176 87 9MB
German Pages 288 [292] Year 2001
Linguistische Arbeiten
437
Herausgegeben von Hans Altmann, Peter Blumenthal, Hans Jürgen Heringer, Ingo Plag, Heinz Vater und Richard Wiese
Sabine Reich
Struktur und Erwerb der englischen Nominalphrase
Max Niemeyer Verlag Tübingen 2001
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Reich, Sabine: Struktur und Erwerb der englischen Nominalphrase / Sabine Reich. - Tübingen : Niemeyer, 2001 (Linguistische Arbeiten; 437) Zugl.: Köln, Univ., Diss., 1999 u.d.T.: Reich, Sabine: Funktionale Kategorien im Minimalist Program und im Erstspracherwerb ISBN 3-484-30437-5
ISSN 0344-6727
© Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 2001 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Einband: Industriebuchbinderei Nädele, Nehren
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
IX
1 Einleitung 1.1 Thema, Motivation und Zielsetzung der Arbeit 1.2 Bemerkungen zur methodischen Vorgehensweise 1.3 Die Erwachsenensprachdaten: das British National Corpus 1.4 Die Kindersprachdaten: das CHILDES-System 1.4.1 Prinzipien der Datensammlung und Dateninterpretation 1.4.2 Das CHILDES-System 1.4.2.1 Datenbank, Codierungssystem und Software 1.4.2.2 Bemerkungen zur Datenerhebung und -analyse, das Programm CLAN 1.4.3 Die ausgewählten Kindersprachdaten
1 1 7 10 12 13 15 15 18 19
Erster Teil: Funktionale Kategorien im Minimalistischen Programm 2
3
Theoretische Grundlagen: Funktionale Kategorien von der Government/BindingTheorie bis zum Minimalistischen Programm 2.1 Einleitung 2.2 Ansätze der Forschung zu funktionalen Kategorien: das Beispiel der DP-Analyse 2.2.1 Die Nominalphrase in der frühen Govemment/Binding-Theorie 2.2.2 Die DP-Analyse 2.2.2.1 Die Parallelen zwischen Satz und Nominalphrase 2.2.2.2 Determinierer als eigentliche Köpfe der Nominalphrase 2.2.2.3 Vorteile und Konsequenzen der DP-Analyse 2.3 Funktionale Kategorien im Minimalistischen Programm 2.3.1 Der Ökonomiegedanke und neue funktionale Kategorien 2.3.2 Offene Fragen 2.4 Zusammenfassung
21 22 23 24 27 28 31 31 38 40
Kriterien für Köpfe: Eigenschaften lexikalischer und funktionaler Köpfe im Licht der kognitiven Linguistik 3.1 Einleitung 3.2 Kriterien ftlr headedness 3.2.1 Obligatorisches Element und distributives Äquivalent 3.2.2 Das subkategorisierende Element und der Thetamarkierer 3.2.3 Der semantische Funktor 3.2.4 Der morphosyntaktische Lokus 3.2.5 Der Kasuszuweiser 3.2.6 Die einzige minimale Projektion in der Phrase
42 42 43 43 46 47 48 49 49
21 21
VI
3.2.7 Weitere Kriterien für Köpfe 3.2.8 Schlussfolgerung 3.3 Lexikalische Köpfe und Prototyptheorie 3.3.1 Der objektivistische Ansatz fllr Kategorien 3.3.2 Grundzüge der Prototyptheorie und ihre Anwendung in der Linguistik 3.3.3 Prototypische Effekte in der Kategorie KOPF 3.4 Funktionale Köpfe 3.4.1 Charakterisierungen funktionaler Köpfe 3.4.2 Schwache und starke Strukturbauer 3.4.3 Die metonymische Erweiterung der Kategorie KOPF 3.5 Zusammenfassung 4
Funktionale Kategorien in der Nominalphrase: Vorschläge und Kritik aus minimalistischer Sicht 4.1 Einleitung 4.2 Die Kategorie 'Determinierer' und weitere funktionale Köpfe in der Nominalphrase 4.2.1 Definitionen der Kategorie 'Determinierer' 4.2.2 Wie viele funktionale Köpfe gibt es in der Nominalphrase? 4.3 Determinierer und Quantoren in der englischen Nominalphrase 4.3.1 Quantoren als Köpfe oder Adjunkte 4.3.2 Englische Determinierer, Quantoren und Adjektive als Kontinuum 4.3.3 Prototypen, latente Merkmale und schwacher Strukturbau: ein Beschreibungsmodell fllr die Kategorien D und Q im Minimalistischen Programm 4.4 Ein minimalistischer Ansatz zur Reduzierung funktionaler Köpfe 4.4.1 Numerus, Quantoren und die funktionalen Köpfe Num und Q 4.4.2 Kongruenz (agreement) in der Nominalphrase und der funktionale Kopf Agr 4.4.3 Pränominale Adjektive als Spezifizierer funktionaler Köpfe 4.4.4 Genitive und der funktionale Kopf Poss 4.5 Zusammenfassung
50 50 51 51 52 56 59 59 65 71 75
78 78 79 79 82 86 86 93
98 104 106 111 121 124 129
Zweiter Teil: Funktionale Kategorien im Erstspracherwerb 5
Die Entwicklung funktionaler Kategorien im Kindesalter: theoretische Modelle im Vergleich 5.1 Einleitung 5.2 Das Modell des Spracherwerbs in der Prinzipien- und Parametertheorie 5.2.1 Poverty of the stimulus und die Universalgrammatik 5.2.2 Entwicklungsmechanismen im Spracherwerb 5.2.2.1 Die Kontinuitätshypothese 5.2.2.2 Die Reifungsthese und der strukturbildende Ansatz 5.2.2.3 Lexikalisches Lernen
133 133 137 137 140 141 143 144
VII 5.2.2.4 Abschlussbemerkung 5.3 Entwicklungsmodelle für den Erwerb der DP 5.3.1 Überblick über Ergebnisse zum frühen Gebrauch der Determinierer und Quantoren 5.3.2 Theoretische Modelle zum Erwerb funktionaler Kategorien in der Nominalphrase 5.3.2.1 Die Kontinuitätshypothese und ihre Relevanz für den Erwerb der Nominalphrase 5.3.2.2 Die Reifungsthese, der strukturbildende Ansatz und ihre Relevanz für den Erwerb der Nominalphrase 5.3.2.3 Lexikalisches Lernen, Unterspezifizierung und ihre Relevanz für den Erwerb der Nominalphrase 5.4 Ergebnis 6
Die Entwicklung funktionaler Kategorien im frühen Kindesalter: Daten, Entwicklungsphasen und neue Modelle zur Nominalphrase 6.1 Einleitung 6.2 Evidenz gegen QP: der frühe Gebrauch der Quantoren few, much, und many 6.2.1 Abe 6.2.2 Naomi 6.2.3 Eve 6.2.4 Peter 6.2.5 Nina 6.2.6 Zusammenfassung 6.3 Vielseitiges Adjunkt: die Entwicklung des Quantors all 6.3.1 Naomi 6.3.2 Nina 6.3.3 Eve 6.3.4 Peter 6.3.5 Abe 6.3.6 Zusammenfassung der Daten zu all und Schlussfolgerungen 6.4 Vom schwachen Strukturbau zum Kopf der DP: die Entwicklung der Quantoren some, any und no 6.4.1 Naomi 6.4.2 Eve 6.4.3 Peter 6.4.4 Abe 6.4.5 Nina 6.4.6 Mehr zu more\ Die Rolle von more für den Aufbau komplexer Nominalphrasen 6.4.7 Zusammenfassung 6.5 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen zum Erstspracherwerb 6.5.1 Zusammenfassung der Ergebnisse aus dem Erstspracherwerb 6.5.2 Konsequenzen für die bisher vorgeschlagenen Entwicklungsmodelle im Erstspracherwerb 6.5.3 Konsequenzen für die DP-Analyse und ihre Weiterentwicklungen
146 148 148 153 153 157 161 165
167 167 170 170 173 178 180 182 188 189 190 192 193 194 195 196 199 199 211 214 217 219 223 227 227 227 234 236
VIII 7
Konklusion
239
8
Anhang
247
9
Literatur
267
Vorwort
Die folgende Arbeit ist eine stellenweise überarbeitete Fassung meiner Dissertation "Funktionale Kategorien im Minimalist Program und im Erstspracherwerb", die ich von 1996 bis 1999 an der Universität zu Köln und an der Technischen Universität Chemnitz verfaßt habe und die 1999 von der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln angenommen wurde. Gutachter waren Prof. Dr. Wolf-Dietrich Bald (erster Referent) und Prof. Dr. Jon Erickson (zweiter Referent). Die Disputation fand am 29.11.1999 statt. Die Arbeit wäre sicher ohne die Unterstützung einer Vielzahl von Leuten nicht verfaßt worden. Als erstes möchte ich mich herzlich bei dem Betreuer meiner Arbeit, Prof. Dr. Wolf-Dietrich Bald, und bei Professor Dr. Jon Erickson am Englischen Seminar in Köln für ihre langjährige Unterstützung und für ihr Vertrauen in mich bedanken. An die Zeit am Englischen Seminar, insbesondere die Arbeit am Lehrstuhl Bald, denke ich gerne mit Freude zurück. Dem Herausgeber der Reihe Linguistische Arbeiten, Prof. Dr. Heinz Vater, danke ich dafür, die Veröffentlichung bei Niemeyer möglich gemacht zu haben, und für hilfreiche Ratschläge bei der Überarbeitung. Dank geht auch an die Graduiertenförderung des Landes Nordrhein-Westfalen, die mich von August 1996 bis April 1997 mit einem Promotionsstipendium gefördert hat. Ferner bin ich einer Reihe von Freunden und Kollegen in Köln und Chemnitz zu großem Dank verpflichtet: jetzigen und ehemaligen Mitgliedern der "Linguistinnenbande" in Köln (Marion Gymnich, Monika Klages-Kubitzki, Katja Lenz, Ludger Mainka, Ruth Möhlig, Inge Molitor, Sybil Scholz, Marion Zenthöfer) und dem wechselnden Team in Chemnitz (Birgit Ahlemeyer, Claudia Claridge, Ciaire Cowie, Christian Eckhardt, Angela Hahn, Naomi Hallan, Eva Hertel, Diana Hudson-Ettle, Anne Schröder, Andrew Wilson). Ohne den Teamgeist sowohl in Köln als auch in Chemnitz hätte mir die Auseinandersetzung mit linguistischen Fragestellungen sicher nicht so viel Spaß gemacht. Insbesondere möchte ich Marion Gymnich, Angela Hahn, Monika-Klages-Kubitzki und Inge Molitor herzlich danken, die sich mit mir auf viele Diskussionen zum Thema Minimalist Program und Spracherwerb eingelassen haben. Dank geht auch an Marion Gymnich sowie an Jens Kreutzer und Manu Braun aus der Abteilung Erickson dafür, daß sie mich während meiner Zeit in Chemnitz mit Kopien von dringend benötigter Literatur versorgt haben. Schließlich möchte ich mich ganz besonders bei Sebastian, Elke und meinen Eltern für ihre Geduld und Unterstützung während der Promotionszeit bedanken. Köln, im September 2000
Sabine Reich
1 Einleitung
1.1 T h e m a , Motivation und Zielsetzung der Arbeit
Die Fragen, ob das Sprachvermögen angeboren ist und welche Komponenten des sprachlichen Wissens genetisch "vorprogrammiert" sind, beschäftigen die Linguistik schon seit langem. Die generative Sprachforschung hat solche Fragen zu den Schwerpunkten ihrer Aktivitäten erklärt, wie beispielsweise im Eingangskapitel zu Chomskys Knowledge of Language (1986) deutlich wird: (i) (ii)
What constitutes knowledge o f language? H o w is knowledge of language acquired?
(iii) H o w is knowledge of language put to use? (Chomsky 1986a: 3)
Kurz gefasst spricht Chomsky (1965, 1986a, u.a.) von der Natur, dem Ursprung und dem Gebrauch der menschlichen Sprache als Kernfragen der generativen Theoriebildung. Ziel der generativen Sprachforschung ist es, ein explanatorisch adäquates Modell der Sprache zu finden - also ein Modell, das sowohl die vorhandenen Sprachdaten explizit beschreiben als auch die kognitive Repräsentation und den Erwerb der Sprache angemessen erklären kann. Zentral in diesem Zusammenhang ist der Terminus der Universalgrammatik. Die Universalgrammatik nach Chomsky (1986a) ist ein angeborenes System von Prinzipien, das alle menschlichen Sprachen gemeinsam haben. Diese Prinzipien können noch innerhalb einer Menge von Optionen (Parameter) variieren - für jede Sprache wird eine Option festgelegt (parametrische Variation zwischen Sprachen). Darüber hinaus ist die Universalgrammatik ein Modell des Anfangszustandes sprachlichen Wissens des neugeborenen Kindes, bevor es sprachlichen Input aus seiner Umgebung erhält. Das Kind verfügt bereits über alle Prinzipien der Universalgrammatik, aber die Parameter sind noch nicht in der Grammatik des Kindes festgelegt. 1 Die Konfrontation mit sprachlichem Input ermöglicht dem Kind, die Parameter in eine Richtung zu 'setzen' und damit eine sprachspezifische Grammatik auf der Grundlage der Universalgrammatik aufzubauen (siehe die ausführliche Darstellung in Kapitel 5, vgl. auch Chomsky 1986a: 3, 1993: 1). In der Auseinandersetzung mit der Frage, was Bestandteile der Universalgrammatik sind, sind funktionale Elemente wie Determinierer, Tempus/Aspekt oder Konjunktionen seit etwa zehn bis fünfzehn Jahren verstärkt in den Blickpunkt gerückt (vgl. Chomsky 1986b, Fukui/Speas 1986, Abney 1987, Pollock 1989, Olsen/Fanselow 1991, Ouhalla 1991, Chomsky 1995b, Clahsen 1996, Bobaljik/Thräinsson 1998, Hudson 1998, Parodi 1998, u.a.). In der generativen Sprachforschung wird von einem Gegensatz zwischen sogenannten funktionalen Kategorien und lexikalischen Kategorien ausgegangen. Während lexikalische Kategorien beispielsweise die Kategorien der Verben, Nomina und Adjektive sind, werden ftink'
Dies sind Annahmen, wie sie z.B. in Chomsky (1986a) geäußert werden. Der Status der Prinzipien und Parameter in der Grammatik des Kindes wird in der Erstspracherwerbsforschung jedoch kontrovers diskutiert, vgl. dazu Kapitel 5.
2 tionale Kategorien durch grammatische Elemente, beispielsweise Determinierer oder Konjunktionen, realisiert.2 Für die generative Sprachforschung sind nur die lexikalischen Kategorien Teil der Universalgrammatik, während funktionale Kategorien sprachspezifisch unterschiedlich realisiert werden ("parametrische Variation", s.o.). Genauer gesagt sind laut Chomsky alle Parameter und damit auch die Parametersetzung ausschließlich mit dem Erwerb funktionaler Kategorien verknüpft (vgl. Chomsky 1989: 44). Das verstärkte Interesse der generativen Linguistik an funktionalen Kategorien nimmt seinen Anfangspunkt unter anderem mit dem Vorschlag von Stowell (1981), clauses als Projektionen ihrer Flexion (inflection, I) zu betrachten; ferner sollen Sätze als Complementizer-Phrasen (CPs) interpretiert werden. Während vorher nur von Verbalphrasen, Nominalphrasen oder Adjektivphrasen ausgegangen wurde, wird nun von englischen Modalverben wie will und Complementizern wie that angenommen, dass sie auch Phrasen projizieren: (0
-—VP
^
SPEC I
V' V
^
\
quickly open (2)
^
IP
the door ^
r
SPEC I
John (3)
I """
^
VP
will
--CP SPEC C """ that
quickly open the door
C'
^ IP John will quickly open the door
Abney (1987) schlägt ferner vor, die traditionelle Nominalphrase nicht mehr als NP zu betrachten. Vielmehr sieht Abney die gesamte Nominalphrase3 nun als DP, d.h. als maximale Projektion der funktionalen Kategorie D:
2
Der Terminus 'funktionale Kategorie' ist mehrdeutig. Grundsätzlich milsste zwischen 'funktionaler Kategorie' als Synonym fllr (grammatische) Wortklasse, 'funktionaler Kategorie 1 als Synonym für ein Bündel von Eigenschaften (wie etwa INFL) und 'funktionaler Kategorie' als Position im Phrasenstrukturbaum (C, D, I) unterschieden werden. In der Literatur wird diese Unterscheidung häufig nicht gemacht, beispielsweise setzt Haspelmath (1994) funktionale Kategorien mit Funktionswörtern gleich. In der Regel wird aber aus dem Zusammenhang deutlich, was gemeint ist. Eine ausführlichere Diskussion dieser Problematik findet man in Hudson (1998).
3
Im folgenden bezeichne ich nominale Strukturen als "Nominalphrase", wenn auf keine spezielle Theorie Bezug genommen wird, d.h. "Nominalphrase" bezieht sich auf die DP in der DP-Analyse bzw. auf die N P in der Standardtheorie (Chomsky 1965). Ich benutze NP im folgenden nicht als Abkürzung für "Nominalphrase". N P ist für mich die maximale Projektion von N. Mit dieser Terminologiewahl folge ich Abney (1987: 59-60).
3 (4) • DP SPEC D the
^ D' ^
NP student of physics lexikalische Phrase
funktionaler Überbau Auch Chomsky/Lasnik (1995: 58) schließen sich dieser Analyse an: "We have so far considered two functional categories: I and C. A natural extension is that just as propositions are projections of functional categories, so are the traditional noun phrases. The functional head in this case is D, a position filled by a determiner4, a possessive agreement element, or a pronoun [...]." Die Interpretation aller Nominalphrasen als Determiniererphrasen nach Abney wird in der Literatur auch als die "DP-Analyse" der Nominalphrase bezeichnet. Im Anschluss an die DP-Analyse sind eine Reihe neuer funktionaler Kategorien vorgeschlagen worden. Ferner sind innerhalb des Minimalistischen Programms (Chomsky 1989, 1993, 1995c), einer Weiterentwicklung der generativen Govemment/Binding-Theorie der achtziger Jahre (Chomsky 1981), die funktionalen Kategorien in den Mittelpunkt des Interesses gerückt (vgl. auch Kapitel 2). Vor allem filr Sprachvergleiche wurden zunehmend funktionale Kategorien herangezogen, um Unterschiede zu erläutern. So behaupten beispielsweise Fukui (1986) und Fukui/Speas (1986), dass im Japanischen eine overte Wh-Bewegung fehlt, weil das Japanische keine funktionale Kategorie COMP besitzt. Nur Sprachen wie das Englische, die eine Position C haben, verfügen dann mit [Spec, C] über einen Landeplatz für Wh-Elemente: (5)
[cpfspec Whenj] [ c willj] [,P we three tj meet again t,]]
t
*
1
J
Das große Interesse an komparativen Untersuchungen dieser Art führte letztlich zu einer Flut von Vorschlägen zu funktionalen Kategorien. Viele Wortklassen, Morpheme und abstrakte morphosyntaktische Merkmale wurden als Realisierungen funktionaler Kategorien interpretiert, so wurden beispielsweise im verbalen Bereich die folgenden Kategorien postuliert: • AgrS (subject agreement) • AgrO (object agreement) • T {tense) • Asp (aspect) • Prog (progressive) • Neg (negation) (vgl. Chomsky 1989, Pollock 1989, Ouhalla 1991). Zusätzlich wird noch angenommen, daß alle genannten funktionalen Kategorien Phrasen projizieren, was letztlich zu sehr komplexen Strukturen führt. Chomsky (1989) z.B. schlägt 4
Die deutsche Terminologie ist hier nicht einheitlich. Deutsche Entsprechungen für den englischen Ausdruck determiner sind Determinierer, Determinans, Determinante oder Determinator. Ich folge der Terminologie von Löbel (1990).
4 folgenden Phrasenstrukturbaum fllr die IP vor, was eine erhebliche Erweiterung gegenüber den Annahmen in Chomsky ( 1 9 8 6 b ) darstellt: (6)
a. S = I " = [NP [,. I [yp V ...]]] (vgl. Chomsky 1986b: 3) b. ^ IP ^ NP ^ r ^ AGR-S
^
FP
F neg
^ ^
(negP) ^ AGRP AGR-0 ^ VP ^ VP (ADV) V ... (Chomsky 1989: 5 8 )
Diese komplexen Phrasenstrukturbäume sind problematisch, weil oftmals die postulierten funktionalen Kategorien und ihre Projektionen kaum rechtfertigt werden. Viele Ansätze gehen einfach davon aus, dass jedes Flexionsaffix eine zugehörige funktionale Phrase besitzt. Deshalb ist in den letzten Jahren Kritik an dem Übermaß funktionaler Köpfe geübt worden. So widerlegen Iatridou ( 1 9 9 0 ) und Chomsky ( 1 9 9 5 c ) die Argumente, die ursprünglich die Position Agr im Englischen motiviert haben. Van Gelderen ( 1 9 9 3 , 1997) argumentiert ferner gegen die Postulierung der funktionalen Projektionen AgrSP, AgrOP und AspP, und sie zweifelt ebenso wie Joseph/Smirniotopoulos (1993), Thráinsson ( 1 9 9 6 ) und Bobaljik/Thráinsson ( 1 9 9 8 ) die Universalität sämtlicher vorgeschlagener funktionaler Kategorien an. Auch Haider ( 1 9 9 7 ) plädiert für eine minimale funktionale Struktur oberhalb der VP, also möglichst wenige funktionale Projektionen. Grundsätzlich kann man also die Fragen stellen, welche funktionalen Kategorien existieren und welche funktionalen Kategorien Phrasen projizieren. Trotz dieser vielerorts geäußerten Kritik fehlen bisher verlässliche Kriterien für die Auswahl und Legitimation funktionaler Köpfe. Da die Einstufung eines funktionalen Elements als K o p f einer Phrase in der Regel von der Konzeption des Begriffes ' K o p f abhängt, ist es dringend erforderlich, die Definition des Begriffes 'Kopf einer Phrase' zu klären und damit unter Umständen auch den Status einiger funktionaler Kategorien als Köpfe zu verifizieren oder zu falsifizieren. Dass dies immer noch eine notwendige Aufgabe ist, zeigt die einleitende Bemerkung Fräsers, Corbetts und McGlashans in Heads in Grammatical Theory. "The majority o f grammatical theories refer explicitly to the head o f a phrasal constituent. Y e t while the term 'head' has entered the common currency o f theoretical linguistics, this does not provide evidence o f agreement on what it means." (Fraser/Corbett/McGlashan 1993: 1) Eng verknüpft mit dieser Aufgabenstellung ist die Frage nach den Eigenschaften funktionaler Köpfe, und ob diese sich von lexikalischen in fundamentaler Weise unterscheiden. So ist unklar, ob alle Kategorien entweder als lexikalische oder funktionale Köpfe zur Verfügung stehen - eines von vielen Problemen, die bereits Leffel/Bouchard ( 1 9 9 1 : 5 - 6 ) als noch ungelöst betrachten:
5 In general, a number of issues became apparent as proposals about functional elements were developed. It is unclear whether functional heads (e.g. D, C, I) and lexical heads (e.g. N , V, A ) project in the same way, or in different ways, as proposed by Fukui and others. [...] There are categories that do not easily fit into the functional-or-lexical mold, such as prepositions and various kinds o f conjunctions.
Als besondere Beispiele für Kategorien, die weder eindeutig lexikalisch noch funktional sind, werden häufig Präpositionen, Quantoren und Konjunktionen genannt. Die vorliegende Arbeit soll einen Beitrag zu der Diskussion um lexikalische und funktionale Kategorien leisten. Die Arbeit konzentriert dabei sich auf funktionale Kategorien in der Nominalphrase, vor allem weil zum verbalen Bereich schon eine Vielzahl neuerer und auch kritischer Vorschläge zu funktionalen Kategorien vorliegen (vgl. Iatridou 1990, Joseph/ Smirniotopoulos 1993, van Gelderen 1993, 1997, Thráinsson 1996, Haider 1997, Bobaljik/ Thráinsson 1998). Auch für die Nominalphrase sind eine Reihe funktionaler Kategorien vorgeschlagen worden, beispielsweise D (determiner), Q (quantifier) oder Num {number), aber diese wurden im Gegensatz zu funktionalen Kategorien im verbalen Bereich bislang noch nicht kritisch auf ihre Berechtigung überprüft. Aufgrund der oben aufgeworfenen Probleme wird die vorliegende Arbeit vor allem folgende Fragen versuchen zu beantworten: a) Welchen Status haben funktionale Kategorien in der Universalgrammatik? b) Welche funktionalen Kategorien existieren in der Nominalphrase? c) Artikel und Demonstrativpronomina werden zu der funktionalen Kategorie "Determinierer" (D) gezählt. Welchen Status haben Quantoren wie some, any, many oder all? Gibt es eine Kategorie "Quantor" (Q)? Wenn ja, ist sie lexikalisch oder funktional? Projizieren alle Quantoren eigene Phrasen (QPs)? d) Macht es Sinn, von einer Dichotomie lexikalisch - funktional auszugehen? Sind Quantoren nicht eher ein Beispiel für eine "Zwischenkategorie", die weder eindeutig lexikalisch noch funktional ist? e) Welche Eigenschaften machen eine Kategorie zum "Kopf einer Phrase"? Gibt es auch Formen, die weder eindeutig Köpfe noch eindeutig Adjunkte in einer Phrase sind? Gibt es Kriterien für Köpfe und wie zuverlässig sind sie? f) Welche Schlüsse kann man aus Erstspracherwerbsdaten zum Status von Determinierern und Quantoren ziehen? Weil hier Fragen nach dem Status der funktionalen Kategorien in der Universalgrammatik gestellt werden, schien es sinnvoll, die in dieser Arbeit gewonnenen Erkenntnisse zu funktionalen Kategorien durch einen Blick auf den Spracherwerb zu überprüfen und zu ergänzen. Deshalb wird die Diskussion um funktionale Kategorien in der Nominalphrase um eine Analyse des Gebrauchs der Determinierer und Quantoren in der englischen Kindersprache vervollständigt. Diese Analyse ist eine wichtige Ergänzung, weil Quantoren Kandidaten für Formen sind, die weder eindeutig lexikalisch noch funktional sind und weil der Status der Quantoren als 'funktionale Köpfe' weit weniger eindeutig ist als beispielweise der der Artikel oder Demonstrativa. Deshalb wird der Erwerb der Quantoren some, any, no, many, all und more genauer untersucht und mit dem Erwerb der Demonstrativa verglichen. Mit dieser Analyse englischer Kindersprache werden gleichzeitig einige Fragen aus den ersten Kapiteln wieder aufgegriffen und um neue Fragen aus der Perspektive der Erstspracherwerbsforschung ergänzt:
6 • Sind Quantoren funktionale Köpfe in einer QP, vergleichbar mit Artikeln und Demonstrativa, die Köpfe einer DP sein können? • Wenn Quantoren weder eindeutig funktional noch eindeutig lexikalisch sind, wie vollzieht sich dann ihr Erwerb? Bestehen Ähnlichkeiten zum Erwerb der Determinierer? • Gibt es universelle Erwerbssequenzen für den Erwerb von Determinierern und Quantoren? Die vorliegende zweigeteilte Arbeit hat also folgende Struktur: Im ersten Teil, der Kapitel 2, 3 und 4 umfasst, werden vor allem theoretische Fragen geklärt und die Rolle der funktionalen Kategorien im Minimalistischen Programm untersucht. In Kapitel 2 werden exemplarisch anhand der Nominalphrase Gründe präsentiert, warum funktionale Kategorien Phrasen projizieren. Dies wird ergänzt um eine Diskussion der Rolle funktionaler Kategorien im Minimalistischen Programm (Kapitel 2.3). In Kapitel 3 werden Kriterien für "lexikalisch", "funktional" und "Kopf einer Phrase" genauer untersucht und einer Kritik unterworfen. In Kapitel 4 werden die bisher für den nominalen Bereich vorschlagenen funktionalen Köpfe vorgestellt. Es wird untersucht, ob diese funktionalen Köpfe ihre Berechtigung haben, beispielsweise D (determiner), Q (quantifier), Num (number), Agr (agreement), Poss (possessor). Dabei fließen sowohl Ergebnisse aus Kapitel 3 als auch Prinzipien des Minimalistischen Programms in die Bewertung ein. Speziell für die englische Nominalphrase werden verschiedene Determinierer und Quantoren analysiert. Dabei wird versucht zu klären, ob diese Formen lexikalisch, funktional oder eher "semi-lexikalisch" sind und ob englische Quantoren Köpfe eigener Phrasen (QPs) sind. Der zweite Teil der Arbeit befasst sich mit der Rolle funktionaler Kategorien im Erstspracherwerb. Auch liegt der Schwerpunkt wieder auf der englischen Nominalphrase. Es wird zunächst nach Entwicklungsmodellen zum Erstspracherwerb gefragt und der Erwerb funktionaler Kategorien gemäß diesen Modellen vorgestellt und diskutiert (vgl. Kapitel 5). Im Anschluss daran wird der Erwerb der "Zwischenkategorie" Quantor genauer untersucht und mit dem Erwerb der Demonstrativa verglichen (vgl. Kapitel 6.2 bis 6.4). Hier interessieren vor allem Fragen wie: Werden Determinierer und Quantoren gleichzeitig erworben? Viele Determinierer werden ab dem Alter von etwa zwei Jahren als Köpfe von DPs verwendet (vgl. Radford 1990, 1995), einzelne Formen und deren Vorläufer eventuell auch schon drei Monate früher (vgl. Stenzel 1997). Ab welchem Alter werden Quantoren als Köpfe von QPs verwendet? Werden Quantoren konsequent als Köpfe interpretiert oder gibt es Übergangsphasen? Gibt es universelle Erwerbssequenzen für Quantoren? Ferner wird versucht, die Einordnung von Q als "semi-lexikalische Kategorie" mit den Ergebnissen aus dem Erstspracherwerb in Beziehung zu setzen (vgl. Kapitel 6.5). Abschließend wird in Kapitel 6.5 nach Konsequenzen aus den Erstspracherwerbsdaten für das Minimalistische Programm und das Modell der Nominalphrase gefragt, womit sich der Bogen schließt: Die theoretischen Erkenntnisse und die empirischen Daten (hier: Kindersprachdaten) sollen dazu beitragen, einen Überblick über den Status funktionaler Kategorien in der Universalgrammatik zu gewinnen.
7 1.2 B e m e r k u n g e n zur methodischen Vorgehensweise
Wie bereits im ersten Abschnitt erläutert wurde, soll diese Arbeit u.a. einen Beitrag zur Diskussion um funktionale Kategorien innerhalb des Minimalistischen Programms bieten. Vor allem die Kapitel 2, 4, 5 und 6 zur Nominalphrase und zum Erstspracherwerb werden sich innerhalb dieses theoretischen Rahmens bewegen. In Kapitel 3 allerdings, in dem die theoretischen Grundlagen für weitere Analysen gelegt werden sollen, wird von diesem Grundsatz abgewichen, und zwar aus folgendem Grund: Während der Erarbeitungsphase, in der die Analyse des Konzeptes 'Kopf einer Phrase1 erstellt wurde, stellte es sich sehr schnell als nützlich heraus, auch Ergebnisse aus nicht-generativen Theorien heranzuziehen (Grammatikalisierungs-Ansätze, kognitive Linguistik). Zum einen ließen sich so wichtige Erkenntnisse aus anderen Theorien für die generative Syntax gewinnbringend nutzen, zum anderen machte es wenig Sinn, sich ausschließlich auf die Government/Binding-Theorie bzw. das Minimalistische Programm zu beschränken, wenn ein Konzept wie der 'Kopf der Phrase' untersucht wird, das in (fast) jeder aktuellen syntaktischen Theorie seinen Stellenwert hat. Die Übernahme einiger Ideen aus der kognitiven Linguistik (Lakoff 1987) sowie aus verschiedenen Ansätzen zur Grammatikalisierung (grammaticalization, Hopper/Traugott 1993) waren sinnvoll, um das Problem aus nicht-generativer bzw. diachroner Sicht zu beleuchten. Bei der Auswahl der Daten wurde ebenfalls auf methodologische Vielfalt geachtet. Während sich viele generative Linguistinnen und Linguisten im allgemeinen auf ihre sprachliche Intuition verlassen und ihre Thesen mit selbsterdachten Beispielen belegen, sind in dieser Arbeit auch Korpusdaten herangezogen worden. Dies ist in der generativen Theoriebildung häufig unüblich, weil Chomsky auf den Unterschied zwischen Kompetenz und Performanz verweist, also den Unterschied zwischen sprachlichem Wissen und dem Gebrauch der Sprache in realen Alltagssituationen, und das Interesse der generativen Forschung gilt der Kompetenz eines Individuums. Korpusdaten können eventuell problematisch sein, weil sie als Widerspiegelungen der u.U. fehlerhaften Performanz keine genaue Auskunft Uber die Kompetenz des Sprechers/der Sprecherin geben. In vielen Arbeiten wird daraus der Schluss gezogen, dass die sprachliche Intuition über die Wohlgeformtheit von Sätzen (sentence well-formedness) als Evidenz für die Formulierung linguistischer Theorien adäquater ist, da sprachliche Intuitionen Kompetenz eher reflektieren als Korpusdaten. Auch Chomsky (1965: 18-27) diskutiert die Frage, ob Introspektion ein ausreichendes Mittel ist, um linguistische Theorien zu rechtfertigen. Die Beschränkung auf Introspektion scheint - so Chomsky - kein entscheidendes Problem für linguistische Theorien, da allein durch die Introspektion reichlich Evidenz zur Verfügung steht. Es ist die Aufgabe linguistischer Theorien, diese Evidenz angemessen zu beschreiben (Chomsky 1965: 19-20). Eine Weiterentwicklung von Methoden zur objektiven Erhebung sprachlicher Daten ist offensichtlich kein vorrangiges Ziel für Chomsky:
8 In linguistics, it seems to me that sharpening of the data by more objective tests is a matter of small importance for the problems at hand. One who disagrees with this estimate of the present situation in linguistics can justify his belief in the current importance of more objective operational tests by showing how they can lead to new and deeper understanding of linguistic structure. (Chomsky 1 9 6 5 : 2 0 - 2 1 )
An dieser Einstellung hat sich auch über zwanzig Jahre später zumindest für Chomsky wenig geändert: "You don't take a corpus, you ask questions. You do exactly what they do in the natural sciences. You do experimentation. [...] You want an answer to a non-trivial question; you got to go beyond corpus data." (Chomsky, p.c., in: Aarts 1999) 5 Eine direkte Antwort auf diese Einwände gegen den Gebrauch von Korpora bieten Fillmores (1992: 35) Beobachtungen: I have two main observations to make. The first is that I don't think there can be any corpora, however large, that contain information about all of the areas of English lexicon and grammar that I want to explore; all that I have seen are inadequate. The second observation is that every corpus that I've had a chance to examine, however small, has taught me facts that I couldn't imagine finding out about in any other way. My conclusion is that the two kinds of linguists [d.h. der Korpuslinguist und der theoretische Linguist, S R ] need each other.
Die Motivation für den Einsatz von Korpusdaten aus dem British National Corpus und der CHILDES-Datenbank in der vorliegenden Arbeit lässt sich kaum besser formulieren. Dennoch möchte ich noch einige Punkte ergänzen, die für den Einsatz eines Computerkorpus sprechen: • Ausgangspunkt fur diesen methodischen Zugang ist eine Überlegung von Stig Johansson (1991: 4): "[...] computer corpora provide data which can serve as input to descriptive linguistic work and as a testing ground for linguistic theories." Vor allen als Testmaterial für Hypothesen zu funktionalen Kategorien in der Nominalphrase scheinen m.E. Korpusdaten sehr wertvoll zu sein. In Kapitel 4 sind aus diesem Grund gezielt Korpusdaten zu einzelnen Fragestellungen herangezogen worden. • Korpora werden in der Kindersprachforschung den experimentellen Daten für das frühe Kindesalter vorgezogen - dies hängt u.a. damit zusammen, dass Kinder im entscheidenden Alter nicht geeignet für experimentelle Studien sind. 6 Trotz der "Beschränkung" auf Korpusdaten sind in letzter Zeit eine Fülle von neuen Ergebnissen gerade für die generative Theoriebildung aus der Kindersprachforschung geliefert worden (vgl. z.B. Radford 1990, Meisel 1992, Hoekstra/Schwartz 1994, Clahsen 1996, Dittmar/Penner 1998, Meibauer/Rothweiler 1999). Warum sollte ein ähnliches methodisches Vorgehen für die Erwachsenensprache nicht sinnvolle Ergebnisse liefern? Heutige Korpora von einem Umfang von 100 Millionen Wörtern sind weniger beschränkt und stellen mehr einen repräsentativen Querschnitt durch die Sprache dar als die Korpora der fünziger und sechziger Jahre. Leistungsstärkere Computer erleichtern darüber hinaus die automatische Recherche in solchen Computerkorpora.
5
6
In Chomsky (1995a) wird das Problem der Datenerhebung nicht angeschnitten. Die verwendeten Daten beruhen ausschließlich auf Sprecherintuitionen, so dass wenig Zweifel über eine unveränderte Bevorzugung der Introspektion übrig bleiben. Vgl. auch Wagner (1996) zur Rolle des Korpus in der Erstspracherwerbsforschung.
9 •
E s ist eine Tatsache, dass die Kompetenz (das sprachliche Wissen des Individuums) stets n u r über die Performanz zugänglich ist, denn es existieren keine technischen Möglichkeiten, die Kompetenz eines Individuums direkt zu überprüfen. 7 Auch selbst erdachte Beispiele bzw. ein Urteil über deren Grammatikalität reflektieren K o m p e t e n z nicht ungebrochen und sind keineswegs absolut zuverlässig. In vielen Fällen kann es sogar sein, d a s s eine Sprecherin bzw. ein Sprecher zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche Urteile z u r Wohlgeformtheit von Ausdrücken abgibt. Deshalb macht es Sinn, Grammatikalitätsurteile durch Korpusdaten zu ergänzen. Korpusdaten haben zudem den Vorteil, dass sie im Gegensatz zu den subjektiven Grammatikalitätsurteilen einzelner Sprecher/innen eher "objektiven" Analysemethoden unterworfen werden können: Die verwendeten Korpusmaterialien sind in der Regel frei zugänglich und damit nachprüfbar; ferner können Strukturen quantitativ analysiert werden. Quantitative Analysen wurden vor allem in Kapitel 6 genutzt, um Aussagen zur Produktivität einzelner Formen und Konstruktionen in der Kindersprache machen zu können.
•
D e r Versuch, in Korpora sprachliche Daten aus möglichst vielen Bereichen des alltäglic h e n Lebens zu erfassen, ist eine gute Ergänzung zur Introspektion des Linguisten, der z w a r prinzipiell alle Daten "in seinem K o p f ' zur Verfügung hat, aber auf diese nicht systematisch zugreifen kann, wie McEnery/Wilson (1993: 12-13) feststellen: We must also consider that the process of introspection may not be at all systematic and in fairness look at the extremes reached by the non-corpus linguist. If the corpus linguist can often seem the slave of the available data, so the non-corpus linguist can be seen to be at the whim of his or her imagination.
•
E i n e Einbeziehung von Korpusdaten für eine generative Arbeit scheint durch Aussagen C h o m s k y s wie die folgende zumindest ansatzweise legitimiert zu sein: In principle, evidence concerning the character of the I-language and the initial state [of the language faculty] could come from many different sources apart from judgements concerning the form und meaning of expressions: perceptual experiments, the study of acquisition and deficit or of partially invented languages such as creóles [...], or of literary usage or language change, neurology, biochemistry, and so on. [...] As in the case of any inquiry into some aspect of the physical world, there is no way of delimiting the kinds of evidence that might, in principle, prove relevant. (Chomsky 1986a: 37; meine Hervorhebung)
Abschließend muss noch betont werden, dass trotz der Verwendung von Korpusdaten die erste H ä l f t e der vorliegenden Arbeit keine korpuslinguistische Studie im engeren Sinne ist. Für die Erwachsenensprachdaten wurde darauf verzichtet, detaillierte Studien zu Nominalphrasenstrukturen und Häufigkeiten einzelner Formen durchzuführen, weil zu diesem T h e m a bereits umfangreiche Literatur aus der Korpuslinguistik existiert bzw. in Arbeit ist. 8 Statt dessen wurden in der vorliegenden Arbeit theoretische Grundlagen filr die Beschreibung der D P ausgelotet und Korpusdaten als Zusatzinformationen genutzt. Für die Analyse der Kindersprache im zweiten Teil der Arbeit sind die Korpusdaten dagegen zentral, denn es w u r d e n detaillierte quantitative und qualitative Analysen z u m Gebrauch der Determinierer u n d Quantoren sowie der Struktur der Nominalphrase durchgeführt, weil vor allem im 7 8
Daraufweist auch Chomsky (1965: 18-19) hin. Vgl. beispielsweise Abberton (1977), Estling (1999) und Nilsson (1999) sowie die detaillierten korpuslinguistischen Studien von Wischer (1997) und Meyer (1999).
10 Bereich der Quantoren bisher wenige Studien für Kinder unter vier Jahren vorliegen (vgl. Kapitel 5.1). Insgesamt setzt sich also die vorliegende Arbeit über einige für Jahrzehnte fundamentale Grundannahmen generativer Ansätze hinweg: • Sprache wird nicht ausschließlich synchron als Gebilde von Kontrasten betrachtet (strukturalistisches Erbe der generativen Syntax), sondern es werden auch einige diachrone Daten herangezogen. • Es wird nicht ausschließlich mit Sprecherintuitionen gearbeitet. Damit werden keine neuen Wege beschritten, sondern die Arbeit befindet sich durchaus im Rahmen einer neueren Entwicklung innerhalb der generativen Tradition: Neben synchronen Betrachtungen gewinnen zunehmend diachrone Untersuchungen fiir die generative Syntax an Bedeutung (vgl. beispielsweise van Gelderen 1993, Brandner/Ferraresi 1996). Ebenso hat die generative Erstspracherwerbsforschung in den letzten Jahren einen Boom erlebt und damit haben Korpusdaten (bzw. generell nicht-introspektive Daten) neben Sprecherintuitionen einen entscheidenden Stellenwert gewonnen. In den folgenden beiden Abschnitten (1.3 und 1.4) werden die verwendeten Korpora genauer vorgestellt.
1.3 Die Erwachsenensprachdaten: das British National C o r p u s
Das für diese Arbeit verwendete British National Corpus ist ein etwa 100 Millionen Wörter umfassendes Korpus der modernen englischen Sprache. Etwa zehn Prozent dieses Korpus beruhen auf (orthographischen) Transkriptionen gesprochener Sprache; die übrigen neunzig Prozent des Korpus bestehen aus Texten unterschiedlicher Gattungen. Die Kompilierung des Korpus erfolgte für ein Konsortium mehrerer Institutionen, darunter mehrere britische Verlage sowie die British Library und Forschungszentren in Lancaster und Oxford. Die Kompilierung wurde mit dem erklärten Ziel verfolgt, das heutige britische Englisch in einem möglichst umfassenden repräsentativen Querschnitt einzufangen. "The BNC was designed to characterize the State of contemporary British English in its various social and generic uses." (Aston/Burnard 1998: 28) Die BNC-Forschungsgruppen in Lancaster und Oxford versuchten dieses ehrgeizige Ziel unter anderem dadurch zu erreichen, dass sie auf eine möglichst breite Streuung in Bezug auf Texttypen im geschriebenen und gesprochenen Teil und in Bezug auf die regionale Herkunft der Sprecher/innen im gesprochenen Teil geachtet haben. Die Texte im geschriebenen Teil des Korpus gehören beispielsweise folgenden Kategorien an:
11 Tabelle 1: Kategorien des British National Corpus (vgl. Aston/Burnard 1998: 29)
Imaginative Arts Belief and thought Commerce and finance Leisure Natural and pure science Applied science Social science World affairs Unclassified
texts 625 259 146 284
percentage 19.47 8.07 4.54 8.85
words 19664309 7253846 3053672 7118321
percentage 21.91 8.08 3.40 7.93
374 144
11.65 4.48
9990080 3752659
11.13 4.18
364 510 453 50
11.34 15.89 14.11 1.55
7369290 13290441 16507399 1740527
8.21 14.80 18.39 1.93
Für die gesprochene Teilkomponente des Korpus wurden im wesentlichen zwei Kompilierungsstrategien angewandt: Einerseits wurde Material gesammelt, indem man spontane Äußerungen von Sprechern in informellen Situationen sammelte. Die Auswahl der Sprecher erfolgte systematisch nach ihrer sozialen Herkunft, ihrer geographischen Heimat, ihres Geschlechtes und ihres Alters, um einen möglichst genauen Querschnitt zu erhalten. Andererseits wurde ebensoviel Material nach dem Kriterium des Kontextes gesammelt; hier handelt es sich um eher formale Anlässe wie Reden, Debatten, Seminare oder Radioprogramme, die nach Thema und Interaktionstyp klassifiziert wurden. Auch hier wurde versucht, ein möglichst ausgewogenes Verhältnis zwischen den einzelnen Kategorien zu erreichen (vgl. Aston/Burnard 1998: 31). Die Kodierung und Annotation des Korpus erfolgte nach den Vorgaben der Text Encoding Initiative (TEI) unter Verwendung von SGML 9 . Dies sollte vor allem die vielseitige Verwendbarkeit des Korpus unter möglichst vielen Hardware- und Software-Umgebungen gewährleisten. Das BNC ist mit Wortklassen-Tags versehen; darüber hinaus stehen durch die Kodierung mit SGML-Tags dem Benutzer des British National Corpus eine Reihe von abrufbaren Informationen zum Text bzw. zu den Sprechern gesprochener Texte zur Verfügung. Der folgende Satz ist ein typisches Beispiel eines getaggten Satzes aus dem British National Corpus:
9
SGML, Standard Generalized Markup Language, wird zur Kodierung von Eigenschaften elektronischer Texte verwendet. Die Grundidee besteht darin, physikalische Eigenschaften des Textes (z.B. Fettschrift oder Absätze) sowie jegliche Zusatzinformationen (z.B. Autor, Publikationsjahr) in sogenannten tags (Kürzel in spitzen Klammern) zu kodieren. Die Texte sind damit - ähnlich wie Html-Dokumente im World Wide Web - unter verschiedenen Softwareprogrammen und unterschiedlichsten Hardwarevoraussetzungen lesbar und verwendbar.
12 &bquothey w i l l forget t h e b r e a d C J O a n d butter customer who VVZ>drinks t h r e e to four pints A T 0 > a d a y < c PUN>, seven days a N N l > w e e k < c PUN>.&equo < / p x / h i t >
picture of David] 8
Was Präpositionen betrifft, wird i.a. als selbstverständlich angenommen, dass diese ihre Komplemente thetamarkieren. Webelhuth (1992: 136-137) stellt diese Annahme in Frage; er bevorzugt es, Präpositionen und kasusmarkierende Affixe auf eine Stufe zu stellen: Beide können präsent sein, wenn einer Nominalphrase eine Thetarolle zugewiesen wird, thetamarkieren aber nicht selbst: "prepositions are 0-role solicitors, but the other heads are 0-role assigners." Webelhuth gründet seine These auf eine Reihe von Unterschieden zwischen N, V und A auf der einen und P auf der anderen Seite. Am Beispiel der Nominalphrase lässt sich aber auch erneut zeigen, dass Kriterien wie Subkategorisierer nicht eindeutig sind.Während traditionelle Darstellungen (z.B. Quirk et al. 1985) davon ausgehen, dass das Substantiv die Wahl des Determinierers bestimmt, zieht z.B. Abney (1987: 277) die Möglichkeit in Betracht, dass Determinierer für NPs als Komplemente subkategorisiert sind (vgl. 3.4.2).
3.2.3
Der semantische Funktor
Der Begriff des "semantischen Funktors" ist mit dem des "Thetamarkierers" eng verwandt. Beide Begriffe sind aus der Vorstellung heraus entstanden, dass gewisse Elemente "Argumente" selegieren. Der Begriff des Thetamarkierens lenkt den Blick auf die gewählten Argumente, denn hier wird hervorgehoben, dass Nominalphrasen von Verben abhängige thematische Rollen tragen können, die sich auch durch Bewegungstransformationen nicht än7 8
Die unterstrichene Thetarolle ist das externe Argument, d.h. die DP in Subjektposition. Die Klammerstrukturen spiegeln noch die Nominalstruktur unter dem alten Ansatz vor Abney (1987) wider. Man beachte, dass die Fähigkeit der Nomina, Argumente zu selegieren der DPAnayse nicht widerspricht, da die Selektion innerhalb der N' (in der alten Terminologie, NP in der DP-Analyse) stattfindet.
48 dem. Der Begriff des semantischen Funktors hingegen ist eher auf die Eigenschaften des Elementes konzentriert, das Argumente wählt. Ein semantischer Funktor ist dasjenige Element in der Konstruktion, das deren Hauptbedeutung bestimmt, wohingegen die semantischen Argumente nur eine untergeordnete Rolle für die Bedeutung spielen. Als typisches Beispiel wird in der Regel eine Verbphrase genannt: control those penguins etwa beschreibt den Akt des Kontrollierens, unabhängig davon, ob nun als Komplement those penguins, the Russian empire oder you gewählt wird. 9 Dem Begriff des semantischen Funktors liegt die Vorstellung zugrunde, dass sich Verben in formaler Semantik oder in der Logik häufig als ein- oder zweistellige Prädikate schreiben lassen. Das Verb love beispielsweise ist ein zweistelliges Prädikat, da es zwei Argumente (Subjekt, direktes Objekt) benötigt. Dies kann man formal so wiedergeben:
loves (John, Mary)
(vgl. Hudson 1987: 113-114)
Im Gegensatz zu den bisher genannten syntaktischen Kriterien für Köpfe ist der Funktor eine semantische Kategorie - dies ist vermutlich der Grund, warum dieser besonders kritisch in der Literatur betrachtet wurde. Das Kriterium "semantischer Funktor" ist so vage, dass geteilte Meinungen über einzelne Konstruktionen bestehen: "With a certain amount of formal ingenuity, a Montague-style semantics that treats Det as a functor on the argument N can be redone as a system treating N as a functor on the argument Det." (Zwicky 1985: 4)
3.2.4
Der morphosyntaktische Lokus
Hudson (1987: 110, 111) und Zwicky (1985: 6) definieren den morphosyntaktischen Lokus als die Konstituente der Phrase, an der die Flexionen, die für den Mutterknoten relevant sind, realisiert werden. Zwicky (1985: 6) erläutert dabei, dass es sich dabei um phonetisch realisierte Flexion oder um abstrakte Eigenschaften (z.B. struktureller Kasus in schwach flektierten Sprachen) handeln kann. Dass V der morphosyntaktische Lokus der VP ist, ist unmittelbar einsichtig, da eventuell vorhandene Flexionsmerkmale an V realisiert werden, z.B. [+present tense, + 3rd person sing] in [ y p moves the table]. In Präpositionalphrasen ist die Sache weniger eindeutig, jedoch hat Zwicky (1985: 7) schon klargestellt, dass er P als morphologischen Lokus betrachten würde, da die Präpositionalphrase als Ersatz für eine kasusmarkierte Nominalphrase stehen kann (sog. "dative shift"): (10)
a. John will give the book to Mary, b. John will give Mary the book. (vgl. Radford 1988: 380)
Dass Adjektive morphosyntaktische Loki in der AP sind, lässt sich jedoch nur anhand des Altenglischen oder der stärker flektierten deutschen Sprache zeigen (die immerhin mit dem Englischen eng verwandt ist), wo Adjektive starke oder schwache Flexion tragen können 9
Zwicky (1985: 4) und Hudson (1987: 115) beschreiben dies als 'kind of-Eigenschaft des Funktors: "[...] the functor stays constant as the arguments vary, and each new combination of arguments defines a different 'kind o f the thing defined by the functor."
49 (vgl. Olsen 1989: 46-47). In der flexionsarmen modernen englischen Sprache bieten morphosyntaktische Affixe keine Anhaltspunkte dafür, dass A Kopf von Adjektivphrasen ist.
3.2.5
Der Kasuszuweiser (in Hudsons Terminologie: "the governor", das Regens)
Syntaktische "Rektion" in Zwickys (1985: 7) und Hudsons Sinne bedeutet - übersetzt in GB-Terminologie - die Fähigkeit, abstrakten oder phonologisch realisierten Kasus zuweisen zu können. (Diese Form der "Rektion" ist somit nicht zu verwechseln mit der Rektion (government) aus der GB-Theorie.) Während V und P bekannterweise ihren Komplementen/Objekten obliken Kasus zuweisen können, werden innerhalb der (englischen) AP keine Kasus zugewiesen. Somit ist diese Charakterisierung des Kopfes für V und P zutreffend, aber auf A nicht anwendbar.
