Streit Um Vergil: Eine Poetologische Lekture Der Eklogen Giovanni Del Virgilios Und Dante Alighieris (Hamburger Studien Zu Gesellschaften Und Kulturen Der Vormoderne, 8) (German Edition) 3515128174, 9783515128179


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German Pages 348 [354] Year 2020

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Table of contents :
Editorial
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
I. Hinführung
II. Giovanni del Virgilio an Dante
1. Eine ehrfürchtige Anrede
2. Nicht für Idioten – Dantes Commedia und das vulgus
3. Wirf doch nicht Perlen vor die Säue
4. Ein gelehrter Rat
5. Dante als Dichter und Lehrer
III. Dante an Giovanni del Virgilio
1. Nachricht für Tityrus
2. Eine gelehrte Angelegenheit
3. Eine Absage an Giovanni del Virgilio
4. Tityrus als Lehrer der Welt
5. Hirtendichtung von Gottes Gnaden
IV. Giovanni del Virgilio an Dante
1. Ein Hirtenidyll
2. Vergilische Klänge für Mopsus
3. Liebeswerbung um Tityrus
3.1 Vergilische Ehren für Tityrus
3.2 Klage um Tityrus
3.3 Ein vergilisches Duett
3.4 Ein arkadisches Idyll für Tityrus
3.5 Ein Ort ohne Hinterhalt und Unrecht
3.6 Mopsus’ Liebesleid
4. Eine bukolische Sendung an Tityrus
V. Dante an Giovanni del Virgilio
1. Die Hirten im Kosmos
2. Das Hirtengespräch
3. Diskussion über Mopsus’ Botschaft
3.1 Alphesibeus’ Vorbehalte
3.2 Tityrus’ Zugeständnis
3.3 Alphesibeus insistiert
4. Ein poetisches Evangelium
VI. Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
Primärtexte, Kommentare und Übersetzungen
Sekundärliteratur
Stellenverzeichnis
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Streit Um Vergil: Eine Poetologische Lekture Der Eklogen Giovanni Del Virgilios Und Dante Alighieris (Hamburger Studien Zu Gesellschaften Und Kulturen Der Vormoderne, 8) (German Edition)
 3515128174, 9783515128179

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Andrea Renker

Streit um Vergil Eine poetologische Lektüre der Eklogen Giovanni del Virgilios und Dante Alighieris

Hamburger Studien zu Gesellschaften und Kulturen der Vormoderne Band 8 Alte Geschichte Franz Steiner Verlag

8

Hamburger Studien zu Gesellschaften und Kulturen der Vormoderne Alessandro Bausi (Äthiopistik), Christof Berns (Archäologie), Christian Brockmann (Klassische Philologie), Christoph Dartmann (Mittelalterliche Geschichte), Philippe Depreux (Mittelalterliche Geschichte), Helmut Halfmann (Alte Geschichte), Kaja Harter-Uibopuu (Alte Geschichte), Stefan Heidemann (Islamwissenschaft), Ulla Kypta (Mittelalterliche Geschichte), Ulrich Moennig (Byzantinistik und Neugriechische Philologie), Barbara Müller (Kirchengeschichte), Sabine Panzram (Alte Geschichte), Werner Rieß (Alte Geschichte), Jürgen Sarnowsky (Mittelalterliche Geschichte), Claudia Schindler (Klassische Philologie), Martina Seifert (Klassische Archäologie), Giuseppe Veltri ( Jüdische Philosophie und Religion) Verantwortliche Herausgeberin für diesen Band: Claudia Schindler Band 8

Streit um Vergil Eine poetologische Lektüre der Eklogen Giovanni del Virgilios und Dante Alighieris Andrea Renker

Franz Steiner Verlag

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Förderungsfonds Wissenschaft der VG WORT

Umschlagabbildung: Anonym, Nos patriam fugimus (Tityrus and Meliboeus), c. 1914 Museum Oskar Reinhart, Winterthur © Heritage Images / Fine Art Images / akg-images Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2021 Layout und Herstellung durch den Verlag Satz: DTP + TEXT Eva Burri, Stuttgart Druck: Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-12817-9 (Print) ISBN 978-3-515-12819-3 (E-Book)

meinen Freunden

Editorial In der Reihe Hamburger Studien zu Gesellschaften und Kulturen der Vormoderne haben sich geisteswissenschaftliche Fächer, die u. a. die vormodernen Gesellschaften erforschen (Äthiopistik, Alte Geschichte, Byzantinistik, Islamwissenschaft, Judaistik, Theologie- und Kirchengeschichte, Klassische Archäologie, Klassische und Neulateinische Philologie, Mittelalterliche Geschichte) in ihrer gesamten Breite zu einer gemeinsamen Publikationsplattform zusammengeschlossen. Chronologisch wird die Zeit von der griechisch-römischen Antike bis unmittelbar vor der Reformation abgedeckt. Thematisch hebt die Reihe zwei Postulate hervor: Zum einen betonen wir die Kontinuitäten zwischen Antike und Mittelalter bzw. beginnender Früher Neuzeit, und zwar vom Atlantik bis zum Hindukusch, die wir gemeinsam als „Vormoderne“ verstehen, zum anderen verfolgen wir einen dezidiert kulturgeschichtlichen Ansatz mit dem Rahmenthema „Sinnstiftende Elemente der Vormoderne“, das als Klammer zwischen den Disziplinen dienen soll. Es geht im weitesten Sinne um die Eruierung sinnstiftender Konstituenten in den von unseren Fächern behandelten Kulturen. Während Kontinuitäten für die Übergangszeit von der Spätantike ins Frühmittelalter und dann wieder vom ausgehenden Mittelalter in die Frühe Neuzeit als zumindest für das lateinische Europa relativ gut erforscht gelten können, soll eingehender der Frage nachgegangen werden, inwieweit die Kulturen des Mittelalters im Allgemeinen auf die antiken Kulturen rekurrierten, sie fortgesetzt und weiterentwickelt haben. Diesen großen Bogen zu schließen, soll die neue Hamburger Reihe helfen. Es ist lohnenswert, diese längeren Linien nachzuzeichnen, gerade auch in größeren Räumen. Vielfältige Kohärenzen werden in einer geographisch weit verstandenen mediterranen Koine sichtbar werden, wobei sich die Perspektive vom Mittelmeerraum bis nach Zentralasien erstreckt, ein Raum, der für die prägende hellenistische Kultur durch Alexander den Großen erschlossen wurde; auch der Norden Europas steht wirtschaftlich und kulturell in Verbindung mit dem Mittelmeerraum und Zentralasien – sowohl aufgrund der Expansion der lateinischen Christenheit als auch über die Handelswege entlang des Dnepr und der Wolga. Der gemeinsame Impetus der zur Reihe beitragenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler besteht darin aufzuzeigen, dass soziale Praktiken, Texte aller Art und Artefakte/Bauwerke der Vormoderne im jeweiligen zeithistorischen und kulturellen Kontext ganz spezifische sinn- und identitätsstiftende Funktionen erfüllten. Die Ge-

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Editorial

meinsamkeiten und Alteritäten von Phänomenen – die unten Erwähnten stehen lediglich exempli gratia – zwischen Vormoderne und Moderne unter dieser Fragestellung herauszuarbeiten, stellt das Profil der Hamburger Reihe dar. Sinnstiftende Elemente von Strategien der Rechtsfindung und Rechtsprechung als Bestandteil der Verwaltung von Großreichen und des Entstehens von Staatlichkeit, gerade auch in Parallelität mit Strukturen in weiterhin kleinräumigen Gemeinschaften, werden genauso untersucht wie Gewaltausübung, die Perzeption und Repräsentation von Gewalt, Krieg und Konfliktlösungsmechanismen. Bei der Genese von Staatlichkeit spielen die Strukturierung und Archivierung von Wissen eine besondere Rolle, bedingt durch ganz bestimmte Weltvorstellungen, die sich z. T. auch in der Kartographie konkret niederschlugen. Das Entstehen von Staatlichkeit ist selbstverständlich nicht nur als politischer Prozess zu verstehen, sondern als Gliederung des geistigen Kosmos zu bestimmten Epochen durch spezifische philosophische Ansätze, religiöse Bewegungen sowie Staats- und Gesellschaftstheorien. Diese Prozesse der longue durée beruhen auf einer Vielzahl symbolischer Kommunikation, die sich in unterschiedlichen Kulturen der Schriftlichkeit, der Kommunikation und des Verkehrs niedergeschlagen hat. Zentrum der Schriftlichkeit sind natürlich Texte verschiedenster Provenienz und Gattungen, deren Gehalt sich nicht nur auf der Inhaltsebene erschließen lässt, sondern deren Interpretation unter Berücksichtigung der spezifischen kulturellen und epochalen Prägung auch die rhetorische Diktion, die Topik, Motive und auktoriale Intentionen, wie die aemulatio, in Anschlag bringen muss. Damit wird die semantische Tiefendimension zeitlich weit entfernter Texte in ihrem auch symbolischen Gehalt erschlossen. Auch die für uns teilweise noch fremdartigen Wirtschaftssysteme der Vormoderne harren einer umfassenden Analyse. Sinnstiftende Elemente finden sich auch und v. a. in Bauwerken, Artefakten, Grabmonumenten und Strukturen der jeweiligen Urbanistik, die jeweils einen ganz bestimmten Sitz im Leben erfüllten. Techniken der Selbstdarstellung dienten dem Wettbewerb mit Nachbarn und anderen Städten. Glaubenssysteme und Kultpraktiken inklusive der „Magie“ sind gerade in ihrem Verhältnis zur Entstehung und Ausbreitung des Christentums, der islamischen Kultur und der Theologie dieser jeweiligen Religionen in ihrem Bedeutungsgehalt weiter zu erschließen. Eng verbunden mit der Religiosität sind Kulturen der Ritualisierung, der Performanz und des Theaters, Phänomenen, die viele soziale Praktiken auch jenseits der Kultausübung erklären helfen können. Und im intimsten Bereich der Menschen, der Sexualität, den Gender-Strukturen und dem Familienleben gilt es ebenfalls, sinnund identitätsstiftenden Elementen nachzuspüren. Medizinische Methoden im Wandel der Zeiten sowie die Geschichte der Kindheit und Jugend sind weitere Themengebiete, deren Bedeutungsgehalt weiter erschlossen werden muss. Gemeinsamer Nenner bleibt das Herausarbeiten von symbolträchtigen Elementen und Strukturen der Sinnhaftigkeit in den zu untersuchenden Kulturen gerade im kulturhistorischen Vergleich zu heute. Die Herausgeber

Vorwort Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um eine leicht überarbeitete und um neueste Literatur ergänzte Version meiner Dissertation, die ich 2018 an der Universität Hamburg einreichen und verteidigen konnte. Das Buch steht für einen intensiven Prozess, in dem ich viel lernen durfte und für den ich in vieler Hinsicht dankbar bin. Diesen Dank möchte ich an dieser Stelle denjenigen ausdrücken, die mich dabei begleitet haben. Einige besonders eng mit der Arbeit Verbundene will ich hier hervorgehoben nennen: Angefangen hat mein Weg zu Dante im Sommersemester 2012 mit dem Augen öffnenden Seminar zu Dantes Inferno von Fabien Vitali. Frau Professorin Claudia Schindler, die mich zeit meines Studiums begleitete, danke ich herzlich dafür, dass sie dieses Interesse weiter gefördert und mich in der Promotion mit jederzeit offen stehenden Türen betreut hat. Herrn Professor Marc Föcking danke ich besonders für die günstigen Rahmenbedingungen, die er mit dem Doktorandenkolleg Geisteswissenschaften an der Universität Hamburg für meine Arbeit geschaffen hat. Für seine wertvollen inhaltlichen Hinweise gilt mein Dank Herrn Professor Helmut Seng. Katharina Stüdemann vom Franz Steiner Verlag bin ich für ihre pragmatisch freundliche Hilfe im Veröffentlichungsprozess und André Heller (Lektorat Clarior) für sein gewissenhaftes Lektorat sehr verbunden. Dass mein Buch in dieser Form erscheinen kann, ermöglichte mir die großzügige finanzielle Förderung der Verwertungsgesellschaft WORT, der ich dafür sehr dankbar bin. Mein gesonderter Dank gilt außerdem Matthias Köpp und Ute-Christine Haberer, deren Zutun mir in einer persönlichen Krisenzeit ermöglicht hat, meine Dissertation wieder zu denken und schließlich zu Papier zu bringen. Widmen möchte ich die Arbeit endlich denjenigen, ohne die sie nie verfasst worden wäre, meinen Freunden. Konstanz, September 2020

Andrea Renker

Inhaltsverzeichnis I. Hinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 II. 1. 2. 3. 4. 5.

Giovanni del Virgilio an Dante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eine ehrfürchtige Anrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nicht für Idioten – Dantes Commedia und das vulgus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirf doch nicht Perlen vor die Säue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein gelehrter Rat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dante als Dichter und Lehrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27 32 47 56 64 77

III. Dante an Giovanni del Virgilio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 1. Nachricht für Tityrus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 2. Eine gelehrte Angelegenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 3. Eine Absage an Giovanni del Virgilio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 4. Tityrus als Lehrer der Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 5. Hirtendichtung von Gottes Gnaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 IV. 1. 2. 3.

Giovanni del Virgilio an Dante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 Ein Hirtenidyll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 Vergilische Klänge für Mopsus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 Liebeswerbung um Tityrus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 3.1 Vergilische Ehren für Tityrus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 3.2 Klage um Tityrus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 3.3 Ein vergilisches Duett . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 3.4 Ein arkadisches Idyll für Tityrus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 3.5 Ein Ort ohne Hinterhalt und Unrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 3.6 Mopsus’ Liebesleid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 4. Eine bukolische Sendung an Tityrus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215

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Inhaltsverzeichnis

V. 1. 2. 3.

Dante an Giovanni del Virgilio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Die Hirten im Kosmos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Das Hirtengespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 Diskussion über Mopsus’ Botschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 3.1 Alphesibeus’ Vorbehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 3.2 Tityrus’ Zugeständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 3.3 Alphesibeus insistiert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 4. Ein poetisches Evangelium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 VI. Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 Primärtexte, Kommentare und Übersetzungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 Stellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333

I. Hinführung Die lateinische Korrespondenz, die der Bologneser Grammatiker Giovanni del Virgilio und der Florentiner Dichter Dante Alighieri in den Jahren 1319 bis 1321 führen, präsentiert sich zunächst als ein kurioser poetischer Wechselgesang. In insgesamt vier Versepisteln streiten sie über ihr Verständnis von Dichtung und stellen ihre Virtuosität in der Imitation der antiken Dichtungsautoritäten unter Beweis. Eine Besonderheit besteht dabei in dem allegorischen Modus ihrer Kommunikation. So eröffnet Giovanni die Korrespondenz durch ein hexametrisches Gedicht, das dicht gespickt ist mit antikisierender Motivik und intertextuellen Verweisen auf die Hypotexte der römischen Dichtung, insbesondere auf Vergil und Horaz.1 In gelehrten Allegorien formuliert er seine Ansichten über die richtige Art des Dichtens und kritisiert Dante für die volkssprachliche Dichtung der Commedia, die er gegenüber dem eigenen lateinisch antiken Stilideal als ungelehrt und minderwertig schmäht. Dante antwortet daraufhin mit einem lateinischen Brief, der sich als bukolisches Gedicht nach dem antiken Modell der vergilischen Hirtendichtung präsentiert.2 Dabei

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Zur Unterscheidung des Verhältnisses zwischen einem Text und vorangehenden Texten, auf die er sich bezieht, halte ich mich an die Begrifflichkeiten Gérard Genettes 1982, 14, der die inter- bzw. transtextuelle Beziehung zwischen einem Text mit einem vorangehenden Text, den er direkt oder indirekt transformiert, als Beziehung zwischen Hypertext und Hypotext beschreibt: „J’appelle donc hypertexte tout texte dérivé d’un texte antérieur par transformation simple (nous dirons désormais transformation tout court) ou par transformation indirecte : nous dirons imitation.“ Für das allgemeine Phänomen der Beziehungen eines Textes zu vorangehenden Texten verwende ich die gängige Bezeichnung als Intertextualität im weiteren Sinne, wie sie Julia Kristeva 1969, 146 in Anlehnung an Michail Bachtin versteht: „Tout texte se construit comme mosaïque de citations, tout texte est absorption et transformation d’un autre texte.“ Zu Vergils Bucolica, deren Entstehungszeit laut Michael von Albrecht 2001, 268 zwischen 42 und spätestens 35 v. Chr. angesetzt wird, sei hier aus den zahlreichen Untersuchungen exemplarisch ausgewählt: Analysen aller zehn Hirtengedichte legen vor Klingner 1967; Putnam 1970; von Albrecht 2006, 14–64. Kommentare zu Vergils Eklogen präsentieren Coleman 1977; Clausen 1994. Außerdem zu ausgewählten Aspekten der vergilischen Eklogen Rose 1942. Eine neue deutsche Übersetzung liefert Holzberg 2016. Zur Gattung der vergilischen Bukolik siehe Schmidt 1972. Zur ersten und siebenten Ekloge siehe Pöschl 1964. Zur zehnten Ekloge siehe Rumpf 1996. Ein Sammelband von Beiträgen seit 1975 zu verschiedenen Aspekten der Bucolica liegt vor in Volk 2008.

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inszeniert er sich und seinen Korrespondenten als die Hirten Tityrus (Dante) und Mopsus (Giovanni del Virgilio), die über geographische Distanz poetische Nachrichten austauschen. Dante überträgt in seiner Versepistel folglich die Kommunikationssituation zwischen sich und dem Gelehrten in einen fiktionalen Rahmen. Dabei ergibt sich eine zusammenhängende Allegorie, aus der Giovanni del Virgilio Dantes Stellungnahme zu seiner Kritik dechiffrieren muss. Im dritten Brief der Korrespondenz übernimmt der Bologneser Gelehrte den allegorischen Rahmen und inszeniert seinerseits einen bukolischen Antwortgesang. Dante wiederum schließt den Briefwechsel mit einer letzten Ekloge. Wenngleich beide Dichter einen antikisierenden und von der zweiten bis zur vierten Epistel denselben bukolisch-vergilischen Code wählen, unterscheiden sich jedoch die formale und inhaltliche Ausgestaltung ihrer Briefe grundsätzlich und zeugen dabei von einem unterschiedlichen Dichtungskonzept. Die folgende Untersuchung widmet sich diesem Briefwechsel zwischen Giovanni del Virgilio und Dante Alighieri mit einem chronologischen Kommentar der vier Briefe. Darin gilt es mir darzustellen, wie die beiden Korrespondenten poetische Motive heranziehen und vor allem zu der antiken Dichtungsautorität Vergil intertextuelle Bezüge herstellen, um diese für ihre Argumentation im Dichterstreit zu funktionalisieren. Im Zuge dessen sollen zunächst die jeweiligen Argumentations- und Inszenierungsstrategien offengelegt werden, mit denen Giovanni und Dante jeweils zu überzeugen suchen. Anliegen der Arbeit ist es, auf dieser Grundlage erstens das unterschiedliche Dichtungsverständnis der beiden in seinen poetologischen und gesellschaftspolitischen Implikationen zu beschreiben und zweitens ihren jeweiligen Begriff des Dichters und seiner Rolle zu identifizieren ebenso wie die Funktion und Bedeutung, die sie dem antiken Erbe diesbezüglich zuschreiben. Die Arbeit knüpft dabei an die Erkenntnisse und reiche Vorarbeit der bisherigen Forschung an, die an dieser Stelle in thematischer Sortierung und soweit möglich in chronologischer Reihenfolge erwähnt und gewürdigt sein soll. Die Überlieferungsgeschichte der heute erhaltenen neun Handschriften, wie sie Giorgio Padoan (1978), Luciano Gargan (2010), Gabriella Albanese (2010), Giuliano Tanturli (2011) und Marco Petoletti (2014, 2015) nachzeichnen, führt zunächst in das Bologneser Umfeld.3 Frühester und maßgeblicher Überlieferungsträger ist der Zibaldone Laurenziano XXIX 8, in den Giovanni Boccaccio selbst die Korrespondenz um 1340 übertrug.4 Der Umstand, dass kein Autograph erhalten ist, sowie Boccaccios prägender Einfluss auf die Überlieferung der Texte, lässt in der Forschung des 20. Jahrhunderts Zweifel an ihrer Authentizität aufkommen. Kontrovers diskutiert wird diese Fragestellung vor allem in den 1960ern mit den Arbeiten Aldo Rossis, der für eine Fäl3 4

Zur Überlieferungsgeschichte des Weiteren Martina Michelangeli 2014, deren beide Bücher mir jedoch nicht zugänglich waren. Eine Reproduktion und Edition der Korrespondenz im Zibaldone Laurenziano XXIX 8 inklusive Glossen findet sich in der kritischen Ausgabe von Wicksteed/Gardner 1902.

