerspruch als die Triebkraft der gesellschaftlichen Transformation aufzufassen, allerdings ist dieser nicht auf den grundlegenden Widerspruch zwischen Arbeit und
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
Kapital in der Basis zurückzuführen, sondern auf eine historisch entstehende Kräftekonstellation, die sich in einem überdeterminierten Widerspruch ›explosiv‹ äußern könne, so dass das Ganze transformiert bzw. revolutioniert werde (vgl. Althusser 2011b: 275).3 Nach diesem Verständnis könnte sich beispielsweise eine Transformation der bestehenden Gesellschaftsformation über den überdeterminierten Widerspruch zwischen der Geschlechterordnung und der demokratischen Gesellschaftsorganisation konstituieren – in diesem wären dann aber zugleich andere Widersprüche wie der zwischen Geschlecht und Kapital, Arbeit und Kapital, Politik und Ökonomie enthalten und in der explosiven Transformation (mit-)artikuliert. Über den Begriff der Überdetermination soll es nach Althusser ermöglicht werden, die Bedeutung der Ökonomie für die kapitalistische Gesellschaftsformation als Dominante in der Struktur zu denken, ohne den Überbau reduktionistisch als Ableitungsphänomen setzen zu müssen. Die gesellschaftlichen Transformationen können demnach auch über die Widersprüche in den Überbau-Instanzen entstehen; es ist nicht der Hauptwiderspruch in der Basis, der der gesellschaftlichen Umwälzung vorausgehen muss. Diese theoretische Konzeption kann die Bedeutung der (Klassen-)Kämpfe im Überbau – in den juristischen, den staatlichen und den ideologischen Instanzen – betonen. Dies hat weitreichende Konsequenzen für das Verständnis der gesellschaftlichen Transformationen, denn über die Neubewertung des Überbaus werden die Subjekte nicht nur als Träger der Arbeitskraft, sondern auch als aktive, aber ideologisch handelnde Subjekte4 verstanden, die den Kampf um die gesellschaftliche Reproduktion in den verschiedenen Instanzen austragen – und austragen müssen, wenn sie etwas verändern wollen. Der Motor der Geschichte wird nach Althusser nicht durch einen entper-
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»Zwar ist der grundlegende Widerspruch, der diese Zeit beherrscht (in der Revolution ›auf der Tagesordnung‹ steht), in allen diesen einzelnen ›Widersprüchen‹ und bis in ihre ›Verschmelzung‹ hinein aktiv. Aber man kann nicht einfach behaupten, dass diese ›Widersprüche‹ und ihre ›Verschmelzung‹ nur dessen ›reine Erscheinung‹ seien. Denn diese ›Umstände‹ oder die ›Strömungen‹, die sie zur Vollendung treiben, sind mehr als die reine und schlichte Erscheinung dieses Grundwiderspruchs.« (Althusser 2011c: 120) Wie im Folgenden noch deutlich werden wird, scheint ein aktiv ideologisches Handeln in der Ideologiekonzeption Althussers einen Widerspruch darzustellen, da das ideologisch handelnde Subjekt passiv vom ideologischen Staatsapparat getrieben zu sein scheint. Wie aber noch zu zeigen sein wird, handelt das Subjekt in der Ideologie dennoch aktiv, da es in einem ambivalenten Sinne in der Unterwerfung zum ›freien‹ Subjekt wird.
3. Subjektivierung bei Louis Althusser
sonalisierten Widerspruch, der historisch eingelöst werden muss, sondern maßgeblich über das gesellschaftliche Handeln der Subjekte in den Instanzen angetrieben.5 So überzeugend jedoch der Versuch Althussers ist, über die Topik das ökonomistische Hauptwiderspruchsdenken zu überwinden, so wenig kann er erklären, warum diese Topik eine ahistorische Gültigkeit beanspruchen sollte. Laclau und Mouffe (1991) kritisieren, dass Althussers eigener Begriff der Überdetermination konsequent betrachtet die ›Determinierung in letzter Instanz‹ in Frage stellen müsse. Nehme man den Begriff ernst, könne es keine Instanz geben, die die Stelle der Dominante besetze, da sonst immer ein letzter, die anderen Instanzen bestimmender Grund angenommen werden müsste (vgl. Laclau/Mouffe 1991: 45ff.). Meines Erachtens ist diese Kritik aber nur teilweise treffend. Denn einerseits bleibt Althusser eine Erklärung schuldig, wieso es immer eine dominante Instanz geben muss, andererseits kann die Topik des komplexen Ganzen mit Dominante für die Analyse der kapitalistischen Gesellschaftsformation passend sein. Demnach lässt sich die Ökonomie in jedem der einzelnen gesellschaftlichen Phänomene als wirksame Instanz entdecken, ohne jedoch behaupten zu müssen, dass die Phänomene über diese eine Instanz hinreichend erklärt wären oder auf diese zurückgeführt werden könnten. Sie sind in der Analyse als überdeterminierte zu betrachten. Sie haben eine eigene, von den ökonomischen Gesetzmäßigkeiten zu unterscheidende Realität und Rationalität – sie sind aber auch nicht unabhängig von diesen zu verstehen. Dennoch wäre es falsch, eine mögliche Utopie, nach der die Struktur des komplexen Ganzen in eine Struktur ohne Dominante transformiert oder nach der die Instanzenaufteilung selbst aufgelöst werden könnte, mit der Analyse der bestehenden Gesellschaft zu verwechseln. Althussers begriffliches Instrumentarium kann nicht mehr als dazu dienen, die Funktionsweise der bestehenden Gesellschaftsformation – und damit auch die Möglichkeit der Transformation dieser – erfassen zu können. 5
Dieser Punkt widerspricht dem Mainstream der Althusser-Interpretationen, in welchem nicht zu Unrecht betont wird, dass das Subjekt in den Strukturen aufgeht, so dass nur von einem »Prozeß ohne Subjekt« (Badiou 2003: 73) gesprochen werden kann. In dieser Arbeit wird jedoch – auch gegen Althussers eigene Intention – betont, dass das Subjekt als Träger der Struktur diese nicht nur passiv reproduzieren muss, sondern auch aktiv als ›Transformateur‹ der Struktur auftreten kann. Wie noch zu zeigen sein wird, erfordert der Akt der Transformation, wenn er sich auch auf die Strukturen und nicht nur das Sein des einzelnen Subjekts beziehen will, ein kollektives bzw. politisches Subjekt.
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3.2.2
Ideologische Staatsapparate
Um seinem eigenen theoretischen Anspruch gerecht zu werden, versuchte Althusser in seinem großen Manuskript, aus welchem der Auszug des IISAAufsatzes stammt und das 1995 posthum unter dem Titel Sur la reproduction in Frankreich und 2012 in deutscher Übersetzung veröffentlicht wurde, die Überbau-Instanzen Recht, Staat und Ideologie gemäß ihrer relativen Eigenwirkungen zu analysieren.6 Während im großen Manuskript die Analyse der drei Instanzen enthalten ist, wird diese in seinem IISA-Aufsatz zwar angekündigt, jedoch nicht ausgeführt, so dass hier nur die theoretischen Überlegungen zum Staats- und Ideologiebegriff zu finden sind (vgl. Althusser 2012: 94; 2010: 47). Ob diese Entscheidung einen theoretischen Stellenwert für Althusser hatte, ob er die anderen Thesen verworfen hat oder nur nicht mehr als genügend gewichtig ansah oder sie zu einem späteren Zeitpunkt noch veröffentlichen wollte, muss an dieser Stelle unklar bleiben, da das große Manuskript von Althusser nie zur Veröffentlichung autorisiert wurde (vgl. ebd.: 10, 318).7 Für diese Arbeit, die sich wesentlich auf die in der Ideologie- und Anrufungstheorie enthaltene Subjektivierungskonzeption konzentriert, sind die Ausführungen zum Staatsbegriff auch nur hinsichtlich der von Althusser vorgenommenen Erweiterung interessant, die es ermöglicht, den Staat nicht nur als repressive Instanz zur Sicherung der Klassenherrschaft zu denken, sondern als dezentrierte Instanz, die sich maßgeblich auch über die Subjektivitäten realisiert. Nach Althusser setzt der Staat sich aus zwei sich ergänzenden, aber auch im Widerspruch stehenden Realitäten zusammen: dem repressiven Staatsapparat (Armee, Polizei, Militär, Verwaltung) und den ideologischen Staatsappa-
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Nach Frieder Otto Wolf, der die Gesammelten Schriften Althussers herausgibt, wurde das große Manuskript im Rahmen des Forschungsprojekts zur Frage der ›Reproduktion der Produktionsverhältnisse‹ erstellt. Dieses Projekt umfasste u.a. die Frage nach dem Wirken und der Funktionsweise der ideologischen Staatsapparate, insbesondere den der katholischen Kirche (vgl. Althusser 2012: 9-12). Der 1970 veröffentlichte IISAAufsatz wurde von Althusser aus diesem großen Manuskript ausgekoppelt. Der Herausgeber Frieder Otto Wolf geht im Nachwort der deutschen Veröffentlichung des großen Manuskripts davon aus, dass Althusser dieses verworfen hat (vgl. Althusser 2012: 318-319). Étienne Balibar, der zum Forschungsverbund Althussers an der École Normale Supérieure dieser Zeit gehörte, wies außerdem darauf hin, dass der Forschungsverbund um Althusser sich inhaltlich und politisch nicht einigen konnte (vgl. ebd.: 310).
3. Subjektivierung bei Louis Althusser
raten, die wiederum aus einer Vielzahl an Apparaten und Institutionen bestehen, die konflikthaft und widersprüchlich zueinander stehen können (religiöser, schulischer, familialer, politischer, kultureller ideologischer Staatsapparat) (vgl. Althusser 2010: 54f.).8 Die Apparate funktionieren Althusser zufolge jeweils in erster Linie auf den ihnen entsprechenden ideologischen oder repressiven Funktionsweisen, sie ergänzen sich in diesen jedoch auch – so funktioniert die Schule in erster Linie zwar »›durch den Rückgriff auf Ideologie‹« (ebd.: 56; Herv. im Orig.), das bedeute jedoch nicht, dass hier nicht auch Formen des Zwangs oder der Gewalt wirksam werden können (vgl. ebd.: 57). Dieser erweiterte Staatsbegriff Althussers ist nicht zuletzt deshalb interessant, da er es zum einen ermöglicht, die starre Sphärentrennung zwischen ›öffentlich‹ und ›privat‹ zu hinterfragen – denn auch die Familie ist in ihrer Privatheit Teil des Öffentlichen und auch die Schule ist als öffentliche Institution eingebunden in das Private –, zum anderen kann der Staat so auch als Instanz verstanden werden, die den (Bürger*innen-)Subjekten nicht bloß (repressiv) gegenübersteht, sondern die auch über die verschiedenen gesellschaftlichen Institutionen maßgeblich von ihnen getragen und in ihrem Funktionieren (re-)produziert wird. Jedoch besteht auch die Gefahr, dass die Althusser’sche erweiterte Staatskonzeption als ›etatistisch‹ verstanden und jegliches gesellschaftliches Handeln unsichtbar oder abgewertet wird (vgl. hierzu Badiou 2003: 76). So verweist Althusser in seiner Konzeption der ideologischen Staatsapparate zwar auf Gramscis Begriff der Zivilgesellschaft (vgl. Gramsci 1991: 1497-1506, Heft 12 §1), kritisiert diesen aber zugleich, da seiner
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Das Verhältnis der einzelnen Institutionen zu den jeweiligen ideologischen Staatsapparaten ist bei Althusser nicht eindeutig definiert, jedoch ist es wahrscheinlich, dass einzelne Schulen als Institutionen zu begreifen sind, während ›die Schule‹ im Allgemeinen als ideologischer Staatsapparat zu sehen ist (vgl. Althusser 2012: 120f.). Althusser betont in seinem Manuskript Sur la reproduction auch, dass die einzelnen Institutionen sich nicht auf die Ideologie reduzieren lassen, sondern ihr vielmehr nur als ›Träger‹ dienen (vgl. ebd.: 122f.). Allerdings trifft Althusser hier auch noch eine Unterscheidung zwischen einer Staatsideologie – deren Struktur und Funktionsweise im IISA-Aufsatz über die allgemeine Theorie der Ideologie erklärt werden soll – und den besonderen Ideologien der einzelnen Institutionen oder auch ideologischen Staatsapparate, wie etwa einer schulischen Ideologie, die er nur als »sekundäre, untergeordnete Ideologie« (ebd.: 128) versteht. Diese Trennung ist auch im IISA-Aufsatz als die Unterscheidung zwischen den besonderen und der allgemeinen Ideologie(n) enthalten, aber weniger deutlich unterschieden.
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Konzeption nur eine richtige Intuition, aber keine ausreichende Systematisierung zugrunde liege – ohne diese Kritik weiter zu erläutern (vgl. Althusser 2010: 53). Doch gerade der Begriff der Zivilgesellschaft kann als Korrektiv gegenüber Althussers Konzeption der ideologischen Staatsapparate dienen. Der Begriff der Zivilgesellschaft verdeutlicht die Aktivität der (Bürger*innen-)Subjekte, während der Begriff der ideologischen Staatsapparate suggeriert, dass es kein Handeln jenseits des Staates geben könne. Liest man allerdings die Althusser’sche Konzeption unter Bezugnahme auf Gramsci, so kann man das Handeln der Subjekte in den ideologischen Staatsapparaten als gesellschaftlich konstitutives Handeln verstehen, welches in allen Institutionen – unabhängig davon, ob sie als öffentlich oder privat gekennzeichnet wurden – stattfindet. So wird man letztlich auch Althussers Intention gerecht, über den erweiterten Staatsbegriff den Klassenkampf im Überbau angemessen berücksichtigen zu können. Wieder in Anlehnung an Gramsci formuliert, findet in den verschiedenen gesellschaftlichen Institutionen – in der Schule, in der Gewerkschaft, in der Familie, in der Kirche, aber auch im Sport und in den Medien – der Kampf um die Hegemonie in den Apparaten und somit letztlich auch in der und um die Ideologie statt: »Nach unserem Wissen kann keine Klasse dauerhaft die Staatsmacht in Besitz halten, ohne zugleich ihre Hegemonie über und in den Ideologischen Staatsapparaten auszuüben.« (ebd.: 58; Herv. im Orig.) Althussers Ideologiekonzeption ist somit zugleich pessimistisch wie optimistisch in Bezug auf die Frage nach der Möglichkeit der Transformation der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse. Denn einerseits geht Althusser mit den ideologischen Staatsapparaten davon aus, dass die herrschende Ideologie durch jede Institution hindurchläuft und geradezu überall – unter dem Deckmantel der Evidenz kaum sicht- und hörbar – weitergetragen wird, so dass die einzelnen Subjekte in der Institution gegenüber diesem ideologischen Block ohnmächtig bleiben müssen. Andererseits geht Althusser aber auch davon aus, dass durch die Eigenlogik der verschiedenen Institutionen Widersprüche und Spannungsverhältnisse entstehen können, die ein reibungsloses Funktionieren der herrschenden Ideologie verhindern oder behindern können (vgl. ebd.), so dass auch den handelnden Subjekten in den Institutionen Rechnung getragen werden kann.
3.2.3
Althussers Ideologietheorie
Mit diesem ambivalenten Grundton im Hinterkopf kann man auch den Entwurf der Ideologietheorie im IISA-Aufsatz genauer betrachten. Wie bereits
3. Subjektivierung bei Louis Althusser
erwähnt, erhebt Althusser hier den Anspruch, eine allgemeine Theorie der Ideologie aufzustellen, da nach Althusser eine solche im marxistischen Denken nicht aufzufinden sei (vgl. ebd.: 71). Er versucht, mit seiner Theorie zwei grundlegende Abgrenzungen hinsichtlich der herkömmlichen epistemologischen Ideologiebegriffe vorzunehmen: Erstens soll die Theorie den allgemeinen Funktionsmechanismus der Ideologie erklären können und keine Theorie der besonderen Ideologien wie etwa der Wissenschaften oder der Philosophie sein (vgl. ebd.: 72ff.). Die Ideologietheorie soll nach Althusser nicht die Entstehung konkreter Ideologien, sondern den allgemeinen ideologischen Funktionsmechanismus erklären und so eine ahistorische Gültigkeit beanspruchen. Zweitens – und dieser Punkt ist nicht ohne Weiteres einsichtig – soll die Theorie sich nicht hauptsächlich auf Bewusstseinsformen, auf falsche, illusionäre oder allusionäre Vorstellungen beziehen, sondern auf eine materielle Existenzweise, in der das ideologisch-imaginäre Verhältnis der Individuen zur Welt ein gelebtes Verhältnis bezeichnet (vgl. ebd.: 75).9 Der Vorteil des ›weiten‹ Ideologiebegriffs besteht darin, erfassen zu können, dass Subjekte auch dann ideologisch handeln, wenn es ihnen nicht bewusst ist. Sie müssen ihre Handlungen nicht im Bewusstsein reflektieren, um die Ideologie als solche zu reproduzieren. Bei Marx und Engels in der Deutschen Ideologie bezeichnet Ideologie hingegen die verkehrte Vorstellung, die die
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Die starre Entgegensetzung zwischen einem herkömmlichen epistemologischen Ideologiebegriff, der sich auf Bewusstseinsphänomene bezieht, und einem praxeologischen Ideologiebegriff, der sich auf das institutionelle oder alltägliche Handeln bezieht, ist auch bei Althusser nicht zu finden (vgl. Althusser 2012: 222f.). Das Handeln der Subjekte in den Apparaten und der Selbstbezug der Subjekte als autonome betrifft maßgeblich auch das Bewusstsein. Schaut man in das große Manuskript Althussers, Sur la reproduction, fällt diese im IISA-Aufsatz durchaus vorhandene Trennung zwischen Bewusstsein und Praxis noch viel schwammiger aus, denn hier spricht Althusser sehr oft von einer ideologischen Bewusstseinsbildung (vgl. ebd.: 13). Außerdem lassen sich hier auch noch mehrere Textstellen finden, in denen er die Ideologie als »bloße Illusionen und Betrügereien« (ebd.: 76), als »Mystifikation« (ebd.: 68) oder als »reine und schlichte Illusion« (ebd.: 67) bezeichnet. Die starre Trennung zwischen Praxis und Episteme geht meines Erachtens mit seiner Fehlinterpretation des Ideologiebegriffs in der Deutschen Ideologie einher, nach der Althusser Ideologie bei Marx und Engels nur als ein Reflex der Basis versteht. Auch sein misslicher Versuch, einen starken epistemologischen Einschnitt bei Marx zu finden, und die darauffolgende starke Trennung zwischen Ideologie und Wissenschaft werden seinem eigenen Ideologiebegriff nicht gerecht, der sehr wohl die Verbindung und Vermittlung zwischen Bewusstseinsformen und Praxis erfassen kann.
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Individuen von ihren materiellen Existenzbedingungen haben. Dieses Ideologieverständnis ist aber komplexer, als Althusser es in seinem Aufsatz darstellt. Die Individuen begreifen sich nach Marx und Engels in ihrer (ideologischen) ›Kopfarbeit‹ – als Richter*innen, als Philosoph*innen, als Schriftsteller*innen – als unabhängige und freie. Zum einen seien sie dies, da sie ›frei‹ von Handarbeit ihrer Tätigkeit nachgehen könnten. Zum anderen sei diese Freiheit aber eine verkehrte, da die Individuen diese nur durch das Vorhandensein einer ausgebeuteten Klasse hätten, die die Handarbeitstätigkeiten übernehme. In ihren Ideologieproduktionen würden die Subjekte diese Voraussetzung aber ausblenden. Die Verkehrung sei keine bloße Illusion, da die materiellen Bedingungen (Arbeitsteilung, Privateigentum) es überhaupt erst ermöglichen würden, die Ebene der Ideen als autonome begreifen zu können.10 Marx und Engels verweisen also in ihrem Verständnis von Ideologie darauf, dass sowohl die Herrschaft als auch der Inhalt der Ideen keine reinen Bewusstseinsphänomene – die Ebenen sind nicht autonom –, sondern aus ihren historischen Lebensbedingungen hervorgehend zu betrachten sind. Jedoch kann man durchaus Althussers Hinweis ernst nehmen, dass die Ideologie so nicht als relativ autonome Realität begriffen werden könne. Die Formulierung des ›Reflexes‹ und des ›Echos‹ legen ein solches Verständnis nahe (vgl. Marx/Engels 1969: 26). Dieser kurze Verweis auf Marx und Engels zeigt jedoch, welche Abgrenzung Althusser mit seinem Ideologiebegriff versucht vorzunehmen. Um der relativen Autonomie des Überbaus gerecht zu werden, schreibt er der Ebene der Ideologie eine eigene Materialität zu. Diese Materialität sieht er in den Praktiken der ideologischen Staatsapparate produziert und realisiert. Die Materialität der Ideologie bezieht sich somit nicht mehr wie bei Marx und Engels auf das Produktionsverhältnis der Basis, sondern auf die Reproduktion der Basis durch die Ideologie, die durch die Einbettung in die Praktiken der Subjekte eine eigene materielle Existenzweise erhalte. Insbesondere die
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»Die Teilung der Arbeit wird erst wirklich Teilung von dem Augenblicke an, wo eine Teilung der materiellen und geistigen Arbeit eintritt. Von diesem Augenblicke an kann sich das Bewußtsein wirklich einbilden, etwas Andres als das Bewußtsein der bestehenden Praxis zu sein, wirklich etwas vorzustellen, ohne etwas Wirkliches vorzustellen – von diesem Augenblicke an ist das Bewußtsein imstande, sich von der Welt zu emanzipieren und zur Bildung der ›reinen‹ Theorie, Theologie, Philosophie Moral etc. überzugehen.« (Marx/ Engels 1969: 31f.; Herv. C.F.)
3. Subjektivierung bei Louis Althusser
erste These und Abgrenzung in Althussers Versuch, eine Theorie der Ideologie im Allgemeinen aufzustellen, überrascht, denn so verständlich es ist, dass die Ideologie gemäß ihrer relativen Autonomie und Eigenwirkung mehr sein soll als eine »pure Illusion, als ein reiner Traum, als ein Nichts« (Althusser 2010: 72f.), so wenig nachvollziehbar ist es, warum sie »eine Struktur und eine Funktionsweise hat, die sie zu einer nichthistorischen, d.h. zu einer omnihistorischen Realität machen« (ebd.: 74; Herv. im Orig.), und wie es zu verstehen ist, dass »[d]ie Ideologie [.] ewig [ist], ebenso wie das Unbewusste ewig ist.« (ebd.; Herv. im Orig.). Erinnert man sich jedoch daran, dass Althusser mit Ideologie das alltägliche und evidente Handeln der Subjekte fassen will, welches wiederum in den verschiedenen Institutionen der ideologischen Staatsapparate stattfindet, so bedeutet diese These nicht mehr, als dass die Subjekte immer schon in ihnen vorgängige gesellschaftliche Strukturen eingebettet sind, denen sich kein einzelnes Subjekt entziehen kann und die es im gesellschaftlichen Zusammenleben, in den Institutionen, reproduziert, da es sich als bewusstes und freies Subjekt erfährt.11 Gemäß Althussers zweiter These bezeichnet die Ideologie ein materielles Verhältnis: »Eine Ideologie existiert immer in einem Apparat und in dessen Praxis oder dessen Praktiken. Diese Existenz ist materiell.« (ebd.: 80) Der Begriff der Materialität bedeutet hier, dass etwas als Realität wirksam wird. Es wird keine substanzielle Realität damit bezeichnet, sondern vielmehr kann Althussers Begrifflichkeit auch hier in Anlehnung an die Psychoanalyse verstanden werden und darauf verweisen, dass auch das Symptom oder der Traum materiell sein können, wenn diese sich im Verhalten, im Denken, in den Wahrnehmungen, im Handeln der Subjekte als wirksame Realität wiederfinden. Der Althusser’sche Materialitätsbegriff verweist also nicht, wie in der marxistischen Tradition, auf die materiellen Produktionsverhältnisse, sondern auf eine Form der Wirksamkeit oder Realisierung von materiellen 11
Althussers Ideologiebegriff ist aufgrund seiner These der Ahistorizität als ›neutraler‹ und nicht als pejorativer Begriff lesbar. Dennoch fasst Althusser die kapitalistische Ideologie als negativ und möchte sie durch eine proletarische Ideologie, die auf den Kommunismus verweist, abgelöst sehen. Die konkreten Ideologien könnten so als pejorative und die Ideologie im Allgemeinen als neutrale verstanden werden. Dies ergibt aber nur Sinn, wenn man die Ideologie im Allgemeinen in ihrer historischen Konkretion fasst und so immer auf ihre konkrete Form bezieht, so dass eine normative Wertung möglich sein kann. Aktuelle Interpretation betonen gerade den Aspekt der Ahistorizität der Ideologie bei Althusser und setzen den Begriff in die Nähe des Foucault’schen Machtbegriffs (s. Charim 2002).
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Verhältnissen – und damit für Althusser dennoch auf die Reproduktion der Produktionsverhältnisse. Althusser betont jedoch, dass die Ideologie sich als materielle Realität nur realisieren könne, wenn die Subjekte sich gemäß dieser verhalten (vgl. ebd.: 80f.). Er geht sogar so weit und streicht den Begriff der Idee und das Kausalverhältnis zwischen einem Subjekt, welches eine Idee hat und diese in seinem Handeln umsetzt, und versteht dieses Kausalverhältnis als ideologisches Verhältnis. Die Ideologie realisiere sich nicht zweitrangig über ein willensfreies und autonomes Subjekt, welches sich frei dafür entscheide, zu glauben und danach zu handeln, sondern über die Subjekte, die, ohne dass es ihnen bewusst sein müsse, durch den ideologischen Apparat zum Handeln bewegt würden.12 »Es tritt also klar hervor, dass das Subjekt handelt, insofern dies durch das folgende System bewirkt wird (das wir hier in seiner realen Ordnung von Bestimmungen aufführen): durch eine Ideologie, die innerhalb eines materiellen ideologischen Apparates existiert, materielle Praktiken vorschreibt, welche durch ein materielles Ritual geregelt sind, wobei diese Praktiken wiederum in den materiellen Taten eines Subjektes existieren, das mit vollem Bewusstsein seinem Glaube entsprechend agiert.« (Ebd.: 84) Althusser setzt den Begriff der Handlung in einen institutionellen Kontext, so dass die einzelnen Handlungen bzw. Taten der Subjekte nur als Praktiken verstanden werden können. Der Unterschied zwischen der Handlung bzw. Tat und den Praktiken liegt für Althusser darin, dass Erstere auf ein willensfreies Subjekt verweisen (Ideologie der Ideologie) und Letztere auf die Subjektform, nach der auch einzelne Handlungen nur als in kollektive Rituale eingebettete Taten verstanden werden können. Das autonome und vereinzelte Subjekt der Tat und Handlungsfähigkeit ist nach Althusser selbst nur ein imaginärer – im Selbstbild und -verständnis des Subjekts enthaltener – Inhalt der Ideologie. Das Subjekt ist in seinen einzelnen Handlungen nicht autonom, sondern es wird durch kollektive Rituale und Praktiken geleitet, die wiederum in die ideologischen Staatsapparate eingebettet sind. Die Begriffe der Praxis und des Rituals verweisen darauf, dass die Handlungen der Subjekte in den Institutionen ritualisiert, das heißt über die 12
Durch dieses Zitat wird die Passivität im Prozess der ideologischen Subjektkonstitution betont, die erst wieder über den Begriff der Anrufung zu einem aktiven Verhältnis werden kann.
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Übung der geregelten und geordneten Abläufe, immer wieder vollzogen und wiederholt eingesetzt und bestätigt werden müssen. Praktiken und Rituale konstituieren so auch die Subjekte der Institution, sie formen und bilden sich an der institutionellen Ordnung – sie sind evident und begleiten uns bildhaft-unbewusst. Aber auch hier findet sich die Vorstellung wieder, dass die Subjekte immer schon ideologisch handeln würden, da es kein Außerhalb des staatlichen oder, in einem abgeschwächten Sinne formuliert, gesellschaftlichen Handelns geben könne, so dass Althusser über den Begriff des kollektiven Handelns, der Praxis, zugleich die Begriffe Ideologie und Subjekt kurzschließt: »1 – Es gibt Praxis nur durch und unter einer Ideologie. 2 – Es gibt Ideologie nur durch das Subjekt und nur für Subjekte.« (Ebd.)
3.2.4
Subjekte der Praxis
Althussers Ideologietheorie kann zugleich als Theorie der Subjektivierung gelesen werden: als Subjektkonstitution, die in den ideologischen Apparaten, über die kollektiven Praktiken in den Institutionen stattfindet und die Subjekte dieser Praktiken konstituiert. Die Subjekte verstehen sich aber in ihrem ideologischen und imaginären Verhältnis zur Welt als autonome, als Subjekte, die unabhängig von den kollektiven Strukturen handeln und ihre Ideen frei umsetzen. Aber auch mit dieser Konzeption Althussers lassen sich einzelne Subjekte der Tat erfassen, jedoch weist er darauf hin, dass diese einzelnen Handlungen auch in ihrer Vereinzelung und Individualität als in den kollektiv-gesellschaftlichen Rahmen eingebettete verstanden werden müssen. Insbesondere am Beispiel der Institution der Schule führt Althusser aus, dass die institutionelle Ordnung nicht nur Wissen im Sinne einer technischen Fähigkeit vermitttele, sondern die Schüler*innen vor allem mit der Kompetenz ausstatte, sich gemäß ihrer Klassen- bzw. Subjektposition zu führen. »Daneben und auch bei Gelegenheit dieses Erlernens von Techniken und Kenntnissen lernt man auf der Schule die ›Regeln‹ des anständigen Betragens, d.h. desjenigen Verhaltens, das jeder Träger der Arbeitsteilung einhalten muss, je nach der Position, welche ihm darin einzunehmen ›bestimmt‹ ist: Regeln der Moral, des staatsbürgerlichen und beruflichen Bewusstseins, was im Klartext heißt: Regeln der Beachtung der gesellschaftlich-technischen Arbeitsteilung und damit letztlich auch Regeln der durch die Klassenherrschaft etablierten Ordnung.« (Althusser 2010: 42f.; Herv. C.F.)
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Sie können sich ›gehorsam‹ und ›ermächtigt‹ in die institutionelle und gesellschaftliche Ordnung einfügen – sie nehmen den Platz ein, der für sie vorherbestimmt war. Sie wissen, wie gemäß ihrer Subjektposition zu handeln ist (savoir-faire) (vgl. ebd.: 41-44). Es wird deutlich, dass die Beherrschung der Regeln, das Handeln-Können (agency) eng verwoben ist mit der Unterwerfung unter die etablierte Ordnung. Auch wenn Althusser die ambivalente Bewegung zwischen Unterwerfung und Ermächtigung stark behavioristisch und deterministisch beschreibt, lässt sich diese auch als dynamischer Prozess beschreiben. Die Einnahme der Klassenposition kann allgemeiner als Einnahme einer Subjektposition gelesen werden. Subjektivierung beschreibt dann den Prozess der Einübung und kollektiven Praxis – die Subjekte werden in einem ambivalenten Prozess über die Rituale und Praktiken in den Institutionen zum einen den Regeln der Institution unterworfen, aber in diesem Unterwerfungsprozess zugleich als handlungsermächtigte Subjekte hervorgebracht. Dieser Prozess bildet sowohl das einzelne Subjekt als auch über das Ritual ein (Kollektiv-)Subjekt. Im Subjektivierungsprozess lernen sie, wie gemäß der bestehenden Ordnungen und Regeln richtig und kompetent zu handeln ist. Der Begriff des savoir-faire oder Know-hows – der nur sehr umständlich mit ›Wissenwie-zu-handeln-ist‹ übersetzt werden kann – verweist darauf, dass die ambivalente Unterwerfung und Ermächtigung in der Subjektivierung nicht nur ein praktischer Prozess, sondern ein in der Übung immer zu wiederholender Akt ist. Der Zusammenhang sowohl zwischen Ideologieproduktion und Praxis als auch zwischen Gesellschaft und Praxis sollte deshalb, um die deterministische Konnotation zu vermeiden, über Althusser hinausgehend stärker die Lücke zwischen den in den Ritualen und Praktiken handelnden Subjekten und die dadurch entstehende Reproduktion und Konstitution der Strukturen berücksichtigen. Zum einen ist das einzelne handelnde Subjekt immer ›mehr‹ als das in Ritualen und Kollektiven handelnde Subjekt. Es produziert in seinem individuellen Handeln und Sein immer einen Überschuss. Es geht nicht in der Struktur auf. Zum anderen sind die Struktur, die Institutionen und die reproduzierten Ordnungen immer ›mehr‹ als die Summe der einzelnen handelnden Subjekte. Die Institutionen und Ordnungen brechen nicht einfach zusammen, wenn einzelne Subjekte ausscheren und anders handeln, die Strukturen ziehen ihre Kraft auch aus einem vergangenen Handeln und einem Funktionszusammenhang, der institutionenübergreifend wirksam ist. Die praxeologische Perspektive Althussers betont allerdings,
3. Subjektivierung bei Louis Althusser
dass Strukturen, Institutionen, Ordnungen und Ideologien keine homogenen ›Blöcke‹ sind, da sie sich über die sozialen Praktiken der Subjekte realisieren, die mit ›Überschüssen‹, Widersprüchen und widersprüchlichen Relationen einhergehen können.13 Verbindet man diese praxeologische Konzeption mit Judith Butlers Begriff der Performativität 14 , dann könnte außerdem betont werden, dass der Prozess über ritualisierte und wiederholte Handlungsabläufe stattfindet und den Körper in seiner Gesamtheit umfasst. So könnte gezeigt werden, dass Althussers Subjektivierungskonzeption dafür geeignet sein kann, den praktischen Prozess der Einübung gesellschaftlicher Subjektpositionen so zu denken, dass diese Übungen nicht nur oberflächlich inszeniert, sondern tief in den Körper eingeschrieben werden und habituell, über Körper-, Denk-, Affekt- und Wahrnehmungsmuster, realisiert werden (vgl. Butler 2001: 112; vgl. Butler 1997). Dieser Prozess ist nicht mehr länger nur als bloß äußerlicher Prozess zu beschreiben, sondern als einer, der sich tief in das Erleben der Subjekte einschreiben kann. Althusser selbst erwähnt zwar, dass beispielsweise auch die Herausbildung der Geschlechtlichkeit der Subjekte als Einnahme einer ideologischen Subjektposition verstanden werden kann, denkt in seinen Beispielen aber überwiegend an die Besetzung und Verteilung von Klassenpositionen. Dennoch lässt sich daraus ableiten, dass der allgemeine Funktionsmechanismus der ambivalenten Subjektivierung nach Althusser darin besteht, die einzelnen Individuen unter bestimmte Subjektpositionen zu unterwerfen, um sie zu gesellschaftlich kompetenten Subjekten zu machen, die so das Funktionieren der gesellschaftlichen Ordnung gewährleisten. Ein Prozess, der nicht nur die Bewusstseinsebene, sondern auch das körperliche und affektuelle Erleben umfasst. Dieser Prozess erfolgt dabei ›immer schon‹ über das Eingebettetsein in die Gesellschaft. Welche Subjektpositionen konstitutiv sind, d.h. welche Bedingungen und Praktiken notwendig sind, um als Subjekt in der Gesellschaft
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Meines Erachtens ist es deshalb wichtig, den Begriff des Imaginären in seiner psychoanalytischen Bedeutung in Althussers Gesellschaftsanalyse miteinzubeziehen, da so der spinozistische Bezug abgeschwächt werden kann, nach dem bei Althusser die Topik nicht mehr als »ein Ganzes ohne Grenzen, das nur das aktive Verhältnis seiner Teile ist« (Althusser 1975: 82) bezeichnen kann. Auch das Ganze hat so einen Überschuss, der nicht über die additive Betrachtung der einzelnen Elemente erfasst werden kann. Zum Begriff der Performativität bei Butler s. Kapitel 5.2.2
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anerkannt zu werden, die historische Subjektform, variiert in Form und Ausprägung. Am deutlichsten wird dies, wenn man sie von den Rändern der Gesellschaft aus betrachtet: Welche Abweichungen werden sanktioniert, welche Positionen als ›normal‹ und ›alternativlos‹ angesehen, welche Rechtsansprüche sind mit den Positionen verknüpft, welche Ressourcen sind zugänglich und welche Seinsweisen werden ausgeschlossen oder als unlebbar erfahren? Althusser betrachtet den Subjektivierungsprozess im IISA-Aufsatz allerdings von der Seite des Funktionierens aus: Wieso reproduzieren sich die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse, auch wenn einzelne Subjekte ideologisch ausscheren? Wieso funktioniert der Prozess in den meisten Fällen so ›reibungslos‹? Ist dies nur eine Frage der Bewusstwerdung oder ist die Unterwerfung tiefgreifender zu denken? Wie kann die Transformation trotz dieses guten Funktionierens stattfinden? Und wieso affirmieren die Subjekte das Bestehende, wenn dieses zugleich als leidvolles Verhältnis, Verhältnis des Zwangs und der Gewalt auftritt? Es wird deutlich, dass das ideologische Verhältnis auch hier auf ein gesellschaftliches Verhältnis von Macht und Herrschaft verweist – ideologisch ist somit auch nicht jedes alltägliche Handeln, Erleben, Wahrnehmen und Denken der Subjekte, sondern nur solches, das als gesellschaftlich konstitutives Handeln fungiert und Macht- und Herrschaftsverhältnisse reproduziert, die uns allerdings – wie das Geschlechterverhältnis oder das kapitalistische Produktionsverhältnis beispielhaft aufzeigen können – im alltäglichen Sein als evidente oder natürliche Verhältnisse gegenübertreten und als solche erfahren werden. Der ›weite‹ Ideologiebegriff Althussers ermöglicht es, auch das alltägliche Handeln der Subjekte unter einen ›Ideologieverdacht‹ zu stellen. So wird es leichter, die Effekte des ideologischen Verhältnisses auch auf der Ebene des alltäglichen Handelns oder sogar der Selbstverhältnisse analysieren zu können. So kann zum Beispiel das Geschlechterverhältnis nicht nur als ideologisches bezeichnet werden, sondern differenziert betrachtet werden, wie sich diese Ideologie im Erleben der einzelnen Subjekte umsetzt und warum diese nicht einfach über Formen der Reflexion und Bewusstwerdung aufgelöst werden kann. Althussers Begriff der Ideologie und ideologischen Subjektwerdung wirft jedoch auch zahlreiche Fragen auf: Wie weit reichend ist diese Konzeption der Subjektivierung gedacht? Denn es ist zwar jedes Subjekt in die Institutionen eingebettet, aber es gibt doch sehr wohl ein individuelles Handeln jenseits der Institutionen und auch in diesen bilden sich abweichende Praktiken heraus (vgl. beispielsweise Goffman 1973). Ist das Subjekt identisch mit der Ideologie
3. Subjektivierung bei Louis Althusser
und damit nicht mehr als eine individuelle Verkörperung einer Strukturposition? Wie konstituiert sich der imaginäre Charakter der Subjektivierung, der die Subjekte ihre eigenen materiellen Existenzbedingungen vergessen lässt? Ist Ideologie als (sozial-)ontologisches Verhältnis formuliert und was würde dies für die Möglichkeit von Ideologiekritik bedeuten? Und nicht zuletzt, wie kann das Subjekt in eine kritische Distanz zu den konstituierenden Bedingungen treten? Kann es diese Konstitutionsbedingungen reflektieren und wie kann es sich gegen diese wehren, sie abweisen, sie umwälzen, sie transformieren oder sich von diesen befreien? Diese Fragen lassen sich über die Lektüre des IISA-Aufsatzes nur bedingt beantworten, jedoch soll im Folgenden argumentiert werden, dass der Althusser’sche Anrufungsbegriff dazu geeignet sein kann, die Subjektkonstitution auch von der Seite der Rückwendung, Umwendung und Reflexivität zu denken. Dieser kann so auch dazu beitragen, die Möglichkeiten zu erörtern, ob und wie in dieser Konzeption das Subjekt in eine kritische Distanz zu den eigenen konstitutiven Bedingungen treten kann.
3.3
Das Subjekt der Anrufung – Umwendung, Reflexivität und kritische Distanz
Nach Althusser ist der elementare ideologische Effekt die Evidenzerzeugung. Wie bereits in den vorherigen Ausführungen gezeigt wurde, beschreibt der Althusser’sche Ideologiebegriff ein unbewusstes oder nichtbewusstes Verhältnis der Individuen zu ihren eigenen materiellen Existenzbedingungen. Es ist ein vorgeschaltetes Denk- und Wahrnehmungsmuster, welches dem Individuum nicht als bewusstes Muster zugänglich ist und als evident, d.h. als selbstverständlich, natürlich und alternativlos erscheint, das sich aber zugleich über konkrete Ideologien realisieren muss. »In der Tat besteht die eigenartige Wirkung der Ideologie gerade darin, die Evidenzen als Evidenzen durchzusetzen (ohne dass es ihr anzumerken wäre, denn es sind doch ›Evidenzen‹, die wir eben nicht in der Lage sind nicht anzuerkennen [reconnaître], und angesichts derer wir die unvermeidliche und natürliche Reaktion an den Tag legen (lauthals oder in der ›Stille unseres Bewusstseins‹), geradezu auszurufen: ›Das ist evident! Genauso ist es! Das ist wahr!‹« (Althusser 2010: 86)
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Den Anrufungsbegriff führt Althusser nun ein, um auch die Subjektkonstitution als evidente Konstitution zu beschreiben – die Kategorie des Subjekts ist nach Althusser sogar als die primäre Evidenz schlechthin zu verstehen, die allen anderen Evidenzen vorgeschaltet ist (vgl. ebd.: 85). Die elementare Funktionsweise der Ideologie besteht nach Althusser also darin, die Individuen zu Subjekten zu transformieren: »Wir legen damit jetzt den Gedanken nahe, dass die Ideologie auf diese Weise ›agiert‹ oder eben ›funktioniert‹, dass sie unter den Individuen (sie rekrutiert sie alle) Subjekte ›rekrutiert‹ oder die Individuen (sie transformiert sie alle) in Subjekte ›transformiert‹ und zwar durch eine ganz genaue bestimmte Operation, die wir Anrufung [interpellation] nennen.« (Ebd.: 88; Herv. C.F.) Der Begriff der Interpellation, der im Deutschen mit Anrufung übersetzt wird, erfasst erst über die konkreten Beispiele, die Althusser für diese gibt, den Bedeutungsumfang, den der Begriff im Französischen besitzt. Während er im Deutschen hauptsächlich auf die Anrufung einer höheren Macht verweist, beschreibt Althusser in seinem Aufsatz den Akt der Wiedererkennung oder Anerkennung eines konkreten Individuums als Subjekt. Dies kann sowohl die Anrufung eines Freundes mit seinem Namen sein, dem man dadurch zeigt, dass man ihn als Freund und damit als konkretes, benennbares Subjekt wieder- und anerkennt (»Hey, Paul!«), als auch die von Althusser als alltägliche Szene bezeichnete, aber in Realität doch eher außergewöhnliche Anrufung eines Polizisten, der auf der Straße ein unbestimmtes »Hey, Sie da!« ausruft. Insbesondere diese letzte Szene ist viel diskutiert worden und steht exemplarisch für die Althusser’sche Anrufungstheorie. Nicht nur in der Übersetzung wurde darauf hingewiesen, dass die Anrufung (interpellation) im Namen des Polizisten im Französischen zugleich die vorübergehende Festnahme bezeichnen kann. Umso erstaunlicher ist es, dass Althusser davon ausgeht, dass die Individuen wissen, dass genau sie mit der Anrufung gemeint sind, sich umdrehen und in dieser »physische[n] Wendung um 180 Grad« (ebd.) zu genau dem angerufenen Subjekt konstituiert werden bzw., da sie sich freiwillig umdrehen, kann man mit einem Reflexivpronomen sagen, dass sie sich im Akt der Umwendung zum Subjekt konstituieren. Die Evidenzkonstitution besteht nun darin, dass diese Szene auf die ideologische Wirklichkeit übertragen »ohne jede zeitliche Abfolge« (ebd.: 89) stattfindet, d.h. dass es kein der Anrufung vorgängiges, unbestimmtes Individuum, sondern ein immer schon angerufenes und damit konstituiertes Subjekt gibt. Die Subjekte erkennen
3. Subjektivierung bei Louis Althusser
sich demnach auf evidente Weise wieder, denn für sie ist es eindeutig, dass sie die angerufenen Subjekte sind – denn wer sollten sie sonst sein? Dies wird insbesondere in der Anrufung des Freundes deutlich. Der Begriff der Anrufung soll in einem metaphorischen Sinne den Prozess der Subjektwerdung beschreiben, der nach Althusser als zirkulärer Prozess der Konstitution verstanden werden muss: Man erkennt sich über die Anrufung als genau das Subjekt wieder, welches man bereits vorher war, und konstituiert sich so fortlaufend als dieses angerufene Subjekt. Dieser zirkuläre Prozess ist aber kein Automatismus, sondern er bedarf auch der Beantwortung der Anrufungen durch die Subjekte. Butler spricht in diesem Zusammenhang von einem »Paradox der Referentialität« (Butler 2001: 10), da das Subjekt, welches auf die Anrufung antwortet, doch bereits genau dieses Subjekt zu sein scheint, da es doch nur als Subjekt die Anrufung annehmen kann? Gibt es also eine ›Gründungsunterwerfung‹ oder wie ist der Zirkel der Konstitution zu denken? Die Subjektform – die man durch das Einnehmen der Subjektposition annimmt – geht dem konkreten Individuum voraus, so dass diese Wendung des Subjekts auf sich selbst noch nicht als Reflexion im Sinne einer kritischen Distanznahme zur Anrufung zu verstehen ist. Der Verweis auf die Figur des Zirkels kann dazu dienen, den Prozess der Subjektivierung als Aufschichtung und sich verdichtende Komplexität zu verstehen. So wären der Säugling und das Kleinkind zwar durch die Zuweisung zur Subjektposition männlich/weiblich immer schon Subjekte, aber als antwortende wären sie erst mal nur reagierende und nicht reflektierende Subjekte. Dabei handelt sich um einen Prozess, der auf Subjektebene mit einer notwendigen Asymmetrie zwischen den erwachsenen und den noch nicht erwachsenen Subjekten einhergeht. Dies ist insbesondere für die späteren psychoanalytischen Anschlüsse relevant, denn hier wird die konstitutive Abhängigkeit des Subjekts von Anderen als lebensnotwendige und menschliche Kategorie sichtbar. Die Notwendigkeit, auf die Anrufung zu reagieren, kann aber einen Ausbruch aus dem Zirkel denkbar werden lassen, auch wenn Althusser im IISAAufsatz vor allem eine Antwort darauf gibt, warum die Subjekte nicht aus dem Zirkel ausbrechen.15 Auch hier findet sich die Gleichzeitigkeit der Unterwer-
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In seinem Manuskript kommt er auf die Möglichkeiten, ›revolutionär‹ oder ›anders‹ zu handeln, explizit zu sprechen: »Und wenn man uns nun entgegenhalten möchte, dass das betreffende Subjekt auch anders handeln kann, dann erinnern wir uns daran, dass wir auch gesagt haben, dass die rituellen Praktiken, in denen sich eine ›primäre
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fung und Ermächtigung wieder: Das Subjekt unterwirft sich der Anrufung und wird zugleich als Subjekt der Anrufung konstituiert und hervorgebracht. Nun bleibt in dieser Szene aber vieles unklar. Denn während das Beispiel der Freundes-Anrufung sehr leicht nachvollziehbar ist, wirft gerade das Beispiel des Polizisten viele Fragen auf (vgl. ebd.: 10f.). Warum weiß das angerufene Individuum, das genau es gemeint ist? Inwiefern ist dies evident? Wenn das Subjekt immer schon Subjekt ist, wieso muss es dann angerufen werden? Erfolgt diese Anrufung einmalig oder fortlaufend? Wie viele dieser Anrufungen gibt es? Wenn das Subjekt sich freiwillig umdrehen muss, um sich als Subjekt zu konstituieren, wieso dreht es sich dann um? Kann es diese Anrufung auch verweigern, sie überhören, sie missverstehen oder ignorieren? Was passiert in den 10 Prozent der Fälle, in denen sich das ›falsche‹, nichtangerufene Subjekt umdreht? Wird das Subjekt gewaltsam festgenommen, wenn es nicht reagiert? Althusser versucht, mit der Anrufungsszene darauf zu verweisen, dass eine eigentlich unangenehme Szene – ein Polizist ruft einen an, so dass man zumindest nicht ausschließen kann, ein irgendwie schuldiges oder der Schuld verdächtigtes Subjekt zu sein – in 90 Prozent der Fälle angenommen wird und sogar reibungslos, eben alltäglich, abläuft.16 Althusser erklärt dies damit, dass dieser Prozess nun eben nicht wie in dieser fiktiven Szene einmalig und außergewöhnlich stattfindet, sondern immer schon, seit der Geburt des Kindes. »Dass ein Individuum immer schon, selbst vor seiner Geburt, ein Subjekt ist, ist nichts weiter als die einfache, für jedermann überprüfbare Wirklichkeit und keineswegs eine Paradoxie. […] Es steht von vorneherein fest, dass es den Namen seines Vaters tragen wird, also eine Identität haben und durch niemanden zu ersetzen sein wird. […] Es ist eigentlich ganz unnötig, noch
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Ideologie‹ verwirklicht, auch eine ›sekundäre‹ Ideologie ›produzieren‹ können (d.h. als ›Nebenprodukt‹) – Gottseidank, denn sonst gäbe es ja weder die Möglichkeit der Revolte, noch die der revolutionären ›Bewusstwerdung‹, noch auch die der Revolution.« (Althusser 2012: 264) Butler liest die Anrufungsszene inPsyche der Macht vor dem Hintergrund von Nietzsche und Freud und fokussiert hier auf die Verinnerlichung der Normen, die das Gewissen und das Selbstbewusstsein über Strafandrohung entstehen lassen. Meines Erachtens stellt sich Althusser mit seiner Szene aber genau gegen diese Lesart. Er versucht zum einen zu betonen, dass das Subjekt bereits vor seiner Geburt in der Anrufung verortet ist, und zum anderen, dass diese Anrufung weniger über die Strafandrohung als über ein Versprechen verläuft.
3. Subjektivierung bei Louis Althusser
extra zu sagen, dass diese familiale ideologische Konfiguration in ihrer Einmaligkeit doch fest durchstrukturiert ist und dass das ehemalige künftige Subjekt [ancien futur-sujet] in dieser unerbitterlichen, mehr oder weniger ›pathologischen‹ […] Struktur ›seinen‹ Platz ›finden‹ muss, d.h. zum sexuellen Subjekt (Junge oder Mädchen) werden muss, das es bereits im Vorhinein ist.« (Althusser 2010: 91) So natürlich und evident es ›uns‹ erscheinen mag, ›Junge‹ oder ›Mädchen‹ zu sein, so wenig wird deutlich, dass diese Konstitution uns bereits vor der Geburt an eine Identität und ein Verhältnis bindet, die wir allerdings immer wieder annehmen müssen, um unseren Platz zu finden – d.h. wir können daran auch scheitern.17 Denn auch wenn Althusser über das Beispiel der Geburt verdeutlichen will, dass die ideologische Subjektkonstitution zwingend ist, so betont er doch gerade über seinen Anrufungsbegriff die Eigenaktivität, die diese Konstitution auch benötigt. Das Subjekt wird nicht einmalig zum Subjekt bestimmt, es muss fortlaufend seinen Platz finden, d.h. es muss sich immer wieder umwenden, es muss sich immer wieder zu Anrufungen verhalten. Wieso laufen jedoch diese teilweise auch sehr schmerzhaften und schwierigen Prozesse der Subjektwerdung oft ohne Widerstand oder Protest ab?18 17
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Althusser verweist hier unter Bezugnahme auf Freud eher auf die psychosoziale Vergeschlechtlichung, d.h. auf die Anforderungen, denen die vergeschlechtlichten Subjekte in der Familie und der Gesellschaft bereits durch die Geburt ausgesetzt sind, und weniger auf eine De-Essentialisierung der biologischen Kategorisierungen. Diese Textstelle kann allerdings über Butler (2001; 1990) als Vorwegnahme einer solchen de-essentialisierenden Konzeption von Geschlechtlichkeit gelesen werden, nach der auch das biologische Geschlecht sozial geformt und hervorgebracht ist. Es wird hier vorerst der Althusser’schen Einschätzung, dass 90 Prozent der Anrufungen problemlos angenommen werden, gefolgt. Dies heißt nicht, dass es empirisch tatsächlich so reibungslos abläuft. Um dies genauer zu untersuchen, bräuchte es auch eine Definition von ›Widerstand‹ und ›Protest‹, denn man könnte dies auch nur psychisch und nicht politisch verstehen. So weist dann beispielsweise auch die hohe Anzahl an neurotischen Subjekten in der Gesellschaft darauf hin, dass der Prozess der Subjektwerdung, als psychischer Prozess betrachtet, alles andere als reibungslos verläuft (hierzu mehr unter Kapitel 3.4). Frieder Otto Wolf weist beispielsweise darauf hin, dass die ›schlechten‹ Subjekte nicht automatisch die widerständigen Subjekte sein müssen, sondern dass auch die ›gut funktionierenden‹ Subjekte widerständig handeln können (vgl. Althusser 2012: 355). Michel Pêcheux wies indes darauf hin, dass es drei Möglichkeiten der Reaktion auf die Anrufung geben kann. Die (erfolgreiche) Identifizierung, die Ebene der Gegen-Identifizierung, in der einzelne Subjekte ›ausscheren‹,
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Althusser gibt hierfür zwei grundlegende und zusammenhängende Erklärungen: Zum einen blendet das Subjekt durch seinen ideologischen Weltbezug ab, dass seine Reaktion und Umwendung nicht ›freiwillig‹ verläuft, sondern ein ritualisierter Ablauf ist, der keineswegs selbstverständlich sein müsste (ideologische Verkennung). Zum anderen erhält das Subjekt in seiner physischen Umwendung einen Platz in der Gesellschaft, es wird zu dem Subjekt, welches gesellschaftlich anerkannt und erwünscht ist (ideologische Anerkennung). Es erhält eine gesellschaftliche Identität, welche das Subjekt wiederum handlungsfähig, kompetent oder potent macht (vgl. Butler 2001: 11-12). Althussers Anrufungsszene spielt mit den französischen Begriffen der Wiedererkennung (reconnaitre), der Anerkennung (reconnaissance) und der Verkennung (méconnaître qc.). In der Anrufung wird ein Subjekt als ein spezifisches Subjekt (wieder-)erkannt und in der Identifizierung mit dieser Anrufung wird zugleich eine Form der spiegelhaften Übereinstimmung eingesetzt, die für die Eindeutigkeit (Evidenz) bürgen soll. Der Angerufene ist also eindeutig der Angerufene; er wendet sich um und verhält sich gemäß der Anrufung. Zugleich ist in dieser spiegelhaften Wiedererkennung/Anerkennung eine Verkennung der eigenen Offenheit und Unbestimmtheit enthalten. Das Subjekt begreift sich bereits als autonomes und ermächtigtes und merkt nicht, dass es erst durch die Annahme der Anrufung die Ordnung und sich selbst als einheitliches Subjekt einsetzt. Die Anrufungsszene soll also auch verdeutlichen, dass das Subjekt, welches sich als autonom erlebt, nicht nur abhängig ist von den Apparaten oder ihm vorgängigen Strukturen (hier durch die Figur des Polizisten verkörpert), sondern dass es aufgrund der Evidenz gar nicht bemerkt, dass es seine eigene Position durch die Beantwortung der Anrufung immer wieder auch selbst herstellt und reproduziert. In diesem Sinne kann auch der Begriff der Interpellation so verstanden werden, dass das Subjekt in der Annahme der Anrufung vorübergehend festgenommen wird – es wird vorübergehend auf eine Position oder eine Identität gesetzt, auf diese hin festgeschrieben und affektiv verhaftet. »[W]enn sie [die Ideologie; C.F.] Individuen in einer Weise anruft, dass das Subjekt antwortet: ›Ja, ich bin es!‹; wenn sie von ihnen derart die Anerkennung bekommt, dass sie durchaus den Platz einnehmen, den sie ihnen in jedoch als ›schlechte Subjekte‹ nicht die Anrufungsstruktur umwerfen können, und die Ent-Identifizierung, die die Subjektform selbst transformiert und nur in Form eines revolutionären Bruchs erfolgen kann (vgl. Pêcheux 1984).
3. Subjektivierung bei Louis Althusser
der Welt zuschreibt, als einen festen Wohnsitz – ›Es ist wahr, hier bin ich, als Arbeiter, als Unternehmer, als Soldat!‹ – in diesem Jammertal […] wenn sich dies alles wirklich derart abspielt (in den Praktiken der bekannten Rituale der Taufe, der Firmung, des Abendmahls, der Beichte und der letzten Ölung usw.)« (Althusser 2010: 93f.). Denn wenn sich der Soldat oder der Arbeiter als solcher nicht wiedererkennt, würde zumindest der ideologische Kitt der Gesellschaft angegriffen und auf psychischer Ebene eine Form der Ohnmacht deutlich werden, die zugleich durch die repressiven – oder im Foucault’schen Sinne totalen Apparate – wiederherzustellen sein würde. Die Gewalt müsste so direkt zugreifen und nicht in ideologischer versteckter Form wirken. Zugleich wird mit Althusser deutlich, dass die ideologische Anerkennung nicht radikalkonstruktivistisch zu verstehen ist, denn die Anrufungen sind in die Staatsapparate eingebettet. Sie haben eine materielle Existenz, sie erfolgen maßgeblich über die gesellschaftlichen Praktiken – sie umfassen somit epistemische sowie praxeologische und ökonomische Zwänge. Der Proletarier ist also nicht nur Proletarier, weil er sich als solcher wiedererkennt und damit identifiziert, sondern weil er tagtäglich in die Fabrik gehen und am Fließband stehen muss (vgl. Althusser 2012: 76). Althussers Anrufungstheorie ist demnach auch keine Theorie der performativen Hervorbringung über Sprache oder eine bloße Anerkennungstheorie, denn es ist nicht der Appell (»Hey, Proletarier!«), sondern die Reaktion, sich als ›Proletarier‹ praktisch zu betätigen und zu verhalten, sich in die kollektiven Strukturen einzubetten, die das Subjekt fortlaufend hervorbringen (vgl. Lampert 2015; vgl. abgrenzend Butler 2001: 10, 101). Das Subjekt wird auch nicht bloß einmalig, von einer Instanz angerufen, sondern »[d]ie Ideologen hören nie damit auf, die Subjekte als Subjekte anzurufen, Subjekte zu ›rekrutieren‹, die immer-schon Subjekte sind. Ihr Wirken überlagert sich, ihr Spiel durchkreuzt sich, widerspricht sich in Bezug auf dasselbe Subjekt, in Bezug auf dasselbe Individuum, das immer-schon (mehrfach) Subjekt ist. Dieses Individuum muss dann eben damit klarkommen …« (Althusser 2012: 272f.). Das Subjekt ist bei Althusser mehr als eine sprachliche Kategorie, es ist das in seiner materiellen Gesamtheit an der bestehenden Gesellschaft und Ideologie geformte und konstituierte Subjekt – die Subjektform umfasst sein Denken, sein Handeln, seine Wahrnehmung, sein Erleben, seine Gefühle, und diese
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sind auch in den Körper eingeschrieben. Die Anrufungen sind aber keinesfalls eindeutig und der Prozess der Subjektwerdung ist komplex, da das Subjekt mit vielen, sich auch widersprechenden Anrufungen und Anforderungen konfrontiert ist. Dadurch wird auch deutlich, dass die Subjektwerdung kein Automatismus ist, sondern auch ein individueller und schmerzhafter Prozess des Einzelnen, der seinen Platz in der Gesellschaft einnehmen oder finden muss.19 In seinem Manuskript Sur la reproduction verwendet Althusser die Figur des Polizisten, um sich vom »anarchistische[n] Mythos vom allgegenwärtigen Bullen ›in [unserem] Kopf‹« (ebd.: 251) abzugrenzen, nach der die Herrschaftsreproduktion bloß über die Repression – und ihre Verinnerlichung – erfolge.20 Althusser versucht paradoxerweise nun, die Vorstellung, dass hinter jedem ›funktionierenden‹ Subjekt ein drohender Polizist stehen müsse, über den anrufenden Polizisten zu hinterfragen. Die Anrufungsszene soll verdeutlichen, dass die Subjekte nicht aus Angst oder einem verinnerlichten Schuldbewusstsein die Anrufung annehmen und gut funktionieren, sondern dass sie geradezu freudig heraus die Anrufung beantworten, weil sie sie als Angebot des Werdens, als Affirmation ihrer Identität, erfahren und begreifen, selbst dann, wenn es über den Polizisten eine repressive Anrufung ist (vgl. ebd.: 268f.). Nach Althusser braucht die Reproduktion des Bestehenden also in den meisten Fällen gar keinen Polizisten, weder einen im Kopf noch einen auf der Straße – er ist nur eine unglücklich gewählte Metapher, um das reibungslose, ideologische Funktionieren der Reproduktion des Bestehenden zu
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Wie schmerzhaft und schwierig dieser Prozess, (s)einen Platz in der Gesellschaft einzunehmen, ist, lässt sich u.a. in den auto(sozio-)biographischen Berichten von Eribon (2016), Jaquet (2018), Ernaux (2017) oder in fiktiver Form bei Ferrante (2016), aber auch in Althussers eigener autobiographischer Schrift Die Zukunft hat Zeit (Althusser 1993) nachlesen. »In dieser anarchistischen Auffassung sieht man also, 1 – dass die Ausbeutung durch die Repression ersetzt oder als eine Form der Repression begriffen wird, und 2 – dass die Ideologie durch die Repression ersetzt oder als eine Form der Repression begriffen wird.« (Althusser 2012: 252) Und »[d]ies ist also auch der Grund, warum es nun […] nachdem wir anerkannt haben, dass die Individuen keinen Bullen am Arsch oder ›im Kopf‹ haben – dringend notwendig ist, zu zeigen, wie die Ideologie funktioniert, wie sie in den ideologischen Staatsapparaten in die Wirklichkeit umgesetzt wird und wie sie dieses erstaunliche, aber doch ganz ›natürliche‹ Ergebnis erzielt, dass nämlich die konkreten Individuen ›funktionieren‹ und dass es die Ideologie ist, die sie ›funktionieren‹ lässt.« (ebd.: 253f.)
3. Subjektivierung bei Louis Althusser
beschreiben. Die Subjekte ›funktionieren‹ im Bestehenden, als ob ein Polizist hinter ihnen stehen würde. Auch in den Ausführungen des Anrufungsbegriffs findet sich eine ambivalente Haltung zwischen Pessimismus und Optimismus hinsichtlich der Möglichkeiten der Transformation des Bestehenden wieder. Die Unterwerfung unter das Bestehende ist tiefer als angenommen, denn sie ist kein bloßes Bewusstseinsphänomen im Reich der Ideen, sie durchdringt die Subjekte bis in ihr Innerstes, sie betrifft das Begehren, die Identität und die Affekte. Die Subjekte erhalten in der Unterwerfung einen Anreiz, sie erhalten eine gesellschaftliche Identität, die als solche affektiv besetzt sein kann (vgl. Butler 2001: 103). Butler spricht in diesem Zusammenhang von einer leidenschaftlichen Verhaftung mit oder einem Begehren nach Unterwerfung, um eine soziale Existenz zu erlangen (vgl. ebd.: 24). Darüber hinaus sind die Subjekte in ihrem gesamten Erleben, in ihren Denk- und Wahrnehmungsmustern, in ihrer Subjektivität von den bestehenden gesellschaftlichen Existenzbedingungen bestimmt und abhängig. Deshalb kann man Althusser auch vorwerfen, dass das Subjekt nur noch als bloßer Funktionsträger der herrschenden Ideologie verstanden wird. Es droht demnach ein Subjektverständnis, nach welchem das Subjekt im Objekt aufgeht – so dass man eigentlich nicht mehr von einem Subjekt sprechen kann. Jedoch können die gesellschaftlichen Bedingungen durch die Subjekte verändert werden, denn sie sind nur »durch das Subjekt und nur für die Subjekte« (Althusser 2010: 84) existent, sie sind keine schicksalhaften Bedingungen, denen man sich ohnmächtig unterwerfen müsste. Der Anrufungsbegriff zeigt, dass das Subjekt nicht einfach ›dressiert‹ wird, sondern dass die Unterwerfung über eine reflexive Bewegung erfolgt – das Subjekt muss sich zu den Anrufungen verhalten. In dieser Rückwendung besteht also die Möglichkeit, sich von den bestehenden Verhältnissen zu distanzieren. Es besteht immer eine Lücke zwischen der Anrufung, der vorgängigen Struktur und dem daran gebildeten Subjekt und seiner Subjektivität. Sie gehen nicht nahtlos ineinander über und sie sind nicht identisch. Das Althusser’sche Subjekt der Anrufung ist ein Subjekt, welches in einem ambivalenten Sinne ent- und ermächtigt ist, aber das sich auch zu seinen eigenen Existenzbedingungen und zu seiner Ambivalenz umdrehen und diese reflektieren kann. Es kann ein Selbstverhältnis ausbilden und dieses ist zugleich die Möglichkeit und Voraussetzung, um auch die eigenen Existenzbedingungen kritisch zu hinterfragen. Doch Althusser führt die Möglichkeit der Veränderung in Form eines reflexiven Verhaltens über den Begriff der Anrufung nur ein und nicht weiter
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aus. Verbindet man diesen Begriff jedoch mit dem des Imaginären, lässt sich diese Möglichkeit des reflexiven und damit auch kritischen Verhaltens zu den eigenen Konstitutionsbedingungen genauer formulieren. Nur wenige Interpret*innen haben das Potential erkannt, über Althussers – zwar nur inkonsequent eingeführten – Begriff des Imaginären eine psychoanalytische Perspektive auf die Subjektivierung entwickeln zu können und somit eine Perspektive auf das Subjekt zu erhalten, welches nicht im Bestehenden aufgeht (vgl. Butler 2001: 92f.; vgl. Pêcheux 1982: 92, 216ff.; vgl. Schütt 2015; vgl. Žižek 2010; 1988; kritisch dazu vgl. Badiou 2003: 72; vgl. Montag 2013). Das so verstandene Subjekt ist nicht identisch mit den es konstituierenden Bedingungen – es ist kein bloß äußerer Knotenpunkt der Kräfteverhältnisse, sondern es hat ein Innenleben, welches zwar vom Äußeren abhängig und von diesem gebildet, jedoch mit diesem nicht identisch sein kann. Das Subjekt kann so in einem ›vollen‹ Sinne als Subjekt verstanden werden, als Subjekt, das nicht nur denkt und handelt, sondern auch fühlt und begehrt, das unbewusst getrieben ist, aber auch als Subjekt, welches gegen die Bedingungen des eigenen Seins aufbegehren kann.
3.4
Das Subjekt des Unbewussten – Imaginäres, Begehren, Identifizierung
Wenn man die Anrufungsszene als Beispiel für den allgemeinen Funktionsmechanismus der Subjektkonstitution versteht, dann werden drei Punkte deutlich: Erstens erfolgt die Subjektkonstitution über eine Machtasymmetrie, ein Polizist, ein Repräsentant der Autorität richtet eine Anrufung an ein einzelnes Subjekt, welches wiederum diese Anrufung annimmt und sich in dieser Annahme als (Bürger*innen-)Subjekt unterwirft und konstituiert. Zweitens ist diese Szene zwar machtasymmetrisch, aber sie verläuft nicht über Gewaltanwendung, sondern über eine (notwendige) Selbstunterwerfung, deren Zwangscharakter durch ein Versprechen verschleiert wird. Es ist nicht nur das Versprechen, über die Annahme der Anrufung eine gesellschaftliche Identität zu erlangen, sondern zugleich ein freies Subjekt zu werden (vgl. Althusser 2010: 98). Drittens erhalten die Subjekte so die Sicherheit, »die absolute Garantie, dass alles in Ordnung ist, so wie es ist, und dass, unter der Bedingung, dass die Subjekte nur wiedererkennen, was sie sind, und sich dementsprechend verhalten, auch alles gut gehen wird« (ebd.: 96). Althussers Beispiel der christlich-religiösen Anrufung stellt diese drei Punkte detailliert
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vor. Hier wird die Autorität, von der die Anrufung ausgeht, noch höher gesetzt, denn die Anrufung geht nun von der höchsten Instanz schlechthin aus, von Gott, den Althusser in seinen Ausführungen dann als das große SUBJEKT bezeichnet. Diese Instanz Gottes darf aber nicht als schöpfende Instanz begriffen werden – dies wäre nach Althusser eine ideologische Verwechslung.21 Wichtiger erscheint hier, dass Althusser die wechselseitige Konstitution und Abhängigkeit der anrufenden Instanz zu den einzelnen Subjekten betont und diese als »doppelte Spiegelungsstruktur« (une double relation spéculaire) (Althusser 1977: 147) beschreibt. Die Wiedererkennung und Anerkennung zwischen der anrufenden Instanz und den angerufenen Subjekten muss wechselseitig sein, sie müssen sich wechselseitig versichern, dass sie sind, wer sie sind. Das heißt, dass nicht nur die einzelnen Subjekte sich in der höheren Instanz als Subjekte dieser wiedererkennen, sondern dass sie diese Instanz in ihrer Autorität erst einsetzen, da auch diese ihre Autorität nur erhalten kann, wenn die einzelnen Subjekte sich ihr unterwerfen. Nun besteht der ideologische Evidenzmechanismus aber nicht nur in der wechselseitigen Wieder- und Anerkennung (reconnaissance), sondern zugleich in einer Verkennung (méconnaissance). Die einzelnen Subjekte blenden in der Annahme der Anrufung aus, dass sie damit zugleich die bestehende Ordnung reproduzieren, dass sie die Akteure der Reproduktion sind und dass diese Reproduktion eben nicht evident, natürlich oder alternativlos sein müsste (vgl. Althusser 2010: 98f.). Die Begründung, die Althusser für die Verkennung gibt, kann für die Analyse der Subjektivierung aufschlussreich sein. Das Subjekt unterliegt in der Annahme der Anrufung nicht bloß einem falschen Bewusstsein, sondern es erhält zugleich ein Versprechen, ein freies Subjekt zu werden. Nun ist diese Freiheit, die über eine Unterwerfung erlangt werden soll, zwar nicht illusionär oder falsch, aber sie begründet nur eine bedingte Freiheit.22 Die Handlungsmacht, die das Subjekt in der Unterwerfung erhält, ermächtigt es nur im Hinblick auf die bereits bestehende Ordnung – es weiß, wie zu handeln 21
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Die meisten Interpret*innen lesen die christlich-religiöse Anrufung bei Althusser als Verweis auf die allmächtige Autorität Gottes und werfen Althusser vor, von einer alttestamentarischen Gottesfigur auszugehen (vgl. Althusser 2012: 349f.). Jedoch weist der Althusser-Herausgeber Frieder Otto Wolf zu Recht darauf hin, dass Althusser auch zahlreiche andere Beispiel für eine nichtautoritäre oder repressive Anrufung gibt (vgl. ebd.). Zum Freiheits- und Autonomieverständnis vergleiche hierzu Menkes Ausführungen zu Foucault (vgl. Menke 2003: 290).
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ist. Dass das Subjekt in der Anerkennung der Anrufung zugleich die es unterwerfende Ordnung stützt, ist ihm demnach nicht bewusst, da es sich nur als autonomes Subjekt erfährt – und dieses im Hinblick auf die bestehende Ordnung auch ist. Das Althusser’sche Subjekt reproduziert ohnmächtig das Bestehende, nicht weil es sich als ohnmächtiges, sondern im Gegenteil, weil es sich als freies Subjekt erfährt. Diese Seite der Ermächtigung ist aber nicht bloß illusionär, denn es kann unter der Bedingung, die eigenen materiellen Existenzbedingungen abzublenden, tatsächlich im Sinne der Ordnung frei handeln.23 Althusser erwähnt nur am Rande seiner Ausführungen, dass das Subjekt jedoch nicht dazu gezwungen ist, genau so handeln zu müssen. Das Subjekt ist nicht mit einer kohärenten Anrufung konfrontiert, sondern mit vielzähligen, sich widersprechenden Regeln und Ordnungen. Diese Widersprüche können das Subjekt ›zerreißen‹ oder aber dazu beitragen, die eigene Evidenz und die Evidenz des Bestehenden zu hinterfragen. Diese Möglichkeit des Anders-Handeln-Könnens ist somit bereits auf der symbolischen Ebene – der Ebene der Sprache, Diskurse, Episteme und der konkreten Ideologien – situiert. Das ideologiekritische Unternehmen müsste aber weiter darin bestehen, dem Subjekt seine eigene Abhängigkeit ins Bewusstsein zu rufen, so dass es nicht nur einen Anlass und eine Motivation entwickelt, anders handeln zu wollen, sondern auch bewusst und strategisch anders handeln zu können.24 Denn es ist auch mit Althussers Ideologiekonzeption durchaus denkbar, dass die Subjekte sich zwar als freie und autonome, aber dennoch in ihrer Vereinzelung als gegenüber den bestehenden Normen und Ordnungen ohnmächtige erfahren. Die Subjekte müssten sich in ihrer Ambivalenz wahrnehmen und begreifen können, so dass sie sich sowohl als von den kollektiven und materiellen 23
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Die Ähnlichkeit zu Marx’ und Engels’ Verständnis von Ideologie in der Deutschen Ideologie wird so deutlich. Allerdings wird die materielle Abhängigkeit von Althusser nun hauptsächlich psychisch gefasst. Das Subjekt erfährt sich als autonomes, aber nicht nur als von der Handarbeit freies, sondern als von anderen Subjekten und den gesellschaftlichen Strukturen unabhängiges. In diesem Sinne könnte man auch Michel Pêcheux’ Aufruf, »zu rebellieren und zu denken wagen« (Pêcheux 1984: 66), weiterführen. Die politische Praxis müsste sich aus beiden Bewegungen zusammensetzen, aus einer praktischen und einer Ebene der denkenden Reflexion. Anders als bei Pêcheux soll hier aber nicht nur auf die irritierenden Fehlleistungen hingewiesen, sondern auch eine strategische Position miteinbezogen werden.
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Existenzbedingungen abhängige als auch als handlungsfähige und gestalterische Subjekte erfahren. Althussers Ideologiebegriff könnte demnach verdeutlichen, dass der Einsatz der Selbstbestimmung hoch ist, denn das Subjekt setzt mit der Hinterfragung der eigenen Konstitutionsbedingungen auch seine Sicherheit und sein Selbstverständnis aufs Spiel. Der Prozess der Entsubjektivierung und die Kritik am Bestehenden betreffen damit nicht nur das Bewusstsein, sondern auch das affektive Erleben der Subjekte und die konkreten Möglichkeiten des Seins – die Kritik löst deshalb Ängste aus und greift mitunter eine Ordnung an, die selbst libidinös besetzt sein kann. Kritisch anzumerken ist allerdings, dass die Kritik einen anderen Stellenwert bekommt, wenn man die ideologische Verkennung als notwendig an den Subjektstatus gebundene begreift – wenn diese eine ontologische oder anthropologische Konstante beschreibt (vgl. hierzu auch Schütt 2015: 22). Dieser Punkt ist bei Althusser unklar, denn einerseits begreifen sich die Subjekte nach Althusser in der primären Ideologie als autonome Subjekte und er konstatiert, dass es kein Außerhalb des Ideologischen und keine Gesellschaft ohne Ideologie geben könne. Andererseits spricht er auch von der Existenz einer proletarischen Ideologie, die gegen die herrschende gerichtet sei und die er als »ganz andere Ideologie« (Althusser 2010: 123; Herv. im Orig.) bezeichnet – ohne auszuführen, wie sich dieses ganz Andere äußern wird und ob dieses nicht zu einer Gesellschaftsformation ohne ideologische Verkennung führen könnte und in welcher Beziehung diese Ideologie zur Form der Ideologie im Allgemeinen steht.25 Es muss deshalb erörtert werden, in welchem Sinne die Ambivalenz des Subjekts und der imaginäre Inhalt der Ideologie bei Althusser eine ontologische Reichweite beanspruchen. Denn wenn es eine unhintergehbare Konstante menschlicher Subjektwerdung ist, worin könnte dann noch der kritische Anspruch liegen, welcher eine bestimmte, historisch konkret gefasste Gesellschaftsformation kritisiert, um auf eine andere und bessere Organisation des menschlichen Zusammenlebens zu zielen?
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Balibar geht davon aus, dass Kommunismus für Althusser nicht auf eine Gesellschaft ohne Ideologie, eine Gesellschaft der Transparenz verweist, sondern die »›wirkliche Bewegung, die den jetzigen Zustand aufhebt‹« (Balibar 1994: 60) meint.
