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German Pages 138 [144] Year 1836
in
W ü st e
d e r
Von
Dr.
Kar l
Sederholm,
Pastor der evang. Gemeinde in der Umgegend von Moskau, Religionslehrer am Moskauer Kadettenkorps, wie auch Lehrer an der Kaiser!. MedicoChirurgischen Akademie, an der Kommerz-Schule und am Lasarewschen Institut der orientalischen Sprachen.
Berlin, bei G. Reimer.
18 3 5
Vorrede. Umstande, deren Anführung aber nicht hieher gehört,
nöthigten den Verfasser dieser Studien, von denen das erste Heft hier erschien, für die folgenden einen Verleger
in Deutschland zu suchen.
Daher die unfreiwillige Ver
spätung , wegen welcher er die Besitzer des ersten Heftes, welches zugleich mit dem gegenwärtigen und mit einigen
frühern Schriften von ihm in den deutschen Buchhandel tritt, um Entschuldigung bittet. Wenn der Verfasser vorliegender Bruchstücke immer
nur mit Schüchternheit seine Versuche der Oeffentlichkeit übergab: so ist dieses jetzt doppelt der Fall, wo seine
Schrift nicht im Schatten der unbeachteten Ferne, son dern am lichten Markte des Deutschen gelehrten Publikums
erscheint.
Zwar ist er sich dessen bewußt, daß , so gering
auch seine Leistung immer seyn mag, dieses dennoch Alles ist, wa^ ihm bei seiner höchst spärlichen Muße möglich war, und zwar möchte der Umstand, daß er von Geburt kein Deutscher ist, ihn einige Nachsicht in Hinsicht des
Ausdrucks hoffen lassen; allein bei alle dem geht er nur mit großer Schüchternheit daran, diese Entwürfe und
Fragmente, als das Einzige, was er dermalen noch zu bieten hat, dem deutschen Publikum zu übergeben, und
nur der Blick auf die Wandelbarkeit aller menschlichen
Dinge und die Betrachtung, daß er vielleicht nie dazu kommen wird, etwas Großes und Vollendetes zu leisten,
uöthigen ihn, diese vorläufigen Versuche denen, die mit ihm dies Verständniß der Dinge suchen, in der Hoff
nung vorzulegen, daß sie darin hie und da einen An klang ewiger Wahrheit finden werden.
Wenigstens ist
er sich dessen bewußt, daß er diese Herausgabe aus keinen unwürdigen Nebenabsichten, als aus pekuniären, aus
Lust am Büchermachen u. s. w. unternommen, und was
man ihm auch mag vorwerfen können, den Vorwurf der
Selbstüberschätzung
wird man
ihm
nie
vorzuwerfen
haben.
Das nächste Heft dieser Studien wird hoffentlich bald folgen, so wie der erste Theil der versprochenen Re ligionsphilosophie. Ueberhaupt wird der Umstand, daß der Verfasser nunmehr in dem wackern Manne, bei dem dieses Büchlein erscheint, einen Verleger gefunden hat, seine Theilnahme an eine Literatur, in deren Kreis er, der
Fremdling, zu treten gewagt hat, erleichtern.
Moskau, am Schalttage 1832.
Seite L
Der Bund der Politik mit
der Religionsphilosophie.
Brief an einen Diplomaten unsrer Lage
...
Aphorismen über verschiedene Gegenstände der Politik
n.
Zur Lehre von der Vorsehung
III. WaS meint
die
Ein
.
.
1 35
............................................................... 50
evangelische Christenheit dazu? oder Versuch
das Glaubensbekenntniß der evangelischen Kirche, dem jetzigen
Standpunkte derselben gemäß, aufzustellen.
Ein verspäte
ter Beitrag zur Feier des Jubiläums der Augsburg. Konf.
74
IV. Was ist'Mysticismus?......................................................................... 91 V.
Ueber die Entstehung der verschiedenen Menschenra^en
VI.
Das Bewußtsein als Princip der Erkenntniß und der Phi losophie
Anhang.
.
.
97
.............................................................................................106 Ueber die Unentbehrlichkeit der Religionsphiloso
phie zur Lösung der Aufgabe der Philosophie schlechthin
.
129
I
Der Bund der Politik mit der Reli gionsphilosophie. Ein Brief an einen Diplomaten unserer Tage.
(§w. Excellenz haben mir gütigst erlaubt, Ihnen meine Ansicht von dem Nutzen mitzutheilen, welchen es der Politik gewähren
würde, wenn sie auf die Wahrheiten der Religionsphilosophie ein gehn, wollte, und ich eile daher, von dieser Erlaubniß Gebrauch
machend, sie der Prüfung Ew. Excellenz zu unterlegen.
So
wenig ich mir aber auch schmeicheln darf eine so schwere Aufgabe genügend gelöst zu haben, so-dürfte doch dieser Versuch wenig
stens den Nutzen haben, daß er eine gründliche Erörterung eines
Gegenstandes von so unermeßlicher Wichtigkeit veranlasse und Fragen zur Sprache bringe, welche für das Heil der. Menschheit
nur zu wenig berücksichtigt worden sind.
Ew. Excellenz werden
aber über dieses Unternehmen lächeln, wenn Sie sehen wie einer,
der die Welt nur von
seiner Studirstube aus kennt, sich unter
fängt, einen Mann, der nicht nur selbst auf der Bühne der po-
litischen Begebenheiten steht, sondem auch an der Leitung dersel ben Theil nimmt, von denselbm zu Unterhalten; doch mag dieses Schreiben selbst das kühne Unternehmen seines Verfassers recht
fertigen oder doch entschuldigen — wenn es dieses kann! Aber noch eine Entschuldigung, bedarf meine Schrift, die, daß sie manches mehr oder weniger Fremdartige enthält.
Man
kann aber ein so reichhaltiges Thema nicht behandeln, ohne daß sich einem Nebmideen, die da auch verlangen entwickelt zu wer
den, aufdrängten.
Ich habe mich dieser Verlockung hingegeben,
und zwar damit ich, bis ich einmal die ersehnte Muße finde,
wenn ich sie finde — etwas Umfassenderes und Geordneteres zu liefern, mich über diese Nebenideen wenigstens vorläufig ausspre
chen sonne.
Und da es leicht möglich
ist,
daß ich aus diesem
Leben scheiden werde ohne alle die Ideen, die meine Brust bewe
gen, so umfassend wie ich wünsche,
entwickeln zu können, so
werden Ew. Excellenz mir nicht übel nehmen, wenn ich die Ge legenheit ergreife, um einige mit meinem Thema nur locker zu
sammenhängende Gegenstände wenigstens in flüchtigen Skizzen anzudeuten. Es hat von jeher ein unfreundliches Verhältniß zwischen
der Politik und der Philosophie bestanden, und zu welchen Klagen auch diese sich gegen jene berechtigt halten mag, so bleibt es den noch auf der andern Seite wahr, daß auch die Philosophie zum
großen Theil die Schuld selbst trägt, wenn kein besseres Einver-
ständiß zwischen ihr und der Politik statt gesunden hat. Die Schuld der Philosophie in dieser Hinsicht möchte aber
vorzüglich darin zu suchen sein, daß sie, anstatt das, was der Menschheit wahrhaft noth thut,
in ein helles Licht zu setzen,
immer noch bei den Prinzipien stehen geblieben ist, ohne eine durchgreifende Anwendung derselben auf die Wirklichkeit, mit der
die Politik allein zu thun hat, zu versuchen, woher es denn auch kommt, daß die herrschende Philosophie, wenn sie aufrichtig sein will, über die höchsten praktischen Angelegenheiten der Mensch
heit fast eben so wenig im Klaren ist als die Politik.
kommt, daß sie sich noch
Dazu
immer darin gefällt, die Wahrheit,
die sie allenfalls hat, in ein abschreckendes Dunkel zu hüllen. Sie gebe aber einmal der immmer dringendem und unabweisbarem
Forderung des Zeitalters nach, der Forderung der Popularität und der Würdigung der religiösen und politischen Bedürfnisse
der Menschheit, und zeige einmal in einer klaren, bündigen und durch sich selbst überzeugenden Sprache, wie ihnen genügt wer den könne: es ist keinem Zweifel unterworfen, daß sie auch bei der
Politik Eingang finden wird.
Die Wahrheit hat eine so unwi
derstehliche Kraft, daß sie durchaus Eingang finden und jeden Widerstand besiegen muß, und wo sie nicht Eingang findet, da ist es entweder die Wahrheit nicht, oder die Darstellung derselben ist verfehlt.
Auch hier ist der Erfolg ein Gottesurtheil.
Unstreitig hat aber auch die Politik ihrerseits darin Unrecht,
daß sie sich bei ihrem Wirken zu sehr isolirt und nur sich selbst
um Rath, wie sie verfahren soll, gefragt hat.
Denn giebt es
einen Gott, so muß er, als die höchste Weisheit einen Zweck mit der Menschheit haben, und da muß denn alles was die
Menschen überhaupt und also auch in der Politik bezwecken, nothwen
dig nichtig, ja verderblich sein, in sofern sie nach diesem Zwecke Got tes mit seiner Menschheit nicht fragen oder gar demselben mtgegen wirken.
Wo hat aber die Politik sich je um den Willen
Gottes in der Geschichte bekümmert, und wo hat sie, wenn sie es auch gethan hätte, sich zu einer höhern Ansicht erhoben, als
zu der, ihre Bestimmung sei: die Reibungen zwischen den In
dividuen unter sich und zwischen den Staaten unter sich zu un
terdrücken, und den materiellen Wohlstand des einzelnen Staates zu fördem, als wenn damit ihre ganze Aufgabe gelöst wäre! Vielleicht würde sich der Wirkungskreis der Politik ganz anders
gestalten, wenn sie, und sei es auch nur um konsequent zu han deln und um nichts Vergebliches und Unnützes zu thun, sich fra
gen würde, wie sie im Einklang mit dem göttlichen Willen zu wirken hätte.
Allein selbst von dieser Schuld trägt die Philoso
phie den größern Theil, denn nicht von der einzelnen Wissenschaft und Kunst, — und die Politik ist beides, — darf man verlan
gen, daß sie sich zur Einsicht ihres rechten Platzes und Verhält nisses zu dem Ganzen erheben soll; wohl aber von der Philosophie, daß sie ihr diesen ihren rechten Platz und ihr rechtes Verhältniß anweise und sie, darauf aufmerksam mache, was ihr höchstes Prin
cip und ihre leitende Idee sein soll.
Das hat aber die Philoso
phie in Beziehung auf die Politik nicht gethan, wenigstens nicht mit Klarheit und Durchführung, womit sie es thun muß, wenn
sie sich davon einigen Erfolg versprechen will.
Keine Zeit scheint aber geneigter,
eine innige Verbindung
zwischen der Philosophie und der Politik herbeizuführen als die
gegenwärtige, denn in ihrer gewaltigen Bewegung läßt sie jener nur die Wahl, entweder sich um die Verhältnisse der Wirklichkeit
zu bekümmern, oder künftig als nutzlos und ohne Werth für
das praktische Leben ignorirt und verachtet, und höchstens als
eine Privatliebhaberei geduldet zu werden.
Auf der andem Seite
wieder hat die Politik nie mehr als eben jetzt die Unzulänglichkeit der ihr zu Gebot stehenden Mittel zur Erreichung ihrer Zwecke
1*
eingefehen, nie ist bei ihr daS Bedürfniß, sich nach haltbarem umzusehen, dringender gewesen als jetzt, utfb nie möchte sie sich daher williger als jetzt finden lassen, einer Wissenschaft Gehör
zu geben, die ihrer Wirksamkeit einen sichem Erfolg und fester» Bestand zu geben verspricht. Ew. Excellenz werden mir daher gütigst erlauben, daß ich
Ihnen meine Ansicht, wie diese gegmseitige Annäherung zwischen jenen beiden Welten,
der Welt der Wirksamkeit und des Den
kens zu Stande kommen könnte, ohnmaßgeblich mittheile.
Ich
bitte nur um Gehör, und überlasse es der Wahrheit selbst, in sofern ich hoffen darf, sie zu haben und sie richtig darzustellen, sich geltend zu machen.
Rur das darf ich im Voraus bemerken,
daß es keine philantropische Träumereien sind, womit ich Ew.
Excellenz unterhalten werde.
Ich werde keine utopische Politik
voraussetzen, sondern eine wie sie ist und sein kann, und ich werde
nicht verlangen, daß sie, sanguinischen Hoffnungen zu
Gefallen, ihre Tendenz verläugne; ich will nur von dem reden,
was für sie von handgreiflichem Nutzen ist, und
gern zugeben,
daß ich mich geirrt habe, wenn sie nicht die vorzutragende An
sicht als evident wahr, nothwendig und ausführbar anerkennt. Aber eben dämm kann es gar nicht meine Absicht sein, glauben
zu machen, daß ich irgend eine neue unerhörte Wahrheit vorzu tragen hätte,
sondern es sind nur mehr oder weniger bekannte
Wahrheiten, denen ich nur durch eine einfache Zusammmstellung
einige Evidenz zu geben hoffe.
Nie war die Aufgabe der Politik schwieriger als grade in
unsrer Zeit, die in politischer Hinsicht genau dasselbe , ist, was das sechzehnte Jahrhundert in kirchlicher Hinsicht war.
Denn
wie damals ein ©heben nach kirchlicher Mündigkeit bei den Völ kern Europas rege ward, so ist auch das Streben unsrer Zeit seit
einem halben Jahrhundert ein Streben nach politischer, und künf tige Geschichtsschreiber werden sie einst als das Zeitalter der Ver
vollkommnung der politischen Institutionen bezeichüen.
Unstreitig
waren die Völker vom dreißigjährigen Kriege an bis zur franzö sischen Revolution, im Ganzen ruhiger als seit den letzten vierzig Jahren, und die politischen Kämpfe gingen mehr von den Kabineten
als den Völkem selbst aus.
Wenn bis dahin die Fürsten selbst
Friede haben wollten, so war alles ruhig; jetzt nicht mehr so.
Diese große politische Ruhe bis dahin war aber nicht die Folge
davon, daß die Volker damals besser regiert wurden als jetzt,— es wäre schmahliger Undank, wenn man nicht das Gegentheil freu
dig anerkennen wollte, — oder daß sie gehorsamer, weiser und
frömmer oder auch glücklicher waren als jetzt; und schienen sie es
auch zu fein, so war ihr Glück ein irrationelles, ein auf die
Länge unmögliches; sondem davon, daß sie in Beziehung auf
politische
jetzt.
Ideen unmündiger
und weniger entwickelt waren als
Die Politik hat aber nicht blos darum heut zu Tage einen
so schweren Stand, weil sie, obgleich ohne Zweifel gerechter und thätiger für ihre Zwecke als je, die Folgen der Mißgriffe und Unvollkommenheiten ftüherer politischer
Institutionen zu büßen
hat; nicht blos darum,. weil heut zu Tage, — ob mit Recht oder Unrecht, gehört nicht hieher, — so viele Stützen wegfallen, welche
der Politik ftüherer Zeiten zu Gebot standen,
namentlich das
Bündniß mit den Dienern der Kirche, die einst die Gesinnung des Volks leiteten und den Begriff von einem göttlichen Recht und einer göttlichen Auktorität der Herrscher aufrecht hielten, und
endlich nicht blos dämm, weil die in einem unaufhaltbaren Fort schritt begriffene und bewegte Zeit jeden Versuch zur Repristina-
tion, welchen die Politik, — ob mit Recht oder Unrecht, gehört
wieder nicht hieher, — zu versuchen geneigt sein möchte, unmög lich macht: sondern vorzüglich darum, weil der Kampf zwischen dem Bestehenden und dem Neuen ein allgemeiner ist, ein Kampf,
woran nicht blos einzelne Individuen oder Stände, sondern bei nahe die ganze Masse der Nation, nicht blos ein einzelnes Volk,
sondern das ganze Zeitalter Theil nimmt. Die Politik, die Hüterin des Bestehenden, dessen, wodurch
sie sonst Ruhe und Frieden auftecht erhielt, muß dieses Bekannte
aufgeben, um nicht genug erprobtes Neues an die Stelle dessel ben zu setzen.
Und dieser Widerstreit ist nicht etwa der ruhiger
Verhandlungen, sondern die Politik hat es hier mit einem aufge
regten leidenschaftlichen Zeitalter, und mit allen Künsten einer gesteigerten Selbstsucht zu thun, welche, je mehr ihr gewährt wird, desto mehr fordert, und nur zu geneigt ist, jedes billige
Zugeständniß für Schwäche auszulegen; und die mit frecher Ab sichtlichkeit die Verlegenheiten der Gegenwart vermehrte,
um ihre
Absichten desto sicherer verfolgen zu können; weshalb, bei dieser
t» Lage der Dinge, jeder Wohlgesinnte und Rechtliche sich gedrun gen fühlen muß, ohne Weiteres die Partei der Regierungen zu
nehmen.
Was aber die Lage der Politik am allerschwersten macht,
ihr aber zugleich auch an die Hand giebt, wie sie diesen Sturm
beschwören soll, ist, daß dieser politischen Leidenschaftlichkeit unserer
Tage mehr als je alles Gegengewicht fehlt. Das Menschengeschlecht wird, wie die Blume des Frühlings,
seiner immer weitern Entwickelung entgcgengetrieben; ist aber, wie dies bei den Mitgliedern derjenigen Kirche, aus deren Mitte
die evangelische hervorging, der Fall ist, das sittlich religiöse Ele ment im Menschen zurückgedrängt: so muß diese Entwickelung
mehr eine des kalten Verstandes und der Selbstsucht werden. Der Mensch muß unter diesen Umständen anfangen auf sinnli
chen Lebensgenuß zu raffiniren und politische Bedeutsamkeit als Mittel dazu zu erstreben.- Dieses Raffinement ruft den Luxus her
vor, und der Luxus, der einerseits den Sinnlichen noch sinnlicher macht,
treibt ihn andrerseits immer gewaltiger,
sich
um neue
Mittel umzusehen, wodurch er die Gebote desselben erfüllen könne.
Es muß daher im bürgerlichen Leben ein rastloses Sich-Hervordrän gen, ein Sich-Geltendmachen anfangen,— um immer mehr Mit
tel zum materiellen Lebensgenuß zu erbeuten, welches nicht statt gefunden hätte, oder doch nicht mit einer solchen Gier getrieben worden wäre, wenn nicht die menschliche Entwickelung, dadurch,
daß die sittlichen und religiösen Elemente im Menschen, besonders
in der katholischen Christenheit, dem Heerd fast, aller politischen Umwälzungen unserer Tage, zurückgedrängt worden sind, eine
so sinnlich selbstische geworden wäre, oder wenn dieses Treiben, in einer mit gleicher Raschheit erfolgten sittlich - religiösen Entwick lung sein Gegengewicht gefunden hätte.
Unstreitig bieten unsere
politischen Institutionen ein reiches Feld zu Verbesserungen dar, — denn auch sie sind Menschenwerk; unstreitig müssen diese Ver
besserungen mit mehr Eifer und redlichem Willen betrieben wer
den, als damals wo der Ton angebende Fürst seiner Zeit sprach:
l’etat c’est moi! allein unsre Zeit ist in das ganz entgegen gesetzte Extrem verfallen, und, so wie die Sachen jetzt stehen, wird, wo das höhere Leben schweigt, nur die materielle Entwickelung gefor
dert und mit einer Art von Wuth getrieben, die den unparteii
schen Beobachter mit tiefem Bangen erfüllt.
Es kann auch nicht anders fein, denn das eigentliche bewe
gende Princip des geistigen Lebens eines Menschen ist seine Liebe,
sein Streben, irgend einen Gegenstand mit der ganzen Thätigkeit
seines Geistes zu umfassen und für denselben zu wirken, daher man denn von einem Menschen, der gar keinen solchen Gegen stand seines Strebens hat, mit Recht sagt: er lebe nicht, sondern
vegetire nur.
Die Gegenstände des Anstrebens und der Liebe
lassen sich nun in einer Stufenleiter denken, die in dem Selbst anfängt und in Gott aufhört, und
je näher dem Selbst die
ser Gegenstand des Strebens eines Menschen liegt,' desto niedri
ger, selbstsüchtiger ist es und desto mehr sucht der Mensch nur sich selbst uhb geht er nur auf Mittel für den möglichst größten sinnlichen Genuß seines Daseins aus.
Je höher dieser Gegen
stand steht, als Wissenschaft, Kunst, Idee, Religion, desto edler,
göttlicher ist das Streben.
Wo aber unser Sinn auf's Geistige
und Göttliche gerichtet ist, da muß das Irdische uns zur Neben sache werden; da sind wir zufriedner, ruhiger, mäßiger, bescheidener in unsern Forderungen, besonnener, än unserm politischen Wirken und beurtheilen die Mißgriffe der Negierenden und die Kränkun gen, die uns widerfahren und die Mängel des Vorhandenen nach
sichtiger, als sonst.
Liebe des Göttlichen, und Selbstsucht wären
also die Pole unsers Strebens.
Nun ist aber klar, daß mit je
größerer Liebe und Energie der Mensch sich gegen den einen die
ser
Pole
neigt, desto gleichgültiger wieder gegen den andern.
Der in seine Wissenschaft vertiefte Gelehrte, der wahre Künstler,
der Fromme, dem das Leben in Gott aufgegangen ist, werden
schwerlich einen Trieb in sich fühlen, für eine gewaltsame uud leidenschaftlich betriebene Umgestaltung des politischen Lebens mit zuwirken, und eben so wenig wird derjenige,
der dem sinnlichen
Genusse seine ganze Liebe zugewandt, etwas Ideelles und Gött
liches zum Gegenstand seines Hauptstrebens machen.
Zwar kann
und soll keiner dem einen Pole auf dieser Stufenleiter der Be
strebungen so ganz anhangen, daß er für das Uebrige gar keinen Sinn mehr behält.
Auch der religiöseste Mensch wird für sein
irdisches Auskommen sorgen, und selbst bis zu einem gewissen Grade sich bestreben, sich sein irdisches Leben zu erheitern und ge nußreich zu machen,
und selbst bei dem sinnlichsten Menschen ist
der Sinn für das Göttliche nie so ganz untergegangen» daß et
nicht auch ihm einen kleinen Theil seiner Liebe zuwenden sollte; allein bei jenem ist das Sinnliche, bei diesem das Göttliche verhältnißmäßig nur Nebensache. Was aber hier von Individuen
gilt, das gilt auch von ganzen Nationen und Zeitaltem. Aus diesem Allen geht nun auch hervor, welche Aussicht auf größere Wirksamkeit ein engerer Bund zwischen der Politik und der Philosophie der ersteren bietet.
Indem aber die letztere darauf
hinweist, bescheidet sie sich, die Politik etwas lehren zu wollen,
was diese eben so gut selbst wissen kann.
Daß also die Politik
um so sicherer geht und um so erfolgreicher wirkt, je durchgän
giger sie ihr Wirken auf die ewigen Gesetze des Rechts gründet, und je mehr ein Staat einen Bortheil verschmäht, der mit dem
Schaden eines andem verbunden ist,
daß sie die immer weitere
Vervollkommnung der Organisation und Verwaltung des Staats zu ihrem Hauptgeschäft machen muß, und daß sie nur in sofern
des Erfolgs sicher sein kann, als es ihr gelingt, diese Aufgabe zu
lösen, — das sind Sachen, auf welche keine Philosophie sie erst aufmerksam zu machen nöthig hat.
Wohl aber wird sie sich an
die Philosophie wenden, müssen, um von ihr zu lernen, was in jeder Beziehung Recht ist, denn so sicher der Einzelne, sobald er
nur das Rechte will,
von seinem sittlichen Gefühl belehrt wird,
was in jedem vorkommenden Falle Recht sei, so schwierig wird der Politik oft die Beantwortung dieser Frage, und zwar beson
ders darum, weil sie dieselbe nicht allein aus dem Gesichtspunkt der Idee des Rechts beantworten darf, sondern dabei zugleich
einmal bestehende Verträge berücksichtigen muß, welche, obgleich
selbstsüchtige Gewalt sie nur zu oft diktirte, und die Noth an nahm, und ob sie gleich daher so viel einander Widersprechendes,
so
viele sich durchkreuzende Interessen und so viel der Idee des
Rechts Zuwiderlaufendes enthalten, auf der einen Seite, als ein
mal eingegangen, ehrlich gehalten, und auf der andern mit der unabweisbaren Forderung des ewig Rechten ausgeglichen werden
müssm. — Ferner muß die erst durch die Philosophie mögliche,
vollendete wissenschaftliche Theorie der Politik ihr, als Praxis, einleuchtend machen, daß jeder Vortheil, den eine Abweichung von den ewigen Gesetzen des Recht's verspricht, nur auf einer groben Täuschung beruht, und daß nur das wahren, vernünfti
gerweise wünschenswerthen Vortheil gewährt, wo das Ganze zu-
gleich mit dem Einzelnen gewinnt; eine Lehre übrigens/ welche,
so wahr sie auch ist, in den Verhandlungen der Philosophie noch schwerlich gefunden wird. — Sodann muß die Politik von der Philosophie zuerst lernen, worin die vollkommenste Organisation und Verwaltung des Staats bestehe, eher als sie eine solche verwirklichen kann. Hier sieht man es recht deutlich, wie bitter sich die Trennung der Theorie von der Praxis gerächt hat. Die
Politik fragte bis jetzt die Wissenschaft viel zu wenig um Rath, und beging, indem sie sich an eine trügliche und einseitige Erfah
rung hielt, Mißgriffe über Mißgriffe.
Die Speculation wieder,
die sich von allem Einfluß auf die Wirklichkeit ausgeschlossen sah, baute auf eigene Hand kindische Luftschlösser, die für keine Wirk lichkeit paßten. Also schon hier, wo die Politik sehr gut weiß, was sie will, wird sie nicht umhin können sich mit der Frage nach dem Wie an die Philosophie zu wenden, und je enger sie sich an diese schließt, desto mehr wird sie gewinnen. — Man
wende nicht ein, daß das Theoretisiren der Politik zu nichts helfen könne, sondern daß sie sich an die Erfahrung halten müsse, denn
einmal könnte man dagegen fragen, ob denn die Ergebnisse, zu welchen die Politik durch die Erfahrung gekommen ist, so glänzend seien, und dann möchte es wohl mit ihrem Verhältnisse zur
Philosophie dieselbe Bewandtniß haben, als mit der Religion zu derselben, und, so wie nach Baco von Verulams Ausspruch, eine oberflächliche Philosophie von Gott abführt, eine gründliche aber zu ihm zurückführt, so möchte eine, auf wahre Philosophie
gegründete Theorie der Politik ihr eben so förderlich sein, als eine auf einseitige und falsche ihr verderblich ist. Die politischen Leiden der Völker haben ihren Grund eben so sehr in der Unthätigkeit der ftühern Politik und in der Anwendung falscher politi
scher Theorien als in der Selbstsucht der Negierenden und Negier ten. So z. B. wäre die große französische Revolution ohne die
ungeheuer irrige politische Ansicht und die daraus entstandenen praktischen Mißgriffe der damaligen Regierung nimmer entstanden und so sehr sie, einmal ausgebrochen, in der Selbstsucht der Anführer und der Leidenschaft der Menge den Grund ihres Fort bestehens hatte, so hätte sie doch weder so lange gedauert, noch so viel Elend über Frankreich und beinahe ganz Europa gebracht,
waren nicht die politischen Theorien der Revolutionsmänner (z. B.
Sieyes)
so
spottschlecht und lächerlich gewesen, ja wären nur
die der übrigen Regierungen,
die mit Frankreich in Kollision
kamen, ein wenig besser gewesen.
Und wenn die Revolution der
drei Julitage vor jener so viel voraus hatte, so lag die Ursache
wohl nur in den immer doch bedeutenden Fortschritten, welche die Politik, wenigstens als Theorie seit der Zeit gemacht hat, und darin, daß die Führer und Theilnehmer dieser Revolution
von richtigern politischen Ideen
geleitet waren und wenigsims
verhältnißmäßig besser wußten,
was sie wollten, als man es
vierzig Jahre früher wußte.
Femer denke man nur an die Fol
gen der irrigen politischen Ansichten vom Glaubensrechte (Into leranz) von den Rechten und Pflichten der verschiedenen Stande, an die Folgen von der Ausschließung der Bürger von aller Theil
nahme an dem bürgerlichen Leben (Bureäucratie) Kameralre-
giment, „Ruhe ist des Bürgers erste Pflicht" an die Folgen falscher Finanz-, Kameral- und Handelssysteme, an die Folgen
der Würdigung nur der materiellen Elemente des Staats (Phy-
siokratie) an die Folgen einer irrigen Ansicht von dem politi schen Gleichgewicht und von dem Mißbrauch des an sich richti gen und fest zu haltenden Begriffs der „Legitimität" (die ar
men Griechen!) und endlich an die Folgen von dem Untergang der Idee von einem christlichen, europäischen Staatenbund (Fort dauer der türkischen Herrschaft auf den Trümmern einer christli chen Welt) und man muß gestehen, daß der Politik nur in ei ner klaren Uebersicht ihrer gestimmten Aufgabe Heil ist." Ew. Excellenz werden sich einer frühern herben Aeußerung
von mir
errinnern,
der, daß das Princip
Selbstsucht bleiben werde,
so wie ich
mich
der Politik immer
mit Freuden des
Widerspruch's erinnere, den dieser Satz bei Ew. Excellenz fand. Allein, so erfreulich mir auch eine solche Verneinung im Munde eines ausgezeichneten Staatsmannes ist, so kann ich mich immer
nicht dazu verstehen, diesen Ausdruck zurück zu nehmen, womit indes sen nichts mehr gesagt ist, als daß sie bei jedem ihrer Schritte durch
aus auf ihren Vortheil sehn wird. — Wollen wir nicht vor diesem Geständnisse erschrecken! — und es wird nie eine ihren Vortheil aufopfernde, für eine philantropische Idee schwärmende
Politik geben, und es ist vielleicht gut, daß es also ist.
Aber
das müssen wir wünschen, das dürfen wir hoffen, daß diese
Selbstsucht eine verständige und konsequente werde, die da klar
weiß, was sie will, und die keinen Vortheil will, der ihr mit der Zeit einen größer« Nachtheil bringen würde: dies müssen wir wün schen, dies dürfen wir hoffen, daß die Politik, stark geworden
durch ihr Anschließen an die Idee,
alle kleinliche Aengsilichkeit
und Eifersüchtelei fallen lasse und den Muth und die Kraft habe, Alles zu wollen was ihr wirklichen Nutzen bringt.
Und kommt
sie nur so weit, so sind die kühnsten Wünsche des Menschen freundes erhört.
quenten
Mit einer vollkommen verständigen und konse
Selbstsucht
laßt sich
gut Geschäfte machen.
einer, ,mag er sonst noch so selbstsüchtig sein,
Sobald
nur zu dem Be-
wustsein gekommen ist, daß es schon um seines Vortheils willen das Allergescheidteste ist, y>as er thun kann, streng rechtlich zu
sein, nicht blos Rechtlichkeit zu erheucheln, und so lange
er bei
diesem Grundsatz konsequent bleibt, so kann man sich in allem, was Geschäft ist, nichts Besseres wünschen. Wenn aber die Po litik, die nur mit dem Irdischen zu thun hat, sich auf keinen
höhern Gesichtspunkt erheben kann noch soll, und wenn wir gleich
uns bescheiden, von ihr zu fordern, sie solle das Gute um des
Guten willen thun, sonder schon herzlich zufrieden sein wollen, wenn sie nur ihren wahren Vortheil einsieht, um dieses Vortheils
willen, das Gute will und überall auf das Bessere dringt, wel ches ihr Vortheil bringt: so muß sie doch zugleich erkennen, daß
es höhere und edlere Ziele und Hebel des menschlichen Wollens giebt, nämlich Sittlichkeit und Religion, und daß sie, will sie ihre Zwecke
verständig
und
konsequent
Kräfte im Menschen in Anschlag
fördern,
bringen und
Wenn sie aber konsequent bleiben will,
diese
höhern
benutzen muß.
wird sie diese höheren
Kräfte nicht zu Dienerinnen ihrer Zwecke herabwürdigen, indem
sie dieselben dadurch inkonsequenterweise gradezu vernichten würde;
sondern sie wird die möglichste Entwicklung derselben
möglichst
befördern, weil sie einsicht, daß sie selbst dabei am Besten fahren wird.
Die
Erfahrung, die ihr über Alles geht, hat sie gelehrt,
daß eine sinnlich-selbstsüchtige Richtung in der Thätigkeit des Zeitalters Verirrungen hervorbringt, sie in Verlegenheit setzt, und
leicht Stürme herbeiführt, die sie hernach kaum im Stande sein wird zu öeschwören.
Aus diesem Grunde muß ihr überaus dar
an gelegen sein, die Kraft im Menschen hervor zu rufen, welche
jenem selbstsüchtigen Streben allein die Wage halten kann,, die sittlich - religiöse. Diese Belebung eines wahrhaft sittlich - religiösen Sinnes
wäre also das Erste, wodurch die Philosophie der Politik die Aussicht auf eine größere und sichere Wirksamkeit zu bieten hatte. Db aber, wie behauptet wird, mit dem Aberglaubm und der Prie
steranmaßung, welche die Aufklärungsperiode glücklicherweise ver nichtete, auch das religiöse Gefühl wirklich erkaltet ist, ist wenig
stens in den Ländern, welche die Reformation angenommen ha ben, zum Glück noch sehr problematisch: in dem katholischen Eu ropa aber möchte die Wirkung der Aufklärung nicht so wohl darin
bestanden haben, daß sie die Menschen irreligiöser machte als vor her, als darin, daß durch sie dasjenige Surrogat der Religion
verschwand, welches dem Mmschen bis dahin den Schein deS Religiösen gab.
Auf der andern Seite ist fteilich auch nicht zu
verkennm, daß, mit der glücklich gestürzten Priesterherrschaft in der katholischen Welt, auch alle Scheu vor einer göttlichen Auk-
torität überhaupt verschwand, und daß die sonst herrschende Un
duldsamkeit nur zu oft in Jndifferentismus umschlug.
Das reli
giöse Gefühl ist aber im Ganzen noch nach wie vor da, denn
zum Glück ist dessen Dasein von keinen irdischen Mächten abhän
gig.
Es ist dermalen nur zurückgedrängt
geworden, hat sich
aber indessen, seitdem jene Periode der Aufklärung vorüber ist,
wieder mächtig hervor gearbeitet.
Unsere Zeit ist zwar eine selbst
süchtige Zeit, aber zugleich zu kalt verständig', um den glücklicher
weise gestürzten,
doch mächtig erschütterten Aberglauben
oder
und sich von geistlicher
sich nochmals aufdrängen
Selbstsucht
verfinstem zu lassen, damit diese sie desto sicherer beherrsche.
Ew. Excellenz sehen leicht ein, daß, von der bescheidenen, anmaßunglosen evangelischen
nichts für die Belebung
Kirche aus, der Politik eigentlich
des religiösen Gefühls in der Kirche,
aus welcher sich einst die unsere ausschied, vorgeschlagen werden kann.
Denn einestheils wäre es thöricht, die nur aufs Reelle
gehende Politik selbst mit Wünschen für Vie Regeneration dieser Kirche
zu behelligen, und anderntheils fühlt es keine Kirche lebhafter als die evangelische, daß eine solche Regeneration sich nur aus
dem Schooße derselben, wie eine lebendige Blüthe und nicht wie em Treibhausgewächs
entwickeln muß.
Nur
einen frommen
Wunsch kann sie sich nicht versagen, hier laut werden zu lassen, und sie darf es um so eher, da der Vortheil der Politik mit der
Erfüllung desselben in einer so engen Verbindung steht.
Ich
meine den Wunsch, daß di« Hydra des Jesuitismus in der gan ze» katholischen Christenheit von einem neuen Hermles bekämpft
und endlich vernichtet werden möchte.
Dmn so viel scheint ge
wiß, daß man, ohne sich an der Wahrheit zu versündigen, die sen gefährlichen Orden als «inen durchaus selbstsüchtigen Verein,
der nur.seinen eigenen Vortheil sucht, und welcher dem -Wohl
der Menschheit auf's Entschiedenste im Wege steht, bezeichnen muß, und daß man getrost behaupten darf, daß man in der katho lischen Christenheit wcker ein regeres religiöses 8eben, welches doch
den in ihr grade so heftig und bedrohlich wüthend«» politischen
Sturm allein beschwören könnte, noch die Versöhnung der mit der rckigiösen Wahrheit so gespannten katholischen Christenheit mit die
ser eher erwarten darf, als bis der Einfluß dieses gefährliche» Ordens vernichtet worden ist. Um uns aber von nun an mit unsern Wünschen für die
Belebung eines acht sittlichen und religiösen Lebens nur inner halb der evangelischm Kirche zu halten, so ist es klar, daß eine et«
wanige Begünstigung und Beförderung der Frömmelei und des
Obskurantismus, weit entfernt davon, daß sie das religiöse Le ben befördern, vielmehr höchst verderblich wirken würden.
Len»
einmal wäre ein Stteben sie zu befördem nur vergeblich, indem
das Zeitalter zu weit vorgerückt und zu kalt verständig ist, um sich in
die Netze
des Obskurantismus fangen zu
lassen,
und
wenn auch dieses Unmögliche durch eine thätig betriebene Kabale, durch eine umfassende Verschwörung wider die Entwickelung der Religiosität im Lichte der Wahrheit wirklich zum Theil gelänge:
so würde sie nur eine allgemeine gefährlich« Erbitterung erzeugen, wie wir es kürzlich in Frankreich gesehen haben.
Ob wir wohl
ohne die Bulla sollkitudo omuium die drei Julitage erlebt hät ten? Daß aber jede Begünstigung des Obskurantismus oder der
Frömmelei, die, sobald sie Parteisache wird, nothwendig in baare
Heuchelei ausarten muß,
ohnehin die schlimme Folge hat, daß
die Indifferenten gegen alles Religiöse dadurch zu thätigen Fein den der Religion, die Gott-Losen zu wirklichen gottlosen werden,
bedarf wohl keines Beweises.
Wenn aber gefragt wird, auf welchem Wege denn die Be lebung eines wahrhaft religiösen Sinnes möglich sei: so bemerken wir vorab, daß, so wie die Sachen jetzt stehen, das Heil nur von der evangelischen Kirche ausgehn kann. Hier öffnen sich nun zwei Wege; entweder wir legen die Hände in den Schooß
und harren bis die Vorsehung einer Menschheit, die sich selbst nicht helfen will, nach langem Warten, ob sie es denn nicht end
lich einmal thue, endlich den großen Mann sendet, der, wie einst Luther, seiner Zeit einen neuen Schwung giebt. Daß er endlich einmal kommen wird, ist richtig, wie viele Jahrhunderte wir aber
auf ihn zu warten haben werden, ist ungewiß. Denn indem die Gottheit dem Menschen Vernunft, Freiheit und Sehnsucht nach dem Göttlichen gab, sprach sie: Mensch hilf dir selber! Und wer
zweifelt wohl daran, daß, wenn die kirchlichen und bürgerlichen
Gewalten die Bedürfnisse der Zeit besser verstanden und beherzigt hätten, die Kirchenreformation, auch ohne alle Buchdruckerkunst um Jahrhunderte früher zu Stande gekommen wäre, eigentlich
nie nöthig
geworden wäre.
Es ist gradezu irreligiös, wenn
der Mensch von dem Wirken der Vorsehung das erwartet, was
er selbst thun soll. Thut er es nicht, so kommt die Vorsehung zwar endlich nach langem vergeblichen Warten der menschlichen Indolenz zu Hülfe; wie viel Elend aber, wie viele Abwege in dem menschlichen Entwickelungsgänge, wären nicht vermieden, wenn die Politik ihre Zeit besser begriffen und was derselben Noth that, befördert hätte! Hierzu kömmt aber noch, was die Beherzi gung der Politik in einem höhern Grade verdient, indem es mit dem Vortheil derselben genau zusammen hängt, daß wir gar nicht
wissen, welche ungeheure Verlegenheiten für sie aus der Aufregung der religiösen Thätigkeit unserer Zeit auf der einen und der Erschlaf fung derselben auf der andern Seite entstehen können, wenn sie nicht, um den eben wüthenden Sturm zu beschwören, nach einem sichrem Mittel greift, als Diplomatie und Kanonen ihr gewähren
können. Den gegenwärtigen Sturm wird sie zwar allein beschwö ren, ob aber auch (ohne sich um höhere Bundesgenossen, als Klug heit und Gewalt umzusehen) das unter der Asche fortglimmende Feuer ganz löschen, das ist noch gar sehr die Frage.
Und eben
so wenig als es nöthig ist, es darauf ankommen zu lassen, was daraus werden will, eben so wenig möchte es konsequent genannt
werden können.
Wir sehen, welche gemeine Naturen die Urheber
der politischen Umwälzung seit vierzig Jahren, mit wenigen Aus
nahmen im Grunde waren; wir sehen, daß die gemeinste Gemein heit, ein
fanatisirter Pöbel der eigentliche Hebel derselben war.
So große Wirkungen brachte gemeiner Sinn und offenbar böser
Wie wäre es denn wenn
Wille zu selbstsüchtigen Zwecken hervor.
guter Wille, wenn auch m t ganz gewöhnlichen Köpfen, — denn der ersehnte große Mann will sich leider noch immer nicht zeigen!—; sich verl inde, um zu einem guten Zwecke jenem selbstsüchtig-re
volutionären Sweben dadurch entgegen zu wirken, daß die Politik
dein menschlichen Geist eine Richtung auf ein geistiges Ziel gäbe,
und auf diese Weise von der allzu aufgeregten Beschäftigung mit politischen Fragen abzöge? Auf ähnliche Weise verfährt die Heil
kunst in entzündlichen Krankheitsfällen.
Nach aller Wahrscheinlich
keitsrechnung müßte ein solches Unternehmen 'gelingen.
Die Poli
tik müßte sich also entschließen, für die Belebung eines ächt sitt
lich-relgiösen Sinnes etwas Entscheidendes zu thun. — Was denn
aber? Es giebt, ohne daß sich unsere Zeit wie gesagt, des Daseins eines gewaltigen,
sein Zeitalter geistig bezwingenden, Mannes zu
rühmen hätte, in unserer evangelischen Christenheit, vorzüglich in Deutschland, so viel wackere Geister, die, von einer heil-losen Zeit
eingeschüchtert und enNnuthigt, nur aufgemuntert und deren Thä tigkeit nur von einer oft sterilen, einseitigen Gelehrsamkeit abgeru
fen und auf die praktischen geistigen Bedürfnisse der Zeit hingelenkt werden darf, um durch sie das gesuchte Gegengewicht zu finden.
An diese müßte die Politik sich wenden, nämlich an solche, in welchen
sich das religiöse Leben am höchsten,
am schönsten und
würdigsten entwickelt hat, und die, ohne Parteimänner des trau rigen rationalistischen und supranaturalistischen Streits zu sein, am fähigsten wären, für die Belebung der Religiosität auf eine beson
nene und durchgreifende Weise zu
wirken.
fähigte Männer würden wir bezeichnen:
Als hierzu ganz be einen Daub, Mar-
heinecke, Neander, Schuderoff, Schwarz und Fichte, den würdigen Sohn eines Mannes, welcher der evangelischen Kirche
ein neuer Luther hätte werden können. Wenn die Politik sich nur mit diesen Männern setzen und ihre Stimme über diesen wichtigen Gegenstand verlangen würde, so ist kein Zweifel, daß nicht eine
solche Annäherung die heilsamstm Folgen haben würde. es
die Beruhigung des die Erregung
am
Wenn
aber, wie es uns ausgemacht scheint, wahr sein sollte, daß
allzu aufgeregten politischen Strebens und
eines dem Göttlichen mehr zugewandten Sinnes
von der evangelischen Kirche erwartet werden;
ehesten
entstünde die
so
Frage, wie man, um diesen Zweck zu erreichen,
einer solchen Thätigkeit eine Art von Einheit und Form geben könnte.