3.2.6
Die einzige minimale Projektion in der Phrase
Wenn alle Phrasen streng nach dem bekannten X-bar-Schema X " - > Z P X' (Spezifizierer) X' - > X ' YP (Adjunkt) X' - > X° RP (Komplement)
aufgebaut wären, so würde unmittelbar einleuchten, dass nur der Kopf das einzige Element in der Phrase sein kann, das von Wortrang und nicht Teil einer maximalen Projektion innerhalb der Phrase ist. Deshalb definieren DiScuillo/Williams (1987: 23) den Kopf gerade als "the only daughter of the phrase which is not a maximal projection". Nun ist es aber so, dass nicht alle Phrasen X-bar-Schema-konform sind: Die Nominalphrase ist hier wieder ein Beispiel für ein besonders problematisches Gebiet. Betrachtet man Strukturen wie [the book], so ist keineswegs einsichtig, warum das Nomen Kopf der Nominalphrase sein sollte - nach DiScuillo/Williams' Definition sind Determinierer wie the ebenso mögliche Köpfe. Diese Problemfeld hat, wie oben erläutert, gerade die DP-Analyse motivert, in der die Determinierer zu den eigentlichen Köpfen der Nominalphrase aufgewertet werden. Es ist theoretisch sogar möglich, sämtliche Elemente von Wortrang, die in der Nominalphrase erscheinen, z.B. Quantoren oder isolierte Adjektive - zu Köpfen zu deklarieren, wenn diese Definition des Kopfes konsequent angewandt wird. Dies ist eine Position, wie sie Radford (1993) vertritt, der in den folgenden Konstruktionen zwischen NP, AP, QP und DP unterscheidet: (11)
a. Students sometimes underestimate themselves b. Good students sometimes underestimate themselves c. Many students sometimes underestimate themselves d. These students sometimes underestimate themselves (Radford 1993: 97; Hervorhebungen des Autors)
50 Ob dies überzeugend ist, ist fraglich, weil alle Phrasen gleichermaßen Antezedent für Reflexiva sein können (vgl. (11)) und die gleiche Distribution haben; also eher der gleichen Kategorie zugeordnet werden sollten.10
3.2.7
Weitere Kriterien für Köpfe
Die übrigen genannten Kriterien (Teilung abstrakter Eigenschaften mit dem Mutterknoten, Bestimmung der Kategorie der Phrase, local concord control) sollen hier nur knapp diskutiert werden, da sie bereits an anderer Stelle als wenig brauchbare "Tests" für Köpfe betrachtet wurden (Hudson 1987, Rothstein 1991b). Vor allem in Ansätzen der Generalized Phrase Structure Grammar wird der Kopf bevorzugt als die Konstituente definiert, die mit ihrem Mutterknoten die abstrakten Eigenschaften (features) teilt. Analysiert man diese Definition genauer, so ist in den meisten Fällen damit gemeint, dass der Kopf das Element ist, das die Kategorie der Phrase "bestimmt" und an dem die Flexion realisiert wird. Bereits in der Einleitung (3.1) wurde erwähnt, warum das Kriterium "bestimmt die Kategorie der Phrase" problematisch ist - es ist im Grunde zirkulär. Auch das Kriterium local concord control ist problematisch. Zwicky (1985: 8-9) geht davon aus, dass in einer binären Struktur einer der beiden Konstituenten über den anderen dominiert und somit die Kongruenz (concord) bestimmt. In Nominalphrasen ist es nach Zwicky das Substantiv, das über die Merkmalzusammensetzung der gesamten Phrase entscheidet; ist das Substantiv weiblich und im Plural, muss dies auch für den Determinierer gelten. Hudson hält dagegen, dass das Phänomen concord ein gleichberechtigtes Verhältnis zwischen zwei Konstituenten ist und es kaum möglich ist, einen local concord controller festzustellen (vgl. Hudson 1987: 116-117). Warum sollte in der Konstruktion these shoes das Substantiv das Element sein, das das Merkmal [+Plural] in der Nominalphrase festlegt, und nicht der Determinierer? Hudson definiert local concord als eine Regel, die nur verlangt, dass ein Merkmal oder eine Menge von Merkmalen zwischen zwei Elementen übereinstimmen - eine Dominanzrelation ist nicht impliziert, und aus diesem Grund ist local concord auch kein Kriterium für headedness.
3.2.8
Schlussfolgerung
Die Government/Binding-Theorie umgeht die Problematik der Definition des Kopfes, indem sie in ihren Versionen meist von einem Axiom ausgeht, das nicht weiter hinterfragt wird: Lexikalische Kategorien (N, V, A, P) projizieren Phrasen.
(*)
Setzt man dieses Axiom als gegeben voraus, so folgt selbstverständlich, dass N, V, A bzw. P Köpfe ihrer Phrasen sind. Die oben genannten Eigenschaften für Köpfe folgen dann entweder aus dem Axiom selbst (z.B. Obligatorität, distributive Äquivalenz) oder aus Prinzi10
Radford (1993) findet für solche Fragen eine Lösung, indem er zwischen einem immediate
head
(A, Q, N, D) und einem ultimate head (immer N) unterscheidet; letzterer ist für Distribution und weitere Verhaltensweisen verantwortlich.
51 pien der Govemment/Binding-Theorie (Subkategorisierung folgt aus dem Projektionsprinzip). Der Denkfehler der DP-Analyse(n) besteht nun aber darin, diese Eigenschaften einiger Köpfe als notwendige und hinreichende Kriterien für headedness funktionaler Kategorien ungeprüft zu übernehmen. So stellt z.B. Abney (1987: 283) fest, dass Determinierer morphosyntaktische Loki in der Nominalphrase sind, was für ihn ein Beleg für seine DP-Analyse ist. Im Grunde haben funktionale Köpfe wie D, C und I zunächst sehr wenig mit lexikalischen Köpfen gemein, wie Cann (1993:49) nach einer Diskussion verschiedener Phrasenstrukturen feststellt: According to the discussion above, however, there are significant differences in the properties shown by constructions containing functional expressions and those containing major ones. The fact that both types of construction are given an identical structural treatment according to X-bar theory means that factors other than simple syntactic projection must be brought into play to determine the properties of headed structures." Insgesamt stellen sich also zwei Fragenkomplexe: • Welche der hier genannten Eigenschaften lexikalischer Köpfe kann man verwenden, um zu bestimmen, ob eine Form in einer beliebigen Sprache wirklich ein lexikalischer Kopf ist? Welche der genannten Kriterien muss man für eine Definition lexikalischer Köpfe wählen? Lässt sich eine solche Definition überhaupt aufstellen? Warum widersprechen sich bisherige Ansätze bei der Beantwortung dieser Fragen? • Lassen sich diese Kriterien auch für funktionale Köpfe anwenden, oder handelt es sich um eine völlig andere Kategorie? Gibt es ausreichende Gründe, von der Existenz funktionaler Köpfe auszugehen, auch wenn diese fundamental anders als lexikalische sind, oder wäre es günstiger, alternative Erklärungsmodelle heranzuziehen, um das schwer fassbare Phänomen "funktionale Kategorie" zu vermeiden? In Abschnitt 3.3 wird zunächst der erste Fragenkomplex behandelt, bevor in Abschnitt 3.4 funktionale Köpfe betrachtet werden.
3.3 Lexikalische K ö p f e und Prototyptheorie
3.3.1
Der objektivistische Ansatz für Kategorien 12
In der bisherigen Diskussion ist davon ausgegangen worden, dass die Kategorie 'Kopf durch eindeutige Kriterien bestimmt werden sollte, falls dieses Konzpt seine Berechtigung hat. Diese Annahme ist jedoch nicht unbedingt natürlich und selbstverständlich, sondern nur unter einem objektivistischen Weltbild gültig, in dem z.B. Kategorien unter der Prämisse betrachtet werden, dass Kategorien nur durch die Eigenschaften charakterisiert werden, die alle ihre Mitglieder teilen. Taylor (1995: 22-29) fasst die Hauptannahmen des traditionellen 11
12
Es bleiben also nur noch Abneys weitere Gründe für die DP-Analyse: Anpassung der Nominalphrase an das X'-Schema, schlüssige Analyse der Gerundia. Kategorien werden im folgenden durch Kapitälchen kenntlich gemacht.
52 objektivistischen Ansatzes für Kategorien, der auf Plato zurückgeht und in dem die Linguistik des 20. Jahrhundert (de Saussure, Chomsky) fest verwurzelt ist, folgendermaßen zusammen: a) Kategorien werden definiert als eine Menge, deren Elemente sich durch notwendige und hinreichende Merkmale auszeichnen. Dies bedeutet, dass ein Objekt genau dann Mitglied einer Kategorie ist, wenn es alle Merkmale besitzt. b) Die Eigenschaften sind binär. c) Kategorien haben klare Grenzen. d) Alle Mitglieder einer Kategorie haben den gleichen Status. e) Eigenschaften sind primitiv, universal, abstrakt und angeboren. Alle fünf Annahmen sind von Philosophen, Anthropologen, Linguisten oder Psychologen theoretisch oder empirisch in Frage gestellt worden (vgl. z.B. Givön 1986, Lakoff 1987, Taylor 1995). Die kognitive Linguistik, zu deren Vertretern u.a. Lakoff und Langacker gehören, geht gerade von einem Kategorienbegriff aus, der nicht unbedingt auf den Annahmen (a) bis (e) beruht (vgl. Lakoff 1987, Langacker 1987, 1991). Wie verbreitet die Auffassung dennoch in der Linguistik ist, dass sich Kategorien wie KOPF durch notwendige und hinreichende Kriterien festlegen lassen, zeigt folgende Aussage Canns, die die bisherigen typischen Zugänge zur Kategorie KOPF treffend zusammenfasse Although the notion of head has a part to play in almost all current syntactic theories, how heads should be identified remains controversial. [...] Many tests for heads have been proposed in the literature, but which tests are appropriate, what their form should be and how they should be applied vary considerably. (Cann 1993: 44; meine Hervorhebung)
Nur wenn man von einer eindeutig eingrenzbaren Kategorie KOPF mit konkret definierbaren Eigenschaften ausgeht, kann überhaupt davon gesprochen werden, "Tests" für Köpfe zu entwerfen. Was uns hier nun interessiert, sind die ersten drei Postulate in der Liste, die für die vorangegangene Argumentation esssentiell waren. Im folgenden soll gezeigt werden, dass auch das linguistische Konzept KOPF nicht einer Kategorie entspricht, die (a) bis (c) erfüllt, sondern eine Eigenschaft hat, die in der kognitiven Linguistik mit "Prototypeffekt" bezeichnet wird.
3.3.2
Grundzüge der Prototyptheorie und ihre Anwendung in der Linguistik
From the time of Aristotle to the later work of Wittgenstein, categories were thought to be well understood and unproblematic. They were assumed to be abstract containers, with things either inside or outside the category. Things were assumed to be in the same category if and only if they had certain properties in common. And the properties they had in common were taken as defining the category. (Lakoff 1987: 6)
Wittgenstein ist einer der ersten, der den traditionellen Zugang zu Kategorien in Frage stellt. Sein schon klassisch gewordenes Beispiel ist die Kategorie SPIEL. Wie Wittgenstein beobachtet, ist es kaum möglich, die Kategorie SPIEL mit einer Eigenschaft zu umschreiben, die alle Mitglieder der Kategorie gemeinsam haben. Einige Spiele, wie z.B. Kartenspiele oder Schach, haben stets Gewinner und Verlierer, während dies bei einigen Ballspielen nicht notwendigerweise der Fall ist. Auch Glück oder Begabung spielen zwar bei Schach oder
53 Tennis eine Rolle (wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise!), aber dieser Aspekt fehlt bei Ringelreigen wiederum ganz. Wittgenstein schließt daraus, dass die Kategorie SPIEL offenbar nicht nach klassischen Prinzipien strukturiert ist, sondern vielmehr durch eine "Familienähnlichkeit" ihrer Elemente charakterisiert ist - alle Elemente der Kategorie Spiel besitzen einige Eigenschaften, die sie mit anderen Elementen mehr oder weniger (oder gar nicht) teilen, wie die Mitglieder einer Familie sich auf unterschiedliche Weise in Bezug auf Figur, Temperament, Gang, Augenfarbe, etc. ähneln (vgl. Wittgenstein 1977: 56-57). Ferner stellt Wittgenstein fest, dass die Kategorie S P I E L sich nicht eindeutig eingrenzen lässt. Wie ist denn der Begriff des Spiels abgeschlossen? Was ist noch ein Spiel und was ist keines mehr? Kannst du die Grenzen angeben? Nein. Du kannst welche ziehen: denn es sind noch keine gezogen. (Aber das hat dich noch nie gestört, wenn du das Wort » S p i e l « angewendet hast.) (Wittgenstein 1977: 58)
Rosch ist eine von vielen experimentellen Psychologen, die weitere Ergebnisse zum Thema Kategorisierung geliefert haben. Ihr herausragender Beitrag zu Forschung besteht aber darin, bisherige isolierte Studien zusammenzufassen und schließlich das zu entwickeln, was seither als "Theorie der Prototypen" bezeichnet wird (vgl. Rosch 1973, Lakoff 1987: 39). Viele von Roschs frühen Studien beschäftigen sich mit Farbterminologie. Farbtermini sind in der Linguistik lange Zeit als paradigmatische Beispiele für die Arbitrarität der Sprache angesehen worden. So ist in vielen sprachvergleichenden Studien festgestellt worden, dass Sprachen sehr unterschiedliche Farbsysteme haben. Russisch z.B. hat im Gegensatz zum Englischen und Deutschen kein eindeutiges Wort fiir die Farbe Blau, guloloy ("helles, blasses Blau") und siniy ("dunkles, intensives Blau") sind hier zwei verschiedene Begriffe. Das walisische glas dagegen hat die englischen Äquivalente blue, green und grey (vgl. Taylor 1995: 3). Einige von Roschs Studien konzentrieren sich auf Dani, eine Sprache in Neu Guinea, die nur zwei grundlegende Farbkategorien hat. Mili bezeichent dunkle, kühle Farben, dabei ist vor allem Schwarz, Grün und Blau eingeschlossen; mola wird benutzt, um sich auf helle, warme Farben zu beziehen, insbesondere Weiß, Gelb und Rot. Wären nun die Annahmen zur Arbitrarität der Sprache korrekt, so sollten in Dani nur exakt zwei konzeptuelle Vorstellungen von Farbe existieren. Da Sprache nach der Sapir-Whorf-Hypothese - so weiter Roschs Argumentation - allein die Farbkategorisierung bestimmt, müssten die Dani neue Begriffe für Farben mit gleicher Geschwindigkeit lernen, unabhängig davon, ob die Farben "typische" Farben für Europäer sind oder nicht. Diese Vorhersage der Sapir-Whorf-Hypothese trifft nicht zu, wie Roschs Experimente zeigen. Die Dani lernten sogenannte fokale Farben13 schneller als nicht-fokale (Rosch 1973) und konnten sich in Gedächtnisexperimenten besser an fokale Farben erinnern (Heider 1972). In der Spracherwerbsforschung
13
Fokale Farben sind nach Berlin/Kay (1969) Farbtöne, die die „besten Beispiele" für eine Farbkategorie repräsentieren. Berlin/Kay haben gezeigt, dass Probanden in Experimenten unabhängig von ihrer Muttersprache praktisch stets die gleichen Farbnuancen als „beste Beispiele" für eine Farbe wählen.
54 (Heider 1971) werden von Rosch ähnliche Ergebnisse erzielt (vgl. auch Lakoff 1987: 4041). 14 Die Ergebnisse zur Farbkategorisierung lassen sich auf andere Bereiche der Sprache ausweiten. Als eine von vielen repräsentativen Studien kann man Labov (1973) nennen, der in einer Serie von Experimenten analysiert hat, unter welchen Umständen Probanden Gegenstände unter die Kategorien cup, mug, bowl oder vaset5 einordnen (vgl. Labov 1973: 354). Wie die folgende Graphik zeigt, ist es nicht immer möglich, eine klare Grenze zwischen den genannten Kategorien zu ziehen:16
Aufgrund seiner Ergebnisse macht Labov (1973: 366) folgende Aussagen zur Kategorie cup: • Es existiert eine Menge von Objekten, die eindeutig als cup identifiziert werden. • Die Zugehörigkeit zu dieser Menge variiert j e nach Funktion, Form und Material der Gegenstände. • Es existiert also demnach eine variable Menge von Gegenständen, die einem Grenzbereich zuzuordnen sind. Während Wittgensteins Beobachtungen schon die Annahme in Frage stellen, dass Kategorien durch notwendige und hinreichende Kriterien eindeutig bestimmt sind, stellen Labov und Rosch durch ihre Experimente die Frage, ob alle Angehörigen einer Kategorie den gleichen Status haben oder ob einige Objekte "zentraler" sind als andere (vgl. 3.3.1). Rosch stellt in ihren späteren Forschungen fest, dass sich dies unter dem Begriff Prototypeffekte zusammenfassen lässt: Einige Mitglieder einer Kategorie werden von Informanden als repräsentativer betrachtet als andere. So ist der Spatz oder die Amsel repräsentativer für die
14
15
16
Einige der Ergebnisse von Heider sowie Berlin/Kay sind inzwischen zumindest teilweise wieder in Frage gestellt worden durch neuere Studien. Harley (1995: 338-348) gibt einen knappen Überblick zu dem Thema. Ich lasse die englischen Termini unübersetzt, da den Ausdrücken cup und mug nur das deutsche Wort "Tasse" entspräche, so dass die Übersetzung zu Ungenauigkeiten führen würde. Das Beispiel cup/mug/bowl/vase stammt ursprünglich von Labov, die Graphik wurde aber aus Erickson/Gymnich (1998: 35) entnommen. Ich danke dem Graphiker Jörg Mair und dem Ernst Klett-Verlag für die Überlassung der Abdruckrechte für diese Zeichnungen.
55 Kategorie VOGEL als etwa Hühner, Pinguine oder Strauße. 17 Ebenso ist ein Bürostuhl ein eher "typischer" Stuhl als ein Schaukelstuhl oder ein Friseurstuhl. Roschs frühe Ideen sind in den letzten fünfzehn Jahren von Vertretern der kognitiven Linguistik aufgegriffen worden (vgl. z.B. Lakoff 1987). Auch sie setzen sich mit Prototypen und Kategorienstruktur auseinander, z.T. mit kontroversen Ansichten. Während einige Vertreter der kognitiven Linguistik beispielsweise davon ausgehen, dass diese Prototypeffekte direkt Kategorienstruktur reflektieren, verneint Lakoff (1987:45) dies explizit. Statt dessen entwickelt Lakoff die Hypothese, dass Prototypeffekte entstehen, wenn idealisierte kognitive Modelle (ICMs) - also, vereinfacht, subjektive "Theorien" eines Sachverhaltes - von uns eingesetzt werden. Lakoff nennt vier idealisierte kognitive Modelle, von denen ein kognitives Modell - metonymische Übertragungen - für diese Arbeit relevant ist. Deshalb soll dieses kognitive Modell beispielhaft vorgestellt werden. Lakoff (1987: 79) erklärt: As Rosch (1978) observed, prototype effects are surface phenomena. A major source of such effects is metonymy - a Situation in which some subcategory or member or submodel is used (often for some limited and immediate purpose) to comprehend the category as a whole. Als Beispiel nennt Lakoff das Hausfrauenstereotyp: Prototypeffekte entstehen in der Kategorie MUTTER, indem die Subkategorie der Mutter, die gleichzeitig Hausfrau ist, als repräsentatives Beispiel für die gesamte Kategorie MUTTER gewählt wird. 18 So wird die Hausfrau mit Kindern als ein "besseres" ("stereotypes") Beispiel für die Kategorie MUTTER betrachtet als etwa die berufstätige Mutter. Wie sehr diese Stereotypen in unserem Denken verwurzelt sind und unsere Kategorisierung bestimmen, zeigen folgende Beispiele Lakoffs (1987: 81): (1)
a. Normal: She is a mother, but she isn't a housewife. b. Strange: She is a mother, but she's a housewife.
Man könnte auch sagen, dass die Kategorie MUTTER in unserer Kultur eine radiale Struktur hat: Ein zentraler Fall ist umgeben von einer Reihe von unvorhersagbaren Abweichungen, die Konventionen entsprechen und gelernt werden müssen: Stiefmutter vs. Adoptivmutter vs. genetische Mutter vs. unverheiratete Mutter, etc. (vgl. Lakoff 1987: 91). Weitere Quellen für Prototypeffekte, die ebenfalls Ergebnisse metonymischer Übertragungen sind, ist die Wahl eines "typischen Beispiels", eines Ideals, eines paragons oder eines hervorstechenden Beispiels (salient example) (vgl. Lakoff 1987: 86-90). Wieder steht ein Beispiel für die gesamte Kategorie, so assoziieren die meisten deutschsprachigen Menschen mit der Kategorie VOGEL eine Amsel oder einen Spatzen, während Pinguine als weniger gute Beispiele der Kategorie angesehen werden. Wie ein besonders hervorstechendes Beispiel die gesamte Kategorie charakterisieren kann, erklärt Lakoff (1987: 89) anhand des Flugzeugtyps DC-10. Nach einem überall publizierten Absturz einer DC-10 wichen viele Passagiere auf andere Flugzeugtypen aus, obwohl deren Unfallstatistik ungünstiger als die der DC-10 ausfiel. Die abgestürzte DC-10 war ein hervorstechendes Beispiel, das metony-
17
18
Lakoff (1987: 45) nennt für den englischsprachigen Raum das Rotkehlchen (robin) als Prototyp. Im Deutschen ist es eher die Amsel oder der Spatz, die als "typisch" empfunden werden. "Gewählt" wird diese Subkategorie durch westeuropäische kulturelle Erwartungen - daher "Stereotyp".
56 misch für die gesamte Kategorie DC-10 stand - so wurde der Flugzeugtyp DC-10 per se als absturzgefährdet betrachtet.
3.3.3
Prototypische Effekte in der Kategorie KOPF
Vor dem Hintergrund der Prototyptheorie sollen nun die Fragen aus Kapitel 3.2 zur Definition des Kopfes wieder aufgegriffen werden. Die Aussagen zu Kriterien filr Köpfe können so interpretiert werden: a) Es gibt einen Katalog von potentiellen Kopf-Eigenschaften, der bereits in Kapitel 3.2 genannt wurde. Analysiert man nur Verbphrasen, so spricht einiges dafür, das Verb als Kopf seiner Phrase zu bezeichnen und der Kategorie KOPF einen besonderen Status in der syntaktischen Theorie zuzusprechen, denn Verben scheinen alle bisher genannnten Eigenschaften zu besitzen. Wählt man Phrasen vom Typus [give the book to Liz] oder [swim to America], so stellt sich sehr schnell heraus, dass hier das Verb das Element in den Phrasen ist, das alle bisher genannten Kriterien in sich vereinigt: 19 • Es ist distributives Äquivalent: He can [swim to America] He can [swim] • Es ist Subkategorisierer: In der Government/Binding-Theorie wird die Tatsache, dass transitive Verben obligatorische Objekte verlangen, in der Regel durch einen Subkategorisierungsrahmen im lexikalischen Eintrag dargestellt, z.B. give: +[ NP PP]. • Es ist form controller, z.B. indem es das Objekt kasusmarkiert: He sees her / *she. • Es ist semantischer Funktor, da es die grundlegende Bedeutung der Phrase bestimmt, während die weiteren Konstituenten als Argumente fungieren, die die Bedeutung nur modifizieren können: [give the book to Liz] und [give the hammer to Jane] beschreiben beide einen Akt des Gebens. • Es ist morphosyntaktischer Lokus: Flexion {tense) wird ausschließlich am Verb realisiert. • Es ist local concord controller, da es Subjekt-Verb-Kongruenz (subject-verb-agreement) beeinflusst. • Es ist das einzige Element in z.B. [give my book to John's mother], das minimale Projektion, also X o , ist. • Schließlich weist es seinen Argumenten Thetarollen zu, ist also Thetamarkierer. Setzt man voraus, dass auf Köpfe alle oben genannten Eigenschaften zutreffen, so ist das Verb (V) offenbar ein eher "prototypischer" Kopf. Wie Hudson schon festgestellt hat, hat die Kategorie KOPF damit ihre Existenzberechtigung in der Syntax, da sie alle oben genannten Eigenschaften unter einem Begriff vereinigt. Problematisch wird die Situation, wenn man in Analogie zu V nun auch N, A und P als Köpfe ihrer Phrasen identifizieren möchte, da diese nicht alle genannten Eigenschaften 19
Dass dies Konstituenten, also Phrasen, sind, kann man leicht durch Koordinierungstests zeigen: He will [give the book to Liz] and [swim to America]. Für weitere Argumente vgl. Radford (1988: 50-109).
57 haben (s.o.). N, A und P erscheinen als Köpfe weniger "typisch". Wie das Diagramm zeigt, handelt es sich bei LEXIKALISCHER KOPF um eine radial strukturierte Kategorie, vergleichbar mit der Kategorie MUTTER. 20
b) Es gibt einzelne Fälle, die selbst das Argument "Kopf = obligatorisches Element der Phrase" zu widerlegen scheinen. Während die "typische" Nominalphrase obligatorisch ein Nomen (N) enthält, lassen sich auch Phrasen nennen, die wie Nominalphrasen fungieren, aber kein N enthalten (s.o.). In diesem Fall scheint es so, als ob die Kategorie N überhaupt kein Kriterium für 'Kopf einer Phrase' erfüllt. Auch dieses Problem kann man im Rahmen der Prototyptheorie auflösen. Schon Ross (1973) hat festgestellt, dass die Nominalphrase eine Kategorie ist, in der es mehr oder weniger "typische" Mitglieder gibt. Ross selbst spricht von einem category squish, d.h. es gibt eine graduelle Abstufung innerhalb der Kategorie - von zentralen bis sehr periphären Vertretern der Kategorie. Dass es sich hier also - um mit Lakoff oder Rosch zu sprechen - um Prototypeffekte handelt, liegt auf der Hand. Ross (1973) nennt u.a. folgende Beispiele, die diese Prototypeffekte belegen:
20
(3)
a. Some headway has been made, hasn't it? b. It really poured, didnt't it? c. ?Pretty close tabs are being kept on Willy, aren't they? d. ?*Little heed was paid to her, was it? (Ross 1973: 123)
(4)
a. Such significant headway has been made in the past, and will be made again before long. b. ?It is smoggy and may get muggy. c. *CIose tabs were kept on me, and may later be kept on you.
Es ist umstitten, ob Adv eine eigenständige lexikalische Kategorie ist (für Argumente dagegen, vgl. Radford 1988: 137-141). Auf jeden Fall ist die Menge der Kopf-Eigenschaften von Adv eine Teilmenge der Eigenschaften, die A besitzt - dies soll das Diagramm reflektieren.
58 d. ?*No heed was paid to Giovanni, (n)or will be to Erdmute. (Ross 1973: 116-117)
(5)
a. It will be shown that John has cheated. b. John is likely to be shown to have cheated. c. ?The wind is likely to be shown to have cracked the glass. (Ross 1973: 102)
(6)
a. b. c. d.
*No headway is likely to be shown to have been made. *It is likely to be shown to have been muggy. *Close tabs are likely to be shown to have been kept on Muskie. *No heed is likely to be shown to have been paid to Cassandra.
(Ross 1973: 102, 103)
Ross' Daten zeigen, dass es graduelle Unterschiede zwischen Nominalphrasen gibt - nicht alle Nominalphrasen können in tag formation (3), Koordinationen (4) oder double raisingStrukturen - (5)b, c und (6) - auftreten. Während "copperclad, brass-bottomed NP's" (Ross 1973: 96) tag formation, double raising und Koordination, und auch tough movement und left dislocation durchlaufen können, trifft dies auf Nominalphrasen wie tabs, headway, Wetter-it, etc. nicht immer zu. Ross schließt daraus, dass Sprache nicht klar in diskrete Kategorien unterteilbar ist wie bisher angenommen. In diesen speziellen Fällen scheinen einige Phrasen "more noun-phrasy" zu sein als andere. Langacker (1991: 142), der im Rahmen der kognitiven Linguistik arbeitet, macht Jahre später dieselbe Beobachtung wie Ross: Certain types of nomináis are clearly more prototypical than others. For example, the patterns instantiated by such expressions as this cup, some milk, a big house, the two sisters, those three black cats, and every student in the class will be central to any reasonable description of English nominal structure. By contrast, nomináis like three from Toledo, the poor, and for Harold to resign represent secondary constructions that occur less frequently or only in special grammatical circumstances.
Generell können wir also schließen, dass die bisher beschriebenen Prototypeffekte nicht nur auf einfache Kategorien der Wahrnehmung wie Farben beschränkt sind, sondern auch linguistische Kategorien unscharf {fuzzy) sein können.21 Nicht nur Nominalphrasen, auch die Kategorie der Adjektivphrasen zeigt Prototypeffekte. Man kann Adjektivphrasen nennen, die "typischerweise" keinen Subkategorisierungsrahmen besitzen, während wenige einzelne Adjektive für ein obligatorisches Komplement subkategorisieren: (7)
a. John isn't that fond of Mary. b. *John isn't that fond. (vgl. Radford 1988: 242, 243)
Schließlich - als letztes Beispiel - haben Verben in der Regel einen Thetagrid, aber es existieren einige Verben, die nicht in der Lage sind, ihrem Subjekt eine Thetarolle zuzuweisen (sogenannte unaccusatives). Das Verb seem z.B. lässt in Subjektposition nur expletives wie there, die keine Thetarolle benötigen, oder bewegte Nominalphrasen zu, die ihre Thetarolle in der Position erhalten haben, aus der sie bewegt wurden: 21
Für eine Fülle von Beispielen zu Prototypeffekten in linguistischen Kategorien vgl. Taylor (1995).
59 (8)
a. John seems to me
to
be unhappy
t It 1 b. There seems to have been an accident. (vgl. Radford 1988: 435,440) Insgesamt kann gefolgert werden: • Obligatorität und distributive Äquivalenz in "typischen" Konstruktionen sind die wichtigsten Eigenschaften lexikalischer Köpfe, die offenbar von allen Wortklassen - N, V, A, P, (Adv) - geteilt werden. Auch wenn einzelne Mitglieder dieser Klassen diese Eigenschaften nicht besitzen, so scheint es doch generell auf die Klassen zuzutreffen. • Die Kategorie KOPF zeigt Prototypeffekte: V ist "typischer" als Kopf als A, d.h. die Kategorie Verb erfüllt mehr Kriterien für Köpfe als die Kategorie Adjektiv. • Die PrototypefFekte sind auf metonymische Extension zurückzuführen: V (mit seinen Eigenschaften, z.B. die Fähigkeit, zu thetamarkieren) wird als ideales Beispiel betrachtet. • Die lexikalischen Phrasen VP, NP, AP und PP zeigen zusätzlich noch Prototypeffekte: Es existieren z.B. NPs, die weniger prototypisch sind, weil sie kein N als Kopf enthalten. Ebenso kann man von typischen und weniger typischen Verben, Nomina oder Adjektiven sprechen. 22 Eine noch offene Frage, die im nächsten Kapitel in Angriff genommen werden soll, ist nun: Sind auch funktionale Köpfe Ergebnis metonymischer Extension? Zur Vorbereitung einer Antwort auf diese Frage wird zunächst diskutiert, was unter funktionalen Köpfen zu verstehen ist und durch welche Eigenschaften sie sich auszeichnen.
3.4 Funktionale K ö p f e
3.4.1
Charakterisierungen funktionaler Köpfe
Viele Autoren (z.B. Fukui/Speas 1986, Szabolcsi 1987, Abney 1987, Felix 1990) haben hervorgehoben, dass C, I und D eine natürliche Klasse, die funktionalen Kategorien, bilden. Sie belegen diese Behauptung u.a. mit den folgenden empirischen Beobachtungen, die die Gemeinsamkeiten von C, I und D bzw. die Unterschiede zu den lexikalischen Kategorien betonen: a) Funktionale Köpfe haben einen und nur einen (d.h. nicht-iterierbaren) Spezifizierer, während Spezifizierer lexikalischer Köpfe iterierbar sind. b) Die SPEC-Positionen funktionaler Köpfe sind oft in D-Struktur leer; sie werden erst in SStruktur durch die Bewegung eines Argumentes in SPEC gefüllt. Dies wird z.B. besonders deutlich durch die Wh-Bewegung illustriert, durch die ein Wh-Element in die SPEC-Position der CP bewegt wird.
22
Prototypen spielen möglicherweise auch eine Rolle für den Erwerb lexikalischer Kategorien, wie beispielsweise Stenzel (1997: 43ff.) vorschlägt.
60 c) Alle funktionalen Köpfe haben Spezifizierer-Positionen; es ist nicht klar, ob alle lexikalischen Köpfe SPEC-Positionen haben. d) Funktionale Köpfe gehören - im Gegensatz zu lexikalischen - geschlossenen Klassen an. So lassen sich z.B. alle Complementizer in einer (geschlossenen, d.h. insbesondere endlichen) Liste auffuhren. e) Funktionalen Köpfen fehlt "semantischer Gehalt", der gewöhnlich bei lexikalischen Kategorien vorgefunden wird. Insbesondere tragen funktionale Kategorien eher zur Interpretation ihres Komplements bei, als dass sie den primären semantischen Gehalt in die Phrase einbringen. f) Funktionale Köpfe (C, I bzw. D) selegieren immer ein eindeutiges Komplement, nämlich IP, VP bzw. NP. g) Funktionale Elemente sind im allgemeinen phonologisch oder morphologisch "abhängig", d.h., sie sind ohne Betonung (z.B. a), oft clitics (z.B. 's) oder Affixe bzw. phonologisch null (z.B. I =[+lst person, present tense]). h) Lexikalischen Kategorien entsprechen spezifische Einträge im Lexikon, während funktionale Kategorien Bündel abstrakter Eigenschaften (z.B. I = [+/- tense, +/- agr,...]) sind. (zu a) bis c) vgl. Fukui/Speas 1986: 133; zu d) bis g) vgl. Abney 1987: 64-65; zu f) und h) vgl. Felix 1990:48) Nicht alle dieser behaupteten Eigenschaften funktionaler Kategorien treffen auch wirklich zu. Die erste der acht Charakteristika funktionaler Köpfe (a) etwa verdeutlichen Fukui und Speas durch folgende Beispiele: (1)
a. the very very old man b. Mary's big red book c. Susan never could have been eating cabbage.
(2)
a. b. c. d. e.
*the the old man *Yesterday's Chomsky's book *It Mary ate a bagel. *the John's cat * What who did buy?
Nun wird in diesen Beispielen zwar immer einiges iteriert, aber in den Beispielen (2)a und (2)d handelt es sich dabei um die Köpfe der DPs, die doppelt besetzt sind, nicht um die SPEC-Positionen. In Beispiel (l)c wiederum ist es durchaus umstritten, ob die Auxiliare have und been Spezifizierer der VP sind oder ob sie Köpfe ihrer eigenen Projektionen sind (vgl. dazu beispielsweise Ouhalla 1991, Radford 1997: 103). Sollten sie Köpfe ihrer eigenen Projektionen sein, ist (l)c kein Beispiel für Iteration von Spezifizierern. Als wirklich typische und echte Beispiele für eindeutige Spezifizierer funktionaler Projektionen bleiben also nur die DP in (l)b, die IP in (2)c und die CP in (2)e. Die Eindeutigkeit des Spezifizierers funktionaler Kategorien ist damit einleuchtend, aber der Nachweis, dass die SPECPositionen lexikalischer Projektionen iterierbar sind, bleibt aus. 23 Ebenso problematisch ist die Behauptung (f), dass funktionale Elemente ein eindeutiges Komplement selegieren. Auf der einen Seite nennt Felix (1990) diese Eigenschaft sogar 23
Adverbien könnte man als echte Beispiele iterierbarer Spezifizierer nennen, wenn man es nicht vorzieht, sie analog zu Adjektivphrasen als Adjunkte zu klassifizieren.
61
eine der Grundeigenschaften funktionaler Kategorien. Auf der anderen Seite kann man Gegenbeispiele nennen, die Felix' These widerlegen. Lefebvre/Massam (1988: 215-217) betrachten das kreolische la, das laut ihrer Analyse zwei mögliche Komplemente hat, nämlich NP und S.24 Also ist die u.a. von Felix reklamierte Eigenschaft funktionaler Kategorien auf keinen Fall universal, wie das folgende kreolische Beispiel illustriert:25 (3)
a. tab la table DET 'the table' [+def] (la als nominaler Determinierer) b. m mäde u [pu ki-sa u pa rele-1 la] I ask you why you NEG call him DET 'I ask you why you did not call him (as we had agreed on)' (la als kausaler Determinierer, der Präsupposition anzeigt)
Der Eigenschaftskatalog funktionaler Kategorien ist also nicht ganz unkontrovers. Darüber hinaus kann eine noch fundamentalere Kritik am Konzept 'funktionaler Kopf geübt werden: Der Kriterienkatalog (a) bis (h) kann zwar dazu dienen, funktionale Kategorien im Gegensatz zu lexikalischen zu charakterisieren, aber der Kriterienkatalog liefert keine Hinweise darauf, warum funktionale Kategorien - vergleichbar mit lexikalischen - als Köpfe (funktionaler) Phrasen auftreten. Wenn man den Kriterienkatalog für lexikalische Köpfe aus Kapitel 3.3 heranzieht, haben beispielsweise die englischen Kategorien C, D und I nur sehr wenige Kopf-Eigenschaften:
24
25
Man beachte, dass von Lefebvre und Massam (1988: 217-218) ausdrücklich betont und gezeigt wird, dass es sich bei la nur um ein Element handelt, nicht etwa um zwei homophone la. Ouhalla (1991: 182) kommt auf der Basis anderer Daten zu einem ähnlichen Ergebnis.
62 Tabelle 5: Eigenschaften der funktionalen Köpfe D, I und C
Eigenschaft26
D
I
C
distributives Äquivalent/ externer Repräsentant
+/-
obligatorisches Element
+/-
+
+/-
Subkategorisierer
+?
+?
+
-
-
-
(nur Kase, s.u.)
(nur Kase, s.u.)
(nur Kase, s.u.)
+
+?
+
+/-
+
-
Kasusmarkierer
(governor/form controller) semantischer Funktor morphosyntaktischer Lokus
local concord controller minimale Projektion
-
+
+
-
+/-
+/-
+/-
-
-
Thetamarkierer ("Thetabinder", s.u.)
Die Einschätzungen in der obigen Tabelle beruhen auf der folgenden Argumentation: • Distributives Äquivalent: Tatsächlich gibt es einige Beispiele, in denen die Auxiliarverben und die Determinierer als distributive Äquivalente der Phrase auftreten, in der sie enthalten sind: (4)
a. SPEAKER A: W h o will clear up the mess? b. SPEAKER B: The caretaker will. (vgl. Radford 1988: 103)
(5)
a. Paul w o n ' t finish the assignment, but John will, b. Fetch me an apple, if you can. (vgl. Radford 1988: 101,83)
(6)
a. I'd like to have these shoes. b. ? I ' d like to have *(some) shoes. c. I'd like to have these.
G e r a d e Beispiele (4) und (5) sind als Belege f ü r distributive Äquivalenz aber problematisch, weil sie elliptisch sind. • Obligatorisches Element: Folgende Beispiele zeigen, dass Determinierer obligatorisch sein können: (7)
a. the hat that you saw b. *the that you saw c. *hat that you saw
In vielen Fällen sind also sowohl Determinierer als auch N o m e n obligatorisch in der N o m i nalphrase. Complementizer haben auch keinen eindeutigen Status. Der Complementizer that
26
Einige der zu Beginn des Kapitels 3.2 genannten Eigenschaften der Köpfe sind aufgrund der vorangegangenen Diskussion hier in der Aufstellung ausgespart.
63 ist in vielen Konstruktionen optional, aber das folgende Beispiel wäre ohne that ungrammatisch: (8)
[That I saw you] was a nice surprise.
Lediglich Flexion (I) dürfte für jeden Satz obligatorisch sein, wenn es auch im Englischen nicht immer overt angezeigt wird. • Subkategorisierer: Nach Hudson (1987) und Abney (1987: 277) ist es der Determinierer, der fur ein Nomen subkategorisiert - nicht umgekehrt. So lassen sich Determinierer, die obligatorisch ein Komplement selegieren (z.B. the, my), von solchen unterscheiden, die es optional wählen (this / these etwa) bzw. von "intransitiven" Determinierern (z.B. he, she, it, aber auch mine, yours etc.). Schon Zwicky (1985: 5-6) hat außerdem betont, dass Determinierer Subkategorisierungsrahmen besitzen, die festlegen, ob sie mit zählbaren Nomina im Singular (a penguin/*penguins/*sand) oder im Plural (these *penguin/penguins/ *sand) bzw. mit Massennomina {this penguin/*penguins/ sand) auftreten. Ähnliches gilt für Complementizer, da man zwischen non-finitem IP wählenden for und finitem IP wählenden that differenzieren kann. (9)
a. b. c. d. e.
I am anxious [that you should arrive on time] *I am anxious [that you to arrive on time] I am anxious [for you to arrive on time] *I am anxious \for you should arrive on time] I don't know [whether I should agree/to agree]
([+finit]) ([-finit]) ([+/-finit])
(vgl. Radford 1988: 302; Hervorhebungen des Autors)
C und D lassen sich also zu Recht als Subkategorisierer bezeichnen. Was I betrifft, ist die Sache weniger eindeutig, denn es ist schwer vorstellbar, dass etwa das Morphem [+past tense, + Ist person sing] das Komplement VP hat. Wenn man die Frage, ob Suffixe Phrasen als Komplemente haben können, zunächst ausklammert, ist die Kategorie I nicht ganz so ungewöhnlich: Modalverben, Realisierungen der Kategorie I, subkategorisieren offenbar für VPs. • Kasusmarkierer: Viele Theoretiker (z.B. Fukui/Speas 1986, Abney 1987, Speas 1990) sind sich darüber einig, dass funktionale Kategorien eine Eigenschaft besitzen, die der Kasuszuweisung durch die lexikalische Kategorien P und V vergleichbar ist. In diesem Zusammenhang führen Fukui/ Speas (1986: 138) die Termini Function Features (F-Features) und Kase ein: F-Features include nominative Case, assigned by tense/agr, genitive Case, assigned by 's, and +WH, assigned by a WH-COMP [...]. We now introduce the term Kase to mean both Case in the standard sense (i.e., Case assigned by Lexical Categories, in particular Objective Case assigned by V) and F-Features assigned by Funtional Categories. The spec position of a Functional category can appear only when Kase is assigned to that position.
Da einige funktionale Elemente Kase zuweisen können, andere jedoch nicht, ergibt sich folgendes Schema:
64 Tabelle 6: Kasuszuweisung und funktionale Kategorien (vgl. Fukui/Speas 1986: 139)
Kase assigner non-Kase assigner
CP WH that
IP tns/agr to
DP 's the
Speas (1990: 112) betont schließlich noch, dass funktionale Kategorien dadurch ausgezeichnet sind, dass sie - im Gegensatz zu lexikalischen Elementen - Kase nach links zuweisen. Weil im Englischen die Kase-Zuweisung nur unter Adjazenz möglich ist, folgt also rein aus dieser (erweiterten) Kasustheorie schon die Eindeutigkeit der Spezifizierer funktionaler Kategorien im Englischen. • Semantischer Funktor: Abney (1987: 67) stellt fest, dass funktionale Elemente Funktoren sind, denn sie wählen Argumente als ihre Komplemente. Zwicky (1993) teilt diese Einschätzung. • Morphosyntaktischer Lokus und local concord controller. Es wurde schon in Kapitel 2.2 betont, dass I und D Sitz der Flexion ihrer Phrasen sein können; zum local concord control wurde bereits in Kapitel 3.2 einiges gesagt. • Thetamarkierer: Was die Zuweisung von Thetarollen betrifft, behaupten Fukui/Speas (1986: 129), dass sich lexikalische und funktionale Kategorien gerade dadurch unterscheiden, dass erstere Thetagrids als Teil ihres Lexikoneintrages haben, während letztere keine Thetarollen zuweisen und keine Argumente haben. Speas (1990: 68) wiederum ist anderer Meinung. Zentral in Speas' Modell ist der Begriff des theta discharge, ein Oberbegriff, der u.a. Thetamarkierung (im "klassischen" Sinne der GB-Theorie) und Thetabindung umfasst. Thetabindung durch einen Determinierer hat den Effekt, dass Nomina, die ungebunden zunächst nur eine Klasse von Objekten beschreiben (z.B. dog potentiell als die Klasse aller Hunde), durch die Thetabindung auf die Menge von (konkreten) Objekten eingeschränkt werden, die der Determinierer umschreibt (z.B. the dog als ein spezifischer Hund, der durch den kommunikativen Kontext identifizierbar ist) (vgl. Speas 1990: 68). Wie sehr Speas bei der Definition der Thetabindung ihr Augenmerk auf die englische Sprache gerichtet hat, zeigt die Diskussion in Vater (1991). Vater (1991: 17) spricht in seiner Arbeit zwar nicht von Thetabindung, sondern von "semantischer Determination", aber er beschreibt damit dasselbe Phänomen. Vater (1991: 18-19) hebt dabei semantische von morphologischer Determination (z.B. durch Definitheitssuffixe) ab, weil diese in den slawischen Sprachen weitgehend getrennt sind: Die semantische Determination wird oft nicht durch einen Artikel (wie im Englischen) oder einen Definitheitssuffix innerhalb der Nominalphrase markiert, sondern durch die Wortstellung. Somit wäre Thetabindung nicht universal, sondern bestenfalls sprachspezifisch für eine Reihe von germanischen und romanischen Sprachen, in denen - wie im Englischen - semantische und morphologische Determination zusammenfallen. Es ist auch fraglich, ob es sich bei Thetabindung wirklich um einen Vorgang handelt, der mit der Zuweisung von Thetarollen vergleichbar ist. Man könnte auch [+definit] als ein abstraktes Merkmal von D im Englischen bezeichnen, das zum Mutterknoten perkoliert, womit die Definitheit der gesamten DP auch ohne "Thetabindung" erklärt wäre.
65 Im Bereich der Thetatheorie bleiben noch viele andere Fragen unbeantwortet. So nehmen Szabolcsi (1987: 178) und Abney (1987: 34) an, dass dem Subjekt der DP von 's eine Thetarolle zugewiesen wird, 27 aber Speas (1990: 115) hält diese Frage selbst unter ihrem erweiterten Ansatz des theta discharge noch fllr offen, während Fukui/Speas (siehe oben) die Frage verneinen. Insgesamt sprechen sehr wenige Kriterien dafiir, D, I oder C als Kopf zu klassifizieren, d.h. in eine Kategorie mit N, V, A und P einzuordnen, da D, I und C mit den lexikalischen Köpfen nur sehr wenige Eigenschaften uneingeschränkt teilen. Also gilt: Nach Fukui/Speas (1986), Abney (1987) und Felix (1990) haben die funktionalen Kategorien einige gemeinsame Eigenschaften (vgl. oben), so dass die genannnten Linguist/innen glauben, dass sie eine Klasse bilden, die Klasse der funktionalen Kategorien. Diese gemeinsamen Eigenschaften sind jedoch keine Eigenschaften lexikalischer Köpfe! Der Ausdruck "funktionaler K o p f ' ist also irreführend, denn er suggiert, dass es sich um eine Klasse von funktionalen Elementen handelt, die die Kopf-Eigenschaften mit den lexikalischen Köpfen weitestgehend teilen. Man könnte nun eine neue Kategorie "funktionale Köpfe" definieren und behaupten, dass diese fundamental andere Eigenschaften als die Kategorie der lexikalischen Köpfe hat und dass funktionale Kategorien nur - analog zu den lexikalischen Kategorien - Phrasen projizieren. Die DP-Analyse z.B. aber beruhte gerade auf dem Argument, dass funktionale Kategorien wie etwa D ähnliche Eigenschaften wie lexikalische Köpfe haben. Man könnte also allenfalls von einer Klasse von funktionalen Kategorien sprechen, aber die Argumente dafür, dass sie Köpfe sind und eigene Phrasen projizieren, stehen auf schwachen Beinen. Nach dem Ansatz der Prototyptheorie wären D, C und I nur noch als sehr periphäre Mitglieder der Kategorie KOPF akzeptabel.
3.4.2
Schwache und starke Strukturbauer
Aus der vorangegangenen Diskussion (3.4.1) ist deutlich geworden, dass die "etablierten" funktionalen Kategorien D, C und I den in 3.2 genannten Eigenschaftenkatalog lexikalischer Köpfe nicht nur sehr eingeschränkt erfüllen, sondern auch einige Eigenschaften existieren, für die nicht eindeutig entscheidbar ist, ob sie auf die entsprechende Kategorie D, C oder I zutreffen. Insgesamt entstand der Eindruck, dass es wenig Sinn macht, von funktionalen 'Köpfen' zu sprechen, die mit den lexikalischen Köpfen einer Phrase vergleichbar sind. Hawkins (1993) und Zwicky (1993) kommen aufgrund einer Diskussion funktionaler 'Köpfe' zu einem ähnlichen Ergebnis. Beide ziehen daraus die Konsequenz, den Begriff 'Kopf einer Phrase' für die syntaktische Theoriebildung als unbrauchbar zu betrachten. Anstatt die Idee vollständig zu verwerfen, dass funktionale Kategorien Köpfe ihrer eigenen Projektionen sind, werden zunächst noch einige zusätzliche Kategorien außer D, C und I betrachtet. Die Analyse dieser Kategorien wird einen alternativen Lösungsweg zur Beschreibung funktionaler 'Köpfe' aufzeigen. Nicht nur Determinierer, Complementizer und Modalverben sind nämlich problematisch für die X-bar-Theorie, sondern auch eine Reihe
27
Diese Annahme findet sich zuerst bei Anderson (1984: 5-6).
66 von Konjunktionen, Gradpartikel (degree words) und Präpositionen. Rothstein (1991b) beispielsweise analysiert Koordinationsstrukturen wie (11)
a. John is proud of her and angry with him. b. I saw the boy and the girl. c. I put the cushions on the sofa and in the armchairs. d. I left it with John or with Mary. (Rothstein 1991b: 103; Hervorhebungen der Autorin)
und stellt fest, dass die Konjunktionen and bzw. or die einzigen Elemente der Phrasen sind, die minimale Projektionen sind. Dies sollte darauf hindeuten, dass and bzw. or Köpfe der Phrasen bilden. 28 Auf der anderen Seite haben die projizierten Phrasen den gleichen kategorialen Status wie ihre koordinierten Konstituenten, wie ihre Distributionseigenschaften zeigen. Rothstein (1991b: 103) schließt daraus: Conjunctions demonstrate both that heads can project syntactic structure via their subcategorisation requirements and that they do not always determine the category of their projections.
Ähnliches argumentiert Rothstein auch für degree words wie too, enough, so, very und such, die ebenfalls minimale Projektionen sind, aber die Kategorie einer Phrase, in der sie enthalten sind, nicht bestimmen. Konjunktionen und degree words zeichnen sich also dadurch aus, dass sie lediglich zwei Kopf-Eigenschaften besitzen: Sie sind minimal, und sie können fur Komplemente subkategorisieren. Rothstein schlägt deshalb vor, von drei Typen von Köpfen auszugehen: • lexikalische Köpfe, die subkategorisieren, Thetagrids besitzen und die Kategorie der Phrase bestimmen • funktionale Köpfe, die Thetabinder sind (vgl. 3.4.1), subkategorisieren und die Kategorie der Phrase bestimmen • minor functional heads, die jede Phrase als Komplement haben können, aber diese nicht thetamarkieren oder thetabinden; minor functional heads bestimmen nicht die Kategorie der Phrase (vgl. Rothstein 1991b: 107-108). Wenn man Präpositionen und subordinierende Konjunktionen betrachtet, ließe sich Rothsteins Analyse sogar noch ergänzen und erweitern - dies soll im folgenden geschehen. Subordinierende Konjunktionen werden selten innerhalb der Govemment/Binding-Theorie analysiert; selbst einfuhrende Textbücher wie Haegeman (1994) und Radford (1988) ignorieren das Thema ganz oder folgen einer Vorgehensweise Emonds (1976), der vorschlägt, subordinierende Konjunktionen - soweit sie nicht wie that oder for zu den Complementizern zu rechnen sind - als einen besonderen Typus der Präposition zu betrachten: als Präpositionen mit Satzkomplementen. 29 Emonds stützt seine These dabei u.a. auf folgende Daten: (12)
a. John arrived before the last speech. b. John arrived before the last speech ended. c. John arrived before (hand).