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3.4.1
Subjektwerdung als individueller und schmerzhafter Prozess – imaginäre Verkennung
Um diese Frage beantworten zu können, muss der Althusser’sche Ideologiebegriff im Hinblick auf die ahistorische oder geschichtsübergreifende Setzung diskutiert werden. Nach Althusser hat die primäre oder allgemeine Ideologie einen imaginären Inhalt – dieser Inhalt bestand in den Ausführungen zum IISA-Aufsatz darin, dass das Subjekt sich als von den Strukturen unabhängiges begreife. Althusser spricht weiter davon, dass die Ideologie »ebenso wie das Unbewusste ewig ist« (Althusser 2010: 74; Herv. C.F.), und behauptet, dass diese Strukturgleichheit keine zufällige ist, sondern dass die (Freud’sche) Theorie des Unbewussten in Verbindung zur Theorie der Ideologie stehe (vgl. ebd.). Diese These Althussers wurde bereits im früheren Aufsatz Freud und Lacan (1964) eingeführt. Während der IISA-Aufsatz vor allem die kollektive und passive Seite in der Subjektwerdung betont, konzentriert sich der Aufsatz Freud und Lacan auf den individuellen und aktiven Prozess der Subjektwerdung aus einer psychoanalytischen Perspektive. Die Subjektwerdung ist in diesem Aufsatz allgemeiner als Prozess der »Menschwerdung« (Althusser 1976: 21) gefasst und die Analyse der Wirkungen dieses Prozesses wird als Gegenstand der Psychoanalyse bezeichnet. Der Aufsatz verdeutlicht in Bezug auf die Subjektivierung zweierlei: Zum einen, dass der Prozess ein individueller und schmerzhafter Kampf des Werdens ist – die Formung des Einzelnen an der geschlechtlichen und gesellschaftlichen Ordnung –, der allerdings, um erfolgreich zu sein, verdrängt werden muss. Die alten Wunden und Schmerzen kehren dann nur in Form des Symptoms wieder und sie sind dem einzelnen Subjekt nicht direkt zugänglich. Zum anderen, dass die Mensch- und Subjektwerdung keine biologisch zu betrachtenden Prozesse sind, sondern dass bereits mit der Geburt des Kindes (oder auch schon vor der Geburt) das Subjekt in die Ordnung des Bestehenden gesetzt wird und auch nur über diese bestehende kulturelle Ordnung als Subjekt begriffen oder intelligibel werden kann (vgl. ebd.: 28f.). Der Prozess der Subjektwerdung ist damit absolut – es gibt zwar auch ein Scheitern, aber dieses Scheitern bedroht dann den Status des Subjekts und damit den Status des Seins in der Gesellschaft selbst. »Daß dieses kleine biologische Wesen überlebt, und zwar nicht als kleiner Bär oder Wolf, als ›Wolfskind‹ […], sondern als Menschenkind […] – das ist die Prüfung, die alle erwachsenen Menschen durchgemacht haben: sie sind
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ohne Vergessen die Zeugen und oft genug die Opfer dieses Sieges, die in ihrem stummsten, das heißt schreiendsten Selbst die Wunden, Schwächungen und Lähmungen des Kampfes um menschliches Leben oder Sterben davontragen. Einige, die Mehrheit, sind daraus fast unversehrt hervorgegangen – oder geben zumindest lautstark vor, es durchhalten zu können –; viele dieser alten Kämpfer bleiben für ihr ganzes Leben gezeichnet; einige werden bald nach diesem Kampf sterben, wenn die alten Wunden in psychotischer Explosion wieder aufbrechen, im Wahnsinn als dem äußersten Zwang einer ›negativen therapeutischen Reaktion‹; andere, zahlreicher, werden auf ganz ›normale‹ Weise sterben unter dem Anschein ›organischen‹ Verfalls.« (Ebd.: 20f.) Nach Althusser besteht die Errungenschaft der Psychoanalyse nicht zuletzt darin, erkannt zu haben, dass die einzelnen Subjekte in ihrem singulären Sein nicht um ihr Bewusstsein herum zentriert, sondern dezentriert sind, da sie sich an der vielschichtigen und sich immer verschiebenden Ordnung des Symbolischen, am familiären, kulturellen und gesellschaftlich Bestehenden, bilden. Subjektwerdung ist nicht nur ein kollektiver Prozess, sondern zugleich eine individuelle Auseinandersetzung mit den konstitutiven Bedingungen des Seins, mit den materiellen Existenzbedingungen, die sowohl eine kollektivgesellschaftliche als auch eine individuell-biographische Dimension haben. Zugleich begreifen sich die Subjekte, um gut zu funktionieren, um nicht einen psychotischen Zusammenbruch zu erleiden, in Form eines imaginären und damit ideologischen Verkennens als einheitliche und ermächtigte Subjekte (vgl. ebd.: 35; vgl. Schütt 2015: 35). Man könnte dieses imaginäre Verkennen im Prozess der Subjektivierung zugleich als die Konstitution eines unzugänglichen Innenlebens oder als die Konstitution des Unbewussten beschreiben. Das Subjekt ist demnach in seinem eigenen Erleben gespalten – in ein bewusstes und denkendes Ich, welches aber imaginär ist, da seine bewusste Einheit über das Verdrängen der dezentrierten Struktur, der Wunden und Schmerzen des Subjektwerdungsprozesses, erkauft wird. Das einzelne Subjekt hat demnach auch eine individuelle Geschichte, die sein Sein und Erleben prägen und heimsuchen können – die Subjektwerdung hinterlässt im Innen des Subjekts ›Spuren‹ des Werdens, Spuren, die verdrängt werden und die dem Subjekt nicht bewusst zugänglich sind, die aber dennoch in diesem wirken und sein Verhalten prägen. Der Begriff des Imaginären, den Althusser in Bezug auf den Ideologiebegriff und die Subjektwerdung verwendet, stammt vom französischen Psycho-
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analytiker und Freud-Interpreten Jacques Lacan. Althussers Verwendung des Begriffs ist aber als assoziativ und nicht als systematisch kohärent zu verstehen.26 So changiert Althusser mit diesem zwischen der Bedeutung, den der Begriff bei Lacan einnimmt, und einer anderen Assoziation, die er dem Philosophen Baruch de Spinoza entlehnt (vgl. Montag 2013: 125ff.; vgl. Montag 1995).27 Die folgenden Ausführungen beziehen sich überwiegend auf den leicht zugänglichen Text Lacans Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion (function du Je) (1949), die kulturtheoretische Interpretation Lacans von Reckwitz (2008) und die psychoanalytische Betrachtung Schütts (2015), um das Problemfeld und die möglichen Anknüpfungspunkte, die Lacan oder die Psychoanalyse für die Subjektivierungsanalyse bieten können, zu umreißen. Sie sollten an dieser Stelle aber nur als die Weiterführung und Ergänzung der von Althusser angestoßenen Assoziationskette verstanden werden. Der Spiegelstadiums-Text stellt exemplarisch die Funktionsweise des Imaginären dar – auch wenn sich die Ausführungen im engeren Sinne auf einen entwicklungspsychologischen Schritt beziehen, die Ausbildung des selbstbewussten Ichs (moi) des noch nicht sprachfähigen Kleinkindes (vgl. Reckwitz 2008: 60). Nach Lacan ist das Subjekt seit dem Moment seiner Geburt, durch die Trennung der vorgeburtlichen Symbiose zwischen Mutter und Kind, von einem unbestimmten Begehren getrieben, durch das es den
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Zur Auseinandersetzung Althussers mit der Psychoanalyse Lacans siehe auch den Kommentar von Frieder Otto Wolf. Er weist darauf hin, dass die im Folgenden erläuterten Grundbegriffe Lacans – des Symbolischen, des Imaginären und des Realen – von Althusser entweder weggelassen oder in einem transformierten Sinne verwendet werden. So spreche Althusser beispielsweise im IISA-Aufsatz nicht vom Symbolischen, er weite den Begriff des Imaginären aus und diskutiere die Möglichkeit, das Reale durch die (marxistische) Wissenschaft erkenntnistheoretisch zugänglich machen zu können (vgl. Althusser 2012: 352). Dass die Anknüpfung an das Vokabular Lacans aber durchaus sinnvoll sein kann, soll in den folgenden Ausführungen gezeigt werden. In Elemente der Selbstkritik (1975) sieht Althusser in Spinozas Theorie und seiner Unterscheidung der drei Erkenntnisstufen (imaginatio, ratio, intellectus) bereits eine »abstrakte Ideologie-Theorie« (Althusser 1975: 75) enthalten. Mit Spinoza kann man Ideologie als primäre, imaginäre Erkenntnisstufe verstehen, in der das Denken nur durch die verworrenen und durch Affekte verzerrten primären Wahrnehmungen und Erfahrungen gekennzeichnet ist. Diese Assoziation ist in Althussers Ideologiebegriff in Marxismus und Humanismus noch sehr stark enthalten und wird im IISA-Aufsatz durch die Betonung der ideologischen Praktiken abgeschwächt (für den Spinoza-Bezug vgl. Färber 2012: 21, 24; vgl. Gillot 2013: 289f.; vgl. Montag 1995; vgl. Balibar 2006; kritisch: vgl. Arndt 1981).
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als mangelhaft erfahrenen postnatalen Zustand versucht zu überwinden (vgl. ebd.: 57). Das Begehren richtet sich aber nicht auf eine biologische Bedürfnisbefriedigung, sondern auf die libidinöse Besetzung kulturell begehrenswerter Objekte. Diese Objektbesetzung und damit auch das Begehren des Subjekts ist nach Lacan in die sprachlich-kulturelle Ordnung eingebettet und wird an dieser ausgerichtet, sie ist dem Subjekt aber nicht bewusst zugänglich. Wie im Folgenden erläutert wird, kann der Zustand des Mangels aber nicht überwunden werden, da eine Erfüllung des Begehrens ausgeschlossen sei (vgl. ebd.). Lacan geht davon aus, dass die psychische Apparatur des Subjekts durch drei Register konstituiert wird. Durch das Symbolische, d.h. die sprachlich-kulturellen Ordnung, durch das Imaginäre, die bildhaft-unbewusste Ordnung, und durch das Reale, in welchem, ähnlich der Freud’schen Instanz des Es, die deplatzierten und widerständigen Reste, die Ängste und Wünsche, die in den anderen zwei Ordnungen nicht aufgehen, wirksam sind. Das Begehren verlaufe durch diese drei Ebenen hindurch und erhalte seine Ausrichtung anhand der Register des Symbolischen und Imaginären (vgl. ebd.: 56). Das Symbolische wird von Lacan in Anlehnung strukturalistischer Zeichentheorien als sprachliche Ordnung verstanden, als »Sequenz von Signifikanten« (ebd.: 58), die durch permanente Bedeutungsverschiebungen gekennzeichnet sei und in der nur vorübergehende Sinn- oder Bedeutungsfixierungen möglich seien (vgl. ebd.: 59). Das Begehren sei zwar notwendig in die symbolische Ordnung eingelassen, da das Subjekt diese aber nicht direkt erfassen könne, verlaufe es, um sich an bestimmte Objekte haften zu können, zugleich über das Register des Imaginären. Das Imaginäre stehe parallel zur symbolischen Ordnung und stelle Bilder und Vorstellungen zur Verfügung, die das Subjekt libidinös besetzen und mit denen es sich identifizieren könne. Begrifflich werden diese Objekte als »›Objekt Klein a‹« (ebd.: 60) bezeichnet, die wiederum nur über das Register des Symbolischen, der Ordnung des »großen Anderen« (ebd.), intelligibel werden können und zugleich einer permanenten Bedeutungsverschiebung unterliegen müssen (vgl. Schütt 2015: 54). Den im Register des Imaginären verlaufenden Mechanismus der Identifizierung beschreibt Lacan am Beispiel des noch nicht sprachfähigen Kleinkindes. Dieses befinde sich in einem Zustand »motorische[r] Ohnmacht und Abhängigkeit von Pflege« (Lacan 1973: 64) und es stehe exemplarisch für das nicht souveräne Subjekt – es könne sich weder auf der sprachlichen Ebene verständlich artikulieren noch sei es auf körperlicher Ebene ermächtigt. In diesem Entwicklungsstadium reagiere das Kleinkind allerdings mit einer »Art
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jubilatorische[n] Geschäftigkeit« (ebd.) auf sein eigenes Spiegelbild. Lacan interpretiert diese Reaktion nun als Beispiel der Identifikation mit einem bildhaften Ideal-Ich, welches in dieser Phase das eigene Spiegelbild sei. Das noch nicht souveräne Kleinkind erfahre sich bei Betrachtung seines eigenen Bildes als ermächtigt, da dieses ihm eine »totale Form des Körpers [widerspiegelt; C.F.], kraft der das Subjekt in einer Fata Morgana die Reifung seiner Macht vorwegnimmt« (ebd.: 66). Die ermächtigte Form ist hier also eine imaginäre, sie ist bildhaft. Das Kleinkind identifiziert sich mit diesem Bild und Lacan beschreibt die Identifikation »als eine beim Subjekt durch die Aufnahme eines Bildes ausgelöste Verwandlung« (ebd.: 64). Diese Verwandlung besteht im Spiegelstadium darin, eine Beziehung »zwischen dem Organismus und seiner Realität […] zwischen der Innenwelt und der Umwelt« (ebd.: 66; Herv. im Orig.) herstellen zu können. In der Identifikation werden Eigenschaften eines imaginären/bildhaften ›Anderen‹, in Form eines bildhaften Ideal-Ichs, libidinös besetzt und zu eigenen Anteilen, zur Formierung des eigenen Selbst gemacht. Im Spiegelstadium ist demnach das Bild des Anderen zwar das eigene Spiegelbild, aber bereits hier entsteht die Trennung zwischen einem Innen und Außen, dem äußeren Bild und der inneren Selbstwahrnehmung, so dass das Kind zu dem Außen in Beziehung treten kann. Damit ist die Objektbesetzung, die Beziehung zum Außen und damit auch das Selbstbild imaginär – sie richtet sich auf ›Bilder‹ bzw. Objekte (Objekte klein a), die dem Subjekt eine Einheitlichkeit und Eindeutigkeit versprechen, die es in der symbolischen Ordnung, aufgrund der Uneindeutigkeiten und Verschiebungen nicht geben kann. Die Identifizierungen gehen somit mit einer Verkennung einher – der Verkennung der eigenen Dezentriertheit und der Verkennung der Variabilität der symbolischen Ordnung, des Gesetzes und der äußeren Welt. »[D]as Spiegelstadium ist ein Drama, dessen innere Spannung von der Unzulänglichkeit auf die Antizipation überspringt und für das an der lockenden Täuschung der räumlichen Identifikation festgehaltene Subjekt die Phantasmen ausheckt, die, ausgehend, von einem zerstückelten Bild des Körpers, in einer Form enden, die wir in ihrer Ganzheit eine orthopädische nennen könnten, und in einem Panzer, der aufgenommen wird von einer wahnhaften Identität, deren starre Strukturen die ganze mentale Entwicklung des Subjekts bestimmen werden.« (Ebd.: 67) Mit Lacans Begriff des Imaginären wird die Identitätsbildung als ambivalente betrachtet, denn zum einen sind Identifizierungen notwendig, um das Selbst
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bilden und um eine Beziehung zum Außen herstellen zu können; zum anderen werden aber alle Uneindeutigkeiten zugunsten einer wahnhaften Einheitlichkeit ausgeschlossen und verdrängt.28 Da das Spiegelstadium von Lacan in erster Linie als entwicklungspsychologisches Konzept gedacht wird, wird darüber hinaus die Entstehung des reflexiven Ichs (moi) als Verkennungsstruktur beschrieben, es ist von Beginn an »auf einer fiktiven Linie situiert« (ebd.: 64). Das Subjekt (je) ist in seiner psychischen Apparatur ein gespaltenes – denn als Subjekt des Mangels sucht es vergeblich, seine Einheit über die libidinöse Besetzung von Objekten klein a herzustellen. Damit verkennt es aber, dass sein reflexives Ich imaginär konstituiert ist – es ist durch das Begehren des Anderen entfremdet, der weder seiner Kontrolle unterliegt, noch wirklich greifbar oder transparent ist, so dass nicht nur der Andere, sondern auch das Subjekt sich selbst ›fremd‹ oder ›undurchschaubar‹ bleiben muss. Diesen Mangel erfährt das Subjekt aber nicht bewusst, sondern nur als nie zu stillendes Begehren des Anderen (vgl. Reckwitz 2008: 60). »Die Konstellation des Subjekts, die Lacan hier skizziert, ist die einer konstitutiven Verkennung: Das Subjekt ist in sich fragmentiert und instabil, aber es eignet sich das Ideal-Ich eines perfekten, stabilen und widerspruchsfreien Wesens an – das Ideal eines ›Subjekts‹ im empathischen Sinne –, das es fortan antreibt, das aber seine innere psychische Fragmentierung nicht zum Verschwinden bringen kann.« (Ebd.: 61)
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Die politische Bedeutung des Imaginären im Subjektivierungsprozess
Die Übertragung auf den Althusser’schen Ideologiebegriff wird so deutlicher: Das Subjekt kann sich nur als autonomes und freies Subjekt (als moi) erfahren, wenn es sich mit imaginären Bildern oder Anrufungen der Ordnung identifiziert. Diese Konstitution ist keine repressive Zurichtung anhand eines Gesetzes, sondern im Gegenteil eine libidinöse Besetzung von kulturell als begehrenswert betrachteten ›Bildern‹, Vorstellungen und Werten und damit zugleich eine positive Affirmation des Gesetzes in Form der symbolischen Ordnung (vgl. ebd.: 63). Das Subjekt bestätigt in seinem Begehren die Ordnung des großen Anderen, das Gesetz des Bestehenden. Das bewusste 28
Zur Unterscheidung zwischen Verdrängung und Verwerfung siehe Schütt (2015: 111f.). Der Neurotiker verdrängt sein Begehren, so dass dieses sich über Symptome wieder bemerkbar machen kann.
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Subjekt (moi) verkennt aber, dass es eigentlich ein gespaltenes oder ambivalentes Subjekt (je) ist, das seine vermeintliche Autonomie und Einheit in einer wahnhaften Identität verkörpern muss und so alles Uneindeutige – das Nicht-Identische – ausblendet. Das Subjekt erhält in dieser Abwehr aber zugleich eine Handlungssicherheit, die es als tatsächlich ermächtigtes konstituieren kann, denn es weiß, wer es ist, und es weiß, wie zu handeln ist. Wenn man Subjektwerdung bei Althusser als ambivalenten Prozess versteht, so kann man auch die Figur des Subjekts selbst als ambivalent begreifen. Das Subjekt bei Althusser ist nicht nur auf der Ebene des bewussten und verkennenden ›moi‹ situiert, sondern denkt gleichzeitig die dezentrierte Struktur des ›je‹ mit. Das Subjekt verkennt – in der Ideologie – aber diese ambivalente Struktur und versteht sich selbst nur als ›moi‹. Es ist aber dennoch festzuhalten, dass Althusser den Mangel des Subjekts nicht konzeptionell beachtet, so dass er versäumt, das Begehren nach dem Anderen als Potential denken zu können, sich auch etwas Anderes als das Bestehende wünschen und vorstellen zu können. Jedoch wird der Mangel des großen Anderen, der symbolischen Ordnung oder der ideologischen Staatsapparate von Althusser mitgedacht (abgrenzend: vgl. Schütt 2015: 68f.). Die doppelte Spiegelungsstruktur verweist auf die doppelte Abhängigkeit und damit darauf, dass auch der Herrensignifikant von den Subjekten eingesetzt und damit auch anders eingesetzt werden kann. Der Ebene des Imaginären kommt so eine politische Bedeutung zu. Es gibt sowohl auf individueller als auch auf kollektiv-gesellschaftlicher Ebene die Tendenz, Uneindeutigkeiten, nicht Bekanntes und nicht Evidentes abzuwehren, da diese verunsichern, die eigene Handlungssicherheit angreifen oder aber auch übersehen werden. Politisch bedeutsam wird diese Abwehr, wenn die Eindeutigkeit zur politischen Forderung wird, beispielsweise die Anrufung, sich über eine (homogene) Nationalität zu definieren und sich mit dieser zu identifizieren. Der Ausschluss des Nichthomogenen, die Abwehr des Uneindeutigen kann dann bis zu Vernichtungswünschen reichen. Dies lässt sich allgemein als Mechanismus der Abwehr des Uneindeutigen oder ›Fremden‹ darstellen, auf das die eigenen angstbesetzenden (aber auch unbewusst begehrten) Anteile projiziert werden, die in der Figur des Anderen vernichtet werden sollen. Die Abwehr kann sich aber auch entsubjektiviert auf alternative Lebensweisen oder Gesellschaftsformationen beziehen – dies äußert sich zum Beispiel im Fehlen von Utopien oder der Möglichkeit, eine Organisation der Gesellschaft jenseits der kapitalistischen Produktionsweise denken zu können.
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Reckwitz (2008) und Saar (2013) betonen hingegen, dass die Objekte, die von den Subjekten libidinös besetzt werden, durch die Einbettung in die symbolische Ordnung kulturell bestimmt sind, so dass das individuelle Begehren abhängig ist von gesellschaftlichen Normen – das, was als begehrenswert oder identitätsstiftend gilt, ist nicht neutral (vgl. Reckwitz 2008: 62, 68; vgl. Saar 2013a: 319f.). Das individuelle Begehren des Subjekts wird zum politischen Gegenstand, denn es ist von Beginn an in eine kollektive, ihm vorgängige Ordnung eingebettet und daran orientiert: »Gerade das, was am Subjekt am individuellsten und privatesten erscheint, das, was es unbewusst wünscht und wonach es ihm verlangt, hängt letztlich ab von kollektiven, übersubjektiven ›Sprachen‹, die definieren, was begehrenswert sein kann.« (Reckwitz 2008: 58) Am eindringlichsten wird dies anhand von gesellschaftlich als attraktiv geltenden Körperbildern oder Begehrensstrukturen deutlich, die Normen enthalten, die gesellschaftlich bestimmt sind und auch geschlechtlich ungleich verteilt und bewertet werden, so dass beispielsweise Frauen von diesen stärker betroffen sind und durch diese stärker reglementiert werden als Männer. Butler (2001) wiederum betont die Möglichkeit der Ablehnung der Anrufung, die über das Register des Imaginären ermöglicht werde. Hier kann das Imaginäre nicht nur als Ebene des Ausschlusses des Uneindeutigen, sondern als Ebene, die die unangepassten Aneignungen der Identitätskategorien ermöglicht, begriffen werden. »Althussers Anknüpfung an Lacan bezieht sich vor allem auf die Funktion des Imaginären als dauerhafte Möglichkeit der Nichtanerkennung, d.h. der Inkommensurabilität der symbolischen Forderung (der angerufene Name) und der Instabilität und Unvorhersagbarkeit ihrer Aneignung. Wenn der angerufene Name die Identität erreichen soll, auf die er sich bezieht, dann beginnt er als performativer Prozeß, der nichtsdestoweniger im Imaginären aus dem Gleis gerät, denn das Imaginäre ist gewiß vor allem mit dem Gesetz beschäftigt, von ihm strukturiert, gehorcht ihm jedoch nicht unmittelbar. Für den Lacanianer bedeutet also das Imaginäre die Unmöglichkeit der diskursiven – d.h. symbolischen – Konstitution der Identität.« (Butler 2001: 92f.) Diese Interpretation Butlers ist nicht auf den ersten Blick verständlich, denn Althusser gebraucht den Verweis auf das Imaginäre wesentlich, um das geschlossene Funktionieren der Subjektwerdung zu beschreiben. Auf der Ebene des Symbolischen, des großen Anderen (des großen SUBJEKTs), werden die
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Angebote des Werdens intelligibel, aber zur Identifikation eignen sie sich nur, wenn sie über das Register des Imaginären gelesen werden. Es besteht zwar eine Lücke zwischen der sich verschiebenden Ebene des Symbolischen und der Aneignung der Objekte auf der Ebene des Imaginären, aber diese Lücke wird über die Annahme der Anrufung geschlossen, so dass diese unsichtbar wird. Butlers Lesart betont demgegenüber, dass sich die Subjekte die Anrufung anders aneignen können, indem sie die Identitätskategorien – wie etwa die Kategorien ›schwul‹ oder ›schwarz‹ – performativ zitieren und ihre Bedeutung so transformieren könnten (vgl. ebd.: 92). Dies geschieht nach Butler vor allem dann, wenn sich die Subjekte nicht affirmativ oder ohnmächtig mit der Kategorie identifizieren, sondern sie als Verletzung oder Einschränkung des eigenen Begehrens oder Seins erfahren. Die Verletzung kann demnach unter der Bedingung, dass sie eine Motivation zur Abwehr der Anrufung auslöst, eine politische Kraft verleihen (vgl. ebd.). Butler berücksichtigt jedoch nicht genug, dass diese Verletzungen nicht immer bewusst von den Subjekten erfahren werden, sondern auch auf die Ebene des Realen, des Unbewussten verschoben und verdrängt werden. Sie äußern sich dann nur in Form von Symptomen und müssen erst als bewusste erfahrbar gemacht werden (vgl. Žižek 1988: 37). Das Subjekt kann so aber auch auf dieser Ebene als unangepasstes erscheinen, welches die Anrufungen ignoriert oder diese unzulänglich aufnimmt – jedoch lässt sich daraus noch keine politische Handlungsmacht ableiten.29 Über den Begriff des Imaginären wird deutlich, dass die Subjektwerdung nicht nur reflexiv erfolgt, sondern dass der Prozess der Subjektivierung mit der Konstitution eines Innenlebens des Subjekts einhergeht. Dieses Innenleben wiederum kann in drei Register unterteilt betrachtet werden – als psychische Apparatur des Subjekts. Das Subjekt tritt als Subjekt in die sprachlichkulturelle Ordnung ein, um intelligibel zu werden, und richtet zugleich seine Identität an dieser Ordnung aus, diese Identitätsausrichtung ist aber mit einer wahnhaften Schließung verbunden, die dem Subjekt eine einheitliche und autonome Form gibt, die in ihrem imaginären Charakter jedoch mit der Verkennung der Uneindeutigkeiten, des Nicht-Identischen notwendig verbunden ist. Subjektivierung kann so als Prozess verstanden werden, der das Subjekt als psychisches Subjekt begreift – es begehrt, es besetzt den Anderen und seine Identität affektiv und es ist durch eine Ebene des Unbewussten 29
Ein Beispiel für dieses unangepasste, aber dennoch nicht politisch handlungsfähige Subjekt stellt die Figur ›Bartleby der Schreiber‹ dar.
3. Subjektivierung bei Louis Althusser
bestimmt. Über die Bezugnahme auf Lacan wird deutlich, dass Subjektivierung als psychischer Prozess sowohl eine individuell-biographische, als auch eine kollektiv-gesellschaftliche Dimension hat. ›Das Unbewusste‹ ist durch beide Dimensionen bestimmt, so dass die Analyse der psychischen Struktur der Subjektwerdung sowohl individualpsychologische als auch sozialpsychologische Aspekte miteinbeziehen müsste. Dabei ist jedoch noch nicht entschieden, wie das Unbewusste begrifflich zu bestimmen ist. Um das Unbewusste in die Subjektivierungsanalyse miteinzubeziehen, sollte dieses historisch konkret gefasst werden. Es ist meines Erachtens unproblematisch, davon auszugehen, dass Subjektwerdung als ambivalenter Prozess zwischen Ent- und Ermächtigung ein ahistorischer Prozess ist und somit eine ontologische Eigenschaft beschreibt. Welchen Bedingungen das Subjekt dabei unterworfen ist und welche Bedeutung die Bewusstwerdung dieser Abhängigkeit hat, ist jedoch in seiner historischen Konkretion zu fassen. Hier könnte man wieder auf den Unterschied zur Ideologiekonzeption bei Marx und Engels verweisen, denn bei ihnen wird das ideologische Verhältnis historisch begriffen. Die Ideolog*innen begreifen sich als autonome Subjekte, da es ihnen durch die kapitalistische Arbeitsteilung historisch ermöglicht wurde, sich der Sphäre der Ideen zu widmen. Bei Althusser hingegen wird das autonome Subjekt als Produkt der Ideologie im Allgemeinen ontologisch und somit strukturformal bestimmt. Jedoch ist die Entstehung des Unbewussten in der Subjektivierung nicht als ursprünglicher Gründungsakt zu denken, sondern sie verläuft fortwährend und prozesshaft, so wie die Subjektkonstitution selbst. Das Unbewusste kann dabei als komplementär entstehende Ebene verstanden werden, in der sich die Erfahrungen und Konstitutionen des Subjekts auch individualbiographisch sedimentieren. Herauszufinden, mit welchen triebtheoretischen Prozessen die Subjektwerdung einhergeht und ob und in welcher Weise diese Sedimentierung in der frühen Kindheit präödipal oder ödipal ›strukturiert‹ wird, wäre die über Althussers Konzeption hinausgehende Aufgabe einer psychoanalytischen Analyse von Subjektwerdung. Es sollte jedoch darauf hingewiesen werden, dass es einen entscheidenden konzeptionellen Unterschied macht, ob man das Unbewusste nur als Sammelkategorie für die Dezentriertheit der Subjektwerdung begreift oder ob man den Anspruch verfolgt, den Konflikt auch triebtheoretisch zu fassen. Letzteres würde es nämlich ermöglichen – so wie Althusser es in seinen eigenen Überlegungen zum schmerzhaften Prozess der Menschwerdung angedeutet hat –, Subjektwerdung als konfliktgeladenen Prozess der
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
gesellschaftlichen Zurichtung zu begreifen, die auch sexuelle und libidinöse Regungen des Subjekts einbeziehen kann. Die Triebe und Affekte des Subjekts sind dabei nicht biologistisch als ›ursprüngliche‹ und ›unveränderbare‹ Kräfte zu fassen, sondern als in ihrem ›biologischen‹ Wirken immer schon imaginär und gesellschaftlich überformte. Gleichzeitig lassen sie sich weder mit der gesellschaftlichen Form in eins setzen, noch durch bewusste Bezugnahmen auflösen.30 Das Ziel dieses heuristischen Miteinbezugs des Unbewussten in dieser Arbeit liegt zum einen darin, diese anschlussfähig für psychoanalytische Betrachtungen zu gestalten, und zum anderen soll darauf verwiesen werden, dass Subjektwerdung immer auch als psychischer Prozess gedacht werden muss, so dass Subjekte nie als sich selbst transparente verstanden werden können – weder in der Eigen- noch in der Fremdwahrnehmung wird diese Transparenz erreichbar sein. Subjektwerdung geht immer mit verworfenen, verschobenen und verdrängten Anteilen einher. Des Weiteren ist Subjektwerdung sowohl ein kollektiver als auch ein individueller Prozess – dies gilt es auch politisch zu berücksichtigen, um sowohl individualistische als auch kol-
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In der Lesart von Gillot (2013) wird das Unbewusste bei Althusser sowohl mit Spinoza als auch mit Lacan gelesen. Das Unbewusste wird dort als ›strukturale Kausalität‹, als abwesende Ursache, die sich nur in den Wirkungen (beispielsweise im Symptom) äußert, verstanden. Der Begriff des Unbewussten wird in Gillots Ausführungen jedoch nur als Sammelbegriff für die Dezentrierung des Subjekts verwendet. Durch den fehlenden Verweis auf die Triebtheorie kann der Begriff deshalb auch nicht als psychoanalytischer Begriff verstanden werden. Eine solche Konzeption des Unbewussten findet sich beispielsweise in den Ausführungen von Schütt (2015) oder aber bei Rendtorff (2018: 21f.). »Das Unbewusste ist also das ›Andere der Vernunft‹ (Böhme & Böhme 1992) – dies meint jene äußerst kränkende Erkenntnis, dass das subjektive Empfinden weder als schlicht ›authentisch‹ noch als vernünftige Antwort auf Objektives gefasst werden darf und das individuelle Handeln nicht auf Reflexion und Entscheidung beruht, sondern beides immer auch aus Erfahrungen gebildete, aber verdrängte oder verborgene Wünsche und Energien enthält. Man darf also im Nachdenken über Psychoanalyse den Ausdruck ›das Unbewusste‹ nicht zu individuell verstehen, auch nicht konkretistisch als eine Art ›Gehäuse‹, in dessen Innern das ›wahre Ich‹ oder die ›wahren Wünsche‹ verborgen seien. Er bezeichnet nicht nur eigene unverständliche Wünsche und Begehrensdynamiken, sondern ist auch in einem strukturellen Sinne zu verstehen: zum einen – wie gesehen – als Hinweis auf Beeinflussungen durch familiäre und gesellschaftliche Gegebenheiten, zum anderen aber als Hinweis auf das im jeweiligen historischen Diskurs Ausgeschlossene.« (Rendtorff 2018: 21)
3. Subjektivierung bei Louis Althusser
lektivistische Verzerrungen zu vermeiden. Den Widerspruch zwischen beiden gilt es nicht zu glätten, sondern als solchen zu reflektieren. »Dabei ist es Aufgabe der Psychoanalyse – und hier stellt sie ein einzigartiges Instrument bereit – unbewusste Zuschreibungen und Konflikte zu untersuchen, die in der Interaktion zwischen Körper und Psyche in den primären Beziehungen entstehen und die sowohl Ausdruck und Abbild gesellschaftlicher Prozesse sind als auch wieder zu deren Aufrechterhaltung beitragen. […] Der spezifische Beitrag der Psychoanalyse ist jedoch eine Theorie der Vermittlung, Übersetzung und des Sichtbarmachens der ›psychosomatischen‹ Wechselprozesse zwischen Körper und Psyche, Beziehung und Gesellschaft.« (Teuber 2018: 45) In dieser Arbeit soll auf die jeweils historisch konkreten Bedingungen der Subjektwerdung verwiesen werden, um auch denkbar werden zu lassen, dass es Gesellschaften geben könnte, in denen die Gesellschaftsformationen von den Subjekten bewusst gestaltet werden, so dass die eigene Abhängigkeit von den Strukturen nicht ohnmächtig erfahren und reproduziert werden muss. Die Ambivalenz in der Subjektwerdung würde damit nicht wegfallen, sondern den Subjekten nur bewusster zugänglich sein. Bewusst ist damit nicht das eigene Sein, im Sinne der wahnhaften Monade, die sich selbst transparent ist, sondern die Abhängigkeit des eigenen Seins von Anderen. Das heißt nicht, dass es keine Abblendung und imaginären Bezugspunkte mehr gäbe, denn diese sind mit Althusser zugleich als notwendige Abblendungen zu verstehen, da die Subjekte in ihrer Dezentriertheit nicht als handlungsfähige Subjekte existieren könnten (vgl. Balibar 1994: 69f.). Würde man jedoch den Althusser’schen Ideologiebegriff historisch konkret fassen, dann müsste es auch eine These darüber geben, warum die Subjekte sich im kapitalistischen Produktionsverhältnis als autonome erfahren. Hier könnte man beispielsweise mit Marx und Engels darauf verweisen, dass die kapitalistische Produktionsweise ein Selbstverhältnis fördert, welches die eigenen Abhängigkeiten ausblendet. Es wäre jedoch auch eine Gesellschaftsformation denkbar, in der durch die bewusste Planung und den bewussten Bezug auf die anderen Subjekte, diese Abhängigkeit – trotz der ontologischen Bedingtheit – reflektiert und gestaltet werden könnte. Es gäbe allerdings weiterhin imaginäre Fixierungen, die nun aber als temporäre, dynamische und gestaltbare erfahren werden können, so dass Uneindeutigkeiten und NichtEvidentes nicht als Bedrohung des eigenen oder kollektiven Seins begriffen werden müssten. Omnihistorisch wäre dann die Subjektkonstitution in ih-
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rer Ambivalenz – und historisch konkret die Form, nach der die Subjektivierung sich vollzieht. Das Subjekt kann also nur historisch spezifisch über seine Subjektform und die gesellschaftlichen Subjektivierungsmodi verstanden und die konstitutiven Bedingungen können nur als solche auch einer Kritik und Transformation zugänglich gemacht werden. Eine Analyse der Subjektwerdung kann mit Althusser nur politisches Gewicht erhalten, wenn die Ambivalenz und der imaginäre Inhalt – sich als autonomes Subjekt zu erfahren und die eigene Dezentriertheit abzublenden – historisch konkret gefasst wird. Als ahistorische These würde sie ihren kritischen Analysewert verlieren, da die Analyse auch darauf verweisen muss, dass die Verhältnisse nicht so, sondern auch anders sein könnten – und auch andere sein müssten, um ein gesellschaftliches Sein jenseits der gegenwärtigen Macht- und Herrschaftsverhältnisse zu ermöglichen. Deshalb ist es wichtig, die Verbindung und Verschränkung des Funktionsmechanismus der Ideologie im Allgemeinen mit den besonderen Ideologien zu denken. Das autonome Subjekt äußert sich nur in historisch konkreten Ideologien. Die Möglichkeit, ›ohne Angst verschieden sein zu können‹, hängt von den gegenwärtigen, vergangenen und zukünftigen Existenzbedingungen ab. Diese Leerstelle des Historisch-Konkreten in der Subjektivierungskonzeption soll im Folgenden mit Foucault geschlossen werden. Bevor auf die Subjektivierungskonzeption bei Foucault eingegangen wird, kann Althussers Beschreibung des allgemeinen Funktionsmechanismus der Subjektwerdung wie folgt zusammenfassend dargestellt werden: Erstens findet Subjektwerdung in den ideologischen Staatsapparaten und Institutionen über die Ausübung gesellschaftlicher Praktiken und Rituale statt; in dieser Ausübung wird sowohl die Ordnung (re-)produziert als auch das Subjekt als konkretes hervorgebracht. Diese Hervorbringung ist zweitens einerseits im ambivalenten Sinne eine ermächtigende Unterwerfung, in der das einzelne Subjekt seinen Platz einnehmen und somit eine Subjektposition besetzen kann und muss, andererseits wird durch die Platzzuweisung und Annahme auch ein Kollektivsubjekt – wie etwa das Proletariat – hervorgebracht. Drittens kann man mit Althusser veranschaulichen, dass Subjektwerdung nicht im luftleeren Raum stattfindet, sondern in ein gesellschaftliches Ganzes eingebettet ist. Über die Ausübung der Rituale und Praktiken der einzelnen Apparate und Institutionen wird zugleich die Struktur des komplexen Ganzen mit seinen Instanzen des Ökonomischen, Politischen und Ideologischen reproduziert. Althussers Subjektivierungskonzeption zeigt aber auf, dass diese Ordnungsreproduktion von den Subjekten getragen wird und durch die
3. Subjektivierung bei Louis Althusser
vielfältigen Apparate und Institutionen zu Widersprüchen, Uneindeutigkeiten und Brüchen führen kann, so dass die Ordnung zugleich durch die aktiven Subjekte verändert werden kann. Viertens erfolgt die Subjektwerdung durch die Eigenaktivität der Subjekte in Form einer Selbstunterwerfungsbewegung. Durch den Anrufungsbegriff Althussers wird gezeigt, dass die Unterwerfung zwar durch Zwänge und Machtasymmetrien gekennzeichnet ist und sich somit nicht umgehen lässt, jedoch wird zugleich deutlich, dass das Subjekt sich auch aktiv umwenden muss und sich somit auch in Form einer reflexiven Bewegung konstituiert. Damit ist die Möglichkeit gegeben, sich zu den konstitutiven Bedingungen in kritische Distanz zu stellen. Fünftens zeigt Althusser auf, dass die Subjektwerdung kein bewusster und transparenter Prozess ist, sondern zugleich mit der Konstitution eines Unbewussten einhergeht, so dass dem Subjekt die eigenen Bedingungen des Seins nicht vollständig zugänglich sein können. Dennoch wird durch den Miteinbezug der psychischen Dimension in der Subjektwerdung deutlich, dass das Subjekt auch durch ein Innen und eine Innerlichkeit geprägt ist, so dass die Anrufung vom Subjekt nicht einfach übernommen werden kann. Das Subjekt ist weder durch die Ordnung determiniert noch verläuft die Subjektkonstitution reibungslos. Über den Begriff des Imaginären konnte außerdem gezeigt werden, dass das Subjekt sowohl ein libidinöses Begehren nach Annahme als auch nach Veränderung der Anrufung entwickeln kann. Dieser Aspekt wird in Butlers Konzeption aufgegriffen und weiterentwickelt werden, fehlt jedoch bei Foucaults Konzeption aufgrund seiner Skepsis gegenüber psychoanalytischer Theorien – diese Leerstelle kann jedoch durch Althusser und Butler ausgeglichen werden. Wie im Folgenden gezeigt werden wird, eignet sich Foucaults Subjektivierungskonzeption hingegen insbesondere dazu, den Konstitutionsprozess als historisch konkreten zu denken.
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4. Subjektivierung bei Michel Foucault
4.1
Das Subjekt der Macht: Körper, Vorstellungen, Normen und Historizität
Es ist nicht leicht, über Foucault in systematischer Absicht schreiben zu wollen, da man sich nicht nur mit einem fast unüberschaubaren und sehr heterogenen Textkorpus konfrontiert sieht, sondern auch weil, wie so oft erwähnt wird, sich Foucaults Begriffe als Werkzeugkasten präsentieren. So hat Foucault Begriffe herausgearbeitet, sie immer wieder aufgegriffen, weiterentwickelt, sie sich in ihrer Entwicklung widersprechen lassen, ergänzt und in ihrer Bedeutung transformiert – oder sie eben unbemerkt wieder fallen gelassen. In dieser Arbeit versuche ich, auf diese Schwierigkeit zu reagieren und den Begriff der Subjektivierung bei Foucault hauptsächlich anhand seiner machtanalytischen Schriften herauszuarbeiten. Die Hauptthese, die diese Arbeit leitet, besteht darin, von einer grundlegenden und konstitutiven Ambivalenz – zwischen Unterwerfung und Ermächtigung – im Subjektivierungsprozess auszugehen. Daran schließt sich weiter die These an, dass diese Ambivalenz bei Foucault am stärksten in den machtanalytischen Schriften enthalten ist, da hier Macht und Freiheit, Ent- und Ermächtigung, im Begriff der Unterwerfung, der assujettissement, eng miteinander verwoben konzipiert sind. Die Analyse bleibt aber nicht bei der Darstellung dieser Verwobenheit stehen, sondern versucht zugleich, die Problematik zu erörtern, ob der Begriff der assujettissement nur in Abgrenzung zum als ›umfassender‹ verstandenen Begriff der subjectivation begriffen und gebraucht werden kann und ob Foucaults späte Schriften zur Subjektwerdung, die auch als subjektanalytische Schriften bezeichnet werden, als Bruch verstanden oder als kohärente Ergänzung in die ambivalente Subjektivierungsanalyse integriert werden können. Dies ist die werkimmanente Problematik, die über die Analyse des ambivalenten Subjektivierungsbegriffs bei Foucault bearbeitet wird; der
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
konzeptionelle Beitrag Foucaults für diese Arbeit soll außerdem darin bestehen, den bei Althusser ausgearbeiteten allgemeinen Subjektivierungsmechanismus um eine historische Komponente zu ergänzen. Hierbei sollen vor allem der Foucault’sche Dispositivbegriff und der Macht-WissensFunktionsmechanismus im Zentrum stehen und diskutiert werden, ob die bei Foucault beschriebenen Machteffekte von Normierung und Normalisierung auch als historische und historisch zeitgemäße Machtmechanismen und Subjektivierungseffekte verstanden werden können. Im Vordergrund dieser Analyse stehen die Werke Überwachen und Strafen (1975; dt. 1976) sowie Der Wille zum Wissen (1976; dt. 1977), auch wenn für die weitere Diskussion der Problematik der Ambivalenz in der Unterwerfung auch auf die Vorlesungsreihen und späteren Schriften Der Gebrauch der Lüste (1984; dt. 1989) und Die Sorge um sich (1984; dt. 1989) zurückgegriffen wird. In dieser Arbeit wird vorgeschlagen, das Spätwerk als kritische Ergänzung zu den machtanalytischen Schriften zu lesen, da diese deutlicher zeigen können, dass Selbstgestaltungen und -praktiken notwendig sind und dass die Ambivalenz immer die Seite der Aktivität berücksichtigen muss. Kritisch wird jedoch der im Spätwerk enthaltene Fokus auf das Selbst betrachtet, da in dieser Arbeit davon ausgegangen wird, dass Transformationen von Lebensweisen und Subjektivitätsformen als politische nur Wirksamkeit beanspruchen können, wenn sie kollektiv gedacht und erprobt werden.
4.2
Das Subjekt der Disziplin – Körper und Seele
Die Entstehung und Thematik des 1975 in Frankreich veröffentlichten Werks Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses lassen sich insbesondere vor dem Hintergrund der 1968er Proteste und der Gefängnisrevolten der 1970er Jahre verstehen. Dies ist zugleich der Zeitraum, in welchem Foucault beginnt, öffentlich politisch aufzutreten und sich u.a. in der Gruppe GefängnisInformation (G.I.P./groupe d’information sur les prisons) zu engagieren, die nicht nur die Bedingungen der Haft verbessern wollte, sondern auch allgemeiner auf eine Kritik der Strafpraktiken zielte (vgl. Lemke 1997: 61ff.; vgl. Defert 2015: 31-74). Überwachen und Strafen kann in diesem Sinne auch als Teil der politischen Praxis, des Eingreifens in ein bestimmtes Kräfteverhältnis der Gegenwart, gelesen werden. Dennoch verhandelt die Studie in ihrer methodischen Ausrichtung auch die Frage, wie Macht theoretisch erfasst werden kann, sowie den Zusammenhang von gesellschaftlichen Machtverhältnissen
4. Subjektivierung bei Michel Foucault
und Subjektivität. So wird in diesem Werk Foucaults nicht nur der Grundstein für eine Analytik der Macht, sondern auch für die der Subjektivierung gelegt. Die Ambivalenz der Subjektivierung lässt sich in Foucaults Überwachen und Strafen in zwei Schritten, die allerdings nur analytisch zu trennen sind, rekonstruieren. Erstens in der Unterwerfung des Körpers in der Dressur, der darin enthaltenen Leibesübungen, die den Körper einzwängen und diesen zugleich befähigen.1 Das Subjekt wird in den sich wiederholenden Ausübungen der Dressur zum handlungsermächtigten Subjekt. Ein Prozess, der eng am Körper ansetzt und diesen formt. Wie noch gezeigt werden soll, ist jedoch auch in der körperlichen Subjektivation ein unkörperliches Moment enthalten, da auch in der Dressur die ›Seele‹ oder Innerlichkeit produziert wird. Zweitens wird die Ambivalenz im unkörperlichen Zugriff eingesetzt, in der das Individuum, sein Verhalten und seine ›Leidenschaften‹ zum Gegenstand juristischer und wissenschaftlicher Betrachtungen werden, so dass das sichtbare und beobachtbare Individuum als Objekt und Subjekt der Wissenschaft/ Disziplin hervorgebracht wird (vgl. Foucault 1977: 27, 39, 393f.).2 Die klassische Figur des freien Erkenntnissubjekts wird bei Foucault als produktive Unterwerfungsfigur beschrieben – das Erkenntnissubjekt geht den Untersuchungsobjekten nicht voraus, sondern ist selbst durch diese konstituiert. Es wird zum Subjekt, indem es zum Erkenntnisobjekt gesetzt wird. Der Körper ist in Überwachen und Strafen doppelt besetzt: Er wird zum besonderen Ort der Erkenntnis (Wissen) und der disziplinären Beobachtung und Ausrichtung (Macht) des Individuums – sowohl in der körperlichen Dressur als auch in der
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»Die Disziplin steigert die Kräfte des Körpers (um die ökonomische Nützlichkeit zu erhöhen) und schwächt dieselben Kräfte (um sie politisch fügsam zu machen). Mit einem Wort: sie spaltet die Macht des Körpers; sie macht daraus einerseits eine ›Fähigkeit‹, eine ›Tauglichkeit‹, die sie zu steigern sucht; und andererseits polt sie die Energie, die Mächtigkeit, die daraus resultieren könnte, zu einem Verhältnis strikter Unterwerfung um. Wenn die ökonomische Ausbeutung die Arbeitskraft vom Produkt trennt, so können wir sagen, daß der Disziplinarzwang eine gesteigerte Tauglichkeit und eine vertiefte Unterwerfung im Körper miteinander verkettet.« (Foucault 1977: 177) »Zu behandeln wäre der ›politische Körper‹ als Gesamtheit der materiellen Elemente und Techniken, welche als Waffen, Schaltstationen, Verbindungswege und Stützpunkte den Macht- und Wissensbeziehungen dienen, welche die menschlichen Körper besetzen und unterwerfen, indem sie aus ihnen Wissensobjekte machen.« (Foucault 1977: 40)
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
unkörperlichen Überwachung, Beobachtung und hierarchisierenden Kategorisierung. Diese zwei Momente konzentrieren sich in den Disziplinareinrichtungen – dem Militär, dem Gefängnis, dem Kloster oder dem Hospital –, die es geschichtlich ermöglichten, das Wissen über die Funktions- und Verhaltensweisen der Individuen und Körper auszuweiten, da hier das Individuum nahezu total unterworfen und unter explorative Beobachtung gestellt werden konnte. In den Institutionen verbindet sich das technische Wissen der Disziplinen mit dem wissenschaftlichen der Humanwissenschaften. Über die explorative Unterwerfung kann ein neues technisches Wissen über den Menschen generiert werden, welches von den Humanwissenschaften aufgegriffen und ergänzt wird. Foucaults These folgend wurden die Humanwissenschaften nicht in den Dienst der Disziplinarmacht gestellt, sondern ihre Verstrickung ist tiefergehend zu denken. Sie treten historisch nicht als gegen die Macht gerichtete, sondern als epistemologisch durch die Disziplinarmacht geformte auf. Der erkennbare Mensch der Humanwissenschaften konstituiert sich nach Foucault wie das produktive und unterworfene Individuum der Disziplin. »Es handelt sich nicht um die Behauptung, die Humanwissenschaften seien aus dem Gefängnis hervorgegangen. Aber sie konnten sich nur formieren und die bekannten Umwälzungen in der Episteme auslösen, weil sie von der spezifischen und neuen Spielart der Macht getragen werden. Eine bestimmte Politik des Körpers, eine bestimmte Methode, die Anhäufung der Menschen gefügig und nützlich machen, machte die Eingliederung bestimmter Wissensbeziehungen in die Machtverhältnisse erforderlich; sie verlangte nach einer Technik zur Verflechtung der subjektivierenden Unterwerfung [frz. assujettissement; C.F.] und der objektivierenden Vergegenständlichung [frz. objectivation; C.F.]; sie brachte neue Verfahren der Individualisierung mit sich. Das Kerkernetz bildet ein Arsenal dieses Komplexes aus Macht/Wissen, der die Humanwissenschaften geschichtlich ermöglicht hat. Der erkennbare Mensch (Seele, Individualität, Bewußtsein, Gewissen, Verhalten…) ist Effekt/ Objekt dieser analytischen Erfassung, dieser Beherrschung/Beobachtung.« (Ebd.: 393f.) Die (human-)wissenschaftliche Untersuchung der ›Seele‹ – des Verhaltens, des Begehrens, der Leidenschaften – setzt demnach die individualisierenden Maßnahmen der Disziplinen voraus. Jedoch ist das Verhältnis mit Foucault als wechselseitiges zu verstehen – die Setzung des Menschen als Objekt
4. Subjektivierung bei Michel Foucault
der Erkenntnis setzt die Techniken der Individualisierung zur analytischen Erfassung des Individuums und seiner Seele ein. Die Disziplinen und ihre Individualisierungstechniken ermöglichen wiederum die Setzung des Menschen als Objekt der Wissenschaften. Die beiden Prozesse greifen – wie die Momente des körperlichen und unkörperlichen in der Subjektivierung – ineinander über. So wird der Körper einerseits direkt über die dressierenden Übungen geformt und eingesetzt (Disziplin/Macht), andererseits auch indirekt durch die bloße Sichtbarmachung, Beobachtung und analytische Erfassung (Humanwissenschaften/Wissen). Um dieses Ineinandergreifen zu beschreiben, verwendet Foucault sowohl den Begriff der Macht/Wissen-Komplexe als auch den bei Gabriel Bonnot de Mably ›entliehenen‹ und von Foucault metaphorisch für die Innerlichkeit und Psyche verwendeten Begriff der Seele. Auch wenn der Begriff des Körpers in Foucaults Betrachtungen zentral ist, heißt das also nicht, dass die ambivalente Subjektproduktion in Überwachen und Strafen ausschließlich über den direkten Zugriff auf den Körper erfolgend gedacht wird. Die ambivalente Subjektivierung erfolgt zwar einerseits über den direkten Zugriff auf den Körper in der Dressur. Über die immerwährenden Wiederholungen der Körperübungen wird dieser im Hinblick auf die idealen Setzungen der Übungen geformt und produziert. In diesem Konstitutionsprozess wird nicht nur das Äußere geformt, sondern es entsteht durch die Übungen auch ein Inneres oder eine Innerlichkeit.3 In diesem Sinne kann das Subjekt in Überwachen und Strafen auch als Subjekt der Praxis verstanden werden. Jedoch wird die ambivalente Subjektivierung andererseits – und dies ist der interessantere Aspekt – über die Sichtbarkeit und den beobachtenden Blick erzeugt. Dieser Blick und diese Sichtbarkeit müssen auch nur potentiell und nicht tatsächlich vorhanden sein, so dass Foucault über sein panoptisches Schema die Selbstunterwerfungsbewegung des Subjekts miteinbeziehen kann. Nicht zuletzt für die Beschreibung dieser ›unkörperlichen‹ Subjektivierung, die dennoch auf den Körper zielt, braucht Foucault vorübergehend den Begriff der Seele – die Seele, die als Gefängnis des Körpers fungiert (vgl. ebd.: 42). Die beiden Momente der Subjektivierung analytisch zu trennen, hat seine Begründung aber auch darin, dass die Rezeption so leichter hinsichtlich der
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Begrifflich bezeichne ich mit dem Inneren des Subjekts einen unbestimmten inneren Raum, welcher getrennt vom Äußeren zu verstehen ist und auch unbewusste Anteile umfasst; mit Innerlichkeit soll hingegen auf die vom Subjekt reflektierte Erfahrung und leibliche Dimension des Inneren verwiesen werden.
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beiden Momente geordnet werden kann. Welche Rolle wird dem Körper im Prozess der Subjektivation bei Foucault zugeschrieben? Wie werden die Innerlichkeit und das Innere gedacht? Wird die Foucault’sche Subjektkonzeption in den machtanalytischen Schriften nur verkürzt oder behavioristisch verstanden? In der folgenden Analyse sollen deshalb die zwei Momente, die explizit körperliche und die unkörperliche Subjektivierung, zuerst getrennt voneinander betrachtet werden, um dann ihre untrennbare Verbindung aufzuzeigen. Ziel ist es, den verkürzten Subjektivierungsbegriff – nach dem diese nur über den direkten Zugriff auf den Körper und das Innere als Produkt dieses Zugriffs verstanden werden kann – zurückzuweisen, um aufzeigen zu können, dass bereits auf der theoretischen Ebene des Disziplinarsubjekts eine reflexive Distanz zum Unterwerfungsverhältnis gedacht werden kann. Foucault beginnt Überwachen und Strafen mit der Ausführung seiner Hauptthese, dass es im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert eine Transformation der Machttechnologien gegeben habe, die sich anhand der Transformation der Strafpraktiken, genauer der Machtbesetzung des Körpers im Strafsystem, ablesen lasse. Er verfolgt in Überwachen und Strafen aber mehrere Ziele zugleich. Er versucht erstens, anhand des konkreten Beispiels des Strafsystems eine Genealogie der Machttechnologien zu schreiben; zweitens ist darin eine Genealogie des gegenwärtigen Strafsystems (des Wissenschafts/Justiz-Komplexes) enthalten, mit dem Ziel, die vermeintliche Humanisierung der Strafe zu hinterfragen und nebenbei eine Kritik am Gefängnissystem und den Humanwissenschaften zu liefern; drittens formuliert er eine zeitdiagnostische These über die Gesellschaft, die er als Disziplinar- oder Normalisierungsgesellschaft bezeichnet, innerhalb derer sich das Subjekt verorten müsse (Genealogie der ›modernen Seele‹). Die im ersten Kapitel thetisch dargestellte Transformation der Strafpraktiken führt Foucault ausführlich im zweiten Teil des Buches aus und wendet sich erst im dritten Teil der für die moderne Gesellschaft besonderen Machttechnologie der Disziplin zu. Foucault zeigt verschiedene Formen der Disziplinartechnologie auf: die körperliche Dressur, die hierarchische Überwachung, die normierende Sanktion, ihre Kombination in der Prüfung und der Panoptismus als entwickeltes Machtmodell der Disziplin, die nicht länger als an eine Institution gebunden gedacht werden muss. Erst im vierten Teil geht er auf das Gefängnis als produktiver Institution der gesellschaftlichen Organisation von Delinquenz – Verwaltung und Regulation von Normalität und Abweichung – und das Kerkersystem als Fundament der Disziplinar- und Normalisierungsgesellschaft ein. Foucault hinterfragt mit seiner Genealogie
4. Subjektivierung bei Michel Foucault
den Diskurs der Humanisierung der Strafe im Zeitalter der Moderne. Die Entdeckung des ›Menschen‹ in der Strafe und das damit einhergehende Ziel der ›Besserung‹ des straffällig gewordenen Individuums sei keine Humanisierung, sondern lediglich das Ergebnis einer »Anpassung und Verfeinerung der Apparate, die das alltägliche Verhalten der Individuen, ihre Identität, ihre Tätigkeit, ihre scheinbar bedeutungslosen Gesten erfassen und überwachen« (ebd.: 101) solle. Foucault greift das im aufklärerischen Denken formulierte Diktum »›[d]ie Strafe soll […] eher die Seele treffen als den Körper‹« (ebd.: 26) auf und wendet es, um zu zeigen, dass die Strafe in der Moderne tiefer geht als zuvor. Sie ziele nun nicht nur auf das Äußere des Körpers, sondern fälle Urteile über die »Psyche, Subjektivität, Persönlichkeit, Bewußtsein, Gewissen« (ebd.: 42) – und damit über das Innere und die Innerlichkeit des Subjekts. Über den Begriff der Seele versucht er zu verdeutlichen, dass Innerlichkeit oder Subjektivität keine vorgängige Substanz bezeichnen, sondern als Produkte der Disziplin – durch Bestrafung Überwachung, Züchtigung – am, um und im Körper hervorgebracht werden. Das Innere und die Innerlichkeit können so als ein Produkt der Disziplinarmacht verstanden werden. »Man sage nicht, die Seele sei eine Illusion oder ein ideologischer Begriff. Sie existiert, sie hat eine Wirklichkeit, sie wird ständig produziert – um den Körper, am Körper, im Körper – durch Machtausübung an jenen, die man bestraft, und in einem allgemeineren Sinn an jenen, die man überwacht, dressiert und korrigiert« (ebd.: 41). Diese Seele, als Inneres verstanden, ist ein imaginärer Zentrierungspunkt, denn sie wird von Foucault nicht als Substanz begriffen, die man aus den Individuen extrahieren kann, sondern als durch die Disziplinen produzierter Bezugspunkt, auf den sich das Wissenschafts/Justiz-System, aber auch die Subjekte in ihrer Selbstbeobachtung und -erfahrung beziehen müssen. Die Seele und ihre Kategorien haben aber materielle (Aus-)Wirkungen – sie stellen den Rahmen der Intelligibilität. In Überwachen und Strafen wird die Seele auch als ›Zahnradgetriebe‹ von Macht-Wissen beschrieben, da sie einerseits durch die Machttechniken der Disziplin produziert werde und andererseits in dieser Produktion Wissen über die Seele – die Psyche, das Verhalten, die Persönlichkeit, das Begehren – entstehen lasse. Ein Wissen, welches wiederum zur Erneuerung und Verstärkung der Machtmechanismen eingesetzt werden könne (vgl. ebd.: 42). In Überwachen und Strafen wird demnach eine zirkuläre Hervorbringung von Körper und Seele/Innerlichkeit gedacht, die am Körper
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ansetzt – in der Bestrafung, der Überwachung oder der Züchtigung – und das Innere hervorbringt, gemäß diesem wiederum der Körper – die Seele als Gefängnis des Körpers – geformt und wiederholt eingesetzt wird. Meines Erachtens ist es konzeptionell wichtig, diesen zirkulären Aspekt zu betonen, da sonst lediglich von einem ›natürlichen‹ Körper ausgegangen wird, der als durch die gesellschaftliche Form ›eingesperrter‹ und als in seiner Natürlichkeit entfremdeter Körper verstanden wird. Die Zirkularität soll dabei nicht die ›Natürlichkeit‹ des Körpers negieren, sondern aufzeigen, dass diese ›Natürlichkeit‹ immer in sozial und damit auch historisch vermittelter Form produziert wird.4 Es wurde vielfach über den Machtbegriff bei Foucault geschrieben und die Grundcharakteristika des Begriffs sollten bekannt sein, jedoch sollte gerade in Bezug auf den Macht/Wissen-Begriff immer wieder darauf hingewiesen werden, dass dieser in einem wechselseitigen Bedingungsverhältnis steht (vgl. Foucault 1983: 39).5 Macht/Wissen ist also nach Foucault nicht so zu verstehen, dass Wissen mächtig ist und missbraucht werden kann – es sollte nicht nach dem Konzept des ›Herrschaftswissens‹ verstanden werden, welches ideologisch in den Dienst der Herrschenden gestellt wird. Der wechselseitige Funktionszusammenhang von Macht/Wissen kann vielmehr so verstanden werden: »[…] daß die Macht Wissen hervorbringt (und nicht bloß fördert, anwendet, ausnutzt); daß Macht und Wissen einander unmittelbar einschließen; daß es keine Machtbeziehung gibt, ohne daß sich ein entsprechendes Wissensfeld konstituiert, und kein Wissen, das nicht gleichzeitig Machtbeziehungen voraussetzt und konstituiert.« (Ebd.; und vgl. Saar 2007: 118f.) Wissen ist damit schon in seiner Produktion machtdurchsetzt und schließt das Wissensfeld mit ein. Während die erste Beziehung zwischen Macht und Wissen verständlich scheint, ist es jedoch schwieriger, die Wissensproduktion von Machtmechanismen zu verstehen. Foucault versucht darauf zu verweisen, dass Machtbeziehungen nicht direkt, sondern auch vermittelt über
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Dass Foucault stellenweise jedoch auch in entfremdungstheoretischen Begriffen denkt, wird spätestens in Der Wille zum Wissen mit seiner Forderung, die Körper und Lüste von der Instanz des Sexes zu befreien, deutlich (vgl. Foucault 1983: 151; vgl. Butler 1989: 604). Zum Machtbegriff siehe beispielsweise Saar (2007: 204-226).
4. Subjektivierung bei Michel Foucault
die Architektur oder die räumliche Anordnung ein Wissensfeld strukturieren und hervorbringen können. So denkt Foucault die Schule, das Hospital oder eben das Gefängnis in Überwachen und Strafen auch als Orte, die in ihrer disziplinären Machtdurchsetzung Orte der Wissensproduktion waren – des Wissens vom abweichenden Schüler, der kranken Körper, und des Wissens über kriminelle Individuen. In diesem Sinne sind die Machttechniken auch automatisch und unbeabsichtigt an der Wissensproduktion beteiligt.
4.2.1
Normierung und Normalisierung
Das Strafsystem der Moderne zielt nach Foucault aber nicht ausschließlich auf die ›Besserung‹ des Individuums und sein Verhalten, sondern erhebt sich zugleich als Instanz, die über die Normalität des Individuums urteilt (vgl. Foucault 1977: 31). Insbesondere im Einbezug der psychiatrischen Gutachten im Strafprozess wird nach Foucault deutlich, dass sich das Urteil nicht mehr nur auf die aktuelle Situation bezieht, sondern die Individuen »auf das, was sie sind, sein werden, sein können« (ebd.: 28) untersucht und festschreibt. Das Urteil ziele damit nicht nur auf das vermeintliche ›Wesen‹ des Individuums, sondern richte sich darin auf die Zukunft. Über den Miteinbezug der Humanwissenschaften in den strafrechtlichen und juristischen Prozess werde aber auch der Wahrheitsbegriff transformiert. Im Urteilsspruch gehe es nicht länger mehr hauptsächlich um die Frage von Schuld oder Unschuld, sondern um die Frage nach einer diagnostischen Wahrheit über die Normalität des Individuums: »Eine ganze Reihe von abschätzenden, diagnostischen, prognostischen, normativen Beurteilungen des kriminellen Individuums ist in die Apparatur des Gerichtsurteils eingezogen« (ebd.: 29). In dem Zitat wird deutlich, dass Foucault hier stellenweise eine Unschärfe bezüglich seiner Begriffsverwendung hat. So bleibt unklar, welcher Unterschied zwischen normativen, normierenden und normalisierenden Wahrheiten bezeichnet werden soll oder ob sie gar synonym verwendet werden können. Im Laufe seiner Ausführungen wird jedoch deutlich, dass Foucault über die Begriffe der Normierung und Normalisierung hauptsächlich auf die Anpassung des Verhaltens und die Kategorien der Identität und Persönlichkeit verweisen möchte, zu denen das Subjekt sich in ein inneres, nämlich reflexives Selbstverhältnis stellt. Jedoch kann dieser Anspruch von Foucault erst im Panoptismus-Kapitel eingeholt werden. In seinen Ausführungen zur Dressur zeigt Foucault, wie durch die zeitliche Taktung die Körper hinsichtlich eines Ideals sowohl individuell als auch
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in der Gesamtheit angepasst und im Hinblick auf die dem Ideal enthaltene Norm produziert werden. Die räumliche Anordnung hingegen kann auch die impliziten Subjektivierungseffekte produzieren. So entsteht durch die Parzellierung des Raumes die Möglichkeit, den Einzelnen einer permanenten Sichtbarkeit zu unterstellen, die so automatisch im Einzelnen wirkt. Das System der Aufteilung des Raumes kann nicht nur die Vielfalt an Individuen ordnen, ihnen einen individuellen und isolierten Platz zuordnen, sondern die Plätze können hierarchisch angeordnet werden. Am Beispiel der Schule zeigt Foucault, dass die Ranganordnung nicht nur über Strafe, sondern auch als Anreizstruktur zu verstehen ist, die das Potential hat, auch affirmativ und freiwillig von den Subjekten angenommen zu werden. »Die Disziplin belohnt durch Beförderungen, durch die Verleihung von Rängen und Plätzen; sie bestraft durch Zurücksetzungen. Der Rang selber gilt als Belohnung oder Bestrafung.« (Ebd.: 234) Wenn Individuen sichtbar den ersten Rang über die Erfüllung des Leistungs- oder Verhaltensideals erreichen können, so kann auf direkte Zwangsmaßnahmen verzichtet werden. Die Norm, nach welcher die Individuen ausgerichtet werden, ist nach Thomas Lemke als präskriptive zu verstehen; sie funktioniert als ein ›künstlich‹ gesetztes Ideal und nicht als eine an der Natürlichkeit der Individuen erhobene Norm (vgl. Lemke 1997: 190). Das gewünschte Verhalten oder die zu erreichende Idealleistung unterliegt jedoch immer auch den ›natürlichen‹ Grenzen des Menschen – sie lassen sich nicht beliebig steigern oder modellieren. Welche Steigerung und welches Ideal erreicht werden können, ist aber zugleich eine explorative Studie der Disziplinen. Über die Übung wird versucht, die ›Natur‹ des Individuums so hervorzubringen, dass die Fähigkeiten der Individuen immer effizienter und produktiver werden können. Die Grenze zwischen Natur und künstlichem Ideal wird so verwischt und das Ideal selbst zur Natur (vgl. Foucault 1977: 199-201). Da aber nicht nur das einzelne Individuum, sondern auch die Masse am Ideal ausgerichtet werden soll, zeigt sich bereits hier die Verschiebung von der Normierung zur empirischen Normalisierung. »Die Individuen werden untereinander und im Hinblick auf diese Gesamtregel differenziert, wobei diese sich als Mindestmaß, als Durchschnitt oder als optimaler Annäherungswert darstellen kann. Die Fähigkeiten, das Niveau, die ›Natur‹ der Individuen werden quantifiziert und in Werten hierarchisiert.« (Ebd.: 236) Der Durchschnittswert bildet sich als ein an der Realität erhobener ›natürlicher‹ Wert. Diese empirische Norm wird nach Foucault im Laufe des 18. Jahrhunderts, durch die Hilfe der Statistik, zur vorherrschenden Form – ei-
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ne Norm, die sich exemplarisch in der Gauß’schen Normalverteilung präsentiert. Die Realität wird nicht mehr ausschließlich am Ideal geformt, sondern die Realität selbst zum Ideal erhoben (vgl. Lemke 1997: 190). Normend ist nach Foucault aber sowohl die Ausrichtung an der präskriptiven als auch an der empirischen Norm – zwei Formen der Normierung, die sich wechselseitig ergänzen können. Ein weiterer zentraler Punkt der Normierung und Normalisierung ist das Festsetzen einer Normalitätsgrenze. »Als Unterschied zu allen übrigen Unterschieden wird schließlich die äußere Grenze gegenüber dem Anormalen gezogen« (Foucault 1977: 236). Es werden nicht nur ›normale‹, sondern, als ihre Kehrseite, ›anormale‹ Subjekte produziert. Die Norm geht immer mit einem Ausschluss einher, der sich in der Subjektwerdung, als Verwerfung anderer Subjektformen und Lebensweisen wiederfinden lässt. Die Grenzziehung zwischen Normalität und Anormalität ist aber nicht als dichotome Aufteilung zu verstehen, sondern es werden vielfältige Differenzierungsräume geschaffen, so dass es kein vollständiges Außen mehr geben kann. Nach Foucault weite sich das Disziplinarsystem von den totalen Institutionen nach und nach auf die Gesamtgesellschaft aus, so dass ein Ausschluss potentiell den nächsten miteinschließe (vgl. ebd.: 388). »Das Kerkernetz verstößt den Unanpaßbaren nicht in eine vage Hölle; es hat kein Außen. Wen es auf der einen Seite auszuschließen scheint, dessen nimmt es sich auf der anderen Seite wieder an.« (Ebd.) Foucault beschreibt diesen Prozess mit den Begriffen des Kerkernetzes, der Disziplinar- und der Normalisierungsgesellschaft. Auch wenn er mit diesen Begriffen überwiegend auf die Verwaltung der als (potentiell) abweichend, delinquent oder anormal kategorisierten Individuen aufmerksam machen will, wird über das Panoptismus-Kapitel deutlich, dass die Disziplinen in die Gesamtgesellschaft diffundieren können. »Eine Disziplinargesellschaft formiert sich also in der Bewegung, die von den geschlossenen Disziplinen, einer Art gesellschaftlicher ›Quarantäne‹, zum endlos verallgemeinerungsfähigen Mechanismus des ›Panoptismus‹ führt.« (Ebd.: 277) Die Normalitätsabschätzungen können sich so prinzipiell auf jegliches Verhalten und jegliche Eigenschaften beziehen, so dass nicht mehr nur die Expert*innen, sondern ›demokratisch‹ jedes Individuum zum Normalitätsrichtenden oder zum ›abweichenden‹ Individuum werden kann.
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4.2.2
Panopticon und Panoptismus
Für Foucault beschreibt der – von Jeremy Bentham ursprünglich für die totalen Institutionen entwickelte – architektonische Entwurf des Panopticons ein »verallgemeinerungsfähiges Funktionsmodell« (Foucault 1977: 263) der Machtwirkung der Disziplinen. Die »architektonische Gestalt« (ebd.: 256) des Panopticons ist ein ringförmiges Gebäude, in welchem sich in der Mitte ein Überwachungsturm befindet. Das Gebäude selbst ist durch zellenförmige Räume, die sowohl von innen als auch von außen mit einem Fenster versehen und dadurch permanent einsehbar sind, ausgestattet. Zugleich isolieren die Zellen die Insassen, da sie durch die ringförmige Anordnung und die seitlichen Trennwände nicht miteinander in Verbindung treten können. Es besteht außerdem die Möglichkeit, die Insassen in Form einer hierarchischen Anordnung in die jeweiligen Zellenspalten von rechts nach links oder von oben nach unten zu ordnen. Der Turm dient zur Überwachung, ist aber im Gegensatz zu den Zellen nicht einsehbar, so dass die Überwachung nur potentiell und nicht tatsächlich von einer Person erfolgen muss. »Er [der Zelleninsasse; C.F.] wird gesehen, ohne selber zu sehen; er ist Objekt einer Information, niemals Subjekt einer Kommunikation. Die Lage seines Zimmers gegenüber dem Turm zwingt ihm eine radiale Sichtbarkeit auf; aber die Unterteilungen des Ringes, diese wohlgeschiedenen Zellen, bewirken eine seitliche Unsichtbarkeit, welche die Ordnung garantiert.« (Ebd.: 257) Auch wenn die Hauptwirkung der Macht sich Foucault zufolge von der architektonischen Gestalt aus entfaltet, die das Individuum in einen »bewußten und permanenten Sichtbarkeitszustand« (ebd.: 258) versetzt, lässt sich dieser Wirkungsmechanismus aufgrund seiner Merkmale der Automatisierung, der Entindividualisierung und der (fiktiven) Sichtbarkeit auch jenseits dieser Gestalt denken. Es reicht die Vorstellung aus, sichtbar zu sein und auf eine Norm oder ein Ideal hin beobachtet zu werden, so dass die Subjekte sich unter dem Bewusstsein, (potentiell) beobachtet zu werden, freiwillig und vorgreifend der (antizipierten) Norm unterwerfen – die Beobachtung und Beurteilung liegt im Raum der Möglichkeiten, muss aber nicht tatsächlich von einer Person überwacht und vollzogen werden. »Derjenige, welcher der Sichtbarkeit unterworfen ist und dies weiß, übernimmt die Zwangsmittel der Macht und spielt sie gegen sich selber aus; er
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internalisiert das Machtverhältnis, in welchem er gleichzeitig beide Rollen spielt; er wird zum Prinzip seiner eigenen Unterwerfung [assujettissement; C.F.]. Aus diesem Grunde kann ihn die äußere Macht von physischen Beschwerden befreien. Die Macht wird tendenziell unkörperlich, und je mehr sie sich diesem Grenzwert annähert, um so beständiger, tiefer, endgültiger und anpassungsfähiger werden ihre Wirkungen: der immerwährende Sieg vermeidet jede physische Konfrontation und ist immer schon im vornhinein gewiß.« (Ebd.: 260f.; Herv. C.F.) Im Machtmechanismus des Panopticons wird von Foucault bereits umfassend der ambivalente Subjektivierungsprozess beschrieben. Das Subjekt richtet die gesellschaftliche Norm auch in freiwilliger Selbstunterwerfung gegen sich und konstituiert sich so als Subjekt der Norm. Judith Butler wird zeigen, dass dieser Prozess nicht einfach darin besteht, die Norm nach innen zu nehmen, sondern darin, in unserem, durch die Norm produzierten Selbstverhältnis zugleich in ein vermitteltes Verhältnis zu den konstituierenden Bedingungen zu treten. Das Selbstverhältnis begründet ein Verhältnis des Subjekts nach außen und nach innen. »Für Foucault liegt jedoch auf der Hand, daß man sich an sich selbst über eine Norm bindet und daß die Selbstverhaftung somit gesellschaftlich vermittelt ist. Sie ist keine unmittelbare und transparente Beziehung zum Selbst. Und sie ist überdies kontingent: Wir entwickeln ein Verhaftetsein mit uns selbst über vermittelnde Normen, die uns einen Sinn für das zurückgeben, was wir sind, Normen, die unsere Anteilnahme an uns selbst kultivieren.« (Butler 2003: 62f.; Herv. C.F.) Dieser Prozess ist ein Unterwerfungsprozess, aber keiner, der auf direkte Zwangsanwendung zurückgreifen muss. Auch wenn der Begriff der assujettissement in Überwachen und Strafen eng mit der potentiell zu erwartenden Strafe in Verbindung steht, wird diese durch die Begriffe der (potentiellen) Sichtbarkeit sowie der Normierung und Normalisierung aufgeweicht. Die Bestrafung kann auch nur darin bestehen, als anormales und abweichendes Individuum kategorisiert zu werden, und wird durch den gegenteiligen Akt der Belohnung ergänzt. Demnach wird die Selbstunterwerfungsbewegung hauptsächlich über ein Anreizsystem in Gang gebracht, so dass die Bestrafung nur noch im Ausbleiben der Belohnung besteht. Dass die Macht ›unkörperlich‹ wirkt, verweist darauf, dass der Subjektivierungsmechanismus auch in Überwachen und Strafen nicht ausschließlich durch Körperübungen, sondern auch durch
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das Bewusstsein und die Vorstellung des Individuums erfolgt – diese Vorstellungen sind aber in historische und materielle Bedingungen eingebettet und sie haben auch Auswirkungen auf den Körper und die Affektionen des Subjekts. Dennoch wird durch diesen unkörperlichen Moment in der Subjektivierung deutlich, dass sich auch das Disziplinarsubjekt über sein Selbstverhältnis konstituiert. Es richtet sich nach vorgestellten Normen aus und muss sich in dieser Vorstellung sowohl zu den Anforderungen des Außen als auch zu sich selbst verhalten. Damit ist aber zugleich die Möglichkeit der Reflexion gegeben, da es auch sich selbst zum Objekt der Betrachtungen und Transformation machen muss. Dieses Sich-selbst-zum-Objekt-Setzen birgt die Möglichkeit, sich zu sich selbst, aber auch zum Außen in kritische Distanz zu setzen. Kehrt man vor diesem Hintergrund zur anfänglichen Metapher zurück, nach der die Seele als Gefängnis des Körpers beschrieben werden kann, wird deutlich, dass die Kategorisierungen der Innerlichkeit – die Persönlichkeit, das Begehren, die Identität, die Leidenschaft – nun in einer Selbstbeobachtungsbewegung der Individuen zu ›gefährdeten‹, weil potentiell von der Norm abweichenden Eigenschaften werden. Die (imaginierte) Norm wird so zum Maßstab der Subjektivierungsbewegung. Die Metapher ist so auch anschlussfähig für die Beschreibung von Selbstoptimierungsprozessen, für die Individuen nicht zuletzt auf Wissensfelder (Psychologie, Biologie) zurückgreifen, die es ihnen erlauben, diese Innerlichkeit zu ›normalisieren‹ und die Kräfte des Körpers zu bändigen oder die Kräfte des Subjekts zu steigern.6 In Bezug auf die ambivalente Subjektivierung kann Foucault in Überwachen und Strafen mit seinem Begriff der Disziplin jedoch auch darauf hinweisen, dass das doppelte Ziel der Machttechnologie sowohl in der Unterwerfung als auch in der Steigerung der Kräfte des Individuums besteht. Fügen sich die Individuen dem Ideal, so werden sie im Hinblick auf dieses auch ermächtigt. Das wiederholte Einüben der Ideale produziert Gehorsamssubjekte – Subjekte, die sich ›automatisch‹ den Idealen unterwerfen und diese reproduzie6
Der von Foucault im Panoptismus beschriebene Machteffekt ist anschlussfähig für die Untersuchung gegenwärtiger Selbstoptimierungsprozesse. So verdeutlicht eine neuere Studie genau den von Foucault beschriebenen und in dieser Arbeit betonten Aspekt, dass die Selbstunterwerfung unter die Norm von den Subjekten vorgreifend antizipiert wird. So wird unter der bloßen Annahme, durch andere Subjekte überwacht und beurteilt zu werden, sich präventiv an der vorgestellten Norm ausgerichtet (vgl. Day 2018). Petra Gehring sieht hingegen die Möglichkeit, das Machtmodell des Panopticons auf gegenwärtige Phänomene zu übertragen, kritisch (vgl. Gehring 2017).