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schung des Briefwechsels durch Boccaccio argumentiert, die er anhand von Parallelen zwischen dessen Schriften und der Korrespondenz nachzuweisen sucht.5 Die Arbeiten Enzo Cecchinis (1971) und Giorgio Padoans (1977) konnten jedoch zumindest Boccaccio als Fälscher überzeugend ausschließen.6 Unter anderem spricht eben die Textüberlieferung dagegen, die zwar zu großen Teilen, aber doch nicht allein von dem Certaldesen abhängt. Zudem bleibt das Akrostichon des Hirtennamen „Tityrus“ in Dantes erster Ekloge (II 4–9) von der zeitgenössischen Kommentierung und auch der späteren Forschung unerwähnt, bis Paola Allegretti (2004) darauf aufmerksam machte. Allegretti leitet daraus ab, dass Boccaccio, hätte er die Briefe verfasst und kommentiert, dies sicherlich vermerkt hätte, und plädiert daher ebenfalls gegen dessen Autorschaft. Neuerdings ruft Luigi Spagnolo (2015) die Zweifel an der Authentizität wieder in Erinnerung. Er schreibt die Briefe Giovanni del Virgilio selbst zu. Überzeugen kann jedoch auch diese These nicht, unter anderem da der Briefwechsel auf Dantes Korrespondenten selbst kein gutes Licht wirft. So spricht aus Dantes Briefen eine Ablehnung von dessen frühhumanistischem Dichtungsbegriff. Seine abwertende Stellungnahme bleibt jedoch so implizit, dass Giovanni del Virgilio Dantes Anliegen gar nicht verstanden zu haben scheint. Im Falle seiner Fälschung wäre zumindest von einer einheitlichen Logik, wenn nicht gar von einer positiven Stilisierung seiner eigenen Dichterpersönlichkeit im Kontakt mit dem seinerzeit bereits prominenten Dichter Dante Alighieri auszugehen.7 Allgemein ließe eine Fälschung einen tendenziell eindeutigen Entwurf der Positionen und Dichterprofile erwarten. Vorstellbare Motivationen wären die Präsentation der unterschiedlichen Dichtungskonzepte des volkssprachlichen und des frühhumanistisch lateinischen Dichters oder das Interesse an einem besonderen Nachruhm des einen oder anderen Korrespondenten. Wie sich jedoch schon an der kontinuierlichen wissenschaftlichen Diskussion und dem mitunter kontroversen Streit über die Deutung der Texte zeigt, präsentieren diese alles andere als eindeutige Stellungnahmen, aus denen unmittelbar das Dichtungsverständnis der beiden Korrespondenten hervorgehen würde. Zudem müsste es verwundern, dass eine gefälschte Autorschaft durchaus bekannter Persönlichkeiten wie Dante und Giovanni del Virgilio nicht einmal in deren direktem Umfeld von zeitgenössischen Rezipienten und Kommentatoren wie Boccaccio, Petrarca oder auch dem mutmaßlichen Schüler und Nachfolger Giovanni 5 6 7

Rossi 1960; 1962; 1963; 1968. Zeitgenössisch diskutiert die Causa Rossi außerdem Fernando Salsano 1968; später Mauro Braccini 2003. Auch die in den letzten Jahren von Gabriella Albanese und Paolo Pontari (2016; 2017; 2018) durchgeführten biographischen Recherchen sprechen für die Authentizität der Korrespondenz. Marco Petoletti 2018, 90 widerspricht Spagnolo mit textimmanenten Argumenten: „le differenze formali nel trattamento dell’esametro e nella cura prosodica e l’abissale diversità nell’uso delle fonti antiche, delicato e geniale in Dante, meno acuto e più meccanico nel docente bolognese, contribuiscono in modo decisivo a rifiutare qualsiasi temeraria ipotesi.“

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del Virgilios an der Universität Bologna, Pietro da Moglio, der laut Guido Billanovich die Korrespondenz um 1370 zu seinem eigenen Grammatikunterricht herangezogen habe, aufgefallen und angemerkt worden wäre.8 Da gegen Dantes und Giovannis Autorschaft der Briefe somit keine ausreichend stichhaltigen Argumente vorliegen, gehe ich im Folgenden von der Authentizität der bukolischen Korrespondenz aus. Der Briefwechsel findet also schon bald nach seinem Entstehen Beachtung bei den Zeitgenossen. In der ältesten erhaltenen Handschrift, Boccaccios Zibaldone Laurenziano XXIX 8, erscheinen die Briefe glossiert, wobei die Erläuterungen einer früheren Hand zugeordnet werden. So schließt Giorgio Padoan aufgrund des grammatischen Interesses der Anmerkungen auf einen scholastischen Gebrauch des zugrunde liegenden Antigraphs im Umfeld der Bologneser Universität.9 Dass die bukolische Korrespondenz für schulische Zwecke herangezogen wurde, legt auch ein accessus nahe, den die Handschrift O mit den Texten überliefert und den Giuseppe Billanovich (1963) auf besagten Grammatikunterricht Pietro da Moglios in Bologna zurückführt.10 Sichtbarer noch als an ihrem Unterrichtsgebrauch wird die Nachwirkung der Korrespondenz an der produktiven Nachahmung. So gibt Dantes Briefekloge den Anstoß für eine fruchtbare Wiederaufnahme der bukolischen Gattung, die sich unabhängig von der mittelalterlichen, religiös und moralisch allegorisierten Bukolik entwickelt und direkt an die antike Bukolik Vergils anknüpft.11 Erneut ist es Giovanni Boccaccio, der nicht nur eine Hauptrolle in der Überlieferung der vier Eklogenbriefe spielt, sondern im Trecento selbst die bukolische Dichtung weiterführt, zunächst ebenfalls in Form eines Briefwechsels mit dem Notar Checco di Miletto, später unter Einfluss Francesco Petrarcas in einer Eklogensammlung, dem Buccolicum carmen. Denn auch Petrarca nimmt sich Dante und Giovanni del Virgilio zum Vorbild für ein eigenes Gedichtkorpus, das Bucolicum carmen.12 Er löst die Bukolik jedoch aus dem epistolaren Rahmen und konzipiert seine Eklogen systematisch als dialogische Hirtengedichte nach dem vergilischen Modell.13 Die Bukolik des Trecento zeichnet sich dabei zum einen durch die formale Vergilimitation, zum anderen durch eine biographische Allegorik aus, wie sie seit der Spätantike die Interpretation der vergilischen Bukolik prägte.14 Hinter den Hirtenfiguren Giovanni del Virgilios, Dantes, Boccaccios und Petrarcas

8 9 10 11 12 13 14

Billanovich 1964, 306 f. Vgl. Padoan 1978, 186–191. Eine edierte Version des accessus präsentiert Marco Petoletti 2016, 649 f. im Anschluss an seine Ausgabe der Korrespondenz. Gemeinhin wird in der bukolischen Korrespondenz zwischen Dante und Giovanni del Virgilio ein Bruch gegenüber den bukolischen Dichtungen des Mittelalters gesehen. Auf deren Traditionslinie beharren dagegen Elisabetta Bartoli und Patrizia Stoppacci 2014. Zu Petrarcas Rezeption von Dantes Eklogen siehe Ascoli 2009. Vgl. Krautter 1983, 81. Zur biographisch allegorischen Auslegung der vergilischen Eklogen siehe Starr 1995; Korenjak 2003.

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verbergen sich somit oftmals historische Personen und die Dichter selbst, die in lateinischen Hexametern über zeitgenössische Ereignisse diskutieren und singen. In der Forschung wird Dantes Wiederaufgreifen des vergilischen Vorbilds und die Entwicklung, welche die bukolische Gattung daraufhin im Trecento nimmt, schon früh durch Francesco Macrì-Leone in seiner Monographie La Bucolica latina nella letteratura italiana del secolo XIV (1889) beschrieben.15 Auch Enrico Carrara verfasst La storia pastorale (1915), wobei er neben der lateinischen Bukolik des Trecento auch die sich entwickelnde volkssprachliche Tradition sowie die spätere humanistische lateinische Bukolik betrachtet. In den 1980ern legt zudem Konrad Krautter (1983) eine erhellende Analyse und Gegenüberstellung der Trecento-Bukolik Dantes, Boccaccios und Petrarcas vor, wobei ihn insbesondere die kulturhistorischen Umstände interessieren, aus denen die bukolische Dichtung erwächst. Schließlich ist die Abhandlung Giuseppe Vellis (1992) zu nennen, der einen kurzen Überblick über die Bukolik vergilischer Tradition seit Dante gibt. Er bezeichnet die Gattung als „a cornerstone in Western intellectual history“ und versteht sie als einen Archetyp utopischer Darstellungen.16 Eine weitere diachrone Analyse der Trecento-Bukolik legt Jonathan Combs-Schilling (2012) vor, wobei er den metaliterarischen und stilistisch hybriden Charakter der Gattung fokussiert und dessen Implikationen für die Produktion und Rezeption der Gattung durch die Tre Corone untersucht.17 Wenngleich die bukolische Gattung seit dem Trecento eine lebhafte Bearbeitung sowohl im Lateinischen als auch in der volkssprachlichen Dichtung erfährt, kommt speziell der Korrespondenz zwischen Giovanni del Virgilio und Dante lange nur geringe Aufmerksamkeit zu. Ein erster integraler Druck der vier Briefe entsteht entsprechend spät: Für die editio princeps sorgt Jacopo Dionisi im Jahr 1788 in Verona, die er auf der Basis von Boccaccios Zibaldone Laurenziano XXIX 8 erstellt. Während bereits im 19. Jahrhundert verschiedene Ausgaben und Übersetzungen folgen, darunter auch ins Deutsche durch Karl Witte und Ludwig Kannegießer (1842) sowie durch Karl Krafft (1859), entstehen erste kritische Editionen erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts einerseits in England durch Philip Wicksteed und Edmund Gardner (1902), andererseits in Italien durch Giuseppe Albini (1903 und 1905–1906). Unter den folgenden Arbeiten aus dem 20. Jahrhundert, darunter auch ein Neudruck der Albini-Ausgabe durch Giovanni Battista Pighi (1965), ist insbesondere die Edition von Giorgio Brugnoli und Riccardo Scarcia (1980) für ihren hilfreichen Kommentar zu nennen. Schließlich wurden im 21. Jahrhundert allein in den letzten acht Jahren drei kommentierte Ausgaben im italienischen Sprachraum besorgt: zunächst durch Manlio Pastore Stocchi (2012); eine Edition mit ausführlichem Kommentar des bukolischen Briefwechsels legte zu15 16 17

Über die mittellateinische Bukolik siehe auch Klopsch 1985. Velli 1992, 107. Ähnlich äußert sich Anselmi 2017 über die Gattung der Bukolik. Weiterhin aus dem englischen Sprachraum zudem Grant 1955. Zur italienischen Bukolik in der Frühneuzeit siehe Nelting 2007.

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dem Gabriella Albanese (2014) vor, die die Deutungsansätze aus den vorangehenden Editionen fruchtbar weiterzuführen weiß und ein grundlegendes Referenzwerk für die vorliegende Arbeit darstellt. Daraufhin erschien mit einem textkritischen Schwerpunkt die Ausgabe von Marco Petoletti (2016). Für eine ausführlichere Überlieferungs- und Editionsgeschichte sei hier auch auf das Vorwort zu seiner Ausgabe verwiesen.18 Eine neuere deutsche Prosaübersetzung mit einem Kommentar, der vor allem die intertextuellen Bezüge zu den Autoren der lateinischen Antike untersucht, präsentiert Astrid Eitel (2014). Wie die seit der editio princeps im 18. Jahrhundert bis heute vielfach entstandenen Ausgaben beweisen, erfreut sich die bukolische Korrespondenz zwischen Dante und Giovanni del Virgilio regelmäßiger Aufmerksamkeit durch die Forschung. Wenngleich die Briefe eindeutig zu Dantes opere minori gehören und auch die Forschungsliteratur im Vergleich zu der überbordenden Anzahl an Veröffentlichungen zu Dantes Commedia überschaubar ist, bleiben sie folglich keineswegs unbeachtet. Neben den kommentierten Ausgaben erscheinen zudem kontinuierlich Artikelveröffentlichungen. Dabei lassen sich einerseits bestimmte Interessenschwerpunkte identifizieren, anhand derer die Briefe stets wieder diskutiert werden. Andererseits sind über die Jahrhunderte seit 1788 Verschiebungen in der Perspektive und Methode erkennbar, mit denen sich die Forschung den oftmals gleichbleibenden Problemstellungen annähert. Vor allem die frühe Forschung interessieren Dantes Briefe als Textzeugen der letzten Lebensphase des Florentiner Dichters, der im Jahre 1321 wahrscheinlich noch vor der Sendung seiner zweiten Epistel in Ravenna als politischer Exilant verstirbt. Unter einem solchen biographisch-historischen Fokus untersuchen Corrado Ricci (1891), Francesco Novati (1899), Giovanni Livi (1918), Antonio Scolari (1922)19 und in jüngerer Zeit Gabriella Albanese und Paolo Pontari (2016, 2017 und 2018) die Korrespondenz, aus der sie über Dantes persönliche Situation in Ravenna erfahren wollen, über geschichtliche Ereignisse und Personen, die Dante zu dem Zeitpunkt umgeben, sowie über Dantes Haltung gegenüber Giovanni del Virgilio.20 Umstritten ist dabei, inwiefern Dantes bukolische Reaktion auf die Epistel des Gelehrten ironisch zu deuten ist oder vielmehr eine respektvolle, höfliche Replik darstellt. Symptomatisch für die frühe biographisch orientierte Deutungstradition ist auch Albinis Kommentar, der einerseits konstatiert, die Eklogenbriefe würden Dantes Kompetenz im Umgang mit der lateinischen Dichtung und den antiken Autoritäten beweisen. Andererseits liest er sie in Anknüpfung an die Commedia als Dantes Darstellung seiner erlebten Momente 18 19 20

Vgl. Petoletti 2016, 505–514; außerdem vgl. Giorgio Padoan 1978. Die die Eklogen betreffenden Auszüge der Arbeiten von Ricci, Pascoli und Scolari fügt Giovanni Battista Pighi in seinen Neudruck der Albini-Ausgabe (1965) ein. Die Möglichkeit eines Aufenthalts von Dante in Bologna und seines Besuches dortiger Bibliotheken diskutiert Angelo Piacentini 2015 und erwähnt im Zuge dessen auch die Eklogenbriefe. Die Attraktivität, die Bologna als intellektuelles Zentrum auf Dante ausgeübt haben muss, verhandelt Andrea Tabarroni 2016 unter anderem anhand der bukolischen Korrespondenz.

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und Gefühle.21 Ähnlich persönlich-biographische Beobachtungen finden sich in den Veröffentlichungen Giacomo Lidònnicis (1911–1926). Auch er hebt hervor, dass Dantes bukolische Briefe wie die Commedia ein autobiographisches, teils intimes Zeugnis des Dichters präsentieren, und identifiziert Hinweise auf dessen persönliche Situation und politische Stellungnahmen gegenüber Giovanni del Virgilio. Auch in den 1950ern und 1960ern finden sich derartige biographische Lektüren. Carlo Battisti (1955/1956) erkennt in Dantes Briefen Gelegenheitsdichtungen, in denen er seiner Gefühlslage Ausdruck verleihe und in einer spirituellen Ruhe, nachdem er in der Commedia über die Menschheit gerichtet habe, nun über seine eigenen Werke richte. Eine entsprechende Interpretation legt im deutschen Sprachraum Herbert Frenzel (1965) vor, der Dantes Wahl der bukolischen Gattung zum einen in dem Bedürfnis begründet sieht, dem Gelehrten seine Vertrautheit mit der antik-lateinischen Dichtung unter Beweis zu stellen, zum anderen ebenfalls in einem Naturgefühl, das Dante in dieser Lebensphase bewege. Weiterhin publiziert Aldo Vallone im Jahr 1977 seinen Artikel unter dem Titel Il biografismo dell’Epistola XIII e delle Egloghe di Dante und liest in den Eklogen die wesentlichen Themen, die Dante in diesen Jahren seines Exils bewegten, wie Armut, Einsamkeit und Sehnsucht nach seiner Anerkennung als Dichter. Neben dem biographisch-sentimentalen Interesse werden die Eklogenbriefe von der Danteforschung darüber hinaus herangezogen, um die Abfassungszeit von Dantes Paradiso zu erschließen. Ein solcher historisch-philologischer Blick verbindet Marco Giovanni Pontas Veröffentlichung von 1848 mit den Publikationen von Renata Fabbri (1993), Lino Pertile (2010), Annett Scott (2013) und Alberto Casadei (201222 und 2014). So entnimmt Ponta Giovannis Briefen, dass dieser bereits Inferno, Purgatorio und Teile des Paradiso kenne und weist auf inhaltliche Parallelen von Dantes Eklogen zum 25. Gesang seines Paradiso hin. Daraus leitet er ab, dass Dante gerade im Begriff gewesen sei, die letzten zehn Gesänge des Paradiso fertigzustellen, als er den zweiten Brief verfasste. Lino Pertile kommt zu demselben Schluss, da er zwischen Dantes erster Ekloge und Paradiso XXIII denselben Gebrauch der Milchmetaphorik erkennt. Scott hingegen sieht die Bezüge zwischen der Ekloge und den Cacciaguida-Gesängen des Paradiso (XV–XVII). Renata Fabbri will die Eklogenbriefe zeitlich vor Paradiso XXV abgefasst wissen, da Dante in jenen noch die comica verba gegenüber dem Grammatiker verteidige, während er in dem Gesang des Paradiso sein Werk nur noch als sacrato poema, nicht mehr als Commedia bezeichnet, folglich gegen den Vorwurf Giovanni del

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Albini 1903, Neudruck 1965, 136: „[Le egloghe] rappresentano e commentano momenti e sentimenti degli ultimi anni suoi, offrendo anche raffronti inestimabili con la Commedia.“ Siehe darin insbesondere das Kapitel „Sulla prima diffusione della Commedia“. Mit einer kurzen Notiz thematisiert auch Nicolò Mineo 2014 die Eklogenbriefe im Zusammenhang mit der Datierung des Paradiso.

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Virgilios bereits gänzlich immun sei. Mit ähnlichen Argumenten setzt Alberto Casadei die Veröffentlichung des Paradiso chronologisch nach der Korrespondenz an. Ein formal philologisches Interesse an Dantes Eklogendichtung verfolgt zudem einerseits Aristide Marigo (1909), der die Parallelstellen der Korrespondenz zur vergilischen Bukolik identifiziert und daran den „valore estetico della poesia latina e la sua originalità“ zu beurteilen sucht.23 Ähnlich konzentriert sich auch Giovanni Battista Pighi in seinem lateinischen Artikel De poetica Dantis latinitate (1965) auf die Eigenschaften von Dantes lateinischer Dichtung. Grazia Sirignano (2009) und Veronica Dadà (2017) publizieren schließlich ihre Untersuchungen zu Dantes und Giovanni del Virgilios Hexameter, den sie mit verschiedenen antiken und mittelalterlichen Bukolikern vergleichen und zu dem Ergebnis gelangen, dass beide keinen typischen mittelalterlichen Hexameter mehr schreiben. Dante hat demnach jedoch auch mit dem bukolischen Vergil weniger gemein als mit dem epischen Vergil und Ovid. Tendenziell lässt sich ab den 1960ern insgesamt eine Verschiebung des Forschungsinteresses von einer dominierenden biographisch-persönlichen zu einer stärker rhetorisch und poetologisch interessierten Lektüre feststellen, bei der formale Beobachtungen in den Vordergrund rücken. So legt Guido Martellotti (1964/1983) dar, dass es sich bei der bukolischen Korrespondenz um eine lateinische Form der Tenzonendichtung handele, ein Phänomen der volkssprachlichen Streitdichtung, in der die Korrespondenten durch jeweilige strukturelle und inhaltliche Entsprechungen Bezüge zwischen den ausgetauschten Gesängen herstellen. Ein weiterer Artikel (1966/1983) untersucht die Dialogizität von Dantes Eklogen, die durch die inquit-Formeln eine formale Nähe zur elegischen Komödie des Mittelalters aufweisen würden. Martellotti erkennt darin einen zentralen Unterschied zwischen Dante und Petrarca, der sein Bucolicum carmen zwar auch dialogisch, aber ohne inquit-Formeln verfasse und damit dem Modell der antiken Bukolik näher komme. Einer der ersten, der die poetologische Aussagekraft der bukolischen Form beschreibt, ist Giuseppe Vecchi (1967), der Dantes und Giovanni del Virgilios Versepisteln auf ihre Verwurzelung in der zeitgenössischen rhetorischen Tradition untersucht. Dass Dante mit der Bukolik als Gattung des stilus humilis eine formale Absage an das episch-erhabene Stilideal des Gelehrten impliziert, ist dabei eine grundlegende Einsicht zum Verständnis der bukolischen Korrespondenz, an die die folgende Forschung in fruchtbarer Weise anknüpft. Das rhetorische Verständnis, das Vecchi in seiner Untersuchung in den Fokus rückt, erwächst nicht zufällig zu einem Zeitpunkt, als mit den zentralen Arbeiten von Paul Kristeller (1961), Guido Billanovich (1963), und später von Gian Carlo Alessio (1981) der Kreis der norditalienischen, vor allem aus Padua stammenden, sogenannten Frühhumanisten um Lovato dei Lovati und Albertino Mussato wissenschaftlich erschlossen wird. Im Zuge dessen kommt auch Giovanni del Virgilio vermehrte Auf-

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Marigo 1909, 186.

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merksamkeit zu, der zumeist in Dantes Schatten stand und in mehr oder weniger expliziter Weise als wenig inspirierter Dichter und formaler Epigone Vergils betrachtet wurde. Das wachsende Verständnis der frühhumanistischen, primär philologischen Bestrebungen ermöglichte somit auch eine andere Anerkennung der formgetreuen Vergilimitation des Bologneser Grammatikers.24 Dennoch steht Dante auch in den rhetorischen Untersuchungen zumeist im Vordergrund. So interessiert Mauda Bregoli-Russo (1985) an der Korrespondenz Dantes Verständnis und Umgang mit dem rhetorischen Phänomen der transumptio, als die die zeitgenössische Rhetorik die Formen des übertragenen Sprachgebrauchs kategorisiert und darunter einen spezifisch poetischen Ausdrucksmodus versteht. Bregoli-Russo sieht Dantes Wahl der bukolischen Form als bewusste Entscheidung für einen transumptiven Sprachmodus, mit dem er dem Grammatiker als Dichter des niederen Stils begegne. Dabei deutet sie auch die Parallele an, die Dante auf diese Weise zwischen seiner Dichtung und der allegorischen Qualität der Bibel herstelle. Das Phänomen des niederen, bukolischen Stils will auch Claudia Villa (2010) aus der zeitgenössischen Rhetorik heraus verstehen und weist dafür die verschiedenen Quellen und antiken Autoritäten nach, auf die Giovanni del Virgilio und Dante ihr jeweiliges Dichtungsverständnis aufbauen und mit deren Hilfe sie dieses legitimieren. Piermario Vescovo (2014) thematisiert hingegen wieder die zuvor durch Martellotti besprochene Dialogizität von Dantes Eklogen, die er nun mit einer speziell mittelalterlichen Kategorie der Rhetorik als genus activum identifiziert, die Dante auch in seiner Commedia anwende. Diese definiere sich in der rhetorischen Begrifflichkeit nicht nur stilistisch als stilus humilis oder inhaltlich durch die Entwicklung von einem schauderhaften Anfang zu einem guten Ende als Komödie, sondern auch durch das überwiegende dialogische genus dicendi als aktiv und dramatisch. Entsprechend zeige sich dieses Phänomen in Dantes Ekloge, die im Gegensatz zu Giovanni del Virgilios monologischer und diegetischer Epistel ebenfalls dem genus activum und dramaticum zuzuordnen sei. Neben diesen vor allem formalen Betrachtungen berücksichtigt die Forschung die Bezüge der Korrespondenz zu klassischen oder biblischen Hypotexten sowie das Verhältnis zu Dantes übrigen Werken und leitet aus den Intertextualitäten eine bestimmte Bedeutung und Funktion ab, die die Briefsteller dabei der antiken sowie der zeitgenössischen Dichtung und ihren Dichtern zuschreiben. So interessiert beispielsweise Mark Davie (1977) die Sprache und Funktion der Dichtung, wie sie Dante und Giovanni in ihren Briefen entwerfen. Er weist darauf hin, dass Dante in der Ekloge beweise, dass er 24

Trotz der formalen Anerkennung Giovanni del Virgilios findet sich auch noch nach den 1960er Jahren mitunter eine deutliche Bevorzugung des Florentiner Dichters, siehe beispielsweise Reggio 1969, 71, der Giovannis Eklogen als „opera di un grammatico, non di un poeta“ merklich der inspirierten Dichtung Dantes unterordnet. Auch aus Brugnoli/Scarcias Edition klingt mancherorts die Bevorzugung des Florentiners durch: „E non s’avvede che il povero suo corrispondente, nella sua piatta e sicura meschinità, è lui praticamente che è nel reale, un reale povero e angusto al par di lui [= Dante] […]“ (Brugnoli/Scarcia 1980, 71 f.).