28
Nach Rothsteins gewählter Definition des Kopfes sind sie dies für sie sogar.
29
Der Vorschlag findet sich schon bei Jespersen (1924: 89). Emonds' These wird durch diachrone Untersuchungen anderer Linguisten gestützt: Subordinierende Konjunktionen sind etymologisch häufig von Präpositionen abgeleitet (vgl. Vincent 1993: 159).
67 (13)
a. He did it b. He did it c. •He did it
until/because his friend arrived. until/because of his friend's arrival. until/because.
(14)
a. They were walking in(side) the house. b. They were walking in(side). c. *They were walking in(side) the people were dancing.
(15)
a. I haven't seen him since the party began. b. I haven't seen him since the party. c. I haven't seen him since. (vgl. Emonds 1976: 173)30
Emonds (1976: 172) erklärt, dass diese strukturellen Parallelen zwischen sog. Präpositionen und sog. subordinierenden Konjunktionen leicht erklärbar sind, indem man von verschiedenen möglichen Subkategorisierungsrahmen für Präpositionen ausgeht. Nach den obigen Daten lassen sich before, until, because (of), in(side) und since folgendermaßen beschreiben: (16)
a. since, before-. P, + ({NP, S} )31 b. because (of), until: P, + {NP, S} c. in(side): P, + (NP)
Emonds analysiert auch while, together und for auf diese Weise: (17)
a. while: P, + S b. together. P, + c . f o r . P, + NP
Die so entstandene Superkategorie, die aus Präpositionen und Konjunktionen besteht, ist im Hinblick auf verschiedene Aspekte ungewöhnlich. Erstens besteht in der Literatur keine Klarheit darüber, ob Präpositionen tatsächlich zu den lexikalischen Kategorien zu zählen sind. In der Regel werden sie zusammen mit N, V und A genannt, aber im Gegensatz zu letzteren fehlt Präpositionen eine typische Eigenschaft lexikalischer Kategorien: Sie sind keine sogenannte offene Klasse, denn die Zahl der Präpositionen ist relativ klein im Vergleich zu der von Substantiven, Verben oder Adjektiven, und im Gegensatz zu N, V und A ist die Kategorie P im modernen Englisch kaum erweiterungsfähig. Die von Quirk et al. (1985: 665-667, 669-671) angeführten Listen der häufigsten einfachen und komplexen Präpositionen erheben zwar nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, aber sie sind so umfassend, dass Quirk et al. im übrigen nur noch Präpositionen lateinischen Ursprungs sowie
30
Quirk et al. (1985: 659-660) machen dieselbe Beobachtung und sprechen deshalb von der Möglichkeit, dass einige Elemente sowohl als Präpositionen als auch als Konjunktionen dienen können - eine so weitgehende Folgerung wie Emonds ziehen sie nicht.
31
Gewöhnliche Klammern zeigen Optionalität des Komplements an; Mengenklammern enthalten eine Auswahl möglicher Komplemente, von denen eines realisiert wird.
68 archaische und Dialekt-Varianten angeben. Eine vergleichbare Listung von Verben oder Substantiven auf gerade sechs Seiten wäre undenkbar. 32 Ferner ist es kaum möglich, die neu geschaffene Superkategorie, die nun auch Konjunktionen enthält, von der funktionalen Kategorie C abzugrenzen. 33 Emonds listet - wie die meisten Linguist/innen - for unter den Präpositionen auf, wenn es eine Nominalphrase als Komplement selegiert. Präpositionales for wird aber auch als ein Complementizer in der folgenden Konstruktion analysiert: (18)
I expect [for [Poirot to abandon the investigation]]. (vgl. Haegeman 1994: 116)
Weiter gibt es noch eine Reihe von subordinierenden Konjunktionen, deren Status unklar ist, weil sie ausschließlich mit einem obligatorischen Satzkomplement erscheinen - z.B. if Sollte man sich nun auf Analogien zwischen //-Sätzen und den sogenannten temporalen Nebensätzen wie etwa in (19) berufen? (19)
a. When you lived in London, we used to see you very often. b. If you lived in London, we'd see you more often.
Emonds (1985: 286) betont diese Parallelen und klassifiziert //-Sätze als PPs, während Iatridou (1991: 41) es vorzieht, //als Complementizer zu analysieren. Because wiederum sticht aus der Reihe der von Emonds gewählten Präpositionen/Konjunktionen heraus, weil es im Gegensatz zu "typischen" Präpositionen und ebenso wie Substantive und Adjektive nicht in der Lage ist, Kasus zuzuweisen, vgl. (20)
32
a. I will tell her about him. (vgl. Radford 1988: 471) b. *He stayed at home because the strike/her. c. He stayed at home because of the strike/her. (vgl. Radford 1988: 364) d. I'm not fond of him. e. * I'm not fond him.
Selbst Textbücher wie Haegeman (1994) liefern fur die Klassifizierung von P als lexikalische Kategorie (und damit als offene Klasse) kaum überzeugende Argumente, sondern nur Aussagen wie diese: "Prepositions constitute a relatively closed class too, but new combinations o f complex prepositions may be added to the language (cf. because of, in spite of)." Damit hat Haegeman unrecht. Die von Haegeman genannte Präposition because of etwa ist kaum eine produktive Wortbildung aus zwei verschiedenen simplen Präpositionen, sondern tritt sprachhistorisch gesehen etwa zur gleichen Zeit auf wie because als Konjunktion; beides lässt sich etymologisch zurückfuhren auf eine Präpositionalphrase, bestehend aus der Präposition by und dem Substantiv cause. Das O E D nennt folgende erste Belegstellen: 1356 WYCLIF Last Age Ch. (1840) 31 I>e synnes bi cause of whiche suche persecucioun shal be in Goddis Chirche. c. 1386 CHAUCER Frankl. Prol. 8 By cause I am a barel man ... Haue me excused o f my rude speche. (The Oxford English Dictionary
33
1989: 41)
Auch hier gibt es Parallelen zwischen synchronen Beobachtungen und diachronen Fakten, denn Präpositionen/Konjunktionen sind neben Verben häufige historische Quellen für Complementizer (vgl. Vincent 1993: 159).
69 Insgesamt scheint es so, als ob Präpositionen und subordinierende Konjunktionen sich in einem Grenzbereich zwischen lexikalischen und funktionalen Kategorien befinden. 34 Interessant ist dabei, dass Präpositionen und subordinierende Konjunktionen in Bezug auf Kopf-Eigenschaften auch eine ambige Klasse sind. Präpositionen ohne semantischen Gehalt wie of oder by (Zwickys "grammatisch verwendete Adpositionen", s.o.) weisen vermutlich keine Thetarollen zu - vielmehr scheint die Thetamarkierung in solchen Konstruktionen von Verb oder Substantiv auszugehen: 35 (21)
The letter was given by Mary. [AGENS]
Präpositionen wie of oder by verhalten sich also eher wie funktionale Köpfe als wie lexikalische Köpfe, die in der Regel Thetarollen zuweisen. Rauh (1993, 1997) beobachtet Ähnliches und unterscheidet deshalb zwischen verschiedenen Typen englischer Präpositionen: Erstens nennt sie sogenannte lexikalische Präpositionen, die sich analog zu Substantiven, Verben und Adjektiven verhalten, indem sie Spezifizierer und Adjunkte besitzen, für Komplemente subkategorisieren und diese kasus- und thetamarkieren: (22)
a. He lived [ PP in a small town [near London]] (in mit Komplement und Adjunkt) b. Bill bought the car [ PP right [ r before dinner]] (right als Spezifizierer) (vgl. Rauh 1997: 142, 143)
Als zweiten Typ klassifiziert sie 'Kasuspräpositionen', die weitestgehend Eigenschaften funktionaler Köpfe besitzen und als Realisierungen eines inhärenten Kasus betrachtet werden können. Zu den Kasuspräpositionen zählen vor allem solche Präpositionen, die schon durch ein zugehöriges Verb oder Adjektiv subkategorisiert werden: believe in, call upon, absent from, appeal to. Kasuspräpositionen unterscheiden sich in ihren Eigenschaften von lexikalischen Präpositionen und verhalten sich eher wie DPs, wie die folgenden Beispiele zeigen: (23)
a. He saw [ DP the girlsj several times eachj. b. *He sat [|exPP near the girls,] several times eachj. c. He appealed [ KasusPP to the girls,] several times eachj. (Rauh 1997: 150)
Each kann die DP und die Kasus-PP als Antezedenz haben, nicht aber die lexikalische PP. Rauh betrachtet Kasuspräpositionen im Englischen als Kasusmarkierer, die eine vergleichbare Rolle wie Kasusaffixe spielen, die im modernen Englisch weitestgehend verloren gegangen sind. Als dritten Typ englischer Präpositionen nennt Rauh (1997) 'grammatische Präpositionen', die im Gegensatz zu lexikalischen Präpositionen weder Spezifizierer noch Adjunkte lizensieren können: 34
Dies bemerkt auch schon Abney (1987) filr Präpositionen.
35
So argumentieren auch syntaktische Theoretiker in der funktionalen Tradition ("semantic function selection"). Ferner macht Webelhuth (1992) eine Unterscheidung zwischen Nomen, Adjektiv und Verb, die thetamarkieren können, und den Präpositionen, die dies nicht können.
70 (24)
a. *The boy talked right in a choked voice. (kein Spezifizierer zulässig) b. *The boy talked in a choked voice near crying. (kein Adjunkt zulässig) (Rauh 1997: 153)
Im Gegensatz zu Kasuspräpositionen können grammatische Präpositionen laut Rauh ihre Komplemente thetamarkieren. Die grammatischen Präpositionen befinden sich also in einer Klasse zwischen eindeutig lexikalischen Präpositionen und funktionalen Elementen (den Kasuspräpositionen). Für Rauh (1997) ist durch die Dreiteilung der Präpositionswortklasse auch geklärt, warum manche Linguisten wie Fukui/Speas (1986) Präpositionen als lexikalische Wortklasse analysieren, andere Linguisten wie Grimshaw (1991, zitiert in Rauh 1997) sie als funktionale Klasse betrachten und Abney (1987) wiederum die Präpositionen als eine Zwischenkategorie sieht, die sich auf der Grenzlinie zwischen lexikalisch und funktional befindet. 36 Insgesamt häufen sich die Hinweise, dass es keinen eindeutigen Gegensatz zwischen lexikalischen und funktionalen Köpfen gibt. Neben lexikalischen und funktionalen Köpfen existieren einerseits minor functional heads (wie sie in Rothstein 1991b definiert wurden, s.o.), die noch weniger Kopf-Eigenschaften besitzen als etwa funktionale Köpfe. Andererseits existieren Kategorien wie P/Conj, die eine Mittelpositon zwischen lexikalischen und funktionalen Köpfen einnehmen. Es entsteht also ein Kontinuum, das folgendermaßen aussehen könnte: Tabelle 7: Verschiedene Kopf-Typen "semi-lexikalische" Köpfe 37 > "grammatische Präpositionen" (Rauh), Conj, Adv? relativ viele bis auf Ausnahmen alle KopfKopf-EigenEigenschaften schaften Wortrang, Eintrag Wortrang, Eintrag im Lexikon im Lexikon lexikalische Köpfe V>N/A > lexikalische Präpositionen
funktionale Köpfe
minor functional (Rothstein)
> C, D, I, Kasuspräpositionen
> degree words,
weniger als die Hälfte der lexikalischen KopfEigenschaften Bündel abstrakter Eigenschaften; teilweise Formen, die diese Eigenschaften realisieren (Worte oder Affixe)
hat Komplemente
heads
Konjunktionen and, or
Wortrang, aber nicht Mitglied einer der Hauptwortklassen
Aus diesem Kontinuum fallen die funktionalen Köpfe aus einem Grund besonders heraus: Im Gegensatz zu allen anderen Klassen entsprechen ihren Mitgliedern nicht lexikalische Einträge, sondern sie sind "Bündel abstrakter Merkmale" (Felix 1990: 48, s.o.). Haben die Kategorien C, D und I dennoch eine Berechtigung, in diesem Kontinuum zu erscheinen, 36
37
Auch Zwarts (1995) macht eine Unterscheidung zwischen einer Klasse "lexikalischer" Präpositionen und einer Klasse "funktionaler" Präpositionen. Ich übernehme hier die Bezeichnung "semi-lexikalisch", die von Norbert Corver und Henk van Riemsdijk für einen Workshop zu diesem Thema gewählt wurde.
71
oder sollte die Klasse der funktionalen Köpfe ausschließlich auf die Elemente von Wortrang reduziert werden (wie Determinierer, Modalverben, Complementizer), unter Ausschluss von Elementen wie Nullartikel, [+lst person sing, + pres tense] oder 's? Nach obiger Diskussion steht fest, dass funktionale Kategorien nur sehr eingeschränkt als Köpfe zu bezeichnen sind. Weiter erhebt sich aber noch die Frage, wie C, D und I genau abgegrenzt werden können. (Gehören z.B. alle Quantifikatoren zu D oder while, whether und / / z u C?) Schließlich ist noch die Frage nicht angeschnitten worden, ob und welche weiteren funktionalen Kategorien (z.B. Num, AGR, Q, etc.) noch existieren. Um dieses sehr breite Thema im Rahmen dieser Arbeit angemessen angehen zu können, werden diese Fragen nur für die Nominalphrase beantwortet (vgl. Kap. 4) - ähnliche Ergebnisse werden für die übrigen funktionalen Kategorien erwartet. Aus dem Kontinuum wird deutlich, dass der Oberbegriff "Kopf' unglücklich gewählt ist, weil er Eigenschaften suggeriert, die im allgemeinen nur die lexikalischen Köpfe besitzen. Die lexikalischen Köpfe sind aber nur ein Extrempunkt in einem Kontinuum von Formen. Der andere Extrempunkt wird von Formen wie and oder or markiert, die sich nur noch durch die Eigenschaft auszeichnen, Komplemente zu besitzen und deshalb die Bezeichnung "Kopf' kaum verdienen. Der gemeinsame Nenner dieser Formen ist nur die Tatsache, dass alle potentiell mit Komplementen auftreten können bzw. auf ihre syntaktische Umgebung einen strukturbildenden Einfluss haben. Ein möglicher übergeordneter Terminus 38 für dieses Kontinuum wäre "Strukturbauer"39, denn alle aufgelisteten Formen tragen dazu bei, eine Phrase oder eine Konstituente eines Satzes aufzubauen. Die Formen auf der linken Seite des Spektrums tragen dazu in stärkerem Maße bei als die Formen auf der rechten Seite, denn erstere gehen mit ihren Komplementen engere Beziehungen durch Kasuszuweisung oder Thetamarkierung ein. Diese Formen wären dann die "echten" Köpfe. (25) —starke Strukturbauer = "echte" Köpfe lexikalische Köpfe "semi-lexikalische" Köpfe
3.4.3
schwache Strukturbauer-> funktionale Köpfe
minor functional
heads
Die metonymische Erweiterung der Kategorie KOPF
Es soll noch die offene Frage diskutiert werden, warum trotz der offensichtlich von links nach rechts im Diagramm immer weiter abnehmenden Zahl der Kopf-Eigenschaften selbst Konjunktionen oder Flexionsaffixe in der Literatur noch als (minor) functional heads bezeichnet werden. Hier könnte es durchaus möglich sein, dass metonymische Übertragung verantwortlich ist (vgl. Kap. 3.3.2). Die generative Syntax ist ursprünglich nur davon ausgegangen, dass lexikalische Kategorien Phrasen projizieren, also wurden die lexikali38
39
Ich danke Angela Hahn für den Hinweis, für das Kontinuum einen übergeordneten Terminus zu suchen. Der Terminus "Strukturbauer" wurde bewusst so gewählt, dass er keine Assoziationen weckt oder Verwechslungen mit 'Kopf, 'Subkategorisierer', 'Thetamarkierer', etc. verursacht.
72 sehen Kategorien N, V, A und P als Köpfe ihrer Phrasen bezeichnet. Die Ausweitung des Begriffes K O P F auf andere, nicht-lexikalische Elemente geschieht nun durch metonymische Übertragung: Einige der Kopf-Eigenschaften (z.B. Subkategorisierung) werden als entscheidend oder besonders hervorstechend für die gesamte Kategorie Kopf betrachtet betrachtet - folglich sind auch Konjunktionen wie and, or oder degree words als Köpfe akzeptabel. Im Fall der funktionalen Köpfe sind es wiederum einzelne Eigenschaften wie die Platzierung morphosyntaktischer Flexion oder Subkategorisierung, die als entscheidend fllr die Zugehörigkeit zur Kategorie K O P F betrachtet werden. Nachdem der Begriff "funktionale Kategorie" schließlich etabliert ist, werden dann auch Elemente als funktionale Köpfe klassifiziert, die prinzipiell keine Ähnlichkeit zu lexikalischen Köpfen aufweisen, aber mit funktionalen Elementen eine Reihe von Eigenschaften teilen. Es entsteht das, was ich in Analogie zu Wittgenstein mit Familienähnlichkeiten (family resemblances) bezeichnen möchte: Die ursprüngliche Bedeutung des Begriffes "Kopf' und die Bedeutung des Begriffes "funktionaler Kopf' sind miteinander verbunden, da die Begriffe einige Eigenschaften gemeinsam haben. Die Bedeutung des Begriffes "funktionaler Kopf' ist nun sogar die Quelle einer weiteren Extension der Kategorie KOPF, denn allein die Eigenschaft, funktional zu sein, qualifiziert nun ein Element, in die Kategorie K O P F aufgenommen zu werden. Während also die Kategorie LEXIKALISCHER KOPF eine radiale Struktur hat, die sich folgendermaßen darstellen ließe 40 (26)
(wobei die Kreise Mitglieder der Kategorie LEXIKALISCHER K O P F darstellen), ist die Kategorie KOPF, die sowohl lexikalische als auch funktionale Elemente umfasst, eher wie folgt darstellbar:
40
Givön (1986: 78-79) nutzt ähnliche Graphiken, um die Prototyptheorie nach Lakoff und die Familienähnlichkeit nach Wittgenstein miteinander zu vergleichen. D i e Graphiken haben sich für die Unterscheidung zwischen lexikalischen und funktionalen Kategorien in dieser Arbeit als ebenso nützlich erwiesen.
73 (27)
Alle Mitglieder der Kategorie KOPF teilen einige Eigenschaften mit einem anderen Mitglied, aber nicht notwendigerweise mit allen. Es gibt nun auch nicht mehr - wie vorher im Fall des Verbes - Mitglieder der Kategorie KOPF, die "repräsentativer" als andere sind, da es nun keine Elemente mehr gibt, die (fast) alle genannten Eigenschaften lexikalischer und funktionaler Elemente auf sich vereinigen. Neben diesen Erklärungsversuchen zu linguistischer Kategorisierung ist es auch möglich, das Diagramm in Kapitel 3.4.2 nicht synchronisch, sondern diachronisch zu beleuchten und so zu einer Begründung zu gelangen, warum diese Vielzahl von Kategorien sich weder deutlich von einander abgrenzen noch eindeutig als Köpfe oder Nicht-Köpfe charakterisieren lassen. Als denkbarer Erklärungsrahmen für die in Kapitel 3.4.2 genannte Hierarchie bietet sich der theoretische Rahmen der Grammatikalisierungs-Ansätze an. Hopper/Traugott (1993: 1) beschreiben den Grammatikalisierungs-Ansatz als einen theoretischen Rahmen, in dem die Aufmerksamkeit vor allem der Entstehung und Entwicklung grammatischer Formen und Konstruktionen gilt. Der Terminus Grammatikalisierung (grammaticalizatiori) bezeichnet aber auch das tatsächliche sprachliche Phänomen - den Prozess, durch den Elemente mehr und mehr grammatische Funktionen annehmen. Solche Ansätze gehen davon aus, dass Funktionswörter ursprünglich Vollmitglieder lexikalischer Kategorien sind und diachron ihre grammatischen Eigenschaften erwerben. Ein interessantes Beispiel bilden dabei die Futur-Auxiliarverben in vielen Sprachen, die etymologisch häufig auf Bewegungverben zurückzuführen sind, vgl. be going to, französisches aller und bino 'kommen', das 'Futur' in Lango (vgl. Vincent 1993: 145). Dieser Rahmen bietet sich also für unser Thema besonders an, weil Grammatikalisierung die klaren Grenzen zwischen Kategorien in Frage stellt, denn es zeigt diachrone Entwicklungen wie die Entwicklungen von Vollverben zu Auxiliarverben auf, die gegen die Diskretheit von Kategorien sprechen. Diese Beobachtung der Nicht-Diskretheit von Kategorien sind bislang in dieser Arbeit schon mehrfach gemacht worden und würden durch die Theorie der Grammatikalisierung noch erweitert. Grammatikalisierungs-Ansätze gehen von einer cline of grammaticalizatiori aus, einem "natural pathway along which forms evolve" (Hopper/Traugott 1993: 6). Synchronisch interpretiert ist es ein Kontinuum, das sich von dem Extrem einer lexikalischen Form bis zum Endpunkt einer reduzierten, "grammatikalisierten" Form bewegt. In der Regel werden die folgenden Positionen auf der cline of grammaticalization angenommen:
74 (28) content item > grammatical word > clitic > inflectional affix
more syntactic more lexical (vgl. Hopper/Traugott 1993: 7)
more morphological more grammatical
Nach diesem Muster mtlssten die in der obigen Hierarchie genannten Kategorien folgendermaßen gereiht werden: (29) (degree of) grammaticalization lexikalische Kategorien
semilexikalische Kategorien N, V, A, P, grammatisch verwendete Adv? Ps, Conj
funktionale Elemente von Wortrang Modalverben, Determinierer
minor Klitiks functional categories degree words, z.B. 's Konjunktionen and, or
flexionale Morphologie
Offensichtlich stimmt die in 3.4.2 dargestellte Hierarchie mit der hier gezeigten bis auf ein Detail überein - die Kategorie der funktionalen Köpfe ist nun aufgespalten in funktionale Elemente von Wortrang (Determinierer, Modalverben) auf der einen Seite und Klitiks sowie Flexionsaffixe auf der anderen Seite. Die neue Hierarchie bietet gegenüber der alten nun aber ein homogeneres Bild, weil zunächst alle Elemente von Wortrang gelistet werden, bevor zu Klitiks und abhängigen Morphemen übergegangen wird. Somit ist die umstrittene Mischung von Syntax und flexionaler Morphologie, wie sie in Kapitel 3.4.2 noch sichtbar ist, vermieden. (Ob es zulässig und sinnvoll ist, die funktionalen Kategorien D, C und I so aufzuspalten, müsste allerdings noch untersucht werden.) Die Abnahme der Kopf-Eigenschaften von links nach rechts könnte nun ansatzweise so erklärt werden: Lexikalische Elemente, die den Hauptwortklassen N, V, A oder P angehören, haben einige inhärente Eigenschaften, die sich unter dem Begriff "Kopf' subsumieren lassen. Betrachtet man nun spezielle feste Konstruktionen oder gar Idiome, nehmen diese Kopf-Eigenschaften ab. Die Kopf-Eigenschaften nehmen ebenfalls ab, wenn diese lexikalischen Elemente den Prozess der Grammatikalisierung durchlaufen und z.B. von (Voll-)Verben zu Modalverben werden. Mit der Grammatikalisierung verändert sich nicht die Struktur der zugehörigen Phrase, sondern nur deren Kategorie, wie Vincent (1993: 146) am Beispiel von Complementizern beschreibt, die von Verben des Sagens abgeleitet sind (Vincents Beispiel 7):
75 At the ungrammaticalized stage we will have: (7)
[VERB +
SENTENCE]VP
The whole will be a VP, of which - by common consent - the V is the head. If the verb becomes a complementizer, and if one believes in CPs, then it is reasonable to suppose that the VP becomes a CP. Grammaticalization has taken place and has changed the category of the construction but has not altered its head-dependent structure.
Eine Frage ist nun, ob diese Kopf-Eigenschaften weiter verloren gehen bzw. verschwinden, wenn die grammatikalisierten Elemente zu Klitiks oder Affixen werden. Diese Frage wirft schon Vincent (1993: 147) auf: "If headhood can be retained even after grammaticalization, as we hinted in the case of VP > CP, can it be retained even after morphologization?" Es wird nun dafür plädiert, die Frage mit einem Nein zu beantworten und einen großen Teil der flexionalen Morphologie aus den gängigen generativen Syntaxmodellen wieder zu entfernen - mehr dazu in Kapitel 4.
3.5
Zusammenfassung
Ausgangspunkt dieses Kapitels bildete die Frage, welche funktionalen Kategorien bzw. Elemente berechtigterweise die Bezeichnung Kopf tragen. Hintergrund dieser Frage ist das zunehmende Interesse der Government/Binding-Theorie an funktionalen Kategorien und die zentrale Rolle der funktionalen Köpfe im Minimalistischen Programm, die Fragen dieser Art motivieren. Als ein erster Ansatz zu einer grundsätzlichen Lösung dieses Problems ist versucht worden, eine klar umrissene, umfassende Definition des Begriffes 'Kopf zu finden, um die Menge funktionaler Köpfe genau eingrenzen zu können. Als Hauptergebnisse der sich dann anschließenden Untersuchung können nun die folgenden Punkte genannt werden: • Es gibt eine Vielzahl von Kriterien für lexikalische Köpfe, beispielsweise zeichnet sich ein "typischer" lexikalischer Kopf dadurch aus, dass er für Komplemente subkategorisiert, seine Komplemente thetamarkiert und obligatorisches Element sowie distributives Äquivalent seiner Phrase ist. • Eine Verwendung dieser Kriterien für eine Definition funktionaler Köpfe ist zum Scheitern verurteilt, weil nur wenige dieser Kriterien auf funktionale Köpfe zutreffen. Es macht auch wenig Sinn, von der Kategorie KOPF im allgemeinen zu sprechen, da unter Einbeziehung nur der etablierten Köpfe V, N, A, P sowie D, C und I die Kategorie KOPF bereits keine klar abgrenzbare Kategorie mehr ist. Wie in Kapitel 3.4 gezeigt wurde, ist die Kategorie KOPF dann nur noch durch Familienähnlichkeiten (family resemblances) gekennzeichnet. • Schließlich wurde noch festgestellt, dass die Dichotomie lexikalischer / funktionaler Kopf irreführend ist, da sie einen klar abgrenzbaren Gegensatz suggeriert. Es zeigt sich aber, dass es sich um ein Kontinuum von eher lexikalischen Köpfen bis zu eher funktionalen Köpfen handelt. Präpositionen werden typischerweise als eine Klasse genannt, die weder eindeutig funktional noch lexikalisch ist. Ergebnisse aus der Grammatikalisierungstheorie untermauern die These, dass alle Formen des Lexikons sich auf einem Kon-
76 tinuum zwischen den Extrempunkten 'eindeutig lexikalisch' und 'eindeutig funktional' befinden. Es ist also schwierig, neue funktionale Köpfe anhand eines Kriterienkataloges oder einer Definition festzumachen, weil viele funktionale Köpfe die Kriterien für (lexikalische) Köpfe nicht erfüllen. Meist wird aber noch nicht einmal versucht, einen Kriterienkatalog zu benutzen, um postulierte lexikalische und funktionale Köpfe empirisch und theoretisch zu begründen, obwohl dies notwendig wäre. Es kann nicht richtig sein, jedes funktionale Element als Kopf zu deklarieren, ohne sich Klarheit über eine sinnvolle Integration dieses Kopfes in die bestehende Government/Binding-Theorie bzw. das Minimalistische Programm zu verschaffen - eine Rechtfertigung eines funktionalen Kopfes wird aber in vielen Ansätzen zum Minimalistischen Programm nicht erbracht. Ouhalla (1991) beispielsweise geht von der grundsätzlichen Annahme aus, dass alle funktionalen Kategorien Phrasen projizieren. Diese Annahme wird von ihm nicht mehr in Frage gestellt, sondern als gegeben vorausgesetzt. Ebenso geht er von einer möglichen genauen Definition funktionaler Kategorien aus: The programme outlined above obviously presupposes a well-defined set of functional categories, given the crucial role they are assigned in determining grammatical processes as well as parametric Variation. It also presupposes a well-defined set of lexical properties which characterise functional categories, and determine the ränge of possible Variation. (Ouhalla 1991:4) Ouhalla diskutiert nicht, ob funktionale Kategorien tatsächlich Köpfe sind, noch wird von ihm z.B. der Status von Neg(ation) und Agr(eement) als einheitliche Kategorien - vergleichbar mit V oder N - geprüft. Eine klare Definition von funktionalen Kategorien wird aber gerade durch dieses Kapitel 3 entscheidend in Frage gestellt. Die vorliegende Arbeit ist nicht die einzige, die sich kritisch mit der Postulierung funktionaler Kategorien auseinander setzt. Bereits in der Einleitung (Kapitel 1) wurden kritische Stimmen wie Iatridou (1990), van Gelderen (1993), Haider (1997) und Thräinsson (1997) genannt, die ebenfalls die Vielzahl der funktionalen Kategorien in Frage stellen. Thräinsson (1997: 256-257) gibt einen systematischen Überblick über bisher geäußerte und von ihm zusätzlich aufgeworfenen Kritikpunkte: • Machen tatsächlich alle Sprachen von sämtlichen zur Verfügung stehenden funktionalen Kategorien Gebrauch? Evidenz aus einer Sprache für eine funktionale Kategorie ist nicht ausreichend als Hinweis für die Existenz der funktionalen Kategorie in allen Sprachen (Iatridou 1990, van Gelderen 1993, 1997). •
Ist die Reihenfolge der funktionalen Projektionen für alle Sprachen die gleiche, d.h. durch die Universalgrammatik bestimmt? Ist beispielsweise AgrP stets ein Komplement von T(ense), oder können die Rollen auch vertauscht sein? • Können innerhalb einer Sprache einige Satzkonstruktionen weniger funktionale Kategorien enthalten als andere? Dieser Liste möglicher Kritikpunkte nach Thräinsson können durch die vorliegende Diskussion in dieser Arbeit noch weitere kritische Fragen hinzugefügt werden: • Ist der Kopf-Status der funktionalen Kategorien theoretisch und empirisch argumentativ belegt, oder wird er als gegeben vorausgesetzt? • Hat das Konzept 'funktionaler Kopf überhaupt seine Berechtigung? Funktionale Köpfe dienen in vielen Beiträgen zum Minimalistischen Programm als Erklärungsmuster für grammatische Phänomene, aber konzeptuell ist der Begriff "funktionaler K o p f ' keineswegs fundiert abgesichert, wie die Diskussion in diesem Kapitel gezeigt hat.
77 Auf der Basis der vorangegangenen Beobachtungen existieren nur wenige Anhaltspunkte für eine Behandlung von D, C und I als funktionale "Köpfe", wenn man nur eine minimale Parallele zwischen funktionalen und lexikalischen Köpfe voraussetzt. Im folgenden Kapitel sollen deshalb die theorie-internen Gründe für die Postulierung funktionaler Köpfe genauer analysiert werden. Leitend wird dabei die Frage sein, ob die grammatischen Phänomene, für die funktionale Köpfe und deren Projektionen als Erklärungshilfe herangezogen werden, nicht auch ohne einen Rekurs auf funktionale Köpfe erklärbar sind. Ergänzend dazu wäre die Entwicklung von Ausschlusskriterien für funktionale Köpfe denkbar, z.B. • Wieviele Köpfe sind deskriptiv notwendig? • Welche Köpfe entsprechen der Ökonomie der Repräsentation (vgl. Kapitel 2.3)? Diese Fragen werden in Kapitel 4 exemplarisch an der englischen Nominalphrase/DP diskutiert. Die Untersuchung wird dabei über die bisher betrachteten funktionalen Köpfe C, I und D hinausgehen und eine Vielzahl nach der DP-Analyse vorgeschlagene funktionale Köpfe analysieren. Viele der Ergebnisse in Kapitel 4 werden vermutlich auf die Verbalphrase und ihre funktionalen Erweiterungen (z.B. IP) übertragbar sein. Ferner sind für die IP schon einige Vorschläge zur Reduzierung ihrer funktionalen Projektionen (Agr, T, Perf, Prog, Asp) vorgebracht worden, auf die hier nur verwiesen wird (vgl. Iatridou 1990, van Gelderen 1993, Chomsky 1995c). Sollte sich im Laufe der Diskussion herausstellen, dass auch andere Konzepte und Erklärungsvorschläge für die grammatischen Phänomene denkbar sind, für die bisher funktionale Projektionen herangezogen wurden, so könnten viele funktionale Köpfe ein überflüssiger Bestandteil des Minimalistischen Programms sein.
4 Funktionale Kategorien in der Nominalphrase: Vorschläge und Kritik aus minimalistischer Sicht
4.1
Einleitung
Im vorangegangenen Kapitel wurde festgestellt, dass lexikalische und funktionale Kategorien wenig gemeinsame Eigenschaften haben. Es exisitiert also keine prinzipielle Begründung, warum jede funktionale Kategorie eine eigene Phrase projiziert. In diesem Kapitel sollen einige funktionale Kategorien in der Nominalphrase exemplarisch auf ihren Status als Köpfe überprüft werden. Es werden Gründe analysiert, warum Phrasen wie NumP ('number phrase') oder QP Cquantifier phrase') vorgeschlagen wurden. Weil im vorangegangenen Kapitel bereits grundsätzliche Bedenken gegen das Konzept 'funktionaler K o p f vorgebracht wurden, werden hier die (meist theorie-internen) Begründungen für neue funktionale Köpfe in der Nominalphrase analysiert und auf ihre Übereinstimmung mit den Prinzipien des Minimalistischen Programms geprüft. Ziel soll es sein, die Zahl der funktionalen Köpfe in der Nominalphrase im Sinne des Minimalistischen Programms auf ein notwendiges Minimum zu reduzieren. Um die Vielzahl der funktionalen Köpfe zu reduzieren, bieten sich mehrere Strategien an. Zunächst ist in den meisten Fällen noch nicht geklärt, ob die in Frage kommenden funktionalen Elemente überhaupt eine einheitliche Kategorie oder Wortklasse bilden. Es wurde beispielsweise bisher implizit von der Annahme ausgegangen, dass D eine genau definierbare Kategorie ist, und vor allem die Artikel a, the sowie AGR wurden als typische Repräsentanten betrachtet. D kann - wie in Kapitel 3.4.1 deutlich wurde - oft phonetisch null sein, und es kann D keine eindeutige Klasse lexikalischer Elemente (wie etwa A = Adjektive) zugeordnet werden, die sich durch syntaktische und morphologische Eigenschaften auszeichnen (so wie etwa die Steigerungsfähigkeit englischer Adjektive). 1 Wie kann D oder, allgemeiner - wie können funktionale Kategorien wie D, Num oder Q angemessen beschrieben bzw. definiert werden? Die zweite Frage lautet: Welche Begründungen werden dafür genannt, dass eine funktionale Kategorie auch tatsächlich Kopf einer Phrase ist? Besitzt jedes Morphem seine eigene Projektion? Gibt es Anhaltspunkte dafür, dass einige funktionale Elemente eher der flexionalen Morphologie zuzurechnen sind - ohne eigene Projektion? Schließlich könnte man fragen, welche funktionalen Kategorien etwa für die Beschreibung der englischen Nominalphrase überhaupt notwendig sind. Auch der im vorangegangenen Kapitel angedeutete Weg, die Prinzipien der Ökonomie der Repräsentation zu nutzen, ist denkbar, d.h.: Sind alle funktionalen Kategorien, die bisher vorgeschlagen wurden, lizensiert, d.h. sind sie legitime Elemente auf den Ebenen PF und LF nach dem Prinzip der vollständigen Interpretation (principle offull Interpretation) (vgl. Kap. 2.3).
1
" A word-level category is a set of words which share a common set of linguistic (especially morphological and syntactic) properties." (Radford 1988: 63)
79 4.2 Die Kategorie 'Determinierer' und weitere funktionale K ö p f e in der N o m i n a l phrase
Bevor eine Analyse fiinktionaler Köpfe vorgenommen werden kann, ist es also sinnvoll, sie zunächst auf ihren Status als eigenständige Kategorie zu überprüfen - dies soll exemplarisch mit der Kategorie D (determiner) geschehen.
4.2.1
Definitionen der Kategorie 'Determinierer'
Englische Determinierer (engl, 'determiners') sind schon von Bloomfield (1935: 203-206) als die Klasse bezeichnet worden, die folgende Elemente umfasst: a) definiter Artikel the und indefiniter Artikel a b) die Demonstrativa thislthatltheselthose c) Interrogativa, z.B. which, what d) Quantoren wie everyleachlanylsomelno, etc. e) Possessiva wie mylyourlhislher, etc., aber auch pränominale Genitive wie John's Einigkeit über die Zugehörigkeit einzelner Elemente zur Klasse der Determinierer hat jedoch nicht bestanden; so betrachtet Bloomfield (1935: 202-203) die obigen Elemente als eine spezielle Klasse der Adjektive, während Radford (1988: 142-145) sich darum bemüht zu zeigen, dass die genannten Elemente keine Adjektive sein können, da sie mit den Adjektiven viele Eigenschaften (z.B. Steigerbarkeit) nicht teilen. Postal (1969) schließlich behauptet sogar, dass auch Personalpronomina (/, you, we, etc.) Determinierer seien. Es ist also wenig sinnvoll, die Elemente der "Kategorie" Determinierer (D) in einer Liste einfach aufzuführen, weil sich die meisten Ansätze zur Nominalphrase nicht einig sind, welche Formen überhaupt D zuzurechnen sind. Schwierig wird dieser Ansatz einer Listung der Determinierer auch, wenn man andere Sprachen als Englisch betrachtet, in denen D nicht als Wort oder Morphem eindeutig realisiert wird (vgl. Felix 1990: 51-54). Dann wird auch nicht deutlich, welche Gemeinsamkeiten (semantisch, syntaktisch) diese Klasse von Elementen verbindet. Im Anschluss an Chomsky (1970), der schon versucht hat, die lexikalischen Kategorien N, V, A und P mit den Merkmalen [+/- N, +/- V] zu beschreiben, hat man sich deshalb bemüht, D über abstrakte Merkmale (features) zu charakterisieren. Ausgangspunkt scheint dabei oft einer der in Kapitel 3 genannten Charakterisierungen der Köpfe zu sein. Abney (1987: 62-63) z.B. unterscheidet zwischen lexikalischen [-F] und nicht-lexikalischen, d.h. funktionalen [+F] Kategorien. Die wichtigsten Wortklassen werden dann nach Abney folgendermaßen unterteilt: Tabelle 8: Charakterisierung lexikalischer und funktionaler Kategorien durch abstrakte Merkmale
-N +N
-F V, Aux, P(?) N, 0 , A, Adv
+F i,c D
80 Hier sind mehrfache Überschneidungen möglich; interessanterweise ist nur D eindeutig durch abstrakte Merkmale charakterisiert. Das wirft natürlich die Frage auf, ob die Klasse [+N, +F] sich nicht auch noch in mehrere Unterklassen unterteilen ließe. Darüber hinaus ist die Charakterisierung von D als [+N, +F] wenig aussagekräftig und kaum als Kriterium geeignet, einzelne Formen als Realisierungen von D zu identifizieren. Andere Linguisten arbeiten auch mit abstrakten Merkmalen, setzen jedoch auf der Ebene der Morphologie und der Semantik an. Ausgangspunkt ist dabei Abneys (1987: 59) Aussage: "D is the site of AGR in the noun phrase." Typische Beispiele eines solchen MerkmalAnsatzes sind Felix (1990) und Ewert/Hansen (1993), die D folgendermaßen beschreiben: a) "DET = [definiteness, case, number, gender,...]" (Felix 1990: 51) b) "[...] D in particular consists of such features as [+/- definite], [+/- plural] and maybe [+/- deictic], etc., [...]." (Ewert/Hansen 1993: 172, meine Hervorhebung) In beiden Fällen bleibt die Auswahl und die Anzahl der Merkmale, die D charakterisierten, vage und unbegründet. So wird von Felix behauptet, dass grammatische Merkmale wie Kasus, Numerus und Genus an D realisiert werden müssten, was in vielen europäischen Sprachen auch zutrifft. Ob Kasus, Numerus und Genus allerdings alle zu den inhärenten Merkmalen von D gehören, ist eine andere Frage. Zumindest der Kasus könnte ebenso dem Bereich der flexionalen Morphologie zugeordnet werden und kein besonderes Merkmal von D sein, da er beispielsweise im Deutschen auch an Nomina und Adjektiven realisiert wird (vgl. Kapitel 3.2). Die Listen scheinen auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben: So müsste zusätzlich zu den genannten Merkmalen wahrscheinlich noch ein Merkmal [+poss] postuliert werden, mit dem Olsen (1991: 47) und Zimmermann (1993: 203) Possessivpronomina und 's charakterisieren. Die Offenheit der Merkmalslisten nach Felix bzw. Ewert/Hansen suggeriert außerdem, dass bislang noch keine zufriedenstellende Zusammenstellung von Merkmalen gefunden wurde, die D in allen Sprachen charakterisiert. Ferner stellt sich auch das Problem, ob die von z.B. Ewert/Hansen genannten features miteinander kompatibel sind. Vater macht (1991: 17-18) eine Unterscheidung zwischen semantisch motivierter und morphologischer Determination, d.h., er differenziert zwischen den semantischen Merkmalen [+/- definit, +/- deiktisch] und morphologischen Merkmalen [+/- Kasus, +/- Genus, +/- Numerus], die in den slawischen Sprachen sogar getrennt realisiert werden. Vater (1991: 19) nennt zwei mögliche Schlussfolgerungen, die hier gezogen werden könnten: Entweder werden semantische Eigenschaften aus der Zahl der D charakterisierenden Eigenschaften ausgeschlossen oder man lässt zu, dass Definitheit auch außerhalb der DP ausgedrückt wird, obwohl es eigentlich zu den Eigenschaften von D gehört. Vater wählt die zweite Möglichkeit; dies ist auch wünschenswerter, weil etwa in skandinavischen Sprachen semantische und morphologische Determination eng zusammenhängen. Offen bleibt jedoch, wie diese Möglichkeit angemessen erklärt werden kann. Ein Ausweg aus diesem Dilemma, dass offenbar die Übereinstimmung semantischer und morphologischer Determination nicht universal ist, könnte die Beschränkung der abstrakten Merkmale [+definit, +deiktisch] auf D in germanischen und romanischen Sprachen sein. Im Gegensatz zu Felix bzw. Ewert/Hansen betrachtet Chomsky (1995c: 230ff.) nicht alle denkbaren Merkmale unterschiedlos als inhärente Eigenschaften einer funktionalen Kategorie wie D, sondern er unterscheidet zwischen drei Typen abstrakter Merkmale (features). Jedes Element vom Rang X° (also N, V, A, P und D, C, I) besitzt phonologische Merkmale, die nur auf der Ebene PF sichtbar sind, semantische Merkmale, die nur auf der Ebene LF
81
eine Rolle spielen, und formale/grammatische 2 Merkmale, die Einfluss auf die Grammatik eines Satzes haben. Zu den formalen Merkmalen zählen intrinsische Eigenschaften wie die Kategorie (z.B. [+N]) ebenso wie Person, Genus, Kasus und Numerus. Die Form books etwa besitzt die formalen Merkmale [+N], [+plural], die phonologischen Merkmale [buk] sowie das rein semantische Merkmal [artifact] (vgl. Chomsky 1995c: 230). Während die phonologischen Merkmale nur für PF relevant sind, werden auf der Ebene LF ausschließlich einige formale und alle rein semantischen Merkmale interpretiert. 3 Die Mengen der formalen und der semantischen Merkmale überschneiden sich teilweise, weil formale Merkmale wie [+3rd person, +feminine, +singular] nicht nur Kongruenz in Sätzen wie She has gone festlegen, sondern ein Merkmalbündel wie [+3rd person, +feminine, +singular] auch auf der Ebene LF eine Rolle spielt, also ein semantisches Merkmalbündel ist: She beispielsweise besitzt dieses Merkmalbündel, deshalb kann das Pronomen als Referenz auf the girl next door dienen. Für die Definition von D kann auf der Basis dieser Konzeption Chomskys folgender Vorschlag gemacht werden: • formale Merkmale: [+/-feminine], [1/2/3 person], [+/- plural], [nominative/objective case] (vgl. Radford 1997: 175), Kategorienmerkmale, also [+D] (vgl. Chomsky 1995c: 230, 246) • semantische Merkmale: 'locus of what is loosely called "referentiality"' (Chomsky 1995c: 240), [+/-feminine], [1/2/3 person], [+/- plural] (vgl. Radford 1997: 172-73) Auch diese Liste fuhrt auf der Suche nach einer Definition der Kategorie D nicht weiter, da Chomsky in seiner Diskussion der formalen und semantischen Merkmale das kategoriale Merkmal [+D] ungefragt als eindeutig definiert voraussetzt. Die Kategorie D ist also fur Chomsky die Menge der Elemente, die das Merkmal [+D] tragen - ebenso wie die Kategorie N die Menge der Elemente ist, die das Merkmal [+N, -V] tragen. Dies führt also letztlich zu einem Zirkelschluss. Auch die oben angegebenen semantischen Merkmale könnte man kaum auswählen, um D genau zu beschreiben, weil beispielsweise Referenz nicht nur durch D ausgedrückt wird und Person oder Numerus auch Eigenschaften von Nomina sind (s.o.). Chomskys Ansatz ist ebenso problematisch wie die Ansätze von Felix und Ewert/Hansen. Insgesamt kann also festgestellt werden, dass bislang keine befriedigende Definition für die Kategorie D (Determinierer) gefunden wurde. Hudson (1998) kommt in seiner Analyse der Kategorien Pronomen, Determinierer und Complementizer zu einem ähnlichen Schluss: Auch er stellt fest, dass diese Kategorien zwar stets als gegeben vorausgesetzt, aber nie überzeugend definiert werden und tatsächlich keine gemeinsamen Eigenschaften haben. Wortklassen wie "Determinierer" oder "Complementizer" werden nicht überzeugend gerechtfertigt. Hudson (1998: 20) zieht daraus die Konsequenz, Determinierer und Complementizer als Wortklassen generell abzulehnen.
2
3
Chomsky (1995b, 1995c) spricht von formalen Merkmalen, während Radford (1997) den Ausdruck 'grammatische Merkmale' bevorzugt. Die genauere Unterscheidung Chomskys (1995c) der formalen Merkmale in [+interpretierbar] und [-interpretierbar] interessiert hier nicht.
82 If the previous arguments are right, the notion FWC [functional word category, SR] has never been defined coherently, so we cannot be sure which categories are functional and which are not. Moreover, we have found that two of the clearest examples, Complementizer and Determiner, are not even word classes, let alone functional word classes. It therefore seems fair to conclude [...] that there may not in fact be any functional categories at all.
Eine wichtige Frage, die also im Zusammenhang mit der DP-Analyse beantwortet werden muss, ist die Frage nach einer Definition für D. Dies wird in Kapitel 4.3 versucht zu beantworten. Zuvor wird noch auf ein weiteres Problem im Zusammenhang mit der DP-Analyse eingegangen.
4.2.2
Wie viele funktionale Köpfe gibt es in der Nominalphrase?
Wie im vorangegangenen Abschnitt erwähnt wurde, ist die Definition der Kategorie D durch abstrakte Merkmale nach Felix oder Ewert/Hansen zwar weit akzeptiert, aber sehr unbefriedigend. Problematisch an dem Merkmalsansatz ist auch die Tatsache, dass offenbar keine Einigkeit darüber besteht bzw. nicht nachgewiesen wird, welche der von Felix aufgeführten Merkmale nun wirklich Teil der Charakterisierung von D ist. Felix und Ewert/Hansen bevorzugen eine offene 4 Liste aller grammatischen sowie einiger semantischen Merkmale, die durch D realisiert werden können, also Numerus, Genus, Kongruenz (Agr), usw. Ritter (1991, 1995) dagegen argumentiert auf der Basis von hebräischen Daten für eine zweite funktionale Kategorie (NUM) innerhalb der Nominalphrase (siehe unten); ähnlich argumentieren Löbel (1997) für Swahili und Li (1998) für das Chinesische. Ouhalla (1991) plädiert dafür, neben D AGR als völlig separaten Kopf der Nominalphrase zu betrachten und entsprechend DP und AGRP zu unterscheiden: (1) ^AGRP^ Spec AGR1 Mary AGR " ^ NP 'i N ^ translation
(2) Spec ..
D' D "" the
^ Spec*
NP ^ N' N destruction
(vgl. Ouhalla 1991: 170, 174)
Radford (1993: 97) und Giusti (1997) gestehen den Quantoren Q (z.B. all, both) einen eigenen Status als Köpfe der QP zu. Ein Vorteil dieses Ansatzes ist natürlich, dass Strukturen wie (3)
[ q p [Q all] [ D P these small cars]]
(adaptiert von Radford 1993: 99)
nun mühelos analysiert werden können. Aus der ursprünglichen Sammlung der abstrakten Merkmale [definiteness, case, number, gender, ...], die alle D zugesprochen wurden (vgl.
4
Man beachte die Hervorhebung in Ewert/Hansens Definition von D.
83 Felix 1990: 51), ist also nun eine Reihe von weiteren funktionalen Köpfen geworden, die sich durch einzelne Merkmale auszeichnen und die je nach Autor variieren: 5 a) b) c) d) e) f) g)
A = Adjektiv, Q = Quantor wie many (Abney 1987) Q = Quantor wie all, both (Radford 1993, Giusti 1997) 6 Q = [+/- zählbar], D = [+/- determinierbar], Num = Zahlwörter (Löbel 1990) N U M = [Numerus] (Ritter 1991, 1995, Löbel 1997, Li 1998) AGR = [Numerus, Person, Genus, Kasus] (Ouhalla 1991, Mallen 1997) K = [Kasus] (Lamontagne/Travis 1986, Shin 1993, Giusti 1997, Mallen 1997) funktionale Köpfe, in deren zugehörigen SPEC-Positionen Adjektive generiert werden (Cinque 1994) h) Poss(essor) (Fassi Fehri 1992) i) CN = [nominal complementizer] (Szabolcsi 1983, 1986, Zimmermann 1993)
Eine Parallele zu dieser immer weiterführenden Aufspaltung von D in eigene, weitere funktionale Köpfe (Q, NUM, AGR, etc.) findet sich in der Behandlung der funktionalen Kategorie I im Minimalistischen Programm. So hat schon Pollock (1989) daraufhingewiesen, dass in der IP wahrscheinlich eher zwei funktionale Kategorien zu finden sind, nämlich T\ense) und AGR ("split-IP-hypothesis"). Chomsky (1989: 57-58) hat diesen Vorschlag aufgegriffen und noch weiter ausgearbeitet: "Pollock's structure [...] would now be more fully articulated as [1], where AGR-S = I, the head of I' and IP, and F is [+/- finite]": (4) IP
NP
^ ^ I' AGR-S ^ F
FP ^ (negP) neg — AGRP AGR-0 ^ V P (ADV)" V —
VP ...
Diese sehr komplexe Struktur wirft sofort folgende Frage auf: Je mehr Elemente und Sprachen analysiert werden, desto mehr funktionale Köpfe scheinen notwendig, um diese Elemente unterzubringen. Bedenklich ist hier die Tendenz, jedem morphosyntaktischen Merkmal unterschiedslos eine (funktionale) Projektion zuzuschreiben. Spencer (1992: 313) formuliert diesen extremen Standpunkt als die "Full Functional Projection Hypothesis" (FFPH): Any morphophonosyntactic formative which corresponds to a functional category in a given language is syntactically the head of a maximal projection.
5 6
Die hier kurz vorgestellten Köpfe werden teilweise unten einzeln diskutiert. Abneys, Radfords und Giustis Kategorien A und Q sind nicht durch abstrakte Merkmale definiert, vor allem A ist eindeutig lexikalisch. Daher passen Q und A nicht ganz zu dieser Liste. Sie werden dennoch aufgeführt, da sie typische Beispiele für neu postulierte Köpfe in der Nominalgruppe sind, ebenso wie alle übrigen Kategorien.