4. Subjektivierung bei Michel Foucault
ren (vgl. Foucault 1977: 167). Durch das Zusammenspiel der wiederholten Einübung der Ideale wird deutlich, dass das Subjekt, das in der Übung entsteht, zum ›natürlichen‹ Gehorsamssubjekt wird – ein Subjekt, welches aber ›stärker‹ und ›handlungsfähiger‹ wird und sich umso ermächtigter fühlen kann, je tiefer die Unterwerfung reicht. Diese Form der Unterwerfung kann aber, wie die Figur des Panopticons zeigt, auch nur durch die Vorstellung ausgelöst sein und schließt ein reflexives Selbstverhältnis mit ein. Dies lässt aber erneut die Frage aufkommen, wie in Überwachen und Strafen das Verhältnis zwischen Außen und Innen in der Subjektivierung gedacht werden kann. In welchem Sinne kann die Hervorbringung zwischen Seele und Körper als zirkuläre begriffen werden? Und wie greifen die Momente des körperlichen und unkörperlichen ineinander?
4.3
Außen und Innen in der Subjektwerdung oder Lesarten zum Verhältnis zwischen Körper und Seele
Im vorhergehenden Kapitel habe ich die These vertreten, dass Foucault bereits in Überwachen und Strafen das Subjekt als reflexives denken kann, welches sich zu den konstitutiven Bedingungen, aber auch zu sich selbst, in kritische Distanz stellen kann, auch wenn Subjektivierung dort hauptsächlich im Sinne der assujettissement als Unterwerfung beschrieben wird. Wie das Verhältnis zwischen Außen und Innen in der Subjektwerdung bei Foucault und daran anschließend in einer Analytik der Subjektivierung genau gedacht werden kann, lässt sich jedoch besser anhand der Auseinandersetzung mit verschiedenen Lesarten zu dieser Problematik beantworten. Im Folgenden sollen deshalb in einem kurzen Exkurs beispielhaft die Interpretationen des Foucault’schen Verständnisses von Subjektivierung von Warren Montag, Gilles Deleuze, Judith Butler und Christoph Menke diskutiert werden, um aufzuzeigen, wie das Ineinanderspielen von äußeren und inneren Bedingungen sowie körperlichen und unkörperlichen Momenten in der Subjektivierung gedacht werden kann. Der Literaturwissenschaftler Warren Montag beantwortet die Frage nach dem Verhältnis von Außen und Innen bei Foucault, indem er diesen in eine spinozistisch-althusserianische Lesart stellt und eine radikale Perspektive des Außen vertritt, nach der das Subjekt in Überwachen und Strafen als Subjekt der Praxis verstanden werden müsse, das – ähnlich wie das Althusser’sche Subjekt in den ideologischen Staatsapparaten – in den Praktiken der Dressur
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hervorgebracht werde. »Foucault, to use Althusser’s language […], has written a history of ideas that cannot be seperated from the physical, material practices in which they are (always already) realized.« (Montag 1995: 73) Es gebe demnach auch kein vom Äußeren getrenntes Innen des Subjekts, in welchem sich der Widerstand gegen die äußeren Bedingungen formieren könne. Vielmehr müsse man mit Spinoza davon ausgehen, dass die Seele (das Innere/ Innerlichkeit) in den Praktiken parallel zum Körper produziert werde und als durch den Körper affizierte zu begreifen sei (vgl. ebd.: 68). Demnach könne es auch keine von den Praktiken losgelöste Kritik der äußeren Bedingungen geben, da diese sich immer nur in den Praktiken der Subjekte realisieren könne. Kritik zu üben, heißt nach Montags Lesart, Kritik als Praxis zu verstehen (vgl. ebd.: 69). »From Spinoza’s account of the protodisciplinary society, it may be concluded that there can be no liberation of the mind without a corresponding liberation of the body, no criticism of the existing social order that is not immanent in acts and practices of resistance and revolt.« (Ebd.) Unklar bleibt bei Montag jedoch, ob nicht auch, wie in dieser Arbeit vorgeschlagen wird, das Denken oder die Reflexion der äußeren Bedingungen als (materielle) Praxis begriffen werden können? Montag scheint zu Recht darauf verweisen zu wollen, dass auch das Denken ein körperlicher Prozess ist; wieso kann es dann aber nicht auch ein materielles Bewusstsein geben? Und muss sich diese Form der Materialität in Praktiken umsetzen, um sich realisieren zu können? Montag versucht, ein idealistisches Verständnis von Kritik zurückzuweisen, nach dem Kritik nur als Tätigkeit des Bewusstseins begriffen und damit gleichgesetzt wird, jedoch scheint er, in seiner an Althusser angelehnten Lesart, das Bewusstsein in praktische Taten auflösen zu wollen. »Foucault, unencumberes by the ›ideology of ideology‹, and having no need to turn its language against it, can argue in a directly Spinozist manner that since bodies (and the thinking that takes place in them, with them), and not conscioussness or interiority, are at stake in the practices of subjection, and since only bodies determine bodies, it is all the more striking that so little attention has been paid to the physical processes of subjection […]« (Ebd.: 72). Wie ich jedoch bereits diskutiert habe, wird auch bei Althusser nicht das Bewusstsein des Subjekts negiert, sondern nur die Unabhängigkeit des Bewusstseins von seinen materiellen Bedingungen. Überträgt man dieses Verständnis nun auf das Verhältnis von Außen und Innen bei Foucault, heißt das in der Perspektive dieser Arbeit, dass das Innere und die Innerlichkeit nicht
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als unabhängig von den materiellen Bedingungen konstituierte, jedoch auch nicht als identisch mit diesen gesetzte verstanden werden dürfen. Innerlichkeit kann sich so auch in der Praxis des Denkens äußern und muss nicht an materielle Taten gebunden realisiert werden. Um das Innere oder die Innerlichkeit der Subjektivierung zu denken, greift Montag wiederum auf Deleuzes Figur der Falte zurück, nach der die Innerlichkeit als Kontinuität des Äußeren, als Nach-Innen-Wenden der äußeren Bedingungen, verstanden werden kann (vgl. ebd.: 70).7 Deshalb soll an dieser Stelle auch ein kurzer Blick auf Gilles Deleuzes Verständnis von Subjektivierung bei Foucault geworfen werden. In Deleuzes Lesart wird der Körper des Foucault’schen Subjekts anders als bei Montag nicht als Effekt der Praktiken, sondern als Effekt der Kräfteverhältnisse verstanden, die als physikalische Kräfte jedoch überwiegend als unkörperliche zu begreifen sind, nämlich als Ordnungen des Sagbaren (Diskurseffekte) oder als Ordnungen des Sichtbaren (maschinelle/materielle Anordnungen). Das nach Deleuze verstandene Foucault’sche Subjekt wird zwar auch als in Praktiken hervorgebrachtes gedacht, jedoch bezeichnet das Subjekt so nur »ein[en] Platz oder eine Position« (Deleuze 1987: 79) und ist damit nicht körperlich gedacht. Das Subjekt soll nach Deleuze ähnlich wie der Foucault’sche Begriff der Seele als ein den Körper zentrierender Kräfteknotenpunkt verstanden werden. Meines Erachtens schreibt Deleuze damit jedoch Foucaults Subjekt- und Machtkonzeption eine Art vitale Kraft des Seins oder des Lebens zu, die sich gegen die Zurichtung und die Zuweisung zu einem Platz widerständig oder widerspenstig verhalten kann (vgl. ebd.: 129f.).8 Diese vitale Kraft richte sich gegen die Zentrierung der Kräfteverhältnisse zu einem Subjektplatz bzw.
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»But interiority is not an illusory presence to which the materiality of the body (with which we think) might be opposed, for the ›interpellated‹ interior is itself ›constituted‹ and therefore fully real, not opposed to the exterior bit its continuation: the figure of the fold, whose importance for Foucault Deleuze has demonstrated at length, is merely another way of understanding the ideological interpellation of individuals as subjects.« (Montag 1995: 70) »Wenn die Macht zur Bio-Macht wird, so wird der Widerstand zur Macht des Lebens, zur lebendigen Macht, die sich nicht in Arten einsperren läßt, in Milieus oder in die Bahnen dieses oder jenes Diagramms. Die Kraft, die von Außen gekommen ist: ist es nicht eine bestimmte Idee des Lebens, ein gewisser Vitalismus, in denen das Denken Foucaults kulminiert? […] Und im Menschen gilt es, Foucault und Nietzsche zufolge, die Gesamtheit der Kräfte zu suchen, die Widerstand leisten … gegen den Tod des Menschen.« (Deleuze 1987: 129f.)
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einer Subjektposition. Es ist eine Kraft, die gegen eine andere Kraft gerichtet ist. Jedoch sieht Deleuze eine Neuausrichtung in Foucaults Spätschrift enthalten, in der, ähnlich der Perspektive Montags, die praktischen Übungen betont werden, so dass die physikalischen Kräfte nun als durch Praktiken realisierte verstanden werden können (vgl. ebd.: 140). In den Übungen müssten die äußeren Bedingungen so umgebogen werden, dass ein Inneres entstehe – die äußeren Kräfte würden nach innen gefaltet. Jedoch sei dieser Prozess – und hier sieht Deleuze die Verbindungslinie zu den machtanalytischen Schriften – nicht immer ein freier Prozess. Das Subjekt des Geständnisses falte die Kräfte des Äußeren nach innen, jedoch so, dass sie die Subjekte entweder an die Individualisierung oder an ihre Identität binde. Jedoch liege in der Faltung die Möglichkeit des Widerstandes begründet, da die Subjektivierung nach Deleuze eine Faltung der Kräfte sei, die »ein Bezug der Kraft auf sich, eine Kraft sich selbst zu affizieren, ein Sich-durch-sich Affizieren« (ebd.: 140) erst ermögliche und diese »Beziehung zu sich […] [als] einer der Ursprünge [der] Widerstandspunkte« (ebd.: 145) im Sinne der Kräfteverhältnisse verstanden werden könne. Es wird deutlich, dass sowohl bei Montag als auch bei Deleuze das Innere und die Innerlichkeit des Subjekts nur in Kontinuität zum Äußeren zu denken sind. Beide lehnen die in der Lacanianischen Konzeption der Subjektwerdung enthaltene Vorstellung einer Innerlichkeit oder eines Inneren ab, welches als Lücke oder Bruch zu den äußeren Bedingungen, aber auch zu den eigenen bewussten Selbstverortungen, steht.9 Auch bei Deleuze ist die Innerlichkeit durch das Innen, welches in Kontinuität zum Äußeren steht, gebunden. Meines Erachtens kann man aber erst über Lacan bzw. über eine psychoanalytische Perspektive das Innen des Subjekts als ein ihm selbst entzogenes denken. Erst so wird es möglich, die Innerlichkeit als reflektierte Form des Innens zu begreifen, die wiederum unbewusst durch den inneren Bereich der Psyche geprägt ist und sich sich deshalb hinter dem Rücken bzw. hinter dem Bewusstsein des Subjekts durchsetzen kann. Die Innerlichkeit kann dieses psy-
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So weist beispielsweise Peter Hallward auf die Inkompatibilität von Deleuze und Lacan hin und zeigt, dass Deleuze eher in der Tradition von Carl Jung steht: »The Deleuzian unconscious is nothing other than a thinking that articulates ›brain and cosmos‹ in a single intensity or non-organic life. […] If there is an analogue within the psychoanalytic tradition to Deleuze’s conception of the cosmos-brain it is not Lacan’s unconscious, but rather Jung’s cosmic consciousness.« (Hallward 2010: 47f.)
4. Subjektivierung bei Michel Foucault
chische Wirken aber aufnehmen und kann sich als das gelebte und gefühlte Begehren der Subjekte äußern und wirksam werden. Man könnte hier durchaus auch mit Deleuze die Figur der Falte bemühen und das Innen als die Wendung des Außen verstehen. Man müsste jedoch dann hinzufügen, dass dieses Nach-Innen-Falten eine entwicklungspsychologische und zeitliche Dimension hat. Das Außen wird im Laufe der Kindheit im Inneren aufgeschichtet, so dass es durch die komplexe und überdeterminierte Schichtung eine Unabhängigkeit vom gegenwärtigen Außen gewinnen kann. So könnte man auch eine Innerlichkeit denken, die als Reflexion der äußeren und inneren Einflüsse zu verstehen ist. Diese reflexive Ebene wäre dann eine Faltung der Falte, da sie nicht nur das Äußere, sondern auch das Innere zum Objekt nehmen kann und darin ›faltet‹. Kritik wäre damit auf dieser zweiten Ebene der Faltung zu situieren, die die erste immer schon voraussetzt. Die erste Ebene ist die ontologische Ermöglichung für die zweite Ebene, die damit potentiell immer schon gegeben, aber nicht automatisch realisiert ist. Die Diskussion der Foucault’schen Subjektivierungskonzeption und die Lesarten dieser zeigen, dass der Fokus auf den Körper in der Subjektivierung einerseits sichtbar machen kann, dass Subjektwerdung immer schon in konkreten Praktiken und damit auch in unscheinbaren Mikropraktiken des Alltags stattfindet, andererseits bin ich der Auffassung, dass erst durch den Miteinbezug der Seite des Unkörperlichen im Subjektivierungsprozess deutlich werden kann, dass das Subjekt sich sowohl im Hinblick auf die äußeren Bedingungen als auch auf seine eigenen inneren Bedingungen hin wendet und sich somit immer auch in einem Selbstverhältnis konstituiert. Wichtig ist jedoch, das Selbstverhältnis so zu verstehen, dass es sowohl das Verhältnis des Selbst zum Außen als auch des Selbst zum Innen meint. So kann bereits bei Foucault deutlich werden, dass Normen nicht einfach ›verinnerlicht‹, d.h. nach innen genommen werden, sondern dass das Subjekt sich einerseits im Verhältnis zu den äußeren Normen, andererseits auch zu beziehungsweise gegen diese Normen verhält und konstituiert. Judith Butler weist auf diesen Aspekt hin, indem sie davon ausgeht, dass das Subjekt sich in seiner Subjektwerdung auch gegen sich selbst oder sein eigenes Begehren richten muss (vgl. Butler 2001: 14, 27). Allerdings nimmt Butler in spinozistischer Anlehnung, und ähnlich wie Deleuze, eine Art vitale Kraft des Lebens bzw. eines strebenden Begehrens (conatus) an. Auch sie denkt wie Deleuze, dass das Subjekt bei Foucault als Effekt der Kräfteverhältnisse – bei ihr des Diskurses –, vermittelt durch die Seele, und damit
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unkörperlich, aber zugleich durch den Körper hindurch körperformend oder -einsetzend, konstituiert wird (vgl. ebd.: 81). Interessant ist bei Butler jedoch ihr psychoanalytisches Verständnis, nach welchem das Subjekt durch das Verbot (Inzestverbot/Homosexualitätsverbot) hervorgebracht wird, so dass es sich in dieser Hervorbringung auch gegen sein eigenes Begehren richten muss. Berücksichtigt man diesen Punkt konsequent, dann könnte man es auch vermeiden, von einer ursprünglichen und vitalen Kraft des Seins und Begehrens ausgehen zu müssen. Die Kraft des Seins und das Begehren wären vielmehr im Sinne Althussers immer schon sozial hervorgebracht, auch wenn diese Hervorbringung ein vermittelter Prozess zwischen Natur und Gesellschaft bleibt. Butler versucht zu verdeutlichen, dass die äußeren regulatorischen Normen und Ideale das Innen strukturieren, ohne jedoch identisch mit diesem zu sein. Gerade weil das Innere durch das äußere Gesetz produziert werde, müsse sich das Subjekt in seiner Subjektwerdung von Beginn an auch zum Objekt setzen – das Subjekt werde somit als reflexives, mit einer Innerlichkeit ausgestattetes hervorgebracht (s. Kapitel 5.4 und 5.5). Nach Butler ist diese Lücke, die im Inneren – zwischen Außen und Innen und zwischen Innen und Innerlichkeit –, entstehe, weder mit Foucault denkbar, der das Innere mit dem äußeren Ideal gleichsetze, noch zur transformativen Veränderung der Ordnung brauchbar, da diese lediglich auf »die Grenzen der Normalisierung« (ebd.: 85) verweise, da die Ordnung sich nie eins zu eins umsetzen lasse. Jedoch betont sie, dass diese Grenze zugleich im Subjekt selbst liege, als »Grenze der Reflexivität« (ebd.: 28), da das Subjekt in der Normalisierung nicht nur einen Ausschluss nach außen, der anderen Subjektformen, bedeute, sondern auch nach innen, in der Verwerfung eines Begehrens, welches außerhalb der Norm oder des Gesetzes liege. So wie der Körper bei Foucault als nicht durch die Seele oder die Identität zu bändigender gedacht werden könne, sei auch der verworfene »psychische Rest« (ebd.: 85) etwas, was das Subjekt in unbestimmter Melancholie oder in nicht integrierbaren Symptomen heimsuchen könne und die Eindeutigkeit des Subjekts bedrohe. Butler zufolge fehle in Foucaults Konzeption jedoch die Berücksichtigung dieses psychischen Rests. Foucault wähle hingegen eine andere Möglichkeit des Widerstandes, die in den machtanalytischen Schriften nicht auf der Ebene des Subjekts, sondern der Diskurse oder der symbolischen Ordnung situiert sei (vgl. ebd.: 89). »Für Foucault erzeugt das Symbolische seine eigenen Subversionen, und diese Subversionen sind unvorhergesehene Effekte der symbolischen Anrufungen.« (ebd.: 95) Foucault situiere so die Möglich-
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keit des Widerstands im Außen und nicht im Innen. Auch wenn Butlers Lesart überzeugt, denke ich, dass man bei Foucault in seinem panoptischen Schema bereits eine Subjektkonzeption vorfinden kann, die die Ebene der Reflexivität miteinbeziehen könnte. Es stimmt allerdings, dass auch hier der Miteinbezug des psychischen Rests und des Überschusses fehlt. Die widerständige Handlungsfähigkeit und die Freiheit, sich gegen die eigenen Konstitutionsbedingungen zu wenden, könnten aber trotzdem bereits in Überwachen und Strafen als im Subjekt konstituierte gedacht werden. Foucault betont dort, dass die Steigerung der Kräfte des Körpers mit der Seite der Unterwerfung einhergeht – die Kräfte des Körpers werden in der Dressur so gesteigert, dass sie einerseits an eine bestimmte Tätigkeit gebunden werden, andererseits werden über die Disziplinierungen die Individuen am Ideal ausgerichtet und so auch zu normalisierten Gehorsamssubjekten. »Die Disziplin steigert die Kräfte des Körpers (um die ökonomische Nützlichkeit zu erhöhen) und schwächt dieselben Kräfte (um sie politisch fügsam zu machen). Mit einem Wort: sie spaltet die Macht des Körpers; sie macht daraus einerseits eine ›Fähigkeit‹, eine ›Tauglichkeit‹, die sie zu steigern sucht; und andererseits polt sie die Energie, die Mächtigkeit, die daraus resultieren könnte, zu einem Verhältnis strikter Unterwerfung um. Wenn die ökonomische Ausbeutung die Arbeitskraft vom Produkt trennt, so können wir sagen, daß der Disziplinarzwang eine gesteigerte Tauglichkeit und eine vertiefte Unterwerfung im Körper miteinander verkettet.« (Foucault 1977: 177) Die ambivalente Subjektkonstitution setzt hier also Ermächtigung und Entmächtigung nahezu in eins und Freiheit wird hier ontologisch als Handlungsmacht (agency/potentia) verstanden. Butler beschreibt dies an anderer Stelle, in Bezug auf Althussers Subjekt der Praxis, als die grundlegende Ambivalenz der Subjektwerdung: »Je mehr eine Praxis beherrscht wird, desto vollständiger die Subjektivation. Unterordnung und Beherrschung finden also im selben Moment statt, und in dieser paradoxen Simultaneität liegt die ganze Ambivalenz der Subjektivation.« (Butler 2001: 110) Da die Handlungsmacht nur in der Ausführung spezifischer Tätigkeiten gesteigert werden kann und damit an diese gebunden scheint, kann die Freiheit entweder nur im Handeln-Können bestehen oder in einem erweiterten Sinne darin, die Fähigkeiten auch anders als vorhergesehen einsetzen zu können. Die Fähigkeiten werden zeitlich verschoben in einem anderen Kontext eingesetzt, sie werden in einer anderen Konstellation ›zitiert‹ und damit verschoben oder transformiert.
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An dieser Stelle kann man jedoch den Begriff der Übung ins Spiel bringen, der bei Foucault die Erweiterung oder Optimierung der dressierenden Disziplinarmacht beschreibt. Einerseits braucht die Disziplinarmacht die wiederholte Einübung, um die Kräfte des Körpers durch immer effizientere Ausübungen zu steigern (vgl. Foucault 1977: 199), andererseits bindet die Übung ein dynamisches und transformatives Element in die Körperproduktion ein. Eine Tätigkeit immer wieder auszuführen und an die Bedingungen anzupassen, bedeutet auch, immer wieder Veränderungen vornehmen zu können. Dieser Aspekt wurde von Butler betont und in ihren Konzepten zur Iterabilität und Performativität ausgearbeitet. Es gibt jedoch eine Lesart zur Bedeutung der praktischen Übungen bei Foucault, die nicht auf die veränderte Wiedereinsetzung von Fähigkeiten fokussiert, sondern auf das Selbstverhältnis, das die Subjekte in der Übung ausbilden müssen. So schreibt Christoph Menke: »Das Subjekt der Übung ist nicht dadurch bestimmt, daß und was es weiß, sondern daß und was es kann. Zu üben heißt etwas einzuüben, und dies heißt, das Können eines bestimmten Tuns zu gewinnen. Dabei ist solches Können ein doppeltes: Es ist ein Etwas-Ausführen- und ein Sich-FührenKönnen […]. Alles Ausführen-Können einer Tätigkeit verlangt zweitens, sich selbst führen zu können.« (Menke 2003: 286) Somit werde Subjektsein gleichgesetzt mit Handeln-Können, zum Handeln ermächtigt zu sein – und diese Handlungsmacht werde immer schon doppelt bestimmt, als Aus- und Selbstführungsmacht (vgl. ebd.: 288). Interessanterweise sieht Menke den Unterschied zwischen dem disziplinären und dem ästhetischen Subjekt der Foucault’schen Spätschriften nicht einfach darin begründet, dass das durch Normalisierungsprozesse ermächtigte Subjekt seine Fähigkeiten als ästhetisches durch wiederholte Zitationen anders anordnet und einsetzt (vgl. ebd.: 294), sondern darin, dass das Subjekt seiner Form nach eine Selbstgesetzgebung und -führung anstrebt. »Der Gegensatz der Ästhetik der Existenz zur Disziplinarmacht tritt vielmehr erst dann hervor, wenn der Formunterschied ihrer übenden Erweiterungen der Selbstführungsfähigkeit deutlich wird: Die Ästhetik der Existenz muß so verstanden und vollzogen werden, daß sie einen Begriff subjektiver Macht, Tätigkeit und Freiheit voraussetzt, der nicht in seinen Inhalten und Zwecken, sondern in seiner Form im Gegensatz zu der Normalisierung steht, die mit
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der Subjektkonstitution durch soziale Disziplinierung verbunden ist.« (Ebd.: 295f.) Das Subjekt wird nicht zu einem ästhetischen, wenn es sich ›gut‹ gemäß der disziplinären Logik verhält oder führt, sondern wenn es sich im Vollzug seiner Führung nach eigenen Maßstäben ausrichtet. Dies erinnert an die Ausführungen Foucaults zum Kant’schen Aufklärungsbegriff in Was ist Kritik? (1992). Foucault beschreibt Kritik hier im Sinne der Aufklärung als eine Frage der inneren Haltung. »›Nicht regiert werden wollen‹ heißt schließlich auch: nicht als wahr annehmen, was eine Autorität als wahr ansagt, oder jedenfalls nicht etwas als wahr annehmen, weil eine Autorität es als wahr vorschreibt. Es heißt: etwas nur annehmen, wenn man die Gründe es anzunehmen selber für gut befindet. Dieses Mal geht die Kritik vom Problem der Gewißheit gegenüber der Autorität aus.« (Foucault 1992: 14) Nach Menke besteht diese Freiheit einer autonomen Lebensführung nicht bloß in der veränderten Körperpraxis, sondern in der Haltung des Subjekts gegenüber seiner experimentellen Selbstgestaltungen: »Ob eine Übung disziplinierend oder ästhetisch-existenziell ist, liegt an der Haltung, mit der man sie ausführt.« (Menke 2003: 299; Herv. C.F.). Menke kann jedoch nicht erklären, wie eine solche Haltung im Subjekt entstehen kann. Ist es ein bloß praktischer und damit experimenteller Prozess, der in der Suche nach anderen, nicht disziplinierenden und normalisierenden Selbstführungen besteht? Wie kann das Subjekt, welches in seiner Selbstführung an der Normalisierung ausgerichtet ist, die Fähigkeit oder die Motivation entwickeln, sich anders gestalten zu wollen? Mit Foucault gesprochen, wäre damit auch die Frage nach dem Willen, sich anders regieren zu wollen, gestellt: »Wenn man die kritische Haltung, deren geschichtlicher Ursprung in jenem Moment zu finden ist, durchgeht, so muß man wohl jetzt die Frage stellen, was eigentlich der Wille nicht so und nicht dermaßen usw. regiert zu werden ist: sowohl als individuelle Erfahrungsform wie auch als kollektive Form.« (Foucault 1992: 54; Herv. C.F.) Gibt es im Butler’schen Sinne eine Art inneres Streben des Subjekts, welches sich in der disziplinären Form nicht verwirklichen kann? Und könnte nicht auch in Menkes Konzeption der tugendethische Haltungsbegriff in der Vorstellung des Subjekts begründet sein? Entwirft sich das Subjekt in seiner Vor-
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
stellung nicht als ein anderes, so dass es über experimentelle Selbstgestaltungen zu einem anderen zu werden versucht? Und liegt die konzeptionelle Stärke der machtanalytischen Schriften Foucaults nicht darin, aufzeigen zu können, dass ein Leben jenseits von sozialen Normen nicht möglich ist, so dass die Transformation nicht am individuellen Selbst, sondern an den kollektiven Normen und Praktiken ansetzen müsste? Der Begriff der Haltung wird von Foucault in Was ist Kritik? aufgegriffen, jedoch wird die praktische Bewegung, sich gegen eine Ordnung zu richten und mit anderen Seinsweisen zu experimentieren, im Kant’schen Sinne mit der Praxis der theoretischen Analyse (der Erkenntnis) verbunden (vgl. ebd.: 35) – und genau diese Analyse bieten seine machtanalytischen und genealogischen Schriften. Die Bewegung der Selbstführung und -gesetzgebung ist damit nicht nur eine Frage der körperlichen Praxis und Übung, sondern auch der praktischen Reflexion. »Vor allem aber sieht man, daß der Entstehungsherd der Kritik im wesentlichen das Bündel der Beziehungen zwischen der Macht, der Wahrheit und dem Subjekt ist. […] [D]ie Kritik [ist] die Bewegung, in welcher sich das Subjekt das Recht herausnimmt, die Wahrheit auf ihre Machteffekte hin zu befragen und die Macht auf ihre Wahrheitsdiskurse hin. Dann ist die Kritik die Kunst der freiwilligen Unknechtschaft der reflektierten Unfügsamkeit. In dem Spiel, das man die Politik der Wahrheit nennen könnte, hätte die Kritik die Funktion der Entunterwerfung.« (Ebd.: 14f.; Herv. C.F.) Diese zwei Bewegungen können nur analytisch getrennt werden, da sie sich gegenseitig ergänzen. Denn die Grenzen der Erkenntnis, die theoretische Analyse der historischen Möglichkeitsbedingungen von Wissensfeldern und Subjektivierungsweisen, geht nicht einfach der aufklärerischen Haltung, der Kritik, voraus – nein, auch die Kritik, die innere Haltung, nicht auf diese Weise regiert zu werden, kann die theoretische Analyse anstoßen.10
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»Aber falls wir uns nicht mit der Beteuerung oder dem leeren Traum von Freiheit abfinden wollen, scheint mir, daß diese historisch-kritische Haltung auch eine experimentelle sein muß. Ich meine, daß diese an den Grenzen unserer selbst verrichtete Arbeit einerseits einen Bereich historischer Untersuchung eröffnen und sich andererseits dem Test der Wirklichkeit und der Aktualität aussetzen muß, um sowohl die Punkte zu ergreifen, wo Veränderung möglich und wünschenswert ist, als auch zu bestimmen, welche genaue Form diese Veränderung annehmen soll.« (Foucault 1990: 49)
4. Subjektivierung bei Michel Foucault
Die Stärke von Überwachen und Strafen liegt darin, die Analyse der historischen Konstitutionsbedingungen von Wissen, Macht und Subjekten vorzunehmen – diese Analyse führt aber nicht automatisch zur Transformation der Konstitutionsbedingungen, sondern müsste durch einen praktischen Prozess der Subjekte ergänzt werden. Die Praxis kann einerseits im engeren Sinne als experimentelle Suche nach anderen Lebens- und Seinsweisen verstanden werden oder andererseits im weiten Sinne, so dass auch die historische und theoretische Analyse der konstitutiven Bedingungen als Praxis verstanden werden kann, die es ermöglicht, das reflexive Selbstverhältnis über die Analyse und die Transformation der konstitutiven Bedingungen zu verschieben. Das reflexive Selbstverhältnis ist damit Voraussetzung, aber nicht mittelbar das Ziel der Transformation. In Überwachen und Strafen kann Foucault aufzeigen, dass Subjektwerdung als Ausrichtung an der Norm sowohl über körperliche, im Alltag unbewusste Übungen und Gewohnheiten erfolgt als auch über die unkörperliche Selbstbeobachtung, die den Körper anhand der Kategorien der Innerlichkeit/Seele formt und einsperrt. Übersetzt man die Metapher der Seele als Gefängnis des Körpers, könnte die Seele, die den Körper einsperrt und formt, allgemeiner als ›Subjektform‹ bezeichnet werden. Das heißt, als eine gesellschaftlich bestimmte und historisch spezifische Kategorisierungsweise, auf die die Subjekte bezogen werden und auf die sie sich selbst beziehen. Auch wird deutlich, dass die Tiefe der Unterwerfung nicht im Zwang oder der direkten Gewaltanwendung besteht, sondern in der Innerlichkeit und ihrer Verhaftung mit der Norm. Die Herrschaft steckt so auch im Subjekt selbst – als Form der Selbstverortung, der Identität und Subjektivität. Das Innerste des Subjekts gehört ihm nicht ausschließlich selbst, sondern es ist immer schon gesellschaftlich bestimmt und machtdurchsetzt. Dies sollte jedoch nicht mit der Vorstellung der Identifikation mit einem Aggressor verwechselt werden. Die machtdurchsetzte Identität und Innerlichkeit ist keine, die ein ursprüngliches und wahres Selbst ersetzt, und keine, die auf die Zerstörung der ursprünglichen Kernidentität gerichtet ist. Sie ist vielmehr als gesellschaftlich besetzte Kategorie aufzufassen, die zwar durch gesellschaftliche Bedingungen konstituiert wird, aber dennoch Teil des Selbst ist. Sie kann jedoch gerade aufgrund ihres gesellschaftlichen Konstitutionscharakters der Reflexion und Transformation zugeführt werden. Dass das Subjekt sich auch über die Vorstellung konstituiert, verweist darauf, dass die Subjekte sich auch in Bezugnahme auf ihre äußeren und materiellen Bedingungen hin verorten müssen. Diese ›Selbstverortung‹ und das Selbstverhält-
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nis führen aber nicht automatisch zu einer kritischen Reflexion, da die Subjekte sich aufgrund der Anreizstruktur auch libidinös an die konstitutiven Bedingungen binden können, indem sie sich mit diesen identifizieren. Wie bereits bei Althusser und auch in Butlers Lesart von Foucault gezeigt wurde, kann die handlungsermächtigende Dimension auch dazu führen, sich affirmativ mit einschränkenden Bedingungen zu identifizieren und diese dadurch zu bejahen. Dennoch eröffnet die Selbstverortungsbewegung des Subjekts die Möglichkeit, sich in Distanz zu den konstitutiven Bedingungen setzen zu können. Das Subjekt ist zwar Produkt gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse, aber weder mit diesen identisch, noch ist die Seite der Ermächtigung und damit die Freiheit des Subjekts auf die Fähigkeit, zu Handeln – im Sinne eines savoirfaire –, reduziert, sondern sie liegt bereits in der Möglichkeit der Reflexion. Die Fähigkeit, anders zu handeln und zu denken, ist allerdings mit starken Hürden verstellt, da das Subjekt aufgrund der ermächtigenden Dimension der Unterwerfung mitunter einen größeren Lustgewinn darin erhalten und sehen kann, sich gemäß gesellschaftlicher Normen und Ideale auszurichten.
4.4
Das Subjekt des Lebens – affirmative Selbstunterwerfung?
In Der Wille zum Wissen greift Foucault einige Elemente auf, die in Überwachen und Strafen bereits implizit enthalten sind oder zart angedeutet werden, jedoch noch nicht deutlich ausformuliert wurden. Hierzu gehören die Gedanken, dass Subjektivierung nicht hauptsächlich über direkte Zwangsmechanismen, über Bestrafung und Verbote erfolgt, sondern über Anreizstrukturen, die in ihren Machtwirkungen bis in die innersten Bereiche des Subjekts eindringen und von diesen affirmativ aufgenommen und auf sich selbst gewendet werden; die explizitere Ausführung, dass der Subjektivierungsprozess nicht über den direkten Zugriff auf den Körper erfolgen muss, sondern vielmehr durch den Bezug auf einen imaginären, aber real und materiell wirksamen Zentrierungspunkt – in Überwachen und Strafen die Seele, in Der Wille zum Wissen der Sex; sowie die Verknüpfung des Macht-Wissens-Komplexes mit einer lustvoll besetzten Suche nach der Wahrheit des Selbst und die Verbindung der Normalisierungsmacht mit der historisch auftretenden Bio-Macht, die nun nicht mehr nur den Körper des Einzelnen, sondern auch das biologische Leben des Gattungswesens ›Mensch‹ und der Bevölkerung besetzt.
4. Subjektivierung bei Michel Foucault
Bekannterweise erschien der Band Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1 1976, nur ein Jahr nach der Veröffentlichung von Überwachen und Strafen, und hatte ähnlich wie dieses vorhergehende Werk das Ziel, eine Genealogie zu schreiben, nun eine der Sexualität. Dieses neue Projekt Foucaults, welches ursprünglich auf sechs Bände angelegt war, sollte zeigen, wie die sexuellen Verhaltensweisen zu Wissensobjekten geworden sind (vgl. Färber/ Saar 2018: 577f.). Die Verbindung zwischen Macht und Wissen steht also auch hier wieder im Vordergrund, auch wenn der Untersuchungsgegenstand ein neuer sein sollte. Die bekannte und provokative Hauptthese in Der Wille zum Wissen lässt sich knapp formulieren: Ab dem 17. Jahrhundert lässt sich eine zunehmende Diskursivierung der Sexualität feststellen, die im 20. Jahrhundert darin mündet, dass die Sexualität zu einem vorrangigen Objekt der Wissenschaft – und der Subjektivierung – wird. Auch wenn die Entscheidung Foucaults, Sexualität nicht hauptsächlich anhand der Verbote und Repressionsmaßnahmen zu untersuchen, eine methodische war, lässt sich diese auch (theorie-)historisch verstehen. So richtete sich die Zurückweisung der sogenannten »Repressionshypothese« einerseits gegen die methodische Engführung der Machtanalyse, die Machtwirkungen nur als repressive erfassen kann (vgl. Foucault 1983: 91ff.); andererseits wollte Foucault die in den 1970er Jahren prominenten freudo-marxistischen Strömungen treffen, die die Befreiung vom kapitalistischen System an die Befreiung der Sexualität knüpfen wollten (vgl. Färber/Saar 2018: 580; vgl. Foucault 1983: 113).11 Foucaults Zurückweisung der Repressionshypothese zielte nicht auf die Behauptung, dass es historisch keine Unterdrückungen der Sexualität gegeben habe oder auch immer noch geben könne, sondern er wollte aufzeigen, dass die analytische Orientierung
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Foucault lehnt in Der Wille zum Wissen die Verbindung zwischen Sexualität und kapitalistischer Produktionsweise nicht ab, sondern die Vorstellung, dass diese sich über eine repressive Beziehung darstellen lasse. Nach Foucault müsse vielmehr das biopolitische Ziel, die Kräfte des Körpers des Einzelnen und der Bevölkerung zu steigern, im Vordergrund stehen. »Diese Bio-Macht war gewiß ein unerläßliches Element bei der Entwicklung des Kapitalismus, der ohne kontrollierte Einschaltung der Körper in die Produktionsapparate und ohne Anpassung der Bevölkerungsphänomene an die ökonomischen Prozesse nicht möglich gewesen wäre. Aber er hat noch mehr verlangt: das Wachsen der Körper und der Bevölkerung, ihre Stärkung wie auch ihre Nutzbarkeit und Gelehrigkeit; er brauchte Machtmethoden, die geeignet waren, die Kräfte, die Fähigkeiten, das Leben im ganzen zu steigern, ohne deren Unterwerfung zu erschweren.« (Foucault 1983: 136; zu Überwachen und Strafen vgl. Nigro 2017: 179ff.)
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am Begriff der Repression den spezifischen Funktionsmechanismus des Sexualitätsdispositivs weder erfassen, noch die diffizilen Machtwirkungen, die im Bereich der Sexualität wirksam sind, sichtbar machen könne. In seiner genealogischen Betrachtung zieht er indes eine Linie von der mittelalterlichen Beichtpraxis zur im 20. Jahrhundert entstehenden Psychoanalyse und der medizinischen Erfassung der Sexualität in den Bereichen der Humanwissenschaften, wie etwa der Medizin, Psychiatrie und Biologie. Diese Entwicklungslinie verlaufe nicht linear, sondern brüchig und in komplexen, widersprüchlichen Verbindungen; das Geständnis wird von Foucault als Element begriffen, welches sich im historisch entstehenden Sexualitätsdispositiv in einer veränderten Form wiederfinden lasse. »Auf jeden Fall ist seit knapp hundertfünfzig Jahren ein komplexes Dispositiv installiert, um wahre Diskurse über den Sex zu produzieren: ein Dispositiv, das die Geschichte weit umspannt, da es den alten Geständniszwang mit den Methoden des klinischen Abhorchens zusammenschaltet. Und erst auf Grund dieses Dispositivs hat als Wahrheit des Sexes und seiner Lüste eine Sache wie die ›Sexualität‹ auf den Plan treten können.« (Foucault 1983: 71) Während das Geständnis über die Lüste und das Begehren in der Beichtpraxis noch auf das Vergehen in der Sünde und damit auf das Verbot und die Buße gerichtet gewesen sei, entwickele sich das Geständnis zur Machttechnologie, welches das Sprechen über die Lüste und das Begehren an die Erkundung der Wahrheit des Selbst knüpfe. Eine Wahrheit, die nach Foucault sowohl psychoanalytisch auf die Befreiung als auch medizinisch auf die Heilung des Selbst verweise. An die Stelle von Verbot und Verzicht trete die Lust, seinen ›Sex‹ auf geheime und verborgene Regungen hin zu befragen – und sich über das geständige Sprechen von diesen zu befreien. Eine Befreiung, die nicht nur auf die Befreiung der Sexualität, sondern auf das wahre Selbst ziele. »Künftig dient sie [die Logik der Begierde; C.F.] als Universalschlüssel, wenn es darum geht zu wissen, wer wir sind.« (ebd.: 80) Analog zur Beichtpraxis werde das Geständnis in seiner Machtwirkung an ein Gegenüber gekoppelt: Beichtvater und Beichtkind, Arzt und Patient oder Psychoanalytiker und Analysand (vgl. ebd.: 65). »Nun ist das Geständnis ein Diskursritual, in dem das sprechende Subjekt mit dem Objekt der Aussage zusammenfällt, und zugleich ist es ein Ritual, das sich innerhalb eines Machtverhältnisses entfaltet, denn niemand leistet ein Geständnis ohne die wenigstens virtuelle Gegenwart eines Partners, der nicht
4. Subjektivierung bei Michel Foucault
einfach ein Gesprächspartner, sondern eine Instanz ist, die das Geständnis fordert, erzwingt, abschätzt und die einschreitet, um zu richten, zu strafen, zu vergeben, zu trösten und zu versöhnen […] ein Ritual schließlich, wo die bloße Äußerung schon – unabhängig von ihren Konsequenzen – bei dem, der sie macht, innere Veränderungen bewirkt: sie tilgt eine Schuld, kauft ihn frei, reinigt ihn, erlöst ihn von seinen Verfehlungen, befreit ihn und verspricht ihm das Heil.« (Ebd.; Herv. C.F.) In dieser Machttechnologie des Geständnisses lässt sich die Foucault’sche Subjektivierungskonzeption sehr deutlich ablesen. Das Subjekt unterwirft sich in der Erkundung seines Sexes und seiner inneren Wahrheit sowohl dem Gegenüber, mit dem es über seine Entdeckungen spricht, als auch den bereits bestehenden (medizinischen) Kategorisierungen, die exemplarisch durch das Gegenüber verifiziert werden müssen. Anders als in Überwachen und Strafen funktioniert die Unterwerfung hauptsächlich über die Selbstbeobachtung und -erkundung des Subjekts. Das Gegenüber kann ähnlich wie im Mechanismus des Panoptismus auch wegfallen – das Gegenüber könnte auch entpersonalisiert als gesellschaftlicher Rahmen des Normalen begriffen werden. Dieser Rahmen unterliegt der Vorstellung und dem Bewusstsein, welche jedoch nicht unabhängig von den materiellen Rahmenbedingungen, den Institutionen und den Praktiken existieren. Wenn Foucault die Geständnispraxis als »neue Pastoral« (ebd.: 25) bezeichnet, dann greift er dem in den Gouvernementalitäts-Vorlesungen ausführlich entwickelten Begriff der ›Pastoralmacht‹ vorweg. Das Subjekt konstituiere sich demnach nicht nur über die Selbsterkundung, sondern vor allem dadurch, dass es sich mit der geständigen Wahrheit seiner Erkundung identifiziert (vgl. Färber/Saar 2018: 582; vgl. Foucault 2006: 239-277). Das Selbst wird so zum Zentrum der wahren Identität des Subjekts – es soll Aufschluss über das vergangene, gegenwärtige und zukünftige Sein geben.
4.4.1
Sex und Sexualitätsdispositiv
Während in Überwachen und Strafen die Selbstbeobachtung noch vor dem Hintergrund der Angst vor Abweichung und Bestrafung verstanden werden kann, wird nun stärker der Aspekt des Anreizes und der Lust betont. Das Subjekt erhält in der Suche nach seiner Wahrheit zum einen das Versprechen, die Wahrheit seines Selbst aufzudecken, eine Identität zu finden oder sich in dieser wiederzufinden – und damit nicht genug, es erhält dadurch zugleich das
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Versprechen, ›frei‹ sein zu können. Wenn es die Wahrheit des Selbst aufdeckt, dann kann es diese Wahrheit frei von der gesellschaftlichen und machtbesetzten Zurichtung leben. Es wird deutlich, dass der Macht-Wissens-Komplex in Der Wille zum Wissen äußerst perfide gedacht ist: Das Subjekt macht sich und seinen ›Sex‹ mit großer Lust zum Untersuchungsobjekt, zugleich wird dabei nicht nur auf bestehendes (medizinisches) Wissen zurückgegriffen, sondern auf alle noch so undeutlichen Regungen und Begierden, die in den Träumen und Vorstellungen des Subjekts vorkommen können. Diese können wiederum nur vom Subjekt selbst herangezogen und in den Diskurs des Normalen und Gesunden eingeschrieben werden. Erst so ist auch zu verstehen, warum Foucault davon spricht, dass in den Diskursen der Sexualität »Perversionen« (Foucault 1983: 41) und »sexuelle Heterogenitäten« (ebd.: 51) produziert werden. Das Subjekt ist an der Produktion der Perversionen beteiligt, nicht weil es seiner Natur nach pervers ist, sondern weil es seine eigenen Regungen unter den Verdacht der Perversion stellt und diese Kategorie mit seiner Erzählung über seine Lüste und Begehren füllt und anreichert. »Diese polymorphen Verhaltensweisen sind wirklich aus Körpern und Lüsten der Menschen extrahiert worden – oder besser: in ihnen verfestigt, von vielfältigen Machtdispositiven hervorgerufen worden; sie sind ans Licht gezerrt, isoliert, intensiviert und einverleibt worden« (ebd.: 52). Auch wenn die Formulierungen das Subjekt als passives erscheinen lassen, wird das Subjekt und sein Wille zum Wissen, – sein Wille nach Wahrheit und Befreiung – zum wichtigsten Komplizen der Macht. »Jeder Mensch soll nämlich durch den vom Sexualitätsdispositiv fixierten imaginären Punkt [den Sex; C.F.] Zugang zu seiner Selbsterkennung [intelligibilité; C.F.] haben (weil er zugleich das verborgene Element und das sinnproduzierende Prinzip ist), zur Totalität seines Körpers (weil er ein wirklicher und bedrohter Teil davon ist und überdies sein Ganzes symbolisch darstellt), zu seiner Identität (weil er an die Kraft seines Triebes die Einzigkeit einer Geschichte knüpft).« (Ebd.: 150). Wie bereits erwähnt, lässt sich der Begriff des Sexes hier als Weiterentwicklung des in Überwachen und Strafen verwendeten Begriffs der Seele verstehen. Ähnlich wie die Seele steht nun der Begriff des Sexes als Scharnier zwischen Macht und Wissen und formt das Subjekt und seinen Körper. Die von Foucault gebrauchten Begriffe des Sexes und der Sexualität lassen sich jedoch nicht aus dem allgemeinverständlichen Sprachgebrauch ableiten, sondern werden
4. Subjektivierung bei Michel Foucault
von ihm spezifisch verwendet. Der Begriff der Sexualität bezeichnet bei Foucault nicht die den Individuen zukommenden sexuellen Verhaltensweisen, sondern das wissenschaftliche Feld, das geschichtliche Dispositiv, welches um die sexuellen Verhaltensweisen herum installiert worden sei. Dieses Wissensfeld werde wiederum an Macht/Wissens-Komplexe gebunden und mit einem »Wahrheitswert« aufgeladen (vgl. ebd.: 8). »Ich hatte angefangen, es [die Geschichte der Sexualität; C.F.] als eine Geschichte der Art und Weise zu schreiben, wie man den Sex verdeckt und verkleidet mit einer Art Fauna, einer seltsamen Vegetation, die die Sexualität wäre. Nun, ich glaube, daß diese Opposition von Sex und Sexualität wieder auf eine Machtposition wie Gesetz und Verbot verweist: die Macht hätte ein Sexualitätsdispositiv bereitgestellt, um zum Sex nein zu sagen. Meine Analyse blieb noch in der juridischen Konzeption der Macht befangen. Ich mußte eine Wende vollziehen: ich habe unterstellt, daß die Idee vom Sex dem Sexualitätsdispositiv inhärent ist, und daß das, was man konsequenterweise an seiner Wurzel findet, nicht der zurückgewiesene Sex ist, sondern eine positive Ökonomie der Körper und der Lust. Es gibt also einen Grundzug in der Ökonomie der Lust, so wie sie im Abendland funktioniert: das heißt, daß der Sex ihr als Prinzip der Intelligibilität und des Maßes dient.« (Foucault 1978: 114) Der Begriff des Sexes bezeichnet nicht nur das biologische Geschlecht (männlich/weiblich), sondern zugleich die soziokulturellen Zuschreibungen zum Geschlecht, die im Kontext von Der Wille zum Wissen nicht die soziale Geschlechtsidentität oder- rolle meinen, sondern das Begehren und den (›naturhaften‹) Trieb, wie er von den Subjekten gesellschaftlich und in den Wissenschaften von Medizin, Psychologie, Biologie und Psychoanalyse vorausgesetzt und dadurch erst eingesetzt und produziert wird (vgl. Foucault 1983: 13).12 Der Sex komme nach Foucault nicht dem einzelnen Individuum 12
Zu den Übersetzungsschwierigkeiten des Begriffs ›le sexe‹ siehe auch die Ausführungen in Kapitel 5.2.2. In der deutschen Übersetzung von 1977/1983 wurde von den Übersetzern Raulff und Seitter der von Foucault im Original verwendete Begriff ›le sexe‹ mit ›der Sex‹ übersetzt (vgl. Foucault 1983: 13). Diese Übersetzung ist im Deutschen jedoch nicht einheitlich, da beispielsweise im Merve-Band Dispositive der Macht (1978) zwischen der Übersetzung mit ›Sexus‹ und ›Sex‹ gewechselt wird, ohne jedoch kenntlich zu machen, welche inhaltliche Unterscheidung damit bezeichnet werden soll. Ich verstehe die Anmerkung der Übersetzer*innen im Merve-Band jedoch so, dass durch die uneinheitliche Übersetzung darauf aufmerksam gemacht werden soll, dass sowohl
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als Natur zu, sondern werde, ähnlich wie die Seele, als imaginärer Bezugspunkt des individuellen Seins gesetzt und somit als imaginär produzierter verstanden. Der Sex beschreibt, ähnlich wie die Seele, das Innere des Subjekts – das Innere ist nun aber nicht mehr nur die Subjektivität, das Bewusstsein, die Persönlichkeit, sondern meint die vielfältigen Lüste und Empfindungen des Subjekts, die Aufschluss über die Innerlichkeit, die Subjektivität des Individuums geben sollen. In der Subjektivierung wird der Sex zum übergeordneten Bezugspunkt von Macht und Wissen (vgl. Färber 2012: 96). Wie bereits zitiert wurde, soll dieser imaginäre Bezugspunkt der (Selbst-)Erkenntnis des Individuums dienen, sowohl zur Erkenntnis seines Körpers, als auch seiner Identität (vgl. Foucault 1983: 50). Damit wird also der Sex wie die Seele zur Schnittstelle von Macht und Wissen und als Bezugspunkt der Subjektform zum ›Gefängnis‹ des Körpers. Im Geständnis, welches die Unterwerfung unter ein Gegenüber vollzieht, wird der Sex im Hinblick auf mögliche Abweichungen oder Besonderheiten untersucht und dieses so gewonnene Wissen findet Einzug in das Dispositiv, das Wissensfeld der Sexualität. Die Sexualität ist nach Foucault – als Wissensund Rationalitätsfeld – nicht nur ein historisch im Laufe des 18. und 19. Jahrhundert entstehendes ›Phänomen‹, sondern artikuliert sich auch historisch spezifisch. Dieses Wissensfeld ist zugleich Rationalitätsfeld, da es den Rahmen zur Interpretation und medizinischen Kategorisierung des Sexes, aber auch der Erfahrung und Identifikation des Individuums stellt. Der Sex – und somit auch das Selbst – wird nur innerhalb des Wissensfelds der Sexualität intelligibel. Auch wenn die Sexualität so dem individuellen Sex vorausgeht, so ist diese doch zugleich abhängig von der individuellen Befragung des Sexes. Das Wissensfeld muss durch die Befragung immer wieder neu angereichert und reartikuliert werden. Foucault beschreibt den Sex an anderer Stelle auch als Ökonomie der Lüste (vgl. Foucault 1978: 114f.), d.h. die aus der Befragung erhobenen Lüste werden im Wissens- oder Rationalitätsfeld gemäß der Logik des ›Sexes‹ immer wieder neu angeordnet. Foucault spricht an anderer Stelle deshalb auch davon, dass der Sex nicht als Natur begriffen werden dürfe, die gemäß der juridischen Logik von der Macht besetzt und unterdrückt werde, sondern dass die Übersetzung von ›Geschlecht‹ als auch von ›Sex/Sexus‹ die weite und spezifische Bedeutung von Foucaults ›le sexe‹ nicht erfassen können. Die uneinheitliche Übersetzung kann so die changierende Bedeutung des Begriffs aufzeigen.
4. Subjektivierung bei Michel Foucault
der »Sex dem Sexualitätsdispositiv inhärent« (ebd.: 114) sei – als »positive Ökonomie der Körper und der Lust« (ebd.). Allerdings finden sich bei ihm auch immer wieder Stellen, die eine solche juridische Logik, nach der die Natur durch die Macht unterdrückt werde, nahelegen. So endet Der Wille zum Wissen mit dem utopischen Ausblick, »daß man vielleicht eines Tages, in einer anderen Ökonomie der Körper und der Lüste, nicht mehr recht verstehen wird, wie es den Hinterhältigkeiten der Sexualität und der ihr Dispositiv stützenden Macht gelingen konnte, uns dieser kargen Alleinherrschaft des Sexes zu unterwerfen; wie es ihnen gelingen konnte, uns an die endlose Aufgabe zu binden, sein Geheimnis zu zwingen und diesem Schatten die wahrsten Geständnisse abzuringen.« (Foucault 1983: 153) An anderer Stelle spricht er wiederum davon, dass man »auf eine Desexualisierung, auf eine allgemeine Ökonomie der Lust zielen muß, die nicht sexuell normiert ist« (Foucault 1978: 115). Verstehbar werden diese Aussagen nur, wenn man Sexualität als ›wissenschaftlich‹ und ›diskursiv‹ codierte Form der Lust und des Begehrens begreift – jedoch legen diese Passagen zugleich nahe, dass es Lust und Begehren jenseits einer ›sexuellen‹ bzw. diskursiv gerahmten Prägung geben könne, anstatt darauf hinzuweisen, dass Sexualität als komplexes Phänomen gesellschaftlicher und biologischer Einflüsse konstituiert wird und darin keinesfalls frei von gesellschaftlichen Machtbeziehungen sein kann.13 Die in Der Wille zum Wissen formulierte Utopie, Lust jenseits von
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Butler weist auf diese Problematik mit dem Beispiel der heterosexuellen Zwangsordnung hin: »Thus, it would make no sense to divide and oppose bodies and pleasure, on the one hand, and ›sex-desire‹ on the other, if the normativity of the latter continues to haunt and structure the lived modalities of the former. Indeed, if we claim that ›sex-desire‹ and the intense teleological and heterosexual normativity that it brings with it is vanquished by the politics based on the rallying point of ›bodies and pleasures‹, we deprive ourselves of the critical tools we need in order to read the trace and phantom of heteronormativity in the midst of our imagined transcendence.« (Butler 1999: 18) Und: »[…] if we think we might say no to sex and desire […] then I think we miss the chance to understand how the analysis of sexuality is pervasively structured by sexual difference. We also lose the chance to understand how pleasures are staged through the workings of a desire that is the desire of a subject, and how a subject is both constructed by power and a nodal point in the rearticualtion and transformation of power.« (ebd.: 20)
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
Machtbeziehungen fassen zu können, kann vielleicht noch als naiv verstanden werden, sie spitzt sich jedoch gefährlich zu, wenn Foucault sich dafür ausspricht, dass Vergewaltigungen juristisch auch ohne den sexuellen Aspekt verhandelt werden könnten – als ›normale‹ Körperverletzung.14 Auch ist unverständlich, warum Foucault die Psychoanalyse weitgehend undifferenziert, im selben Atemzug mit der Psychiatrie, Psychologie und Biologie, in das Sexualitätsdispositiv einreiht.15 Er erkennt zwar stellenweise an, dass die Psychoanalyse historisch als Gegnerin des biopolitischen Staatsrassismus und der Eugenik angetreten ist, jedoch sieht er die Psychoanalyse in der juridischen Logik befangen, nach der Sex und Macht lediglich als negatives Verhältnis gedacht werden können (vgl. Foucault 1983: 117, 84). Dies ist nicht zuletzt deshalb verwunderlich, da er durchaus sieht, dass das Begehren in der Psychoanalyse nicht als naturhaftes, durch das Gesetz unterdrücktes, sondern als durch das Gesetz konstituiertes, gedacht wird (vgl. ebd.: 83). Da nach Foucault die Psychoanalyse aber auch dem Imperativ der Befreiung folge, würde sie so zugleich den Sex nur als durch ein Verbot und Gesetz unterworfenen begreifen (vgl. ebd.: 86). Indem Foucault die Psychoanalyse vor14
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»Wie auch immer, die Sexualität kann auf keinen Fall Gegenstand einer Bestrafung sein. Und wenn man die Vergewaltigung bestraft, dann soll man ausschließlich die physische Gewalt bestrafen. Und sagen, dass es nichts mehr und nichts anderes als eine Aggression sei: Ob man irgend jemanden seine Faust in die Fresse oder seinen Penis ins Geschlechtsteil schlägt, bezeichnet keinen Unterschied.« (Foucault 2003: 457) Foucault versteht seine Position nicht als antipsychoanalytische, sondern er versucht, darauf aufmerksam zu machen, dass die Psychoanalyse auch zum Sexualitätsdispositiv gehört. »Deshalb kehrt mein Projekt mit der Betrachtung der Geschichte der Sexualität die Perspektive um, jedoch keineswegs um zu behaupten, dass sich die Psychoanalyse irrt, keineswegs um zu behaupten, dass es in unseren Gesellschaften keine Verkennung des eigenen Verlangens durch das Subjekt gibt, sondern um zu sagen, dass man einerseits diese Überproduktion von sozio-kulturellem Wissen über die Sexualität selbst in seinen Ursprüngen und seinen eigentümlichen Formen untersuchen muss und andererseits versuchen muss zu sehen, in welchem Maß die Psychoanalyse selbst, die sich ja gerade als die rationale Grundlegung eines Wissens vom Verlangen gibt, wie also die Psychoanalyse selbst einen Teil dieser großen Ökonomie der Überproduktion des kritischen Wissens über die Sexualität ausmacht. Das ist also der Gegenstand der angestrebten Arbeit, die keineswegs eine anti-psychoanalytische Arbeit ist, sondern die das Problem der Sexualität wieder aufzugreifen versucht oder vielmehr des Wissens um die Sexualität, und zwar nicht im Ausgang von der Verkennung des eigenen Verlangens durch das Subjekt, sondern im Ausgang von der Überproduktion des gesellschaftlichen und kulturellen Wissens, des kollektiven Wissens über Sexualität.« (Foucault 2003a: 699f.)
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schnell in diese Logik und den Funktionsmechanismus des Willens zum Wissen einordnet, entgeht ihm die Möglichkeit, Sexualität als machtdurchzogene und produzierte zu verstehen, ohne auf die Utopie der machtfreien »Körper und Lüste« zurückgreifen zu müssen (vgl. Miller 1991: 72f.). Vielmehr würde es gerade mit Hilfe der psychoanalytischen Perspektive ermöglicht werden, Sexualität auch als gesellschaftlich konstituierte zu verstehen, die ›Perversionen‹ und ›sexuelle Heterogenitäten‹ nicht als naturgegebene Abweichungen, sondern als individuelle Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Machtverhältnissen verstehbar werden lässt.
4.4.2
Bio-Macht als Subjektivierungsmodus
Dennoch, gerade im von Foucault entwickelten Begriff des Sexualitätsdispositivs, kann Sexualität als Ergebnis eines geschichtlichen Dispositivs in ihrer Machtdurchzogenheit gedacht werden. So zeigt Foucault auf, wie im Laufe des 19. Jahrhunderts der Sex nicht nur zum vorrangigen Objekt der Wissenschaften, sondern auch zum Maßstab des Normalen und Pathologischen werden konnte (vgl. Foucault 1983: 70). Dem Sex komme dabei eine Scharnierstelle zu, da er sowohl für die Pathologien des Einzelnen als auch für die Normalität der Bevölkerung bürgen solle (vgl. ebd.: 140). Nicht mehr die Seele, sondern der Sex werde dem Maßstab einer neuen, medizinischen Normalität unterstellt, jedoch so, dass er zugleich als Messinstrument von Normalität und Gesundheit diene. »Er [der Sex, C.F.] fügt sich gleichzeitig in beide Register ein: er gibt Anlaß zu unendlich kleinlichen Überwachungen, zu Kontrollen aller Augenblicke, zu äußerst gewissenhaften Raumordnungen, zu endlosen medizinischen oder psychologischen Prüfungen: zu einer ganzen Mikro-Macht über den Körper. Er gibt aber auch Anlaß zu umfassenden Maßnahmen, zu statistischen Schätzungen, zu Eingriffen in ganze Gruppen oder in gesamten Gesellschaftskörper. Der Sex eröffnet den Zugang sowohl zum Leben des Körpers wie zum Leben der Gattung.« (Ebd.: 140f.) Historisch betrachtet funktioniere also der Sex als Schnittstelle zwischen der Disziplinierung des einzelnen Körpers – so wie Foucault es in Überwachen und Strafen ausführlich beschrieben hat – und zugleich als biopolitische Regulation der Bevölkerung. In der machtanalytischen Perspektive lässt sich also auch in Der Wille zum Wissen eine Transformation der Macht, von der souveränen Macht, die über »Leben und Tod« (ebd.: 131) entscheiden konnte, zur Bio-
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Macht, die über das Leben im Gesamten verfügen will, anhand der historischen Entwicklung des Sexualitätsdispositivs nachzeichnen. Als Bio-Macht bezeichnet Foucault das Zusammenspiel dieser zwei Machtformen: der »Disziplinen, als politischer Anatomie des menschlichen Körpers« (ebd.: 134f.; Herv. im Orig.) und der”regulierende[n] Kontrollen: Bio-Politik der Bevölkerung« (ebd.: 135). Foucault versucht über den Begriff der Bio-Macht nicht nur aufzuzeigen, dass das Subjekt sich nach und nach als Subjekt des Lebens konstituiere, sondern er vertritt auch die These, dass durch diese sowohl der biologisierende Rassismus des 19. Jahrhunderts vorangetrieben und ein ›moderner‹ biopolitisch funktionierender Rassismus im 20. Jahrhundert gestützt worden sei. Sexualität werde in seiner biopolitischen Version also nicht mehr nur in das System »Perversion-Vererbung-Entartung« (ebd.: 117) eingeschrieben, sondern das Biologische bzw. das Lebende werde von nun an »in einem Bereich von Wert und Nutzen« (ebd.: 139) eingetragen und angeordnet. Es wird deutlich, dass die Ausrichtung an der Norm nun nicht mehr nur auf die Dressur des einzelnen Körpers in Hinblick auf ein präskriptiv gesetztes Ideal, sondern auch auf die Normalisierung des Lebens schlechthin ziele. Sowohl die Gesundheit des Einzelnen als auch die Gesundheit der Bevölkerung – in Form von Geburten- und Sterblichkeitsraten – werden zum Ziel der Machtinterventionen. »Wir hingegen [die Subjekte des modernen Abendlandes; C.F.] leben in einer Gesellschaft des ›Sexes‹ oder vielmehr der ›Sexualität‹: die Mechanismen der Macht zielen auf den Körper, auf das Leben und seine Expansion, auf die Erhaltung, Ertüchtigung, Ermächtigung oder Nutzbarmachung der ganzen Art ab. Wenn es um Gesundheit, Fortpflanzung, Rasse, Zukunft der Art, Lebenskraft des Gesellschaftskörpers geht, spricht die Macht von der Sexualität und zu der Sexualität, die nicht Mal oder Symbol ist, sondern Gegenstand und Zielscheibe.« (Ebd.: 142) Diese Form der Normalisierung ist also nicht nur umfassender, sondern kann den Einzelnen über seinen Sex in die Verantwortung für die kollektive Gesundheit des Gattungswesens stellen. Der Einzelne könne zur Bedrohung des Kollektivs werden. Der Einzelne und sein Leben seien in den Bereich der staatlichen bzw. biopolitischen Regulation eingetreten. Das Leben werde dabei nicht nur negativ reguliert, d.h. auf ›Entartungen‹ oder ›Krankheiten‹ hin kontrolliert, sondern zugleich ›positiv‹ erfasst, da es auch auf die Produktivität und die Steigerung der Kräfte des Lebens gerichtet sein könne. Der Körper ist somit nicht mehr nur entweder ›gesund‹ oder ›krank‹, sondern der Körper
4. Subjektivierung bei Michel Foucault
kann in seiner ›Gesundheit‹ immer mehr gesteigert werden. Es zählt der ›gesündere‹ Körper. Der Ausschluss wird so flexibel und tendenziell statistisch gedacht. Es gibt Subjekte, die sich an den Rändern der Normalverteilung befinden, aber diese werden zugleich als ›natürlich‹ vorkommende Abweichungen verstanden. Der Subjektivierungsmodus wird also auf das Leben im Gesamten gerichtet: Subjekt zu sein, heißt nicht nur ein Subjekt der Sexualität, sondern des nutzvollen oder überflüssigen Lebens zu sein, welches über den imaginären Zentrierungspunkt des eigenen Sexes reguliert und überwacht werden muss. »Der abendländische Mensch lernt allmählich, was es ist, eine lebende Spezies in einer lebenden Welt zu sein, einen Körper zu haben sowie Existenzbedingungen, Lebenserwartungen, eine individuelle und kollektive Gesundheit, die man modifizieren, und einen Raum, in dem man sie optimal verteilen kann. Zum ersten Mal in der Geschichte reflektiert sich das Biologische im Politischen.« (Ebd.: 137f.)
4.5
Die historische Komponente der Subjektivierungsanalyse und ihr Gegenwartsbezug
Foucault stellt die Entstehung der Disziplinarmacht in Überwachen und Strafen sowie das Auftreten der Bio-Macht in Der Wille zum Wissen in den Zusammenhang zur historischen Problemlage des 17. und 18. Jahrhunderts. Durch die Industrialisierung, den gesteigerten Bedarf an verwertbaren Arbeitskräften, das Bevölkerungswachstum und die Zentrierung der Bevölkerung in den Städten entstand einerseits die Notwendigkeit, die Masse der Bevölkerung zu ordnen, und andererseits wurde über die Statistik zugleich die Möglichkeit geschaffen, die Masse regulieren zu können (vgl. Foucault 1983: 135ff., 140). In den Gouvernementalitäts-Vorlesungen führt Foucault die Entstehung und Entwicklung der biopolitischen Regulation noch differenzierter aus und verknüpft sie mit der Entwicklung der politischen Ökonomie in den historischen Regierungskünsten u.a. auch des Liberalismus und Neoliberalismus. Im Folgenden soll deshalb die Bedeutung der historischen Zeitdiagnosen, die in Foucaults Schriften enthalten sind, im Hinblick auf die Frage nach historisch konkreten Subjektivierungsmodi und wie diese zu bestimmen sind, betrachtet werden.
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
4.5.1
Historische Subjektivierungsmodi
Eine Besonderheit der Foucault’schen Subjektivierungskonzeption besteht darin, dass Subjektivierung nicht nur als allgemeiner Mechanismus, sondern als historisch konkreter Prozess analysierbar wird, der sich in historisch unterschiedlichen Modi der Subjektivierung differenzieren lässt. Geht Foucault in Der Wille zum Wissen noch davon aus, dass die Subjekte sich als ›Geständnistiere‹ konstituieren (vgl. Foucault 1983: 63) und lernen müssen, sich als lebendige Wesen zu erfahren (vgl. ebd.: 137f.), begreife sich das Subjekt des 20. Jahrhunderts nun im Modus des ›Unternehmers‹ (vgl. Foucault 2006a: 300-330). »Man muß also alle Probleme noch einmal durchdenken, oder man kann jedenfalls alle Probleme des Schutzes der Gesundheit, der öffentlichen Hygiene in Elemente auflösen, die in der Lage sind, das Humankapital zu verbessern oder nicht. […] Die Mobilität einer Population und ihre Bereitschaft, Mobilitätsentscheidungen zu treffen, die Investitionsentscheidungen sind, um eine Verbesserung des Einkommens zu erreichen, all das gestattet […] alle diese Verhaltensweisen in Begriffen des individuellen Unternehmens zu analysieren, eines Unternehmers seiner selbst mit Investitionen und Einkommen.« (Ebd.: 320f.) Das moderne Subjekt sehe sich selbst als mit Humankapital ausgestattetes und verknüpfe so biopolitische Elemente mit ökonomischen. Als Subjekt des Humankapitals müsse es gemäß einer unternehmerischen Logik sowohl angeborene wie erworbene Fähigkeiten unter dem Aspekt der ökonomischen Verwertbarkeit organisieren. Die Frage, ob und welche Investition in das Selbst sich lohnt, weite sich auf alle gesellschaftlichen Bereiche aus. Im Neoliberalismus des 20. Jahrhunderts würden die biopolitischen Elemente von Gesundheit, Hygiene und Medizin nicht nur auf die Bevölkerung zielen, sondern auch auf das individuelle Leben. Das Subjekt müsse sich in der Erziehung, der Ernährung, der körperlichen und mentalen Gesundheit, in der Sexualität und Fortpflanzung (Genetik) immerzu fragen, ob es sein eigenes Leben und das Leben seiner Nachkommen gemäß der ökonomischen Verwertbarkeit produktiv steigern könne. Wie gegenwärtige Analysen zur Gouvernementalität zeigen, wird dadurch die Verantwortlichkeit zur ›Normalität‹ und ›Verwertbarkeit‹ in diesem Modus dem Subjekt selbst zugeschrieben (vgl. Duttweiler 2003; vgl. Bröckling/ Krasmann/Lemke 2000). Das ›normale‹ Subjekt werde nicht mehr nur über
4. Subjektivierung bei Michel Foucault
Zwangsinstitutionen produziert, sondern der ›natürlichen‹ Regulation unterworfen. Paradoxerweise führt die Verschiebung der Normalitätsgrenze, die nun mit der statistischen Normalverteilung gleichgesetzt wird, auf die das Subjekt nur bedingt Einfluss nehmen kann, im Modus des Unternehmers nicht dazu, dass die Arbeit am Selbst wegfällt. Zum einen wird über Ernährung, Bildung, Fitness und Wellness sowie medizinische Eingriffe versucht, auf diese natürliche Normalverteilung Einfluss zu nehmen, zum anderen werden weiterhin disziplinäre Techniken zur notwendigen Ergänzung biopolitischer Maßnahmen herangezogen (vgl. Foucault 2006a, 318-320; vgl. Duttweiler 2003; vgl. Bröckling 2007). Foucault blieb selbst wohl unentschlossen, ob die von ihm herausgearbeiteten Machtformen, die unterschiedlichen Dispositive und Subjektivierungsmodi historischen Abschnitten zugeordnet werden können. Zum einen stellt er in seinen genealogischen Betrachtungen eine historische Chronologie auf, nach der die souveräne Macht dem 16. Jahrhundert, die disziplinäre Macht dem 17. Jahrhundert und die biopolitische Macht dem 18. Jahrhundert entspreche, zum anderen geht er aber auch davon aus, dass sich die Phasen historisch nicht ablösen, sondern sich ergänzen können.16 Man könnte deshalb von historisch hegemonialen Regierungsweisen sprechen, die sich zwar in bestimmten Epochen oder Jahrhunderten entwickeln, die aber weder als lineare Fortschrittsentwicklung noch als sich chronologisch ablösende verstanden werden sollten. Dennoch haben Foucaults genealogische Studien auch dazu angeregt, seine Thesen über historisch auftretende Dispositive, Machtformen und Subjektivierungsmodi zeitdiagnostisch weiterzuentwickeln (vgl. Bröckling/Krasmann/Lemke 2000; vgl. Purtschert/Meyer/Winter 2008). Zu den bekannteren Zeitdiagnosen in Anschluss an Foucault zählt Das unternehmerische Selbst von Ulrich Bröckling (2007), aber auch die nur assoziativ 16
»Es gibt kein Zeitalter des Rechtlichen, kein Zeitalter des Disziplinarischen, kein Zeitalter der Sicherheit. Sie haben keine Sicherheitsmechanismen, die den Platz der Disziplinarmechanismen einnehmen, wobei diesen den Platz der juridisch-rechtlichen Mechanismen eingenommen hätten. In Wirklichkeit haben Sie eine Serie komplexer Gefüge, in denen sich sicherlich die Techniken selbst, die sich vervollkommnen oder sich jedenfalls komplizieren, ändern, doch was sich vor allem ändert, ist die Dominante oder genauer das Korrelationssystem zwischen den juridisch-rechtlichen Mechanismen, den Disziplinarmechanismen und den Sicherheitsmechanismen. Anders gesagt, Sie werden eine Geschichte haben, die eine Geschichte der Techniken im engeren Sinne ist.« (Foucault 2006: 22f.)