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keinen Wertunterschied zwischen der volkssprachlichen und lateinischen Dichtungskunst mehr erkenne. Der niedere Stil der Eklogen spiegele zudem das Paradox der Commedia, dass eigentlich keine menschliche Äußerung dem göttlich-erhabenen Gegenstand gerecht werden könne. Daher erniedrige Dante den Stil. Giovanni hingegen sei in seinen Briefen stets bestrebt, Dantes Stil zu erhöhen, indem er ihn sowohl in der ersten als auch in der dritten Epistel dazu auffordere, mit größerer gravitas zu dichten. In Bezug auf Dantes Verhältnis zu dem antiken Dichter Vergil stellt Davie fest, Dante sehe zwischen sich und Vergil eine ungebrochene Traditionslinie, da sie beide – unabhängig von der sprachlichen Form – das Schicksal Roms besingen würden. Das Verhältnis, das sich aus den Eklogenbriefen zwischen Dante und Vergil ablesen lässt, thematisiert auch Edoardo Ferrario (1990). So wie Dante in der Commedia sein Werk als neue, christliche Aeneis inszeniere, stelle er auch in seiner ersten Ekloge vergilische Bilder, Formen und Situationen her, mit denen er sich in die Tradition Vergils stelle. Anders als Ferrario betrachtet Guy Raffa in seinem Aufsatz Dante’s mocking pastoral muse (1996) nicht nur die vergilischen, sondern auch die ovidischen Intertextualitäten, die Dante in seiner ersten Ekloge herstellt, und kommt zu dem Ergebnis, dass er mit deren Hilfe seinen Spott gegenüber Giovanni del Virgilio und dessen Kritik an seiner Dichtung ausdrücke. Paola Allegretti wiederum weist in ihren Artikeln von 2004 und 2010 vor allem auf die Bezüge zu den vergilischen Eklogen hin, mit denen Dante und Giovanni del Virgilio argumentieren und jeweils die Vergilnachfolge für sich beanspruchen. Im deutschen Sprachraum widmet sich dieser Fragestellung auch Helmut Seng (2010), der den Briefwechsel als vergilisches Rollenspiel der Korrespondenten versteht, in welchem sie ihre poetologischen Standpunkte austauschen. Als Hauptanliegen nennt er dabei den Streit um die volkssprachliche oder lateinische Dichtung und betont die formale Diskrepanz zwischen der antiken Bukolik und dem Briefwechsel, den er wie Martellotti eher als eine lateinische Form der Tenzone betrachtet. Zoltan Csehy (2011) wiederum vertritt die Position, Dantes und Giovannis bukolische Dichtung diene ihnen zur Kanonisierung ihrer Dichtung innerhalb der vergilischen Tradition. Er geht davon aus, dass Dante und Giovanni je zehn Eklogen verfassen und damit das vergilische Erbe wiederbeleben wollen. Dabei betont er, dass es Dante gelinge, die bukolische Tradition in einer organischen Weise zusammenzustellen, Giovanni hingegen attestiert er eher eine formale Imitation Vergils. Auch Astrid Eitel (2013) widmet sich der Vergil- und Ovidrezeption in Dantes erster Ekloge, der Vergil als eine Berufungsinstanz heranziehe. Sie zeigt dabei, wie Dante Giovanni del Virgilio mithilfe vergilischer Verweise als epischen Sänger inszeniere, insgesamt im zweiten Brief jedoch vor allem auf Vergils erste Ekloge zurückgreife. Jonathan Combs-Schilling (2015) widmet sich schließlich Dantes Inszenierung seiner Dichterpersönlichkeit in der Ekloge, wobei er in Tityrus eine Figur erkennt, mit der Dante eine seiner Dichterperson der Commedia nachfolgende Identität repräsentiere, die auch für eine neue Poetik stehe. Er schlägt vor, Tityrus als eine Öffnung für die Zukunft nach der Commedia zu lesen, in der Dante aus dem Jenseits wieder in die His-

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torizität zurückkehre. Ähnlich deutet Alberto Casadei (2017) Dantes Eklogenbriefe als dessen neuartige Unternehmung, in der Dante sein Vorbild Vergil nun auf der Basis von dessen Eklogen imitiere und zwar über wichtige, aber eben nicht heilige Themen dichte.25 Eine Lektüre der biblisch-religiösen Reminiszenzen in Dantes Eklogen legen Andreas Heil (2003) und Christine Ott (2016) vor, wobei sie Dantes Speisemetaphorik eine spirituelle Bedeutung zuweisen und sie in der Tradition der Bibel und der Bibelexegese lesen. Dante trete gegenüber dem eher formal-philologisch interessierten Giovanni del Virgilio als christlicher Dichter auf. Heil und Ott bekräftigen damit eine Tendenz, wie sie auch Karl Vossler (1900) formuliert, der in seiner Abhandlung über die poetischen Theorien der italienischen Frührenaissance den Dichter-Theologen Dante dem Dichter-Philologen Giovanni del Virgilio gegenüberstellt.26 Neben den zwei erkennbaren Tendenzen der Forschung zu einer historisch-sentimentalen und einer rhetorisch-poetologischen Deutung der Versepisteln sind einige Kernthemen und -motive der bukolischen Allegorie zu erkennen, die zu jeder Zeit kontrovers diskutiert werden. Dies betrifft zum einen die Interpretation der zehn Milchfässchen (decem vascula, II 64), die Dante in der zweiten Epistel an Giovanni del Virgilio zu senden verspricht. Dass es sich dabei um eine Allegorie für Dantes Dichtung handelt, ist unbestritten. Um welche Art der Dichtung es sich jedoch handelt, wird immer wieder aufs Neue besprochen. Eine Deutung liest in Anknüpfung an die Glosse des Zibaldone Laurenziano XXIX 8 die zehn Fässchen als bukolische Dichtung in der Tradition Vergils, die Dante dem Gelehrten verspreche. Zum Teil variiert die Auffassung zwischen der Annahme eines von der Epistel unabhängigen Eklogenkorpus oder der Identifikation der Epistel selbst als diese Eklogendichtung. Eine andere Deutungstradition will, angefangen mit Ponta (1848), in den decem vascula zehn Gesänge des Paradiso erkennen, die Dante schicken wolle. Im Einzelnen schwanken die Deutungen hier zwischen den ersten oder den letzten zehn Gesängen oder auch Paradiso XV–XXV, wie Annett Scott (2013) meint. Dass es sich bei den decem vascula um Gesänge des Paradiso handeln müsse, leitet sich aus der Beschreibung des zweiten Motivs ab, über das die Forschung vielfach debattiert: der ovis gratissima (II 58), dem liebsten Schaf des Tityrus, von dem er die besagten zehn Fässchen Milch melken wolle. Dante beschreibt dieses Schaf als frei von jeder Herde und Stallung, das stets freiwillig zu ihm zum Melken komme. Aus diesen Eigenschaften identifizieren die einen die Commedia, die sich an keine mittelalterliche

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In eine ähnliche Richtung tendiert Alessandro Benucci 2015, der in seinem Artikel Dante et son tout dernier travail. Les églogues sont-elles son ultime défense de la langue vulgaire ? schließlich festhält: „De la Commedia découleront les lauriers de la gloire poétique éternelle, alors que les Eclogae ne seront qu’un exercice littéraire élégant dans lequel Dante évalue sa production et réaffirme la supériorité de la langue vulgaire“ (ibid., 102). Vossler 1900, 29.

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Regelpoetik halte. Die anderen wiederum bezweifeln, dass Dante das Gedicht, von dem er selbst in Paradiso XXV betont, dass es ihn habe mager werden lassen,27 in der bukolischen Allegorie mit solch einer Leichtigkeit und Spontaneität assoziieren würde, sodass sie eher von der vergilischen Bukolik als Inspirationsquelle des Dichters ausgehen. Die decem vascula und die ovis gratissima sind so zentrale Motive, dass kaum eine Abhandlung ohne eine Stellungnahme auskommt. An dieser Stelle sei nur auf die Arbeiten verwiesen, die sich hauptsächlich mit ihnen befassen. So äußert sich bereits früh Ernesto Giacomo Parodi (1911) in seinem Aufsatz La prima egloga di Dante e l’ovis gratissima. Er rückt dabei von der gängigen konkreten Identifikation des Schafes und der Fässchen ab und hält sie für ein poetisches Motiv, mit dem Dante Giovanni zeigen wolle, dass er zu einer Dichtung in der Sprache der Gelehrten fähig ist.28 Die Briefekloge gilt ihm als Dantes literarisches Manifest gegenüber seinem humanistischen Widersacher. Giovanni Pascoli (1913/1965) hingegen erkennt in seiner Abhandlung La mirabile visione in den zehn Gefäßen die zehn ersten Gesänge des Paradiso. Das Schaf steht ihm gemäß für die niedere volgare-Dichtung im Gegensatz zu der erhabenen lateinischen Dichtung, die Dante in Form von Mopsus-Giovannis Rinderherde darstelle. Eugenio Chiarini wiederum plädiert in seinem Artikel I decem vascula della prima egloga dantesca (1967) für die Deutung der Fässchen als ein Korpus von zehn Eklogen vergilischer Art. Giovanni Reggio, der in seiner Monographie Le egloghe di Dante (1969) den stets wieder diskutierten Kernthemen je eigene Kapitel widmet, hält das Schaf für die Commedia, die zehn Fässchen liest er entsprechend als die ersten zehn Gesänge des Paradiso. Wie es auch Reggios Kapitel nahelegen, ist ein weiteres Streitthema die allegorische Entschlüsselung des Kyklopen Polyphem, den Dante in der vierten Epistel, seiner zweiten Ekloge, als herrschenden Tyrannen in Bologna auftreten lässt, das Dante in der allegorischen Chiffre an die kargen Felsen des Ätna versetzt. Die Forschung erkennt in dem Kyklopen zumeist einen politischen Machthaber, der Dantes kaiserfreundlicher Gesinnung entgegensteht. Unentschieden bleibt jedoch, ob es sich dabei um eine bestimmte historische Person, einen tyrannischen (guelfischen) Machthaber in Bologna handelt oder ob sich in Polyphem der allgemein widrige Umstand der politischen Parteienstreitereien zwischen tendenziell papsttreuen Guelfen und kaisertreuen Ghibellinen manifestiert. Wie im Falle des Schafes und seiner Milchfässchen finden sich vielfache Meinungsäußerungen zu der Figur in die eine oder die andere Richtung. Zum titelgebenden Thema macht den Kyklopen zum einen Giacomo Lidònnici (1911), der hinter Polyphem den guelfischen Capitano del Popolo Fulcieri da Calboli erkennt 27 28

Vgl. Dante Par. XXV 1–9. Ähnlich plädiert Luca Carlo Rossi 2017 dafür, nicht an ein konkretes Gedicht, das Dante verschicken wolle, zu denken, sondern hält die in Aussicht gestellten Fässchen für ein fiktives Geschenk und damit für ein reines Zugeständnis an den bukolischen Code.

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und damit auch die heute noch gängige persönliche Deutung vorschlägt – jüngst aufgegriffen als Ausgangspunkt einer umfassenden Archivrecherche über die historischen Personen, die in der Korrespondenz erwähnt werden, durch Gabriella Albanese und Paolo Pontari (2016). Darüber hinaus identifiziert Lidònnici sogar die weiteren mythologischen Figuren Acis, Galatea und Achaemenides, die Dante in der vierten Epistel als Opfer Polpyhems anführt, mit historischen Persönlichkeiten. Nicht nur persönlich liest Guido Mazzoni (1942), der in dem Kyklopen auch die Manifestation eines systematischen Problems erkennt, das Dante in den zeitgenössischen Parteistreitereien sehe. Polyphem sei ein Machthaber der Bologneser Politik, wie sie Dante nicht gutheißt. Dessen Opfer Galatea deutet er entsprechend als Florenz, Achaemenides als die weißen Guelfen, die unter der Macht der schwarzen, papsttreuen Guelfen zu leiden hatten. In jüngerer Zeit nimmt sich Lino Pertile (2010) der Frage nach Polyphem an. Er führt die vergilischen und ovidischen Vorlagen an, die Dante verarbeitet habe, und die Motivik von Giovannis vorangehender Epistel, an die Dante mit der Figur des Polyphem logisch anknüpfe. Er formuliert jedoch eine grundsätzliche Perplexität gegenüber der vierten Epistel, die in Dantes Werk gänzlich isoliert stehe. Albert Russell Ascoli (2009) hingegen erkennt in Polyphem Dantes Darstellung Bolognas als eine „otherness of an alternative way of life“ in intellektueller, poetischer und sprachlicher Hinsicht, die er für sich nicht annehmen könne. Dante formuliere damit „his final refusal to accept membership in the new cultural club, neo-Latin humanism.“29 Grundsätzlich beschäftigt die Forschung die übergeordnete Frage nach Dantes Motivation, auf Giovanni del Virgilios Kritik mit einer Ekloge zu antworten. Die Frage, die mehr oder weniger explizit in den jeweiligen Beiträgen erscheint, kann, wie sich an den vielfältigen zumeist einleuchtenden Erklärungsversuchen zeigt, nicht monokausal betrachtet werden. Wenig überzeugend erscheint von einem heutigen Standpunkt eine rein biographische Begründung mit der Ruhe und dem Naturgefühl, die Dante in dieser Lebensphase in Ravenna erlebt habe.30 Der Ansatz, in den Hirten die bukolischen Alter Egos der Dichter zu sehen, erhält jedoch seine Berechtigung, sobald er vor dem Hintergrund der spätantiken allegorischen Deutung der vergilischen Eklogen verstanden wird, nach denen Dante und Giovanni ihre Eklogen entwerfen. Er ist wiederum zu verknüpfen mit der formal-rhetorischen Einordnung der Bukolik als Gattung des stilus humilis, wie sie die Forschung insbesondere ab den 1960er-Jahren betont.31 Riccardo Drusi (2013) legt in diesem Zusammenhang eine wegweisende Studie vor, in der er Dantes christliche Anverwandlung der klassischen Bukolik analysiert. 29 30 31

Ascoli 2009, 141. Auch Massimo Giansante 2018 spricht sich jüngst eher für eine allegorische als eine persönlich-historische Identifikation des Kyklopen aus. Zu Dantes Polyphem siehe auch Reggio 1973. Darunter Macrì-Leone 1889; Lidònnici 1913; Battisti 1955/56; Frenzel 1965. Dies beginnt, wie oben dargelegt, mit den Untersuchungen von Vecchi 1967 et al. und erscheint bis heute bei Allegretti 2010; Drusi 2013; Albanese 2014 et al. als fruchtbarer Ansatz zum Verständnis der bukolischen Allegorie.

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Dabei führt er Dantes Wahl der Bukolik auf deren mittelalterliche allegorisch-heilsgeschichtliche Auslegung zurück und zeigt, inwiefern Dante diese lateinische Gattung zur Verteidigung seiner volkssprachlichen Commedia gegenüber dem Grammatiker fruchtbar macht. Die folgende Arbeit geht ebenfalls davon aus, dass der Grund für die bukolische Form, die Dante bei seiner Antwort an Giovanni del Virgilio wählt, sowie die Implikationen der individuellen Ausgestaltungen, die Dante und Giovanni innerhalb des bukolischen Gattungsrahmens vornehmen, mit einer Kombination der allegorisch-biographischen und der rhetorisch-stilistischen Perspektive gedeutet werden müssen. Damit knüpft die Arbeit an die neuere Forschung an. Sie geht jedoch insbesondere bezüglich der danteschen Eklogenbriefe darüber hinaus, indem die Untersuchung nicht nur aufgrund der expliziten Anleihen und Intertextualitäten zur vergilischen Bukolik, zu Ovids Metamorphosen oder Dantes Commedia zu vereinzelten Beobachtungen und Detailinterpretationen kommt. Dantes bukolische Inszenierung wird systematisch vor dem moraltheologischen Hintergrund gedeutet, der insgesamt dem philosophischen, politischen, poetischen und persönlichen Denken in Dantes Werken zugrunde liegt. Als wesentliche Referenzwerke erweisen sich dabei das Convivio, De vulgari eloquentia, die Monarchia sowie insbesondere die Commedia, die als poetische Summa seines Denkens verstanden werden kann. Die Bukolik ist somit – so die These der vorliegenden Arbeit – für Dante alles andere als eine Abkehr von der Commedia-Poetik, wie Combs-Schilling (2015) behauptet, sondern vielmehr eine Bestätigung und Verteidigung dieser theologischen Poetik gegenüber den frühhumanistischen Bestrebungen des Grammatikers Giovanni del Virgilio. Unter diesen Voraussetzungen versucht die folgende Analyse der vier Briefe zum einen, Dantes und Giovanni del Virgilios bukolische Dichtung aus der zeitgenössischen Rhetorik zu verstehen, zum anderen aus dem jeweils eigenen Bewertungshorizont der Dichter, wie er sich aus dem Kontext ihrer übrigen Werke entnehmen lässt. Auf diese Weise soll sich zeigen, welches Verständnis von Dichtung und Dichter Dante und Giovanni del Virgilio in den Eklogenbriefen kommunizieren sowie die Funktion, die sie dabei dem Erbe der antiken Dichtungsautoritäten – insbesondere Vergil – zuerkennen.

II. Giovanni del Virgilio an Dante Giovanni del Virgilios Name ist eng mit der Region Norditaliens verbunden, in der er als Lehrer der Grammatik und Rhetorik sowie als Dichter wirkte.1 Seine Lebensdaten werden zwischen 1280–1330 angesetzt und sein Geburtsort zumeist in Bologna lokalisiert. Angaben seiner eigenen Texte lassen darauf schließen, dass familiäre Wurzeln nach Padua führen.2 Den Namen „del Virgilio“ trägt er nicht von Geburt. Zeitgenössische Dokumente führen ihn als Sohn eines Magister Antonius und geben „del Virgilio“ als Rufnamen an, den er aufgrund seiner Begeisterung und intensiven Beschäftigung mit den klassisch-römischen Dichtungsautoritäten trage.3 Während über Giovannis Biographie wenige Informationen vorliegen, lassen die von ihm erhaltenen Werke Rückschlüsse auf das literarische und rhetorische Profil des Grammatikers und Dichters zu. Aus dem Zeitraum von 1315–1327 stammen verschiedene Texte, die einerseits seiner Lehrtätigkeit, andererseits seiner eigenen poetischen Aktivität zugeschrieben werden können. Unter den Lehrschriften finden sich zwei Kommentare zu Ovids Metamorphosen und verschiedene Traktate der lateinischen Grammatik und Rhetorik, die der Zeit seiner Anstellung an der Bologneser Universität zugeordnet werden.4 Sie entsprechen in Form und Inhalt der gelehrten Tradi1

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Zur Biographie Giovanni del Virgilios und deren Dokumentation siehe Pasquini 1971; Indizio 2012. Giuseppe Indizio 2012, 312 erwähnt als biographische Quelle insbesondere die Glossen aus dem von Boccaccio kopierten Zibaldone Laurenziano XXIX 8 (im Folgenden L) und aus dem sogenannten Oratoriano (im Folgenden O). Die Siglierung der Handschriften folgt der Edition von Marco Petoletti 2016, 489–650. Dokumente aus dem Archivio di Stato di Bologna, in denen Giovanni del Virgilio erscheint, finden sich gedruckt in Lidònnici 1913. Maßgebend ist dafür die Drohung, die er Dante im dritten Brief der Korrespondenz ausspricht, er würde sich bei Dantes Weigerung an den väterlichen Musone wenden. Der Fluss Musone steht dabei metonymisch für die Stadt Padua (III 88 f.). So erscheint er beispielsweise im Bologneser Registro Riformagioni 1323–1327 unter dem Datum des 27. Februar 1325 als Iohannes quondam magistri Antonii qui dicitur de Vergilio (aus der gedruckten Edition von Lidònnici 1913, 240). Die unvollständig erhaltene ars dictaminis findet sich bei Kristeller 1961. Zu Giovannis Abhandlungen über Konjunktionen, unpersönliche Verben, syntaktische Figuren und die Konstruktion des Komparativs und Superlativs siehe Alessio 1981. In digitaler Form sind die Texte zugänglich auf der Seite des Archivio della Latinità italiana del Medioevo unter dem Namen „Iohannes de Virgilio“

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tion, wie sie aus den zeitgenössischen Handbüchern, den artes dictandi und poetriae, hervorgeht, und lassen Züge der Bologneser Rhetoriklehre erkennen.5 Wie Giuseppe Velli hervorhebt, behandelt Giovanni die Themen dabei dennoch mit Originalität und greift in besonderem Maße auf die antiken Quellen zurück, vor allem auf die Rhetorica ad Herennium und das Werk des Grammatikers Donat.6 Paul Kristeller erkennt aufgrund dessen in Giovanni del Virgilios Lehrwerk eine „tendenza di un ritorno al classicismo“, die sich zum Ende des 13. Jahrhunderts bei den Bologneser Grammatikern beobachten lasse und die sich von dem eher praktischen Interesse früherer Rhetoriklehren unterscheide. Er nennt Giovanni del Virgilio dementsprechend einen Repräsentanten des Prähumanismus.7 Der Begriff des Prähumanismus bezeichnet dabei vor allem den gelehrten Kreis in Padua um den Notar und Richter Lovato dei Lovati (ca. 1240–1309) und den Notar und Geschichtschreiber Albertino Mussato (1261–1329), die sich zu Beginn des 14. Jahrhunderts mit verstärkt philologischem Interesse den römisch-antiken Autoren und Gattungen zuwenden und auf dieser Grundlage ihre eigene Dichtung an das wiederentdeckte Erbe anzuknüpfen suchen. Der Begriff rechtfertigt sich darüber hinaus durch deren erkennbares Bestreben, in den antiken Autoren neben formalen Dichtungsmodellen auch moralische Vorbilder bürgerlicher Lebenswerte zu erkennen.8