Diese Einheit müßte
aber mehr als eine journalistische
sein, und nicht blos etwa in einer eigenen Zeitschrift einen Mittel
Zwar würde fich leicht ein unternehmender,' rüstiger
punkt finden.
deutscher Vielschreiber finden, der ein Ioumal „Für die Belebung des
Sinnes" —
Religiösen
herauszugeben fertig wäre,
allein
ob ein solches Unternehmen einen andem Gewinn als pekuniären
für den Herausgeber und Verleger bringen würde, ist gar sehr die Frage. —
Es giebt leider keine evangelische Kirche, sondem nur
Landeskirchen, die von einander eben so wenig Notiz nchmen, als
von der Wechabitischen Religionsgesellschaft, und die
so
wenig
daran denken, für das was der allgemeinen evangelischen Noth
thut, gemeinschaftlich zu wirken, als die katholische daran denkt, —
den religiösen
Fortschritt der Menschheit zu fördem.
Es müßte
dahe/ selbst der Politik, in fofenr sie von der evangelischen Kirche
Hülfe für ihre Zwecke erwartet, daran gelegen sein die Darstellung
einer solchen Einheit zu fördem; indem sie dadurch ihre eigene Sache Eine solche Einheit könnte aber für's Erste nur eine li-
fördert.
teräre, etwa eine evangelisch-theologische Akademie in Deutschland
sein, versteht sich ohne alle andere Auktorität als die sie sich durch
überzeugende Darstellung der christlichen Wahrheit selbst verschaffen Wenn man sich an Männer,
würde.
wie
die oben
genannten,
und etwa noch an zwei oder drei der berühmtesten deutschen Uni versitäten
mit der Frage wendm würde, welche Theologm am
würdigsten wären, zu Mitgliedem einer solchen Akademie berufen
zu werden, und wenn man die Universitäten eines jeden der übri gen evangelischen Länder aufforderte, aus jedem Lande den wür digsten Theologen als Mitglied der allgemeinen evangelischen Aka demie
dahin zu delegiren,
so würde man wohl hoffen dürfen,
die Besten menschenmöglichst vereinigt zu haben.
aber nicht durch
Auf diese Weise,
Kabinetsbefehle oder Büreaukratisch müßte die
Wahl geschehen, wenn sie gut ausfallen sollte.
Diese Akademie
wäre denn der erste Versuch die Einheit der evangelischen Kirche
vorläufig darzustellen, bis sich aus ihr, wie weiter unten gezeigt werden soll, etwa eine reellere entwickelte.
Sie möchte auch, im
Vorbeigehen gesagt, schon darum nöthig sein, um der evangeli schen Kirche zu einer Schutzmauer gegen die immer bedrohlicher
werdenden Angriffe der minder gut gesinnten katholischen Schwe ster zu werden.
Ihre Tendenz müßte aber nicht blos eine ge
lehrte, sondern ganz vorzüglich eine praktische sein.
Als gelehrte
Anstalt wäre aber ihre Aufgabe in der Bestimmung: Forderung des Verständnisses der christlichen Wahrheit, erschöpft.
Nur in
der Wahrheit ist für die Menschheit Heil, die Wahrheit ist aber nur durch das Verständniß des Christenthums möglich, und nur durch ein klares Verständniß, — Gottlob,
ein solches ist mög
lich und wir brauchen das Licht nicht zu scheuen! — ist unserer
entgeisteten, abgespannten, herzlosen, zweifelnden Seit zu helfen. Die praktische Aufgabe der Anstalt wäre aber, einmal, die Theo rie der Verfassung unsrer Kirche, wovon weiter unten, wissen schaftlich aufzustellen und dann, für die Belebung des religiösen Sinnes in d^r evangelischen Christenheit möglichst zu wirken.
Wenn wir sehen, welchen Einfluß schon die Thätigkeit der pie tistischen Partei unsrer Kirche,
der Beschränktheit ihrer Ansicht
und ihrer Opposition mit dem Lichte des Evangeliums zum Trotz gewinnt, und vor allen Dingen, ungeachtet die Lauterkeit ihrer
Absichten, obgleich wohl mit Unrecht, von ihren Zeitgenossen be zweifelt wird:
so unterliegt es wohl keinem Zweifel, daß nicht
ein solcher Verein, wo alles nur Mögliche gethan wäre, um ihn aus den Besten
seiner Zeit zusammenzusetzen
und welcher,
im Bunde mit der Wissenschaft und dem Licht dem tiefgefühlte
sten Bedürfniß derselben entgegen käme, einen weit umfassendem und gesegneter« Einfluß
gewinnen müßte. —
könnte zugleich eine Bildungsschule
für eine
Diese Akademie
kleine Anzahl der
ausgezeichnetsten Köpfe unter angehenden Theologen, die schon
ihren Universitätskursus vollendet hätten, werden.
Jede bedeu
tendere deutsche Universität und außerdem jeder evangelische Staat,
der an diesem Unternehmen Theil nimmt, hätte das Recht, ein
oder zwei der Hoffnungsvollsten angehenden Theologen dahin zu
schicken, um, im geistigen Verkehr mit den Meistern der Wissen schaft ihrer künftigen Bestimmung entgegen zu reifen.
Ich habe schon gesagt, daß
eine Aufgabe dieser Akademie
die wäre, die Theorie der Verfassung Unsrer Kirche, wissenschaft lich aufzustellen, damit dieselbe ins Leben eingeführt und die Ein
heit der evangelischen Kirche möglichst vollkommen dargestellt wer den könne.
Zwar
sollte ich grade eigentlich jetzt mich hüten,
von dem Bedürfniß einer Verfassung unsrer evangelischen Kirche zu reden, zu dieser Zeit, wo Man sich nicht immer in guter Ge
sellschaft befindet, wenn man sich zu denen gesellt, die Verfassun
gen verlangen.
Jedoch einem Mann wie Ew. Excellenz gegen
über brauche ich nicht zu befürchten, deßhalb verkannt zu werden,
wenn ich um einer guten Sache willen um dasselbe bitte, welches andere aus
selbstsüchtigen Absichten fordern. —
einem Vorurtheil hat
mein Vorschlag
zu
Aber noch mit
kämpfen.
Seit der
Herrschaft der katholischen Kirche ist nehmlich die Furcht vor der Hierarchie, als einer auch innerhalb unsrer evangelischen Kirche möglichen Erscheinung zum stehenden
geworden.
politischen Glaubensartikel
Zwar ist diese Furcht groß und unsre Zeit klein, allein
auch hier hab' ich keine Verkennung zu befürchten, indem ich zu einem rede der zu sehr Mann ist, um sich vor Gespenstern zu
fürchten.
Ich halte vielmehr die Furcht vor der Hierarchie so sehr
für ein Hirngespinnst, daß ich sie bei der fortschreitenden Entwi
ckelung der politischen Institutionen und schon bei den Fortschrit sogar einer falschen Aufklärung, wie der Volltairischen,
ten
und um so mehr bei denen einer wahren, nicht blos in der evan gelischen, sondem selbst in der katholischen Kirche für ein Unding
halte.
Wie gesunken ist nicht die Hierarchie dieser letztem überall,
wo der Fortschritt der Zeit sich irgend geltend gemacht hat, und
zu welchen Künsten der Finsterniß muß nicht die katholische Hie
rarchie ihre Zuflucht nehmen, um ihr schwankendes Dasein und ihr immer mehr sinkendes Ansehn nothdürftig zu erhalten.
Und
daher muß sie, wenn sie konsequent sein will,— und sie ist es, — für die Erhaltung der Finsterniß wie für ihr heiligstes Palla dium kämpfen.
Und wenn in der evangelischen Kirche sich hie
und da ein Geistlicher als ein Päbstlein gerirt hat, so beweist die
ses nur die Lethargie der geistigen und politischen Entwickelung ei
ner Zeit, wo dieses möglich war.
Heut zu Tage möchte aber
schwerlich auch der schlimmste Zelot innerhalb unsrer Kirche diesen
Vorwurf, wenn er auch wollte, verdienen können-
Da hier nicht der Ort sein kann, die Verfassung, die man
der evangelischen Kirche wünschen muß, zu entwickeln: so erlau
ben mir Ew. Excellenz hier nur einige Andeutungen über diesen wie es scheint
hochwichtigen Gegenstand.
Vorab muß ich aber
bemerken, daß ich der evangelischen Kirche die Verfassung durch
aus nicht wünsche, welche sie in Schweden hat, wo die Geistli
chen einen eigenen Reichsstand bilden.
Denn der Geistliche muß
streng innerhalb seiner Sphäre bleiben und nur für ein geistiges
Bedürfniß wirken, und indem die übrigen Staatsbürger ihm zu trauen,
daß er,
bei der Mitwirkung nichtgeistlicher
Vertreter
der Gemeinde, daL. geistige Wohl derselben zu fördern verstehe, muß er seinen übrigen Mitbürgern zutrauen, daß sie auch ohne
ihn, dessen Geschäft es nie sein kann, das politische Leben des
Staats zu erhalten und zu fördern,
dieses verstehen und auch
für sein Bestes in bürgerlicher Hinsicht redlich sorgen werden.
Folgendes also
betrachte
ich
als die Grundprincipien der
Verfassung der evangelischen Kirche.
Verein ist,
So wie der Staat der
wodurch die Menschen ihr irdisches Heil durch Zu
sammenwirken
und
durch
Theilung
der Arbeit möglichst för
dern, also ist auch die Kirche der rein geistige Verein der Men
schen, um ihr ewiges geistiges Heil möglichst zu schaffen.
Da
Geistiges und Leibliches genau genommen, incommensurable Größen
sind, so kann eigentlich nie gefragt werden, ob in der Idee die Kirche über dem Staat, oder der Staat über der Kirche stehe.
Was aber
die Wirklichkeit betrifft, so will die evangelische Kirche sich nie über
den Staat stellen, noch ihn beherrschen oder sich auf die Angelegen
heiten desselben den allermindesten Einfluß anmaßen.
Für sich aber
wünscht sie möglichste Selbstständigkeit und, bis auf die später zu
erwähnende Schirmherrschaft des Fürsten,
Unabhängigkeit vom
Staate, und sie hofft, ein Staat, der seinen eigenen Vortheil begreift, werde sie ihr um so eher zugestehen, da es klar ist, daß sie dem
Staate um so vollkommener die Sittlichkeit und Religiosität sei ner Bürger garantiren kann, je freier sie ist und je ungehinderter sich also ihr Leben entwickeln kann. —
Ferner, da im Geistigen
eben so gut als im Leiblichen nicht jeder alles sein kann, so be stellt die christliche Gemeinde Männer aus ihrer Mitte zu Lehrern
und zu Förderem des Zwecks der Kirche, die, indem sie sich die
sem Berufe ganz widmen, die Sache besser verstehen müssen als
2*
das mit
andern Dingen
beschäftigte Gemeindeglied.
Hiedurch
zerfallen die Mitglieder der Kirche in zwei Klaffen, in Lehrer
und zu Unterrichtende, in Erzieher und zu Erziehende.
Diese
machen die Kirche, im engern Sinn des Worts, jene die Ge
meinde aus.
Die Kirche hat, als Lehrerin der Gemeinde, die
Obliegenheit, durch ihre Diener aus dem Material der göttlichen
Offenbarung das Gebäude christlicher Wahrheit aufzubauea und auszusprechen, was sie nach bestem Wissen und Gewissen für recht
gläubig christliche Wahrheit hält.
Nach diesem System lehrt sie,
und wünscht, daß jeder aus der Gemeinde, der sich getrieben fühlt, als Lehrer derselben aufzutreten,
in sofern e$, sich in Opposition
mit dem Lehrsystem der Kirche befindet, sich nicht direct der Ge
meinde, dem Volke, als Lehrer aufdränge, indem er dadurch leicht
falsche Ansichten verbreiten könnte, sondern daß er sich mit seiner abweichenden Ansicht an die Unterrichtetsten seiner Zeit wende und trachte, ihr erst bei ihnen Eingang zu verschaffen.
Da die evange
lische Kirche aber keine andern Mittel kennt, um dem was sie als christliche Wahrheit anerkennt, Eingang zu verschaffen, als
ziehung — nur
Er
der sittlich-religiöse Unterricht steht unter ihrer
Alleinaufsicht und der Geistliche hat auf die Erziehung und den
übrigen Unterricht nur so viel Einfluß als er durch seine Persön lichkeit erlangen kann, nicht ex officio, — und Ueberzeugung durch
Gründe: so kann es ihr nie einfallen vorzuschreiben was man glau
ben soll und eine Abweichung zu ahnden. Zwar ist zwei mal zwei vier und die Wahrheit nur Eine, und zwar hat vor Gott nie
mand das Recht zu glauben was er will, sondern die Verbind lichkeit dahin zu trachten, daß er das Eine Wahre glauben könne,
und es ist daher eben so sehr die Pflicht eines Jeden, das Eine Wahre zu glauben, als das Eine Rechte zu thun, allein da eben
die Kirche die Lehrerin dieser Einen christlichen Wahrheit und die
Erzieherin, zum Glauben an dieselbe ist, so erkennt sie, daß wo einer daran nicht glaubt dieses mehr ihre Schuld als die seine
ist, indem sie dann entweder die Wahrheit nicht gelehrt hat, oder es in der Erziehung zum Glauben an diese Wahrheit versehen hat
und sie gesteht daher, daß sie in diesem Falle gar kein Recht hat, mit einem solchen Andersglaubenden zu rechten, sondern nur die Verbindlichkeit, ihm, und zwar einzig und allein durch die Macht
der Wahrheit zu einer bessern Ueberzeugung zu verhelfen.
Da aber die Förderung des Zweckes der Kirche ein Geschäft
ist, ein solches aber, soll es gelingen, eine gewisse Gestaltung ha ben
muß: so bilden die Lehrer derselben ein organisches Ganze
unter sich.
Die Lehrer des Volks und der Jugend
(letztere nur
in sofern es den sittlich religiösen Unterricht betrifft,) stehen -unter
der Aufsicht und Leitung von Provinzial-Vorgesetzten, Pröpsten,
Superindenten oder Bischöfen und diese wieder unter der einer obersten unabhängigen Zentralbehörde mit ihren Präsidenten an der
Spitze. Damit aber einerseits auch der letzte Verdacht falle, daß da durch eine Hierarchie aufkommen könnte, damit ferner der Ge meinde ihr Recht bleibe, ihr geistiges Heil selbst mit zu berathen
und damit anderseits durch diesen allgemeinen Antheil an die För
derung dieser Allen wichtigen Angelegenheit die Theilnahme dafür immer lebendiger und allgemeiner werde, ordnet sich die Kirche
unter dem Mitwissen der Regierung Gemeindevertreter aus dem
Volk zu besserer Förderung des Gemeinzweckes bei.
Die weltli
chen Vertreter der Kirche besorgen vorzugsweise die nichtgeistlichen Geschäfte derselben, die Geistlichen die geistlichen. Jene haben in
den rein geistlichen Geschäften nur eine berathende Stimme, eS
sei denn daß sie die Bildung und Erfahrung eines Geistlichen vollkommen besitzen.
Jede Gemeinde wählt ihren Kirchenrath,
welcher dem Prediger derselben zur Seite steht. Die verschiedenen wählen wieder einen nickt Geistlichen oder einen Rath von sol chen (Oberkirchenrath) um den geistlichen Provinzial-Geistlichen zur
Seite zu stehen, und die verschiedenen Oberkirchenrathskollegien wäh len wieder unter sich eine der der geistlichen Mitglieder der Ober behörde
derselben.
gleichkommende
Zahl weltlicher
Mitglieder zu Räthen
Die Gemeinde wählt ihren Prediger, die Prediger der
Provinz mit einer ihnen gleichen Zahl von Delegirten der Kir-
chmrathskollegien die Provinzial-Vorgesetzten und diese mit einer gleichen Zahl von Delegirten der ihnen zur Seite stehenden Glie
der der Oberkirchenrathskollegien die geistlichen und weltlichen Glie der der obersten geistlichen Behörde, und zwar also, daß die geist lichen und weltlichen Wähler zugleich die geistlichen und weltlichen Mitglieder wählen und nicht etwa die geistlichen blos die geistli
chen und die weltlichen die welüichen.
Alle Mitglieder der ersten,
obersten Behörde wählen unter den geistlichen Gliedern einen Vor-
sitzer.
Dieser wechselt alle Jahre, die übrigen Mitglieder wechseln
alle zehn Jahre, die Mitglieder der Oberkirchenraths- und Kir chenrathskollegien so wie die geistlichen Provinzial-Vorgesetzten alle fünfzehn Jahre, die Wahlen der Pfarrer sind lebenslänglich. Keine dieser Wahlen bedarf der Bestätigung der Regierung, in der Regel nämlich; in einer solchen Zeit politischer Leidenschaft
lichkeit aber, wie die jetzige, wäre allerdings diese Bestätigung nothwendig, um möglichen demokratischen Umtrieben vorzubauen. Femer darf es keine eigene Gerichtsbarkeit für die Geistlichen ge
ben, mithin kommt der Negierung auch das Recht zu, Schreier und Fanatiker in der Geistlichkeit, die es immer gegeben hat, und geben wird, zur Ruhe zu verweisen und jeden Geistlichen, der es verdient hat, gesetzlich (nicht durch Kabinetsordre) seines Amtes
zu entsetzen. In die oberste geistliche Behörde delegirt die Regie rung einen Syndicus, der allen Verhandlungen derselben beiwohnt,
und darauf sieht, daß nichts dem politischen Staatszwecke Nach theiliges von ihr unternommen werde.
In einem solchen Falle
legt er ein Veto ein und die Ausführung unterbleibt bis die Be hörde sich mit der Regierung verständigt hat und die Aufhebung
jenes Veto erlangt hat.
Die Kirche kann bis zu einem gewissen
von der Regierung zu bestimmenden Maximum Vermögen erwer
ben und verwalten.
Die Negierung hat aber das Recht darauf
zu sehen, daß dieses gut verwaltet und zweckmäßig verwendet wird. Außerdem legt die Kirche der Nation öffentliche jährliche Rechen
schaft von dem Zustande ihres Vermögens und dem Gebrauch dessel
ben ab.
Die Kirche hat in keinem Stücke eine eigene Gerichtsbarkeit.
Ehescheidungs-Sachen entscheidet eine weltliche Behörde nach ei
nem von der Regierung und der geistlichen Oberbehörde gemein schaftlich bestimmten Gesetze.
Die Negierung verbindet sich, kei
nem Diener der Kirche irgend eine Belohnung zu ertheilen und die Kirche ebenfalls ihrerseits durch keinen Titel oder äußere Aus zeichnungen der Eitelkeit ihrer Diener Vorschub zu thun.
Da
die Kirche nie eine weltliche Macht zu sein begehrt und auf dem Boden des Staats besteht, so ist das Haupt derselben natürli cher Schirmherr der Kirche.
Sobald dieser sich aber überzeugt, daß
die Kirche sich keine ihr nicht zukommende Gewalt anmaßt, so läßt er der Thätigkeit der Kirche innerhalb ihrer Sphäre völlig freien und unbeschränkten Spielraum.
Es ist unmöglich, daß ein gesunder, vorurtheilsfreier Sinn,
der von keinem bösen Willen verstimmt ist, in dieser Verfassung ein evangelisches Pabstthum finden könnte.
Ist aber die Sache
gerecht und gut und vor Gott zu verantworten, so braucht man sich an das Urtheil der Selbstsüchtigen und Blödsichtigen nicht zu kehren. —
Welch'
ein reges, fröhliches Leben würde aber
nicht eine Verfassung wie die hier nur flüchtig angedeutete in uns
rer evangelischen Kirche erwecken!
Wie mächtig würde nicht da
das zurückgedrängte religiöse Element im Menschen wieder her vortreten und hier, wo alle Hemmungen bestmöglichst entfernt wären, sich zur schönsten Blüthe entfalten! Wie würden hier alle
Uebelstände, welche jetzt unser kirchliches Leben trüben und hem
men, wegfallen, die Lauigkeit der Lehrer, die Gleichgültigkeit der
Hörer einer frischen Begeisterung Platz machen! Eine neue Sonne des heitersten und
wärmsten Lichts würde für unsre regenerirte
Kirche aufgehen und den vom irdischen Sinn und engherziger Selbstsucht befangenen Menschen aus seinem trüben Schatten her
vorlocken, sich zu sonnen in dem Lichte des Verständnisses, des
lebendigen Glaubens an Den in welchem uns allein Heil ist. Und
welch' einen handgreiflichen Nutzen müßte nicht eine solche Gei stesrichtung
eines Volkes der Politik gewähren! Wie wären da
politische Erschütterungen auch nur möglich!
Zwar würden da
die Unterthanen die Negierung um Abstellung drückender bürger licher Mißverhältnisse, wo solche vorhanden sind, bitten, selbst in
ständig bitten; allein, wenn sich in dieser revolutionenreichen Zeit die evangelische Kirche schon in ihrer bisherigen unvollkomnenen
Gestaltung,
einer unzweideutigen
Erfahrung zufolge, als die
beste Schutzmauer gegen politische Erschütterungen erwiesen hat, —
denn was wollen die im Ganzen unbedeutenden politischen Unmhcn in protestantischen Ländem gegen die Gräuel der Revolutionen früher und noch jetzt in dem katholischen Frankreich und in dem katholischen Südamerika und seit neulich in dem katholischen Bel gien, dem katholischen Jreland, dem katholischen Polen, und end
lich gegen die revolutionären Farcen in dem katholischen Italien! —
um wie viel mehr würde sie sich nicht durch die Regeneration zu einem neuen freudigen Leben als eine solche erweisen!
Allein noch einen zweiten Gewinn uttd die Aussicht auf die Beseitigung einer Verlegenheit, in welcher sich die Politik bald
befinden dürfte, bietet dieser die Religionsphilosophie.
Denn muß
die Politik schon mit Besorgniß in der Gegenwart umherblicken, scheint es ihr schon eine schwierige Aufgabe zu sein, wie sie den
wilden Kampf unsrer Tage beschwören soll, mit welcher größem Besorgnis» muß sie nicht der Zukunft entgegen blicken.
Denn
bald wird doch dieß wilde Toben gestillt sein, bald werden bei der reichen Kraft, welche die Vorsehung in die menschliche und
äußere Natur gelegt hat, die Wunden, welche die Napoleonischen Kriege, die merkantilischen und andere Mißgriffe der fünfzehn Frie»
densjahre seit der Restauration und die jüngsten Revolutionen dem Wohlstand der Nationen schlugen, vernarbt sein, und das rascher als je, und nur zu rasch sich entwickelnde politische Leben, wird
die letzten Hindemiffe der politischen Wohlfahrt besiegen, die nun immer reicher aufblühen wird.
Und das weise und würdige Zu
sammenhalten der heutigen Diplomatik und die in dem letzten halben Jahrhundert
gemachten Erfahrungen verbürgen Europa
eine lange Friedenszeit.
Die Schulden werden bezahlt, die Spu
ren früherer Leiden verwischt sein, und es wird sich ein Ueberfluß
von politischer Kraft und eine Uebervölkerung erzeugen, leicht zu neuen Gahrungen Anlaß geben möchte.
welche
Dieses wird
um so mehr der Fall sein, da das, was wir von der Beschwich
tigung der politischen Leidenschaften durch die Hinlenkung des
Sinnes auf das Ewige und Göttliche gesagt haben, sich vielleicht noch Jahrhunderte lang auf die evangelische Christenheit allein
beschränken wird und da es eine nur zu sanguinische Hoffnung wäre, vorauszusetzen, daß es sobald in der katholischen Christen heit zu einem gleich regen religiösen Leben kommen-werde.
Einen Abfluß also muß der nächstens zu erwartende Ueber»
schuß an
politischer Kraft und an Menschen haben und eine
weise Politik wird die Nothwendigkeit davon einsehen, einen sol
chen Abfluß frühzeitig yorzubereiten.
Es kann einen solchen Ab
fluß nach Innen und nach Außen geben. zuerst.
Betrachten wir jenen
Bis jetzt hatten wir in der Steigerung des religiösen
Lebens ein Gegengewicht gegen die politische Leidenschaftlichkeit
unsrer Zeit gesucht, jetzt werden wir in der Steigerung des sitt lichen ein neues finden, welches zugleich ein kräftiges Ableitungs mittel der überflüssigen politischen Kraft nach Innen sein wird.
meinen damit vorzüglich die allgemeine Volksbildung.
Wir
Da jede
Sünde und jedes Laster zuletzt auf eine Thorheit hinausläuft,
und da man, um den Menschen von jeder unsittlichen That ab
zuhalten — die Ausbildung und Pflege seines religiösen Gefühls vorausgesetzt — nichts weiter nöthig hat,
als ihn nur recht ver
ständig zu machen, und zum Verständnisse der Dinge zu führen,
so braucht die Nothwendigkeit und der Nutzen einer durchgän
Mit der Ent
gigen Volksbildung nicht erst bewiesen zu werden.
wickelung des Staatslebens und mit der Nothwendigkeit eines
Gegengewichts gegen das sich von selbst
entwickelnde Böse im
Menschen, muß diese hochwichtige Angelegenheit immer mehr Be
achtung finden. Bis jetzt ging das Wirken für
diese Angelegenheit von
Privatpersonen aus, allein so
lobenswerth
auch ein
solches
so fehlte derlei
gen doch
der innere Zusammenhang und die Konsequenz, wel
Wirken war,
che der Begriff des Staats verlangt;
und
wohlgemeint
Unternehmun
einst aber wird es dem
Staate gelingen, das Reich der Freiheit darzustellen und für sich als ein Reich der Vemunft und der Freiheit,
alle Kräfte in
Beschlag zu nehmen, mit welchen bis jetzt die Willkühr schaltete, und die Volksbildung wird durchgängig eine Staatsangelegenheit
werden. Bis jetzt war es keine Wohlthat, sondem nur eine Gnade, ein Glück, wenn jemandem die Gelegenheit zur Bildung zu Theil
ward, einst wird sie ein Recht sein, welches jeder Bürger eben so durch gängig als Schutz des Lebens, der Ehre und des Eigenthums fordern kann. — Hieraus ergiebt sich, daß wir verlangen, die Sorge für diese Angelegenheitsolle vom Staate selbst und nicht von Verbindungen im
Staate, die in Altengland und noch mehr in Neuengland — den nord amerikanischen Freistaaten — das Princip eines bedeutenden Theils
des politischen Lebens sind, ausgehen. Denn so löblich und so heilsam
auch in Ermangelung eines Bestem, solche Verbindungen sind, so
scheint es doch, daß sie nie für die wahre Form des politischen
Lebens gelten können, sondern daß sie vielmehr nur als Surro gate desselben zu betrachten sind.
Wo das Leben im gesammten
Staatsorganismus nicht hinlänglich entwickelt oder wo es gelähmt
ist, da sind diese Vereine die erste Aeußerung des erwachenden politischen Lebens; allein, obgleich Staaten, wo es nicht'einmal zu solchen Verbindungen gekommen ist, auf einer noch weit tie
fem Stufe bürgerlicher Entwickelung stehen, so ist doch die Auf-
gäbe des Staats, es dahin zu bringen, daß Er selbst der Mittel punkt und der Quell alles politischen Lebens in ihm werde. Dem Einzelnen bleibt aber die Aufgabe, sich den Zwecken des Staats
anzuschließen,
wo dieser das Rechte auf die rechte Weise will,
oder eine kräftige Opposition auf rechtlichem d. h. verfassungs
mäßigem Wege
wider die Mißgriffe desselben zu
bilden.
So
muß es auch endlich dahin kommen, daß z. B. selbst die Aufhe bung des Gebrauchs geistiger Getränke, wofür jetzt in Amerika Frcivereine so rühmlich und segenreich thätig sind,, vom Staate
selbst gewollt und betrieben wird. Wie übrigens dieses Wirken für eine durchgängige Volkser ziehung zu orzanisiren, wie namentlich die Bell-Lankastersche Me
thode zu diesem Zwecke vervollkommnet werden müsse, gehört nicht hieher;
wir haben hier nur den Grundsatz für diese Thätigkeit
des Staats aufzustellen und glauben,
ihn also aussprechcn zu
müssen: ein Staat hat als sittliche Person nicht eher seine Pflicht
gegen seine Bürger erfüllt, und kann daher auch nicht eher auf ungetrübte bürgerliche Ruhe rechnen, als bis er sich so weit ent wickelt hat, daß er nicht nur jedem seiner Bürger Gelegenheit zu einer jeden angemessenen Bildung gewährt, sondern es auch
dahin bringt, daß sie ohne Ausnahme benutzt wird. —
Diese
Volksbildung, die aber ganz das Gegentheil von dem aufkläreri schen Streben des vorigen Jahrhunderts sein müßte, und bei der
man mehr auf die Entwickelung der geistigen Fähigkeiten als auf
die bloße Beibringung von Kenntnissen zu sehen hätte, bestünde
etwa in Folgendem:
Jeder Bürger ohne Ausnahme muß, als
Bedingung der Selbstbildung und der Bildung durch Andere durch aus lesen können.
Das Schreiben ist schon nicht so nöthig und
hat mit dem Rechnen, den technologischen Kenntnissen u. s. w. nur einen untergeordneten Werth, weshalb die Erwerbung dieser Fertigkeiten und Kenntnisse dem, der sie braucht, anheim gestellt
werde. Erstens muß jeder Bürger eine gründliche Kenntniß seiner Religion haben,
als die haltbarste Bürgschaft seiner Sittlichkeit
und der Erhebung seines Sinnes über die gemeine Gesinnung und
die irdischen Leidenschaften.
Hat man ihm aber das Höhere, die
Religion in die Brust eingepflanzt, so kann man sich mit dem Niedern, der Moral desto kürzer fassen.
Einige wenige leitende
sittliche Ideen und weiter nichts! Man hat noch Niemanden sitt
lich moralisirt.
Ferner muß jeder Bürger ohne Ausnahme die Ge
schichte und Verfassung seines Landes kennen.
Nur dann kann
er es lieben und nöthigenfalls für dasselbe sterben.
Endlich muß
auch jedem Bürger wenigstens ein Blick in die Offenbarung Got
tes in der Natur, im Leben und in der sittlichen Welt (Natur lehre, Geschichte, Kenntniß der physischen und sittlichen Natur des
Menschen) vergönnt sein, damit er seine Bestimmung nicht nur
als Bürger kenne.
Zuletzt müßte der Gesangunterricht einen noth
wendigen Theil des allgemeinen Schulunterrichts ausmachen.
Eins
gehörte freilich noch zu der Förderung allgemeiner Bildung, —
die Ausbildung der körperlichen Kräfte; allein hierin sind wir zu
sehr Barbaren gegen die Alten; als daß man, — zumal wenn man an das schmähliche Schicksal der armen Turnanstalten denkt, — ohne sich lächerlich zu machen, diese Forderung einmal in die Liste frommer Wünsche eintragen dürfte. —
Von wem sollen
aber die zu dieser Volksbildung nöthigen Schriften ausgehen, vom
Staat, oder vom Einzelnen? Da diese Frage mit andem Worten heißt, ob von der Freiheit oder
der Willkür,
von dem guten
Willen oder von der Selbstsucht, so beantwortet sich diese Frage selbst. Der Staat daher, der die Buchhändlerspeculationen und
die Selbstsucht des Einzelnen nach Belieben in dieser hochwichti gen Angelegenheit schalten läßt, wie sie wollen, erfüllt schlecht seine
Pflicht gegen seine Bürger, eben so schlecht', wie wenn er jedem frechen Schmierer erlaubt, sich zum Glaubenslehrer im Volk auf
zuwerfen und an dessen religiöser Ueberzeugung nach Belieben herum zu hanthieren.
Wenn daher sich einer zum Volkslehrer auf
wirft, ohne sich durch tüchtige Gesinnung, leichte Ideen, hinrei
chende Kenntnisse und Meisterschaft des Ausdrucks dazu zu qualisiciren, so hat der Staat nicht nur das Recht, sondern ist sogar
verbunden, ihn auf die Finger zu klopfen.
Ihm ist auch das
sittliche Wohl seiner Bürger ans Herz gelegt, und er muß daher den guten Willen haben dafür zu sorgen, daß seine Bürger mit
guten Volksbüchern versehen werden, und muß daher gute Volks
schriftsteller kräftig aufmuntern und die schlechten, die feilen Schreib
knechte — versteht sich auf dem Wege des Rechts und nicht der Willkür,— eben so kräftig verfolgen.
Er zeige hier nur guten
Willen und setze einmal die Summe- die man auf die Entdeckung
eines Indigo- Surrogats ausgesetzt hat, als Preis für das beste
Handbuch der Volksbildung aus und vernichte einmal die ganze Auflage aller neu herauskommenden unbezweifelt schlechten Volks
bücher, und wir werden nicht lange mehr über den Mangel an guten zu klagen haben. Wir dürfen aber nicht mit der Pflichterfüllung auf gut Glück anfangen wo wir wollen, sondern müssen zuerst den nächsten Kreis
.der Pflicht erfüllen, dann erst den weitern und darauf den noch
weitern.
Ein Ueberspringen dieser Kreise ist eben so pflichtwidrig
als absolute Pflichtverletzung.
Der Staat muß daher zuerst für
die Sittlichkeit aller seiner Bürger, und eher für die seiner schuld losen als seiner schuldigen Bürger sorgen.
Aber wenn er auch
diese seine erste Pflicht hinsichtlich der allgemeinen Bildung seiner
Bürger erfüllt hat, so wird es doch durch die Verkehrtheit der Er ziehung, die das Haus, das Leben oder das Schicksal dem Men schen giebt, noch solche geben, welche dasjenige nicht thun, was sie
als gut, oder das nicht unterlassen, was sie als böse erkannt ha
ben; und zwar einige darum, weil ihre Willenskraft durch die Sünde so paralysirt ist, daß sie sich gar nicht mehr beherrschen können, z. B. Trunkenbolde, geheime Sünder, krankhaft Geile,
wüthende Spieler, u. a. m.
Es ist aber damit nicht genug, daß
der Staat dem Menschen gegen seine äußem
Feinde Sicherheit
gewährt, er muß ihn auch wider den allergefährlichsten, den er
haben kann, gegen sich selbst,. Sicherheit gewähren.
Hat er erst
für seine schuldlosen Bürger gesorgt, so muß er nun auch für
die schuldigen sorgen, und zwar zuerst für diejenigen, die mehr gegen sich selbst als gegen Andere sündigen:
Es müssen daher
im Staate Anstalten da sein, wo solche sittlich paralysirte Menschen Unterkommen und Aufsicht finden.
Wer durch die That sich als
ein Unfreier bewiesen hat, darf nicht mehr auf die Rechte eines Freien Anspruch machen.
Zn diesen Anstalten, wo sie übrigens
keiner kränkenden Behandlung ausgesetzt wären und jede sonstige
vernünftige Freiheit, nur nicht die zu sündigen, genössen, würden sie möglichst zu sittlicher Freiheit erzogen werden.
Die Gebesserten
werden entlassen, die durchaus Unverbesserlichen verbringen ihr
Leben wenigstens schuldlos und ohne die Menschheit durch scheuß liche Laster zu entehren. —
Nun erst, wenn der Staat auch für
diese gesorgt, kommen die Verbrecher, im juristischen Sinn des
Worts, an die Reihe, d. h. diejenigen, die dem Bösen nicht wi derstanden, ob sie gleich die Kraft dazu hatten, und es als Bö
ses erkannten. Hinsichtlich derselben versteht es sich von selbst, daß alle Gefängnisse wirkliche Korrectionshäuser sein müssen, daß
in denselben die Menschenrechte, die auch dem Verbrecher bleiben,
nicht verletzt werden dürfen und daß derselbe hier nicht nur Ge legenheit zu nützlicher und würdiger Beschäftigung finden, son
dern auch durch
alle Zweckdienliche und
gerechte Mittel zum
Guten zurückgeführt werden muß.
Indem aber auf der einen Seite dem Staat auf diese Weise obliegt für die Sittlichkeit seiner Bürger zu sorgen, muß ihm
auf der andem Seite das Recht unbestritten bleiben, Bürger, die, ob sie gleich zur Sittlichkeit erzogen worden sind, den voraus
gesetzten Staatsvertrag frech verletzen, zu tobten.
Ob bis dahin
die Todesstrafen im allerstrengsten Sinn des Worts gerecht sind,
mag auf sich bemhen,
hat aber der Staat für die Förderung
des sittlichen Lebens das Seine gethan, so sind sie es unbezwei
felt.
Auf der andern Seite könnte man, nicht ohne einen großen
Anschein des Rechts, sagen, daß der Staat, eher als er für die
Sittlichkeit seiner schuldlosen Bürger gesorgt hat, nicht das Recht
habe, irgend einen Kraftaufwand auf die Verbesserung der Ver brecher zu verschwenden, sondern daß er verbunden sei, sich ihrer, vor
ausgesetzt, daß sie den Staatsvertrag gröblich verletzt haben, brevi
manu zu entledigen, indem seine unschuldigen aber noch immer ver
nachlässigten Bürger ein Näherrecht auf diesen Kraftaufwand haben.
Hat aber der Staat seiner Pflicht genug gethan, so muß ihm das Recht bleiben den groben und vorsätzlichen Verbrecher, als einen,
an welchen er keine Sorgfalt mehr zu verschwenden verbunden
ist, zu tödten, da er, bei der Frechheit des Lasters dieses ernste Abschreckungsmittel nicht entbehren kann.
Denn wo das Laster
frech.waltet, da muß der Staat streng walten.
Daß derjenige,
der aus Armuth stiehlt, oder aus Leidenschaft mordet u. s. w. darum nicht der Todesstrafe verfallen darf, versteht sich von selbst, mit dem Staate ist es aber wohl bestellt, wo nicht nur den vor sätzlichen Mörder und den frechen Räuber, sondern auch den be stechlichen Richter, den Schelm von Bankeroutteur, den Plünderer der Staatskasse, den Vaterlandsverräther u. s. w. das Beil er
wartet.
Ein Staat ohne wahre sittliche Gesinnung ist ein miß-
liches Ding, wahre sittliche Gesinnung ist aber immer mit Ernst und Strenge verbunden. So achtungs- und lobenswerth daher die Bemühungen der neuern Zeit sind, barbarische Kriminalgesetze zu verbessern und die Versündigungen an der Menschheit in der bisherigen Behandlung der Gefangenen zu suchen, so widerlich lächerlich erscheint das Streben, jedem Spitzbuben, was er auch
verbrochen habe, das liebe Leben liebevoll zu erhalten. Es giebt Verbrecher, denen nur dadurch sittlich zu helfen ist, daß sie in je
nes Leben exilirt werden. Wir gehen jetzt zu der Untersuchung über, wie man der zu erwartenden überflüssigen polittschen Kraft einen Abfluß nach Außen
verschaffen kann. Bis jetzt beschrankte sich die Politik, wenn man die Türkei ausnimmt, ausschließlich auf die civilisirten Staaten und nur Gebietsvergrößerungen und Handelsvortheile brachten sie mit den übrigen Völkern des Erdbodens in Verbindung. Mit Ausnahme der päbstlichen hat die Politik wohl nie für die Ver breitung der Civilisation weder mittelbar durch die christliche Re ligion, noch unmittelbar etwas gethan. Und doch müßte es nicht nur eine der Politik würdige Frage sein, welches ist denn die po
litische Bestimmung dieser übrigen Völker der Erde, und wie wer den sie das ihnen von der Vorsehung bestimmte Ziel erreichen; sondern die Beantwortung dieser Frage dürfte für sie sogar von ent schiedener Wichtigkeit sein, so daß sie selbst eine ganz andere Ge staltung, einen ganz andern Wirkungskreis bekommen möchte, je
nachdem sie sich diese Frage so oder anders beantwortet.
Würde
sie nun sich entschließen von der Religionsphilosophie Antwort auf dieselbe zu verlangen, so würde diese nicht umhin können, die für jene vielleicht wunderlich genug klingende Antwort darauf zu ge
ben, daß nur in Christo Heil ist und daß die nicht christlichen Völker der Erde nur in sofern ihre Erdenbestimmung erreichen, gesittet und glücklich werden können, als sie Christen werden. Ja sie scheut sich sogar nicht, sich zu dem übelberüchtigten Satz von einer alleinseligmachenden Kirche zu bekennen, wobei sie freilich die große Einschränkung macht, daß diese nicht die sogenannte
katholische, -sondern die wahre christliche ist.
Den Beweis aber,
daß dem gewiß und wahrhaftig also ist, so wie die Beantwor tung der Einwürfe, die man dagegen vorzubringen pflegt, muß
sie fteilich hier schuldig bleiben, indem erst die vollendete Reli-
gionsphilosophie dieselben liefern kann.
Gesetzt aber auch,
daß
die Lehre vom Sohne Gottes: der Mensch ward um das Men schengeschlecht zu erlösen, und ein Reich Gottes zu gründen auf
Erden,
mehr als fromme Fabel wäre, so
genügt es schwerlich
dieses Factum zu glauben, d. h. als wahr gelten zu lassen; son
dern die gesammte Wissenschaft, also auch die Politik muß sich entschließen, davon Notiz zu nehmen, indem sie, wenn diese Lehre
wahr wäre, sie aber dieselbe,
als sie nicht angehend,
ignorirte,
Gefahr liefe in ihrer Wirksamkeit und in der Verfolgung ihrer
Zwecke ganz verkehrt zu verfahren.
Wenn also diese Lehre, daß der Menschheit nur in Christo
Heil ist, welche der Angelstern des Christenthums ist, wahr ist: so hätte die Politik die Aufgabe sich auf die Entwilderung uncivilisirter Völker einen immer größer» Einfluß zu verschaffen und
eine umfassende Suprematie über sie zu begründen.
Diese Auf
gabe würde aber mit der früher erwähnten, dem zu erwarten
den Ueberfluß politischer Kraft einen Abfluß zu verschaffen, vor trefflich übereinstimmen und die Politik würde (wie dieses über
all der Fall ist) um so sicherer für ihren eigenen Vortheil sorgen,
je thätiger sie für die Verwirklichung der Zwecke der Vorsehung wirkte.
Ich
schweige ganz davon, welches Vereinigungsmittel
für unser ohnehin nachgerade alterndes Europa in der Eröffnung eines solchen Wechseleinflusses auf die übrigen Welttheile (vor züglich auf Asien!) liegen würde, wie auch davon, daß dieses
das einzige Mittel sein dürfte, um der riesenhaft sich entwickeln den Kraft Nordamerikas — und Südamerika und Neuholland werden schon nachkommen! — ohne Besorgniß zuzusehen und dem selben noch Jahrhunderte lang, vielleicht für immer, die Waage
zu halten. Dieser Abfluß würde sich aber darstellen, einestheils als ein syste
matisches und ins Große gehendes Kolonisationswesen, und andem-
theils als das Bestreben, Nichtchristliche Staaten durch die Gewalt der Waffen von der christlichen Politik und den Zwecken derselben abhän gig zu machen.
Der Nutzen und die Nothwendigkeit jenes Ko
lonisationswesens ist zu einleuchtend, als daß wir noch nöthig
hätten uns darüber weiter zu verbreiten.
Welchen neuen Schwung
würde es nicht schon dem Welthandel geben, und welch' ein dau-
erhaster Grund wäre dadurch nicht zur Entwilderung der Völker gelegt. Desto nöthiger ist es aber, uns über jenen zweiten Punkt
aufzuklaren.
Ew. Excellenz werden mir zutrauen, daß ich, ein
evangelischer Religionslehrer, die Politik nicht auffordern werde, die christliche Religion mit Feuer und Schwerdt oder gar durch jesuitische Künste der Finsterniß unter Nichtchristen zu verbreiten;
aber so wie der einzelne Mensch nicht im Staate so leben darf wie er eben will, so hat ein Staat,
er sei nun ein christlicher
oder ein nicht christlicher, nur in sofern das Recht im großen po litischen Ganzm zu existiren, als bei ihm die Entwickelung, zu
welcher er von der Vorsehung bestimmt ist, möglich ist, und die Politik hat, sobald sie eine christliche sein will, was sie wohl nicht
länger umhin können wird zu wollen, nicht nur das Recht son
dern gradezü die Verbindlichkeit, die nichtchristlichen Staaten zu
nöthigen, diese Entwickelung bei sich möglich zu machen.
Nun ist
aber keine bürgerliche Entwickelung da möglich, wo der Staat das Leben, die Freiheit und das Eigenthum des Bürgers nicht
sichem kann oder will, und eben so ist keine religiöse Entwickelung
da möglich, wo der Verkünder des Evangeliums dieses nicht un gefährdet predigen kann.