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an Foucault angelehnten Überlegungen von Andreas Reckwitz (2017) zum Subjektivierungsmodus der Singularität. Während die erste Studie direkt an die These der Gouvernementalitäts-Vorlesungen anknüpft, nach der das Subjekt des 20. Jahrhunderts mit Beginn des Neoliberalismus sich als Unternehmer seiner selbst begreifen müsse, führt die Zeitdiagnose von Reckwitz die Machtanalyse in Überwachen und Strafen weiter. Im Folgenden soll diese Weiterführung kurz umrissen werden, um zu zeigen, dass der historische Subjektivierungsmodus keinen Aufschluss über die tatsächliche, d.h. die empirische Verortung einzelner Subjekte geben, sondern nur die historisch konkrete Form der Anforderungen beschreiben kann, die an das Subjekt gerichtet werden. Nach Reckwitz wird der disziplinäre Blick durch den der kompetitiven Singularität abgelöst. Die Subjekte der Gegenwart würden nicht mehr unter dem disziplinären Blick der ›Normalität‹ stehen, sondern im Gegenteil unter dem Blick der kompetitiven Singularität, die das Besondere und Einzigartige des Individuums suche und dieses danach bewerte. Nach Reckwitz lasse sich eine Verschiebung beobachten, nach der das Subjekt sich freiwillig und mit großer Lust in die Sichtbarkeit stellt – das Subjekt der Singularität will gesehen werden. »Das Subjekt, das in die Sichtbarkeit gezerrt wird [das Subjekt der Disziplin; C.F.], steht jenem gegenüber, das begehrt, gesehen zu werden. Die Standardisierung des Subjekts kontrastiert mit der Arbeit an der Singularität. Der Leistungsmessung steht die Erfolgsökonomie der Aufmerksamkeit gegenüber, der im Kern negativen, abschreckenden die im Kern positive, hervorlockende Affektstruktur.« (Reckwitz 2017: 208) Unabhängig davon, ob diese Zeitdiagnose treffend ist – denn die von Reckwitz beschriebene Singularität lässt sich auch gemäß kapitalistischer Marktlogik als ausdifferenziertere (subkulturspezifische) Normalitätskategorie verstehen –, übersieht Reckwitz den affirmativen Eigenanteil, der auch in den Subjektivierungsmodi der Disziplin und der Bio-Politik enthalten ist. Wie bereits gezeigt wurde, können auch die standardisierte Normalität und die Normalisierung von den Subjekten affirmativ in Form von Selbstbeobachtungen und affektgeladenen Selbstidentifizierungen aufgenommen werden. Daran schließt sich die Frage nach der politischen Bedeutung der Zeitdiagnose an. Denn man könnte Reckwitz durchaus darin zustimmen, dass dem Subjekt der Disziplin die negative Seite des Gesehenwerdens, aufgrund der kleinteiligen Normalitätsgrenzen und unmittelbaren Belohnungs- und Bestrafungssyste-
4. Subjektivierung bei Michel Foucault
me, stärker bewusst war. »Das alte Ideal, sich dem aufdringlichen, permanenten Blick würdevoll zu entziehen, kann vor diesem Hintergrund in der Spätmoderne nur blankes Unverständnis hervorrufen.« (Ebd.: 211) Jedoch könnte man auch im Gegenteil annehmen, dass gerade im flexibleren Modus der Subjektivierung, der ohne asymmetrischen Zwang funktioniert, das Bewusstsein um das beständige Bewertet- und Gesehenwerden höher wird – und somit auch der Wunsch, nicht gesehen und bewertet zu werden. Dieser Wunsch führt möglicherweise zu einem paradoxen Effekt: Das Bewusstsein des Subjekts, überall und ständig ›gesehen‹ werden zu können, mag empirisch in eine gelebte Akzeptanz der Möglichkeit, individuell immer sichtbar sein zu müssen, umschlagen. Sich dieser Sichtbarkeit zu entziehen, würde mit zu hohen sozialen Kosten einhergehen, so dass die Subjekte unter dem Bewusstsein des Gesehen-Werdens zwar ihr ›Verhalten‹ anpassen, diese Anpassung jedoch nicht nach ›innen‹, sondern nur nach ›außen‹ richten. Beispielsweise in der bewussten Gestaltung von Informationen in sozialen Netzwerken und der Gestaltung professioneller Profile, die jedoch als ›öffentliche‹ und nicht tatsächliche Darstellung des Selbst genutzt und erfahren werden. Die äußeren konstitutiven Bedingungen der Subjektwerdung und der historisch spezifische Subjektivierungsmodus sind nicht identisch mit dem individuellen Selbstverhältnis. Das Selbstverhältnis ist die reflexive Antwort auf die historisch spezifischen Anforderungen – es ist damit auch historisch konstituiert, aber weniger leicht zu bestimmen als der Subjektivierungsmodus, der in etwa auf der Ebene des Althusser’schen Anrufungsbegriffs situiert ist. Wenn Foucault davon ausgeht, dass das Subjekt sich im Modus der Disziplin, des Geständnisses oder des Unternehmers begreifen müsse, sagt dies etwas über den historischen Subjektivierungsmodus aus, welcher das Selbstverhältnis miteinschließt, jedoch nicht inhaltlich ausfüllt. Die Form kann zeitdiagnostisch erfasst werden, die konkrete Ausgestaltung könnte jedoch nur empirisch erhoben werden (vgl. hierzu auch Bröckling 2007: 10). Subjektivierung historisch spezifisch zu fassen, bedeutet also, die historischen Konstitutionsbedingungen zu analysieren, um Thesen über den historisch spezifischen Subjektivierungsmodus aufstellen zu können. Foucaults genealogische Ausführungen können zwar für sich stehen und weitere zeitdiagnostische Thesen anregen, jedoch soll in dieser Arbeit nicht die genealogische Methode verhandelt werden, sondern auf die analytische Stärke des Begriffs des Dispositivs für historische Analysen von Subjektivierungsmodi hingewiesen werden.
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Der Begriff des Dispositivs ermöglicht es, die historischen Subjektivierungsmodi als ›Antworten‹ auf konkrete Problemlagen zu verstehen; sich als Subjekt des Lebens oder des Unternehmers zu verstehen, hängt mit dem jeweiligen historischen Dispositiv zusammen, welches selbst wiederum auf historische materielle Entwicklung reagiert und antwortet, und diese zugleich umstrukturiert. Der Begriff des Dispositivs ermöglicht es, die historischen Entwicklungen nicht als sich gegenseitig ablösende, sondern als widersprüchliche, zeitverschobene und parallele Entwicklungen zu begreifen. Auch wenn Foucault den Begriff sehr schnell wieder fallen gelassen hat, ist er meines Erachtens am besten dafür geeignet, die konstitutiven Bedingungen des Subjektseins in seiner historischen Konkretion zu bestimmen, da hier nicht nur diskursive Ordnungseffekte, sondern das Zusammenspiel von materiellen, symbolischen und imaginären sowie sich widersprechenden Elementen erfasst werden kann. So wird es möglich, zeitdiagnostische Thesen über den darin enthaltenen Subjektivierungsmodus aufzustellen, ohne diesen als ausschließliche Form der Subjektkonstitution und Selbstverortung begreifen zu müssen – die in den Dispositiven enthaltenen Anrufungen sind selbst heterogen, widersprüchlich und sie ›antworten‹ auf eine historisch konkrete Problemlage.
4.5.2
Das Dispositiv
Als Dispositiv definiert Foucault ein »heterogenes Ensemble, das Diskurse, Institutionen, architekturale Einrichtungen […], Gesetze […], wissenschaftliche Aussagen, philosophische, moralische oder philanthropische Lehrsätze, kurz: Gesagtes ebensowohl wie Ungesagtes umfaßt.« (Foucault 1978a: 119f.) Die Funktion des Dispositivs sieht Foucault darin, auf einen historischen »Notstand« (ebd.: 120) zu reagieren. Das Sexualitätsdispositiv lässt sich beispielsweise als Antwort auf die im 17. Jahrhundert entstehende historische Problemlage lesen, in der nach einer Lösung zur Produktivitätssteigerung der Kräfte und zur Ordnung der Masse gesucht wurde. Darauf antworteten sowohl die Disziplinen als auch die biopolitischen Technologien. »Das Sexualitätsdispositiv hat seine Daseinsberechtigung nicht darin, daß es sich reproduziert, sondern darin, daß es die Körper immer detaillierter vermehrt, erneuert, zusammenschließt, erfindet, durchdringt und daß es die Bevölkerungen immer globaler kontrolliert.« (Foucault 1983: 106) Das Sexualitätsdispositiv habe sich nach Foucault im Laufe des 17. Jahrhunderts in Abgrenzung und Ergänzung zum Allianzdispositiv entwickelt.
4. Subjektivierung bei Michel Foucault
Die Allianz sollte die Sexualität gemäß der juridischen Logik kontrollieren. Sie habe einerseits diese Sexualität den Gesetzen der Ehe und Familie (Monogamie, Inzestverbot) unterstellt, andererseits habe diese wiederum für die Durchsetzung und Einhaltung der Gesetze verantwortlich sein sollen (Fortpflanzung, Moralerziehung, Unterbindung kindlicher Masturbation). Das im Laufe des 18. Jahrhunderts entstehende Sexualitätsdispositiv hebe die Stellung der Familie nicht auf, sondern ergänze diese. Pädagogik, Medizin und Psychiatrie würden zusätzlich herangezogen, um die Aufgabe des Allianzregimes zu stützen – der für ›Perversionen‹ und Krankheiten anfällige Sex müsse permanent überwacht und durch das Wissen der Experten reguliert werden. Der Sex werde nach und nach zur Staatssache (vgl. ebd.: 116), und münde schließe im 19. Jahrhundert im auftretenden eugenischen Staatsrassismus. Über den Begriff des Dispositivs wird ein scheinbar einfaches oder homogenes Phänomen wie ›Sexualität‹ als Produkt verschiedener Elemente – die alle in unterschiedlicher Weise auf eine historische Problemlage reagieren und auch in Widerspruch zueinanderstehen können – analysierbar. Das Inzestverbot, der Anti-Masturbations-Apparat, der Ehe-Ratgeber, die demographischen Erhebungen, die Geburtsvorbereitungskurse, die Gesundheitsvorsorgen usw. reagieren in jeweils besonderer Weise auf das Problemfeld ›Sexualität‹, welches so zugleich erst in seiner vermeintlichen Eindeutigkeit produziert wird und wiederum auf die historische Anforderung der Bevölkerungsregulierung reagiert. Das Dispositiv erfasst also einen doppelten Machteffekt: einerseits reagiert es strategisch auf eine historisch vorgefundene Situation (Machteffekt/Reaktion), andererseits produziert es diese als verdichtetes Problem erst in ihren Reaktionen (Machtproduktion/ Hervorbringung). Der Vorteil des Begriffs liegt erstens darin, einzelne Phänomene in ihrer Komplexität erfassen zu können, ohne sie von einem übergeordneten Ganzen ableiten zu müssen (vgl. Balibar 1991: 48). Darüber hinaus wird es so möglich, auch unintendierte, überdeterminierte Effekte sichtbar werden zu lassen. Denn die strategische Antwort des Dispositivs formiert sich nicht ausgehend von einer Person oder einem Machtzentrum, sondern sie setzt sich aus einzelnen strategisch ausgerichteten Technologien und Praktiken zusammen. So können sich in dieser Antwort auch nicht intendierte Effekte einstellen, auf die wiederum im Dispositiv über eine Neuanordnung der Elemente reagiert werden muss (vgl. Foucault 1978a: 121). So ließe sich meines Erachtens der Begriff des Dispositivs auch zur Analyse des Althusser’schen komplexen Ganzen und seiner überdeterminierten Widersprüche verstehen.
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
Ein weiterer Vorteil des Begriffs besteht zweitens darin, dass Machteffekte nicht nur reduziert als symbolische Diskurseffekte verstanden werden können. Im Gegenteil, im Dispositiv werden sowohl diskursive, symbolische, sprachliche als auch materielle Elemente, Institutionen, Praktiken, architektonische Gestaltungen erfasst, so dass man unter Bezugnahme auf Althusser auch die historisch spezifischen Arbeits- und Produktionsweisen in den Begriff aufnehmen könnte. Auch wenn der Begriff so als undifferenzierter Sammelbegriff erscheint, lässt sich dies dadurch verhindern, dass er nur historisch kontextualisiert, als Reaktion auf eine konkrete historische Problemlage, verständlich werden kann. Das Dispositiv kann drittens als Analyseinstrument der historisch spezifischen Subjektivierungsweisen und -modi herangezogen werden. So ließe sich ein Überwachungs- oder Normalisierungsdispositiv analysieren, in welchem die Subjekte sich als Subjekte der Normalität konstituieren, oder eben das Sexualitätsdispositiv, in welchem Subjekte sich als Subjekte des Lebens begreifen lernen. Foucault selbst hat allerdings den Subjektivierungseffekt auf die materielle Einbindung des Subjekts reduziert. »Ich suche zu zeigen, wie die Machtverhältnisse in die Tiefe der Körper materiell eindringen können, ohne von der Vorstellung der Subjekte übernommen zu werden. […] Es gibt ein Netz von Bio-Macht, von somatischer Macht, die selbst ein Netz ist, von dem aus die Sexualität entsteht als historisches und kulturelles Phänomen, innerhalb dessen wir uns gleichzeitig wiedererkennen und verlieren.« (Foucault 1978: 108f.; Herv. C.F.) Auch wenn Foucault das begriffliche Instrumentarium bereitstellt, kann er die Vermittlung zwischen materieller Einbettung und bewusstseinsmäßiger Selbstverortung nicht denken. Er bleibt, ähnlich wie auch stellenweise Althusser, darin befangen, das Verhältnis zwischen Ideologie und Macht nur als Entgegensetzung von Bewusstsein und Materie denken zu können. Wenn Foucault sich im eben angeführten Zitat gegen die Durchsetzung der Macht durch die Vorstellung wendet, versucht er eigentlich nur, die idealistisch verkürzte Vorstellung zurückzuweisen, nach der die Ideologie, verstanden als Ebene des Bewusstseins und der Ideen, sich in Materie – in Handlungen, Selbstverortungen, architektonische Gestaltungen – umsetzen ließe. Dass jedoch auch die Ebene der Ideologie, und damit das Bewusstsein, so gedacht werden kann, dass sie immer schon als durch die materiellen Verhältnisse konstituierte zu verstehen ist, lässt er hier außer Acht – auch wenn er diese
4. Subjektivierung bei Michel Foucault
Möglichkeit über seine Thesen zum Subjektivierungsmodus implizit eingeführt hat. Im Panopticon-Kapitel und ausführlicher in Der Wille zum Wissen wird das Subjekt zwar als ein in materielle Verhältnisse eingebettetes gedacht, jedoch erfolgt der Subjektivierungsprozess nicht nur über die körperliche Betätigung oder die von außen geleitete Erfassung des Subjekts als Wissensobjekt, sondern maßgeblich auch über die Selbstverortung und -identifizierung des Subjekts in diesem materiellen Rahmen. Das Subjekt im Panopticon wird zum eigenen Überwacher, das Subjekt in Der Wille zum Wissen befragt sich mit großer Lust selbst auf mögliche Abweichungen und verborgene Regungen. Die Vorstellung ist dabei nicht unabhängig vom materiellen Rahmen und dem gesellschaftlichen Zwang zu denken; sie ist in diesen eingebettet oder durch diesen vermittelt. Dies zu betonen, ist nicht nur deshalb wichtig, um den Eigenanteil in der Unterwerfung, die Selbstunterwerfung oder das Ideologische, sondern auch, um die Möglichkeit des emanzipatorischen, des politischen oder des transformativen Handelns denken zu können. Das Subjekt wird nicht nur in ein physisches Unterwerfungsverhältnis gesetzt, sondern es ist auch als denkendes, reflektierendes und als fühlendes Individuum den gesellschaftlichen Machtverhältnissen unterworfen. Zugleich ermöglicht aber die aktive Selbstverortung im Subjektivierungsprozess, die Lücke zwischen unterwerfender Konstitution und produzierter Ermächtigung für ein Verhältnis der Distanz und Reflexion der konstituierenden Bedingungen zu nutzen. Wie noch ausführlicher diskutiert werden soll, ist es durchaus richtig, darauf hinzuweisen, dass dieser Aspekt der Aktivität und Reflexion von Foucault in seinen machtanalytischen Schriften nicht genügend berücksichtig wurde, jedoch soll in dieser Arbeit die These vertreten werden, dass Foucault damit nur hinter sein eigenes begriffliches Instrumentarium zurückfällt. Der Begriff der assujettissement enthält bei Foucault die Ambivalenz zwischen Unterwerfung und Ermächtigung und ist immer schon Teil des Begriffs der subjectivation und umgekehrt (s. Kapitel 4.6 und 4.7). Die GouvernementalitätsVorlesungen lockern meines Erachtens diese Ambivalenz wieder auf, indem sie nicht mehr von einer ambivalenten Unterwerfung, sondern von Regierungsweisen – den Selbst- und Fremdführungen – sprechen. Hier würden sich jedoch zwei verschiedene Lesarten anbieten. Die Lesart, nach der in den Gouvernementalitäts-Vorlesungen die Ambivalenz wieder in dichotom ausgerichtete Seiten, die Selbst- und Fremdführung, aufgespalten wird, oder eine Lesart, die die Gouvernementalitäts-Vorlesung als ergänzende Erläuterung
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der Ambivalenz versteht, nach der die zwei Seiten sich nicht trennen lassen, aber auch nicht als identische gesetzt werden können. Ein weiteres Problem besteht meines Erachtens darin, dass Foucault den Begriff des Dispositivs wieder fallen lässt und auch hier durch den Begriff der Führung oder Regierung ersetzt. Gerade über den Begriff des Dispositivs könnte man das komplexe Zusammenspiel zwischen heterogenen Elementen, die sich zu einem Machteffekt verdichten können, erfassen. Es ließen sich zwar auch mit dem Begriff der Regierungsweise die entstehenden Homogenisierungseffekte analysieren, jedoch legt der Begriff nahe, dass es eine hegemoniale Regierungsweise geben kann und dass diese strategisch und intentional von Personen oder Regierungen eingesetzt oder bestimmten Apparaten/Institutionen zugeordnet werden kann. Der Begriff des Dispositivs hat den Vorzug, dass die Machteffekte als Antwort auf materielle und historische ›Problemlagen‹ verstanden und zugleich die unintendierten, widersprüchlichen und überdeterminierten ›Antworten‹ darauf erfasst werden können. Auch werden über das Dispositiv die Machteffekte nicht mit den Subjektivierungsmodi in eins gesetzt. Dem Sexualitätsdispositiv sind beispielsweise sowohl der Modus der Disziplin als auch der der Bio-Politik inhärent. Vielmehr können über den Fokus auf die Heterogenität auch sich widersprechende Subjektivierungsmodi in ihrer Relationalität analysiert werden. Die Zeitdiagnosen über die historischen Subjektivierungsmodi können so wiederum dem Raum der Spekulation entzogen werden, indem sie an die Analyse der historischen Dispositive gebunden werden.
4.6
Assujettissement oder Subjectivation – ein Vexierbild ?
In der Rezeption des Subjektivierungsbegriffs bei Foucault wird versucht, die Ambivalenz oder die Paradoxalität der Subjektwerdung – unterworfen und in dieser Unterwerfung ermächtigt zu werden – anhand der gegeneinandergestellten, aber untrennbar aufeinander bezogenen Begriffe der assujettissement (Unterwerfung) und der subjectivation (Subjektivierung) zu beschreiben (vgl. Saar 2007: 377ff.; vgl. Gelhard/Alkemeyer/Ricken 2013: 10; vgl. Ricken 2013: 32). »›Subjektivierung‹ (subjectivation) ersetzt so den noch ambivalent gedachten Begriff des assujettissement der vor allem in Überwachen und Strafen dazu dient, die Subjektwerdung als Unterwerfung, das Individuum als ›Effekt‹ der
4. Subjektivierung bei Michel Foucault
Macht darzustellen; […] Aus diesem Grund meint Subjektivierung hier [in den späten Bänden 2 und 3 der Geschichte der Sexualität; C.F.] ausschließlich die autonome, ›selbstsubjektivierende‹ Herstellung eines Selbstverhältnisses.« (Saar 2007: 377f.) Diese begriffliche Aufteilung des Subjektivierungsbegriffs versucht, dem Spätwerk Foucaults – welches nun nach der vermeintlichen Abkehr vom ›Tod des Subjekts‹ die Frage nach dem Subjekt wieder ins Zentrum stellte – und der in Subjekt und Macht (1982) formulierten Selbstdeutung Foucaults zu dieser Wende gerecht zu werden. In Subjekt und Macht konstatiert Foucault mit einem Funken Selbstironie, dass seine Arbeit der letzten 20 Jahre – und damit bereits in Die Ordnung der Dinge (1966; hier: Foucault 1974) – nicht hauptsächlich darin bestand, Machtphänomene zu analysieren, sondern das Ziel verfolgte, »eine Geschichte der verschiedenen Formen der Subjektivierung [frz. modes de subjectivation; C.F.] des Menschen in unserer Kultur« (Foucault 2005: 240; Herv. C.F.) zu schreiben. Es lohnt sich deshalb, diesen sehr kurzen, aber inhaltlich umfassenden Aufsatz, im Hinblick auf den Subjektivierungsbegriff kleinschrittig zu betrachten. Wie der Titel des verschriftlichten Gesprächs bereits verdeutlicht, sieht Foucault eine konstitutive Verbindung zwischen der Macht- und Subjektanalyse. Um zu analysieren, in welchen Formen sich Subjekte (historisch) konstituierten, hat Foucault »Objektivierungsformen [frz. modes d’objectivation; C.F.] untersucht, die den Menschen zum Subjekt machen« (ebd.; Herv. C.F.). Diese unterschiedlichen Objektivierungsformen – die Grammatik, die Biologie, die Disziplinen, die Sexualität – beschreibt Foucault auch als »Produktionsverhältnisse und Sinnbeziehungen« (ebd.: 241), die wiederum auch als »komplexe Machtbeziehungen« (ebd.) begriffen werden können. Um die Subjektivierungs-/Objektivierungsformen [frz. modes de subjectivation/modes d’objectivation] adäquat erfassen zu können, habe er deshalb eine Machtanalytik entwickeln müssen, die auch Machteffekte jenseits des rechtlichen und institutionellen Modells sichtbar machen könne. So widmet Foucault in diesem kurzen Text, in welchem er gegen die Interpretation eines Bruchs oder einer Wende seines Werks behauptet, dass das »umfassende Thema [seiner] Arbeit […] nicht die Macht, sondern das Subjekt« (ebd.: 240) gewesen sei, ironischerweise einen Großteil seiner Ausführungen seinem Begriff der Macht. Foucaults Beschäftigung mit dem Thema der Macht sollte jedoch nicht auf eine Theorie dieser zielen, sondern eine Analyse der Machtbeziehungen ermög-
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
lichen.17 Um die vielfältigen Machtbeziehungen sichtbar werden zu lassen, müsse man an den beobachtbaren Widerstandspunkten ansetzen (vgl. ebd.: 243) »Oder um es mit einem anderen Bild zu sagen, er [der neue Forschungsansatz; C.F.] benutzt diesen Widerstand als chemischen Katalysator, der die Machtbeziehungen sichtbar macht und zeigt, wo sie zu finden sind, wo sie ansetzen und mit welchen Methoden sie arbeiten. Statt die Macht im Blick auf ihre innere Rationalität zu analysieren, möchte ich die Machtbeziehungen über das Wechselspiel gegensätzlicher Strategien untersuchen.« (Ebd.) Foucault nennt im Folgenden sechs verschiedene Charakteristika, die insbesondere die widerständigen Kämpfe der Gegenwart prägten: Es handele sich erstens um »transversale«, nicht auf einen Nationalstaat beschränkte Kämpfe, zweitens um Kämpfe gegen die »Auswirkungen der Macht«, drittens um »›unmittelbare‹«, dem Alltagsleben der Individuen entspringende Kämpfe, viertens um Kämpfe für das »Recht auf Anderssein« (ebd.: 244), fünftens um Kämpfe gegen »die Privilegien des Wissens« und schließlich sechstens um Kämpfe »um die Frage: Wer sind wir?« (ebd.: 245). Diese sechs Grundeigenschaften der widerständigen Kämpfe der Gegenwart lassen sich nach Foucault als Kämpfe, die gegen die vorherrschenden Subjektivierungsformen gerichtet werden, beschreiben. An dieser Stelle ist die deutsche Übersetzung irreführend, da sie von Kämpfen gegen die »›Objektivierung‹ und die verschiedenen Formen der Unterordnung« (ebd.: 246) spricht, während diese im Französischen als »luttes contre l’assujettissement, contre les diverses formes de subjectivité et de soumission« (Foucault 1994: 227) – und damit als Kämpfe gegen die Subjektivierung und verschiedene Formen der Subjektivität und Unterwerfung – bezeichnet werden (vgl. Kerner 2009: 28f.). Deshalb sollte an dieser Stelle geklärt werden, worin der Unterschied zwischen den Subjektivierungs- und den Objektivierungsformen besteht. Foucault spricht im ursprünglich zu erst auf Englisch veröffentlichten Text The subject and power (1982) vom Ziel, eine Geschichte der verschiedenen Modi in
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Foucault zufolge setze die Theoriebildung eine Objektivierung voraus, so dass ›Macht‹ als Objekt der Theorie gesetzt werden müsse (vgl. Foucault 2005: 241). Diese Setzung würde aber seinem Forschungsansatz widersprechen, da er Macht gerade nicht als substanzielle fassen will, sondern die vielfältigen und relationalen Kräfteverhältnisse analysieren möchte. Zum Verhältnis von Theorie und Analyse der Macht bei Foucault s. auch Demirović (2008).
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unserer Kultur zu schreiben, die Menschen zu Subjekten machen. »My objective, instead, has been to create a history of the different modes by which, in our culture, human beings are made subjects.« (Foucault 1982: 777) In der französischen und deutschen Übersetzung wird dieser Untersuchungsgenstand als die Geschichte der verschiedenen Modi und Formen der Subjektivierung – »une historie des différents modes de subjectivation de l’être humain dans notre culture« (Foucault 1994: 222f.) – bezeichnet. Um diese verschiedenen Subjektivierungsformen zu untersuchen, hat Foucault drei verschiedene Formen der »Objektivierung« (engl. modes of objectification; frz. modes d’objectivation) analysiert, die die Menschen zu Subjekten transformieren. Hier stimmen die Übersetzungen überein. Die drei Objektivierungsformen, die Foucault nennt, sind Analysen der Wissenschaft (Episteme), der Praktiken der Trennung (Macht) und der Konstitution des Subjekts einer Sexualität (Selbstverhältnis/Subjektivierung). Ähnlich wie die Achseneinteilung seiner Werke könnte man einerseits die drei Modi verschiedenen Werkphasen zuordnen, andererseits ergänzen und überschneiden sie sich in den Werken und sind eher als Tendenz und Gewichtung der Forschungsausrichtung Foucaults zu verstehen. Dass Subjekte anhand von Objektivierungsformen gebildet und damit subjektiviert werden, heißt, dass die Subjekte auf verschiedene Weise zum Objekt der Wissenschaften, aber auch der Praktiken wie etwa der der Disziplin gemacht werden, so dass sie sich anhand dieser zum Subjekt konstituieren müssen – sie werden einerseits anhand objektiver Kriterien kategorisiert, andererseits müssen sie sich auch auf diese Kategorien beziehen, so dass sie nicht nur anhand dieser hervorgebracht werden, sondern diese in ihrem Selbstverhältnis auch (re-)produzieren. Diese subjektivierende Objektivierung schließt außerdem das Selbstverhältnis der Subjekte mit ein. Wie beispielsweise in Überwachen und Strafen und Der Wille zum Wissen gezeigt wurde, wird man als Untersuchungsobjekt der Humanwissenschaft nicht nur als Subjekt des Lebens verstanden, sondern muss sich auch selbst als solches begreifen und dazu verhalten. Dieses Zum-Objekt-gesetzt-Werden muss aber nicht ausschließlich von ›außen‹ erfolgen, sondern kann auch, so wie es die Bände zwei und drei der Geschichte der Sexualität zeigen, durch das Selbst erfolgen, indem man sich selbst als Objekt der Transformation setzt (s. Kapitel 4.7). Die Kämpfe der Gegenwart richten sich Foucault zufolge also hauptsächlich gegen diese spezifische Form der Unterwerfung, in der Subjekte über ihre Subjektivität an spezifische Objektivierungsformen gebunden werden,
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also gegen die Machtform, die »Individuen in Subjekte« (Foucault 2005: 246) transformiert, und darin gegen die subjektivierende Unterwerfung.18 Die Formulierung, dass Individuen zu Subjekten gemacht werden, erinnert stark an Althusser und Foucault schließt im Sinne der Bestimmung des Subjekts in Althussers IISA-Aufsatz an, dass der Begriff des ›Subjekts‹ zwei Bedeutungen habe: »Es bezeichnet das Subjekt, das der Herrschaft eines anderen unterworfen ist und in seiner Abhängigkeit steht; und es bezeichnet das Subjekt, das durch Bewusstsein und Selbsterkenntnis an seine eigene Identität gebunden ist. In beiden Fällen suggeriert das Wort eine Form von Macht, die unterjocht und unterwirft.« (Ebd.; Herv. C.F.)19 In Bezug auf die Begriffsaufspaltung der Subjektivierung kann das Zitat so verstanden werden, dass die Unterwerfung unter eine Herrschaft die subjektivierende Unterwerfung (assujettissement) und die Bildung eines Selbstbewusstseins die eigentliche daran anschließende Subjektwerdung (subjectivation) meint (vgl. Butler 2009: 245; vgl. Gehring/Gelhard 2012: 9).20 Jedoch
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»Et, aujourd’hui, c’est la lutte contre les formes d’assujettissement – contre la soumission de la subjectivité – qui prévaut de plus en plus, même si les luttes contre la domination et l’exploitation n’ont pas disparu, bien au contraire.« (Foucault 1994: 228; Herv. C.F.) »There are two meanings of the word ›subject‹: subject to someone else by control and dependence; and tied to his own identity by a conscience of self-knowledge. Both meanings suggest a form of power which subjugates and makes subject to.« (Foucault 1982 : 781) Und auf Französisch : »Il y a deux sens au mot ›sujet‹ : sujet soumis à l’autre par le contrôle et la dépendance, et sujet attaché à sa propre identité par la conscience ou la connaissance de soi. Dans les deux cas, ce mot suggère une forme de pouvoir qui subjugue et assujettit.« (Foucault 1994: 227) So besteht auch eine gängige Lesart darin, dass Foucault in seinen früheren Schriften nur die Seite der Unterwerfung und erst im Spätwerk, über den Begriff des Selbstverhältnisses, beide Aspekte der Subjektwerdung denken konnte. Beispielsweise geht Thomas Lemke davon aus, dass die beiden Prozesse als miteinander verwobene Prozesse zu denken sind, konstatiert aber trotzdem, »dass dieser Doppelcharakter von Subjektivierung als Unterwerfung und Selbstkonstitution, […] an keiner Stelle wirklich konkretisiert wird, sondern im Gegenteil der Akzent [vor dem Spätwerk; C.F.] einseitig auf den Unterwerfungsprozessen liegt.« (Lemke 1997: 114). Martin Saar kritisiert hingegen, dass die beiden Aspekte – der Konstitution und Konstruktion – von Foucault im Spätwerk nicht verknüpft wurden, so dass sie unvermittelt nebeneinander stehen (vgl. Saar 2007: 378).
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spricht Foucault explizit davon, dass beide Seiten eine Form der Unterwerfung beschreiben. Es gibt also keine der subjectivation vorhergehende Unterwerfung, sondern das Selbstbewusstsein ist auch Ausdruck einer Unterwerfung, da man über dieses an die Kategorie der Identität gebunden wird, indem man nicht nur auf diese festgeschrieben, sondern auch, im Sinne der ersten Bedeutung des Begriffs, in eine Abhängigkeit zu einem Anderen – oder im Butler’schen Sinne in die konstitutive Abhängigkeit der gesellschaftlichen Normen und Kategorien – gestellt wird. Das heißt, dass auch schon im Werk Überwachen und Strafen, in welchem der Begriff der subjectivation noch abwesend ist und nur von assujettissement – und das auch nur in Bezug auf die produktive Hervorbringung von Körpern – gesprochen wird, das Selbstverhältnis thematisiert wird. Die Ambivalenz ist hier aber besonders stark ausgeprägt, da die Identität und die Selbsterkenntnis und damit auch das Verhältnis, welches das Subjekt zu sich selbst einnehmen kann, eng mit den Zwangsinstitutionen in Verbindung stehen.21 Assujettissement und subjectivation lassen sich also genauso wenig wie Objektivierung und Subjektivierung voneinander trennen, auch wenn sie nicht als identische, sondern als gleichzeitig entstehende und aufeinander bezogene Seiten eines Prozesses zu begreifen sind. Der von Foucault später eingeführte Begriff der subjectivation bezeichnet immer beide Seiten, die Unterwerfung und die in dieser ausgebildete Form der Subjektivität, die nah an den Formen der Objektivierung gebildet oder aber selbstgestaltet und frei sein kann, wie es in der Ästhetik der Existenz aufgezeigt werden wird. Die Ambivalenz der Subjektivierung beschreibt deshalb nicht nur die zwei Pole von Unterwerfung und Ermächtigung, sondern sie lässt sich auch als Vexierbild verstehen, als zwei Bilder in einem, die der betrachtenden Person aber hauptsächlich als ein vordergründiges Bild erscheinen – hier das Bild der Freiheit in Form von Identität und Selbstbewusstsein. Die Ambivalenz besteht aber darin, dass im Bild der Freiheit immer auch ein zweites Bild enthalten ist – das der Unterwerfung und des Zwangs. Im Spätwerk wird diese Ambivalenz kaum noch sichtbar sein, da unklar bleibt, wie das Selbstverhältnis und
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»[…] c’est, pour une bonne part, comme force de production que le corps est investi de rapports de pouvoir et de domination; mais en retour sa constitution comme force de travail n’est possible que s’il est pris dans un système d’assujettissement […] le corps ne devient force utile que s’il est à la fois corps productif et corps assujetti.« (Foucault 1975: 34; Herv. C.F.)
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die Selbsttransformationen des Subjekts im Verhältnis zu den gesellschaftlichen Konstitutionsbedingungen, zur Unterwerfung, stehen. So ist es auch nicht unbedeutend, dass die von Foucault in Band zwei und drei von Sexualität und Wahrheit beschriebene Ästhetik der Existenz nur von ›freien‹ Subjekten, d.h. von einer von ökonomischen und gesellschaftlichen Zwängen befreiten männlichen Elite, gepflegt wurde. In seinen weiteren Ausführungen in Subjekt und Macht verbindet Foucault seine zeitdiagnostische These über die widerständigen Kämpfe der Gegenwart mit der Thematik und den Begrifflichkeiten seiner Gouvernementalitäts-Vorlesungen. Seit dem 16. Jahrhundert habe sich eine neue Form der politischen Macht entwickelt, die des Staates, die zugleich eine individualisierende und eine totalisierende Form der Macht ausübe.22 Wie in den Gouvernementalitäts-Vorlesungen ausführlicher dargestellt, greife die moderne politische Macht auf die alte Regierungsweise der Pastoralmacht zurück und transformiere sie in eine neue, staatliche Pastoral. In der christlichen Pastoral sei bereits genau dieser Aspekt der staatlichen Macht enthalten, einerseits eine auf die Gesamtheit der Individuen (Herde/Bevölkerung) gerichtete zu sein, diese jedoch über die Individualisierung lenken zu können, so dass die Macht sich auf »jeden Einzelnen und das sein Leben lang« (Foucault 2005: 248) beziehe. Die staatliche Pastoral greife diesen Aspekt auf und wende ihn weltlich: Die Sorge ziele nun nicht mehr auf das Jenseits, sondern auf die »Gesundheit« (ebd.), das »Wohlergehen – im Sinne eines angemessenen Lebensstandards und ausreichender Ressourcen –, Sicherheit und Schutz vor Unfällen aller Art« (ebd.) der Individuen und der Bevölkerung im Diesseits. Dieses Ziel werde der Verwaltung und damit verschiedenen öffentlichen und privaten Institutionen unterstellt. Wie bereits in Der Wille zum Wissen thematisch ausgeführt wurde, trete die Verwaltung des Lebens, sowohl des Einzelnen als auch der Gesamtheit, in den Zuständigkeitsbereich der ›Policey‹, der Familie oder
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Die deutsche Übersetzung des ursprünglich auf Englisch geführten Gesprächs von Foucault ist an dieser Stelle irreführend. So steht hier, dass die »Macht des Staates […] eine zugleich globalisierende und totalisierende Form der Macht ist« (Foucault 2005: 247; Herv. C.F.). Globalisierende und totalisierende Effekte können jedoch als synonym verstanden werden und im englischen Original wird vom sinnvolleren Gegensatzpaar der »Individualisierung« und »Totalisierung« gesprochen. So lautet die Stelle hier: »the state’s power is […] both an individualizing and a totalizing form of power« (Foucault 1982: 782; Herv. C.F.).
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der Medizin. Diese Aufgabe binde gemäß der Macht/Wissen-Komplexe wiederum eine »Entwicklung des Wissens über den Menschen« (ebd.: 249) mit ein. Ein Wissen, welches sich »auf zwei Pole konzentriere[.], einen globalisierenden und quantitativen, der die Bevölkerung betraf, und einen analytischen, der dem Individuum galt« (ebd.; Herv. C.F.). Interessanterweise springt Foucault nun in seinen Ausführungen scheinbar unvermittelt zu Kants Frage der Aufklärung. Dabei handelt es sich aber nur scheinbar um einen Themenwechsel, da Foucault nun die Verbindung der Bio-Macht und Gouvernementalität zur Frage der widerständigen Subjektivität zieht. Nach Foucault geht es in der widerständigen oder aufklärerischen Haltung der Gegenwart nicht mehr länger mit Kant um die Frage »Wer sind wir«, sondern »[d]as Hauptziel […] [bestehe; C.F.] heute zweifellos nicht darin, herauszufinden, sondern abzulehnen, was wir sind« (ebd.: 250; Herv. C.F.). Die politische Aufgabe der Gegenwart richte sich also gegen die diagnostizierte Machtform der Gegenwart, die in Form der gouvernementalen und biopolitischen Regierung auftrete. »Wir müssen uns vorstellen und konstruieren, was wir sein könnten, wenn wir uns dem doppelten politischen Zwang entziehen wollen, der in der gleichzeitigen Individualisierung und Totalisierung der modernen Machtstrukturen liegt.« (Ebd.; Herv. C.F.) Bemerkenswert sind vor allem zwei Aspekte. Zum einen betont Foucault hier die Bedeutung der Vorstellung – und damit ebenso die Ebene des Symbolischen und Imaginären – für den Prozess der Befreiung, zum anderen aber bindet er die Frage des Staates und die der Befreiung vom Staat wieder mit ein. Foucaults Konzeption zufolge müsse sich die Befreiungsbewegung nicht gegen den Staatsapparat und seine Institutionen richten, sondern gegen die Subjektivierungsform, die die Individuen über Individualisierung an den Staat binde. »Abschließend könnte man sagen, das gleichermaßen politische, ethische, soziale und philosophische Problem, das sich uns heute stellt, ist nicht der Versuch, das Individuum vom Staat und dessen Institutionen zu befreien, sondern uns selbst vom Staat und der damit verbundenen Form von Individualisierung zu befreien. Wir müssen nach neuen Formen von Subjektivität suchen und die Art von Individualität zurückweisen, die man uns seit Jahrhunderten aufzwingt.« (Ebd.: 250f.) Unklar bleibt jedoch, warum Foucault einerseits einen doppelt konstitutiven Zusammenhang zwischen Macht und Subjektivität bzw. Staat und Subjektivierungsformen aufzeigt, andererseits jedoch eine klare Position für die sub-
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jektive Seite der Befreiung bezieht. Die Befreiungsbewegung solle von den Subjekten ausgehen und gegen ihre Subjektivierungsform gerichtet werden. Hätte jedoch nicht das Gerichtetsein gegen die konstitutiven Bedingungen und damit auch gegen die unterschiedlichen staatlichen und privaten Institutionen den Effekt, die Subjektivierungsformen zu transformieren? Auch in den weiteren Ausführungen zum Machtbegriff, in denen Foucault Macht nun als »auf Handeln gerichtetes Handeln« (ebd.: 256) und nicht als Gewaltbeziehung, sondern als Anreiz- oder Ermöglichungsstruktur, die freie Subjekte zur Voraussetzung habe, beschreibt, bleibt unklar, wieso das widerständige Handeln eher auf die Machteffekte, d.h. die Subjektformen und nicht auf das Strukturierungsdiagramm des Handelns, d.h. auf bestimmte Programmatiken, Anrufungen, architektonische Gestaltungen oder Techniken zielen sollte. Meines Erachtens ist es wichtig, trotz ihres wechselseitigen Zusammenhangs, die Differenz zwischen Objektivierungs- und Subjektivierungsformen zu berücksichtigen, denn so kann die Bedeutung der Vorstellung und Reflexion in der Subjektwerdung verständlicher werden. Ich kann mich durchaus in meiner Subjektivität eingeschränkt fühlen und mich anders vorstellen; die Realisierung einer anderen Lebensweise und -form hängt aber auch davon ab, ob man die das Subjekt strukturierenden Bedingungen anders gestalten kann – diese Gestaltung erfordert wiederum den Miteinbezug anderer Subjekte. Die Umsetzung dieser Gestaltung kann aber wiederum durch das affektuelle Verhaftetsein der Subjektivität mit den bestehenden Bedingungen erschwert werden, so dass eine Arbeit am Selbst auch zur politischen Arbeit gehören kann; jedoch darf sie nicht bei diesem stehen bleiben. Um besser einordnen zu können, warum Foucault sich für Kämpfe, die sich gegen die Subjektivierungsformen richten, ausspricht, muss die Verschiebung in seinem Machtbegriff betrachtet werden. Lässt sich Macht nur als entsubjektiviertes Kräfteverhältnis fassen, ist Macht neutral und lässt sich eine Unterscheidung zwischen Macht und Herrschaft treffen? Foucault verschiebt seinen Machtbegriff in Subjekt und Macht weiter in die Richtung des Begriffs der Führung und des gouvernementalen Regierens. Es bleibt schwammig, inwiefern die Begriffe der Führung, der Regierung und der Macht synonym verwendet werden können oder ob die Machtbeziehungen sich nur über, als agonal gegeneinander gerichtete, ›Regierungen‹ materialisieren (vgl. ebd.: 257; vgl. Lemke 1997: 310). Lemke hebt beispielsweise in seiner Lesart positiv hervor, dass Foucault erst ab den Gouvernementalitäts-Vorlesungen mit dem Begriff des Regierens ein Vokabular entwickelt habe, das es ermögliche, Macht und Freiheit oder aber
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Unterwerfung und Subjektivierung nicht als Gegensatzpaar, sondern als wechselseitiges Bedingungsverhältnis denken zu können. Dies mag für die Gouvernementalitäts-Vorlesungen auch zutreffend sein, da der Begriff des ›Regierens‹ dort nicht – wie es der alltägliche Sprachgebrauch nahelegt – auf das Regieren einer Person bezogen wird, jedoch verschiebt Foucault den Begriff der Macht in seinem späteren Text Subjekt und Macht auch auf die personale Ebene als »›Regierung‹ von Menschen durch andere Menschen« (Foucault 2005: 257) und lässt Macht nicht wie im Dispositivbegriff als geschichtliches und heterogenes Strukturierungsfeld erscheinen. Nun könnte man das Verhältnis zwischen Macht und Regierung auch so denken, dass die Macht das Strukturierungsfeld bildet, in welchem sich auf relationaler und personaler Ebene konkrete Regierungsweisen aktualisieren. Dem Feld der Disziplinarmacht wären dann unterschiedliche disziplinäre Regierungsweisen immanent, die die Vermittlungsebene zwischen Macht und Subjektivität bilden.23 Nach Saar zeichnen sich die Gouvernementalitäts-Vorlesungen durch zwei theoretische Neuorientierungen Foucaults aus: Erstens werde der Staat – verstanden als Effekt vielfältiger Kräfteverhältnisse – wieder in die Machtanalyse Foucaults miteinbezogen und zweitens die Subjektivierungsanalyse umfassender, nicht mehr länger nur als Unterwerfung, sondern über den Begriff der ›Regierung‹ auch als aktive Selbstführung verstanden (vgl. Saar 2007a: 25). Lemke weist außerdem darauf hin, dass Foucault über die Einführung des Begriffs der Regierung Machtbeziehungen nun als ›Führungen‹ (conduite) – Führung der Anderen durch Führung des Selbst – analysieren könne (vgl. Lemke 1997: 149). Die drei wesentlichen Funktionen des so verstandenen Regierungsbegriffs ermöglichten es, erstens analytisch zwischen Macht- und Herrschaftsbeziehungen zu unterscheiden; zweitens die Vermittlung von Macht und Subjektivität und drittens die zwischen Macht und Wissen angemessen denken zu können (vgl. Bröckling/Krasmann/Lemke 2000: 8). Foucault verwende den neologistischen Begriff der Gouvernementalität – der auch mit Regierungskunst übersetzt werden könnte – so, dass er den darin enthaltenen Begriff der ›Regierung‹ (gouverner) in einer doppelten Bedeutung miteinschließen könne. Regieren beziehe sich so zum einen auf den äl23
»Der Kontaktpunkt, an dem die Form der Lenkung der Individuen durch andere mit der Weise ihrer Selbstführung verknüpft ist, kann nach meiner Auffassung Regierung genannt werden.« (Foucault 1993: 203-204; zitiert nach: Lemke 1997: 264)
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teren (in der Pastoralmacht enthaltenen) weiten Begriff des Regierens, der unterschiedliche und vielfältige Handlungs- und Praxisformen bezeichnet, die sich alle in irgendeiner Weise auf die Lenkung, Leitung und Kontrolle von Individuen beziehen (vgl. Lemke 1997: 149). Zum anderen zeige er aber die historische Engführung des Begriffs zu seiner ausschließlich politischen Bedeutung auf, die jedoch nun den weiten Begriff in der Ausübung des Politischen integriere. Lemke weist jedoch auch darauf hin, dass der Begriff des Regierens sich bei Foucault auf eine spezifische ›politische Rationalität‹ oder ein ›Programm‹ beziehe, in welchem Praktiken sich selbst als solche reflektieren. Die Regierungsweise bilde also den Intelligibilitätsrahmen des Regierens als Praxis. Die politische Rationalität könne so als ein diskursives Feld verstanden werden, innerhalb dessen die Macht ›rationalisiert‹ bzw. ein ›Problem‹ bearbeitet werde (vgl. ebd.: 146f.). Foucaults Definition des Begriffs der Gouvernementalität fällt dementsprechend vielschichtig aus: Erstens »die aus den Institutionen, den Vorgängen, Analysen und Reflexionen, den Berechnungen und den Taktiken gebildete Gesamtheit, welche es erlauben, diese recht spezifische, wenn auch sehr komplexe Form der Macht auszuüben, die als Hauptziel die Bevölkerung, als wichtigste Wissensform die politische Ökonomie und als wesentliches technisches Instrument die Sicherheitsdispositive hat« (Foucault 2006: 162); zweitens »die Tendenz oder die Kraftlinie, die im gesamten Abendland unablässig und seit sehr langer Zeit zur Vorrangstellung dieses Machttyps geführt hat, den man über allen anderen hinaus die ›Regierung‹ nennen kann: Souveränität, Disziplin, und die einerseits die Entwicklung einer ganzen Serie spezifischer Regierungsapparate [und andererseits] die Entwicklung einer ganzen Serie von Wissensarten nach sich gezogen hat« (ebd.); drittens »der Vorgang oder vielmehr das Ergebnis des Vorgangs […] durch den der mittelalterliche Staat der Gerichtsbarkeit, der im 15. und 16. Jahrhundert zum Verwaltungsstaat wurde, sich nach und nach ›gouvernementalisiert‹ hat.« (Foucault 2006: 162f.) Das Problem dieser Definition liegt meines Erachtens darin, dass der Begriff historische und analytische Momente kurzschließt. Denn einerseits umfasst der Begriff der Gouvernementalität ähnlich dem des Dispositivs eine sehr weite Bestimmung an Institutionen, Technologien und Praktiken, die als Kraftfeld wirken, andererseits wird dieses jedoch historisch als Kraftfeld der Sicherheitsdispositive und der Bio-Macht bestimmt. Und dem nicht genug, der Begriff soll außerdem noch die historische Entwicklungslinie zum
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Sicherheitsdispositiv und zum Staat der Gouvernementalität umfassen. So ergibt sich auch das Spannungsverhältnis, dass Foucault einerseits von historisch spezifischen Regierungsweisen, der Souveränität, der Disziplin und der Sicherheit, spricht, andererseits nur den modernen Staat der ›Sicherheit‹ als gouvernementalen Staat begreifen will. In Subjekt und Macht scheint er auch den Bereich der Gouvernementalität wieder vom politischen auf den gesamtgesellschaftlichen Bereich auszuweiten. Demnach habe eine »Etatisierung der Machtbeziehungen« (Foucault 2005: 260) stattgefunden und die Machtbeziehungen seien »zunehmend ›gouvernementalisiert‹« (ebd.) worden. Foucault weist darauf hin, dass diese Gouvernementalisierung den engen Begriff der ›Regierung‹, d.h. die politische Bedeutung meint. Er scheint damit jedoch darauf hinweisen zu wollen, dass das Geführtwerden und die Selbstführungen nun in den Bereich des Politischen – oder der politischen Rationalität der Individualisierung – getreten sind, diese jedoch nicht an Institutionen gebunden wirksam und analysierbar sind. »In einer Gesellschaft gibt es zahlreiche Formen und Orte des ›Regierens‹ von Menschen durch andere Menschen. Sie überlagern, kreuzen und begrenzen einander, zuweilen heben sie sich gegenseitig auf, und in anderen Fällen verstärken sie sich wechselseitig. Es ist eine gesicherte Tatsache, dass der Staat in den heutigen Gesellschaften nicht bloß eine der Formen oder einer der Orte der Machtausübung ist – wenn auch vielleicht die wichtigste Form oder der wichtigste Ort –, sondern dass sich alle anderen Arten von Machtbeziehungen in gewisser Weise auf ihn beziehen.« (Ebd.) Dies fügt sich in Foucaults vorherige Bestimmung der Macht, nach der diese in allen Gesellschaftsbereichen wirksam sei, so dass es auch keine »Gesellschaft ohne ›Machtbeziehungen‹« (ebd.: 258) geben könne. Nun wurde über diese Aussage bereits viel diskutiert und darauf hingewiesen, dass Macht bei Foucault nicht mit Herrschafts- oder Gewaltbeziehungen verwechselt werden dürfe, jedoch kann dies nur plausibel sein, wenn eine begriffliche Unterscheidung von Herrschaft und Macht getroffen wird (vgl. auch Schubert 2018: 136-145). In Subjekt und Macht gibt Foucault eine solche Bestimmung und definiert Herrschaft als »eine strategische Situation, die sich über lange geschichtliche Zeiträume zwischen Gegnern herausgebildet und verfestigt hat« (Foucault 2005: 263). Der Gegensatz von Herrschaft und Macht soll also darin liegen, dass Machtbeziehungen instabiler und fluider und damit leichter transformierbar seien als Herrschaftsbeziehungen. Diese Unterscheidung ist
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meines Erachtens jedoch nur sinnvoll, wenn man auch Machtbeziehungen nicht als neutrale fasst (vgl. Schmid 1991: 85). Dass Machtbeziehungen handelnde und damit freie Subjekte zur Voraussetzung haben, macht sie nicht zu ungefährlichen oder weniger freiheitseinschränkenden Beziehungen. Politische Analysen kommen nur schlecht ohne die normative Bewertung der jeweiligen Handlungsfreiheit und beschränkung aus. Die begriffliche Trennung von Macht und Herrschaft könnte eine solche Bewertung der Handlungsmöglichkeiten vornehmen oder zwischen personaler und struktureller Ebene unterscheiden. Die Handlungsräume der Subjekte mögen immer durch Machtbeziehungen strukturiert sein, jedoch besteht ein entscheidender Unterschied darin, wie weit reichend diese Strukturierungen wirken und wie eng der Raum des Handelns beschränkt wird. Die machtanalytischen Schriften Foucaults können meines Erachtens zwar trotz der Abwesenheit des Herrschaftsbegriffs interessant sein, aber nur dann, wenn Macht auch auf dieser analytischen Ebene nicht als neutraler Begriff verstanden wird. Gerade auch in den machtanalytischen Schriften bestimmt Foucault die politische Notwendigkeit, die Machtbeziehungen zu analysieren, um sie abschaffen zu können. »[W]ie sie [die Machtbeziehungen] in einer bestimmten Gesellschaft beschaffen und wie sie geschichtlich entstanden sind, was ihre Festigkeit oder Zerbrechlichkeit ausmacht und unter welchen Umständen die einen verändert, die anderen abgeschafft werden können. Denn dass es keine Gesellschaft ohne Machtbeziehungen geben kann, bedeutet keineswegs, dass die bestehenden Machtbeziehungen notwendig sind oder dass Macht innerhalb der Gesellschaft ein unabwendbares Schicksal darstellt, sondern dass es eine ständige politische Aufgabe bleibt, die Machtbeziehungen und den ›Agonismus‹ zwischen ihnen und der intransitiven Freiheit zu analysieren, herauszuarbeiten und in Frage zu stellen, ja dass dies sogar die eigentliche politische Aufgabe jeglicher sozialen Existenz darstellt.« (Foucault 2005.: 258f.; Herv. C.F.) Foucaults Entscheidung, erst spät zwischen Macht und Herrschaft zu unterscheiden und diese dann als Kontinuitätsbeziehung zu begreifen, sollte als methodische Entscheidung, normative Fragen zugunsten der Analyse zurückzustellen, begriffen werden. Dass es keine Gesellschaft jenseits von Machtbeziehungen geben kann, ist also nur überzeugend, wenn man dennoch vom Ziel einer herrschaftsfreien Gesellschaft sprechen kann –
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dieses Sprechen setzt aber auch eine normative Bewertung von guten und schlechten Machtbeziehungen, oder eben von freiheitseinschränkenden oder -freiheitsermöglichenden Machtbeziehungen voraus. Die Kontinuitätsvorstellung legt nahe, dass auch Macht nicht neutral ist, jedoch legt sie die normative Unterscheidung in den Handlungsspielraum des Subjekts. Je starrer der Spielraum wird, desto schlechter ist das Verhältnis. Diese Unterscheidung ist aber politisch nicht ausreichend, da es auch normativ gute, aber starre Machtverhältnisse oder -beziehungen geben kann und auch die Begrenzung des individuellen Handlungsspielraums normativ gut sein kann. Es wird deutlich, dass die normative Unbestimmtheit des Foucault’schen Machtbegriffs dazu führen muss, Machtverhältnisse und -beziehungen selbst als politisch umkämpfte zu verstehen. Foucaults Arbeiten sind deshalb auch politisch nicht neutral, da sie selbst in die politischen Kämpfe einzugreifen versuchen. Es ist deshalb wichtig, an der Unterscheidung von guten und schlechten Machtbeziehungen festzuhalten, auch wenn die getroffene Unterscheidung selbst Teil der Analyse sein muss und umkämpft bleibt. Freiheit sollte in diesem Sinne auch nicht bloß auf Handlungsmacht reduziert werden, sondern muss auch die Möglichkeit der Reflexion auf die konstitutiven Bedingungen der Subjekte miteinschließen – und damit die Analyse und Kritik von Machtverhältnissen. So wird auch der Einsatz um die begriffliche Verwendung der assujettissement und subjectivation verständlich. In der Rezeption des Subjektivierungsbegriffs wird der Begriff der Regierung genutzt, um darauf zu verweisen, dass das Regieren im Sinne der doppelten Bedeutung von ›Führung‹ (vgl. Foucault 2006, Vorlesung 8/9) – Fremd- und Selbstführung – immer auch die Seite der Aktivität und das Selbstverhältnis des Subjekts miteinschließe. Jedoch besteht hier die Gefahr, von einer Seite der objektiven Machtausübung (Fremdführung) und der subjektiven Gegenwehr (Selbstführung) auszugehen. In Die Ethik der Sorge um sich als Praxis der Freiheit weist Foucault ein solches Verständnis zurück. Auch das – mit Althusser gesprochen – ›gut‹ funktionierende Subjekt der Ordnung ist ein aktives und steht immer in einem Selbstverhältnis zu sich und der konstituierenden Ordnung. »Wenn es zum Beispiel wahr ist, dass die Konstitution des wahnsinnigen Subjekts als Folge eines Zwangssystems betrachtet werden kann – das ist das passive Subjekt –, so wissen Sie sehr wohl, dass das wahnsinnige Subjekt kein unfreies Subjekt und dass sich gerade der Geisteskranke als wahnsin-
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niges Subjekt in der Beziehung zu und der Konfrontation mit demjenigen konstituiert, der ihn als wahnsinnig erklärt. […] Umgekehrt würde ich andererseits sagen, dass diese Praktiken, wenn ich mich jetzt für die Form interessiere, in der sich das Subjekt auf aktive Weise, durch Praktiken des Selbst konstituiert, dass diese Praktiken dann nichtsdestoweniger nicht etwas sind, was das Subjekt selbst erfindet. Es sind Schemata, die es in seiner Kultur vorfindet und die ihm vorgegeben, von seiner Kultur, seiner Gesellschaft, seiner Gruppe aufgezwungen sind.« (Foucault 2007d: 266) Subjektwerdung schließt immer Momente der Passivität und Aktivität mit ein. Der Begriff der Ambivalenz soll gerade verdeutlichen, dass diese zwei Momente zwar nicht identisch sind, aber in einem Vorgang – als Vexierbild – erzeugt werden. Die Unterwerfung unter die objektiven Bedingungen erzeugt zugleich die subjektiven Bedingungen zur Entunterwerfung. Diese Ermächtigung ist aber nicht nur auf der Seite der Handlungsermächtigung im engeren Sinne zu verstehen, sondern bezieht sich auch auf die Macht der Subjekte, reflektieren und aktiv in eine kritische Distanz zu sich selbst und den konstitutiven Bedingungen treten zu können. Dies zu betonen ist nicht nur wichtig, um die Möglichkeiten der Transformation aufzuzeigen, sondern auch, um den Bereich des politischen und emanzipatorischen Handelns der Kontingenz zu entziehen. Wenn Subjekte über ihre konstitutiven Bedingungen reflektieren können, können sie sich auch strategisch und in kollektiven Bewegungen zusammenschließend gegen die Unterwerfungsbedingungen richten. Politisch ist damit nicht die Selbstgestaltung, sondern die Gestaltung der konstitutiven Bedingungen, die das Subjekt und sein Selbstverhältnis bedingen, auch wenn das Selbstverhältnis zugleich verdeutlicht, dass die Beziehung keine deterministische ist. Damit wird in dieser Arbeit auch der Vorzug der machtanalytischen Schriften gegenüber den späten Schriften Foucaults begründet, in welchen das Subjekt sich über praktische Selbstgestaltung in seiner Seinsweise transformiert und sich selbst zum Objekt der Transformation macht. In den früheren Schriften ist die Ambivalenz noch deutlich sichtbar, während es in den späteren Schriften so scheint, als ob das Subjekt sich über Selbstübungen dem Konstitutionszusammenhang entziehen könne. Dennoch zeigen die späteren Schriften deutlicher auf, welcher Bedeutung dem Verhältnis zum Selbst zukommen kann – es zeigt meiner Ansicht nach, dass auch das Disziplinarsubjekt die Möglichkeit hat, sich kritisch in Distanz zu den eigenen Konstitutionsbedingungen zu setzen, und dass diese Möglichkeit eine Frage der Haltung und Aktivi-
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tät ist, die wiederum auch durch (Leidens-)Erfahrungen und die Vorstellung, anders leben zu können, aktiviert werden kann. Der Verweis auf die wechselseitigen Konstitutionsbedingungen ermöglicht es aber, auch kontingente Transformationspraktiken berücksichtigen zu können. Sie sind nicht weniger politisch, wenn sie nicht strategisch oder als politische Akte von den Subjekten reflektiert werden. Sie sind aber vielleicht in ihrer Kontingenz weniger wirksam oder normativ weniger gehaltvoll. So könnte es vielleicht auch erstrebenswert sein, sich selbst zum Gegenstand der Transformation im Sinne der in den Spätschriften beschriebenen Ästhetik der Existenz zu nehmen, um seine individuelle Freiheit zu realisieren, jedoch hat es keine oder nur geringe Auswirkungen auf die Gestaltung der Lebens- und Subjektformen der in der Gesellschaft lebenden Menschen, da die Selbstgestaltung radikal subjektiv bleibt.
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Das Selbstverhältnis – Schlüssel zum Widerstand?
In der methodischen Reflexion im Vorwort des zweitens Bandes der Geschichte der Sexualität, Der Gebrauch der Lüste (1984; dt. 1989), konstatiert Foucault, dass er die »Geschichte der Sexualität als Erfahrung« (Foucault 1989: 10) schreiben wolle, und definiert diese als »Korrelation […], die in einer Kultur zwischen Wissensbereichen, Normativitätstypen und Subjektivitätsformen besteht« (ebd.). Die Analyse der Erfahrung müsse folglich anhand der drei Achsen Wissen, Macht und Selbstverhältnis untersucht werden. Er fokussiert aber in den Bänden zwei und drei hauptsächlich die dritte Achse und rückt die Frage nach der Konstitution der Begehrenssubjekte in den Vordergrund.24 »Um zu verstehen, wie das moderne Individuum die Erfahrung seiner selber als Subjekt einer ›Sexualität‹ machen konnte, war es unumgänglich, zuvor die Art und Weise herauszuschälen, in der der abendländische Mensch sich jahrhundertelang als Begehrenssubjekt zu erkennen hatte.« (Ebd.: 12)
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Thomas Lemke weist zu Recht darauf hin, dass der Erfahrungsbegriff hier nicht »auf den ›subjektiven Faktor‹, die Innenwelt des Individuums, das Subjektiv-Persönliche im Unterschied zu dem Objektiv-Materiellen der Macht-Wissenspraktiken« (Lemke 1997: 265) bezogen ist, sondern »das scheinbar Persönliche und Subjektive in seiner Beziehung zu Wissensformen und Machtprozessen« (ebd.) analysiert.
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Diese Verschiebung von der Diskurs- und Machtanalyse hin zur Frage nach den Selbstverhältnissen – verstanden als »die Formen und die Modalitäten des Verhältnisses zu sich […], durch die sich das Individuum als Subjekt konstituiert und erkennt« (ebd.) – beschreibt Foucault selbst als Verschiebung hin zur Frage nach dem Subjekt (vgl. ebd.). Foucaults Fokusverschiebung fragt allerdings nicht, wie die Subjekte sich historisch und empirisch verhalten haben, sondern versucht aufzuzeigen, welche Formen der (moralischen) Problematisierung des Begehrens sich in der Antike in den Praktiken, die sich auf die Gestaltung des Selbst richten, finden lassen. »Und jetzt möchte ich zeigen, wie in der Antike die sexuellen Tätigkeiten und Genüsse im Rahmen von Selbstpraktiken problematisiert worden sind, die den Kriterien einer ›Ästhetik der Existenz‹ folgen.« (Ebd.: 19f.; Herv. C.F.) Foucault vertritt hier die These, dass sich die Frage nach dem Modus der Subjektivierung nicht an der Entwicklung des Moralcodes – der historisch vorherrschenden Verbote, Regeln und Gesetze – ablesen lasse, sondern daran, wie die Subjekte sich vor dem Hintergrund dieses Codes auf sich selbst beziehen und praktisch einwirken.25 »Gewiß enthält jede moralische Handlung ein Verhältnis zu dem Wirklichen, in dem sie sich abspielt, und ein Verhältnis zu dem Code, auf den sie sich bezieht; aber sie impliziert auch ein bestimmtes Verhältnis zu sich; dieses ist nicht einfach ›Selbstbewußtsein‹, sondern Konstitution seiner selber als ›Moralsubjekt‹, in der das Individuum den Teil seiner selber umschreibt, der den Gegenstand dieser moralischen Praktik bildet, in der es seine Stellung zu der von ihm befolgten Vorschrift definiert, in der es sich eine bestimmte Seinsweise fixiert, die als moralische Erfüllung seiner selber gelten soll; und um das zu tun, wirkt es auf sich selber ein, geht es daran, sich zu erkennen, kontrolliert sich, erprobt sich, vervollkommnet sich, transformiert sich.« (Ebd.: 39f.; Herv. im Orig.) Beispielsweise kann sowohl in der Antike als auch im Christentum oder in der Gegenwart die Regel der Monogamie vorherrschend sein, wie und auch aus welchen Motiven jedoch die Subjekte diese Regel praktisch leben und wie sie sich im Hinblick auf diese Regel verorten, kann sehr unterschiedlich sein und auf den Modus der Subjektivierung verweisen. So könnte in der Antike die 25
»Ein Drittes ist die Art und Weise, wie man sich führen und halten – wie man sich selber konstituieren soll als Moralsubjekt, das in bezug auf die den Code konstituierenden Vorschriften handelt.« (Foucault 1989: 37)
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Regel als sinnvoller Rahmen zur Regulation der Lüste im Selbst verstanden werden, im Christentum als Einschränkung auf die legitime Form der Sexualität, die auf die Fortpflanzung gerichtet ist, und in der Gegenwart als biopolitische Einschränkung zur Vermeidung von Geschlechtskrankheiten. Dennoch geht Foucault davon aus, dass der Bezug auf sich selbst unterschiedlich stark gewichtet sein kann – d.h. ob und wie frei die Subjekte sich gestalten, kann variieren –, er sträubt sich jedoch zugleich, diese Variationen eindeutig den historischen Zeiträumen (Antike vs. Christentum) zuzuschreiben: »Wenn es denn wahr ist, daß jede ›Moral‹ im weiten Sinn die beiden angegebenen Aspekte enthält: den der Verhaltenscodes und der der Subjektivierungsformen [frz. formes de subjectivation; C.F.]; […] dann wird man auch annehmen müssen, daß in bestimmten Moralen der Akzent vornehmlich auf dem Code liegt; […] unter diesen Bedingungen vollzieht sich die Subjektivierung hauptsächlich in einer quasi juridischen Form, in der sich das Moralsubjekt auf ein Gesetz oder ein Ensemble von Gesetzen bezieht, denen es sich unterwerfen muß, widrigenfalls es einer Bestrafung verfällt. […] Es wäre verfehlt, die christliche Moral […] auf ein solches Modell zu reduzieren […]. Andererseits lassen sich Moralen denken, in denen das starke und dynamische Element auf seiten der Subjektivierungsformen und Selbstpraktiken [frz. formes de subjectivation et des pratiques de soi; C.F.] zu suchen ist.« (Ebd.: 41f.; Foucault 1984: 41-42) In Band zwei führt Foucault außerdem den Begriff der aphrodisía ein, die im antiken Griechenland den Gegenstand der moralischen Sorge bildete. Die aphrodisía kann nicht wie der Begriff der Sexualität eng definiert und umgrenzt werden, da sie den sehr weiten Bereich der Lüste und des Begehrens im Allgemeinen umfasst. Die Lust und das Begehren werden in der Antike wiederum über die Begriffe der Dynamik und der Kraft beschrieben (vgl. ebd.: 57). Die moralische Reflexion bezieht sich somit nicht auf den Akt, das Begehren und die Lust selbst, sondern auf ihr Kräfteverhältnis, d.h. auf die Intensität und die Polarität der Lust, auf die Frage nach Aktivität und Passivität (vgl. ebd.: 59, 62). Auch das Verhältnis des Gebrauchs der Lüste zur Freiheit und Wahrheit wird unter den Imperativ der ›Beherrschung seiner selbst‹ gestellt. Dieses Wissen bezieht sich damit zwar hauptsächlich auf die Selbstbeherrschung, jedoch sei dieses nicht, wie im Christentum oder der Moderne, an eine Hermeneutik des Selbst und des Begehrens gebunden, sondern auf die ontologische Beschaffenheit der Lüste und ihres Gebrauchs bezogen (vgl.
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ebd.: 118). Die Aktualisierung von Wahrheit und Freiheit ist somit über diesen ontologischen Bezug noch an der kosmologischen Ordnung orientiert.26 Dieses Streben nach Selbstbeherrschung und Wahrheit ziele jedoch letztlich auf die Herstellung einer aktiven Freiheit, die nur in Form einer Haltung, die das Subjekt zu sich selbst und anderen einnehmen muss, realisiert werden könne. »[D]ie sexuelle Mäßigung ist eine Ausübung der Freiheit, die in der Selbstbeherrschung Gestalt annimmt; und sie manifestiert sich in der Weise, in der das Subjekt sich in der Ausübung seiner männlichen Tätigkeit hält und zurückhält; in der Weise in der er sich zu sich selber verhält, indem es sich zu anderen verhält.« (Ebd.: 122f.) Im dritten Band, Die Sorge um sich (1984; dt. 1989), thematisiert Foucault die Modifikationen in der Problematisierung der Lüste, die sich im Laufe der ersten zwei Jahrhunderte unserer Zeitrechnung in den griechischen und lateinischen Texten in einer zunehmenden Intensivierung dieser Problematisierung zeige. Foucaults These lautet auch hier, dass die Modifikationen nicht über die Ausrichtung am Begriff der Repression sichtbar werden könnten, sondern nur über den Blick auf die Problematisierungen und das Selbstverhältnis. Auch im dritten Band geht Foucault also davon aus, dass nicht der Moralcode strenger, sondern die Frage nach dem Selbst intensiviert problematisiert werde (vgl. Foucault 1989a: 54). Diese Problematisierung drehe sich nicht mehr länger nur um den ›Gebrauch der Lüste‹, sondern ziele nun auf ›die Sorge um sich‹. »Die Forderungen nach sexueller Strenge, die in der Kaiserzeit erhoben wurden, scheinen nicht Anzeichen eines zunehmenden Individualismus gewesen zu sein. Ihren Kontext bezeichnet vielmehr ein Phänomen von ziemlich 26
»Führt dieses für das sich mäßigende Subjekt konstitutive Verhältnis zur Wahrheit nicht zu einer Hermeneutik des Begehrens wie später in der christlichen Spiritualität, so eröffnet es stattdessen eine Ästhetik der Existenz. Darunter ist eine Lebensweise zu verstehen, deren moralischer Wert nicht auf ihrer Übereinstimmung mit einem Verhaltenscode und auch nicht auf einer Reinigungsarbeit beruht, sondern auf gewissen Formen oder vielmehr auf gewissen allgemeinen formellen Prinzipien im Gebrauch der Lüste, auf ihrer Aufteilung, Begrenzung und Hierarchisierung. Durch den lógos, durch die Vernunft und durch das Verhältnis zum Wahren, von dem es sich bestimmen läßt, fügt sich so ein Leben in die Erhaltung oder die Reproduktion einer ontologischen Ordnung ein; andererseits empfängt es den Glanz einer Schönheit in den Augen derer, die es betrachten oder in ihrer Erinnerung bewahren können.« (Foucault 1989: 118)
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langer historischer Tragweite, das aber zu diesem Zeitpunkt seinen Höhepunkt erreichte: die Entwicklung dessen, was man eine ›Kultur seiner selber‹ nennen könnte, in welcher die Beziehungen eines zu sich selber intensiviert und aufgewertet worden sind. Charakteristisch für diese ›Kultur seiner selber‹ ist die Tatsache, daß hier die Kunst der Existenz – die téchne tu biu in ihren unterschiedlichen Formen – von dem Prinzip beherrscht wird, wonach man ›für sich selbst sorgen‹ muß; dieses Prinzip der Sorge um sich begründet ihre Notwendigkeit, lenkt ihre Entwicklung und organisiert ihre Praxis.« (Ebd.: 60) Foucault betont mehrfach, dass die Intensivierung der ›Sorge um sich‹ nicht als zunehmender Individualismus begriffen werden darf. Es lassen sich aber dennoch mehrere Modifikationen zum vorherigen Gebrauch der Lüste ablesen: Auch die Sorge um sich richte sich auf den Pol der Aktivität und der Intensität der Kräfte der Lust, doch nun werde das Individuum zunehmend als von diesen Kräften bedrohtes verstanden;27 die Frage der Wahrheit werde indes von der ontologischen Beschaffenheit der Lüste auf die Selbsterkenntnis und Prüfung seiner Selbst verschoben.28 Wer den Band eins und nun auch das kürzlich erst posthum veröffentlichte Manuskript des Bandes vier Die Geständnisse des Fleisches gelesen hat, wird merken, dass hier bereits der Übergang zum Christentum und seiner permanenten Sorge um das Böse und die daran anschließenden Techniken der Gewissensprüfung und des Geständnisses angedeutet sind (vgl. Foucault 2019). Problematisch an Foucaults Ausführungen zur Antike ist jedoch, dass er einerseits die Analyse der Selbstverhältnisse und Selbsttechniken nur als eine von drei Achsen begreifen will, andererseits aber implizit nahelegt, dass die 27
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»Die sexuelle Lust als ethische Substanz gehört nach wie vor zum Bereich der Kraft – der Kraft, mit der man ringen und gegen die das Subjekt seine Herrschaft behaupten muß; doch in diesem Spiel der Gewalt, des Exzesses, der Revolte und des Kampfes wird die Betonung mehr und mehr auf die Schwäche des Individuums gelegt, auf seine Zerbrechlichkeit, auf seine Bedürftigkeit zu fliehen, zu entrinnen, sich zu schützen und abzuschirmen.« (Foucault 1989a: 92f.) »Auch die Bestimmung der Arbeit, die man an sich selber zu leisten hat, erfährt im Zuge der Kultur seiner selbst eine gewisse Veränderung: in den Übungen zur Abstinenz und Zügelung, welche die notwendige áskesis ausmachen, nimmt die Selbsterkenntnis einen wichtigeren Platz ein: die Aufgabe, sich zu erproben, sich zu überprüfen, sich in einer Reihe wohlbestimmter Übungen zu kontrollieren, versetzt die Frage der Wahrheit – der Wahrheit dessen, was man ist, dessen, was man tut, und dessen, was man zu tun vermag – ins Zentrum der Konstitution des Moralsubjekts.« (Foucault 1989a: 93)
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Selbstpraktiken in dieser Zeit besonders ausgeprägt waren, so dass zumindest im Band zwei ein ›Mehr‹ an Freiheit in den Praktiken der Subjektivierung suggeriert wird.29 »Der Akzent wird auf das Verhältnis zu sich gelegt, welches es ermöglicht, daß man sich nicht von den Begierden und Lüsten fortreißen läßt, daß man ihnen gegenüber Herrschaft und Überlegenheit wahrt, daß man seine Sinne in einem Zustand von Ruhe hält, daß man frei bleibt von jeder inneren Versklavung durch die Leidenschaften und daß man zu einer Seinsweise gelangt, die durch den vollen Genuß seiner selber oder die vollkommene Souveränität seiner über sich definiert werden kann.« (Foucault 1989: 43) Diese Form der Selbstführung und -praktiken, die er auch als »Künste der Existenz« (ebd.: 18) bezeichnet, seien dann im Laufe der Zeit des Christentums in Form der Pastoralmacht aufgenommen worden und ließen sich in gouvernementalisierter Form in den medizinischen und biopolitischen Praktiken der Gegenwart wiederfinden (vgl. ebd.). Das heißt, dass Foucault einerseits davon auszugehen scheint, dass die Achse der Selbstverhältnisse auch in den vorhergehenden Untersuchungen eine Rolle spielt, auch wenn sie analytisch zu kurz gekommen sein mag, andererseits fällt es schwer, die Verschiebung und die Gewichtung auf das Selbstverhältnis nicht auch als Verweis auf eine positive, weil freiere Form des Selbstbezugs zu verstehen.30 Nun rechtfertigt Foucault seine Entscheidung, den Fokus auf das Selbstverhältnis zu legen, zum einen hauptsächlich methodisch, da ihm zufolge erst durch diese Verschiebung die Differenz in der Problematisierung der Lüste und des Begehrens angemessen erfasst werden könne. Die Differenz zwischen Antike und Christentum liege nicht vordergründig in einem strengeren Moralcode, sondern lasse sich besser anhand der Transformation des Selbstbezugs der Subjekte ablesen (vgl. Foucault 2007a: 192).31 Zum anderen weist 29
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Für die frühe Diskussion um die Rolle der Spätschriften siehe Fink-Eitel (1990); dort wird nicht nur die frühe Rezeption geordnet, sondern auch systematisch verschiedene Lesarten durchgespielt. »Doch der Wille, ein moralisches Subjekt zu sein, und die Suche nach einer Ethik der Existenz waren in der Antike in der Hauptsache ein Bemühen, seine Freiheit zu behaupten und seinem eigenen Leben eine bestimmte Form zu geben, in der man sich anerkennen und von den anderen anerkannt werden konnte, und sogar die Nachwelt konnte sich daran ein Beispiel nehmen.« (Foucault 2007: 282) »So daß man also die so oft gestellte Frage nach der Kontinuität (oder dem Bruch) zwischen den philosophischen Moralen des Altertums und der christlichen Moral folgen-
4. Subjektivierung bei Michel Foucault
Foucault auf direkte Nachfrage die Möglichkeit zurück, dass die griechischen Selbsttechniken als Gegenvorschlag zur (christlichen) Hermeneutik des Selbst verstanden werden sollen (vgl. ebd.: 195). Dennoch, Foucault sieht in der antiken ›Ästhetik der Existenz‹ durchaus eine Möglichkeit des Kontrasts zur Selbstsorge seiner Zeit enthalten. Erstens werde durch den historischen Vergleich deutlich, dass die Beziehung zwischen der Ebene der (individuellen) Moral und den gesellschaftlichen Institutionen nicht determiniert ist und somit auch nicht die Ebene zwischen Gesetzen, Normen und Selbstverhältnissen. Zweitens lasse sich durchaus die Frage stellen, wie ein transformierter Selbstbezug in der Gegenwart aussehen könnte – ist es möglich sich selbst als Kunstwerk (vgl. ebd.: 201), den Subjektivierungsmodus wieder als politisch-ästhetischen und autonomeren Selbstbezug
dermaßen umzuformen hätte: statt sich zu fragen, welche Code-Elemente das Christentum dem alten Denken entlehnen konnte und welche es von sich aus hinzugefügt hat, um innerhalb einer als konstant vorausgesetzten Sexualität das Erlaubte und das Verbotene festzulegen, sollte man sich fragen, wie unterhalb der Kontinuität die Übertragung oder die Modifizierung der Codes, die Formen des Verhältnisses zu sich (und die damit verbundenen Selbstpraktiken) definiert, modifiziert, umgearbeitet und diversifiziert worden sind.« (Foucault 1989: 43f.)