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auf http://www.alim.dfll.univr.it/alim/letteratura.nsf/Autore?OpenView&Start=136&Count=20 (abgerufen am 16.04.2020). So stellt Kristeller 1961, 189 in Giovanni del Virgilios ars dictaminis anhand der verwendeten Terminologie und Disposition Parallelen zu Traktaten anderer Bologneser Gelehrter fest. Giuseppe Velli 1981 weist Verbindungen von Giovannis Lehrwerken u. a. zu den Werken des Johannes von Garlandia nach. Anhand der ersten Epistel an Dante konstatiert Albanese 2014, 1661 zudem Bezüge zu dem rhetorischen Traktat Candelabrum des Bene da Firenze, einem Vorgänger Giovanni del Virgilios als Lehrer der Grammatik und Rhetorik am Studio di Bologna zwischen 1318 und 1338/1342. Dem Einfluss der Bologneser Rhetoriken, die seit dem 13. Jahrhundert entstehen, auf Giovanni del Virgilio widmet sich auch Vecchi 1967. Zur ars dictandi im Allgemeinen siehe u. a. Worstbrock 1981. Zu Dichtungslehren in Mittelalter und Früher Neuzeit u. a. Vossler 1900; Buck 1952; Tateo 1960; Quadlbauer 1962; Brandt 1986. Für eine Auswahl einschlägiger mittelalterlicher Dichtungslehren mit einleitendem Kommentar siehe Faral 1962. Dazu siehe u. a. Velli 1981. Kristeller 1961, 189. Zum sogenannten Prähumanismus siehe Billanovich 1958; 1976; Witt 2000; Cecchini 2014. Witt 2000, 26 hebt das zunächst praktische Interesse der italienischen Lateinerziehung hervor, aus dem sich erst allmählich ein tatsächlich humanistisches Interesse entwickelt habe, in einer „classicizing aesthetic“ die antiken Modelltexte zu imitieren. Witt, 18 f. kritisiert zudem den Begriff des Prähumanismus. Vielmehr fordert er, den Paduaner Kreis um Lovato dei Lovati und Albertino Mussato bereits als Humanisten zu erkennen und Petrarca, dem üblicherweise der Status des ersten Humanisten zugesprochen wird, innerhalb der Geschichte des Humanismus die Stellung des „third-generation humanist“ zuzuweisen. Siehe außerdem zu Padua in Dantes Zeit Hyde 1966. Zu dem veränderten Interesse an der Antike, ihren Texten und Autoren im Humanismus seit Francesco Petrarca siehe Buck 1987, 154: „Das humanistische Bildungsprogramm beruht auf dem Glauben an die menschenformende Macht der antiken Autoren. Dabei wird Bildung als Selbstzweck und nicht mehr wie im Mittelalter als Vorbereitung auf die transzendente Sinnerfüllung des irdischen Lebens verstanden.“ Witt 2000, 22 hebt zudem den multidimensionalen Charakter

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Berühmtester Vertreter wird Mussato, der in Anlehnung an die kurz zuvor wiederentdeckten Tragödien Senecas sein Werk Ecerinis verfasst. In der Tragödie bedichtet er aus der guelfischen Sicht Paduas die Tyrannenherrschaft des Ghibellinenführers Ezzelino da Romano (ca. 1194–1259) über die Stadt. Das Werk wird als Aufruf an die Paduaner gedeutet, gegen die damals gegenwärtige Bedrohung der Stadt durch den Ghibellinen Cangrande I. della Scala Widerstand zu leisten und hat somit einen dezidiert politischen Charakter.9 Im Jahre 1315 wird Mussato für eben dieses Werk in Padua zum poeta laureatus gekrönt und belebt damit die Tradition der antiken Dichterkrönung neu.10 Giovanni del Virgilios Schriften lässt sich entnehmen, dass diese Prähumanisten einen Orientierungspunkt für den Bologneser Gelehrten darstellen. So sind neben seinen grammatischen und rhetorischen Werken einige poetische Briefwechsel erhalten, die auf Giovannis Kenntnis der Paduaner Schriften hindeuten sowie auf eine Übereinstimmung seiner Interessen mit denen Lovatos und Albertino Mussatos, die sich mit ihrer philologischen und poetischen Tätigkeit als lateinische Dichter in die Tradition der klassisch-römischen Antike zu stellen suchen.11 Giovannis berühmteste Korrespondenz ist zweifelsohne diejenige, die er zwischen 1319–1321 mit Dante Alighieri führt. Der Florentiner Dichter lebt zu dem Zeitpunkt in Ravenna, im Dienst des Podestà Guido Novello da Polenta.12 Im Zuge der Auseinan-

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der humanistischen Tätigkeit hervor. Neben den historischen, philologischen, ethischen und religiösen Interessen betont er in seiner Untersuchung die stilistischen Veränderungen, die das humanistische Bestreben in die Auseinandersetzung mit dem römisch-lateinischen Erbe brachte. In diesem Interesse sieht er die Wurzel des humanistischen Bestrebens und seiner folgenden, gesellschaftlichen Umwälzungen. Zu Albertino Mussato siehe Martellotti 1971. Zu seiner Tragödie Ecerinis siehe Müller 1987; Locati 2006. Zur lateinischen Tragödie bei den Paduaner Prähumanisten siehe Trillitzsch 1973, 448–457. Über eine mögliche Verbindung zwischen Dante und Albertino Mussato siehe Lombardo 2014; Ronconi 2017. Einen Überblick über Mussatos Briefe und Werke gibt Enzo Cecchini 2014, 396–399. Zu Mussatos Dichterkrönung siehe auch Albanese 2016; 2017. Von Giovanni del Virgilio sind Briefkontakte zu fünf verschiedenen Personen bekannt: der fünfteilige sogenannte Diaffonus, ein poetischer Wechselgesang, mit einem Richter aus den Marche, Ser Ranuccio da Tolentino (1315), der vierteilige Briefwechsel mit Dante (1319–1321), eine zweiteilige Korrespondenz mit dem Medicus Guido da Vacchetta aus Ravenna (ca. 1325) sowie ein unbeantworteter Eklogenbrief an Albertino Mussato (1324–1326). Bei allen Briefen handelt es sich um Versdichtungen, mittels derer sich der Gelehrte mit seinen Korrespondenten austauscht. Abgesehen von dem Diaffonus finden sich alle Briefe abgedruckt u. a. bei Wicksteed/Gardner 1902. Eine Edition des Diaffonus bietet Carrara 1925. Zum Verhältnis von mittelalterlicher Liebesallegorie und humanistischer Klassikerimitation im Diaffonus siehe Krautter 1981. Ein Grabepigramm, das Giovanni del Virgilio zu Ehren Dantes geschrieben hat, überliefert Giovanni Boccaccio in seinem Trattatello in laude di Dante. Zudem ist das Fragment eines Epos überliefert (siehe Wicksteed/ Gardner 1902, 202–205). Zum Zusammenhang zwischen Giovanni del Virgilio und den Paduaner Frühhumanisten u. a. Billanovich 1976; Velli 1981, 155–158, der ihn als „discepolo ideale della bella scola padovana“ bezeichnet. Albanese 2014, 1659 spricht hinsichtlich des Formats der poetologischen Versepistel dementsprechend von einer „moda invalsa all’inizio del Trecento tra i preumanisti padovani, lanciata da Lovato Lovati e affermatasi con i dibattiti in difesa della poesia di Albertino Mussato.“ Für eine rezente Dante-Biographie siehe Santagata 2012.

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dersetzungen zwischen den verschiedenen Parteiungen von Guelfen und Ghibellinen wird Dante zum politischen Exilanten. Seit 1302 bleibt er seiner Heimatstadt Florenz unter Androhung der Todesstrafe fern. Ravenna ist Dantes letzter Aufenthaltsort vor seinem Tod im Jahre 1321, an dem er das Paradiso seiner Commedia beendet. Giovanni del Virgilio hat ihn möglicherweise dort im Jahre 1319 getroffen.13 In seiner romanhaften Dantebiographie entwirft Marco Santagata ein solches Treffen, bei dem sich die beiden über das Verhältnis zwischen der volkssprachlichen und der lateinischen Dichtung unterhalten und Dante den Gelehrten mit einer Lektüre seines Traktats De vulgari eloquentia von der Qualität des volgare zu überzeugen versucht haben soll.14 In dieser Stilisierung hebt Santagata den Unterschied zwischen den beiden Dichtern hervor: Während der gelehrte Frühhumanist sich der lateinischen Dichtung verschrieben hat, verfasst Dante seine poetischen Werke, allen voran die Commedia, in der italienischen Volkssprache. Auch wenn eine solche persönliche Diskussion der beiden bisher nicht nachgewiesen werden konnte, nimmt Giovanni del Virgilio diese poetologische Differenz zum Anlass für das erste Schreiben seiner Korrespondenz mit Dante. Er verfasst es Ende 1319 oder Anfang 1320,15 als er vermutlich in Bologna seine eigene Schule für lateinische Grammatik und Dichtung betreibt, bevor er 1321 am Studio di Bologna angestellt wird.16 Bei dem Schreiben handelt es sich um eine Versepistel von 51 Hexametern Länge, in der Giovanni del Virgilio Dante für seine volkssprachliche Dichtung in der Commedia kritisiert und ihn mit seinem Standpunkt als Rhetoriklehrer und Dichter der lateinischen Sprache konfrontiert.17 Er möchte Dante für seine Dichtungsideale gewinnen, die er auf der Basis der rhetorischen Lehren seiner Zeit entwirft und mit denen er sich in die Tradition der klassisch-antiken Dichter zu stellen sucht.

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Dies lässt sich aufgrund der letzten Verse von Giovannis erstem Schreiben an Dante annehmen (I 47–51). Dort bittet er Dante, ein Versprechen auf Antwort einzulösen, das er ihm in Ravenna gegeben habe. Unklar ist, ob Giovanni del Virgilio mit der Ortsangabe sich nur auf Dante oder auch auf sich selbst bezieht. U. a. Indizio 2012, 321 geht davon aus, dass Giovanni Dante tatsächlich besucht habe. Vgl. Santagata 2012, 311. Vgl. Petoletti 2016, 493. Vgl. Indizio 2012, 312. Die Forschung spekuliert über seine Motivation für dieses Schreiben. Giuseppe Indizio 2012, 324 erklärt sie mit einer „ansia di gloria poetica“, die für sein offizielles Ansehen als Dichter und Rhetor wichtig gewesen sei: „Su tutti l’ansia di gloria poetica che animava Del Virgilio, che ci si mostra perennemente barcamenarsi tra il bisogno di protezione economica e la ricerca di relazioni letterarie altolocate, cruciali per il suo riconoscimento ufficiale.“ Die Handschriften führen Giovannis Brief unter verschiedenen Bezeichnungen. So wird es entweder als carmen betitelt oder im Zusammenhang mit den anderen drei Briefen als ecloga I. Aus einem accessus aus der Bologneser Schule zu der Korrespondenz zwischen Giovanni del Virgilio und Dante wird ersichtlich, dass man der Versepistel den Status einer Ekloge mitunter wegen seines allegorischen Modus zuerkannte. Dazu siehe den accessus aus der Handschrift O, die Petoletti 2016, 649 f. seiner Edition der Korrespondenz anhängt.

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Das folgende Kapitel widmet sich in einer chronologischen Analyse des ersten Briefes der rhetorischen Strategie, mit der Giovanni Dante von seinem Standpunkt zu überzeugen sucht. In Anknüpfung an die bisherige Forschung gilt es zum einen, das Dichtungsideal und poetologische Konzept zu greifen, das der Gelehrte gegenüber Dante formuliert. Zum anderen sollen insbesondere die Inszenierungsmechanismen offengelegt werden, die Giovanni anwendet, um seine Position zu entwerfen und zu legitimieren. Bereits in der formalen Gestalt der Epistel lässt sich ein erster Hinweis auf Giovanni del Virgilios Inszenierungsstrategie lesen: Seine Epistel stellt ein Lehrstück des erhabenen Briefstils dar, wie ihn die zeitgenössischen artes dictandi vorschreiben. So hält er sich in der Struktur seines Schreibens an die konventionellen Rede- bzw. Briefteile, wie sie die Rhetorik fordert. Es lassen sich exordium, narratio, confutatio, confirmatio und conclusio identifizieren.18 Auch indem er seinen Brief in lateinischen Versen abfasst, gibt er ein Zeugnis seiner Gelehrsamkeit ab. Denn die Brieflehre unterscheidet vier verschiedene genera dictandi: das genus prosaicum, das genus metricum, das genus rithmicum und das genus mixtum. Der Rhetoriklehrer Bene da Firenze (erste Hälfte des 13. Jahrhunderts), ein Vorgänger Giovanni del Virgilios am Studio di Bologna, präsentiert diese in seinem Traktat Candelabrum (um 1220) und schreibt sie verschiedenen Bildungsgraden zu.19 Ihm gemäß ist die Prosa die natürliche Art des Redens und Schreibens und damit Sache der Ungebildeten (imperiti). Die metrische Form hingegen ist diejenige der Gelehrten (periti).20 Die rhythmische Art wird als eine Folge der Zeit verachtet, in der die Lockerheit Einzug gehalten habe. Darunter fällt somit alle volkssprachliche Dichtung, deren Verse nicht mehr quantitierend, sondern rhythmisch gemessen werden.21 Indem Giovanni Dante eine Versepistel in Hexametern sendet, zeichnet er sich folglich gemäß der Rhetoriklehre als ein gebildeter Schreiber aus. Formal wie inhaltlich steht Giovanni del Virgilio mit seiner Versepistel zudem in der Tradition des Horaz: Dessen berühmte Epistula ad Pisones (ca. 13 v. Chr.), die seit Quintilians Institutio oratoria (ca. 96 n. Chr.) unter dem Titel Ars poetica bekannt ist und als Dichtungslehre auch im Mittelalter höchste Autorität genießt, präsentiert sich ebenfalls als ein Gedicht über die Dichtkunst. Giovanni del Virgilio tritt somit 18

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Auf der antiken Basis der Rhetorica ad Herennium (Inventio in sex partes orationis consumitur: exordium, narrationem, divisionem, confirmationem, confutationem, conclusionem, I 4) und Ciceros De inventione (exordium, narratio, partitio, confirmatio, reprehensio, conclusio, I 19) umfasst die rhetorische Struktur bei den mittelalterlichen dictatores meist die Teile exordium, narratio, confirmatio, confutatio, conclusio, wobei Abweichungen möglich sind. Diese Einteilung findet sich auch dem besagten accessus zu der Korrespondenz angegeben, den die Handschrift O überliefert (vgl. Petoletti 2016, 649 f.). Albanese 2014, 1661 verweist zusätzlich auf Bene da Firenze Candelabrum III 4; IV 4 und 6. Zur antiken Gattung der Versepistel siehe Wulfram 2008. Zu Bene da Firenze siehe Tateo 1976. Vgl. Bene da Firenze Candelabrum III 1, 3; 17–19. Auch Vecchi 1967, 68 will Giovanni del Virgilios formale Entscheidung zu einer poetischen Epistel vor dem Hintergrund des Candelabrum verstehen.

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einerseits in Horaz’ Nachfolge, wenn er Dante ein Briefgedicht sendet, in dem er eine Diskussion über das richtige Dichten beginnt.22 Andererseits finden sich auch in Giovannis zeitgenössischem Kontext ähnliche Phänomene. So verfasst beispielsweise der Paduaner Lovato dei Lovati eine Versepistel an den Mailänder Grammatiker Bellino Bissolo, in der er diesen über den Vorrang der lateinischen Dichtung über die französische volkssprachliche Dichtung unterrichtet.23 Über Dichtung korrespondiert auch Albertino Mussato in lateinischen Versen und präsentiert sich dabei als poeta moribus antiquis factus.24 Unter diesen Voraussetzungen liest sich Giovanni del Virgilios Versepistel an Dante, der sich einerseits durch das poetische Format ebenfalls als gelehrter Dichter ausweist, andererseits durch das poetologische Thema in der Funktion eines Dichtungskritikers antiker Tradition auftritt. 1. Eine ehrfürchtige Anrede Im exordium (I 1–7) seiner Epistel spricht Giovanni Dante als Dichter der Commedia an und entwirft dabei bereits ein spezifisches Bild seines Adressaten.25 Daraufhin kündigt er das Thema seiner Epistel an, nämlich seine Kritik, dass Dante den ernsten Inhalt seiner Dichtung dem gemeinen Volk hingeworfen habe, wohingegen die Gelehrten nichts von ihm zu lesen bekämen. Pyeridum vox alma, novis qui cantibus orbem mulces letifluum, vitali tollere ramo dum cupis, evolvens triplicis confinia sortis indita pro meritis animarum, sontibus Orcum, astripetis Lethen, epyphebia regna beatis, tanta quid heu semper iactabis seria vulgo, et nos pallentes nichil ex te vate legemus?26

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Zu Giovanni del Virgilios Epistel und der Verbindung zu Horaz siehe Villa 2010. Zur Relevanz des Horaz im Mittelalter insgesamt siehe Friis-Jensen 2015 und speziell bei Dante siehe Villa 1993; Barański 2006. Für eine Textedition der Epistel mit Interpretation siehe Ludwig 1989. So in einem Brief in elegischen Distichen an einen Venetianer Grammatiker (v. 13) (in der Edition von Villani 1722, 40). Eine neue Edition gibt Cecchini 1985. Villa 2010, 141 führt vor allem Lovato dei Lovatis Epistel an Bellino Bissolo und Albertino Mussatos Epistola ad Collegium Artistarum als Vorbilder für Giovanni del Virgilios Schreiben an Dante an. Alle drei würden in ihrer Argumentation auf Horaz’ Ars poetica zurückgehen, deren Regelwerk sie neu ausgestalten. Vgl. Bene da Firenze Candelabrum IV 1, 2: Exordium est preambulus narrationi, affatus ad audiendum preparans animum auditoris. Wo nicht anders vermerkt, folge ich in der Zitation der Eklogenbriefe der Edition von Gabriella Albanese 2014. Für die Versangaben richte ich mich ebenfalls nach den italienischen Gepflogenheiten, wie sie Albanese verwendet, und setze daher eine Kombination aus römischen und arabi-

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Der Gelehrte gestaltet das exordium nach den Regeln der rhetorischen Kunst und verleiht ihm eine antikisierende Form.27 Er setzt mit der Apostrophe an seinen Adressaten an und bezeichnet Dante als nährende Stimme der Musen (Pyeridum vox alma, I 1). Der Versanfang kann dabei in mehrerlei Hinsicht als programmatische Ankündigung des Folgenden gelten. So handelt es sich bei dem poetischen Bild um eine Kombination verschiedener Figuren des übertragenen Sprechens, die sowohl formal als auch inhaltlich bereits das Anliegen der Epistel implizieren. Schon der Begriff der „Pyeriden“ (I 1) ist thematisch vorausweisend. Es handelt sich um einen Beinamen der Musen, den die mythologischen Göttinnen der künstlerischen Inspiration aufgrund eines Wettstreits mit den Töchtern des Pieros tragen. Diese fordern sie zum musikalischen Wettstreit heraus und werden anschließend zur Strafe für ihren Hochmut in Elstern verwandelt.28 Durch das erste Wort evoziert Giovanni diesen Dichterwettstreit der antiken Mythologie und deutet so bereits auf sein provokantes Anliegen an Dante hin. Denn auch er eröffnet mit seinem Brief einen Streit über Dichtung. Darüber hinaus leiten die Pyerides auch ein rhetorisches Register ein, das die Epistel formal prägen wird. Denn als Antonomasie der Musen leitet der Begriff einen übertragenen Sprachgebrauch ein.29 Dieses übertragene Register hält der Gelehrte im Anschluss aufrecht. Denn mit der Anrede als vox alma (I 1) umschreibt er daraufhin seinen Adressaten in einer Metonymie, die den Dichter mit seinem we-

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schen Zahlen. Um der Einheitlichkeit willen, passe ich entgegen den Konventionen der Klassischen Philologie die Zitation der antiken Autoren entsprechend an. Auch Vecchi 1967, 71 findet in Giovannis exordium einen „tessuto di classico decoro“ und gibt zu verstehen, dass Giovanni versuche, „modi, immagini e parole antichi e moderni, dei veteres latini, dei Padri, della Scrittura e della realtà politica, religiosa, civile coeva“ zusammenzubringen. Den Mythos gibt Ovid in seinen Metamorphosen wieder (Ov. Met. V 294–317; 662–678). Eine weitere Erklärung für die Bezeichnung der Musen als Pieriden ist, dass sie aus Pieria in Makedonien stammen sollen (Hes. theog. 53). Für diesen Hinweis danke ich André Heller. Zu den Musen in der griechisch-römischen und christlichen Literatur siehe Schindler 2012. Zu den Musen in der mittelalterlichen Literatur siehe Curtius 1939. Dass die Bezeichnung Pieriden bereits zur stehenden Wendung geworden ist, bezeugt der Eintrag in Uguccione da Pisa Derivationes P 77 s. v. Pieris -dis, filia vel neptis Pieri; et quia eas, scilicet Pierides, Muse devicerunt, ideo ab illis Muse dicte sunt Pierides. Vgl. Albanese 2014, 1662. In der römisch-antiken Literatur findet sich der Begriff der Pieriden u. a. in Horaz’ Ars poetica im Kontext der Gesänge, mit denen die göttlichen Dichter die Gunst der Könige gewinnen und damit Ehre erlangen können (Hor. Ars 400–406). Vergil nennt die Musen in seinen Eklogen mitunter Pieriden (Verg. Ecl. III 85; VIII 62 f.). Besonders interessant erscheint im Kontext des Dichterwettstreits, den Giovanni hier mit Dante beginnt, die Erwähnung in der neunten Ekloge, in der sich der Hirte Lycidas auf die Pieriden beruft, die ihn zum vates gemacht hätten (Verg. Ecl. IX 32–34). Vgl. Petoletti 2016, 516. Auf die Doppeldeutigkeit, die mit der Bezeichnung Pieriden eingeführt wird, macht Giorgio Brugnoli 1998, 49 aufmerksam, da diese eben sowohl als Musen positiv, aber auch als in Elstern verwandelte Nymphen negativ konnotiert sein können. Die mittellateinische Rhetorik führt die Antonomasie als pronominatio. Vgl. Galfrid von Vinsauf Poetria Nova 952–956; ibid. Documentum de modo et arte dictandi et versificandi II 3, 6; Bene da Firenze Candelabrum II 39.