Die höchste Gabe des Himmels, die
Religion, soll dem Menschen nicht, sei es auf welche Weise es
wolle, aufgedrungen werden, allein die Möglichkeit muß gegeben werden, daß sie zu einem Volke und zu den Individuen desselben, welche sie annehmen wollen, gelangen kann; und es möchte wohl
hier von der Pflicht der kultivirten Menschheit dieses für ihre un-
kultivirten Brüder zu den können.
thun ohne Anmaßung gesprochen wer
Zenm sich erzeugenden Ueberschuß
von politischer
Kraft müßte also die Politik auf diese Staaten hinlenken, und wo diplomatische Vorstellungen nicht helfen, sie mit Krieg über
ziehen, nicht um sie zu unterjochen, sondern um sie zu nöthigen,
jene Grundlage bürgerlicher Entwickelung, Sicherheit des Lebens, der Freiheit und des Eigenthums bei sich einzuführen und, als
Bedingung sittlicher Entwickelung, zu erlauben, daß die christlichen Lehrer des Evangeliums bei ihnen denjenigen, die es hören wol
len, ungefährdet predigen dürfen.
Sind diese Bedingungen er
füllt und für die Zukunft garantirt: so sind diese Staaten unter ihren bisherigen Herrschern völlig unabhängig, und dann erst ga rantirt die Politik die Existenz derselben.
Die Kosten eines solchen
im Namen der Menschheit geführten Kriegeswürden neue Han delsverbindungen wohl wehr als hinlänglich ersetzen. —
Bis dieses aber geschieht, bis die evangelische Kirche zu neuem Leben und neuer Thätigkeit erwachen wird, bleibt nur zu wün schen,
daß die Politik sich das sittliche Elend der nichtchristlichen
Völker wenigstens insofern zu Herzen nehmen möchte, daß sie das Mifsionswesen, welches in seiner dermaligen Beschränktheit nur sehr spärliche Früchte tragen kann, auf eine thätige und libe rale Weise unterstützt.
Die Einwendung, daß wir unter uns
Nichtchristen genug zu bekehren hätten, ist nicht ganz haltbar;
denn einmal ersetzen doch bei ihnen Sittlichkeit und Kultur, wenn
auch unvollkommen, den Mangel des christlichen Elements, und dann ist dieses bei uns doch schon da, und wirkt im Einzelnen im Stillen siegreich fort.
Daß aber die Mehrzahl der Menschen
auf Erden noch alle Gelegenheit das Christenthum zu erkennen
entbehrt, ist eine sehr niederschlagende Erscheinung.
Denn, so
wie die Sachen dermalen stehen, kommt kaum Ein Lehrer des Evangeliums auf — Eine Million Nichtchristen.
Selbst für die
Bekehrung der Juden im Großen könnte sehr viel geschehen, wenn
die Politik diesen Gegenstand ihrer Aufmerksamkeit und Theilnahme würdigte, sonst aber nie. Und so lange das Missionswesen, ein Unter
nehmen übrigens, von welchem nur mit der höchsten Achtung gespro chen werden kann, ein Unternehmen bleibt, welches ohne eine leitende Idee und ohne einen Gesammtplan nur von Privatpersonen und Sectirem ausgeht, so können bedeutende Mißgriffe schwerlich ver mieden werden.
Wie ganz anders würde sich aber nicht diese An
gelegenheit gestalten, wenn zu dieser höchst achtungswerthen Be geisterung, welche den Missionär treibt, unter die Heiden zu ge
hen, noch eine entwickeltere und unbefangene Weltansicht, deren Mangel so schmerzlich vermißt wird, vorzüglich aber das Licht des Verständnisses und der Wissenschaft käme, und wmn der Mis
sionär dem Sohn der Finsterniß nicht nur den Glauben, sondern auch das lichte Verständniß des Christenthums zu bieten hätte.
Auch scheint es, als wenn das Missionswesen nur dann erst recht gedechen würde, wenn man auf jeder Station eines Missionärs
zugleich eine kleine Kolonie, deren Mitglieder freilich nie sorgfäl tig genug ausgesucht werden könnten, anlegte, die den Nichtchri
sten zugleich
europäische Sittigung und Beispiel und Vorbild 3
eines christlichen Lebens brächte.
Die Verheirathung des Nach
wachses dieser Kolonie in die Familien der Ureinwohner würde
dann auch nicht wenig zur Verbreitung und Befestigung des Christenthums beitragen. Das vorzüglichste Augenmerk der Mis
sionäre müßte aber der Unterricht der Jugend sein, und wenn der Missionär nicht so viele gewonnene wirkliche Christen zählte, als seine Schule Schüler gezählt hat, so wäre das nur seine Schuld. Und selbst da, wo die Erwachsenen keine Empfänglich keit für die Lehren des Christenthums zeigten, müßte es doch dem Missionär, wäre er sonst was er sollte, unter den Söhnen der
Armuth und der Sclaverei nicht an Schülern fehlen. Aber die Kosten, welche die Einrichtung einer solchen evan gelischen Akademie und eine solche Erweiterung des Missionswe sens verursachen würde? Darüber können wir ganz ruhig sein.
Sobald die lebendige Einsicht da ist, daß etwas durchaus und unumgänglich nöthig ist, so finden sich die Kosten dazu immer von selbst. Er wird so viel bei dem Einzelnen kollectirt, man sollte einmal versuchen zu einem so edlen Zwecke bei der Regierung selbst zu kollectiren. Uebrigens werden ja der Politik heutzutage so manche Ausgaben erspart, welche sie früher hatte. Die schmäh lichen Tribute der christlichen Mächte an die Barbaresken haben wohl bereits aufgehört, und bei dem unverkennbaren Streben zum
Bessern, welches sich auch in der Politik zeigt, fallen gewiß manche „geyeime Ausgaben" weg. Vielleicht entschlösse man sich, diese
Summe, welche sonst der Schmach geopfert wurde, zur Ehre Gottes anzuwenden?
Aber alle diese Vorschläge, welche ich so frei gewesen bin, dem Urtheil Ew. Excellenz zu unterlegen, bezwecken nichts anders, als die Erhebung der Politik über ihre bisherige beschränkte An sicht zu einer höhern, durch das Eingehen auf die Wahrheiten
der Religionsphilosophie. Und nur wenn sie darauf eingeht, wenn sie die Wahrheit will und sich bis zu der Wahrheit in ihrer all
umfassenden Einheit erhebt, wird sie im Geist Gottes wirken, und nur dann wird sie die Stürme der Gegenwart beschwören und der Zukunft ruhig entgegenblicken können. Nur dann wird sie
stark und unüberwindlich, und ihr Wirken für die Menschheit se
genreich sein. Das Reich Gottes auf Erden kommt nicht wie Sonnen,
schein und Regen von selbst, sondern es will von Menschen dar gestelltwerden.
Heil dem, welchem es vergönnt war, zur Lösung
dieser höchsten Aufgabe der Menschheit mitzuwirken! Nur das bleibet!
Es ist zwar mehr als ich hoffen darf, daß diese Andeutun gen von der Politik einiger Aufmerksamkeit gewürdigt werden
sollten.
Sollte aber dies auch nicht geschehen, so mögen diese
Blätter, wenn sie sich nämlich in der Sündfluth der Literatur
unsrer Tage erhalten, der Nachwelt ein Zeugniß davon ablegen, daß die Religionsphilosophie diese hochwichtigen Gegenstände zur
Sprache gebracht hat.
Zurückkommen wird man wohl auf diese
Ansichten, sei es auch erst nach Jahrhunderten. Mögen sie indes
sen, wenn, wie es nur zu wahrscheinlich ist, die heiße Sehnsucht,
damit etwas Gutes zu stiften, unerfüllt bleiben wird, in den Ac ten der Geschichte niederlegt, einst zum Beweis dienen, daß die Religionsphilosophie schon zu unsrer Zeit sich zu diesen Wahrhei
ten erhoben hat. Zum Schluß sei es vergönnt, diesem Schreiben einige apho ristische Ideen über einige Gegenstände der Politik, die sich nicht
in diesen Brief verweben lassen und
die ich dennoch andeuten
möchte, bcizufügen, und sie dem Urtheil Ew. Excellenz zu unter
werfen. Genehmigen Ew. Excellenz
k.
Aphorismen über verschiedene Gegenstände der Politik.
1. Ich sprach oben von der schwierigen Lage der Politik, indem
sie die Frage, was in einem vorkommenden Fall Rechtens sei, nicht allein aus dem Gesichtspunkt der Idee des Rechts beantworten
darf, sondern dabei zugleich einmal bestehende Verträge berücksich tigen muß, welche, obgleich selbstsüchtige Gewalt sie nur zu oft
dictirte und die Noth annahm,
und ob sie gleich daher so viel
3*
einander Widersprechendes, so viele einander durchkreuzende Interes sen und so vieles der Idee des Rechts Zuwiderlaufendes enthalten,
auf der einen Seite, als einmal eingegangen, ehrlich gehalten und auf der andem mit der unabweisbaren Forderung des ewigen Rechts
ausgeglichen werden müssen.
Es sei mir wegm der unermeßlichen
Wichtigkeit des Gegenstandes erlaubt darauf noch einmal zurück» zukommen.
Es ist klar, daß ein starres Beharren bei dem Ge
gebenen eben so unrecht ist als ein rücksichtsloses Hinstürmen auf den ideellen Rechtszustand ohne Achtung für die historische Ent
wickelung und das Gegebene.
Zwar wird die Politik immer das
Gegebene, so wie die Philosophie jenen ideellen Rechtszustand vor
zugsweise im Auge behalten, indessen wird doch eine Politik, die da weiß, was sie will, vom Gegebenen und von der Heilighal
tung des bestehenden Rechts ausgehend, sich jenem ideellen Ziel immer mehr zu nähern suchen.
Das Recht einer solchen allmä-
ligen und vorsichtigen Reformation und Vervollkommnung des
Rechtszustandes zwischen zwei Staaten, liegt in der Unvollkom menheit der bestehenden Vertrage als des Resultats den Rechts
zustand zwischen beiden auszudrücken, der, als von Menschen ge
dacht, gewollt und ausgeführt nicht anders, als sehr unvollkom men sein kann und einen bedeutenden Theil des Unrechts, also seines Gegentheils, in sich involviren muß und der also, ohne Ver
sündigung an dem ewigen Recht nicht als unwandelbar gedacht werden kann; so wie umgekehrt der Umstand, daß es wieder Men schen sind, die den vorhandenen Rechtszustand dem ideellen zu nähern suchen, die also diesen letztem konstruiren, den Fortschritt
demselbm entgegen beschließen und fördern, die höchste Umsicht und Vorsicht gebietet. —
Das Gesetz, der Vertrag ist also nicht
in der sittlichem Welt das Höchste, sondem dasjenige, woraus diese emaniren und wovon sie nur ein unvollkommener Ausdruck sind,
nämlich die Idee des Rechts.
Aus diesem Grunde steht der Sou-
verain zum Theil über dem Gesetz, und ist ihm in dem Recht zu
begnadigen, einen Proceß niederzuschlagen u. s. w. das Recht ge
geben, das Gesetz zu suppliren und dessen starre Konsequenzen zu
mildern; aus diesem Grunde steht die Regierung als legislative Ge walt über dem Gesetz und hat das Recht die vorhandenen zu erwei
tern und zu vervollkommnen.
Aus diesem Grunde hat auch der
eine Staat dem andem gegenüber das Recht, auf einen vollkom-
menern Rechtszustand zwischen beiden zu dringen; aus diesem Grunde
hat endlich sogar das Individuum das (ideelle) Recht, sich über den bestehenden Rechtszustand zu stellen, und als Reformator auf zutreten.
Und so wie der Souverain, indem er, seinem Gefühle
der Idee des Rechts folgend, den dem Individuum bedrohlichen Proceß niederschlägt, mit seinem: ich wills vor Gott verantwor ten! Recht hat, wenn er dieser Idee gemäß handelte; so wie der Reformator, wenn er seinem Werk gewachsen ist, und das was
er will, im ewigen Recht begründet ist, Recht hat zu sagen: ich will
mein Auflehnen wider das Bestehende vor Gott vertreten (ein ide
elles Recht nämlich,
denn in bürgerlicher Hinsicht macht er sich
durch dieses Auflehnen eben so rechtlos): also hat auch der eine Staat, sobald die Veränderung des Rechtszustandes, die er von dem andem fordert, wirklich eine in der Idee des Rechts gegrün
dete Vervollkommnung ist, das Recht, nicht nur diese zu fordern, sondern, wo sie ihm verweigert wird, durch Reclamation derNö-
chigung des politischen Ganzen, und, wo diese nicht gewährt wird oder hilft, durch Gewalt der Waffen, zu erzwingen.
Der Krieg
ist dann von Seiten des Angreifenden eine Auflündigung des Rechts
zustandes zwischen beiden Staaten und eine solche Aufkündigung
muß, wo keine andern Mittel mehr helfen, erlaubt sein.
Je voll-
kommner die politischen Verhältnisse der Staaten sich ausbilden und je fester daher der Verband zwischen den einzelnen Staaten
wird,
desto seltner wird es zum Kriege kommen, indem das
Ganze die Reibungen unter den Theilen nicht erlaubt.
Auf diese
Weise wird zwar (wo das Ganze das Unrecht des einen Theils
nicht einsehen oder ihn nicht zwingen will, es aufzugeben) man
ches Unrecht in den Verhältnissen zwischen Staaten fortbestehen, das der Krieg vielleicht ausgeglichen hätte, wenn mämlich der da
Recht hat, auch der Mächtigere ist; aber endlich muß doch das Recht siegen, weil es aus Gott ist und weil die Wahrheit eine so starke Nöthigung mit sich führt, daß man ihr auf die Länge nicht widerstehen kann. Obgleich ich in dem Gegebenen ein mit göttlicher Nothwendigkeit
Gewordenes nicht erblicke, sondern meist ein Werk der menschlichen Un vollkommenheiten und Leidenschaften, die nie etwas göttlich Nothwen
diges sein können, sondern umgekehrt grade in der Willkühr ihre Wur
zel haben: so muß hier doch nicht übersehen werden, daß, was an sich
Recht ist, darum noch nicht für uns Recht ist.
Denn die Idee
des Rechts ist gleichsam nur der Eine Pol des absoluten Rechts
und das historische, positive, aus Verträgen entstandene Recht der andere und die Einigung uni)] Versöhnung dieser beiden Gegen
sätze das absolute Recht selbst.
Wenn daher ein Staat von dem
andern ein Rechtsverhältniß verlangt, welches zwar mit der Idee des Rechts übereinstimmte, allein mit dem gegebenen Rechtszu stand des andern im offenbaren Widerspruch stünde, z. B. wenn
er einen freien Handelsverkehr mit ihm verlangte, welches zwar
ideell recht ist, allein welches die positiven Rechte der Bürger des andern, z. B. der Fabrikinhaber u. s. w. beeinträchtigte, so wäre
dieses suminuin jus summa injuria.
Die Vermittelung dieser bei
den Gegensätze ist der gute Wille, der die Rechtmäßigkeit des Ge
gensatzes bei dem andem anerkennt und die Zeit.
Der eine Staat
muß sich z. B. hier vernünftigerweise geneigt finden lassen, die Möglichkeit
eines
einstigen
freien Handelsverkehrs ernstlich und
thunlichst vorzubereiten, und der andere muß damit zuftieden sein und keine göttliche Umkehrung des Bestehenden verlangen.
Wenden wir das Gesagte auf den oben aufgestellten Satz
an, ein christlicher Staat habe das Recht einen nichtchristlichen
zu nöthigen, die ersten Elemente politischer Entwickelung bei sich anzuerkennen und den christlichen Glaubensboten zu erlauben, de
nen, die sie hören wollen, das Evangelium ungefährdet zu predigen.
Hier ist nun voraus zu bemerken, daß bei den Meisten nicht christlichen (Völkern) Staaten keine Verträge verletzt würden, in dem sie gar nicht eristiren.
Wo sie aber existiren und einem nicht
christlichen Staat unter der Bedingung, daß er sie hält, ein gu tes Verhältniß versprochen worden ist, da darf doch unsrer Mei nung nach, jener diesem offen erklären: Bis jetzt erkannte ich meine
Pflicht nicht für deine bürgerliche vorsehungsgemäße Entwickelung
zu sorgen, jetzt erkenne ichs und darum fordere ich von dir, daß du die Elemente bürgerlicher Entwickelung bei dir ins Leben rufst und einen emstlichen Anfang machst das Recht an die Stelle des
Unrechts zu setzen, und wenn du dich hierin nicht fügen willst, so kündige ich die bestehenden Verträge mit dir auf und werde dich, nachdem ich dir Zeit gelassen haben werde, meinen Vorschlag
zu überlegen, wenn du ihn verwirfst, durch die Gewalt meiner Waffen dazu zwingen.
2.
Wie soll dem immer bedrohlicher werdenden Unfug der po
litischen Zeitungsschreiber in einem Lande, wo Preßfreiheit herrscht, gesteuert werden? Ich glaube, also: Wer als solcher ausireten oder fortbestehen will, soll sich durch sein bürgerliches Leben und Wir
ken als einen wohlgesinnten Mann legitimiren.
eine so
Anders darf ihm
gefährliche Gewalt nicht in die Hände gegeben werden.
Daher hat in der Pairs - oder Deputirtenkammer jedes Mitglied das Recht, darauf anzutragen, daß man daselbst.darüber abstimme,
ob N. der verantwortliche Herausgeber der und der Zeitung sich durch sein bürgerliches Leben und Wirken als einen wohlgesinnten
Mann bewiesen oder nicht.
Hat er hier die Majorität wider sich,
so kann er an eine gleiche Abstimmung in der andern Kammer
appelliren.
Bekommt er hier die Majorität für sich, so kann er
bis zum Ende des nächsten Jahres, wenn nämlich dann jemand
auf eine neue Abstimmung anträgt, sein Blatt fortsetzcn.
Fällt
er aber in beiden Kammern durch, so darf er erst nach 3 bis 5
Jahren mit der Bitte um Erlaubniß, sein Blatt von neuem an
zufangen, bei der Kammer einkommen.
Hat man aber zu der im
voraus zu bestimmenden Zeit die Abstimmung versäumt, so bleibt sein Blatt, bis diese Zeit wieder eintritt.
Uebrigens bleibt natür
lich der Regierung das Recht, den Herausgeber wegen jedes straf baren Artikels besonders gesetzlich zu belangen.
Noch ein anderes Mittel, gegen dessen Rechtlichkeit wohl nie mand gegründete Einwendungen wird machen können, stünde zu Gebot.
Alan wird doch einmal dahin kommen, den Grund
satz aufzustellen: das, wovon das Heil und der geistige Fortschritt der Menschheit und die Wohlfahrt des Staats abhängt,
darf
nie der Gegenstand einer Finanzspeculation, einer Industrie werden, und die Literatur ist nicht um der Industrie der Berfasser und
Verleger willen da, sondern diese um der Literatur willen.
Wer
sich daher berufen fühlt, seine Mitbürger über ihre religiösen, wis
senschaftlichen und politischen Angelegenheiten zu belehren, soll erst beweisen, daß er dieses um der guten Sache und nicht um des
Gewinnes willen thut, und durch seine Uneigennützigkeit zeigen, daß er werth ist dafür zu wirken.
Legt er es aber auf eine Fi-
nanzspeculation an, so hat er dadurch die Gemeinheit seines Sire-
40 bens beurkundet und wird von Rechtswegen abgewiesen.
Auf
einen mäßigen Ersatz seiner Mühe, darf er zwar, wenn er damit
zufrieden sein will, rechnen, aber dieses Geschäft nicht als einen
Nahrungszweig, ein Bereicherungsmittel betrachten.
Man sage
also den Zeitungsschreibern: Ihr sollt das Recht haben, die Nation
über den Gang der politischen Begebenheiten zu belehren, allein ihr
müßt dann auch beweisen, daß es euch nur um die Sache zu thun
ist.
Zu diesem Ende muß der Redacteur eines politischen Blattes
darein willigen, daß ein von der Negierung bestimmter Mann den Debit desselben übernimmt.
Der Verfasser erhält sein mäßiges
Honorar pr. Bogen und zwar gleich viel, wenn die Zeitung einen starken, oder wenn sie einen geringen Absatz hat;
der Rest der
Einnahme fällt einer milden Stiftung zu.
Wenn also der pekuniäre Grund, Leser anzulocken, wegfällt, so wird auch das Anlocken selbst durch freches Schreiben u. s. w. gröstentheils wegfallen.
3.
Die Politik wird doch einmal wider das Büchermachen als industriellen Nahrungszweig einschreiten müssen, d. h. da, wo schon Preßfreiheit herrscht.
Es müßte daher z. B. in Deutschland
gleichsam eine Junta von Gelehrten niedergesetzt werden, um zu prüfen, welche bei jeder Messe herauskommende Bücher durchaus nur beutelschneiderische Finanzspeculation der Büchermacher und der
Verleger wärm.
Die also bezeichneten Bücher würden dann an
die deutschen Universitäten vertheilt und jede
derselben gehalten
werden, ihr Schuldig oder Unschuldig darüber auszusprechen. Durch
das Schuldig wäre der Verleger zu einer Geldbuße verfallen. 4. Wo Preßfreiheit ist, muß es doch der Regierung frei stehen, Schriftsteller von anerkannt nichtswürdiger Gesinnung z. B. Glau»
ren, unter literärpolizeiliche Aufsicht d. h. unter die Censur zu stel
len.
Wo keine Preßfreiheit noch ist, würde das dazu kein übler
Anfang sein, wenn die Regierung fürs erste wenigstens Schrift-
stellem von bewährter Gesinnung für ihre eigenen Schriften und für fremde die sie förmlich billigte, Censurfreiheit gewährte.
5.
Zur vollkommenen Staatseinrichtung gehörte auch eine allge meine und durchgängige Landesassekuranzanstalt, gegen alle mög
liche Unglücksfälle, als Feuerschaden, Ueberschwemmungen, Miß wachs, Hagelschlag, Viehseuchen u. s. w.
Jeder Bürger müßte
dazu nach seinem Vermögen kontribuiren, was, wo alle daran Theil
nehmen und der Staat keinen Gewinn wollte, eine unbedeutende Abgabe wäre.
6.
Die Ansicht vom Staat, als einer moralischen Person, die nicht
nur Rechte, sondern auch Pflichten gegen die Bürger hat, ist noch bei
weitem nicht hinlänglich hervorgehoben worden.
Derjenige Staat ist
in politischer Entwickelung noch nicht weit gekommen, und hat von seinen Pflichten sehr unvollkommene Begriffe, der es nicht so weit gebracht hat oder doch die Verbindlichkeit fühlt, es so weit zu brin
gen, daß keiner seiner Bürger, der da arbeiten will, Hungers
zu sterben braucht. 7. „Ein edles Volk, die Norweger, hat den Muth gehabt, bei
sich den Adel aufzuheben.
So sehr aber eine solche Aeußerung
des National - Charakters Verehrung verdient, so ist es doch noch die Frage, ob man Recht daran thäte, einen so mächtigen Hebel
ganz weg zu werfen.
Es scheint, es wäre noch zweckmäßiger,
wenn jeder eben lebende Edelmann seinen Adel niederlegte und dann wartete, ob die Repräsentanten der Nation ihm das Ererbte als Lohn seines persönlichen Verdienstes zurückgeben oder nicht.
Ein jedes edle Geschlecht hätte dann seinen bestimmten Platz an der Wand des Ritterhauses, und ein jeder, der seinen Adel also
wiedergewonnen hätte, das Recht, sein Wappen daselbst aufzuhän gen.
Hätte aber dessen Sohn keine eminente Verdienste, so bliebe
dessen Platz leer, was übrigens keinesweges für eine positive Schande zu achten wäre.
Ein solcher Verdienstadelstand könnte hernach
einen Ausschuß der Besten bilden, der jedesmal entschiede, wer
von dem nachwachsenden Geschlecht würdig wäre, sein Wappen im Ritterhaus aufzuhängen.
Die Repräsentanten
der Nation
würden dann dieses Urtheil des Ausschusses kontroliren und bestä
tigen.
Eben so würden diese bestimmen, wer da würdig wäre
ein neues edles Geschlecht anzufangen, wo dann jeder Ausschuß das Recht hätte, zu erklären, ob der bestehende Adel den Vorge
schlagenen für würdig hielte, in seiner Mitte ausgenommen zu wer Welch' ein neues Leben würde nicht diese Einrichtung in
den.
den Adelstand
bringen!
Jeder, dessen Wappen
im Ritterhause
hinge, wäre dadurch ipso facto Ritter und trüge irgend ein diese
Würde bezeichnendes Zeichen." Nachsatz.
So schrieb ich,
ehe
ich mit einem. Mann,
den ich
als
kompetenten Richter über diesen Gegenstand anerkennen muß, eine Unterredung darüber hatte.
Er behauptet, jener Vorschlag von
einem Verdienstadel sei unausführbar und der Erbadel sei noch auf
Jahrhunderte hinaus ein durchaus nothwendiges Institut.
Ich
habe darüber nachgedacht und will hier— ohne mir ein bestimm
tes Urtheil über diesen Gegenstand zu erlauben,— den Weg be zeichnen, auf welchem die Nothwendigkeit des Erbadels, wenn
er sonst erwiesen werden kann, vielleicht erwiesen werden könnte.
Nach unsrer, in Aphor. 1 aufgestellten Ansicht bedingt das Wech selspiel zweier Kräfte das Leben des Staats, das Beharrenwollen nämlich bei dem Bestehenden und das Hinstreben zum Neuen,
Vollkommenern.
Soll daher, könnte man sagen, das Leben des
Staats gedeihen, so muß diese doppelte Lebensrichtung desselben sich in einer doppelten Bestrebung der Bürger auszusprechen, d.
h. einige müssen das Bestehende, andere den Fortschritt wollen.
Da es nun aber in einem Staate mehr Arme als Reiche giebt, und
noch
mehrere,
die da immer reicher
sein
wollen, ferner
mehr sich finden, die da nach Ehren wachten, als die sich mit denen, die sie haben begnügen: so wird es in einem Staate nie
an Bürgem fehlen,
welche den Fortschritt wollen, als wobei sie
zu gewinnen und sich auszeichnen zu können hoffen;
wohl muß
aber der Staat für das Gegengewicht zu diesem Vorwärtsstreben sorgen.
Es muß also int Staate ein Stand da sein, dem an der
Erhaltung der Ruhe und an dem Fortbestand des Bestehenden
gelegen ist.
Dieser Stand muß also begütert und bürgerlich hoch-
gestellt sein, damit er nicht nöthig habe, nach Vermögen und Ehre
zu jagen.
Dieser Stand ist der Erbadel und der Mittelpunkt
und Erhalter desselben so wie der Quell, aus welchem Glanz auf ihn strömt, ist der Monarch. —
Wollte man wider diese An
sicht einwenden, daß es doch Staaten giebt, wo z. B. in den nord amerikanischen Freistaaten das bürgerliche Leben wohl gedeihet, obgleich daselbst der Adel ein beinahe untergegangenes Institut ist, so läugnen wir eben das Gedeihen des. bürgerlichen Lebens in die
sem Staate und glauben, daß der Untergang des Erbadels daselbst
mit der Grund zu dem wüthenden Jagen nach Gewinn, to make money, ist, welches als die beinah einzige Lebensthätigkeit daselbst
erscheint, und welches uns ein bedrohliches Zeichen der gestörten Harmonie in der Lebensthätigkeit "dieses Staates zu sein dünkt.
Alle Beachtung möchte aber Mösers zunächst in Rücksicht auf
den deutschen Adel gemachter Vorschlag verdienen, daß nämlich der Adel sich überall nach dem Vorbilde des englischen regeneriren
möge, wo nur auf den ältern Sohn des Pairs der eigentliche Adel vererbt, während die jungem Söhne im gemeinen Leben
weiter keine Adelsauszeichnungen genießen, sondern sich den übri gen Klassen der bürgerlichen Gesellschaft anschließen.
Nur da
durch kann die Zersplitterung der Güter des Adels, mithin die Ver armung desselben verhindert werden, nur so lange der Erbadel
reich ist, kann er seinem Zweck für den Staat entsprechen.
8. Soll ein Volk als mündig oder unmündig betrachtet werden?
Auf jeden Fall als unmündig in der Mehrzahl, als mündig nur in seinen gebildeten Gliedern.
Das Streben einer guten Negie
rung geht aber dahin, diese Unmündigkeit immer mehr aufzuhe ben.
Denjenigen der Gebildeten, welche nicht persönlich zu der
politischen Klasse (Beamte und Volksrepräsentanten) gehören,
muß, so weit als es irgend thunlich ist, möglich gemacht werden, Mitarbeiter der politischen Klaffe zu sein, und ihren sittlich intel-
lectuellen Einfluß auf dieselben auszuüben: Preßfreiheit, Petitions recht.
Der Menge aber kann nur der Instinkt zugetraut werden,
zu erkennen, wer sie besser zu regieren versteht, als sie sich selbst. Die Lehre
von
der Volkssouverainität aber ist eine der abge
schmacktesten und gefährlichsten Narrheiten der Revolutionsmänner.
9. Alle Obrigkeit ist von Gott.
Zwar nicht faktisch, da die
meisten Staaten durch Unterjochung entstanden sind, aber doch in der Idee.
Das heißt, es ist Gottes Wille, die Menschen sol
len Staaten bilden, sich einer Obrigkeit unterwerfen und ihr Un terthan bleiben. Die Vorstellung von einer Volkssouverainität
ist daher ein Unding.
Nicht einmal der Einzelne im Walde ist sou-
verain, denn es ist Gotteswille, daß er nicht da bleibe, sondern sich einem Staate unterwerfe, und es hängt keinesweges von sei
ner Willkühr ab, ob er es thun soll oder nicht.
Indem daher die Ein
zelnen zusammen treten, müssen sie eine Regierung bilden und
dieser grade die bestimmten, in der Vernunft gegründeten Rechte
übertragen, ohne welche ein Staat nicht denkbar ist.
Wenn die
Besiegten sich entschließen, den Widerstand wider den Besieger auf
zugeben und, weil dieses doch das Vemünstigste ist, was sie thun können, ihm treu zu bleiben, so entsagen sie aber der Volks
souverainität, wenn sie auch bis dahin eine hatten. 10. Die Politik hat den wundermächtigen Hebel, der in Treu
und Glauben liegt, bei weitem noch nicht hinlänglich gewürdigt.
Welch' einen Zuwachs von politischer Kraft würde nicht ein Land gewinnen, wenn Staat und Fürst auss gewissenhafteste darauf hiel ten und jede Veruntreuung und jeden Lug und Trug im Han
del und Wandel, namentlich bei Bankerotten, aufs unerbittlichste ahndeten!— So auch in äußern Verhältnissen. Die Politik wird freilich nie so weit gehen, daß sie einer Versprechung ohne Ga
rantie glaubte, aber sie wird durch strenges Festhalten an garan« tirte Versprechungen Wunder verrichten.
So müßte einst die Po
litik dahin kommen, den Etat eines Minimums von stehenden Hee
ren für jeden Staat in gemeinschaftlicher Berathung zu bestimmen.
Dann würde man zwar nicht die überflüssigen Heere auf die Ver sicherung der Nachbam hin, daß sie ihr Etat nicht überschreiten
werden, eingehen lassen, wohl aber würde man dies auf gemein schaftliche solitorische Garantie aller Mächte thun.
Fiele es dann
dessen ungeachtet einem ein, dawider zu handeln, so würde, wo
dies Princip aufgestellt wäre, die Drohung der übrigen Mächte
hinreichen, um Jenen zur Besinnung zu bringen, und hülfe die
ses nichts, so müßte, um einen Napoleonischen Ausdruck zu gebrau chen, der Uebertreter aufgehört haben zu regieren.
Was vermöchte
aber auf die Länge der Einzelne gegen alle Uebrigen, wo dieses Princip heilig gehalten würde!
11. Nicht eher wird das Mißbehagen aufhören, welches das bür gerliche Leben in Europa wie ein Alp drückt, nicht eher wird die
überall gefühlte Verarmung schwinden, als bis die Regierungen
sich über die zwei Hauptpunkte der europäischen Politik vereinigen: Wenn sie den zum Schaden Aller gefesselten Handel freilassen und dazu ihre unermeßlichen Heere, welche die beste Kraft Europa's
aussaugen, nach einem gemeinschaftlichen festzusetzenden Etat, auf ein Minimum herabsetzen.
12. Die Zweikämpfe sind ein so auffallendes Gebrechen unsers
geselligen Zustandes, daß jeder, dem der Fortschritt des Geschlechts
am Herzen liegt, seinen Beitrag zur Lösung der Frage, wie die
sem Uebel abzuhelfen sei, beisteuern müßte.
Hier ist mein Scherf
Es ist vorab klar, daß der Staat darauf bestehen und alles daran setzen muß zu verhindem, daß Handlungen, die für das lein.
Wohl seiner Bürger so bedenkliche Folgen haben können, wie die
Zweikämpfe, nicht anders, als mit seinem Willen und Wissen,
wenn er sie erlaubt, stattfinden.
Das erste, was also der Staat
in dieser Hinsicht zu thun hat, ist, den Zweikampf ohne sein Mitwiffen unmöglich zu machen. Dieses geschieht dadurch, daß er von jedem seiner Bürger aus den Ständen, wo Zweikämpfe vor
zufallen pflegen, das Ehrenwort abfordert, daß derselbe sich nicht anders als mit seinem Wissen schlagen will.
Wer dieses verwei
gert, werde nie angestellt oder verlasse den Dienst oder gar das
Land.
Bricht nun jemand sein Ehrenwort und schlägt sich heim
lich, was der Staat sich aufs eifrigste angelegen sein läßt, her auszubringen, so ist ein solcher ehrlos, wird öffentlich für einen
solchen erklärt und ferner weder im Dienst, noch in irgend einer
Gesellschaft geduldet.
Wo also zwei sich schlagen wollen, da mel
den sie ihr Vorhaben der dazu vom Staate verordneten obrigkeitli.
chen Person,
am besten einem alten verdienten und durch seinen
Muth ausgezeichneten Militair. Meinung
So lange nun die, freilich irrige
allgemein herrscht, einerseits, es gebe kein
sichereres
und einfacheres Mittel, gewisse Kollisionen auszugleichen, als
ein geregelter Schwerdtkampf, der übrigens nicht die Absicht hat,
das Leben der Kämpfenden zu gefährden, und andrerseits, es gebe Beleidigungen, die nur durch den Tod des einen Betheiligten ge
sühnt werden könnten: so wird es dem Staate nie gelingen die Zwei kämpfe ganz zu unterdrücken, sondern Alles was er thun kann ist,
daß er es dahin bringt, daß sie unter seinen Augen stattfinden und daß er sich dadurch einen Einfluß auf sie verschafft.
Hier muß nun entschieden werden, ob sie bloße Raufereien sind, wo der Herausforderer blos die Absicht hat, seinem Gegner nach dem Kunstausdruck eine Lection zu geben, oder ein Kampf
auf Leben und Tod; ferner ob die Kämpfenden noch Jünglinge sind, denen der Staat wegen ihres heißen jugendlichen Blutes eine
gewisse Nachsicht schuldig ist, oder Männer, von denen der Staat
volle männliche Besonnenheit erwarten darf.
Ist es also auf eine
Rauferei abgesehn und sind die, die sich raufen wollen, Jünglinge,
Studenten, junge Lfficiere u. dgl., so wäre das Verfahren des Staates dabei folgendes: Einmal lasse der Staat hier keine andere
Waffe, als das Schwerdt, nie aber Degen oder Pistolen zu, und
lasse die nach dem Studentencomment eingeführten Vorsichtsmaß regeln, um lebensgefährliche Verletzung zu vermeiden, genau beo
bachten.
Wollen Jünglinge
sich einer Kleinigkeit
willen
auf
Leben und Tod schlagen, so bekommen sie Arrest auf längere Zeit und werden unter Vormundschaft gesetzt, dann untersucht der obrig
keitliche Schiedsrichter nebst einigen beiderseitig ernannten Ehren richtern (etwa ein Kamerad der Gegner von jeder Seite) und zwei
Beistände von Alter und Ansehn die sich der Schiedsrichter erwählt, die Veranlassung, und der Ausspruch dieser Ehrcnjury's und das
Ansehn von Männern welche die Gegner beiderseits als Ehren männer anerkennen muffen, würden gewiß sehr viele, vielleicht die meisten dieser Raufereien verhindern.
Bestehen die Gegner aber
dennoch darauf sich zu schlagen, so wird ihnen vorgestcllt, wie der Staat diesen Schritt mißbilligt, wie er, unter sonst gleichen Um
ständen, in der Zukunft denjenigen der weise genug ist, um Hän del zu vermeiden oder sich rathen zu lassen, dem Raufer vorziehen
wird, weshalb auch eine solche Rauferei, nebst der Veranlassung
zu derselben in das akademische Zeugniß oder in die Dienstliste eingetragen wird.
Hilft auch diese Weisung nicht, so wird ihnen
Bedenkzeit gegeben,
und erst wenn sie nach Verfluß derselben
auf ihrem Sinn bestehen, wird ihnen der Kampf im Beisein des Schiedsrichters und der übrigen Ehrenrichter erlaubt,
nachdem
beide ihr Ehrenwort gegeben, daß es ihre Absicht nicht ist, den Gegner lebensgefährlich zu verletzen.
Erfolgt nun keine lebens
gefährliche Verletzung, so ist die Sache abgemacht.
Erfolgt sie
aber, oder fällt gar einer, so büße der andere für seine Anma
ßung, sich in ein solches gefährliches Spiel eingelassen zu haben, ohne die Geschicklichkeit zu haben, seinen Gegner nicht lebensge
fährlich zu verletzen, jahrlang auf der Festung. —
Sind's aber
Männer — das 40. Jahr mache hier die Grenzlinie, — die sich schlagen wollen, so muß hier der Staat, indem er von ihnen
reife Besonnenheit verlangen darf, strenger verfahren.
Entweder
ist es eine Kleinigkeit, weswegen sie sich schlagen wollen, oder eine emste wirkliche Beleidigung, z. B. wenn einer eine Entehrung seiner Schwester, Gattin oder Braut an dem absichtlichen Ver
führer zu rachen hat.
Im erstem Falle erlaubt der Staat, wenn
die Gegner durchaus darauf bestehen, den Zweikampf aufs Schwerdt unter obigen Bedingungen, nur müssen sie, wegen dieser Unbe sonnenheit in männlichen Jahren sich gefallen lassen, unter Vor mundschaft gesetzt zu werden, wie es der Staat von Neu-York mit seinen Duellanten thut.
Denjenigen aber, der sich um einer
Kleinigkeit willen auf Leben und Tod schlagen will, erwartet das
Irrenhaus.
Ist aber eine wirkliche, emste Beleidigung zu rächen,
so komme der Staat, seiner Pflicht genügend durch Vervollstän
digung seiner Gesetzgebung und Verhängung der gesetzlichen Strafe nicht nur der Privatrache vor, sondern erspare dem Beleidigten das so widerliche und für den Mann von
Ehre
beinahe
hier
unmögliche Geschäft, den Kläger machen zu müssen.
Es giebt
keine andern Mittel, den Zweikampf unmöglich zu machen.
Will
oder kann der Staat dieses nicht thun, nun so reiche er dem Beleidigten das Schwerdt der Gerechtigkeit, welches
er nicht
handhaben will, und erlaube ihm förmlich damit den Beleidiger, wenn ers kann und will, niederzustoßen.
Wo der Staat sich
seiner Pflicht begiebt, da tritt für das Individuum das Recht der Selbsthülfe ein.
13. Wenn es wahr ist, daß die Bürger derjenigen Staaten, wo
die Juden einen bedeutenden Theil der Bevölkerung ausmachen, von diesen häufig in ihrem bürgerlichen Gewerbe beeinträchtigt
werden, und daß dieselben die besten Kräfte des Staats oft aus saugen: so verdimt die Frage: Mit welchem Recht sind sie Mit bürgereines christlichen Staates? die emstlichste Berücksichtigung,
und das um so mehr, da unser kleines Europa an vielen Orten bald für seine eigentlichen Bewohner zu eng wird; aber auch nur
unter der Voraussetzung der Nichtigkeit jener Annahme, kann eine solche Untersuchung nöthig sein. Wenn sich nun heutzutage auf einmal ein Schwarm von einigen tausend Juden an der Gränze eines europäischen Staates zeigte, und in denselben einwandern wollte, so hätte ohne Zweifel die Regierung das Recht ihnen den Eintritt ganz zu verweigern, wenn sie nämlich voraussähe, daß diese Ankömmlinge denen, die schon im Besitz der Rechte eines Staatsbürgers sind, Abbruch thun könnten; wenn sie aber glaubt, ihnen den Eintritt erlauben zu können, so hätte sie eben so unbe
zweifelt das Recht, die Bedingungen vorzuschreiben, unter welchen sie dieses thäte. Diese rechtlichen Feststellungen von vorn herein fehlen
nun ganz in Beziehung auf die Juden, und daher hat man nicht mehr das Recht, sie, da man sie einmal ins Land gelassen hat, ohne Weiteres wieder hinaus zu treiben. Eine Revision der Bürger rechte aber, die sie nach und nach erlangt haben, ist, nach der Einsicht jener vorausgesetzten Schädlichkeit derselben für die eigent
lichen Bürger des Staats, um so zulässiger, da für den Staat, als moralische Person bei fortschreitender Entwickelung einmal die
Zeit nothwendig kommt, wo er anfangen muß, sich ein klares Bewußtsein des ganzen Systems seiner Rechte und Pflichten als solcher auszubilden. Nun kann aber der Bürger dem Bür ger nur in der industriellen und politischen Klasse durch vermehrte Konkurrenz zu industriellen Nahrungszweigen oder zu Stel
len Abbruch thun, als Urproducent aber, der dem Staate ein sonst nicht daseiendes Vermögen verschafft, nimmer. Der schaf fenden Urpoducenten kann es, so lange der Boden für die Thä tigkeit derselben Raum hat, nie zu viel geben, sie können ein Land nur bereichern, nie auszehren, der veredelnden Industriellen
kann es nur so viel geben, als die Konsumtion braucht, und der
verzehrenden Glieder der politischen Klasse nur so viel, als zur
Besetzung aller Stellen derselben nöthig ist.
Ferner ist grade das
Jüdische an den Juden, das Abgeschlossene derselben unter sich und
ihr größeres Zusammenhalten, als unter
den übrigen Bürgern
möglich ist, was ihre Theilnahme an dem industriellen Verkehr
des Staats diesen nachtheilig macht. Wo daher die christlichen Bürger von den Juden beeinträchtigt werden, da hat die Regie rung das Recht, wie die Pflicht dem zu steuem, und zwar da durch, daß sie den Juden nur unter der Bedingung erlaubt im Lande zu bleiben und ihnen Bürgerrechte verleiht, daß sie Ur producenten werden.
Wollen sie das nicht, so bleibt nichts übrig,
als daß sie auswandern, in welchem Falle die Regierungen ge meinschaftlich ihnen Hülfe leisten müßten, ein neues Vaterland
zu finden; denn obgleich der einzelne Staat das Recht hat, den Ankömmling, der seinen eigentlichen Bürgern Abbruch tijut, in
sofern er es thut, abzuweisen, so hat dieser doch als Mensch An
theil an dem Erdboden, und es ist die Pflicht grade desjenigen
Staates, der ihn nicht unter seinen Bürgern dulden darf, ihm zum Besitz eines Bodens, wo und von dem er leben kann, zu
verhelfen.
Wenn die Juden aber durchaus bleiben und der in
dustriellen oder politischen Klasse angehören wollen, so müssen sie das, wodurch sie den übrigen Mitgliedern derselben Abbruch thun,
nämlich das Jüdische ablegen, d. h. Christen werden, nnd durch
Heirathen in christliche Familien den Rest des Jüdischen an sich vernichten.
Wer dann nicht schon Familienvater ist, muß entwe
der auswandem, oder Urproducent oder ein Christ werden.
Der
Familienvater aber, der durchaus nicht seinen Glauben aufgeben
will, darf unter der Bedingung daritt bleiben, daß er darein ein willigt, daß seine Kinder zu Christen erzogen werden, was na türlich dann die Sache des Staats ist. Daß diese Maßregel übri
gens mir der größten Rechtlichkeit ausgeführt und die mindeste Bedrückung aufs strengste geahndet werden müßte, versteht sich
von selbst, und grade diese Rechtlichkeit und Unparteilichkeit würde
die Juden mit dieser Maßregel aussöhnen, und dieselbe als das was sie ist, als ein Gebot ernster Nothwendigkeit, betrachten lassen.