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zu begreifen?32 (vgl. ebd.: 206; vgl. Foucault 2007: 283, 271, 279; vgl. Foucault 2005b: 909f.) »Was mich erstaunt, ist, dass in unserer Gesellschaft die Kunst nur noch eine Beziehung mit den Objekten und nicht mit den Individuen oder mit dem Leben hat, und auch, dass die Kunst ein spezialisierter Bereich ist, der Bereich von Experten, nämlich den Künstlern. Aber könnte nicht das Leben eines jeden Individuums ein Kunstwerk sein? Warum sind ein Gemälde oder ein Haus Kunstobjekte, aber nicht unser Leben?« (Foucault 2007a: 201) Lemke zufolge kann Foucaults Verweis, das Leben als Kunstwerk zu begreifen, als Hinweis auf den Konstruktionscharakter des Lebens, seiner ›Künstlichkeit‹ verstanden werden – es gehe in diesem Sinne also nicht um ›Authentizität‹, sondern um die Betonung der Selbstgestaltung oder -führung (vgl. Lemke 1997: 300; vgl. Meißner 2010: 132). Lemke liest diese Form der Selbstgestaltung im Sinne der Gouvernementalitäts-Vorlesungen als Regierungsweise, als ›Führung der Führungen‹, und versucht so, den Vorwurf des
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Man kann diesen zweiten Aspekt sicherlich neutraler formulieren, so dass die Ausführungen Foucaults zur Antike nur als Kontrastfolie genutzt werden, um aufzuzeigen, dass zum einen der Selbstbezug und die Selbstpraktiken als notwendiger Bestandteil der Subjektivierung miteinbezogen werden müssen und zum anderen, um sichtbar werden zu lassen, dass die Formen des Selbstbezugs historisch kontingent und variabel sind. »Die ›Ästhetik der Existenz‹ und die ›Kultur seiner selbst‹ sind zwei eng verwandte vormoderne Selbstbezugstypen, an deren Unterschied die historische Variabilität von Subjektformen augenfällig wird. […] Sie sind daher geeignet, die konstitutive Rolle des Individuums bei seiner eigenen Subjektivierung herauszustellen.« (Saar 2007: 253) Auch wenn diese Lesart plausibel ist, können über die vielen kleinen Interviews, Foucaults Plädoyer für eine ethische und praktische Haltung des Selbst und die Suche nach einer neuen Form, sich als Kunstwerk zu begreifen, auch eine stärkere Lesart nahelegen. Beispielsweise spricht er in Sex, Macht und die Politik der Identität (1982) explizit davon, dass wir uns »eine Kultur erschaffen« (Foucault 2005b: 911) müssen, und betont hier den schöpferischen Aspekt. Es ist aber sicher eindeutig richtig, dass es nach Foucault kein ›Zurück‹ zur Form der antiken Selbstsorge und Ästhetik der Existenz geben kann oder geben sollte. Außerdem lehnt Foucault es ab, vermeintliche Formen der Selbstsorge, wie sie im Selbstkult seiner Gegenwart zu finden sind, als moderne Formen der ›Ästhetik der Existenz‹ zu begreifen, da sie weiterhin an die Wahrheit des Ichs gebunden blieben (vgl. Foucault 2007a: 210). Weitere Lesarten zum Spätwerk finden sich bei Kammler (1986), Schmid (1991), Schäfer (1995), Veyne (2009) und bei Allen (2007), der es gelingt, in der Frage nach dem Selbstverhältnis bei Foucault die Ambivalenz in der Subjektwerdung zu berücksichtigen.
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Subjektivismus der ›Ästhetik der Existenz‹ zurückzuweisen. »Foucaults Konzept von Ethik verweist also nicht auf individuelle Selbstentwürfe, sondern auf eine kollektive Lebensweise.« (Lemke 1997: 302) Diese Lesart ist sehr interessant, da Lemke zu Recht darauf verweist, dass das von Foucault beschriebene Selbstverhältnis der Antike nicht individualistisch zu denken ist. In Der Gebrauch der Lüste dienen die Selbstpraktiken auch zur Herstellung einer Harmonie zwischen dem Individuum und seiner Stellung in der kosmologischen Ordnung und der Gestaltung des Verhältnisses »von Selbst- und Sozialbindung, da das (männliche) Subjekt der Lust sich auch über das Prinzip der Selbstbeherrschung zugleich als Polis-Bürger erfährt« (ebd.: 283). Die in Die Sorge um sich beschriebenen Modifikationen des Selbstverhältnisses in der hellenistisch-römischen Ethik wiederum sind auch vor dem Hintergrund der politischen Transformationen zu begreifen. »Mit dem Niedergang der Polis zerbricht auch die ›natürliche‹ Einheit von Ich und Welt, die das klassische Griechenland gekennzeichnet hatte. […] Die Immanenz von Privatem und Politischem geht verloren und muss nun gewissermaßen ›künstlich‹ [über die ›Kultur des Selbst‹; C.F.] hergestellt werden.« (Ebd.: 286) Die sich ausweitende ›Sorge um sich‹ verweise auch hier nicht auf einen entstehenden Individualismus, sondern stehe im Zusammenhang mit der Frage der guten Führung und Regierung des Selbst und der Anderen. »Ziel dieser Praktik ist es, eine neue Beziehung zu sich selbst und seiner gesellschaftlichen Position, ihren Funktionen und Pflichten zu definieren.« (Ebd.: 287; vgl. Foucault 2007d: 260f.) Diese historische Situierung der Selbstverhältnisse verdeutlicht meines Erachtens jedoch nur, dass Foucault in seinem Spätwerk, so wie er es in seiner methodischen Reflexion ausführt, die Akzentsetzung auf die Selbstpraktiken und -gestaltungen verlegt und die Ambivalenz zwischen Unterwerfung und Subjektivierung von der anderen Seite beleuchtet (vgl. Saar 2007: 250). Anders als Lemke sehe ich hier jedoch noch keinen Bezug zur kollektiven Gestaltung des Lebens und der Lebensformen enthalten. Das Subjekt orientiert sich zwar am Anderen und den gesellschaftlichen Bedingungen, das Ziel der Gestaltung bleibt jedoch die Beziehung zum Selbst.33 Dennoch ist der Hin33
Auch Wilhelm Schmid argumentiert, dass die ›Lebenskunst‹ als politische begriffen werden könne, da sie auf ein Leben in der Gesellschaft gerichtet sei (vgl. Schmid 2019: 90). An anderer Stelle beschreibt Schmid es als Lebensführung, die deshalb nicht in-
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weis der ›Führung der Führungen‹ wichtig, denn in der Beziehung zu sich selbst und der Freiheit, sich auf sich selbst beziehen zu können, liegt der Schlüssel und die Möglichkeit des politisch-reflektierten und widerständigen Handelns. »Da Regierung der Freiheit der Subjekte eine bestimmte Form gibt, um sie zu kontrollieren und zu lenken, stellt umgekehrt dieser Selbstbezug ein Widerstandspotential dar, das gegen die Regierungstechnologien eingesetzt werden kann.« (Lemke 1997: 315) Man kann jedoch nicht genug betonen, dass nach Foucault das politischreflektierte und widerständige Handeln eine Form der Haltung (Ethos) miteinschließen muss (vgl. Foucault 2007d: 277). Wenn die Reflexionsmöglichkeiten und das Selbstverhältnis nicht unabhängig von Macht-WissensVerbindungen gedacht werden können, so lässt sich leichter verstehen, wieso Foucault dafür plädiert, sich gegen konkrete Subjektivitätsformen und Regierungsweisen zu stellen – denn sie bedingen zugleich unsere Grenzen des Denkens und Seins. Die kritische Haltung muss deshalb Momente des Experimentierens miteinschließen. Meiner Ansicht nach wäre aber zu betonen, dass diese Formen der Experimente auch kollektiv erfolgen müssen – in gemeinsam gestalteten Räumen, in denen andere Lebensformen erprobt werden können, oder in gemeinsamen politischen Zusammenschlüssen und Assoziationen. Des Weiteren darf die Ebene der Vorstellungen, die sich immer auch auf die symbolische und imaginäre Ebene des Denkens beziehen müsste (vgl. Luxon 2019) und auch das Denken und Reflektieren als Praxis umfassen sollte, nicht vernachlässigt werden – es gibt auch ein Experimentieren im Imaginären, mit alternativen Bildern und Vorstellungen. Während Foucault in Was ist Kritik? (1992) und Was ist Aufklärung? (1990) noch auf die Notwendigkeit der Analyse unserer ontologischen Bedingungen verweist, fokussiert er später mit seinem Begriff des ›Kunstwerks‹ und der ›Ästhetik der Existenz‹ zu stark auf die praktischen Möglichkeiten der
dividualistisch sei, weil sie auf eine politische Selbstführung ziele. »[…] Als Lebensführung, die vom Individuum selbst zu vollziehen und zu reflektieren ist. Dies meint keinen Rückzug ins Private, sondern einen neuen politischen Index, der beim Individuum ansetzt, anstatt das Individuelle von der Souveränität des Allgemeinen abzuleiten.« (Schmid 1991: 69f.) Meines Erachtens bleibt der Ansatz aber auch in dieser Lesart subjektivistisch, da die ›Selbstsorge‹ auf die Selbstführung und -transformation zielt. Auch wenn das Selbst immer in Beziehungen mit Anderen verstrickt ist, ändert dies nichts am subjektivistischen Charakter.
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Selbstgestaltung und -transformation (vgl. Foucault 2007d: 279).34 Der Ansatz bleibt so trotz des Verweises auf die ›Führung der Führungen‹ subjektivistisch. Meines Erachtens sollte jedoch die Analyse der konstitutiven Bedingungen des Seins gerade offenlegen, dass Subjektivitätsformen nicht vereinzelt, sondern kollektiv zu fassen und zu transformieren sind. Auch die Haltung gegen eine konkrete Form der Subjektivität erfordert den Austausch und den Zusammenschluss mit Anderen, die sich gegen diese Subjektivitätsform wenden, und sie richtet sich immer auch gegen politische, ökonomische und gesellschaftliche Institutionen und Produktionszusammenhänge (und damit auch gegen Regime des Macht-Wissens) – sie verweisen wechselseitig aufeinander. Als Fazit lässt sich in diesem Kapitel festhalten, dass Foucaults Spätwerk einerseits in Kontinuität zu seinen machtanalytischen Schriften gelesen werden kann, da so das Vexierbild mit seinen zwei Bildern der Subjektivierung – der Unterwerfung und reflexiven Ermächtigung – deutlich sichtbar werden kann, andererseits reicht der Hinweis auf die Konstitution des Selbst innerhalb von Beziehungen zu Anderen nicht aus, um eine politische Subjektivierung denken zu können.35 Politisch werden die Subjekte erst, wenn sie nicht auf die Transformation ihres Selbst zielen, sondern auf die Transformation der ermöglichenden Bedingungen des Subjektseins und darin nur vermittelt auf das Selbst. Dennoch können die Haltung und der Kampf gegen konkrete Subjektivitätsformen und ihre konstitutiven Bedingungen nicht nur als ein
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Paul Veyne verdeutlicht diesen Punkt, indem er Foucaults Bezug zur antiken Ästhetik wie folgt beschreibt: »Die Affinität zwischen Foucault und der antiken Moral beruht auf einem einzigen Punkt: der Arbeit am eigenen Ich, dem ›Stil‹. Das Wort bedeutet hier nicht Distinguiertheit oder Dandytum: ›Stil‹ muss im Sinne der Griechen aufgefasst werden, für die ein Künstler zunächst einmal ein Handwerker war. Während der letzten Monate eines Lebens, dessen Gefährdung nur ihm bekannt war, hat in den Gesprächen und gewiss auch im inneren Erleben Foucaults die Idee eines Lebensstils, also der Arbeit am eigenen Ich, eine wichtige Rolle gespielt.« (Veyne 2009: 130) Siehe hierzu auch Amy Allens Interpretationsansatz: »[…] Foucault cannot make sense of how individuals cooperate with one another in collective social and political action to agitate for progressive change, nor can he make sense of how the resulting collective social and political movements generate the conceptual and normative resources on which individuals draw in their own efforts to transform subjection into liberation.« (Allen 2007: 69)
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Kampf für die Erweiterung der Freiheiten, sondern in Form der reflektierten Distanz, welche die Kritik kennzeichnet, bereits Freiheit realisieren.36 Foucaults Spätwerk kann also aufzeigen, dass auch schon auf ontologischer Ebene die Möglichkeit der Kritik gegeben ist – auch wenn sie nicht automatisch realisiert, sondern eine Frage der Haltung der Subjekte erfordert, und damit eine Aktivität. Sie schließt aber die Ebene der Analyse und des kritischen Denkens mit ein, weil der Imperativ, ›nicht dermaßen regiert zu werden‹, in seiner normativen Unbestimmtheit selbst kritisch reflektiert werden muss (vgl. auch Schubert 2018: 156).37 Diese Form der politischen Aktivität ist aber nicht zwangsläufig an den Handlungsspielraum der Subjekte gebunden, wie es ein neutraler Machtbegriff nahelegen würde, da es eben auch oder gerade in autoritären Herrschaftsregimen widerständiges und politisches Aufbegehren der Subjekte geben kann – dieses muss auch nicht immer ›erfolgreich‹ sein, um als solches kritisch und politisch zu sein (vgl. abgrenzend ebd.: 164, 171). Die politische Aktivität ist vielmehr ein Modus der aktiven Haltung, die zwar potentiell jedem Subjekt gegeben ist, die aber erst realisiert und reaktiviert werden muss. Als Anstoß hierfür kann die eigene Leidenserfahrung stehen, der unbestimmte Wunsch nach Veränderung und mehr Möglichkeiten, das Gefühl der Einschränkung, gelebte Formen der ›Abweichung‹, aber auch die kritische Analyse der Bedingungen des eigenen Seins. Diese politische Haltung muss, um Wirksamkeit zu erlangen, anders als Foucault es in seinem Spätwerk nahelegt, auf einen kollektiven Zusammenschluss und die Transformation der Ordnung selbst zielen. Die politische Haltung kann aber,
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Siehe hierzu auch die Anmerkung von Allen: »Now, it would seem that in order for individuals to be capable of deliberately transforming practices of subjectivation in more emancipatory or, if you prefer, less normalizing directions, they have to be autonomous in some sense. Minimally, resistance as Foucault understands it seems to require both the capacity to reflect critically on existing technologies of the self and the capacity to transform deliberately such technologies. Indeed, in his late work, Foucault frequently invokes the capacity for critical reflection, in the context of his understanding of thought.« (Allen 2007: 64; Herv. C.F.) Beispielsweise benutzen auch rechtsextreme oder neofaschistische Gruppierungen oft den Begriff des Widerstands und – in ihrem Selbstverständnis – richten sie sich damit explizit gegen bestimmte Formen des ›Regiertwerdens‹. Eine reflektierte Form des Widerstands erfordert also nicht nur die Aktivität, sondern die Analyse der gegenwärtigen Bedingungen des Seins und damit eine Form von Kritik.
4. Subjektivierung bei Michel Foucault
wie Foucault es aufgezeigt hat, doppelt ansetzen: Über die Analyse der konstitutiven Bedingungen des Seins und die Experimente mit dem Sein, die, um kritisch zu werden, allerdings auch als Praxis reflektiert werden müssen. Es sollte an dieser Stelle auch nicht außer Acht gelassen werden, dass Foucaults Position für den Vorzug der experimentellen Selbstgestaltungen als politische Praxis auch einen zeitgeschichtlichen Kern hat. Die 1968erBewegung war eine Bewegung, die auch praktisch-experimentell nach anderen Lebens- und Seinsweisen gestrebt hat. In diesem Zusammenhang können auch Foucaults biographische Momente der Suche nach ›neuen‹ sexuellen Praktiken, anderen Beziehungsformen und seine hedonistischen Drogenexperimente verortet werden (vgl. Wade 2019: 84; vgl. Veyne 2009: 173; vgl. Foucault 2005b: 913). Jedoch sollte auch klar sein, dass diese heute eher als subkulturell verstandenen Praktiken ›marktförmig‹ eingebettet wurden. Die experimentelle Suche nach anderen Seinsweisen wird dadurch zwar nicht überflüssig, aber ohne Analyse und historische Kontextualisierung bleiben sie, in ihrer subjektiven Form, kontingent. Die Sphäre des Politischen sollte hingegen die konstitutiven Bedingungen des Seins so analysieren, dass sie zu besseren Bedingungen des gesellschaftlichen und individuellen Seins gestaltet werden können. Zusammenfassend kann die Subjektivierungskonzeption bei Foucault zeigen, dass Subjektwerdung erstens durch ein Zusammenspiel zwischen körperlichen und unkörperlichen Momenten erfolgt. Einerseits wird das Subjekt – wie das Subjekt der Praxis (savoir-faire) bei Althusser – durch die immer zu wiederholenden Praktiken hervorgebracht. Je tiefer die Unterwerfung, desto stärker können die Kräfte des Subjekts gesteigert werden. Andererseits erfolgt Subjektwerdung nicht nur durch Körperpraktiken, sondern durch die Vorstellung der Subjekte. Diese Vorstellung kann durch die Raumgestaltungen und durch ein potentielles Beobachtet-, Gesehen- und Bewertetwerden ausgelöst sein; sie kann aber auch davon losgelöst in bloßer Antizipation erfolgen. Dies bedeutet, dass Subjektwerdung zweitens – wie schon bei Althusser durch den Anrufungsbegriff aufgezeigt wurde – über eine Selbstunterwerfungsbewegung erfolgt. Mit Foucault kann nun drittens ergänzt werden, dass diese Selbstunterwerfungsbewegung, die durch die Anrufung ausgelöst wird, historisch auch in Form einer Normalisierungsbestrebung auftritt. Das Subjekt richtet sich an einer präskriptiven oder empirischen Norm aus, so dass zugleich Grenzziehungen zwischen normalen und anormalen Subjekten entstehen können. Diese Grenzziehungen sind nicht ausschließlich dichotom ausgerichtet, sondern vielfältig und flexibel.
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Viertens wird es über den Foucault’schen Begriff des Dispositivs möglich, historisch konkrete Subjektivierungsmodi zu bestimmen – die Formen, die die Unterwerfung und das Selbstverhältnis annehmen können. Fünftens richtet Foucault in seinem Spätwerk den Fokus auf das Selbstverhältnis in der Subjektivierung. Er erörtert über diesen Fokus die Frage, wie das Subjekt seine Möglichkeiten des Seins erweitern oder selbst bestimmen kann. Auch wenn Foucault hier vor allem auf die Möglichkeiten der Transformation des Selbst zielt, lässt sich als Fazit in diesem Kapitel festhalten, dass die Transformation der individuellen und kollektiven Seinsbedingungen eine aktive Haltung erfordert – Voraussetzung dieser Haltung bleibt jedoch die Fähigkeit des Subjekts, sich reflexiv zu den konstitutiven Bedingungen und zu sich selbst in Beziehung zu setzen.
5. Subjektivierung bei Judith Butler
5.1
Diskursive Subjektivierung
Niemand hat den Begriff der Subjektivierung so stark geprägt wie die USamerikanische Philosophin Judith Butler. Die Gebrauchsweise des Begriffs ist in der Rezeption teilweise so selbstverständlich an Butler orientiert, dass es schwerfällt Althussers und Foucaults Konzeption der Subjektivierung von ihrer Lesart und Interpretation getrennt zu diskutieren. Dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass Butler in ihrem Werk Psyche der Macht (dt. 2001) den Begriff der Subjektivation ins Zentrum ihrer Überlegungen gerückt und in kritischer Bezugnahme auf Althusser und Foucault (weiter-)entwickelt hat. Dennoch, wer Butlers Schriften kennt, weiß, dass diese nur zwei von zahlreichen weiteren Referenzen stellen – ebenso bezieht sie sich in ihrer genealogischen und dekonstruktiven Methode immer wieder auf Hegel, Nietzsche, Freud, Lacan, Beauvoir, Wittig, Irigaray und weitere Autor*innen u.a. der Psychoanalyse, Sprachwissenschaften, Anthropologie und Sozialwissenschaften. Nun ist Butler aber vor allem als Theoretikerin der Gender Studies und Vordenkerin der Queer-Theory bekannt geworden. Nach Butler müssen die zwei Bereiche, die Subjektwerdung und die ›Vergeschlechtlichung‹,1 als untrennbare und zusammenhängende begriffen werden. Butler zufolge gibt es einen konstitutiven Zusammenhang zwischen der Geschlechtsidentität (gender) und dem Subjektsein. Die Geschlechterordnung stellt zugleich die Bedingung der Intelligibilität der Subjekte. Eine Kritik an der Geschlechterordnung schließt
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Vergeschlechtlichung meint hier das in der Annahme einer Geschlechtszuweisung wirkende Zusammenspiel von sex/gender/desire, welches Butler zufolge durch den Apparat der eindeutigen Geschlechtsidentität (gender) hervorgebracht und naturalisiert werde.
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
bei Butler also die Kritik der (autonomen) Subjektform mit ein – und umgekehrt heißt dies auch, dass die Frage nach dem Subjekt nicht ohne die Frage nach der Geschlechterordnung gestellt werden kann. Für die Analyse dieses Zusammenhangs ist Butlers Konzeption der diskursiven Hervorbringung des (Geschlechts-)Subjekts zentral. In ihrem ersten, 1990 veröffentlichten Hauptwerk Gender Trouble (dt. Das Unbehagen der Geschlechter 1991) führt diese Grundannahme – der Zusammenhang zwischen Subjekt und Geschlecht – zu zwei weiteren grundlegenden Positionen Butlers: Erstens zur Kritik an feministischer Repräsentationspolitik, die die Kategorie ›Frau/weiblich‹ zur Voraussetzung nimmt; zweitens zur Annahme, dass das (Geschlechts-)Subjekt innerhalb einer heterosexuellen Matrix performativ hervorgebracht wird. Insbesondere diese zweite Annahme ist für diese Arbeit interessant, denn Butlers Begriff der Performativität ermöglicht es, Subjektwerdung als diskursiv-praktische Hervorbringung, und damit nicht nur als Kritik an der autonomen Subjektfigur, sondern auch als offenen Prozess zu denken, der in seiner prozessualen Offenheit immer auch schon Raum für Unvorhergesehenes und damit auch für ein Scheitern der ›geschlossenen‹ Subjektwerdung lässt. Doch auch wenn Butler Subjektwerdung als diskursive Hervorbringung versteht, die über performative Akte vollzogen wird, ist ihre Betrachtungsweise nicht nur dafür geeignet, die Unabgeschlossenheit zu betonen, sondern auch den Prozess der psychischen Subjektwerdung. Butler denkt den Subjektivierungsprozess über die Identitätsproduktion zugleich als libidinös und affektuell aufgeladenen. Subjektivierung sei nicht nur ambivalent in dem Sinne, dass das Subjekt in der Unterwerfung hervorgebracht, sondern auch darin, dass das Subjekt – über die Identitätsausbildung und den Autonomieeffekt der Subjektproduktion – in eine leidenschaftliche Verhaftung zur Unterwerfung gesetzt werde (vgl. Butler 2001: 12). Diese leidenschaftliche Bindung des Subjekts an seine Unterordnung wird von Butler einerseits entwicklungspsychologisch und damit als Abhängigkeit von konkreten Personen, andererseits aber überwiegend gesellschaftlich gedacht, als Abhängigkeit von gesellschaftlichen Normen und (sprachlichen) Kategorien, die dem einzelnen Subjekt vorgängig sind und die es sich nicht aussuchen kann. Butler wird diesen Aspekt der konstitutiven Abhängigkeit in ihren ethischen und politischen Schriften wieder aufgreifen und vor dem Hintergrund ihrer Subjektivierungstheorie als Ausgangspunkt ihrer ethischen und moralphilosophischen Betrachtungen setzen. Auch wenn diese Betrachtungen nicht mehr im engeren Sinne zu ihren subjektivierungsanalytischen Schriften zählen, soll in einem kurzen Ex-
5. Subjektivierung bei Judith Butler
kurs auch ein Ausblick auf die ethische Dimension des Butler’schen Denkens erfolgen, da sie hier erneut die Frage der Subjektivation und der Möglichkeiten von politischer und emanzipativer Handlungsfähigkeit diskutiert. Insbesondere in ihren 2002 gehaltenen Adorno-Vorlesungen Kritik der ethischen Gewalt verknüpft sie die Kritik des autonomen, mit sich selbst identischen Subjekts mit der Frage, wie vor dem Hintergrund eines solchen Subjektverständnisses überhaupt noch die Frage nach einem, im moralischen Sinne, verantwortlich handelnden Subjekt gestellt werden könne. Wenn das Subjekt als Effekt des Diskurses begriffen wird, und die im Diskurs oder der Gesellschaft enthaltenen Normen als Zwangssystem wirken, wie kann es sich dann eigenverantwortlich an einem Normensystem ausrichten, es kritisieren oder dieses entwickeln? Kann es eine Ethik geben, die nicht auf die klassische Figur des autonomen Subjekts zurückgreifen muss? Über diese angerissenen Fragen wird jedoch bereits deutlich, dass dies genau die Frage berührt, die sie auch mit ihrer Subjektivierungstheorie aufwirft: Wenn das Subjekt durch die Macht des Diskurses konstituiert ist, wie sind dann eine kritische Distanz zur Macht und eine politische Handlungsfähigkeit möglich? Die vorläufige Antwort scheint parallel zu verlaufen: Erstens liegt für Butler die Möglichkeit der transformativen Handlungsfähigkeit im konstitutiven Scheitern der performativ erfolgenden Subjektwerdung (wie sie es in Psyche der Macht herausarbeitet) und zweitens begründet sie ihre Ethik über ein Scheitern der Anerkennung. Wenn man akzeptiert, dass die Anerkennung des Anderen niemals vollständig gelingen kann, wird sich gerade in dieser Akzeptanz die Möglichkeit entdecken lassen, den Anderen als uneinholbar Anderen anzuerkennen. Im Folgenden soll Butlers Verständnis von Subjektivierung insbesondere unter den Aspekten des Psychischen, des konstitutiven Scheiterns und Ausschlusses von anderen Subjektformen und der Bedeutung der ethischen Anerkennungsbeziehung betrachtet werden. Einerseits entwickelt sie in kritischer Bezugnahme Elemente, die bereits bei Althusser und Foucault enthalten sind weiter – insbesondere die diskursive und imaginär-psychische Dimension der Subjektwerdung –, andererseits kann auch sie durch ihre Vorgänger, durch den Bezug auf das komplexe Ganze Althussers und die historische Analyse Foucaults, ergänzt und korrigiert werden.
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5.2
Subjektwerdung und Geschlecht
In ihrem 1990 veröffentlichten Hauptwerk Gender Trouble2 kritisiert Butler, dass die Kategorie ›Frau(en)‹ nicht als grundlegender Bezugspunkt für feministische Politik herangezogen werden dürfe, da so erstens suggeriert werde, es gebe eine Identität ›Frau‹, und damit eine einheitliche weibliche Erfahrung, die allen als ›Frauen‹ kategorisierten Subjekten eigen sei. Butler zufolge werden so die unterschiedlichen Differenzkategorien wie die »rassischen, ethnischen, sexuellen, regionalen und klassenspezifischen Modalitäten« (Butler 1991: 18) ausgeblendet und vorschnell ein gemeinsamer Erfahrungshintergrund angenommen und über den Begriff des Patriarchats ein vereinfachendes Hierarchieverhältnis zwischen Männern (Unterdrückern) und Frauen (Unterdrückten) unterstellt, ohne die vielfältigen, sich überschneidenden Unterdrückungs- und Herrschaftsverhältnisse zu berücksichtigen (vgl. ebd.: 18, 19, 34). »Die politische Annahme, daß der Feminismus eine universale Grundlage haben müsse, die in einer quer durch die Kulturen existierenden Identität zu finden sei, geht häufig mit der Vorstellung einher, daß die Unterdrückung der Frauen eine einzigartige Form besitzt, die in der universalen oder hegemonialen Struktur des Patriarchats bzw. der männlichen Herrschaft auszumachen sei.« (Ebd.: 18) Zweitens werde durch den Bezug auf die Kategorie ›Frau‹ das System der heterosexuellen Zweigeschlechtlichkeit (die Geschlechterordnung/heteronormative Matrix) reproduziert und alle anderen, davon abweichenden Seinsweisen wie etwa Inter-, Trans- und Homosexuelle ausgeschlossen oder politisch unsichtbar gemacht. Butler geht davon aus, dass die politische ›Repräsentation‹ zwar auch auf das Sichtbarmachen einer vormals ausgeschlossenen oder marginalisierten Gruppe ziele, aber so zugleich ein Subjekt ›vor dem Gesetz‹, im juridischen3 sowie im diskursiv-sprachlichen Sinne voraussetzen müsse, und
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In dieser Arbeit wird der Eingängigkeit halber der englische Originaltitel verwendet, auch wenn aus der deutschen Ausgabe Das Unbehagen der Geschlechter von 1991 zitiert wird. Butler verweist mit dem Begriff des Juridischen auf den Funktionsmechanismus des Gesetzes, ohne sich damit auf das juristische Gesetz zu beschränken. Juridisch meint, dass Normen und Diskurse wie Verbote oder Gesetze als binär strukturierte zu begreifen sind und sowohl produktiv-hervorbringend wirken als auch mit einem Aus-
5. Subjektivierung bei Judith Butler
somit über die Bezugnahme unwillentlich die diskursive und unterdrückende Ordnung wiedereinsetze. Dieser Gedankengang ist nicht so ohne Weiteres einsichtig und hat mindestens zwei Ebenen. Zum einen bedeutet dies, dass die Subjekte, um ›repräsentiert‹ werden zu können, bereits anerkennbare Subjekte sein müssen. Konkret könnte dies beispielsweise heißen, dass Frauen ohne anerkannte Staatsbürgerschaft nicht nur von der Repräsentation ›Frauen‹ ausgeschlossen sind, sondern dass über diese undifferenzierende Kategorie unsichtbar bleibt, dass diese Frauen ausgeschlossen werden. Dieser Ausschluss könnte aber beispielsweise in einer kulturellen ›weißen‹ Hegemonie schwarze Frauen oder in der heteronormativen Kultur Trans-Frauen treffen, die gesellschaftlich nicht als ›Frauen‹ anerkannt werden. Zum anderen bedeutet dies aber auch, dass in der sprachlichen ›Repräsentation‹ unsichtbar bleibt, welche Bedingungen überhaupt erfüllt sein müssen, um Subjekt zu sein. Butler geht davon aus, dass es kein Subjekt vor dem Gesetz oder, mit anderen Worten, vor dem Diskurs geben könne, so dass jede unreflektierte Bezugnahme auf ein Subjekt ›vor dem Gesetz‹ die Ordnung des Bestehenden reproduziere. Butlers Kritik der ›Repräsentation‹ richtet sich also grundlegend gegen die Vorstellung, dass es ein Subjekt geben könne, welches vordiskursiv existiere und durch die Sprache sekundär ausgedrückt bzw. ›repräsentiert‹ werden könne. Butlers Kritik der Repräsentation ist also zugleich eine Kritik des autonomen Subjekts. Nach Butler erlangen Subjekte ihre Intelligibilität, und damit die Möglichkeit, (gesellschaftlich/juristisch/sprachlich) repräsentiert zu werden, nur durch die unterwerfende Hervorbringung unter den Diskurs – und damit zugleich nur durch einen Ausschluss. »Welchen Sinn hat es, die Repräsentation zu erweitern, wenn die Subjekte selbst durch die Ausschließung jener konstruiert werden, die den unausgesprochenen normativen Anforderungen des Subjekts nicht zu entsprechen vermögen?« (Ebd.: 22) Während der erste Punkt von Butlers Kritik an der Repräsentationsbzw. Identitätspolitik – auch wenn man diese Kritik nicht teilt – leicht verständlich ist, lässt sich der zweite Punkt besser nachvollziehen, wenn man ausführlicher darstellt, wie Butler die diskursive Hervorbringung des (Geschlechts-)Subjekts denkt.
schluss und der Abwertung des binären Gegensatzes einhergehen: Heterosexualität/ Homosexualität; Mann/Frau oder Geist/Körper.
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
5.2.1
Butlers Kritik der Sex-Gender-Trennung
Butler kritisiert, dass in feministischen Politiken die Kategorie ›Frau(en)‹ als Voraussetzung der Politik gelte, obwohl spätestens seit Simone de Beauvoirs Schrift Das andere Geschlecht (1949) im Feminismus die Natürlichkeit der Geschlechtsidentität (gender) hinterfragt wurde. Die Geschlechtsidentität müsse vielmehr als soziale Konstruktion (»Man kommt nicht als Frau zur Welt, sondern wird es«) verstanden werden (vgl. Butler 1991: 25). In feministischen Kontexten wurde dies begrifflich über die sogenannte Sex-Gender-Trennung versucht zu erfassen, nach der das biologische Geschlecht (sex) getrennt vom sozialen Geschlecht (gender) betrachtet werden müsse.4 Über die Sex-GenderTrennung sollte die Naturalisierung und Biologisierung der Geschlechtlichkeit angegriffen werden. Das Produktive an diesem Konzept liegt darin, aufzuzeigen, dass die Geschlechtsidentität und die sozialen Geschlechterrollen (gender) unabhängig vom biologischen Geschlecht/Körper (sex) entwickelt werden und im Umkehrschluss das biologische Geschlecht keine Auskunft über die Geschlechtsidentität geben kann (vgl. ebd.: 21f.). Das Konzept der Sex-Gender-Trennung ermöglicht drei Ebenen der Kritik, die sich aus der Trennung theoretisch ableiten lassen. Erstens können keine vermeintlich geschlechtsspezifischen Eigenschaften der ›Frau‹ (bzw. des ›Mannes‹) vom biologischen Geschlecht abgeleitet werden; zweitens können die Geschlechterrollen als historisch und kulturell variabel verstanden werden; und drittens kann (konzeptionell) eine vom biologischen Geschlecht unabhängige Geschlechtsidentität bzw. -identitäten denkbar werden. Das heißt, über die Sex-Gender-Trennung wird es theoretisch ermöglicht, von mehr als zwei Geschlechtsidentitäten ausgehen zu können und/oder Transsexualität bzw. transgender oder genderqueere Identitäten erfassen zu können (Kritik der Binarität). Meist wird jedoch der dritte Aspekt vernachlässigt und nur die soziale Gestaltbarkeit der Geschlechtsidentität oder Geschlechterrollen betont. Butler erkennt in Gender Trouble die Produktivität des Konzeptes an, kritisiert aber, dass über die Sex-Gender-Trennung nicht hinterfragt werde, dass
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Das Konzept der Sex-Gender-Trennung wurde von Simone de Beauvoirs Theorie vorbereitet und implizit eingeführt, jedoch geht die begriffliche Verwendung auf die Studie Sex, Gender and Society von Ann Oakley (Oakley 1972) und auf Gayle Rubins (Rubin 1975) Begriff des Sex-Gender-Systems zurück (vgl. Kerner 2007: 5-7).
5. Subjektivierung bei Judith Butler
es genau zwei biologische Geschlechter gäbe, die nach den Geschlechtsmerkmalen kategorisiert und die oft als sich ›mimetisch‹ an den biologischen Körper anschmiegende verstanden werden. So werde erstens der biologische Körper als vorsprachlich und vorkulturell naturalisiert (sex = Natur/gender = Umwelt/Kultur) (vgl. ebd.: 24); zweitens drohe die Gefahr, dass nun anstatt des biologischen Geschlechts (sex) die soziale Geschlechtsidentität zum ›Schicksal‹ werde, da sie als Ausdruck des kulturellen Gesetzes auftrete, welches zugleich überhistorische Universalität beanspruche (vgl., ebd.: 25); drittens werde über das Konzept der Geschlechtsidentität (gender), die als eindeutige oder geschlossene begriffen werde, auch ein Ausschluss des Uneindeutigen, von Intersexualität oder Transsexualität, und eine Abwertung von Homosexualität produziert (vgl. ebd.: 27). Butler zufolge könne es kein ahistorisches, der sprachlich-kulturellen Ordnung vorgängiges biologisches Geschlecht (sex) geben. Zugespitzt formuliert heißt das, dass nicht nur die Geschlechtsidentität (gender) sozial konstruiert sei, sondern auch das biologische Geschlecht (sex). »Diese Produktion des Geschlechts als vordiskursive Gegebenheit muß umgekehrt als Effekt jenes kulturellen Konstruktionsapparats verstanden werden, den der Begriff ›Geschlechtsidentität‹ (gender) bezeichnet.« (Ebd.: 24). Dass das biologische Geschlecht sozial konstruiert sei, gilt als die skandalöse Hauptthese des Werks und der anschließenden – oftmals polemisch ungenauen – Rezeption von Gender Trouble.5 Butler geht davon aus, dass jede Bezugnahme auf die Realität oder auf Materie (in diesem Fall menschliche Körper) sprachlich-kulturell überformt werde, so dass es keinen reinen oder unmittelbaren Zugang zur ›Natur‹ (bzw. Substanz) geben könne. Die Sex-Gender-Trennung führe durch den Dualismus von Natur (sex) und Kultur (gender) nun dazu, dass ausgehend von der Konstruktion gender die Trennung hervorgebracht werde, die den Körper in eine prädiskursive, natürliche Sphäre verschiebe. Das heißt, der Bezug auf die Geschlechtsidentität ›weiblich/männlich‹ gestalte nicht nur die sozialen Identitäten, sondern produziere zugleich die Vorstellung eines davon unbelasteten, ursprünglichen, der sozialen Gestaltung vorhergehenden, natürlichen Körpers.
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Für eine sehr polemische und zugleich ungenaue Interpretation von Gender Trouble steht beispielsweise der bekannte Text von Barbara Duden Die Frau ohne Unterleib: Zu Judith Butlers Entkörperung (Duden 1993).
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
»Dieser Terminologie zufolge erscheint ›der Körper‹ als passives Medium, dem die kulturellen Bedeutungen eingeschrieben sind, oder als Instrument, mittels dessen ein aneignender und interpretierender Wille für sich selbst eine kulturelle Bedeutung festlegt. In beiden Fällen wird der Körper als bloßes Instrument oder Medium dargestellt, das nur äußerlich mit einem Komplex kultureller Bedeutungen verbunden ist. Doch der ›Leib‹ ist selbst eine Konstruktion – wie die unzähligen ›Leiber‹, die das Feld der geschlechtlich bestimmten Subjekte bilden. Man kann nämlich den Körpern keine Existenz zusprechen, die der Markierung ihres Geschlechts vorherginge. So stellt sich die Frage, inwiefern der Körper erst in und durch die Markierung(en) der Geschlechtsidentität ins Leben gerufen wird.« (Ebd.: 26; Herv. im Orig.) Diese Kritik an der Sex-Gender-Trennung lässt sich nach Butler auch allgemeiner als Kritik am autonomen Subjekt und der westlichen Logik einer ›Metaphysik der Substanz‹ lesen. Gemäß dieser Logik werde eine ›substanzielle Person‹ (vgl. ebd.: 28) unterstellt, die ihr substanzielles Sein in Form von Attributen sekundär ausdrücke (»Ich bin«). Sprachlich heißt es, eine ›Frau zu sein‹; der Formulierung nach setzt man so ›Frau‹ als prädiskursive Substanz (die Substanz des biologischen Geschlechts/sex), die durch das Attribut ›sein‹ adäquat ausgedrückt werden müsse (Geschlechtsidentität/gender). Gehe man nun umgekehrt von einer kulturellen Geschlechtsidentität (Sein) aus, setze man zugleich eine Substanz, die sich in diesem Sein ausdrücke, als prädiskursiv oder natürlich ein (Frau/Mann/Mensch). So lasse sich auch der Funktionsmechanismus von gender verstehen, über den das biologische Geschlecht als Natur produziert werde. »Wenn auf das ›biologische Geschlecht‹ Bezug genommen wird als etwas, was dem sozialen Geschlecht vorgängig ist, wird es selbst zum Postulat, zu einer Konstruktion, die in der Sprache als das offeriert wird, was der Sprache und der Konstruktion vorhergeht. Dieses biologische Geschlecht, von dem postuliert wird, es sei der Konstruktion vorgängig, wird jedoch aufgrund seines Postuliert-Seins zur Wirkung des gleichen Postulierens, zur Konstruktion der Konstruktion.« (Butler 1997: 26) Butler versucht aufzuzeigen, dass das soziale Geschlecht selbst performativ wirke, indem es mit der Setzung der Geschlechtsidentität (Seinsausdruck) zugleich das biologische Geschlecht als prädiskursiv voraus- und einsetze. Im Anschluss an diese Setzung könne so wiederum die Geschlechtsidentität an
5. Subjektivierung bei Judith Butler
dieser scheinbar nicht diskursiv bestimmten ›Natur‹ ausgerichtet und produziert werden. »Die unreflektierte Behauptung, heterosexuell oder/und eine Frau zu ›sein‹, ist also symptomatisch für die Metaphysik der Substanz. Bei ›Männern‹ wie ›Frauen‹ tendiert diese Behauptung dazu, den Begriff der Geschlechtsidentität dem der Identität unterzuordnen, und verleitet so zu der Schlußfolgerung, daß eine Person eine Geschlechtsidentität (gender) – Mann oder Frau – ist, und zwar kraft ihres anatomischen Geschlechts (sex), ihres psychischen Selbstgefühls und den verschiedenen Äußerungen dieses psychischen Selbst, deren hervorstechendste das sexuelle Begehren ist.« (Butler 1991: 44) Interessant ist daran, dass nach Butler nun umgekehrt die Geschlechtsidentität als der personalen Identität – und damit das Geschlechtssubjekt als dem Subjekt – vorgeschaltet zu betrachten ist. Als intelligible ›Person‹ – als diskursiv, rechtlich und gesellschaftlich anerkennbares Subjekt – könne der Einzelne nur erscheinen, wenn er eine eindeutige Geschlechtsidentität vorweise. »Denn es geht auch darum zu zeigen, wie gerade der Begriff des Subjekts, das nur durch seine Erscheinung als geschlechtlich bestimmtes intelligibel ist, jene Möglichkeiten zuläßt, die durch die verschiedenen Verdinglichungen der Geschlechtsidentität, die die kontingenten GeschlechterOntologien begründet haben, gewaltsam verhindert worden sind.« (Ebd.: 61) Butler geht also davon aus, dass Subjektsein bedeutet, sich als Geschlechtssubjekt eindeutig ›ausweisen‹ zu können – eindeutig wird es, wenn es gemäß des Funktionsmechanismus gender als Subjekt mit einer einheitlichen Geschlechtsidentität männlich oder weiblich erscheinen kann.
5.2.2
Die heteronormative Matrix und Performativität
Doch wie drückt sich nach Butler diese eindeutige Geschlechtsidentität aus und was passiert mit den Subjekten, die eine solche nicht vorweisen können? Wie bereits dargestellt, geht sie davon aus, dass die Geschlechtsidentität der personalen Identität vorgeschaltet ist, da ihr zufolge die Subjekte nur intelligibel werden, wenn sie als vergeschlechtlichte Subjekte lesbar sind (vgl. ebd.: 37). Nach Butler ist die Identität bzw. die Geschlechtsidentität aber kein Merkmal einer Person (dies wäre die Logik der Metaphysik der Substanz), sondern
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
ein normatives Ideal der sprachlich-kulturellen Ordnung. Die hegemoniale diskursive Ordnung ist nach Butler als heteronormative Matrix strukturiert, d.h. sie setzt sowohl die Zweigeschlechtlichkeit als auch die Heterosexualität als Norm voraus. Um als Subjekt intelligibel zu sein, müsse man also sowohl eine Identität – männlich oder weiblich – haben, die sich vom biologischen Geschlecht ableiten lasse, als auch eine Begehrensstruktur entwickeln, die sich auf den jeweiligen Gegenpart beziehe und damit heterosexuell sei. »›Intelligible‹ Geschlechtsidentitäten sind solche, die in bestimmtem Sinne Beziehungen der Kohärenz und Kontinuität zwischen dem anatomischen Geschlecht (sex), der Geschlechtsidentität (gender), der sexuellen Praxis und dem Begehren [desire; C.F.] stiften und aufrechterhalten.« (Ebd.: 38) Eine eindeutige (d.h. männliche oder weibliche) Geschlechtsidentität zu erlangen, setzt Butler zufolge also voraus, dass diese erstens dem biologischen Geschlecht entspreche (Identifikation) und zweitens über ein heterosexuelles Begehren bestätigt werde. Das heterosexuelle Begehren (desire) bürge nach Butler wiederum für die Einheit zwischen sex und gender. »Die Geschlechtsidentität kann nur dann für eine Einheit der Erfahrung bzw. eine Einheit von anatomischen Geschlecht (sex), Geschlechtsidentität (gender) und Begehren stehen, wenn der Begriff ›Geschlecht‹ so verstanden werden kann, daß er in bestimmtem Sinne sowohl die Geschlechtsidentität – als psychische und/oder kulturelle Bezeichnung des Selbst – wie auch das Begehren – als heterosexuell bestimmtes, das sich durch ein gegensätzliches Verhältnis zum anderen Geschlecht, das es begehrt, differenziert – notwendig macht.« (Ebd.: 45) Denn eindeutig weiblich werde, wer sowohl einen ›biologisch-weiblichen‹ Körper habe, der der ›weiblichen‹ Identität entspreche, als auch ein heterosexuelles Begehren, welches über den Gegensatz dafür bürge, dass man ›nichtmännlich‹ sei. Diese Trias zwischen sex (geschlechtlicher Körper), gender (Geschlechtsidentität) und desire (Begehren des Anderen), die als gegenseitige Stütze wirke, wird von Butler als Funktionsmechanismus der heterosexuellen Matrix bezeichnet. Diese Matrix mit den Merkmalen der Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität stellt nach Butler die hegemoniale kulturelle Ordnung dar, anhand derer die Subjekte geformt werden und sich ausrichten müssen. Butler kritisiert diese Ordnung nicht nur, weil sie als Zwangssystem funktioniere, sondern auch, weil die Konstitution einer eindeutigen (Geschlechts-)Identität im oben genannten Sinne immer mit einem Ausschluss
5. Subjektivierung bei Judith Butler
des ›Uneindeutigen‹ einhergehe. Alle anderen ›Identitäten‹, Körper, Begehren, Seinsweisen, d.h. Transsexualität, Intersexualität, Homosexualität und andere queere Identitäten und Sexualitäten werden konstitutiv ausgeschlossen. Ihr Ausschluss bürgt für die Eindeutigkeit der Geschlechtsidentität und die Intelligibilität von Subjekten. Für die einzelnen Subjekte bedeutet dies, dass, sobald sie von dem System der Trias abweichen, beispielsweise ein homosexuelles anstatt ein heterosexuelles Begehren haben, ihr Status als ›Person‹ in Gefahr steht (vgl. ebd.: 38). »Die heterosexuelle Fixierung des Begehrens erfordert und instituiert die Produktion von diskreten, asymmetrischen Gegensätzen zwischen ›weiblich‹ und ›männlich‹, die als expressive Attribute des biologischen ›Männchen‹ (male) und ›Weibchen‹ (female) verstanden werden. Die kulturelle Matrix, durch die die geschlechtlich bestimmte Identität (gender identity) intelligibel wird, schließt die ›Existenz‹ bestimmter ›Identitäten‹ aus, nämlich genau jene, in denen sich die Geschlechtsidentität (gender) nicht vom anatomischen Geschlecht (sex) herleitet und in denen die Praktiken des Begehrens weder aus dem Geschlecht noch aus der Geschlechtsidentität ›folgen‹.« (Ebd.: 38f.) Doch wie erfolgt nach Butler dieser Prozess der Subjektivierung und geschlechtlichen Identifikation? Wenn es ein Zwangssystem ist, wie lassen sich dann Abweichungen erklären? Welchen Status haben nach Butler Menschen in dieser Ordnung, wenn sie ›ausgeschlossen‹ sind? Butler konzipiert ihren Begriff der heterosexuellen Matrix in kritischer Anlehnung an Luce Irigaray, Monique Wittig und Michel Foucault. Nach Irigarys Konzept des Phallogozentrismus gebe es eine hegemoniale männliche Bedeutungsökonomie, innerhalb derer die ›Frau‹ nur als Differenz des ›Anderen‹, d.h. des ›Mannes‹ bzw. ›Männlichen‹ gelte, so dass sie als Geschlechtswesen weder ›markiert‹ sei noch eine eigene Sprache besitzen könne. Sie sei nur als Geschlecht, das nicht eins ist, intelligibel. Frausein oder Weiblichsein sei innerhalb dieses Raumes in einem konstitutiven Außen und nicht ›repräsentierbar‹. Auch wenn Wittig genau die umgekehrte These vertrete, dass innerhalb der männlichen Bedeutungsökonomie nur die Frau als Geschlecht gelte, gehe auch sie davon aus, dass der Mann die Vernunft und Universalität vertrete und die Frau als das ›Andere‹ des Mannes keine Sprechposition einnehmen könne und dieses System durch die Zwangsheterosexualität gestützt werde. Wittig zufolge müsse deshalb die Kategorie Geschlecht (sex) zerstört werden, da sie die Frau vom Status des universalen Subjekts ausschließe (vgl. ebd.: 42).
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Foucault gehe wiederum davon aus, dass die Kategorie des Geschlechts (sex), sowohl in seiner männlichen als auch seiner weiblichen Form, als Produkt eines diskursiven Regulierungsverfahrens begriffen werden müsse (vgl. ebd.: 40). Butler übernimmt von Irigary die Vorstellung eines Diskurssystems, das innerhalb des Systems einen Mechanismus der Stütze von Gegensätzen etabliere und unter dem Mantel der Kohärenz alles davon abweichende ausschließe; von Wittig übernimmt Butler den Begriff der Zwangsheterosexualität, die Vorstellung, dass es innerhalb des Diskurses eine hegemoniale Subjektposition gebe (bei Butler nicht der Mann, sondern das heterosexuelle und mit einer eindeutigen Geschlechtsidentität ausgestattete Subjekt), und die These, dass die Bezeichenbarkeit innerhalb des Diskurses eine Geschlechtsidentität voraussetze. Mit Foucault geht sie wiederum davon aus, dass der Sex, in Butlers Begrifflichkeit also das biologische Geschlecht, als Effekt eines diskursiven Regulierungsverfahrens begriffen werden müsse (vgl. ebd.: 42, 47). Dennoch grenzt sie sich in bestimmten Punkten von den Theoretiker*innen ab. An Wittigs Konzept kritisiert sie, dass diese weiterhin an der Vorstellung einer universalen (d.h. autonomen) Subjektform festhalte, welche nun von der (lesbischen) Frau eingenommen werden solle. In ähnlicher Weise kritisiert sie Irigarays Konzept, welches Butler zufolge eine Art epistemologischen Imperialismus nahelege, da Irigaray die männliche Bedeutungsökonomie als hegemoniales und (unausweichliches) Gesetz beschreibe, ohne kulturelle und geschichtliche Zusammenhänge zu berücksichtigen (vgl. ebd.: 32). Irigarays möglicher Ausweg sei nicht weniger problematisch, da er impliziere, dass es eine ursprüngliche und weibliche ›Natur‹ gebe, die als eigene ›weibliche‹ Bedeutungsökonomie zum Vorschein gebracht werden könne (vgl. ebd.: 56). Auch wenn Butler sich durchweg positiv auf Foucault bezieht, da er in Sexualität und Wahrheit 1 den Funktionsmechanismus der produktiven Hervorbringung herausgearbeitet habe, kritisiert sie, dass bei ihm implizit die Vorstellung eines sexuellen Seins jenseits von gesellschaftlichen Regulationsverfahren enthalten sei. »Da Foucault der Ansicht ist, daß die Kategorie ›Sexus‹ Körperfunktionen und -bedeutungen vereinigt, die nicht unbedingt miteinander in Beziehung stehen, wird das Verschwinden dieser Kategorie, nach seiner Voraussage, zu einer fröhlichen Streuung dieser verschiedenen Funktionen, Bedeutungen, Organe, somatischen und physiologischen Prozesse sowie zu einer Vermehrung der Lüste außerhalb jenes Rahmens der Intelligibilität führen, den die
5. Subjektivierung bei Judith Butler
eindeutig bestimmten Geschlechter in einer binären Beziehung durchsetzen.« (Ebd.: 145; vgl. ebd.: 55; vgl. Butler 1989; 1999) Dennoch geht Butler in Anschluss an Foucault davon aus, dass der Sexus bzw. das biologische Geschlecht (sex) als Effekt eines Regulierungsverfahrens zu begreifen ist.6 »Doch wenn diese Substanzen [des Sexus/Geschlechts; C.F.] nichts anderes als die Kohärenzen sind, die in kontingenter Form durch die Regulierung der Attribute [gender; C.F.] erzeugt werden, dann erweist sich die Ontologie der Substanzen selbst möglicherweise nicht nur als künstlicher Effekt, sondern im Grunde als überflüssig.« (Ebd.: 49) Die Geschlechtsidentität (gender) darf nach Butler nicht als expressiver Ausdruck des geschlechtlich bestimmten Subjekts (des Subjekts einer gender iden-
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An dieser Stelle kommen die Übersetzungsschwierigkeiten zum Tragen. Im französischen Original von La volonté de savoir verwendet Foucault den Begriff ›le sexe‹, der in der deutschen Version (1977; hier 1983) unter Anmerkung der Übersetzer Raulff und Seitter mit ›der Sex‹ übersetzt wurde und dort weder das biologische Geschlecht, noch den Sexualakt meint. In der englischen Übersetzung Foucaults History of Sexuality 1 wird hingegen der Begriff ›sex‹ verwendet, den auch Butler im englischen Original von Gender Trouble sowohl in ihren Foucault-Zitaten als auch in ihrer eigenen Theorie, die sich auf das (biologische) Geschlecht bezieht, verwendet. In der deutschen Übersetzung von Gender Trouble wurde jedoch von der Übersetzerin Kathrina Menke in den Foucault-Zitaten und Butlers Verweisen auf Foucault der Begriff ›Sexus‹ im Gegensatz zu Butlers ›sex‹ verwendet, um darauf hinzuweisen, dass Foucault anders als Butler nicht auf das (biologische) Geschlecht verweise (vgl. Butler 1991: 15; Anmerkung der Übersetzerin). Die Argumentation der Übersetzerin in Das Unbehagen der Geschlechter für die Begriffsdifferenz ist zwar überzeugend, verschleiert aber, dass Butler Foucault heranzieht, um analog aufzuzeigen, dass auch das (biologische) Geschlecht sex als Effekt einer diskursiven Regulation begriffen werden kann. Dies ist auch plausibel, da Foucault in seinem Text zum ›Hermaphroditen‹ Herculin Barbin selbst die diskursive Hervorbringung des Begriffs von einem ›wahren Geschlecht‹, welches für die binäre Eindeutigkeit stehen soll, thematisiert. Foucault zeigt jedoch im Gegensatz zu Butler auf, wie dieser Diskurs sich historisch entwickelt hat: »Die Vorstellung, wonach jeder Mensch einem bestimmten Geschlecht angehört, ist erst im 18. Jahrhundert von Ärzten und Juristen formuliert worden. […] In der modernen Zivilisation verlangt man eine rigorose Übereinstimmung zwischen anatomischem, juristischem und sozialem Geschlecht. Alle drei müssen zusammenfallen und uns eindeutig einer der beiden großen Gruppen der Gesellschaft zuordnen. Vor dem 18. Jahrhundert gab es dagegen ein relativ breites Übergangsspektrum.« (Foucault 2003b: 783; vgl. Foucault 1998: 7-9)
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
tity) verstanden, sondern die Identität müsse als Effekt eines ›Tuns‹ begriffen werden (vgl. ebd.: 207). »In diesem Sinne ist die Geschlechtsidentität (gender) weder ein Substantiv noch eine Sammlung freischwebender Attribute. Denn wie wir gesehen haben, wird der substantivische Effekt der Geschlechter-Kohärenz (gender coherence) performativ hervorgebracht und erzwungen. Innerhalb des überlieferten Diskurses der Metaphysik der Substanz erweist sich also die Geschlechtsidentität als performativ, d.h., sie selbst konstituiert die Identität, die sie angeblich ist. In diesem Sinne ist die Geschlechtsidentität ein Tun, wenn auch nicht das Tun eines Subjekts, von dem sich sagen ließe, daß es der Tat vorangeht. […] Hinter den Äußerungen der Geschlechtsidentität (gender) liegt keine geschlechtlich bestimmte Identität (gender identity). Vielmehr wird diese Identität gerade performativ durch diese ›Äußerungen‹ konstituiert, die angeblich ihr Resultat sind.« (Ebd.: 49) Mit Butler kann man sich die sprachlich-kulturelle Ordnung (›den Diskurs‹) als Ordnung vorstellen, die normative Ideale enthält, an denen die Subjekte performativ ausgerichtet und gebildet werden. Butler verwendet den Begriff der Performativität in Anlehnung an John L. Austins Sprachphilosophie. Als performative Sprechakte werden bei Austin solche bezeichnet, die nicht deskriptiv bleiben, sondern die das, was sie bezeichnen, zugleich hervorbringen bzw. ›tun‹ (»Hiermit erkläre ich sie zu Mann und Frau«). Butlers Begriff bezieht sich meines Erachtens jedoch nicht hauptsächlich auf Sprechakte, sondern sie verweist auf den Funktionsmechanismus der Performativität und damit auch auf ›Taten‹, in denen die normativen Ideale der sprachlich-kulturellen Ordnung ›zitiert‹ werden, so dass zugleich die ›Aussagen‹ der Ideale umgesetzt und (re-)produziert werden. Über Butlers Verwendung des Begriffs der Performativität kann verdeutlicht werden, dass die diskursive Hervorbringung der Subjekte kein rein sprachlicher Prozess (im Sinne des gesprochenen und geschriebenen Wortes) ist, sondern die diskursive Ordnung lässt sich vielmehr als eine Art Metaordnung begreifen, welche die ungeordneten Dinge der Welt auf spezifische Weise so anordnet und reguliert, dass sie als sinnhafte und erkennbare Objekte erfahrbar werden (vgl. Villa 2003: 20-25). Die diskursive Hervorbringung und Produktion ist damit untrennbar mit gesellschaftlichen Praktiken verknüpft – sei es die Praxis des Denkens, des Wahrnehmens, des Sprechens, des Schreibens oder des Handelns. In diesem Sinne kann man auch mit Butler davon ausgehen, dass in Diskursen Macht realisiert wird.
5. Subjektivierung bei Judith Butler
In Anschluss an Foucaults weiten und nicht substanziellen Machtbegriff bedeutet dies, dass über die diskursiven Ordnungen reguliert wird, welche Handlungen wahrscheinlicher, welche Wahrnehmungen evoziert oder auch welche Körper und Lebensweisen ermöglicht und welche verunmöglicht werden. In diesem Sinne ist auch der Subjektivierungsprozess nach Butler als performativer gedacht. Beispielsweise ist es üblich, dass man qua Geburt einem Geschlecht (männlich/weiblich) zugeordnet wird. Butler sieht diese Zuordnung als Voraussetzung dafür, als intelligibles Subjekt anerkannt werden zu können. Die performative Aussage »Es ist ein Mädchen/Junge!« müsse dabei nicht tatsächlich ausgesprochen werden, um als Norm der Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität den Subjektivierungsprozess zu prägen. In den unterschiedlichsten Ritualen, Praktiken und Handlungen werde die Aussage »Es ist ein Mädchen/Junge!« immer wieder ›zitiert‹, so dass die ›Bedeutung‹ der Aussage über das ›Tun‹ überhaupt erst realisiert und wirkmächtig werde. Nach Butler kann die performative Aussage (Aussage und Setzung) erst eine performative Kraft entwickeln (d.h. sich realisieren), wenn der Inhalt dieser Aussage, die Bedeutung, immer wieder ›zitierend‹ eingesetzt wird. »Als substantivische Identität zu gelten ist zudem eine mühsame Aufgabe, da diese Erscheinungen durch ein Regelsystem erzeugte Identitäten sind. Das heißt: Sie beruhen auf der ständigen und wiederholten Aufrufung der Regeln, die die kulturell intelligiblen Verfahren der Identität bedingen und einschränken.« (Butler 1991: 212; Herv. C.F.) Vereinfacht gesagt realisiert sich die performative Bedeutung also erst, wenn beispielsweise die ›weiblichen‹ Subjekte nach den kulturellen Regeln des ›Mädchen/Frau-Seins‹ auftreten und sich darüber hinaus mit dem ›Mädchen/Frau-Sein‹ identifizieren und ein heterosexuelles Begehren nach dem männlichen Subjekt ausbilden. Butlers Begriff der Performativität ermöglicht es, eine konstitutive Verschränkung zwischen der diskursiven und der materiellen Ebene zu denken. Durch die performative Wiederholung der Normen durch Subjekte werde zugleich der Körper des Subjekts gebildet – es entstünden eine Körpermorphologie, Körperumrisse und -bilder sowie die Körperwahrnehmung. »Vielmehr ist die Geschlechtsidentität die wiederholte Stilisierung des Körpers, ein Ensemble von Akten, die innerhalb eines äußerst rigiden regulierenden Rahmens wiederholt werden, dann mit der Zeit erstarren und so den
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
Schein der Substanz bzw. eines natürlichen Schicksals des Seienden hervorbringen.« (Ebd.: 60) Die Annahme, dass Körper durch Diskurse und performative Sprechakte konfiguriert werden, bedeutet jedoch nicht, dass nach Butler Körper als materielle Realitäten als vollständig auf Diskurse zurückführbare zu verstehen sind; sondern lediglich, dass es kein von der symbolischen Ordnung unberührten körperlichen Materialitätsbezug geben könne. Butler sieht aber nun in der performativen Zitation und der Notwendigkeit der Wiederholung zugleich die Möglichkeit, die normativen Ideale immer wieder anders zu wiederholen – entweder weil sie nie vollständig imitiert werden können und die einzelnen ›Taten‹ in der Wiederholung abweichen oder weil die ›Taten‹ in einen anderen Kontext gesetzt werden und so ihre Bedeutung verschoben werden können. Die Identifizierung ist gemäß Butler als ambivalente zu denken; denn zum einen werde das Subjekt durch diese intelligibel und somit in Hinblick auf die hegemoniale Ordnung ermächtigt, darin liegt zugleich die Möglichkeit der Subversion; zum anderen werde es aber auch auf diese hin eingeschränkt. »Das Subjekt wird von den Regeln, durch die es erzeugt wird, nicht determiniert, weil die Bezeichnung kein fundierender Akt, sondern eher ein regulierter Wiederholungsprozeß ist, der sich gerade durch die Produktion substantialisierter Effekte verschleiert und zugleich seine Regeln aufzwingt. In bestimmter Hinsicht steht jede Bezeichnung im Horizont des Wiederholungszwangs; daher ist die ›Handlungsmöglichkeit‹ in der Möglichkeit anzusiedeln, diese Wiederholung zu variieren. Wenn die Regeln, die die Bezeichnung anleiten, nicht nur einschränkend wirken, sondern die Behauptung alternativer Gebiete kultureller Intelligibilität ermöglichen, d.h. neue Möglichkeiten für die Geschlechtsidentität eröffnen, die den starren Codes der hierarchischen Binarität widersprechen, ist eine Subversion der Identität nur innerhalb der Verfahren repetitiver Bezeichnung möglich.« (Ebd.: 213)
5.3
Subjektivierung und Materialität
In Gender Trouble bleiben jedoch offene Fragen, die Butler erst in ihren Anschlusswerken ausreichend verhandeln wird: Insbesondere die Fragen nach dem Körper, dem Handlungsträger des performativen Aktes und der Form des Ausschlusses in der diskursiv-performativen Hervorbringung bleiben un-
5. Subjektivierung bei Judith Butler
terbelichtet. Diese Schwachstellen versucht Butler in Körper von Gewicht (dt. 1997) (Bodies that matter 1993) und Psyche der Macht (dt. 2001) (The Psychic Life of Power 1997) wieder aufzugreifen. In Körper von Gewicht beschäftigt sie sich hauptsächlich mit der Frage, wie man sich den materiellen Aspekt im performativen Prozess vorstellen kann. Wie erfolgt die Sedimentierung der performativen Akte, wie konstituiert sich der Körper in diesem Prozess und in welchem Sinne kann man von einem materiellen und leiblichen Körper sprechen, der in diesem performativen Prozess hergestellt wird; oder mit anderen Worten: wie wird über Diskurs Materie produziert? In Psyche der Macht hingegen diskutiert sie ausführlich die Frage, ob man überhaupt von einem ›Täter‹ bzw. Handlungsträger der performativen Akte ausgehen kann, wenn man die Vorstellung eines Subjekts ›vor dem Gesetz‹ ablehnt. Wenn es keinen ›Täter hinter der Tat‹ gibt, wie kann dann überhaupt gehandelt werden bzw. wie kann dann anders gehandelt werden, als es die normativen Ideale des Diskurses ›vorgeben‹? In beiden Werken spielt außerdem die Frage nach dem konstitutiven Außen eine zentrale Rolle. Zum einen stellt sie die Frage nach der Materie im Außen – sind Körper, die im konstitutiven Außen und nicht ›lesbar‹ sind, nicht auch Körper? Zum anderen wirft sie die Frage nach der Psyche im Subjektwerdungsprozess auf – findet der Ausschluss nicht nur gesellschaftlich statt, sondern auch im Subjektinneren, als Seinsweise, die vom Einzelnen nicht gelebt und gedacht werden kann? In Psyche der Macht wird Butler zeigen, dass der konstitutive Ausschluss bzw. die Verwerfung des Uneindeutigen auch als psychischer Mechanismus verstanden werden muss: Im individuellen Subjektwerdungsprozess finde auch im Subjekt selbst eine Verdrängung und Verwerfung statt, die das Unbewusste konstituiere.7
5.3.1
Materialität
Körper von Gewicht ist im Original 1993 und auf Deutsch 1997 erschienen; der Originaltitel Bodies that matter gibt der Leser*innenschaft bereits Aufschluss
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An anderer Stelle spezifiziert Butler ihre Verwendung des Begriffs des Unbewussten: »Das Unbewusste ist kein Topos, in dem dieses ›zu viel‹ deponiert würde. Das Unbewusste wird als psychisches Erfordernis des Überlebens und der Individuation gebildet, als Art und Weise, mit diesem Überschuss fertig zu werden (oder auch nicht fertig zu werden), und in diesem Sinne wird es als das fortdauernde und undurchschaubare Leben dieses Überschusses gebildet.« (Butler 2007: 75)
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
über die dort verhandelte Thematik: Der Begriff ›matter‹ kann doppeldeutig verstanden werden, denn zum einen kann ›matter‹ die Materie bezeichnen; also Körper, die ›materiell‹ beschaffen sind, und zum anderen kann ›matter‹ im Zusammenhang von Bodies that matter auch so viel heißen, wie Körper die ›Gewicht‹ haben, also Körper, die als solche zählen, weil sie in der Ordnung des Bestehenden als anerkannte und intelligible gelten. Butler verbindet im Titel also diese zwei Bedeutungen: Körper, die intelligibel oder anerkannt werden, sind Körper, die ›materialisiert‹ werden, Körper, die Gewicht annehmen. In der deutschen Ausgabe von Körper von Gewicht stellt Butler ein dem originalen vorausgehendes Vorwort voran, das Butler eigens für die deutsche Leser*innenschaft geschrieben hat. Sie verweist in diesem explizit auf die deutsche Rezeption von Gender Trouble, die Butler zufolge im Deutschland der 1990er Jahre wesentlich harscher und kritischer geführt wurde als im englischsprachigen Raum.8 Sie reagiert hier insbesondere auf den Vorwurf, dass man, wenn man sex als ›Konstruktion‹ begreife, so zugleich nicht mehr vom Körper sprechen könne und der feministischen Politik so den ›Körper‹ entziehe (vgl. Butler 1997: 10f.; vgl. Lorey 1993; 2017: 33ff.; vgl. Duden 1993). Außerdem weist sie die Kritik an ihrem Begriff der Performanz zurück, der der Kritik zufolge nahelege, dass einzelne Subjekte sich intentional und jeden Morgen neu für eine andere Geschlechtsidentität entscheiden könnten.9 Butler begegnet den Vorwürfen, indem sie versucht, aufzuzeigen, dass sowohl der Konstruktions- als auch der Performativitätsprozess nicht als intentionaler oder vereinzelter Akt verstanden werden dürfe, sondern vielmehr als ein notwendiger Zwangsprozess. »Anders gesagt, das ›biologische Geschlecht‹ ist ein ideales Konstrukt, das mit der Zeit zwangsweise materialisiert wird. Es ist nicht eine schlichte Tatsache oder ein statischer Zustand eines Körpers, sondern ein Prozeß, bei dem regulierende Normen das ›biologische Geschlecht‹ materialisieren und diese Materialisierung durch eine erzwungene ständige Wiederholung jener Normen erzielen.« (Butler 1997: 21)
8 9
Vgl. hierzu beispielhaft die Ausgabe der Zeitschrift Feministische Studien 11(2) von 1993. »Denn wenn ich argumentierte, daß die Geschlechtsidentitäten performativ sind, konnte das heißen, ich stellte mir das so vor, daß jemand morgens erwache, den Schrank [closet] oder einen etwas offeneren Raum auf eine Geschlechtsidentität eigener Wahl hin durchsehe, dann diese Geschlechtsidentität für den Tag anlege und die Einkleidung abends wieder an ihren Platz zurücklege.« (Butler 1997: 14)
5. Subjektivierung bei Judith Butler
Gemäß ihrer Argumentation in Gender Trouble habe das Subjekt, um intelligibel zu werden, keine andere Wahl, als männlich bzw. weiblich zu werden, und dieser Prozess finde spätestens mit der Geburt immer schon statt, da das einzelne Subjekt notwendigerweise auf die Geschlechterordnung bezogen werde (vgl. ebd.: 16, 22) Interessant ist nun, dass Butler zwei Aspekte in dieser Hervorbringung betont: Erstens ist die diskursiv-performative Hervorbringung immer auch ein Prozess der ›Materialisierung‹; zweitens findet ein Ausschluss statt, der konstitutiv ist, da sich die Einheit erst über eine Verwerfung (abject) begreifen lasse. »Diese Matrix mit Ausschlußcharakter, durch die Subjekte gebildet werden, verlangt somit gleichzeitig, einen Bereich verworfener Wesen hervorzubringen, die noch nicht ›Subjekte‹ sind, sondern das konstitutive Außen zum Bereich des Subjekts abgeben. Das Verworfene [the abject] bezeichnet hier genau jene ›nicht lebbaren‹ und ›unbewohnbaren‹ Zonen des sozialen Lebens, die dennoch dicht bevölkert sind von denjenigen, die nicht den Status des Subjekts genießen, deren Leben im Zeichen des ›Nicht-Lebbaren‹ jedoch benötigt wird, um den Bereich des Subjekts einzugrenzen.« (Ebd.: 23) Zusammenfassend kann man über Butlers Performativitätsbegriff sagen, dass erstens die performativen Handlungen keine intentionalen und willkürlichen Entscheidungen Einzelner sind, sondern bewusste und unbewusste Praktiken, denen sich kein Subjekt entziehen kann (s. Geburtsszene); zweitens die wiederholenden ›Zitationen‹ der normativen Ideale Veränderungs- und Transformationsprozesse miteinschließen, und drittens der Identifikationsprozess mit einem Ausschluss einhergeht. Man kann deshalb behaupten, dass für Butler Materialisierung nichts anderes ist als der Prozess der Erlangung von Intelligibilität in der heteronormativen Matrix. Dieser Prozess ist nach Butler die performative Umsetzung der diskursiven Ordnung. Sie betont jedoch, dass die Subjekte in ihrer performativen Tat nicht vereinzelt und intentional agieren können. Wie bereits in Gender Trouble deutlich wurde, müssen die Subjekte immer in Bezug auf bzw. innerhalb der heteronormativen Matrix ›handeln‹. Materialisierung oder Materie ist bei Butler nicht als substanzielle zu verstehen, sondern meint den Prozess der Realisierung oder Erlangung von Bedeutung und Wirkmächtigkeit – mit anderen Worten: Intelligibilität. Dies heißt aber nicht, dass nach Butler körperlich-materiell verstandene Eigenschaften des Menschen, wie etwa Schmerzen oder physiologische Merkmale wie Genitalien, diskursiv ins Leben gesprochen werden, sondern dass diese nur vor dem Hintergrund der
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
heteronormativen Matrix denkbar, darstellbar und erfahrbar sind (vgl. ebd.: 15; kritisch: Nussbaum 1999). Dennoch könnte man mit Butler auch auf die tatsächliche Formung der Materie in kulturellen Praktiken verweisen, denn wenn beispielsweise ›Männer‹ oder ›Frauen‹ ins Fitnessstudio gehen, können sie ihre Körper auch nach der diskursiv genormten Zweigeschlechtlichkeit und damit ihre körperliche ›Materie‹ formen, sowohl an diese Norm anpassend als auch umformend.10
5.3.2
Das konstitutive Außen
So wird auch verständlicher, wie Butler den Bereich des konstitutiven Außen denkt. So sind beispielsweise auch intersexuelle Menschen in der heteronormativen Matrix Subjekte, da sie innerhalb dieser handeln, ihren Körper erfahren oder auch einen Rechtsstatus beanspruchen können. Dennoch sind sie es innerhalb dieser nicht als intersexuelle Subjekte, sondern nur wenn sie sich ›vereinheitlichen‹ und trotz ihrer intersexuellen Merkmale als entweder männliches oder weibliches Subjekt auftreten. Sie sind damit – ähnlich wie die ›Frau‹ in der phallogozentrischen Bedeutungsökonomie – zugleich im Innen und Außen. Butler versucht sichtbar werden zu lassen, dass die Subjekte im Außen keine eigene ›Sprache‹ haben. Das heißt, sie werden von den anderen Subjekten in ihrer ›Uneindeutigkeit‹ nicht anerkannt, und sie können auch ihre eigene Erfahrung und Wahrnehmung immer nur in der ›Sprache‹ der Binarität ausdrücken und keine eigene Sprache entwickeln.11 Butlers politisches Ziel besteht also darin, aufzuzeigen, mit welchen Ausschlüssen die Konstitution einer einheitlichen Subjektform und Identität einhergeht, um andere Lebensweisen und -erfahrungen als die bisherigen sichtbar und anerkennbar werden zu lassen.
10
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So wird beispielsweise in einer TV-Reportage ein junger Mann porträtiert, der mit intersexuellen Geschlechtsmerkmalen geboren wurde und auf Empfehlung der Ärzt*innen operativ zum Mädchen ›gemacht‹ und als solches aufgezogen werden sollte. Der junge Mann identifizierte sich jedoch trotz operativer Maßnahmen und weiblicher Sozialisation (später) selbst als Mann. Über das Training im Fitnessstudio versucht er deshalb seinen Körper so zu trainieren, dass er auch von außen als eindeutig männlich wahrnehmbar ist. (s. WDR-Doku 2018) Zu den Schwierigkeiten von intersexuellen Menschen, in der Welt der Geschlechterbinarität eine eigene Sprache und Selbstverortung zu finden, siehe auch die Studie von Kaszta/Reutlinger (2018).
5. Subjektivierung bei Judith Butler
»Wir sollten uns jedoch daran erinnern, daß Körper außerhalb der Norm noch immer Körper sind, und für sie und in ihrem Namen suchen wir ein erweiterungsfähiges und mitfühlendes Vokabular der Anerkennung. […] [D]ieses ›Infragestellen‹ [der biologischen Basis kann; C.F.] durchaus ein Weg zu einer Rückkehr zum Körper sein […], dem Körper als einem gelebten Ort der Möglichkeit, dem Körper als einem Ort für eine Reihe sich kulturell erweiternder Möglichkeiten.« (Ebd.: 10f.; Herv. im Orig.) Problematisch bleibt aber, dass Butler mit ihrer Begrifflichkeit nicht aufzeigen kann, wie die diskursive Intelligibilität durch die körperlich-substanzielle Materialität geprägt wird. So legt sie nicht genügend Gewicht darauf, dass auch Subjekte in der heteronormativen Ordnung mit körperlichen Erfahrungen konfrontiert sein können, die nicht schon diskursiv oder eben nicht eindeutig diskursiv gerahmt sind. Auch wenn sie diese Irritationsmomente nicht verneinen würde, so schenkt sie diesen nicht genügend Beachtung. Meines Erachtens steht gerade im Bereich der Sexualität und Geschlechtsidentitäten die körperlich substanzielle Erfahrung der Subjekte und der mögliche Konflikt zur gesellschaftlich-diskursiven Besetzung dieser Erfahrung im Vordergrund. So können beispielsweise Mütter, die die Erfahrung des Geburtsschmerzes gemacht haben, die diskursive Rahmung, die den Schmerz als Teil der natürlichen Erfahrung des Mutterwerdens affirmiert, aufgrund der eigenen als traumatisch empfundenen Erfahrung hinterfragen; oder Kinder, die in einem streng religiösen Umfeld aufwachsen, in der die Masturbation ein Tabu oder ein verbotener und sündiger Akt ist, dieses Tabu oder Verbot dennoch über die körperliche Lusterfahrung auch als widersprüchlich zur eigenen Lustempfindung stehend wahrnehmen und so potentiell hinterfragen. Es ist zwar sicher richtig, dass die Subjekte ihre Körpererfahrung dann wieder in eine gesellschaftliche und diskursive Form bringen müssen, jedoch ist das Moment der körperlichen Erfahrung und Irritation nicht zu unterschätzen, da dieses auch den Ausschlag dafür geben kann, einen bestehenden diskursiven Rahmen zu hinterfragen und so widersprüchliche und gegensätzliche Diskurse und Intelligibilitätsmodelle zu ermöglichen.