84 Aufgrund der Hypothese müssten dann mindestens folgende funktionale Projektionen existieren: DP, NumP ("Numerus'), KP ('Kasus'), PxP ('Possessor'). Spencer (1992: 314) hebt hervor, dass die FFPH vor allem eine Folge der Sichtweise der Morphologie als agglutinierende Aneinanderkettung von Morphemen ist und hauptsächlich auf zwei Annahmen beruht: Radical Agglutination
Hypothesis
All syntactically motivated morphology is syntactic compounding (incorporation). Mirror Principle
Morpheme order reflects the ordering of syntactic processes (vgl. auch Baker 1985). Nun ist aber klar, dass Morphologie in vielen Sprachen (in sog. flektionalen Sprachen, z.B. Lateinisch, z.T. auch Englisch) keineswegs so ideal funktioniert (vgl. Spencer 1991: 37-39). Außerdem gelingt es Spencer (1992), auf der Basis von Evidenz aus dem Ungarischen, Finnischen, Isländischen, Türkischen und anderen Sprachen zu zeigen, dass zumindest KP als eigenständige Projektion abgelehnt werden müsste. Beispielsweise erscheinen finnische Possessormarkierungen immer außerhalb der Kasusmarkierungen, was das Mirror Principle verletzen würde. Das folgende Paradigma illustriert Possessivmarkierungen im Finnischen: (5)
a. (minun) kirja-ni b. (sinun) kirja-si c. (hänen) kirja-nsa d. (meidän) kirja-mme d. (teidän) kirja-nne e. (heidän) kirja-nsa (vgl. Spencer 1992: 320)
'my book' 'thy book' 'his/her book' 'our book' 'your book' 'their book'
Vergleicht man dies nun mit dem folgenden Teilparadigma des Wortes talo ('Haus'), so ist unmittelbar einsichtig, dass die Possessormarkierungen den Kasusmarkierungen folgen 7 : Tabelle 9: Deklination des Wortes talo (vgl. Spencer 1992: 320-321)
1. 2. 3. 1. 2.
Pers. Pers. Pers. Pers. Pers.
Sing. Sing. Sing. Plural Plural
Nominativ talo taloni talosi talonsa talomme talonne
Genitiv talon taloni talosi talonsa talomme talonne
Partitiv taloa taloani taloasi taloansa taloamme taloanne
Inessiv talossa talossani talossasi talossansa talossamme talossanne
Spencer (1992: 340) schließt aus seiner Analyse, dass einige der sogenannten funktionalen Köpfe, vielleicht sogar alle, eher Phänomene der flexionalen Morphologie sind und nicht mehr Teil der Syntax. In diesem Kontext wird natürlich das Problem der Abgrenzung der Syntax gegenüber der Morphologie berührt, über die noch keine hinreichende Einigkeit besteht ("split morphology hypothesis"). Wenn eine mögliche Abgrenzung zwischen Morphologie und Syntax nicht mehr reflektiert wird, kann es auch geschehen, dass morphologi7
/t/ und /n/ im Nominativ Plural und Genitiv unterliegen der Elision.
85 sehe Phänomene als "funktionale Köpfe" reklamiert werden. Deshalb sollte die Aufspaltung der Nominalphrase in immer weitere funktionale Projektionen mit Vorsicht betrachtet werden.8 Die Abgrenzung von Morphologie und Syntax wird im Minimalistischen Programm jedoch nicht problematisiert, ebensowenig der Status des Mirror Principle. Chomsky (1993: 28) geht von der Gültigkeit des Mirror Principle aus und lehnt seine checking theory sehr nah daran an. Eine lexikalische Form, z.B. ein Verb V, wird dann als eine Sequenz V = (a, Infli,..., InflJ betrachtet, wobei a ein morphologisch komplexes Wort der Form [R-Infl r ...Infln] mit R als root und Infli als flexionales Merkmal ist. (Feature) Checking bedeutet dann, dass jedes einzelne Inflj mit dem Merkmal (feature) eines funktionalen Kopfes F, übereinstimmen muss. Wird das Verb V angehoben und ist in der SPEC-Position des Kopfes Fj, kann bei Übereinstimmung der Merkmale ein Inflj entfernt werden. Die Derivation ist auf der Ebene LF nur grammatisch, wenn alle Merkmale der Sequenz V entfernt worden sind, bevor LF erreicht ist (vgl. auch Kapitel 2.3). Ein solche Checking-Theorie funktioniert nur, wenn die von Spencer genannten Postulate der Füll Functional Projection Hypothesis und das Mirror Principle gelten. Um die Zahl der funktionalen Köpfe reduzieren zu können, wäre also eine Aufgabe dieser Postulate zunächst notwendig. Chomskys (1995c) Ansatz, die Zahl der funktionalen Katgorien zu beschränken und AgrS und AgrO zu eliminieren, deutet daraufhin, dass die FFPH nicht mehr implizit beansprucht wird. Die hier vermutete Aufgabe der FFPH wird von Chomsky nicht explizit diskutiert. Auch generell spielen Reflexionen über das Verhältnis oder sogar die Abgrenzung von Morphologie und Syntax keine Rolle im Minimalistischen Programm. Morphologie hat einerseits eine zentrale Stellung im Minimalistischen Programm, da abstrakte morphologische Merkmale (features) Bewegungsoperationen motivieren. Syntax tritt also im Minimalistischen Programm zugunsten morphologischer Überlegungen zurück (vgl. auch Marantz 1995: 380). Andererseits behandelt das Minimalistische Programm nicht individuelle Morpheme im Bloomfield'schen Sinne. Ramchand (1997) unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen 'M'orphology, die sich mit abstrakten Merkmalen von syntaktischer oder semantischer Relevanz befasst, und 'm'orphology, deren Ziel die Erforschung der tatsächlichen phonologischen Realisationen der abstrakten Merkmale ist. Während 'M'orphology eine zentrale Stellung im Minimalistischen Programm einnimmt, ist 'm'orphology für das Minimalistische Programm ohne Bedeutung. "The Minimalist Program strongly implies a system where morphology is neither unified nor autonomous. However, 'M'orphology is given the prominent role in deriving the various computations." (Ramchand 1997) Wie Ramchand feststellt, bleibt in diesem Modell offen, welche speziellen Merkmale der 'M'orphology im Minimalistischen Programm eine Rolle spielen. Ebenso wird zum Verhältnis von 'M'orphology und 'm'orphology keine Aussage gemacht. Zu welchen problematischen Folgen dies führen kann, wurde in der Kritik Spencers deutlich (s.o.). Insgesamt hat die Analyse in diesem Kapitel gezeigt, dass zwei Probleme um funktionale Kategorien noch ungelöst sind: Erstens existiert für die meisten funktionalen Kategorien 8
Ähnlich argumentieren Joseph/Smirniotopoulos (1993) im Rahmen der Diskussion um die clause (IP). Sie zeigen, dass die von Rivero (1990) postulierten funktionalen Kategorien Agreement, Tense, Aspect und Voice für das moderne Griechisch zu einer verzerrten Darstellung griechischer Morphologie führen. Joseph/Smirniotopoulos schlagen als Alternative zu Riveros Modell einen morphologischen Beschreibungsansatz vor.
86 keine Einigkeit darüber, wie sie präzise zu definieren sind und wie sie gegenüber anderen funktionalen Kategorien abgegrenzt werden können. Dies wurde am Beispiel der funktionalen Kategorie D besonders deutlich. Zweitens besteht Unklarheit darüber, ob jedes morphosyntaktische Merkmal eine eigene funktionale Phrase projiziert oder ob nicht einige Merkmale der Morphologie zuzurechnen sind. Im folgenden Kapitel 4.3 wird zunächst versucht, für die funktionalen Kategorien D und Q Definitionen zu finden, und eingeschätzt, ob sie tatsächlich Köpfe ihrer eigenen Phrasen sind. Ob das Minimalistische Programm auch ohne eine Full Functional Projection Hypothesis wirkungsvoll bleiben kann, wird dann in folgenden Abschnitten (Kapitel 4.4) analysiert. Ausgangspunkt für die Diskussion dort ist die Annahme, dass nicht jedes Morphem notwendigerweise eine funktionale Projektion haben muss, wie es Spencer bereits für K ('käse') gezeigt hat. Es werden unter anderem funktionale Kategorien wie Num ('number'), Poss ('possessor') und Agr ('agreement') beleuchtet. Ziel wird es sein, möglichst strenge Maßstäbe für die Zulassung neuer funktionaler Köpfe anzulegen. Es wird sich zeigen, dass viele der vorgeschlagenen funktionalen Projektionen nicht mit dem Minimalistischen Programm vereinbar oder aus anderen Gründen nicht notwendig sind.
4.3 Determinierer und Quantoren in der englischen Nominalphrase
4.3.1 Quantoren als Köpfe oder Adjunkte Der Status aller indefiniten pränominalen Elemente wie all, both, half sowie some, any, every, each, few, many etc. ist innerhalb der generativen Tradition sehr kontrovers diskutiert werden. Diese Formen werden hier unter dem Begriff "Quantor" gefasst, ebenso die Kardinal- und Ordinalzahlen (vgl. dazu auch Vater 1984, 1986). Die Artikel und die Demonstrativpronomina sowie die Possessivpronomina drücken Determination aus und werden im folgenden als Determinierer (im engeren Sinne) bezeichnet. Die Quantoren erhalten ihre Bezeichnung, weil ihre Hauptfunktion im Gegensatz zum definiten Artikel und den Demonstrativpronomina nicht die Determination, sondern die Quantifizierung ist. Im Fall von few, many, much sowie den Kardinal- und Ordinalzahlen ist es sogar möglich oder notwendig, einen definiten Artikel, ein Possessiv- oder Demonstrativpronomen zu benutzen, um die Nominalphrase definit zu machen (im folgenden meine Hervorhebungen): (1)
a. My seven younger brothers and I had to go to work to help our mother. (HH3, 6163) b. She has seen worse, I dare say, these many months. (BPO, 2407) c. Christianity came to Kerala in the first century. (ABJ, 914) d. He admitted the murder in the few words he spoke to the people. (BOR, 990)
87 Andererseits gibt es Quantoren wie all, both oder half, die vor Artikeln oder Demonstrativa positioniert werden.9 Quirk et al. (1985: 253ff.) unterscheiden eine Gruppe von "eigentlichen" Determinierern (nur diese werden von Quirk et al. als (central) determiners bezeichnet) sowie predeterminers und postdeterminers, die vor bzw. nach den "eigentlichen" Determinierern auftreten. Typische Beispiele für predeterminers wären dann all, both oder half, die vor den "eigentlichen" Determinierern the, a, this, that, etc. positioniert sind. Postdeterminers werden von Quirk/Greenbaum weiter in Numeralia und Quantoren unterteilt; typische Beispiele für postdeterminers wären hier etwa two (wie in the two young men) oder few (wie in the few words he spoke). Somit ergibt sich folgendes Bild: Tabelle 10: Einteilung der Determinierer in pre-, post- und central determiners predeterminers all, both, half double, twice, three times,... one-third, two-fifths,... such, what
(central) determiners postdeterminers the, a one, two, three,... this, that, these, those first, second,... my, your, her,... next, last, (an)other,... every, (n)either, each, some, many, (a) few10, several, any, no, enough much, (a) little
Wenn einige Determinierer und Quantoren unterschiedliche Positionen in der DP besetzen, muss geklärt werden, wie Quantoren letztlich im Modell der DP-Analyse eingeordnet werden können. Die Vorschläge reichen von einer Analyse der Quantoren als einen Typ Adjektiv bis zur Postulierung eines neuen funktionalen Kopfes Q (= quantifier), dessen lexikalische Realisierung die genannten Quantoren much, many, etc. sind: (2)
DP D I these
QP Q many
NP months
Im folgenden werden einige dieser Vorschläge zu Quantoren unter besonderer Berücksichtigung des Englischen vorgestellt und kritisch beleuchtet. Der Überblick über diese Vorschläge soll einen ersten Einblick geben, wie für die Postulierung weiterer funktionaler Köpfe in der Nominalphrase argumentiert wird. Die Kategorie Q ist hier bewusst gewählt worden, weil die Quantoren besonders häufig als Kandidaten für funktionale Köpfe diskutiert wurden (vgl. Abney 1987, Shlonsky 1991, Radford 1993, Giusti 1997). Olsen (1989a: 44) gehört zu der Gruppe der Linguist/innen, die auf einen zusätzlichen funktionalen Kopf in der Nominalphrase verzichten. Sie schlägt für das Deutsche folgende 9
10
Die Unterscheidung von Determinierern und Quantoren als zwei verschiedene Klassen mit unterschiedlichen syntaktischen und semantischen Eigenschaften sowie verschiedenen Funktionen in der Nominalphrase ist schon länger in der Literatur etabliert. Insbesondere für das Deutsche hat Vater (1982, 1984, 1986) hier wichtige Beiträge geleistet. Man beachte, dass a zu few bzw. little gehört, da a few bzw. a little mit Massennomina oder Nomen im Plural kollokieren: a few biscuits/a little butter (Quirk/Greenbaum 1973: 66).
88
Lösung vor: Elemente wie jed-, manch- kein-, viel, wenig, einig- werden entweder als nichtdefinite Determinerer oder als "quantificational adjectives" klassifiziert: Tabelle 11: Klassifizierung der Determinierer und Quantoren nach Olsen (1989) D (non-definite) Q (quantificational adjectives) z.B. jed-, manch-, kein-, halb, ganz, viel, wenig, mehrere, sämtlich, all-, beideinig,...
D (definite) article, pronoun, demonstratives
Wie der Name "quantificational adjectives" schon suggeriert, werden diese Quantoren analog zu Adjektiven - als Adjunkte der DP realisiert. Da Englisch und Deutsch eng verwandt sind, wäre es möglich, Olsens Klassifikation fiir das Englische ohne größere Modifikationen zu übernehmen. Olsens Klassifikation lässt jedoch Fragen offen. Wie oben schon erläutert wurde, kann man einige Konstruktionen nennen, in denen mehrere Formen auftreten, die nach Olsen Determinierer sind. Obwohl hier also mehrere Determinierer kombiniert werden, was die DP-Analyse nicht vorsieht, werden die Konstruktionen nicht ungrammatisch: (3)
a. Alle meine Kinder gehen jetzt nach Hause, b. Die beiden Hunde waren sehr schmutzig.
Ähnliches gilt für das Englische: (4)
a. Dreaded blisters on the back of both my heels. (A65, 1927) b. When I was a kid all my teachers had been classified as old. (ASN, 554)
(5)
a. Congressmen pander to the every whim of the president, (vgl. Radford 1993: 93) b. His every action shows that he is a very determined young man. (vgl. Quirk et al. 1985: 257)"
Ferner geht Olsens Modell davon aus, dass einige Quantoren Adjektive sind. Dies bedeutet, sie sind Adjunkte wie alle übrigen Adjektive: (6)
^ Spec
DP D' D """
^
NP ^ N' AP " " " N' I AP""" ^ many red
N flowers
Dieses Modell erklärt nicht, warum quantifizierende Adjektive und "gewöhnliche" (also nicht-quantifizierende) Adjektive nicht vertauschbar sind, obwohl sie beide Adjunkte sind. (7)
a. many red flowers b. *red many flowers
Quirk et al. (1985: 257) betrachten Beispiel (5)a als ungrammatisch.
89 Adjektive haben zwar auch eine stilistisch unmarkierte Reihenfolge, aber eine Vertauschung ist in vielen Fällen grammatisch, zieht jedoch eine veränderte Bedeutung mit sich vgl. (8)
a. rote runde Bälle b. runde blaue Bälle, nicht runde rote Bälle
Die Sache wird sogar noch komplexer, wenn man folgende Beispiele betrachtet, in denen eine Kardinalzahl durchaus mit einem Adjektiv vertauschbar ist: (9)
a. Marias drei Uberraschende Siege b. Marias überraschende drei Siege (vgl. Zimmermann 1991a: 18)
Hier müssen graduelle Unterschiede zwischen Quantoren wie many auf der einen Seite und Kardinalia wie three, drei etc. auf der anderen gemacht werden. Während Kardinalzahlen sich eher wie Adjunkte verhalten, trifft dies auf Quantoren wie many nicht zu. Auch Vater steht einer Einordnung der Quantoren als Adjunkte in der Nominalphrase sehr skeptisch gegenüber, wie sie beispielsweise Jackendoff (1977) vornimmt: Hier wird offengelassen, ob Q komplex sein können, wie Jackendoff 1977 annimmt. Soweit ich sehe, treten Q nur mit Gradpartikeln in enger Verbindung auf: fast alle, nur drei, mindestens
fünf-
zig usw. Ob man daraus ableiten kann, dass diese Sequenzen Q-Phrasen bilden, wage ich nicht zu entscheiden. (Vater 1985: 48)
Schließlich kann man Kritik an Olsens Modell äußern, weil die Rolle der Numeralia, der Ordinalia und der sogenannten 'generellen Ordinalia' wie next oder other nicht berücksichtigt wird, die in der Regel nach Quantoren positioniert sind (10) bzw. auch kombiniert werden können (11): (10)
a. They were a very close family but in the years to come no gathering or wedding, not even simple gatherings, was ever held in any one of their houses. (A6N, 1220) b. Kanazawa Industrial University has 34 of the tiny automatons fetching and replacing some 2000 video and 1000 audio tapes for its 4500 students. (B7M, 644) c. The award is given every two years and it is generally a requirement that the dicovered drug is in therapeutic use. (BOM, 838) d. Was this by choice or because there was no other option? (ALC, 197)
(11)
a. By August 5 the cable had been laid, and Thomson had sent the first two messages over it. (A 19, 1829) b. With every visit to the scales another three or four pounds had vanished. (B19,46)
Bhatt (1990: 77) berücksichtigt in ihrer Untersuchung der deutschen Nominalphrase vor allem die mit den Numeralia zusammenhängenden Probleme. Sie schlägt eine differenziertere Analyse als Olsen vor, in der sie es u.a. bevorzugt, Numeralia als Elemente der funktionalen Kategorie Q zu interpretieren. Sie analysiert Maßausdrücke wie [die zwei Liter Milch] oder [die zwei Stapel Bücher] folgendermaßen:
90 DP
(12) a. b.
\
DET^
QP
die die
Q i zwei zwei
^ . Q' NP N """ Liter Stapel
^ NP Milch Bücher
(vgl. Bhatt 1990: 77)
Quantoren ordnet Bhatt (1990: 216) entweder unter den Determinierem bzw. den (quantifizierenden) Adjektiven ein, oder sie weist ihnen einen ambigen Status zu, da sie - je nach Konstruktion - als Adjektiv oder als Determinerer interpretiert werden können. Die Quantoren solch-, manch-, welch- und jed- gehören zu der Gruppe dieser ambigen Elemente: "Außer beim Gen Sg masc und neutr können solch-, manch-, welch- und jed- aufgrund ihres Flexionsverhaltens entweder als Determinans oder als Adjektiv analysiert werden: [...]."(Bhatt 1990: 206) Als Beispiele nennt sie unter anderem: (13)
a. jedER alte Mann (Det) b. einE jede junge Frau, in jedES teurES Buch (Adj.)
(14)
a. solch teurES Buch (Det) b. solch ein teurES Buch (komplexer Det) c. einE solche teure Marke (Adj.) (vgl. Bhatt 1990: 206, Hervorhebungendort)
Linguisten wie Shlonsky (1991), Radford (1993: 96-97) und Giusti (1997) gehen noch einen Schritt weiter und schlagen vor, nicht nur Determinierer, sondern auch Quantoren als Köpfe ihrer Projektionen zu betrachten. Sie bezeichnen diese neue funktionale Projektion mit QP. 12 Aufgrund dieser Einordnung ist es dann leicht, die folgenden französischen, italienischen und englischen Nominalphrasen strukturell zu beschreiben: (15)
a. [ QP [ q tous] [ DP [ d ces [ NP [ N arbres]]]] b. [ QP [ q plusieurs] [ NP [ N arbres]]] c. [ QP [ q all] [DP [D these] [ NP small cars]]] (vgl. Radford 1993: 97,99)
d. [ QP [ Q tutti] [DP i ragazzi]] 'all the boys' (vgl. Giusti 1997: 114)
Giusti und Radford betrachten vor allem die sogenannten predeterminers wie all als funktionale Köpfe Q. Abney (1987: 338-339) hingegen reserviert den Kopf 'Q' fllr eine ganz andere Klasse von Quantoren: Er plädiert für eine eigenständige funktionale Projektion für postdeterminers wie marry. Ferner besitzt in seinem Modell jedes pränominale Adjektiv eine eigene Projektion: 12
Diese QP ist nicht mit der von Bhatt vorgeschlagenen QP identisch, wie man leicht durch einen Vergleich von (12) und (15) sieht.
91
(16)
[Dp [D e] [QP exceedingly [Q- [ Q many] [AP very [A. [A beautiful] [NP women]]]]] (vgl. Abney 1987: 339)
Betrachtet man nun noch weitere Daten des Englischen, so sind die bisher genannten Analysen aber keineswegs ausreichend, um allen Kombinationen von Determinierern und Quantoren gerecht zu werden. Neben den schon genannten Beispielen existieren Strukturen wie (17) und (18), in denen einige Quantoren miteinander kombiniert werden, sowie Beispiele wie (19), in denen Demonstrativa und Possessiva kombiniert werden. (17)
every five seconds
(18)
a. the first two days b. the last two pages (Quirk et al. 1985:262)
(19)
a. The ways in which I lived out this my own appropriate identity within this vocation were diverse. (ACL, 1477) b. Three patterns of distributions of authorship number are suggested by these my data: [...] (FT4, 1046)
Ferner findet man im BNC auch Kombinationen von Quantoren und von Demonstrativa mit Genitiven: (20)
a. Julio Salinas and Michel scored for the Spaniards, while both Hungary's goals came from Pinter. (A52, 132) b. The following poem by Tennyson describes perfectly for me both Nigel's life story and his philosophy. (CES, 1552) c. ALL Prince's albums have plenty to recommend them, even the somewhat twodimensional Batman. (A8F, 69) d. By comparing the number of phyla, one can say, as Dr Gould does, that there was a wider range of life in one little patch of sea floor than in all today's oceans - though that conclusion ignores the fact that today's oceans contain whales, jellyfish, barnacles and octopuses, whereas the Burgess sea contained only little creepy-crawlies. (ABG, 2966) e. Given the forecast, onset of winter and the state of the weather which washed out more than half yesterday's play, he may not need to stir himself further in this game. (AKM, 345) f. Half Flora's school were Army children. (CMJ, 85) g. THOMAS HARRIS1 book provides half this film's momentum through its psycho violence and invention of Dr Hannibal "The Cannibal" Lecter, lovable liver-eating sociopath psychiatrist, and the rest is largely up to Anthony Hopkins in the role of said Lecter. (CHA, 3190) h. These Mirror's pictures were to rock the world. (CHI, 3718) i. A parliament possessing real power is alien to the country's every tradition. (A57, 116)
Letztlich benötigt man also offenbar eine Vielzahl von möglichen Slots für Determinierer und Quantoren vor der "eigentlichen" NP. (Die "eigentliche" NP besteht laut DP-Analyse
92 lediglich aus Adjektivphrasen und Nomina sowie nachgestellten Attributen und Appositionen.) Tabelle 12: Pränominale Elemente und deren Positionen 1 such all
2 a these
3
4
these
my my
every
both
5
A(P)
five five
every these the
first
the the
last other
five two two two
the the
next
two
the my every the
first two
N shame children children move children children
my my
all
6
seconds children days
good
days rooms rooms men
good
man
good
man
good
man
good
man
good
men
half
Flora's
school
both
Hungary's the country's
goals tradition
half these
every
this film's
momentum
Mirror's
pictures
Allein aufgrund der englischen Daten müsste die Nominalphrasenstruktur folgendermaßen aussehen, wenn man sich rein auf die Distribution der obigen Formen beruft:
(20) DP ^
1
93 Aus der Sicht des Minimalistischen Programms ist eine solche Vielzahl von funktionalen Kategorien zusätzlich zu den bisher vorgeschlagenen Köpfen D und Q kaum erstrebenswert. Zum einen scheint sie gegen das Prinzip zu verstoßen, dass Sprache möglichst ökonomisch ist (vgl. Kapitel 2.3). Zum anderen ist es wenig plausibel, dass ein Kind eine solche Struktur mühelos in kürzester Zeit erwerben sollte. Es spricht also einiges dafür, eine flachere Struktur für die Nominalphrase zu suchen (vgl. Kapitel 4.3.3). Es gibt noch einen weiteren Grund, warum die obige Struktur für die englische Nominalphrase nicht angemessen ist: Selbst eine Postulierung von fünf oder sechs verschiedenen Determinierersubklassen und damit von fünf oder sechs funktionalen Köpfen würde nicht ausreichen, die englische Nominalphrase zu beschreiben. Es existiert nicht nur eine Vielzahl von Determinierern und Quantoren, die der NP vorangehen, sondern deren Position ist zumindest filr einige der vorgestellten Elemente auch noch variabel: (21)
a. The many faces of Cairo await you with four full days to explore this exciting city. (EET, 2166) b. We had many a cheerful chat about that. (FRH, 902)
(22)
a. In addition, because there is such a lack of water, the total biomass is low. (AMS, 1255) b. However, any such trategy requires far more time and continuity of action and work to bear fruit. (B12, 969) c. Soil erosion or some such thing, I don't know. (APY, 1941)
(23)
a. Sixteen people have died within the last two years (CH1, 432) b. Nevertheless, these two last studies cannot exclude areal benefit for the heater probe. (HWT, 229)
Die Diskussion zeigt deutlich, dass eine rein auf Distribution basierende Klassifikation der Determinierer mit einer Reihe von Problemen konfrontiert wird, denn sie kann die Variabilität mancher Determiniererkombinationen beispielsweise nicht erklären. Sie kann ferner nicht erklären, warum beispielsweise all, some und many ähnliches syntaktisches Verhalten zeigen: Sie können alle q/^Konstruktionen bilden, obwohl sie oben in verschiedene Slots einsortiert wurden. Ebenso ist unklar, warum Formen in verschiedenen Slots (all, some, any, many) ähnliche semantische Funktionen haben, nämlich eine Quantifikation ausdrücken. Weil die generative Grammatik ihre Analysen hauptsächlich auf Distribution basiert, führt dies dazu, dass keine der bislang vorgeschlagenen Analysen fur englische Determinierer letztlich befriedigend ist.13
4.3.2 Englische Determinierer, Quantoren und Adjektive als Kontinuum Neben der Frage nach der Zahl der verfügbaren Positionen in der Nominalphrase stellt sich filr Ansätze wie Abney (1987), Radford (1993) und Giusti (1997) noch eine zusätzlich Frage: Kann man eine eindeutige Unterscheidung zwischen der Kategorie der Determinierer und der Kategorie der Quantoren machen, so dass man eindeutig von den funktionalen Köp13
Schanen (1993) äußert ähnliche Kritikpunkte an rein distributionellen Ansätzen, während er die Klassifikation der Form all- im Deutschen diskutiert.
94 fen D und Q sprechen kann? Kann man die Kategorien Q und A von einander abgrenzen? Eine Reihe von Linguisten hat bemerkt, dass die Unterschiede zwischen Quantoren, Adjektiven und Determinierern zu graduell sind, um eine klare Grenzziehung zu erlauben, und sprechen deshalb von einem Kontinuum von Determinierern bis zu Adjektiven (vgl. z.B. Seiler 1978, van Langendonck 1994). Vater (1985: 46) macht eine solche Beobachtung für das Deutsche: Adjektive wie andere, nächste, vorangehende, folgende und letzte, die ebenfalls einen Platz auf einer Skala bezeichnen, stehen den ON [Ordinalzahlen, SR] nahe; ander- kann sogar oft für zweitausgetauscht werden (vgl. am anderen Tag/am zweiten Tag oder die früher übliche Bezeichnung anderes Buch statt zweites Buch, i.S. von "zweites Kapitel"). All das zeigt, dass die Grenze zwischen Q und A fließend ist und dass die ON anscheinend an der Nahtstelle zwischen beiden Klassen anzusiedeln sind - wenn sie nicht überhaupt als reine A mit quantifizierenden Eigenschaften zu werten sind.
Diese Aussage von Vater soll im folgenden durch einige Daten aus dem British National Corpus belegt und differenziert werden. In ihren Eigenschaften und distibutionellem Verhalten lassen sich verschiedene Gruppierungen der Quantoren unterscheiden. So gibt es Quantoren, die sich morphosyntaktisch und distributioneil kaum von Adjektiven unterscheiden, während andere wiederum eher für Adjektive untypische Eigenschaften besitzen. Quirk/Greenbaum (1973: 114) nennen die folgenden Eigenschaften, die "typische" Adjektive kennzeichnen: • Sie können attributiv und prädikativ verwendet werden. • Sie können durch very modifiziert werden (Intensivierung). • Sie besitzen einen Komparativ und einen Superlativ bzw. periphrastische Formen mit more und most. Für alle Eigenschaften existieren allerdings Ausnahmen, z.B. utter, loath, disastrous (vgl. Quirk/Greenbaum 1973: 114, 121). Zusätzlich könnte man noch folgende für Adjektivphrasen typische Eigenschaften nennen: • Sie sind (abhängig von ihren semantischen Eigenschaften) mehr oder weniger untereinander vertauschbar. • Manche sind iterierbar. • Sie können durch Adverbien wie really, approximately modifiziert werden. Im Gegensatz dazu sind folgende Eigenschaften für Adjektive eher untypisch: • komplementäre Distribution mit den Artikeln a(n) oder the • pronominaler Gebrauch • Erscheinen in einer o/Konstruktion ohne einen Artikel, z.B. *(the) handsomest of the boys Aufgrund dieser Kriterien unterscheiden sich Quantoren deutlich von Adjektiven: Die folgenden Beispiele aus dem British National Corpus illustrieren (^Konstruktionen, die fast alle Quantoren im Gegensatz zu Adjektiven eingehen:14 14
Es ließe sich zu diesem Thema der ¿^Komplemente noch einiges anfuhren, z.B. die Unterscheidung zwischen partitiven und pseudopartitiven Konstruktionen in der generativen Syntax (vgl. Selkirk 1977, Jackendoff 1977). Da dieses komplexe Thema jedoch weit über den Rahmen dieser Arbeit hinausgeht und für den Spracherwerb aufgrund mangelnder Daten wenig Relevanz hat, beschränke ich mich hier und im folgenden auf die filr die Arbeit wesentlichen Aspekte.
95 (24)
a. At a major international conference on the slave trade held in Nantes in 1985, it was noted with concern how few of the contributions were on the "Eastern" trade. (HJO, 476) b. Indeed, many of the complex molecules of which they are composed would be liable to fall apart. (AMS, 155) c. There are no clear borders around any of these clusters of goods or services. (FAH, 1287)
Besonders many, much und few teilen aber auch einige Eigenschaften mit den Adjektiven: Sie sind intensivierbar und steigerbar: very many people, more people, most people, few people, fewer people, etc. Many ist darüber hinaus auch noch iterierbar: (25)
a. The word of God was fully preached that afternoon, and many, many souls were saved. (AD2, 337) b. I came across many, many instances of that sort of thing. (B24, 1472)
Many, much und few können attributiv gebraucht werden; ferner ist ein eingeschränkter prädikativer Gebrauch möglich. Die folgenden Beispiele illustrieren den prädikativen Gebrauch von many und few. Bemerkenswert ist in diesen beiden Fällen noch, dass many bzw. few mit einem adjektivisch gebrauchten Partizip koordiniert werden, was auf einen Adjektivstatus von many und few in diesen Konstruktionen hindeutet: (26)
a. Metallic guitar chords, barnstorming organs sounds / the qualities of instrumental rock were many and varied. (AYM, 1399) b. Passage controls were few and well spaced out, so most crews reached Dover with a fairly uneventful run. (HAP, 244)
Allerdings können many, few und much nicht uneingeschränkt mit Adjektiven vertauscht werden. Die einzige Ausnahme scheint good zu bilden, aber die folgenden Beispiele zeigen deutlich, dass good hier nicht als Adjektiv, sondern als Intensivierer für many eingesetzt wird (vgl. auch Dirv6n/Gieger 1989: 390): (27)
a. But many good things have emerged as well. (BNK, 188) b. 'Good many hours of work have gone into that lot,' the Marshal said quietly. (CJX, 2293) c. It is a fair bet that a good many punters were not amused. (A33, 582)
Every nimmt in der Gruppe der Quantoren eine Zwischenstellung ein. Aufgrund seiner Bedeutung kann es im Gegensatz zu many weder gesteigert noch intensiert noch prädikativ gebraucht werden. Eine Kombination von every mit einem weiteren Determinierer oder mit einem Genitiv ist in seltenen Fällen möglich. In diesen Fällen fungiert every wie ein attributives Adjektiv: (28)
a. You have my every sympathy. (AN7, 1957) b. The difference is, the Luciferi have someone close to our heart who betrays our every step and turn. (HH5, 1093) c. Kevin Coley was busy supervising four different video cameramen to capture Trace's every stroke of genius on the field. (CAO, 815)
96 Die Kardinalia teilen einige Eigenschaften mit den bisher genannten Quantoren, andere Eigenschaften aber mit den Adjektiven. Wie die Quantoren some und any können Kardinalzahlen in o/Konstruktionen und pronominal auftreten: Seven (of us) remained behind. Wie Adjektive können Kardinalzahlen attributiv und prädikativ verwendet werden: (29)
a. Over the next 16 pages, our five beautiful plans, taken from real-life situations will provide you with plenty of inspiration. (HSK, 287) b. And er, as there were seven of us you can imagine that was a bit of a problem. (G4R, 5) c. At home we are five. (Dirvön/Gieger 1989: 393)
Ferner sind englische (und auch deutsche) Kardinalzahlen eingeschränkt mit Adjektiven vertauschbar: (30)
a. my five beautiful children b. my beautiful five children c. They have five small children at home. (BNC, GV3, 581) d. Ismail five children15
(31)
a. Marias drei überraschende Siege b. Marias Uberraschende drei Siege (vgl. Zimmermann 1991a: 18)
Natürlich geht mit der Vertauschung der Formen eine Bedeutungsänderung der Nominalphrase einher, aber dies ist auch bei der Vertauschung "gewöhnlicher" Adjektive der Fall. Zimmermann (1991a: 19) weist ferner daraufhin, dass Kardinalzahlen wie Adjektive durch Modifizierer (z.B. precisely, approximately) zu einer vollen Phrase erweitert werden können. Die Ordinalzahlen schließlich haben eine noch stärkere Ähnlichkeit mit Adjektiven als Kardinalzahlen. Sie sind zwar aufgrund ihrer Bedeutung weder steigerbar noch intensivierbar, aber sie können mit Adjektiven und Kardinalzahlen vertauscht werden: (32)
a. the first two days b. the beautiful first day c. the beautiful first two days d. the first two beautiful days
Ordinalzahlen treten weder in o/Konstruktionen auf noch können sie pronominal verwendet werden, womit sie sich deutlich von Quantoren wie some, five, many oder each unterscheiden. Eine noch deutlichere Zwischenstellung zwischen Quantor und Adjektiv nehmen generelle Ordinalia ('general ordinals') wie other, next, etc ein. Insgesamt ergibt sich folgendes Bild:
15
Während die Kombination five small immerhin 28 Mal im BNC belegt ist, existiert kein Beleg für small five im Korpus.
97
1 «
S
T
C a cardinal > ordinal > speaker-oriented > subject-oriented > manner > thematic le sue due altre probabili goffe reazoni immediate alla tua lettura (vgl. Cinque 1994: 95, 96) Eine solche Reihenfolge wäre leicht erklärbar, wenn man von einer hierarchischen Organisation der funktionalen Projektionen ausgeht, in deren Spezifizierern die APs generiert werden. (31) DP ^ possXP
D Spec'
possX' possX Spec
cardYP ___ cardY' cardY ordWP Spec ~~ ^ ordW' ordw'' Spec |
le
sue
due
altre
sp-orZP sp-orZ1 sp-orZ
probabili
subj-orHP goffe reazoni
Ferner bemerkt Cinque, dass die Zahl der nicht-koordinierten attributiven APs innerhalb der DP beschränkt ist. Nimmt man eine feste Zahl von funktionalen Projektionen an, in deren Spezifizierern die APs positioniert sind, wäre dies unmittelbar einsichtig. Insgesamt kommt Cinque zu dem Schluss, dass die Struktur der Nominalphrase folgendermaßen auszusehen hätte: [DP D [Xp possX [Yp cardY [ WP ordW [ ZP sp-orZ [Hp subj-orH [ NP [them/mann] N]]]]]]] (vgl. Cinque 1994: 97) Cinques Lösung ist letztlich nur eine formale Beschreibung einer idealisierten Situation. Tatsächlich ist die Ordnung der Adjektive keineswegs so starr, wie sie Cinques Modell zufolge sein sollte (meine Hervorhebungen):
35
(32)
a. the big green car b. the green big car (Abberton 1977: 30)
(33)
a. Why were the large new steelworks and rolling mills built in a different part of Sheffield from the old cutlery works? (BNC, B1H, 2238)
Cinques Erkenntnis ist nicht neu. Bereits lange vor ihm haben sich eine Vielzahl von Linguisten mit dem Thema auseinander gesetzt, teilweise aus semantischer Sicht, teilweise aus syntaktischer (vgl. beispielsweise Vendler 1968, Crystal 1971, Bache 1978, Hetzron 1978).
123 b. Why are the new large mines much deeper? (BNC, B1H, 2292) (34)
a. Marias drei überraschende Siege b. Marias überraschende drei Siege (vgl. Zimmermann 1991a: 18)
(35)
a. my five beautiful children b. my beautiful five children
(36)
a. the first two pages b. the two first pages
Einige Daten aus dem British National Corpus bestätigen ebenfalls, dass es sich bei der Reihenfolge der pränominalen Adjektive nur um eine Tendenz handelt, die je nach Kombination der Adjektive mehr oder weniger stark ausgeprägt ist: Tabelle 14: Kombinationen von Adjektiven und Quantoren und deren Häufigkeit Kombination prSnominaler Adjektive und Quantoren new large large new first two two first big green green big new red red new
Anzahl im British National Corpus 19 41 1492 41 31 0 29 0
Mit diesen Variationen pränominaler Adjektivfolgen hatten bereits die Linguisten zu kämpfen, die in der Vergangenheit die Ordnung der prämodifizierenden Adjektive durch Einteilungen in semantische Klassen zu erklären suchten (vgl. beispielsweise Crystal 1971, Dixon 1977, Seiler 1978b, Sichelschmidt 1989). Crystal (1971: 139) etwa geht von folgender Einteilung der Adjektive in semantische Klassen aus, um die Reihenfolge pränominaler Adjektive zu erklären: Tabelle 15: Einteilung der Adjektive in semantische Klassen nach Crystal (1971)
those
Size large
Age new
Colour red
Nationality English
Material wooden
chairs
Cinques Modell ist letztlich nur ein vergleichbarer Ansatz, allerdings formuliert mit den Beschreibungskategorien des Minimalistischen Programms. Die Schwächen dieses Modells bleiben jedoch die gleichen: Es ist wie seine Vorgänger zu starr, um den Variationen gerecht zu werden, und es lässt auch keine fließenden Übergänge zu. Abberton (1977), die im Zuge einer Korpusanalyse zur Nominalphrase prämodifizierende Elemente ausführlich klassifiziert, muss am Ende ihrer Analyse der Adjektive ebenfalls eingestehen, dass ihre äußerst feine Unterscheidung in Adjektivklassen noch nicht ausreichend ist:
124 This scheme recognises some degree o f predictable ordering. Not all categories are equally fixed as to their position in the order sequence, nor are the categories themselves final: further investigation might reveal, for example, an obvious "shape" class placed near "colour". (Abberton 1977: 46)
Darüber hinaus liefert Cinque ebenso wie die oben genannten semantischen Ansätze lediglich eine Beschreibung des Phänomens, ohne es zu erklären. Die zentrale Frage lautet: Warum ist die Reihenfolge der pränominalen Adjektive so und nicht anders? Cinque sorgt lediglich für eine Umformulierung der Frage: Warum ist die Reihenfolge der funktionalen Köpfe so, wie Cinque sie vorschlägt? Cinques Modell hat ferner den Nachteil, dass er die Reihenfolge der pränominalen Adjektive auf ein rein syntaktisches Phänomen, eine Hierarchie funktionaler Köpfe zurückführt. Semantische oder pragmatische Überlegungen haben in diesem Modell keinen Platz mehr. Damit blendet er aber eine Reihe von Ergebnissen aus der Semantik aus, die für einen Teil der Anordnung pränominaler Adjektive Rechnung tragen können. So stellt beispielsweise Schecker (1993: 118) fest, dass Adjektive, die gleichermaßen "affektiv besetzt" sind, eher miteinander vertauschbar sind. Als Beispiele nennt er unter anderem klein und abgelegen, die in der Nominalphrase das abgelegene kleine Dorf das kleine abgelegene Dorf vertauschbar sind. Über die bereits genannten Probleme hinaus lässt Cinques Modell ferner einige Fragen offen, unter anderem ist noch nicht geklärt, zu welcher Kategorie die von ihm postulierten funktionalen Köpfe gehören. Sie werden lediglich als "funktional" bezeichnet und provisorisch mit einem Buchstaben (X, Y, Z, W und H) als Label versehen; Weiteres wird von Cinque (1994: 106) für zukünftige Forschungen offen gelassen. Innerhalb des Minimalistischen Programms, wie Chomsky (1993, 1995c) es beschreibt, wären diese funktionalen Köpfe nicht lizensiert, denn If the general approach [...] can be sustained, then the only functional categories are those with features that survive through derivation and appear at the interfaces, where they are interpreted. (Chomsky 1995c: 378)
Die von Cinque vorgeschlagenen funktionalen Köpfe sind leer, d.h sie können bestenfalls als "phonetisch nicht realisiert" auf der Ebene PF interpretiert werden. Da die funktionalen Köpfe allein (ohne ihre Spezifizierer) zumindest in Cinques Vorschlag keinerlei semantischen Gehalt haben, hätten sie auf der Ebene LF keine interpretierbaren features. Nach dem oben genannten Kriterium Chomskys hätten also diese funktionalen Köpfe keinen Platz im Minimalistischen Programm. Weil selbst die theorieinterne Motivation für diese funktionalen Projektionen auf sehr schwachen Beinen steht, sollten auch die von Cinque (1994) vorgeschlagenen funktionalen Köpfe aus dem Minimalistischen Programm entfernt werden.
4.4.4 Genitive und der funktionale Kopf Poss Ein weiterer funktionaler Kopf, der im Zusammenhang mit der Analyse von Genitiven vorgeschlagen wurde, ist die Kategorie Poss, die im folgenden beschrieben und kritisch be-
125 trachtet wird. Fassi Fehri (1992: 49) konstatiert die vielzitierte strukturelle Ähnlichkeit zwischen VP und NP, insbesondere zwischen Subjekt und Possessor, wie sie auch in Abney (1987) beschrieben wird. Vereinfacht ließen sich die Strukturen beispielsweise so darstellen (ohne Berücksichtigung der funktionalen Projektionen T oder Agr): (37) / SPEC
(38) ^ SPEC
IPI' VP
I ' SPEC Subjekt John t
is
t
DP D' D '
NP SPEC N' Possessor N t building a ship
V' / building a ship
J
John t
^
's I
In beiden Fällen wird davon ausgegangen, dass das Subjekt/der Possessor zunächst als Spezifizierer von VP bzw. NP erscheint. Erst danach wird John in die Spezifiziererposition von IP bzw. DP bewegt. Weil die Strukturen so parallel sind, zieht Fassi Fehri (1992: 49) daraus den Schluss, dass der Possessor in der DP durch eine ähnliche Strategie lizensiert36 werden sollte wie das Subjekt in der IP: Weil dem Subjekt in der IP zunächst vom Verb eine Thetarolle zugewiesen wird, müsste also analog auch dem Possessor durch das Nomen eine Thetarolle zugewiesen werden. Vielen Nomen fehlt aber die Fähigkeit zur Thetamarkierung (beispielsweise alle nicht-deverbalen Nomen wie house, free, watch, etc.). Also postuliert Fassi Fehri einen abstrakten funktionalen Kopf, der den Subjekten in der Nominalphrase ihre Thetarolle Poss(essor) zuweist. Der funktionale Kopf wird von Fassi Fehri der Einfachheit halber ebenfalls mit Poss bezeichnet. Poss ist abstrakt und daher in der Regel nicht mit phonetischem Material gefüllt; allerdings räumt Fassi Fehri (1992: 59) die Möglichkeit ein, dass die Nounation (ein Definitheit markierendes Suffix [n] im Standard-Arabischen) eine lexikalische Realisierung dieses funktionalen Kopfes sei. Da Fassi Fehri auch die Existenz der funktionalen Projektionene AgrP und DP für die Nominalphrase voraussetzt, hat die Nominalphrase unter diesen Annahmen folgende universelle Struktur (abgesehen von der Reihenfolge der Konstituenten, die parametrischer Variation unterliegt): (39)
DP D' D
"
AgrP Agr SPEC
PossP ^ Poss' Poss"" N
NP
(vgl. Fassi Fehri 1992: 53, 54)
36
Eine DP ist lizensiert, wenn ihr eine Thetarolle und Kasus zugewiesen wird.
126 Man beachte, dass die Postulierung des funktionalen Kopfes keine Bedeutung für die Kasusmarkierung hat, die nach Fassi Fehri weiterhin durch D oder Agr erfolgt. Problematisch ist Poss aus der Sicht des Minimalistischen Programms, weil es rein theorieintern motiviert ist. Poss hat lediglich die Funktion, unter Spezifizierer-Kopf-Relationen eine Thetarolle zuzuweisen, aber Fassi Fehri nennt keine Poss-eigenen Merkmale, die in LF interpretierbar sind. Da die Nounation als lexikalische Realisierung von Poss für Definitheit verantwortlich ist und DPs mit Possessorphrasen [+ definit] sind, wäre es möglich, Poss zumindest das abstrakte Merkmal [+/- definit] zuzugestehen, das in LF interpretiert würde. Ein schwerwiegenderer Einwand gegen die obige Struktur (39) ist mit dem Anspruch auf Universalität verknüpft: Poss ist für die Zuweisung einer Thetarolle an Subjekte vieler Nominalphrasen zuständig, aber welche Rolle spielt Poss für DPs mit deverbialen Nomina, die bereits ihre eigene Thetarolle zuweisen und daher Poss nicht benötigen, um das Thetakriterium zu erfüllen? Fehlt Poss in diesem Fall in der Nominalphrasenstruktur? Wäre dies nicht ein Widerspruch zur reklamierten Universalität der Struktur von (39)? Bliebe Poss in diesem Fall leer bzw. hätte es keine Thetarolle zuzuweisen? Diese letzte Option wäre durch die Restriktionen des Minimalistischen Programms versperrt: Eine funktionale Kategorie ohne Funktion und Inhalt ist nach der Ökonomie der Repräsentation nicht zulässig. Weiterhin ist nicht klar, welche Art von Thetarolle Poss zuweisen würde - zumindest müsste sie wesentlich genereller und vager aufgefasst werden als die "klassischen" Thetarollen AGENS, THEMA, etc. Um dies sich deutlicher vor Augen zu führen, betrachte man folgende Beispiele aus Anderson (1984: 4, 5, 11): (40)
a. Robert's house is white. b. John's reconstruction of an 18th Century French village was damaged in the fire. c. John's reconstruction of the crime required deductive skills.
(41)
a. Yesterday's events were depressing. b. Last year's weather was unusual.
Anderson macht eine klare Unterscheidung zwischen Konstruktionen wie (40)c, in denen das Nomen eine eindeutige Thetarolle zuweist, und Konstruktionen wie (40)a und (40)b, in denen das Subjekt der Nominalphrase (John, Robert) eher lose mit dem Kopfnomen verknüpft ist - so könnte Robert in (40)a der Besitzer oder Mieter des Hauses sein, ebenso könnte John der Besitzer, Hausmeister, Bewunderer, Entdecker oder Erbauer der Rekonstruktion sein (Anderson 1984: 4, 5). Die Beispiele (41)a, b sind sogar noch ungewöhnlicher, weil hier Nomen mit adverbialer Funktion als Genitive auftreten, deren Bedeutung kaum noch mit "Possessor" umschrieben werden kann. Auf sie soll später eingegangen werden. Was jedoch (40) betrifft, so ist eine funktionale Kategorie Poss nicht unbedingt notwendig, um die Subjekte der Nominalphrase zu lizensieren. Es ist ebenso denkbar, dass Thetarollen durch das Kopfnomen N nach der folgenden Regel zugewiesen würden: Regel 1: Falls das Nomen deverbal ist, kann die externe 3 7 Thetarolle des Verbes an das Nomen vererbt werden. Diese wird dem Subjekt der Nominalphrase zugewiesen.
37
Die externe Thetarolle ist die, die vom Verb an das Subjekt verliehen wird.
127 Regel 2 ( d e f a u l t case): N weist seinem Subjekt die Thetarolle "Possessor" zu.
Regel 1 ist für (40)c verantwortlich, Regel 2 für (40)a. Für (40)b sind so viele Interpretationen des Subjektes möglich, weil der Satz ambig ist. Erstens ist eine Thetarollenzuweisung nach Regel 1 möglich, wenn reconstruction als the action of reconstructing interpretiert wird: John's reconstruction of an 18th Century French village was damaged in the fire. [AGENS] Zweitens ist es auch möglich, reconstruction nicht als Handlung, sondern als Objekt, das Ergebnis dieser Handlung ist, zu betrachten. In diesem Fall kann reconstruction nur eine Thetarolle nach Regel 2 zuweisen. Dann kann das Subjekt der Nominalphrase nur noch so interpretiert werden, dass es in einem Besitzverhältnis (im weitesten Sinne) zu diesem Objekt steht. In (40)c ist durch den Zusatz des Objektes the crime nur eine Lesart von reconstruction als Handlung möglich. Die Postulierung eines funktionalen Elementes Poss bietet gegenüber der jetzt genannten Lösung keinerlei Vorteile. Außer der Thetamarkierung hat Poss keine weiteren Funktionen; die Kasusmarkierung erfolgt in Fassi Fehris Modell weiterhin durch D oder Agr. Die oben vorgeschlagene versuchsweise Belegung des Kopfes Poss mit dem Merkmal [+/- définit] ist auch nicht zwingend. Intuitiv hat [+/- définit] seinen Sitz bei D. Dass Nominalphrasen mit einem Possessor [+ définit] im Englischen und im Standard-Arabischen interpretiert werden müssen, könnte beispielsweise - wie in Fassi Fehri (1992: 49) ohnehin vorgesehen - durch einen Perkolationsmechanismus vom Subjekt der Nominalphrase an das übergeordnete Kopfnomen der Nominalphrase geschehen. Abschließend sollen hier noch einige Bemerkungen zu den oben schon genannten adverbial gebrauchten Genitiv-NPs 38 in (41) fallen, die hier noch einmal wiederholt werden: (41)
a. Yesterday's events were depressing. b. Last year's weather was unusual.
Diese Genitiv-NPs sind nicht nur in Genitivkonstruktionen, sondern generell aus der Sicht der generativen Grammatik problematisch, vgl.: (42)
a. The events [yesterday] were depressing. b. The weather was unusual [last year].
Es ist unklar, wie die NPs \yesterday] und [last year] lizensiert sind, da keine Thetarollenzuweiser verfügbar sind. Es werden verschiedene Lösungen vorgeschlagen, u.a. "unsichtbare" Präpositionen (Anderson 1984), die Kasus- und Thetarolle vergeben. Fest steht, dass die Genitiv-NPs in (41) Thetarollen nicht von dem Kopfnomen (events, weather) beziehen und Poss hier nicht notwendig wäre. Das hier vorgeschlagene Alternativmodell zu Fassi Fehri müsste wahrscheinlich noch um eine Sonderregel für diese adverbial gebrauchten Nominalphrasen erweitert werden.
38
Ich klassifiziere diese Nominalgruppen als NPs, weil ein Determinierer offensichtlich in diesen Konstruktionen nicht zulässig ist: *The weather was unusual the last year.
128 Regel 3: Thetarollenzuweisung an einen Genitiv innerhalb der Nominalphrase ist nur zwingend erforderlich, wenn die Genitiv-DP/NP nicht schon anders lizensiert ist. Orts- und Zeit-NPs wie yesterday oder last year sind bereits lizensiert und benötigen keine Zuweisung einer Thetarolle durch ein Verb oder Nomen.