II.
Zur Lehre von Der Vorsehung. Vorerinnerung. Es giebt unstreitig keine Lehre der philosophischen Religionswis
senschaft, die sich so wenig einer wissenschaftlichen Durchfühmng zu erfreuen gehabt hätte, als die von der Vorsehung.
Und doch
ist keine von einem allgemeinern praktischen Interesse als eben sie. Aus diesem Grunde hofft der Verfasser des vorliegenden Versuchs, daß man, — was er als den höchsten Lohn seines Unternehmens
betrachten würde, — ihm denselben nicht übel nehmen, noch sich
an die vielleicht herbe Weltansicht, die seinem Versuch zum Grun de
liegt, stoßen werde.
Denn wenn es
irgendwo nöthig ist,
die Wahrheit rücksichtslos zu suchen, ohne sich um die Folgen und den Widerstreit mit der herrschenden Ansicht weichlich zu be-
kümmem, so ist es grade hier.
Man nehme aber diesen Versuch
für das, was er ist, d. h. nicht etwa für ein Glaubensbekenntniß
des Verfassers, sondem für ein „Problem«," für eine Aufforderung zum allseitigen Eingehen auf die Frage.
Ist übrigens die Auf
stellung der Wahrheit in thesi einmal gelungen, so
kann die
Einigung derselben mit der Dffenbarungswahrheit nicht schwer werden, denn es ist derselbe Gott, der sich in der Vernunft und der sich in seinem Worte offenbart.
1.
Rathschluß.
Die Differenzierung des Ur in Gott und Welt, oder die der Ureinheit (Absolutum) in Ursubjekt und Urobjekt, hatte der Er
scheinung, welche wir Natur, die Differenzierung Gottes, des Ur subjektes, des Urgeistes, in Liebenden und Geliebten, in Vater und Sohn dem Universum Gottbewußter Geister das Dasein gegeben.
Jede dieser beiden Erscheinungen mußte nun ein Gesetz haben.
vermöge dessen sie als Erscheinungen waren, was sie in der Idee
sind.
Das Gesetz für erstere, als die ihrer unbewußte, oder doch
nicht sittliche Welt, ist das Naturgesetz oder der Inbegriff der Ge
setze für die Natur, das für die letztere, als die vernünftige und sittliche Welt, der Nathschluß Got^s.
Daß beide vor Gott Eins
sind, braucht kaum bemerkt zu werden, wohl aber, daß die be
schränkte Spekulation wohl thut, sie auseinander zu halten.
Was
nun das erstere dieser Gesetze betrifft, so ist hier der Ort nicht, dasselbe zu erforschen, ob wir gleich einige Bestimmungen aus
demselben, die sich lediglich auf die Geisterwelt beziehen, für diese
Untersuchung entlehnen müssen, was um so unentbehrlicher ist, da sich ohnehin der Zweck der Natur auf den der Geisterwelt bezieht.
Der Rathschluß Gottes aber zerfallt in einen, wenn wir so sagen dürfen, ursprünglichen und in einen durch den Fall, wenn diese von Gott gedachte Möglichkeit zur Wirklichkeit werden sollte, modificirten.
Jener konnte nur dieser sein: die Intelligenzen über
haupt, oder um uns nur auf die uns bekannte Provinz im Reiche derselben zu beziehen, die Menschen sollten, als selbst geworden, und durch die Selbstheit hindurch, indem sie das Selbstische und Irdische immer mehr aufgäben, zurückkehren in Gott und, als
selbstverbleibend aber mit verschwindender Individualität, oder des sen was den endlichen (erschaffenen) Geist scheidet von Gott, im
mer seliger werden in ihm.
Mit der Selbstheit aber, einem Cen-
ttum neben und außer dem Urcentrum, war zugleich die Mög lichkeit eines Falles gegeben.
Und da bestimmte denn der Rath
schluß Gottes, daß wo eine Geisterwelt durch,den Fall entftemdet würde von Gott und dem Leben in ihm, da sollten die Gefallnen
nimmer ganz getrennt werden von ihm, und er wolle dasFünk-
lein des in jedem zurückgebliebenen Minimums vom Göttlichen in
einigen unter ihnen so weit beleben, daß die Sehnsucht nach einem bestem Sein und die Hoffnung desselben in der Menschheit nie ganz
untergehen würde.
Wenn denn einerseits das Licht einer vor
bereitenden Offenbarung des göttlichm Rathschlusses, das da von Zeit zu Zeit hineinleuchten würde in die Finsterniß, die Sehnsucht
nach Erlösung in der Menschheit erregt und allgemein gemacht,
und sich andrerseits der Verlauf des Abfalls vollendet haben würde, da würde,— ein Factum, welches von dem des Falls das voll kommenste Gegentheil sein, und die einander wie Satz und Ge-
4*
gensatz bedingen würden,— diese Sehnsucht beftiedigt, der Pro
totypus der Geifterwelt, das ewige Wort Fleisch werden und er scheinen in der Endlichkeit, um die Schuld, die bis dahin die
Menschen trennte von Gott, zu vernichten, ihnen ihr Sein in
Gott zu offenbaren und die Rückkehr der Menschheit zu Gott
möglich zu machen.
In dem nun beginnenden Konflikt zwischen
der bisherigen Entwickelung der Menschheit, die Welt genannt, und dem vom Sohne Gottes mitten in der Endlichkeit gegründe
ten Reiche Gottes sollte dieses, durch den Geist Gottes, der
nun die Menschheit durchdringen und den Geist derselben zu einem
göttlichen machen würde, endlich siegen, und die Menschheit sollte,
das Irdische immer mehr aufgebend, eingehen in dasselbe.
Auf
diese Weise würde einst wieder alles werden wie es im Anfang
war, die Geisterwelt wieder bei Gott und Gott Alles in Allem.
Dieser Rathschluß
Gottes kann nun allerdings mit Recht
eine Vorherbestimmung genannt werden.
Sieht man aber auf
die einzelnen Thaten freier Wesen, so paßt der letztere Name nicht,
denn obgleich die sittliche That in Gott gethan ist, so geht sie doch von der Freiheit des Handelnden und nicht von der Nöthigung eines andern Wesens aus, welches ihn dazu bestimmt oder vorher bestimmt Da aber die allerwenigsten Thaten der Gefallenen sittlich
hätte.
sind, so dürfen sie um so weniger vorher bestimmt genannt wer
den, weil Gott dadurch zum Urheber des Bösen in ihnen gemacht würde.
Borhergewußt sind sie aber alle, sie seien nun gut
oder bös, von Demjenigen, der die ganze Reihe von Ursachen und Wirkungen durchschaut und der da weiß, welche Motive bei jedem
die dringendsten sind, und ob einer so beschaffen ist, daß er nach ihnen oder aus Laune ihnen zuwider handeln wird, indem, in die sem Falle, auch jene Laune ihren Grund im Vorhergehenden hat.
—
Zm Gebiete der Freiheit giebt es keine Bestimmung.
Gott
sieht zwar die Thaten des Menschen voraus, aber bestimmt sie nicht, einmal, weil er nichts als das Gute wollen kann, und
dann weil sie, damit ein sittliches Verhältniß zwischen Gott und
Mensch möglich sei, dem Selbst des Letztem entspringen müssen.
Zwar scheint es, als wenn es eine Bestimmung da gäbe, wo die Natur der eine Faktor des Geschehenen ist, z. B. wo der Blitz
den und den, da und da erschlägt; aber dieses scheint nur so lange so, als die Reihe der durch die Willkühr hervorgebrachten
Zustande, die da voranliegt, als nothwendig und alS bereits ge schehen gesetzt wird.
Verändre aber an einem beliebigen Punkte
in dieser Reihe den andern Faktor derselben, die Willkür, und das Resultat am Endpunkte wird gleich ein andres.
Wie aber sich Grundsätze zmn Handeln verhalten, also ver hält sich der Rathschluß Gottes zu seiner Vorsehung. Diese ist
also die Handlungsweise Gottes, nach welcher er verfährt,
indem er die Geisterwelt wieder zurückführt zu sich, und diese Zu
rückführung einer selbstgewordnen und gefallenen Geisterwelt selbst. —
Hieraus schon ist also klar, daß in der Lehre von der Vor-
sehung insbesondre, so wie in der Religion überhaupt, alles geist
lich zu nehmen sei, indem der Zweck derselben ein reingeistiger
ist, und daß alles Leibliche darin eine höchst untergeordnet« Rolle spielt und beinahe alle Bedeutung verliert. 2. Vorsehung.
A. Als Führung. 1. Verschiedene Arten der Führung der Vorsehung. Da das Leben nur Eins ist, und da das, was wir Sterben
nennen, nur einen sehr geringfügigen Abschnitt darin macht, so
ist die Führung des Menschen, worin die Vorsehung eben be steht, Eine, vom Anfang seines individuellen Daseins bis zum End
ziele in der Ewigkeit.
Wir müssen daher diese Führung als einen
Weg betrachten, von dem wir zwar nur den kleinsten Theil über sehen, der sich aber von da, wo er sich unsern Augen entzieht,
bis zu dem uns bekannten Endziele ununterbrochen fortzieht. Die Vorsehung ist keine Rettungsanstalt aus leiblichen 916«
then, sondern Prüfung des Menschen sowohl als Individuum, als auch als Geschlecht, zu Gott: Zeitigung des Göttlichen in
ihm, Erziehung zum wahren Leben.
Nun sind im geistigen Le
ben des Menschen nur diese zwei Zustände denkbar, entweder hat
er sein Sein ans göttliche geknüpft und lebt in Gott, bei aller Schwäche seines Herzens, bei allen Rückfällen nnd aller Unvoll
kommenheit; oder er ist, so viel an ihm ist, gänzlich abgekommen von Gott, und müht sich nun vergeblich ab, ein von ihm unab
hängiges Leben zu begründen.
Mithin muß auch die Führung
und Erziehung der Vorsehung in dem einen Falle anders sein,
als in dem andern.
Bei den Erweckten und Gläubigen erscheint
sie daher als Leitung und Aushülfe, als ein Supplirm dessen, das ihnen bei ihrer unaustilgbaren menschlichen Unvollkommenheit
unmöglich ist, durch ihren Segen.
Denn das Verhältniß zwi
schen Gott und Mensch ist ein wechselseitiges, und so wie nicht
nur die Sonne die Erde anzicht, sondem auch diese verhältnißmäßig die Sonne,
also zieht nicht Gott allein den Menschen zu
sich empor, sondern steigt auch zu ihm, dem ihm Entgegenstrebenden herab.
Wenn der Mensch sich so weit zu Gott erhoben,
als es ihm, nach den Bedingungen seiner Endlichkeit irgend mög
lich ist, so kommt auch Gott ihm bis auf diesen Punkt entgegen.
In jedem Menschen ruht der verborgene Keim des Göttlichen, aber Gottes Vorsehung überläßt es dem durch das Gegebene be dingten Konflikt zwischen dem Einzelnen und dessen Außenwelt,
ob jener Keim auch zum lebendigen Funken werden soll.
Sie
hat nur dasur gesorgt, daß dergleichen Konflikte überall statt fin den, und daß durch dieselben jener Keim zum Funken werden könne, ob übrigens in diesem Leben oder in jenem ist ihr im Gan zen einerlei.
Genug wenn er nur fürs Erste hie und da geweckt
wird und die Menschheit dadurch, wenn auch um ein weniges, weiter kommt, und wenn von Seiten der Vorsehung dafür ge sorgt worden, daß einst, bei größerer Entwickelung der Mensch
heit diese Wirkung endlich durchaus bei jedem statt finden muß, und, bei noch weiterer, daß sie durchaus bei keinem vergeblich
sein wird.
Daß diese Wirkung ursprünglich nicht bei jedem mög
lich ist, oder, was dasselbe ist, beinahe nothwendig spurlos an ihm vorübergehen muß, z. B. die Wirkung durch Krankheit bei einem Wilden, ist eine nothwendige Folge von dem Entwickelungs grad desjenigen Ganzen, zu welchem der Einzelne gehört.
Frei
lich wird einem solchen, wenn er dieses Erdenleben verläßt, die
Seligkeit fürs Erste nicht zu Theil, indem sie ihm fürs Erste gar nicht möglich ist, denn ihm ist das Leben in Gott gar nicht aufgegangen, in welchem allein Seligkeit denkbar ist. Da aber der Mensch nach dem Tode anfängt, wo er hier aufgehört hat,
und von diesem Punkte aus, vermöge des ewigen Gesetzes des
Lebens unaufhörlich fortschreiten muß, so kommt er doch einmal zu dem Punkt hin, wo ihm jene Weckung wird und sein Leben
Gott entgegenzustreben anfängt.
Hier hat er also, da die paar
Jahre des Erdenlebens in der Rechnung der Ewigkeit ganz verschwin den, gegen denjenigen nichts verloren, dem jene Weckung schon hienieden ward; es sei denn, daß er, eben in dieser Vorausse
tzung, dieselbe vorsätzlich unbeachtet lassen würde, welche Sünde nothwendig ihre Strafe mit sich führen würde.
Ist nun aber durch jenen Konflikt der Keim des Göttlichen
bei jemanden zum Funken geweckt, so hangt es noch von der Freiheit dessen, bei dem dieses geschah, ab, ob er ihn auch auffassen und nähren will in seinem Gemüth oder nicht. Wir sehen so viele Menschen, bei denen dieser Funke sogleich aus Mangel an Pflege
erlischt, um daß diese Thatsache zu läugnen wäre.
Hier besteht
nun die Vorsehung darinn, daß sie den Menschen so geschaffen und dafür gesorgt, daß in dem Menschen immer des Göttlichen
so viel zurückgeblieben ist, daß es in jedem aufleben kann, daß es in so vielen als zum Fortschritt des Ganzen nöthig ist, fortleben muß, und daß, bei größerer-Entwickelung des Ganzen, die Zeit kommen muß, wo es in Keinem mehr erlöschen kann.
Von den
jenigen aber, bei denen dieser Funke des Göttlichen wieder latent
wird, gilt dasselbe, was oben von denjenigen gesagt worden, in welchen der Keim des Göttlichen gar nicht belebt wird, und was dabei von Schuld unterlaufen mag, wird wohl vor dem Ewigen
keine andre Strafe finden, als daß jener noch eine Sttecke wei ter im Dunkeln wandeln muß, ehe er an das Licht gelangt. — Diese nun, in welchen das Feuer des Götttichen brennt, und bie.
desselben pflegen wollen, deren Sinn also aufs Göttliche gerich. tet ist, macht die Vorsehung zu Werkzeugen, um ihre Mensch
heit weiter zu fördern, und bei ihnen besteht sie darin, daß sie es
also eingerichtet hat, daß dieses nun lebendig gcwordne Göttliche das irdische Princip in (Fleisch) und außer ihnen (Welt) bis zum nöthigen Grade überwinden kann und muß.
Je weiter nun die
Menschheit kommt, je mehr was Gottes ist, die Welt überwindet, und sein Wille obsiegt, desto mehr und desto vollkommner wird
jeder Einzelne zum Organ dieses göttlichen Willens.
Da also, wie wir gesehen haben, der Mensck selbst den Fun ken des Göttlichen in seiner Brust pflegen und selbst sein Leben
aufs Götttiche beziehen muß: so kann allerdings gesagt werden,
es gäbe für den Menschen nur in sofern eine Vorsehung als er
eine glaubt.
Denn dieses heißt mit andern Worten nichts anders
als: die Gläubigen seien der vorzügliche Gegenstand der Vorse hung.
Dem Gläubigen kommt nämlich alles von Gott, indem
er es zum Beförderungsmittel
in ihm braucht.
seines Lebens
Selbst das Uebel wird ihm zum Weckungs- oder Korrektions
mittel, und welche Modifikation sein Leben auch vom Gegebenen, dem durch den Gang der Natur und der Geschichte Nothwendi
gen, erhalte, so ist ihm jede eine Stufe zum höhem Leben.
Je
näher Gott, je göttlicher der Mensch, desto fester auch sein Vor sehungsglaube, d. h. die Ueberzeugung, daß alles in der Geschichte Bezug auf unser Leben in Gott habe, und daß alles lediglich Daher auch Jesu fester Glaube
darauf bezogen werden müsse.
daran.
Für ihn hatte alles, was geschieht nur insofern Sinn und
Bedeutung und Werth, als der Mensch ihm diese Beziehung giebt. Eben so kann man auch sagen, daß es für den Unerwachten, Ir
dischen und Gott-losen keine Vorsehung gebe, indem jener Kon flikt den Funken des Göttlichen bei ihm nur selten erweckt, und er, wo dieses geschieht, ihn nicht pflegt, und indem die Vorsehung
bei ihren liberalen Regienmgsgrundsätzen den Einzelnen, als sol chen, selten zwingt das Höhere zu ergreifen.
Zuweilen geschieht dieses wohl, uud zwar damit der Geschichte der Beweis für das Uebergreifende in dem Willen Gottes gegen den des Einzelnen nicht fehle.
Das Göttliche ist hier ein Stachel
dessen der nur Irdisches wollende Mensch gar nicht los werden, den er gar nicht abstumpfen, und dessen Schmerz er gar nicht entfliehen noch übertäuben kann. Ungleich öfter überläßt aber die
Vorsehung den Irdischen, nachdem sie ihre Mahnung an ihn hat
gelangen lassen, wieder sich selbst.
Denn die Freiheit soll der Vor
sehung da entgegen kommen wo diese ihr entgegen kommt.
Ge
schieht es nicht, diesseit des Grabes, nun so wird es einst jenseit desselben nothwendig geschehen.
sehung.
In dieser Nothwendigkeit ist Vor
Uebrigens ist das Sterben und sich begraben lassen et
was so Gleichgültiges und Geringfügiges, daß es ihr ziemlich gleichgültig ist, ob die Wirkung bei dem Einzelnen, wohl zu mer ken als solchem, diesseits oder jenseits fruchtet.
Dabei bleibt es
aber immer ein ungeheurer Frevel von diesem wenn er einer sol chen Weckung vorsätzlich widersteht, (die Sünde wider den heiligen Geist), und er darf es gar nicht für einerlei halten, ob er es schon
in diesem Leben zum Leben bringt oder nicht.
Es ist wahrschein-
lich nichts geringes ob man Ein Leben früher oder spater zum wahren Leben kommt.
2. Beschaffenheit dieser Führung. Aus dem Obigen ist es klar, daß die Vorsehung zu dieser Führung des Einzelnen keines Wunders, d. h. einer besondern Modifikation des Ganges der Natur nach einem gegenwärtigen
besondern Zweck, und eben so wenig einer übematürlichen Einwir kung auf den Geist des Menschen bedarf, um Entschlüsse und Ge
danken in ihm hervorzubringen, auf die er nicht schon durch das Gegebene gekommen wäre; sondern sie führt den Einzelnen zum
Wirken für ihre Absichten lediglich durch das Walten des Göttli
chen im Menschen und durch die wechselseitige Reaction zwischen
diesem und dem Gegebenen.
Daß Gott den Menschen also ge
schaffen, daß das Irdische ihm nicht genügen kann, und daß er,
von diesem unbefriedigt, nach einem hohem Gegenstände seiner Sehnsucht tappt; daß der Stachel des Göttlichen in seiner Brust
ihm keine Ruhe läßt, sondern ihn treibt, den irdischen Genuß auf zugeben, und dem Sterne seiner Sehnsucht nachzuziehen; daß er, wo sein Stteben rein irdisch ist, überall in Kollisionen gerathen
und anrennen muß, und daß die sinnliche Lust, sobald er sie er hascht hat, unter seinen Händen verschwindet, — darin ist Vor sehung, und dadurch zeigt sie daß ihr Plan nur auf die Errei chung geistiger Zwecke berechnet ist. Nichts hat die Lehre der Vorsehung so verdunkelt, als die
menschliche Selbstsucht, indem jeder, an den eine Mahnung der Vorsehung gelangt ist, sich als den Gegenstand einer ganz besondern Fürsorge derselben und als ein ganz besondres Werkzeug in ihrer
Hand bettachet. Weiter kann die Selbstsucht wohl nicht gehen, als wenn einer sich für einen so vorzüglichen Menschen betrachtet, daß Gott sich besonders mit der Lenkung seiner Schicksale beschäf
tigen oder ihn zur Herbeiführung großer Zwecke unter Tausen Vor Gott sind wir alle gleich und in die Brust eines jeden hat er den Keim des Göttlichen geschenkt. den ausgesucht haben muß!
Hat er dessen dem einen mehr dem andem weniger gegeben, so
geschah dieses wahrlich nicht aus Vorliebe gegen den Begünstig ten, sondem um einem allgemeinen Gesetze in seinem Universum zu genügen, welches, der Einförmigkeit abhold, sich in der größ-
ten Mannichfaltigkeit
gefallt.
Der Vorsehung konnte es z. B.
nicht anders als gleichgültig sein ob es grade dieses Individuum, als
solches, oder ein anderes war, das den Zweck derselben, die Israe liten aus dem Lande der Prüfung herauszuführen, vollbringen
sollte.
Sie hatte, nach jenem Gesetze der Mannichfaltigkeit einen
so reichen Keim des Göttlichen in die Brust mehr als eines Isra eliten gesenkt, daß sie gewiß war, daß dieser in irgend einem,
und zwar in dem dazu Passendsten, er heiße übrigens so oder an
ders, sich entwickeln und daß er durch die Reaktion mit dem Ge gebenen, so weit erstarken mußte, daß der Zweck der Vorsehung
erreicht werde.
Und so wie jetzt hier, so muß dieses überall vor
handene Göttliche zu allen Zeiten und unter allen Völkern, hier freilich mehr, dort weniger, hier in einem höher», dort in einem
geringern Grade zum Vorschein kommen.
Derjenige aber nur,
der den Ruf beachtet, den die Vorsehung an mehrere zugleich er gehen läßt und den lebendig gewordenen Funken in seinem Jn-
nem pflegt, der ist nur derjenige, den die Vorsehung zum Mittel zur Erreichung ihres Planes gebraucht.
Zwar kann demjenigen der
es thut, daraus durchaus kein Verdienst vor Gott erwachsen, denn er
thut nur etwas was er nicht lassen kann; und daß er das Gute wollen kann, daß er sich ihm ganz hingebcn muß, ist eine Gabe dessen, von
dem er alles empfangen hat, was er hat; indessen ist doch diese Auf merksamkeit auf die Regungen des Göttlichen, diese Liebe zu demselben, diese Ergebung seines ganzen Wesens an dasselbe, auf dem Bo
den seines Selbst erwachsen, und weil hier sein Wille mit dem
Göttlichen zusammengefallen ist, hat das Göttliche auch Leben ge wonnen in ihm, und ist er gewürdigt worden, Werkzeug der Vor sehung zu werden, es sei nun blos um sein eignes Heil zu schaf
fen, was freilich niemand thun kann, ohne sich zu bekümmern, ob auch andre selig werden, — oder um vorzüglich auf andre zu
wirken, daß sie es thun.
3. Unverrückbarkcit des Gange» der Vorsehung in der Führung der Menschheit zum bestimmten Ziele. Wenn nun aber gleich die Vorsehung die Willkür des Ein zelnen, und, um
der Freiheit (?) Entzückende Erscheinung nicht zu stören, — des Uebels grauenvolles Heer In seinem Weltall lieber toben läßt, so führt sie doch, — und darin grade offenbart sie sich am erha bensten, — das Ganze zu dem Ziele nothwendig hin, welches
sie, als Rathschluß ihm gesetzt hat, ohne daß die Willkür, die Thorheit, die Verkehrtheit und Bosheit der Einzelnen diesen Weg verrücken könnten. Aber eben so wenig als die Freiheit dieses
kann, eben so wenig kann sie auch den Fortschritt der Mensch heit zu diesem Ziele verzögern oder beschleunigen. Denn wer hier nicht fördernd wirkt, der ist eine Kraft, auf welche die Vorsehung ohnehin nicht gerechnet hat; wer aber gar hemmend wirkt, auf dessen direkte Mitwirkung für ihre Zwecke hat die Vorsehung eben falls nicht gerechnet. Er dient vielmehr dazu um das Böse sei
ner Entwickelung und Vollendung entgegen zu führen.
Dadurch
wirkt er aber mittelbar und wider Willen für bu Sache des Gu
ten, denn das Böse und Verkehrte wird nur dadurch im Dasein erhalten, daß es ein Minimum vom Guten tragt. In dem Grade aber als das Böse sich entwickelt und vollendet, wird es
von diesem Trager evakuirt und wird eben durch seine Vollendung vernichtet. — Wer wieder fördernd für die Zwecke der Vorse hung wirkt, der ist schon dadurch der Sphäre der Willkür entrückt, wo er das Gute thun kann und auch nicht.
Er gehört einer hö-
hern Nothwendigkeit an, wie denn alles Göttliche überhaupt das
Gepräge der Nothwendigkeit trägt, und er kann nur das Gute thun, und dessen so viel thun, als seine Kräfte irgend gestatten.
Mithin ist sein ganzes Wirken von der Vorsehung im Voraus gleichsam in Beschlag genommen und sie hat darauf gerechnet, und so weit es ihm auch gelingen mag den Plan der Vorsehung weiter zu fördern so hat sie doch auf alles was er je leisten kann
und leisten wird gerechnet. Daß die Menschheit das vom göttlichen Rathschluß bestimmte Ziel erreiche, bewirkt nun die Vorsehung durch die überwiegende Kraft des göttlichen Princips in der Menschheit. Fiele auch der Mensch, — denn das Böse gehört ins Reich des Zufälligen, nur das Gute ist durchaus nothwendig, — so würde doch des Gött lichen so viel im Menschen zurückbleiben, daß er die Bahn, die
er nun durchlaufen müßte, würde vollenden können;
und wenn
dieses geschehen wäre, würde sie, durch die Anknüpfung.eines hin
zugekommenen Göttlichen an dieses zurückgebliebene Minimum vom Göttlichen, ihm einen Schwung und diesem Schwünge eine Rich tung geben, die ihn zum bestimmten Ziele nothwendig führen würde.
Wer den Menschen schuf, der konnte auch die Sphäre aller mög
lichen Aberrationen der Willkür berechnen, und des Göttlichen so viel in ihn legen, daß dieses das Maximum jener Aberrationen über
winden müßte.
Die Geschichte ist die Kette einer Proportion in
welcher jedes Glied ein Produkt ist, von dem die Naturnothwen digkeit der eine und die Willkür der andre Faktor ist.
Jener er
stere Faktor ist eine durchaus bestimmbare Größe, und sobald der
andre mit ihm in Verbindung getreten, die Willkür zur That ge
worden ist, so ist auch das jedesmalige Produkt, das Gegebene, bestimmt, und auf diese Weise ist der eine Faktor dessen was ge schehen soll, von dem was geschehen ist und geschieht, immer be
stimmt.
Wer nun aber diese Progression kennt, welche den einen
Faktor der Geschichte
ausmacht, und alle möglichen Ausdrücke
des andern Faktors, der Willkür, der kann auch das Endprodukt kennen, und bestimmen, welches es sein wird.
Hierzu kommt noch
daß die wahre Freiheit Nothwendigkeit ist, und daß der Mensch, sobald er frei wird von den hemmenden Einflüssen der Selbstheit
und des Irdischen, nicht umhin kann grade das zu wollen was Gott will, und daß also die Willkür das: das Gute wollen und auch nicht wollen können, ein Faktor ist, der in der Geschichte
immer abnehmen und zuletzt ganz verschwinden muß, wodurch
es denn der Vorsehung um desto eher möglich wird die Mensch
heit, der Willkür zu Trotz, zu dem von ihr im Voraus bestimm ten Ziele zu führen. —
Auf diese Weise ist in der Führung der
Menschheit durch die Vorsehung zu dem ihr von derselben bestimm
ten Ziele durchaus nichts Wunderbares, d. h. keine Willkür bei
Gott, die den geregelten Gang der Natur zuweilen aufhöbe und dem Menschen Entschlüsse und Thaten einflößte, zu welchen er nicht nach dem schon Gegebenen ohne Weiteres kommen würde.
B. Als Fürsorge und Schutz.
1. Leiblich. Die Vorsehung hat die Natur so eingerichtet, daß er in einer natürlichen Ordnung, d. h. sofern er dem göttlichen Willen ge
mäß lebt, alles findet, was er zur Erhaltung seines irdischen Le bens, ja sogar zur Verschönerung desselben braucht.
Dadurch aber
daß die Vorsehung alles in der Matur bei dem ihm einmal ertheil ten Gange erhält, findet der Mensch immer und sicher was er
leiblich braucht, und weiß immer worauf er bei ihr zu rechnen und
wessen er sich zu ihr zu versehen hat.
Da aber die Vorsehung
der Natur freie Wesen gegenüber stellte, so mußte sie auch, selbst
wenn die Menschen noch so Vernunft- und naturgemäß lebten, auf
mögliche Kollisionen rechnen.
Und daher wurde der menschliche
Körper und die äußere Natur so eingerichtet, und mit so reichen Wiederherstellungskräften versehen, daß diese Störungen wieder möglichst ins Gleis gebracht werden, und der Mensch in den Stand
gesetzt sehr viel zu ertragen, eher als sein körperliches Leben auf gerieben und er mithin außer Stand gesetzt würde, den höher»
Zweck seines Erdendaseins zu erreichen. —
Aber nicht allein hie
rin offenbart sich die Fürsorge der Vorsehung für den Menschen im Leiblichen, sondem auch vorzüglich darin, daß sie, durch das Ueberwiegende des in ihm gelegten göttlichen Princips, ihn treibt die Natur zu erforschen und einen Zustand, (Staat) zu begrün
den, in welchem er die Natur sich immer mehr Unterthan macht, die Kollisionen mit ihr immer mehr vermeidet und möglichst un schädlich macht.
Endlich aber thut sich die Fürsorge der Vorse
hung im Leiblichen darin kund, daß alles im Menschen darauf eingerichtet ist, ihn dahin zu bringen, daß dieses Leibliche nicht die Hauptsache seines Strebens werde.
Alles zeigt ihm das Ungenü
gende des irdischen Genusses, und predigt ihm, daß er nur inso fern Frieden haben könne, als er seinen Sinn vom Irdischen ab
zieht, dieses als eine wenn auch ganz angenehme Nebensache, aber
doch nur als solche betrachtet, seine eigentliche Liebe aber dem Geist lichen und Göttlichen zuwendet und dieses zur Hauptsache seines
Strebens macht.
Je mehr er nun diesem Triebe folgt, desto
mehr ist er vor allem Verderblichen in der Natur geschützt, denn
desto weiser und besonnener ist er, desto weniger verlangt er von
ihr, und desto leichter tröstet er sich, durch den reichen Ersatz den ihm dasjenige bietet, in dem sein eigentliches Leben ist, wenn selbst seine verschiednen Forderungen an sie nicht ganz befriedigt werden
sollten.
2. Geistlich. Aus dem bereits Gesagten geht schon hervor, daß Gott vor züglich geistlich für den Menschen sorgt und ihn beschützt. Sie sorgt dafür, daß er aus dem Schlummer erwacht, in welchen
ihn das Erdenleben versetzt hat, daß er, unbefriedigt von dem was dieses ihm bietet, seine Liebe ^inem überirdischen Gegenstand zuwendet, und reift ihn durch diese Sehnsucht, er mag nun jenen
Gegenstand finden oder nicht, für ein höheres Sein. Diese Sehn
sucht treibt ihn auch einen reingeistlichen Verein, die Kirche, zu
bilden, in welchem er für sein geistliches Heil sorgt, so wie in dem
Staate für sein Leibliches.
Vorzüglich zeigt sich aber diese Sorge
der Vorsehung für sein geistliches Heil darin, daß sie ihn so ein
gerichtet, daß jener Funke des Göttlichen, ist er nur einmal recht erwacht, in ihm nie mehr ganz erlöschen kann.
Mag auch die
Flamme desselben nie durchbrechen in Thaten, ja mag der Mensch
gequält von dem Stachel derselben, und doch zu schwach um dem Zuge zu folgen, wohin es ihn treibt, sich aus Verzweifelung desto
tiefer in die Genüsse und Zerstreuungen der Erde versenken, das
Feuer des Göttlichen glimmt doch desto heißer unter dieser Decke fort und zeitigt unter Kampf und Fall und Reue, das Gemüth, das von ihm entglüht ist, für ein höheres Leben.
Aber die Vor
sehung schützt auch wirklich den Menschen in den Kämpfen sei nes geistlichen Lebens.
Der Mensch ist nämlich von ihr so einge
richtet, das er durchaus jede Versuchung überwinden kann, wenn er nur ernstlich will, und sich im Kampfe an Gott hält, und nie
mand unterliegt ihr, der sich nicht hemach gestehen müßte, daß
er freiwillig den Kampf aufgegeben und sich freiwillig entschlossen nicht weiter wider die Versuchung zu kämpfen. Freilich ist es nicht der Mensch auf eigne Hand, auf seine eigne Kräfte sich ver
lassend und von Gott getrennt, dem dieser Kampf gelingt und den Gott in demselben schützt, sondern insofern er sich an ihn
hält, unter seinem Schutze kämpft und durch den Hinblick auf
ihn sich neue Kräfte holt.
Mit Gott ist er unüberwindlich und
nur von ihm sich wendend fallt er. Allein, da er einmal selbst ge worden ist, so hat auch die Vorsehung die Möglichkeit, daß der Mensch sich im Kampfe auf sich selbst und nicht auf Gott ver laßt, berechnet und ihn so eingerichtet, daß selbst sein Unterliegen im Kampfe ein wirksames Beförderungsmittel seines höhern Lebens
werde. Der Gefallne lernt sich selbst besser kennen, wird des Kam pfes kundiger, und der Stachel der Reue und der Selbstbeschamung erhöht seine Kräfte beim nächsten Kampfe. — Endlich
offenbart sich die Fürsorge der Vorsehung für das geistliche Heil des Menschen darin, daß sie ihn, den Einzelnen, mit dem Gan zen dem diesem bestimmten Ziele entgegenführt.
Als Einzelner
nämlich, ist der Mensch ganz seiner eigenen Willkühr überlassen, als Theil dieses Ganzen aber wird er mit ihm fortgezogen, und kommt mit ihm dem Ziele immer näher, welches der Rathschluß Gottes ihm gesetzt hat.
3. Die Vorsehung hilft aber dem Menschen nur in sofern als er selbst will, daß ihm geholfen werde. a. Nach der gemeinen Ansicht von der Vorsehung wird Gott dem Einzelnen, er möge es noch so verkehrt machen, immer irr
der Noth helfen.
Dem ist aber nicht also.
Der Rathschluß Got
tes hat einen gewissen Entwickelungsgang der Menschheit bestimmt
und ihr Anweisung gegeben, wie sie ihn verfolgen soll.
In sofern
sie nun dieses thut, in sofern Gottes guter Wille geschieht, wird dem Einzelnen durch das Ganze geholfen.
In sofern aber an
statt dessen der Menschen böser Wille geschieht, führt die Vorse-
hung zwar auf einem andem längern Wege das Ganze zum
Ziele, aber der Einzelne geht häufig leiblich oder geistlich unter, und erst jenseit des Grabes fängt er an dem ihm gesetzten Ziele
entgegenzustreben.
Braucht diese Verspätung um einige Jahre
in der Rechnung der Ewigkeit eine Ausgleichung, oder ist einer
hier durchaus ohne seine Schuld und nur durch andre unglücklich
gewesen, so hat der Allmächtige Mittel und Wege genug, diese Kleinigkeit in jenem Leben zu berichtigen.
Wir werden aber,
wenn erst der Schleier fällt, eine solche Vergeltung kaum mehr begehren, indem wir dann einsehen werden, wie wenig dieser Still stand von wenigen Jahren in der Unendlichkeit der Ewigkeit be
deutet, und daß ohnehin jedes Leiden ein Mittel mehr war um
64 uns zum höhem Leben zu erziehen.
Haben wir es richtig benutzt,
so haben wir uns gar nicht, haben wir es aber nicht gethan, so haben wir uns nur über uns selbst zu beklagen.
b. Dieser Schutz und diese Fürsorge der Vorsehung ist nicht unbedingt, weder in leiblicher Hinsicht, Will also der Mensch die Mittel zur Erhaltung seines irdi--
schen Lebens nicht kennen lernen und gehörig gebrauchen, welche
die Vorsehung in seine Vernunft und in die Natur gelegt, so wird
sie keine Wunder thun, um ihm da zu helfen, wo er sich selbst nicht helfen will. Die Vorsehung läßt ihn dann zu Grunde ge hen, indem sie dabei die große Lehre predigt, der Mensch
soll
leben, wie sie haben will daß er lebe, wenn er auf ihre Hülfe
rechnen will; und es ist eine ungeheure Selbstsucht vom Einzelnen, wenn er sich als den auserwählten Liebling Gottes betrachtet und verlangt, Gott solle ihn da leiblich schützen, wo er sieht wie Tau
sende um ihn herum zu Grunde gehn, — weil nicht Gottes gu ter sondem der Menschen böser Wille geschieht.
In sofern bet
Einzelne nicht nach dem Willen Gottes lebt, ist er kein organi
sches Glied des Ganzen, wodurch dieses weiter entwickelt und ge fördert wird, sein Erdendasein ist also ohne Bedeutung für das
Ganze, und es ist also gleichgültig ob er einige Jahre früher oder
später in ein andres Leben versetzt wird, wo bei ihm diejenigen Hindernisse wegfallen werden, die ihn hier verhinderten den Wil
len Gottes zu thun.
Ueberhaupt machen wir aber viel zu viel
Aufhebens von unserm irdischen Leben, als wenn dieser kleine Theil
das Ganze wäre.
Denn gleichwie Christus als Mensch unter
ging und untergehen mußte, und nur durch dm Tod in seine Herrlichkeit eingehen konnte, so ist auch das Irdische an uns einer beständigen Reibung ausgesetzt, bis es endlich gänzlich aufgerieben wird; und die einzige Aufgabe unsers Lebens hienieden ist, daß
wir davon für unser eigentliches Selbst Nutzen ziehen sollen.
Nur
in sofern ols wir diese Aufgabe aufgefaßt haben, und dahin stre
ben, daß der Wille Gottes von uns und an uns geschehe, und wir, so viel an uns ist, auch das Ganze dahin zu bringen suchen,
hat unser Erdenleben einen Werth vor Gott, und dann wird seine
Vorsehung schon dafür sorgen, daß wir, als ihre Werkzeuge, die sen Zweck so weit erreichen, als nöthig ist.
Der Mensch hat sich bei dem verkehrten Gange der Kultur
ins Irdische so tief hineingelebt, daß die halbe Welt beitragen muß seine erkünstelten Bedürfnisse zu befriedigen.
Was gehen sie aber
Gott an, der weder ihre Befriedigung zum Zweck meines Erden
lebens noch zum Mittel um diesen Zweck zu erreichen, gemacht
hat? Brauch' ich sie,
oder vermeine ich in meiner Verkehrtheit
sie zu brauchen, so mag ich auf eigne Hand, so geschickt oder ungeschickt als ich kann, und mit oder ohne Erfolg mit den irdi schen Mächten darum kämpfen. Nur darf ich, wenn,sie mir ihre
Gaben wieder zurückfordern, oder sonst ihre Tücke fühlen lassen, die Vorsehung nicht drein mischen.
Sie hat damit nichts zu thun.
Bin ich aber einmal in Gefahr zu verhungern, zu verbrennen
oder sonst zu verderben, dann
mag meine Seele zu der Vorse
hung um Rettung schreien, dann kann ichs doch ohne Erröthett thun.
Aber freilich ist selbst hier eine höhere Stufe des geistigen
Lebens denkbar, wenn ich nämlich, ohne selbst hier von der Vor sehung etwas zu verlangen, mich in ihren Willen, d. h. in ihren
nothwendigen Gang ergebe, nur daran denke, wie ich diese Prü fung zur Läuterung meiner Seele gebrauche und überzeugt bin, daß ich, sobald der Kampf ausgekämpft worden ist, von dem
Punkte, auf dem ich hier stehen bleibe, jenseits fortschreiten werde. Da daher die irdischen Güter des Lebens dem Menschen in
Beziehung auf sein höheres wahres Heil völlig indifferent sind,
indem er eben so gut durch die Entbehrung als durch den Genuß derselben, zum höhern Leben gezeitigt werden kann: so ist der Mensch
hienieden den irdischen Mächten, dem Zufall, dem Schicksal und dem Glück anheim gegeben und sie mögen, sofern die Menschen
das Reich Gottes noch nicht dargestellt haben auf Erden, in wel
chem jene alle Bedeutung und alle Gewalt verlieren, mit ihrem irdischen Leben schalten, wie sie wollen.
Die Vorsehung mischt
sich nur insofern darein, daß sie alles was dem Menschen begeg
net, zu einem Erregungs- und Erziehungsmittel für sein höheres Leben werden läßt.
Daher soll der Mensch das Glück als etwas
annehmen, was zwar nur mittelbar, aber doch von Gott kommt,
der ein Vater seiner Geschöpfe ist, und der sich, menschlich zu re den, freut, wenn seine Kinder gutartig und unverdorben genug sind, um daß er, ohne nöthig zu haben, härtere Mittel zu gebrau
chen, sie durch das Glück für das höhere Leben erziehen kann.
5
Eben so mittelbar kommt auch das Unglück von Gott.
Zunächst
kommt es nämlich von den irdischen Mächten, aber durch die Vor sehung bekommt es eine Beziehung auf unser geistliches Leben,
um es nämlich zu wecken und zu steigern; und wenn die Vor sehung sich dieses ernsten Mittels zu unsrer Erziehung bedient,
so ist das ein sichres Zeichen, daß wir durch kein gelinderes zu erziehen oder so weit als durch dieses energische zu bringen waren, c. noch
sogar in geistlichen.
Daß Gott nicht einmal geistlich jeden Einzelnen unbedingt schütze, beweißt schon die Erfahrung, daß, wie annoch die Lage
der Menschheit auf Erden ist, die wenigsten in diesem Erdenda sein zum höhern, wahren Leben erwachen; daß selbst mitten in
der Christenheit so unzählige verwahrlost und verführt werden und verstockt sterben.
Die Ursache hievon liegt theils in dem Ganzen,
das sich entweder gar nicht, oder doch nur sehr unvollkommen so organisirt hat, als es sich nach dem Rathschlusse Gottes hätte orgamsiren müssen, und daher den Einzelnen in der Errei
chung seines Zieles entweder direkt hindert, oder ihn doch nicht, so viel an ihm ist, zu diesem Ziele führt; theils aber im Einzel
nen selbst, der hinter dem Fortschritt des -Ganzen und ihn sich nicht so weit aneignet als er es könnte.
Folglich theilen sich auch
das Ganze und der Einzelne in die Schuld und das Verderben des letztem.
Die Vorsehung hat aber die Möglichkeit dieser Ver-
kehrcheit zugelassen, weil dieses, daß der Einzelne hier entweder
keinen Schritt seinem Ziele entgegen thut oder gar geistlich zu Grunde geht, für diesen nur ein vorübergehendes Uebel ist, denn im erstem Falle kann jenseit des Grabes geschehen, was hier nichtgeschah, und im letztem mag auch das Leben jenseits, eben so
gut wie dieses hienieden Läuterungsmittel genug für die Makel habm, welche die Seele sich hier zugezogen.
Was wieder das
Ganze betrifft, so ist dieser vorsehungswidrige Zustand in welchem
dieses durch die Schuld der Einzelnen von seinem Forsschritt um ein Weniges zurückgehalten wird, gleichfalls nur ein vorübergehen
der; indem, wie schon angedeutet worden, und später ausführli cher auseinander gesetzt werden soll, das Ganze doch endlich das
ihm von der Vorsehung gesetzte Ziel erreichen muß. Da endlich die Rückkehr der Menschheit zu Gott ein sittli-
67 ches Verhältniß zwischen ihr und Gott voraussetzte, indem goft
aus Liebe zu ihr, als dem Abglanz seines Seins, sie zurückzuziehen
trachtet in sich, um sie zu beseligen, und das Geschöpf daher, um diese Liebe zu erwiedern, jenem Zuge folgen muß, so mußte diese
Rückkehr zu Gott, vom Gesichtspunkt des Individuums aus, ein
durchaus freies sein, d. h. er sollte dazu nicht blindlings getrie
ben werden, sondern es frei wollen.