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sentlichen Organ, seiner Stimme, nennt.30 Das Attribut alma erweitert den poetischen Ausdruck um ein weiteres Bild. Denn es schreibt der Stimme des Dichters eine nährende Funktion zu. Darüber hinaus ist das Adjektiv aus der römischen Dichtungstradition als ein typisches Attribut der Venus bzw. in der christlichen Dichtung des einen Gottes bekannt. Es verbindet hier eine konkrete Bedeutung des „Nährens“ mit der übertragenen der Heiligkeit und attestiert der Stimme des Dichters eine Wirkung, die ihre Zuhörer ergötzt und auf diese Weise intellektuell nährt.31 Die Konnotation mit dem Göttlichen weist Dante den Status eines Dichterpropheten zu, der zwischen der göttlichen und der irdisch-menschlichen Sphäre vermittelt.32 In der Apostrophe Pyeridum vox alma eröffnet der Gelehrte seinen Brief folglich äußerst bildreich. Neben den genannten inhaltlichen Implikationen, die Dante die Rolle des Dichterpropheten zuschreiben, dient Giovanni auch die formale Gestaltung zur Inszenierung seines Adressaten und seiner selbst als Sender. Denn der bildreiche Sprachgebrauch weist seinen Brief gemäß der zeitgenössischen Rhetorik der Kategorie des hohen Briefstils zu. So identifiziert die ars dictandi den übertragenen Sprachgebrauch als modus transumptivus und erkennt darin ein Merkmal des erhabenen Stils in Rede, Brief und Dichtung.33 Indem Giovanni auf diese Weise einen Brief des erhabenen Stils verfasst, trifft er implizite Aussagen einerseits über sich als Verfasser des Brie-

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Zur Metonymie in der Bologneser Rhetorik siehe Bene da Firenze Candelabrum II 40. Für die Konnotation mit der Heiligkeit ThLL s. v. alma I. Albanese 2014, 1662 verweist im Zuge dessen auf die Anrede der Sibylle durch Aeneas als alma (Verg. Aen. VI 74). Sie erkennt hier eine Anspielung auf Mussatos Theorie der poetica theologia. Dass es sich bei dem Bild der nährenden Stimme des Dichters auch um ein rhetorisches Standardvokabular handelt, legt u. a. Galfrids Einleitung seiner Poetria Nova nahe. Die Stimme, die das Dichtwerk verkündet, nährt dort auch seine Zuhörerschaft (labor finalis, ut intret in aures / Et cibet auditum vox castigata modeste, ibid. Poetria Nova 84 f.). Andererseits empfiehlt er in seiner Poetria Nova auch die übertragene Verwendung eines Adjektivs als ein wirkungsvolles rhetorisches Mittel (ibid. Poetria Nova 908–912). Zur Speisemetaphorik in der Korrespondenz u. a. Heil 2003; Ott 2016. Zur Speisemetaphorik in Dantes Paradiso siehe Gibbons 2001. Der Begriff des vates versteht sich in antiker Tradition als „Prophet wie [und] als ein von göttlichem Geist inspirierter Dichter, der zwischen Himmel und Erde [vermittelt]“ (Holzberg 2007, 133). Zum vates im antiken Sinne siehe Dahlmann 1948; Newman 1967. Zusammenfassend siehe Bendlin 2006. In dem Paduaner Gelehrtenkreis ist der Begriff des vates Gegenstand gelehrter Diskussion. So verteidigt Albertino Mussato in einem Brief an einen Frater Ioannes von Mantova die Dichtung als christliche Theologie. Die nach den Maßstäben der lateinischen Rhetorik dichtenden Dichter sind dementprechend Gelehrte der Theologie, die die göttliche Wahrheit als vates verkünden (ed. Villani, 55). In Anknüpfung an Galfrid von Vinsaufs Lehre zählt Bene da Firenze zur transumptio zehn verschiedene Redefiguren, die nach ihrer gravitas unterschieden werden: Graviores equidem sunt iste quattuor: nominatio, pronominatio, permutatio, translatio. Minus gravitatis habent iste sex: denominatio, circuitio, transgressio, superlatio, intellectio et abusio (Bene da Firenze Candelabrum VII 28, 3 f.). Diese zehn colores retorici sorgen für eine besondere Erhabenheit der Rede und werden unter dem Begriff des ornatus difficilis subsumiert. Die anderen Redefiguren, die keine Formen des übertragenen Sprechens herstellen, gehören zum ornatus facilis. Zur transumptio siehe Forti 1967. Zur transumptio in Dantes Eklogenbriefen siehe Bregoli-Russo 1985.

Eine ehrfürchtige Anrede

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fes. Denn er weist sich als Gelehrten der lateinischen Dichtkunst und Dichter des erhabenen Stils aus.34 Andererseits gibt der Stil auch Auskunft über den Adressaten Dante. Denn die Brieflehre legt fest, dass ein Stil nicht nur nach den Kräften des Verfassers zu wählen ist, sondern auch in Abstimmung auf den Adressaten.35 Die poetische Anrede als Pyeridum vox alma (I 1) adressiert Dante somit auch formal als erhabenen Dichter und spricht ihm diese Rolle zu. Im Anschluss an die Apostrophe lässt Giovanni del Virgilio eine ausführliche Paraphrase der Commedia folgen und erwähnt so Dantes poetische Meriten (I 1–5). Damit erfüllt er eine weitere rhetorische Funktion des exordium, wie sie unter anderem Bene da Firenze in seinem Traktat fordert. Demgemäß muss das exordium den Adressaten geneigt stimmen, indem es dessen Verdienste lobend hervorhebt.36 Die Paraphrase der Commedia liest sich dementsprechend als eine captatio benevolentiae gegenüber Dante. Giovanni beschreibt, wie Dante mit seinen neuen Gesängen den Erdkreis streichelt, während er diesen mit belebendem Zweig zu erheben begehrt (novis qui cantibus orbem / mulces letifluum, vitali tollere ramo / dum cupis, I 1–3). Die cantus bezeichnen dabei die drei Cantiche von Dantes Commedia, das Inferno, das Purgatorio und das Paradiso (I 3–5). Wenn Giovanni die cantus novi nennt, spielt er dabei auf ihre volkssprachliche 34 35

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Dass der transumptive Modus die Ausdrucksform der Dichter ist, schreibt auch Dante in seiner Epistel an Cino da Pistoia, der den Inhalt, den er zuvor dichterisch darlegte, erläutert (Dante Epist. III 2). Vgl. Bregoli-Russo 1985, 36. Dass der Stil über die Fähigkeit und Absichten des Autors aussagt, zeigen die einleitenden Worte Bene da Firenzes zu den drei genera der Rede, die je nach Bildungsgrad des Verfassers angewandt werden (vgl. Fußnote II 20). Prominent fordert die Übereinstimmung zwischen Dichter und Stoff auch Horaz in der Ars poetica. Ein Dichter solle nur so viel auf seine Schultern nehmen, wie er tragen könne (Hor. Ars 38–40). Dante verwendet dieses Bild im Paradiso als eine Form der captatio benevolentiae, um das Versagen seiner Sprachkunst angesichts der göttlichen Vision zu entschuldigen (Dante Par. XXIII 61–66). Über die unterschiedlichen Qualitäten der Adressaten schreibt Galfrid von Vinsauf in seiner Brieflehre Summa de arte dictandi unter der Rubrik De diversitate personarum und konstatiert gemäß der drei rhetorischen Stilhöhen drei Qualitäten von Personen: Personarum alie humiles, alie mediocres et alie sublimes. Daraufhin gibt er ein erstes Beispiel einer salutatio rusticorum, die er durch die vergilischen Hirten Corydon und Melibeus repräsentiert, um daraufhin über die mittleren und erhabenen Adressaten zu sprechen, unter denen sich sowohl ungebildete Laien, als auch Gelehrte befinden (Galfrid von Vinsauf Summa de arte dictandi 3 f.). So zeigt sich zum einen, wie das Register stets adressatengerecht zu wählen ist. Zum anderen wird deutlich, wie sich in der rhetorischen Kategorisierung die literarische und die real-gesellschaftliche Konstruktion sozialer Kategorien überschneiden. Exordium est preambulus narrationi, affatus ad audiendum preparans animum auditoris. Per hoc enim docilitatem, benivolentiam, attentionem ab auditoribus comparamus. […] QUOMODO AB AUDITORUM PERSONA CAPTETUR BENIVOLENTIA. Ab auditorum persona captatur benivolentia si res eorum fortiter, sapienter, mansuete, magnifice dixerimus esse factas et que sit de illis existimatio (extimatio) vel si rei de qua tunc agitur que sit expectatio demostremus (Bene da Firenze Candelabrum IV 1, 2 f.; 6, 1 f.). Vgl. Albanese 2014, 1661. Die Paraphrase gilt den zeitgenössischen artes dictandi als rhetorischer color des ornatus difficilis (Galfrid von Vinsauf Documentum de arte versificandi II 3, 102) und Kennzeichen eines schmückenden, amplifizierenden Sprachstils. Vgl. Galfrid von Vinsauf Poetria Nova 226–240; ders. Documentum II 2, 11–16; Bene da Firenze Candelabrum II 41; Matthäus von Vendôme Ars versificatoria IV 21.

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Form an. Das Adjektiv novus steht im Gegensatz zum Modus der antiken Dichter, die in lateinischen Versen dichteten, und wird von der gelehrten Kultur Bolognas, wie oben gesehen, als minderwertig betrachtet. Giovanni wird sich diesem Urteil im Folgenden anschließen, sodass in dem Adjektiv bereits ein kritischer Unterton zu erkennen ist.37 Die subtile Kritik wird jedoch ummantelt von den positiven Effekten, die der Gelehrte Dantes Dichtung zuschreibt. So hebt das Prädikat mulces (I 2) die sanfte Wirkung von Dantes Gesängen hervor. Giovanni bedient sich dabei eines Begriffs, der in Dichtung und Rhetorik gängig für die erfreuliche Wirkung von Dichtung auf ein Publikum verwendet wird.38 Dass diese Wirkung den ganzen, vom Tode umflossenen Erdkreis betrifft (letifluus orbis, I 1 f.), spricht Dantes Dichtung zudem einerseits einen über die ganze Welt reichenden Ruhm zu.39 Andererseits spielt es auf den Inhalt seiner Commedia an, die die Wanderung der persona ‚Dante‘ durch die drei Jenseitsreiche besingt, die das irdische Diesseits umgeben.40 Die Betonung des Todes in dem Adjektiv letifluus wird durch das unmittelbar folgende Adjektiv vitalis antithetisch kontrastiert. Dies beschreibt einen Zweig, mit dem Dante den Erdkreis erheben würde (vitali tollere ramo, I 2). Giovanni gesteht Dante mit seiner Dichtung hier eine lebendige Kraft zu, die sein Publikum auf dem (diesseitigen) Erdkreis aufrichte.41 37

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Vgl. Stocchi 2012, 152. Auch Dante unterscheidet in seinem Traktat über die Redekunst in der Volkssprache die volkssprachlichen rimatori von den antiken poetae und empfiehlt, dass die volkssprachlichen Dichter, um formvollendet zu dichten, sich an dem Vorbild der antiken lateinischen Dichter orientieren sollten (Dve II 4, 3). Albanese 2014, 1662 erkennt in den Paragraphen IV–VI des zweiten Buchs von Dantes Traktat den grundlegenden Bezugspunkt von Giovanni del Virgilios Brief. ThLL s. v. mulceo II A 1 a α 1; B 1 a α. Für die Verwendung des Begriffs in rhetorischem Kontext vgl. Bene da Firenze Candelabrum I 14, 10. Vergil verwendet das Verb beispielsweise im Zusammenhang mit Orpheus (mulcentem tigris et agentem carmine quercus, Verg. Georg. IV 510). Bei dem Adjektiv letifluus handelt es sich um ein hapax, das aus der klassisch-antiken Literatur nicht belegt ist. Petoletti 2016, 516 f. mutmaßt eine Analogiebildung aus letifer und konstatiert ein häufiges Auftreten verschiedener Komposita mit -fluus bei mittelalterlichen christlichen Autoren. Den Begriff der persona verwende ich hier zur Unterscheidung des inszenierten Dante-Ichs von Dantes historischer Person, ohne dabei zwischen Dante autore und Dante personaggio zu differenzieren, wie beispielsweise Stierle 2017 es in Anknüpfung an Contini 1970 tut. Tollere lässt sich meiner Meinung nach am ehesten im Sinne einer rühmenden oder Mut spendenden Funktion lesen. Siehe OLD s. v. tollo 5c; 9a; 9b. Denn Giovanni beschreibt Dante hier in seiner Funktion als vates, der zwar in der ihm nach falschen Sprache dichtet, aber dennoch die Fähigkeit besitzt, den Menschen Mut zu spenden. So liest sich diese Äußerung in Verbindung mit Giovannis späterer Bitte, Dante solle mit einer lateinischen Dichtung tatsächlich die Mühen der Menschen lindern (Tange chelim, tantos hominum compesce labores, I 44). Die vitale Wirkung seiner Dichtung auf die Welt lässt sich Dante auch selbst in Par. XVII seiner Commedia attestieren. Dort spricht sein Urahn Cacciaguida von der lebenswichtigen Speise, die seine Dichtung der Menschheit bringe (Ché se la voce tua sarà molesta / nel primo gusto, vital nodrimento / lascerà poi, quando sarà digesta, Dante Par. XVII 130–132). Petoletti 2016, 517 vermutet die Bedeutung, Dante hebe die Welt zum Guten empor. Albanese 2014, 1637 hingegen erkennt im orbis letifluus die Jenseitsreiche, die Dante heraufbeschwöre (tollere). Dies scheint mir weniger überzeugend, da Giovanni sich auch im Folgenden auf die Wirkung des Dichters und seines (diesseitigen) Publikums bezieht und darüber debattiert.

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Der Zweig evoziert dabei zweierlei Bedeutungen. Denn er lässt sich zum einen abermals als rhetorischer Terminus lesen. Der ramus fällt in der Rhetorik im Kontext der ordo-Lehre. Galfrid von Vinsauf stellt die Option der chronologischen, natürlichen Erzählweise von Ereignissen der artifiziellen Reihenfolge gegenüber und verbildlicht dies mithilfe des Zweiges.42 Insofern evoziert der ramus an dieser Stelle die Ordnung von Dantes Werk, dessen drei Cantiche Giovanni daraufhin in chronologischer Reihenfolge aufzählt (I 3–5). Neben dieser rhetorischen Lektüre liest sich der Zweig inhaltlich als intertextueller Bezug zu einem antiken Hypotext, der für Dantes Commedia eine wesentliche Referenz darstellt: Im sechsten Buch der Aeneis, in der Vergil die Jenseitsreise des Aeneas besingt, muss dieser zunächst einen goldenen Zweig finden, um ihn der Königin der Unterwelt, Proserpina, zu überreichen.43 Gelingt es ihm, diesen zu pflücken, kann er in die Unterwelt hinabsteigen.44 Indem Giovanni del Virgilio Dante diesen heiligen Zweig zuspricht, suggeriert er, dass dieser wie Aeneas der Jenseitserfahrung würdig ist, die Dante anhand seiner Figur in der Commedia inszeniert. Doch hier ist der Zweig kein Geschenk für die Königin der Unterwelt, sondern Giovanni nennt ihn als Dantes Instrument zur Dichtung über das Jenseits, mit dem er die Welt der Lebenden rühmen kann (vitali tollere ramo, I 2). Auf diese Weise hebt Giovanni del Virgilio hervor, dass Dante sich – anders als Vergils Aeneas – in der Funktion des Dichters hervortut. Der Gelehrte lobt Dante folglich in dieser captatio benevolentiae für seine Taten als Dichter des Jenseits, als der er den Menschen seinen Dienst erweist. Den Inhalt dieser Dichtung fasst der Gelehrte in der folgenden Paraphrase zusammen (I 3–5). Darin beschreibt er die drei Cantiche Inferno, Purgatorio und Paradiso jeweils durch die dort geschilderten Seelenschicksale. Dante breite die Reiche des dreigeteilten Schicksals aus, die nach den Verdiensten der Seelen zugeteilt sind: Den Sündern der Unterweltsfluss Orcus, denjenigen, die nach den Sternen streben, die Lethe, und den Seligen die Reiche über der Sonne (evolvens triplicis confinia sortis / indita pro meritis animarum, sontibus Orcum / astripetis Lethen, epyphebia regna beatis, I 3–5). Nachdem bereits der Zweig eine implizite Anspielung auf den vergilischen Hypotext suggerierte, behält Giovanni auch hier die antikisierende Wortwahl bei. So 42

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Ordinis est primus sterilis, ramusque secundus / Fertilis et mira succrescit origine ramus / In ramos, solus in plures, unus in octo […] Sunt ita principii, studio rimante, reperti / Tres rami: finis, medium, proverbia; quartus / Exemplum. Sed et hic, sicut penultimis, in tres / Crescit. Ethis octo ramis stylus ipse superbit (Galfrid von Vinsauf Poetria Nova 101–103; 151–154). Darüber hinaus fällt in Albertino Mussatos Epistel an einen Venetianer Grammatiker eine ähnliche Wendung. Er spricht von dem warmen Zweig, aus dem der Balsam taut, von dem sich Tharsis ernährt (Albertino Mussato Epistola IV 5). Auch hier erhält der Zweig eine nährende Funktion. Zu Vergils Aeneis und Dantes Commedia siehe Heil 2002. Speziell zur Nachwirkung des sechsten Buchs der Aeneis bei Dante siehe Knittel 1971. Einen umfassenden Überblick über Vergil in Dantes Werk bieten Consoli/Ronconi 1984. Vgl. Verg. Aen. VI 137–148. Diese Verbindung zum goldenen Zweig des Aeneas stellt u. a. auch Albanese 2014, 1663 her.

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beschreibt er zwar mit den drei Jenseitsreichen ein Phänomen der christlichen Lehre. Wenn er die drei möglichen Schicksale der Seelen nach dem Tod durch ihre Verdienste (merita animarum, I 2) begründet, greift er auf die aus den theologischen Diskursen bekannten Jenseitsvorstellungen zurück.45 Um die Jenseitsreiche selbst zu beschreiben, bedient sich der Gelehrte jedoch eines Vokabulars, das verschiedene Episoden der klassisch-antiken Mythologie evoziert. So sind die triplicis confinia sortis (I 3), mit denen Giovanni die drei Jenseitsreiche meint, ein Zitat aus dem zwölften Buch der Metamorphosen Ovids.46 Dort wird die Behausung der Göttin des Gerüchts und des Ruhmes beschrieben, die den sprechenden Namen Fama trägt. Diese wohnt laut Ovid in der Mitte des Erdkreises zwischen Erde, Meer und Himmelssphären, auf der Grenzscheide der dreigeteilten Welt (triplicis confinia mundi, Ov. Met. XII 40),47 von wo aus man alles Geschehen der Welt hören kann. Giovanni verändert Ovids mundi zu sortis und bezieht die Formulierung damit speziell auf Dantes Commedia, in der dieser die drei Seelenschicksale (sortes animarum) bedichtet. Zugleich bringt der Gelehrte Dante jedoch durch das Ovid-Zitat mit der Göttin Fama in Verbindung und suggeriert, dass auch er über alles informiert sei, was auf der (in diesem Fall jenseitigen) Welt geschieht. Die Intertextualität unterstützt somit Dantes Inszenierung als vates, der in antiker Tradition das Wissen über die transzendente Weltordnung vermittelt. In ähnlicher Weise präsentiert Giovanni die christlichen Inhalte in klassisch-mythologischen Begrifflichkeiten, wenn er die Cantiche der Commedia paraphrasiert. So nennt er die Sünder des Inferno die sontes und greift damit auf die christliche Seelenlehre zurück.48 Die Hölle bezeichnet er jedoch der antiken Mythologie entsprechend als Orcus.49 Auch das Reich der zweiten Cantica nennt Giovanni mit einem Terminus der antiken Mythologie. So bezeichnet er das Purgatorio als Lethe (I 5). Diesen Fluss muss ‚Dante‘ in der Commedia wie alle Büßer am Gipfel des Läuterungsberges durchqueren, um anschließend ins himmlische Paradies aufsteigen zu können.50 Es fällt auf, dass Giovanni die zweite Cantica nicht etwa durch den Läuterungsberg repräsentiert,

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Albanese 2014, 1664 verweist hier auf Thomas von Aquin Super sententiis IV d. 45, q. 1, a. 3. Auch in der Epistel an Cangrande della Scala gibt der Verfasser den Inhalt der Commedia wieder als subiectum est homo prout merendo et demerendo per arbitrii libertatem iustitie premiandi et puniendi obnoxius est (Dante Epist. XIII 8). Vgl. Petoletti 2016, 518. Albanese 2014, 1664 sieht hier ebenfalls Giovannis Abstimmung der klassischen Umschreibung der Weltbereiche auf den christlichen Kontext der Commedia. Die Übersetzung als „Grenzscheide der dreigeteilten Welt“ übernehme ich aus der Übersetzung von Michael von Albrecht 2010, 703. OLD s. v. sons b. In der klassisch-antiken Literatur erscheint der Begriff ebenfalls im Sinne des Schuldigen. Besondere Nähe besteht zu Stat. Theb. I 56, der auch von den schuldigen Seelen spricht. Vgl. Petoletti 2016, 518. OLD s. v. Orcus 2. Vgl. Verg. Aen. VI 273. Als Ausdruck für die Hölle erklärt dies auch Uguccione da Pisa Derivationes O 39, 1 s. v. Orce grece, recipere latine, unde orcus –ci, infernus, quia semper paratus est recipere. Vgl. Albanese 2014, 1665. Vgl. Dante Pg. XXXI.