Für Genitive mit Orts- und Zeit-DPs eine Sonderregelung einzuführen macht auch deshalb Sinn, weil diese Genitive auch in anderen Zusammenhängen ungewöhnlich sind und deshalb eindeutig Sonderfälle sein müssen. Ungewöhnlich an diesen Orts- und Zeit-NPs im Genitiv ist beispielsweise die Möglichkeit, sie nach Artikeln, anderen Genitiven und attributiven Adjektiven in der Nominalphrase zu verwenden. Dies zeigen die folgenden Daten aus dem British National Corpus (meine Hervorhebungen): (43)
a. The journey by train form Cambridge to Lincoln was tedious, involving several changes, and on arrival I was met by the usual RAF truck for the half hour's run into Binbrook village and from there up the steep hill to the RAF Station on its plateau above the low lying plains. (BNC, B3F, 991) b. Oh no, her mother's opinion had been, if Jessie didn't want to serve in the shops then she could help with the housework and learn to cook, and so save Maggie Rice's half week's wage of six and threepence, for Maggie was on what her mother called half-days, which started at eight and finished at one. (BNC, AT7, 95) c. Physical exercise is becoming known as a valuable tool in treating depression, and if you find that hard to believe just try forcing yourself into a vigorous half hour's sport, jogging or even just a brisk walk next time you feel low, and note the lift in your mood afterwards. (BNC, C94, 991)
Die Beispiele suggerieren, dass diese Zeit-NPs nicht im Spezifizierer der DP positioniert sind, sondern vielmehr Adjunkte in der DP sind, die parallel zu attributiven Adjektiven auftauchen können. Die Zeit-NPs brauchen also offenbar weder eine Thetarolle noch eine Position D°, die ihnen den Genitiv zuweist bzw. checkt. Insgesamt ist Fassi Fehris Vorschlag, einen funktionalen Kopf Poss einzuführen, wenig überzeugend. Der Vorschlag wird den Daten nicht gerecht, weil die Thetarollenzuweisung wesentlich differenzierter betrachtet werden muss, als es in Fassi Fehris Modell möglich ist - beispielsweise die Behandlung der Zeit- und Orts-NPs. Mit der Hilfe der oben genannten drei Regeln für Thetamarkierung kann eine flachere Struktur für Nominalphrasen, insbesondere für Genitive beibehalten werden; ein funktionaler Kopf Poss ist nicht notwendig:
129 (44)
DP
/
\
SPEC D
D'
/
\
NP
/ John t _
4.5
\
SPEC N' Possessor N t building
a ship
J
Zusammenfassung
Wie in den vorangegangenen Kapiteln gezeigt wurde, ist die Struktur der Nominalphrase flacher, als die bisherigen Vorschläge dies erscheinen ließen. Insbesondere entsprechen die meisten der vorgeschlagenen funktionalen Köpfe nicht den Anforderungen des Minimalistischen Programms, insbesondere nicht den Prinzipien der vollständigen Interpretation und dem Prinzip der Ökonomie der Repräsentation. Eine komplexe, stark hierarchisierte Struktur wie beispielsweise die folgende ist für die Beschreibung der Nominalphrase weder ausreichend noch notwendig:
(1) KP S p e c ^ K' K " DP^ Spec ^ D' D" ^QP Spec Q^ Spec
NUMP ^NUM' s NÜM PossP Spec ^ Poss' Poss ^AgrP Spec ^ Agr' Agf "NP
Für funktionale Köpfe wie K wurde schon durch Spencer (1992) festgestellt, dass sie zumindest im Türkischen unplausibel sind. In der hier vorliegenden Studie wurde außerdem gegen die Notwendigkeit funktionaler Köpfe wie Poss argumentiert, weil sie weder semantische noch phonetische Merkmale besitzen und somit weder auf der Ebene LF noch auf der
130 Ebene PF repräsentiert werden. Gleiches gilt auch für die Vielzahl der funktionalen Köpfe, die Cinque für die Positionierung pränominaler Adjektive vorschlägt (vgl. Kapitel 4.4.3). Bei der Analyse einiger Vorschläge zu weiteren funktionalen Köpfen in der Nominalphrase wurde festgestellt, dass zwar Evidenz aus einzelnen Sprachen für eine zweite funktionale Projektion außer D existiert (Ritter 1991, 1995 für NUM, Ouhalla 1991 für Agr). In keinem dieser Vorschläge wurden aber überzeugende Argumente für den Status dieser zusätzlichen Kategorie geliefert, die über Verweise auf Eigenschaften funktionaler Kategorien hinausgingen. Dass Agr oder NUM dem von Abney (1987) genannten Katalog der Eigenschaften funktionaler Kategorien entspricht, ist noch kein Nachweis, dass diese Kategorien tatsächlich ihre eigenen Projektionen AgrP bzw. NUMP besitzen. Dass der Katalog der Eigenschaften funktionaler Kategorien problematisch ist und keinesfalls als Kriterium für Kopf-Status zu gebrauchen ist, wurde schon in Kapitel 3 ausführlich diskutiert. In der vorliegenden Arbeit wurde vorgeschlagen, die Evidenz für eine zweite funktionale Kategorie in Sprachen wie Hebräisch, Ungarisch oder Türkisch zu akzeptieren, nicht aber die Klassifizierung dieser zweiten funktionale Kategorie als NUM oder Agr. Statt dessen wurde diese Kategorie einheitlich mit Q bezeichnet. Zumindest für das Hebräische und das Ungarische existieren Hinweise, dass diese Kategorie Q tatsächlich durch Quantoren besetzt wird (siehe Kapitel 4.4.1). Eine funktionale Kategorie Poss oder die von Cinque (1994) vorgeschlagenen funktionalen Kategorien wurden für das Minimalistische Programm sogar ganz abgelehnt. Mit dieser Strategie, für möglichst viele Sprachen nur von den funktionalen Kategorien D und Q auszugehen, ist die Zahl der funktionalen Kategorien in der Nominalphrase erheblich eingeschränkt. Darüber hinaus bestehen jetzt wieder Parallelen zur clause, für die Chomsky (1995c) von einem Minimum lexikalischer und funktionaler Köpfe, V, v39 und T {tensé), ausgeht. Für die Nominalphrase wird nun ebenfalls von einem Minimum von drei Köpfen ausgegangen - N, Q und D. Vergleiche zwischen den untersuchten Sprachen legen ferner die Vermutung nahe, dass der nominale Bereich stark der parametrischen Variation unterliegt. Wenn man lediglich die Kategorien N, A, D und Q betrachtet, so wurde in Kapitel 4.4 gezeigt, dass im Hebräischen, im Ungarischen und Türkischen offenbar Evidenz für eine zweite funktionale Kategorie Q vorliegt. Die Daten aus dem Englischen dagegen sind widersprüchlich, wie in Kapitel 4.3 demonstriert wurde. Ferner wird von Giusti (1997) überlegt, ob Demonstrativa zumindest in einigen romanischen Sprachen eine eigene funktionale Projektion (zusätzlich zu D) besitzen. Die Auswahl der funktionalen Kategorien unterliegt also der Variation: Jede Sprache wählt aus einem (vermutlich universellen) Satz möglicher funktionaler Köpfe (D, Q, Dem, etc.) die für sie gültigen funktionalen Köpfe aus. Gemäß dem Prinzip der Ökonomie der Repräsentation wird es sich um den kleinstmöglichen Satz funktionaler Kategorien handeln, der für die Darstellung der sprachspezifischen Strukturen notwendig ist. Die parametrische Variation und damit die Auswahl dieser funktionalen Köpfe für die einzelne Sprache ist wahrscheinlich sogar historisch wandelbar, wie beispielsweise schon für den verbalen Bereich durch van Gelderen (1993) festgestellt wurde.
39
Das 'light verb' v wurde zum ersten Mal von Lasnik (1988) postuliert, um Konstruktionen mit direktem und indirekten Objekt (double object constructions)
innerhalb des generativen Ansatzes
zu beschreiben, und wird von Chomsky (1995c) aufgegriffen. Die Annahme eines solchen 'light verbs' ist nicht ganz unumstritten, vgl. dazu Jackendoff (1990) und Larson (1990). Eine einfache Einführung in das Thema bietet Radford (1997).
131
Mit diesen Vorschlägen folgt die vorliegende Arbeit den Ansätzen Iatridous (1990), van Gelderens (1993) und Thräinssons (1997), die schon für die IP feststellen, dass nicht jeder bisher vorgeschlagene funktionale Kopf (AgrS, AgrO, T, Asp, etc.) tatsächlich in jeder Sprache vorhanden sein muss. Die hier vorliegende Arbeit liefert eine Ergänzung der Arbeiten Iatridous, van Gelderens und Thräinssons, weil hier die funktionalen Köpfe in der Nominalphrase diskutiert werden, auf deren Legitimation bislang kaum eingegangen wurde.40 Über diese Art der Parametrisierung hinaus wurde in Kapitel 4.4 festgestellt, dass auch die funktionale Kategorie Q selbst parametrischer Variation unterliegt. Die Regel soll hier noch einmal wiederholt werden: (2)
a. Ungarisch (Türkisch, Chamorro): Q besitzt ein starkes Merkmal [+N], so dass Bewegung zu Q bzw. [SPEC, Q] möglich und notwendig ist, um Kasus zu checken. b. Englisch: Q hat nur ein schwaches [+N], d.h. es stellt keine Spezifiziererposition für Bewegungen bereit.
Speziell für die englische Sprache wurden lediglich Hinweise für die funktionalen Kategorien D und Q in der Nominalphrase gefunden. Dabei wurde festgestellt, dass speziell im Englischen, aber auch in anderen Sprachen wie beispielsweise im Deutschen, die Kategorie Q einen Zwischenstatus besitzt. Zum einen hat sie die Eigenschaften einer semilexikalischen Kategorie, d.h. sie befindet sich auf einem Kontinuum zwischen lexikalisch und funktional. Zum anderen besitzt Q einen Zwischenstatus, weil Q in der Nominalphrase nicht immer eindeutig als Adjunkt fungiert, aber auch kein eindeutiger zusätzlicher funktionaler Kopf in der englischen Nominalphrase ist. Auch diese Art der Variation kann als Parametrisierung der funktionalen Kategorien gedeutet werden. Thräinsson (1997) stellt bei seiner Analyse funktionaler Kategorien fest, dass die Anwesenheit funktionaler Kategorien nicht nur zwischen verschiedenen Sprachen, sondern auch innerhalb einer Sprache variieren kann. Betrachtet man die englischen Daten, so scheint noch eine weitere Art der Variation innerhalb einer Sprache möglich zu sein: Ob eine Form als funktionaler Kopf fungiert, scheint von der individuellen Konstruktion abzuhängen. So fungiert every bespielsweise als Kopf Q in der Nominalphrase [every week], aber in [my every move] ist es ein Adjunkt mit adjektivischen Eigenschaften. Gleiches gilt für many, das in many of us ein funktionaler Kopf Q mit einer PP als Komplement ist, aber in the many, many children als Adjunkt eingeordnet werden kann. Innerhalb des Minimalistischen Programms wurde versucht, diese Art der Variation durch latente Merkmale [+/-Kopf] und [+/-Q] zu beschreiben: Nur wenn every als Kopf Q in der Nominalphrase eingesetzt wird, werden diese Merkmale aktiv. Für den Erstspracherwerb hat dies interessante Konsequenzen. So ist es möglich, dass Kinder den semi-lexikalischen Kopf Q zunächst ausschließlich als Adjunkt verwenden und erst später Formen wie all, many oder every als Köpfe ihrer eigenen Projektionen begreifen. Diese Vorstellung ist für den Bereich des Satzes bereits geäußert worden: Hoekstra/Jordens (1994) argumentieren für Modalverben und Negation, dass sie im frühen Kindesalter zu40
Löbel (1997) erwägt die Möglichkeit, dass die Kategorie NUM (number) nur in einigen Sprachen wie Swahili als funktionaler Kopf realisiert wird, in anderen Sprachen jedoch nicht - dies ist m.E. eine der wenigen Arbeiten, in denen auf Variation funktionaler Kategorien im nominalen Bereich eingegangen wird.
132 nächst als Adjunkte verwendet werden, bevor die Kinder funktionale Projektionen wie IP oder NegP produktiv verwenden. Ob Kinder auch im nominalen Bereich zunächst einige Formen als Adjunkte analysieren, die in der Erwachsenensprache funktionale Köpfe sind, wird in den folgenden Kapiteln (5 und 6) genauer untersucht. Auch die hier gezogenen Schlüsse zur parametrischen Variation zwischen Sprachen haben für Theorien des Erstspracherwerbs Konsequenzen. Wenn nicht mehr alle funktionale Köpfe in allen Sprachen realisiert werden, muss das Kind während des Spracherwerbs eine Auswahl aus den funktionalen Köpfen treffen, die in der UG zur Verfügung stehen. Thräinsson (1997: 261) stellt für dieses Problem folgende These auf: [...] I want to claim that a child acquiring [language] L is guided by the prinicple stated in (6): (6)
The Real Minimalist Principle (RMP) Assume only those functional categories that you have evidence for.
Weitere wichtige Fragen in diesem Zusammenhang lauten: Wie wird ein funktionaler Kopf als solcher erkannt? Wird im Erstspracherwerb eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen lexikalischen und funktionalen Kategorien gemacht? Wie werden die Parameter für die funktionalen Köpfe gesetzt? Wie wird der Erwerb funktionaler Kategorien vollzogen? Solche und ähnliche Fragen sind in den letzten Jahren zunehmend in den Blickpunkt der Erstspracherwerbsforschung gerückt (vgl. z.B. Radford 1990, Weissenborn/Goodluck/ Roeper 1992a, Meisel 1992, Hoekstra/Schwartz 1994, Clahsen 1996, Dittmar/Penner 1998). In der vorliegenden Arbeit interessiert ferner, ob die für die Erwachsenensprache aufgestellten Thesen sich durch Daten aus dem Erstspracherwerb bestätigen lassen. Gibt es auch in Erstspracherwerbsdaten Evidenz für zwei funktionale Kategorien, D und Q, in der englischen Nominalphrase? Insbesondere stellt sich die Frage, wie die halblexikalische Kategorie Q von englischsprechenden Kindern erworben wird. Wenn viele Quantoren weder eindeutig lexikalisch noch funktional ist, ist es auch interessant, ob Quantoren gemeinsam mit lexikalischen Kategorien oder mit funktionalen Kategorien erstmals auftauchen.
Zweiter Teil: Funktionale Kategorien im Erstspracherwerb
5 Die Entwicklung funktionaler Kategorien im Kindesalter: theoretische Modelle im Vergleich
5.1
Einleitung
Wie in den vorangegangenen Kapiteln erläutert wurde, ist eine der wichtigsten Entwicklungen innerhalb der Government/Binding-Theorie die Feststellung von z.B. Stowell (1981), Chomsky (1986) oder Abney (1987), dass es neben den lexikalischen Projektionen NP, VP, AP und PP auch funktionale Projektionen gibt. Kurz nach dieser Richtungsänderung in der Syntax Anfang der achtziger Jahre setzte ein verstärktes Interesse an Spracherwerb und Spracherwerbstheorien ein. Beide Entwicklungen reflektieren das Bestreben innerhalb der Government/Binding-Theorie und des Minimalistischen Programms, eine explanatorisch adäquate linguistische Theorie zu formulieren. Dabei sollen Ergebnisse aus dem Spracherwerb einerseits z.B. zur Verifikation oder Falsifikation theoretischer Konzepte dienen, andererseits hat aber auch die syntaktische Theorie Einfluss auf die Formulierung von Hypothesen über den Spracherwerb. Gerade die Daten aus dem Bereich des Spracherwerbs haben der linguistischen Theorie [...] einiges an Herausforderungen zu bieten [...]. Umgekehrt profitiert die Spracherwerbsforschung unmittelbar von den Entwicklungen der linguistischen Theorie, durch die wir dieselben Daten immer wieder unter einem anderen Blickwinkel zu betrachten lernen. (Tracy 1996: 49) Dieses Spannungsfeld zwischen syntaktischer Theorie und Spracherwerb soll in dem folgenden Kapitel genutzt und reflektiert werden. Determination und Quantifikation sind in diesem Zusammenhang besonders interessant, weil beide Kandidaten für weitverbreitete, wenn nicht sogar universelle Phänomene in menschlichen Sprachen sind. Trotz ihrer weiten Verbreitung sehen Determination und Quantifikation keineswegs überall gleich aus - sie sind in verschiedenen Sprachen unterschiedlich realisiert. 1 Für generative Linguist/innen, die sich mit der Universalgrammatik auseinander setzen, zieht dies eine Reihe von Fragen nach sich: • Wie werden die Realisationen der Determination und Quantifikation erworben? • Wie unterscheidet sich der Erwerb von Determinierern und Quantoren vom Erwerb lexikalischer Kategorien wie Nomina oder Verben? • Spielen Prinzipien und Parameter eine Rolle?
1
Nominale Modifizierer wie some oder many im Englischen sind nur eine mögliche Realisation der Quantifikation, daneben sind beispielsweise Verben oder Substantive als Ausdruck der Quantifikation möglich. (Vgl. Schachter 1985, der einen Überblick über offene und geschlossene Wortklassen in vielen Sprachen bietet.)
134 In diesem Zusammenhang sollte nicht vergessen werden, dass Determination und Q u a l i f i kation in vielen Sprachen durch funktionale Kategorien realisiert werden, und nach Chomsky (1989: 44) nur funktionale Kategorien parametrisiert sind, während lexikalische Kategorien universal sind. Viele der bisher veröffentlichen Arbeiten setzen sich deshalb vor allem mit dem Gegensatz zwischen lexikalischen und funktionalen Kategorien auseinander (vgl. Guilfoyle 1990, Radford 1990, 1996, Clahsen et al. 1994, 1996, Hyams 1996, Bohnacker 1997, u.a.). Diese Dichotomie zwischen lexikalisch und funktional wurde aber vor allem in Kapitel 3 explizit abgelehnt: So wurde für Quantoren der Status einer 'Zwischenkategorie' festgelegt, d.h., Quantoren befinden sich auf einem Kontinuum zwischen lexikalisch und funktional. Also wird in der vorliegenden Arbeit anhand der Daten aus dem Erstspracherwerb geprüft, ob Quantoren sich auch in der sprachlichen Entwicklung von funktionalen Formen wie Artikeln einerseits und lexikalischen Elementen wie Nomina andererseits unterscheiden und somit eine "Zwischenkategorie" bilden. Die Häufigkeit, die Art der Verwendung der Quantoren und der Zeitpunkt ihres ersten Auftauchens in früher Kindersprache könnte beispielsweise weitere Evidenz dafür liefern, dass es sich bei Quantoren nicht um eindeutig lexikalische oder funktionale Elemente handelt.2 Der Status der Quantoren als 'semi-lexikalische Kategorie' zwischen lexikalischen Elementen wie Nomina und funktionalen Formen wie Artikeln hat auch Konsequenzen für die Erklärung des Spracherwerbs, die hier weiter ausgelotet werden sollen. Ersetzt man nämlich das Gegensatzpaar 'lexikalisch - funktional' durch ein Kontinuum, wie es in Kapitel 3 geschehen ist, so kann das Kind keine klar abgegrenzten, eindeutig definierten Kategorien mehr erwerben. "Thus the language does not present itself to the learner as a neat set of little packages labeled as "grammatical" or "lexical"." (Slobin 1997: 309) Wenn dies der Fall ist, wie werden "semi-lexikalische" Formen dann erworben? Die folgenden Kapitel werden sich explizit mit diesem Thema auseinander setzen. Unter anderem stellt sich die Frage, inwieweit der Erwerb von semi-lexikalischen Formen wie den Quantoren ein ein-
2
Allerdings sollte hier berücksichtigt werden, dass der Erwerb der Determinierer und Quantoren wie der aller grammatischen Morpheme - verschiedenen Einflussfaktoren unterworfen ist. Der Zeitpunkt der ersten Verwendung und des vollständigen Erwerbs hängt nicht ausschließlich von dem Status als lexikalisches oder funktionales Element ab. Ingram (1989: 437), Peters (1995: 462) und Santelmann (1999) nennen unter anderem folgende Faktoren, die Zeitpunkt und Geschwindigkeit des Erwerbs beeinflussen: •
Häufigkeit der Formen in der Erwachsenensprache (Input des Kindes)
•
phonologische Eigenschaften der Form (perceptual salience), beispielsweise sind unbetonte Formen für das Kind schwerer zu segmentieren, und freie betonte Morpheme leichter wahrzunehmen als unbetonte Affixe
• • •
morphophonologische Variationen wie Allomorphie Distribution (kann variabel im Satz auftauchen / relativ fixierte Position, beispielsweise als Artikel am Anfang einer Nominalgruppe oder ein gebundenes Morphem) kognitive/semantische Komplexität der Form, ihre Funktion im Satz
• •
Universalität, notwendige Parametersetzungen Reifegrad der mentalen Grammatik des Kindes
(Die beiden letzten Punkte werden im folgenden noch ausführlicher erläutert.) Auf diese Punkte wird an den entsprechenden Stellen eingegangen.
135
heitliches Muster ergibt oder ob erhebliche Variationen zwischen einzelnen Kindern bestehen (vgl. Kapitel 6). Detaillierter wird in der hier vorliegenden Arbeit vor allem nach folgenden Aspekten gefragt: • Reihenfolge des Erwerbs: In welcher Reihenfolge erscheinen Determinierer und Quantoren in der kindlichen Nominalphrase? Wie früh oder spät werden Quantoren im Vergleich zu Determinierern oder Nomen verwendet? Gibt es einen statistisch signifikanten, vorhersagbaren Abstand zwischen dem Erwerb der Determinierer und dem der Quantoren (ordering predictions)? • Zeitpunkt des Erwerbs: Zu welchem Zeitpunkt tauchen die ersten Formen auf? Wie häufig sind sie in den anschließenden Phasen der Sprachentwicklung? Zu welchem Zeitpunkt können die Quantoren als erworben betrachtet werden? Müssen Unterschiede zwischen einzelnen Formen gemacht werden? • Häufung einzelner Formen (clustering predictions): Treten Determinierer vorhersagbar zu einem bestimmten Entwicklungsstand statistisch signifikant besonders häufig auf bzw. werden gehäuft erworben? Gilt Ähnliches auch für Quantoren? • Rolle des Inputs: Welche Rolle spielt die Häufigkeit der einzelnen Formen in der Erwachsenensprache? Gibt es andere Faktoren des Inputs, die den Erwerb beeinflussen? • Übergangsphasen: Welche Charakteristika zeichnen die Übergangsphase vom Auftauchen der ersten Formen bis zur vollen Beherrschung aus? Welche von der Erwachsenensprache abweichenden Verwendungen gibt es? Spielen einzelne Formen, Konstruktionen und Kombinationen für den Erwerb eine besondere Rolle? • Parameter: Spielen Parametersetzungen für den Erwerb eine Rolle? • Konsequenzen für Entwicklungsmodelle im Erstspracherwerb: Können bestehende Modelle zum Erstspracherwerb die beobachtete Entwicklung des Quantifizierersystems angemessen beschreiben? Welches der bestehenden Modelle erweist sich als am angemessensten, oder müssen alle bestehenden Modelle revidiert werden? Spielt das Konzept der 'Parametersetzung1 eine sinnvolle Rolle? • Konsequenzen für die Beschreibung der Erwachsenensprache: Haben die Kindersprachdaten Konsequenzen für die Beschreibung der Nominalphrase in der Erwachsenensprache? Sind die DP-Analyse und ihre Erweiterungen aus der Sicht der Kindersprachforschung haltbar? Vor allem die ersten fünf Fragen werden in den Kapiteln 6.1 bis 6.4 angegangen, in denen der erste Gebrauch der Formen all, some, any, no, more, many, (a) few und much genauer untersucht wird. In Kapitel 6.5 wird ein Fazit aus den bisherigen Ergebnissen gezogen und nach Konsequenzen für die DP-Analyse sowie die Beschreibung der Erwachsenensprache gefragt. Schließlich wird in Kapitel 6.5 auch untersucht, ob bestehende Modelle zum Erstspracherwerb die erhobenen Daten zu den Quantoren adäquat beschreiben und erklären können. Um also die in der vorliegenden Arbeit erstellten Analysen zu Quantoren im Kindesalter besser in die Diskussion zu funktionalen Kategorien im Erstspracherwerb einordnen zu können, werden in den folgenden Kapiteln 5.2 bis 5.4 zunächst zur Zeit gängige Annahmen zum Erstspracherwerb, insbesondere zum Erwerb funktionaler Kategorien sowie die wichtigsten Entwicklungsmodelle für den Erstspracherwerb vorgestellt. Die hier angesprochenen Fragen zu Quantoren wurden bislang noch nicht ausführlich beantwortet, d.h., die vorliegende Arbeit füllt damit eine Lücke in der Literatur. Die bislang veröffentlichten Arbeiten zu Quantoren kann man drei Gruppen zuordnen, die jeweils
136 Quantoren im frühen Kindesalter jedoch nur unbefriedigend analysieren: Erstens gibt es inzwischen eine Reihe von generativen Studien zur Entwicklung der Struktur der DP in der frühen Kindersprache (vgl. beispielsweise Radford 1990, 1995, Eisenbeiß 1994, Penner/ Weissenborn 1996, Hyams 1996, Powers 1999). In diesen Studien wird der Status der Quantoren in der Regel nur kurz oder gar nicht angesprochen. Zweitens existieren die "klassischen Studien" der siebziger und achtziger Jahre (z.B. Bloom 1970, Bowerman 1973, Brown 1973, Wells 1981, 1985), in denen vor allem Erwerbssequenzen für eine Reihe grammatischer Morpheme erarbeitet wurden. Auch hier spielen Quantoren eher eine untergeordnete Rolle, weil der Schwerpunkt der Studien auf den Artikeln sowie Nominal- und Verbalflexion lag. Ausführliche naturalistische Studien zur Entwicklung der Quantoren in der Nominalphrase liegen bislang noch nicht vor. Drittens existieren zwar einige experimentelle Studien, die sich mit Determinierern und Quantoren auseinander setzen, aber hier ist das Hauptinteresse der Semantik der Formen und der kognitiven Entwicklung des Kindes gewidmet. Maratsos (1976) und Karmiloff-Smith (1979) beispielsweise haben sich mit dem Zusammenhang zwischen dem Gebrauch der Artikel und dem kindlichen Verständnis von Referenz auseinander gesetzt; diese beiden Studien sind typisch für semantische Analysen im Bereich der Determinierer. Im Bereich der Quantoren existieren eine Vielzahl von Studien zum Verständnis einzelner Formen, exemplarisch seien hier nur Gathercole (1985) zu much/many sowie Crain/Thornton (1998) zu every herausgegriffen. Viele der Studien zu englischen Quantoren fokussieren hauptsächlich auf das kindliche Verständnis universeller Quantoren und der Entwicklung des logischen Denkens im Kindesalter (vgl. z.B. Brooks/Braine 1996, Guasti/Thornton 1998 und die Literaturhinweise dort). Die hier genannten Arbeiten zu Quantoren und deren Semantik basieren in der Regel auf experimentellen Daten zum sprachlichen Verständnis von Kindern, die vier Jahre oder älter sind. Insgesamt kann man konstatieren, dass keine detaillierte, systematische Studie zum Gebrauch der englischen Quantoren im frühen Kindesalter zwischen einem und vier Jahren vorliegt. Die bisher vorliegenden naturalistischen Studien befassen sich kaum mit Quantoren, während die vorliegenden experimentellen Studien (allein aus Gründen der Durchführbarkeit) lediglich Daten für Kinder ab vier Jahren liefern. 3 Die vorliegende Arbeit hat also zwei Ziele: Sie soll in Kapitel 6 zum einen ergänzende Daten zum Erwerb der Quantoren im frühen Kindesalter liefern und zum anderen eine vorläufige Einschätzung bringen, inwieweit bestehende generative Theorien aufgrund dieser Daten modifiziert werden müssen (vgl. Kapitel 5 und Kapitel 6.5). Als Quelle für empirische Daten wurde die CHILDESDatenbank genutzt, zu der in Kapitel 1.4 schon einiges gesagt wurde.
3
Die einzigen Ausnahmen sind hier m.E. Bittner (1999) und Hanion (1988), die beide naturalistische Daten zum frühen Gebrauch erster Quantoren analysieren. Beide Studien konzentrieren sich jedoch einseitig auf den Zusammenhang zwischen semantischer Komplexität der Formen und der Erwerbssequenz, ohne syntaktische oder phonologische Faktoren zusätzlich fllr den Erwerb zu berücksichtigen. Bittner vernachlässigt auch den Einfluss des Input, während Hanion der Frage nach dem Faktor Input nur untergeordnete Bedeutung im Vergleich zur Semantik beimisst.
137 5.2 D a s Modell des Spracherwerbs in der Prinzipien- und Parametertheorie
5.2.1
Poverty of the stimulus und die Universalgrammatik
Im folgenden wird dargelegt, warum auch in diesem Kapitel im wesentlichen die Government/Binding-Theorie und das Minimalistische Programm als theoretische Grundlagen dienen (vgl. dazu Chomsky 1981, Haegeman 1994, Chomsky 1995b, Webelhuth 1995a). Zu diesem Zweck soll zunächst einiges zum Modell des Spracherwerbs in der Government/Binding-Theorie und im Minimalistischen Programm nach Chomsky gesagt werden. Das Hauptinteresse der generativen Grammatik seit den fünfziger Jahren, insbesondere der Govemment/Binding-Theorie und des Minimalistischen Programms, gilt der Charakterisierung des sprachlichen Wissens, über das jedes Individuum (teilweise unbewusst) verfügt - die sprachliche Kompetenz eines Sprechers. Für Verfechter dieses Zugangs zu Sprache und Sprachbeschreibung stehen vor allem zwei Fragen im Mittelpunkt der Forschung: a) Wie kann das sprachliche Wissen, über das jedes Individuum verfügt, beschrieben werden? b) Wie wird dieses sprachliche Wissen erworben? (vgl. Chomsky/Lasnik 1995: 17) Von der Frage nach dem sprachlichen Wissen zu der Frage des Spracherwerbs zu gelangen ist für die generative Grammatik nur ein kleiner Schritt. Ausgangspunkt für Chomskys Modell des Spracherwerbs ist die Erkenntnis, dass Menschen in relativ kurzer Zeit das komplexe kognitive System Sprache vollständig erwerben, obwohl die Evidenz, die ihnen beim Spracherwerb zur Verfügung steht, oft falsch oder unzureichend ist: "[...] language poses in a sharp and clear form what has sometimes been called "Plato's problem", the problem of "poverty of stimulus", of accounting for the richness, complexity, and specificity of shared knowledge, given the limitations of the data available" (Chomsky 1986a: 7). Als Beispiel für die Komplexität der menschlichen Sprache nennt Chomsky (1986a: 8) die Sätze (1)
a. I wonder who [the men expected to see them] b. [the men expected to see them]
Während sich in Beispiel (a) them auf das Antezedens the men bezieht, ist them in (b) ungebunden, d.h., es bezieht sich nicht auf the men, sondern seine Referenz ist aus dem kommunikativen Kontext ersichtlich. Für die Spracherwerbsforschung erhebt sich sofort die Frage, wie dieser komplexe Zusammenhang erworben werden kann, wenn solche Tatsachen dem Kind nicht explizit gelehrt werden. Das Kind muss sich fast ausschließlich auf positive Evidenz (d.h. auf das, was es hört) für den Spracherwerb verlassen, denn Grammatikfehler der Kinder werden selten korrigiert oder das Kind reagiert nicht auf Korrekturen (vgl. Clark/Clark 1977: 325-26, Marcus 1993). Das folgende Beispiel veranschaulicht dies: Child: Nobody don't like me. Mother: No, say "Nobody likes me.' Child: Nobody don't like me. (Eight repetitions of this dialogue.)
Mother: No, now listen carefully: say 'Nobody likes me.' Child: Oh! Nobody don't likes me. (Clark/Clark 1977: 336)
138 Sprache wird zudem nicht durch die Eltern erklärt und kann auch nicht nur durch Imitation erworben werden (vgl. Cook/Newson 1996: 93-105). Ferner hebt Chomsky (1965: 58) den degenerierten Charakter und den beschränkten Umfang des Inputs hervor, mit dem das Kind konfrontiert wird. Ausgehend von der Diskrepanz zwischen verfügbarer Evidenz fiir das Kind und dem raschen und vollständigen Erfassen der Komplexität der Sprache hat schon Chomsky (1959: 57) argumentiert, dass Spracherwerb durch angeborene kognitive Fähigkeiten erleichtert wird: 4 The fact that all normal children acquire essentially comparable grammars o f great complexity with remarkable rapidity suggests that human beings are somehow specially designed to do this, with data-handling or 'hypothesis-formulating' ability of unknown character and complexity. [...] Complex innate behaviour patterns and innate tendencies to learn in specific ways' have [also] been carefully studied in lower organisms.
Die Aufgabe der Linguistik, insbesondere der von Chomsky vertretenen generativen Grammatik, ist es dann, diese angeborene Befähigung des Menschen zur Sprache näher zu beschreiben und zu erklären. Ein zentraler Begriff ist in diesem Zusammenhang die "Universalgrammatik": Die Universalgrammatik (UG) ist ein System von Prinzipien, die allen Sprachen gemeinsam sind, und darüber hinaus ein Versuch, das angeborene sprachliche Wissen des Menschen darzulegen. A generative grammar [...] purports to depict exactly what one knows when one knows a language: that is, what has been learned, as supplemented by innate principles. UG is a characterization of these innate, biologically determined principles which constitute one component of the human mind - the language faculty. (Chomsky 1986a: 24)
Um diesen Ansatz der Sprachbeschreibung zu illustrieren, soll hier noch kurz auf die Prinzipien und Parameter der Universalgrammatik eingegangen werden: Die Prinzipien der UG sind allen Sprachen gemeinsam, aber sie können unterschiedlich realisiert werden. Parameter sind die Bündel von mehreren Optionen filr Prinzipien, unter denen eine in jeder Sprache verwirklicht wird, d.h., die Parameter müssen während des Spracherwerbs "gesetzt" werden. Die Parameter sind u.a. verantwortlich für die Variation unter den Sprachen: Z.B. ist beobachtet worden, dass im Englischen der Kopf einer Phrase im allgemeinen vor dem Komplement positioniert ist ("head-first"), während im Japanischen der Kopf nach dem Komplement erscheint ("head-last"). Dies lässt sich am Beispiel der VP und PP zeigen: (2)
a. [vp//'Whim] b. [Vp nihonjiu desu] (Japanese am) '(I) am Japanese'
[ PP to the bank] [ PP nihon ni] (Japan in) 'in Japan'
(English: head-first) (Japanese: head-last)
(vgl. Cook/Newson 1996: 15, meine Hervorhebungen)
Für die Beschreibung des Spracherwerbs hat diese Annahme folgende Konsequenzen: Weil die universellen Prinzipien angeboren sind, reduziert sich Spracherwerb nach Chomsky
4
Dass das Sprachvermögen ein von anderen kognitiven Fähigkeiten zumindest teilweise unabhängiges Vermögen ist, weisen auch klinische Studien zu kindlichen Entwicklungs- und Sprachstörungen nach. Jackendoff (1994) bietet eine leicht lesbare Übersicht zu diesem Thema.
139 (1986a: 150) damit auf das Lernen des (sprachspezifischen) Vokabulars und das Setzen der richtigen Parameter (z.B. head-first für Englisch). Wie schon in der Einleitung (Kapitel I) angedeutet wurde, wird also in der Government/Binding-Theorie und auch im Minimalistischen Programm ein enger Zusammenhang zwischen Spracherwerb und syntaktischer Theorie hergestellt. Chomsky nennt die von ihm vertretene generative Theorie deshalb auch Prinzipien- und Parametertheorie (vgl. auch Chomsky/Lasnik 1995). Da davon ausgegangen wird, dass das Kind die Prinzipien und Parameter grundsätzlich zur Verfügung hat und somit die Grammatik des Kindes in den Bereich der UG fällt, können Daten aus dem Spracherwerb also ebenfalls zur Bewertung theoretischer Konzepte herangezogen werden. Umgekehrt müssten Änderungen in der Konzeption der UG auch Auswirkungen auf die Beschreibung der Kindersprache haben. Die Prinzipien- und Parametertheorie wird als theoretischer Rahmen für die vorliegende Arbeit gewählt, weil sie es ermöglicht, die Ergebnisse aus dem theoretischen Teil (Kapitel 3 und 4) und dem Abschnitt über den Spracherwerb (Kapitel 5 und 6) in Beziehung zueinander zu setzen. Das hier vorgestellte Modell des Spracherwerbs unterscheidet sich deutlich von konkurrierenden Ansätzen wie dem Entwicklungsmodell von Piaget (vgl. z.B. Piaget 1959). Sprachliches Wissen ist für Chomsky eng verknüpft mit speziellen kognitiven Fähigkeiten, die sehr wahrscheinlich unabhängig von anderen kognitiven Fähigkeiten sind (the language faculty). The human brain provides an array of capacities that enter into the use and understanding of language (the language faculty)-, these seem to be in good part specialized for that function and a common human endowment over a very wide ränge of circumstances and conditions. [...] We can distinguish the language from a conceptual system and a system of pragmatic competence. (Chomsky 1993: 1)
Chomsky argumentiert dezidiert gegen eine Erklärung des Spracherwerbs durch allgemeine Lernmechanismen, wie sie für Problemlösungen in anderen Bereichen angewandt werden. Er weist daraufhin, dass die Prinzipien der Sprache viel zu komplex sind, um durch Lernen erfasst zu werden (vgl. Chomsky 1965: 47-59, 1988: 47-48). Ein Beispiel für die Komplexität sprachlicher Prinzipien wurde schon oben genannt (1), ein weiteres Beispiel ist die Strukturabhängigkeit (structure dependency) sprachlicher Regeln, die in der einschlägigen Literatur immer wieder angeführt wird (vgl. beispielsweise Chomsky 1988: 45-47). Chomsky setzt sich mit seiner Position auch damit von Piaget ab, weil Chomsky Sprache losgelöst von allgemeinen kognitiven Fähigkeiten sieht. Piaget dagegen geht davon aus, dass die kognitive Entwicklung eines Kindes und der Spracherwerb eng zusammenhängen. Nach Piaget lassen sich Erwerbsstrategien für Sprache und andere kognitive Fähigkeiten nicht voneinander trennen. Es sind in der Vergangenheit viele Argumente gegen Piagets Kognitivismus geäußert worden. Felix (1981) beispielsweise argumentiert gegen Piagets Ansatz und weist dabei auf den Erwerb des abstrakten phonologischen Systems einer Sprache hin, dessen Beherrschung ohne angeborene Prinzipien für das Kind bis zum Alter von fünf Jahren kaum machbar wäre. Wäre das Kind nur auf seine generellen kognitiven Fähigkeiten angewiesen, müsste es für die Verwendung phonologischer Regeln formale Operationen einsetzen, über die das Kind normalerweise bis zum Einsetzen der Pubertät nicht verfügt.
140 Auch an Chomskys Position zum Erstspracherwerb ist Kritik geäußert worden, unter anderem aus dem Lager der Kognitivisten. An dieser Stelle soll die Debatte zwischen Chomsky und Piaget jedoch nicht weiter aufgerollt werden, es sei hier auf Piatelli-Palmarini (1980) verwiesen, in dem die beiden Standpunkte ausführlich debattiert werden. 5 Für die vorliegende Arbeit wird lediglich der generative Ansatz Chomskys berücksichtigt, weil er die Entwicklung der kindlichen Syntax wesentlich adäquater beschreiben kann als der Ansatz Piagets, der sich hauptsächlich mit Kognition und Semantik auseinander setzt. Es soll im Laufe der folgenden Diskussion deutlich werden, dass der Ansatz der Prinzipien- und Parametertheorie eine sinnvolle Grundlage für die Beschreibung des Erwerbs der Nominalphrase ist.
5.2.2
Entwicklungsmechanismen im Spracherwerb
Die ursprüngliche Vorstellung Chomskys vom Spracherwerb konzentrierte sich auf das Problem des Parametersetzens, das den Erwerb von Wortstellung (head parameter) oder Nullsubjektsätzen {pro-drop parameter) erklären sollte. Dass dieses Modell nicht genügt, um den Spracherwerb umfassend zu beschreiben, stellt beispielsweise Clahsen (1996: xviiixix) fest: Clearly, the speech of young children is different from that of adults, some constructions develop earlier than others, and there are identifiable developmental sequences in the acquisition of language structure which hold across different individuals, some even across different languages. How can we explain development if the learning device is assumed not to change over time? Ein Blick auf empirische Daten genügt, um zu sehen, dass Spracherwerb sich keineswegs auf ein bloßes Setzen von Parametern beschränkt. Vielmehr vollzieht sich Spracherwerb über einen längeren Zeitraum in mehreren Phasen (vgl. Kap. 5.3). Die Frage, warum dies so ist, ist unter dem Stichwort 'das Entwicklungsproblem im Erstspracherwerb' in die Forschung eingegangen. Verrips (1990: 13) hebt hervor, dass Antworten auf das Entwicklungsproblem sich vor allem mit den folgenden zwei Kernfragen auseinander setzen müssen: a) Welche Mechanismen verursachen die Veränderungen in dem kindlichen Sprachsystem, und innerhalb welcher Bandbreite sind Veränderungen möglich? b) Wenn der Spracherwerb sich in verschiedenen Teilschritten (Zwischengrammatiken) vollzieht, welche Zwischengrammatik erscheint zuerst und warum? Als Antwort auf das Entwicklungsproblem im Spracherwerb sind verschiedene Modifikationen an Chomskys Modell vorgeschlagen worden. In der Regel wird zwischen drei möglichen Ansätzen unterschieden: der Kontinuitätshypothese, die beispielsweise von Hyams (1986, 1996), Poeppel/Wexler (1993) und Döprez/Pierce (1994) vertreten wird, der "Reifüngstheorie", für die z.B. Borer/Wexler (1987), Radford (1990), Atkinson (1996) und
5
Elman et al. (1996) bieten einen weiteren Blick auf die Debatte zwischen Vertretern des Piaget'schen Ansatzes und des /««aterteis-Modells nach Chomsky und schlagen eine dritte Alternative vor (a connectionist
perspective).
141
Tsimpli (1996) plädieren sowie dem "lexikalisches Lernen", für das Clahsen, Eisenbeiß und Penke (1994, 1996) argumentieren. 6
5.2.2.1
Die Kontinuitätshypothese
Gemäß der Kontinuitätshypothese sind für das Kind bereits alle Prinzipien der Universalgrammatik gültig; lediglich die Parameter sind noch nicht gesetzt. Für einige Vertreter der Kontinuitätshypothese bedeutet dies, dass in einer frühen Phase des Spracherwerbs ein Parameter auf einem unmarkierten 'default value' stehen kann und erst durch positive Evidenz aus der Muttersprache umgesetzt wird. Als Beispiel einer solchen Parametersetzung nennt Hyams (1986) den pro-drop-Parameter, der regelt, ob Sprachen das overte Subjekt durch ein phonologisch leeres Pronomen pro ersetzen können (pro-drop-Sprachen, z.B. Italienisch) oder nicht (Non-pro-drop-Sprachen, z.B. Englisch). Hyams' These lautet, dass der pro-drop-Parameter für alle Kinder zunächst auf pro-drop gesetzt ist. Ihre These basiert auf Beispielen wie drop bean,ßx Mommy shoe oder go on truck (vgl. Hyams 1996: 94). Hyams' Daten deuten darauf hin, dass englische Kinder ebenso wie italienische Erwachsene das Subjekt durch ein leeres Pronomen pro ersetzen können - der Parameter ist noch nicht auf non-pro-drop gesetzt. 7 Für andere Vertreter der Kontinuitätshypothese (beispielsweise Penner/Weissenborn 1996) ist eine falsche Parametersetzung nicht denkbar, aber dafür halten sie eine schrittweise Setzung eines Parameters für möglich. Die Kontinuitätshypothese geht ferner von der vollen Verfügbarkeit sämtlicher Kategorien (also auch der funktionalen) aus. (Aus diesem Grund wird die Kontinuitätshypothese in der Literatur auch als 'füll competence hypothesis' bezeichnet.) Es wird behauptet, dass mit der Grammatik der zwei Jahre alten Kinder bereits Phrasenstrukturbäume generiert werden können, die denen der Erwachsenen vergleichbar sind - eine Kontinuität von der frühen Kindersprache bis zur letzten Phase. Unterschiede zwischen Kinderäußerungen und Sätzen der Erwachsenen werden unter anderem kognitiven oder pragmatischen Beschränkungen zugeschrieben, die die volle Ausnutzung aller Kategorien verhindern (vgl. beispielsweise Hyams 1996). Einige Linguisten, beispielsweise Penner/Weissenborn (1996), betrachten die Unterschiede zwischen Kinder- und Erwachsenensprache auch als Ergebnis unvollständiger Parametersetzungen. Poeppel/Wexler (1993) nennen als Evidenz für die 'füll competence hypothesis' eine Reihe von Kindersprachdaten aus dem Deutschen. Unter anderem führen sie an, dass deutsche Kinder schon in einem frühen Alter konsequent zwischen finiten und nicht-finiten Verben unterscheiden: Während finite Verben in der typischen Verb-Zweitstellung des Deutschen erscheinen, werden nicht-finite Verben an das Ende der Äußerung platziert. (3)
a. Ich hab ein dossen Ball.
6
Häufig wird in der Literatur nur der Gegensatz zwischen Kontinuität und Maturation aufgegriffen. Clahsen u.a. nehmen eine Mittelposition ein, indem sie für Kontinuität der UG-Prinzipien plädieren, aber ein Moment der Entwicklung durch das Konzept des lexikalischen Lernens zulassen (vgl. unten).
7
Hyams' Analyse der pro-drop-Daten ist in der Literatur ausfuhrlich kritisiert worden. Inzwischen hat sie ihre Thesen selbst revidiert (vgl. Hyams 1996). Ich nenne dieses vielzitierte Beispiel dennoch, weil es den Ansatz der reinen Kontinuitätshypothese gut illustriert.
142 b. ich mach das nich c. Thorsten Caesar haben d. du das haben (Poeppel/Wexler 1993: 5-6)
Ferner werden nach Poeppel/Wexler (1993: 8) Verben korrekt flektiert, wenn sie mit Subjekten in der ersten oder zweiten Person Singular erscheinen. Diese beiden Phänomene deuten für Poeppel/Wexler darauf hin, dass Kinder tenselagreement beherrschen, also über eine Kategorie I verfügen. Darüber hinaus suggerieren die Daten in (3.a-b), dass Kinder bereits die V2-Stellung im Deutschen beherrschen. Da V2-Stellung im Deutschen durch eine Bewegung des finiten Verbs von V über I nach C erreicht wird, deuten Poeppel/Wexler ihre Daten als Indiz für die Existenz der Kategorie C. Die Kontinuitätshypothese ist aus verschiedenen Gründen in Frage gestellt worden. Tsimpli (1996: 17-20) beispielsweise ficht diese Hypothese an, weil aus ihrer Sicht unter anderem eine Reihe empirischer Daten dagegen sprechen. So nennt sie folgende Beispiele aus dem Englischen, die das Fehlen einer Subjekt-Hilfsverb-Inversion in Wh-Fragen illustrieren: (4)
a. Where pencil go? b. What kitty doing? c. What lizard doing? (Tsimpli 1996: 19)
Wäre die C-Position tatsächlich in früher Kindersprache verfügbar, spräche nichts gegen eine Bewegung des Hilfsverbes in diese C-Position, also eine Subjekt-Hilfsverb-Inversion. Tatsächlich ist aber diese Bewegung des Hilfsverbes lange Zeit in der Kindersprache blokkiert. Daraus schließt Tsimpli, dass die Kategorie C zumindest in der frühen Kindersprache noch nicht existiert. 8 Auch Atkinson (1996) kritisiert die Kontinuitätshypothese. Unter anderem weist er darauf hin, dass Vertreter der Kontinuitätshypothese den Nachweis schuldig bleiben, dass funktionale Kategorien dem Kind schon in der frühesten Phase der syntaktischen Entwicklung zur Verfügung stehen. So zitiert Atkinson (1996: 464) Poeppel/Wexler (1993: 23), die die Äußerung den tiegt a nich wieda als Nachweis für Wh-Bewegung in der frühesten Phase der syntaktischen Entwicklung bringen, obwohl eine solche Multi-Wort-Kombination nur von einem Kind produktiv gebildet werden kann, das eindeutig nicht in der frühesten Phase seiner grammatischen Entwicklung ist. Ferner bemerkt Atkinson, dass auch Hyams und Clahsen et al. in ihren Studien lediglich Daten älterer Kinder zitieren, die schon über die Phase der ersten Wortkombinationen hinaus sind. Parodi (1998: 47) fügt hier noch hinzu, dass die Evidenz für "frühe" funktionale Kategorien schwach ist, weil von den Vertretern der Kontinuitätshypothese lediglich Einzelbeispiele zitiert werden, die nicht notwendigerweise den Erwerb des gesamten funktionalen Systems beweisen. Eine Einordnung in das bestehende Grammatiksystem des Kindes fehlt ebenso wie quantitative Analysen. 8
Die empirischen Daten der Kontinuitätshypothese sind von verschiedenen Linguisten ausführlich kritisiert worden (Atkinson 1996, Radford 1996, Tsimpli 1996, Parodi 1998); deshalb werden hier nur einige Probleme der Kontinuitätshypothese exemplarisch verdeutlicht. Warum die Kontinuitätshypothese auch als Modell für die Entwicklung der DP nicht geeignet ist, wird in Kapitel 6 diskutiert.
143 Clahsen et al. (1994: 3-4) kritisieren an der Kontinuitätshypothese nach Poeppel/Wexler (1993) und Hyams (1996) vor allem, dass die "pragmatischen" Beschränkungen, die laut der Hypothese für die Abweichungen der Kinder- von der Erwachsenensprache verantwortlich sind, eher wie ad Aoc-Annahmen wirken und wenig zur Erklärung der Entwicklung der Kindersprache beitragen. Auch Atkinson (1996: 469) kritisiert den völlig unerklärten Erwerb einer pragmatischen Regel: "The obvious question to ask is: by what mechanism is the relevant pragmatic rule acquired?" Eine Theorie, die in der Lage ist, prinzipiell die Entwicklung der Kindersprache zu beschreiben, ist hier wesentlich angemessener - dies geschieht sowohl durch die Reifungstheorie als auch durch das Konzept des lexikalischen Lernens (s.u.).
5.2.2.2 Die Reifungsthese und der strukturbildende Ansatz Auch Borer/Wexler (1987: 124) stellen die Kontinuitätshypothese in Frage und schlagen statt dessen vor, die Reifung von Prinzipien anzunehmen: This theory is in contradiction to the continuity hypothesis. It does not assume that the formal principles available to the child are constant through development. Rather, the assumption is that certain principles mature. The principles are not available at certain stages o f a child's development, and they are available at a later stage. We definitely and clearly hypothesize that the principles are not learned.
Für Borer/Wexler ebenso wie für Felix (1987) reifen spezielle Prinzipien der Universalgrammatik, beispielsweise die X'-Prinzipien. 9 Eine weitere Variante der Reifungstheorie geht davon aus, dass nur funktionale Kategorien reifen, aber andere UG-Prinzipien wie das X'-Schema dem Kind von Anfang an zur Verfügung stehen. Zu den Vertretern dieser Reifungstheorie zählen unter anderem Radford (1990) und Tsimpli (1996). Radford (1990: 54) behauptet, dass das Kind zu Beginn der Entwicklung eine "lexikalische Phase" durchläuft, in der nur rein lexikalische Kategorien und Projektionen zur Verfügung stehen. Funktionale Kategorien und damit assoziierte Prinzipien werden erst zu einem späteren Zeitpunkt aktiviert, d.h., sie sind der Reifung unterworfen: "For it may well be (as suggested by Chomsky 1981: 9), that certain universal principles are genetically programmed to come into operation only at a specific point in the child's linguistic maturation: this would imply that such principles would be inoperative in the earliest child grammars, [...]". In neueren Publikationen wird diese Variante der Reifungsthese auch als "strukturbildender Ansatz" bezeichnet, weil das Kind erst schrittweise Struktur aufbaut. 10
9
Auf diese Thesen gehe ich nicht weiter ein, weil sowohl Borer/Wexler als auch Felix nur sehr spezielle Phänomene untersuchen, die für die Diskussion der Nominalgruppe wenig relevant sind (Passivstrukturen, V S O und OSV-Satzstrukturen). Eine kritische Analyse der Reifungsthese nach
10
Felix und Borer/Wexler findet man in Clahsen (1992) und in Tsimpli (1996: 21ff.). Zu den Vertretern dieser Position zählen unter anderem Guilfoyle/Noonan 1992, die dies ursprünglich vorgeschlagen haben, sowie Grimshaw 1994, Radford 1995, 1996 und Parodi 1998. Nicht alle hier genannten Vertreter des strukturbildenden Ansatzes gehen notwendigerweise von "Reifung" aus, sondern legen auch andere Prinzipien zugrunde, die zum späteren Erwerb funktionaler Kategorien führen.