Wo aber bei beschränkten
Wesen, wie der Mensch ist, die Freiheit gesetzt ist, da ist auch die Willkür gesetzt, d. h. die Möglichkeit, daß er, wegen seiner
Beschränktheit und Selbstheit das Rechte auch nicht wählt.
Da
her konnte die Vorsehung, sofern sie sich nicht selbst widersprechen
sollte, nicht umhin die Möglichkeit zuzugeben, daß sich der Mensch auch der Bestimmung des göttlichen Rathschluffes widersetze und —
für dieses Erdenleben möglicherweise auch geistig zu Grunde gehe. Wie wenig aber der Einzelne wie das Ganze dadurch verliere, ist
aus dem Obigen klar.
Muß doch, um dieses Beispiel aus einer
niedern Sphäre zu verdeutlichen, der irdische Vater, wenn er nicht
seinem Zwecke als Erzieher entgegen arbeiten will, seinen Sohn, noch eher als dessen Charakter sich vollkommen ausgebildet hat, sich selbst überlassen und es ihm frei stellen, ob er den vorgezeich
neten Weg gehen oder, ihn verlassend, anrennen wolle.
Je besser
seine Erziehung war, desto sichrer kann er fein, daß der Sohn endlich einmal von seinen Verirrungen und auf den rechten Weg
zurückkehren werde.
Und doch wagt der irdische Vater, daß der
Sohn in den Jahren des Taumels die Gesundheit des Geistes
und des Körpers einbüße, während der Zögling des Erziehers
der Menschheit, der Mensch, in ewiger Jugend und Frische ver bleibt, und während dieser göttliche Erzieher für jeden vom Er
denleben erkrankten Einzelnen ein Heilbad, das Grab, bereitet hat, dem dieser genesen entsteigt, um dem fernem Ziele mit neuen Kräf
ten entgegen zu pilgern.
C. Mögliche höhere Potenz des Wirkens der Vorsehung. Ist es, wie kaum zu läugnen, gegründet, daß die Religion auch
ihr poetisches Element habe, so muß auch die Lehre von der Vor sehung, als von der Führung des Menschen, neben der herben
Prosa, in welcher wir sie bis jetzt vorgetragen haben, nothwendig auch ihr poetisches Element haben, d. h. etwas, was für den Men-
5»
schm in einer gesteigerten, dichterischen Stimmung wahr ist, ohne daß es jedoch, wie es scheint, der kühlen Vernunft gelänge, diese
Ansicht auf eine ihr völlig genügende Weise zu begründen.
So
ist vor der Vernunft und alles Ernstes wahr, wenn wir sagen,
dieses irdische Wohl oder Weh, das mich ebm betroffen, sei von der Vorsehung darauf berechnet, um mich zum hohem Leben auf
zuregen; aber es ist nur poetisch wahr, wenn ich ein Mißgeschick, das mich, nach dem bestimmten Gang des Gegebenen, in dem Augenblicke wo ich gesündigt, trifft, als eine Strafe für meine
Sünde betrachte, indem derselbe Gang des Gegebenen, ein ander mal ein solches schmerzliches Ereigniß auch nicht herbeiführen könnte; — oder wenn ich der Vorsehung für eine Hülfe, die mir, wo ich
in Lebensgefahr schwebte, nach dem Gange des Gegebenen wird, als für eine mir von ihr eigens gesandte Hülfe kindlich danke.
Soll aber eine solche Ansicht, die wir als die poetische bezeichnen, mehr als Schwärmerei und Aberglaube sein, so muß von der Ver
nunft wenigstens die Möglichkeit, daß die Vorsehung so handeln könne, wie ich in jener gesteigerten Stimmung mir denke, wenn
auch nicht die Nothwendigkeit, daß sie so handeln müsse, nachge wiesen werden können.
Gelingt dieses, so kaim derjenige, dem
jene bis jetzt entwickelte herbe prosaischere Ansicht der Vernunft nicht genügt, sich an diese halten, ohne zu befürchten, daß er dadurch
der Würde der Offenbarung Gottes in der Geschichte zu nahe tritt.
Nur muß er denjenigen darum nicht für Gott-los halten,
der dieser Steigerung seines Vorsehungsglaubens nicht bedarf. Wenn sich also einer, -um uns auf unser früheres Beispiel
abermals zu beziehen, in augenscheinlicher und, wollen wir noch
annehmen, in durchaus unverschuldeter Lebensgefahr befindet, und seine geängstete Seele unwillkürlich zu der Vorsehung um Ret tung schreit, so wäre es für sehr viele, ja für die allermeisten
Menschen hart und unerträglich, glauben zu müssen, daß Gott durch den regelmäßigen und unabänderlichen Gang, den er der Natur ertheilt hat, es sich gleichsam unmöglich gemacht, ihm hier
zu helfen.
Und doppelt unerträglich wird einem dieses, wenn er
sich bewußt ist, daß sein Leben einem dem Plane, der Vorsehung gemäßen und würdigen Zwecke geweiht war. Es ist als wenn
ein solcher da ausrufen müßte: also bist du, den-ich als Vater
verehre, nicht mein unmittelbarer Herr, sondern du hast eine blinde
eiserne Kraft, die weder von deiner väterlichen Gesinnung, noch von meiner Noth etwas weiß, zwischen dein Vaterherz und das
Herz deines Kindes gelegt, und nicht Du, Geist und Leibe wie ich, sondern eine blinde unbeugsame Kraft ists, die mit dem Le
ben deines Kindes schaltet! — Und eben so unerträglich ist es ihm, wenn er, indem er mit den Wellen kämpfet und endlich auf die schmale Sandbank geräth, die seinem Fuß glücklicherweise Bo-,
den giebt, sich sagen muß: also wars nicht deinem Willen und deiner Absicht der ich meine Rettung verdanke, sondern deiner
leblosen Natur, die hier eine Erhöhung im Sande bildet und de ren Spiel mit Wind und Wellen mich auf diese einzige Stelle
trieb, wo mein Fuß Boden fassen konnte.
Nicht dir, dem Va
ter, darf ich dafür bansen, sondem der blinden Natur und dem
noch blindern Zufall, die von meinem Danke nichts vemehmm! Die Möglichkeit jener Ansicht nun, zufolge deren man sich
die Vorsehung als Netterin des Einzelnen in der Noth denken könnte, scheint folgendermaßen begründet werden zu müssen. Al
les im Universum weißt darauf hin, daß das Geistige das Pri märe und Uebergreifende, und das Körperliche das Sekundäre und mehr Passive sei.
Dies könnte nicht sein, wenn es nicht bei
Gott und in Gott seinen Grund hätte und er, als Geist und
nicht als Natur, der Spiritus rector des Universums wäre.
Dar
um müßte er sich auch als Vorsehung als das Uebergreifende
über die Natür offenbaren.
Auch hier ist der Mikrokosmos ein
hinweisendes Symbol, -wie es im Makrokosmos ist.
Alles in
meinem Körper geht seinen regelmäßigen Gang, wie von Gottes
Körper, der Natur, prädicirt wird; allein doch greift der Geist, der Deus in nobis, jeden Augenblick durch, und, was er will,
geschieht.
Die natürlichen Funktionen meines Körpers gehorchen
einem von meinem Willen unabhängigen Gesetze, und wenn sich mein Geist nach eigner Willkür den Körper selbst gebaut hätte,
wie Gott sich
sein Universum, und, wie er, Herr wäre über
alles, was darin geschieht, so würde ich, sofern ich vernünftig genug wäre, um im Voraus zu wissen, was ich will, den Blut umlauf, die Absonderungen u. s. w. ja selbst das Wirken der Na
tur in der Krankheit nie stören wollen, sondern bei dem ihnen
einmal ertheilten Gange erhalten; und doch sind die Kräfte dieses Körpers in einer andern Hinsicht ganz zur Disposition meiner
Freiheit gestellt.
So muß es auch bei Gott sein.
Was wir
vielleicht lediglich aus menschlicher Beschränktheit uns nur als
starres gefühlloses Naturgesetz denken können, ist vielleicht am
Ende das eigne Wirken Gottes selbst, in welchem, auf eine Weise, wofür wir den Ausdruck noch nicht gefunden, etwas uns als
willkürlich erscheinen kann, was doch an sich strengste Regelmä
ßigkeit ist.
So wie mein Arm, obgleich der Blutümlauf u. s. w.
in ihm unabhängig von mir geschieht, dennoch meinem Willen
gehorcht, wenn ich durch die eine Bewegung desselben, jene zum
brennenden Licht hinstrebende Motte vom Tode in der Flamme retten will, so muß auch ein solcher Arm Gottes da sein, der
den ewigen Gesetzen der Natur unbesckadet vollbringt, was er für den Augenblick will. Vielleicht giebt uns einst die Naturphi losophie eine weitere Entwickelung
dieser Ansicht. —
Endlich
verheißt uns auch die Einheit der Poesie und der Wahrheit, daß
es einst gelingen werde die Nothwendigkeit dessen, was das un verstimmte dichterische Gemüth von der Vorsehung prädicirt, der Vernunft einleuchtend zu machen.
Vielleicht ist aber auch dem
Menschen in jener gesteigerten Stimmung auch objektiv und abso lut wahr, was ihm in einer kühlern nur poetisch wahr ist.
Viel
leicht ist dem Menschen nur in der höchsten Steigerung seines Seins,
in jener Stimmung, wo ihm Glaube und Dankgefühl
Gott näher gebracht, vergönnt, die Wahrheit als Eine, in ihrer
Einheit mit der Poesie, zu schauen?
3.Worin offenhart sich dieVorsehung und worin nicht? Nachdem wir auf diese Weise das Wesen des göttlichen Rath
schlusses und der Vorsehung an sich auseinander gesetzt haben, bleibt uns noch übrig, dasselbe polemisch gegen die mehr oder we niger gangbare Meinung darzustellen, d. h. die Frage zu unter suchen, worin offenbart sich die Vorsehung und worin nicht. a) In allem worin intellektuelle oder sittliche Verkehrtheit
ingrediirt, offenbart sich, in sofern es darin mgrediirt, keine Vor
sehung; denn da sie die Handlungsweise eines allweisen Gottes ist, so kann sie sich unmöglich widersprechen, d. h. da die Vor sehung nur das will und bewirkt, was den Menschen zu dem
von ihr bestimmten Ziele führt, so kann sie unmöglich zugleich
dasjenige wollen, was den Menschen von diesem Ziele abführt.
Dieses ist aber was als Verkehrtheit, Thocheit und Bosheit er« scheint, mit welchem die Vorsehung also vernünftigerweise in kei ner Beziehung stehn kann.
Aber sie ist dabei noch die Handlungs
weise eines allheiligen Gottes, zwischen welchem daher und dem
Bösen sittlicherweise gar keine Beziehung statt finden kann, seihst wenn dieses unmittelbar oder mittelbar die Zwecke der Vorsehung fördern würde. Wenn also irgend ein Ereigniß in der sei's intel lektuellen, sei's sittlichen Verkehrtheit der Menschen seinen Grund
hat, so ist dieses schon ein Beweis, daß es in der Vorsehung
Gottes keinen Grund habe.
Selbst ein Zulasfen von ihrer Seite
dürfen wir nicht statuiren, denn dieses setzt schon eine Beziehung zwischen dem, der da zuläßt und dem was er zuläßt voraus. Wenn ich meinen Sohn zuweilen sich selbst überlasse, damit er
selbst seine sittliche Freiheit behaupten lerne, so lasse ich die Thor heiten, die er nun vielleicht fürs erste begehen wird, nicht zu, sondern ich stehe in gar keiner Beziehung zu ihnen; und selbst
wenn ich sie voraussähe, würde ich davon absehen.
Ist nun hier
'keine Zulassung der Vorsehung, so ist um so weniger eine Schi ckung, d. h. Veranstaltung derselben da, denn diese würde die
Beziehung zwischen Gott und dem Bösen noch größer machen.
Nicht einmal das darf eine Zulassung, noch weniger eine Schi ckung Gottes genannt werden, wenn ein Naturereigniß den Ge
rechten mit dem Ungerechten verletzend trifft.
Denn das heißt
nur Dunkelheiten, um nicht Ungereimtheiten zu sagen, in die Lehre
von der Vorsehung hineindichten, wenn man annimmt, hundert Böse und Thoren gehen ruhig ihren verkehrten Gang durchs Le
ben und jenen Hundertundersten grade hat sie zeitlich strafen wol
len, und grade jenen Gerechten die diese Strafe mit ihm theilen,
sei dasselbe verletzende Ereigniß eine Strafe für ihre unbekannten Sünden oder ein Läuterungsmittel ihres Glaubens. hat man sich die Sache also vorzustellen:
Vielmehr
Gott habe die Natur
so eingerichtet, daß zwischen ihr und den freien Wesen Kollisio
nen manchmal entstehen? müssen.
Und zwar je sinnlicher, je we
niger fortgeschritten in Bildung der Mensch ist, desto weniger kennt er die Natur und desto nöthiger sind ihm diese Kollisionen,
damit er durch sie aufgeregt werde, aus dem Traum seiner Sinn lichkeit.
Zn dem Grade aber als der Mensch in Bildung fort
schreitet, lernt er diese Kollisionen vermeiden und sie werden ihm
72 auch jetzt nicht mehr so nöthig, indem bei diesem Fortschritt sein geistiges Leben sich entwickelt, und ihm auch ohnedies häufige We-
ckungsmittel darbietet.
Indessen finden späterhin diese Kollisionen
immer noch, obgleich immer seltner statt, und haben im Allgemei
nen den Zweck, den Menschen aus der Betäubung des Irdischen aufzuregen.
Indem sie nun grade den Bösen vernichtend treffen,
versetzen sie ihn in ein Leben, das seinem sittlichen Fortschritt
vielleicht günstiger ist, und indem sie den Gerechten treffen, neh
men sie ihm nichts, er hat nur Leben um Leben eingetauscht; der Sinn derjenigen aber, in deren Mitte dieses Ereigniß statt fand, wird aus der Betäubung aufgerüttelt, und vom Irdischen aufs Göttliche gerichtet.
b) In allem aber, insofern darin etwas Gutes ingrediirt, ist, insofern es darin ingrediirt, Vorsehung. Denn insofern etwas (wahrhaft) Gutes geschieht, geschieht was die Vorsehung will, und was dm Menschen dem von ihr bestimmten Ziele nähert.
Das Gute ist, als das von Gott Gewollte, von Gott und Gott
hat in seinem Rathschlusse darauf gerechnet, und des Guten so,
viel ins Leben gelegt, daß es das Ungöttliche überwinden muß. Wir sollen also das Gute hoffen, und wo es erscheint, als eine Gabe von ihm dankbar annehmen, das Böse aber als aus uns selbst und als Menschenwerk betrachten und, es möge nun von unsern
Mitgenossen in der Schwachheit oder von uns selbst herstammen, als Beförderungsmittel zum höhern Leben benutzen.
Und wenn
wir uns selbst recht kennen lernen, wenn wir einsehen lernen, welche reiche Beiträge zum Bösen wir durch unser Leben geliefert
haben, und wie wenig wir, so viel an Ms war, den Zweck der Vorsehung gefördert haben: so wird diese Selbsterkenntniß uns,
zumal wenn wir das Leben in seiner Totalität betrachten, die Lust benehmen, mit denjenigen, die vor uns gelebt haben, und die mit
uns leben, darüber zu rechten, ob wir nur verhältnißmäßig viel Böses oder mehr als recht war, empfangen haben.
c) Die Vorsehung hat endlich Alles so eingerichtet, daß das Böse, wenn es ohne ihre Zulassung, Schickung und Willen ein mal da ist, mittelbar ihren Zwecken bienen muß.
Denn nicht
nur daß es, wenn auch erst durch mehrere Mittelglieder, im Gu ten seine Neutralisation findet, sondern durch jedes Böse wird
auch ein ihm korrespondirendes Gutes, welches sonst nicht da
wäre, gesetzt.
So wie jeder Druck den Gegendmck, also die Wirk
samkeit einer Kraft, die sonst latent bliebe, erregt, so hat die Vor sehung es also eingerichtet, daß das erscheinende Böse ein Gutes, das sonst geschlummert wäre, ins Dasein ruft.
Nun ist aber
dieses Gute aus Gott, also muß es das Böse, durch welches es
hervorgerufen wurde, endlich vernichten.
Neben der Vorsehung haben auch die Wörter Zufall und Schicksal ihre Bedeutung.
Denn wenn der Einzelne, bei einer
Menge von Möglichkeiten, gar keine Gründe hat, warum er die ses statt jenes ergreife, z. B. wenn er lustwandelnd den Weg
rechts anstatt den links einschlägt, oder wenn er diese Gründe nicht abwägt, sondern einer dunkeln Einwirkung der Natur be
wußtlos folgt und etwa den Weg einschlägt, der einen stumpfern
Winkel mit seiner bisherigen Richtung macht, oder von einem ge fälligem Laubwerk auf der einen Seite angezogen wird, und diese Willkür nun für ihn Folgen hat, die er nicht bezweckte, oder
wenn von etwas,
was er bezweckte,
durch den Konflikt mit
dem Gegebenen, ganz andre Resultate hervorgehen als er bezweckte, so ist ihm dieses Zufall, etwas was ihm unbezweckt zufällt.
Der
Zufall eristirt mithin nur subjektiv und nicht absolut, denn was einem Zufall war, war durch das Gegebene nothwendig.
Das
selbe gilt auch vom Schicksal, das nur ein potenzirter Zufall, ein
Zufall des Zufalls ist.
Dies ist auch etymologisch gegründet, sal
heißt bekanntlich Menge, Reichthum, also Reichthum, Fülle von
Schickungen d. h.- Zufällen.
Kurz Zufall und Schicksal sind
dem Individuum, das nicht berechnete Resultat der Konflikte sei ner Willkür oder seines Nichtwollens mit dem Gegebenen', inso
fern er kein Resultat, oder ein andres, als da herauskam, be zweckte.
III.
Was meint die evangelische Christenheit dazu? oder
Versuch das Glaubensbekenntniß der evange lischen Kirche, dem jetzigen Standpunkte der selben gemäß, auszustellen. Ein verspäteter Beitrag zur Feier des Jubiläums der Augsburgischen Konfession. Wie unwürdig deß großen poetischen Namens Got-
tes-Gelehrte sind die, welche mit irgend einer Selbstnoth das Recht eines Meineides und fortge setzter Lehrlügen zu bekommen glauben, wie etwa der Talmud erlaubt, das Gesetzbuch zu verkaufen, um eine Frau zu nehmen, Jean Paul.
Vorwort. (§s ist unlaugbar, daß die Maßregel der kirchlichen und Staats
behörden, die Augsburgische Konfession als eine immer und all gemein geltende Norm der Rechtgläubigkeit der evangelischen Kirche
zu gebrauchen, seit geraumer Zeit eine zwar stille aber sehr ver breitete Opposition findet.
Aber nicht nur in der Ueberzeugung
der Lehrer, sondern auch in der der öffentlichen Meinung und her des Staats ist manches aus dieser Bekenntnißschrift stillschwei gend abolirt worden.
Oder es versuche heutzutage ein evangeli
scher Geistlicher jemanden zu ercommuniciren, wozu ihn, wenn
auch nicht die Vernunft, doch die Augsb. Konf. berechtigt, und
man wird sehen, ob nicht der Staat selbst ihm das Halten an
eine Lehre übel nehmen wird, die er ihn doch mit hat beschwö ren lassen, und ob nicht die öffentliche Meinung, und zwar mit
Recht sich dagegen allgemein empören würde.
Und da diese Be-
kenntnißschrift doch, laut der Einleitung, nur ein Zeugniß und
eine Erklärung des Glaubens der damals Lebenden enthalten sollte, und da die verfängliche Frage Kaiser Karls des V. bei der Ue-
bergabe, ob auch diese Konfession alles enthalte, was man zu än
dern gedächte, von den Fürsten mit einem bestimmten Nein be
antwortet wurde: jjp scheint auch die evangelische Kirche unserer Zeit das Recht zu haben, unabhängig davon ihr Glaubensbekennt
niß, ihren jetzigen Fortschritten und Bedürfnissen gemäß aufzu stellen.
Und da keine kirchliche Behörde, trotz allem Beschwören
lassen es dahin bringen wird, daß einer der da denkt und dem es um die Wahrheit heiliger Ernst ist, an die in der Augsb. Kons, behauptete Ewigkeit der Höllenstrafen, oder an den „Zorn" Got
tes glaubt, oder daran, daß, wer nicht an die Dreieinheit glaubt, verdammt werde, oder an die Auferstehung unsers irdischen Leibes,
oder daran, daß Christus auch die persönliche Sünde versöhnt hat, und da jenes Glaubensbekenntniß so viele wesentliche Bedürf
nisse der erst seitdem entwickelten evangelischen Kirche nicht vor
aussehen und berücksichtigen konnte:
so ist wohl keinem Zwessek
unterworfen, daß nicht ein solches Glaubensbekenntniß, welches
einer, dem die Wahrheit theuer ist, mit gutem Gewissen beschwö ren könnte und welches, nachdem die Sache desselben vor dem Richterstuhl der Kritik ausgesochten und es von der öffentlichen kirchlichen Meinung gleichsam sanctionirt worden wäre, manches
Gute stiften würde. Schon das wäre kein geringer Gewinn, wenn
die heutige evangelische Kirche offen erklären könnte: das ist mein gegenwärtiges Glaubensbekenntniß! Offenheit war von jeher ein auszeichnender Charakterzug der evangelishen Kirche. Dieser Of
fenheit geziemt es offen vor der Welt zu gestehen: dieses ist, nach dreihundertjähriger Entwickelung, mein Glaubensbekenntniß! dies
glaub' ich, das kann ich nicht glauben. Von wem soll aber ein solches Glaubensbekenntniß ansge.
hen?
Wohl wäre es zu wünschen, daß ein Verein der vorzüg
lichsten Theologen der ganzen evangelischen Christenheit, oder doch
des evangelischen Deutschlands, oder doch eines größer» evange lischen Staates zusammenträten, und, ohne damit etwas anderes
zu bezwecken, als eben daß es, zu einem Zeugnisse der evangeli schen Wahrheit, da wäre, ein solches ausarbeiteten und mit der
Erklärung öffentlich bekannt machten, daß dieses das Glaubens-
bekenntniß der evangelischen Kirche sei, wie es nach ihrer besten
Ueberzeugung sein müßte. —
Sie werden es aber nicht thun,
weil ihnen der, freilich ungerechte Vorwurf gemacht werden könnte daß sie dadurch eine Auktorität aufstellen wollten.
Aus demsel
ben Grunde wird kein einzelner angesehener Theolog es thun. Wie soll es denn aber zu Stande kommen? Es scheint nur auf die Weise, daß die erste Veranlassung und der erste Anfang dazu von einem in der theologischen Welt so gänzlich unbedeutenden Individuum ausginge, daß es lächerlich wäre anzunehmen, dieses hätte dabei eine persönliche Absicht, und so daß man annehmen
müßte, er habe es nur darum gethan, um einer guten Sache dm ersten Impuls zu geben.
Es müßte also gleichviel von wel
chem urtheilsfähigen Kirchmgliede es auch sei, nur je unbekann ter und unberühmter, desto besser, der Versuch gemacht werden,
die ersten Principien eines solchen Glaubensbekenntnisses aufzustel
len.
Da könnte man denn wohl annehmen, daß die evangeli
schen Theologen dazu nicht schweigen würden, wenn dieses im
Namen der evangelische Kirche ausgesprochen und der öffent lichen Prüfung übergebene Glaubensbekenntniß Unwahres und Schiefes enthielte;
sondern es würde gewiß Mancher, dem die
Sache der evangelischen Wahrheit am Herzen liegt, auftretm, die aufgestellten Ansichten bestreitend, berichtigend, ergänzend.
Die
Ansichten derselben würden dann wieder von einem Dritten be richtigt werden, und so fort, bis endlich die öffentliche Meinung 1 unsrer Kirche sich darüber hinlänglich ausgesprochen hätte. leicht gäbe auch ein solcher Versuch
Viel
Anlaß, daß eine Anzahl
deutscher Theologen sich in einer Gesellschaft vereinigten, um diese Bekenntnißangelegenheit zu fördern.
Diese würden sich zu die
sem Zwecke mit den angesehensten evangelischen Theologen des
In- und Auslandes in Verbindung setzen, und in einem perio
disch erscheinenden Repertorium alle darüber erscheinenden Verhand
lungen niederlegen.
Auf diese Weise dürfte mit der Zeit aus die
sem Verein ein Gloubensbekenntniß hervorgehen, welches die öffent
liche kirchliche Meinung
für
ein ächt-evangelisches anerkennen
würde, welches aber natürlich nur so weit gelten würde, als es angenommen wäre.
Vielleicht würde dann einst mancher Staat
das Siegel seiner Auktorität darauf drücken, zu dem Ende näm
lich, daß, wenn Einer dann in den geistlichen Stand träte, so
könnte, anstatt ihn die Augsb. Sons, hergebrachtermaßen beschwö ren zu lassen, ihm seine Ansicht von diesem spätern Glaubensbe
kenntniß, unter eidlicher Versicherung vollkommener Aufrichtig keit und weiter nichts, schriftlich abgefordert werden, woraus denn die geistliche Behörde ersehen könnte, ob er zuzulassen sei; und diese feine individuelle Meinung enthaltende Zugabe zu dem allge
meinen Glaubensbekenntniß würde seinen rechtlichen Standpunkt im Amte begründen.
Als einen solchen Anknüpfepunkt stellt Verfasser diefes fol genden Versuch, den er eigentlich zu einem Beitrag zur Feier des Jublläums der Augsb. Sons, bestimmt hatte, der aber wegen
verschiedener Umstände verspätet wurde, zur Prüfung Sachkundi
ger anspruchlos auf.
Es wäre Anmaßung, wenn er hier seinen,
wenn gleich völlig obskuren Namen nennen würde.
Als Doctor
der Philosophie, als öffentlicher Prediger und vorzüglich als einer,
dem die Sache der Sirche am Herzen liegt, glaubt er das Recht zu haben, diesen Versuch zu wagen. es in seiner Nichtigkeit zerfallen.
Ist daran nichts, so möge
Ist darin etwas der Rede und
Gegenrede werth, so möge es die Veranlassung zu der Abhülfe eines wie es scheint tief gefühlten Bedürfnisses werden.
Uebri-
gens protestirt der Verfasser hiemit, denn Vorsicht kann nichts
schaden, gegen alle Folgerungen von diesem idealen Glaubensbe kenntnisse auf sein Glaubensbekenntniß als amtliche Person.
Die oft nur zu weit gegangene Opposition der heutigen
Theologie mit dem was früher für religiöse Wahrheil galt, hat die Sprache unsrer Sirchenlehrer unbestimmt, schwankend und ver legen gemacht.
ist schlimm.
Die alte freudige Zuversicht ist dahin, und das
Man sieht den theologischen Schriftstellem, zumal
denen die für das größere kirchliche Pnblikum schreiben, oft genug
an, daß sie manches hinter dem Berg zu halten, manche Ergeb
nisse neuerer theologischer Forschung zu verschleiem haben und den Eindruck derselben durch erbauliche Redensarten zu beschönigen suchen.
Ein solches Benehmen geziemt aber keiner Sirche wem«
ger als der unsern, deren Charakter Offenheit und deren Lebens element das Licht ist. Könnten aber die Lehrer sich über die Haupt
wahrheiten des Evangeliums vereinigen und der Gemeinde zeigen,
daß sie an sie freudig und unverrückt festhalten wollen: so dürf ten sie auch, ohne Aergerniß zu erregen, ihre Meinung über un-
haltbare Nebensachen, die da doch früher oder später fallen müs
sen, offen und unumwunden darlegen, und diese Offenheit würde unsrer evangelischen Kirche die freudige Zuversicht wiedergeben, die
ihr, zumal itzt, so sehr noth thut. Da nicht vorauszusetzen ist, daß die Lehrer der evangelischen
Kirche, wie überhaupt alle Urtheilsfähige, denen die evangelische
Wahrheit am Herzen liegt, zu einem mit Bedacht im Namen
der evangelischen Kirche ausgesprochenen allgemeinen Glau bensbekenntniß derselben, schweigen werden, wenn es Unwahrheit enthielte: so darf wohl der Einzelne es insofern für wahr Hallen, als die Lehrer der Kirche und die der Wisseuschaft überhaupt das
selbe nicht einer Unrichtigkeit zeihen werden, und insofern es, nack
redlicher Prüfung seinem eigenen Wahrt eitsgefühl zusagen wird. Da es aus der ganzen Tendenz dieser Blätter hervorgeht, daß sie eigentlich darum geschrieben sind, um recensirt zu werden,
so braucht der Verfasser nicht erst um Berücksichtigung derselben
von den Recensionsinstituten zu bitten, und es steht zu erwarten, daß dieser Aufsatz zu einer Recension Anlaß geben wird, die mehr
werth sein wird, als der zu recensirende Aufsatz selbst.
Indes
sen möchte der Verfasser grade die berliner Kirchenzeitung aus
drücklich bitten/ davon Notiz zu nchmen, da zu hoffen steht, daß die Art, wie dieses Blatt unsern Versuch wahrscheinlich aufneh
men wird, am ehesten zu weitern Erörterungen Anlaß geben wird.
Versuch das Glaubensbekenntniß der evan gelischen Kirche, dem jetzigen Standpunkte derselben gemäß, aufzustellen» 1. Nothwendigkeit eines Glaubensbekenntnisses. Da die Wahrheit nur Eine sein kann, und da es eben so sehr Pflicht ist, das Eine Wahre zu glauben, als das Eine Rechte zu thun: so hält sich die evangelische Kirche für verbunden aus
zusprechen, nicht sowohl historisch, was sie für die eben herrschen den Glaubensansichten ihrer Glieder, als dogmatisch, was sie nach
ihrer bisherigen Entwickelung und auf ihrem gegenwärtigen Stand
punkt für ewige evangelische Wahrheit hält.
2. Verhältniß desselben zur AugSburgischen Konfession. Ob sie gleich der Augsburgischen Konfession, dem Geiste der selben und der Hauptsache nach, beistimmt, und ob sie ihr gleich
die Gerechtigkeit schuldig ist, daß sie so genügend ist, als sie es, hei der damaligen Kindheit der Auslegungskunst und Religions philosophie sein konnte:
so kann sie dieselbe, als Menschenwerk,
nicht für durchaus vollkommen und unfehlbar halten.
Eben so
wenig findet sie dieselbe anders, als insofern sie ewige göttliche Wahrheit enthält, für unsere Zeit bindend, zumal da der Stand punkt dieser manche geistige Bedürfnisse zu berücksichtigen hat, welche jene Zeit nicht fühlte, und die Augsburgische Konfession
also auch nicht berücksichtigen konnte, und aus diesem Grunde glaubt sie volles Recht zu haben, ihr eigenes Glaubensbekennt
niß aufzustellen, welches,-wie sich aus dem Folgenden ergeben wird, mit dem Augsburgischen im Wesentlichen übereinstimmt und dessen Ansehen dadurch nicht geschmälert werden soll.
3. Verhältniß desselben zum Apostel, und Nicäischen GlaubenSbckcnntniß. Die evangelische Kirche bekennt sich fortwährend zu dem Apo
stolischen und nicäischen Glaubensbekenntnisse, und zwar mit fol genden nähern Bestimmungen: 1. das Niederfahren zu der Hölle betrachtet sie als eine Vorstellung der damaligen Zeit; 2. das Si
tzen zur Rechten des Vaters betrachtet sie als einen figürlich zu nehmenden Ausdruck, und zwar als einen Ausdruck der Wahrheit,
daß Christus durch seine Lehre das durchgreifende Princip der'
neuen Weltordnung ist; 3. die Auferstehung des Fleisches versteht
sie so, daß Gott die Seele der Auferstandenen mit einem neuen,
ihrer nenen Bestimmung angemessenen Leibe, überkleiden wird; 4. von der Wiederkunft Christi zum Gericht gesteht sie aber, daß es ihr bis jetzt nicht gelungen ist, diese Lehre zu einem genügenden
Verständniß zu bringen.'
4. Verhältniß der evangelischenKirche zu den Nichtglau benden. Da die Wahrheit einem jeden nur insofem Wahrheit ist, als
sie ihm als solche einleuchtet und er von ihr überzeugt ist; und da die evangelische Kirche keine andere Mittel, der Wahrheit Ein-
gang zu verschaffen anerkennt, als Belehrung durch Gründe, und Erziehung, so folgt von selbst, daß sie auch gegen diejenigen ihrer
Glieder, welche die evangelische Wahrheit nicht anerkennen, keine andere Mittel als diese billigt, noch anwenden will, und daß sie
allen Glaubenszwang und alle Verfolgung Andersdenkender als unrechtlich, unvernünftig und unchristlich verabscheut und verwirft.
5. Anspruch dieser Glaubensbekenntnisses auf Wahrheit. Da die Auffassung und Darstellung göttlicher Wahrheit noth
wendig Menschenwerk ist:
so kann von der Unfehlbarkeit eines
evangelischen Glaubensbekenntnisses vemünftigerweise gar nicht die
Rede sein.
Daher macht dieses Glaubensbekenntniß nur insofern
.auf Wahrheit Anspruch, als es ihm gelungen ist die göttliche Wahr
heit ungetrübt auszusprechen, und insofern es ihm daher gelingt, sich durch die der Wahrheit einwohnende Kraft selbst Eingang
zu verschaffen.
6. Da- Verhältniß der Vernunft und Offenbarung zu einander. Die evangelische Kirche bekennt, daß die Vemunft zwar das
alleinige Organ ist, wodurch uns die Wahrheit wird; daß aber
die Vernunft, indem der Mensch durch die Sünde aus der ur sprünglichen Gemeinschaft Gottes herausgekommen ist, die Erkennt
niß Gottes so gänzlich verloren hatte, daß der Mensch Gott nim mer erkannt hätte wenn er sich ihm nicht in Jesu Christo wieder geoffenbart hätte, und daß der Mensch daher Gott nur vermittelst
dieser Offenbarung in Christo erkmnt.
7. Das Wort der Offenbarung in einer heilige» Schrift. Die evangelische Kirche bekennt, daß die dem Menschenge
schlecht durch Christum geoffenbarte und den Rathschluß zu uns rer Seligkeit enthaltende göttliche Wahrheit in dem Evangelio un sers Herrn, dem neuen Testament niedergelegt ist, und daß diese
daher, so weit sie diesen Rathschluß betrifft, eine unter Gottes besonderm Beistand geschriebene und erhaltene heilige Schrift ist;
indem Gott nicht hat zulassen können, daß die Menschen in dem,
was sein Rathschluß zu ihrer Seligkeit ist, irren sollten.
8. Verhältniß der Göttlichkeit des A. T. zu der des N. T. Was aber das Neligionsbuch des israelitischen Volks, das Alte Testament, betrifft, so hält die evangelische Kirche es für einen Irrthum, und zwar für einen dem Verständnisse der gött
lichen Wahrheit nicht selten verderblichen, wenn ihm dieselbe Gött lichkeit und Auktorität als dem Evangelio Christi beigelegt wird,
und sie hält nur dasjenige darin für göttliche Offenbarung, was ewige göttliche Wahrheit enthält und also mit dem Geist des Neuen Testaments, dem Prüfstein der Wahrheit desselben übereinstimmt,
ferner was darin Weissagung von dem kommenden Messias ist, und endlich was durch seine Aufnahme in das N. T. eine höhere
Bedeutung bekommen hat.
S. -Das Verhältniß der Vernunft zu der Bibel. Da aber der Mensch das Göttliche außer ihm nicht erkennen
könnte, wenn in ihm selbst nicht etwas Göttliches wäre, nämlich die durch die Offenbarung erleuchtete Vemunft, welches dasselbe als solches erkennt und anerkennt; da ferner die im Evangelio
enthaltene göttliche Wahrheit dem Menschen nur durch die Ver
nunft aufgeht, und die darin zerstreuten Elemente derselben nur
durch die Vemunft zu einem Ganzen vereinigt, und von dem nur zeitlich
Geltenden
unterschieden werden können: so
Vernunft und Offenbarung gegenseitig voraus:
setzen sich
und daher muß
die evangelische Kirche der durch die Wissenschaft ausgebildeten und durch das Christenthum wieder Gottes bewußt und des Le
bens in Gott theilhaft gewordenen Vernunft das Recht einräu
men, zu prüfen und zu bestimmen, was in der Bibel ewige gött liche Wahrheit und was darin nur zeitlich Geltendes ist, und ebenso das Recht, daraus das Gebäude der göttlichen Wahrheit
aufzuführen.
Dem Privaturtheil eines jeden aus der Menge aber,
der ohne wissenschaftliche Tiefe und ohne daß in ihm der Geist Christi lebendig geworden wäre, sich damit abgiebt, kann sie eine Entscheidung über göttliche Wahrheit nicht zugestehen.
10. Verhältniß ber wahren evangelischen Kirche zu den verschiedenen herrschenden Glaubensansichten. Die wahre evangelische Kirche bekennt sich also eben so we nig zu der heutzutage herrschenden Partei der Rationalisten, als zu
6
der der Süpranaturalisten und der der Mystiker, ob sie gleich das mehr oder weniger vorhandene Gute in der Ansicht aller dieser
Parteien nicht verkennt; sondem sie erhebt sich, wie aus diesem
ihrem Glaubcnsbekenntniß hervorgeht, über alle diese Gegensätze zu der oberhalb derselben schwebenden Einen versöhnenden Wahr
heit.
Zn Beziehung auf die Gesinnung aber erklärt sie, daß sie
nichts so sehr verabscheut als die Heuchler und demnächst die der unduldsamen und unvernünftigen Eiferer; daß sie nichts so sehr bedauert, als die trübe und einseitige Ansicht der Frömmler, und
daß sie nichts geringer schätzt, als das Bestreben der Buchstabier,
an dem todten Buchstaben festzuhalten; und daß ihr, nächst dem freudigen besonnenen Eifer für immer weitere Einführung der be seligenden und göttlichen Lehren des Christenthums
ins Leben,
nichts erwünschter sein kann, als ein eifriges und redliches Stre
ben nach dem immer weitem Verständniß des Evangeliums durch alle Mittel der Wissenschaft und durch ein immer freudigeres Hin
einleben in den Sinn Christi.
11. Quelle der Lehre der evangelischen Kirche. Aus dieser Quelle, der durch die Vernunft erkannten und
anerkannten Offenbarung, schöpft die evangelische Kirche, mit Ver werfung aller Ueberlieferung außer der in. der Entwickelung des
kirchlichen Lebens, die diesem Grunde nicht widerstreitet, ihr gan
zes Lehrsyftem und bekennt, daß sie den besonnenen Vernunftge brauch eben so wenig als die göttliche Offenbarung des Rathschlus ses Gottes, welcher der Vernunft sonst unbekannt geblieben wäre,
je aufgeben wird.
12. Dasein Gottes. Sie lehrt in Uebereinstimmung mit dem Glauben aller Ver
nünftigen unter den Christen und Nichtchriften, das Dasein eines Gottes, die Unsterblichkeit der Seele, und die Verbindlichkeit sitt
lich zu handeln.
Also zuerst das Dasein eines höchsten, einigen,
höchst vollkommenen Gottes, ohne alle menschliche Beschränktheit,
welcher der Urheber, Erhalter und Regierer des Weltalls und der höchste Gesetzgeber und Richter der sittlichen Welt ist.
Sie ver
wirft also jede Lehre, die in Gott nur eine blinde, ihrer unbe wußte Urkraft sieht.
13. Unsterblichkeit und Vergeltung.
Sie lehrt ferner die Unsterblichkeit der Seele und ein ewi ges Leben, ein Leben der Vergeltung und der Vervollkommnung. Obgleich sie aber fest vertraut, daß der ewige Richter dem Gerech
ten dessen unverschuldete Leiden hienieden, vergelten werde, so be trachtet sie doch das Rechnen auf diese Vergeltung bei ihren Glie
dern als das Zeichen eines wenig entwickelten christlichen Sinns;
indem der wahrhaft Fromme für die Prüfungen, die ihm hienieden widerfuhren, keinen Ersatz verlangt, da gerade sie ihm die kräftigsten Entwickelungsmittel seines Lebens in Gott waren. —
Was aber die Bestrafung der Bösen in jenem Leben betrifft, so kann sie, da der ewige Vater seiner Menschen nicht straft, um sich zu rächen, sondem um zu bessern und bis Besserung erfolgt, die Lehre von der Ewigkeit derselben nicht annehmen, sondern betrach
tet dieselbe als die Folge einer fehlerhaften und einseitigen Auf fassung der hieher gehörigen Bibelstellen.
14. Verbindlichkeit des Menschen sittlich zu handeln. Endlich erkennt sie, in Uebereinstimmung mit der nicht durch
die Offenbarung erleuchteten Vernunft, die Verbindlichkeit an, sitt lich zu handeln und einer immer reinern, höhem und uneigennü
tzigem Tugend nachzustreben, als wodurch allein der Mensch mit sich selbst Frieden haben und dem höchsten Gesetzgeber im Reiche der Sittlichkeit gefallen kann.
So sehr sie aber darauf dringt, so
bestimmt erkärt sie sich wider die Verdienstlichkeit aller Büßun gen, Entsagungen, Selbstquälungen und andre Künste des Aber
glaubens, sondern sie erklärt jede That, und wäre sie auch an und für sich löblich, als Almoftngeben, Milderung von Menschen
elend und dergleichen, sobald sie nicht aus einem tugendhaften Ge müthe kommt, für nichtig und ohne alle sittliche Verdienstlichkeit.
15. Sittliches und religiöses Leben.
Die evangelische Kirche erkennt sogar das Leben der Pflicht
nicht für die höchste Stufe des geistigen Lebens an, sondern sie
stellt oberhalb desselben noch das religiöse Leben, für welches jedes Soll der Pflicht zu spät kommt, und wo einer schon nicht darum
das Gute thut, weil er muß, und weil das Pflichtbewußtsein
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ihn dazu zwingt, sondcm weil er, von dem Geiste Christi getrie
ben, nicht umhin kann, es zu thun.
16. Dreieiniger Gott. Obgleich das Neue Testament nur den ersten Keim der Lehre von dem dreieinigen Gott enthält, so findet die evangelische Kirche
die Wahrheit derselben so tief in dem Wesen der Vernunft ge gründet, daß sie diese Lehre von dem einigen Gott, der sich als
Water Sohn und heiliger Geist offenbart, als die nie aufzugebende Grundlage des eigentlich christlichen Glaubens anerkennt, und sie nimmt, mit den obenerwähnten nähern Bestimmungen Alles an, was das apostolische und nicäische Glaubensbekenntniß darüber lehrt.
17. Sündenfall. Ebenso erkennt sie die Lehre von dem Sündenfall für ewige Wahrheit an, ob sie gleich die mosaische Darstellung derselben Sie verwirft aber
nur als dichterische Einkleidung gelten läßt.
die augustinische Ansicht, als habe sich diese ursprüngliche Sünde vermittelst der natürlichen Fortpflanzung auf alle Menschen ver erbt und lehrt dagegen, daß das Menschengeschlecht, in der frühe
sten Periode seines Daseins, zu irgend einer Zeit in allen seinen
Gliedern von der ursprünglichen Gemeinschaft Gottes abgekommen
ist; daß dadurch die Erkenntniß Gottes bei ihm beinahe gänzlich erlosch und die Sünde bei jedem der Nachgebornen zum Vorschein kam, und daß endlich die Wiederholung des Falles bei jedem Ein
zelnen durch die Nichtachtung auf die Stimme seines Gewissens bei diesem erst eine persönliche Schuld begründet.
18. Freiheit. Demnach lehrt die evangelische Kirche, der Mensch sei nur
in Gott wahrhaft frei, d. h. nur insofern er sich an Gott hält, sei er von allem Einflüsse des Bösen frei, welches ihn sonst von dem was Gottes ist, abzieht, und er könne unter dieser Bedin
gung der Versuchung allemal widerstehen.
Eben so setzt sie die
Ursache der Sünde in die Willkür, d. h. in die erste unvollkom
mene Aeußerung der Freiheit.