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sondern mit der Lethe eine Metonymie verwendet, die ebenfalls aus der klassischen Tradition bekannt ist. So erscheint sie als Unterweltfluss prominent im sechsten Buch der Aeneis. Auch hier müssen die Seelen der Verstorbenen diese durchschreiten, um das alte Leben zu vergessen und sich so auf ein neues Leben vorzubereiten.51 Die Seelen des danteschen Läuterungsberges wiederum bezeichnet Giovanni hingegen mit einem unklassischen Begriff als diejenigen, die nach den Sternen, also dem Paradieshimmel, streben (astripetis Lethen, I 5).52 Eine solche Mischung aus christlichem und antik-mythologischem Vokabular lässt sich schließlich auch in der Paraphrase der dritten Cantica beobachten. Den Seligen gelten die Reiche, die oberhalb der Sonne liegen (epyphebia regna beatis, I 5). Dies meint das Paradies, in dem Dante die Seelen innerhalb der verschiedenen Himmelssphären um Gott als Zentrum anordnet. Neben dem Begriff der beati, der auch in der christlichen Tradition die Seligen bezeichnet, steht dabei die mythologisierende Umschreibung des Himmels als Reiche über der Sonne.53 Das Adjektiv epyphebia weist hier durch die griechische Vorsilbe und die Personifikation der Sonne als Phoebus eine antikisierende Gestalt auf.54 Indem Giovanni das himmlische Paradies dabei als regna bezeichnet, hebt er zudem das Ende der Paraphrase auf ein besonders erhaben-königliches Niveau. Giovanni zählt die drei Jenseitsreiche folglich in einem antikisierenden Stil auf und lässt die Paraphrase der Commedia in episch-erhabenem Vokabular mit dem Paradies ausklingen. Im exordium seiner Epistel spricht er Dante als Dichter der Commedia an, die er als zwar neue Dichtung markiert, der er jedoch seine Wertschätzung ausdrückt.

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So erklärt es im sechsten Buch der Aeneis Anchises seinem Sohn Aeneas bei ihrem Treffen in der Unterwelt (Verg. Aen. VI 713–715). Das Adjektiv verwendet auch Dante in seinem rhetorischen Traktat über die Volkssprache De vulgari eloquentia. Dort bezeichnet er als astripeta aquila den kunstbeflissenen Dichter im Gegensatz zu den unfähigen Dichtern, die kunstlos wie Gänse schnattern (Dve II 4, 11). Vgl. Albanese 2014, 1665. Vgl. die Seligpreisung der Bergpredigt, in denen das Adjektiv in anaphorischer Wiederholung erscheint (Mt 5, 3–11). Aus der klassischen Literatur ist beatus ebenfalls mit ähnlicher Konnotation über das menschliche Leben, die Toten, aber auch göttliche Wesen bekannt. ThLL s. v. beatus I 1; I 2; I 4; I 5. U. a. Petoletti 2016, 518 erkennt hier einen Neologismus in Anlehnung an die mittellateinische Etymologie. So findet sich bei Uguccione da Pisa eine Erklärung zu beiden Wortbestandteilen. Ibid. Derivationes E 89, 1 s. v. epy grece, latine dicitur supra. Ibid. F 53, 1 s. v. fos grecum est et equivocum ad multa, quia fos idest lux vel ignis, et fos idest vox, et fos idest aer. 2 A fos quod est lux dictus est sol phebus, idest lucidus, et est adiectivum, unde Phebus Apollo, quasi lucidus. […] 7 […] Item a phebus phebius -a, -um. Auch Dante ruft in seiner Commedia Apoll als eine göttliche Instanz der Dichtung an (Dante Par. I 13–15). Seine tatsächliche Gotteschau beschreibt er hingegen mit Lichtmetaphern, die keine antike Form mehr aufweisen (Dante Par. XXXIII 124–126). Eine Identifikation der antiken Götterwelt mit den christlichen Vorstellungen, nimmt auch Albertino Mussato vor. In einem Brief an Frater Joannes von Mantua verteidigt er die Dichtung, indem er sie selbst als Theologie bezeichnet (Illa Ars est dicenda divina, quae a principio est dicta Theologia: sed Poetica est talis, ed. Villani, 54).

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Die christlichen Inhalte des Werkes beschreibt er dabei größtenteils durch Motive der klassisch-antiken Dichtung und stellt Dantes Werk auf diese Weise formal in die antike Dichtungstradition. Mit seiner Anspielung auf Vergils Aeneis deutet er zudem an, Dante als neuen Vergil anzuerkennen, der nun in der Tradition des sechsten Buchs der Aeneis über Unterwelt, Lethe und „überphoebische“ Reiche singt. Die Anspielung auf die ovidische Fama, Dantes Bezeichnung als nährende, den Erdkreis streichelnde Musenstimme sowie die Betonung der lebendigen bzw. Leben spendenden Wirkung seiner Dichtung schreiben dem Dichter dabei einen positiven Einfluss auf die irdische Menschheit zu. Giovanni präsentiert Dante als Dichterpropheten antiker Tradition, der den Menschen sein umfassendes Wissen über die transzendente Ordnung der Welt verkündet.55 Der Gelehrte zeigt sich in seiner captatio benevolentiae somit als Kenner von Dantes Dichtung, die er in erhabenen Worten wiederzugeben weiß. Im Anschluss an die lobende Anrede platziert Giovanni jedoch seine Kritik an Dante und schließt das exordium mit einer prägnanten Synthese seines Anliegens. Auf diese Weise unterrichtet er Dante über das Thema seiner Epistel. Auch damit hält sich der Gelehrte an ein konventionelles Ziel des exordium, nämlich den Leser docilis zu machen.56 Dazu überführt er den lobenden Beginn in die vorwurfsvolle Frage, warum Dante solch ernsthafte Dichtung stets dem Volk hinwerfen würde und diejenigen, die vor lauter Studium erblassten, nichts von ihm als Dichterprophet zu lesen bekämen (tanta quid heu semper iactabis seria vulgo, / et nos pallentes nichil ex te vate legemus, I 6 f.). Giovanni leitet hier die Problematik ein, auf die er seine folgenden Darlegungen und seine Argumentation aufbaut: Er problematisiert das Verhältnis von Dichtung und Publikum. Dabei stellt er das ungebildete Volk einer gelehrten Leserschaft gegenüber und beansprucht ernsthafte Dichtung (tanta seria, I 6) als Gegenstand der Gelehrten. Anhand der vorangehenden Paraphrase der Commedia (I 3–5) wird deutlich, dass diese in Giovannis Augen ebensolche ernsthaft-gelehrten Inhalte präsentiere. Der Gelehrte wirft Dante jedoch vor, gegen die rhetorische Konvention zu verstoßen, wenn er seine gelehrte Commedia dem Volk widme.

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Ein ähnlicher Begriff des vates geht aus den Schriften der Paduaner Gelehrten hervor. So wird sowohl aus Lovato dei Lovatis Epistel an Bellino Bissolo als auch aus Albertino Mussatos Schreiben an den Venetianer Grammatiker ein Bestreben nach einer Dichtung in der Nachfolge der antiken lateinischen Dichter erkennbar. Lovato spricht von den antiken Modelldichtern als vates, von ihrer Nachfolge als den veterum vestigia vatum (Lovato dei Lovati 87). Albertino Mussato argumentiert für die Gleichsetzung der Dichtung antiker Tradition mit der Theologie und spricht ebenfalls von den Dichtern als vates, deren Schläfen mit Lorbeer bekränzt werden und die so ewigen Ruhm erwerben (Albertino Mussato Epist. IV 50 f.). Vgl. Albanese 2014, 1661 f. spricht in diesem Zusammenhang von einer „poesia orfica“, als die Giovanni Dantes Dichtung beschreibt. Exordium est preambulus narrationi, affatus ad audiendum preparans animum auditoris. Per hoc enim docilitatem, benivolentiam, attentionem ab auditoribus comparamus (Bene da Firenze Candelabrum IV 1, 2 f.). Albanese 2014, 1665 will schon mit v. 6 die narratio der Epistel beginnen lassen. Meiner Meinung nach gehören vv. 6 f. jedoch noch zur einleitenden Vorstellung des Themas, das in der folgenden narratio (I 8–13) vertieft wird.

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Giovannis kritische Haltung geht aus der Formulierung deutlich hervor. So zeigt sich bereits an dem Prädikat iactabis (I 6), dass Giovanni es für eine Verschwendung hält, wenn Dante seine Commedia an das Volk wendet.57 Die Unvereinbarkeit von gelehrten Inhalten und dem volkstümlichen Publikum hebt er dabei durch die kontrastierende Aufeinanderfolge der Begriffe seria und vulgus hervor (iactabis seria vulgo, I 6). Der folgende Vers ist daraufhin dem gelehrten Publikum gewidmet. Die Bezeichnung der Gelehrten als Erbleichende (pallentes, I 7) suggeriert schon stilistisch ihre positive Bewertung durch Giovanni. Denn es handelt sich um eine weitere Figur des übertragenen Sprechens, in der die physische Wirkung des langen Studiums auf die Gesichtsfarbe metonymisch für die gelehrten Personen steht.58 Das Prädikat legemus (I 7) bezeichnet deren lesende Tätigkeit und hebt die Gelehrsamkeit der pallentes hervor. Erneut untermauert die stilistische Gestaltung der Epistel Giovannis rhetorisches Anliegen. Im Zuge der Trennung zwischen dem volkstümlichen, unwürdigen und dem gelehrten Publikum verortet Giovanni auch Dante und sich selbst. Durch das Personalpronomen nos identifiziert er sich eindeutig mit den Gelehrten (nos pallentes, I 7) und auch Dantes Zugehörigkeit zu den Gelehrten suggeriert er. Denn er spricht ihn als te vate (I 7) direkt an und positioniert diese Anrede dabei in demselben Vers, der die Gelehrten beschrieb. So legt er durch die Verskonstruktion Dantes Gelehrsamkeit und damit eine natürliche Gemeinsamkeit mit den pallentes nahe. Mit dem Begriff des vates deklariert Giovanni darüber hinaus, in welcher Funktion und Rolle er Dante mit seinem Schreiben adressiert. Denn er fasst in einem Wort explizit zusammen, was die anfängliche Apostrophe als Pyeridum vox alma (I 1) und die Umschreibung Dantes poetischer Meriten bereits nahelegte: Dante erscheint hier als vates im Sinne eines Dichterpropheten, der transzendente Weisheit in der Tradition Vergils verkündet. In dem exordium (I 1–7) beginnt Giovanni del Virgilio folglich in konventioneller Weise mit der lobenden Anrede seines Adressaten, um ihn auf diese Weise benevolens zu stimmen. Darüber hinaus macht er Dante docilis, indem er sein Hauptanliegen mit zwei Versen in nuce ankündigt, nämlich seine Kritik, dass Dante seine gelehrte Dichtung nicht an die Gelehrten, sondern an das Volk richte. Neben diesen expliziten Äußerungen unterrichtet die formale Gestaltung den Leser implizit über die Voraussetzungen, auf denen der Gelehrte seine folgenden Ausführungen aufbauen wird. Denn Giovanni inszeniert Dante als Dichterpropheten, der die antike Tradition weiterführt. Dabei konstatiert er zwar einen vermeintlichen Zustand, drückt jedoch vielmehr das

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Vgl. ThLL s. v. iacto II C. Galfrid von Vinsauf nennt diese Form der transumptio unter der Rubrik des Effekts für die Ursache (ibid. Poetria Nova 973–977). Auch Dante verwendet das Bild der Blässe in der Commedia metonymisch als Folge gelehrten Studiums. Dort steht es jedoch unter den Vorzeichen der Unsagbarkeit angesichts der Schönheit Beatrices, an deren Beschreibung jede gelehrte Rhetorik scheitert (Dante Pg. XXXI 140–145). Vgl. Albanese 2014, 1666.

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Bild aus, dem Dante nach seinem Wunsch entsprechen solle. Die Gestaltung der Epistel erweist sich somit von vorneherein als gezielte rhetorische Inszenierung, die dazu dient, Dante als gelehrten Dichter der lateinischen Sprache zu gewinnen. Darüber hinaus kündigt Giovanni die Bewertungskategorien seiner Argumentation und seine eigene Position an, indem er einerseits das Volk als unwürdigen Adressaten ernsthafter Dichtung einem gelehrten Publikum gegenüberstellt und andererseits Dante mit seiner Commedia und sich selbst als Teil der gelehrten Seite inszeniert. In emotionaler Weise (heu, I 6) wirft er Dante so stellvertretend für das Gelehrtentum einen Verstoß gegen die rhetorische Norm vor, Autor, Dichtung und Adressaten aufeinander abzustimmen. Diese Inszenierungen und die Argumentationsstrategie, die sich in Giovannis exordium ankündigen, lassen dabei Rückschlüsse auf die rhetorische Tradition des Gelehrten zu. Denn intertextuelle Bezüge weisen Modelltexte aus, auf deren Basis er seinen Standpunkt entwirft und somit implizit legitimiert. Das poetologische Anliegen und die Kritik, Dante würde gegen die rhetorische Norm der Entsprechung von Autor, Dichtung und Publikum verstoßen, stellt die Epistel zunächst grundsätzlich in die Tradition der Ars poetica des antiken Dichters Quintus Horatius Flaccus (65–8 v. Chr.). Der Text ist seit der Antike als poetologisches Lehrprogramm gültig und hat auch zur Zeit der Korrespondenz zwischen Giovanni del Virgilio und Dante den kanonischen Status einer poetologischen Autorität. Dass Giovanni ihn als Modelltext verwendet, legte bereits die Form nahe, da er in seinem Schreiben an Dante wie Horaz ein poetologisches Programm in hexametrischer lateinischer Form und zudem in Briefform autoritativ vertritt.59 Neben der formalen Parallele findet sich an dieser Stelle der Epistel eine explizite thematische Entsprechung zu Horaz. Denn in Giovannis Forderung, Dante möge als Dichter das angemessene Verhältnis zwischen Dichtung und Publikum beachten, klingt ein Passus aus der Ars poetica (202–250) an. Darin skizziert der antike Dichter die Entwicklung der drei poetischen Gattungen Tragödie, Satyrspiel und Komödie und thematisiert auch ihren poetischen Stil.60 Horaz konstatiert dabei für die Tragödie ein königliches Personal, das dementsprechend in einer erhabenen Sprache und Umgebung gezeigt werden solle. Er mahnt, dies von dem Personal des Satyrspiels und der Komödie zu trennen, das sich durch einen sermo humilis auszeichne und in finsteren 59 60

Vgl. Villa 2010, 142. Horaz deutet dabei an, dass Komödie und Satyrspiel erst zusätzlich zur Tragödie erfunden wurden, um die Aufmerksamkeit eines zügellosen Publikum zu erhalten (Hor. Ars 220–224). Die mittellateinische Stillehre erklärt diese Ausführungen zur Norm. Sie deutet das Satyrspiel als Satire und leitet daraus die Trias aus Tragödie, Satire und Komödie ab, die sich durch ein jeweis erhabenes, mittleres oder niederes Personal auszeichnen, die wiederum einen bestimmten sprachlichen Stil erfordern. Die Tragödie wird somit mit der eigentlich elocutionellen Kategorie des stilus humilis, die Satire als stilus medius und die Komödie als Repräsentantin des stilus humilis identifiziert. Zur antiken Stillehre und ihrer Entwicklungen im Mittelalter siehe v. a. Quadlbauer 1962.

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Tavernen verkehre.61 Bei der Diskussion der Gattungen und des angemessenen Sprachstils des poetischen Personals bezieht Horaz schließlich auch das Publikum mit ein. Denn bei einem Verstoß gegen diese Konventionen würde das gebildete Publikum aus der Oberschicht Anstoß nehmen, die ja ein anderes Verständnis von Dichtung hätten als der einfache Mann aus dem Volke. Deren Urteil sei ausschlaggebend, da es auch sie seien, die den Dichter schließlich durch den Lorbeerkranz belohnen könnten.62 Horaz postuliert in der Ars poetica folglich den Zusammenhang zwischen der poetischen Gattung und der moralischen sowie sozialen Qualität ihres Personals, die sich je im Sprachstil der Dichtung spiegele. Darüber hinaus deutet er einen Zusammenhang zwischen dem Personal der Dichtung und dem Publikum an, die er beide in eine gebildete Oberschicht und ein ungebildetes einfaches Volk unterteilt. In der mittelalterlichen Stillehre wird diese horazische Zuordnung rege rezipiert und zu normativen Kategorien definiert, die durch den Dichter einer jeweiligen Gattung eingehalten werden müssen. Die poetische Gattung wird demzufolge vor allem an der moralischen und sozialen Qualität des auftretenden Personals definiert und dem in der Dichtung behandelten Material. Franz Quadlbauer (1962) spricht in seiner Untersuchung zu der Entwicklung der antiken genera dicendi daher von einem materiellen Stilbegriff, der die mittelalterliche Poetik präge. Dieser setze sich gegenüber dem Stilbegriff der antiken Rhetorik durch, der vor allem an der stilistischen, elocutionellen Ausgestaltung eines Werkes festgemacht werde.63 61

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Horaz empfiehlt, der Dichter solle so zwischen dem Ernst der Tragödie und dem Spiel der Komödie und des Satyrspiels unterscheiden, dass der Gott oder Heros der Tragödie noch immer in königlichem Habitus erkennbar bleibe und nicht in ein niederes Sprachregister und finstere Tavernen abkomme (Hor. Ars 226–230). Als Beispiel nennt Horaz das Personal des Satyrspiels, das der Gattung angemessen sprechen solle, um nicht den Unmut der Zuhörerschaft aus der gebildeten Oberschicht zu erwecken (Hor. Ars 244–250). Laut Quadlbauer 1962, 160 f. entwickelt sich diese Auffassung auf der Basis der Rhetorica ad Herennium, der horazischen Ars poetica und der Tradition der spätantiken Vergilkommentare durch Servius etc. „Diese Quellenelemente suggerieren für das mittelalterliche Denken, das an dialektische Exaktheit gewöhnt ist und auch den Stilbegriff möglichst rational faßbar und konkret machen will, im Gegensatz zur klassischen, elocutionellen Auffassung: Eine bestimmte Art des Stoffes verlangt eine bestimmte Stilart; die Stilarten sind Typen der elocutio, die man nach dem Gesetz des decorum für den gegebenen Stoff wählt; die mittelalterliche, materielle: Der Rang des sprachlich dargebotenen Stoffes (der Rang der behandelten materia = res et personae) konstituiert an sich schon den Rang (erhaben, mittel, schlicht) des stylus, die Stilart. Die Stilarten sind sprachlich dargebotene Stofftypen, in denen die einzelnen res durch die ihnen „eigenen“ Worte bezeichnet werden. Der stylus ist eben ein stylus materiae (Galfrid § 44, 1), die figura (genus) ist die qualitas rei […]. Von einer eigenständigen ästhetischen Qualität der elocutio, die für die Abgrenzungen der einzelnen Stilarten relevant wäre, ist in den Definitionen der styli nicht die Rede. Die elocutio wird nur als accidens des Stoffes betrachtet, als ein Bezeichnen der res mit den ihnen „zukommenden eigenen“ Worten […]. Die elocutio in dieser Sicht ist natürlich allen Stilarten eigen und hat daher keine stilartenabgrenzende Qualität. […] Da so die elocutio immer nur die Eigenschaft „dem Stoff zugehörig“ hat, bestimmt man den Rang des Stils nach dem der Personen und Dinge, von denen die Rede ist: Sprechen von erhabenen Personen und Dingen ist erhabener Stil etc.“ Quadlbauer hebt

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Bei den Bewertungskategorien, die Giovanni del Virgilio in seinem exordium (I 6 f.) präsentiert, klingt diese materielle Rhetoriktradition an, wenn er die Einheit von Adressat, Dichtungsinhalt und Publikum fordert. Den intertextuellen Bezug zu der genannten Stelle aus Horaz’ Ars poetica lässt zudem der Begriff der seria vermuten, mit der Giovanni Dantes Commedia als ernsthafte Dichtung bezeichnet (I 6). So identifiziert Horaz die seria mit der Gattung der Tragödie, die königliche Götter und Heroen darbiete, und stellt sie der Gattung der Komödie und des Satyrspiels gegenüber, die er als ludus bezeichnet und die sich durch den Scherz auszeichnen.64 Was Horaz jedoch vor allem als Abhängigkeitsbeziehung zwischen einer Gattung und ihrem Personal darstellt, bezieht Giovanni del Virgilio in seinem exordium sogleich auf die Beziehung zwischen der Dichtung und ihrem Publikum. Die seria (I 6), mit denen Giovanni in horazischer Manier Dantes Commedia als erhaben-tragischen Stoff identifiziert, teilt er dementsprechend allein einem gelehrten Publikum zu. So wie Horaz das erhaben-königliche Personal der Tragödie dem niederen Personal der Komödie gegenüberstellt, steht zudem bei Giovanni das erhabene Publikum der gelehrten pallentes dem gemeinen vulgus gegenüber. Schon zu Beginn des Briefes deutet sich somit an, wie der Gelehrte in seiner Argumentation auf konventionelle Kategorien der Rhetorik zurückgreift, um seine poetologischen Vorstellungen gegenüber Dante zu formulieren. Er wendet diese dabei nicht nur auf poetische Phänomene an, sondern macht sie fruchtbar, um eine soziale Realität zu inszenieren.65 So erklärt er mit Horaz’ autoritativer Unterstützung das gelehrte Publikum zum Pendant einer tragisch-erhabenen, seriösen Dichtung. Dies grenzt er von einem volkstümlichen Publikum ab, das durch die Ars poetica wiederum vor allem mit den Gattungen der Satire und der Komödie und deren iocositas und ludus assoziiert ist. Die Verachtung eines ungebildeten Publikums, die Giovanni del Virgilio auf diese Weise ausdrückt, findet als literarisches Motiv auch zeitgenössische Vorbilder. So ist die Mahnung an Ungelehrte, sich mit einem schwierigen gelehrten Stoff auseinan-

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dabei hervor, dass es dies v. a. in der Theorie gelte, aber in der Dichtungspraxis durchaus ein „Gefühl vorhanden [ist], auch die elocutio habe eine eigenständige, für die Stilabgrenzung relevante Qualität.“ Zur Stillehre im Mittelalter siehe auch Curtius 1952. Zur materiellen Stildefinition im (französischen) Mittelalter siehe Kelly 1974. So beschreibt Horaz, dass der Dichter, als er zu seiner Tragödie die Komödie und das Satyrspiel erfand, darauf achtete, dass er die Erhabenheit der Tragödie durch den Witz unversehrt ließ (carmine qui tragico vilem certavit ob hircum, / mox etiam agrestis satyros nudavit et asper / incolumi gravitate iocum temptavit, Hor. Ars 220–222). Dabei soll der Ernst der tragischen Figuren gegenüber dem Satyrspiel und der Komödie erhalten bleiben (ita vertere seria ludo, / ne, quicumque deus, quicumque adhibebitur heros, / regali conspectus in auro nuper et ostro, / migret in obscuras humili sermone tabernas, Hor. Ars 226–229). Vgl. Krautter 1983, 27; Albanese 2014, 1665 f. Genauere Verweise auf Horaz’ Ars poetica nimmt sie erst anhand der narratio vor. Sie hebt zudem ebenfalls hervor, dass die poetologische Debatte hier auf der Lehre der drei Stile aufgebaut sei, ohne jedoch im Detail auf die Inszenierungsstrategien einzugehen.