144
Wenn dem Kind in der lexikalischen Phase nur rein lexikalische Kategorien zur Verfügung stehen, sind Projektionen in früher Kindersprache typischerweise NPs, VPs, APs und PPs - funktionale Kategorien wie C, D oder I fehlen. Radford belegt die Abwesenheit der funktionalen Kategorie I unter anderem mit der systematischen Auslassung von Infinitiv-io in früher Kindersprache: (5)
a. want [have money] b. want [open door] c. want [Dolly talk] d. want [lady get chocolate] (Radford 1996: 45)
(Daniel, (Daniel, (Daniel, (Daniel,
1;7)" 1 ;8) 1 ;9) 1 ;11)
Ebenso kann man auf der Basis dieser Daten argumentieren, dass Kinder keine Complementizer benutzen, also über keine Kategorie C verfügen. Die Reifungsthese setzt sich von der Kontinuitätsthese entscheidend ab, weil sie im allgemeinen keine leeren Projektionen zulässt. Die Annahme der Kontinuitätsthese, dass Kinder schon in der frühen Zwei-Wort-Phase über CPs und IPs verfügen, aber C und I leer lassen, wird von Vertretern der Reifungsthese explizit verneint. Grimshaw (1994), Radford (1996) und Parodi (1998) gehen davon aus, dass syntaktische Strukturen stets minimal sind, d.h. es wird nur so weit projiziert, dass alle overten lexikalischen und funktionalen Kategorien einen Platz haben. Radford (1996: 44) beruft sich dabei auf Chomskys Ökonomieprinzip für Repräsentationen syntaktischer Strukturen (vgl. Kap. 2.3), das die unnötige Verwendung nicht motivierter Symbole und Strukturen verbietet. Er verweist auch auf den Ansatz von Grimshaw (1993: 5), die sagt: "[a] clause is only as big as it needs to be. It is an IP unless it has to be a CP (a VP unless it has to be an IP)."
5.2.2.3 Lexikalisches Lernen Der Ansatz des lexikalischen Lernens ist eine weitere Alternative zur Kontinuitätshypothese und zur Reifungsthese. Eisenbeiß/Penke (1995) äußern Kritik an der Reifungstheorie, da diese zwar das spätere Auftreten funktionaler Kategorien erklärt, aber bzgl. des Vorgangs der Reifung (maturation) sehr vage bleibt. Der Reifungstheorie setzt Clahsen (1992: 55) das Prinzip des lexikalischen Lernens entgegen: Es wird davon ausgegangen, dass alle Prinzipien der UG für das Kind von Anfang an prinzipiell verfügbar sind, aber dass einige Prinzipien und die damit verbundenen syntaktischen Entwicklungen erst durch den Erwerb von neuen lexikalischen und morphologischen Elementen ("lexical triggers") aktiviert werden. Insbesondere ist morphologische Evidenz notwendig, damit in die Grammatik des Kindes funktionale Köpfe aufgenommen werden. So führt z.B. der Erwerb des regulären SubjektVerb-/igree/Me«/-Paradigmas zur Integration des funktionalen Kopfes AgrS in den Phrasenstrukturbaum des Kindes (vgl. Eisenbeiß/Penke 1995). Der Ansatz des lexikalischen Lernens folgt also der Kontinuitätshypothese insofern, als ebenfalls von einer vollen Verfügbarkeit aller Prinzipien der Universalgrammatik ausgegangen wird. Der Ansatz weicht von einer strengen Kontinuitätshypothese ab, weil davon ' 1 Im folgenden halte ich mich an die in der Literatur übliche Notation für die Angabe des Kindesalters: Jahr - Semikolon - Monat (- Punkt - Tag).
145 ausgegangen wird, dass sprachspezifisches grammatisches Wissen sich erst allmählich entwickelt. Insbesondere wird zwar davon ausgegangen, dass die Grammatiken des Kindes zu jeder Phase des Spracherwerbs durch die Prinzipien der X'-Syntax beschränkt werden, aber der Erwerb einzelner Projektionen, beispielsweise der IP, ist an den Erwerb lexikalischer Elemente wie der Auxiliarverben gekoppelt. Weil es sich hier um eine 'Aufweichung' der strikten Kontinuitätshypothese handelt, bezeichnen Clahsen/Eisenbeiß/Penke (1996: 130) ihren Ansatz auch als 'weak continuity'. Ebenso wie Radford (1996, s.o.) beziehen sich Clahsen/Eisenbeiß/Penke (1996: 131) ausdrücklich auf die Ökonomieprinzipien des Minimalistischen Programms, d.h. auch sie gehen von einer Phrasenstruktur aus, die nicht mehr Knoten (nodes) besitzt, als die verwendeten lexikalischen Elemente benötigen: In analyzing children's and adults' sentences, these economy principles lead us to posit only as much structure as is required. Rather than automatically analyzing all construction headed by a verb as füll CPs whenever possible, these economy considerations allow us to describe the various stages o f language acquisition [...] in linguistic terms, namely in terms o f phrase-structure building.
Ferner beziehen sich Clahsen et al. (1996: 131) auch dann auf das Minimalistische Programm, wenn sie funktionale Köpfe als Merkmalsbündel (feature bundles) betrachten. Für Clahsen et al. existiert keine festgelegte universelle Menge von funktionalen Köpfen, sondern die Eigenschaften einer funktionalen Projektion werden durch die (sprachspezifischen) abstrakten Merkmale des Kopfes festgelegt. Für den Erstspracherwerb ziehen Clahsen et al. die Konsequenz, dass funktionale Köpfe nicht als Ganzeses, sondern einzelne Merkmale (features) eines funktionalen Kopfes schrittweise erworben werden können. Besteht ein funktionaler Kopf aus den Merkmalen Fi, F2, ..., Fn, so kann das Kind zunächst nur ein Merkmal, beispielsweise Fi erworben haben. In diesem Fall besitzt die funktionale Projektion in der Grammatik des Kindes lediglich die Eigenschaften, die von F, bestimmt werden. Clahsen et al. (1996: 132) sprechen in diesem Fall von Unterspezifizierung des funktionalen Kopfes und der Projektion im Vergleich zu den entsprechenden Gegenstücken der Erwachsenensprache. Eine besondere Rolle für den Erwerb funktionaler Köpfe spielen Flexionsaffixe und andere grammatische Elemente. Da funktionale Köpfe nicht in der Universalgrammatik festgelegt sind, sondern sprachspezifische Inhalte besitzen, müssen diese vom Kind erworben werden. Clahsen et al. verfolgen die These, dass der Erwerb sprachspezifischer morphologischer Affixe den Erwerb funktionaler Köpfe steuert: Wird ein bestimmtes Flexionsaffix (z.B. zweite Person Singular im Deutschen) in das Repertoire des Kindes aufgenommen, so kann dies den Erwerb eines funktionalen Kopfes, beispielsweise Agr, zur Folge haben. Clahsen et al. (1996: 133) sprechen von diesem Phänomen als 'morphological bootstrapping' und verweisen auf starke Morphologie-Syntax-Korrelationen während der Entwicklung im Erstspracherwerb. Clahsen (1992: 58) hebt ferner hervor, dass jedes Modell des Erstspracherwerbs der sonstigen kognitiven Entwicklung des Kindes Rechnung tragen muss, insbesondere der wachsenden Größe des Gedächtnisses und mit steigendem Alter den verbesserten Verarbeitungskapazitäten. Als Konsequenz wird das Kind zunächst die hervorstechenden, phonologisch leicht zu segmentierenden und semantisch weniger komplexen Formen lernen, bevor es
146 beispielsweise Complementizer wahrnimmt, die in der Regel unbetonte closed-class items sind. Das Modell nach Clahsen et al. ist gegenüber dem Reifungsansatz eine Verbesserung, weil es stärker darauf eingeht, wie das Kind seine funktionalen Kategorien erwirbt und welche Entwicklungen dabei eine Rolle spielen. (Radford (1990) verweist hier lediglich vage auf eine Reifung, ohne weiter auf die zugrundeliegenden Mechanismen einzugehen.) Dennoch hat auch das Modell des lexikalischen Lernens wenig zum konkreten Aufbau einer funktionalen Projektion zu sagen, außer dass sie auf den Erwerb eines flexionalen Paradigmas folgt. The reference to "learning" concerns the acquisition of the agreement paradigm itself and Clahsen et al. do not suggest that learning is what mediates the step from this paradigm to projection of the appropriate phrase structure positions. Nor do they offer any other mechanism to underwrite this process. (Atkinson 1996: 473)
5.2.2.4
Abschlussbemerkung
In den vorangegangenen Abschnitten wurden drei Entwicklungsmodelle zum Erstspracherwerb vorgestellt, die in den folgenden Kapiteln als Grundlage dienen könnten, um den Erwerb der DP zu beschreiben. Dabei sind einige Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Modellen deutlich geworden. Insbesondere unterscheiden sich die Erklärungsmodelle nach Clahsen et al. und nach Radford nicht sehr stark voneinander. Beide gehen von einer minimalen Phrasenstruktur aus und berufen sich dabei auf Ökonomieprinzipien der Repräsentation des Minimalistischen Programms. Beide Ansätze gehen ferner davon aus, dass es die funktionalen Köpfe sind, die nicht von Anfang an für das Kind verfügbar sind, sondern erst schrittweise erworben werden. Unterschiede zwischen den beiden Modellen ergeben sich vor allem, weil Clahsen et al. funktionale Kategorien als sprachspezifisch bestimmte Merkmalsbündel betrachten, während Radford mit (universellen?) funktionalen Kategorien C, D und I arbeitet. In Radfords (1990) Modell werden unterspezifizierte funktionale Kategorien und lexikalisches Lernen zunächst nicht thematisiert - dies hängt auch damit zusammen, dass Radford (1990) sich vor allem auf die präfunktionale Phase und ihre Eigenarten konzentriert und wenig zum Erwerb der funktionalen Kategorien zu sagen hat. Betrachtet man die Veröffentlichungen der beiden "Lager" der letzten Zeit, so scheint es, als ob sich die ohnehin ähnlichen Positionen noch weiter annähern. 12 Radford (1996) bezeichnet sein Modell des Erstspracherwerbs inzwischen als structure-building account of acquisition und geht davon aus, dass die Universalgrammatik zwar den Erwerb der Phrasenstruktur bestimmt, aber sprachspezifische funktionale Projektionen erst schrittweise erworben werden müssen: "[The structure-building approach] assumes that although principles of UG determine how they are built up, syntactic structures are projections of the lexical items they contain, and lexical items vary from one language to another." (Radford 12
Clahsen (1996) geht in einer Übersicht zu den verschiedenen Antworten auf die Entwicklungsfrage davon aus, dass Radford (1996) ebenso wie Clahsen/Eisenbeiß/Penke (1996) den Ansatz des lexikalischen Lernens vertritt.
147
1996: 43) Radford hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass der Erwerb eines neuen lexikalischen Elementes zur Projektion eines neuen Phrasentyps in der Kindersprache fuhren kann. Auffällig ist an dieser Position, dass wie bei Clahsen et al. die Rolle des Lexikons in den Mittelpunkt gestellt wird: Der Erwerb lexikalischer Elemente steuert den Erwerb weiterer Phrasenstrukturen. Obwohl Radford (1996: 65-66) nur kurz auf den Ansatz des lexikalischen Lernens verweist, scheint er doch einige Ideen aus dem Modell nach Clahsen et al. aufzugreifen, um beispielsweise den Erwerb der Wh-Fragen zu beschreiben: "What all of this tells us is that there is a strong component of lexical learning involved in the acquisition of wA-questions." (Radford 1996: 73, meine Hervorhebung) Weiterhin revidiert Radford seinen alten Ansatz, nach dem die funktionalen Kategorien C, D und I nach einer Reifungsphase gleichzeitig zur Verfügung stehen (vgl. Radford 1990). Radford (1996) geht davon aus, dass zumindest für V, I und C eine feste Reihenfolge zu gelten scheint: Der Erwerb der VP wird gefolgt vom Erwerb der IP, die wiederum den Erwerb der CP ermöglicht. Auch dies ist nicht sehr weit von der Annahme entfernt, dass das Kind funktionale Projektionen schrittweise erwirbt (vgl. Clahsen et al. 1994, 1996). Außerdem beobachtet Radford (1995, 1996) für den Erwerb jeder funktionalen Kategorie eine Phase des Übergangs, in der die Projektionen der einzelnen funktionalen Kategorien optional sind. So nennt er die folgenden Daten eines Kindes, das schon im Alter von 2; 9 vollständige, "erwachsene" CPs benutzt und dennoch CPs noch im Alter von 3; 3 an der Seite von verkürzten wA-VPs verwendet: (6)
a. can I have a drink of juice? can you? what am I going to do? (3; 3) b. how Fraser have his dinner? where Fraser put his plate? where Frase gone? how me going to get on? (3; 3) (vgl. Radford 1996: 74, 75)
Solche Beobachtungen und Bemerkungen können auch als Bestätigung für das Modell nach Clahsen et al. angeführt werden, dass die Phrasenstrukturen in der frühen Erwerbsphase unterspezifiziert sind, weil das Kind noch nicht alle sprachspezifischen abstrakten Merkmale des funktionalen Kopfes erworben hat. Weil Radford nicht von features ausgeht, spricht er eine solche Möglichkeit nicht an. Auch Vertreter der Kontinuitätsthese greifen Argumente aus den anderen Lagern auf. So diskutiert Hyams (1996) die Unterspezifizierung funktionaler Kategorien in der frühen Kindersprache. Im Gegensatz zu Clahsen et al. hat allerdings die Unterspezifizierung, wie Hyams sie versteht, nichts mit nur teilweise erworbenen funktionalen Merkmalen oder lexikalischem Lernen zu tun. Vielmehr ist für Hyams die Unterspezifizierung der kindlichen Phrasenstruktur das Ergebnis pragmatischer Beschränkungen in der Kindergrammatik, die das Kind daran hindern, die vollen Phrasenstrukturen zu verwenden (vgl. Hyams 1996: 93 und Kapitel 5.2.2.1). Insgesamt haben alle Ansätze eine Reihe von Gemeinsamkeiten. Die Vertreter der Reifungsthese wie Radford und Tsimpli, der schwachen und der starken Kontinuitätshypothese sind sich beispielsweise darin einig, dass UG-Prinzipien dem Kind in der frühesten Entwicklungsphase schon zur Verfügung stehen. Auch sehen Vertreter aller Positionen, dass im Laufe der Entwicklung Parameter gesetzt werden. Unterschiede ergeben sich lediglich durch die unterschiedlichen Einstellungen gegenüber der Rolle der funktionalen Kategorien. Tsimpli (1996: 39) schließt ihren Vergleich zwischen Reifungs- und Kontinuitätstheorien mit der folgenden Aussage:
148 The crucial difference is that, in the Continuity framework, this hypothesis [that child grammars differ from adult grammars in that their parameters are not yet set] is interpreted as necessitating the presence of functional projections plus the burden of the dubious notion o f 'default' or 'underspecified' values.
Als vorläufiges Ergebnis kann schon gesagt werden, dass die starke Kontinuitätshypothese besonders deutlich von dem bisher verfolgten theoretischen Modell des Minimalistischen Programms abweicht und deshalb für die folgende Diskussion der DP im Kindesalter am wenigsten geeignet scheint. Für die Erwachsenensprache wurde bislang von einer Ökonomie der Repräsentation ausgegangen, die für die Kindersprache möglichst ebenfalls angenommen werden soll. Die von Tsimpli kritisierte zusätzliche Last überflüssiger funktionaler Kategorien und der Begriff der unterspezifizierten Parameterwerte werden deshalb im folgenden Kapitel besonders kritisch unter die Lupe genommen. Das folgende Kapitel soll klären, welche der drei hier vorgestellten Modelle (oder eine Modifikation einer der Modelle) sich für die Beschreibung der DP im Erstspracherwerb am besten bewährt.
5.3 Entwicklungsmodelle fiir den Erwerb der D P
5.3.1
Überblick Uber Ergebnisse zum frühen Gebrauch der Determinierer und Quantoren
Bevor in Abschnitt 5.3.2 genauer auf die Relevanz der Kontinuitätshypothese, der Reifungshypothese und des Modells des lexikalischen Lernens eingegangen wird, wird hier noch ein Überblick über den frühen Gebrauch der Determinierer, der ersten Quantoren bzw. der DP im Alter zwischen ein und vier Jahren gegeben. Dabei werden vor allem Aspekte berücksichtigt, über die sich die meisten Forscher/innen weitgehend einig sind. Die Differenzen zwischen den einzelnen Ansätzen werden erst deutlich werden, wenn wir uns den theoretischen Interpretationen der hier vorgestellten Daten im Rahmen der Kontinuitätshypothese, der Reifungsthese und der These des lexikalischen Lernens zuwenden. Die meisten Linguist/innen gehen davon aus, dass Spracherwerb sich in mehrere Phasen untergliedern lässt, die durch bestimmte Charakteristika gekennzeichnet sind. Lalleman (1988: 2-6) unterscheidet vier große Phasen des Spracherwerbs: die prälinguistische Phase, die frühe linguistische Phase, die Differenzierungsphase und die Komplettierungsphase. Die prälinguistische Phase (ca. das Alter von 0 bis 1 Jahr) ist durch den Erwerb des Phoneminventars gekennzeichnet und reicht von der Schreiperiode bis zur Brabbelperiode. Die frühe linguistische Phase (ca. 1 bis 2,6 Jahre) setzt mit den ersten Ein-Wort-Äußerungen ein; die Äußerungen werden in der folgenden Zwei-Wort-Phase und der Multi-Wort-Phase zunehmend länger, während das Lexikon expandiert. Die Differenzierungsphase umfasst das Alter von 2, 6 Jahren bis fünf Jahre, in der grammatische Morpheme, Flexionen und erste komplexe Satzstrukturen (Negation, Fragen, Einbettungen) erworben werden. In der Komplettierungsphase (5 bis 10 Jahre) schließlich beginnt das Verständnis von Passiv- und Infinitivstrukturen. Der Erwerb der Determiniererphrase setzt in der Zwei-Wort-Phase ein, in der u.a. schon Demonstrativa benutzt werden (vgl. Braine 1963) und reicht mindestens
149 bis in die Differenzierungsphase, in der zunehmend grammatische Morpheme und Flexion (z.B. Genitiv-'s) auftreten. Der Erwerb der DP beginnt zunächst mit dem Gebrauch einzelner, isolierter Nomina. Dies hängt mit dem Charakteristikum früher Kindersprache zusammen, die zunächst lediglich aus Nomina, Verben und Adjektiven sowie einigen Präpositionen besteht. Die Äußerungen ab der Ein-Wort-Phase und darüber hinaus sind deshalb auch mit dem Stichwort "telegraphic speech" belegt worden. Brown/Bellugi-Klima (1971: 311) schreiben dazu: When words cost money there is a premium on brevity or to put it otherwise, a constraint on length. The result is "telegraphic" English and telegraphic English is an English of nouns, verbs, and adjectives. [...] The telegram omits: my, has, and, I, have, my, to, me, at, the, in. So verwundert es kaum, dass in der Ein-Wort-Phase Nominalphrasen durch die Kategorie N repräsentiert werden, wie Beispiele aus Ede/Williamson (1980: 97) belegen: (1)
Looking at picture of a long red worm in a book Helen, what's this? HELEN Carrot. [...] CHRIS Helen, what's this? (Pointing to picture of water) CHRIS
HELEN
Water.
CHRIS
And what goes on the water? (Expecting answer 'ducks' as some had been seen that afternoon) Fish. Fish? Water. (Helen, 1;8)
HELEN CHRIS HELEN
In dieses Bild passt dann auch Wells' (1985: 256) Feststellung, dass Nomina die erste syntaktische Klasse sind, die als Köpfe der Nominalphrase auftreten und dass bis zum Alter von 21 Monaten mehr als zwei Drittel der Nominalphrasen Nomina als Köpfe haben. Interessanterweise treten aber im Alter von 15 Monaten (dem Ausgangspunkt für Wells' Untersuchung von einer Reihe von Kindern) auch schon die ersten Elemente auf, die in der Erwachsenensprache als Determinierer fungieren. 13 So findet man Demonstrativpronomina mit einem Anteil von ca. 10% in der Sprache von 15 Monate alten Kindern (der Anteil sinkt später auf konstante 6% im Alter von 60 Monaten) sowie Personalpronomina mit einem Anteil von ca. 5%, deren Zahl zwischen dem Alter von ca. 27 Monaten und 45 Monaten rapide bis auf 40% ansteigt, um dann konstant zu bleiben. Andere Pronomina und Possessiva treten zwischen dem Alter von 18 und 27 Monaten auch schrittweise auf, aber deren Zahl ist nicht so groß. "[...] only Personal and Demonstrative pronouns emerge in full by the age of five; in the other sub-systems only some of the options are being used at all widely." (Wells 1985: 169)
13
Es gibt geteilte Meinungen darüber, ob diese Elemente auch schon in der Kindersprache als Determinierer betrachtet werden können. De Villiers/de Villiers (1986: 42) deuten aber die Möglichkeit an, dass die Kategorie "Determinierer" spätestens in der Differenzierungsphase erworben ist. Der Einfachheit halber bezeichne ich die Elemente auch im folgenden mit ihren üblichen Kategorien.
150 Auch fiir die Zwei-Wort-Phase gibt es eine Reihe von Beispielen, die Wells' Beobachtungen untermauern: Bloom (1970: 34-35) beschreibt die Sprache des Kindes Kathryn und stellt dabei fest, dass die häufigste Konstruktion, die aus mehr als einem Morphem besteht, bei Kathryn eine Kombination aus Demonstrativpronomina und Substantiven ist, z.B. (2)
a. This house b. That [ö] boys c. That [ö] baby
(Kathryn, Alter: 1 ;9; Bloom 1970: 35)
Auch in anderen Korpora finden sich Beispiele für Demonstrativpronomina, die schon in der Zwei-Wort-Phase auftreten: (3)
a. that Kimmy. that Scott, that lady, that hole, that ... candy, that Daddy's, that Kimmy ball (Kendall, > 1;10 l 4 / B o w e r m a n 1973: 242) b. that söng. häve that, that go thöre. that bröke ['that's broken'] (Nigel, 1;7.5-1;9 / Halliday 1975:95,96, 97) c. that blue, that truck, that's eye. that elephant, that broken (Christy, 2;0-2;3 / Miller/Ervin 1975: 19) d. That my cup [ - T h a t is my cup'] 15 . That a horse [ - T h a t is a horse']. That a blue flower [='That is a blue flower']. (Brown/Bellugi-Klima 1971: 317) 16
Was die Personalpronomina betrifft, scheinen sich die Forscher/innen einig zu sein, dass / , you und /'/ die Pronomina sind, die zuerst auftreten. Chiat (1986: 343) z.B. schließt, nachdem sie eine Übersicht über naturalistische Studien zu Personalpronomina gegeben hat: "One finding has, however, been borne out by various studies: that the 1st person singular forms, the 2nd person singular forms, and it are in advance of other pronouns." Auch erste Kombinationen mit pränominalen Genitiven sind schon zu verzeichnen, allerdings ist der 'j-Klitik offenbar noch nicht bei allen Kindern obligatorisch: (4)
a. Kendall rocking chair b. Kendall pail 17 (Kendall, > 1;10 / Bowerman 1973: 241) c. that Daddy's (Kendall, > 1; 10 / Bowerman 1973: 242)
Außerdem ist gerade in der Zwei-Wort-Phase nicht immer klar, ob es sich bei der Konstruktion um eine Kombination von pränominalem Genitiv und Kopf handelt. Ingram (1989: 277) unterscheidet (basierend auf Bloom 1970) u.a. zwischen den folgenden Konstruktionen, deren Funktion oder Bedeutung (in Klammern) sich vor allem aus dem Kontext ergeben hat: (5) 14 15
16
17
a. Mummy sock (subject - object)
Bowerman macht keine genaueren Angaben zum Alter Kendalls. The continuing failure to find in noun phrase positions whole constructions of the type "That a blue flower" signals the fact that these constructions are telegraphic versions of predicate nominative sentences omitting the verb form is. Examples of the kind of construction not obtained are: "That (that a blue flower)"; "Where (that a blue flower)?"." (Brown/Bellugi-Klima 1971: 317) Brown/Bellugi-Klima geben hier keine genauen Daten an. Die Beispiele stammen aus einem Korpus von Äußerungen, die von Adam (zwischen 2;3 und 3;0 Jahren zur Untersuchungszeit) und Eve (zwischen 1 ;6 und 2;3 Jahren zur Untersuchungszeit) produziert wurden. Bowerman interpretiert die Konstruktionen (a) und (b) als "N (Genitive) + N".
151
b. Kathryn sock (genitive) c. Wendy elevator (locative) Schon deutlich später als possessives 's werden laut Brown (1973: 274) die ersten Artikel benutzt. Wells, Hill und Brown/Bellugi-Klima nennen einige Beispiele, die zum Ende der Zwei-Wort-Phase auftreten: (6)
a. a coat/a celery/a Becky/a hands/the top (Brown/Bellugi-Klima 1971: 315) b. a blue flower/a your car/a my pencil (Brown/Bellugi-Klima 1971:317) c. Dere de loights (= There are the lights) / Dere's a wheel (= There's a wheel) / Dere's the hood (Robert, 2;5 / Wells 1985: 426) d. where the hat? / theres the tail / play the carriage / its a baby (Claire, 2;0-2;2 / Hill 1983: 128, 129, 133)
Allerdings ist am Anfang noch nicht deutlich, ob die Artikel in der Kindersprache nun schon selbständige Morpheme sind oder ob es sich zunächst um eine Besonderheit der Aussprache der folgenden Wörter handelt, wie Brown (1973: 355) vermutet. 18 Die häufigen Fehler in den obigen Beispielen deuten auch darauf hin, dass die Unterscheidung zwischen Definitheit und Indefinitheit in diesem frühen Alter noch nicht beherrscht wird. Die anschließende Entwicklung ist durch den Erwerb weiterer Determinierer und Quantoren gekennzeichnet. Wells (1985: 169-171) erklärt in seiner Untersuchung, dass nach den ersten Demonstrativ- und Personalpronomina (/, it, that, you, me) zunächst die Weiterentwicklung des Subsystems der Personalpronomina zu verzeichnen ist. In diesem Stadium treten dann erste Possessivpronomina auf. (7)
a. b. c. d.
my mommy / my daddy / my milk (Gregory, 1 ;7-1 ; 11 / Braine 1963: 4) our car / our door (Andrew, l;7-2;0 / Braine 1963: 5) Get it. Catch it. Open it. (Lucy, 1;8 / Radford 1990: 102) water in it / push him out / look I found (Claire, 2;2 / Hill 1983: 136, 139, 140)
Die Daten von Braine, die sich auf die frühe Zwei-Wort-Phase beziehen, und Maratsos (1979: 230) Analyse deuten allerdings auf einen wesentlich früheren Erwerb der ersten Possessivpronomina, als Wells es annimmt: "The first determiners to appear in such phrases [d.h. Zwei-Wort-Kombinationen] are quantifiers such as more and possessives [...] such as mommy('s) or my (Brown, 1973). With time, adjectives, demonstratives and articles also appear prenominally [...]." In der darauffolgenden Entwicklungsphase 19 werden laut Wells die letzten Personalpronomina, Possessivpronima, these/those sowie die ersten Quantoren (some, any) erworben. Auch für diese Beobachtungen Wells' gibt es Belege, ebenso wie filr die ersten Numeralia: (8)
18 19
a. Any of my presents. / Some sellotape. / Any more. (Elizabeth, 2;2 / Radford 1990:285)
Gleiches gilt übrigens auch für andere Determinierer, vgl. Chiat (1986: 349). Es handelt sich hier nicht um Spracherwerbsphasen, sondern um die Einteilung Wells' des Erwerbs der Pronomina in mehrere Phasen.
152 b. Take these out, take that one out. / These are mine Mummy ... My ... these mine jigsaws. / Look at these, Mamma ... look at these. (Helen, 2;2 / Ede/Williamson 1980: 131, 137) c. one. six. seven, two (Claire, 2;2 / Hill 1983: 136) Auffällig ist bei allen Beispielen die noch bestehende Unsicherheit bzgl. des Gebrauchs der Determinierer und Quantoren sowie die Tatsache, dass bisher viele stark betonte Ds und Qs in den Beispielen genannt werden. Dies scheint u.a. damit zusammenzuhängen, dass diese leichter zu segmentieren sind: "We are fairly sure that differential stress is one of the determinants of the child's telegraphic productions." (Brown/Bellugi-Klima 1971: 311) Wells (1985: 263-265) beschreibt ferner eine Entwicklung von einer Nominalphrase, die aus ein oder zwei Elementen besteht, zu einer komplexeren Phrase. Während zwischen 1 ;3 und 1 ;9 Jahren v.a. die Konstruktionen a + N s j n g, the + N s j n g und Possessivum + N s j n g vorherrschen, treten ab dem Alter von 1 ;9 Jahren Konstruktionen mit mehr als zwei Konstituenten dazu. Die Entwicklung zum Komplexen lässt sich leicht am Beispiel von Helens Sprache aus Ede/Williamson (1980) nachvollziehen: (9) (10)
(11)
(12)
a. Cough. Spoon. Spoon. b. Henen's spoon. Nother [-another'] spoon
(Helen, 1 ;9)
a. Mummy's shopping basket b. Like some cornflakes ... Baby like some cornflakes. c. One toast. Have one toast.
(Helen, 2;0)
a. I walk in my best shoes. b. This is a likkle [= 'little'] one, somefin c. What's the/What's the big piece?
(Helen, 2;2)
On the side of the farm
(Helen, 2;7)
( E d e / W i l l i a m s o n 1980: 105, 119, 1 3 5 , 1 3 8 , 153)
Ede/Williamson (1980: 161) kommentieren die Entwicklung folgendermaßen: "At two years a two-element pattern was common ('likkle box'), whereas now Helen can not only modify nouns and other words with several preposed words but she can also postmodify them: in addition to items like 'all the animals', 'a likkle space' and 'a nice bekfast', we have 'a likkle space for them Ito get ouf and 'white like that one Idown there'." Mit 2;7 Jahren hat Helen also begonnen, das volle X-Bar-Schema auszunutzen, indem sie pränominale und postnominale Modifizierer (Komplemente und Adjunkte) benutzt. Brown/Bellugi-Klima (1971: 318) und Maratsos (1979: 230) betonen außerdem, dass schon ab der Zwei-WortPhase ein Bewusstsein darüber besteht, dass Nominalphrasen Einheiten sind: "The child may now say things such as want it, want cereal, want more cereal, want my cereal, in which more cereal and my cereal and the cereal have the same distributional privileges as it or cereal; i.e. they act as units, as NPs." Nachdem nun geklärt wurde, wie der Erwerb der DP bis zum Alter von etwa drei Jahren im wesentlichen vollzogen wird, wird im folgenden gezeigt, welche Aussagen die in Kapitel 5.2 vorgestellten theoretischen Modelle zur Entwicklung der DP machen werden. Gleichzeitig wird versucht einzuschätzen, welches Modell den Erwerb der Nominalphrase am angemessensten beschreibt. Diese Einschätzungen sind u.a. wichtig fiir das dann folgende
153 Kapitel 6, in dem genauer auf den Erwerb der Quantoren in der Nominalphrase eingegangen wird.
5.3.2 5.3.2.1
Theoretische Modelle zum Erwerb funktionaler Kategorien in der Nominalphrase Die Kontinuitätshypothese und ihre Relevanz für den Erwerb der Nominalphrase
Vertreter der Kontinuitätshypothese wie Penner/Weissenborn (1996: 161) gehen davon aus, dass spätestens mit dem Einsetzen der Zwei-Wort-Phase das Kind über eine vollständige DP-Struktur verfügt: "More specifically, we will argue that, analogous to the development of Complementizer Phrases (CP) [...], fullfledged DPs are part of the child's grammar from early on." Ferner legen sie sich auf die Position der strong continuity fest, nach der Parametersetzungen entweder sofort vollständig mit der Zielsprache übereinstimmen oder zumindest teilweise übereinstimmen und später schrittweise gesetzt werden. Abweichungen der Kinder- von der Erwachsenensprache sind das Resultat dieser schrittweisen Parametersetzungen. Nicht zulässig sind in diesem Modell Parameter-Falschsetzungen, die im Laufe der Entwicklung korrigiert werden. Für Penner/Weissenborn (1996: 164) ist die Frage nach den Entwicklungsphasen im Erstspracherwerb vor allem eine Frage nach der Reihenfolge der Parametersetzungen. Trotz der Festlegung auf eine strong continuity beobachten auch Penner/Weissenborn für den Erwerb der DP im Hochdeutschen und im Berner Deutsch verschiedene Entwicklungsphasen, in denen eine Position D° nicht immer eindeutig attestiert ist. Sowohl im Hochdeutschen als auch im Berner Deutsch beginnt der Erstspracherwerb mit einer Phase, in der bloße Substantive ohne Artikel verwendet werden. Auf diese Phase folgt ein Entwicklungsstadium, in dem die ersten N-N-Possessiva auftauchen, beispielsweise Nomi Bett ("Naomis Bett') (vgl. Penner/Weissenborn 1996: 179). Erst ab dem Alter von 1;7 werden im Berner Deutsch die ersten Possessivstrukturen mit Genitiv-s attestiert; die N-N-Possessiva sind aber immer noch sehr häufig. Erst ab 1; 10 werden im Berner Deutsch die vollständigen Possessivstrukturen dominanter; gleiches gilt für Possessivstrukturen mit Genitiv-s im Hochdeutschen ab 2;0 (vgl. Penner/Weissenborn 1996: 179, 188). Penner/Weissenborns Analyse dieser Nominalphrasenstrukturen im Sinne der Kontinuitätshypothese ist nicht immer überzeugend. So interpretieren Penner/Weissenborn (1996: 178) beispielsweise die bloßen Substantive im Alter von 1;2 bis 1;6 fast ausschließlich als Vokative: "A closer look at the data reveals, however, that the vast majority of the nominals attested at this stage (97%) can be analyzed as vocatives [...]." Eine Analyse fast aller bloßen Substantive als Vokative ist kaum überzeugend. Die folgenden Daten aus Radford, die ebenfalls die Verwendung bloßer Substantive in der frühen Kindersprache belegen wollen, illustrieren deutlich Verwendungen ohne Vokativ: (13)
Paula good girl (= 'Paula is a good girl'). Ribbon off. Paula want open box. (Paula, 1 ;6 / Radford 1990: 84, Hervorhebungen des Autors)
Ferner benutzen Kinder undeterminierte Substantive auch in Antworten auf Wh-Fragen oder in imitativen Äußerungen: (14)
a. What's this? - Balloon. (Dewi, 1 ;6)
154 b. What's that one? - Chick. (Stephen, 1 ;7) c. What's this? - High chair. (Bethan, 1 ;9) (15)
a. Did you drop your tea? - Drop tea (Stefan, 1 ;5) b. You were playing in the water - In water (Hayley, 1 ;8) (Radford 1990: 84-85, Hervorhebungen des Autors)
Die Vielfalt der Positionen, in denen bloße Substantive als Argumente von Verben oder Präpositionen auftauchen, widerspricht j e d e r Analyse der bloßen Substantive als Vokative. Auch Penner/Weissenborns Analyse der N-N-Possessivstrukturen wie Nomi Bett (Naomis Bett) als DPs ist offen f ü r andere Interpretationen. Penner/Weissenborn (1996: 183) ordnen Nomi Bett die folgende Phrasenstruktur zu: DP
(16)
D'
Spec Nomi
D°
NEUT:SG
NP Bett NEUT:SG
Es existiert aber m.E. keine Evidenz für die Existenz eines funktionalen Überbaus. Es ist also genauso gut möglich, die Nominalphrase Nomi Bett als N P mit Nomi als Spezifizierer der Nominalphrase zu interpretieren: (17)
^ Spec Nomi
NP
^ N Bett
Diese Alternative wird beispielsweise von Radford (1990, 1995, 1996) konsequent vertreten und entspräche eher einem minimalistischen Ansatz, der so wenig Symbole und Struktur wie möglich verlangt (Ökonomie der Repräsentation, vgl. Chomsky 1989 und Kapitel 2.3): Minimai Projection Principle Syntactic representations are the minimal projections of the lexical items they contain which are consistent with grammatical and lexical requirements. (Radford 1996: 55) Penner/Weissenborns These, dass die Entwicklung der DP hauptsächlich durch Parametersetzungen bestimmt wird, müsste auch einer genaueren Prüfung unterzogen werden. Auffällig ist, dass sich ihre Untersuchung ausschließlich auf Possessivstrukturen und Artikel beschränkt. Selbst wenn Parametersetzungen für die Entwicklung der DP in der frühen Kindersprache verantwortlich sind, kann das Modell nicht erklären, warum einige Typen der Determinierer, beispielsweise Demonstrativa, früher auftreten als andere. Darüber hinaus ist ein Modell der schrittweisen Parametersetzung als Entwicklungsmodell für den Spracherwerb problematisch. Penner/Weissenborns Modell lässt lediglich folgende Möglichkeiten zu: a) Der Parameter ist bereits von A n f a n g an gesetzt. Die Struktur der Kindersprache müsste also in dem mit dem Parameter assoziierten Bereich mit der Erwachsenensprache übereinstimmen.
155
b) Der Parameter wird schrittweise gesetzt. Dies ist die Ursache für Interimsgrammatiken des Kindes, die noch nicht ganz der Zielsprache entsprechen, aber auch nicht von der Universalgrammatik abweichen. Für die DP gehen Penner/Weissenborn (1996: 177) insbesondere davon aus, dass Interimsrealisierungen der D°-Position in der Kindersprache auftauchen werden. Obwohl die DP für Penner/Weissenborn in der frühen Kindersprache bereits existiert, könnte D° auch durch einen Platzhalter, beispielsweise ein Schwa, realisiert werden. M o r e precisely, on the one hand, w e expect the full-fledged D P structure (including Possessor Raising, expletive insertion, and N - t o - D m o v e m e n t ) to be available at an early stage. On the other hand, w e predict the D ° position to be initially spelled out by an interim device (most likely a p l a c e holder).
Diese Lösung ist problematisch, weil sie zwar Platzhalter zulässt, aber nicht ein Alternieren zwischen einer unbesetzten und einer besetzten D°-Position, wie sie für die frühe Kindersprache typisch ist.20 Stenzel (1997: 132) beispielsweise nennt einige Kontexte, in denen ein Kind Artikel und Demonstrativpronomina auslässt, obwohl die Formen bereits erworben sind. Die Setzung eines Parameters, auch wenn sie schrittweise geschieht, müsste eigentlich stets Sprünge in der Entwicklung zur Folge haben, beispielsweise von einer Verwendung von Platzhaltern zu einer 100% grammatischen Verwendung von Artikeln. Ein Parameter oder ein Teil eines Parameters kann lediglich gesetzt oder nicht gesetzt sein; die tatsächlich stattfindende langsame Entwicklung der Verwendung der Artikel von gelegentlichem Verwenden bis zum Einsatz in allen obligatorischen Kontexten ist in einem solchen Modell nicht denkbar. Wenn ein Parameter teilweise gesetzt ist, ist auch nicht erklärlich, warum die früheren, nicht-grammatischen Strukturen in der Kindersprache häufig immer noch neben den späteren, der Erwachsenensprache entsprechenden Strukturen für einige Zeit bestehen bleiben. Hyams ist eine weitere Vertreterin der Kontinuitätshypothese. Auch sie geht von vollständigen funktionalen Projektionen in der frühen Kindersprache aus, aber sie liefert für die fehlenden funktionalen Elemente in den Phrasenstrukturen der frühen Kindersprache ein völlig anderes Erklärungsmodell. Unter anderem behauptet sie für die DP, dass Kinder in den frühen Phasen des Erwerbs ein optionales Spezifizierungsstadium (optional specificity stage) durchlaufen (vgl. Hyams 1996: 93). Während diesem Stadium sind funktionale Elemente, insbesondere Determinierer, für das Kind optional. Dies bedeutet, dass die funktionalen Projektionen präsent sind, aber nicht notwendigerweise besetzt werden müssen. Im Gegensatz zu Penner/Weissenbom (1996) geht Hyams nicht von schrittweisen Parametersetzungen als Ursache für diese Abweichungen von der Erwachsenensprache aus, sondern sie führt ein noch nicht vollständig entwickeltes Syntax/Pragmatik-Interface als Ursache an (vgl. Hyams 1996: 93, 114). In den frühen Entwicklungsphasen ist das kindliche Verständnis von nominaler und temporaler Spezifizität unterentwickelt. Frühe Kindergrammatiken erlauben es dem Kind, D in bezug auf nominale Spezifizität nicht festzulegen, d.h., im Gegensatz zur Erwachsenensprache muss in der frühen Kindersprache ein Nomen nicht als 'spezifisch' oder 'nicht-spezifisch' markiert werden. Also können Kinder in Kontexten, in denen in der Erwachsenensprache ein Determinierer obligatorisch wäre, bloße
20
Radford ( 1 9 9 5 ) nennt auch Beispiele, in denen Kinder z w i s c h e n dem Gebrauch der IP/CP und d e m Gebrauch einer bloßen V P alternieren.
156
Substantive ohne Artikel verwenden. 21 Die Nomina ohne Artikel erhalten in der Kindersprache die pragmatische Standardinterpretation 'bekannt'. In der Erwachsenensprache ist dies nicht zulässig, weil pragmatisch-grammatische Beschränkungen verlangen, dass Nomina grammatisch interpretiert werden müssen, wo dies möglich ist (vgl. Hyams 1996: 115). Hyams' Modell hat Vorzüge und Nachteile. Ein großer Vorzug ist sicher der Erklärungsansatz, der Syntax, Semantik und Pragmatik zueinander in Beziehung setzt. Der pragmatische Erklärungsansatz, warum D° in der frühen Kindersprache optional ist, wird den Daten eher gerecht als der Ansatz von Penner/Weissenborn, der optionale Determinierer nicht adäquat berücksichtigt (siehe oben). Darüber hinaus verknüpft Hyams auf überzeugende Weise kognitive und sprachliche Entwicklung. Wie im Ansatz von Penner/Weissenborn ist aber auch in Hyams' Modell nicht einsichtig, warum Nominalphrasen in früher Kindersprache bereits DPs sein sollen. Gemäß der Ökonomie der Repräsentation erscheint es sinnvoller, zunächst von NPs auszugehen, bis Evidenz für einen systematischen Gebrauch der Determinierer in den meisten ihrer obligatorischen Kontexte vorliegt. Darüber hinaus ist der Verweis auf die weitere Entwicklung zur DP der Erwachsenensprache und seine treibenden Mechanismen sehr vage: On this view, then, the shift to the adult grammar, and hence away from root infinitives, null subjects, and determinerless nominals, involves a restructuring (or several restructurings) not of the syntax proper, but rather of the mapping between grammar and pragmatics. (Hyams 1996: 115)
Es wird nicht deutlich, wie sich die weitere Entwicklung vollzieht; die Andeutung einer "Restrukturierung" des Pragmatik/Grammatik-Interface ist nicht sehr erhellend. Vertreter der Kontinuitätshypothese haben sich bislang vor allem auf Artikel, Demonstrativa und Genitivstrukturen konzentriert, weil diese die frühesten Indizien für funktionale Elemente in der kindlichen Nominalphrase darstellen und eher Belege für Kontinuität liefern als andere Formen. Andere Formen, wie beispielsweise die Quantoren some, any, no, all oder many, wurden in diesem Modell bisher noch nicht ausführlich diskutiert. Warum solche Formen später auftreten als etwa Artikel oder Demonstrativa, wird in diesem Modell nicht berücksichtigt. Da die Kontinuitätshypothese voraussagt, dass die funktionale Kategorie bereits im frühesten Kindesalter zur Verfügung steht, kann der spätere Erwerb von Quantoren lediglich auf Gründe zurückgeführt werden, die nicht-grammatisch sind. Möglich wären hier pragmatisch-semantische Komplexität, fehlende Häufung in der Muttersprache oder die Tatsache, dass einzelne Formen phonologisch schwer zu segmentieren sind. Inwieweit diese Prognose der Kontinuitätshypothese für die DP zutrifft, wird im folgenden Kapitel 6 geprüft. Wie sich herausstellen wird, sind solche Begründungen vor allem für die Entwicklung einzelner Formen unzureichend. Bevor die Kontinuitätshypothese in Kapitel 6 noch einmal beleuchtet wird, werden zunächst noch die zwei Alternativen zur
21
D wird von Hyams (1996: 114) in diesem Fall als unterspezifiziert bezeichnet. Ein unterspezifizierter Kopf ist nach Hyams eine Form ohne linguistischen Antezedenten, für den als default eine deiktische Interpretation gewählt wird. Unterspezifizierung kann morphologisch signalisiert sein Unterspezifizierung kann im Fehlen von Determinierern, Auxiliarverben oder dem Auftreten von Nullsubjekten resultieren. Ich verwende den Ausdruck hier nicht, um Konfusion mit dem Ausdruck 'Unterspezifizierung' nach Clahsen et al. (1996) zu vermeiden, mit dem Hyams' Unterspezifizierungsbegriff nur teilweise überlappt.
157 Kontinuitätshypothese diskutiert - die Reifungsthese und das Modell des lexikalischen Lernens. Auch für die beiden Alternativen wird nun überlegt, welche Aussagen sie zur DP machen können.
5.3.2.2 Die Reifungsthese, der strukturbildende Ansatz und ihre Relevanz für den Erwerb der Nominalphrase Die Reifungsthese bzw. der strukturbildende Ansatz verstehen sich als direkte Alternative zu Kontinuitätshypothese. Wie in Abschnitt 5.2.2 bereits erläutert wurde, gehen Vertreter dieser Ansätze wie Radford (1990), Tsimpli (1996) und Parodi (1998) davon aus, dass das Kind eine sogenannte "lexikalische" Phase des Spracherwerbs durchläuft, in der jegliche funktionale Kategorien abwesend sind. Insbesondere heißt dies, dass die Kategorie D in früher Kindersprache nicht präsent ist, sondern dass nominale Konstituenten rein lexikalische Projektionen (nämlich NPs statt DPs) sind. Als Belege, die diese These untermauern sollen, führt Radford (1990: 83 ff.) folgende Beobachtungen an: Kinder in dem Entwicklungsstadium, das Radford als lexikalische Phase bezeichnet, benutzen in Kontexten, in denen Erwachsene DPs benutzen, nicht-determinierte Nomina: (18)
Paula good girl (= 'Paula is a good girl'). Ribbon off. Paula want open box. (Paula, 1 ;6/ Radford 1990: 84, Hervorhebungen des Autors)
Die Kinder benutzen diese undeterminierten Nomina auch in Antworten auf Wh-Fragen bzw. in imitativen oder semi-imitativen Äußerungen: (19)
a. What's this? - Balloon. (Dewi, 1 ;6) b. What's that one? - Chick. (Stephen, 1 ;7) c. What's this? - High chair. (Bethan, 1 ;9)
(20)
a. Did you drop your tea? - Drop tea (Stefan, 1 ;5) b. You were playing in the water - In water (Hayley, 1 ;8) (Radford 1990: 84-85, Hervorhebungen des Autors)
Radford (1990: 86) schließt: "If we make the conventional assumption that children can consistently imitate only those items whose morphosyntax they have mastered, then the fact that they systematically imitate adult DPs as NPs would seem to suggest that they have not yet developed a D-system of their own." Als weiteren Hinweis, der diese Annahme stützt, wertet Radford (1990:88) die Tatsache, dass Kinder in diesem Alter im allgemeinen kein Genitiv-'s benutzen, das in der Erwachsenensprache anzeigt, dass AGR in der D-Position ist (vgl. Beispiele (18)a und b in Kapitel 2.2.2.1). Ferner behauptet Radford (1990: 91) noch, dass ein enger Zusammenhang zwischen dem D-System und dem Kasussystem besteht: "If we are correct in supposing that case is an inherent property of the D-system, then we should expect to find that there will be no case-system operating in child grammars until such time as the D-system has been acquired." Belege für diese Behauptung liefern die folgenden Beispiele, die deutlich zeigen, dass Kinder im entsprechenden Alter weder die kasusmarkierende Präposition o/benutzen, die Nominalkomplemente einleitet, noch kasusflektierte Pronomina gebrauchen, sondern Vermeidungsstrategien zu Hilfe nehmen:
158
(21)
a. [Cup tea] (= 'a cup of tea', Stefan, 1;5) b. [Picture Gia] (= 'a picture of Gia', Gia, 1;8) (vgl. Radford 1990: 91)
(22)
a. Baby Allison comb hair. Baby eat cookies. (Allison, 1; 10) b. Get Mommy cookie. Pour Mommy juice. (Allison, 1; 10) (vgl. Radford 1990: 94)
Beispiele (22)a und b illustrieren, dass Allison die Pronomina I (als Referenz auf sich selbst) und you (als Anredepronomen für ihre Mutter) vermeidet und statt dessen Eigennamen benutzt. Die Tatsache, dass viele Kinder aus Radfords Korpus diese Vermeidungstrategien benutzen, wertet Radford als Hinweis, dass nicht nur die Morphosyntax des D-Systems, sondern auch die Semantik des D-Systems noch nicht erworben ist: (23)
a. Helen ride (Helen, 1;9) b. Jem put back. Jem draw orange. Mummy smack Jem (Jem, 1;11) c. Hayley draw boat (Hayley, 1 ;8) d. Bethan sit down (Bethan, 1;8) (Radford 1990: 96)
Radford (1990: 98-99) stellt aber darüber hinaus fest, dass Kinder durchaus Nominalflektion wie z.B. Plural-s benutzen, und Strukturen wie "Wayne hitting Danny" haben typischerweise die Interpretation AGENT + ACTION + PATIENT, was auf eine korrekte Zuordnung von Thetarollen hinweist. Radford schließt aus seiner Analyse, dass die lexikalische Kategorie N und ihre assoziierten semantischen und morphosyntaktischen Eigenschaften in der "lexikalischen Phase" bereits erworben sind, während die funktionale Kategorie D und ihre Eigenschaften in der Kindersprache fehlen. In einem zweiten Schritt werden im Spracherwerb die funktionalen Kategorien "on line" gesetzt. Durch Reifung (maturation) ist das Kind also in der Lage, sie zu aktivieren. Radfords Hypothese, dass eine rein lexikalische Phase im Spracherwerbsprozess existiert, ist von einigen Linguist/innen akzeptiert, verteidigt und für andere Sprachen untersucht worden (vgl. beispielsweise Atkinson 1992, 1996, Tsimpli 1996, Parodi 1998). Tatsächlich gibt es Ergebnisse aus anderen Sprachen, die Radfords Analyse bestätigen. Sowohl Clahsen (1984: 7-9) als auch Eisenbeiß (1994: 281) beschreiben im Deutschen eine Phase, in der die Nominalphrasen der Kinder scheinbar weder Determinierer noch eine Markierung (z.B. für Kasus) am Nomen enthalten: "Anfangs - während der Stufen II und III - dominieren 'keine Markierungen': Die Kinder verwenden Nominalphrasen ohne Determiner und Personalpronomen in kasusneutraler Form. Kasusmarkierte Formen sind in dieser frühesten Entwicklungsphase nicht belegt." (Clahsen 1984: 8) Die parallelen Ergebnisse suggerieren, dass es eine (universale) lexikalische Phase im Spracherwerb geben könnte. Einschränkend muss jedoch gesagt werden, dass Clahsen und Eisenbeiß nicht von einer Dichotomie zwischen lexikalischer und funktionaler Phase ausgehen. Sie beschreiben eine "allmähliche Entwicklung" (Eisenbeiß 1994: 282) der DP in drei Phasen, wobei die Phasen von einer inaktiven Phase über die Aktivierung des D-Systems bis zum vollständigen Erwerb des DSystems reichen. Kritik an Radford (1990) lässt sich auf der empirischen und der theoretischen Ebene anbringen. Auf der empirischen Ebene z.B. lassen sich einige Gegenbeispiele zu Radfords Thesen finden. So ist schon in Kapitel 5.3.1 betont worden, dass Demonstrativ- und Per-
159 sonalpronomina relativ früh im Spracherwerb auftreten. Über diese Tatsache sind sich die Linguist/innen offenbar weitgehend einig: Beispiele dazu finden sich in fast jeder Arbeit, selbst Radford (1990: 100) zitiert einige Beispiele. Der frühe Gebrauch dieser Determinierer widerspricht Radfords These, dass das D-System in der frühen linguistischen Phase noch nicht erworben ist. Um dieses Gegenargument zu widerlegen, behandelt Radford (1990: 101-103) diese Elemente als impostors, d.h., er betrachtet z.B. die Demonstrativa als isolierte Elemente, die gebraucht werden, ohne dass die komplette zugehörige Kategorie D schon erworben ist. Dieses Argument lässt jedoch offen, warum gerade die Demonstrativund Personalpronomina bei allen beobachteten Kindern in einer systematischen Reihenfolge so früh erworben werden und so gehäuft auftreten (vgl. Kapitel 5.3.1). Wales (1986: 4 0 2 ) betont sogar, dass das frühe Auftreten deiktischer Elemente wie that universal sein könnte. Ferner beobachten Ede/Williamson (1980), dass das Kind Helen in ihrer Studie das Genitiv- 's schon ab der Ein-Wort-Phase benutzt. Radford (1990: 107) bezeichnet zwar auch dieses Element als impostor in der frühen linguistischen Phase, aber der (fast) konsequente Gebrauch von 's durch Helen in allen Phasen verblüfft trotzdem: (24) HELEN CHRIS
HELEN
Socks Whose socks? Henen's [='Helen's']
(Helen, 1 ;8, Ende der Ein-Wort-Phase)
(25)
Knife. Daddy's spoon. Henen's spoon.