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
5.4
Psychische Dimension der Subjektivierung – Scheitern als Grenze und Möglichkeit des Anders-Werdens
Butlers Werk Psyche der Macht kann als das Hauptwerk des Subjektivierungsbegriffs bezeichnet werden. So definiert Butler dort: »Der Ausdruck ›Subjektivation‹ birgt bereits das Paradox in sich: assujettissement bezeichnet sowohl das Werden des Subjekts wie den Prozeß der Unterwerfung – die Figur der Autonomie bewohnt man nur, indem man einer Macht unterworfen wird, eine Subjektivation, die eine radikale Abhängigkeit impliziert.« (Butler 2001: 81) Butler entwickelt den Begriff in Psyche der Macht in Anschluss an Hegels HerrKnecht-Dialektik und seines Begriffs des unglücklichen Bewusstseins, Nietzsches Begriff des schlechten Gewissens und Freuds Konzept der Melancholie sowie anhand Althussers Anrufungsbegriff und Foucaults Konzept der diskursiven Hervorbringung. Ins Zentrum ihrer Überlegungen zum Begriff der Subjektivierung stellt sie die Ambivalenz des Prozesses, als Subjekt durch Prozesse der Unterwerfung hervorgebracht zu werden, und die Figur einer reflexiven (Rück-)Wendung des Subjekts gegen sich selbst. Butler versucht, über ihren Begriff der Subjektivation aber auch auf die psychische Dimension in diesem Prozess zu verweisen, denn im Begriff des Subjekts werde der Unterwerfungs- und Abhängigkeitsaspekt verdrängt und verborgen, so dass das Subjekt als freies und autonomes zusammen mit einem Unbewussten entstehe (vgl. ebd.: 12). Butler grenzt sich durch die erneute Betonung der psychischen Dimension in der Subjektwerdung von Foucaults antipsychologischen Dogma ab und knüpft hingegen über den Miteinbezug des Imaginären wieder stärker an Althussers beschriebenen Funktionsmechanismus der Subjektivierung an. Während für Foucault die Psychologie und auch Strömungen der Psychoanalyse als Teil eines Macht-Wissens-Komplexes betrachtet werden müssen, deren Funktionsmechanismus zur produktiven Unterwerfung des Subjekts führe, sieht Butler die Psychoanalyse als Wissenschaft, die erklären könne, warum das Subjekt in der produktiven Unterwerfung nicht vollkommen erfasst werde und wieso Subjektwerdung auch scheitern könne. Unter dieser Perspektive werde sichtbar, dass Subjektwerdung mit einem nicht zu erfassenden Überschuss und Rest einhergehe. Für Butler bedeutet ambivalente Subjektivierung – ähnlich wie für Althusser –, dass das (autonome) Subjekt immer als Subjekt mit einem Unbe-
5. Subjektivierung bei Judith Butler
wussten hervorgebracht werde. Auch wenn Butler den Subjektivierungsprozess als einen Prozess der Unterwerfung durch Macht begreift, versucht sie – anders als Althusser –, über die Frage nach dem psychischen Mechanismus in der Unterwerfung die Psyche explizit als Instanz miteinzubeziehen, über die das Subjekt nicht nur als beherrschtes, sondern als aktives und formierendes begriffen werden könne. »Subjektivation ist eine Art von Macht, die nicht nur einseitig beherrschend auf ein gegebenes Individuum einwirkt, sondern das Subjekt auch aktiviert oder formt.« (Ebd.: 82) Die »kritische[.] Analyse der Subjektivation« (ebd.: 33) erfordere, so Butler, ein Vokabular, das sowohl erklären könne, wieso die Subjekte ihre eigene Unterwerfung begehren, als auch das permanente Scheitern im Subjektivierungsprozess und die damit einhergehende Möglichkeit, sich gegen seine eigenen Konstitutionsbedingungen zu wenden. In Butlers Worten benötige die Analyse also »(1) eine Darstellung der Art und Weise, wie die reglementierende Macht Subjekte in Unterordnung hält, indem sie das Verlangen nach Kontinuität, Sichtbarkeit und Raum erzeugt und sich zunutze macht; (2) die Einsicht, daß das als kontinuierlich, sichtbar und lokalisiert hervorgebrachte Subjekt nichtsdestoweniger von einem nicht anzueignenden Rest heimgesucht wird, einer Melancholie, die die Grenzen der Subjektivation markiert; (3) eine Erklärung der Iterabilität des Subjekts, die aufweist, wie die Handlungsfähigkeit sehr wohl darin bestehen kann, sich zu den gesellschaftlichen Bedingungen, die sie erst hervorbringen, in Opposition zu setzen und sie zu verändern.« (Ebd.: 32f.) Ausgehend von der These, dass das Subjekt in einer ambivalenten Bewegung hervorgebracht wird, versucht Butler, der Frage nachzugehen, wie das Subjekt sich von den Bedingungen seiner Hervorbringung lösen bzw. oppositionell zu diesen handeln kann (vgl. ebd.: 15). Diese Problemstellung verschärft sich noch, da Butler die Vorstellung einer Gründungsunterwerfung und die Vorstellung eines Subjekts ›vor dem Gesetz‹ (bzw. vor der diskursiven Macht) ablehnt. Butler beschreibt dies auch als »Paradox der Referentialität« (ebd.: 10) – der Bezug auf ein Subjekt, welches als solches erst erklärt werden soll – und verweist darauf, dass das Subjekt nicht mit dem ›Individuum‹ oder der ›Person‹ gleichgesetzt werden dürfe. Ihr zufolge könne es keinen ›Täter vor der Tat‹ geben, so dass das Subjekt vielmehr als »sprachliche Kategorie« (ebd.: 15) aufgefasst und damit als Ort in der diskursiven Ordnung, der von konkreten Individuen eingenommen werden müsse (vgl. ebd.). Jedoch sei es eben-
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so falsch, von Individuen zu sprechen, da diese, wie bereits in Gender Trouble dargestellt wurde, nur als intelligible und handlungsfähige auftreten können, wenn sie den Prozess der Subjektivierung durchlaufen haben (vgl. ebd.: 15.f). Die Form der Sprache und die Notwendigkeit, Rechenschaft über sich selbst abzulegen, erfordere es aber, von einem Subjekt zu sprechen, welches bereits ist, obwohl dessen Hervorbringung doch eigentlich erst zum Gegenstand der Erzählung und Erklärung werden soll. »Die Geschichte der Subjektivation ist notwendig zirkulär und setzt ebendas Subjekt schon voraus, das sie erst erklären will.« (Ebd.: 16) Um aus diesem Zirkel auszutreten, führt Butler nun die Figur der Wendung ein: »Die Macht als Bedingung des Subjekts ist notwendigerweise etwas anderes als die Macht, von der es heißt, das Subjekt übe sie aus.« (ebd.: 17) Das Subjekt konstituiere sich in einer prozesshaften und immer zu wiederholenden Rückwendung der Macht, in der das Subjekt sich gegen sich selbst wenden müsse – auch wenn es paradoxerweise vor der Wendung nicht existiere, sondern erst durch diesen Prozess hervorgebracht werde. Nun kann dies mit Butler zweifach verstanden werden: Erstens verweist sie im Anschluss an Gender Trouble auf den Aspekt der Wiederholung und Zitation (Iterabilität) hin (vgl. ebd.: 17). Die wiedereingesetzte Macht könne schon aufgrund der zeitlichen und kontextuellen Verschiebung nicht identisch mit der einsetzenden sein. Zweitens fügt sie nun aber hinzu, dass das Subjekt überhaupt erst durch eine »merkwürdige Wendung des Subjekts gegen sich selbst« (ebd. 23) entstehe, »wie wir sie in [den Konzepten von; C.F.] Selbstvorwurf, Gewissen und Melancholie« (ebd.) vorfinden könnten, die alle aus »Prozesse[n] sozialer Reglementierung« (ebd.) stammten. Bereits in Gender Trouble beschrieb Butler die diskursiv-performative Hervorbringung des Subjekts als Reglementierungsprozess, als performative Realisierung der sozialen Normen der heteronormativen Matrix. Butler fügt nun hinzu, dass das Subjekt die Normen nicht einfach verinnerliche, sondern dass das Subjekt, indem es die Normen des Außen übernimmt, sich gewissermaßen verdoppele und sich selbst zum Objekt mache, um sich an diesen Normen auszurichten. Dieser Prozess wird, wie schon in Gender Trouble, als Zwangsprozess beschrieben, da das Subjekt keine andere Wahl habe, als die Normen zu übernehmen, um in die Gesellschaft eintreten zu können, um eine soziale Existenz zu erlangen. Jedoch wird dieser Prozess nun als libidinöser beschrieben. Da das Subjekt nur durch die Übernahme der sozialen Normen und Kategorien ins Leben treten könne, besetze es diese konstitutive Abhängigkeit affektiv. Das Subjekt sei deshalb grundle-
5. Subjektivierung bei Judith Butler
gend durch eine leidenschaftliche Bindung an Abhängigkeit strukturiert – es begehre in diesem Sinne seine Unterwerfung.
5.4.1
Leidenschaftliche Bindung und Abhängigkeit
Wie lässt sich nach Butler diese leidenschaftliche Besetzung der Unterwerfung verstehen? Einerseits situiert sie diese Abhängigkeit sowohl entwicklungspsychologisch, und damit auf personaler Ebene, als Abhängigkeit von einem konkreten Anderen, andererseits auch gesellschaftlich als Abhängigkeit von diskursiv-symbolischen Ordnungen und Kategorien, die dem einzelnen Subjekt vorhergehen und die es sich nicht aussuchen kann. Butler geht davon aus, dass das Menschenkind über die Geburt durch eine ursprüngliche Abhängigkeit strukturiert sei. Um zu überleben, müsse das Kind seine ersten Bezugspersonen, meist die Mutter, lieben, um genährt und gepflegt zu werden (vgl. ebd.: 13). »[S]oll das Kind im sozialen und psychischen Sinn weiterleben, dann muß es Abhängigkeit und Bindungen geben; es gibt für das Kind gar keine andere Möglichkeit als zu lieben, wo Liebe und die Erfordernisse des Lebens selbst unlösbar miteinander verknüpft sind. Das Kind weiß nicht, woran es sich bindet, aber es muß sich binden, um überhaupt und um als es selbst weiterzuleben.« (Ebd.) Um sich im Laufe seiner Entwicklung als selbständiges ›Ich‹ zu erfahren, müsse das Kind diese Liebe und ursprüngliche Abhängigkeit also verleugnen und genau in dieser Verleugnung bewahre es die ›Spur‹ der Abhängigkeit, die das ›Ich‹ in seiner Autonomie bedrohen könne. Butler leitet aus diesem entwicklungspsychologischen Verlauf die grundlegende Struktur des Subjekts ab: Das Subjekt könne nur in einer grundlegenden Abhängigkeit vom Anderen hervorgebracht werden, diese Abhängigkeit müsse es jedoch, um als handlungsfähiges und autonomes auftreten zu können, verleugnen. Diese Verleugnung bewahre jedoch die Spur der Abhängigkeit, die damit zugleich die Autonomie bedrohe. In der Verleugnung der Abhängigkeit werde zugleich ein Ausschluss des Anderen vorgenommen, jedoch müsse das Subjekt, um zu sein, nun eine ambivalente Bewegung vornehmen. Zum einen müsse es den Anderen begehren, da es nur durch die Abhängigkeit hervorgebracht werden könne, zugleich müsse es sich gegen dieses Begehren und damit auch gegen sich selbst wenden, um weiter sein – d.h. autonom und für sich selbst sein – zu können. »Das bedeutet natürlich, daß es, gebun-
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
den an das, was es nicht wissen will, von sich selbst geschieden ist und nie ganz es selbst werden oder bleiben kann.« (Ebd.: 15) Diese Struktur überträgt Butler nun auf die Ebene der Gesellschaft als Prozess der sozialen Reglementierung anhand von gesellschaftlichen Normen, Gesetzen und Idealen. Butler betont auch hier den Zwang der sozialen Reglementierung im Prozess der Subjektivierung. In der Bildung des Selbstbewusstseins, der Bildung des Gewissens oder der Psyche müssen nach Butler die sozialen Normen oder die Gesetze nach innen genommen und zu eigenen gemacht werden. Dieser Prozess ist zwar ein Unterwerfungsprozess, jedoch kein repressiver, denn durch diesen werde zugleich die Begierde, zu begehren, d.h. in das gesellschaftliche Leben zu treten und eine soziale Existenz zu erlangen, bejaht. Das Gesetz oder das Verbot seien somit auch als produktive zu verstehen – da jedoch aufgrund des produktiven Charakters des Verbotes erst das Selbst hervorgebracht werde, werde im Begehren, zu sein, zugleich die Begierde des Verbotenen und die Verwerfung des Verbotenen (in Form einer Selbstversagung) bewahrt. »Die Begierde zu begehren ist eine Bereitschaft, genau das zu begehren, was die Begierde ausschließt, wenn auch nur um der Möglichkeit willen, weiter zu begehren. Diese Begierde zu begehren wird im Prozeß der sozialen Reglementierung ausgebeutet, denn wenn die Bedingungen, unter denen wir für uns soziale Anerkennung gewinnen, die Bedingungen sind, die uns reglementieren und durch die wir erst eine soziale Existenz gewinnen, dann bedeutet unsere eigene Daseinsbehauptung die Kapitulation vor unserer eigenen Unterwerfung – eine traurige Bindung.« (Ebd.: 77) Mit diesem Punkt kritisiert Butler auch Foucaults Subjektivierungskonzeption (vgl. ebd.: 84). Auch wenn man Butler zufolge Foucaults in Überwachen und Strafen verwendeten Begriff der Seele als eine Art ›psychischer Identität‹ (ebd.: 82) lesen könne, bleibe Foucault auf eine Perspektive des Außen beschränkt. Versteht man die Seele als Gefängnis des Körpers dann, so Butler, überführe man diese lediglich »in einen äußerlichen und verkerkernden Rahmen des Körpers« und entleere »das Innere des Körpers und macht dieses Innere zu einer bloßen geschmeidigen Oberfläche für die einseitigen Einwirkungen der Disziplinierungsmacht« (ebd.). Der Begriff der Psyche müsse jedoch nach Butler gerade den Bereich der Subjektivierung erfassen, der sich der Reglementierung entziehe und nicht im normativen Rahmen aufgehe. »Die Psyche, die das Unbewußte einschließt, ist somit vom Subjekt ganz verschieden; sie ist genau das, was über die einkerkernden Wirkungen der diskursiven Forde-
5. Subjektivierung bei Judith Butler
rung einer kohärenten Identität, über die diskursive Forderung, ein kohärentes Subjekt zu werden, hinausreicht.« (Ebd.: 83) Dieser Punkt ist für Butlers Konzeption der Subjektivierung zentral. Butler verweist zu Recht darauf, dass das Innere des Subjekts nicht einfach als Verlängerung des Außen begriffen werden darf, da man sonst nicht erklären kann, wie das Subjekt sich reflexiv zur Ordnung setzen und verhalten kann. Außerdem ermöglicht der Begriff des Psychischen und des Unbewussten, die Diskrepanz zwischen der Normalisierungsanforderung und dem widerständigen, subjektiven Rest erfassen zu können. Jede Anrufung und jeder Subjektivierungsprozess gehe auf subjektiver Seite mit einem Scheitern der Anrufung einher, da die Normalisierungsforderung in der Wendung des Subjekts auf sich selbst nie vollständig übernommen werden könne. »Dieser psychische Rest bezeichnet die Grenzen der Normalisierung« (ebd.: 85; Herv. C.F.) – und damit in gewisser Weise auch die Grenze der Subjektivierung, wenn man sie als geschlossene versteht.
5.4.2
Konstitutives Scheitern und das Imaginäre
Es wird nun deutlich, warum Butler den Begriff des Imaginären bei Althussers Anrufungskonzeption als Möglichkeit der Nichtanerkennung und potentiellen Widerständigkeit des Subjekts betont. Butler zufolge ermögliche der Begriff, die Ebene der Identifizierung und damit die »Inkommensurabilität der symbolischen Forderung« (ebd.: 92) zu berücksichtigen – in der Rückwendung (bei Althusser die physische Wendung des angerufenen Subjekts) bestehe die Möglichkeit des Unvorhergesehenen. Das symbolische Gesetz könne sich in Form der Wendung, die im imaginären Register vollzogen werde, niemals vollständig umsetzen, so dass die Subjektwerdung über das Register einem konstitutiven Scheitern ausgesetzt werde. Auch wenn Butler an den lacanianischen Begriff des Imaginären und der Psyche anknüpft, versucht sie dennoch, mit Foucault die Überhöhung der Psyche als Ort des Widerstandes abzulehnen – nicht zuletzt weil über diese nur erklärt werden könne, wieso das Subjekt niemals in der Ordnung aufgehen, aber nicht, wie das Verbot (die Norm) selbst transformiert werden könne (vgl. ebd.; vgl. ebd.: 94). Sie verknüpft deshalb den Begriff der Psyche mit der Konzeption der Iterabilität, nach der die Ebene des Diskurses bzw. des Symbolischen über den Prozess der wiederholten Einsetzung in seiner Bedeutung verschoben und somit transformiert werden könne (vgl. ebd.: 95).
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
Auch wenn Butler Althussers Anrufungskonzeption kritisiert, da Althusser die Anrufung als göttlich-performativen Akt des Ins-Leben-Sprechens begreife, übernimmt sie zum einen das Konzept des Imaginären im Interpellationsprozess und zum anderen die darin implizit angedeutete leidenschaftliche Bindung des Subjekts an die unterwerfende Macht. Butler zufolge könne Althusser jedoch weder ausreichend erklären, warum das Subjekt sich dem Ruf des Polizisten beuge, noch die Transformation des Gesetzes denkbar werden lassen, da er diesem einen göttlichen Status zukommen lasse (vgl. ebd.: 121ff.). Butlers Althusser-Interpretation der Anrufungsszene ist sehr interessant und sie betont zu Recht, dass die Szene nicht ohne die Figur der (Rück-)Wendung verstanden werden kann, die zugleich die Möglichkeit der Reflexivität und kritischen Distanz zur Anrufung einführt. Die Annahme, dass Althusser »ein Erklärungsmodell für ein Subjekt, das als Konsequenz aus der Sprache entsteht« (ebd.: 101) biete und »sich die Subjektbildung nur durch Schuldübernahme« (ebd.) vollziehe, ist jedoch nicht vollkommen überzeugend. Zum ersten Punkt führt Butler selbst aus, dass die Subjektwerdung bei Althusser über das savoir-faire, als Unterwerfung durch Beherrschung einer Praxis, zu verstehen sei (vgl. ebd.: 110). Althussers Subjekt wird also nicht ins Leben gesprochen, sondern es handelt gemäß der Regeln und Normen des Bestehenden, als ob es von einer göttlichen Instanz angerufen werden würde. Je nach Lesart kann man nun entweder mit Butler betonen, dass in den Praktiken und Ritualen der Subjekte die sprachliche Ordnung und die damit einhergehende (grammatikalische) Subjektposition reproduziert wird, oder aber, wie in dieser Arbeit vorgeschlagen, davon ausgehen, dass in den Praktiken und Ritualen die Ordnung des Bestehenden reproduziert wird, die nicht nur die diskursive Ordnung, sondern auch die gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse und ihre Subjektpositionierungen umfasst. Butlers zweiter Punkt verweist wiederum auf eine sehr interessante Interpretation, die Althussers Anrufungsszene über die Bildung eines Gewissens liest. Die Anrufung durch das Gesetz könne demnach als Beschuldigung verstanden werden und die Umwendung zum Gesetz als Versuch der Schuldabwehr (vgl. ebd.: 109). In dieser Schuldabwehr werde aber über das Gewissen eine innere Instanz aktiviert, die zugleich für die Hinwendung zum Gesetz stehe. »Die ›Unterwerfung‹ unter die Regeln der herrschenden Ideologie läßt sich dann verstehen als Unterwerfung unter die Notwendigkeit, angesichts einer Beschuldigung seine Unschuld zu beweisen, als Unterwerfung unter die Forderung nach einem Beweis, als Erbringung dieses Beweises und Erwerb
5. Subjektivierung bei Judith Butler
des Subjektstatus durch Befolgung der Bedingungen des nachforschenden Gesetzes. […] Da aber diese Schuld das Subjekt bedingt, liegt in ihr die Vorgeschichte der Unterwerfung unter das Gesetz durch die das Subjekt hervorgebracht werde.« (Ebd.: 112) Diese Lesart kann darauf hinweisen, dass die Anrufung der bestehenden Ordnung, seinen Platz in dieser einzunehmen, wie Althusser mehrfach betont hat, dem einzelnen Subjekt vorhergeht. Die Anrufung wird aber eher beiläufig durch die Rituale und Praktiken der Subjekte beantwortet, so dass sie eine repressive Festlegung auf diese Position als solche überhaupt nicht wahrnehmen. Die Figur des Polizisten soll also nicht verdeutlichen, dass die Subjekte aus Angst vor einer Strafe die Anrufung annehmen, sondern dass die Subjekte sich als autonome verstehen und nicht merken, dass sie eigentlich einer einschränkenden Instanz antworten. Die Subjekte nehmen die Anrufung nicht aus einem schlechten Gewissen heraus an, sondern, wie Butler selbst herausgearbeitet hat, aus dem Versprechen heraus, selbst handlungsfähig und ermächtigt zu werden (vgl. ebd.: 110). Es ist damit weniger die Furcht vor der Strafe als das Versprechen, ›dass alles gut gehen wird‹, welches die Subjekte zur Umwendung bewegt, so dass sie auch einschränkende Bedingungen affirmieren. Die anrufende Instanz wird von Althusser, anders als Butler es liest, nun nicht als allmächtige Autorität verstanden, sondern als eine, die ihre geschlossene Macht und Autorität erst durch das permanente und freudige Beantworten der Anrufung erlangt. Butler betont jedoch zu Recht, dass Althusser die Möglichkeit, anders oder ›schlecht‹ zu handeln, nicht genügend berücksichtigt hat, so dass ihm das in seiner Begrifflichkeit enthaltene Potential verloren geht, die Subjektwerdung auch als scheiternde zu verstehen, da diese als immer mit einem Überschuss einhergehende zu denken ist. Das Scheitern der geschlossenen Subjektivierung und damit das Scheitern der Reproduktion des Gesetzes (der Norm) kann nach Butler aber erst ausreichend erklärt werden, wenn man das Gesetz in seiner Bedeutung als verschiebbares verstehe und von Gesetzen im Plural ausgehe. Gemäß der Ambivalenz und der Figur der Wendung werde auch das Register des Imaginären und des Psychischen prozesshaft hervorgebracht. »Oder aber wir lesen ›Sein‹ als eben jene Potentialität, die durch keine besondere Interpellation erschöpft wird. Ein solches Scheitern der Anrufung mag sehr wohl die Fähigkeit des Subjekts untergraben, in einem selbstidentischen Sinne zu ›sein‹, aber es kann auch den Weg in eine offenere, ethi-
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
schere Art zu sein weisen, ein Sein der Zukunft oder für die Zukunft.« (Ebd.: 123) Die libidinöse Bindung an die Unterwerfung und das Begehren, zu sein, kennzeichnen nach Butler den ambivalenten Prozess der psychischen Subjektivierung. Jedoch sieht sie genau darin die Möglichkeit enthalten, sich gegen konkrete Unterwerfungsprozesse zu wehren und in Opposition zu setzen. Nicht nur sei das Subjekt auf der diskursiv-symbolischen Ebene mit widersprüchlichen Anrufungen und Aufforderungen konfrontiert, die jeder Eindeutigkeit widerstreben, sondern das Subjekt werde auf der Ebene des Imaginären – der Ebene der Identifikation mit den Kategorien des Symbolischen – einer Verletzbarkeit ausgesetzt. Um zu sein, um sich entfalten zu können, werde es abhängig von einer Ordnung und Kategorien, die es sich nicht ausgesucht habe. Wie bereits in Gender Trouble gezeigt, kann das Subjekt sich nur innerhalb der Kategorien der hegemonialen Ordnung ausdrücken – alle anderen Ausdrucks- und Seinsweisen bleiben uneindeutig, nicht lesbar oder werden bestraft. Nun geht Butler aber mit Spinozas Begriff des conatus auch davon aus, dass das Subjekt sich durch ein Begehren, im eigenen Sein zu verharren, auszeichne. Vereinfacht gesagt, habe das Subjekt ein nicht zu stillendes Begehren, seine Wirkmächtigkeit, seine ›Potentialität‹, zu entfalten und zu steigern, und diese Steigerung könne – in Anlehnung an Spinozas These der Steigerung der Potentialität durch Zusammenschluss – nur durch die Anerkennung der Anderen erreicht werden (vgl. ebd.: 123). Die Einführung dieses Begriffs ist konzeptionell nicht unproblematisch, da Butler – die sich zuvor explizit gegen die Annahme eines materiellen oder essentiellen Seins außerhalb des diskursiven Rahmens ausgesprochen hat – nun von einem grundlegenden Streben ausgeht, welches innerhalb des diskursiven Rahmens eingehegt und geformt werden müsse. Man könnte allerdings dieses Streben wieder an ihre vorhergehende entwicklungspsychologische Argumentation12 zurückbinden,
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Ich verwende den Begriff der Entwicklungspsychologie hier nur, um die menschliche Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen zu beschreiben, und nicht, um auf eine Theorieströmung Bezug zu nehmen, die in Anlehnung an oder mit Piaget oder Kohlberg von einem Stufenmodell der Entwicklung ausgeht, die schließlich in einen zu erstrebenden ›Endzustand‹ der Autonomie oder reifen Entwicklung des Erwachsenen mündet. Mit dem Begriff soll hingegen deutlich gemacht werden, dass es eine Entwicklung vom kindlichen zum erwachsenen Subjekt gibt, die durchaus in Differenzen des Autono-
5. Subjektivierung bei Judith Butler
und dieses Streben als gesellschaftliches und historisch-materielles verstehen.13 Butler versucht, über den Begriff des conatus zu verdeutlichen, dass das Begehren, zu sein, die konstitutive Abhängigkeit vom Anderen begründe, die zwar permanent ausgebeutet, aber zugleich zur Motivation des Subjekts werden könne, die Normen zu hinterfragen oder abzuwehren, da diese nicht nur das Sein ermöglichen, sondern immer auch beschränken.14 Die Verletz-
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miegrads bestehen kann, ohne behaupten zu wollen, dass die Entwicklung zu einem Abschluss kommen könnte (vgl. hierzu auch Färber 2019). »Butler does in the end want to say that we have a kind of agency, an ability to undertake change and resistance. But where does this ability come from, if there is no structure in the personality that is not thoroughly power’s creation? It is not impossible for Butler to answer this question, but she certainly has not answered it yet, in a way that would convince those who believe that human beings have at least some precultural desires – for food, for comfort, for cognitive mastery, for survival – and that this structure in the personality is crucial in the explanation of our development as moral and political agents. One would like to see her engage with the strongest forms of such a view, and to say, clearly and without jargon, exactly why and where she rejects them. One would also like to hear her speak about real infants, who do appear to manifest a structure of striving that influences from the start their reception of cultural forms.« (Nussbaum 1999) Es ist sicher richtig, dass Butler in ihren frühen Werken die sozialen Kämpfe um rechtliche und materielle Teilhabe zu wenig thematisiert, jedoch ist ihr Vokabular meines Erachtens, wie ihre politischen Schriften zeigen, trotzdem anschlussfähig dafür, auch diese Kämpfe um rechtliche Anerkennung, Essen, Wohnung oder körperliche Unversehrtheit erfassen zu können, als Kämpfe um soziale Teilhabe und soziale Existenz und damit als Kämpfe um ›Anerkennung‹ im weiten Sinne (vgl. Butler 2018: 254, 267). Gerade der Verweis auf die Ambivalenz macht deutlich, dass die Subjekte, wenn sie sich nicht in ihrem ›Sein‹ entfalten können, auch eine Motivation entwickeln, sich die Teilhabe erkämpfen zu können – wobei Butler darauf aufmerksam macht, dass die Möglichkeit der Partizipation am politischen Kampf selbst von materiellen Ressourcen abhängig sein kann. »Werde ich nicht unterstützt, ist mein Leben damit als unsicher und prekär definiert – es ist in diesem Sinne nicht wert, vor Verletzung oder Verlust geschützt zu werden und somit auch nicht betrauerbar. Wenn nur ein betrauerbares Leben wertgeschätzt werden kann, und zwar auf Dauer, dann kommt auch nur ein solches Leben für soziale und wirtschaftliche Unterstützung, eine Wohnung, Krankenversicherung, Beschäftigung, das Recht, sich politisch zu äußern, Formen der gesellschaftlichen Anerkennung und die Möglichkeit, politisch aktiv zu werden, in Betracht.« (ebd.: 254) Die fehlende Rückbindung an entwicklungspsychologische Prozesse führt auch dazu, dass Butler in ihrer Subjektkonzeption nur schwer eine Unterscheidung zwischen Kind und Erwachsenem denken kann. So führt sie in Psyche der Macht einerseits aus, dass das Kind aufgrund seiner existenziellen Abhängigkeit vom Erwachsenem besonders anfällig für Missbrauch durch Erwachsene ist, andererseits vernachlässigt sie in ihrer Auto-
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
lichkeit des Subjekts erhält so zwei Seiten: Die der potentiellen Bedrohung des Seins sowie die des Willens, und damit die potentielle Möglichkeit, anders werden zu wollen. »Und inwieweit erweist sich das von der Reglementierungsordnung erforderte Verhaftetsein sowohl als deren konstitutives Scheitern wie auch als Ort möglichen Widerstands? Wenn das Begehren letztlich auf das Fortdauern seiner selbst zielt – und damit ließen sich Hegel, Freud und Foucault gleichermaßen mit Spinozas conatus in Verbindung bringen –, dann liegt in der Fähigkeit des Begehrens, sich zurückzuziehen und neu anzubinden, etwas wie die Verwundbarkeit jeglicher Strategie der Subjektivation.« (Ebd.: 62)
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Melancholische Subjektwerdung
Doch wie denkt Butler den konstitutiven Ausschluss in ihrer Konzeption des psychischen Mechanismus in der Subjektivierung? Das Subjekt werde, wie schon in Gender Trouble aufgezeigt, als produktiver Effekt des Gesetzes oder des Verbotes konstituiert – und gemäß dieser juridischen Logik erfolge in der ›positiven‹ Hervorbringung zugleich ein Ausschluss. Da Butler die Subjektwerdung als Prozess der Hervorbringung eines vergeschlechtlichten Subjekts (gendered subjects) versteht, sind in ihrer psychoanalytischen Perspektive insbesondere das ›produktive‹ Inzest- und das Homosexualitätsverbot relevant. Butler denkt diese Verbote als gesellschaftliche Normen, die das homosexuelle Begehren unter der Formel »ich habe nie/und werde nie gleichgeschlechtlich lieben« ausschließe (vgl. Butler 2001: 132). Zugleich verweist sie darauf, dass in Freuds Konzeption des Ödipuskonflikts das heterosexuelle Begehren – der Junge begehrt die Mutter und muss sein Begehren schließlich auf andere weibliche Objekte verschieben – vorausgesetzt sei, obwohl es ihr zufolge erst durch das Inzestverbot ergänzende Homosexualitätsverbot produziert werde (vgl. ebd.: 127f.). Der kleine Junge müsse, um zum Jungen zu werden, d.h. um eine männliche Geschlechtsidentität zu entwickeln, die Weiblichkeit und nomiekritik dass die erwachsenen Subjekte zwar auch anfällig für Missbrauch bleiben, sich aber von Kindern dadurch unterscheiden, dass sie nicht mehr existenziell vom konkreten Anderen abhängig sein müssen (s. dazu auch Kapitel 5.6.4). Das ist ein Aspekt, der in der Traumatherapie sehr große Relevanz beansprucht, da das erwachsene Subjekt lernen muss, zu erkennen, dass die wiederholende traumatische Erfahrung zwar eine reale Grundlage hatte, diese jedoch in der Gegenwart nicht mehr real ist.
5. Subjektivierung bei Judith Butler
damit die Identifizierung mit der Mutter verwerfen. Dies schließt gemäß der Trias von sex, gender, und desire zugleich die Verwerfung des Begehrens von Männern aus – der Junge muss sich mit dem Vater bzw. dem Männlichen identifizieren und die Identifikation über ein heterosexuelles Begehren stützen. »Nur unter der Bedingung dieses Ausschlusses der Homosexualität können der Vater und Ersatzfiguren für diesen zu Objekten des Begehrens werden und kann die Mutter zu einer unbehaglichen Identifizierung dienen. Im Rahmen dieser Logik ein ›Mann‹ zu werden, erfordert die Abweisung der Weiblichkeit als Vorbedingung für die Heterosexualisierung des sexuellen Begehrens und seiner grundlegenden Ambivalenz. […] Das Verlangen nach dem Weiblichen ist in der Tat durch diese Verwerfung gezeichnet: Er will die Frau, die er niemals sein würde. […] Sie ist seine verworfene Identifizierung (eine Verwerfung, die ihm zugleich Identifizierung und Objekt des Begehrens ist).« (Ebd.: 129) Das Interessante an Butlers Ausführungen zur Geschlechts-Identifizierung ist nun aber, dass sie davon ausgeht, dass in der Identifizierung zugleich die verworfene Identifikation erhalten bleibe. Im heterosexuellen Begehren des ›Mannes‹ werde also zugleich das Weibliche verworfen als auch bewahrt und auch das homosexuelle Begehren verworfen, aber zugleich im Begehren bewahrt. »Eben weil das Verworfene und damit Verlorene als verworfene Identifizierung bewahrt wird, wird sein Begehren eine Identifizierung zu überwinden suchen, die niemals vollständig sein kann. Er identifiziert sich tatsächlich nicht mit ihr [der Mutter/Frau; C.F.], und er begehrt keinen anderen Mann. Durch diese Verweigerung, dieses Opfer des Begehrens unter dem Zwang des Verbots, wird die Homosexualität als Identifizierung mit der Männlichkeit inkorporiert.« (Ebd.: 130) Butler bezeichnet nun mit Freuds Vokabular die Verwerfung des homosexuellen Begehrens als melancholischen Prozess, der den Verlust einer Liebe kennzeichne, die aufgrund des gesellschaftlichen Homosexualitätsverbots nicht betrauerbar sein könne. »Werden bestimmte Arten von Verlusten durch kulturell vorherrschende Verbote erzwungen, dann können wir mit einer kulturell vorherrschenden Form von Melancholie rechnen, die die Verinnerlichung der unbetrauerten
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
und unbetrauerbaren homosexuellen Besetzung anzeigt. Und wo es eine öffentliche Anerkennung oder einen öffentlichen Diskurs nicht gibt, durch die sich ein solcher Verlust benennen läßt, dort nimmt die Melancholie kulturelle Dimensionen an, deren Folgen wir gegenwärtig spüren.« (Ebd.: 131) Butler versucht damit zum einen, auf die gesellschaftliche Ebene zu verweisen und zu zeigen, warum die homosexuelle Lebensweise sich eine eigene Sprache erkämpfen musste, und zum anderen, eine Erklärung für die fehlende gesellschaftliche Trauer um die AIDS-Toden zu finden – denn in der Melancholie werde der Verlust verleugnet (vgl. ebd.: 130). Für Butler ist der Begriff der Melancholie aber nicht nur auf der Ebene der Gesellschaft, sondern vor allem auf der Ebene des Subjekts, im Prozess der Subjektivierung, wirksam. Gemäß ihrer Figur der Wendung beschreibe die Melancholie die Entstehung der Trennung zwischen Gesellschaflichem und Psychischem bzw. zwischen Äußerem und Innerem und damit die Entstehung des ›Ichs‹ (vgl. ebd.: 158). »Die Melancholie beschreibt einen Prozeß, durch den ein ursprünglich äußeres Objekt oder ein Ideal verloren wird, und die Weigerung, das Verhaftetsein mit einem solchen Objekt oder Ideal zu durchbrechen, führt zum Rückzug des Objekts ins Ich, zur Ersetzung des Objekts durch das Ich und zum Aufbau einer inneren Welt, in der eine kritische Instanz vom Ich abgespalten ist und das Ich zum Objekt nimmt.« (Ebd.: 167) Nicht nur in der geschlechtlichen Identifizierung, sondern auch generell in der Ich-Werdung müsse das äußere (Liebes-)objekt – um dieses vom ›Verlust‹ zu bewahren – nach innen genommen werden. In diesem Verinnerlichungsprozess spalte sich das Ich, so dass das Ich sich selbst zum Objekt machen könne und in diesem psychischen Prozess hervorgebracht werde. Dieser Prozess führe aber zu einer psychischen Ambivalenz, die sich in der Melancholie äußere, da das Ich das verlorene Objekt nur unzureichend ersetzen könne. Das melancholische Subjekt spüre zwar, dass es etwas ›verloren‹ habe, könne aber nicht artikulieren oder wissen, wen oder was es verloren habe (vgl. ebd.: 161). Butler scheint nun aber in der Ambivalenz der Melancholie die Möglichkeit zu sehen, sich kritisch zu seinen eigenen Konstitutionsbedingungen ins Verhältnis zu setzen. Einerseits kennzeichne die Melancholie einen konstitutiven Ausschluss, denn im Prozess der Identifikation werde eine Beziehung
5. Subjektivierung bei Judith Butler
zum Anderen versucht zu verneinen, jedoch werde die Beziehung durch den Verinnerlichungsprozess bewahrt. Die Melancholie kann in diesem Sinne als Zeugin dieser ambivalenten Hervorbringung verstanden werden. Denn wenn das Selbstbewusstsein und das Gewissen Produkte des melancholischen Identifikationsprozesses sind, dann können in den Selbstvorwürfen, im Schuldgefühl des Subjekts, zugleich Vorwürfe an den ›Anderen‹, an die gesellschaftlichen Ideale und Normen, herausgelesen werden. »Ich weigere mich, zum oder vom anderen zu sprechen, aber ich spreche ausgiebig über mich selbst und hinterlasse damit eine gebrochene Spur dessen, was ich zum oder über den anderen nicht gesagt habe. Je stärker das Ausdrucksverbot, desto stärker der Ausdruck des Gewissens.« (Ebd.: 170) Die politische Kehrseite dieser ambivalenten Bindung ist darin zu sehen, dass das Subjekt seiner Autonomie und einheitlichen Identität niemals sicher sein und diese deshalb als von außen und durch Andere bedrohte erfährt. So wird auch eine Erklärung dafür gegeben, warum das (eigene) homosexuelle Begehren als Bedrohung der eigenen Person empfunden werden kann. Für die Ausbildung einer eindeutigen Geschlechtsidentität gehöre die Verwerfung des homosexuellen Begehrens konstitutiv zur Subjektbildung – die Konfrontation mit dem homosexuellen Begehren werde demnach nicht nur als Bedrohung der heterosexuellen Identität, sondern auch maßgeblich der eindeutigen Geschlechtsidentität erfahren. Da gemäß Gender Trouble die eindeutige Geschlechtsidentität für den intelligiblen Subjektstatus bürgt, fürchtet das Subjekt also um seine Autonomie und Kohärenz – um den Status des Subjekts selbst. »Die Angst vor homosexuellem Begehren bei einer Frau kann also zur Panik über den drohenden Verlust ihrer Weiblichkeit führen, zur Angst, daß sie gar keine Frau, keine richtige Frau ist, daß sie zwar auch nicht ganz Mann, aber einem Mann ähnlich und damit irgendwie monströs ist. Beim Mann kann das homosexuelle Begehren umgekehrt zur Panik davor führen, als Frau betrachtet zu werden, als feminisiert, nicht mehr als richtiger Mann zu gelten, ein ›gescheiterter‹ Mann oder eine irgendwie monströse, verwerfliche Figur zu sein.« (Ebd.: 128) Die politische Bedeutung der Melancholie liegt für Butler deshalb darin, sich des Ausschlusses bzw. seines Verlustes (»ich habe nie geliebt«) bewusst zu werden, diesen zu betrauern, und somit die konstitutive Abhängigkeit vom ›Anderen‹ anzuerkennen.
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
»Überleben kommt nicht zustande, weil ein autonomes Ich in der Konfrontation mit einer widerständigen Welt seine Autonomie ausübt; ganz im Gegenteil kann ein Ich gar nicht ohne den belebenden Bezug zu einer solchen Welt entstehen. Überleben ist eine Frage des Eingeständnisses der Verlustspur, aus der man selbst hervorgegangen ist.« (Ebd.: 181) Die Anerkennung der konstitutiven Abhängigkeit ist aber mehr als die Anerkennung des Autonomieverlustes, denn im Prozess der Trauer können auch die ausgeschlossenen Lebens- und Seinsweisen betrauert und sichtbar werden. »Erscheint die Melancholie zunächst als Form der Eindämmung, als ein Weg der Verinnerlichung einer Verhaftung, die von der Welt abgesperrt ist, so schreibt sie auch die psychischen Bedingungen dafür fest, die ›Welt‹ selbst als kontingent durch ganz bestimmte Arten des Ausschlusses organisiert zu betrachten.« (Ebd.: 135) Butler schlägt deshalb auch vor, die Geschlechtermelancholie mit der Praxis der Performativität zu verbinden. Wie schon in Gender Trouble verweist sie auf die Kraft der Parodie: In drag-performances könne über das Spiel mit und die Nachahmung der Geschlechterordnung der tatsächliche Imitationscharakter der Geschlechtlichkeit aufgezeigt werden. Die politische Tragweite der Parodie wurde zu Recht als lediglich auf Oberflächenphänomene zielende kritisiert (vgl. Lorey 1993: 16), jedoch erweitert Butler die Konzeption in Psyche der Macht. Butler zufolge werde in den drag-performances nicht nur der Konstitutionsprozess parodiert, sondern die (Geschlechter-)Melancholie sichtbar gemacht, da sie den nicht betrauerbaren Verlust inszenieren (vgl. Butler 2001: 136ff.). Die politische Komponente betrifft nun nicht mehr nur die Denaturalisierung der Geschlechterordnung, sondern verweist auf den Aspekt der Uneindeutigkeit und Ambivalenz, sowohl in der eigenen Selbstverortung als auch in der Zuschreibung und Verortung Anderer. Butler plädiert dafür, die Figur der ambivalenten Subjektivierung, die auf die konstitutive Abhängigkeit des Subjekts von Anderen verweist, politisch ernst zu nehmen. Das Ziel von Emanzipation könne deshalb nicht die Erlangung von Autonomie sein, da Butler zufolge diese nur über den Ausschluss und die Verwerfungen erlangt werden könne. So bestehe auch die Gefahr, dass das Subjekt sich vom Anderen oder Uneindeutigen in seiner fragilen Kohärenz und Eindeutigkeit bedroht fühle und wiederum mit Gewalt und Ausschluss reagiere.
5. Subjektivierung bei Judith Butler
»Das Subjekt, das trauern kann, ist jedoch schon in einen Autonomieverlust verstrickt, der vom sprachlichen und sozialen Leben vorgegeben wird; nie und nimmer kann es sich selbst autonom erzeugen. Von Anfang an ist dieses Ich anders als es selbst; die Melancholie zeigt, daß man überhaupt nur etwas wird, wenn man den anderen als sich selbst in sich aufnimmt. […] Das Ich entsteht unter der Bedingung der ›Spur‹ des anderen, der sich in diesem Entstehungsmoment bereits in einer gewissen Entfernung befindet. Die Autonomie des Ich zu akzeptieren heißt, diese Spur zu vergessen; und diese Spur zu akzeptieren heißt, sich auf einen Prozeß des Trauerns einzulassen, der nicht abgeschlossen werden kann, weil eine abschließende Loslösung nicht ohne die Auflösung des Ich möglich wäre.« (Ebd.: 182) Dennoch hält Butler auch in Psyche der Macht weiter daran fest, dass im politischen Bezug auf eindeutige Identitäten, wie auch der schwulen oder lesbischen Identität, die Melancholie fortgeschrieben werde und der Ausschluss und die Uneindeutigkeiten nicht thematisiert werden könnten (vgl. ebd.: 139f.). Butler sieht jedoch die Möglichkeit der politischen Emanzipation darin, sowohl die Trauer um die eigenen als auch die gesellschaftlichen Verwerfungen explizit zu machen und die eigene Identität als ambivalente zu begreifen, so dass sie in ihrer Unabgeschlossenheit für andere Seins- und Lebensweisen offen bleiben könne. »Die Macht, die einem aufgezwungen wird, ist die Macht, der man sein eigenes Erscheinen zu verdanken hat, und aus dieser Ambivalenz scheint es keinen Ausweg zu geben. In der Tat scheint es ohne Ambivalenz überhaupt kein ›man‹ zu geben, was heißen soll, daß die für die Selbstwerdung erforderliche fiktive Verdoppelung die Möglichkeit einer strengen Identität ausschließt. Es gibt schließlich also keine Ambivalenz ohne Verlust, ohne das Verdikt der Gesellschaftlichkeit, das die Spur seiner Wendung auf dem Schauplatz unserer Entstehung hinterläßt.« (Ebd.: 184)
5.6
Grenzen und Möglichkeiten der Subjektivierungsanalyse Butlers
Abschließend sollen an dieser Stelle offene Fragen und Widersprüche sichtbar gemacht werden, die aus Butlers Subjektivierungskonzeption folgen können, und die für den politischen – speziell für den feministischen und queeraktivistischen – Kontext eine große Rolle spielen, die aber auch auf die Gren-
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
zen und Möglichkeiten der Butler’schen Subjektivierungsanalyse verweisen können. Erstens wird in dieser Arbeit Butlers These der sozialen Konstruktion des biologischen Geschlechts (sex) auf die Konsequenzen einer starken oder schwachen Lesart geprüft. Zweitens wird ihre umfassende Kritik an der Repräsentations- und Identitätspolitik kritisch diskutiert. Die Kritik bezieht sich dabei auf zwei Punkte: die kollektive Erfahrung und den konstitutiven Ausschluss. Diese beiden Kritikpunkte führen auch zum dritten Punkt, ihrem binär ausgerichteten Diskursbegriff, und schließlich viertens Butlers Autonomiekritik.
5.6.1
Die Kategorie ›sex‹ und der Körper
Der starken Lesart nach, kann man mit Butler aufzeigen, dass das diskursive Regulationsverfahren ›Geschlecht‹ gesellschaftlich kontingent ist, so dass die Kategorie sex auch abgeschafft werden könnte oder sollte. Diese starke Lesart wird beispielsweise herangezogen, um eine Gesellschaft ohne die binäre Einteilung in Mann/Frau denkbar werden zu lassen und um die Evidenz der binären Einteilung nach den körperlichen (bzw. biologischen) Geschlechtsmerkmalen anzugreifen. Diese starke Lesart wird beispielsweise auch von manchen Transaktivist*innen vertreten, die argumentieren, dass es kein biologisches Geschlecht männlich/weiblich gebe bzw. die Einteilung anhand des biologischen Geschlechts kontingent sei, so dass gender, also die Geschlechtsidentität – verstanden als gesellschaftlicher Apparat im Butler’schen Sinne – das Geschlecht in seiner Gesamtheit bestimme (beispielsweise: vgl. Ewert 2018: 29ff.).15 Meines Erachtens besteht in dieser starken Lesart jedoch die Gefahr, die Kontingenz überzubetonen und die strukturierende Kraft der Kategorie ›Geschlecht‹ in der Gesellschaft aus dem Auge zu verlieren und das komplexe 15
»Ich möchte den Anstoß dazu geben, den Schluss vom Körper auf das Geschlecht in allen möglichen Facetten zu unterlassen. Statt also von bestimmten Organen auf ein Geschlecht zu schließen, kann hiernach also jedes Körperteil, jedes menschlich vergeschlechtlichte Organ jedem Geschlecht zugehörig sein. Eine Frau kann ausgeprägte Brüste und Penis haben. Sie kann Organe haben und sie für sich völlig anders bezeichnen, weil bestehende vergeschlechtlichte Begriffe bei der Person teilweise schwere Dysphorie auslösen können. […] Biologismus: Schluss vom Körper auf das Geschlecht, Abweichungen werden pathologisiert oder maximal als Identität/Empfinden eingestuft. Ich: umgekehrte Herangehensweise → Wenn Person eine Frau, dann Körper einer Frau.« (Ewert 2018: 30f.)
5. Subjektivierung bei Judith Butler
Zusammenspiel verschiedener Faktoren, zu denen auch die körperlichen Geschlechtsmerkmale oder die leiblichen Erfahrungen gehören, nicht mehr analysieren zu können. Um eine Perspektive auf ›Vergeschlechtlichung‹ zu erhalten, die einerseits den Körper und seine leiblichen Erfahrungen miteinbezieht und andererseits die Binarität und Naturalisierung kritisiert – und somit auch Transidentitäten und -Körpern gerecht werden kann –, könnte ›Geschlecht‹ auch als komplexes Zusammenspiel von biologischen Merkmalen, Geschlechtsidentitäten, geschlechtlicher Ausdrucksweise/Darstellung (expression/appearance) und Sexualität (emotionales und körperliches Begehren) gefasst werden. Diesem Zusammenspiel nach könnte ›Geschlecht‹ als nicht eindeutig, d.h. binär und oppositionell ausgerichtetes verstanden und kategorisiert werden, so dass sowohl cis-, als auch intersexuelle-, transidentitäre und genderqueere -Geschlechter und Sexualitäten in ihrer Vielfalt dargestellt werden können, ohne jedoch zugleich die strukturierende Dimension biologischer Merkmale oder die leiblichen Erfahrungen aus der Analyse ausschließen zu müssen. Die Bedeutung von ›Geschlecht‹ könnte so auch historisch-materialistisch analysiert werden, wie es beispielsweise auf sehr unterschiedliche Arten u.a. Gayle Rubin (1975) (Verwandtschaftssystem) und auch Michel Foucault (Bio-Macht/Sexualitätsdispositiv) versucht haben (vgl. hierzu auch Deutscher 2012; 2017). Aus der These des Konstruktionscharakters folgt demnach nur, dass Geschlecht, Sexualität und die Geschlechterordnung nicht natürlich, sondern als Machteffekte produziert werden, ohne deshalb die physiologischen, leiblichen und biologischen Aspekte (medizinische Forschung/Gebärfähigkeit/Genitalien/Sexualität/ Körpererfahrungen) aus der Analyse ausschließen zu müssen. In einer schwächeren Lesart könnte Butlers Verweis auf den Konstruktionscharakter bedeuten, dass der biologische Körper diskursiv verstanden werden kann und somit auch die Art und Weise, wie wir uns auf den Körper beziehen, historisch variabel ist. Dies könnte beispielsweise dazu führen, dass die Kategorie des Geschlechts für viele Bereiche weniger relevant oder dass die Binarität zugunsten einer dritten oder weiterer Kategorisierungen geöffnet werden könnte, ohne diese pathologisieren zu müssen. In dieser Lesart würde jedoch analysierbar bleiben, wie ›Geschlecht‹ als Regulierungsverfahren funktioniert, wie es sich historisch unterschiedlich entwickelt hat und mit welchen materiellen Prozessen und leiblichen Erfahrungen diese Entwicklung in Verbindung steht. Wenn man Geschlechtlichkeit und Materialität so versteht, könnte auch die zentrale Rolle der Geschlechterordnung für die Fortpflanzungsfunktion und biopolitische Regulierungsverfahren erfasst werden.
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
Meines Erachtens müsste diese Lesart jedoch auch für psychoanalytische Betrachtungen offen bleiben und beispielsweise die libidinöse Besetzung der Genitalien in der Identifikation und Entwicklung der Geschlechtsidentität sowie der Sexualität berücksichtigen. Dies heißt auch, dass konzeptionell Raum für die Unmittelbarkeit oder Uneindeutigkeit der körperlichen Erfahrung bleiben sollte. Nicht zuletzt hat auch Butler indirekt auf diesen Aspekt verwiesen, wenn sie aufzeigt, dass der Körper nie vollständig erfasst werden,16 es immer wieder auch ungewollt zu Abweichungen kommen kann und dass auch die individuelle Erfahrung, nicht zu ›passen‹ oder ›normal‹ zu sein, zur Hinterfragung der bestehenden Ordnung führen kann. Butlers Verweis auf den Körper als ›Ort einer gelebten Möglichkeit‹ könnte also auch als Appell verstanden werden, nicht nur vermeintlich natürliche Gegebenheiten und Evidenzen immer wieder auf ihre Ausschlüsse und ihren materiellen Konstitutionscharakter hin zu befragen, um die Kategorien selbst nach und nach zu transformieren, sondern auch offen und aufmerksam zu bleiben, für andere Körpererfahrungen, auch wenn diese noch keine eigene Sprache haben (dazu auch: vgl. Meißner 2010: 56f; vgl. Hauskeller 2000: 99, 101ff.).17 Die Grenze in Butlers Ansatz zeigt sich jedoch darin, dass sie den wechselseitigen Zusammenhang zwischen Körpern und ihrer diskursiven Hervorbringung nur ungenügend konzeptionell fassen kann. Sie betont zwar, dass der Prozess der Materialisierung nie abgeschlossen ist und es gemäß der 16
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»Daß diese ständige Wiederholung [der Normen; C.F.] notwendig ist, zeigt, daß die Materialisierung nie ganz vollendet ist, daß die Körper sich nie völlig den Normen fügen, mit denen ihre Materialisierung erzwungen wird. Es sind sogar die durch diesen Prozeß hervorgebrachten Instabilitäten, die Möglichkeiten der Re-Materialisierung, die einen Bereich kennzeichnen, in dem die Kraft des regulierenden Gesetzes gegen dieses selbst gewendet werden kann, um Neuartikulationen hervorzutreiben, die die hegemoniale Kraft eben dieses Gesetzes in Frage stellen.« (Butler 1997: 21; Herv. C.F.). Sie verweist außerdem zu Recht auf die Schwierigkeit, Körpererfahrungen sprachlich übersetzen und vermitteln zu können: »Nicht einmal die Geschichte des Körpers lässt sich ganz erzählen. Ein Körper zu sein heißt in gewissem Sinne, eine vollständige Erinnerung des eigenen Lebens zu entbehren. Mein Körper hat also eine Geschichte, an die ich keine Erinnerung haben kann.« (Butler 2007: 55) Hauskeller geht in ihrer Studie zu Foucault und Butler ausführlicher auf die Notwendigkeit ein, in Butlers Subjektkonzeption die Körperlichkeit stärker miteinzubeziehen – nicht zuletzt um auch die Möglichkeiten widerständigen Handelns besser denkbar werden lassen zu können (vgl. Hauskeller 2000: 249-278). Anders als Meißner gehe ich auch nicht davon aus, dass Hauskeller diese körperliche Widerständigkeit außerhalb der Macht verortet (vgl. Meißner 2010: 54).
5. Subjektivierung bei Judith Butler
Iterabilität zu Abweichungen und Destabilisierungen in der Hervorbringung kommen könnte, sie versäumt es aber, den Körper auch als Auslöser dieser Destabilisierung zu denken. Die Kontingenz der diskursiven Rahmung müsste die Rückbindung an die materielle Beschaffenheit der Körper analysieren können. Dies könnte beispielsweise heißen, dass die Differenz in der männlichen und weiblichen Subjektwerdung auch mit der Differenz in den Körpererfahrungen zusammenhängen könnte, ohne reduktionistisch behaupten zu wollen, dass diese aus den Körperformen abgeleitet werden könnte. Dieses Zugeständnis sieht Butler jedoch skeptisch, da der Verweis auf die ›biologischen Tatsachen‹ dem Mythos einer ursprünglichen Materialität und Natur aufzusitzen drohe. »Obwohl ich meinem fragenden Gegenüber erst einmal eine uneingeschränkte Zustimmung in dieser Hinsicht [in Bezug auf die Tatsache von biologischen Körpern, Hormonen, physischen Bedürfnissen usw.; C.F.] geben möchte, überwiegt doch eine gewisse Besorgnis. Die Unbestreitbarkeit des ›biologischen Geschlechts‹ oder seine ›Materialität‹ ›einzuräumen‹ heißt stets, daß man irgendeine Version des ›biologischen Geschlechts‹ irgendeine Ausformung von ›Materialität‹ anerkennt. […] Die Behauptung, jener Diskurs sei formierend, ist nicht gleichbedeutend mit der Behauptung, er erschaffe […] wohl aber wird damit behauptet, daß es keine Bezugnahme auf einen reinen Körper gibt, die nicht zugleich eine weitere Formierung des Körpers wäre.« (Butler 1997: 33) Aus Angst davor, den Körper oder die Materie als ›vordiskursiv‹ zu denken, versucht Butler, die Materialität des Körpers, beispielsweise die Genitalien, aber auch die körperlichen und leiblichen Erfahrungen, auf einen kontingenten Faktor in der diskursiven Regulation der Geschlechter zu reduzieren.18 Ei18
Butler setzt sich auch in Körper von Gewicht ausführlich mit psychoanalytischen Theorien von Sexualität und Geschlechtsidentitätsbildungsprozessen auseinander und betont hier die Bedeutung des Imaginären: »Wenn die Heterosexualisierung der Identifizierung und der Morphogenese historisch kontingent, jedoch vorherrschend ist, dann reinstituieren die – immer schon imaginären – Identifizierungen, sowie sie die Grenzen der sozialen Geschlechtsidentität überschreiten, sexuierte Körper in veränderlichen Formen. Derartige morphogenetische Identifizierungen gestalten das Kartographieren der sexuellen Differenz selbst neu, indem sie diese Grenzen überqueren. Das durch Identifizierung hergestellte körperliche Ich ist nicht in mimetischer Weise auf einen zuvor existierenden biologischen oder anatomischen Körper bezogen […] Der Körper im Spiegel stellt keinen Körper dar, der sich sozusagen vor dem Spiegel befin-
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
nerseits ist an dieser These festzuhalten, da Butler verdeutlicht, dass es keinen ›reinen‹ oder ›ursprünglichen‹ Bezug zum Körper und zur Sexualität geben kann und die Bezugnahme auf den Körper immer mit imaginären Schemata zusammenhängt, andererseits lassen sich die diskursiven Konzepte und Kategorien durchaus als ›sinnhafte‹ Antworten auf historische Problemlagen oder materielle Beschaffenheiten verstehen. In ihrem Vokabular lassen sich gesellschaftliche Probleme wie die Fortpflanzungsregulation, die Ausbildung einer Geschlechtsidentifikation und die Sexualität nicht ausreichend als historisch und gesellschaftlich zwar kontingente, aber auch als auf materielle Beschaffenheit ›antwortende‹ Phänomene begreifen. Dies spiegelt sich meines Erachtens auch darin wieder, dass sie sehr unterschiedliche Konzepte und Kategorien, wie etwa Chromosomen, Hormone, physische Bedürfnisse oder körperliche Zustände wie Schmerzen, nur undifferenziert als Phänomene fassen kann, die ›biologisch‹ kategorisiert, aber diskursiv hervorgebracht werden. Insbesondere Foucault konnte in Der Wille zum Wissen über seinen Begriff des Sexualitätsdispositivs zeigen, dass die unterschiedlichen Phänomene, die sich auf die Biologie, das Leben oder den ›Sex‹ beziehen, zwar Antworten auf historische Problemlagen sind, aber die Antworten immer auch überdeterminiert, widersprüchlich und irrational sein können. So zeigt er beispielsweise auf, dass der enge Fokus auf die Fortpflanzung vor dem Hintergrund des historischen Dispositivs der Bio-Macht zu begreifen ist. Außerdem findet sich bei Foucault in Überwachen und Strafen ein Begriff des Körpers, der zugleich die Diskursivität und die Materialität in ihrer Verschränkung berücksichtigen kann. Über die Entwicklung seines Begriffs der Disziplinarmacht beschreibt er die Dressur der Körper, die über die gesellschaftlichen Praktiken als Körper der Dressur in ihrer ›Natürlichkeit‹ produziert werden. Wenn der Körper gewisse Übungsabläufe wiederholt ausführt, formt und ermächtigt sich der Körper und wird in seiner Produktivität hervorgebracht. Dennoch hat diese Hervorbringung auch ›natürliche‹ Grenzen, d.h. in der Dressur wird mit einem Körper gearbeitet, der nicht nur Schmerzen, sondern
det: Der Spiegel produziert, selbst wenn dies von dem nicht-repräsentierbaren Körper ›vor dem Spiegel‹ ausgelöst wird, jenen Körper als seine delirierende Wirkung – ein Delirium, nebenbei gesagt, das zu leben wir gezwungen sind.« (Butler 1997: 132f.) Demgemäß richtet sich ihr politisches Ziel danach, ein alternatives Schema des Imaginären aufzuzeigen, so dass andere Lusterfahrungen möglich sein können.
5. Subjektivierung bei Judith Butler
auch den Tod erleiden kann, wenn er überlastet oder nicht mit genügend Nahrung versorgt wird. Die ›Natürlichkeit‹ des Körpers ist somit zwar immer gesellschaftlich gerahmt, aber sie kann nicht vollständig kontingent produziert werden, da sie sich an der Materie des Körpers ausrichten muss. Wenn Foucault später in Der Wille zum Wissen den Begriff des Sexes als fiktiven Kulminationspunkt bezeichnet, dann ist hier zwar der Begriff des Körpers abwesend, man kann dies dennoch so verstehen, dass der Sex nicht nur formierend auf den Körper einwirkt, sondern auch der Fiktionspunkt am Körper und seinen Merkmalen zentriert wird (vgl. Foucault 1983: 150). Die Bewegung ist zirkulär und es lässt sich daher keine ursprüngliche Natürlichkeit ausfindig machen – der Bezug auf den Körper ist aber dadurch nicht überflüssig. Dies zu betonen wäre gerade auch in queeren Politiken notwendig, da so beispielsweise Intersexualität und Transsexualität/-gender auch im Hinblick auf die Frage nach der Gestaltung des biologischen Körpers diskutiert werden können. Was bedeutet es, den Körper an das (transidentitäre) Geschlecht anzupassen, welche Probleme und Möglichkeiten können durch die Einnahme von Hormonen und Operationen entstehen, muss eine körperliche Angleichung stattfinden und wie kann man, im Falle der Intersexualität, Akzeptanz für Körper schaffen, die sich der Eindeutigkeit entziehen? Über das Foucault’sche Verständnis kann am Konstruktionscharakter des Sexes, verstanden als das biologische Geschlecht, festgehalten werden, ohne jedoch die ›Natürlichkeit‹ des Körpers auszublenden. So kann einerseits weiterhin mit Butler darauf verwiesen werden, dass die Kategorisierungen und die Bezugnahme auf den Körper immer sozial und diskursiv bestimmt sind. Dass diese Bezugnahme kontingent ist, sollte andererseits jedoch nicht heißen, dass sie willkürlich ist. Sie reagiert, wie Foucault mit seinem Begriff des Dispositivs zeigen konnte, auch auf eine gesellschaftliche und historische Situation und eine Materialität von Körpern, die gesellschaftlich geordnet werden muss.
5.6.2
Repräsentations- und Identitätspolitik oder geteilte Leidenserfahrungen
Butlers Kritik an der Repräsentations- und Identitätspolitik in Gender Trouble zielte weder darauf, die Kategorie ›Frau/en‹ abzuschaffen, noch darauf, weitere Repräsentationskategorien zu ›erfinden‹, sondern auf ihre Denaturalisierung. »In ihrem Buch Das Unbehagen der Geschlechter dekonstruiert Butler vor allem Naturalisierungen – ›metaphysische Behausungen‹, wie sie sagt. Begriffe und Kategorien versteht sie dann als naturalisiert, wenn davon aus-
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
gegangen wird, sie bezögen sich auf eine Materie außerhalb der Sprache.« (Lorey 2017: 46) Butlers Kritik hat darauf aufmerksam gemacht, dass die unreflektierte Bezugnahme auf Identitätskategorien, wie etwa der Bezug auf ›Frau/en‹ im Feminismus, ausblendet, dass es sowohl innerhalb dieser Gruppierung unterschiedliche, sich überschneidende (Diskriminierungs-)Erfahrungen und Subjektpositionierungen geben kann, und diese Bezugnahme außerdem Gefahr läuft, die ›Naturalisierung‹ der Kategorie (unwillentlich) fortzuschreiben. Diese zwei Kritikpunkte sind unterschiedlich in ihrer Reichweite, denn während der erste Punkt sich an feministische Politiken und Bewegungen richtet, ist der zweite Punkt weiter gefasst und enthält vor allem eine Kritik der Metaphysik der Substanz und des autonomen Subjekts. Butlers erster Kritikpunkt wird durch den Intersektionalitätsbegriff Crenshaws (1989) gestützt, der aufzuzeigen versuchte, dass es Mehrfachdiskriminierungen geben kann und dass gesellschaftliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse sich nicht anhand von vereinzelten Kategorien analysieren lassen, die in Form der Addition aufrechenbar sind, sondern dass diese auch in Form der Überschneidung oder Kreuzung (intersection) zusammenwirken können (vgl. Davis 2013: 65). Als Kernkategorien der Analyse wurden die Kategorien race, class und gender benannt. Dies könnte beispielsweise heißen, dass die Diskriminierungserfahrungen einer schwarzen Frau der Arbeiterklasse andere sein können als die der weißen Frau der Mitteloder Oberschicht.19 Dieses Beispiel verdeutlicht jedoch die Problematik des Konzepts der Intersektionalität und Butlers daran anschließender Kritik der kollektiven Erfahrung. Während der Intersektionalitätsbegriff zum Ziel hatte, das komplexe Zusammenwirken gesellschaftlicher Macht- und Herrschaftsverhältnisse analysierbar werden zu lassen, richtet sich Butlers Kritik darauf, dass die Bezugnahme auf die Kategorie ›Frau‹ selbst schon problematisch ist, da sie vereinheitlichend wirke und andere Erfahrungskategorien ausschließe. Auch wenn sie zu Recht darauf hinweist, dass die Geschlechtsidentität historisch und gesellschaftlich gefasst werden muss und weitere Strukturkategorien wie etwa ethnische, klassenspezifische, regionale oder sexuelle relevant sein können, so lässt sich dennoch über die geschlechtsspezifische Sozialisierung und
19
Einen Überblick über die Kritik und Strömungen der Intersektionalitätsforschung gibt das Gender-Glossar (Lutz/Vivar/Supik 2013).
5. Subjektivierung bei Judith Butler
Subjektivierung ein gemeinsamer Erfahrungshintergrund annehmen und für politische Zwecke ein kollektives Subjekt ›Frau/en‹ bilden. Schließt die von vielen Frauen geteilte Erfahrung des Menstruierens oder der potentiellen Gebärfähigkeit aus, dass es Frauen gibt, die nicht (mehr) menstruieren oder gebären können? Behauptet man über eine ›Frauen-Demo‹ gegen das Abtreibungsverbot, dass man aus dem ›Frausein‹ bzw. der Gebärfähigkeit ableiten könnte, dass man für die Möglichkeit der Abtreibung ist? Ist eine feministische Demo, die Vulven als Symbol für den Protest nimmt, transexklusiv und biologisierend oder wird hier nicht mit einem Symbol der ›Repräsentation‹ gespielt, ohne zu behaupten, dass alle Frauen Vulven haben müssen oder dass diese auf ihr biologisches Genital reduziert werden sollten? Können Cis-Männer, Transfrauen oder Frauen nach der Menopause nicht ebenso für die Möglichkeit der Abtreibung sein, ohne selbst schwanger werden zu können? Kann die Erfahrung, schwanger werden zu können oder ein Kind ausgetragen zu haben, nicht als kollektive (Leidens-)Erfahrung gelten, die im politischen Protest artikuliert werden kann? Ist das Sichtbarmachen des Ausschlusses schwarzer Frauen in der Frauenbewegung der zweiten Welle nicht auch deshalb bedeutend, weil es trotz des unterschiedlichen Erfahrungshintergrunds von ›weißen‹ und ›schwarzen‹ Frauen Überschneidungen in der Erfahrung geben kann, über die ein Austausch stattfinden muss und der Solidaritätsbeziehungen knüpfen lässt? Bedeutet politische ›Repräsentation‹ nicht auch, dass von der individuellen Erfahrung abstrahiert wird und versucht wird, zum Zwecke eines als Ideal verstandenen, gemeinsamen politischen Ziels ein (Kollektiv-)Subjekt zu bilden? Ist es überhaupt problematisch, dass in der Repräsentation immer ein Ausschluss von heterogenen und individuellen Erfahrungen zugunsten eines kleinsten gemeinsamen Nenners stattfindet? Verhindert der Bezug auf ein (Kollektiv-)Subjekt, dass sich Allies anschließen können oder dass sich Solidaritätsbeziehungen knüpfen lassen? Meines Erachtens verdeutlichen diese unterschiedlichen offenen Fragen, dass das politische (Kollektiv-)Subjekt erstens immer von konkreten Erfahrungen abstrahiert, zweitens dass es trotz individueller und gruppenspezifischer Unterschiede Überschneidungen in der Erfahrung geben kann, drittens dass auch über die Ausschlusserfahrung Solidaritätsbeziehungen hergestellt werden können. Dies könnte beispielsweise bedeuten, dass die geteilte Erfahrung von Transfrauen und Frauen auch darin bestehen könnte, dass sie an den misogynen Standards der ›natürlichen‹ Frau gemessen werden, die, wie Butler aufgezeigt hat, niemals erreichbar sein können. Und viertens dass die Erfah-
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
rung nicht geteilt werden muss, um emphatisch oder rational nachvollziehbar für Allies zu sein.20 So kann die Subjektposition also sowohl Aufschluss über konkrete und geteilte (Leidens-)Erfahrungen geben, als auch dennoch von den individuellen sowie gruppenspezifischen Erfahrungen abweichen. Umso wichtiger ist deshalb der Austausch über Gemeinsamkeiten, Abweichungen und Differenzen – sowohl der individuellen als auch gruppenspezifischen Erfahrungen. So formulierte beispielsweise die feministische Gruppe von the future is unwritten dies wie folgt: »Die politischen Forderungen, welche Frauen* aus der umfassenden Analyse des Geschlechterverhältnisses ziehen, müssten nicht abweichen von jenen, welche sich für trans-Personen ergeben. Tatsächlich lässt sich in der politischen Praxis aber feststellen, dass genau diese Forderungen doch verschieden ausfallen, was wir als Folge der unterschiedlichen individuell-konkreten (Leidens-)Erfahrungen bewerten. Entsprechend halten wir eine feministische Praxis für sinnvoll, in der sich über diese Erfahrungen ausgetauscht werden kann, um eine Assoziation hinsichtlich einer gemeinsamen feministischen Politik zu ermöglichen.« (the future is unwritten 2018) 20
In ihren jüngeren politischen Schriften sieht Butler die Motivation für Allianzbildung in der Opposition gegen Formen des ›Regiertwerdens‹ begründet. Dies ist durchaus überzeugend, jedoch schließt dies meines Erachtens nicht die legitime Möglichkeit aus, sich gerade aufgrund gemeinsamer Leidenserfahrungen partiell zu einem (Kollektiv-)Subjekt zusammenzuschließen. Dieser strategische Zusammenschluss leugnet meines Erachtens nicht zwangsläufig die Unabgeschlossenheit und Uneindeutigkeit von Identitäten und identitären (Selbst-)Verortungen. »Wo solche Netzwerke die Grundlage politischer Bündnisse bilden, dienen als bindendes Element weniger die ›Identität‹ oder allgemein akzeptierte Anerkennungsbedingungen als vielmehr Formen der politischen Opposition gegenüber bestimmten staatlichen und behördlichen Regulierungen, die Ausschlüsse, Verwerfungen, vollständige oder teilweise Aussetzungen von Staatsbürgerrechten, Unterordnung, Erniedrigung und Ähnliches mit sich bringen. In diesem Sinne gründen ›Bündnisse‹ nicht notwendig auf Subjektpositionen oder auf der Versöhnung von Differenzen zwischen verschiedenen Subjektpositionen; tatsächlich können sie auf vorübergehend übereinstimmenden Zielsetzungen beruhen, und es kann – und muss vielleicht sogar – Gegensätze im Hinblick auf die Formulierung dieser Ziele und die besten Wege ihrer Umsetzung geben. Es handelt sich um lebendige Felder der Differenz in dem Sinne dass die wechselseitige Einwirkung und die wechselseitige Erzeugung Bestandteil der sozialen Ontologie des Subjekts sind, wobei ›das Subjekt‹ weniger eine abgegrenzte Substanz als vielmehr eine Reihe aktiver und transitiver Beziehungen ist.« (Butler 2010: 137f.)
5. Subjektivierung bei Judith Butler
Der Intersektionalitätsansatz könnte in diesem Sinne als ›Korrektiv‹ der ›Repräsentationspolitik‹ dienen, um zu analysieren, welche Ausschlüsse in den politischen Bewegungen produziert werden, so dass diese durch Bündnisbildungen erweitert werden können. Dennoch läuft diese Analytik Gefahr, die einzelnen Kategorien als isolierte zu betrachten und sie in ein hierarchisches Verhältnis zu setzen. Die Kritik am Intersektionalitätsansatz ist nicht neu und die Einschätzung, ob der Ansatz eher Strukturkategorien oder nur Gruppenmerkmale erfassen kann, variiert (vgl. Soiland 2008; vgl. Knapp 2008). Meines Erachtens kann der Ansatz sowohl dafür geeignet sein, Diskriminierungen zu erfassen, als auch danach zu fragen, wie Macht- und Herrschaftsverhältnisse in der Gesellschaft organisiert und vermittelt werden (vgl. Knapp 2008; vgl. Walgenbach 2013). Dennoch ist es wichtig, zwischen diesen zwei Modalitäten zu unterscheiden und zu fragen, wieso sowohl der Intersektionalitätsansatz als auch Butlers Ziel der ›Dekonstruktion der Identität‹ im aktivistischen Kontext zu der paradoxen Entwicklung geführt haben, dass sich die politische Bewegungen in einzelne Splitter- und Identitätsgruppen aufspalten21 – anstatt, wie Butlers Dekonstruktion es nahelegt, die bestehenden Kategorien auf ihre Ausschlüsse hin zu befragen, um mögliche blinde Flecken der Repräsentation auszuleuchten und über Bündnisse in die Bewegung aufzunehmen. Die entstandene paradoxe Bewegung liegt meines Erachtens darin begründet, dass bereits die Bildung eines politischen Subjekts als ausschließend im Butler’schen Sinne verstanden wird, so dass, um dem Ausschluss entgegenzuwirken, immer mehr partikulare (bzw. ›ausgeschlossene‹) Identitäten gefunden werden, die politisch und sprachlich repräsentiert werden müssten. Die Kritik an der Identitätspolitik hat in diesem Sinne in einigen politischen
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»[I]ntersectionality ist heute genuiner Bestandteil jener Kritik an identity politics, wie sie seit geraumer Zeit die feministische Theoriebildung an den Akademien in den USA dominiert. Es geht also im weitesten Sinn nicht um eine lediglich weitere Fragmentierung der master-Kategorien race, class und gender, […] sondern es geht um die Infragestellung überhaupt der Möglichkeit, die Homogenität irgendeiner Gruppe zu postulieren. Dies geschieht vor dem Hintergrund einer grundsätzlichen Skepsis gegenüber jeglicher Form von Kategorisierung, die nunmehr unter Verdacht steht, die Wirklichkeit nur in reduktionistischer Form abbilden zu können. Bemängelt werden an Kategorisierungen insbesondere die Unausweichlichkeit von Grenzziehungen und die damit verbundenen Ausschlüsse, wobei dieser Beanstandung die Annahme zugrunde liegt, dass Ungleichheit auf solchen Ausschlüssen basiere.« (Soiland 2008)
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
Bewegungen zur Identitätenpolitik geführt.22 Problematisch ist dabei vor allem die darin implizit enthaltene Vorstellung, dass diese hierarchisch gemäß ihrer Ungleichheits- oder Diskriminierungsposition angeordnet und addiert werden könnten, und dass nicht berücksichtigt wird, dass sowohl Identitäten als auch politische Subjekte immer durch Ambivalenzen, Differenzen und Unabgeschlossenheiten gekennzeichnet sind. So sollte klar sein, dass die einzelne ›Frau‹ und ihre Erfahrung nicht in der Kategorie ›Frau‹ aufgeht und dass diese, wie Butler insbesondere in Psyche der Macht aufzeigt, selbst immer als vermittelte Beziehung zwischen Anrufung und Subjektivierung bzw. Identifikation gedacht werden muss. Auch wenn der Intersektionalitätsansatz als ›Korrektiv‹ wirken könnte, legt er meines Erachtens die paradoxe Entwicklung im aktivistischen Kontext nahe, da die zu erfassenden Kategorien wie race, class, gender sich eher als Identitäts-, denn als Strukturkategorien präsentieren und die drei Grundkategorien eine immer längere Liste an weiteren Kategorien evozieren (sexuality, age, health, north/south etc.) (vgl. Lutz/Wenning 2001: 20). Auch das Beispiel der ›schwarzen‹ und ›weißen‹ Frau legt nahe, dass die Hierarchisierung anhand der Addition weiterer Kategorien vorgenommen werden könnte. Mag dies zu Zwecken der statistischen Erhebung von Diskriminierung und Ungleichheit hilfreich sein, wird es der Komplexität der gesellschaftlichen Verhältnisse nicht gerecht, die auch eine Erklärung dafür geben muss, warum die Identitäten hierarchisch angeordnet und unterschiedlich stark naturalisiert und normalisiert werden. Mit welchen historisch-ökonomischen und politischen Prozessen steht die Naturalisierung und Normalisierung von Identitäten in Verbindung (vgl. Fraser 2000)?23 22
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Hierzu auch Adamczak: »Auch die Theorien der Intersektionalität, die der Vielfältigkeit moderner Herrschaftsverhältnisse Rechnung tragen und sich von deren Hierarchisierung verabschieden, stellen meist keinen Ausweg aus dem neoliberalen Dispositiv der Identitätspolitik dar.« (Adamczak 2017: 250) Für eine noch stärker formuliert Kritik siehe Soiland »Die für den intersectionality-Ansatz so zentrale Frage der Homogenität oder Nicht-Homogenität von Gruppen, und in der Folge die daraus entstandene Essentialismuskritik, erhält ihre Brisanz überhaupt erst vor dem Hintergrund dieser merkwürdigen Verschiebung, in deren Verlauf Organisationsprinzipien gesellschaftlicher Produktion und Reproduktion zu Eigenschaften und in der Folge die daraus resultierenden Positionierungen zu einer Frage der Identität Einzelner oder ganzer Gruppen wurden.« (Soiland 2008) Dazu gehören auch die Fragen, ob und wie durch die gesellschaftliche Anerkennung und Sichtbarmachung von ›Identitäten‹ eine Umverteilung und ein Zugang zu materiellen Ressourcen ermöglicht werden kann und ob das Sichtbarmachen etwas an der
5. Subjektivierung bei Judith Butler
Doch auch Butlers dekonstruktiver Ansatz läuft über ihren Begriff des konstitutiven Ausschlusses Gefahr, diese Form der verkürzten Identitätenpolitiken zu stützen. Butler kritisiert in Gender Trouble nicht nur, dass die Kategorie ›Frau‹ generalisierte, kollektive Erfahrungen unterstelle, sondern dass bereits jeder Bezug auf eine Identität einen abzulehnenden Ausschluss produziere.24 Dies ist auf den ersten Blick überzeugend, da es einerseits begriffslogisch gedacht wird – Heterosexualität konstituiert sich durch den Gegensatz und Ausschluss der Homosexualität – und sich andererseits auf die gesellschaftliche Norm der Heterosexualität bezieht, nach der die Homosexualität als abweichende und in ihrer ›Werthaftigkeit‹ als hierarchisch untergeordnete gilt. Da Butler vorwiegend sprachphilosophisch argumentiert, besteht aber die Gefahr, dass sie den Mechanismus des konstitutiven Ausschlusses generalisiert – jeder Bezug auf eine abgeschlossene Identität gehe mit einem
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strukturellen Ungleichheit ändern kann oder nicht: »Nevertheless, distribution and recognition are not neatly separated from each other in capitalist societies. For the status model, the two dimensions are interimbricated and interact causally with each other. Economic issues such as income distribution have recognition subtexts: value patterns institutionalized in labour markets may privilege activities coded ›masculine‹, ›white‹ and so on over those coded ›feminine‹ and ›black‹. Conversely, recognition issues – judgements of aesthetic value, for instance – have distributive subtexts: diminished access to economic resources may impede equal participation in the making of art. The result can be a vicious circle of subordination, as the status order and the economic structure interpenetrate and reinforce each other.« (Fraser 2000: 118) In dieser Arbeit wird deshalb mit Althusser der Begriff des ›komplexen Ganzen‹ in die integrierte Subjektivierungsanalytik eingeführt, um auch die Verschränkung der ökonomischen, ideologischen und politischen Verhältnisse erfassen zu können, die die Subjektwerdung strukturieren. Isabell Lorey geht davon aus, dass nach Butler nicht jeder Ausschluss als negativ zu bewerten ist, sondern nur dann, »wenn die unvermeidbare Grenzziehung zwischen ›Außen‹ und ›Innen‹ als unveränderbar angesehen wird und nicht als eine, die innerhalb spezifischer Machtverhältnisse entstanden ist und ständig neu entsteht« (Lorey 2017: 47). Diese Unterscheidung ist jedoch nicht ausreichend, denn Butler kritisiert in Gender Trouble auch homosexuelle Identitäten, wenn sie sich durch den Ausschluss des Heterosexuellen konstituieren. Meines Erachtens ist der Ausschluss nur problematisch, wenn er als einzige und hegemoniale Begehrens- und Identitätsstruktur auftritt, und nicht schon, wenn diese als ›geschlossene‹ steht. Meines Erachtens setzt Butler den begriffslogischen mit dem gesellschaftlichen Ausschluss in eins und berücksichtigt zu wenig die historische Gewordenheit und inhaltliche Variation der Kategorisierungen. Loreys Kritik, dass Butler die Geschichtlichkeit der (juridisch-diskursiven) Ordnung und Gesetze nicht genügend berücksichtigt, ist deshalb berechtigt (vgl. ebd.: 80, 96.).