19. Gottheit Christi. Die evangelische Kirche hält fest auf die Wahrheit der Of
fenbarung und der Vernunft, daß in Jesu Christo Gottes ringe-
Borner Sohn, der ewige Gegenstand der Liebe des Vaters, als Mensch geboren wurde, um die Menschen durch seine Lehre, sein Lei
den, und durch die Stiftung des Reiches Gottes auf Erden, aus der
Gewalt der Sünde und des Elends, welches in der bis auf ihn auf gehobenen Gemeinschaft des Menschen mit Gott liegt, zu erlösen.
20. Unzulänglichkeit bloßer Sittlichkeit zur Seligkeit Eben so bekennt sie sich zu der Wahrheit, daß nicht nur jene äußerlichen, sogenannten guten Werke, sondern sogar bloße, wenn gleich reine Sittlichkeit zur Seligkeit unzulänglich ist.
Nicht aber
als wenn Gott einen Menschen darum verdamme, weil er nur
ein sittlicher ist;
sondern weil die Sittlichkeit nur eine Harmo
nie des Menschen mit sich selbst,
die Religion aber, oder der
Glaube, im wahren christlichen Sinne des Worts, oder die innige Beziehung unsers ganzen Dichtens und Trachtens und Liebens auf Gott, die Harmonie des Menschen mit Gott, dem einzigen
Quell der Seligkeit begründet, in welcher Harmonie ihm erst Se ligkeit möglich ist.
21. Seligkeit außerhalb der Kirche. Die evangelische Kirche bekennt,
daß außerhalb der Kirche
kein Heil ist, außerhalb der christlichen nämlich, außer der keine
wahre mehr möglich noch denkbar ist.
Sie betrachtet nicht aber
sich allein als die christliche Kirche, sondern sich und die übrigen
sämtlichen christlichen Konfessionen als die mehr oder weniger ge
lungenen Versuche, die unsichtbare Eine wahre Kirche in der Wirk lichkeit darzustellen.
22. Nur in Christo Heil. Diese Lehre, daß außerhalb der christlichen Kirche kein Heil
ist,
gründet sie aber auf die Haupt- und Grundwahrheit der
christlichen Kirche, daß nur in Jesu Christo Heil ist, indem sie die Bewahrerin und Lehrerin der Wahrheit ist, die Er der Mensch
heit brachte und die Pflegerin des LebenZ in ihm bei ihren Gliedern.
23. Verhältniß der evangelischen Kirche zu denjenigen, die an dem kirchlichen Leben keinen Theil nehmen Vermeinte aber einer ohne sie und auf eigne Hand sein Heil
zu finden,
entweder durch Sittlichkeit allein ohne allen Glauben
oder indem er auf eigne Hand sich die durch die Kirche erhaltene
und entwickelte göttliche Wahrheit eigen zu machen sucht: so wird sie zwar dieses Beginnen, als mißlich, nie billigen, jedoch, da
aller Zwang ihr fremd ist, einen solchen nie zur Theilnahme an
ihrem kirchlichen Leben zwingen; eben so wenig wird sie aber auf hören, auch einen solchen als Mitglied der evangelischen Gemeinde als er selbst als
zu betrachten, so lange nämlich und insofern,
ein solcher betrachtet werden will, indem dieses das einzige Mittel ist, daß auch ein solcher zur richtigern Erkenntniß der göttlichen Wahrheit gelange.
24. Ausschließung unwürdiger Mitglieder. Zwar vindicirt sie sich, insofern nämlich die Staatsgewalt,
von der sie abhängig ist, dieses erlaubt, das allgemeine Gesellschaftsrecht unwürdige Mitglieder aus ihrer Mitte auszuschließen, — eine Maßregel, die lediglich von der Gemeinde und deren Vor
stehern, und zwar nach der Anweisung der bürgerlichen Behörde,
nie aber von dem Lehrer der Gemeinde ausgehen kann, — doch
kann eine solche Ausschließung nie wegen Irr- oder Unglaubens, es sei denn wegen eines gar zu stechen Prahlen's damit, sondern
nur wegen sittlicher Verworfenheit und Ruchlosigkeit zugegeben werden.
25. Ansicht von der Seligkeit derer, die Christum nicht kannten. Obgleich die evangelische Kirche nie von der Grundwahrheit abgehen kann, daß nur in Christo Heil ist,
so ist sie doch fern
davon zu lehren, Gott werde diejenigen verdammen, die aus die sem Leben scheiden, ohne Christum erkannt zu haben; sondern sie
hofft, es werde die göttliche Wahrheit, welche Christus der Mensch heit brachte, und ohne die keine Seligkeit denkbar ist, ihnen in jenem'beben aufgehen.
26. Hauptpunkt der Lehre Christi. Der eigenen so deutlich ausgesprochenen Ansicht des göttli chen Stifters gemäß, betrachtet die evangelische Kirche das von
CMsto verheißene und gegründete Reich Gottes auf Erden, wo einst Sein Wille so vollkommen geschehen soll,
als er im Him
mel geschieht, und nicht die Versöhnungslehre, deren hohe Be-
deutung sie dadurch übrigens keinesweges herabfttzen will, als den Mittelpunkt der Lehre Christi, und die Verwirklichung dieser Ver
heißung und der Sehnsucht der Menschheit, als das höchste Ziel ihres Strebens; sich aber, wie überhaupt die gesammte christliche
Kirche, insofern sie die Wahre ist, sammt der Wissenschaft betrach
tet sie als die Fördrerin dieses Reiches Gottes auf Erden und mithin als die Führerin der Menschheit zu Gott.
27. Herrschende Einseitigkeiten in der Kirche. Aus diesem Grunde betrachtet sie das Verweilen derjenigen Partei, die sich für die allein rechtgläubige halt, bei der Versöh nungslehre für einseitig und hinderlich für die Wirksamkeit der
evangelischen Lehre. Eben so bewachtet sie die Sitte jener Partei, in ihren Vorträgen beinahe einzig und allein unsers Herm Jesu Christi, mit fast gänzlicher Uebergehung Gottes des Vaters zu er wähnen, als einen Mißbrauch.
Endlich hält sie es nicht minder
für eine schädliche Einseitigkeit, daß die hochwichtige Lehre vom heiligen Geist und vom Reiche Gottes auf Erden fast überall so
gänzlich hintangesetzt worden und beide zu bloßen bedeutungslosen
Redensarten herabgesunken sind.
28. Mittel der Wirksamkeit der Kirche. Die evangelische Kirche erkennt, daß sie zur Erreichung jenes
hohen Zieles, nämlich zur Förderung des ReichesGottes auf Er den keine andere Mittel braucht noch begehrt, denn das Wort Gottes und die Wissenschaft,
mit dem Recht freier Forschung,
die Sakramente und die Leitung der religiösen Erziehung und des
religiösen Unterrichts.
29. Die Sakramente. Von den Sakramenten, d. h. der heiligen Taufe und dem
heiligen Abendmahl lehrt sie, daß sie beide für göttliche Gnaden mittel anerkennt, durch deren ersteres der Mensch in die Gemein
schaft Christi ausgenommen,
und durch deren, letzteres er, wenn
er durch die Sünde daraus herausgekommen ist, wieder ausge
nommen wird.
30. Bedeutung des heiligen Abendmahls. Sie kann mithin der Ansicht nicht beitreten, als sei das heilige Abendmahl eine bloße Erinnerungsfeier, und als wenn das Brot und der Wein in demselben nur der Leib und das Blut unsers
Herrn bedeute; sondern sie erklärt, sie glaube fest, daß unser Herr, der für uns beschrankte Wesen die Gnade an Zeit und Raum gebunden, sich mit dem Gläubigen, der ihm mit der gan
zen Inbrunst seines Herzens entgegenkommt, in dem Augenblicke, wo er das gesegnete Brot und den gesegneten Kelch empfängt,
aufs Allerinnigste vereine und ihm durch diese selige Wiedervereinigung neue Kraft zu einem neuen heiligen Leben verleihe.
31. Verhältniß der Kirche zum Staate. Was das Verhältniß
der evangelischen Kirche zum Staate
betrifft, so bedauert sie zwar tief den Mangel an Einheit, Ver fassung und Vertretung in ihr, und nicht weniger, daß sie durch
die Schuld derjenigen Kirche, schied,
aus deren Gemeinschaft sie einst
aller Selbstständigkeit beraubt und dem Staate unterge
ordnet worden ist; allein sie will, dadurch, daß sie diese Mißver hältnisse ruhig erträgt, bis daß sie im Lichte der Wissenschaft und
bei vollkommener Einrichtung der Staatsverhältnisse von selbst ver schwinden, selbst ihren Gliedern das Beispiel des Gehorsams ge gen bürgerliche Obrigkeit, den sie lehrt, geben und dadurch der Welt beweisen, daß kein Streben ihr fremder fein kann, als das nach Hierarchie.
32. Der todte und der lebendige Glaube. Obgleich die evangelische Kirche diese Lehren als Grundwahr
heiten betrachtet, die sie nimmer aufgeben will, und ob sie gleich
sehnlichst wünscht, daß alle ihre Glieder sie als solche erkennen und annehmen mögen; so erklärt sie dennoch, daß sie den kühlen
gleichgültigen Glauben an diese Wahrheiten für etwas völlig werth loses und zur Seligkeit gleichgültiges betrachtet, und nur den Glau
ben als einen christlichen und zur Seligkeit unentbehrlichen gelten läßt, wo der Gläubige die christliche Wahrheit mit der ganzen
Liebe seines Herzens und mit der lebendigsten Ueberzeugung um
faßt; weßhalb sie auch einen Glaubensgenossen, welcher nur jenen
89 todten Glauben hat, nicht höher, als den redlichen bescheidenen Zweifler schätzen kann.
33. Verhältniß der evangelischen Kirche zu denen, die den wahren Glauben nicht haben. Da nur in der Wahrheit Heil ist, und die Menschen nur insofern selig werden können, als sie Christo leben', welches ohne
alle Erkenntniß der Wahrheit, die er der Menschheit brachte, un möglich ist:
so verlangt sie dringend, daß alle ihre Glieder sich
ernstlich bestreben sollen zu dem Verständniß dieser Wahrheit hin
durch zu dringen; wie denn auch sie ihrerseits in allen ihren Leh rern thätig sein will, sie zu diesem Verständnisse zu führen.
Da
es aber einerseits vollkommen unmöglich ist, sich zum Glauben, —
wenn auch ein solcher todter Glaube zu etwas nütze wäre, — zu zwingen, und da Erziehung, bürgerliche Lage und Geistesfä
higkeiten es so vielen unmöglich machen, zum Verständnisse des Evangeliums hindurch zu dringen: und da anderseits die evange
lische Kirche gestehen muß, daß es ihre eigene Schuld ist, und entweder an der mangelhaften Verfassung derselben, oder an dem
mangelhaften Verständniß oder Eifer ihrer Lehrer liegt, wenn nicht Mehrere zu diesem gelangen:
so erkennt sie, von denen die sich
zu ihr bekennen, auch diejenigen als ihre Glieder an, die, außer
dem Glauben eines jeden vernünftigen Menschen,
er sei Christ
oder Nichtchrist, an einen Gott, an eine Unsterblichkeit und an
die Verbindlichkeit sittlich zu handeln, Jesum Christum wenigstens als den erhabensten Lehrer und Wohlthäter der Menschheit und das höchste nachahmungswürdigste Tugendvorbild dankbar verehren. Wenn die evangelische Kirche aber auch solche als ihre Glie der gelten läßt, die auf diesem niedrigen Standpunkte des Ver
ständnisses stehen, so thut sie es in der Hoffnung, daß es ihr vermittelst Belehrung durch Gründe gelingen werde, einem solchen zu einem höher» zu verhelfen, und in der Voraussetzung, daß
ihm in seiner Lage mög lich war, nicht gelungen sei, sich zu der höhern Ansicht von Jesu es ihm, alles redlichen Forschens, das
Christ, als wahren Gott und wahren Menschen, zu erheben, daß er aber fortfahren werde, danach zu ringen.
Solche aber,
die von Jesu Christo nichts wissen wollen, oder wohl gar gering schätzig von ihm reden und sich mit dieser ihrer Verblendung, als
90 einer hohen Weisheit brüsten, duldet sie nur m ihrer Mitte, hof fend, daß die ewige Wahrheit auch an solchen Verblendeten ihre
ewige Gottesmacht erweisen wird.
Jene Duldung gewahrt aber
die evangelische Kirche im vollsten Maße.
Sie begehrt nur Leh
rerin und Seelsorgerin, nicht aber Angeberin und Straferin zu
sein, und wo daher Menschen sich gegen das Göttliche versün digen, da überläßt sie die Angabe und Bestrafung eines solchen
Vergehens der bürgerlichen Obrigkeit ganz, ohne sich darein zu
mischen oder dazu aufzureizen.
IV.
Was ist Mysticismus?
(§o wie im Reiche der Körperlichkeit der Planet einen Zug ge gen seinen Centralkörper zu fühlt, welcher Zug der Eine Faktor des kosmischen Lebens desselben, die Anziehungskraft des Central
körpers aber der andere ist: also fühlt auch der Mensch, als Geist
aus Gottes Geist, einen Zug gegen seinen Ursprung, Gott, und dieser Zug, Glaube, Religion genannt, ist wieder der Eine und
die Anziehungskraft Gottes, die Gnade, der andere Faktor des Lebens im geistigen All.
Hier haben wir aber nur mit der er-
stern Kraft im Menschen zu thun, mit der, die ihn treibt, seinem Ursprung entgegen zu streben.
Dieser Zug ist im Anfang nur
ein bewußtloser Trieb, dem gleich, durch welchen die Blume in der dunkeln Stube sich dem Lichte entgegenneigt und das Insekt
dem Licht entgegenstrebt.
Bei fortschreitender Entwickelung des
Menschen entwickeln sich in ihm immer mehr die Fragen, wer
denn dieser Unbekannte sei, zu dem er sich hingezogen fühlt, wel
ches sein Verhältniß zu demselben sei und endlich was er selbst
sei, und es entwickelt sich in ihm immer mehr das Bedürfniß, sich eine Totalvorstellung davon,— seine Weltansicht, — zu bil den, welche natürlicherweise nur insofern einen Werth für ihn ha ben kann, als sie ihrem Gegenstände entspricht,— wahr ist.
Ist
es nun sein Herz, das da thätig ist, diese Fragen zu beantwor
ten, so entwickelt sich aus diesem Streben die Religion, aber seine Vernunft, die Philosophie.
ist es
Nun leuchtet es aber ohne
Weiteres ein, daß er die Wahrheit nur insofem finden kann, als er sie in der Einheit seines Wesens sucht, also nicht als eine bloße Liebhaberei oder als Beftiedigung seiner Neugierde, sondern mit der ganzen Inbrunst und Sehnsucht seiner Seele, uicht mit dem
Verstand, der Vernunft, der Phantasie oder dem Gefühl allein,
sondem mit allen diesen Geisteskräften in harmonischer Entwicke lung und Thätigkeit zugleich.
Daß es aber einen solchen Brenn
punkt des Geistes, wo Verstand, Vernunft, Phantasie, Wille und Gefühl zusammcnfallen, giebt, ist außer allem Zweifel, und
dieses ist es wohl, was man unter dem Namen Gemüth, dem
Mittel und Brennpunkt des Geistes, begreift oder doch begreifen sollte.
Soll also dem Menschen die Wahrheit werden, so müssen
Philosophie und Religion einander immer mehr durchdringen, und
beide immer mehr von dem Gemüth ausgehen, so daß zuletzt der Unterschied zwischen beiden nur in dem Uebergewicht der Ver nunftthätigkeit in jener und der der Liebe und der Sehnsucht in
dieser besteht.
Wenn die Vernunft in ihrem Streben nach Wahr
heit die Mitwirkung der übrigen Geisteskräfte in Anspruch nimmt, so wird sie dadurch nicht bloß erst in den Stand gesetzt, ihre Auf gabe zu lösen, sondern sie gewinnt dadurch mehr Eingang und
Einfluß auf das Leben und erhebt und heiligt den Menschen, was sie alles, als eine bloße Vemunftthätigkeit gar nicht oder doch nicht
in dem Grade thut; und wenn hinwiederum das Herz in seinem Stre ben nach Wahrheit für sich die Mitwirkung der übrigen Kräfte des
Geistes, besonders die der Vernunft in Anspruch nimmt, so dringt die Religion immer mehr zum Verständniß hindurch, die bei fort schreitender Entwickelung des Menschen immer mehr Bedürfniß wird. Diesem allein richtigen Streben des Menschen nach Wahr
heit, nämlich in der Einheit seines ganzen geistigen Seins, stehen,
als ein doppelter Partikularismus, zwei Abwege gegenüber, die wohl am richtigsten als Nationalismus und als Mysticis mus bezeichnet werden.
Ersterer tritt aber in einer doppelten Ge
stalt hervor, denn einerseits besteht er, und zwar sowohl in der Philosophie als in der Religion, darin, daß der Mensch, seinen
gefallenen Zustand und seine daraus entstandene Verkehrtheit ig-
norirend, sich zutraut, aus sich allein und ohne die Beihülfe einer göttlichen Offenbarung jene große Fragen, welche den Inhalt der Philosophie ausmachen, zu beantworten. Andrerseits besteht er aber
darin,
daß die Vernunft auf eigene Hand und ohne Beihülfe
und Verbindung mit den übrigen Geisteskräften sich zutraut, die
selben beantworten zu können.
Die Folge dieses Rationalismus
in der Philosophie ist die, daß diese wie bekannt ihre Aufgabe noch nicht hat lösen können, daß sie dieselbe, so weit sie von ihr hat ge löst werden
können, einseitig und unvollständig gelöst hat und
daß sie einen verhältnißmäßig sehr geringen Einfluß auf das Le
ben ausübt.
Zn der Religion aber treten diese Uebelstande noch
stärker hervor, indem die Bernunstthätigkeit, welche in der Philo
sophie die Hauptrolle, in der Religion aber nur eine Nebenrolle spielt, und welche nicht einmal ihre eigene Aufgabe allein lösen
kann, sich anmaßt eine fremde zu lösen. Der schlimmste dieser Uebelstände ist aber der, daß die Religion unter den plumpen Hän den des Nationalismus beinahe ganz verschwindet und sich in
Moral umsetzt, als die höchste Lebensansicht, deren der Rationalis mus fähig ist.
Das Wesen des Mysticismus hingegen, als des entgegenge setzten Partikularismus, besteht darin, daß in dieser Form des Strebens zu Gott das Erkennen Gottes ganz zurücktritt oder doch mehr eine Sache des Gefühls und der Phantasie als die klarer Vernunftanschauung wird, mit Einem Wort darin, daß der My sticismus sich zutraut Gott leben zu können ohne Gott zu erken
nen. So wie daher der Rationalismus darin fehlt, daß er sich nur an den Verstand, höchstens an die Vernunft hält, die übri
gen Geisteskräfte aber vernachlässigt, so der Mysticismus grade
durch das Gegentheil. Sobald der Mensch den Urquell seines Seins erkannt hat, so erscheint ihm dieser als das höchste Gut, als der wünschenswertheste Gegenstand seines Strebens, und dieses Streben zu ihm als sein wahres Leben und die volle Gnüge der Seligkeit, welches
sein unruhiges Herz bis dahin im Endlichen gesucht hatte.
Er
fängt an Gott zu leben, und nun erst wird seine Religion, die bis dahin nur ein Streben nach Gotteserkenntniß war, wahrhaft
Religion, d. h. ein Beziehen seines ganzen Dichtens und Trach tens auf Gott und ein Leben in Gott.
Nun ist aber die My
stik ebenfalls ein Suchen Gottes, und zwar nicht sowohl mit
dem klaren Blick des Verständnisses als mit den offnen Armen der Sehnsucht, nicht sowohl das Hangen unsers geistigen Blickes
an ihm, als das Verweilen unsrer Liebe bei ihm; und so fällt
die wahre Mystik insofern mit der wahren Religion zusammen,
daß beide mehr ein Tottleben als ein Gotterkennen sind.
Beid
suchen Gott und eine Vereinigung mit ihm und beide halten diese
Vereinigung mit ihm und das Leben in ihm für möglich und beide
machen diese zu ihrer Hauptsache.
(Daß aber die wahre Religion
d. h. das Christenthum wirklich dieses Hinstreben zu Gott und
diese Vereinigung mit ihm, die dem Rationalismus so undenkbar und abenteuerlich erscheinen, für etwas Mögliches,
Nothwendi
ges und Hauptsächliches hält, zeigt das Festhalten desselben
an
der höchsten Ansicht des Abendmahls, des Kulminationspunktes
des christlichen Lebens, welcher zufolge der Gläubige in demselben
mit seinem Erlöser und, durch ihn, mit Gott aufs Allerinnigste vereinigt wird.)
Indessen, wenn wir uns die Mystik auch noch
so veredelt und von allen verunstaltenden Zuthaten befreit denken,
so bleibt doch ein wesentlicher Unterschied zwischen ihr und der Religion.
Denn diese gründet sich auf eine durch die Wissen
schaft und die Rekonstruktion der Offenbarung im menschlichen
Geist gewonnene Vernunftanschauung von dem Verhältnisse des Menschen zu Gott, während die Mystik dieses Licht verschmäht oder gar flieht.
Die wahre Religion ist durch die lichte Pforte
des Verständnisses zu Gntt eingegangen und hat das Verständ niß hinter sich, während die Mystik nicht einmal dazu kommt, es
zu suchen.
Die wahre Religion ist der Tag mit seiner leuchten
den und wärmenden Sonne, die Mystik aber die Nacht mit ihren
tausend Lichtern, die doch alle zusammen dem Einen des Tags an Helle nickt gleichkommen; jene ist endlich das heitre Wachen, diese das sinnige Träumen. Ist also in dem Mysticismus auch in dessen vollkommenster Gestalt eine Einseitigkeit vorhanden, so tritt diese mit der Ausar
tung desselben immer mehr hervor.
Auf der nächsten niedrigen
Stufe schwelgt er in Gefühlen und Phantasien und giebt das Han deln für die Welt der Wirklichkeit ganz auf; auf einer noch nie
dern spielt und tändelt er mit dem Geheimnißvollen und den Sym bolen desselben; auf der niedrigsten endlich fängt dieser Selbstbe
trug an, in Heuchelei überzugehen.
Tauler, die Anachoreten, die
Karfunkelsänger und unsere heutigen Frömmler können diese Stu fenleiter bezeichnen. —
Hieraus geht nun auch hervor, welchen
Nutzen die Wissenschaft von den Schriften der Mystiker zu hoffen
hat,
von den achten und tiefsten nämlich,
denn andere können
hier natürlicherweise in keinen Betracht kommen.
Zwar hat die
Aufklärerei und der Rationalismus darin Unrecht, wenn sie ihn
wegwerfend behandeln, aber auch unsere neueste bessere Zeit scheint darin Unrecht zu haben, sich so viel davon zu versprechen: ob es immer gleich eine interessante Erscheinung ist, zu sehen, mit wel cher Freudigkeit die besten Köpfe unserer Tage jedem bedeutenden
Mystiker entgegenkommen,
als
hofften sie in dessen
Schriften
ganze neue Kapitel aus der Offenbarung der Wahrheit zu finden.
Zn der Geschichte der Entwickelung des menschlichen Geistes, als der Naturgeschichte des menschlichen Denkens, find die Mystiker allerdings sehr beachtenswerth,
aber daß die Mystik uns große
Aufschlüsse über die Frage: was ist Wahrheit? geben könnte, die
ser Hoffnung widerspricht schon der Umstand,, daß sie ein Parti» Interessant und beachtungswerth werden immer
kularismus ist.
ein Swedenborg, ein Jakob Böhme und dgl. in der Geschichte der Philosophie bleiben; aber den Nutzen, den sie der Sache der Wahrheit bringen, wird man schwerlich je besonders hoch anschla
gen können.
Wer ein ganzes Menschenleben darauf zu verwen
den hätte, die Goldkömlein der Wahrheit in ihren Schriften zu
sammeln, der würde zwar nicht ganz leer ausgehen, sich aber
doch am Ende gestehen müssen, er habe dieses Gold viel zu theuer gekauft und er habe es anderweit lichter und weit reichlicher ge
winnen können. Der Mysticismus hat zwar seinen Namen vom Geheimniß
vollen, allein darum ist doch nicht jede Hinneigung zu demselben
als z. B. die Lust mit Geistern zu verkehren, mit den geheimniß vollen Naturkräften zu spielen rc. Mysticismus, sondern vielmehr
Wundersucht oder dgl. zu nennen.
Nur Ein Geheimniß beschäf
tigt den wahren Mystiker, das, welches jene Hauptaufgabe des
menschlichen Geistes in sich faßt. —
Hieraus geht nun aber
auch hervor, worin der Unterschied zwischen Mysticismus und
Schwärmerei besteht.
Während der Mysticismus, zumal der
wahre, nur Einen Gegestand seines Strebens, seiner Sehnsucht
und Liebe kennt, kann man für alles Andere, dieses Eine ausge nommen, schwärmen; denn es wäre Unsinn von jemandem zu sa
gen, er schwärme z. B. für das Göttliche.
Die Schwärmerei
96 entsteht, wenn bei einem, bei Unkenntniß der wahren Verhält nisse der Dinge und bei Uebermaß des Gefühls und der Phanta
sie, irgend ein besonderes Streben sich entwickelt und nun dieser
seiner überspannten Vorstellung gänzlich lebt, dabei aber, von der Unfehlbarkeit seiner lebhaften individuellen Ueberzeugung eingenom-
ttien, es vermeidet, sich eine richtigere Ansicht von seinem Lieblings
streben und von dem Werth desselben in Hinsicht der übrigen Ge
genstände der menschlichen Thätigkeit und Liebe zu verschaffen. Die Schwärmerei kommt daher nur insofern mit dem Mysticis mus überein, daß sie, diesem Gliede ein Partikularismus ist.
V.
Ueber die Entstehung der verschiedenen Menschenra^en.
£)um Tempel der Wahrheit führen bekanntlich zwei Stufen; die
untere heißt Möglichkeit, die obere Wirklichkeit.
Von der
untern schauen wir die Dinge an, wie sie allenfalls sein könn
ten, von der obem, wenn wir sie sonst betreten können, wie sie wirklich sind.
Wem es aber nicht vergönnt ist, die zweite Stufe
zu ersteigen, hat dennoch dadurch, daß er sich auf die erste schwang, seine Menschenwürde beurkundet.
Denn diese besteht, als Wissen,
darin, daß der Mensch das ihn umgebende Universum in seinem
Geiste abspiegelt und seinem Geist die Dinge so vorstellt, als sie an sich sind.
Nun ist aber klar, -daß eine solche Vorstellung
nicht eher ein Reflex des Wirklichen, des Gegenstandes, sein kann, als sie nicht nur eine mögliche ist, als das Denken, indem das
selbe sie bildet, in keine Widersprüche mit sich selbst geräth, son-
dem keinen objektiven Widerspruch in sich enthält.
Soll z. B.
meine Vorstellung von dem Ring des Saturns möglicherweise
wahr sein können, so muß ich mir erstens diesen Ring nicht als
viereckig denken, indem Ring und viereckig sich widersprechen, und dann etwa nicht als eine bloße, durchaus immaterielle Lichtmasse,
indem es der Natur des Lichtes widerspricht, etwas so scharf Abgegränztes zu bilden und anders als an der Materie zu erscheinen. Erst wenn meine Vorstellung von diesem und ähnlichen Gebrechen
frei ist, ist sie insofern denkbar, d. h. ist es möglich, daß der Ring des Saturns solcher ist, wie ich ihn mir denke, womit frei lich indessen noch gar nicht abgemacht ist, daß er wirklich meiner
Vorstellung entspricht.
Der erste Schritt zur Wahrheit und die
Bedingung, daß wir ihr näher kommen können, ist daher die, 7
Ä8 daß wir uns von der Sache eine Vorstellung machen, die wenig
stens denkbar ist.
Nur so können wir vielleicht einst zu einer der
Sache wirklich entsprechenden gelangen. gefangen hat,
Sobald daher einer an
sich um das Wie der Dinge zu bekümmern, so
muß er sich um jeden Preis eine wenigstens denkbare Vorstellung
desselben bilden, sollte sie auch fürs erste eben nur denkbar, eine Hypothese anstatt eine evidente Wahrheit sein.
Bei der Beschränkt
heit des menschlichen Erkennens ist es schon ein Gewinn, sich eine Sache denkbar zu machen, wenn man auch nicht zum Wirklichen hindurchdringen kann.
Wenigstens ist dann der Geist so lange zu
frieden, als jene Denkbarkeit hält. Zu diesen Vorstellungen, mit denen wir wenigstens bis zur Denkbarkeit hindurchzudringen gezwungen sind, gehört unstreitig
auch die von der Entstehung der verschiedenen Menschenraven.
Da
wird es uns nun gleich von vornherein unmöglich,mehrere ursprüng
liche Menschenpaare anzunehmen, obgleich, da nichts hindert uns dieselben so verschieden als wir es nur irgend wollen zu denken,
die ganze Frage mit einer solchen Annahme ohne Weiteres gelöst wäre.
Aber schon die weise Einfachheit und Sparsamkeit, die wir
überall in der Schöpfung wahrnehmen und das überall sichtbare und der Weisheit des Ordners der Dinge so angemessene Streben, die
Aufgabe des Universums auf dem einfachsten Wege zu lösen, wi
derspricht dieser Annahme;
wenn wir auch von allen sittlichen
Gründen, die hier vielleicht noch mehr ins Gewicht fallen dürften, absehen wollten.
Nichts dürfte aber die Unhaltbarkeit der Annahme:
die Urmenschen seien an verschiedenen Punkten der Erde von den Naturkräften hervorgebracht, sosehr beweisen als die von Gelpke
(in dessen Schrift über das Urvolk der Erde zc.) gemachte Ein wendung, daß dann das Menschengeschlecht in Amerika noch wei ter von uns abstehen würde, als der Urang-Utang und daß der
von den Naturkräften dieses Welttheils hervorgebrachte Mensch eben so ungestalt sein würde, wie das Faulthier nmd die übrigen
daselbst ursprünglichen unansehnlichen und beinahe mißgestalteten Thiere.
Auf der andern Seite scheinen die Gründe, welche man
wider die Abstammung des Menschengeschlechts von Einem Paar vorbringt, nicht sonderlich ins Gewicht zu fallen. Einmal wäre dann, sagt man, die Bevölkerung der Erde dem Zufall überlassen; als wenn
es vor der Gottheit einen Zufall gäbe, und als wenn Der, wel
cher das Dasein des Menschengeschlechts beschloß und den ersten Menschen schuf,
die jetzt auf der Erde lebenden 4 — 500 Mill.
Menschenpaare nicht eben so gut erhalten muß, wenn sie bestehen
sollen, als das erste Menschenpaar.
Ferner wäre, sagt man, die
Verbreitung des Menschengeschlechts durch Auswanderungen von
Einem Punkt aus gar zu unwahrscheinlich.
Kennen wir denn
aber den Urmenschen und den Instinkt, der ihn int Anfänge sei nes Daseins leitete? Wissen wir denn, ob er nicht grade einen solchen Auswanderungsinstinkt hatte und beweiset denn das Aus ziehen unzähliger Menschenschwärme aus den Hochebenen Asiens
nichts? Die Richtigkeit der Bemerkung, die ferner gemacht wird,
daß eine fruchtbare Begattung zwischen Individuen von den entge gengesetztesten Ra§en nichts für die Abkunft des Menschengeschlechts
von Einem Urstamm beweiset, müssen wir zugeben; aber eben so wenig scheint dieser Umstand wider diese Abstammung zu beweisen.
Nur der Einwurf, daß sich der Ra^enunterschied nie verwischt, scheint vom größten Gewicht zu sein.
Denn die Erfahrung, daß Euro
päer, welche Jahrhunderte lang unter Negern lebten, dennoch nichts
Negerartiges annahmen, es sei denn daß eine Vermischung mit
ihnen statt gefunden hatte, scheint der Annahme zu widersprechen, als sei diese körperliche Verschiedenheit nur eine Folge der klima
tischen.
Wer weiß aber, ob nicht auch die Erfahrung, wenn man
nur recht genaue Nachfrage hielte, wenigstens leise Spuren davon aufzuweisen hätte, daß, so wie die Negerfarbe, auch ohne Vermi schung, im Verlauf der Jahrhunderte in weiter vom Aequator
gelegenen Ländern erbleicht, die Negerbildung auch zurücktritt und daß in dem Grade als geistige Bildung den klimatischen Unter schied unterstützt, auch die vorgestreckten Kiefern zurücktreten und der Hirnschädel sich freier wölbt.
Wenigstens behauptet Calda-
nus, (Institutiones physiol. Patav. 1773 pag. 144) daß ein
Neger, der als ein Kind nach Venedig gebracht worden war,
durch einen langen Aufenthalt daselbst so sehr von seiner Schwärze verlor, daß er am Ende nur gelblich war.
Ferner soll sich in Ko
penhagen eine Negerfamilie befinden, welche nur erst in der zwei ten Generation da lebt, aber schon die dunkle Schwärze der Haut verloren hat. —
Ebenso sollen nach Zimmermann (geograph.
Geschichte der Menschen, 1. Th. S- 79 — 97) Menschen von der
7*
kaukasischen Ra?e in heißen Ländern die schwarze Farbe annehmen, die, nach Blumenbach dadurch entsteht, daß ein Theil des Koh
lenstoffes in dem gekohlten Wasserstoffgas, welches sich in den
heißen Ländem vorzüglich entwickelt, unter der Oberhaut in dem Schleimhäutchen niedergeschlagen wird, wodurch dasselbe schwarz gefärbt wird. —
So kamen nach Zimmermann die Mauren
und Sarazenen im 7. Jahrhundert als braune Menschen nach dem
nördlichen Afrika, gleichen aber jetzt, nachdem sie tiefer gegen den Aequator hinuntergegangen sind, dem wahren Neger an Farbe
vollkommen. So sind die Nachkommen der Portugiesen, welche sich im 14. Jahrhundert nicht weit vom Senegal niederließen, nicht von
den Negern zu unterscheiden.
Eben so sind die Juden, welche
sich einst in Abyssinien niederließen, und vermöge ihrer Religions
gesetze sich mit den Negern nicht vermischt haben, jetzt eben so
schwarz wie die Abyssinier.
Soll man aber Ein Urvolk, als die
Nachkommen Eines Urpaars, annehmen, — und wir können von
dieser Annahme schwerlich loskommen,— so kann man, wie auch Link in seinem Buche: die Urwelt und das Alterthum, dem wir hier folgen, es annimmt,—
dieses nirgends anders als un
ter den Negern suchen, einmal weil der Negerstamm unter allen Menschenstämmen unstreitig der unvollkommenste ist und die Na
tur immer von den unvollkommnern Geschöpfen zu den vollkommnern fortschreitet, und dann weil im Thierreich der schwarze Stamm
in der Regel der Urstamm ist, der weiße hingegen der abgeleitete. Indessen scheint das heiße, in seinem Innern sandige und vermuth lich mit großen Sümpfen und Lagunen bedeckte Afrika, zumal als eine abgeschnittene Halbinsel zu einer Wiege des Menschengeschlechts
wenig geeignet.
Nün wird aber das Innere der großen Inseln
im indischen Meere noch heutzutage von einem Negervolk (Ha-
raforas) bewohnt.
Auf diesen Inseln, die in den frühern Zeiten
wahrscheinlich mit dem Festlande zusammenhingen, wäre daher die
Wiege des Menschengeschlechts wohl am ehesten zu suchen, und
wenn die Phantasie hier einen festen Punkt verlangt, wohin na
mentlich sie dieselbe zu verlegen hätte, so mag Seilan mit seinem Pic Adam und mit der Sage, daß dort der erste Mensch gelebt
habe, ihr für einen solchen gelten.
Auch einige Züge der indischen
Mythologie als der schwarze Bud ha, Krishna der schwarze und
Hanuman, der Fürst der Affen, Krishna's Freund und Gehülfe,
scheinen auf einen schwarzen, den Affen nicht ähnlichen sondem
ähnlich gewordenen Urstamm hinzudeuten.
Von hier mag sich
nun der Negerstamm nach dem Innern von Afrika hin verbreitet
haben, wo er durch die isolirte Lage diefes Welttheils und durch hemmende klimatische Einflüsse in dem Fortschritt zur Bildung
aufgehalten worden sein und sich von den übrigen am schärfsten unterschieden erhalten haben mag.
Zugleich mag er sich aber auch
nach dem Norden und Osten verbreitet haben.
Der erste durch
Klima, Zeit und die Eigenthümlichkeit des Entwickelungsganges vermittelte Uebergang des Negerstammes war der nach dem Nor
den und Osten in den malayischen, welcher durch dieselbe Vermit telung später in den mongolischen überging, so wie dieser in sei
ner östlichen Verbreitung in den amerikanischen und durch seinen
nordwestlichen in den kaukasischen, während der Negerstamm im Innern von Afrika nördlich in den,
den Uebergang zum kauka
sischen vermittelnden Kafferstamm und südlich in den, den Ueber
gang zum mongolischen vermittelnden Hottentottenstamm überging. So weit nach Link.
Wenn wir den ursprünglichen Sitz des Men
schengeschlechts auf den großen Inseln im indischen Meere annehnehmen, so zog die früh entstandene Abart der Mongolen erstlich nordwärts nach Hinterindien, dann ostwärs an den Küsten herab
nach Turkin und China, verbreitete sich gegen das Innere des Landes, wo die Gebirge sie lange zurückhielten, bis sie endlich über diese nach Tibet und in die Kalmükei vordrangen.
In den
ebenen und fruchtbaren Landern von Chiam, Cochinchina, Tunkin
und China bildeten sich diese- Völker mehr aus, als die in den innern gebirgigen Gegenden, vorzüglich das chinesische, vielleicht weil in gemäßigten Himmelsstrichen die Thätigkeit der Menschen dauernder und inniger erregt wird, als in den heißen Gegenden. Link II, 233.
Wir haben Klima, Zeit unt> die menschliche Entwickelung als die Bedingungen für den Uebergang einer Menschenrare in
eine andere gesetzt, und daß sie, zumal in Wechselwirkung auf ein ander, einen solchen bewirken können, ist mehr als bloß wahrschein lich.
Nehmt ein Negerpaar (o geschähe doch in der That dieser
Versuch!)
gebt ihnen die höchste mögliche geistige Bildung und
die Gestalt (Schädel und Kiefer) ihrer Nachkommen müssen sich
veredeln, das kann schlechterdings nicht fehlen.
Bei der Ent
menschlichung, als etwas, was nie im Nathschlusse der Vorsehung liegen kann, wie der Fortschritt zur Humanität, möchte dieses in
dessen nicht gelten. —
Was nun den mächtigsten dieser Fakto
ren, die Entwickelung und Bildung betrifft, so läßt sich von vornherein ein dreifacher Zustand desselben annehmen.
schreitet gar nicht vorwärts,
Entweder sie
oder die Menschen erheben sich zu
einem bedeutenden Grad der Bildung, bleiben aber dann Jahrtau
sende lang auf derselben Stufe stehen, oder ihre Entwickelung wird
zu einem immer weiter und ins unendliche gehenden Fortschritt. Auf der andern Seite ist aber offenbar, daß diese verschiedene Bildungsstände, außer denen kein andrer mehr möglich ist, sich nach dem Vorzug der einen Raye vor der andern richten müssen.
Der
unvollkommenste Menschenstamm, der der Neger, bleibt immer bei nahe auf derselben Stufe stehen, auf die ihn die erste Nothwen
digkeit des Zusammenseins von Menschen mit Menschen hinstellte und scheint sich gar nicht darüber erheben zu können.
Der nächste
höhere Menschenstamm, der malayischeund mongolische, als Einer
genommen, ging aus dem unvollkommnern Urstamm hervor, weil
ein Theil des letztem sich über die Inseln Südasiens, über Indien und das heutige China verbreitete, wo die Natur weit anregender
auf den Menschen gewirkt haben mag, als im sandigen erstorbenen
Mittelafrika, wo der Urstamm eben aus diesem Grunde das blieb,
was er in seinem Ursitze war.
Diese durch die Natur bewirkte
Veredelung des Urstammes bewirkte eine fortschreitende Entwicke lung, allein bald machte sich die vis inertiae der nahen Abstam
mung aus dem unvollkommensten Menschenstamm geltend, und dieser Stamm blieb, nachdem er eine gewisse Höhe der Ausbildung erreicht
hatte, auf dieser Stufe für immer stehen.
Endlich potenzirte sich die
menschliche Natur zum kaukasischen Stamm, und ihrFortschritt ward
nun -ein ins Unendliche weiter gehender.
Dieser hat von der Vor
sehung die Aufgabe bekommen, nachdem die Reibungen unter den Völkern, welche denselben ausmachen, aufgehört und sie die Haupt bedingungen für ein höheres Sein bei sich erfüllt haben werden,
auf den Fortschritt der übrigen Menschenstämme aufregend einzu
wirken, wobei der Gang natürlich kein anderer als von dem voll-
kommnern Stamm zum minder vollkommnen heruntersteigend sein kann.
Dem kaukasischen Stamm steht der amerikanische, zumal in
Nordamerika am nächsten. Auf ihn hat die Einwirkung schon Hätten die Europäer aber die ihnen von der
mächtig begonnen.
Vorsehung ertheilte Bestimmung begriffen, so hätten sie vorher ihren asiatischen Stammbrüdern die ihnen von denselben einst ge
brachte bürgerliche Ordnung und Sittigung, welche bei diesen un
tergegangen war, zurückgebracht.
Ob man sich nicht indessen die
Kreuzzüge als eine instinktmäßige Ahnung dieser Aufgabe betrach ten darf?
Nachdem sie aber einst wird gelöst worden sein, wird
der Konflikt mit dem mongolischen und endlich mit dem malayiDie letzte Aufgabe der gebildeten Mensch
schen Stamm beginnen.
heit wird aber die sein, dm Urstamm, den am niedrigsten stehen den, in dem geheimnißvollen Afrika aus seiner Lethargie zu we cken und ihn durch die Sittigung und Bildung, welche sie ihm bringen wird, zu einer höhern Stufe des menschlichen Seins zu
erheben. Ist unsere Annahme eines dreifachen Bildungszustandes rich tig, so muß sie sich auch ferner in den Sprachen, diesen Zei
gern der jedesmaligen Entwickelungsstufe nachweisen lassen. Und in der That scheint die Erfahrung dieses zu bestätigen. Die Spra
chen der Negervölker sind ein formloses, ungeordnetes Chaos, wel
ches auf gar keine Bildung hin weist.
So wie aber der Ne
gerstamm in den malayischen überging, so ging die kindische Ur
sprache in die einsylbige Siamische und Chinesische über, welche, bei aller grammatikalischen Biegungslosigkeit, doch auf einen be Diese Sprache geht nördlich in die der Mantschu und südlich in die der
deutenden Fortschritt derer, die sich ihrer bedienten, hinweist.
Malayer, welche beide die Mitte zwischen den ein- und vielsylbigen bilden, über.
Erst bei dem kaukasischen Menschenstamm er
reicht auch die Sprache ihre höchste Vollendung, die sich beson
ders in dem Uebergang zu der chr eigenthümlichen, den Namen
laut und nicht die Sache bezeichnenden Schrift kund thut.
Aber
auch beim kaukasischen Stamm zeigt sich eine doppelte Tendenz,
einmal ein Ueberrest, der in den niedriger stehenden Stämmen noch
stärker vorwaltenden vis inertiae, und dann die zum unendlichen Fortschritt.
Wir möchten jenen den Orientalismus,
Germanismus nennen. schen Sprachen an,
diesen den
Dem Orientalismus gehören die semiti
der Germanismus hat in der Zendsprache
seinen Ausdruck gefunden.
Die Zendsprache nun wirkte bildend
zurück auf einen weniger vollkommnen Stamm und erzeugte die
Sanskritsprache, welcher die griechische, lateinische und slavische
entstammen, so wie die germanischen unmittelbar der Zendsprache. Die in der Sanskritsprache erscheinende höchste Sprachausbildung
verdankt also ein niedriger stehender Stamm dem am Höchsten ste
henden. Wir haben an einem andern Ort (Studien 1 Heft, S. 60)
dargethan, daß das intellektuelle Leben durch keine Steigerung des
Vegetativen, d. h. des Lebens des Organismus, sondern erst durch ein Uebergreifen der Gottheit zu erklären ist.