(Helen, 1 ;9)
(26)
a. Mummy's shopping basket b. Pease ... in Aunty Nanny's car ... Get pushchair in Aunty Nanny car. c. Pease ... on/on Mummy's plate ... That's it. d. Henen's baby in there. (Helen, 2;0) (Ede/Williamson 1980: 98, 105, 113, 114, 115, 117)
Natürlich ließe sich in all diesen Fällen argumentieren, dass die Kinder in diesem frühen Alter schon Determinierer benutzen, weil ihre lexikalische Phase kürzer andauert oder bereits früher als im Durchschnitt abgeschlossen ist. Radford (1994: 15) hat in einem anderen Zusammenhang 2 2 sogar genau dies behauptet: "[...] for others this period [d.h. eine lexikalische Phase] may be much shorter - indeed vanishingly short if we espouse the possibility suggested by Roeper 1992, p. 3 4 0 that children may go through 'silent stages'." Auch Radfords These, dass Kinder Personalpronomina in frühen Entwicklungsphasen nicht benutzen, ist nicht unbedingt haltbar. Radford zitiert Bloom/Lightbown/ Hood (1978) als Nachweis dafür, dass Kinder einer gewissen Alterstufe rein nominale Strukturen ohne funktionale Elemente aufweisen: "[...] Bloom et al. (1978) report that Allison's NPs at this stage were 'exclusively nominal'." (Radford 1990: 93-94) Er übersieht dabei, dass Bloom et al. (1978: 237) fortfahren: "In other data from English-speaking children [...] there were children w h o appeared to use predominantly pronominal forms and other children who used nominal forms in their earliest syntactic utterances." Blooms et al. Ergebnis, dass einige Kinder zu Beginn des Erwerbs nominale Formen (z.B. Kathryn [die Sprecherin] go, Lois
22
Radford (1994) konzentriert sich auf den Erwerb der IP und behauptet im Rahmen seiner Theorie der lexikalischen Phase im Spracherwerb, dass Kinder eine Phase durchlaufen, in der sie reine VPs, keine IPs produzieren.
160 [die Zuhörerin] go, put chair) benutzen, während andere eher Pronomen bevorzugen (z.B. / go, you go, put there), würde Radfords These, dass Kinder anfangs den Gebrauch von Pronomen vermeiden, in Frage stellen. Chiat (1986: 350-351) geht sogar noch weiter und erklärt: Kinder, die in ihrer Langzeitstudie Eigennamen benutzen, um auf sich selbst oder den Gesprächspartner zu verweisen, verwenden diese Strategie nicht konsequent, sondern machen auch von Pronomina Gebrauch. Ferner weist Chiat (1986: 351) auf folgende Besonderheiten hin: Children who use names for pronominal roles do not make the reverse error of using pronouns where names are required, e.g. the child does not use you to refer to her mother when talking to a third person. Furthermore, [...] a name is always confined to a particular individual.
Sie schließt daraus, dass die Kinder trotz der auftretenden Fehler bereits eine Unterscheidung zwischen Eigennamen und Pronomina treffen. Auch dies widerspricht Radfords Annahme, dass Kinder Eigennamen benutzen, weil sie zunächst die Semantik der Personalpronomina nicht beherrschen. Schließlich gibt es auch Evidenz, die Radfords Behauptung widerlegt, dass in der lexikalischen Phase die Kategorie N mit ihren assoziierten semantischen und morphosyntaktischen Eigenschaften bereits erworben sei. Obwohl Helen mit 24 Monaten bereits über ein System von Personal- und Possessivpronomina verfugt und sogar schon (optional) Artikel und einen ersten Quantor benutzt, also mindestens am Ende der lexikalischen Phase sein müsste, schreiben Ede/Williamson (1980: 128) zu ihrem Gebrauch des Plurals: [...] it would be useless to speculate about Helen's grasp of plurals, also often signalled with '-s'. She says 'socks', 'stairs', 'tea leaves' and 'cornflakes', but there is no evidence within the transcript that these are more than separate items, unconnected with the corresponding singular forms.
Da laut Radford Plural ein Teil des N-Systems ist, deutet dies daraufhin, dass das N-System doch nicht komplett erworben ist. In Kapitel 5.3.1 finden sich sogar noch weitere Hinweise darauf: Wie die Daten zu Helen im Alter von 31 Monaten verdeutlichen, beginnt sie erst die NP mit Komplementen und Adjunkten zu benutzen, nachdem sie schon einen großen Teil der Determinierer erworben hat. Insgesamt weisen also viele Daten darauf hin, dass der Erwerb des N-Systems und seiner assoziierten grammatischen Eigenschaften und der Erwerb des D-Systems zumindest teilweise gleichzeitig vollzogen werden. Auch Radfords (1990) Annahme, dass alle funktionalen Kategorien (also C, D und I) zum gleichen Zeitpunkt reifen, ist vor allem von Eisenbeiß/Penke (1995) und Clahsen/Eisenbeiß/Penke (1996) kritisiert worden. Sie zeigen auf, dass das nominale System mit der DP unabhängig vom verbalen System (AgrO, AgrIO) erworben wird. Insbesondere weisen sie auf die Evidenz hin, die für einen verspäteten Erwerb der Kategorie AgrIO im Vergleich zur DP spricht. Radford (1995, 1996) geht inzwischen auch nicht mehr von einer gleichzeitigen Reifung aller funktionalen Kategorien aus, sondern spricht von einem strukturbildenden Ansatz, in dem beispielsweise der Erwerb der Kategorie I die Voraussetzung für den Aufbau der weiteren funktionalen Kategorie C ist (vgl. Kapitel 5.2). Auf theoretischer Ebene kann vor allem der fehlende Erklärungswert der Reifungstheorie kritisiert werden, weil sie kein logisch nachvollziehbares Modell für den Erwerb der DP liefert, sondern nur ad hoc annimmt, dass die funktionalen Kategorien zu einem bestimmten
161 Zeitpunkt auftreten (vgl. 5.2.2.2). 2 3 Wie in 5.3.1 gezeigt wurde, sind die Determinierer j e d o c h nicht plötzlich präsent, sondern werden phasenweise erworben. Dass zunächst Demonstrativ- und Personalpronomen dominieren, lässt sogar eine Systematik hinter d e m E r w e r b des D-Systems vermuten. Diese Systematik wird von Radford (1990: 277) leider nur z u m Abschluss seiner Argumentation kurz angedeutet: There is no a priori reason to expect that all of the properties specified in (6) [d.h. referentielle Determinierer, Possessivpronomina, Personalpronomina, Verbflektion, Beschränkungen filr leere Kategorien, etc.] should be acquired simultaneously: but if the maturational account is along the right lines, we should clearly expect to find that the relevant properties cluster into significant sets in terms of their relative order of acquisition. Diese Andeutung bleibt aber zu vage, um beispielsweise der Vielzahl von Determinierern und Quantoren und ihren Entwicklungsphasen gerecht zu werden. Schon in der vorangegangenen Diskussion in Kapitel 5.3.1 ist deutlich geworden, dass nicht alle Determinierer und Quantoren zur gleichen Zeit zur V e r f ü g u n g stehen. Auch im Reifungsmodell fehlen Prognosen dazu, welche Formen zuerst erworben werden. Aus d e m Reifungsmodell wird nicht deutlich, ob Demonstrativa und Quantoren beispielsweise unabhängig voneinander erworben w e r d e n und was die Reihenfolge des Erwerbs bestimmt. Darüber hinaus hat das Reifungsmodell keine Aussagen zu bieten, welche Entwicklungen einzelne Formen aus welchen G r ü n d e n durchlaufen. Wünschenswert wäre also ein Erwerbsmodell, das die früh auftretenden Demonstrativ- und Personalpronomina erklären könnte und eine grundlegende Erklärung f u r den schrittweisen Erwerb der D P bieten würde - ein solches soll im nächsten Abschnitt skizziert werden.
5.3.2.3
Lexikalisches Lernen, Unterspezifizierung und ihre Relevanz für den Erwerb der Nominalphrase
Eine der umstrittensten und immer noch offenen Fragen der Spracherwerbstheorie ist die, wie das Kind zu seinen ersten Wortklassen kommt. Es ist unklar, wie das Kind selbst mit einem angeborenen universalen Konzept von N oder V in der spezifischen Sprache, die es erwirbt, die Wörter richtig segmentiert und sie den Wortklassen N, V, A, etc. zuordnet: "[...] it is n o t sufficient for a child to know that "there exist nouns"; the child must have some way o f finding nouns in the input [...]" (Pinker 1984: 38). Pinker (1984: 39-41) löst dieses Problem, indem er davon ausgeht, dass Kinder beim Erwerb der ersten Wortklassen zunächst semantische Klassen im Eltern-Kinder-Diskurs als Ausgangspunkt nehmen. So bezeichnen N o m i n a oft Personen oder Gegenstände, während sich Verben auf Handlungen o d e r Zustandsänderungen beziehen, m.a.W. N ist die kanonische strukturelle Realisierung
23
Radford (1995, 1996) hat diese These inzwischen für den Satz (also IP bzw. CP) revidiert (vgl. auch Kapitel 5.2.2). Für die Nominalgruppe liegt allerdings noch keine genauere Diskussion der Erwerbsphasen von Radford vor.
162 des semantischen Konzepts "Sache/Person". 24 Diese semantischen Klassen sind die induktive Basis dafür, dass das Kind Wortklassen bildet (sogenanntes "semantic bootstrapping"). Nachdem die Wortklassen auf diese Weise etabliert sind, kann die X-bar-Theorie der angeborenen Universalgrammatik aktiviert werden. Als letzter Schritt wird auf der Basis des distributiven Lernens (d.h. Erkennen der Zugehörigkeit zu einer Wortklasse aufgrund der Distribution des Wortes bzw. Erwerb neuer Kategorien auf der Basis ihrer Distribution) der Erwerb weiteren Vokabulars vollzogen. Pinkers Thesen werden nun hier als Ausgangspunkt gewählt, um ein Alternativmodell zu Radfords Reifungstheorie zu formulieren. Geht man davon aus, dass Pinker mit seinen Annahmen über semantic bootstrapping Recht hat, so erklärt sich auf einfache Weise, warum in der Ein-Wort-Phase und auch noch in der Zwei-Wort-Phase die lexikalischen Kategorien dominieren. 25 Da jedoch später ein großer Teil des Vokabulars und der Kategorien nach Pinker durch distributives Lernen erworben werden, findet man nun auch eine Interpretation für die Daten aus Kapitel 5.3.1: Mit Einsetzen des distributiven Lernens in der Zwei-WortPhase 26 sind die Voraussetzungen für den Erwerb weiterer Elemente der Kategorie N, ihrer Modifizierer und der zugehörigen Flektion (z.B. Plural) sowie für den Erwerb des DSystems geschaffen. Dass D und Pluralflektion nicht über semantic bootstrapping, sondern über distributives Lernen erworben werden müssen, folgt sofort aus dem geringen semantischen Gehalt der entsprechenden Morpheme. Auch für den Erwerb der Komplemente und Adjunkte von N ist Evidenz zur Wortstellung, also zur Distribution der Elemente, notwendig. Wie der Erwerb des D-Systems im einzelnen vollzogen werden könnte, kann am besten mit Hilfe der Thesen von Clahsen, Eisenbeiß und Penke (1994) erläutert werden, die Pinkers Arbeit als Ausgangspunkt wählen, um den Erwerb funktionaler Kategorien zu erklären. Sie nehmen an, dass funktionale Kategorien unterspezifiziert sind, wenn sie zum ersten Mal auftreten, und ihr weiterer Erwerb durch lexikalisches Lernen gesteuert wird. Als Beispiel nennen Eisenbeiß/ Penke (1995) die Unterspezifikation in der (deutschen) Nominalphrase während des Spracherwerbs. Frühe Nominalphrasen enthalten nur eine funktionale Kategorie, die für [+/- definit] spezifiziert ist, aber die bzgl. der abstrakten Merkmale [+/-Genus, +/- Numerus] unterspezifiziert ist. Hinweise auf eine solche (Unter-) Spezifikation sind die folgenden Beobachtungen: Laut Eisenbeiß/Penke (1995) unterscheiden die Kinder schon zwischen definiten und nicht-definiten Determinierern, aber diese werden nicht für Genus und Numerus (korrekt) flektiert, ferner ist der Determinierer optional: 27 (27) 24
a. kein Teller bracht
(Simone, 1; 10-2;0)
Dass N und V in der Erwachsenensprache nicht mehr auf diese simple Art und Weise interpretiert werden können, versteht sich von selbst. Man beachte, dass beim Erwerb der ersten Wörter und Kategorien natürlich auch andere Faktoren mitspielen, z.B. prosodische und phonetische Hinweise auf Wort- und Satzgrenzen in der Erwachsenensprache, die dem Kind das Segmentieren der einzelnen Wörter erleichtern (vgl. Gleitman et al. 1988: 150-167).
25
Pinkers Thesen sind jedoch ausfuhrlich kritisiert worden, vgl. dazu Löbach (1999).
26
Pinker bleibt bzgl. des Zeitpunktes, zu dem distributives Lernen einsetzt, sehr vage. Die Ergebnisse aus Bloom et al. (1978) deuten an, dass Kinder bereits in der Zwei-Wort-Phase Elemente und Kategorien auf der Basis des distributiven Lernens erwerben.
27
Eisenbeiß/Penke (1995) interpretieren ein- und kein- als nicht-definite Determinierer. In anderen Ansätzen werden diese Formen jedoch als Quantoren klassifiziert (vgl. Vater 1982, 1984, 1986).
163 b. dieser hier fährt e i n tecker
(Annelie, 2;4-2;6)
c. ich s u c h e einer
(Annelie, 2;4-2;6)
(Eisenbeiß 1 9 9 4 : 2 8 1 )
Im folgenden soll untersucht werden, ob die Hypothese, dass DPs in der frühen Kindersprache unterspezifiziert sind, auf den Erwerb des Englischen übertragbar ist.28 Wie in Kapitel 4.2.1 festgestellt wurde, kann die englische Kategorie D "versuchsweise" mit D = [+/Person, +/- Genus, +/- Numerus, +/- Deixis, +/- Definitheit, +/- possessiv] umschrieben werden. Die Kategorie Q besitzt auf jeden Fall das Merkmal [+/- zählbar], ferner sind noch Merkmale wie [+/- distributiv, +/- spezifisch, +/- skalar, +/- total, ...] möglich (vgl. Vater 1984). In 5.3.1 wurde bereits erläutert, dass die ersten Determinierer in der frühen Kindersprache das Demonstrativpronomen that und einige Personalpronomina sind und später weitere Personal- und Possessivpronomen sowie this hinzutreten. Die Dominanz des Determinierers that in der frühen Kindersprache lässt den Schluss zu, dass D zumindest für das abstrakte Merkmal [+/- deiktisch] spezifiziert ist. Weitere Beobachtungen, die diese These stützen, sind die folgenden: Wells (1985: 169) sieht einen engen Zusammenhang zwischen der deiktischen Funktion der ersten Determinierer und ihrem frühen Erwerb: "[...] the first group of pronouns to emerge are all deictic and refer to two of the three points of the communication triangle: 'I' (the speaker) and 'it', 'that' (the spoken about)." Wales (1986: 403) betont ferner, dass der Gebrauch von Elementen wie this oder that oft von einer expliziten zeigenden Gestik durch Mutter oder Kind begleitet ist. Ob die ersten Personalpronomina schon ein Hinweis auf den Erwerb des Merkmals [+/Person] sind oder ob sie, wie Wells behauptet, zunächst nur deiktische Funktion haben, kann schwer entschieden werden. Letzteres scheint aber wahrscheinlicher, denn auch Wales (1986: 417) erklärt ausdrücklich, dass Pronomina zunächst deiktisch gebraucht werden, bevor sie z.B. als Anaphern begriffen werden. Mit zunehmendem Erwerb der Personalpronomina und eventuell auch dem ersten Auftreten der Possessivpronomina 29 scheint das Konzept [+/- Person] in der Vorstellung des Kindes aber gefestigt zu sein, wie die Häufigkeit der Pronomina und die Vielfalt der Formen in einigen Beispielen belegen: (28)
a. You won't, Mummy. (Jem, 2;2 / Radford 1990: 285) b. rm drinking my cup of tea there. (Elizabeth, 2;2 / Radford 1990: 285) c. They are doing ['going'] to have a nice bekfast ['breakfast']. He's finished his bekfast now, he's going towards his home, look. (Helen, 2;7 / Ede/Williamson 1980: 153)
28
Im Gegensatz zu Clahsen, Eisenbeiß und Penke gehe ich jedoch nicht davon aus, dass jedes abstrakte Merkmal in der Kinder- und Erwachsenensprache einen eigenen Kopf bildet - aus theoretischen Gründen, die bereits in Kapitel 3 und 4 dargelegt wurden.
29
Die Stellung der Possessivpronomina ist in der Literatur umstritten. Radford (1990) und Zimmermann (1991a) betrachten Possessivpronomina als Köpfe der DP, aber Olsen (1991) argumentiert gegen eine Platzierung der Possessivpronomina in der Position D. Zimmermann (1993) schlägt ein sehr differenziertes Modell vor, in dem die Platzierung der Possessivpronomina und die Gesamtstruktur der Nominalphrase j e nach individueller Sprache variiert. Haspelmath (1999) bemerkt, daß die Analyse der Possessivpronomina als Realisierungen von D durch Ökonomiebeschränkungen ergänzt werden muß, die die Beziehung zwischen Artikeln und Possessivpronomina regeln. Für die vorliegende Arbeit beschränke ich mich auf die in der Literatur gängige Interpretation der englischen Possessivpronomina als Köpfe der DP.
164 d. We've lost him. / We're making a boat. (Rebecca, 2;2 / Radford 1990: 286; immer meine Hervorhebungen) Die Kategorie D ist also in der frühen Kindersprache in einem zweiten Schritt mindestens für [+/- Deixis, +/- Person] spezifiziert. Da Pronomina wie they, she, her oder auch him, his sowie these/those (sowohl im transitiven wie im intransitiven Gebrauch) nach Wells (1985: 170) und nach Chiat (1986: 342) etwas später auftreten, kann angenommen werden, dass D zunächst für [+/- Genus] und [+/- Numerus] unterspezifiziert ist, aber dass diese zwei Merkmale dann rasch erworben werden, wie man aus den obigen Beispielen (28) ersieht. Was das verspätete Auftreten der abstrakten Merkmale [+/- Genus] und [+/- Numerus] betrifft, gibt es hier offenbar eine Übereinstimmung mit Eisenbeiß'/Penkes (1995) Beobachtungen zum Deutschen, die oben erläutert wurden. Diese Übereinstimmung könnte sogar universell sein, denn auch Karmiloff-Smith (1979: 215) bemerkt beim Erwerb der Artikel durch französische Kinder, dass diese zunächst die deiktische Funktion des definiten Artikels erwerben, während Singular/Plural-Unterscheidung wenig später und die Funktion des Artikels, das Genus anzuzeigen, viel später erworben wird. Ob die Kategorie D in der frühen englischen Kindersprache auch schon für [+/-defmit] spezifiziert ist, wie Eisenbeiß/Penke (1995) es für das Deutsche behaupten, ist unwahrscheinlich. Zunächst sollte darauf hingewiesen werden, dass gerade im Englischen die schwachbetonten Artikel a, the noch schwerer als im Deutschen im Output zu identifizieren sind, was das Kind vor ein größeres Problem stellt. In 5.3.1 ist bereits daraufhingewiesen worden, dass die meisten Determinierer der frühen Kindersprache stärker betonte Elemente sind, die leicht segmentiert werden können. Brown (1973: 355) setzt den Erwerb der Artikel sowie den zugehörigen Erwerb der Unterscheidung zwischen definit und indefinit erst zwischen 32 und 41 Monaten an. Allerdings hebt er hervor, dass immer noch Performanzfehler beobachtet werden können, die offenbar vor allem auf die Egozentrizität der Kinder in diesem Alter zurückzuführen sind. In general our study of spontaneous speech suggests that children somewhere between the ages of 32 months and 41 months, roughly three years, do control the specific-nonspecific distinction as coded by articles. With the qualification that they are not likely to "decenter" to the listener's point of view when that point of view is different from their own; in this respect they seem egocentric.
Als Beispiele für den "fehlerhaften" Gebrauch nennt Brown (1973: 354) die folgenden Sätze, in denen dem Kontext nach eigentlich der definite Artikel (Beispiele (29)a, b bzw. der indefinite Artikel (Beispiele (29)c, d grammatisch wäre: (29)
a. Let me see you ride a bike (Adam, 2;7-5;0 30 ) b. I don't like a crust [Mother: I know you don't like the crust.] (Eve, 2;7-5;0) c. I want to open the door [Mother: What door?] (Sarah, 2;7-5;0) d. Where's the stool? [Mother: There's one over here.] (Eve, 2;7-5;0)
Man beachte aber, dass diese Beispiele eher die Ausnahmen bilden. Als Schlussfolgerung bietet sich an, mit Brown zu vermuten, dass die Unterscheidung definit vs. indefinit und damit das abstrakte Merkmal [+/- definit] für D tatsächlich im Alter zwischen 2;8 und 3;5 Jahren erworben ist. 30
Diese Beispiele sind bei Brown (1973: 354) leider nur mit "Stage IV and V" kommentiert, was einem Alter zwischen 2;6 und 5 Jahren entspricht.
165 Wie schon in 5.3.1 erwähnt wurde, wird auch ab der Zwei-Wort-Phase schrittweise der Gebrauch des pränominalen Genitivs erworben. Da 's wahrscheinlich höchstens die abstrakten Merkmale [+/- Person, +/- Numerus, +/- possessiv] realisiert, ist es plausibel, dass der pränominale Genitiv vor den Artikeln erworben wird: "The possessive involves a conception that seems already to be well started at Stage I." (Brown 1973: 356) Maratsos (1979: 230) deutet ferner an, dass erste Possessivpronomina und 's gleichzeitig auftreten, was die These weiter stützen würde, dass ein abstraktes Merkmal [+/- possessiv] existiert. Der Erwerb der einzelnen Elemente geht im allgemeinen in drei Phasen vor sich, so ist z.B. das Morphem 's zunächst nicht vorhanden, dann optional und in einem letzten Schritt obligatorisch. Dieser Erwerb in Phasen scheint durchaus typisch sowohl für funktionale als auch nominale und verbale Flektion zu sein, denn ein Beiträger in der offenen Diskussion in Bellugi/Brown (1975: 99) erklärt: Certain constructions, such as the inflection for plurality, when they appear at all, are generally used correctly. However, it is not the case that the child speech advances abruptly from the total absence of such inflection to the invariably correct use of them, which is what one might expect if they are learned as rules. Rather, the inflection is first used in some small percentage of the cases where it is required, and this percentage shows a gradual increase with age.
Dieses Muster kann mit dem Konzept des lexikalischen Lernens interpretiert werden. Zunächst werden die Elemente (z.B. 's) einzeln auf der Basis ihrer Distribution erworben und in das Lexikon integriert. Sobald die Häufigkeit der lexikalischen Elemente eine Grenze 31 überschreitet, ist das entsprechende abstrakte Merkmal (hier: [+poss]) in der Phrasenstruktur des Kindes etabliert und der Kasusfilter (Teil der UG) wird aktiviert. Die Kasusmarkierung durch 's wird obligatorisch. Insgesamt hat sich die Anwendung des lexikalischen Lernens nach Clahsen et al. (1994, 1996) auf den Erwerb der englischen DP bewährt. Das Modell des lexikalischen Lernens konnte von allen drei Modellen zum Erstspracherwerb am angemessensten die in Kapitel 5.3.1 vorgestellten Daten erklären. Jedoch finden Quantoren im Modell des lexikalischen Lernens wie in der Kontinuitäts- und Reifungsthese bislang kaum Erwähnung, deshalb wird in Kapitel 6 geprüft, ob das lexikalische Lernen auch den Erwerb der Quantoren in der DP angemessen erklären kann oder ob dieses Modell dann der Modifizierung bedarf.
5.4
Ergebnis
In den vorangegangenen Kapiteln wurden drei Entwicklungsmodelle zum Erstspracherwerb und ihre Relevanz für den Erwerb der DP untersucht. Vor allem das Reifungsmodell (Radford 1990) und das Modell des lexikalischen Lernens (Clahsen 1994, 1996) machen einige wichtige Vorhersagen zum Erwerb der DP. Radfords Beobachtungen über die Nominalphrasenstruktur junger Kinder passen zu den Analysen älterer Forschung, die besagen, dass frühe Kindersprache durch eine generelle Abwesenheit "grammatischer Elemente" gekennzeichnet sei bzw. wie "telegraphic speech" wirke. Radford liefert mit seiner These 31
Offen ist allerdings noch, wann diese Grenze anzusetzen ist.
166 der lexikalischen Phase ein Erklärungsmodell für dieses Phänomen. Ferner greift er die Unterscheidung von lexikalischen und funktionalen Kategorien aus der syntaktischen Theorie auf und liefert mit seinen Spracherwerbsdaten weitere Evidenz dafiir, dass es sinnvoll ist, die Kategorien voneinander abzugrenzen. Insgesamt jedoch hat sich das Modell nach Pinker und Clahsen/Eisenbeiß/ Penke gegenüber Radfords Interpretationen zum Erwerb der DP weit überlegen gezeigt. Dies hängt natürlich zum einen damit zusammen, dass Radford sich auf die Zwei-Wort-Phase konzentriert und den (in seinem Modell) späteren Erwerb der funktionalen Kategorien zugunsten der Argumentation für die lexikalische Phase vernachlässigt. Ein Satz wie "A [...] (maturationaf) view is that different parameters might be (genetically) programmed to come 'on line' at different stages of maturation" (Radford 1990: 7) gibt zwar einen Hinweis darauf, dass funktionale Kategorien und die mit ihnen assoziierten Parameter erst später auftreten, aber er reicht kaum aus, den Erwerb der DP im Detail zu erklären. Wie Radford gehen auch Clahsen, Eisenbeiß und Penke davon aus, dass die ersten Äußerungen des Kindes keine funktionalen Kategorien enthalten, aber sie bieten ferner noch ein Erklärungsmodell für den Erwerb der DP, das über parameter-setting hinausgeht. Das Konzept der Unterspezifizierung und des lexikalischen Lernens ermöglicht es auch, den schrittweisen Erwerb der DP besser zu beschreiben und zu interpretieren. Außerdem ist ihr Modell flexibler, da hier nicht von einer strengen zeitlichen Trennung des Erwerbs lexikalischer und funktionaler Kategorien ausgegangen werden muss, was in 5.3.2.2 bereits in Frage gestellt wurde. Was in beiden Ansätzen jedoch völlig fehlt, ist eine Unterscheidung zwischen Determinierern und Quantoren sowie eine prinzipielle Auseinandersetzung damit, welche Elemente zur Kategorie D gehören. Radford scheint implizit davon auszugehen, dass die Zugehörigkeit zumindest für die Demonstrativa, die Possessivpronomina, die Artikel und Genitiv- 's gesichert ist und arbeitet fast ausschließlich mit diesen Elementen. Dass diese Einschätzung nicht ganz unproblematisch ist, hat die Diskussion in Kapitel 3 und 4 gezeigt. Clahsen et al. hingegen gehen von abstrakten Merkmalen aus, die die Kategorie D charakterisieren, aber auch sie scheinen diese Merkmale keiner weiteren Prüfling zu unterziehen. Die Rolle der Quantoren wird in beiden Modellen nicht diskutiert, obwohl zumindest für some und any nicht klar ist, ob sie nicht doch zur Kategorie D gehören. Für eine weitere Analyse der Nominalphrase in der frühen und späten Kindersprache müsste also gerade den Fragen nach der Definition der Kategorien D und Q sowie nach dem Erwerb der Quantoren nachgegangen werden. In der folgenden Diskussion der Daten aus der Datenbank CHILDES werden vor allem diese Aspekte beleuchtet. Dabei wird versucht, die Unterscheidungen zwischen Quantoren und Determinierern aus den Kapiteln 3 und 4 aufzugreifen und mit den Ergebnissen aus dem Erstspracherwerb zu vergleichen. Schließlich wird im Rahmen der Analyse der Quantoren in der frühen Kindersprache auch noch eingeschätzt, welches der hier vorgestellten Entwicklungsmodelle - Kontinuität, Reifung/Strukturbildung oder lexikalisches Lernen - für den Erwerb der Quantoren angemessen ist.
6 Die Entwicklung funktionaler Kategorien im frühen Kindesalter: Daten, Entwicklungsphasen und neue Modelle zur Nominalphrase
6.1
Einleitung
In Kapitel 4 wurde die Frage nach einer Kategorie Q (= 'Quantor') gestellt, die neben der Kategorie D (= 'Determinierer') eine eigene Projektion innerhalb der Nominalphrase besitzt. Im Rahmen der generativen Syntax ist diese Möglichkeit von verschiedenen Linguist/innen diskutiert worden (Abney 1987, Bhatt 1990, Löbel 1990, Shlonsky 1991, Radford 1993, Giusti 1997). Für den Erstspracherwerb dagegen wurde eine solche Möglichkeit bisher nicht erwogen. Das Hauptaugenmerk war hier auf den Erwerb der Kategorie D gerichtet, wobei zu dieser Kategorie zunächst sowohl Artikel und Demonstrativpronomina als auch Quantoren wie some gezählt wurden (vgl. beispielsweise Radford 1990: 285). Eine Differenzierung zwischen einer Kategorie D und einer Kategorie Q wurde in der Erstspracherwerbsforschung bislang nicht gemacht. An diesem Punkt knüpft die vorliegende Arbeit an: Gibt es Evidenz aus dem Erstspracherwerb für eine eigenständige Kategorie Q? Interessant erscheint im Zusammenhang mit der Frage nach einer eigenständigen Kategorie Q vor allem die Überprüfung von Radfords (1996) strukturbildendem Ansatz {structurebuilding approach). Wie schon im vorangegangenen Kapitel erläutert wurde, geht Radford für den Satz (CP) davon aus, dass Kinder zunächst die Struktur der VP erwerben. Darauf aufbauend erwerben sie zunächst das I-System, bevor sie endgültig CPs verwenden. Für die Nominalphrase könnte man eine ähnliche Hypothese aufstellen: Nach Abney (1987) projizieren Quantoren wie many, much,few öder little QPs, die wiederum innerhalb einer DP als Komplemente von D fungieren (vgl. Kapitel 4.3.1). Die Struktur der DP sieht nach Abney also folgendermaßen aus: (1)
^ D these
DP
^ ^
Q many
QP N months
Man könnte hier eine Analogie zur CP ziehen und annehmen, dass das N-System vor dem System der Quantoren erworben wird, was wiederum vor dem D-System erworben wird. Die Formulierung einer Hypothese filr den Erwerb der DP bzw. QP hängt natürlich davon ab, welches Modell man für die Erwachsenensprache zugrundelegt. Radford (1993) und Giusti (1997) gehen im Gegensatz zu Abney davon aus, dass nicht many, much oder few, sondern Quantoren wie all QPs projizieren. In diesem Fall wäre die DP ein Komplement von Q, und die Phrasenstruktur der Nominalphrase hätte folgende Gestalt (vgl. Kapitel 4.3.1):
168 (2)
QP Q I all
D these
^ . DP NP small cars
In diesem Fall müsste konsequenterweise das D-System vor dem Q-System erworben werden, wenn man wieder von Radfords Strukturbildungsansatz ausgeht. Im folgenden soll beiden Hypothesen nachgegangen werden. Ein möglicher Hinweis auf die Existenz einer eigenständigen Kategorie Q wäre Evidenz, dass eine große Gruppe von Quantoren in deutlichem zeitlichen Abstand zu "klassischen" Determinierern wie Artikeln, Demonstrativa oder Possessivpronomina erworben werden. Interessant sind hier vor allem Fragestellungen wie: • Werden alle Quantoren zu einem bestimmten Zeitpunkt gleichzeitig erworben? • Gibt es einen Zeitpunkt, an dem Quantoren gehäuft zum ersten Mal auftreten oder verwendet werden? • Werden alle "klassischen" Determinierer vor allen Quantoren erworben oder umgekehrt? Für die Ermittlung eines Erwerbszeitpunktes sind in der Literatur verschiedene Maßstäbe vorgeschlagen worden. Für die Einschätzung des Erwerbs einer Form modifiziere ich hier einige Anregungen von Stromswold (1996), die drei im wesentlichen genutzte Messverfahren nennt: Alter der ersten Verwendung, Alter der regelmäßigen Verwendung und Alter, in dem die Form in über 90% aller obligatorischen Kontexte korrekt benutzt wird (90% ist eine willkürliche, aber verbreitete Festlegung). Da gerade die Quantoren im Gegensatz zu den Artikeln selten obligatorische Kontexte haben, wurde vor allem das Alter der ersten Verwendung und der ersten produktiven Verwendung versucht einzuschätzen. 'Produktiv' bedeutet hier, dass die verwendete Form nicht in einer formelhaften oder imitativen Äußerung auftaucht. Wenn dies schwer einzuschätzen war, wurde im Zweifelsfall auch eine spätere Äußerung erst als erste nicht-formelhafte Verwendung bewertet. Dies kann natürlich unter Umständen zur Folge haben, dass das Alter der ersten produktiven Verwendung unverhältnismäßig hoch angesetzt wird. Deshalb wurde stets gleichzeitig noch das Alter der ersten Verwendung im Korpus angegeben. In Fällen von some oder any wurde zusätzlich noch verglichen, in welchem Alter des Kindes zum ersten Mal some oder any mit einem Nomen verwendet werden, um die größere Bandbreite der Verwendungsmöglichkeiten der Quantoren abzudecken. Im Gegensatz zu anderen Studien (vgl. beispielsweise Stenzel 1997) wird also das Alter der ersten Verwendung ausdrücklich nicht als einziges Erwerbskriterium verwendet. Bei einem solchen Vorgehen wie etwa bei Stenzel (1997) besteht die Gefahr, dass vereinzelte, nicht-produktive Äußerungen, halb-formelhafte Äußerungen oder imitative Sequenzen überbewertet werden, weil sie häufig die ersten Vorkommen einer Form in einem Kindersprachkorpus bilden. Hier muss ausdrücklich betont werden, dass die vorliegende Studie lediglich versucht, den ersten Gebrauch einiger Determinierer und Quantoren in spontanen Äußerungen zu analysieren. Es wird nicht angestrebt, die Entwicklung bis zur vollständigen Beherrschung aller semantischen Eigenschaften der Formen nachzuvollziehen, weil dieses Thema in der Literatur bereits behandelt wurde. So ist in einigen experimentellen Studien das kindliche Verständnis von Determinierern, Quantoren sowie von Qualifikation und Referenz getestet worden (vgl. beispielsweise Maratsos 1976, Karmiloff-Smith 1979, Gathercole 1985), oder
169 es wurden Beobachtungen zur Bedeutungsentwicklung von einigen Quantoren im kindlichen Wortschatz gemacht (vgl. beispielsweise Suppes 1973 zu some und all, Johnston 1985 zu more, Bittner 1997 zu ein, kein, mehr, zwei, drei). In der vorliegenden Studie wird lediglich der Zeitpunkt einer produktiven Integration von Determinierern und Quantoren in die kindliche Nominalphrase ermittelt, d.h. eine Verwendung von Determinierern und Quantoren als Pronomen und innerhalb einer Nominalphrase ohne formelhaften Charakter; es interessiert hier der Erwerb der morphosyntaktischen Eigenschaften. Dabei bleibt offen, ob die Kinder bereits jedes Detail der Semantik der betroffenen Formen erfasst haben. Neben der Frage, ob in der englischen Kindersprache Hinweise auf eine eigenständige Projektion QP bestehen, soll hier als zweite wichtige Fragestellung die Verwendung und Entwicklung von Quantoren in der frühen Kindersprache genauer beleuchtet werden. In Reifungsansätzen und Ansätzen zum lexikalischen Lernen konzentriert sich die Aufmerksamkeit oft lediglich auf den Zeitpunkt des Erwerbs einer Kategorie wie beispielsweise D. In solchen Ansätzen wird versucht nachzuweisen, dass funktionale Kategorien erst später als lexikalische zur Verfügung stehen, um die Kontinuitätshypothese zu widerlegen. Auch Vertreter der Kontinuitätshypothese begnügen sich häufig mit dem Nachweis, dass bestimmte Formen zu einem frühen Zeitpunkt der Entwicklung verwendet werden. Was fehlt, ist ein genauerer Blick auf die frühe Verwendung nominaler Quantoren wie all, some, many, etc. Bei der Konzentration auf einen Erwerbszeitpunkt wird häufig vernachlässigt, dass zwischen dem Auftreten einer ersten lexikalischen Realisierung der Kategorie D und ihrem produktiven Einsatz im Erwachsenenalter eine Reihe von Entwicklungsstufen durchlaufen werden. Nur einige dieser Entwicklungsstufen sind in Ansätzen bereits beschrieben worden: So spricht Radford (1990) von this oder these als 'impostors' im frühen Kindesalter, weil sie zunächst nicht als Determinierer vom Kind analysiert werden, sondern wie Nomina verwendet werden. Ferner beobachtet Radford (1995) eine Phase, in der funktionale Köpfe zwar schon erworben, aber in ihrer Verwendung noch optional sind. Clahsen et al. (1994, 1996) bemerken, dass funktionale Kategorien in Schritten erworben werden: Jedes abstrakte Merkmal einer funktionalen Kategorie kann einzeln erworben werden. Zunächst kann z.B. lediglich ein Merkmal wie F = [+/- finit] von I erworben sein, so dass die frühe IP eigentlich eine FP ist. Hoekstra/ Jordens (1994) erwähnen ferner die Möglichkeit, dass funktionale Köpfe in frühen Entwicklungsphasen als Adjunkte benutzt werden, bevor sie als funktionale Köpfe fungieren. Powers/Lebeaux (1998) berichten von idiosynkratischen Projektionen einzelner Formen wie no und more, die von den Phrasen im Erwachsenenalter abweichen; Roeper (1996) zieht Ähnliches in Erwägung (vgl. Kapitel 6.3). Diese Ansätze sind erste Versuche, den frühen Gebrauch von funktionalen Kategorien zu beschreiben, die aber letztlich unbefriedigend sind. Radfords Ausdruck 'impostors' drückt lediglich aus, dass das Kind einige Formen verfrüht verwendet und ihre Kategorie (D oder Q) noch nicht richtig analysiert hat. Die Ansätze des lexikalischen Lernens konzentrieren sich sehr stark auf die IP und CP und machen wenig Aussagen zur Unterspezifierung im nominalen Bereich. Ansätze wie Hoekstra/Jordens (1994), Powers/Lebeaux (1998) und Roeper (1996) konzentrieren sich auf Einzelfälle und haben deshalb wenig zu Quantoren im allgemeinen zu sagen. Auch Studien aus den sechziger, siebziger und achtziger Jahren (z.B. Braine 1963, Brown 1970, Wells 1981) machen nur wenige kurze Angaben zum Erwerb von Quantoren. Die folgenden Abschnitte der vorliegenden Arbeit sollen dieses Defizit im nominalen Bereich kompensieren, d.h. es wird unter anderem ausführlich darauf eingegan-
170 gen, wie erste Quantoren vom Kind verwendet werden, und es wird versucht, ein Entwicklungsmodell zu entwerfen.1
6.2 Evidenz gegen QP: der frühe Gebrauch der Quantoren few, much, und many
Im folgenden wird geprüft, ob Hinweise auf eine eigenständige Projektion QP existieren, wobei Q durch Quantoren wie many, much und (a) few besetzt wird. Ferner werden einige Aussagen zur Entwicklung von many gemacht.
6.2.1 Abe Weil Abe zu Beginn der Studie bereits 2;4 Jahre alt ist, ist bei ihm am ehesten zu erwarten, dass ein System von Quantoren bereits entwickelt ist. Dennoch findet man in den ersten Dateien des Abe-Korpus keine Hinweise auf eine Verwendung der Quantoren many, much oder (a) few. A few ist beispielsweise relativ spät und dann auch nur vier Mal im Korpus belegt (inklusive einer Imitation). Abe kombiniert in diesen Belegen a few mit typischen Kollokationen wie minutes, days und weeks wie in dem folgenden Beispiel, das auch der erste nicht-imitative Beleg von a few im Korpus ist: (1)
I already showed him a few days ago. (abel04.cha, 175; Alter: 3;5.24)
Das häufigere many taucht dagegen in Abes Korpus zwar nicht in den ersten Sitzungen, aber dennoch relativ früh auf. Den ersten Beleg findet man in Datei 22: (2)
Momma # we going at Texas at Minnehaha many waterfalls? (abe022.cha, 26; Alter: 2;7.11)
Abe scheint schon in der Lage, many produktiv einzusetzen. Allerdings zeigt das folgende Beispiel, dass Abe immer noch Schwierigkeiten mit der Semantik von many hat, insbesondere mit der Unterscheidung von zählbaren und Massennomina, die den Einsatz von many vs. much bestimmt (vgl. dazu auch Gathercole 1985): (3)
* ABE: there's so many I can't make room. *FAT: there's so much stuff you don't have enough room in your suitcase? (abe089.cha, 151-52; Alter: 3;3.28)
Auch much ist schon relativ früh in Abes Korpus belegt, aber zunächst benutzt Abe lediglich die Kombinationen too much und very much (ab Datei 27 bzw. ab 2;8.1). Es ist möglich, dass Abe too much und very much als nicht-analysiertes Ganzes verwendet. Es dominiert zunächst nur adverbialer Gebrauch; erst ab dem Alter von 2; 11.13 verwendet er much auch innerhalb einer Nominalphrase:
Die einzige Entwicklungsstudie zu Quantoren und ihrer Erwerbssequenz ist m.E. Bittner (1999), die sich mit dem Erwerb einiger deutscher Quantoren (kein, mehr, viele, zwei, drei) befasst.
171
(4)
there has to be not much more fire. (abe056.cha, 131; Alter: 2;11.13)
Alle Formen sind also relativ spät belegt, wie die folgende Übersicht noch einmal zeigt: Tabelle 16: Häufigkeit und erste Verwendung der Quantoren (a) few, much und many (Abe)
(a) few2 much
Anzahl (inklusive Imitationen) 4 115
many
34
Alter des ersten Auftretens (ohne Imitationen) 3;5.24 2;8.1 (adverbial) bzw. 2; 11.13 (als Teil einer Nominalphrase) 2;7.11
Während many, much und few in den ersten Sitzungen noch nicht belegt sind, findet man dort aber eine Vielzahl von Beispielen, in denen der Gebrauch von the und den Demonstrativa wie this oder that illustriert wird. (5)
a. see the alligator. (abeOO 1 .cha, 81; Alter: 2;4.24) b. the alligator slipped too. (abeOOl .cha, 104; Alter: 2;4.24) c. ABE: he kissed him. FAT: who kissed him? ABE: the alligator kissed the camel. (abeOOl .cha, 129-31; Alter: 2,4.24)
(6)
a. this is a seed. (abe004.cha, 22; Alter: 2;5.10) b. yes # yes # look at this mirror! (abe005.cha, 66; Alter: 2;5.14) c. I like these I like these # Mom. (abe005.cha, 162; Alter: 2;5.14) d. I do that! (abeOOl.cha, 117; Alter: 2;4.24) e. that goes in there? (abe002.cha, 10; Alter: 2;5.0)
Nun könnte man behaupten, dass the, this oder that im Korpus Abes schon im Alter von 2;4 belegt sind, weil sie wesentlich häufiger in der Erwachsenen- und deshalb auch in der Kindersprache sind, d.h. der Input beeinflusst die Entwicklung und die Häufigkeit des Outputs einzelner Formen. This oder the sind daher unter Umständen nicht mit many oder much vergleichbar. Those dagegen ist zumindest mit many und much bezüglich seiner Häufigkeit vergleichbar:
2
Weil die Zahlen für few und a few so niedrig sind, werden die beiden Formen hier und bei den anderen Kindern gemeinsam behandelt, ohne dass eine weitere Abgrenzung zwischen few und a few gemacht wird.
172 Tabelle 17: Häufigkeit einiger Determiniererund Quantoren im BNC Form the this these much many those few a few
Häufigkeit im BNC (tokens) 5.887.394 462.552 125.267 91.903 89.595 88.739 25.762 19.142
Wenn lediglich die Häufigkeit einer Form ausschlaggebend für den Erwerbszeitpunkt wäre, müsste those theoretisch sogar nach much und many auftauchen. Das Gegenteil ist aber der Fall: Das Demonstrativum those ist schon in den ersten Sitzungen als Teil einer Nominalphrase belegt: (7)
a. see those toes! (abeOOl .cha, 66; Alter: 2;4.24) b. I don't want those! (abe002.cha, 53; Alter: 2;5.0) c. uhhuh # like them see those donkeys down there! (abe003.cha, 10; Alter: 2;5.7)
Da die Studie erst im Alter von 2;3 einsetzt, steht zu vermuten, dass Abe bereits vorher begonnen hat, die Determinierer the, this, that, these oder those zu verwenden. Er ist damit durchaus typisch in seiner Entwicklung, denn Radford (1990) beobachtet, dass die Kinder seines Korpus im Alter von etwa zwei Jahren das Determinierersystem erwerben. Weil many und much in den ersten Sitzungen der Studie noch nicht verwendet werden, ist ein zeitlicher Abstand von etwa zwei Monaten zwischen dem ersten Erwerb der Artikel und Demonstrativa auf der einen Seite und der Quantoren many und much auf der anderen durchaus wahrscheinlich. Tabelle 18: Erwerbsdaten und Häufigkeit für this, those, many, much, (a) few (Abe-Korpus) erste Verwendung im Korpus erste Verwendung in einer nicht-formelhaften Äußerung erste Verwendung in Kombination mit einem Substantiv Häufigkeit im gesamten Korpus
(a)few 3,0.29 (imitativ) 3;5.24
2;7.11
much 2;8.1 (imitativ) 2;8.25 (adverbial) 2;11.13
34
115
4
this 2;5.10
those 2;4.24
many 2;7.11
2;5.10
2;4.24
2;7.11
2;5.14
2;4.24
3058
267
3;5.24
Es wäre anhand der übrigen Kindersprachdaten zu prüfen, ob dieser zeitliche Abstand zwischen dem Erwerb der Demonstrativa und many/much/few ein universelles Phänomen ist.
173 6.2.2 Naomi Die Daten von Naomi dürften mehr Aufschlüsse über eine frühe Verwendung von Demonstrativa und Quantoren erlauben als Abes Daten, weil die Studie bereits zu einem Zeitpunkt einsetzt, als Naomi erst 1 ;2.29 Jahre alt ist. Im Gegensatz zu Abes Korpus liefert aber Naomis Korpus nur sehr wenige Daten zu many, much und (a) few, wie die folgende Übersicht zeigt, was sicher auch mit dem wesentlich geringeren Umfang des Naomi-Korpus zusammenhängen dürfte. Auffällig ist der Gegensatz zu this und those, vor allem was deren Häufigkeit betrifft: Tabelle 19: Häufigkeit und erste Verwendung der Quantoren (a) few, much und many (Naomi) Anzahl 1 5 3 947 61
a few much many this those
Alter des ersten Auftretens 4;9.3 1;11.30 2;7.16 1; 10.3 1;11.3
Zum Gebrauch von much ist bemerkenswert, dass much ab der ersten Verwendung in Datei 34 ausschließlich adverbial verwendet wird: (8)
a. do-'nt like telephone, do-'nt like it much. (n34.cha, 215; Alter: 1; 11.30) b. *MOT: how do you feel honey? *NAO: very much better. (n75.cha, 10-11; Alter: 2;11.11) c. (be)cause I tickled her so much. (n93.cha, 851; Alter: 4;9.3) d. she feels much better now. (n93,1. 887; Alter: 4;9.3)
Es existiert also kein Hinweis in Naomis Korpus, dass Naomi much auch als Teil der Nominalphrase betrachtet und verwendet. Zwischen der ersten Verwendung im Alter von 1 ;11.30 und dem zweiten Gebrauch von much im Alter von 2; 11.11 besteht eine erhebliche zeitliche Lücke, so dass schwer einschätzbar ist, wie produktiv much schon verwendet wird. Dass Naomi many oder a few produktiv verwendet, ist im Korpus ebenso selten belegt. Many wird von Naomi das erste Mal erst im Alter von 2;7.16 gebraucht, aber es handelt sich zunächst um eine Imitation: (9)
*FAT: •NAO:
Nomi # how many marbles are there? how many marbles? (n68.cha, 255; Alter: 2;7.16)
Auch die anderen beiden Beispiele aus dem Korpus sind nicht eindeutig produktive Äußerungen: (10)
a. »NAO: these are all many [?]. (n84.cha, 32; Alter: 3;4.0) b. *FAT: or sometimes there are too many clouds in the sky . *NAO: there are too many clouds and a moon shining tonight. (n93.cha, 299; Alter: 4;9.3)
Für a few existiert lediglich ein Beispiel im Alter von 4;9.3, also am Ende der Studie:
174 (11)
you're gonna stay here for a few days # (o)kay? (n93.cha, 934; Alter: 4;9.3)
Auffällig ist in Naomis Korpus noch, dass Beispiele für den Gebrauch von a few, much und many sich am Ende der Studie, im Alter von 4;9.3, häufen. Die Zahlen sind zu niedrig fllr Schlussfolgerungen, aber eine mögliche Hypothese wäre, dass Naomi erst hier beginnt, many, a few und much häufiger einzusetzen. Wenn man die Daten in der Tabelle mit Angaben in der Literatur zum Erwerb des Determinierersystems vergleicht, so verwendet auch Naomi many, much und few relativ spät: Radford (1990) gibt als Erwerbsdatum fllr Determinierer in der Regel ein Alter von zwei Jahren an, während hier festgestellt wurde, dass many, (a) few und much erst im Alter von 4;9 von Naomi gehäufter eingesetzt werden. Im folgenden sollen der Erwerb und Gebrauch von the, this, these, that und those betrachtet werden, um zu prüfen, ob diese ebenfalls so spät wie many, much und (a) few in Naomis Sprache auftreten. 3 Das erste Vorkommen von this im Naomi-Korpus findet man in der neunten Datei: (12)
*NAO: Georgie eating. *NAO: what-'is this ? *MOT: what-'is what ? *MOT: oh that-'is a sheet # honey # a sheet. (n09.cha, 148-151; Alter: 1;10.3)
Die Frage what- 'is this? scheint jedoch formelhaft zu sein und wird von Naomi ab dem Alter von 1; 10 sehr häufig benutzt, um gezielt Bezeichnungen für Gegenstände in der Umgebung von den Erwachsenen zu hören. Das obige Beispiel ist in dieser Hinsicht typisch. Ab dem Alter von 1; 10 sind die ersten Beispiele belegt, die von diesem Schema abweichen - dies könnte ein Indiz für eine erste produktive Verwendung von this außerhalb einer formelhaften Frage sein. Die Beispiele für nicht formelhafte Verwendungen wie die folgenden sind zunächst noch sehr selten und deshalb hier weitgehend vollständig bis zur 19. Datei aufgelistet: (13)
a. want this . (n09.cha, 323; Alter: 1;10.3) b. *FAT: the radio is over here # honey . *NAO: this radio round . (nl5.cha, 154-55; Alter: 1;10.18) c. read this . (nl5.cha, 803; Alter: 1;10.18) d. I want read this . (n 16.cha, 12; Alter: 1; 10.19) e. I want read this . (nl6.cha, 68; Alter: 1;10.19) f. this bowl too . (nlö.cha, 183; Alter: 1;10.19) g. this geese ? (nl6.cha, 215; Alter: 1;10.19)
Hier findet man auch schon die ersten Beispiele einer Kombination von this mit einem Substantiv; allerdings kann man davon ausgehen, dass es sich häufig um elliptische Strukturen handelt, die in ihrer Bedeutung der Äußerung 'this is X' in der Erwachsenensprache ent-
3
Der indefinite Artikel wurde bewusst aus dieser Untersuchung ausgeschlossen, weil er sowohl in Kinder- als auch Erwachsenensprache sehr schwer zu segmentieren ist und somit Transkripte von a besonders fehlerbehaftet sein dürften. Die Ton- oder Videobänder zu den einzelnen Studien lagen mir nicht vor, so dass keine Möglichkeit bestand, Vorkommen von a genauer zu analysieren.