Eine ehrfürchtige Anrede

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derzusetzen, ein gängiges Motiv gelehrter Dichtung. Der einflussreiche französische Theologe und Dichter Alain de Lille (ca. 1120–1202) stellt beispielsweise seinem theologischen Epos Anticlaudianus einen Prolog voran, in dem er diejenigen vor der Lektüre warnt, die sich entweder noch mit den niederen Disziplinen der artes beschäftigen oder grundsätzlich zu einfältig und daher unwürdig seien, um ein solch komplexes Werk zu verstehen. Auch Dante warnt zu Beginn des Paradiso diejenigen Leser, die nicht fähig sind, seinen Ausführungen über die Himmelssphären zu folgen.66 Darüber hinaus dienen der Begriff und das Wortfeld des vulgus im rhetorisch-theoretischen Kontext dazu, ein niederes rhetorisches Niveau, wenn nicht gar fehlerhafte rhetorische Phänomene zu bezeichnen. So zählt Bene da Firenze im vierten Buch seines Candelabrum unter die acht Fehler, die in der Abfassung eines exordium geschehen können, einen zu gemeinen Ausdruck. Er beschreibt ihn als ein vulgare, das sogar ein Unkundiger (idiota) herstellen könnte.67 Einführend definiert Bene da Firenze zudem die Volkssprache als genus rithmicum der Schriftsprache und diskreditiert dies als Zeichen einer mollities vulgaritatis, die zu seiner Zeit Einzug in das dictamen halte. Er fügt hinzu, dass dieses genus zu keiner Zeit in formvollendeten Werken zu finden sei.68 In der rhetorischen Theorie des Bologneser Umfeldes bezeichnet das Adjektiv vulgaris somit einerseits eine niedere und zum Teil als solche negativ bewertete Stilkategorie. Andererseits dient es als Kategorie der sprachlichen Unterscheidung zwischen Latein und volgare als Schriftsprache, in der sie Bene da Firenze als unerhaben ablehnt.69 Die Identifikation der Volkssprache als Medium des ungebildeten vulgus findet zudem Beispiele in Schriften des Paduaner Gelehrtenkreises. So drückt Lovato dei Lovati gleich zu Beginn der besagten Versepistel an Bellino Bissolo seine Verachtung für die volkssprachliche Rezitation eines Epos aus, das dem einfachen Volk gefalle, aber durch die barbarischen Laute der Volkssprache entstellt werde. Lovato impliziert hier das problematische Missverhältnis zwischen einem erhaben-epischen Inhalt, der zuerst durch die volkssprachliche Darbietung entstellt und darüber hinaus auf diese Weise 66 67

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Vgl. Alanus ab Insulis Anticlaudianus, prol. 5–8; Dante Par. II 1–6. Vitia exordiorum sunt octo, scilicet vulgare, commune, mutabile in contrarium, nimis aparatum, nimis longum, translatum, separatum et inefficax. Illud est vulgare quod in plures causas accommodari potest, ut: ‚Deum atque hominum fidem testor, quia foveo rationem‘. Sic posset ordiri quilibet idiota (Bene da Firenze Candelabrum IV 15, 2 f.). Als Attribut, das den niederen Schreibstil bezeichnet, verwendet er neben humilis und infimus auch das Adjektiv pervulgatissimus. Hier ist es jedoch nicht im negativen Sinne gemeint, sondern beschreibt bewertungsneutral einen niederen Stil, der sich der gewöhnlichen Alltagssprache bedient (Candelabrum V 4, 2 f.). Inter hec tria genera, primum naturaliter est prosaicum, ipso quidem cum idiomate convenientiam magnam habens; unde ad imperitos et simplices dicitur pertinere. Sed metricum fuit causa peritorum inventum, quod totam gramaticam valde rectificat et prosaico dictamini multum venustatis contulit et honoris. At rithmicum nostri temporis a mollitie vulgaritatis processit, unde numquam in bonis et perfectis operibus invenitur (Bene da Firenze Candelabrum III 1, 17–19). Zur Bezeichnung der Volkssprache verwendet sie Giovanni del Virgilio selbst zudem in dem Grabepitaph für Dante, das Boccaccio in seiner Dante-Vita überliefert. Darauf macht u. a. Albanese 2014, 1666 aufmerksam.

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Giovanni del Virgilio an Dante

einem unwürdigen, ungebildeten Publikum preisgegeben werde. Ähnlich suggeriert Giovanni del Virgilio in seiner Epistel, dass Dante seine ernsthafte Dichtung einem unwürdigen volkstümlichen Publikum vorwerfe (I 6 f.).70 Auch in den Briefen des Paduaners Albertino Mussato zeigt sich ein entsprechendes Phänomen. In einer Epistel an einen Venezianer Grammatiker berichtet er von der Dichterkrönung, die ihm Padua für seine Tragödie Ecerinis verliehen hat. So sei er zum Dichter nach der antiken Art (antiquis modis) erklärt worden und spricht daraufhin in abschätziger Weise von dem nichtigen Volk, das ebenfalls für dieses Schicksal bereit gewesen sei.71 Albertino Mussatos sowie Lovatos Epistel bezeugen folglich, wie sich ein Gelehrtentum über seine Kenntnisse der (lateinisch-) antiken Tradition als erhabene Dichterklasse definiert und von dem Volk abgrenzt, das mit Begeisterung aber ohne Verständnis all das rezipiert, was ihm geboten wird. Giovanni del Virgilios Unterscheidung zwischen gelehrter Klasse und ungebildetem vulgus und seine Zuordnung ernsthafter Dichtung zu den Gelehrten ähnelt somit den zeitgenössischen Diskursen. Das exordium seiner Epistel lässt erkennen, dass er an eine bestehende Tradition anknüpft, die in antikisierender Weise ein Ideal erhabener Gelehrsamkeit anstrebt und sich dabei von einer volkstümlich niederen Kultur und Dichtung abgrenzt.72 Wie die verbalen und motivischen Intertextualitäten und Parallelen zu Horaz, Bene da Firenze, aber auch zum Paduaner Gelehrtenkreis zeigen, entwirft Giovanni eine soziale Realität auf der Basis literarischer Motive und rhetorischer Kategorien, sodass sich in seiner Epistel von einer soziopoetologischen Inszenierungstrategie sprechen lässt.

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Vgl. Lovato dei Lovati Epist. II 1–10 (in der Edition von Ludwig 1989). Vgl. Velli 1981, 156 f. auf den Beginn von Lovatos Epistel. Albanese 2014, 1669 weist ebenfalls darauf hin, dass Giovanni in seiner Epistel die Position Lovatos einnehme, wenn er für die Überlegenheit der lateinischen über die volkssprachliche Dichtung plädiere und sich dabei auf die Autorität des Horaz berufe. Moribus antiquis sibi me fecere Poëtam, / Hisque fatis promptum Vulgus inane fuit (Albertino Mussato Epist. IV 13 f.). Dass es sich bei der volkstümlichen ungebildeten Kultur ebenfalls um eine gelehrte Inszenierung handelt, zeigt Marti 1953. Marti 1953, 17 f. hebt hervor, dass sich auf der Basis der antiken komischen Literatur auch eine Rhetorik des Komischen etabliert habe, die einen alltäglichen, realistischen bis zu obszönen Sprachgebrauch mit einem deutlichen stilistischen Bewusstsein einsetzt und sich durch einen „desiderio di opporre, o di giustaporre, agli schemi e alle immagini „tragiche“ schemi ed immagini „comiche““ auszeichnet. Dabei setzen die komischen Dichter der erhabenen platonischen Ideenwelt in einem „entusiasmo della vita terrena e nella sublimazione dei godimenti del mondo“ eine Welt der alltäglichen Realität entgegen. Dass es sich bei dieser volkstümlich-komischen Literatur um eine ebenso rhetorisch standardisierte und gelehrte Gattung handelt, beweisen die Ausführungen der Poetiken und Rhetoriken. Marti verweist u. a. auf Matthäus von Vendôme, der in seiner Ars versificatoria verschiedene Prototypen der Dichtung vorstellt. Darunter befindet sich auch die komische Figur Davus (Matthäus von Vendôme Ars versificatoria I 53 f., in: Faral 1962, 125 f.), die sich durch ihre besondere Hässlichkeit und Niederträchtigkeit auszeichnet und damit das gezielte Gegenteil der zuvor beschriebenen erhabenen, epischen Figuren Ulysses (ibid., I 52) und Caesar (ibid., I 51) darstellt. Dies zeigt umso deutlicher, wie Giovanni sich innerhalb der rhetorischen Tradition einem erhabenen Stilideal anschließt, dessen Abgrenzung von einem komisch-niederen Ideal bereits ein standardisiertes Motiv darstellt.

Nicht für Idioten – Dantes Commedia und das vulgus

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2. Nicht für Idioten – Dantes Commedia und das vulgus In den letzten beiden Versen des exordium formulierte Giovanni del Virgilio bereits das Kernproblem, mit dem er Dante in der Epistel konfrontieren wird, nämlich die Inkongruenz zwischen Dichter, Dichtung und Publikum. In der folgenden narratio (I 8–13) führt er diese Problematik nun weiter aus und legt ausführlich die Umstände dar, die als Grundlage seiner späteren Argumentation dienen werden.73 Ante quidem cythara pandum delphyna movebis, Davus et ambigue Sphyngos problemata solvet, Tartareum preceps quam gens ydiota figuret et secreta poli vix experata Platoni, que tamen in triviis nunquam digesta coaxat comicomus nebulo, qui Flaccum pelleret orbe.

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[I 8–13]

Um die Inkongruenz zwischen dem ungebildeten Volk und Dantes gelehrter Dichtung darzulegen, entwirft der Gelehrte zuerst zwei Vergleiche in Form von Adynata, die er auf die Kommunikationstrias zwischen Dante als gelehrtem Sender, der Commedia als gelehrter Botschaft und dem ungebildeten Volk als Empfänger überträgt: Eher werde Dante mit der Kithara den gebogenen Delphin bewegen und eher werde Davus die Fragestellungen der vieldeutigen Sphinx lösen (Ante quidem cythara pandum delphyna movebis, / Davus et ambigue Sphyngos problemata solvet, I 8 f.), als dass sich das ungebildete Volk den Abgrund des Tartarus vorstellen könne und die Geheimnisse des Himmelspols, denen Platon kaum auf den Grund gehen konnte (Tartareum preceps quam gens ydiota figuret / et secreta poli vix experata Platoni, I 10 f.). Weiterhin fällt der antikisierende Duktus auf. Giovanni wählt für seine Darlegungen Figuren der antiken Literaturtradition, die er in Zweierkonstellationen opponiert und mit Dante in Verbindung stellt (movebis, I 8). Das erste Adynaton spielt auf den Mythos des Sängers Arion an. Diesen rettet seine Musik, als er bei einer Seereise über Bord geworfen wird. Indem er seine Kithara anstimmt, bringt er einen Delphin dazu, ihn sicher ans Ufer zu bringen.74 Der Gelehrte assoziiert Dante mit dem mythischen

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Bene da Firenze erklärt entsprechend, dass es sich bei der narratio um die Darlegung von Taten oder vermeintlichen Taten handele (Narratio est rerum gestarum aut proinde ut gestarum expositio. Aliquando enim res gestas, aliquando non gestas exponimus, que tamen veniunt ad narrationis officium quasi geste, Bene da Firenze Candelabrum IV 19, 2). Den Mythos überliefert in der antiken lateinischen Literatur Ov. Fast. II 83–118. Auf verbale Ähnlichkeiten zum ovidischen tergo delphina recurvo (Ov. Fast. II 113) macht u. a. Petoletti 2016, 519 aufmerksam. Er verweist zudem auf eine Erwähnung in Vergils achter Ekloge, in der auch Adynata aufgezählt werden, die mit der Erwähnung von Orpheus und Arion enden (sit Tityrus Orpheus, / Orpheus in siluis, inter delphinas Arion, Verg. Ecl. VIII 55 f.). Cecchini 1971, 29 deutet an, dass diese Zeile Dante zu einer bukolischen Antwort inspiriert haben könnte.

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Giovanni del Virgilio an Dante

Sänger und gesteht seiner Dichtung somit implizit eine wundersame Wirkung zu. Der Delphin wird entsprechend zum Pendant der gens ydiota: So wie ein Delphin von Natur aus unmusikalisch ist, sei es auch das einfältige Volk.75 Die Form des Adynaton lässt dabei das Volk sogar noch unmusikalischer erscheinen als den Delphin. Giovanni attestiert Dantes Unternehmung, seine Dichtung an das Volk zu wenden, auf diese Weise eine unbedingte Aussichtslosigkeit.76 Das zweite Adynaton (9 f.), das Giovanni anbringt, fokussiert nicht mehr Dante als erfolglosen Sender einer dichterischen Botschaft, sondern stellt die Situation um den Empfänger ins Zentrum. Mit Davus und der Sphinx wählt der Gelehrte erneut literarische bzw. mythologische Figuren, die er zu einem irrealen Vergleich heranzieht, um die Unfähigkeit des vulgus angesichts gelehrter Themen zu exemplifizieren (Davus et ambigue Sphyngos problemata solvet, I 9). Davus, den das Adynaton als außerstande zeigt, die Fragen der Sphinx zu lösen, ist dabei mit der gens ydiota zu identifizieren. Die problemata der Sphinx stehen für einen gelehrten, komplizierten Untersuchungsgegenstand. Mit der gräzisierenden Form problemata, wie auch schon mit dem griechischen Akkusativ delphyna, verleiht Giovanni dem Gegenstand auch formal eine besonders gelehrte Konnotation. Zudem trägt der Begriff problema gemäß der zeitgenössischen Etymologien die Bedeutung einer schwierigen questio und erscheint insofern auch eindeutig als Untersuchungsgegenstand gelehrten Interesses.77 Darüber hinaus assoziieren die Figuren Davus und die Sphinx jeweils literarische Kontexte, die der Gelehrte für seine poetologische Argumentation fruchtbar macht. So ist Davus eine Sklavenfigur der antiken Komödie, der in dem Stück Andria des Komödiendichters Publius Terentius Afer (ca. 195–159 v. Chr.) auftritt. Zudem gilt Davus als Prototyp der Komödienfigur. Denn bereits Horaz wählt ihn in seiner Ars poetica exemplarisch als komisches Personal, das sich in seinem niederen Charakter und Sprache von dem mittelmäßigen Personal des Satyrspiels unterscheiden solle. Als solcher 75

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Auch in diesem Vergleich mit dem Kitharaspieler deuten sich Giovannis Anleihen in der Bologneser Rhetorik an. So vergleicht Bene da Firenze in seinem Candelabrum das aussichtslose Unterfangen, einem ungebildeten Publikum mit schmuckreicher Rhetorik zu begegnen, mit dem Versuch, einen Tauben mit der Kithara zu bewegen. (Tamen, cum rudibus aut ydiotis scribitur, sufficit ut sit congrua, quoniam ad appositionis hornatum imperitus non aliter quam surdus ad citharam commovetur, Bene da Firenze Candelabrum VI 2, 5). Giovanni aktualisiert das Bild aus der Rhetorik als poetisches, antik-mythologisches Motiv für seine Argumentation. Giovannis Hinweis auf das unpassende Verhältnis zwischen erhabener Dichtung und den Ungebildeten entspricht einem Passus aus Dantes rhetorischem Traktat über die Volkssprache. Dort schmäht Dante ebenfalls die ydiotae, die nichts als Lachen hervorrufen würden, sobald sie sich als Dichter versuchen (Pudeat ergo, pudeat ydiotas tantum audere deinceps ut ad cantiones prorumpant: quos non aliter derimus quam cecum de coloribus distinguentem, Dante Dve II 6, 3). So Albanese 2014, 1668. Zum ydiota siehe Uguccione da Pisa Derivationes I 31, 4 s. v. idiota -e idest illitteralis vel illitteratus, quasi divisus a litteris, idest indoctus, insipiens. Vel componitus ab idus et ota, quod est auris, inde idiota, quasi dividus ab aure, quasi qui quod audit non intelligit. Vel idiota ab ydios, quod est proprium, et ethis, quod est mos, qui proprium morem sue terre ignorat. Vgl. Uguccione da Pisa Derivationes P 156, 1.

Nicht für Idioten – Dantes Commedia und das vulgus

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Typus einer komischen Figur übernimmt ihn auch der französische Gelehrte Matthäus von Vendôme (12. Jahrhundert) in seinem einflussreichen Poetiktraktat Ars versificatoria und stellt die Figur des Davus ausführlich in ihren schlechten Eigenschaften vor, mit denen er zu den zuvor beschriebenen heroischen Figurentypen Caesar und Ulysses in Kontrast steht.78 Die Sphinx hingegen stammt aus dem tragischen Mythos um König Ödipus. Diesem gelingt es, die Stadt Theben von der monströsen Sphinx zu befreien, die jedem Passanten ein kompliziertes Rätsel stellt und den verschlingt, der es nicht löst. Allein Ödipus kann ihre Frage beantworten und erlöst auf diese Weise die Stadt, da sich das Monster ins Meer stürzt. Die Gegenüberstellung von Davus und dem Ödipus-Mythos, die Giovanni an dieser Stelle vornimmt, ruft dabei ein Zitat der Terenz-Komödie Andria auf. Dort spricht der Sklave Davus die Worte Davos sum, non Oedipus (Ter. Andr. 194) und beteuert damit seine Unwissenheit über die in der Komödienhandlung geschilderten Verhältnisse.79 Ödipus steht dort zum einen repräsentativ für die Klugheit, mit der er laut dem tragischen Mythos die Frage der Sphinx beantwortet. Zum anderen haben die Worte einen komischen Effekt durch die metapoetische Selbstreflexion des Sklaven, der sich als Figur einer Komödie mit dem König einer Tragödie vergleicht. Auf diese Weise kokettiert Davus nicht nur mit seiner intellektuellen Unterlegenheit, sondern impliziert auch, die metapoetischen Kategorien zu kennen, wonach die Tragödie mit ihren ernsten Themen und dem königlichen Personal als erhabener gilt als die Komödie mit ihren einfachen Figuren und alltäglichen Situationen. In dieser metapoetischen Funktion ist das Terenzzitat für Giovanni del Virgilios Argumentation interessant. Denn er verwendet sowohl Davus als traditionellen Typus der komischen Figur, als auch den Ödipus-Stoff als repräsentativ für die erhaben-tragische Gattung. Dabei stellt Giovanni dem komischen Davus nun nicht wie Terenz den König Ödipus als erhabenen Charakter gegenüber (Davos sum, non Oedipus, Ter. Andr. 194), sondern er konstrastiert ihn mit den problemata der Sphinx (Davus et ambigue Sphyngos problemata solvet, I 9). So wird Davus zum Pendant des unwissenden vulgus und die Rätsel der Sphinx zur Analogie des gelehrten Inhalts, wie ihn laut Giovanni Dantes Commedia präsentiere. Auf diese Weise funktionalisiert Giovanni den terenzi-

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Zu Matthäus von Vendôme siehe Faral 1962, 1–14; 109–193; Tateo 1971. Eine Beschreibung der Figur Davus gibt Matthieu de Vendôme in Ars versificatoria I 53 und beginnt sogleich mit seinen niederträchtigen Eigenschaften (Scurra vagus, parasitus edax, abjectio plebis / Est Davus, rerum dedecus, aegra lues / […] / Est scelus innatum Davo, fraus omnis in unum / Confluit, in proprium vendicat omne scelus etc.). Zu den Quellen, auf die Giovanni in seinen Adynata anspielt, siehe Villa 2010, 142 f. Albanese 2014, 1667 verweist ebenfalls auf Hor. Ars 114; 237 f., wo Davus als Typus des komischen Sklaven genannt werde, und darüber hinaus auf Davus sis comicus, Hor. Sat. II 5, 91. Villa 2010, 142 f. will hierin ein direktes Zitat von Giovannis Terenz-Lektüre erkennen. Gemäß Velli 1981, 145 hingegen habe das Zitat aus Terenz’ Andria in der mittelalterlichen Literatur bereits proverbialen Status erreicht und lasse daher keine unmittelbaren Rückschlüsse auf Giovannis direkte Terenz-Lektüre zu.