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
Ausschluss einher und negiere die Unabgeschlossenheit und Uneindeutigkeit der Identitäten. »Was für ein tragischer Fehler ist es dann, eine schwule/lesbische Identität durch dieselben Mittel der Ausschließung zu konstruieren, als würde das Ausgeschlossene nicht gerade durch seine Ausschließung stets vorausgesetzt und damit sogar für die Konstruktion dieser Identität erfordert. […] Oder anders formuliert: wenn sich das Lesbentum in radikaler Ausschließung von der Heterosexualität definiert, beraubt es sich selbst der Fähigkeit, jene heterosexuellen Konstrukte zu resignifizieren, die es selbst zum Teil konstruieren. Damit würde die lesbische Strategie gerade die Zwangsheterosexualität in ihren repressiven Formen festigen.« (Butler 1991: 189) Butler argumentiert hier, dass der Ausschluss zugleich das Ausgeschlossene bewahren würde, so dass die Identitäten in ihrem gegensätzlichen und starren Verhältnis erhalten blieben. Sie übersieht aber, dass es politisch notwendig sein kann, eine ›eindeutige‹ lesbische oder schwule Identität zu haben, um sowohl eine gesellschaftliche Handlungsmacht zu erhalten als auch sich gegenüber der gesellschaftlichen Norm der Heterosexualität zu schützen. Der Ausschluss darf deshalb nicht ausschließlich begriffslogisch, sondern muss auch historisch-materiell gefasst werden. Ein politisches (Kollektiv-)Subjekt zu bilden, muss demnach auch nicht heißen, dieses zu essentialisieren und alle Differenzen und Uneindeutigkeiten abzublenden. Vielmehr kann der strategische Zusammenschluss selbst schon als ein politischer Resignifzierungsprozess verstanden werden, der nicht im luftleeren Raum stattfindet, sondern immer auch als Reaktion auf eine historisch spezifische Zuweisung zur Subjektposition verstanden werden kann und Fragen nach Teilhabe und grundlegender Aufteilungen miteinschließt. Des Weiteren lässt sich aus dem Zusammenschluss nicht ableiten, dass die Erfahrungen der einzelnen Subjekte identisch sind. Wenn sich beispielsweise ›Frauen‹ zusammenschließen, um gegen frauenfeindliche Strukturen zu demonstrieren, dann bedeutet dieser Zusammenschluss weder, dass alle ›Frauen‹ gleiche Erfahrungen haben, noch dass aus dem ›Frausein‹ die politischen Forderungen abgeleitet werden können. Es ist nicht überzeugend, dass Butler befürchtet, dass der Bezug auf das ›Frausein‹ die Kategorie unhinterfragt reproduziert, denn der politische Zusammenschluss kann selbst als strategischer Kampf um die Kategorie ›Frau‹ begriffen werden. Es bleibt unklar, wieso der Resignifzierungsprozess für die Kategorie queer gültig, aber für die Kategorie ›Frau‹ ungültig sein sollte. Dies führt zum dritten und vierten Kritik-
5. Subjektivierung bei Judith Butler
punkt: Aufgrund ihres juridischen Diskursbegriffs und der Logik der Binarität kann Butler drittens die historischen Differenzierungen und Entwicklungen sowohl des hegemonialen als auch des konstitutiven Außen nicht angemessen erfassen. Viertens vernachlässigt Butler die ermächtigende Dimension in der Subjektivierung – durch die Überbetonung des Abhängigkeitsaspekts besteht die Tendenz, in die Subjektivierungskonzeption eine Ohnmächtigkeit gegenüber Gewaltverhältnissen einzuschreiben.
5.6.3
Die hegemoniale Ordnung und der konstitutive Ausschluss – Binarität und Differenzierungsräume?
Isabell Lorey hat in ihrer Dissertation Immer Ärger mit dem Subjekt (1996; hier: 2017) schon Mitte der 1990er Jahre herausgearbeitet, dass Butler aufgrund ihres juridischen Diskursbegriffs selbst nur in binären Kategorien denken kann, so dass die Komplexität und Widersprüchlichkeit der hegemonialen Ordnung – und meines Erachtens auch des konstitutiven Außen – nicht erfasst werden können. »Da Butler die binäre Strukturiertheit von Diskursen betont und nicht die Verknüpfung oder Vernetzung differenter, sich gegenseitig widersprechender, verstärkender oder ausschließender Diskurse, gerät die ›Normalität‹ von widersprüchlichen Geschlechtskonstruktionen in den Hintergrund der Analyse. Denn heterosexuelle Diskurse sind nicht nur binär strukturiert, sondern die einzelnen Diskurse sind oft sehr widersprüchlich.« (Lorey 2017: 70.; vgl. ebd.: 79) Lorey zufolge könne Butler ihre Analyse nicht historisch situieren, da sie jeden Bezug auf ein ›vor‹ des Diskurses ablehne. Meines Erachtens liegt Butlers Versäumnis nicht hauptsächlich darin, dass sie die juridische Struktur als allgemeingültige setzt, denn sie weist explizit auf ihre historische Veränderbarkeit hin, sondern darin, dass sie ihren Diskursbegriff als sprachlichsymbolischen fasst, so dass sie die materielle und historische Entwicklung des diskursiven Rahmens vernachlässigt. »Butler setzt mit der Universalisierung juridischer Strukturen und der axiomatischen theoretischen Funktion der Unvermeidbarkeit von Ausschlüssen binäre Strukturen als Prämisse. Damit erfüllt sie zwar den Anspruch der Dekonstruktivistin, die den Rahmen, den sie dekonstruiert und kritisiert, nicht einfach verlassen kann. An diesen Anspruch ist Butler jedoch nicht
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
zuletzt aufgrund ihrer konzeptionellen Verbindung von ›Macht-Sprache/ Diskurs-Gesetz‹ gekettet. Damit nimmt sie sich die Möglichkeit, ihren eigenen systemischen Rahmen zu historisieren. Sie berücksichtigt nicht die Geschichtlichkeit des Gesetzes und damit juridischer Diskurse.« (Ebd.: 71) Butler kann durch ihre Fokussierung auf binäre Gegensatzpaare keine Zwischen- und Graustufen oder innere Differenzierungen der Kategorien erfassen. So lassen sich die historischen Unterschiede im Verhältnis zwischen der heterosexuellen Matrix und dem Außen nicht mehr erfassen. So gibt es sowohl heterosexuelle Menschen, die sich beispielsweise aufgrund ihrer Geschlechtsidentität als queer verstehen, als auch homosexuelle Menschen, die sich eindeutig, d.h. als Cis-Geschlecht identifizieren. Darüber hinaus ist unklar, ab wann man gesellschaftspolitisch von einem Außen sprechen kann. Wie verändert sich die heterosexuelle Matrix historisch, kann sie abgelöst werden und wie lassen sich Unterschiede in den Freiheitsräumen von queerem Leben erfassen? Butler kann mit ihrem Begriff des konstitutiven Außen diese inneren Differenzierungen sowohl der heterosexuellen Norm als auch des konstitutiven Außen nicht erfassen. Denn es dürfte einen Unterschied machen, ob Subjekte in einer Gesellschaft vom Tode bedroht sind, wenn sie homosexuell begehren, oder ob es homosexuelle Lebensformen gibt, die lebbar, aber trotzdem (noch) nicht hegemonial sind bzw. sein werden, und auch nicht hegemonial sein müssen, um in ihrer Andersartigkeit als gleichwertig anerkannt zu werden. So wichtig und bedeutsam Butlers Betonung der subversiven Wirkung von Drag-Inszenierungen und das Aufzeigen queerer Denaturalisierungsstrategien in schwulen und lesbischen Lebensweisen war und ist, da sie die lustvolle Auseinandersetzung und das Spiel mit Geschlechter- und Sexualitätsnormen betont, besteht andererseits die Gefahr, das homosexuelle Begehren und damit die homosexuellen Subjekte als politische zu instrumentalisieren – wenn sie nur als ausgeschlossene Subjekte, die die heteronormative Ordnung entnaturalisieren, und nicht als Subjekte verstanden werden, die ihr homosexuelles Begehren, in welcher Form auch immer, ›frei‹, und sei es auch nur ›frei‹ innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft, leben oder leben wollen können.25 25
Interessanterweise lehnt auch Butler, wenn auch auf andere Weise, wie Foucault die identitäre Verortung als Homosexuelle/r ab. Während sich Butler jedoch nur gegen die eindeutige Identifizierung ausspricht, versuchte Foucault, Identitäten, die sich auf die Sexualität beziehen, generell zu kritisieren und durch gelebte Seinsweisen ersetzen zu
5. Subjektivierung bei Judith Butler
Die Widersprüchlichkeit und die Historizität der diskursiv-symbolischen Ordnung zu betonen, ist nicht nur wichtig, um widerständige Subjekte denken zu können, sondern auch, um die Kontingenz von Gesetzen und Normen nicht als willkürliche oder zufällige, sondern sie mit Foucaults DispositivBegriff als ›Antworten‹ auf historische und materielle Problemlagen verstehbar werden zu lassen und die widersprüchlichen Kräfteverhältnisse im Wirken von Normen, Gesetzen und Kategorien zu erfassen (vgl. ebd.: 102ff., 196, 98ff.; vgl. Foucault 1978: 120ff.; vgl. Hauskeller 2000: 258-272).26 Foucaults Begrifflichkeiten ermöglichen es außerdem, die Binarität zu überwinden, denn wie er bereits in Überwachen und Strafen in Bezug auf die Normalisierung ausführte, verläuft die Grenze nicht nur zwischen der Normalität und Anormalität, sondern die Räume sind selbst vielfältigen Differenzierungen unterstellt. Die Grenzziehungen sind flexibel und werden immer wieder neu gezogen. So wird es möglich, die Räume des Hegemonialen und des konstitutiven Außen als durch Widersprüche und unterschiedliche Grenzziehungen durchzogene zu denken. Über Althusser könnte außerdem darauf verwiesen werden, dass
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wollen (»schwule Körper und Lüste«). Hauskeller schrieb dazu: »Während Butler fordert, die Worte queer etc. zu resignifizieren und dadurch auch die jetzt diskriminierten Identitätsformen lebbar zu machen, spricht Foucault davon, auf Identität zwar nicht im Reden über sich, aber in der Lebensgestaltung und Lebensführung zu verzichten, sich als Subjekt im Werden zu verstehen. Der Unterschied zu Butlers Idee ist je nach Lesart einer der Nuancen oder sehr groß. Sein Leben schwul/queer leben heißt nicht, sich auf Homosexualität als Selbstdefinition festzulegen. Hierin liegt die Übereinstimmung zu Butler, die eine Kritik dieses Typs gegen Wittig formuliert, der sie vorwirft, die Kategorien der Heterosexualität festzuschreiben, wenn sie das Homosexuell-Sein als festen Ort des Widerstandes affirmiert. Foucault jedoch geht es darum, sich offen zu halten dafür, anders zu werden. Das Ziel dieser Offenheit ist keine Programmatik, wie Butler sie formuliert, sondern es sind stets neue, konkrete Verweigerungen gegenüber der Macht des Sexualitätsdispositivs.« (Hauskeller 2000: 271) Foucault schreibt zum Begriff des Dispositivs: »Drittens verstehe ich unter Dispositiv eine Art von – sagen wir – Formation, deren Hauptfunktion zu einem gegebenen historischen Zeitpunkt darin bestanden hat, auf einen Notstand (urgence) zu antworten. Das Dispositiv hat also eine vorwiegend strategische Funktion. Das hat zum Beispiel die Resorption einer freigesetzten Volksmasse sein können, die einer Gesellschaft mit einer Ökonomie wesentlich merkantilistischen Typ lästig erscheinen mußte: es hat da einen strategischen Imperativ gegeben, der die Matrix für ein Dispositiv abgab, das sich nach und nach zum Dispositiv der Unterwerfung/Kontrolle des Wahnsinns, dann der Geisteskrankheit, schließlich der Neurose entwickelt hat.« (Foucault 1978: 120; Herv. im Orig.)
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
der Raum der Hegemonialität auch unter der Perspektive der Gesellschaft gedacht werden muss, die selbst wiederum als ›komplexes Ganzes‹ strukturiert ist. So könnte Butlers fehlende Bezugnahme auf ökonomische und politischinstitutionelle Praktiken und Produktionsweisen ausgeglichen werden. Die heteronormative Matrix kann so als historisch entstandene begriffen werden, die sich jeweils spezifisch ausdrückt und die immer in Verbindung zu ökonomischen und politischen Verhältnissen steht.27
5.6.4
Abhängigkeit, ethische Anerkennungsbeziehungen und Autonomie
Dies führt zum letzten Kritikpunkt an Butlers Subjektivierungskonzeption – ihre Kritik der Autonomie. Dieser Punkt wurde u.a. prominent im Sammelband Streit um Differenz (dt. 1993) verhandelt. So kritisiert Benhabib in diesem, dass die Kritik des autonomen Subjekts nur in Form einer schwachen Lesart vertretbar sei, nach der das Subjekt als im gesellschaftlichen Kontext situiertes, verstanden werden könne (vgl. Benhabib 1993: 13). In der starken Lesart jedoch löse sich das Subjekt »in die Kette der Bezeichnung auf, als deren Initiator es einst gedacht wurde. Mit dieser Auflösung des Subjekts in eine bloße
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Hanna Meißner argumentiert in Jenseits des autonomen Subjekts ähnlich, indem sie Butlers und Foucaults Subjektivierungsanalyse durch Marx’ Analyse der kapitalistischen Produktionsweise und seinen Bezug auf einen strukturellen Gesamtzusammenhang zu ergänzen versucht. »Die bestimmte Form der Autonomie des Subjekts und die damit verbundene Verleugnung der konstitutiven Abhängigkeit sowie die spezifische Gerichtetheit der Dispositive der Bio-Macht als Optimierung des Lebens lassen sich unter der Marx’schen Perspektive in ihrer besonderen kapitalismusspezifischen Zuspitzung erfassen. Die Unterwerfung der Subjekte unter gesellschaftliche Verhältnisse kann damit in ihrer besonderen historischen Qualität weiter ausgewiesen werden.« (Meißner 2010: 186) Dieses Vorgehen ist überzeugend, jedoch liegt es meiner Ansicht nahe, dieses Vorhaben über Althusser zu verfolgen, da er zum einen explizit die Verbindung zwischen der kapitalistischen Produktionsweise und der Subjektwerdung über seinen Begriff der Anrufung thematisiert hat und zum anderen sowohl Foucault als auch Butler – auch wenn in unterschiedlicher Deutlichkeit – an seine Ausführungen anknüpfen. Außerdem hat Althusser, auch wenn er in seiner Theorie am Anspruch festhält, einen strukturellen Gesamtzusammenhang analysieren zu können, versucht, eine unterkomplexe Ableitungslogik zwischen Basis und Überbau – und damit auch zwischen der kapitalistischen Produktionsweise und der (ideologischen) Subjektwerdung – zu vermeiden.
5. Subjektivierung bei Judith Butler
›weitere Position der Sprache‹ verschwinden selbstverständlich auch Konzepte wie Intentionalität, Verantwortlichkeit, Selbstreflexivität und Autonomie.« (Ebd.) Nach Benhabib setze insbesondere der Feminismus ein Subjekt voraus, welches über eine Ich-Identität verfügt und so handlungsfähig und autonom werden kann, so dass es trotz heteronomer Bedingungen weiterhin nach Autonomie und Emanzipation streben könne (vgl. ebd.: 14). Butler antwortet auf diese Kritik, indem sie argumentiert, dass sie nicht das Subjekt und seine Handlungsfähigkeit verneine, sondern nach den konstitutiven Bedingungen und den Ausschlüssen der Subjektwerdung frage (vgl. Butler 1993: 32). Benhabibs Kritik bezieht sich auf die Subjektkonzeption von Gender Trouble und zeigt die Schwäche dieser Konzeption auf, die jedoch spätestens seit der Veröffentlichung von Psyche der Macht durch Butler ausgeglichen werden konnte, da sie das Subjekt nun auch als psychisches und reflexives fassen kann. So wird es möglich, mit Butlers Vokabular nicht mehr länger nur kontingente Resiginifizierungspraktiken, sondern auch strategische und bewusste politische Praktiken erfassen zu können. In dieser Arbeit wird Butlers These der Ambivalenz der Subjektivierung auch geteilt – das Subjekt wird durch Unterwerfung hervorgebracht, jedoch ist diese Hervorbringung sowohl prozesshaft als auch unabgeschlossen und geht mit der Bildung einer reflexiven Instanz einher, über die sich das Subjekt in eine kritische Distanz zu den eigenen Konstitutionsbedingungen setzen kann. Wichtig in ihrer Konzeption der Ambivalenz ist jedoch die Betonung der konstitutiven Abhängigkeit des Subjekts vom Anderen. Diesen Punkt greift sie in ihren ethischen Schriften wieder auf und betont nicht nur die Abhängigkeit vom sozialen Rahmen und Kontext, sondern auch, dass die dyadische Beziehung zwischen Ich und Du doppelt bestimmt ist: durch die Abhängigkeit von sozialen Normen und die Abhängigkeit vom konkreten Anderen. Wie im Folgenden gezeigt werden soll, kann dieser Punkt der Abhängigkeit in der Subjektivierungskonzeption sowohl positiv gewendet, als Anerkennung der Differenz und Uneindeutigkeit des eigenen Selbst sowie des Anderen, als auch negativ, als Ausgeliefertsein und Ohnmacht gegenüber sich selbst und dem Anderen, verstanden werden. Während diese zweite Tendenz, die auch Benhabib kritisiert hat, bereits in Butlers Subjektivierungskonzeption enthalten ist, wird sie in ihren ethischen Schriften zum Problem. In ihrer 2002 gehaltenen Adorno-Vorlesung Kritik der ethischen Gewalt führt Butler ihre ethische Konzeption ein, indem sie an ihren Begriff der ambivalenten Subjektivierung und der Frage ansetzt, wie und ob Verant-
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
wortungsübernahme aussehen könne, wenn das Subjekt sich selbst nie vollständig transparent sein kann, und welchen Stellenwert die Abhängigkeit vom Anderen in der ethischen Beziehung einnehme. Butler betont hier, wie schon in Psyche der Macht, dass das Subjekt nur in einer Beziehung zum Anderen, den es sich nicht ausgesucht habe, anerkannt und konstituiert werden könne. Ähnlich wie zuvor mit Spinozas Begriff des conatus, geht Butler davon aus, dass das Subjekt durch ein grundlegendes Begehren, im Sein zu verharren und anerkannt zu werden, gekennzeichnet sei (vgl. Butler 2003a: 57).28 Sie fügt nun aber über Emmanuel Lévinas und Adriana Cavarero hinzu, dass dieses Begehren nicht nur darin bestehe, anerkannt zu werden, sondern auch darin, den Anderen anzuerkennen (vgl. ebd.: 42f.). Butler denkt die Beziehung zum Anderen einerseits mit Hegel als dyadische Beziehung zwischen Ich und Du, andererseits über Hegel hinausgehend als Trias, da die Beziehung zwischen Ich-Du immer als in einen sozialen Kontext eingebettete zu verstehen sei. Butler zufolge könne es somit keine rein dyadische Beziehung geben bzw. könne die Beziehung nur im Kontext der sozialen Normen (bzw. der Sprache) verständlich werden (vgl. ebd.: 36, 39ff.). Diese Einbettung in den sozialen Kontext ermögliche es, die ethischen Reflexionen in einen Zusammenhang zur Gesellschaftskritik zu setzen, da ihre ethischen Überlegungen nicht nur die personale Ich-Du Beziehung präge, sondern sich auch auf den gesellschaftlichen Rahmen beziehe, der diese Beziehungen kontextualisiere. Butler versucht also, in ihren ethischen Schriften Macht- und Herrschaftsverhältnisse zu thematisieren, um asymmetrische Anerkennungsverhältnisse zu analysieren. In ihren vorherigen Schriften waren diese Asymmetrien vor allem auf die heteronormative Matrix bezogen – beispielsweise auf die gesellschaftliche Beziehung zwischen Heterosexuellen und Homosexuellen. Butler fügt aber nun in ihren ethischen Betrachtungen noch zwei Aspekte hinzu: Erstens geht es ihr nicht mehr nur um die fragile Anerkennung des Ichs, sondern auch um die Unmöglichkeit und Fragilität der Anerkennung des 28
Ich zitiere im Folgenden aus der ersten 2003 erschienen Veröffentlichung und nicht der erweiterten, an der englischen Ausgabe Giving an Account of Oneself (Butler 2005) orientierten und stark ergänzten Fassung von 2007, da die erste Veröffentlichung näher an der 2002 in Frankfurt gehaltenen Adorno-Vorlesungsreihe orientiert ist, so dass in dieser nicht geglätteten Version die Widersprüche ihrer Konzeption deutlicher werden können. Die im Herbst 2002 in Frankfurt gehaltene Vorlesungsreihe orientierte sich wiederum an den im Frühjahr 2002 gehaltenen Spinoza-Vorlesungen in Amsterdam (vgl. Butler 2007: 7).
5. Subjektivierung bei Judith Butler
Anderen, des Du. Zweitens bezieht Butler ihre Überlegungen nicht mehr nur auf die heteronormative Matrix und ihre Vermittlung zur personalen Beziehung zwischen Ich und Du, sondern versucht, diese politisch zu wenden und in verkürzter Weise auch auf politische Gruppierungen oder Nationalstaaten anzuwenden (vgl. Villa 2012: 137f.). Dem ersten Aspekt nach betont sie, dass nicht nur das Ich, sondern auch das Du als verworfener Mensch begriffen werden müsse, da er im Rahmen der Normen niemals vollständig anerkannt werden könne. Die Unmöglichkeit, dem Anderen im Rahmen der mir gegebenen Normen in der Begegnung und der Frage ›Wer bist du?‹ gerecht zu werden – ihn als also als Anderen anzuerkennen –, zwinge zur Hinterfragung des Normensystems selbst (vgl. Butler 2003a: 43, 35). Da der gesellschaftliche Rahmen auch den Rahmen der personalen Beziehung bestimme, und damit die Art und Weise der ethischen Begegnung, könne das Scheitern der Anerkennung im ethischen Verhältnis zur Kritik des normativen Rahmens führen. Das nie zu stillende Begehren nach Anerkennung und das permanente Scheitern derselben würden also potentiell dazu führen, Kritik am normativen Rahmen zu üben. Butler denkt diese Bewegung aber nicht als Automatismus, da das vorherrschende Subjektverständnis ja darin bestehe, sich als autonom und vom Anderen unabhängig zu erfahren. Dies könne in der Anerkennung des Anderen auch zur Illusion führen, den Anderen vollständig erfassen zu können – eine Illusion, die zum Stillstand und der Bewahrung des Bestehenden führe (vgl. ebd.: 57-63). Aus dieser Konstellation leitet Butler einen neuen Verantwortungsbegriff ab: Die Undurchschaubarkeit des eigenen ›Ichs‹ könne zum Eingeständnis der eigenen Fehlbarkeit führen, und zur Voraussetzung der ethischen Anerkennung des Anderen, da sie, wechselseitig verstanden, zum Aufschub des Urteils und der Akzeptanz der Undurchschaubarkeit und Fehlbarkeit des Anderen führe (vgl. ebd.: 54, 60, 94). Verantwortung müsse also darin bestehen, die eigene Fremdheit – die aus der grundlegenden Abhängigkeit vom Anderen stamme und eine grundlegende Verletzlichkeit gegenüber dem Anderen offenlege – zur Quelle der ethischen Verknüpfung mit Anderen werden zu lassen. »Ich spreche als ein ›Ich‹, aber ich glaube nicht irrigerweise, mein gesamtes Tun genau zu kennen, wenn ich so rede. Ich stelle fest, dass schon mein Formungsprozess den Anderen in mir impliziert, dass meine eigene Fremdheit mir selbst gegenüber paradoxerweise die Quelle meiner ethischen Verknüpfung mit Anderen ist. […] Muss ich mich kennen, um in sozialen Beziehun-
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gen verantwortlich zu handeln? Bis zu einem gewissen Grad gewiss. Besitzt aber auch mein Unwissen eine ethische Wertigkeit? Ich bin verletzt, und ich stelle fest: Meine Verletzung selbst belegt, dass ich offen für Eindrücke, dass ich dem Anderen auf eine Weise ausgeliefert bin, die ich nicht vollständig vorhersagen oder kontrollieren kann. Ich kann die Frage der Verantwortung nicht losgelöst vom Anderen denken; wenn ich das tue, dann habe ich mich schon aus jener Art der Adressierung herausgenommen, die von Anfang an den Rahmen für das Problem der Verantwortung bildet.« (Ebd.: 94f.) Nun geht Butler davon aus, dass die Verletzlichkeit einerseits wechselseitig ist, sowohl das Ich als auch das Du sind vom Anderen abhängig und diesem ausgesetzt; zum anderen erweitert sie diese Wechselseitigkeit gemäß des zweiten Aspekts um eine politische Komponente, so dass das Verhältnis zwischen Ich und Du nun als gesellschaftliches, und damit auch als asymmetrisches gedacht werden kann. So kann der Grad der Verletzlichkeit und Abhängigkeit zwischen Ich und Du variieren (vgl. ebd.: 15).29 Nun zieht Butler einerseits die naheliegende ethische Konsequenz, dass trotz der Asymmetrie die Abhängigkeit und damit die potentielle Verletzlichkeit nicht abgelegt werden könne, so dass die ethische Verantwortung darin liege, die (vermeintliche) Überlegenheit nicht auszunutzen und dem Anderen Gewalt anzutun. Andererseits fordert Butler aber auch, dass bei Gewaltandrohung oder sogar Gewaltausübung, die Wechselseitigkeit und damit die Verantwortung gegenüber dem Anderen nicht aufgegeben werden dürfe. »Was könnte es bedeuten, eine Verletzung zu erleiden, sich der allzu raschen Auflösung der Trauer und der Verletzlichkeit in Gewalt zu verweigern und als Experiment eines anderen Lebens Gewaltlosigkeit ohne jede Wechselseitigkeit zu praktizieren?« (Ebd.: 99) 29
In ihren neueren politischen Schriften hat Butler diese These differenzierter ausgearbeitet. Die Beziehung zwischen Ich und Du impliziere ein wechselseitiges Ausgeliefertsein an den Anderen und gehe mit einer wechselseitigen Verletzlichkeit einher. Gesellschaftlich werde diese Wechselseitigkeit aber einerseits nicht als gleichmäßig verteilte begriffen. Politische Gruppierungen und Staaten können sich entweder einseitig als Souverän oder als Opfer begreifen und somit die Wechselseitigkeit verleugnen. Andererseits gebe es aber auch einen politischen Kampf um die Frage, wer überhaupt als betrauerbarer Anderer wahrgenommen werden könne. So könne die Wechselseitigkeit auch dadurch geleugnet werden, dass der Andere gar nicht als schützenswerter Anderer begriffen werde (vgl. Butler 2010). In ihrer jüngsten Veröffentlichung The Force of Non-Violence (2020) betont sie außerdem, dass auch die Frage, was als Gewalt zählt und was nicht, politisch umkämpft ist (vgl. Butler 2020: 14).
5. Subjektivierung bei Judith Butler
Butler zufolge habe auch das bedrohte Ich eine Verantwortung gegenüber dem ›Verfolger‹ und dürfe sich nicht ›selbst verteidigen‹, da diese Selbstverteidigung von Butler als narzisstischer Akt eingestuft wird, in welchem der Abhängigkeitsaspekt verleugnet werde. »Verteidigen können wir uns gegen sie [die Verletzung; C.F.] nur, indem wir die Asozialität des Subjekts höher stellen als seine schwierige und nicht zu steuernde, ja manchmal unerträgliche Relationalität.« (Ebd.: 100; Herv. C.F.) Die Annahme einer Verantwortung gegenüber des ›Verfolgers‹ wird aus mehreren Gründen problematisch. Auch wenn Butler die Idee bei Lévinas entlehnt, führt sie ihren Verantwortungsbegriff auch über die psychoanalytische Perspektive auf die Beziehung zwischen Kind und Erwachsenem ein (vgl. ebd.: 85-86, 97, 63-79).30 »Wir könnten das auf die Freud’sche Einsicht beziehen, wonach der Säugling die Anlage hat, eher alles und jeden zu lieben, das oder der als ›Objekt‹ erscheint, als gar nicht zu lieben. Und das ist ein Skandal, denn hier sehen wir, dass die Liebe von Anbeginn an keine Urteilskraft besitzt und dass sie bis zu einem gewissen Grad auch bis ans Ende ihrer Tage ohne Urteilskraft oder jedenfalls ohne gute Urteilskraft bleibt. Was ich hier zu beschreiben suche, ist die Voraussetzung des Subjekts, die aber nicht meine ist: Sie gehört nicht mir. […] Die Primärempfänglichkeit für Eindrücke ist kein Zug meiner selbst, und daher kann ich nicht warnend sagen: ›Ich bin beeindruckbar‹.« (Ebd.: 86f.) In dieser Perspektive ist verständlich, dass das Kind als dem Erwachsenen gegenüber in einer asymmetrischen Abhängigkeitsbeziehung stehend verstanden wird. Die ›Verfolgung‹ durch den Anderen ist hier metaphorisch gemeint. Das Kind werde vom erwachsenen Anderen in Form einer ›traumatischen‹ Adressierung angesprochen, die darin bestehe, dass das Kind sich die Adressierungen und Adressierenden nicht aussuchen und diese später auch nicht bewusst erinnern könne. Dennoch werde es im Laufe seines Lebens von diesen nicht erinnerbaren ›Spuren‹ immer wieder eingeholt und gewissermaßen vom Anderen ›verfolgt‹ (vgl. ebd.: 95). Butler betont zu Recht, dass diese primären Adressierungen uns als individuelle Subjekte in einer Weise strukturieren, die wir zwar nicht bewusst erinnern können, die uns aber im weiteren Leben unverhofft immer wieder heimsuchen können und uns verletzbar machen. 30
Eine Einordnung von Butlers Lévinas-Bezügen findet sich beispielsweise bei Benhabib (2013).
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
»Adressiert werden trägt ein Trauma in sich, lässt das Traumatische anklingen, und doch kann dieses Trauma nur im Nachhinein durch einen späteren Vorfall erfahren werden. Ein anderes Wort tritt uns, wie ein Schlag, eine Anrede oder Benennung, die tötet, auch wenn man weiterlebt, weiterlebt als dieses getötete Wesen, weiter spricht.« (Ebd.) Auch die ›Gewalt‹, die das Subjekt in dieser ›Verfolgung‹ erleben könne, sei hier nicht physisch zu verstehen, sondern als Gewalt, die dem singulären Einzelnen durch die ›fremde‹ (sprachliche) Adressierung angetan werde. Doch Butler wechselt im Laufe ihrer Ausführungen immer wieder die Ebenen und deutet an, dass sie auch vom tatsächlichen ›Verfolger‹, d.h. von einem ›Täter‹, der einem Gewalt, im psychischen wie im physischen Sinne androht oder antut, ausgeht.31 »Sie [die Gewalt; C.F.] beschreibt eine physische Verletzbarkeit, der wir nicht entrinnen können, die wir nicht abschließend im Namen des Subjekts auflösen können; diese Verletzbarkeit kann uns jedoch begreifen helfen, inwieweit wir alle nicht genau umgrenzt, nicht genau abgetrennt sind, sondern einander körperlich auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind, einer in der Hand des anderen.« (Ebd.: 101; Herv. C.F.) Und auch wenn Butler betont, dass weder das Kind noch das spätere ›Ich‹ verantwortlich für die Taten und die ›Verfolgung‹ durch den Anderen gemacht werden können, hält sie daran fest, dass das Subjekt über die grundlegende Strukturierung und Abhängigkeit vom Anderen die Verantwortung dafür trage, dass die Beziehung und Abhängigkeit nicht aufgelöst werde. Dies heißt für sie konkret, dass das Subjekt sich trotz ›Gewalt‹ nicht verteidigen dürfe, da es sonst die Beziehung zum Anderen kappe und sich als autonomes Subjekt behaupten wolle – und sie setzt hier Autonomie mit Asozialität und ethischer Gewalt gleich. »Man kann immer sagen: ›Mir ist Gewalt angetan worden, und deshalb darf ich mich verteidigen‹. Viele Gräueltaten werden im Namen der ›Selbstver-
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Es ist durchaus entscheidend, ob ›Verfolgung‹ und ›Gewalt‹ nur metaphorisch gemeint sind oder auch wörtlich zu verstehen sind. So würde die Konzeption in ihrer psychoanalytischen und metaphorischen Dimension ein anderes Gewicht annehmen können, da beispielsweise der Verzicht auf die Zerstörung des Liebesobjektes nicht gleichgesetzt werden kann mit dem Beziehungsabbruch bei tatsächlicher Verfolgung oder Gewalt, d.h. bei physischem und psychischem Missbrauch.
5. Subjektivierung bei Judith Butler
teidigung‹ begangen, die an kein Ende kommt und an kein Ende kommen kann, weil sie eine permanente ethische Rechtfertigung der Vergeltung liefert. Diese Strategie ermöglicht, die Aggression in erlittenes Leid umzubenennen und bietet damit eine unerschöpfliche Rechtfertigung der Aggression.« (Ebd.: 100) Diese Konzeption ist bereits auf der Ebene der personalen Ich-Du-Beziehung problematisch, da das Subjekt, will es nicht selbst ›Gewalt‹ ausüben, nun keine andere Wahl zu haben scheint, als sich ohnmächtig der Gewalt des Anderen – wie Butler schreibt, auf Gedeih und Verderb – auszuliefern. Und auch wenn sie die grundlegende Abhängigkeit vom Anderen entwicklungspsychologisch herleitet, legt sie durch ihre These der grundlegenden Strukturierung des Subjekts durch den Anderen implizit nahe, dass auch das erwachsene Subjekt ohnmächtig bleiben müsse.32 Sie changiert in der Vorlesung zwischen der metaphorischen und wörtlichen Verwendung von Gewalt, Verfolgung und Verletzbarkeit.33 Es dürfte deutlich werden, wieso es unzulässig ist, diese Konzeption der ethischen Verantwortlichkeit nun auch auf Gruppen und (National-)Staaten zu beziehen. So erwähnt Butler bereits in den AdornoVorlesungen immer wieder den Nahost-Konflikt und die Beziehung zwischen Israel und Palästina. Bereits hier besteht die Gefahr, dass Butlers antizionistische Positionierung nicht nur aus einer historisch-theologischen Auseinandersetzung mit dem Judentum folgt, sondern auch schon in ihrer früheren
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So formuliert Butler dies auch in ihren jüngeren politischen Schriften explizit: »Dass dies [die Abhängigkeit; C.F.] bei Kindern der Fall ist, würden die meisten wohl sofort zugestehen, wären aber skeptisch, was Erwachsene angeht; ich halte dagegen, dass niemand, egal welchen Alters, dieser besonderen Bedingung der Abhängigkeit und Anfälligkeit jemals entwächst.« (Butler 2018a: 173) So stellt Butler in Raster des Krieges (Butler 2010) einerseits fest, dass es verschiedene Formen von ›Gewalt‹ geben kann und auch Formen der ›Gewalt‹, die als ›Selbstverteidigung‹ zu begreifen sind, differenziert aber dennoch in ihren eigenen Ausführungen nicht, auf welche Formen von Gewalt sie Bezug nimmt und in welchen Fällen ›Gewaltlosigkeit‹ ethisch angemessen ist. »Wir müssen fragen: ›Gewaltlosigkeit gegenüber wem?‹ und ›Gewaltlosigkeit gegenüber was?‹ Hier sind Unterscheidungen zu treffen, etwa zwischen Gewalt gegen Personen, Gewalt gegen empfindungsfähige Wesen, gegen Eigentum oder gegen die Umwelt. […] Darüber hinaus gibt es Arten der Gewalt, die andere Gewalt beenden sollen; es gibt die Selbstverteidigung, die Gewalt gegen Greueltaten oder Hunger oder sonstige humanitäre Krisen und die revolutionäre Gewalt im Kampf um eine demokratische Politik.« (ebd.: 154)
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theoretischen Konzeption und damit hauptsächlich theoretisch-konzeptionell angelegt ist, auch wenn sie von dieser Konzeption nicht abgeleitet werden kann. Die bereits in ihren früheren Schriften angedeutete Problematik der binären Struktur zwischen einer hegemonialen und einer ausgeschlossenen (und abgewerteten) Position kann gefährlich werden, wenn man sie auf Staaten und politische Gruppierungen überträgt. Gerade hier sollte deutlich werden, dass die binären Unterscheidungen zwischen Verfolger und Verfolgten (Oben/ Unten; Westen/Orient) unterkomplex sind und nicht strukturformal, sondern nur durch eine historisch-politische Betrachtung angemessen erfasst werden können (vgl. Benhabib 2013: 167; unkritisch dazu vgl. Villa 2012: 136ff., 140).34 Nun muss man Butler zugestehen, dass sie selbst auf diese Gefahr hinweist und sich dagegen ausspricht, von einer ontologischen und dichotomen Positionierung von Opfer/Täter auszugehen.35 Sie verfehlt aber, zu kennzeichnen, dass es durchaus Opfer/Täter-Relationen geben kann, so dass die Wechselseitigkeit im ethischen Verhältnis aufgekündigt werden muss.36 Butler verbleibt entgegen ihrer eigenen Intention in einem Schwarz-Weiß-Bild, in welchem 34
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Interessanterweise wirft Butler in ihrer erweiterten Fassung Lévinas vor, diese strukturformale Argumentation zu verfolgen, da er nicht nur Israel mit den Juden gleichsetze, sondern Israel strukturell als ›Verfolgten‹ und ›Opfer‹ setze, und so eine vor-ontologische Position mit einer ontologischen Position kurzschließe, um die ›Selbstverteidigung‹ legitimieren zu können (vgl. Butler 2007: 127f., 129). »Die Frage nach der Ausübung oder Nichtausübung von Gewalt stellt sich eben in der fortdauernden kontroversen Debatte über die Macht. Nicht allein der Privilegierte kann entscheiden, ob Gewaltanwendung das beste Vorgehen ist; paradoxerweise, ja schmerzlicherweise muss auch der Entrechtete entscheiden, ob er zurückschlägt und wenn, in welcher Form.« (Butler 2010: 164) In ihrer jüngsten Publikation The Force of Non-Violence (2020) betont sie nun stärker, dass die Wahrnehmung von Gewalt und Gewaltlosigkeit – und damit auch von Opfer und Täter – stark umkämpft und politisch ist. Selbstverteidigung sieht sie allerdings weiterhin kritisch, da diese auch von den Mächtigen als Ausrede zur Verteidigung der Machtposition genutzt werden könne (vgl. ebd.: 12). Dennoch weigert sie sich, Gewaltlosigkeit als absolutes (moralisches) Prinzip festzusetzen. »I am not saying that no one should defend oneself, or that there are no cases where intervention is necesseray. For nonviolence is not an absolute principle, but an open-ended struggle with violence and its countervailing forces.« (ebd.: 56) Und auch wenn sie nun die Wechselseitigkeit (»egalitarian approach to the preservation of life« (ebd.)) betont, fokussiert sie auch hier weiterhin die Achtung des Anderen durch ein Nichthandeln, welches sie als Weigerung, Gewalt fortzuschreiben und zu resignifizieren, versteht (vgl. ebd.: 7f.). »I have sought to show how equality, which now includes the idea of equal grievability, links
5. Subjektivierung bei Judith Butler
›Selbstverteidigung‹ entweder als Racheakt oder als Angriff zu verstehen ist. Diese Problematik entsteht nicht zuletzt dadurch, dass sie immer wieder die Ebenen zwischen ethischen Beziehungen von Personen, Gruppen und Staaten, aber auch zwischen psychoanalytischen, entwicklungspsychologischen und politischen Prozessen wechselt, ohne dies kenntlich zu machen und ohne die Differenzen zu reflektieren.37 Ethisch verantwortlich zu handeln, heißt bei Butler also, trotz Gewalt oder Gewaltandrohung nicht zu handeln, also in einer ohnmächtigen Position zu verweilen.38 Diese Konsequenz müsste jedoch nicht aus Butlers Kritik des autonomen Subjekts folgen. Sie weist zu Recht auf die Abhängigkeit vom uneinholbaren Anderen hin – sie verfehlt aber, diese Abhängigkeit in ihrer Ethik auch in ihrer Konsequenz als wechselseitige zu setzen.39 Während es auf personaler Ebene überzeugend sein kann, die ethische Verantwortung darin zu sehen, Geduld zu üben und die Fehlbarkeit des Anderen zu akzeptieren, wird diese ethische Verantwortung durch die Gewaltandrohung des Anderen gekappt. Die Verletztlichkeit beider Parteien trotz Asymmetrien anzuerkennen, müsste als konstitutiver Bestandteil der ethischen Verantwortlichkeit gelten. Da Butler diese Wechselseitigkeit nicht konsequent durchdenkt, kann sie die
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to interdependency, and to the questions of why and how to practice nonviolence of a militant sort.« (ebd.: 61) So kann es beispielsweise sinnvoll sein, darauf zu verweisen, dass die ›Gewalt‹ der Normen, die uns hervorbringen und prägen, uns im weiteren Verlauf nicht determinieren und dass auch wir dazu beitragen können, diese Form der gewaltsamen Adressierung zu vermeiden, indem wir der Fehlbarkeit und Uneindeutigkeit des Anderen Raum geben. Dieser Verzicht auf ›Gewalt‹, dieses Nichthandeln, ist jedoch nicht gleichzusetzen mit dem Verzicht auf Kriegsführung oder Selbstverteidigung. »Unter diesen Umständen, wo Handeln das Subjekt auf Kosten des Anderen reproduziert, ist das Nichthandeln ein Weg, um aus dem geschlossenen Zirkel der Reflexivität auszubrechen, ein Weg, sich den Bindungen zu überlassen, die binden und entbinden, ein Weg der affektiven Erkenntnis und Forderung der Gleichheit, ja es ist ein Modus des Widerstands, insbesondere, wo das Nichthandeln die Rahmen ablehnt und durchbricht, die immer wieder der Führung von Kriegen dienen.« (Butler 2010: 170) Dieses Verweilen und das Nichthandeln kann mit Butler durchaus als Entscheidung des Subjekts und damit als Entscheidung eines handlungsfähigen Subjekts verstanden werden. Butler versteht zwar die Abhängigkeit durchaus als wechselseitige, jedoch zieht sie daraus zugleich die Konsequenz, bei Gewaltandrohung, und damit bei Kündigung des wechselseitigen Verhältnisses, weiter an der Wechselseitigkeit, das heißt der Beziehung zum Anderen, festzuhalten.
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
(legitime) Möglichkeit des Subjekts, sich zu verteidigen, nicht berücksichtigen. Abhängigkeit und Missbrauch derselben dürfen nicht in eins gesetzt werden. Meines Erachtens vernachlässigt Butler in ihren ethischen Ausführungen, deutlich zu machen, dass die Autonomie, missbräuchliche Beziehungen zu beenden oder aber auch sich gegen Gewalt(-androhungen) zur Wehr zu setzen, weder gleichzusetzen ist mit der Behauptung, man könne ohne die Beziehung zu Anderen leben, noch sollte Selbstverteidigung mit einem Racheoder Vergeltungsakt verwechselt werden. Benhabib weist zu Recht darauf hin, dass ein Zur-Wehr-Setzen gegen den Anderen nicht die Relationalität negiere: »Warum sollte ich an den Anderen nicht ebenso gebunden sein, wenn ich es ablehne, verfolgt zu werden; wenn ich stattdessen gegen den Anderen kämpfe, Widerstand leiste, vor ihm fliehe oder mich gegen ihn organisiere?« (Benhabib 2013: 173) Das handlungsfähige Subjekt, welches sich trotz konstitutiver Abhängigkeit zur Wehr setzt oder Beziehungen abbricht, ist meines Erachtens begrifflich nicht gleichzusetzen mit dem autonomen Subjekt. In dieser Arbeit wird gegen Butler davon ausgegangen, dass auch das ambivalente Subjekt oppositionell oder widerständig handeln kann, da es weder durch den gesellschaftlich Anderen determiniert ist, noch vom konkreten Anderen – bei Butler sowohl konkrete Personen, als auch Gruppen oder Staaten – direkt abhängig ist. In Bezug auf Butlers Subjektivierungskonzeption, wie sie in dieser Arbeit herausgearbeitet wurde, heißt dies wiederum, dass das Subjekt zwar nur durch die Unterwerfung hervorgebracht und handlungsfähig wird, aber Subjektivierung bedeutet auch, dass die Subjekte sich gegen die Bedingungen, die sie hervorgebracht haben, wenden können. Auch die Subjekte im Außen können demnach für sich selbst sprechen; jedoch sprechen sie von einer Außenposition aus, von der aus es schwer sein kann, ›gehört zu werden‹ oder aber eine eigene Sprache entwickeln zu können. Dieses Beharren auf der Handlungsmöglichkeit und dem Subjektsein im Außen setzt nicht das Subjekt als autonomes voraus, sondern die Handlungsfähigkeit liegt im oppositionellen oder aber, etwas weniger dichotom verstanden, im nach Freiheit strebenden Handeln. Dass diese Freiheit immer eingebettet ist in die Beziehungen zu Anderen und in kollektive Formen des Zusammenlebens, heißt jedoch nicht, dass man sich ohnmächtig dem Anderen unterwerfen muss. Dass man in seinem Sich-zur-Wehr-Setzen vielleicht auch den Status des Subjekts aufs Spiel setzen muss, heißt, dass man den Status des hegemonialen und intelligiblen Subjekts angreift – denn ein Subjekt, dass widerständig handeln
5. Subjektivierung bei Judith Butler
kann, kann man auch noch im konstitutiven Außen sein.40 Der drohende (soziale) Tod ist damit die Gefahr, die ein kritisches Zur-Wehr-Setzen begleiten kann, und nicht die Gefahr, die man in Kauf nehmen sollte, um in einer Gewaltbeziehung zu verharren. Das Risiko, anders zu handeln, ist damit nicht weniger gering, denn die konstitutive Bezogenheit lässt kein autarkes Sein jenseits des Gesellschaftlichen zu.
5.6.5
Ermächtigung als ein Sich-zur-Wehr-Setzen
Nach der Ausführung dieser vier Kritikpunkte, die sich hauptsächlich auf die gesellschaftspolitischen Konsequenzen und die bewegungspolitischen Anschlüsse der Theorie Butlers beziehen, sollen im Folgenden die Möglichkeiten und Grenzen des Subjektivierungsbegriffs von Butler zusammenfassend dargestellt werden. Butlers Subjektivierungsbegriff lässt sich durch sechs Merkmale kennzeichnen: Erstens ist Subjektivierung als ein Prozess der diskursiven Hervorbringung zu verstehen; zweitens realisiert und materialisiert sich dieser Prozess nur, wenn dieser über sich immer wiederholende, die Norm der heteronormativen Matrix zitierende, performative Akte (re-)produziert wird; drittens ist Subjektwerdung an die Identifikation und den Status einer eindeutigen Geschlechtsidentität (männlich/weiblich) gebunden; so dass viertens Subjektwerdung immer mit einem konstitutiven Ausschluss anderer, von der Eindeutigkeit der Geschlechtsidentität abweichender Seinsweisen einhergeht; dieser Ausschluss findet fünftens auch im Inneren des Subjekts statt, als Verwerfung oder Verdrängung von Uneindeutigkeiten; diese Verwerfung konstituiert einerseits das Unbewusste, andererseits bürgt es auch für das Scheitern der geschlossenen Subjektwerdung, da der Prozess immer mit einem überschüssigen Rest, der nicht in der Ordnung des Diskurses aufgehen kann, einhergeht; sechstens denkt Butler Subjektivierung als notwendige Bezogenheit und Abhängigkeit von Anderen, die das einzelne Subjekt sich nicht ausgesucht hat; daraus leitet sie eine ethische Verantwortlichkeit gegenüber dem Anderen und seiner ›Uneinholbarkeit‹ ab.
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Dies heißt aber nicht, wie Butler affirmierend behauptet, dass zur »Interdependenz auch die Drohung des Todes gehört« (Butler 2018a: 198), sondern dass die Interdependenz in einem konkreten Fall abzuwehren auch heißen kann, dass das Zur-WehrSetzen zum (sozialen) Tode führen kann.
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
Über diese sechs Merkmale des Subjektivierungsbegriffs wird es möglich, eine Kritik an der autonomen Subjektform und der gegenwärtigen Geschlechterordnung zu formulieren. Butler kann über ihre Begriffe der diskursiven Hervorbringung, der Performativität und Iterabilität Subjektwerdung als prozessualen und offenen Prozess denken. Ähnlich wie bei Althusser legt sie den Fokus in der Subjektwerdung aber auch auf die psychische Dimension. Dieser Fokus ermöglicht es, Subjektwerdung vor allem auch als Scheitern zu betrachten – dieses Scheitern ist aber nicht nur negativ gedacht, denn Butler verweist damit vor allem darauf, dass Subjektwerdung auch ein aktiver Prozess ist, in welchem die bestehenden Normen, Gesetze und Ordnungen in der Figur einer Wendung aufgenommen und im Prozess selbst transformiert werden können, so dass sowohl das Subjekt als auch die Normen nicht einfach nur das Produkt oder der Effekt der Ordnung des Diskurses sind. Butlers Subjektkonzeption weist in seiner psychischen Dimension allerdings auch darauf hin, dass Subjektwerdung nicht nur ein offener Prozess ist, sondern dass das Subjekt zugleich in einer affektuellen oder libidinösen Beziehung zu den hervorbringenden Bedingungen stehen kann, so dass der Preis des strategischen Sich-zur-Wehr-Setzens gegen die konstitutiven Bedingungen sehr hoch sein und zugleich eine Erklärung dafür liefern kann, warum die bestehenden Bedingungen, trotz Einschränkungen, von den Subjekten auch affirmiert werden. Die Grenzen der Subjektivierungskonzeption liegen jedoch darin, dass Butlers Diskursbegriff zu stark an der binären Logik orientiert bleibt, so dass sie widersprüchliche Entwicklungen und Differenzierungen in der Hervorbringung der Subjekte nicht genügend berücksichtigen kann. Sie hat außerdem die Tendenz, in ihrer Identitäts- und der Autonomiekritik zu totalisierend zu argumentieren. So kann es gerade im Hinblick auf politische Fragen sinnvoll sein, ein politisches (Kollektiv-)Subjekt zu bilden, um politisch handlungsfähig zu werden. Dies bedeutet nicht, dass dieses als essentialisiertes begriffen werden muss. Auch hier können Resignifizierungspraktiken umgesetzt werden. Butlers Verweis auf die grundlegende Strukturierung der Subjekte durch die Abhängigkeit wird in dieser Arbeit einerseits geteilt, jedoch wird andererseits betont, dass diese Abhängigkeit weder absolut noch konkret gedacht werden muss, und auf die notwendige Berücksichtigung der Differenz zwischen der Abhängigkeit von Kindern und Erwachsenen hingewiesen. Das Subjekt ist zwar durch die Abhängigkeit Zeit seines Lebens strukturiert, aber es ist gemäß der Figur der Ambivalenz auch dazu in der Lage, sich gegen konkrete Abhängigkeitsverhältnisse zur Wehr zu setzen, diese zu beenden
5. Subjektivierung bei Judith Butler
oder, wenn es gesellschaftliche Verhältnisse sind, diese im Zusammenschluss mit Anderen zu transformieren oder abzuschaffen. Dieses Zur-Wehr-Setzen ist die ermächtigende Dimension und kennzeichnet zugleich die politische Dimension der Subjektivierung und Handlungsfähigkeit.
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6. Eine integrierte Subjektivierungsanalytik Das komplexe Ganze, die Historizität, die Normalisierung, die Psyche und das Unbewusste, das Scheitern und die Ethik
Wie zu Beginn bereits ausgeführt wurde, lässt sich die Analyse der Subjektivierung anhand von fünf Merkmalen darstellen: Erstens wird die prozessuale Hervorbringung und Konstitution der Subjekte berücksichtigt, so dass die Unabgeschlossenheit im Prozess betont werden kann; zweitens wird der Fokus auf die Praktiken, durch die die Subjekte hervorgebracht werden, gelegt, wobei in dieser Arbeit dafür plädiert wird, auch das Denken als Praxis zu begreifen; drittens wird Subjektwerdung aufgrund des Verständnisses von Macht als Kräfteverhältnis in seiner Kontingenz und Dezentriertheit verstanden, aber zugleich betont, dass die Kontingenz als formierende ›Antwort‹ auf eine historische Problemlage verstanden werden kann; viertens wird die Ambivalenz im Werden betont und gezeigt, dass dem Selbst die eigene Geschichte des Gewordenseins nicht vollständig zugänglich sein kann und dass Autonomiebestrebungen mit Abblendungen von nicht bewussten und uneindeutigen Anteilen einhergehen können; fünftens wird Subjektivierung als komplexes Zusammenspiel von Autonomie und Heteronomie begriffen, zugleich aber mit dem Begriff der Ambivalenz gezeigt, dass dieses Zusammenspiel in der Figur des autonomen Subjekts verschwindet, obwohl Subjektsein in seiner psychischen Dimension auf die notwendige Abblendung der Abhängigkeit von Anderen verweisen müsste. Das Ziel der integrierten Subjektivierungsanalytik soll darin bestehen, die Möglichkeiten des gesellschaftlichen Seins in der Gegenwart angemessen beschreiben zu können, um über die Analyse der konstitutiven Bedingungen des Seins zugleich die Möglichkeiten des Andersseins erörtern zu können. Somit kann die integrierte Subjektivierungsanalytik als diagnostisches Instru-
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
ment der Subjektwerdung und der Kritik an den konstitutiven Bedingungen dienen. Wie im einleitenden Kapitel angekündigt wurde, kann die Analytik damit zugleich als eine Analytik der Macht beschrieben werden, wenn man Macht in Form von hervorbringenden Kräfteverhältnissen denkt. Auch wenn die Analyse aufgrund des so verstandenen ›weiten‹ Machtbegriffs normativ unterbestimmt ansetzt, da sie vorab keine Unterscheidung zwischen ›guten‹ und ›schlechten‹ Kräfteverhältnissen setzt, bleibt diese dennoch normativ bestimmt, da sie auf die Möglichkeit eines besseren und freiheitlicheren Lebens zielt. Wie ein solches Leben aussehen kann, lässt sich jedoch oft nur im Kontrast zu einem negativen Bild ablesen und besteht in einem ›Nicht-so-seinund-leben-Müssen‹, welches den Bezugspunkt für das politische Handeln der einzelnen sowie der kollektiv zusammengeschlossenen Subjekte bildet. Hierfür müssen aber die konstitutiven Bedingungen des Seins in der Gegenwart analysiert werden. In Anschluss an die erfolgte Analyse zur Subjektivierung bei Althusser, Foucault und Butler soll nun abschließend gezeigt werden, dass Subjektwerdung, um für eine politische Analyse der Gegenwart fruchtbar gemacht werden zu können, anhand folgender Kategorien analysiert werden muss: erstens anhand des gesamtgesellschaftlichen Zusammenhangs, welcher auch das ökonomische Produktionsverhältnis berücksichtigt und mit Althusser begrifflich als das komplexe Ganze gefasst werden kann; zweitens muss Subjektwerdung in seiner Konkretion als historischer Prozess des Werdens erfasst werden, welcher drittens in der Gegenwart als Prozess der Normalisierung untersucht werden kann; viertens anhand des Imaginären, welches die psychische und affektive Dimension im Prozess des Werdens erfasst und damit auch die Innerlichkeit und die individuelle Bewältigung des Subjektwerdens miteinbezieht, welches sich auch in der Konstitution des Unbewussten im Prozess zeigt und die kritische und reflexive Distanz zu den eigenen Konstitutionsbedingungen ermöglicht; fünftens muss das Scheitern der geschlossenen Subjektformierung betrachtet werden, um besser verstehen zu können, warum die Subjekte im Prozess des Werdens auch die Möglichkeit erlangen, anders handeln und denken zu können, als die bestehenden Bedingungen es gegenwärtig ermöglichen. Sechstens und abschließend soll Subjektwerdung als konstitutive Bezogenheit auf den (gesellschaftlich) Anderen gefasst werden, so dass auch die ethische Beziehung zu Anderen in die Analyse miteinbezogen und eine politische Transformation, die dem ›uneinholbaren Anderen‹ gerecht wird, sichtbar werden kann.
6. Eine integrierte Subjektivierungsanalytik
6.1
Das komplexe Ganze
Subjektivierung beschreibt den nicht abzuschließenden Prozess des Subjektwerdens und damit die sozialen Bedingungen des individuellen und kollektiven Seins. In der Subjektivierungsperspektive wird betont, dass das Individuum immerwährend Strukturen unterworfen ist, die dem Einzelnen vorgängig sind. Das Individuum steht also in einer konstitutiven Abhängigkeit zu diesen Strukturen, da es nur durch die Unterwerfung unter diese hervorgebracht werden kann. Insbesondere in den Konzeptionen von Althusser und Butler wird die Zirkularität und Nicht-Ursprünglichkeit dieser Hervorbringung akzentuiert; auch wenn die Geburt und die dadurch erfolgende Zuweisung zu einer vergeschlechtlichten Subjektposition beispielhaft als ›Gründungsunterwerfung‹ verstanden werden könnte, so ist bereits auf dieser Stufe die Subjektwerdung durch komplexe und sich widersprechende Anrufungen strukturiert und nur im Nachhinein unzulänglich zu rekonstruieren. Althusser bietet aber im Gegensatz zu Butler und Foucault einen Begriff an, über den die Komplexität der Subjektwerdung auch auf der Makroebene erfasst werden kann: das komplexe Ganze und seine Überdeterminiertheit. Wie bereits ausgeführt wurde, fasst Althusser die Gesellschaft als Topik eines komplexen Ganzen, nach der sich der gesellschaftliche Zusammenhang als Struktur mit verschiebbaren Positionen begreifen lasse, die durch die ›großen‹ Instanzen von Recht, Ideologie und Staat sowie der Ökonomie besetzt werden müssen. Das komplexe Ganze lässt sich als gegliederte Struktur darstellen, in der die Instanz der Ökonomie die Dominante besetzt und so auf die anderen Instanzen ›dominant‹ einwirken kann – sie setzt sich in ›letzter Instanz‹ überdeterminiert durch. Die Besetzung der Positionen und damit die Einnahme der Dominante ist jedoch historisch variabel. Über den Begriff der Überdetermination wird versucht zu erklären, wie diese Struktur sich historisch realisieren und transformieren kann. So ist die Ökonomie nicht wie im Basis-Überbau-Modell als immerwährende Dominante zu denken, von der die anderen Instanzen abhängen, sondern als gegliederte Struktur, die die Relationalität und die relative Autonomie der einzelnen Instanzen in ihrem Wirken erfassen kann. Die Widersprüche entstehen so auch nicht nur zwischen der Basis und den Überbau-Instanzen, sondern sie können überdeterminiert wirken. So ist es beispielsweise denkbar, dass der Widerspruch zwischen den Instanzen der Ideologie und der Politik zu einer Verschiebung der Positionen führen und die Instanz der Politik die Dominante einnehmen und die Stellung der Ökonomie ablösen kann (s. Kapitel 3.2.1).
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
Wie bereits im einleitenden Kapitel in den Ausführungen zur schwachen und starken Subjektivierungsanalyse diskutiert wurde, muss eine starke Analytik auch Macht- und Herrschaftseffekte erfassen. Jedoch kann durch den engen Fokus auf Mikropraktiken oft nicht erklärt werden, in welcher Weise die Subjektivierungen auch durch die ›großen‹ Instanzen der Ökonomie, des Rechts, des Staates oder der Ideologie bestimmt werden. Wenn man jedoch Subjektwerdung historisch konkret fasst, muss auch thematisiert werden können, wie die Organisation der Produktionsweise die Subjektform der Gegenwart bestimmt. So könnten beispielsweise die autonome Subjektform und die Abblendung der Ambivalenz selbst als durch die spätkapitalistische Produktionsweise bedingt verstanden werden, so dass das Subjekt sich als von den materiellen Produktionsverhältnissen unabhängiges wähnt bzw. seine Position in der kapitalistischen Ordnung als ›selbstverschuldete‹ begreift. Wie Foucault jedoch in seinen methodischen Reflexionen gezeigt hat, besteht mit dem Fokus auf die Makroebene die Gefahr darin, in eine naive Ableitungslogik zu verfallen, nach der jedes Phänomen nur als Produkt des kapitalistischen Produktionsverhältnis begriffen werden kann.1 Althussers Begrifflichkeiten bieten hingegen die Möglichkeit, in der Analyse von Mikropraktiken wieder auf den Gesamtzusammenhang der Makroebene zu verweisen, da sich erstens die Instanzen selbst nur in einem komplexen und überdeterminierten Zusammenhang realisieren und zweitens die Realisierung der Macht der Instanzen und Institutionen über die Praktiken der Subjekte erfolgt. Demnach gehen die ›Anrufungen‹ von den einzelnen Instanzen und Institutionen aus, jedoch sind diese gemäß der Überdetermination nicht als ›reine‹ Anrufungen zu verstehen. So artikuliert sich in der Anrufung, eine ›gute Schülerin‹ zu werden, nicht nur die Ideologie der Schule, sondern in dieser sind in einer komplexen Relation auch politische, ökonomische und geschlechtliche Anrufungen enthalten und artikuliert. Die Umsetzung dieser Anrufung ist wiederum abhängig von den Praktiken der Subjekte, die gemäß der Lücke zwischen Anrufung und Umwendung einen Raum der Reflexivität
1
Siehe Lemke zum Verhältnis der Mikro- und Makrophysik der Macht bei Foucault (vgl. Lemke 1997: 120-125). In dieser Arbeit wird davon ausgegangen, dass Foucault und Althusser beide den engen Fokus auf die Makroebene kritisieren, Althusser jedoch die Analyse der (Mikro-)praktiken wieder auf die Makroebene der großen Institutionen und Instanzen zurückbeziehen kann. Methodisch wird also auch von den (Mikro-)Praktiken ausgegangen, jedoch werden diese wieder auf die Makroebene bezogen diskutiert und analysiert.
6. Eine integrierte Subjektivierungsanalytik
entstehen lassen, so dass bereits auf dieser Ebene die Anrufungen in ihrem Charakter verändert werden können. Gemäß des Anspruchs der starken Subjektivierungsanalyse können Mikropraktiken und Anrufungen zwar als Einzelne analysiert werden, sie müssen jedoch auf den gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang bezogen diskutiert werden. So können beispielsweise Butlers Analyse der heteronormativen Matrix und die Anrufung, ein ›heterosexuelles Subjekt‹ zu werden, auch im Hinblick auf den ökonomischen Zusammenhang in den Blick genommen werden. Dadurch ließe sich auch fragen, auf welche Weise die heteronormative Matrix durch die kapitalistische Produktionsweise strukturiert ist und möglicherweise Differenzierungsräume in die Matrix zieht. Wichtig ist es jedoch, auch hier von Ableitungslogiken Abstand zu nehmen. So könnte die heterosexuelle (alleinstehende) Frau gerade aufgrund der potentiellen Möglichkeit einer Schwanger- und Mutterschaft für die Verwertbarkeit auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt sein, während der (homosexuelle) Mann aufgrund der geringeren Wahrscheinlichkeit, in Elternzeit zu gehen, bevorzugt werden könnte. Zugleich zeigen aber die politischen Errungenschaften zur Gleichstellung der homosexuellen Lebenspartnerschaften und der politische Kampf um die Gleichstellung der ›Regenbogenfamilien‹, dass sich weder kapitalistische Verwertungslogiken noch der Fortpflanzungsimperativ ›in letzter Instanz‹ durchsetzen müssen – ohne jedoch auszublenden, dass sich auch die Instanz der Ökonomie in den politischen Entscheidungen mitartikuliert. Die Frage nach dem komplexen Ganzen kann auch dazu genutzt werden, um die Bedeutung des Produktions- und Arbeitsverhältnisses für die Subjekte und ihre Positionierung wieder stärker miteinzubinden. Interessant wäre hier nicht nur die Frage, wie die jeweilige Stellung sich im Selbstverhältnis niederschlägt, sondern auch, mit welchen materiellen Zurichtungen diese Positionierung einhergeht. So wird es möglich, nicht nur nach Identitäts-, und Anerkennungsverhältnissen zu fragen, sondern auch betrachten zu können, wie Körper durch die Stellung im Produktionsprozess geformt und zugerichtet werden, welche Körper- und Wahrnehmungsmuster dadurch entstehen, wie mit dem Zwang, ›lohnarbeiten‹ zu müssen, umgegangen wird, wie sich klassen- und schichtspezifische Positionierungen darstellen und wie diese sich wiederum auch in Selbstverhältnissen und ideologischen Selbstverständnissen niederschlagen können, wie die Körper und die Gesundheit unterschiedlich stark betroffen und reglementiert werden und wie sich vor dem Hintergrund der unterschiedlichen (Leidens-)Erfahrungen gemeinsame Arbeitskämpfe gestalten und organisieren lassen. Die Widersprüche zwi-
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
schen den Sphären des Geschlechterverhältnisses, der biopolitischen Regulation und der kapitalistischen Organisation realisieren sich in überdeterminierter Weise und müssen in ihrer Komplexität und Relationalität auch in der Subjektivierungsanalytik erfasst werden.
6.2
Historizität
Um den Prozess der Subjektivierung in der Gegenwart analysieren zu können, muss Subjektwerdung auch als historischer Prozess verstanden werden. So lassen sich einerseits bereits die Figur der Ambivalenz und die Abblendung dieser im Selbstverständnis der Subjekte als historischer Subjektivierungsmodus verstehen, andererseits auch analysieren, mit welchen Anrufungen das Subjekt gegenwärtig konfrontiert ist. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Subjektivierungsanalytik zwar zeitdiagnostische Thesen zum historischen Subjektivierungsmodus aufstellen kann, jedoch auf dieser Ebene noch keine empirischen Aussagen über das Selbstverhältnis und die Selbstverortungen der Subjekte getroffen werden können. Wie jedoch aktuelle Studien, die mit dem Subjektivierungsbegriff arbeiten, zeigen, können gerade über die praxeologische Ausrichtung der Analytik auch empirische Erhebungen möglich sein. In dieser Arbeit soll jedoch hauptsächlich gezeigt werden, dass man über den Foucault’schen Begriff des Dispositivs ein Instrument zur Erhebung des historischen Subjektivierungsmodus erhalten kann. Wie bereits erläutert wurde, können über das Dispositiv die historisch wirkenden Kräfteverhältnisse auch als strategische ›Antwort‹ auf eine historische Problemlage verstanden werden. Diese ›Antworten‹ verlaufen selbst heterogen, widersprüchlich und überdeterminiert, da sie sich sowohl in Architekturen, wissenschaftlichen Diskursen, institutionellen Selbstverständnissen, Programmen und Gesetzen, aber auch in kulturellen Produkten realisieren können. Das Subjekt, welches als durch kulturelle Praktiken hervorgebrachtes verstanden wird, ist wiederum durch die historischen Kräfteverhältnisse strukturiert, jedoch aufgrund seiner reflexiven Struktur nicht durch diese determiniert und greift somit selbst transformierend in die Kräfteverhältnisse ein. Das Dispositiv ist somit auch abhängig von den Praktiken der Subjekte. In dieser Arbeit soll jedoch über Foucault hinausgehend argumentiert werden, dass nicht nur der Unterwerfungsmodus und das Selbstverhältnis
6. Eine integrierte Subjektivierungsanalytik
historisch bestimmt sind, sondern dass das Selbstverhältnis mit einer imaginären und psychischen Dimension zu fassen ist, über die es ermöglicht wird, über die historischen Bedingungen des eigenen Seins zu reflektieren und diese über die imaginären Vorstellungen zu transzendieren. Das Denken und die Reflexion werden dabei jedoch nicht als unabhängige Sphären betrachtet, sondern selbst als Praktiken gefasst, die, ähnlich wie im Foucault’schen Verständnis des Selbstverhältnisses, von den historischen Bedingungen abhängig sind. Sie können durch Übungen immer wieder neu angeordnet und gestaltet werden. Dass das Subjektverständnis ein praxeologisches ist, heißt also auch, dass die Übungen im Denken, das Spielen mit alternativen Bildern und die Vorstellung, anders und besser leben zu können, in die historisch situierte Subjektivierungsanalytik miteinbezogen werden müssen. Die Historizität in der integrierten Subjektivierungsanalytik zu berücksichtigen, heißt, dass die gegenwärtigen Möglichkeiten des Seins nicht nur historisch geworden, sondern auch historisch veränderbar sind. Das Subjekt ist damit immer ein gegenwärtig-zukünftiges Subjekt, da sein Werden einer Offenheit unterliegt. Diese Offenheit ist jedoch nicht nur von kontingenten Faktoren abhängig, sondern die Subjekte können selbst strategisch und planend in die Kräfteverhältnisse und damit in ihre zukünftigen Bedingungen und Möglichkeiten des Seins eingreifen.