Wenn daher der
Mensch Geist aus Gottes Geist ist, so scheint es, um noch ein
mal zum Urstamm der Menschheit zurückzukehren, unnatürlich, den thierischen, dem Affen am nächsten stehenden Neger als den aus Gottes Schöpferhand hervorgegangenen Urmenschen anzunehmen.
Allein auch hier bietet sich ein sehr nahe liegender Erklärungsgrund -ar, wenn sonst der Naturforscher nicht verschmäht von den Er
gebnissen der Offenbarung und der Spekulation Notiz zu nehmen. Beide lehren nämlich in wunderbarer Uebereinstimmung mit ein ander und dazu noch mit der Erfahrung, einen ursprünglichen Fall
-es Menschengeschlechts.
Wenn also auch der Naturforscher die
Wahrheit in ihrer organischen Einheit gelten lassen will und sich
für verbunden hält, sie
in dieser Einheit zu suchen und von
-em Notiz zu nehmen, was auch in andern Sphären des Wissens Wahrheit ist, so braucht er den heutigen Neger nicht als den Ur
menschen, sondern als den sinnlichen Typus des gefallenen Men schen anzusehey. Der Urmensch wäre demnach nicht der heutige
Neger mit der zurückstoßenden Affenphysiognomie, sondem etwa, wenn man nicht sonst das Gewicht dieser eben so schönen als auf
fallenden Ueberlieferung verwerfen will, die Aithioper Homers,
„die gerechtesten der Menschen, die Lieblinge der Götter, zu deren Festen diese sich begeben."
Durch den Fall aber, der ein Abfall
von dem Leben in Gott und ein Zurücksinken des Menschen in
sich war, mußte der Urmensch, der gerechte Aithiope, sinnlich und thierisch werden, und daß durch diese geistige Verwandelung auch seine körperliche Gestalt verwandelt wurde, daß die Organe des
Fressens hervor- und die seines geistigen Lebens zurücktraten, ist wohl mehr als bloß wahrscheinlich.
Ein so ungeheurer Riß als
der Abfall des Menschen von Gott war, mußte auch im Physi-
105 schen auffallende Erscheinungen hervorbringen.
Das auch nach
dem Falle im Menschen zurückgebliebene Minimum
eines Gött
lichen hat aber diese affenartige Umatur in andern Menschenra^en
schon eher als das welterlösende Evangelium an sie gelangte, auf gehoben, und einst wird die von dem edelster Menschenstamme aus
gehende höhere Bildung und das geistigere, auf Gott zurückgeführte
Leben die Formen des gefallenen
und mit dem Gepräge des
Falls bezeichneten Urstamms so veredeln, daß an ihm am Ende nichts Neger- und Affenartiges mehr zurückbleiben und er sich nur etwa durch seine schwarze Farbe und sein krauses Haar von den
andern Stämmen unterscheiden wird.
VI. Das
Bewußtsein
als
Princip
der
Erkenntniß
und der Philosophie.
Da
das Bewußtsein, wie es im 1. Hefte oben S. 10 ff. kürz lich dargestellt worden, derSchlußstein desHartman'schcnSy
stems ist, mit welchem dieses steht oder fällt, so wird es um so nöthiger sein, hier besonders anzudeuten, — wie wir denn hier nur Andeutungen geben können, — einmal wie das Bewußtsein
das Erste und Letzte der Erkenntniß ist, und dann, wie sich diese
Hartman'sche Lehre vom Bewußtsein, als höchstem Princip der Erkenntniß, gegen die Einwürfe vertheidigen ließe, die aus dem Gesichtspunkte der dermalen herrschenden Philosophie dagegen
gemacht werden können.
So wie, nach dem Ausspruche Schlegels, die Philosophie subjektiv betrachtet, immer , wie ein Epos, in der Mitte anfangt,
so scheint sie auch, objektiv genommen, mitten im Gegebenen und vom Standpunkte des gewöhnlichen Denkens anfangen zu müssen.
Denn an dem Menschen, wie er sich beim ersten Selbstbesinnen vorfindet, ergehen jene ewigen Fragen, deren Beantwortung eben
die Philosophie ausmacht, und mit den Fähigkeiten, deren er sich bei diesem Selbstbesinnen bewußt wird, muß er an die Beantwor
tung -jener Fragen gehen.
Von jedem andern Standpunkte an
die Philosophie anfangen wollen, hieße sie mit einem Sprunge anfangen wollen, und welche Gewißheit ließe sich von einer Phi losophie erwarten, die auf die Frage,
wie sie von dem Stand
punkte des gewöhnlichen Denkens zu dem selbstgewählten gekommen sei, die Antwort schuldig bleiben müßte!
Daß jener Standpunkt kein anderer sein könne als der des Bewußtseins, leuchtet von selbst ein; denn Alles, was wir wissen,
wissen wir nur insofern, als wir uns dessen bewußt werden, also
insofern es vor unserm Bewußtsein steht.
Nur was innerhalb
des Kreises desselben liegt, ist für uns und unsre Erkenntniß da,
wahrend, was außerhalb, für uns gar nicht existirt.
Etwas er
kennen heißt also nichts anders, als es vor ben. Spiegel des Be
wußtseins bringen und zusehen, wie es sich in demselben darstellt.
Tritt aber das zu Erkennende nicht in unser Bewußtsein ein, so wird es nimmer unser Eigenthum. Bewußtsein ist der Akt des Wissens: wo der nicht vor sich geht, wo nichts gewußt wird, da ist natürlich auch kein Wissen.
Da nun also alle Erkenntniß in
nerhalb des Bewußtseins liegt, und da wir durch unser Philoso
phiren eine Erkenntniß suchen, so muß die Philosophie nothwendig vom Bewußtsein ausgehen. Philosophiren heißt vorerst, eine Erkenntniß suchen, obgleich
nicht jedes Suchen einer Erkenntniß darum Philosophie ist.
Nun
kann man aber nicht erkennen, ohne Etwas zu erkennen.
Die
Erkenntniß hat also ein Objekt.
Welches Objekt wollen wir also
durch unser Philosophiren erkennen?
Ohne Zweifel Alles, was
Objekt der Erkenntniß ist oder sein kann, also uns selbst, die Welt und die letzte Ursache von Allem was da ist.
Warum wollen wir
aber dieses erkennen? Eigentlich schon darum, weil das Erkennen dem Geiste eben so Bedürfniß ist, als dem Körper das Athemholen, als der Biene das Honigsammeln und Zellenbauen. So dann aber auch, ohne Zweifel, um ein adäquates Bild unsers
Selbst, das wir ebenfalls nur insofern erkennen, als es vor un serm Bewußtsein steht, und der Welt zu. haben; also um uns und
die Welt zu verstehen, um zum Verständniß des Daseins zu kom men, und um uns daher so benehmen zu können, daß wir mit
uns selbst und mit allem, was uns umgiebt, in keinen Wider spruch gerathen.
Der Zweck unsers Philosophirens wäre also
erreicht, wenn wir erstens uns ein vollkommen adäquates und
bleibendes Bild alles dessen verschaffen könnten, was sich uns in unserm Bewußtsein vorübergehend darstellt, und wenn wir, da
die Verhältnisse und Ursachen des Ganzen sich dem Bewußtsein nicht unmittelbar darstellen, sondern in dem Gegebenen beson ders ausgesucht werden müssen, auch diese dergestalt vor das Be
wußtsein bringen könnten, daß wir uns auch davon ein solches ihnen völlig entsprechendes Bild verschaffen könnten, insofern das
im Dewußtsein.Vorkommende auf diese Verhältnisse und Ursachen
hinweist und sie voraussetzt.
Wäre beides dieses möglich, so hät
ten wir in uns ein zwar nicht erschöpfendes, aber doch getreues
und in sich vollständiges Bild des Ganzen, so weit wir damit
in Berührung kommen, und könnten also, im Besitz wahrer, dem
Ganzen entsprechender Vorstellungen, so denken und handeln, daß wir dadurch keinen Widerstreit mit ihm zu befürchten hätten. Die Möglichkeit der Philosophie beruht daher auf der Mög
lichkeit, folgende drei Fragen genügend zu lösen: wahre Erkenntniß an sich möglich?
1. Wie ist eine
2. Wie ist eine wahre Er
kenntniß der sich dem Bewußtsein darstellenden Objekte möglich?
und 3. Wie ist eine wahre Erkenntniß der sich in ihm nicht un mittelbar darstellenden Verhältnisse und Ursachen derselbm möglich, auf welche das im Bewußtsein Vorkommende hinweist und welche
es voraussetzt? Da man aber nicht erkennen kann, ohne.etwas zu erkennen, so fällt die erste dieser Fragen mit den beiden fol genden zusammen.
Dagegen zeigt sich in der Erkenntniß des im
Bewußtsein Vorkommenden sogleich eine Doppelheit. Das Ob jekt derselben verändert sich unaufhörlich, jinb die Erkenntniß muß
sich also, soll sie wahr bleiben, parallel mit demselben verändern. Dieser Wechsel kann aber nur als die Aeußerung eines hinter ihm verborgenen Seins gedacht werden, und wir müssen daher, um das Objekt vollständig zu erkennen, es nicht nur in seiner wech selnden Erscheinung,
sondern auch in seinem sich immer gleich
bleibenden Sein, das jener ohne Zweifel zum Grunde liegt, er
kennen.
Mithin gestalten sich die Hauptfragen der Philosophie
nunmehr also:
1. Wie ist eine wahre Erkenntniß des sich in un
serm Bewußtsein Darstellenden möglich, insofern es eine wechselnde Erscheinung ist? Wenn dieser Erscheinung ein sich gleich bleiben
des Sein zum Grund liegen sollte, wie ist dieses, das sich wohl nicht- unmittelbar unserm Bewußtsein darstellt, zu erkennen? Nun
ist aber dieses Letztere nur insofern zu erkennen, als wir es vor unser Bewußtsein bringen, indem nur da Erkenntniß möglick ist. Es gestaltet sich diese zweite Frage wieder also: Wie ist das im Be
wußtsein nicht unmittelbar Vorkommende also, einmal das Seiende und Bleibende in der Erscheinung, und dann der Grund der Dinge
darin aufzusuchen? Wenn nun aber diese zwei Fragen beantwor tet sind, so entsteht noch die dritte: Wie ist von diesem doppelten
Material,
dem im Bewußtsen unmittelbar Gegebenen und dem
darin besonders Aufzusuchenden, die Konstruktion eines in sich
gegründeten Systems von Erkenntnissen möglich, welches ein ge
treues Bild des Systems der Objekte selbst, so weit diese erkannt werden, darböte? Die erste dieser Fragen hat Hartman
in
seiner Wissen-
schaftslchre vollständig und genügend beantwortet, und was wir
in der Darstellung seines Systems darüber aufgestellt haben, möchte
wohl fürs Erste hinlänglich sein, um wenigstens seinen Jdeengang darzustellen.
Er zeigt, wie das durchaus unveränderliche und
nichts verändernde Bewußtsein das Objekt getreu und unverändert abspiegelt, so daß wir, insofern es vor diesem steht, ein reines und unverfälschtes Bild des Objekts in uns aufnehmen können.
Darauf, daß das Objekt eine wechselnde Erscheinung ist, legte
er kein Gewicht, und in Einer Hinsicht wenigstens hatte er auch Recht darin, es nicht zu thun; denn die Erkenntniß ist darum
nicht minder wahr und hat darum keinen geringern Werth daß das Objekt eine solche ist.
Denn wenn wir z. B. einen Menschen
als wechselnde Erscheinung erkennen, so ist diese Erkenntniß von
ihm eben so wahr, d. h. seinem Objekt eben so sehr entsprechend, als wenn wir ihn als Idee erkennen.
Daß das Objekt wechselt,
in jedem Augenblick ein neues ist und von irgend etwas Anderm im Dasein erhalten wird, thut der Realität der Erkenntniß des selben durchaus keinen Eintrag, denn sie ist insofern reell und
wahr, als sie jedesmal, wenn sie das Objekt abspiegelt, es ge rade so abspiegelt, wie es in diesem Augenblicke ist, und sie würde nur dann unwahr sein, wenn sie es als etwas Anderes zeigte,
als es eben jetzt ist.
Und so verderblich die Lehre der griechischen
Sophisten war, daß wir nur diese wechselnde Erscheinung erken nen könnten, und daß nur allenfalls diese Erkenntniß einen Werth
habe, so wäre das eine vielleicht nicht weniger verderbliche So phisterei, wenn man lehren würde, die Erkenntniß,der Erscheinung
wäre darum unwahr, und werthlos, weil diese etwas Wechseln
des ist, und nur die Erkenntniß der Dinge in ihren Ideen oder
Begriffen sei die wahre.
Und daher möchte die Tendenz der Hart
man'schen Philosophie, welche den Werth der Erkenntniß der Er scheinung würdigt, und als den nothwendigen Durchgangspunkt
jener Erkenntniß des an sich Seienden zu achten lehrt, besonders
heutzutage sehr wohlthätig und beachtenswerth sein; denn so wie wir überhaupt die Wahrheit nicht anders haben werden als inso
fern wir sie als Eine ersassen, so werden wir sie auch nur dann
haben, wenn wir die Erkenntniß der Erscheinung und der Idee in Eins zusammenfassen, sie als die beiden gleich nothwendigen Fak
toren der Erkenntniß des Objekts betrachten und durch die der Er scheinung zu der der Idee hindurchdringen. Es steht daher der Philosophie übel an, auf jene Erkenntniß vornehmthuend herabzu
blicken,
sie als die gemeine zu bezeichnen, und, „allgütig wie
sie ist" das „gemeine Bewußtsein als gottverlassen" und „nichts
würdig" darzustellen, rind es'wird immer ein mißliches Unterneh
men sein, sie überspringen und sich ohne Weiteres in die Idee versetzen zu wollen.
Jene Vereinigung der Erkenntniß der Erscheinung mit der der Idee ist aber noch nicht in dem Hartman'schm Systeme,
so weit dieses von seinem Urheber aufgestellt wurde, ausgesprochen„sondern wird nur daraus gefolgert, und auf dem von Hart
man eingeschlagenen Wege kommt man erst im Weitergehen, aber indem man es weiter entwickelt, kommt man auch nothwendig dazu.
Der Forderung dieser Vereinigung liegt aber die Ansicht
zum Grunde, daß die Erkenntniß der Geschichte, der Entwicke lung, des Werdens des Objekts eben so viel werth sei, als die seines Seins, und daß man Nur durch die Erkenntniß des Wer
dens zu der des Seins kommen könne.
Die Philosophie darf
also, will sie zum Verständniß des Seins gelangen, nicht einsei tig bei diesem stehen bleiben, sondern muß zugleich die Geschichte
in ihren Kreis aufnehmen und bei dem Verständniß des Werdens anfangen.
Wir werden späterhin Gelegenheit haben diese Behaup
tung zu urgiren und besonders zu zeigen, wie die Philosophie nur dann dazu kommen wird, zu verstehen, was der Mensch ist, wenn
sie das Gesetz seines, Werdens oder seiner Geschichte mit in ihren Kreis aufnimmt, und wenn sie, da der Mensch nur insofern die Wahrheit haben wird, als seine Entwickelung mit diesem Gesetze
übereinstimmt, dasselbe in der Geschichte aufsucht, und den Men
schen, der die Wahrheit haben will, auf den Punkt hinstellt, wo
er vermöge dieses Gesetzes stehen muß. Die zweite Frage der Philosophie wieder: Wie ist das im
Bewußtsein nicht unmittelbar Vorkommende, also, einmal das
Seiende und Bleibende in der Erscheinung, und dann die Ver hältnisse und der Grund der Dinge darin aufzusuchen? läßt sich zwar nach den Grundsätzen des Hartman'schenSystems genü
gend beantworten, aber sie muß durch die Entwickelung
dersel
ben daraus mehr gefolgert werden, als daß sie darin bereits aus
gesprochen wäre.
Die dieser zum Grunde liegende Frage, von
dem Allgemeinen und Nothwendigen in der Erkenntniß, hat Hart man indessen genügend beantwortet; da aber ihr wieder die Lehre
von den Begriffen zum Grunde liegt, indem der Begriff uns ein Bild des Objekts in seiner Allgemeinheit und Nothwendigkeit
giebt, so wie die Anschauung ein Bild desselben als einer wech selnden Erscheinung, so halten wir uns verbunden aus der oben erwähnten Znledning u. s. w. Folgendes über die Begriffe nach zuholen:
„Es giebt zwei Gesichtspunkte, aus denen man die Vorstel lung eines Objekts betrachten kann: aus dem des Objekts und dem des Wissens.
In Beziehung auf jenes stellt sie nur eben
dieses Objekt vor und richtet sich darnach,
so daß, wenn man
ein andermalmehre Umstände oder Theile bei demselben wahrnimmt, wie unfehlbar geschehen muß, wenn man es näher und genauer
betrachtet, die Vorstellung sich'verändert und dann mehr enthält als jetzt;
denn dann ist das Objekt das Urbild der Vorstellung,
indem die Frage ist, wie (quäle) das Objekt ist, und so verhält es sich mit allen Vorstellungen in Beziehung auf die aufgefaßten
und gewußten Gegenstände; so nämlich, daß sie sich nach ihnen richten, je nachdem wir sie genauer erkennen, oder sie sich ver
ändern.
Aber ganz anders verhält es sich mit der Vorstellung,
wenn sie von Seiten des Wissens betrachtet wird.
Dann bleibt
sie immer unverändert, so daß ich immer weiß wie dasjenige war, welches durch dasselbe dargestellt wurde:
und die Vorstellung,
aus diesem Gesichtspunkt betrachtet, ist von seinem einzelnen Ob jekt gleichsam abgelöst (abstrahirt), und wird dann selbst zum Ur bild, auf welches die Objekte bezogen werden können.
Das Wis
sen mit seinem Inhalt giebt daher, bestimmt und einzeln aufge
faßt, eine Vorstellung, die nunmehr sich nicht auf Gegenstände bezieht, sondern auf welche Gegenstände bezogen und daher wie der erkannt werden können: denn auf diese Weise wird die Be
schaffenheit (Welcherleiheit) der Gegenstände aufgefaßt, ohne daß
diese selbst in unmittelbare Berechnung kamen.--------- Jedes Wis
sen ist mit seinem Inhalt in jedem Akt des Bewußtseins bestimmt
und aufgefaßt; und jede Vorstellung kann und muß daher als eine doppelte angesehen werden: so nämlich, daß sie auf der einen
Seite eine einzelne, auf der andern eine allgemeine ist. Denn sie wird
auf diese Weise allgemein, daß sie nachher im Geiste als einUrbild fer tig dasteht, nach welchem man sodann die Gegenstände, die später vorkommen können, berechnen und wiedererkennen kann, ob sie gleich
ihrem Inhalte nach ganz dieselbe ist, als die einzelne Vorstellung, von
deren Objekt sie abstrahirt worden ist.
nur Gedanke und nicht Sache.
Sie ist nämlich in diesem Falle
DieS sind die Begriffe.---------
Wenn das Kind zum ersten Mal etwas auffaßt, wenn der Akt des Bewußtseins das erste Mal vor sich geht so ist es wohl mit
dem Subjekt, das da weiß, und dem Wissen, wegen der durch aus unveränderlichen Natur des Bewußtseins, ganz wie es soll; das Objekt aber ist noch durchaus undeutlich.
Das Kind nimmt
nur wahr, daß es von Etwas afsicirt wird, ohne weiter zu un
terscheiden, was dieses Etwas ist;
und da jede Vorstellung auf
der Seite des Wissens Begriff ist, so hat das Kind bei seinem
ersten Wissen den allgemeinsten aller Begriffe gegeben und fertig,
nämlich den Begriff von Etwas, obgleich es nicht im Stande ist, über die absolute Allgemeinheit des Begriffs Betrachtungen
anzustellen; aber es gebraucht es doch,
auf die Weise, daß es
vermittelst desselben alle darnach vorkommende Gegenstände erkennt,
insofern sie auch für die Auffassung Etwas sind: denn Etwas ist auf diese Weise nichts Anders, als das, was für ein Wissen Ob jekt sein kann, von welcher Art es auch übrigens sein mag.
Ue
ber dieses Etwas besinnt man sich dadurch, daß man sich über das Nichts besinnt, oder vielmehr, diese beiden Vorstellungen ent stehen für das Bewußtsein gerade in dem Augenblick, wo das
Bewußtsein vom Nichtsein zum Dasein übergeht, d. h. wenn der
Akt desselben zum ersten Mal vor sich geht: gleich wie derjenige, der im Dunkel erzogen worden wäre, erst in dem Augenblicke sich über das Dunkel besinnen würde, wenn er daraus hervorginge und
den Eindruck des Tages und des Lichtes auffaßte, oder so wie
man wirklich das Dunkel in einem dunkeln Zimmer sieht, wenn man dahin zurückschaut, nachdem man ins Licht herausgetreten
ist.
Jedesmal nun, wenn der Akt des Bewußtseins bei dem Kinde
vor sich geht, faßt es immer mehreres und mehreres auf, so daß es nach und nach einzelne Züge und Umstände unterscheidet, und nach jedem neuen Zuge zerfallen die Gegenstände in Klaffen für
die Auffassung,
in sichtbare, hörbare u. s. w. Gegenstände, in
dem Grade als mehrere Züge der Gegenstände in den Vorstellun gen desselben aufgefaßt werden.
Und da jede solche Auffassung,
indem sie im Bewußtsein vor sich geht, auf der Seite des Wis
sens ein Begriff ist, welches auch daraus erhellt, daß sich die
Erkenntniß bei dem Kinde entwickelt, welches nicht geschehen könnte, wenn es nicht bei seinem beschränkten Erkenntnißvermögen, die Gegenstände unter ihren Klassen wiedererkennte; so ist es klar,
daß das Kind wirklich, parallel mit der Auffassung der sinnlichen Eindrücke, nach den Gesetzen für ein beschränktes Vermögen, die Entwickelung seiner Erkenntniß mit den allerallgemeinsten Begrif
fen anfängt, und davon durch das Auffassen immer mehrerer
Züge, zum Einzelnen fortschreitet. —
Der Irrthum, als wenn
die Erkenntniß des Kindes mit den Vorstellungm einzelner Gegen stände anfange, und daß es erst nach Jahren, nach angestellten
Vergleichungen und durch die Ausmusterung gefundener Gleichhei
ten, sich allgemeine Begriffe bilden, könne, da es sich damit doch umgekehrt verhält, kommt daher, daß man übersehen hat, daß,
obgleich die ersten Eindrücke, so wie alle Eindrücke überhaupt, von einzelnen Gegenständen hervorgebracht werden, so werden doch
die Vorstellungen als einzelne nicht beibehalten, weil sie auf der
Seite der Objekte mit vollständigem vertauscht werden, wo dann die weniger vollständigen nach und nach wegfallen; aber auf der
Seite des Wissens bleiben sie zurück und werden als wirkliche Begriffe, wie sie es auch sind, angewendet.
Die Anwendung
der Worte hat aber die Denker hierüber irre geleitet.
Man hat
nämlich geglaubt, daß man die Begriffe in derselben Ordnung erhält, als man in den Stand gesetzt wird, sie mit Worten zu bezeichnen: und da man, was diese Worte betrifft, nothwendig
anfangen muß einzelne Gegenstände zu benennen, auf die man einander Hinweisen kann, und nach und nach erst, und nach vie
len angestellten Vergleichungen, über die Namen allgemeiner Be griffe Übereinkommen konnte, so glaubte man auch, daß man die Begriffe in derselben Ordnung erhalte, ob man sie gleich in der
That in einer durchaus umgekehrten Ordnung erhält."
Weiter ist Hartman in der Lehre von den Begriffen nicht gegangen.
Die Thätigkeit des Geistes aber, durch welche dieser
die Vorstellung, von der Seite des Wissens aus betrachtet erst
zum Begriff vollkommen ausbildet und wovon bald die Rede sein soll, hat Hartman eben so wenig dargestellt, als den Unterschied
zwischen Begriffen und Ideen, wie denn über diese letztere in sei nem Systeme überhaupt gar nichts vorkommt.
Sein Verdienst
besteht aber auch hier darin, daß er einen festen Grund gelegt, auf den eine haltbare Lehre von den Begriffen aufgebaut werden kann, und daß er nachgewiesen hat, wie wir nur vermittelst der
Auffassung der Gegenstände zu ihnen kommen, nicht aber durch eigene von ihnen unabhängige Thätigkeit allein.
Auf diesem H art-
man'schen Grund und Boden wäre nun die herrschende Ansicht leicht zu widerlegen, nach welcher die ewige Zeugung des Soh nes Gottes uns ein Vorbild sein soll, wie auch unser Geist, un
abhängig von den Objekten, und aus sich selbst das Bleibende und Nothwendige 'der Erkenntniß, d. h. die Begriffe schafft. Hier aber sei es genug, zu bemerken, daß dieses Vorbild nicht paßt, indem diese ewige Zeugung des Sohnes Gottes nur die Eine Seite der Urmanifestation des Ur ist, von der das
sich Differenziren
des Ur in Gott und Natur die andre und zwar die dem sich Differenziren Gottes in Liebenden und Geliebten im Denken we nigstens vorangehende ist.
So auch im menschlichen Geist.
Nach
dem uns ein Objekt geworden, und dasselbe uns Vorstellungen geliefert, können wir zwar diese in unserm Geiste unabhängig vom
Vorgestellten behandeln, und die ihnen entsprechende Begriffsreihe
entwickeln, und so zum Allgemeinen und Nothwendigen in der Erkenntniß kommen, nie aber anders als durch diesen Durchgangs
punkt, und dieses Allgemeine und Nothwendige aus dem Objekt selbst schöpfend, so daß unsre eigne Thätigkeit der eine und das im Objekt Gegebene der andre Faktor desselben ist.
Die Frage wieder: Wie ist der Grund der Dinge im Be wußtsein aufzusuchen? läßt sich aus dem Gesichtspunkte der Hart
man'schm Philosophie folgendermaßen beantworten.
Mit der
Beantwortung dieser Frage müssen wir aber hier sogleich die dritte und letzte von uns aufgeworfene verbinden, die nämlich:
Wie
ist aus jenem doppelten Material der Erkenntniß, des im Be
wußtsein unmittelbar Gegebenen und dem darin besonders Auf-
zusuchenden die Konstruktion eines in sich gegründeten Systems
von Erkenntnissen möglich, welches ein getreues Bild des Systems der Objekte selbst, soweit diese erkannt werden, darböte? Alles, was wir sollen denken können, d. h. dessen Borstel, lung wir sollen behandelir können, — denn der Geist erschafft
keine absolut neue Vorstellung, sondern sie wird ihm, und er kann die verschiedenen Vorstellungen nur verändern, trennen und
zu einem Ganzen verbinden oder konstruiren,
d. h. zusam
menbauen, denn weiter bedeutet dieser Begriff auch in der Philosophie nicht, — muß, indem außerhalb des Bewußtseins keine
Erkenntniß möglich ist, und indem dieses nichts hervorbringt, vor
dasselbe treten und folglich etwas schon früher Gegebenes und Da seiendes sein.
So muß nicht nur das ObM, sondern selbst das
Subjekt und Wissen dem Bewußtsein gegeben und ihm aufge-
gangen sein, wenn wir die Vorstellungen derselben sollen behandeln können. Jede Vorstellung weist also auf eine ihr zum Grunde liegende Realität hin, auf ein reales Objekt, Subjekt oder Wis
sen.
Daß wir also Gott denken können, beweist daher das Da
sein Gottes und zwar auf eine doppelte Weise, d. h. das Vor
handensein Gottes in unserm Bewußtsein, und unser Sein in Gott.
Denn den darin nicht Vorhandenen und folglich, wenig
stens als Vorstellung, Daseienden könnten wir nicht denken.
Gott
ist aber nicht bloß als Vorstellung in unserm Bewußtsein da, son
dern die Vorstellung Gottes ist die Vorstellung eines auch außer
halb desselben Seienden.
Denn da alles, was im Geiste ist, inner
halb des Bewußtseins liegt, so wissen wir auch woher unsre Vor stellungen sind.
Wenn also Gott unserm Bewußtsein aufgeht, so
wissen wir, wir haben uns nicht das Materiale dieser Vorstellung gegeben, sondern haben es empfangen, und sie stelle daher etwas
außer ihr Seiendes vor, welches die Vorstellung erzeugt und nicht
umgekehrt. —
Zweitens beweist dieses daß wir Gott denken kön
nen, daß wir in Gott, daß wir Gottes sind, daß Gott das wahr haft Seiende an uns ist, und daß also der selbst da sein muß, der unserm Subjekt sein eigentliches Sein giebt. Wären wir aber nicht Gottes, so könnten wir eben so wenig Gott denken, als
das Thier es kann, und könnten ihn dann, selbst wenn er in den Kreis unsers Bewußtseins träte, eben so wenig wahrnehmen, als
dieses es kann.
Nur das Göttliche in uns, nur der in uns da-
8*
seiende Gott, kann den aus seinem außer uns bestehenden Sein zu uns gleichsam hineintretenden und sich uns im Bewußtsein
offenbarenden Gott erkennen und anerkennen.
Das Eintreten Gottes in unser Bewußtsein kann aber ein
doppeltes sein, auf dem Weg des Subjekts und auf dem des Ob Das heißt, sein, auf jeden Fall außer dem Geist bestehen
jekts.
des Sein kann uns entweder in und mit dem Objekt,
oder in
und mit unserm eignen Subjekt offenbar werden, insofern dieses
oder jenes sich
im Bewußtsein offenbart.
Auf dem objektiven
Wege erkennen wir Gott, insofern er sich darin durch die Idee offenbart, insofern uns mit dem Objekt die Idee, von der es ein Ausdruck ist, aufgeht.
Die Idee ist überhaupt und in jeder Hin
sicht das Vermittelnde zwischen Gott und Mensch.
Die Mög
lichkeit aber, die Idee aufzufassen, liegt darin, daß der Geist selbst
eine Idee ist, die darum die ihm im Bewußtsein aufgehende äu
ßere Idee erkennen kann, die der Geist wieder mit dem Objekt, als dem Ausdruck der Idee, auffaßt.
In der Idee schaut also der
Geist Den an, dessen Ausdruck sie ist, so wie das Objekt wieder der Ausdruck der Idee. —
Aber Gott offenbart sich auch in un
serm Subjekt als das eigentliche Seiende darin und dasselbe Tra gende.
Das heißt, insofern sich der Geist im Bewußtsein wahr
haft erkennt, erkennt er auch Gott und findet Gott in sich.
Er
findet sich als etwas Bedingtes, welches von einem Sein außer
ihm, das aber bis zu ihm hineinreicht, getragen wird.
Wenn der
Sonnenstrahl zum Bewußtsein erwachte und sein Sein begriffe,
so würde ihm dabei zugleich das Dasein der Sonne, von dem sein eignes getragen wird, aufgehen.
So wie, wenn einer mit uns redet, wir aus den Vorstellun gen, die seine Rede in uns hervorruft, eine Totalvorstellung zu sammenbauen, die, wenn beiderseits richtig verfahren ist, der Vor
stellung entspricht, die jener aus seiner Seele in unsre hat über tragen wollen, so konstruiren wir uns auch aus den Vorstellun
gen, die der sich in unserm Bewußtsein auf dem subjektiven und
objektiven Wege offenbarende Gott in uns erweckt hat, eine To talvorstellung seiner, die, wenn wir hiebei richtig verfahren sind,
d. h. uns nur daran halten was in einem reinen Bewußtsein ge geben ist, und das sich uns darbietende Objekt so auffassen, wie
es sich uns giebt, ihm auch nothwendig entsprechen muß, so näm-
lichr daß, was in der Vorstellung ist, auch im Borgestellten, in
Gott, sein muß, ob er gleich unendlich mehr sein kann, als in ihr liegt.
So wie wir uns aus den einzelnen Zügen des sich im Be
wußtsein offenbarenden Gottes die Vorstellung von ihm konstruiren: so konstmiren wir uns auch überhaupt die Vorstellung eines Objekts.
Denn wenn ein solches auch ganz vor unserm Bewußt
sein steht, so können wir, vermöge unsrer Beschränktheit, es nur
Zug für Zug auffassen, und müssen hernach diese einzeln aufge
faßten Züge zu einem Ganzen verbinden. liche Geist, wegen seiner Beschränktheit,
Zwar kann der mensch sich keiner Vorstellung
rühmen, die da alles enthielte, was das sich dem Bewußtsein
vorstellende Objekt enthält; aber da wir nicht einmal darauf rech nen können, daß alle von uns erkennbare Züge des Objekts von
dem Bewußtsein aufgefaßt werden, so würden wir um so weni ger, nur durch Konstruiren der uns gelieferten Züge, zu einer
auch nur relativ zu unserm Erkenntnißvermögen vollständigen Vor stellung von einem Objekt kommen.
Noch mißlicher sieht es mit
der Vollständigkeit dieser Vorstellung aus, wenn sich das Objekt
augenscheinlich nur in wenigen einzelnen Zügen unserm Bewußt
sein darstellt.
Um daher zu einer Vorstellung zu gelangen, die
uns ein Bild des Objekts in seinen Hauptzügen liefert, muß die Konstruktion den ersten Entwurf der Vorstellung des Objekts, den uns jene einzelne, sich dem Bewußtsein darstellenden Züge
liefern, die aber noch kein Ganzes bilden, dahin in die Vorstel
lung desjenigen Ganzen, wozu dieses Objekt gehört, hineinpassen
und nun erwägen, welche Bestimmungen das Objekt noch haben muß,
um mit diesem Ganzen integriren zu können.
Jene Be
stimmungen des Objekts, die sich dem Bewußtsein unmittelbar dargestellt haben, machen gleichsam den einen Faktor unsrer zu
gewinnenden Totalvorstellung von demselben, und diese Bestim mungen, welche, durch dieses Hineinpassen ins Ganze, vor das Bewußtsein, als nothwendig da sein müssend, treten, machen den
zweiten aus.
Die Art wie wir uns die Vorstellung eines histo
rischen Charakters bilden, liefert ein Beispiel einer Konstruktion
dieser Art.
Die einzelnen historischen Züge, die uns von ihm
selbst überliefert worden sind, machen jenen ersten Faktor aus, und die Kenntniß der menschlichen Natur und der Umgebung jenes.'
Individuums,
so wie die der Eigenthümlichkeit seiner Zeit Und
seines Volks, den andern.
Ist es aber nicht eine Realvorstellung
sondern ein Begriff, den wir uns durch Konstruktion bilden, so
liefert uns ebenfalls die Nealanschauung, von welcher der Begriff den Revers ausmacht, den einen nothwendigen Faktor dieses Be griffs, und jenes Hineinpassen in das Ganze, zu welchem er
gehört, den andern.
Die Thätigkeit des Geistes bei der Konstruk
tion des Begriffs ist also von dreierlei Art, nämlich erstens jenes schon früher berührte Abtrennen (Abstrahiren) vom einzelnen Ob
jekt,
zweitens das Suppliren fehlender
aber nothwendiger Be
stimmungen, die sich aus dem Zusammenhalten des Einzelnen mit dem Ganzen ergeben,
so wie oben bei der Realvorstellung
und drittens das Fallenlassen aller Bestimmungen, die in der Realvorstellung vorkommen, die aber, ohne den Begriff aufzuhe
ben, wegfallen können. Obgleich es aber auf diese Weise eine zweite Seite der Er
kenntniß giebt, welche weniger abhängig vom Objekt erscheint, nämlich die Erkenntniß des Objekts in seinem Begriffe und mit hin seiner Nothwendigkeit nach, und also die Erkenntniß des Blei benden in ihm und des über allem Wechsel Schwebenden, wäh rend der Metamorphosen in der Erscheinung; und obgleich diese
Erkenntniß insofern einen Werth hat und wahr ist, als sie uns
ein treues Abbild des Objekts außer uns,
insofern es aufgefaßt
ist, liefert; (und auch das Subjekt, so wie das Wissen desselben als erkennbar, d. h. in eine objektive Lage zu unserm Bewußtsein
gebracht, wird uns ein äußeres): so ist doch diese durch Kon struktion gewonnene Begriffserkenntniß keine höhere und wahrere
als die, welche das einzelne Auffassen des Objekts, die Wahrneh
mung giebt; sondern umgekehrt ist hier die Gefahr des Irrthums größer als dort, indem die Wahrheit des Begriffs nicht blos da
von abhängt, daß wir das Objekt jedesmal richtig auffaffen, und das Aufgefaßte so bewahren, daß wir, bei der Wiedervorstellung
desselben vor das Bewußtsein, keinen früher aufgefaßten Theil des selben hinweglassen, keinen verändem und keinen neuen anders
woher hinzufügen; sondern auch davon, daß wir die verschiedenen Auffassungen richtig zusammenstellen, das also Gewonnene gehö rigen Orts in das Ganze, zu welchem es gehört, hinstellen, das
ihm hier nothwendig Zukommende richtig ausmitteln, das Unwe-
sentllche fallen lassen u. f. w.
Gesetzt aber auch, was fteilich nie
zugegeben werden kann, wir würden, wie behauptet wird, unsre Vorstellungen aus uns selbst erschaffen, ohne daß das Objekt uns
dazu das Material lieferte, so wäre damit doch nickts gewonnen. Denn dieses Schaffen hätte doch nur insofern einen Werth, als
wir dadurch etwas dem Objekte außer uns völlig Entsprechendes zu Stande brächten.
Welche größere Wahrscheinlichkeit hätten
wir aber eine wahre Erkenntniß zu gewinnen, wenn wir sie aus uns, als wenn wir sie aus dem Objekte schöpften? Wäre dieses nicht eben so, als wenn einer wähnte, die Geschichte, die er schrei
ben will, werde um so wahrer ausfallen, je freier er sich von der Erkenntniß des Objekts hält, dessen Geschichte er liefern will? Vergebens würde man hier einwenden, das eben unterscheide die philosophische Erkenntniß von der historischen, daß diese abhängig von der Erscheinung sei, jene aber darüber schwebe.
Denn auch
wenn man nicht den Verlauf der Erscheinung des Objekts ver
folgen will, (Geschichte) muß man eher als durch Konstruktion das am Objekt sich manifestirende Nothwendige und Bleibende
erkennen und also sich eine philosophische Erkenntniß bilden kann,
aus der Auffassung der Erscheinung sich die zu konstruirenden
Elemente verschaffen.
Es geziemt daher nicht der Philosophie,
die Wahrnehmung zu überspringen oder zu ignoriren, noch durch
vornehmthuendes Herabblicken auf sie sich zu gebärden, als wenn sie derselben nicht bedürfte.
Da aber unsre Erkenntniß endlich und beschränkt ist, und
wir nur einen kleinen Theil des Objekts nach dem andern auffas sen können, so müssen wir, bei dieser Konstruktion, nicht nur
auf den zu konstruirenden Gegenstand, sondern zugleich auf die
Art unsers Konstruirens sehen, und die richtige Methode wird
uns wieder helfen, den Gegenstand richtig aufzufassen.
Denn in
dem wir dadurch Widersprüche in unsrer Vorstellung entdecken, sinden wir, daß wir im Auffassen des Gegmstandes nicht richtig
verfahren sein müssen, und indem die zu konstruirende Totalvor
stellung sich zu keinem harmonischen Ganzen fügen will, sinden wir, daß wir es beim Zusammenstellen der einzelnen Züge ver
sehen haben müssen, und irgend eine parzielle Vorstellung nicht
an ihren Ort gestellt oder ihr eine schiefe Lage zum Ganzen ge
geben haben.
Nachdem wir auf diese Weise angedeutet haben, wie das
Bewußtsein Princip der Erkenntniß sein müsse und sein könne, müssen wir, ehe wir weiter gehen, einige der gangbarsten Ein wendungen dagegen berühren.
Wir können also nicht umhin uns
wider die Ansicht Schellings in seiner Abhandlung vom Ich als Princip der Philosophie u. s. w. zu erklären; aber nur mit frommer Scheu thun wir das, indem wir bedauern, daß eine
Lehre nicht haltbar sein soll, der eine Ansicht, die so durch und
durch acht religiös ist, und der die ewige Wahrheit, Gott sei Alles in Allem, das allein wahrhaft Seiende und es sei nichts, als inso fern es in Gott ist, zum Grund liegt.
So sehr wir aber mit dem
Verfasser in dieser Grundansicht übereinstimmen, so wenig können wir uns mit der Anwendung befreunden, die er davon macht, in
dem er nur die Erkenntniß gelten lassen will, die, seinem Sprach gebrauch nach unbedingt ist, und die also das Bewußtsein nicht
soll geben können. Das ganze Mißverstandniß jener Ansicht scheint sich um die
Worte bedingt und Objekt zu drehen.
Das Wort bedingen
wird hier von dem Wort Ding in der Bedeutung res abgelei tet und unbedingt genannt, „was gar nicht zum Ding gemacht
ist, gar nicht zum Ding gemacht werden kann."
Uns daucht cs
aber weit wahrscheinlicher, daß das bedingen vom Worte Ding
in der Bedeutung gerichtliche Verhandlung (die es noch in der schwedischen und norwegischen Sprache hat,
(Ting Gericht;
Storting großes Gericht, tinga dingen, conducere, pacisci) ab
stamme.
Bedingen könne also nur verhandeln bedeuten und
unbedingt was ohne weitere Verhandlung zugestanden wird.
Was aber also zugestanden wird, wird unabhängig davon zuge standen, und so hieße denn unbedingt zuletzt so viel als unabhän
gig.
Gesetzt nun aber auch, unbedingt komme wirklich von
Ding in der Bedeutung res her, was bedeutet denn ein Erkennt nißprincip welches gar nicht zum Ding werden kann? Sonst wird
Ding der Persönlichkeit und der Bewußtheit entgegengesetzt; und daß nichts Princip der Erkenntniß sein kann, welches ein seiner
unbewußtes Etwas werden könnte, muß ohne Weiteres zugegeben
werden.
Allein dasWortDing soll hier so viel als Objekt be
deuten, was daraus erhellt, daß das absolute Ich, das Schellingsche
Princip der Erkenntniß als etwas bestimmt wird, was schlechter-
dings niemals Objekt werden kann.
Soll denn unbedingtes Er-
kenntnißprincip und unbedingte Erkenntniß so viel als ursprüng liche bedeuten, so kann eine solche nur bei Gott gedacht werden. Es kann aber nie die Aufgabe einer menschlichen Philosophie wer
den, von dem Erkenntnißprincip Gottes, als solches, etwas be
stimmen zu wollen, und wir können es daher auch dahin gestellt sein lassen, ob vielleicht jenes Kriterium: niemals Objekt werden zu können,
auf das Erkenntnißprincip passen würde, wenn der
Erkennende selbst— das Absolutum wäre.
Ist aber der Erken
nende nicht dieses, sondern etwa mit sammt dem Princip seines Erkennens erst durch irgend eine Differenzirung mit dem Absolu
tum möglich, so ist sein Erkenntnißprincip auch diesem objicirt.
Aber selbst abgesehen davon, so muß das Erkenntnißprincip, wenn
eine philosophische Darstellung desselben soll möglich sein können
dem Subjekt gegenständlich, Objekt also eine Erkenntniß werden, wie
auch das absolute Ich, „das schlechterdings niemals Ob
jekt werden kann," Objekt des Denkers wird, der die Theorie des selben vorträgt.
Wäre also das absolute Ich das Princip unsrer
Erkenntniß, so würden wir uns nur insofern dieses Erkenntniß
principes bewußt und könnten darüber etwas philosophisch bestim
men, als dieses absolute Ich uns d. h. unserm Erkenntnißvermö gen Objekt würde.
Welchen Abbruch litte es auch dadurch?
Es
wird ja dadurch nicht abhängig von unserm Denken, sondern bleibt an sich was es ist, wir mögen es nun denken oder nicht, richtig
oder unrichtig denken. Umgekehrt wird unser Denken, d. h. unsre Vorstellungen ihrem Inhalte nach abhängig von ihm. Ist doch unser eignes Subjekt uns nur insofern erkennbar, als es zugleich
Objekt wird, wird es aber dadurch abhängiger als es sonst ist, daß es dieses wird?
Wenn wir uns daher in das absolute Ich
so hineinleben könnten, daß es uns so
eigen würde, als unser
eignes Subjekt, so wäre es uns auch dann nur insofern erkenn
bar, als es, grade so wie dieses, uns Objekt wird.