175 sprechen (vgl. Bloom 1970: 34-36, Brown/Bellugi-Klima 1971: 317). Erst die folgenden Beispiele sind klare Belege für eine produktive Kombination von Demonstrativpronomen this und Substantiv (oder der Proform one) zu einer Nominalphrase, weil hier keine elliptischen Strukturen vorliegen können: (14)
a. color this one. (n31 .cha, 394; Alter: 1; 11.21) b. wash this dish (n31.cha, 443; Alter: 1;11.21) c. take this book (n35.cha, 294; Alter: 2;0.2)
Schon ab der 20. Datei tauchen im Korpus immer mehr Beispiele auf, in denen this pronominal in wechselnden Kontexten eindeutig nicht mehr formelhaft verwendet wird, weil die Zahl der Kollokationen für this immer mehr zunimmt: (15)
a. this is another one. (n21 .cha, 166; Alter: 1; 11.2) b. this is a sheep (n23.cha, 406; Alter: 1;11.6) c. don't do this (n25.cha, 125; Alter: 1; 11.11) d. can read this? (n29.cha, 132; Alter: 1; 11.18) e. is fish under this? (n30.cha, 35; Alter: 1;11.20)
Für den Erwerb und die Entwicklungssequenzen von that können sehr ähnliche Aussagen wie für this gemacht werden, weil die Entwicklung bei Naomi fast parallel verläuft. Auch hier dominieren am Anfang formelhafte und halbformelhafte Sequenzen wie what's that? oder look at that, die erst ab der zwanzigsten Datei durch flexiblere Strukturen wie die folgenden abgelöst werden: (16)
a. who did that? (n20.cha, 127; Alter: 1;10.28) b. that stays up here. (n21 .cha, 68; Alter: 1; 11.2) c. pushed it. push it. pushed that. (n21.cha, 104; Alter: 1;11.2) d. can make it. can make that. (n30.cha, 151-52; Alter: 1; 11.20)
Typisch sind auch für that die Kombinationen mit einem Substantiv, die offensichtlich eher die Bedeutung 'that is X' haben. Ein erstes eindeutiges Beispiel für that und ein Substantiv, die eine Nominalphrase bilden, ist das folgende: (17)
want that dinner. (n35.cha, 362; Alter: 2;0.2)
Seltenere Demonstrativpronomina wie those erscheinen erst später. Those ist als Imitation erst in Datei 22 belegt: (18)
*FAT: those are pigs . *NAO: those pigs . (n22.cha, 213; Alter: 1;11.3)
Danach findet man keinen weiteren Beleg für those im Korpus, bis in Datei 62 schlagartig ein gehäufter nicht-formelhafter, produktiver Gebrauch von those einsetzt, wie die folgenden Beispiele illustrieren: (19)
a. I better hang those up . (n62.cha, 493; Alter: 2;5.8) b. those are my things. (n62.cha, 559; Alter: 2;5.8) c. put those down there . (n62.cha, 587; Alter: 2;5.8) d. I had those dancing peoples . (n69.cha, 178; Alter: 2;8.14)
176 Das letzte Beispiel ist gleichzeitig auch der erste eindeutige Beleg für eine Verwendung von those als Teil einer vollständigen Nominalphrase. Stenzel (1997: 132) bemerkt in seiner Untersuchung der Daten Naomis, dass trotz der vielen Belege für Determinierer um das Alter von zwei Jahren immer wieder Beispiele im Korpus auftauchen, in denen die zielsprachlich obligatorischen Determinierer ausgelassen werden: (20)
a. whereismoon(l;10.10) b. thatistractor(l;10.23) c. this is petal (2;1.17) d. other man he is - 4 (2;8.14)
Stenzel (1997: 133) stellt aber nach einer Analyse der nominalen Ausdrücke Naomis fest, dass sie ab dem Alter von 2;1 in weniger als 40 Prozent der Äußerungen die Artikel in obligatorischen Kontexten auslässt. Ab dem Alter von 2; 1.17 bewegt sich der Anteil der Auslassungen zwischen null und 23 Prozent. Man kann also von einer Etablierung einer Kategorie D im Alter von 2;1 sprechen, was sich ungefähr mit Radfords (1990, 1995) Beobachtungen deckt, der von einer Reifung der Kategorie D im Alter von etwa zwei Jahren spricht.5 Stellt man wieder eine Übersicht über die Erwerbsdaten (diesmal für this, those und that) auf, so ergibt sich folgendes Bild:
4 5
Das Symbol"-" zeigt eine abgebrochene Äußerung an. Trotz der Etablierung der Kategorie als syntaktische Position bleiben semantische Aspekte der Artikel, die das Kind noch erwerben muss (vgl. dazu Brown 1973: 350-56, Maratsos 1976, Karmiloff-Smith 1979). Dies scheint aber zumindest teilweise unabhängig von einem regelmäßigen Gebrauch der Artikel zu sein, wie die Daten von Brown (1973: 350) und von Stenzel (1997: 133) zeigen.
177
Tabelle 20: Erwerbsdaten und Häufigkeit für this, that, those, many, much, (a) few (NaomiKorpus)6 this erste Verwendung 1;10.3 im Korpus erste Verwendung 1;10.18 in einer nichtformelhaften Äußerung erste Verwendung 1;11.21 in Kombination oder mit einem 1; 10.19 Substantiv Häufigkeit im 947 gesamten Korpus
that 1;6.167 1; 10.28
2;0.2
752
many those 1 ;11.3 2;7.16 (imitativ) nur ein 2;5.8 möglicher Beleg im Alter 3;4.0 2;8.14 kein Beleg bis zum Alter von 4;9.3 61 3
much 1;11.30
(a) few 4;9.3
unklar, 4;9.3 vielleicht 1; 11.30, eher 4;9.3 kein Beleg 4;9.3 bis zum Alter von 4;9.3 5
1
Vergleicht man wieder die Erwerbsdaten für Demonstrativa wie those mit dem vergleichbar häufigen Quantor many, so tritt many imitativ erstmals zwei Monate nach der bereits produktiven Verwendung von those im Alter von 2;5.8 auf. Much ist zwar schon wesentlich früher im Alter von 1;11.30 belegt, aber es wird lediglich adverbial verwendet. Was also die ersten Belege für those, many und much betrifft, so ist in Naomis Korpus ein eindeutiger zeitlicher Abstand zwischen those und many sowie zwischen those und nicht-adverbialem much attestiert. Bis zum Alter von 4;9.3 verwendet Naomi many und much in den Sitzungen der Studie nie als Teil einer Nominalphrase, während those bereits seit dem Alter von 2;8.14 pränominal eingesetzt wird. Auch was die Häufigkeit betrifft, unterscheiden sich those auf der einen Seite und much, many und few auf der anderen massiv. So sind much, many und few maximal fünf Mal im Korpus belegt, während man für those insgesamt 61 Beispiele im Korpus findet. Die folgenden Beispiele illustrieren die Komplexität von Naomis Nominalphrasen vom Alter von 2;7.16 bis zum Alter von 3;5.7. Hier findet man eine volle DP-Struktur mit Determinierern, Kopfnomen, Adjunkten und Spezifizierern. Die seltenen Quantoren many und much spielen für den Aufbau dieser Strukturen keine Rolle: (21)
6 7
a. those are children-'s clothings. (n68.cha, 317; Alter: 2;7.16) b. I had those dancing peoples. (n69.cha, 178; Alter: 2;8.14) c. and those are the same ones I could ride . (n83.cha, 110; Alter: 3;3.27) d. all those little rooms . (n83.cha, 125; Alter: 3;3.27) e. look at these little things. (n83.cha, 270; Alter: 3;3.27) f. yeah because those brown ones were-'nt the good ones . (n89.cha, 352; Alter: 3;5.7)
Die Formen these und my sind ähnlich häufig im Naomi-Korpus: 145 bzw. 431 Tokens. Naomi benutzt zunächst für that und the die morphophonologischen Approximationen dat und de. Beide sind im Alter von 1;6.16 schon belegt, während that dann endgültig im Alter von 1; 10.3 erstmals im Korpus auftaucht (vgl. auch Stenzel 1997: 131).
178 Wie Abes und Naomis Daten gezeigt haben, werden much, many und (a) few deutlich später als das System der Artikel und Demonstrativa erworben. Eine strukturbildende Hypothese, die von dem Erwerb einer QP vor dem Erwerb einer DP ausgeht, wie in der Einleitung 6.1 erläutert wurde, scheint angesichts dieser Daten kaum haltbar. Ein Blick auf weitere Kindersprachdaten wird dies bestätigen.
6.2.3 Eve Auch Eves Korpus dürfte einige Aufschlüsse über eine frühe Verwendung von many, (a) few oder many besser erlauben als die Daten von Abe, weil die Studie mit dem Alter von 1 ;6 einsetzt. Wie in Naomis Korpus sind Belege fur few, many und much jedoch selten. Few ist in Eves Korpus nicht belegt. Für many dagegen findet man in Eves Korpus zwar frühe Belege, aber zunächst nur imitative Äußerungen: (22)
a. *MOT: *CHI: b. *FAT: »CHI:
how how how how
many blocks? many block. (eve04.cha, 377; Alter: 1 ;7) many? many? (eve06.cha, 999; Alter: 1 ;9)
Erst am Ende der Studie ist eine nicht-imitative Verwendung von many belegt: (23)
*CHI: *MOT: •CHI:
xxx many kind of pictures. many kinds. yes. (eve20.cha, 960-62; Alter: 2;3)
Auch much wird zunächst nur imitativ gebraucht: (24)
»FAT:
he's getting much too warm.
*CHI:
much too warm. (eve06.cha, 454-55; Alter: 1;9)
Das folgende Beispiel hingegen ist offenbar produktiv gebildet: (25)
*CHI:
you didn't have very much noodle soup. (evel3.cha, 550; Alter: 2;0)
Die folgende Tabelle gibt noch einmal einen Überblick: Tabelle 21: Häufigkeit und erste Verwendung der Quantoren (a) few, much und many (Eve) Anzahl (inklusive Imitationen) (a) few much many
0 6 7
Alter des ersten Auftretens (ohne Imitationen und eindeutige Formeln wie thank you very much) -
2;0 2;3
Betrachtet man die Demonstrativa, so ergibt sich ein völlig anderes Bild. Die häufigen this und that sind bereits in den ersten vier Dateien belegt:
179 (26)
a. this xxx this Cromer coffee. (eve03.cha, 1079; Alter: 1 ;7) b. I write this paper. (eve04.cha, 176; Alter: 1;7) c. on this [!!] paper. (eve04.cha, 177; Alter: 1;7) d. xxx this the tape recorder. (eve04.cha, 844; Alter: 1 ;7)
(27)
a. *MOT: what is that? •CHI: that radio. (eveOl.cha, 414; Alter: 1;6) b. that Mommy eggnog? (eve02.cha, 1396; Alter: 1;6)
Auffällig sind Beispiele (24. a, d) und (25. a, b), weil hier offensichtlich elliptische Strukturen der Form this/that + DP/NP vorliegen, die die Bedeutung 'this/that is X haben. Eve scheint that und auch this in der ersten Entwicklungsphase als deiktisches Element in hohem Maße einzusetzen, denn Dialoge wie (28) sind schon in der ersten Sitzung in großer Zahl belegt. Damit gleicht sie in ihrer Entwicklung Naomi: (28)
a. •CHI: that? •CHI: that? •MOT: Eve's letter. (eveOl.cha, 1307-1309; Alter: 1;6) b. •MOT: •CHI: •CHI: •MOT: •CHI:
Cromer's briefcase. briefcase. that? Cromer's briefcase. Cromer briefcase. (eveOl.cha, 1451-1455; Alter: 1 ;6)
Seltenere Demonstrativpronomina wie those sind erst in späteren Sitzungen belegt. Der erste nicht-imitative Beleg fur those findet sich in Datei 10: (29)
*CHI: •MOT:
that Fraser's. that's right.
•CHI:
those Eve's. (evelO.cha, 261; Alter: 1;10)
Davor findet man einige Imitationen im Korpus wie beispielsweise die folgende: (30)
#
MOT: •CHI:
you'll have to play with those. play those. (eve03.cha, 165; Alter: 1;7)
Der folgende Beleg könnte ein Beispiel sein, wie Eve those innerhalb einer Nominalphrase pränominal einsetzt, aber es könnte auch eine Konstruktion der Form 'those + NP' sein, die elliptisch für 'those are NP' steht. Solche Beispiele sind ebenfalls in ausreichender Zahl im Korpus belegt. (31)
•CHI:
xxx those shoes on. (evel5.cha, 1318; Alter: 2;1)
180 Tabelle 22: Erwerbsdaten und Häufigkeit für this, those, many, much, (a) few (Eve-Korpus) erste Verwendung im Korpus erste Verwendung in einer nicht-formelhaften Äußerung erste Verwendung in Kombination mit einem Substantiv Häufigkeit im gesamten Korpus
this i;7
those i;7
i;7
1 ; 10
1;7
eventuell 2;l 19
181
many much i;7 1;9 (imitativ!) (imitativ) 2;3 2;0
(a)few -
-
2;3
2;0
-
7
6
0
In Eves Korpus sind Demonstrativpronomina inklusive dem selteneren those spätestens ab dem Alter von 1; 10 belegt. Produktive Belege für many und much dagegen findet man im Korpus ab dem Alter von 2;0. Allerdings wird those erst im Alter von 2;1 voraussichtlich mit Nomina kombiniert, während much schon im Alter von 2;0 Teil einer Nominalphrase ist. Es gibt keine eindeutigen Hinweise auf einen gleichzeitigen oder späteren Erwerb der Demonstrativa und der Quantoren, aber die deutlich hohe Anzahl des Demonstrativums this im Korpus und die leicht höhere Zahl des Demonstrativums those im Vergleich zu many und much könnte auf eine frühere Etablierung des Demonstrativsystems hindeuten. Damit bestätigen Eves Daten, was schon für Naomi und Abe konstatiert wurde. In Eves Fall sind die Daten allerdings mit größerer Vorsicht zu betrachten, weil das Korpus relativ klein und die Abstände zwischen den einzelnen Aufnahmen relativ groß sind (nur ca. zwei Aufnahmen pro Monat).
6.2.4
Peter
Auch Peters Daten bestätigen die Grundtendenz, dass much, many und (a) few später als das Demonstrativsystem erworben werden. Peter gebraucht many zum ersten Mal in Kombination mit how, so dass nicht ganz klar ist, ob how many als unanalysiertes Ganzes verwendet wird: (32)
*CHI *LOI »CHI *LOI •CHI
how many, what? how many barrels me have, how many barrels me have? right, (peterll.cha, 3252-56; Alter: 2;3.21)
Auch in den folgenden Beispielen verwendet Peter many bereits als Teil einer Nominalphrase, allerdings erst hier zum ersten Mal ohne how. Die Konstruktionen werden am Ende der Studie schon recht variabel: (33)
a. (be)cause you got # so many toys in there. (peterl8.cha, 1273; Alter: 2;9.14) b. right there's too many people in here so we putting him in here. (peter20.cha, 1321; Alter: 3;1.21)
181
c. it's got one # two # three # four # five # six # seven # eight nine eleven thirteen, too many colors. (peter20.cha, 3770-71; Alter: 3; 1.21) d. how many does that make. (peter20.cha, 3836; Alter: 3;1.21) Much ist zwar schon ab der vierten Datei belegt, aber bis zur 14. Datei benutzt Peter much lediglich in Imitationen oder in Formeln wie thank you very much. Die erste echte Abweichung von diesen Formeln sind die folgenden Äußerungen: (34)
a. that much better. (peterl6.cha, 2376; Alter: 2;7.14) b. funktionale Köpfe
minor functional
heads
Am Endpunkt der Entwicklung des Kindes steht also die vollständige DP. Mit dem Erwerb von any und dem Einsetzen der Phase III findet eine Umstrukturierung der Grammatik statt. Some, any und no werden als lexikalische Realisierungen eines funktionalen Kopfes D in der Nominalphrase reanalysiert; sie bilden also die Köpfe der DPs. Im folgenden wird vor allem untersucht, ob die für Naomi geltenden drei Erwerbsphasen auch durch die Daten der übrigen vier Kinder belegt sind. Ferner wird geprüft, ob für die übrigen Kinder genauere Angaben zum Erwerbszeitpunkt der Demonstrativa und der Quantoren some, any und no gemacht werden können. Insgesamt soll versucht werden zu klären, ob frühe Quantoren in ihrer Entwicklung eher parallel zu den Demonstrativa erworben werden oder ob sie in ihrer Phasenentwicklung mit anderen Quantoren, beispielsweise all oder many, vergleichbar sind (vgl. dazu abschließende Einschätzungen in Kapitel 6.4.7).
211 6.4.2
Eve
Die Daten aus Eves Korpus scheinen die filr Naomi gemachten Beobachtungen zu bestätigen, allerdings verläuft Eves Entwicklung rascher als Naomis: Eves Daten aus dem BrownKorpus (Brown 1973) sind Äußerungen eines sprachlich sehr frühreifen Kindes (vgl. Brown 1973: 53, MacWhinney 1995a: 294). Deshalb ist es kaum verwunderlich, dass der erste Beleg von some bereits in der ersten Datei zu finden ist: (35)
*CHI: letter letter letter, some more, want Mommy letter. (eveOl.cha, 1214; Alter: 1;6)
Wie auch Naomi verwendet Eve vor allem in der Anfangsphase Kollokationen mit dem Verb want und der Form more. Hier ist wie schon bei Naomi nicht ganz klar, inwieweit es sich um (halb-) formelhafte Ausdrücke handelt: (36)
a. b. c. d. e.
"CHI: *CHI: *CHI: *CHI: *CHI:
want some grape juice. (eve03.cha, 217; Alter: 1;7) Eve want some too. (eve07.cha, 397; Alter: 1 ;9) some more # Fraser. (evelO.cha, 736; Alter: 1; 10) I go drink some more. (evel2.cha, 354; Alter: 1;11) I want some more. (evel2.cha, 528; Alter: 1;11)
Diesen Beispielen steht aber schon eine kleine Zahl anderer Konstruktionen gegenüber Kollokationen mit anderen Verben und Kombinationen mit einigen Substantiven, die bereits in frühen Sitzungen belegt sind: (37)
a. *CHI: b. *CHI: c. *CHI:
we'll buy some. (eve05.cha, 1935; Alter: 1;8) Eve some bottle. (eve07.cha, 520; Alter: 1 ;9) giving baby Sarah some cereal. (eve09.cha, 105; Alter: 1;10)
Es ist also möglich, dass some zu diesem Zeitpunkt schon produktiv verwendet wird, aber nur mit einer kleinen Zahl von Kollokationen. Wie bei Naomi findet man auch bei Eve einen Wendepunkt in der Entwicklung, wenn auch im Fall der sprachlich frühreifen Eve schon im Alter von 1; 11. Auch für Eve fallen mehrere Phänomene zu diesem Zeitpunkt zusammen: Im Alter von 1; 11 steigt die Zahl der neuen Kollokationen mit some rascher an, und die Kombination some more häuft sich in dieser Sitzung (vgl. Diagramme 9 und 10 im Anhang). 17 Darüber hinaus findet man einen ersten Beleg, in dem some mit einem Nomen im Plural kombiniert wird: (38)
"CHI: Sue # get some pictures. (evel2.cha, 102; Alter: 1;11)
Das Alter 1;11 markiert auch einen Wendepunkt, weil ab diesem Zeitpunkt any in Eves Korpus belegt ist. Die folgenden Beispiele zeigen, dass der Gebrauch von any offenbar ansatzweise schon gut beherrscht wird. Unter anderem wird any in Fragen und Negationen verwendet:
17
Vergleicht man dieses Diagramm zu Eves Daten mit den Diagrammen fiir die anderen Kinder, fällt der fast exponentielle Anstieg der Kollokationen mit some bei Eve auf. Bei den anderen Kindern ist der Anstieg lediglich etwa linear zu nennen. Also ist Eve auch ein Schnellentwickler, was den Erwerb der Form some betrifft.
212
(39)
a. Sue # where where Fraser any coffee? (evel2.cha, 848; Alter: 1; 11) b. we can't get any air. (evel5.cha, 217; Alter: 2;1) c. *MOT: why can't you blow it up? •CHI: because I can't +... because it doesn't have any air in it. (evel5.cha, 575; Alter: 2; 1) d. we -: don't -: have -: any -: green -: beans - : . (evel5.cha, 1547; Alter: 2;1)
Außer dem Beispiel 39. d im Alter von 2;1 findet man in dieser Phase (im folgenden als Phase II bezeichnet) keinerlei Belege für Nominalphrasenstrukturen vom Typ some/any/no + A + N oder ¿^Konstruktionen. Dass ¿^Konstruktionen noch nicht beherrscht werden, zeigen die folgenden Beispiele, in denen some mit DPs kombiniert wird: (40)
a. I want some that [!!] cheese. (evel2.cha, 538; Alter: 1;11) b. I want some [/] some that cookie. (evel2.cha, 858; Alter: 1;11)
Hier könnte es sich um einen nicht geglückten Versuch handeln, ^Konstruktionen zu verwenden, d.h. das Kind hat noch nicht das unbetonte of zwischen some und einer folgenden DP wahrgenommen. Es ist auch möglich, dass Eve in Phase II some noch als Adjunkt für NPs und DPs betrachtet und dementsprechend some lediglich mit that cheese und that cookie kombiniert. In beiden Fällen sind die Beispiele (a) und (b) Evidenz, dass Eve in Phase II some noch nicht als Kopf einer DP verwendet. Wie in Naomis Phase II des Erwerbs ist hier in Eves Phase II nicht nur any, sondern auch no als Teil einer Nominalphrase belegt. Wie bei Naomi ist es vor allem zu Beginn von Eves Studie schwer einzuschätzen, ob no tatsächlich als Determinierer gebraucht wird oder ob es sich um no als Satznegation handelt (siehe oben). Man findet einige Beispiele, in denen no satzinitial als Negator einer Äußerung gebraucht wird: (41)
no Eve play bouillon cube. (eve05.cha, 16; Alter: 1;8)
Die ersten Beispiele, in denen Eve no eindeutig als Teil der Nominalphrase verwendet, sind die folgenden: (42)
a. Cromer have no pocket. (eve08.cha, 1921; Alter: 1 ;9) b. there no squirrels . no more squirrels, (evel l.cha, 403-04; Alter: 1; 11) c. *CHI: I don't read xxx bad man no books. •MOT: what did you say? •CHI: no books. (evel3.cha, 206-08; Alter: 2;0) d. I don't read no books. (evel3.cha, 213; Alter: 2;0) e. nobody out an(d) no girl out too. (evel3.cha, 1228; Alter: 2;0) f. because I can't because there no pictures. (evel5.cha, 1777; Alter: 2;1)
Vorher sind schon einige einzelne Beispiele belegt, in denen nicht eindeutig ist, ob no als Satznegator oder als Teil der Nominalphrase füngiert. Der Kontext legt nahe, dass es sich eher um Satznegation handelt: (43)
*MOT: •MOT: •CHI: •CHI: •MOT:
that's not cheese. that's peanut butter. no peanut butter. no tomato soup. that's not tomato soup. (eve07.cha, 1545-49; Alter: 1 ;9)
213 In Kombination mit more ist no allerdings schon in früheren Sitzungen belegt, wobei nicht klar ist, ob Eve no more als Einheit begreift oder als Kombination von no und more: (44)
a. tape recorder no more animal cracker. (eve07.cha, 765; Alter: 1 ;9) b. *COL: did you put the toys on the table? *CHI: no more toy. (eve08.cha, 2656; Alter: 1 ;9)
Insgesamt entsteht der Eindruck, dass no von Eve möglicherweise auch schon zum Ende der Phase I erworben wird, aber die Daten sind nicht eindeutig. Ein weiterer Wendepunkt in der Entwicklung ist das Alter 2;2 (evel7.cha). Zu diesem Zeitpunkt erreicht die Zahl neuer Substantive, mit denen some kombiniert werden kann, ihren Höhepunkt (vgl. Diagramm 9 im Anhang). Gleichzeitig findet man im Alter von 2;2 erste Belege ftlr (^Konstruktionen und Strukturen vom Typ some + A + N. Wie bei Naomi kann man also von einer dritten Phase in der Entwicklung der Quantoren some, any und no sprechen - einer Phase, die durch das Entstehen komplexer Nominalphrasenstrukturen gekennzeichnet ist. Eves Repertoire an Kollokationen ist aber wesentlich umfangreicher als das von Naomi, und darüber hinaus findet man auch mehr komplexe Nominalphrasenstrukturen wie die folgenden: (45)
a. xxx and some green beans. (evel7.cha, 1182; Alter: 2;2) b. no # he go to [?] draw some pretty flowers. (evel7.cha, 1837; Alter: 2;2) c. xxx some of my peg toys for you [= Sarah]. (evel7.cha, 1638; Alter: 2;2)
Selbst Koordinationen in Kombination mit some sind schon in diesem Alter belegt: (46)
here xxx some buses and cars, and some xxx and some xxx and some bike and some houses and some trees and some houses and everything and some doggies and everything. (evel7.cha, 975-76; Alter: 2;2)
Insgesamt bestehen zwischen der Entwicklung von some, any und no in Eves und Naomis Korpus erstaunliche Parallelen. Für beide kann die Entwicklung der Quantoren in drei Phasen aufgeteilt werden. Die zweite Phase ist vor allem durch eine zunehmende Produktivität von some und den Erwerb von any/no gekennzeichnet, während in der dritten Phase die Nominalphrasen komplexer werden. Für beide Kinder wurde der Beginn einer neuen Phase durch einen Anstieg der Zahl der Kollokationen markiert. Auch für Eve spielt more für den Erwerb von some, any und no eine Rolle. In Eves Korpus findet man eine Reihe von Kombinationen wie some more (eveOl.cha), some more track (evel5.cha), some more grape juice (evelö.cha), any more (evel7.cha), no more animal cracker (eve07.cha), no more squirrels (evel l.cha). 18 Es spricht also einiges dafür, some, any und no als eine für den Erwerb zusammengehörige Gruppe zu betrachten. Ob some, any und no sofort als lexikalische Realisierungen des Kopfes D erworben werden ist unklar. Vergleicht man die Entwicklung von some, any und no mit der der Demonstrativa, so ergibt sich kein einheitliches Bild. Wie auch bei Naomi gibt es keine eindeutigen Hinweise, dass some, arty oder no schon in Phase II als Determinierer ihre eigenen Phrasen projizieren. Erst in Phase III häufen sich die Hinweise, dass some, any und wahrscheinlich 18
Bemerkenswert ist in Eves Fall zudem, dass more auch noch mit zwei anderen Formen auftritt: one more doorway (evel4.cha, 1104; Alter: 2;0) und a little bit more (evel7.cha, 2523; Alter: 2;2).
214 auch no als Köpfe einer DP verwendet werden - so findet man in Eves Korpus Beispiele für «^Konstruktionen und Koordinationen, was auf some in der Rolle eines Kopfes hinweist. Eindeutige Hinweise, dass some, any und no als Determinierer in der Nominalphrase verwendet werden, setzen also erst mit dem Alter von 2;2 ein. Vergleicht man die Erwerbsdaten von this, those, some und any, so ist ein paralleler Erwerb dieser Formen aber nicht ganz unplausibel: Tabelle 35: Erwerbskriterien und Erwerbsdaten fìir some und any (Eve-Korpus) erste Verwendung im Korpus erste Verwendung in einer nicht-formelhaften Äußerung erste Verwendung in Kombination mit einem Substantiv (ohne more) erste Verwendung mit einem Substantiv im Plural
any i;ii 2;l, eventuell schon 1;11
i;7
some i;6 1;8, eventuell schon 1;7 eventuell 2;1 i;7
-
eventuell 2; 1 1;11
2;1
this i;7 1;7
those i;7 1 ; 10
i;ii
In Eves Korpus gibt es keine Anzeichen dafür, dass some und any in deutlichem zeitlichen Abstand von Demonstrativa wie this oder those erworben werden; ein paralleler Erwerb ist hier sogar wahrscheinlich. Das Korpus ist relativ klein und die Daten nicht ausreichend, um weitere Aussagen machen zu können.
6.4.3 Peter Die Daten von Peter aus dem Korpus von Bloom (vgl. Bloom 1970) illustrieren eine Entwicklung, die schon bei den anderen Kindern beobachtet wurde. Viele der ersten Äußerungen mit some sind Kollokationen mit more: (47)
a. *L01: you need some more huh. •CHI: need . some more. (peter04.cha, 1820-22; Alter: 1;11.7) b. *CHI: xxx # get some more # huh. (peter07.cha, 1671; Alter: 2;0.7) c. *CHI: there # what's that # more tape # some more # more tape # a goes around. (peter07.cha, 2302; Alter: 2;0.7)
Das erste Beispiel einer Kollokation mit einem Substantiv findet man bereits in der siebten Datei, danach steigt die Zahl der Beispiele einer produktiven Kombination von some mit Substantiven langsam an: (48)
a. Lois have some paper. (peter07.cha, 1316; Alter: 2;0.7) b. Mama # Mama # Mama xxx some candy. (peter08.cha, 3587; Alter: 2; 1.21) c. I want some pretzel Mama # ok up there # up there # up there # Mommy I want some pretzel # up there. (peter09.cha, 1397; Alter: 2;2.14)
215 Ein erster Wendepunkt in der Entwicklung ist das Alter um 2;4. Fast zeitgleich findet man hier zwei Phänomene: Zum einen steigt die Zahl der neuen Kombinationen von Substantiven mit some im Alter von 2;4.14 drastisch an, und zum anderen ist in der vorangegangenen Datei (2;3.21) ein erster Beleg zu finden, in dem Peter any erstmals nicht-imitativ verwendet: 19 (49)
right ## are there any girls in this book? (peterl l.cha, 3479; Alter: 2;3.21)
Auch in den darauffolgenden Sitzungen ist die Zahl der neuen Kollokationen mit some sehr hoch (vgl. Diagramm 11 im Anhang). Man kann also auch bei Peter von einer zweiten Phase sprechen, in der die Produktivität der Kombinationen some + N und some + more sowie some + more + N erweitert wird. Ein nächster Wendepunkt in der Entwicklung Peters ist das Alter von 2;6.14, in dem erste «^Konstruktionen gehäuft auftreten: (50)
a. where's some toys I broke some of that toys. (peterl5.cha, 1660; Alter: 2;6.14) b. no I want some of this [= gum]. (peterl5.cha, 1745; Alter: 2;6.14) c. no I want some of that [= sandwich]. (peterl5.cha, 4795; Alter: 2;6.14)
Diese Sitzung leitet eine Entwicklung zu komplexeren Nominalphrasen ein. So findet man in fast allen folgenden Dateien Belege filr weitere o/-Konstruktionen und/oder Strukturen vom Typ some + A + N oder some + N + N, wie die folgende Beispielauswahl belegt: 20 (51)
a. *CHI: I want some food chip. (peterl6.cha, 4390; Alter: 2;7.14) b. *LYN: does she catch good fish? •CHI: yeah # she catch some good [!!] fish, (peterl8.cha, 4350; Alter: 2;9.14) c. *CH1: [/] he gonna sleep right there # and these # [/] let's # [/] some new ones gonna come in and scare em. (peterl9.cha, 827; Alter: 2;10.21) d. *CHI: and I want some of those too! (peterl9.cha, 5647; Alter: 2;10.21) e. *CHI: you do # some of the work. (peter20.cha, 2965; Alter: 3; 1.21)
Die dritte Phase der Entwicklung dient nicht nur der Erweiterung der Strukturen für some, sondern auch für any und no. In dieser dritten Phase der Entwicklung beginnt Peter, any mit einer wachsenden Zahl von Substantiven zu kombinieren. Dieses kulminiert
19
20
Auch hier besteht die Möglichkeit, dass das spätere Erwerbsdatum für any auf Lücken im Korpus zurückzuführen ist, weil any seltener als some ist und daher unter Umständen nicht früher erfasst wurde. Der Gebrauch von any ist auf jeden Fall von Anfang an weniger durch formelhafte Äußerungen gekennzeichnet und somit einem vollständigen Erwerb schon einen Schritt näher als der erste Gebrauch von some. Die Kombinationen some a this und some a gas (ebenfalls aus der Datei peterl5.cha) sehen auf den ersten Blick wie idiosynkratische Kombinationen von some und dem Artikel a aus. Es ist jedoch sehr wahrscheinlich, dass die Konstruktionen some a this und some a gas weitere, unvollkommene «»/-Konstruktionen sind, in denen Peter die Form of nicht richtig artikuliert hat. Diese Konstruktionen treten nämlich zeitgleich mit vier weiteren o/-Konstruktionen auf und sind die einzigen Beispiele dieser Art. Es ist anzunehmen, dass some a this also some of this entspricht bzw. some a gas mit some of (the) gas gleichgesetzt werden kann.
216
schließlich in einer Verwendung von any auch in «^Konstruktionen und anderen komplexen Nominalphrasen, wie die folgenden Beispiele belegen: (52)
a. got any more ofthese? (peterl8.cha, 1417; Alter: 2;9.14) b. there weren't any other children there? (peterl8.cha, 2765; Alter: 2;9.14)
Auch der dritte Quantor no, der hier von Interesse ist, ist in dieser dritten Phase nun eindeutig belegt (Alter: 2;7.14, peterl6.cha), und zwar zeitgleich mit einem drastischen Anstieg der Kollokationen für any und einem gehäuften Gebrauch von some/any/no more, wie man mit Hilfe der Diagramme 12 und 13 erkennen kann (vgl. Anhang). In den folgenden Dateien findet man einige Belege, die den produktiven Gebrauch von no in Nominalphrasen illustrieren: (53)
a. "CHI: I [!!] wan(t) (t)a put out the fire. •PAT: is there a fire in the car? •CHI: no # there's no [!!] fire. •CHI: don't have any [!! ] fire, (peterlö.cha, 4805-08; Alter: 2;7.14) b. there's no dragon fly on me. (peterlö.cha, 5388; Alter: 2;7.14) c. •LOI: funktionale Köpfe
minor functional heads
Weiter wurde auch die Dichotomie zwischen lexikalischen und funktionalen Kategorien, die die DP-Analyse und das Minimalistische Programm suggerieren, in Frage gestellt. Statt dessen wurde in Kapitel 3 überlegt, ob sich Kategorien wie Artikel, Demonstrativa, Quantoren und Adjektive in einem Kontinuum besser fassen lassen, ähnlich wie es bereits durch Grammatikalisierungsansätze (Lehmann 1982, Hopper/Traugott 1993) vorgeschlagen wurde. Konkret wurde in dieser Arbeit folgendes Kontinuum vorgeschlagen:
242
(6) (degree of)
grammaticalization
semilexikalische Kategorien N, V, A, P, grammatisch verwendete Ps, Adv? Konjunktionen, Ouantoren lexikalische Kategorien
funktionale Elemente von Wortrang Modalverben, Determinierer
minor Klitiks flexionale functional Morphologie categories degree words, z.B. 's Konjunktionen and, or
In Kapitel 4.3 wurde anhand einer Reihe \lon Beispielen aus dem British National Corpus belegt, dass der Übergang zwischen den Kategorien Adjektiv, Quantor und Determinierer fließend ist. Das besondere Interesse der vorliegenden Arbeit bestand nun in der Frage, ob diese Erkenntnis in das Minimalistische Programm integriert werden kann. Auch hier erwies sich ein Prototypenansatz als sinnvoll: Es wurde vorgeschlagen, von einer Definition für D (Determinierer) und Q (Quantor) auszugehen, die für "typische" Formen gilt und von der weniger typische Formen abweichen. Die Prototypen der Kategorie D und Q wurden mit den folgenden Definitionen umschrieben: Die Kategorie D Ein Mitglied der Kategorie D (kurz: ein Determinierer) ist ein Element, das in der Nominalphrase positioniert ist oder an der Stelle einer Nominalphrase erscheinen kann, Nominalflexion tragen kann, jedoch nicht alle morphologischen Eigenschaften eines Adjektivs besitzt und typischerweise Definitheit, Referenz, Deixis oder Possessivität in der Nominalphrase festlegt. Die Kategorie Q Ein Mitglied der Kategorie Q (kurz: ein Quantor) ist ein Element, das in der Nominalphrase positioniert ist oder an der Stelle einer Nominalphrase erscheinen kann, jedoch nicht alle morphologischen Eigenschaften eines Adjektivs besitzt und typischerweise Zählbarkeit, Mengenangaben oder Quantifizierung in der Nominalphrase festlegt.
Auf der Basis der genannten Vorschläge zu funktionalen Köpfen und den Kategorien D und Q konnten in Kapitel 4.3 dann genauere Angaben zum Status der Quantoren in der englischen Nominalphrase gemacht werden: Man kann jeden Quantor einerseits als mehr oder weniger typisches Mitglied der Kategorie Q klassifizieren, und andererseits Aussagen darüber machen, wieviele Kopf-Eigenschaften der Quantor besitzt. So sind some, any und no beispielsweise folgendermaßen definiert: (7)
a. some = [+D, +Q, +Kopf der Nominalphrase] b. any = [+D, +Q, +Kopf der Nominalphrase] c. no = [+D, +Q, +Kopf der Nominalphrase]
Die Spezifizierung als Determinierer und Quantoren reflektiert den ambigen Status der drei Formen, die einerseits semantisch eher Quantoren ähneln, q/~-Konstruktionen wie einige Quantoren eingehen, aber im übrigen eine ähnliche Distribution wie Artikel besitzen.
243 Das syntaktische Verhalten anderer Quantoren als some, any und no ist noch komplexer. Im Gegensatz zu some, any und no sind every, much, many und few beispielsweise weit weniger eindeutig charakterisierbar, weil sie entweder als schwacher Strukturbauer oder als Adjunkt eingesetzt werden können (vgl. Kapitel 4.3): (8)
DP D I my
(9)
NP Q every
N sympathy
(Adjunkt)
Q P ^ ^
Spec almost
Q every
Q'
N man
(schwacher Strukturbauer)
Deshalb wurden every, many, much und few folgendermaßen mit abstrakten Merkmalen charakterisiert: (10)
a. every = [+Q oder +A] und [+ schwacher Strukturbauer oder + Adjunkt] b. many/much/few = [+Q oder +A] und [+ schwacher Strukturbauer oder + Adjunkt]
In Kapitel 4.3 wurde auf das Konzept der 'latenten Merkmale' (latent features) nach Kempson/Quirk (1971) verwiesen, das hier eine Rolle spielen könnte: Je nach Kontext werden für die Quantoren als schwache Strukturbauer oder als Adjunkte interpretiert, d.h., es wird entweder das erste abstrakte Merkmal [+schwacher Strukturbauer] oder das zweite Merkmal [+Adjunkt] aktiviert. Aus der Erkenntnis, dass es keine eindeutigen Köpfe einer Phrase gibt, sondern nur ein Kontinuum von starken bis schwachen Strukturbauern, sind Konsequenzen gezogen worden: Die Ergebnisse aus Kapitel 3 haben erhebliche Zweifel am Sinn der Vielzahl der Köpfe in der Nominalphrase (D, Q, NUM, Agr, Poss, CN, Kase, etc.) geweckt. In Kapitel 4 ist zusätzlich argumentiert geworden, dass viele der vorgeschlagenen funktionalen Köpfe auch aus der Sicht des Minimalistischen Programms unnötig sind. Auf der Basis von Chomsky (1995c: 378) wurde ein zusätzliches Kriterium fiir die Lizensierung funktionaler Kategorien eingeführt: Kriterium für die Zulässigkeit einer funktionalen
Kategorie
Die einzigen zulässigen funktionalen Kategorien sind die, deren Merkmale (features) während der Derivation erhalten bleiben und an den Schnittstellen LF und PF interpretiert werden können.
Letztlich wurden aufgrund theoretischer Überlegungen die Kategorien K (case), Num (number), Poss (possessor) und Agr (agreement) als eigenständige Köpfe verworfen. Ebenso wurden die von Cinque (1994) vorgeschlagenen funktionalen Köpfe für pränominale Adjektive als unzureichend begründet abgelehnt. Die Diskussion führte letztlich dazu, nur noch zwei mögliche funktionale Köpfe für die Nominalphrase als Teil der Universalgrammatik zu akzeptieren: D und Q ('Quantor'). Dabei wurde ausdrücklich betont, dass diese Kategorien nicht notwendigerweise universell sein müssen, sondern zu dem Satz
244 funktionaler Köpfe zählen, aus dem jede einzelne Sprache ihre individuelle Auswahl trifft. So ist es möglich, dass eine Sprache nur über D, aber nicht über Q verfügt, ebenso wie das Japanische beispielsweise über I, aber nicht über C verfügt (Fukui 1986). Für das Englische wurde offen gelassen, ob es eine zweite funktionale Kategorie Q besitzt. Als mögliche Kandidaten für lexikalische Realisierungen diese Kategorie Q kamen all oder marty/much/few in Frage. Nach der Analyse der Rolle funktionaler Kategorien im Minimalistischen Programm wurde im zweiten Teil der Arbeit die Entwicklung funktionaler Kategorien während des Erstspracherwerbs untersucht, um weitere Aufschlüsse über den Status funktionaler Kategorien in der Universalgrammatik zu erhalten. Weil die Universalgrammatik auch ein Modell des angeborenen sprachlichen Wissens des Kindes ist, bot sich ein Blick auf Erstspracherwerbsdaten an. Ausgangspunkt für die Untersuchung war die kontroverse Diskussion um funktionale Kategorien in der Erstspracherwerbsforschung. Für den Erwerb funktionaler Kategorien wurden im wesentlichen drei Modelle vorgeschlagen: die Kontinuitätshypothese, die Reifungsthese (maturation) und das Modell des lexikalischen Lernens (Hyams 1986, 1996, Radford 1990, Clahsen et al. 1994, 1996). Die drei Modelle vermitteln gegensätzliche Sichtweisen zum Erwerb funktionaler Kategorien: Während Vertreter/innen der Kontinuitätshypothese davon ausgehen, dass funktionale Kategorien dem Kind schon in den frühesten Entwicklungsphasen zur Verfügung stehen, behaupten Vertreter/innen der Reifungsthese und des lexikalischen Lernens, dass funktionale Projektionen erst zu einem späteren Zeitpunkt voll entwickelt sind. Im Laufe der Diskussion in Kapitel 5 wurde deutlich, dass vor allem das Modell des lexikalischen Lernens am ehesten dazu geeignet ist, den phasenweisen Erwerb des Determinierersystems in der Nominalphrase angemessen zu beschreiben, weil der Ansatz des lexikalischen Lernens einen schrittweisen Aufbau funktionaler Projektionen wie der DP zulässt, wie es die empirischen Daten aus Kapitel 5 und 6 suggerieren. In Kapitel 5 wurden auch Defizite der bisher existierenden Entwicklungsmodelle zum Erstspracherwerb herausgearbeitet. Unter anderem wurde bemerkt, dass sich alle Modelle sehr stark auf den Gegensatz zwischen lexikalischen und funktionalen Kategorien konzentrieren. Dementsprechend sind im nominalen Bereich vor allem Artikel, Demonstrativa und Genitive für den Erstspracherwerb untersucht worden. Was fehlte, war ein genauerer Blick auf den Erwerb "semi-lexikalischer" Kategorien wie die Quantoren im frühesten Kindesalter. Semi-lexikalische Kategorien wie die Quantoren interessieren in der vorliegenden Arbeit ganz besonders, weil schon für die Erwachsenensprache wurde gegen eine Dichotomie lexikalisch - funktional argumentiert wurde (Kapitel 3). Im Gegensatz zur vorherrschenden Meinung in der generativen Literatur zeigt die Diskussion um die Quantoren in Kapitel 6, dass eine einfache Dichotomie lexikalisch gegen funktional auch für den Erstspracherwerb kein ausreichendes Modell ist. Unter anderem wurde herausgearbeitet, dass Quantoren wie some, arty, no, marty, und more in den frühesten Erwerbsphasen sehr unterschiedlich interpretiert werden: als schwache Strukturbauer in Nominalphrasen {some, any), als Adjunkte in Nominalphrasen {marty, more) oder als Adjunkte für beliebige Phrasen {all, no). Quantoren unterscheiden sich damit sowohl von Nomina und Adjektiven, die laut Radford (1990) vom Kind schon zu Beginn der ZweiWort-Phase als lexikalische Köpfe von NPs bzw. APs eingesetzt werden, als auch von Determinierern wie Demonstrativa, Possessiva und Artikel, die ab dem Alter von etwa 2;0 vom Kind als Köpfe von DPs interpretiert werden. Quantoren schwanken in ihrem Status in der
245 frühen Kindersprache zunächst zwischen Adjunkt und schwachem Strukturbauer. Das heterogene Verhalten der Gruppe der Quantoren kann so interpretiert werden, dass eine semilexikalische Kategorie wie die der Quantoren vom Kind weniger leicht erworben wird als eine lexikalische Kategorie N und eindeutige Vertreter funktionaler Kategorien wie D. Das unterschiedliche Verhalten der Quantoren in den frühen Erwerbsphasen kann als weiteres Indiz gewertet werden, dass Quantoren in ihrem syntaktischen Verhalten keine homogene Gruppe bilden (vgl. auch Kapitel 4.3) und deshalb vom Kind nicht mühelos in bestehende Nominalphrasenstrukturen integriert werden können. Trotz der Unterschiede zwischen einzelnen Quantorengruppen konnte dennoch in der vorliegenden Arbeit eine vermutlich universelle Erwerbssequenz für Quantoren entdeckt werden. Bei allen fünf Kindern lagen Indizien vor, dass die Quantoren somelanylno sowie der Quantor all in drei Phrasen erworben werden (vgl. Kapitel 6). Der phasenweise Erwerb ist für die einzelnen Quantoren jedoch unterschiedlich: Während all in der ersten Erwerbsphase in binären Strukturen mit Partizipien, Verben und Adjektiven dominiert, werden some und any offenbar sehr früh konsequent mit Nomina oder mit more kombiniert. Ferner deutet die Evidenz daraufhin, dass all von den Kindern in der zweiten Erwerbsphase als Adjunkt gebraucht wird, wohingegen some in seiner zweiten Erwerbsphase vom Kind als schwacher Strukturbauer interpretiert wird. Erst in der dritten Erwerbsphase von some, any, no und all werden die Quantoren in komplexen Nominalphrasen als funktionale Köpfe gebraucht. Die drei Erwerbsphrasen könnten auf den Einsatz unterschiedlicher Strategien zurückgeführt werden, solange das Kind die Quantoren noch nicht in die DP integriert hat: • Verwendung der Operation "Merge", die Teil der Universalgrammatik ist (vgl. Kapitel 2.3), um binäre Strukturen mit all oder some zu generieren (Phase I) • Nutzung der möglichen Positionen im X'-Schema, die die Universalgrammatik bereitstellt: Interpretation der Quantoren als Adjunkte (all, more) oder als schwache Strukturbauer (some) (Phase II) • Reanalyse der Quantoren some, any, no und all als Strukturbauer bzw. funktionale Köpfe in der DP, die sprachspezifische Option für Englisch (Phase III) Das Kind verwendet Quantoren also offenbar zunächst anders als Erwachsene, aber es nutzt immer nur die Möglichkeiten, die in der Universalgrammatik vorgesehen sind. Die Spracherwerbsdaten liefern nicht nur Daten zum phasenweisen Erwerb der semi-lexikalischen Kategorie Q, sondern auch weitere Beiträge zur Debatte um Quantoren als mögliche Köpfe ihrer eigenen Phrasen (QPs). Abneys Vorschlag, many, much und few eine eigene funktionale Projektion QP unterhalb der DP zuzugestehen, kann durch die Spracherwerbsdaten als widerlegt betrachtet werden. Auch filr all als funktionalen Kopf einer QP sprechen keine Kindersprachdaten. Statt dessen wurde deutlich, dass Formen wie some, any, no, all und many in der frühen Kindersprache zunächst idiosynkratisch in Konstruktionen verwendet werden, die vom Erwachsenengebrauch abweichen. Auf die Ausgangsfrage, welche Rolle funktionale Kategorien in der Universalgrammatik spielen und welche funktionalen Kategorien in der Nominalphrase tatsächlich berechtigt sind, ist nun eine sehr differenzierte Antwort notwendig. Sowohl theoretische Überlegungen (Kapitel 3 und 4) als auch die Daten aus dem British National Corpus suggerieren zunächst, dass weit weniger funktionale Köpfe in der DP exisitieren, als bislang angenommen wurde, also dürfte auch in der Universalgrammatik die Rolle funktionaler Kategorien weit eingeschränkter sein. Außerdem haben die Kindersprachdaten gezeigt, dass die Entwicklung
246 der Nominalphrase mehr als ein Erwerb der universellen lexikalischen Phrase NP und der funktionalen Kategorie D bedeutet. Im Englischen existiert zusätzlich eine semi-lexikalische Kategorie der Quantoren, deren Status nicht eindeutig durch die Universalgrammatik festgelegt ist - vielmehr schwanken alle Quantoren zwischen einem Status als schwacher Strukturbauer oder Kopf einer QP einerseits und einem Adjunkt in der DP andererseits. Auf der Grundlage der vorangegangenen Diskussion kann man nun einige Aussagen über den Status lexikalischer und funktionaler Kategorien in der Universalgrammatik machen. Die Universalgrammatik stellt folgende Optionen (Parameter) für Determinierer und Quantoren in der Nominalphrase bereit: • Determination und Qualifikation sind universelle Konzepte, die sprachspezifisch unterschiedlich realisiert werden. Eine Option ist der Ausdruck von Determination und Quantifikation durch die Kategorien Determinierer (D) und Quantor (Q). • Determinierer und Quantoren können lexikalisch, semi-lexikalisch oder funktional sein. • Determinierer und Quantoren können in der Phrasenstruktur starke Strukturbauer (Köpfe), schwache Strukturbauer oder Adjunkte sein. Weil diese Parameter für jede Sprache anders gesetzt werden, ist das System der Determinierer und Quantoren für das Kind so komplex und schwer zu erwerben. Aufgrund ihrer Komplexität sind die funktionalen Kategorien D und Q in der Nominalphrase auch ein interessanter Teilbereich des Minimalistischen Programms, der mehr Aufmerksamkeit verdient.
8 Anhang
Diagramm 1
Häufigkeitsverteilung von this und those im Peter-Korpus
Diagramm 2a
Häufigkeitsverteilung von some (Naomi-Korpus)
Diagramm 2b
Häufigkeitsverteilung von arty (Naomi-Korpus)
Diagramm 3
Kollokationen von some (nur Nomina, more und ^Konstruktionen) - Naomi-Korpus
Diagramm 4
Kombinationen mit more (Naomi-Korpus)
Diagramm 5
Häufigkeitsverteilung von the (Naomi-Korpus)
Diagramm 6
Häufigkeitsverteilung von my (Naomi-Korpus)
Diagramm 7 Diagramm S
Häufigkeitsverteilung von this (Naomi-Korpus) Häufigkeitsverteilung von some (Naomi-Korpus) im vergleichbaren Maßstab zu the, my und this
Diagramm 9
Kollokationen mit some (nur Nomina und more, kumulativ) - Eve-Korpus
Diagramm 10
Kombinationen mit more (Eve-Korpus)
Diagramm 11
Kollokationen mit some (nur Nomina und more; kumulativ) - Peter-Korpus
Diagramm 12
Kombinationen mit more (Peter-Korpus)
Diagramm 13
-Kollokationen Peter-Korpusmit arty (nur Nomina, more und ^Konstruktionen)
Diagramm 14
Kollokationen mit some (nur Nomina, more und o/Konstruktionen) - Nina-Korpus
Diagramm 15
Kombinationen mit more (Nina-Korpus)
Diagramm 16
Häufigkeitsverteilung der Quantoren im Naomi-Korpus
Diagramm 17
Some - pronominal vs. adnominal (Naomi-Korpus)
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