6.3
Normalisierung
Analysiert man den Subjektivierungsprozess als historischen, dann lassen sich unterschiedliche Unterwerfungs- und Subjektivierungsmodi herausstellen. Foucault hat in seiner eigenen Analyse von einer historisch entstandenen Normalisierungsgesellschaft gesprochen, in der die Subjekte als genormte und normalisierte hervorgebracht werden. Nun sind seit dieser genealogischen Zeitdiagnose, die sich zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von Überwachen und Strafen auf die Entwicklung hin zur Gesellschaft der 1970er Jahre bezieht, einige Jahre verstrichen, so dass es nicht selbstverständlich ist, Normalisierung als grundlegende Kategorie in eine integrierte Subjektivierungsanalytik der Gegenwart miteinzubeziehen. Dennoch soll in dieser Arbeit daran festgehalten werden, dass Prozesse der Normalisierung, auch wenn sie in einem veränderten Unterwerfungsmodus operieren, nach wie vor für die Subjektwerdung der Gegenwart Relevanz beanspruchen. Wichtig ist es jedoch, mit Foucault davon auszugehen, dass die Gesellschaft nicht
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
durch eine dichotome Grenzziehung zwischen normal/anormal strukturiert ist, sondern zu zeigen, dass diese Grenzziehungen selbst flexibel sind und verschiedene Differenzierungsräume von Normalitäten/Anormalitäten kennzeichnen, so dass es auch kein eindeutiges ›Außen‹ des ›Anormalen‹ geben kann. Man sollte vielmehr mit Foucault von vielfältigen Ausschlussund Einschlussräumen sprechen. Butler arbeitet zwar implizit auch mit dem Begriff der Normalisierung, wenn sie von einem in der Gesellschaft hegemonialen heteronormativen Diskurs ausgeht, jedoch bleibt ihre Aufteilung zu grob, da sie begrifflich nur Räume der Norm und Anormalität und keine Zwischenräume erfassen kann. In dieser Arbeit wird davon ausgegangen, dass die Normalisierung nach wie vor als ergänzendes System von präskriptiven und empirischen Normen verstanden werden sollte. Die empirische Norm in Form von statistischen Erhebungen und Risikobewertungen durch Wahrscheinlichkeitsrechnungen hat, insbesondere auf der Ebene des Imaginären, nicht die präskriptiven Normen abgelöst, sondern sie ergänzen sich. So sind beispielsweise im kulturellen Bereich der Selbstoptimierung die Subjekte an Schönheitsnormen orientiert, die sich in der empirischen Normalverteilung eher am Rande der Verteilungskurve befinden würden. Im Imaginären, d.h. in der libidinös besetzten Vorstellung der Individuen, können aber bestimmte Körperformen dennoch als Ideal imaginiert werden, anhand dessen sie bewertet werden oder welches sie selbst als ›Norm‹ verstehen. Diese imaginäre und präskriptive Norm wird aber durch die empirische Norm ergänzt, die beispielsweise im Gesundheitswesen über verschiedene Messinstrumente der einzuhaltenden Normwerte (Cholesterin, Blutzucker, Gewicht usw.) Anwendung findet. Der Unterschied zu Foucaults Begriff der Normalisierung liegt jedoch in der Gegenwart darin, dass die Norm sich mittlerweile zunehmend flexibilisiert und individualisiert hat. So werden zwar in den meisten Schulen die Schüler*innen weiterhin im Hinblick auf ein Notensystem genormt und ausgerichtet, jedoch wird stärker betont, dass jede*r eine eigene Lernkurve und individuelle Stärken und Schwächen habe, die sich nicht in einer an der Gesamtheit erhobenen Norm abbilden lassen würden. Das Verhältnis zwischen der flexibilisierten und der präskriptiven Norm ist widersprüchlich, da die Kategorisierung anhand der als ideal gesetzten Normen nicht wegfällt, sondern zunehmend undurchsichtiger wird, so dass das Gefühl entstehen kann, beständig anhand von Normen bewertet zu werden, ohne jedoch genau zu wissen, wie diese aussehen und wie diese erreichbar sein können. Der Anspruch, sich selbst zu optimieren und zu verbessern, fällt also nicht weg, im
6. Eine integrierte Subjektivierungsanalytik
Gegenteil, er kann sich noch dadurch verstärken, dass sich die Subjekte zunehmend auch an einer imaginären Norm ausrichten müssen. Diese imaginäre Norm setzt ein Ideal, welches nicht offen ausgesprochen oder klar formuliert und von den Subjekten nur bildhaft antizipiert wird. Die Subjekte nehmen so an, dass sie sich selbst und die Anderen an dieser imaginären Norm auszurichten, sich gegenseitig zu bewerten und zu normalisieren haben. Diese imaginäre Norm steht aber im Kontrast zu institutionellen Anforderungen und der herkömmlichen Normalisierung, die weiterhin Leistungen anhand von Noten- und Klassifikationssystemen erfassen, die die weiteren Zugänge zu anderen Institutionen regulieren. Außerdem kann man davon ausgehen, dass nach wie vor die von Foucault beschriebenen Institutionen der Psychologie, Pädagogik, Familie und Strafjustiz an einer Normalisierung beteiligt sind, die die Subjekte als durch Abweichung bedrohte konzipieren und versuchen, sie in ihrem Wesen oder ihrer Persönlichkeit zu erfassen, um eine Risikoabschätzung für Devianzen vornehmen und präventive Programme einleiten zu können. An diese These müssten empirische Studien anschließen und prüfen, inwiefern die Normalisierung stärker einer Sicherheits- und Risikoabschätzung unterstellt ist, wie Foucault bereits in seinen Gouvernementalitäts-Vorlesungen behauptet hat, und welche Veränderungen in diesem Feld aufgetreten sind (exemplarisch für diesen Anschluss: Bröckling/Krasmann/Lemke 2000). Dies ist insbesondere deshalb wichtig, da in diesen Normalisierungsstrategien nicht selten Annahmen über eine vermeintliche ›Natur‹, ›Normalität‹ oder ›Persönlichkeit‹ der Individuen verhandelt wird – wie es sich insbesondere anhand der Diskurse um Geschlechtlichkeit, Sexualität und Herkunft (›race‹, Ethnie, Nationalität) zeigen lässt. So ist beispielsweise in der Anrufung, ›Junge/Mädchen‹ zu werden, zugleich eine Normalisierungsaufforderung enthalten, die mit Normen des ›richtigen‹ oder ›natürlichen‹ Junge- und Mädchenseins arbeiten. Dass die Normen selbst flexibel und imaginär sein können, macht sie deshalb noch nicht zu weniger zwanghaften und einschränkenden Normen. So fällt einerseits die von Butler herausgearbeitete Zuordnung zu einer Geschlechtsposition männlich/weiblich bei der Geburt nicht weg, auch wenn die Rollenausgestaltungen und die Möglichkeiten, sich von dieser eindeutigen Zuordnung zu distanzieren, flexibilisiert wurden. Insbesondere bei Fragen der Familiengründung und der rechtlichen Anerkennung der sogenannten ›Regenbogenfamilien‹ wird deutlich, wie einschränkend diese Zuordnung nach wie vor wirken kann. Dennoch gilt es zu berücksichtigen, dass die vorhandenen Normen im Feld von Geschlecht und Sexualität pluralisiert wurden,
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
so dass auch die Anrufungen zunehmend widersprüchlich und brüchig werden können. Eine integrierte Subjektivierungsanalytik sollte deshalb die in den Anrufungen enthaltenen Normalisierungsaufforderungen konzeptionell berücksichtigen können. Wie bereits gezeigt wurde, wird gerade auch in der Figur des autonomen Subjekts abgeblendet, dass die Subjektwerdung dezentriert verläuft und dass das Subjekt in seinem Werden mit Uneindeutigkeiten, Widersprüchen und Ambivalenzen konfrontiert sein wird, die in Normalisierungsstrategien zu unterlaufen versucht werden. In meiner Analyse liegt jedoch ein blinder Fleck darin, den Unterschied zwischen Normalisierung und Naturalisierung nicht differenziert genug erfassen zu können. So ist anzunehmen, dass die Normalisierung im Bereich des Lebens, in Bezug auf die Kategorien Gesundheit, Geschlechtlichkeit oder Herkunft (›race‹, Ethnie) jeweils spezifisch funktioniert. Eine Analytik der Subjektivierung müsste hier differenzieren, um auch spezifischer rassistische Anrufungspraktiken erfassen zu können.2
6.4
Die Psyche oder das Unbewusste
Althusser hat den Grundstein für eine Subjektivierungsanalytik gelegt, die Subjektwerdung nicht nur als praxeologische Hervorbringung denken lässt, sondern auch als individuellen Kampf des Werdens, welcher mit einer notwendigen Spaltung des Subjekts einhergeht. Das Subjekt muss, um ins gesellschaftliche Leben treten zu können, verdrängen, dass es von Anderen grundlegend abhängig ist und dass es nur bedingt Kontrolle über sich und die Anderen erlangen kann. Die Autonomie, oder auch das selbstbewusste und reflektierende Subjekt, gehen mit einer notwendigen Verdrängung der hetero-
2
Meines Erachtens kann Frantz Fanons Werk Schwarze Haut, weiße Masken als Beispiel einer Studie von historisch konkreten Subjektwerdungsprozessen gelesen werden; der Konstitution von ›schwarzen‹ Subjekten in einer post-kolonialen und ›weißen‹ Mehrheitsgesellschaft. Fanon berücksichtigt in seiner Analyse die historische und ökonomische sowie die ideologische Einbettung der Anrufungen, aber auch die psychischen und affektiven Effekte, sowohl die in der Mehrheitsgesellschaft als auch die auf individueller Ebene der angerufenen Subjekte. Fanon zeigt aber auch auf, dass die rassistischen Anrufungen nicht ausschließlich über die Form einer sprachlichen Anrufung erfolgen müssen, sondern, dass sie auch in versteckter Form wirksam sind, in unbewussten Imagos, die sich im Verhalten, in der Adressierung, aber auch in Phantasien niederschlagen können (Fanon 2013).
6. Eine integrierte Subjektivierungsanalytik
nomen und uneinheitlichen Anteile des Selbst und des Anderen einher – sie konstituieren das Unbewusste. Wie Butler in ihrer Konzeption betont, kann dieser (schmerzhafte) Prozess des Werdens nicht bewusst erinnert und in eine kohärente Erzählung des Selbst gebracht werden. Althusser spricht deshalb auch von den Wunden und Spuren des Kampfes der Subjektwerdung, die den Einzelnen in Form von Symptomen immer wieder heimsuchen können und so die Lücke zwischen der Anrufung und der Umwendung, in Form der Identifikation und Hervorbringung der einheitlichen und autonomen Subjektform, sichtbar werden lassen. Althusser versteht das autonome oder das ideologische Subjekt als imaginär. Es nimmt sich selbst als einheitliches, autonomes und ermächtigtes Subjekt – bildhaft in seiner inneren Repräsentation – wahr und verkennt damit, dass es ein dezentriertes, durch vielfältige und widersprüchliche Wünsche, Ängste und Begehren getriebenes Wesen ist. Diese individuelle und biographische Seite der Subjektwerdung lässt sich aber auch auf die kollektive und gesellschaftliche Ebene beziehen. Die Subjekte werden in ihrer nicht abzuschließenden Hervorbringung einer kulturellen Ordnung unterworfen, die permanent Veränderungen und Widersprüchen unterliegt. Die Subjekte haben, um Handlungssicherheit zu erlangen, die Tendenz, sich an imaginäre, d.h. bildhaft ermächtigende Objekte zu binden und sich mit diesen zu identifizieren. Als solche imaginäre, Eindeutigkeit und Ermächtigung versprechende Objekte können beispielsweise die Nationalität oder die Geschlechtsidentität verstanden werden. In der Identifikation mit diesen bildhaften Idealen wird zugleich die Uneindeutigkeit und Widersprüchlichkeit des eigenen und des gesellschaftlichen Seins ausgeblendet. Althusser betont in seiner Ideologietheorie zudem, dass über die Identifikation und die Vorstellung der Ermächtigung zugleich die Ordnung des Bestehenden affirmativ wiedereingesetzt und reproduziert werden kann. Eine weitere Kehrseite besteht darin, dass die Subjekte gegenüber Widersprüchlichkeiten, Ambivalenzen und Uneindeutigkeiten misstrauisch sind, da sie dadurch ihre eigene Eindeutigkeit und Identität als bedrohte wahrnehmen. Dies kann so weit gehen, dass sie sich durch den Anderen ›verfolgt‹ fühlen und versuchen, sowohl die eigenen Uneindeutigkeiten als auch die (imaginierten) der Anderen abzuwehren. Das kann bis zu Vernichtungswünschen gegen die Anderen und ihrer Uneindeutigkeit reichen. Butler fasst diese psychische Bewegung mit dem bei Freud entlehnten Begriff der Melancholie, die einen nicht betrauerbaren Verlust kennzeichne, und bezieht sie allgemeiner auf ein entwicklungspsychologisches Subjektwerden. Um sich als
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
eigenständiges und autonomes Subjekt zu erfahren, werde die konstitutive Bezogenheit auf Andere verleugnet, aber in einer reflexiven Bewegung werde der Andere, um ihn zu bewahren, nach innen genommen und zur inneren Repräsentation gemacht. Dadurch werde einerseits die Bezogenheit auf den Anderen abgewehrt, zugleich aber über die innere Repräsentation unbewusst bewahrt. Zugleich müsse diese Bezogenheit im Außen abgewehrt werden, da sie zur Bedrohung des autonomen Seins führe. Das Subjekt werde durch diese ambivalente Bewegung strukturiert, so dass nur die Bewusstwerdung der Abhängigkeit von Anderen dazu beitragen könne, den Verlust, der durch die Abblendung entstehe, sichtbar und damit betrauerbar werden lassen zu können. Dennoch birgt auch die Ebene des Imaginären die Möglichkeit, ein Begehren nach einer politischen Veränderung auszulösen, welches gerade den Uneindeutigkeiten des Selbst und der Anderen gerecht werden kann. Butler weist in ihrer Theorie darauf hin, dass auch erlebte Verletzungen der eigenen Identität durch Andere und die Unmöglichkeit der Entfaltung des eigenen Seins in der bestehenden Ordnung ein Begehren nach anderen Seins- und Lebensweisen auslösen können. Wenn die Identifikationsmöglichkeiten in der Ordnung des Bestehenden als einschränkend erfahren werden oder sie den Mangel des eigenen Begehrens nicht füllen können, dann kann ein Wunsch nach einem anderen Sein in Form des »Nicht-so-sein-Müssens« entstehen. Es wird deutlich, dass der Subjektivierungsprozess nicht durch eine Perspektive des Außen, die nur auf die Praktiken fokussiert, ausreichend erfasst werden kann. Sie muss vielmehr durch eine Analytik ergänzt werden, die Subjektwerdung zwar als praxeologische versteht, aber zugleich aufzeigt, dass die Hervorbringung der Subjekte in Praktiken auch mit der Konstitution eines Innen und einer Innerlichkeit einhergehen, die das Subjekt spalten. Im Prozess der Subjektwerdung wird aber nicht nur eine Grenze zwischen dem Innen und dem Außen gezogen, wie es die Figur der Falte nahelegt, sondern das Innen ist selbst gespalten in ein bewusstes und unbewusstes und bildet die psychische Instanz des Subjekts. Der Verweis auf das Unbewusste und die Psyche soll aber nicht nur auf die Dezentrierung der Subjekte zielen, sondern deutlich machen, dass es einen Konflikt zwischen den gesellschaftlichen Anforderungen, den eigenen Selbstverortungen und -identifizierungen sowie der eigenen unbewussten Wünsche, Ängste, Lüste und Begehren geben kann. Dieses Begehren ist dabei nicht nur individualbiographisch relevant, sondern hat auch eine politische Dimension, die in einer integrierten Subjektivierungsanalytik reflektiert werden muss. Sie kann, wie bereits erläutert
6. Eine integrierte Subjektivierungsanalytik
wurde, sowohl dazu führen, die bestehende Ordnung zu affirmieren, da sie Handlungssicherheit und -ermächtigung verspricht, als auch dazu führen, das Selbst und die Anderen nur vor der Schablone der Eindeutigkeit zu lesen und alle anderen Lebens- und Seinsweisen abzublenden oder gar zu bedrohen. Mit Butler kann in Erinnerung gerufen werden, dass diese Abblendung sowohl nach innen als auch nach außen gerichtet wirksam werden kann. Sie zeigt aber auch eine Perspektive auf, nach der die psychische Instanz im Subjekt dazu beiträgt, die Eigenaktivität und die Reflexivität des Subjekts zu stärken und eine widerständige Handlungsfähigkeit entwickeln zu lassen. Für Butler beschreibt die Psyche den Bereich im Subjekt, der sich der Forderung nach Eindeutigkeit und Identifizierung, die in der Anrufung an die Subjekte gerichtet wird, entziehen kann (s. 5.3.2). Zusammenfassend lässt sich zeigen, dass eine integrierte Subjektivierungsanalytik die Psyche und das Unbewusste berücksichtigen muss, um sowohl die affektive Verhaftung der Subjekte mit dem Bestehenden und ihrer eigenen Selbstverortung als autonomes Subjekt zu erklären, als auch politische Bewegungen im Hinblick auf ihre psychische Dimension untersuchen zu lassen. Inwiefern berücksichtigen sie Ambivalenzen und Uneindeutigkeiten und lassen sie Raum für Experimente von Lebens- und Seinsweisen? Können die Subjekte Ambivalenzen und Abhängigkeiten ertragen oder müssen sie sie aufgrund einer vermeintlichen Unabhängigkeit und Autonomie abblenden? Wie entstehen queer-feindliche, rassistische und antisemitische Ressentiments und wie können sie politisch aufgeklärt werden? Welche imaginären Objekte prägen das Politische, was ist kulturell begehrenswert und welche Ausschlüsse werden durch diesen Bezug produziert? Wie lässt sich das Begehren nach anderen Lebens- und Seinsweisen erklären; wie kann das Subjekt sich gegen die eigenen konstitutiven Bedingungen zur Wehr setzen oder sie transformieren; welche Hindernisse bestehen bei der Umsetzung des politischen Wunschs nach anderen Lebens- und Seinsformen und wie können sie dennoch realisiert werden?
6.5
Scheitern
Butler hat in ihrer Subjektivierungskonzeption das Scheitern im Prozess der Subjektwerdung thematisiert und ins Zentrum gestellt. Während Althusser die Subjektwerdung vor allem als geschlossene, d.h. als erfolgreiche (Re-)Produktion von ›guten‹ Subjekten, die nach der bestehenden Ordnung handeln
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
und funktionieren, betrachtet hat, zeigt Butler auf, dass bereits in jeder Annahme der Anrufung eine Transformation und in diesem Sinne ein Scheitern der geschlossenen Subjektreproduktion erfolgt. Das Scheitern bezieht sich darauf, dass durch die zeitliche, kontextuelle und reflexive Lücke zwischen der Anrufung und ihrer Beantwortung sowohl die Ordnung selbst als auch die Produktion der Subjekte transformiert werden kann. Gemäß ihrer Konzeption der performativen Hervorbringung von Subjekten versteht sie dieses Scheitern als konstitutives, da jede Umwendung zur Ordnung die Anrufung zitieren muss und diese Zitation zu einer notwendigen Verschiebung des Wiedereingesetzten führen kann. Für eine integrierte Subjektivierungsanalytik ist es jedoch auch wichtig, darauf zu verweisen, dass dieses Scheitern sowohl im Außen als auch im Innen erfolgt. Das heißt, es findet auch im Innen eine Verschiebung der Anrufung statt; wie diese vom Subjekt aufgenommen wird und in welchem Sinne sie zur Identifikation oder inneren Repräsentation dienen wird, ist nicht vorhersehbar. Das Subjekt kann im Inneren mit Wünschen, Ängsten und Begehren konfrontiert sein, die der Anrufung und dem Wunsch der Annahme widersprechen können; es kann jedoch auch aufgrund seiner Reflexionsfähigkeit dazu in der Lage sein, die aktuelle Anrufung durch seinen Erfahrungshintergrund oder andere, widersprüchliche Anrufungen zu kontrastieren und dieser zu widersprechen. So wird es möglich, Reflexivität – als Möglichkeit der kritischen Distanz zu den eigenen Konstitutionsbedingungen – grundlegend in die Subjektivierungskonzeption miteinzubeziehen. Das Subjekt ist zwar einerseits gezwungen, sich auf die ihm vorhergehenden Ordnungen, Normen und Strukturen zu beziehen, andererseits kann auch dieser notwendige Bezug das Subjekt nicht vollkommen erfassen oder strukturieren. In der Umwendung oder Annahme der Anrufung spaltet sich das Subjekt gemäß seiner psychischen Instanz in ein bewusstes, denkendes und reflektierendes Ich und in ein unbewusstes Ich. Dieses unbewusste Ich ist wiederum mit imaginär und affektiv aufgeladenen Identifikationsobjekten konfrontiert, und es hat außerdem ein dem Bewusstsein verschlossenen Bereich des Realen, in dem unbewusste Wünsche, Ängste und Begehren wirksam sind und die dennoch das bewusste Denken und Handeln beeinflussen können. Butler setzt das Scheitern der Anrufung aber auch in Verbindung zur verletzenden oder einschränkenden Anrufung. So kann sich beispielsweise das Subjekt über die beleidigende Anrufung ›queer‹ in der Entfaltung seines Seins abgewertet fühlen und das gerade zu einem Begehren führen, sich mit dieser Anrufung nicht oder eben anders zu identifizieren und diese zu resignifi-
6. Eine integrierte Subjektivierungsanalytik
zieren. Diese Resignifizierungsarbeit muss aber nicht auf verletzende Anrufungen beschränkt sein, denn es kann auch die Anrufung, ›heterosexuelles Subjekt‹ zu werden, trotz heterosexuellem Begehren als Einschränkung der eigenen Möglichkeiten, zu sein, erlebt werden. In dieser Arbeit soll über Butler hinausgehend deutlich gemacht werden, dass diese Resignifizierungsarbeit auch strategisch und bewusst organisiert werden muss, da sie nicht vom einzelnen Subjekt aus zu leisten ist und nicht immer mit der eigenen Betroffenheit oder Identifikation zusammenhängen muss. Es bedarf vielmehr eines Zusammenschlusses von Subjekten, die anstreben, anders leben und handeln zu wollen, als es von den Anrufungen evoziert wird. Das Scheitern soll dabei als notwendiger Bestandteil einer integrierten Subjektivierungsanalytik betrachtet werden, da erst durch den Hinweis, dass Subjektwerdung nicht strukturdeterminiert erfolgt, die kritische Distanz zu den eigenen Konstitutionsbedingungen berücksichtigt werden kann. Dieses Scheitern findet einerseits immer schon statt, andererseits, bedarf es einer Koordination der einzelnen Momente des Scheiterns durch die Subjekte, da die Transformation der Ordnung und der Möglichkeiten des Seins sonst kontingent bleiben müssen.
6.6
Ethik
In dieser Arbeit wird der Prozess der Subjektivierung als grundlegend ambivalenter verstanden: Das Subjekt wird erst durch die Unterwerfung unter die bestehenden Ordnungen, Normen und Regeln – mit anderen Worten, durch die Unterwerfung unter den ›Anderen‹ – als ermächtigtes und handlungsfähiges Subjekt hervorgebracht. Dass das Subjekt in seiner Hervorbringung vom Anderen konstitutiv abhängig ist, hat insbesondere Butler in ihrer Subjektivierungskonzeption herausgearbeitet. Butler leitet dies einerseits entwicklungspsychologisch her, als Abhängigkeit des Neugeborenen von einer primären Bezugsperson, andererseits versteht sie die Abhängigkeit aber auch wie Althusser strukturformal, als Abhängigkeit des zukünftigen Werdens vom vergangenen Gewordensein. Während Althusser vor allem auf die Unterwerfung unter die bereits bestehende Ordnung durch die institutionellen Strukturen verweist, bezieht sich Butler zum einen auf die sprachlich-symbolische Ordnung, zum anderen aber auch auf die Abhängigkeit von konkreten Personen. Sie ergänzt deshalb ihre Subjektivierungskonzeption durch eine ethische und politische Komponente.
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
Wenn das Subjekt in einer konstitutiven Abhängigkeit zum Anderen steht, ist es immer auch ein in Beziehung stehendes Subjekt. Daraus leitet sich jedoch auch die Frage ab, wie verantwortlich mit dieser Beziehung zu einem Anderen, den man sich nicht ausgesucht hat, umgehen kann. Wie kann auf Verletzung durch den Anderen reagiert werden; wie kann man selbst mit der Gefahr, den Anderen verletzen zu können, umgehen? Ist die Verletzlichkeit wechselseitig bestimmt und was bedeuten unterschiedliche Grade an Verletzbarkeit für eine ethische Politik? Butler leitet aus der grundlegenden Strukturiertheit des Subjekts durch den Anderen ab, dass die Subjekte sich ihrer wechselseitigen Abhängigkeit, auch bei unterschiedlichen Gewichtungen der Verletzlichkeit, nicht entziehen sollten, da sie sich sonst auf eine ›asoziale‹ Ebene des Seins begeben müssten. In dieser Arbeit wurde jedoch gegen Butler argumentiert, dass die Anerkennung der wechselseitigen Abhängigkeit und Verletzbarkeit in seiner ethischen Dimension nur Gültigkeit beanspruchen kann, wenn sie konsequent als wechselseitig gesetzte verstanden wird. Das heißt, bei Gewaltandrohung oder -ausübung durch den Anderen wird die Wechselseitigkeit gekappt, so dass wiederum der Beziehungsabbruch oder die Gegenwehr nicht gegen die ethische Dimension der Verantwortung gegenüber dem Anderen verstößt. Konstitutiv auf den Anderen bezogen zu sein, muss nicht heißen, dass die Abhängigkeit, wie bei einem Kind, auf die konkrete Person (primäre Bezugsperson) bezogen ist. Das Subjekt hat gerade aufgrund seiner prozesshaften Hervorbringung die Möglichkeit, sich gegen ein konkretes Abhängigkeitsverhältnis zur Wehr zu setzen und andere Verbindungen und Beziehungen einzugehen. Das Subjekt ist zwar durch eine konstitutive Abhängigkeit und eine Geschichte des Gewordenseins geprägt und strukturiert, welche es nicht bewusst und vollständig erinnern und rekonstruieren kann, aber es ist durch den permanenten Unterwerfungsprozess zugleich dazu ermächtigt, sich gegen die vergangenen Beziehungen, Strukturen und Ordnungen zu stellen und neue Verbindungen zu knüpfen. Butler vernachlässigt in ihrer ethischen Konzeption die ermächtigende Dimension, die sie in ihrer ambivalenten Subjektkonzeption selbst betont hat. Dennoch sollte eine integrierte Subjektivierungsanalytik nicht auf die ethische Komponente verzichten, da über diese eine ethisch motivierte Gestaltung von Beziehungen zum Anderen – der als Anderer nie vollständig erfassbar sein wird – denkbar werden kann. Über die ethische Dimension kann die Transformation der bestehenden Ordnung als Aufgabe betrachtet werden, die – sowohl in der Gestaltung der zukünftigen Ordnung als auch
6. Eine integrierte Subjektivierungsanalytik
im politischen Zusammenschluss mit anderen Subjekten – die ethische Verantwortung gegenüber dem Anderen berücksichtigen muss. Ein besseres und freiheitlicheres Zusammenleben muss den Ambivalenzen, Uneindeutigkeiten und Fehlbarkeiten der Anderen Raum geben; es ist jedoch bereits bei der politischen Arbeit, insbesondere wenn für strategische Zwecke ein (Kollektiv-)Subjekt gebildet werden soll, wichtig, sich die Ambivalenzen und Uneindeutigkeiten im Zusammenschluss selbst zu vergegenwärtigen. Gleichzeitig sollte daran festgehalten werden, die Wechselseitigkeit der Verletzbarkeiten und Verantwortung gegenüber dem ›uneinholbaren Anderen‹ einzuhalten. Erst so kann das politische Ziel eines freieren Zusammenlebens realisiert werden.
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7. Politische Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
Es ist nicht leicht, ausgehend von den Subjektivierungskonzeptionen der hier diskutierten Autor*innen Althusser, Foucault und Butler die Frage nach dem politischen Subjekt und der politischen Handlungsfähigkeit zu stellen. Die im Detail zwar sehr unterschiedlichen Theorien haben die Gemeinsamkeit, dass sie von einem Subjekt ausgehen, das der Ordnung nicht vorausgeht und diese bedingt, sondern als handlungsfähiges erst durch die Unterwerfung unter die bestehende Ordnung hervorgebracht wird. Die Frage, wie die Ordnung transformiert werden kann, und zwar nicht beliebig, sondern so, dass ein freiheitlicheres und besseres Zusammenleben möglich sein kann, verschärft sich jedoch durch diese Subjektkonzeption, da die Subjektivität nicht als ›freie‹, der Ordnung gegenüberstehende und diese konstituierende gedacht wird (vgl. Flügel-Martinsen 2017: 110). Dennoch ist diese Perspektive auf Subjektivität nicht ausschließlich pessimistisch, da auch in dieser nicht davon ausgegangen wird, dass das Subjekt durch die Ordnung determiniert wird. In der Subjektivierungsperspektive wird vielmehr von einem doppelt konstitutiven oder wechselseitigen Vorgang ausgegangen, nach dem auch die (Re-)Produktion der Ordnung von den Praktiken der Subjekte abhängig ist und durch diese umgesetzt werden muss – die Ordnung kann somit auch durch die Subjekte transformiert werden (vgl. Saar 2007: 337ff.). Dieses politische Ziel muss jedoch vor dem Hintergrund der Subjektivierungskonzeptionen die Analyse der konstitutiven Bedingungen in den Vordergrund rücken, um so die Grenzen des gegenwärtigen Seins aufzeigen und für eine Transformation öffnen zu können. So bezeichnete Foucault diese politische Aufgabe als eine »kritische Ontologie unserer selbst […] sie muß als Haltung vorgestellt werden, ein Ethos, ein philosophisches Leben, in dem die Kritik dessen, was wir
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
sind, zugleich die historische Analyse der uns gegebenen Grenzen ist und ein Experiment der Möglichkeit ihrer Überschreitung« (Foucault 1990: 53). Denn erst wenn wir wissen, wie unsere Subjektivität und Handlungsfähigkeit bedingt werden, können wir auf eine reflektierte und koordinierte Weise politisch reagieren – d.h. strategisch, bewusst und transformativ in die Reproduktion der bestehenden Ordnung eingreifen. Es wird dadurch aber auch deutlich, dass das Ziel der Ordnungstransformation inhaltlich nur negativ bestimmt werden kann, d.h. das, was ein freiheitlicheres oder besseres Leben ausmacht, zeigt sich an den Grenzen und Einschränkungen des vergangenen und gegenwärtigen Seins. Diese Grenzen zu erörtern, ist zugleich eine theoretische und praktische Arbeit und beide können und müssen sich gegenseitig ergänzen. Foucault bezeichnete diese politische Haltung als philosophisches Ethos, das »als Grenzhaltung charakterisiert werden [kann]. Es geht nicht um ein Verhalten der Ablehnung; wir müssen an den Grenzen sein. Kritik besteht gerade in der Analyse der Grenzen und ihrer Reflexionen.« (Ebd.: 48) So wird in der integrierten Subjektivierungsanalytik an Foucaults Imperativ festgehalten, dass die Kämpfe sich vor allem auch in einem Nicht-dermaßen-regiert-Werden zeigen, auch wenn diese Grenze und dieser Widerstand sich sowohl aus konkreten und sozialen Bewegungen ergeben als auch durch die Analyse sichtbar werden können. Auch hier kann man also von einem doppelt konstitutiven oder wechselseitigen Zusammenhang ausgehen. Dieser Zusammenhang legt aber auch offen, dass die Transformation der Ordnung nicht durch das einzelne Subjekt, das Individuum, erfolgen, sondern nur ein kollektiver und politischer Prozess sein kann. Deshalb ist es wichtig, nicht nur die Frage nach der Bedingung von Handlungsfähigkeit zu stellen, sondern auch danach, wie ein politisches (Kollektiv-)Subjekt gebildet werden kann, das die Transformationen umsetzen kann – ohne das Individuelle, das Singuläre und Besondere im Kollektiven und Allgemeinen unterordnen oder abblenden zu müssen. Die Antwort auf die Frage, wie und auf welche Weise sich die politische Handlungsfähigkeit der Subjekte konstituiert und realisiert und ob man von einem politischen Subjekt ausgehen kann, wird jedoch bei den Autor*innen Althusser, Foucault und Butler selten explizit und wenn dann unterschiedlich und unterschiedlich stark verhandelt. Begrifflich lässt sich an dieser Stelle aber festhalten, dass zwar jede Subjektivierung politisch ist, da das Subjekt in seinem Sein grundlegend von der Ordnung des Bestehenden abhängig ist, und diese Abhängigkeit ist, – wie in den Ausführungen zu Althusser, Foucault und Butler gezeigt werden
7. Politische Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
konnte – als tiefgehend zu begreifen. Sie prägt und formt die Subjektivität: die Psyche und das Unbewusste, die Identitäten, die Affekt- und Wahrnehmungsmuster, die Bewusstseinsprodukte und die Möglichkeit, diese Bedingungen kritisch zu hinterfragen. Der von mir daran entwickelte Begriff der politischen Subjektivierung kann also nur einen Modus der Subjektivierung bezeichnen, da dieser das ambivalente Subjekt zur Voraussetzung hat. Die politische Subjektivierung findet nicht an einem bestimmten Ort oder einer Institution statt, und sie hat auch kein festgelegten oder bevorzugten Träger. Sie lässt sich demnach auch nicht von Identitäten oder Gruppenzugehörigkeiten – wie etwa den ›Proletarier*innen‹, den ›Intellektuellen‹, dem ›Volk‹, den ›Frauen‹, den ›Subalternen‹, den ›Papierlosen‹ – ableiten, jedoch kann die Zuweisung zu diesen Subjektpositionen dazu führen, dass sich über den geteilten Lebens-, Erfahrungs-, Leidens- und Interessenshintergrund anhand dieser Zuweisungen und Zuschreibungen ein politisches (Kollektiv-)Subjekt bildet. Dieses ist jedoch nicht essentialistisch zu verstehen, sondern konstituiert sich nur im Modus des Politischen und des politischen Handelns, so dass auch nicht direkt ›betroffene‹ Subjekte – solidarisch oder als Allies – als Teil des (Kollektiv-)Subjekts mitwirken können. Von einem vereinzelten politischen Subjekt zu sprechen, macht hingegen nur Sinn, wenn man damit auf das politisch handelnde Subjekt verweisen möchte, doch auch dieses existiert nur im Modus der Aktivität als politisches und ist nicht essentialistisch über eine Subjektposition zu identifizieren. Dem einzelnen Subjekt kann also eine politische Handlungsfähigkeit zukommen, die aber implizit immer schon gegeben ist mit der Möglichkeit des Subjekts, zu handeln (agency), zu denken und sich zu sich und seinen Bedingungen in Distanz zu setzen. Die Möglichkeit der politischen Reflexion ist jedem Subjekt potentiell gegeben, ob diese sich jedoch politisch realisiert, ist eine Frage der Haltung und damit der Aktivität. Der Begriff der politischen Subjektivierung steht damit zwar eng in Verbindung mit den Subjektivierungskonzeptionen bei Althusser, Foucault und Butler, da der Modus der Aktivität nicht frei ist, jedoch wird im Gegensatz zu den Konzeptionen bei den drei Autor*innen davon ausgegangen, dass die Subjekte sich durch die Reflexion ihrer konstitutiven Bedingungen – die auch in Form von Experimenten mit Lebens- und Beziehungsformen stattfinden kann – bewusst und strategisch gegen die Bedingungen stellen können. Des Weiteren wird über den hier entwickelten Begriff der politischen Subjektivierung betont, dass die politische Transformation nur kollektiv erfolgen kann, da nicht zuletzt auch die Subjektivitätsformen kollektiv bedingt werden. Die Transformation zielt also
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
nicht auf das Selbst, sondern auf die konstitutiven Bedingungen und darin vermittelt auf den Möglichkeitsraum des Selbst. Dennoch lassen sich bei den Autor*innen die Grundzüge dieses Verständnisses von politischer Subjektivierung und Handlungsfähigkeit ableiten und entwickeln. So findet sich bei Louis Althusser eine Konzeption der Subjektbildung, die stark auf die kollektive Dimension verweist, auch wenn die politische Subjektivierung selbst nur ungenügend thematisiert wird, da Althusser zu stark die Schließung der Subjektwerdung betont – wenn man jedoch nach dieser suchen würde, dann wäre diese wohl in marxistischer Tradition am ehesten in der Konstitution eines politischen Subjekts, dem ›Proletariat‹ oder den Intellektuellen zu finden, die das ›Proletariat‹ (über die marxistische Wissenschaft und Analyse) zur Revolution führen und anleiten sollen, so dass die Konstitution des politischen Subjekts historisch noch zu realisieren wäre (vgl. Balibar 1988: 7; vgl. Althusser 2012: 357ff.).1 Mit Althusser kann jedoch gezeigt werden, dass die Subjektwerdung durch die kollektiven Praktiken erfolgt, in denen die Subjekte sowohl Handlungsfähigkeit (savoir-faire) erlangen, die auch die Ermächtigung ermöglicht und flexibel einsetzbar sein wird, als auch darauf verweisen, dass die Subjekte über die Einbettung in kollektive Strukturen und Rituale einen gemeinsamen Erfahrungshintergrund haben, der einen Austausch über die konstitutiven Bedingungen ermöglicht. Wenn die Leidenserfahrungen geteilt werden, können auch die Wünsche nach Transformation und Überwindung der bestehenden Verhältnisse geteilt werden. Dass dieser Austausch und die gemeinsame Erfahrung trotz der kollektiven Dimension jedoch nicht identisch sind, sondern individuell abweichen und sich unterscheiden können, wird durch die Berücksichtigung der imaginären und psychischen Dimension der Subjektwerdung deutlich. Das politisch zu bildende (Kollektiv-)Subjekt kann also, so wie das einzelne Subjekt, nicht identisch mit sich selbst sein und ist durch Widersprüche, Ambivalenzen und Uneindeutigkeiten geprägt. Die Hervorbringung erfolgt
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»Die ideologischen Staatsapparate sind ihrerseits notwendigerweise der Schauplatz und der Einsatz eines Klassenkampfs, der in den Apparaten der herrschenden Ideologie den allgemeinen Klassenkampf fortsetzt, wie er die Gesellschaftsformation beherrscht. Wenn die Funktion der ISAs darin besteht, die herrschende Ideologie in den Köpfen zu verankern, so deshalb, weil es Widerstand gibt; wenn es aber Widerstand gibt, so deshalb, weil es Kampf gibt; und dieser Kampf ist letzten Endes das direkte oder indirekte, unmittelbare oder (häufiger) weit davon entfernte Echo des Klassenkampfs.« (Althusser 2010: 106; vgl. ebd.: 123)
7. Politische Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
auch hier prozesshaft und sie darf nicht als essentialisierte verstanden werden. Das politische (Kollektiv-)Subjekt bildet sich immer nur partiell, um gegen konkrete Unterwerfungsverhältnisse zu kämpfen; diese Kämpfe können sich sowohl gegen die Abwehr von Zuschreibungen und Identifikationen richten, aber auch im Entzug oder passiven Widerstand bestehen; sie können sich gegen die Institutionen, Verhältnisse, Regeln, Normen und Gesetze richten, aber über gelebte Beziehungen und Praktiken auch auf die Gestaltung der Lebens- und Seinsformen direkt Bezug nehmen. Mit Althusser kann betont werden, dass zwar auch das einzelne Subjekt politisch handeln kann, nämlich genau dann, wenn es sich gegen die einschränkenden Bedingungen des Seins zur Wehr setzt, aber die Transformation der Ordnungen benötigt den (partiellen) Zusammenschluss von mehreren Subjekten, da nur so eine performative Kraft zur Umgestaltung entwickelt werden kann. Was als politisches Handeln zählt, ließe sich mit Althusser jedoch nur bedingt beantworten, denn einerseits wäre es als das Handeln, welches sich gegen das kapitalistische Produktionsverhältnis richtet, zu bestimmen, andererseits bleibt die Perspektive so zu undifferenziert und grob, denn es können so weder weniger grundlegende Kämpfe als politische erfasst werden, zumal nicht klar ist, welche Kämpfe als ›anti-kapitalistische‹ zu verstehen sind, noch eine Abgrenzung zu reaktionären, faschistischen oder autoritären Kämpfen vorgenommen werden. Dennoch ermöglicht Althussers Begriff des komplexen Ganzen auch, die Frage nach der Stellung und der Rolle der Subjekte im Produktionsverhältnis aufzuwerfen und diese als notwendigen Teil der politischen Reflexionsarbeit zu verstehen. Auch bei Michel Foucault wird man keine befriedigende Antwort auf die Frage danach finden, wie das politische Handeln zu bestimmen ist, zumal bei ihm die Frage nach dem politischen (Kollektiv-)Subjekt weitgehend abwesend scheint. Foucault betont, dass Machtausübung freie Subjekte zur Voraussetzung hat und Macht, verstanden als vielfältige und relationale Kräfteverhältnisse, immer auch mit widerständigen Kräften einhergehe (vgl. Foucault 2005: 255ff.). Das Subjekt wird so konzeptionell als eines verstanden, das in seiner Handlungsfähigkeit nicht determiniert, sondern nur strukturiert ist, d.h. dass es Handlungen, Wahrnehmungen, Denkschemata und Gefühlsreaktionen geben kann, die wahrscheinlicher sind als andere – aber ein anderes Leben, Denken, Wahrnehmen und Fühlen kann möglich sein.2 Diese 2
»Sie [die Machtbeziehung; C.F.] ist ein Ensemble aus Handlungen, die sich auf mögliches Handeln richten, und operiert in einem Feld von Möglichkeiten für das Verhalten
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
Möglichkeiten können sich je nach Stabilität und Flexibilität der Machtverhältnisse und -beziehungen zwar unterscheiden; so kann Kritik oder Widerstand auch nur darin liegen, sich zu weigern, zu zögern, oder aber auch darin, sich zu entziehen und mit anderen Seins- und Lebensweisen zu experimentieren. Bei Foucault scheint es jedoch kein politisches (Kollektiv-)Subjekt zu geben, denn der Machtbegriff verweist in seiner physikalischen Ausrichtung nur auf entpersonalisierte Widerstandsräume, die vor allem darin bestehen, dass die Subjekte in diesen anders handeln könnten, als es die hegemonialen Ordnungen und Regeln nahelegen – der Raum des Handelns verweist so jedoch weder auf explizit politische Kämpfe, die transformierend in die einschränkenden Kräfteverhältnisse eingreifen, noch auf einen kollektiven Zusammenschluss der Subjekte. Dennoch spricht Foucault auch von Kämpfen, die gegen bestimmte Subjektivitäts- und Subjektivierungsformen gerichtet sind, so dass diese Kämpfe als kollektive gedacht werden könnten, da sich über die Kämpfe gegen die Subjektivierungsformen ein politisches (Kollektiv-)Subjekt herstellen ließe, so wie es etwa auch in der Schwulenbewegung der Fall war (vgl. ebd.: 246).3 Foucault diskutiert wiederum implizit auch zwei verschiedene Formen der politischen Subjektivierung, die jeweils in eine andere Richtung weisen. In den 1970er Jahren verhandelt Foucault vor allem die Frage, ob und wie der Intellektuelle als politisches Subjekt verstanden werden kann; in den 1980er Jahren verschiebt er wiederum die Frage hin zu einer politisch-ästhetischen Frage der Selbstgestaltung und -transformation, die sich wiederum auf das einzelne Subjekt bezieht – auch wenn es durchaus denkbar ist, dass sich als
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handelnder Subjekte. Sie bietet Anreize, verleitet, verführt, erleichtert oder erschwert, sie erweitert Handlungsmöglichkeiten oder schränkt sie ein, sie erhöht oder senkt die Wahrscheinlichkeit von Handlungen, und im Grenzfall erzwingt oder verhindert sie Handlungen, aber stets richtet sie sich auf handelnde Subjekte, insofern sie handeln oder handeln können. Sie ist auf Handeln gerichtetes Handeln.« (Foucault 2005: 256) Und an anderer Stelle noch deutlicher: »Wir können uns nicht aus diese Situation [der Regierungssituation; C.F.] herausversetzen, und wir sind nirgendwo frei von jeder Machtbeziehung. Aber wir können stets die Situation umgestalten. Ich habe also nicht sagen wollen, dass wir stets in der Falle sitzen, sondern im Gegenteil, dass wir stets frei sind. Und dass es schließlich, kurz gesagt, stets die Möglichkeit gibt, die Dinge umzugestalten.« (Foucault 2005b: 916) Zur Kritik des Widerstandsbegriffs, die auch auf die Ambivalenz zwischen einer ontologischen Möglichkeit von Widerstand und Widerstand als Ethos sowie zwischen einer normativen und nicht-normativen Konzeption von Widerstand in Foucaults Schriften eingeht, siehe Klass (2008); Pickett (1996); Thompson (2003); Hechler/Philipps (2008).
7. Politische Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
Kunstwerk zu begreifen auf ein gemeinsames Experimentieren der Subjekte verweist, die neue Lebensformen suchen und erproben (vgl. Foucault 2007b: 71; vgl. Foucault 2007c: 119).4 Foucault scheint es einerseits wichtig zu sein, von der Figur des Intellektuellen, der die Anderen zu einem politischen Bewusstsein führt, Abstand zu nehmen; andererseits hält er durchaus daran fest, dass der Intellektuelle keine neutrale Position einnimmt und über seine Analyse in die Kräfteverhältnisse eingreifen kann und muss, da er als ›spezifischer Intellektueller‹ selbst am Macht/Wissens-Produktionszusammenhang beteiligt ist. »Es kommt nicht darauf an, die Wahrheit von jedem Machtsystem zu befreien […], sondern die Macht der Wahrheit von den Formen (sozialen, ökonomischen, kulturellen) Hegemonie zu befreien, innerhalb derer sie derzeit funktioniert.« (Foucault 2003c: 152; vgl. Lemke 1997: 363ff.; vgl. Nigro 2017: 176; vgl. Schmid 1991: 83) Den Intellektuellen als politisches Subjekt zu bezeichnen, würde jedoch zu weit führen, da Foucault vor allem dafür plädiert hat, dass die ›Betroffenen‹ für sich selbst sprechen können müssen (vgl. Deleuze/Foucault 1977: 91; vgl. 4
So spricht Foucault in Freundschaft als Lebensform (1981) zum Beispiel von gemeinsam geteilten Beziehungs- und Lebensformen: »Dieser Begriff der Lebensform scheint mir wichtig zu sein. Sollten wir nicht eine Diversifizierung einführen, die nicht auf Klassenzugehörigkeit, Beruf oder Bildungsniveau basiert, sondern auf Beziehungsformen, die man unter dem Begriff der ›Lebensform‹ zusammenfassen könnte? Eine Lebensform kann von Menschen unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher gesellschaftlicher Stellung und ganz verschiedener sozialer Tätigkeitsbereiche geteilt werden. Sie kann Raum für intensive Beziehungen schaffen, die keiner institutionalisierten Beziehungsform gleichen, und mir scheint, eine Lebensform kann auch eine Kultur und eine Ethik hervorbringen. Schwul sein heißt in meinen Augen nicht, sich mit den psychologischen Merkmalen und sichtbaren Masken des Homosexuellen zu identifizieren, sondern den Versuch zu machen, eine Lebensform zu definieren und zu entwickeln.« (Foucault 2007b: 71) In einem weiteren Interview, Sex, Macht und die Politik der Identität (1982), betont Foucault den ›schöpferischen Aspekt‹ dieser Suche nach neuen Lebensund Beziehungsformen: »Die Sexualität bildet einen Teil unserer Lebensführung. Sie bildet einen Teil der Freiheit, die wir in dieser Welt genießen. Die Sexualität ist etwas, das wir selbst erschaffen – sie ist unsere eigene Schöpfung, weit mehr als die Entdeckung eines verborgenen Aspekts unseres Begehrens. Wir müssen verstehen, dass sich mit unseren Begierden und durch sie neue Formen von Beziehungen, neue Formen von Liebe und neue Formen von Schöpfung herstellen lassen. Sex ist nichts Schicksalhaftes; er ist eine Möglichkeit, Zugang zu einem schöpferischem Leben zu erhalten.« (Foucault 2005b: 910)
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Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
Foucault 2005a: 1000) – jedoch kann der Intellektuelle in seinem Feld der Expertise ebenso ›betroffen‹ sein (vgl. Foucault 2005c: 925). Foucault wendet sich damit zum einen gegen ›Repräsentationspolitik‹, zum anderen können alle, die sich gegen konkrete Unterwerfungsverhältnisse zur Wehr setzen oder beim Spiel der Wahrheiten mitmachen, als politische Subjekte verstanden werden. Politisches Handeln ist aber auch hier normativ unterbestimmt, denn es wird immer nur partiell in Kämpfen gegen konkrete Weisen der Unterwerfung und Regierungen aktiviert – wie wirksam es ist und wie die Kämpfe normativ zu bewerten sind, bleibt selbst umkämpft und ist als Teil der politischen Auseinandersetzung zu verstehen. »Was bei den Kämpfen in Frage steht; ist die Tatsache, dass eine bestimmte Macht ausgeübt wird und dass allein die Tatsache, dass sie ausgeübt wird, unerträglich ist.« (Foucault 2003d: 687f.) Judith Butler hat die Frage nach dem politischen Subjekt in ihrer Theorie vor allem in kritischer Absicht thematisiert. So ist in ihrem ersten Hauptwerk Gender Trouble der Ausgangspunkt ihrer Kritik der Geschlechterordnung die Kritik an der feministischen Repräsentationspolitik, die die ›Frau/en‹ als politisches Subjekt voraussetzt. Auch wenn ihre Theorie maßgeblich dazu beigetragen hat, feministische Politiken unter der Perspektive der Intersektionalität und damit unter der Berücksichtigung von Differenzen zu betrachten, blendet Butler in ihrer Kritik aus, dass auch die Bildung eines politischen (Kollektiv-)Subjekts performativ gedacht werden kann und darin keineswegs Widersprüche und Ambivalenzen abgeblendet werden oder dieses sich selbst als einheitliches Subjekt begreifen müsste. So zeigt gerade die Geschichte der Frauenbewegung auf, dass die Gruppierungen sich auch immer wieder mit den Fragen, wie ›Frauen‹ und ›Frausein‹ verstanden werden kann, welche Leidenserfahrungen geteilt werden und welche sich wie unterscheiden, auseinandergesetzt haben. Der historische Blick auf die Frauenbewegungen kann die Kontingenz und die politische Auseinandersetzung um das politische Subjekt ›Frau‹ aufzeigen. Das Selbstverständnis und die Ziele waren und bleiben umkämpft. In dieser Arbeit wird deshalb dafür plädiert, dass auch die politische Subjektbildung als performativer Hervorbringungs- und Transformationsprozess begriffen werden kann. Anders als in Butlers Theorie der Aneignung und Subversion von ›Geschlechtlichkeit‹ in drag-performances diskutiert wird, lässt sich diese performative Hervorbringung des politischen Subjekts aber auch
7. Politische Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
als bewusster und intentionaler Akt verstehen.5 So zeichnen sich politische Prozesse dadurch aus, dass ein durch die Strukturen – etwa durch die patriarchale Ordnung – hervorgebrachtes (Kollektiv)-Subjekt, wie etwa die ›Frauen‹, sich aufgrund dieser Hervorbringung auch bewusst zu einem politischen Subjekt ›Frauen‹ zusammenschließen können, um sich gegen die vermeintliche ›Natürlichkeit‹ der Kollektividentität ›Frau‹ zur Wehr zu setzen und dieses durch den politischen Protest selbst zu transformieren. Die Hervorbringung eines Kollektivsubjekts6 ist als Ergebnis von Anrufungen bzw. Subjektivierungsprozessen zu verstehen. Dieser Prozess verläuft sowohl über Zuschreibungen von außen als auch über das Selbstverhältnis und die Identifikationen oder Desidentifikationen der einzelnen Subjekte. Über die einzelnen individuellen Subjektivierungsprozesse bildet sich also auch ein Kollektivsubjekt, 5
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Der Zusammenhang zwischen performativen Prozessen, die die Ordnung und Normen durch die Zitation immer schon verschieben und transformieren, und subversiven Praktiken, wie es etwa drag-peformances sein können, bleibt bei Butler spannungsreich. Einerseits können subversive Geschlechterdarstellung als Beispiel für das Aufzeigen der Kontingenz und die performative Hervorbringung der Geschlechterordnung dienen; andererseits könnten drag-performances auch eine von den Subjekten bewusst eingesetzte Strategie sein, um die vermeintliche ›Natürlichkeit‹ und ›Eindeutigkeit‹ der Geschlechterordnung zu hinterfragen. Butler scheint sie aber nicht hauptsächlich als bewusste und politische Strategien zu verstehen, sondern als solche, die auch unabhängig von der Intention der Drag-Künstler*innen subversiv wirken können, da sie die Kontingenz von Normen aufzeigen können. »Die Parodie an sich ist nicht subversiv. Also muß es eine Möglichkeit geben zu verstehen, wodurch bestimmte Formen parodistischer Wiederholung wirklich störend bzw. wahrhaftig verstörend wirken und welche Wiederholungen dagegen gezähmt sind und erneut als Instrumente der kulturellen Hegemonie in Umlauf gebracht werden.« (Butler 1991: 204) Und: »Zweifellos wurde die Parodie eingesetzt, um eine Politik der Verzweiflung zu fördern, die die scheinbar unvermeidliche Ausschließung der marginalen Geschlechtsidentitäten aus dem Gebiet des Natürlichen und Realen bestätigt. Dennoch ist dieses Scheitern, ›real‹ zu werden und das ›Natürliche‹ zu verkörpern, meiner Ansicht nach eine konstitutive Verfehlung aller Inszenierungen der Geschlechtsidentität, weil diese ontologischen Orte grundsätzlich unbewohnbar sind.« (ebd.: 215). Eine Kritik des Iterabilitätsverständnisses findet sich beispielsweise bei Bini Adamczak (vgl. Adamczak 2017: 236). Als Kollektivsubjekt wird hier der Subjektivierungsprozess, der sich auf eine Gesamtheit an Subjekten und ihre Subjektpositionierung – wie etwa die ›Frauen‹ – bezieht, bezeichnet. In Abgrenzung dazu benutze ich den Begriff des politischen (Kollektiv-)Subjekts, welches das politische Subjekt meint, das sich gegen diese Hervorbringung zur Wehr setzt und so versucht, gestaltend in den kontingenten Prozess einzugreifen.
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da die Positionierungen und Anrufungen auf die Hervorbringung von beispielsweise vergeschlechtlichten Subjekten zielen, die zusammengefasst auch als ein ›Kollektivsubjekt‹ gelten können. Zu einem politischen (Kollektiv-)Subjekt kann dieses Kollektivsubjekt werden, wenn die Subjekte sich – auch in kritischer, ablehnender oder solidarischer Bezugnahme – als Teil dessen verstehen oder wenn sie sich gegen den Subjektivierungsprozess oder bestimmte Aspekte und Inhalte der Anrufungen zur Wehr setzen. Dieser Protest richtet sich also nicht nur gegen die Zuweisungen und Zuschreibungen zum Kollektivsubjekt, sondern im Protest kann auch Anspruch auf Teilhabe erhoben werden, der beispielsweise materielle Ressourcen miteinschließt. Anders als das Kollektivsubjekt wird das politische (Kollektiv-)Subjekt aber nicht nur durch unbewusste und alltägliche Abläufe gebildet, sondern es kann sich durch die Reflexion der eigenen Konstitutionsbedingungen über bewusste Praktiken, Selbstidentifizierungen und Selbstrepräsentationen gestaltend hervorbringen. Performativ ist dieser Prozess, da im Protest oder im bewussten Zusammenschluss bereits transformierend eingegriffen wird: Das Aussprechen der Forderung ist sowohl Teil der Transformation als auch der Realisierung der Forderung selbst. Das politische (Kollektiv-)Subjekt kann zwar über gemeinsame Erfahrungen, Identifikationen und Zuschreibungen, aber auch über gemeinsame Zielsetzungen gebildet werden, d.h. das Subjekt lässt weder auf Identitäten schließen noch lassen sich diese vom Subjekt ableiten. So können sich als Teil des politischen (Kollektiv-)Subjekts unter dem Namen ›Frau/en‹ auch Allies beteiligen und die Konstitution dieses Subjekts stützen. Ähnlich wie Butler es mit ihrem Begriff der assembly beschreibt, bilden sich politische (Kollektiv-)Subjekte im Moment einer konkreten politischen Aktion, anders als Butler gehe ich aber davon aus, dass diese Bildung eines politischen Subjekts auch durch gemeinsame Leidens- und Körpererfahrungen motiviert sein kann, die sich durch die Subjektivierungsweisen ergeben und deshalb auch legitimerweise – zumindest partiell – an Identitäten gebunden bleiben können. Es gibt dabei nicht das eine politische Subjekt, sondern vielfältige politische Subjekte, die immer nur partiell gebildet werden und die sich selbst im Prozess verändern können. Die politische Handlungsfähigkeit entsteht so also im Prozess selbst, denn der kollektive Zusammenschluss, der die eigenen Ambivalenzen und Widersprüche thematisiert und offenlegt, kann gestaltend sowohl auf die bestehende Ordnung wirken als auch in die kontingente Hervorbringung von (Kollektiv-)Subjekten eingreifen.
7. Politische Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
Der Mechanismus zwischen individuellen und kollektiven Subjektivierungen unterscheidet sich meines Erachtens nicht, da die einzelne Anrufung immer auch zur Konstitution eines Kollektivsubjekts führt. Der Unterschied liegt nun aber in der Nichtpassung zwischen Anrufung und Subjektwerdung. Beide Subjektivierungsprozesse gehen mit vielzähligen, pluralen und widersprüchlichen Anrufungen einher. Der Effekt der Nicht-Identifikation oder Nicht-Passung ist aber bei den kollektiven Subjektivierungsweisen stärker, da hier augenscheinlich wird, dass der Einzelne nicht im Kollektiv aufgehen kann. Auf individueller Ebene ist der Zwangscharakter der Subjektivierung nicht immer sichtbar, auf der Ebene des Kollektivs wird dieser jedoch stärker wahrnehmbar. Diese Nicht-Passung des Einzelnen im Kollektiv kann dazu führen, die Nicht-Passung auf individueller Ebene zu spüren und zu sehen. Wenn ich nicht im Kollektiv ›Frauen‹ aufgehe, hinterfrage ich vielleicht eher die Zurichtungen, die entstehen, wenn man als ›Frau‹ angerufen wird. Die Bildung eines aktiven, politischen (Kollektiv-)Subjekts kann sowohl (negativ) durch Reflexion der Grenzen und (positiv) durch das Bild eines Andersseins motiviert sein. Die Bildung eines (Kollektivs-)Subjekts ist dabei kein Automatismus, sondern explizit politische Aufgabe. Ich bin mir nicht sicher, ob ich diese politische Kollektivitätsbildung ontologisch begründen muss, jedoch scheint es mir naheliegend zu sein, dass durch die grundlegende Bezogenheit auf den Anderen, der individuelle Wunsch nach Veränderung und Transformation zugleich zum kollektiven Austausch mit Anderen führen wird. Unklar bleibt aber auch hier, unter welchen Kriterien von einer explizit politischen Handlungsfähigkeit gesprochen und ob die Bezeichnung des politischen Handelns normativ bestimmt werden kann. Wenn man mit den Subjektivierungskonzeptionen der hier diskutierten Autor*innen arbeitet, dann lässt sich die Handlungsfähigkeit nur als politische verstehen, wenn sie sich gegen konkrete Unterwerfungsverhältnisse zur Wehr setzt. Welche Unterwerfungsverhältnisse gemeint sind und wie weitreichend dieses Zur-WehrSetzen verstanden werden kann, muss aber, um nicht beliebig jegliches ZurWehr-Setzen als politischen Akt zu bezeichnen, nach bestimmten Kriterien festgelegt werden können. So verweise ich mit dem Plädoyer für eine starke Subjektivierungsanalytik darauf, dass die Unterwerfungsverhältnisse, gegen die sich die Subjekte zur Wehr setzen, macht- und herrschaftsstützende sind, weil sie Lebens- und Seinsformen durch Aberkennung von Rechten, Teilhabe und materiellen Ressourcen oder durch Normalisierungs- und Naturalisierungsstrategien einschränken oder weil sie Widersprüche, Ambivalenzen
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und Uneindeutigkeiten abblenden. So ist es einerseits nicht ausreichend, die Unterwerfung unter jede gesellschaftliche Norm oder Praktik als politische zu verstehen, auch wenn es wiederum entwicklungspsychologisch und für die individuelle Subjektwerdung bedeutsam sein kann, die Suppe nicht zu essen.7 Andererseits ist nicht jedes politische Handeln normativ als ›gutes‹ oder ›emanzipatives‹ Handeln zu verstehen. Um den Begriff des Politischen in die Subjektivierungskonzeptionen und -analytik einzubinden, möchte ich deshalb auf Jacques Rancières Begriff der politischen Subjektivierung Bezug nehmen. Auch wenn Rancières Konzeption, anders als die Konzeptionen von Althusser, Foucault und Butler, stärker auf die Erörterung revolutionärer und emanzipativer Ermächtigung als auf die der konstitutiven Bedingungen und Beschränkungen der Transformation zielt, können meines Erachtens beide Ausrichtungen im Modus der politischen Subjektivierung verbunden diskutiert werden. Im Anschluss an Jacques Rancière kann Politik bzw. politische Handlungsfähigkeit als eine Tätigkeit und Praxis verstanden werden, die auf die Transformation der bestehenden und hegemonialen Ordnung und Aufteilung zielt, anders als bei Rancière soll jedoch nicht nur der Kampf der ›Anteillosen auf Anteil‹ als Politik zählen. In Das Unvernehmen (1995) definiert Rancière die Ordnung des Bestehenden bzw. die hegemoniale Einrichtung der Welt begrifflich als Polizei: »Die Polizei ist somit zuerst eine Ordnung der Körper, die die Aufteilungen unter den Weisen des Machens, den Weisen des Seins und den Weisen des Sagens bestimmt, die dafür zuständig ist, dass diese Körper durch ihre Namen diesem Platz und jener Aufgabe zugewiesen sind; sie ist eine Ordnung 7
»Die Suppe nicht zu essen« steht hier als Metapher für die Möglichkeit des handlungsfähigen Subjekts, sich zu weigern oder zur Wehr zu setzen, und geht auf die psychoanalytische Beschreibung der Subjektwerdung bei Althusser zurück: »Wenn das kleine Mädchen seinerseits die tragische und heilsame Situation der Kastration erlebt und annimmt, dann akzeptiert es, daß es nicht das gleiche Recht wie seine Mutter besitzt; es akzeptiert also zweierlei, daß es nämlich erstens nicht dasselbe Recht (Phallus) wie sein Vater hat, da seine Mutter es (den Phallus) auch nicht hat, obgleich sie eine Frau und weil sie eine Frau ist, und gleichzeitig akzeptiert es, daß es nicht dasselbe Recht wie seine Mutter hat, das heißt, daß es noch nicht eine Frau wie seine Mutter ist. Als Gegenleistung empfängt es sein kleines Recht: das des kleinen Mädchens, und die Versprechen eines großen Rechts, des vollen Rechts einer Frau, wenn es erwachsen sein wird, wenn es zu wachsen weiß, indem es das Gesetz der menschlichen Ordnung akzeptiert, das heißt sich ihm unterwirft, um es, wenn nötig, zu mißachten, indem es nicht so ›gut‹ seine Suppe ißt.« (Althusser 1976: 28)
7. Politische Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
des Sichtbaren und des Sagbaren, die dafür zuständig ist, dass diese Tätigkeit sichtbar ist und jene andere es nicht ist, dass dieses Wort als Rede verstanden wird, und jenes andere als Lärm.« (Rancière 2014: 41) Die polizeiliche Ordnung ist somit eine hegemoniale diskursive Regulation, die auch die Zuordnung und Zuweisung zu gesellschaftlichen Positionen und damit die Subjektivierung – wie sie in dieser Arbeit verstanden wird – reguliert. Den Begriff der Politik verwendet Rancière nur, um die Neuaufteilung, das Aufbrechen und die Desidentifikation mit der bestehenden Ordnung zu beschreiben: »Ich schlage nun vor, den Namen der Politik auf genau die bestimmte Tätigkeit, die der ersten widerstreitend ist, zu beschränken: diejenige, die die sinnliche Gestaltung zerbricht, wo die Teile und die Anteile oder ihre Abwesenheit sich durch eine Annahme definieren, die darin per definitionem keinen Platz hat: die eines Anteils der Anteillosen.« (Ebd.) Die Politik oder das Politische existieren bei Rancière nicht einfach, sondern sie müssen über die Desidentifikation und den Bruch immer wieder neu aktiviert und somit immer wieder hergestellt werden – Politik sei so immer nur im Modus des Kampfes um die Ordnung des Bestehenden wirksam, sie könne deshalb auch nicht im Modus des Konsenses oder der Institutionalisierung bestehen. Verwirrend ist nun, dass Rancière den Begriff der Subjektivierung (frz. subjectivation)8 konträr zu dem hier vorgestellten und verwendeten Begriff gebraucht. Subjektivierung oder, bei Rancière synonym verwendet, politische Subjektivierung bezeichnet bei ihm den Prozess des Aufbrechens und die Desidentifikation: »Jede Subjektivierung ist eine Ent-Identifizierung, das Losreißen von einem natürlichen Platz, die Eröffnung eines Subjektraums, in dem sich jeder dazuzählen kann, da es den Raum einer Zählung der Ungezählten, eines InBezug-Setzens eines Anteils und der Abwesenheit eines Anteils ist.« (Ebd.: 48) Subjektivierung meint bei Rancière den politischen Akt der Selbstermächtigung, nach der die bestehende Aufteilung unter dem Aspekt der Gleichheit hinterfragt und die Anteillosen ihren Anteil im Bestehenden einfordern, mit
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Zu den Übersetzungsschwierigkeiten und der Begriffsverwendung von Subjektivierung durch Rancière siehe auch die Fußnote 3 in Kapitel 1 dieser Arbeit.
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dem Ziel, das Bestehende so selbst zu transformieren, dass die Forderung des Anteils nicht bloß eine Forderung der Integration in die polizeiliche Ordnung meint, sondern die Neuaufteilung der Ordnung selbst anstrebt. »Sie [die Subjekte; C.F.] tun dies [politisch handeln; C.F.], indem sie der polizeilichen Ordnung, die die Gemeinschaft gliedert, künstlich eine Gemeinschaft hinzufügen, die nur durch und für den Konflikt existiert, eine Gemeinschaft des Konflikts über das Dasein des Gemeinsamen selbst zwischen dem, der Anteil hat, und dem, der anteillos ist. Die Politik ist Sache der Subjekte oder vielmehr der Subjektivierungsweisen. Unter Subjektivierung wird man eine Reihe von Handlungen verstehen, die eine Instanz und eine Fähigkeit zur Aussage erzeugen, die nicht in einem gegebenen Erfahrungsfeld identifizierbar waren, deren Identifizierung also mit der Neuordnung des Erfahrungsfeldes einhergeht. Formell ist das cartesianische ego sum, ego existo das Modell dieser Subjekte, die untrennbar von einer Reihe von Verrichtungen sind, die die Erzeugung eines neuen Erfahrungsfeldes mit sich führen. Jede politische Subjektivierung hängt von dieser Formel ab.« (Ebd.: 47; Herv. im Orig.) Interessant an dieser Konzeption ist, dass Rancière nun einerseits betont, dass das Subjekt der politischen Subjektivierung ›künstlich‹ ist, d.h. die Konstitution kann nicht aus einer essentialisierten Identität – ›Frau‹ oder ›Proletariat‹ – abgeleitet werden, sondern sie erfolgt nur im Moment, in der Einforderung eines Anteils. Das (Kollektiv-)Subjekt ›Frau‹ oder ›Proletariat‹ kann so als politisches Subjekt verstanden werden, welches nur existiert, um das Unrecht aufzuzeigen und den Anteil einzufordern. So kann meines Erachtens auch der Bezug auf das cartesianische Subjektmodell verstanden werden. Die Subjekte gehen der polizeilichen Ordnung nicht voraus, aber im Modus des Politischen konstituieren sie sich als Subjekte, die handlungsfähig und ermächtigt sind, so dass sie die Ordnung in ihrer Ermächtigung neu anordnen können. Bei Rancière gibt es keine normative Bewertung der polizeilichen Ordnung, sie kann, wie er selbst sagt, sowohl ›gut‹ als auch ›schlecht‹ eingerichtet sein – die Politik hingegen ist meines Erachtens bei ihm normativ bestimmt, da diese immer an das Einfordern eines Anteils der Anteillosen gedacht wird und somit transformativ auf eine Neuanordnung der Zählung der Anteile und damit auf eine gerechtere Aufteilung zielt (vgl. ebd.: 148, 149).
7. Politische Subjektivierung und politische Handlungsfähigkeit
»Er [der Name Proletarier; C.F.] gehört einem Vorgang der Subjektivierung an, der identisch ist mit dem Vorgang der Ausstellung eines Unrechts. Die ›proletarische‹ Subjektivierung definiert über die Vielzahl der Arbeiter hinaus gleichzeitig ein Subjekt des Unrechts. Was subjektiviert wird, ist weder die Arbeit noch das Elend, sondern die reine Zählung der Ungezählten, der Unterschied zwischen der ungleichmäßigen Verteilung der gesellschaftlichen Körper und der Gleichheit der sprechenden Wesen.« (Ebd.: 51) Wie bereits in der Einleitung dargestellt wurde, ist es nicht unproblematisch sich in dieser Arbeit auf die Begrifflichkeit von Rancière zu beziehen, da er den Begriff der Subjektivierung (subjectivation) nicht als ambivalenten kennzeichnet und mit diesem nur den Akt der Selbstermächtigung der Subjekte bezeichnet, die sich gegen die herrschaftliche bzw. polizeiliche Ordnung des Bestehenden richten. Auch wenn in der Rezeption die Nähe zu Foucaults und Butlers Begrifflichkeiten betont wird, führt diese Einordnung zugleich dazu, dass die in dieser Arbeit betonte Ambivalenz im Subjektivierungsprozess ausgeblendet wird. Dennoch bin ich der Auffassung, dass man über Rancières Begriff der politischen Subjektivierung die Leerstelle im ambivalenten Subjektivierungsbegriff besser ausfüllen kann, die darin besteht, dass der Modus des politischen Handelns der Subjekte konzeptionell nicht genügend berücksichtigt wird. Hierfür ist es aber notwendig, den Begriff der Subjektivierung vom Begriff der politischen Subjektivierung zu trennen und diese nicht wie Rancière synonym zu verwenden. Während der hier entwickelte Begriff der ambivalenten Subjektivierung im Sinne des Foucault’schen assujettissement immer beide Seiten der Subjektwerdung erfassen soll, nämlich die der Unterwerfung unter die bestehende Ordnung und die der Hervorbringung des Subjekts, wird hier zugleich argumentiert, dass die ermächtigende Seite der Subjektwerdung nicht nur die Handlungsermächtigung umfasst, sondern bereits das Selbstverhältnis und damit die Möglichkeit der (kritischen) Reflexion der Verhältnisse. Dieses Selbstverhältnis und die Seite der Ermächtigung können zwar unterschiedlich stark vorhanden sein, der Prozess der Subjektwerdung lässt sich jedoch nicht so einfach in zwei unterschiedliche Seiten – die Unterwerfung und die Selbstermächtigung – aufteilen. Integriert man die Ansätze der Subjektwerdung bei Althusser, Foucault und Butler, dann kann dieser Prozess der ambivalenten Subjektwerdung umfangreich beschrieben und analysiert werden. Diese Analytik kann dann Aufschluss über die konkreten Bedingungen und Grenzen unseres gegenwärtigen Subjektseins geben, jedoch ist so noch nicht
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erklärt, wie die Subjekte transformativ in die Ordnung eingreifen können. Das heißt, wann die Subjekte im Modus des Politischen aktiv auftreten und handeln und wie ein strategisches und koordiniertes Eingreifen in die Ordnung möglich und wann es wünschenswert oder erfolgreich sein kann – dies soll über den Begriff der politischen Subjektivierung erklärt werden. Rancières Begriff der politischen Subjektivierung kann hierfür aufgegriffen werden, auch wenn dieser weder synonym zur Subjektivierung noch als bloßer Gegenbegriff fungieren, sondern nur die Steigerung der ambivalenten Subjektivierung zur Seite der politischen (Selbst-)Ermächtigung bezeichnen soll. Auch wenn Subjektivierung in dieser Arbeit über den Begriff der Ambivalenz nicht bloß auf die passive Seite und die Identifizierung mit der bestehenden Ordnung verweist, sagt die Ambivalenz noch nichts über die Form aus, wie das Selbstverhältnis, die Aktivität, die Handlungsfähigkeit der Subjekte umgesetzt und gestaltet werden. Konkret heißt dies also, dass der Begriff des Politischen anzeigen kann, dass Subjekte aktiv und politisch in die Gestaltung ihrer Lebens- und ihrer Seinsbedingungen eingreifen – sie legen oder verschieben durch ihre Kritik, ihren Protest oder durch ihre Verweigerung die gegenwärtige Grenze des Seins. Bereits die Weigerung, die ›Suppe nicht zu essen‹, kann die Grenze aufzeigen, aber erst eine Kritik, die die Grenze selbst reflektiert und kontextualisiert, kann zu einem Bruch oder einer Transformation der bestehenden Ordnung führen. Mit Rancière wird davon ausgegangen, dass politische Subjektivierung ein aktiver Prozess der Ermächtigung ist, anders als bei ihm wird jedoch dieser Ermächtigungsprozess weder als ein an die Anteillosigkeit gebundener, noch als zwangsläufig auf eine (erfolgreiche) Neuaufteilung zielender verstanden. Die politische Subjektivierung bleibt immer an die konstitutiven Bedingungen gebunden und im Ziel, diese zu verändern, auf diese bezogen, und es ist Teil der politischen Arbeit, die Ambivalenz, wie sie in den Theorien von Althusser, Foucault und Butler herausgearbeitet wurde, zu reflektieren. Politische Subjektivierung bezeichnet hier den Modus, in welchem sich die Subjekte bewusst und strategisch zur Wehr setzen, um ›nicht dermaßen regiert zu werden‹ – wenn man die Aspekte der integrierten Subjektivierungsanalytik als Folie nimmt, kann die politische Subjektivierung außerdem normativ betrachtet werden. Politische Subjektivierungsweisen können sich dann als emanzipative realisieren, wenn sie auf den gesellschaftlichen Zusammenhang schließen und diesen reflektieren, d.h. sowohl das ökonomische Produktionsverhältnis als auch Formen der Ideologie und institutionellen Gestaltung von Recht und Politik miteinbeziehen; wenn sie die historische Kontingenz und
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Gewordenheit berücksichtigen; wenn sie sich gegen Normalisierungsstrategien zur Wehr setzen oder wenn sie gemäß der Aspekte des Unbewussten, des Scheiterns und der Ethik die Offenheit, Widersprüchlichkeit und Uneindeutigkeit des politischen Zusammenschlusses und der politischen Gestaltungen sowie der Lebens-, Seins- und Beziehungsformen beachten. Anders als bei den hier behandelten Autor*innen Althusser, Foucault und Butler implizit angelegt ist, soll mit dem Begriff der politischen Subjektivierung jedoch sowohl betont werden, dass dieser Prozess bewusst und strategisch erfolgen kann, als auch, dass das Ziel der Transformation der bestehenden Ordnung den kollektiven Zusammenschluss der Subjekte benötigt. So kann zwar der einzelne Akt eines Subjekts, wie etwa das berühmte Beispiel von Rosa Parks zeigt, ein politischer Akt sein,9 um wirksam zu werden, braucht es aber einen kollektiven Zusammenschluss von vielen Subjekten, die zusammen politisch handeln. Wie in der Diskussion um die Konstitution eines politischen Subjekts bereits gezeigt wurde, kann dieses nicht aus einer vermeintlichen Identität abgeleitet werden, jedoch kann es durchaus sinnvoll sein, von gemeinsamen Leidenserfahrungen und Interessen auszugehen. In Bezug auf die Frage nach Identitätspolitik heißt dies, einerseits über die intersektionale Analyse und Quotierungsregelungen ›Identitäten‹ repräsentativ zu berücksichtigen, andererseits diese Berücksichtigung nur als Hilfsmittel zu verstehen, sodass der Austausch anhand von politischen Interessen und Zielsetzungen angestrebt sowie Solidaritätsbeziehungen geknüpft werden können, die sich nicht anhand der Differenzkategorien ordnen lassen. Dass auch hier immer wieder mit Widersprüchen, blinden Flecken, Differenzen und Uneindeutigkeiten zu rechnen ist, bedeutet nur, dass diese in der politischen Arbeit und im politischen Reflexionsprozess berücksichtigt und bearbeitet werden müssen. Der Bezug auf politische Handlungsfähigkeit und politische Subjektivierung bleibt einerseits normativ unterbestimmt, andererseits kann gerade durch den Verweis auf den wechselseitigen Zusammenhang von Analyse 9
Interessant am Beispiel Rosa Parks ist die Diskussion um die Frage, ob sie sich bewusst der rassistischen Segregation widersetzt hat oder nicht. Ich denke, dass der Akt zwar unabhängig von der Intention als politischer Akt verstanden werden kann, wichtiger wäre jedoch die Frage, wie ein vereinzelter politischer Akt auch eine politische Transformationskraft entwickeln kann. In dieser Arbeit wird deshalb betont, dass der einzelne Akt zwar als Auslöser für den Zusammenschluss dienen kann, aber eine politische Kraft nur entwickelt werden kann, wenn er von vielen Subjekten bewusst als solcher geteilt und ausgeübt wird.
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und Praxis die integrierte Subjektivierungsanalytik als normativer Orientierungspunkt verstanden werden. Sie berücksichtigt in ihrer Analyse die Praktiken der Subjekte, und sie kann selbst als Ausgangspunkt für den koordinierten und strategischen Zusammenschluss der Subjekte dienen. Politische Subjektivierung ist damit als aktiver Selbstkonstitutionsprozess zu verstehen, jedoch bleibt diese Aktivität an die Ambivalenz des Subjektwerdungsprozesses gebunden – sie muss sich damit immer auch auf die kollektive Gestaltung der gesellschaftlichen Bedingungen des Seins beziehen, da sie sonst wirkungslos oder subjektivistisch bleiben muss. Der Modus der Aktivität im Politischen ist aber nicht ausschließlich als abwehrende Reaktion zu verstehen. Einerseits ist das politische Handeln immer in Bezug und Relation auf das Gegebene zu verstehen, andererseits sollte das Politische nicht nur in Form der Gegenwehr im engeren Sinne auftreten, d.h. es sollten auch politische Aktivitäten erfasst werden können, die sich im Modus des Schöpferischen, in imaginären Wünschen und Bildern, und nicht im Modus des Widerstandes, befinden. Auch wenn ich davon ausgehe, dass die politische Aktivität auf die Kritik der bestehenden Ordnung gerichtet sein muss, können hier unterschiedliche politische Formen gemeint sein: die Demonstration, die Versammlung im öffentlichen Raum, aber auch das gemeinsame Leben und gestalten privater Räume, die gemeinsame theoretische Arbeit, das Sammeln von Unterschriften für Petitionen, aber auch künstlerische Auseinandersetzungen, beispielsweise in Theaterperformances oder Drag-Schminktutorials bei Youtube. Ermächtigung ist immer nur partiell zu verstehen und muss, um die eigenen Konstitutionsbedingungen zu reflektieren, immer auch die Widersprüchlichkeit und Offenheit des politischen Konstitutionsprozesses miteinbeziehen. Erst so besteht die Chance auf ein Zusammenleben, welches kollektiv gestaltet ist und darin nicht die Widersprüchlichkeit, die Uneindeutigkeit und die Singularität der Einzelnen abblenden muss.
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Das zweite konvivialistische Manifest Für eine post-neoliberale Welt 2020, 144 S., Klappbroschur, Dispersionsbindung 10,00 € (DE), 978-3-8376-5365-6 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-5365-0 ISBN 978-3-7328-5365-6
Pierfrancesco Basile
Antike Philosophie September 2021, 180 S., kart., Dispersionsbindung 20,00 € (DE), 978-3-8376-5946-7 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-5946-1
Karl Hepfer
Verschwörungstheorien Eine philosophische Kritik der Unvernunft Juli 2021, 222 S., kart., Dispersionsbindung, 5 SW-Abbildungen 25,00 € (DE), 978-3-8376-5931-3 E-Book: PDF: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5931-7
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Philosophie Ashley J. Bohrer
Marxism and Intersectionality Race, Gender, Class and Sexuality under Contemporary Capitalism 2019, 280 p., pb. 29,99 € (DE), 978-3-8376-4160-8 E-Book: PDF: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4160-2
Jürgen Manemann
Demokratie und Emotion Was ein demokratisches Wir von einem identitären Wir unterscheidet 2019, 126 S., kart. 17,99 € (DE), 978-3-8376-4979-6 E-Book: PDF: 15,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4979-0
Anke Haarmann
Artistic Research Eine epistemologische Ästhetik 2019, 318 S., kart., Dispersionsbindung 34,99 € (DE), 978-3-8376-4636-8 E-Book: PDF: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4636-2 EPUB: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-4636-8
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