Wir wollen daher versuchen, welchen Sinn die Unbedingtheit
des Erkenntnißprincips haben könnte, wenn unbedingt nur so viel als unabhängig heißen soll.
Wenn nun diese Unabhängig
keit nichts weiter heißen soll, als „daß es ein Wissen geben muß, zu dem man nicht wieder durch ein andres Wissen gelange, und
durch welches allein alles andre Wissen Wissen ist" und daß,
„was für uns Princip alles Erkennens ist, nicht wieder durch ein
andres Princip erkennbar sein muß," so muß dieses unbedingt zu gegeben werden.
Es wird aber eine durchgängige Unbedingtheit,
d. h. Unabhängigkeit des Erkenntnißprincips gefordert.
Abhän
gig könnte es aber sein, entweder vom erkennenden Subjekt, oder vom erkannten Objekt oder gar von Weiden. Born Subjekt kann das Erkenntnißprincip nicht abhängig sein, indem dieses jenes selbst
ist, als derjenige, der da erkennen kann; vom Objekt aber ist es nicht seinem Dasein, sondern nur seiner Aeußerung nach abhängig,
indem man nicht erkennen kann, ohne etwas zu erkennen, und
indem es sich nicht eher ausüben kann, als bis es etwas zu er kennen, einO>bjekt seines Erkennens hat.
Da ferner die Erkennt
niß das Band ist, welches die Subjcktwelt mit der Objektwelt verbindet und eben das Aufgehen dieser für jene ist, so kann das
Erkcnntnißprincip in dem Sinn unmöglich unabhängig sein, daß es da sein könnte, ohne das Subjekt und das Objekt; denn wer soll
erkennen,
wenn kein erkennendes Subjekt pnd was soll erkannt
werden, wenn kein Objekt da ist?
Was wieder die Erkenntniß
selbst betrifft, so ist sie erst nach vorangegangener Differenzirung möglich, und entsteht erst, wenn ein Subjekt da ist, das da er
kennen, und ein Objekt, das da erkannt werden kann. In die sem Sinn ist also die Erkenntniß allerdings abhängig von beiden. Eine andre Frage ist es aber, ob die Erkenntniß auch in dem Sinn abhängig sei, daß der Inhalt derselben durch sie bestimmt und
modisicirt werde, oder nicht.
Was nun das Objekt betrifft,
so
kann sie unmöglich anders als von ihm abhängig sein, denn es wird ja nicht schlechthin erkannt, sondern etwas, und dieses etwas ist eben das Objekt.
Es giebt nur die Erkenntniß irgend
eines Objekts und Erkenntniß entsteht erst da, wo dem Erkenntnißvermögen etwas objizirt wird.
Sie hat vielmehr nur in
sofern Werth als sie durchaus abhängig vom Objekt ist, denn das
Wissen ist, wo und wie ein Wissen ist, nur insofern Wissen, als es bedingt d. h. bestimmt durch das Objekt und Reflex desselben
ist, und nur unter dieser Bedingung kann es einen Werth haben
d. h. wahr sein.
Wenn sich daher das Objekt verändert, so muß
sich die Erkenntniß, soll sie wahr bleiben, parallel mit ihm ver
ändern, indem sie sonst dem Objekt nicht entspricht, nicht mehr
wahr ist.
Daß es neben dieser darum nicht geringer zu schätzen-
den Erkenntniß eine andre Erkenntniß giebt, nämlich die des Objekts, in seinem sich gleichen, der Erscheinung zum Grund liegenden Sein,
ändert in der Sache nichts. Auch diese Erkenntniß hat nur insofern ei nen Werth, als auch sie von der Idee des Objekts abhängig ist oder
ein adäquates Bild des Objekts seiner Idee nach giebt, d. h. wahr ist. Abhängig ist also die Erkenntniß vom Objekt, insofern, daß
sie ihrem Inhalte nach von ihm bestimmt wird; nicht aber inso fern, daß sie es verfälschen oder sie gleichsam zwingen könnte, ein
falsches Bild seiner darzustellen.
Es ist schlechterdings undenkbar
und im Bewußtsein als unmöglich gegeben, daß das Objekt sich
dem Erkenntnißprincip so darstellen könne, daß durch dessen Schuld
eine unwahre Erkenntniß entstünde.
Geschieht dieses, so liegt im
mer die Ursache im erkennenden Subject, nicht aber im Objekt. — Denn was jenes betrifft so kann zwar die Erkenntniß von ihm
unabhängig sein, fteilich nicht so, daß der Erkennende sein Er kanntes, d. h. seine Vorstellungen nicht sollte ümschaffen können,
aber doch so, daß durchaus keine Nothwendigkeit vorhanden ist, daß das Subjekt beim Aufgehcn des Objekts für das Bewußt
sein, in dieses etwas legen müßte,
was nicht darin liegt oder
das Bild des Objekts verschieben und verzerren müßte, obgleich
allerdings auch die Möglichkeit vorhanden ist. daß es dieses thun
könnte, was von Seiten des Objekts unmöglich ist.
Die Mög
lichkeit dieser Unabhängigkeit der Erkenntniß von den Einflüssen des Subjekts, — denn hier haben wir fürs Erste nur mit der
Möglichkeit zu thun, — ist hinlänglich gegeben, einmal durch die neutrale und neutrolisirende Natur des Bewußtseins, und dann dadurch, daß das Bewußtsein seine eigne Kontrole ist, und von Allem weiß, was von ihm gewußt wird,
also auch wenn das
Subjekt die Erkenntniß auf irgend eine Weise modisiciren würde. Soll aber eine wirkliche Erkenntniß zu Stande kommen, so
ist es damit nicht genug, daß das Objekt für das Subjekt im Akt des Bewußtseins aufgeht, sondern das Subjekt muß sich da
bei thätig verhalten.
Es muß das im Bewußtsein sich abspie
gelnde Objekt auffassen, und es dadurch fairen und sich gleichsam eigen machen, sonst verschwindet es sogleich wieder, wie das Spie
gelbild, indem der im Spiegel abgebildete Gegenstand vor diesem hinweg gerückt wird.
Und in dieser Thätigkeit, nicht aber in dem
schlechterdings unfehlbaren Aufgehen selbst, worin das Bewußtsein
besteht und welches, seiner neutralen Natur nach, den Gegenstand
schlechterdings nicht anders liefern kann, als er ist, liegt die erste Möglichkeit des Irrthums und in der oben dargestellten Konstruk
tion des Aufgefaßten die zweite.
Wohl kann also die Stimmung
des Subjekts bei diesem Auffassen, so wie das Auge des Gelb
süchtigen dem Objekt eine falsche Färbung geben; wohl kann die
Erkenntniß eines und desselben Gegenstandes bei dem einen rich tiger und vollkommner sein als bei einem andern;
dieß beweist
aber gar nicht, das Bewußtsein des einen habe das Objekt an
ders abgespiegelt als das des Andern, und man müsse daher, um
eine wahre Erkenntniß des Objekts zu haben, ein andres Erkennt nißprincip als das Bewußtsein aufsuchen; sondern es beweist nur, daß der Eine das gleich Abgespiegelte anders aufgefaßt habe, als
der Andre.
Welche nun die Bedingungen dieses richtigen und
nröglichst vollständigen Auffassens seien; was man also zu beobach ten habe, damit man nicht dem Gegenstände zuschreibe, was ein reines Auffassen desselben nicht liefert; wie man vermeiden müsse daß nicht die Begierde, etwas in dem Gegenstände zu finden, die
ses in ihn hineinlege;
wie man sich zu hüten habe, daß, indem
irgend ein Theil vom Bild des Gegenstandes unter den Brenn
punkt der Begierde geräth, dieser Theil unverhältnisimäßig zu den andern vergrößert und dadurch das Bild unförmlich gemacht werde
und seinem Objekt nicht mehr entspreche; wie man seinen Gegen stand durch wiederholtes Hinstellen vors Bewußtsein möglichst er
schöpfe, und endlich wie man das richtig Aufgefaßte richtig zusammen bauen oder konstruiren müsse: alles dieses gehört in ein andres Gebiet,
nämlich in die angewandte Erkenntnißlehre.
Hier sei es genug, die
Einerleiheit und die Wahrheit dessen, was das Bewußtsein giebt
durch ein einziges Beispiel anschaulich machen.
Das Faktum sei
die scheinbare Bewegung der Sonne, die dem Bewußtsein von A und B auf einmal aufgeht.
Hier, sagt man, zeige es sich
nun deutlich, wie unwahr die Erkenntniß sei, welche die Sinne liefern, und wie verschieden sie daher auch bei verschiedenen Indi
viduen ausfalle.
Das wahre Faktum aber, oder das dem Sub
jekt hier sich manifestirende Objekt ist die Sonne und der Erdho rizont, die sich des Morgens von einander entfernen und sich des Abends wieder auf der entgegengesetzten Seite einander nähern.
Dieses Objekt geht dem Subjekt beider auf und ist, als rein
aufgefaßt, wahr und bei beiden dasselbe.
Wenn nun aber A dar
aus behauptet, die Sonne gehe, er sehe es ja, so legt er, durch einen falschen Schluß, in das Objekt etwas, was nicht darin liegt,
und sein unrichtiges Verfahren beim Auffassen erzeugt den Irr thum, nicht das Aufgehen des Objekts im Bewußtsein selbst. Wenn B hingegen sagt: ich sehe hier diese beiden Gegenstände
sich von einander entfernen;
es findet also eine Bewegung statt,
und es muß sich also entweder die Sonne oder die Erde bewegen,
oder sie müssen es gar beide thun, und er nun anderswoher zu bestimmen sucht, welche von diesen drei Möglichkeiten hier statt
finde, so hat er, wenn ihm dieses gelingt, und er die fehlenden
Bestimmungen findet, durch ein richtiges Verfahren in der Be handlung desselben Gegebenen die Wahrheir gefunden, aus welchem der Andre den Irrthum schöpft, indem er es durch einen Fehlschluß ergänzt,' ohne aber daß dieses und das Aufgchen desselben für
sein Bewußtsein, daran schuld wäre. So ungegründet aber als es daher ist, wenn matt dem Be
wußtsein den Irrthum Schuld giebt, eben so ungegründet möchte auch der Einwurf sein, .das Bewußtsein liefere nur die niedrigste
Erkenntniß.
Denn da dieses nichts ist, als der Akt, durch wel-
chen das Objekt sich dem Subjekt darstellt und für dasselbe ein
Dasein bekommt; da ferner die Erkenntniß die Auffassung des Ob jekts vom Subjekt ist, insofern es vor demselben im Bewußtsein da ist, und da endlich alles Wissen auf dem Gebiet des Bewußt
seins und innerhalb der Gränzen desselben statt findet:
so ist es
klar, daß die Erkenntniß, die das Bewußtsein liefert, welcher Werth ihr übrigens zukommen mag, eben so gut die höchste als die nied rigste genannt werden kann, indem sie eben die durchaus einzig
mögliche ist.
Außerhalb des Bewußtseins ein Wissen und eine
Erkenntniß suchen, heißt ohne Auge und ohne Licht sehen wollen. Indem wir uns einen Begriff bilden, oder zur Anschauung einer Idee gelangen, treten sie eben so gut und ganz auf dieselbe Weise
in unser Bewußtsein ein, als eine Vorstellung, die ein unserm Subjekt sich darstellender sinnlicher Gegenstand liefert und sie sind
für uns nur insofern da, als sie es thun und wir ihrer bewußt
werden.
Da also das Bewußtsein etwas Durchgängiges ist, wel
ches überall da ist, wo eine Erkenntniß ist, so kann mithin von
einem Erkenntnißprincip außerhalb des Bewußtseins, vernünftiger*
weife gar nicht die Rede sein. Aus dem Gesagten geht also hervor, daß das Bewußtsein das erste und letzte der Erkenntniß, mithin das wahre Princip dersel
ben ist.
Soll es aber das sein, so darf es nicht etwas Beding
tes sein.
Und man darf nur die Natur desselben rein und klar
auffassen, um einzusehen, daß es dieses nicht ist.
Es ist was mit
Recht vom Princip der Erkenntniß gefordert werden muß, in sich selbst klar und seine eigne Kontrole, indem man nicht wissen
kann, ohne zugleich zu wissen, daß man weiß, durchaus einfach und durch nichts modificirt oder modisicirbar. Es ist ferner der Punkt,
und zwar der allereinzigste, wo Subjekt- und Objektwelt einander berühren und wo diese für jene aufgeht. Objekt.und Subjekt müs sen sich zwar also in einem Punkt berühren, wo Bewußtsein statt
finden soll, aber dennoch ist dieses selbst von keinem von beiden bedingt.
Erstens vom Subjekt, denn es ist kein Produkt deffel-
ben, sondem das Aufgehen des Subjekts für sich selbst, indem das Objekt für dasselbe aufgeht.
Eben so wenig bedingt ist das
Bewußtsein von den Einwirkungen des Objekts; ob es gleich
vom Vorhandensein desselben bedingt wird, indem nicht gewußt werden kann, ohne daß etwas da sei, das da gewußt werde und
diese Bedingtheit, aber freilich auch nur die, muß sich allerdings die menschliche Erkenntniß gefallen lassen. Denn so verschieden und wech
selnd auch das Objekt, welches gewußt wird, fein mag, so ist doch der Akt des Wissens, das Bewußtsein, immer einer und derselbe. Er erlei det keine Modifikation vom Objekt, denn dieses stellt sich dem Be
wußtsein nur dar, und das Bewußtsein weiß nur das Dargestellte. Es bleibt also nichts übrig, wovon es bedingt wäre, außer vom Vorhandensein des Objekts, aber auch dieses ist nur die Bedin
gung für die Aeußerung des Bewußtseins, denn es ist selbst
nichts als die Aeußerung des Subjekts, welches also unabhängig vom Objekt und vor dieser Aeußerung überall da ist, wo einem lebenden Wesen ein Objekt aufgeht.
Das Bewußtsein ist also
unbestimmbar vom Subjekt und Objekt und unterliegt nur der
einzigen Bedingung,
daß es ein Objekt haben muß, d. h. daß
Man, um zu wissen, etwas, haben muß, was man wissen soll. So gewiß es daher ist, daß das Bewußtsein das Princip
der Erkenntniß sein muß, so gewiß ist es auch, daß nichts Andres,
also auch nicht „das absolute Ich," der reine Geist oder wie man sich ausdrücken will, dieses sein kann.
Denn wenn dieser es wäre,
so würde dann einmal das Princip der Erkenntniß auf die subjektive Seite fallen, welches so wenig taugt, als wenn es auf die objektive fiele; indem man dann noch immer die Frage zu lösen
hätte, wie das Subjekt zur Erkenntniß des Objekts komme und
also wieder zum Bewußtsein seine Zuflucht nehmen müßte.
Wird
hingegen das Bewußtsein als das Erkenntnißprincip gesetzt,
so
wird es in den einzigen Punkt hin versetzt, wo Subjekt- und Objektwelt einander berühren und möglicherweise berühren können. Dann
wäre das Princip der Erkenntniß, was es doch
noth
wendig sein muß, kein durchaus Allgemeines für jedes lebende Wesen,
es wäre keine Erkenntniß eher, als im „reinen Geist"
möglich, und man müßte dann dem Aufgehn des Objekts für das Subjekt von der untersten Stufe lebendiger Wesen an, bis zum
reinen Geiste hin,
den Namm Erkenntniß absprechen, was doch
eben so unrichtig als willkürlich wäre, indem gar kein Grund vor
handen ist, zu bezweifeln, daß z. B. das Thier den äußem Ge genstand als solchen und insofern es ihn auffaßt, nicht eben so
richtig auffaßt, als der Mensch.
Dann müßte man auch für
dieses Aufgehen nicht nur einen andern Namen, (Empfindung!) womit man bald fertig wäre, sondern auch ein andres neues Prin
cip und ein andres neues Gesetz erfinden.
Ferner taugt der „reine
Geist" schon darum nicht zum Princip der Erkenntniß, weil er
eine Thätigkeit, etwas Aktives ist, denn dieses muß etwu§ .Neu trales sein, wie es das Bewußtsein ist,.damit es das Bild des Objekts nicht verändern könne,
sondern unverändert und wie es
ist, dem Geist überliefere, denn nur unter dieser Bedingung kommen wir zu einer dem Objekt entsprechenden Erkenntniß. Endlich könnten wir, wenn der „reine Geist" das Erkenntnißprincip wäre,
von dem Standpunkte, wo unsre Philosophie anfängt, von dem der Selbstbesinnung nämlich, nur durch einen Sprung, durch ein
wahres Salto mortale, zu diesem Princip kommen und könnten keine genügende Rechenschaft davon ablegen, wie wir dahin ge-
kommen sind.
So wenig es also, unsrer Meinung nach, je möglich sein wird, ein andres haltbares Princip der Erkenntniß als das Be wußtsein aufzusinden und so wenig, dem Obigen zufolge der „reine
Geist" es sein kann, so scheint es doch, als wenn man, durch die Aufstellung dieses Erkenntnißprincips, der Wahrheit um Einen
Schritt näher gekommen wäre.
Denn unstreitig soll dieser Aus
druck so viel heißen, als, der Geist, der durch eine dem Plan der
Vorsehung gemäße Entwickelung so weit gesteigert ist, daß er das Objekt rein, richtig und möglichst vollständig auffassen könne,
also von den Mängeln dec Individualität befreit und dem Ewigen Und daß der Geist so weit gekommen sein muß, bevor
lebend.
er eine in jeder Hinsicht wahre und vollständige Erkenntniß sich erwerben kann, kann vemünstigerweise gar nicht bestritten werden;
obgleich der auf diese Weise gesteigerte Geist, darum nicht selbst als das Princip der Erkenntniß gesetzt werden kann.
Dieses ist
eine Ansicht, worin die Fichtische, Schellingsche und Hartmanscke
Philosophie
sowohl unter sich als mit dem Christenthum, wie
wir bald Gelegenheit haben werden, es darzuthun, men.
übereinstim
Denn damit scheint ausgesagt zu werden, der Geist könne
nicht ohne Weiteres die Wahrheit finden, sondern erst bei gehöri
ger Entwickelung.
Soll aber diese Entwickelung gehörig sein, so
muß sie nach einem bestimmten der Menschheit gegebenen Gesetze
erfolgen.
Dieses Gesetz ihrer Entwickelung kann sie aber nicht
eher finden, als sie die Wahrheit gefunden und mithin zum Ver ständniß ihres Seins gekommen ist;
die Wahrheit kann sie aber
nicht eher finden als sie, falls es nämlich ihr selbst anheim gestellt
sein sollte, sich in einer richtigen Ordnung so weit erzogen, daß ihr dieses Verständniß möglich wird.
Dadurch also, daß die Phi
losophie den „reinen Geist" als Princip, der Erkenntniß aufzu
stellen sucht, spricht sie, so vergeblich auch dieses Bemühen an sich sein möchte, das Bedürfniß aus, die geschichtliche Entwickelung
des Menschen beim Suchen der Wahrheit zu berücksichtigen.
Und
auf diesem Wege erst, auf den ihr guter Genius sie geführt hat,
wird sie die Wahrheit finden, indem sie den zweiten, bisher ver
nachlässigten Faktor der Wahrheit berücksichtigend, dieselbe als Eine zu erfassen suchen wird.
Anhang. Ueber die Unentbehrlichkeit der Religionsphklosophie zur Lösung der Aufgabe der Philosophie schlechthin. (Vergl. hiermit des Verfassers Schrift: übet die Möglichkeit und die Bedingungen einer Religionsphilosophie» Moskau 1829.) Zn dem Grade als der Mensch zur Selbstbesinnung erwacht, fangt
er an, das Bedürfniß eines reinen Verständnisses der Dinge zu
fühlen.
Er muß wissen was er selbst ist, damit er so handeln
könne, wie er seiner Natur nach handeln soll; er muß wissen, was die Dinge um ihn her sind, damit er sie so behandeln könne, als sie ihrer Natur nach behandelt werden wollen. Nur durch dieses Verständniß der Dinge kann er einen Widerspruch mit sich selbst
und mit seiner Umgebung, wodurch sein ganzes Dasein zu einem Unding werden würde,
vermeiden.
Da nun aber der Mensch
nichts weiß, als insofern etwas vor seinem Bewußtsein steht, so muß er sich selbst und die Welt vor sein Bewußtsein bringen und
betrachten, was sie, in diesem Spiegel abgebildet, sind.
Nur in
sofern sie vor dem Bewußtsein stehen, weiß er sie, und nur in sofern er sie weiß, sind sie für ihn da.
Sollen diese Vorstellun
gen aber, die sich der Mensch von sich selbst und der Welt bildet, einen Werth für ihn haben, so müssen sie wahr sein, d. h. den Dingen, so weit sie in ihnen vorgestellt sind, entsprechen; denn
nur insofern sie dieses sind, kann der Mensch, der auf sich selbst und auf die Dinge nur insofern wirken kann, als sie in seiner
Vorstellung da sind,
ihnen entsteht.
sie so behandeln, daß kein Widerspruch mit
Allein mit einem Aggregat von, wenn gleich wah
ren Vorstellungen der Dinge, wäre ihm noch nicht geholfen. Denn die einzelne, aus dem Gegebenen geschöpfte Vorstellung sagt nur aus, das Ding, welches sie vorstellt, sei gegenwärtig so und so,
9
und wenn das Objekt sich verändert, so muß auch eine neue Vor
stellung von demselben gebildet werden.
Wenn nun aber dasselbe
Objekt bald als dieses, bald als jenes, bald wieder als ein ande res erscheint, so kommt der Mensch bald dahin, zu fragen, welche denn von diesen verschiedenen Erscheinungen desselben Objekts die
Wesentliche sei, und, da er keinen Grund hat die Eine Erschei nung für wesentlicher als bie andere zu halten, was denn das Wesentliche an diesem Objekt und das allen Erscheinungen dessel
ben zum Grund Liegende sei? Um aber nun also dieses zu finden, muß er sich das Aggregat seiner Vorstellungen von sich selbst und
der Welt in ein organisches Ganzes, in ein System bringen und seine Vorstellungen der Objekte so zusammenkonstruiren, wie sie
eins aus dem andem entstehen.
Zn diesem Zurückgehen von Ur
sache aus Ursache kann er nicht eher aushören, als bis er zu einer
letzten Ursache kommt, welche Ursache seiner selbst und alles an
dern ist.
Was nun die Objekte sind,
letzten Ursache hervorgegangen sind,
indem sie aus
dieser
müssen sie wesentlich sein,
und aus der Erkenntniß dieses Wesentlichen läßt sich denn die Mannichsaltigkeit der Erscheinungen ableiten.
Das Streben der
Vernunft nun zu einem reinen Verständniß der Dinge zu gelan indem sie sich wahre Vorstellungen derselben zu bilden und
gen,
diese zu einem organischen Ganzen zu verbinden bemüht ist, wel
ches ein getreues Abbild der Objektwelt giebt, insofern sie darin enthalten ist, ist die Philosophie. Diese ist aber nicht etwas dem Menschen von außen Gegebenes, sondern eine Blüthe sei
ner
eigenen
Vernunft.
nunft über sich
Sie ist das
Sichbesinnen der Ver
selbst und die Welt.
Das Thier kann nur
den vor ihm liegenden Gegenstand erkennen, nimmer aber sich selbst.
Darin liegt eben der Unterschied zwischen Thier und Mensch.
Der Mensch aber,
dem die Möglichkeit des Selbstbesinnens als
Bedingung aller Entwickelung gegeben ist, fängt indessen auch sein
geistiges Leben damit an, daß er die Gegenstände um sich her zu erkennen strebt.
In dem Grade wird er aber erst Mensch und ent
wickelt sich die Menschheit in ihm, als seine Vernunft einestheils ihren Blick auf sich selbst zurückzukehren, und anderntheils ein
Wild vom Ganzen um sich her in sich zusammenzusetzen anfangs. Es gehört aber ein bedeutender Grad von Entwickelung dazu, eher
als der Mensch so weit kommt, daß er sich diese Vorstellung von
sich selbst,
vom Ganzen und von seinem Verhältniß zu dem
selben, d. h. eine Weltansicht bildet.
phie, wahre oder irrige, möglich.
Da ist auch keine Philoso
Mithin wird schon das Dasein
der Philosophie durch die menschliche Entwickelung bedingt.
So
wie aber ein Baum auf einem ihm angemessenen Boden grade
und ebenmäßig gen Himmel steigt, auf einem andem aber krumm und schief, verkrüppelt und voller Auswüchse wird, so entwickeln sich auch die Menschen, je nachdem ihr Verhältniß zu der Natur
und unter sich ein solches ist, wie es sein soll, oder nicht, natür lich oder verkehrt.
Nach der Beschaffenheit dieser ihrer Entwicke
lung aber gestaltet sich auch ihre Weltansicht als der Keim ihrer
Philosophie.
Mithin wird, wie das Dasein der Philosophie durch
diese Entwickelung so auch die Nichtigkeit und Wahrheit derselben
durch die Richtigkeit dieser Entwickelung bedingt. So wie der Mensch jedes Objekt, welches sich seinem Be
wußtsein darstellt, als ein wechselndes findet, so auch sich selbst und sein Geschlecht.
Und zwar erscheint dieser Wechsel, wenn er
sich, wie er in einem Zeitmoment erscheint, mit dem vergleicht, was er
in einem spätern ist, als Entwickelung. Diese Entwickelung des einzel
nen Menschen und des ganzen Geschlechts kann aus einem doppelten Gesichtspunkte betrachtet werden, einmal als unabhängig von ihm und dann als das Ergebniß seines eignen Handelns.
In der ersten
Hinsicht entwickelt sich der Mensch, als Einzelnwesen wie als Ge schlecht, nach einem von seiner Natur und Bestimmung bedingten,
von ihm unabhängigen Gesetze in geistiger Hinsicht so ohne sein eigenes Zuthun wie in leiblicher die Pflanze oder sein eigener Kör per.
Nun tragt aber der Mensch auch auf der untersten Stufe
seines geistigen Lebens in der Willkürfähigkeit (s. unten die Ab-
handl. von dem Uebel und dem Bösen) den Keim der Frei
heit in sich, und diese Willkür macht ihn bis zu einem gewissen Grade von dem Gesetze jener von ihm unabhängigen Entwickelung frei, und durch das Eingreifen der Willkür kann er diese Entwi ckelung bis zu einem gewissen Grade aufhalten oder stören. Erst später, wo die Willkür sich zu wirklicher Freiheit entwickelt hat,
sieht er ein, daß, so wie die einzelne Pflanze und das Gesammtleben der Erde nur insofern gedeiht, als diese sich durch einen re gelmäßigen Umschwung um die Sonne in Beziehung auf diese
erhält, also kann auch seine, des Abhängigen, Entwickelung, wie
die seines Geschlechts, nur insofern gedeihen, als er sich in durch gängiger Beziehung auf den Urgrund seines Daseins erhält und
der seiner Entwickelung von einem höchsten Willen vorgezeichneten Bahn folgt
Bis dahin aber ist die Richtung der Bahn seiner
faktischen Entwickelung von dem Zusammenwirken jener beiden Kräfte, der innern menschlichen Natur und der Willkür bestimmt.
Bon dieser Bahn, fei sie nun die richtige, oder nicht, ist aber der
jenige Bogen, welchen der Mmsch, als Individuum oder als Ge schlecht, bis zu feinem Erwachen zur Selbstbesinnung beschreibt,
eben so unabhängig von der Philosophie, die erst hier möglich wird, als er von äußern Umständen bestimmt ist.
Hier muß sich der
Mensch nehmen, wie er sich vorfindet und hier erst wird es ihm
möglich das Gesetz zu entdecken, nach welchem er sich entwickeln
muß, um mit dem Urgründe seines Daseins in keinen Widerspruch zu gerathen, und die Ausgabe seines Lebens wird von diesem Punkt an
die, die fernere Bahn seiner Entwickelung diesem Gesetze gemäß zu vollenden. Seine Ansicht aber von demselben ergiebt sich, aus seiner
Weltanficht, die er sich, sobald er zur Selbstbesinnung erwacht, bildet. Ist diese falsch, so muß jene es auch fein.
Die Wahrheit seiner Welt
ansicht hängt aber wieder von der Richtigkeit seiner Entwickelung
bis dahin ab.
Ist diese verkehrt gewesen, oder ist er darin hin
ter seiner Zejt zurückgeblieben, — vorausgesetzt, daß ihre Ent
wickelung die richtige war,
so kann seine Weltansicht unmög
lich eher richtig sein, als bis er sich von der Verkehrtheit frei ge
macht, mit der er sich da behaftet findet, wo er, aus dem Punkt der Selbstbesinnung sich überkommt; als er den Vorsprung ein
geholt, den sein Geschlecht hier vor ihm hatte, unh dessen Ent wickelung bis zu dem Punkte, aus dem es eben steht, an sich
wiederholt hat, und endlich als er, wenn die Entwickelung seines Geschlechts verkehrt gewesen ist, diese Verkehrtheit in der seinigen
ausgleicht —
Um aber dieses übersehen und bestimmen zu kön
nen, welche die wahre Entwickelung seines Geschlechts sei, muß er schon eine wahre Weltansicht, d. h, eine vollständige und rich
tige Vorstellung des Ganzen haben, denn nur daraus kann eine Um diese wahre
richtige Schätzung des Gegebenen hervorgehen!
Weltansicht ju, haben, muß er gehörig entwickelt sein.
Ob er
aber dieses sei oder nicht, kann er erst dann beurtheilen, wenn er
bereits die wahre Weltansicht hat,
—
Und
so müßte
sich
der Mensch, gäbe es für ihn außerhalb der Philosophie kein Aus
kunstsmittel dafür, immer im Kreis dieser Voraussetzungen der Wahrheit herumtreiben, ohne Hoffnung, sie je zu finden, indem
die Philosophie, welche die Blüthe der Entwickelung der mensch lichen Vernunft bis dahin ist, nur insofern ihrer Wahrheit ge wiß sein kann, als sie sicher ist, diese Entwickelung sei die richtige, welche Entwickelung sie wieder nicht eher richtig schätzen kann, als
bis sie die Wahrheit gefunden.
Zwar sucht die Philosophie dieser Voraussetzung ihrer Wahr
heit dadurch zu entgehen, daß sie den Menschen betrachten will, nicht wie er in der trüglichen, wechselnden Erscheinung, sondem wie er in der Zdee ist; indem bei ihm wie er hier ist, von kei nen Einflüssen einer möglicherweise verkehrten Entwickelung die
Rede sein kann;
allein dieß wird ihr nur dann gelingen, wenn
bewiesen werden kann, daß die Entwickelung der Menschheit eine
natürliche ist.
Denn gesetzt, der Mensch sei unnatürlich gewor
den und befinde sich auf einem falschen Wege der Entwickelung,
so hat sich auch die Vernunft,
welche nun die Wahrheit sucht,
auf dem Boden der Verkehrtheit entwickelt,
und wurzelt dar
auf. Woher soll nun diese zur Einsicht ihrer Verkehrtheit kom men, und, gesetzt, sie käme durch ein Wunder dazu, woher die Kraft nehmen sich darüber zu erheben, wie mit ihrem gelbsüchti
gen Auge die Farbe der Wahrheit erkennen, wie in ihrer Verstimmt heit sich eine Vorstellung von dem Nichtverstimmten machen, und wie soll endlich sie, deren ganze Entwickelung vorausgesetztermaßen
ein Produkt einer verkehrten Entwickelung ist, sich zu dem erhe ben können,
wie etwas in der Idee ist ? —
Auch ist, wie frü
her gezeigt worden, die Konstruktion, die dem Objekt seine wahre Stelle im Ganzen, und sein wahres Verhältniß zu demselben an-
weist, der Eine Faktor der Erkenntniß dieses Objekts in der Idee, so wie die Erkenntniß desselben Objekts, als eines Gegebenen oder als einer Wahrnehmung, die andre. des Menschen durch
Ist aber der geistige Blick
eine verkehrte Entwickelung verschroben, so
kann ihm zwar allenfalls eine richtige Auffassung des Objekts in
dieser letztem Hinsicht gelingen, für die Richtigkeit seiner Konstruk tion aber hat er hier, sobald jene Verkehrtheit vorausgesetzt wird,
keine Bürgschaft, mithin auch keine für das Finden der Wahrheit. — Wir haben aber keinen Grund anzunehmen, daß die Entwicke-
lung des Menschen bis zum Punkt der Selbstbesinnung die rich tige sei.
Denn die Bahn dieser Entwickelung wird, wie schon ge
zeigt worden, durch das Zusammenwirken von zwei verschiedenen Kräften bestimmt. Da und insofern der Mensch aus Gott ist,
so muß allerdings irgend ein göttliches Princip die eine dieser Kräfte sein;
da er aber zugleich Selbst und in der Natur eingewurzelt
ist, wodurch er von Gott abgezogen wird und immer mehr in sich selbst versinkt, so können wir diese zweite Kraft, die in der Will
kür ihre Wurzel hat, nicht anders, denn als ein ungöttliches Prin cip bezeichnen.
Jenes göttliche Princip muß wieder aus einem
doppelten Gesichtspunkte betrachtet werden, einmal als das Gött liche im Menschen, das Gott entgegenstrebende Göttliche im Men
schen, vermöge welches dieser strebt, die richtige Bahn seiner Ent
wickelung zu finden und zu gehen, und dann als das den Men schen zu Gott hinziehende Göttliche, insofern Gott dem, durch die Einflüsse des Entgegengesetzten, geschwächten göttlichen Princip im Menschen zu Hülfe kommt.
Jenes kann in Einer Hinsicht
als die Vernunft, in einer Andern, und wenn man einmal dahin
gekommen sein wird zu verstehen, was Christus mit diesem Worte meinte, als der Glaube bezeichnet werden, dieses wieder ist die
in der Offenbarung kund gewordene Gnade.
(Wie dies in der
Abhandl.: die Ideen im ersten Heft entwickelt worden ist.)
Mit
dem ungleichen Kampf des Göttlichen im Menschen gegen das
ungöttliche Princip, von Christus die Welt genannt, ist daher die Nothwendigkeit dieser Offenbarung gegeben.
Denn da der Mensch nicht aus und in sich selbst ist und be steht, sondern aus und in Gott, so muß die Bahn seiner Ent wickelung nothwendig eine Richtung auf Gott zu haben, und der
Mensch darum da sein, um jenes ungöttliche Princip immer mehr zu besiegen und immer göttlicher zu werden.
Nun ist aber, einer
seits bei der über alle Geschichte hinaufreichenden Verdorbenheit der
Menschen, und, anderseits, bei der unläugbaren Erfahrung, daß im anfangenden Menschen oft ein Böses zum Vorschein kommt, welches nicht von außen in ihn hineingelegt worden ist, nicht ab
zusehen wie, — Gott als das Centrum gesetzt, — diese centri-
strgale Richtung seiner Bahn, wenn der Mensch, sich selbst über-
lassen, sich aus sich selbst entwickelte, in eine centripetale übergehen könnte, sondern wir sind, um uns diesen Uebergang als möglich zu
denken, gezwungen, einen gleichsam unmittelbaren Einfluß des Ur hebers des Menschen auf ihn anzunehmen, einen Einfluß, der die
sen Fortschritt gleichsam rektisicirt.
Diese, die Bahn der mensch
lichen Entwickelung rektificirende Kraft, deren Nothwendigkeit wir hier nur andeuten, die Religionsphilosophie aber beweist, ist dieOffen-
barung,
das in die Nacht des ungöttlichen Wesens, der Welt,
hineinleuchtende Göttliche, welches der Menschheit ihre zulaufende
Bahn zeigt; das, zudem im Menschen zurückgebliebenen Minimum
vom Göttlichen hinzukommende Göttliche, wodurch Gott die Mensch heit zurückführt zu sich, und soweit entwickelt, daß sie nach wie
derhergestellter Beziehung ihres Daseins zu ihm, — und, im Vor beigehen gesagt, selbst dann, wenn jede Erkenntniß göttlicher Dinge, die sie diesem sie erziehenden Princip verdankt,
auf einmal bis
auf die letzte Spur durch ein Wunder bei ihr verloren gehen sollte, — zu einem reinen Verständniß dieses ihres Daseins kommen kann. Der Ausspruch eines Meisters in der Philosophie: „die Be deutung einer Philosophie, welche das Princip des Sündenfalls,
in der höchsten Allgemeinheit ausgesprochen, zu ihrem eignen Prin
cip macht, kann nicht groß genug angeschlagen werden."
(Schel
ling, Phil, und Rel.) verbürgt die Nichtigkeit unsrer auf Hart
manschen Principien aufgestellten Ansicht von einer ursprünglichen Verselbstung der Welt der Intelligenzen, welche in Einer Hinsicht nicht füglich anders denn als Abfall oder, wenn uns dieses neue
Wort erlaubt ist, als Centrifugenz bezeichnet werden kann.
Da
nun aber das Gesetz des Lebens oder der Entwickelung der Welt
der Intelligenzen nicht wohl anders ausgedrückt werden kann als: aus Gott und, Selbst geworden und Selbst verbleibend,
in Gott zurück, so mußte, sollte eine Verwandlung jener Bahn
der Centrifugenz in die der Centripetenz möglich werden, ein Fak
tum statt finden, das in Allem grade das Gegentheil von dem wäre, wodurch sich die Welt der Intelligenzen verselbste und von Gott entfernte.
Diese beiden Fakta, als die Knoten in der Ent
wickelungsbahn der Menschheit, mußten aber in der Zeit aus ein
ander fallen, damit der Abfall nicht umsonst sei, sondern die Mensch
heit zu einem klaren Bewußtsein der Nichtigkeit ihres Seins außer Gott käme.
Während dieser Zeit entwickelte sich die Menschheit
durch das Hineinleuchten jenes Göttlichen, welches zu dem im Men schen zurückgebliebenen Minimums des Göttlichen, hmzukam, durch
die vorbereitende Offenbarung in den Heroen der Menschheit bis
zu Christus, und diese vorbereitende Offenbarung reichte nun eben
hin, um die Fortbewegung der Menschheit zu bewirken und eine noch größere Centrifugenz zu verhindern.
Endlich gelangte, durch
die Fleischwerdung des Gottessohnes, die vorzugsweise also zu nen
nende Offenbarung, die bestimmt ausgesprochene Offenbamng von dem Sein des Menschen in Gott, an die Menschheit.
Diese Offen
barung wirkte aber anfänglich mehr unbewußt, d. h. die in dieser Offenbamng sich manifestirende göttliche Kraft gab der Bahn der
Menschheit, dieser noch beinahe unbewußt, die Richtung auf Gott zu.
Erst in dem Grade, als dieses göttliche Princip der Mensch
heit immer mehr durchdringt und
die bisher abnorme Bahn der
selben rektificirt, kann die Menschheit zu einem klaren Bewußtsein
ihres wahren Seins kommen, und gleichsam aus eignem, freien
Entschluß auf dieser Bahn weiter vorwärts streben.
Und erst in
dem Grade als die Bahn der Menschheit die richtige und die Mensch heit selbst göttlich wird, kann sie das göttliche Princip, das sie bis-
jetzt ihrer beinahe unbewußt erzogen, anerkennen und begreifen. Nur wenn der Gott in uns die ihn verhüllenden Nebel durchdringt,
kann er das Göttliche außer sich vernehmen. Gesetzt nun, — denn hier ist der Ort nicht, den Beweis
dieser Wahrheit zu führen, sondem nur sie anzudeuten, — gesetzt also, durch die Offenbarung, oder, um die so zu sagen einleitende
Offenbarung zu überspringen und uns an der vorzugsweise also
zu nennenden zu halten, durch die Erscheinung Gottes im Fleisch, durch Christus, sei der Menschheit das wahre Gesetz ihrer Ent
wickelungsbahn bekannt gemacht worden, und sie zur Einsicht ihres Seins in Gott, als ihres wahren, eigentlichen Seins, verholfen: so ist es klar, daß es nur dann der Philosophie gelingen werde, ihre Aufgabe zu lösen, wenn sie von diesem Gesetz und von die ser Aufklärung über das wahre Sein der Menschheit Notiz nimmt
und sie mit den Ergebnissen ihrer eignen Forschungen so lange
vergleicht, bis sie die Offenbarung richtig versteht und bis das,
was sich in den Organismus der Einen Wahrheit nicht fügen
will,
als unorganisch ausstoßen wird.
Soll aber dieses ihr ge
lingen, so muß sie sich mit diesem Einigungsversuch nicht an dm
menschlichen Geist schlechtweg, sondern an den in einer Vorsehungs gemäßen Ordnung entwickelten Geist wenden. Denn, da der
Mensch nicht etwas durch sich selbst, sondern durch den Urgrund alles Daseins Gewordenes ist, so kann er nur insofern sich selbst begreifen, als er davon Notiz nimmt, was dieser, als Urheber seines Wesens mit ihm beabsichtigte, und als er das ist, was er nach dessen Absicht sein soll. Also nur aus der Einigung der Of fenbarung mit den bisherigen Resultaten der Philosophie ist die Gewinnung der Wahrheit zu hoffen. Nun hat die Philosophie zwar von vernein keine Bürgschaft dafür, daß, was dem Men schen als göttliche Offenbarung geboten wird, auch dieses wirk lich sei; aber da der Mensch als abhängig von etwas außer ihm Seienden erscheint, so muß wohl die Bestimmung seines Daseins in einer durchgängigen Beziehung desselben zu dem Urgrund eben dieses Daseins bestehen, so wie die des Planeten in einer Bezie hung desselben zu der Sonne besteht; und da es im Menschen, hei der faktischen Verdorbenheit seiner Natur, nichts giebt, was ihn in diese Beziehung setzen und darin erhalten könnte, so muß die Thätigkeit, die ihn in diese Beziehung zu dem Urgrund seines Da seins setzt, nothwendig auch und vorzugsweise von diesem selbst ausgehen, so wie man im Reiche des Körperlichen allenfalls die Centrifugal- nie aber die Cmtripetalkraft läugnen könnte. Und da der Mensch Alles was er ist, in seinem Bewußtsein ist, so muß diese Anziehungskraft Gottes, soll es für den Menschen eine solche geben, ihm in seinem Bewußtsein aufgehen, d, h. Gott muß den Menschen, dadurch daß er ihm die Erkenntniß seiner Anziehungskraft auf ihn und die Einsicht aufgehcn läßt, daß ihm nur insofern wohl sein kann, als er dieser Anziehungskraft folgt und sich in einer durchgängigen Beziehung seines Daseins auf Gott erhält, an sich ziehen und in dieser Beziehung erhalten« Auf diesem SBcge läßt sich die Nothwendigkeit einer Offenbarung er weisen. Ist sie aber erwiesen, so kann keine Frage fein, wo man diese in der Wirklichkeit zu suchen habe. Jene übrigen Ueber lieferungen, die auf den Namen einer göttlichen Offenbarung An spruch machen, verhalten sich zu der christlichen wie der Traum zum Wachen und während jene nur eine in jenem Minimum des im Menschen zurückgebliebenen Göttlichen erwachte Ahnung ist, so ist diese der Punkt, wo jenes nothwendig hinzukommen müssende Göttliche dieses Minimum durchdrungen hat. Ist also die Offen barung, die da nothwendig erfolgen muß, an die Menschen gelangt,
so kann es nur die christliche fein.
Den Beweist aber, daß dieses
geschehen sei, kann 'nur der Erfolg führen, der auch hier ein
Gottesurtheil ist, indem eine Offenbarung, die, durch ihr Zusam menfallen mit den Ergebnissen der Entwickelung der menschlichen Vernunft, die Wahrheit geben soll, nothwendig die wahre sein So wie die Lehre des Copernicus so lange eine Hy pothese blieb, bis alle Phänomene der Bewegung unsers Son
muß. —
nensystems dadurch erklärt wurden, und so wie sie, sobald dieses
geschehen war,
aufhörte eine zu sein, und zu einer erwiesenen
Wahrheit wurde: so wird auch die aus der Einigung der Offen
barung und der Philosophie zu gewinnende Wahrheit so lange
eine Hypothese bleiben, dis daß sich alle Erscheinungen der geisti gen Welt daraus erklären und alle bisherigen Widersprüche vernich
ten lassen.
Ist aber dieses geschehen, so wird man eben so we
nig anstehen können, jene des Copernicus.
eine solche Lehre für wahr zu halten, als