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Giovanni del Virgilio an Dante

schen Hypotext für seine Argumentation, in der er das Volk als ungeeigneten Adressaten gelehrter Dichtung darzustellen sucht.80 Während also das erste Adynaton die Erfolglosigkeit der Kommunikation aus Sicht des Senders Dante demonstriert (I 8), fokussiert Giovanni im zweiten die Inkongruenz zwischen Adressat und Botschaft (I 9). Im Anschluss überträgt er die beiden literarisch-mythologischen Vergleiche auf die konkrete Kommunikationstrias aus Dante, seiner Commedia und dem Volk: Noch unwahrscheinlicher als der Erfolg der zuvorgeschilderten Kommunikationssituationen sei, dass das ungebildete Volk sich den Abgrund des Tartarus vorstellen würde und die Geheimnisse des Himmelspols, die sich Platon kaum erschlossen hätten (Tartareum preceps quam gens ydiota figuret / et secreta poli vix experata Platoni, I 10 f.). Wie im zweiten Adynaton um Davus und das Rätsel der Sphinx steht hier die mangelnde Kompetenz des Adressaten im Mittelpunkt. Auch die parallele Syntax stellt eine unmittelbare Assoziation des Davus-Adynaton mit Dantes Situation her. Denn so wie Davus zuvor als Subjekt des Satzes erschien, ist nun von der gens ydiota die Rede (I 10). Das gemeine Volk wird so unmittelbar mit der komischen, unwissenden Figur des Davus assoziiert. Dantes Commedia wird dementsprechend mit den problemata Sphingos (I 9) in Verbindung gesetzt. Wie die problemata Sphingos stellen die secreta poli, mit denen Giovanni die Commedia paraphrasiert (I 11), einen komplizierten, noch unverstandenen Gegenstand dar. Dies knüpft auch an den Begriff der seria an, mit dem der Gelehrte die Commedia schon im exordium als ernsthafte Dichtung bezeichnet hatte (I 6). Die Komplexität ihres Inhaltes hebt der Gelehrte weiter hervor, wenn er Platon nennt, der diese Geheimnisse ebenfalls behandelt hätte, dem sich die Himmelssphären jedoch kaum erschlossen hätten.81 Platon erscheint hier als gelehrte Autorität, den Giovanni einerseits alternativ zur gens ydiota als passenden Adressaten für Dantes anspruchsvolle Dichtung angibt. Andererseits vergleicht er Dante auch mit Platon als gelehrtem Autor. Auf diese Weise drückt er 80

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Auch diese Konstellation weist auf eine konventionelle gelehrte Motivik zurück. So verwendet Alain de Lille die Sphinxrätsel in seinem Anticlaudianus als Metapher für die schwer zugänglichen philosophischen Lehren des Aristoteles (Illic Porfirius archana resoluit, ut alter / Edipodes nostri soluens enigmata Spingos, Alanus ab Insulis Anticlaudianus III 113 f.). Vgl. u. a. Albanese 2014, 1668. Velli 1981, 146 f. sieht diese intertextuelle Parallele auch durch die ähnliche Verwendung des griechischen Begriffs enigmata für die Rätsel der Sphinx bestätigt, die Giovanni zu problemata verändert. Lovato dei Lovati greift auf die Sphinx als Oedipodionium monstrum (Epist. II 93) zurück, um sie repräsentativ für einen komplizierten gelehrten Gegenstand heranzuziehen. Abermals zeigt sich, wie Giovanni del Virgilio sich in seiner Argumentation und Motivik in eine gelehrte Rhetoriktradition einreiht. Das unklassische Partizip experata erklärt der zeitgenössische Kommentator des Eklogentextes, dessen Kommentar im Zibaldone Boccaccesco Mediceo Laurenziano, Plut. XXIX 8 abgedruckt ist (im weiteren Verlauf der Arbeit kurz als Lcom bezeichnet), als ex spera tracta. Dem schließen sich die modernen Kommentatoren an, siehe u. a. Stocchi 2012, 155. Villa 2010, 142 erkennt hier einen Verweis auf Dante Conv. III 5, 4–8. Dort spricht Dante über das Verhältnis der Himmelssphären, des Meeres und der Erde und zitiert Platons Timaios, der durch Aristoteles jedoch widerlegt worden sei.

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Dante ein Lob aus, da er ihm die erfolgreiche Darlegung eines Sachverhalts attestiert, der Platon kaum zugänglich gewesen sei (vix experata Platoni, I 11). Er setzt Dante folglich nicht nur mit Vergil als Autor der Aeneis gleich, sondern identifiziert ihn auch als Gelehrten in der Tradition Platons. Nachdem Giovanni del Virgilio Dante folglich anhand der Adynata das unpassende Verhältnis zwischen dem ungebildeten Volk und seiner gelehrten Dichtung illustriert hat (I 8–11), beschreibt er zum Abschluss der narratio ein Szenario, das aus seiner akut empirischen Beobachtung in der allgemeinen Öffentlichkeit erwachsen zu sein scheint: Denn die gelehrten Inhalte aus Dantes Dichtung würde bereits auf den Dreiwegen ein komisch gekämmter Taugenichts „quaken“ (coaxat, I 12), ohne sie eigentlich verdaut zu haben. Die Rezitation sei dabei von solcher Art, dass sie Horaz vom Erdkreis vertreiben würde (que tamen in triviis nunquam digesta coaxat / comicomus nebulo, qui Flaccum pelleret orbe, I 12 f.). Giovanni schildert hier die gravierenden Konsequenzen, die entstünden, da Dante seine Dichtung an das Volk richtet. Dass Horaz, die antike Autorität der Poetik und Rhetorik, bei diesem Anblick vom Erdkreis flöhe, attestiert bereits den Verstoß gegen die Regeln der Dichtkunst, der dadurch entstehe.82 Die Inkongruenz zwischen den erhabenen Inhalten der Commedia und ihrer Verbreitung auf den Dreiwegen unterstreicht Giovanni dabei durch das Setting, das er entwirft. So erscheinen zum einen die trivia als Ort des öffentlichen Verkehrs unmittelbar als ungeeignet, um gelehrte Themen zu besprechen.83 Genauso wenig ist ein Taugenichts (nebulo, I 13) ein angemessener Vermittler von Gelehrsamkeit, zumal da Giovanni del Virgilio bekräftigt, dass dieser den Inhalt der Commedia gar nicht verstanden habe (nunquam digesta, I 12).84 Seine komische Frisur (comicomus, I 13) und seine quakenden Laute (coaxat, I 12) verleihen ihm zudem einen lächerlichen Habitus, der ebenfalls nicht zu dem gelehrten ernsthaften Anspruch passen will, den Giovanni Dantes Commedia zuschreibt. In ihrer volkstümlichen Ausgestaltung hält die Szene Dante scheinbar unmittelbar eine Realität vor Augen. Giovannis Beobachtung beweist 82 83 84

Vgl. Albanese 2014, 1671. OLD s. v. trivium a; b. Uguccione da Pisa Derivationes G 46, 21 s. v. digero -ris, idest explicare vel ordinare vel ordine describere vel in numerum ordinare vel exponere vel dividere ordinatim, vel evacuare, ebrietatem deponere, quod vulgariter dicitur smaltire, quod fit cum cibaria et potus in stomacho dividuntur, et quedam pars purior transmittitur ad membra ad alimenta vite, quedam vero grossior mittitur ad secessum, unde in libro Regum dicitur ‚digere paululum vinum quo mades‘. Dass es sich bei der Verdauungsmetaphorik um einen in der Rhetorik und Exegese gängigen Begriff handelt, zeigt auch die Verwendung Bene da Firenzes. In seinem Traktat Candelabrum greift er auf die biblische Nahrungs- und Verdauungsmetaphorik zurück, um den Vorgang des Verstehens auszudrücken (Candelabrum III 2–4). Auch Dante verwendet in seinem Traktat Convivio die Speisemetapher nach biblischem Vorbild. Dabei ist das Brot die Beigabe, die das Verstehen der Dichtung ermöglicht, d. h. die Prosaerläuterung (Conv. I 1, 15). In der Commedia legt Dante es zudem in Paradiso XVII seinem Urahn Cacciaguida in den Mund. Dort bezeichnet es ebenfalls die Rezeption von Dantes Dichtung durch die irdische Menschheit (Ché sela voce tua sarà molesta / nel primo gusto, vital nodrimento / lascerà poi, quando sarà digesta, Dante Par. XVII 130–132).

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ihm quasi empirisch, dass das Volk seine gelehrte Dichtung nicht versteht, daher nicht angemessen würdigen kann und darüber hinaus sogar noch in unwürdig komischer Weise weiter verkündet. Giovannis anfänglicher Vorwurf an Dante, er würde seine ernsthafte Dichtung an das Volk verschwenden (iactabis seria vulgo, I 6), findet in dieser Szene eine eindrückliche Berechtigung. In der narratio zieht Giovanni folglich sowohl Beispiele aus literarischer Tradition als auch aus der volkstümlichen Realität heran, die beweisen, dass das vulgus kein angemessener Adressat für Dantes gelehrte Dichtung sei. Bei eingehender Betrachtung wird jedoch der logische Zirkelschluss deutlich, der Giovannis Argumentation zugrunde liegt. Denn so wie Arion, Davus und die Sphinx ist auch die ‚empirische‘ Szene um den nebulo, die Giovanni als Beispiel aus der Realität heranzieht, gezielt inszeniert.85 Zwar suggeriert die präsentische Form des Prädikats coaxat (I 12), dass es sich um eine reale Szene handelt, zugleich tritt jedoch die Sprache als stark stilisiert hervor. So hat das coaxat einen onomatopoetischen Effekt, der dem Vortragenden eine quakende Froschstimme attestiert. Das Partizip digesta (I 12) assoziiert zudem neben der übertragenen Bedeutung des „Verstehens“ auch den Verdauungsvorgang.86 So wie das coaxat, das unmittelbar lautmalerisch seine Bedeutung repräsentiert, verleiht auch das digesta der Szenenbeschreibung eine körperlich-konkrete Dimension. Giovanni unterlegt die Szene folglich sprachlich mit einem komischen Ton. Diesen unterstreicht zudem seine Wortwahl explizit. Denn das Adjektiv comicomus (I 13) ist ein hapax, zusammengesetzt aus comicus und comus.87 Es attestiert dem Vortragenden die Frisur eines Komödianten und verleiht ihm somit auch ein komisches Äußeres. Diese komische Dimension, die sich in dem von Giovanni verwendeten Vokabular spiegelt, wird darüber hinaus durch intertextuelle Bezüge bestärkt. So weckt der Begriff nebulo Assoziationen mit einer literarischen Figur, die unter anderem aus den

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In dieser Gleichsetzung realer und poetologischer Kategorien lässt sich eine Denkstruktur erkennen, die beispielsweise Hans Robert Jauß 1977, 19 als ein typisch mittelalterliches Bestreben identifiziert, alle Gegebenheiten zu einer Ordnung eines einheitlichen Weltmodells zu systematisieren. „Genötigt, mit den Widersprüchen der antiken Bildung und des christlichen Glaubens fertig zu werden, die das Nicht-Unterscheiden der verschiedenen Wahrheitsansprüche von religiösen, poetischen oder philosophischen Texten noch verschärfte, hat die mittelalterliche Kultur ein Modell entwickelt, das erlaubte, ‚die Phänomene zu retten‘ und die Widersprüche heterogener Autoritäten derart zu harmonisieren, daß man dieses Weltmodell des Mittelalters als sein größtes Kunstwerk der Summa von Thomas von Aquin und Dantes Divina Commedia an die Seite stellen kann.“ Klopsch 1980, 163 stellt speziell an dem Traktat Parisiana Poetria des Johannes von Garlandia fest, dass das Streben nach einer Gesamtschau sich in den Versuchen des Traktats zeige, die Stilkunst zum System der Wissenschaften in Beziehung zu setzen. ThLL s. v. digero I 2. U. a. Petoletti 2016, 523 f. erklärt comicomus als Zusammensetzung aus comicus und comis als eine Möglichkeit der Lektüre. Sie scheint mir äußerst plausibel, da Giovanni hier eine Realität auf der Basis poetologischer Kategorien entwirft.

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Satiren des Horaz bekannt ist.88 Darin repräsentiert der nebulo den lasterhaften, gegen das sittliche Maß lebenden Menschen. Diesen intertextuellen Bezug bestärkt Giovanni, indem er Horaz’ Namen direkt im Anschluss nennt (qui Flaccum pelleret orbe, I 13). Die Konstellation des Sittenlosen, der Horaz vertreiben würde, evoziert darüber hinaus die Situation der neunten Satire des Horaz. Darin bemüht sich der Sprecher, vor einem redseligen Menschen zu fliehen, der ihm hartnäckig auf dem Fuße folgt. Eine Parallele zu Giovannis nebulo weist dieser weiterhin dadurch auf, dass er auf ähnlich prätentiöse Art für sich beansprucht, gelehrt zu sein, jedoch vielmehr durch sein unangenehmes Wesen auffällt.89 Bei dem nebulo, den Giovanni hier als reale Person aus dem Volk darstellen will, handelt es sich somit vielmehr um eine literarische Figur, die darüber hinaus mit ähnlich negativen Attributen konnotiert ist wie Davus, den Giovanni zuvor als literarische, komische Vergleichsfigur für die gens ydiota heranzog (I 9 f.).90 Für die literarische Inszenierung dieser volkstümlichen Realität spricht auch der Ort, an dem Giovanni die Rezitation des nebulo lokalisiert. Denn die Dreiwege (trivia, I 12) sind aus der antik-römischen Literatur ebenfalls als typischer Ort des Volkes bekannt. Bedeutsam ist hier erneut die Ars poetica des Horaz. In der bereits genannten Passage, in der Horaz über die Sprechstile der Figuren aus den Gattungen der Tragödie, Komödie und des Satyrspiels handelt, nennt er die trivia als repräsentativen Ort des niederen, volkstümlichen Sprachregisters.91 Die Situation um den nebulo, mit deren Hilfe Giovanni die Folgen einer Rezeption und Wiedergabe der gelehrten Commedia durch die gens ydiota illustriert, lässt folglich besonders eindrücklich die Argumentationsstrategie des Gelehrten nachvollzie-

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Albanese 2014, 1670 verweist zudem auf Ter. Eun. II 2, 269; IV 4, 717; IV 7, 785 und identifiziert in dem Begriff nebulo vor diesem Hintergrund einen sermo vulgaris. Zu dem nebulo bei Terenz und seine Bedeutung für Giovanni auch Villa 2010, 143. Sie erkennt in dem nebulo nach Eun. II 2, 269 eine „figura metonimica di Terenzio e, più in generale, della commedia.“ Des Weiteren erwägt sie, in dem nebulo einen Hinweis auf Cecco Angiolieri zu finden, der Dante anders als Giovanni del Virgilio nicht nur für die Wahl der Volkssprache für seine Dichtung, sondern für sein Dichterdasein allgemein kritisiere (vgl. Villa 2016). Sogleich stellt er sich ungefragt als docti sumus (Hor. Sat. I 9, 7) vor. Dazu vgl. Cecchini 1971, 33; Albanese 2014, 1670. Die Assoziation zwischen Davus und dem comicomus nebulo erkennt auch Albanese 2014, 1667 und verweist auf Hor. Sat. II 5, 91. Dort wird Davus ebenfalls als comicus bezeichnet und mit einem unangenehmen Schwätzer in Verbindung gebracht. So auch Cecchini 1971, 29. Der Sprecher tritt als Sprachrichter auf und mahnt die Faunen des Satyrspiels zu einem mittleren Register, das nicht in die Niederungen der volkstümlichen Sprache absinken dürfe. Die trivia und das forum erscheinen dabei repräsentativ als Orte des gemeinen Volkes und der gemeinen Sprache (silvis deducti caveant me iudice Fauni, / ne velut innati triviis ac paene forenses / aut nimium teneris iuvenentur versibus umquam / aut inmunda crepent ignominiosaque dicta, Hor. Ars 244–247). Albanese 2014, 1669 erkennt hier ebenfalls, dass Giovanni eine „aristocratica concezione dell’arte dotta, che crea un distinguo sprezzante nei confronti della ‚letteratura bassa‘ e del pubblico illetterato“ entwerfe. Sie führt dies auch auf den Passus der Ars poetica zurück. U. a. Petoletti 2016, 523 verweist darüber hinaus auf die dritte Ekloge Vergils, in der die trivia ebenfalls als Ort der Ungebildeten erscheinen (Verg. Ecl. III 26 f.).

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Giovanni del Virgilio an Dante

hen. Denn die Szene, die Giovanni als vermeintlich empirische Beobachtung darstellt, erweist sich als eine Inszenierung von Wirklichkeit mittels literarischer Motive und Figuren. So stellt der Gelehrte anhand des nebulo auf den trivia die volkstümlichen Rezipienten von Dantes Dichtung als komisches Personal dar. Anders als in den Adynata, die das literarische bzw. mythologische Personal wie Arion, Davus und die Sphinx als fiktives Vergleichsmaterial markierten, präsentiert Giovanni den nebulo als tatsächliches Ereignis. Auf subtile Weise vollzieht er hier die Gleichsetzung des realen Publikums mit dem literarischen Personal. Poetische Fiktion und soziale Realität werden zu deckungsgleichen Dimensionen und erlauben somit auch die unmittelbare Übertragung der Bewertungsmaßstäbe von einer Dimension zur anderen. Das ungebildete Volk, die gens ydiota, die Giovanni als Publikum für Dantes gelehrte Dichtung schmähen will, wird auf diese Weise selbst zum komischen Personal. Die moralischen Werturteile, die mit den komischen Charakteren wie Davus und dem nebulo verbunden sind, gelten daher auch für das volkstümliche Publikum. Die Flucht des Horaz, die Giovanni del Virgilio anmahnt, begründet sich somit auch nicht in einer literarischen Problematik (z. B. einer Dichtung, in der das fiktive Personal nicht gattungskonform spricht), sondern vielmehr in der Unstimmigkeit, die Dante mit seiner volkssprachlichen Commedia zwischen Sender und Adressat, also dem außerliterarischen Personal, und der behandelten Dichtung herstelle.92 In der narratio (I 8–13) sind folglich die grundlegenden Voraussetzungen präsentiert, auf denen Giovanni seine folgende Argumentation aufbaut. Er beweist Dante, dass das Volk nicht der richtige Adressat für seine gelehrte Dichtung sei, und plädiert für die rhetorische Angemessenheit, nach der Adressat, Dichtung und Publikum aufeinander abzustimmen sind. Indem er die literarisch-poetologische Dimension mit der sozialen Realität identifiziert, präsentiert er dabei ein einheitlich geschlossenes soziales Wertegefüge, das sich sowohl in der Realität als auch in der Dichtung niederschlage: Das außerliterarische Personal der Gelehrten wird folglich mit der Gattung der Tragödie und ihren gelehrt-erhabenen Inhalten assoziiert (I 9; 11). Dem steht das ungebildete Volk gegenüber, das wiederum mit der komischen Gattung und ihrem moralisch und sozial niedrig stehenden Personal unmittelbar verbunden wird (I 9; 92

Dass es sich bei der Szene um den nebulo um die Inszenierung einer realen Situation auf der Basis literarischer Motive handelt, beweist auch die Intertextualität zu der Epistel Lovato dei Lovatis an Bellino Bissolo. Der lässt seine Kritik an der volkssprachlichen Dichtung ebenfalls mit einer Szene beginnen, in der ein Sänger in französischer Volkssprache ein Epos vorträgt. Ähnlich wie Giovanni den Vortrag des nebulo als coaxare zu einem Tierlaut degradiert, spricht dieser von einem boans cantator (Lovato Epist. II 4 f.) und assoziiert den Vortrag des Sängers mit einem Kuhlaut. Der Beginn der Szene ähnelt zudem, wie Ludwig 1989, 10 anmerkt, stark dem Anfang der neunten Satire des Horaz. Lovato schmäht hier folglich wie Giovanni del Virgilio eine volkstümliche Rezeption und Wiedergabe erhabener Inhalte, die er den Gelehrten vorbehalten sehen will. Diese Verbindung zieht u. a. Cecchini 1971, 32. Er sieht in Lovatos Sänger den „padre legittimo del comicomus nebulo“. Albanese 2014, 1669 erkennt darin außerdem einen Beweis der engen Verbindung Giovanni del Virgilios mit dem Paduaner Gelehrtenkreis.

Nicht für Idioten – Dantes Commedia und das vulgus

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12 f.). Bei der Gegenüberstellung der erhabenen Tragödie mit der niederen Komödie hält sich Giovanni an die Kategorien und Bewertungsmaßstäbe, die Horaz in der Ars poetica darlegt. Er zieht jedoch das Publikum explizit in die Bewertungshierarchie mit ein. Die Ars poetica ist dabei sowohl über implizite, intertextuelle Anspielungen, als auch durch die explizite Nennung des Horaz (I 13) als Hypotext erkennbar. Giovanni zieht Horaz somit als Repräsentanten der antiken Dichtungslehre zur Legitimation seines soziopoetologischen Standpunkts heran. Wenn er Dante auf seinen Verstoß gegen diese Norm aufmerksam macht, tritt er als Verteidiger des horazischen Erbes auf.93 Nachdem Giovanni das grundsätzlich problematische Verhältnis zwischen Dantes gelehrter Dichtung und dem ungebildeten Publikum, an das er seine Commedia richtet, skizziert hat, lässt er Dante selbst zu Wort kommen und seinen Standpunkt bestätigen. Giovanni legt ihm in einem Zwischenkommentar die Rechtfertigung in den Mund, dass er gar nicht für das Volk schreibe, sondern für diejenigen, die sich aus ihrem tiefgründigen Studium Gelehrsamkeit erworben haben („Non loquor his, ymmo studio callentibus“ inquis, I 14). Giovanni fingiert hier den Dialog mit Dante, den er mit seiner Epistel eigentlich erst im Begriff ist anzuregen. Dieser Einschub von Dantes wörtlicher Rede, den die Rhetorik als Figur unter dem Begriff der sermocinatio kennt, erlaubt Giovanni dabei, den Adressaten nach seinen Vorstellungen zu inszenieren.94 So unterstellt er Dante eine Haltung, die seinem eigenen Anliegen entgegenkommt: Dante grenzt sich von dem Volk ab, das er beinahe nebensächlich mit dem Demonstrativpronomen his (I 14) nennt, und deutet seine Verehrung der Gelehrten an, wenn er sie als von tiefem Studium gelehrsam umschreibt (ymmo studio callentibus, I 14). Das Partizip callentes erinnert dabei durch seine konsonantisch ähnliche Form an das pallentes (I 7), mit dem Giovanni die Gelehrten bezeichnet hatte.95 Dante bekennt sich hier dazu, für die Gelehrten schreiben zu wollen. Sein affirmativer Kommentar suggeriert, dass er seinen Verstoß gegen die Norm eingesehen hat und Giovanni in seiner Autorität als Dichtungsgelehrter anerkennt.

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Möglich ist diese soziopoetologische Argumentation durch die materielle Definition der poetischen Gattung bzw. des stilus, der sich gemäß Quadlbauer 1962, 160 f. im Mittelalter auf der Basis der Rhetorica ad Herennium, Horaz’ Ars poetica und der seit der Spätantike kursierenden Vergilkommentare ausgebildet hat (siehe Fußnote II 63). Auch Albanese 2014, 1666 stellt fest, dass Giovanni die soziale Unterscheidung zwischen Gelehrten und Ungebildeten auf der Basis der mittelalterlichen Stiltheorie entwirft, die traditionell zwischen dem hohen tragischen Stil und dem mittleren oder komischen Stil unterscheidet, sowie auf der Basis der Übereinstimmung von Inhalt und Stil bzw. Sprache. Bene da Firenze erläutert in seinem Candelabrum, dass die sermocinatio jeweils nach der Würde des Sprechers zu gestalten sei und dann eine schmuckvolle Stilfigur darstellen könne (Candelabrum II 63). Darüber hinaus fällt das Verb callere auch in Horaz’ Ars poetica, wo es die Beherrschung der Dichtungsregeln bezeichnet (Hor. Ars 272–274). Indem Giovanni Dante hier das horazische Vokabular anwenden lässt, suggeriert er ebenfalls, dass Dante selbst der Regelpoetik entsprechen wolle.

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Giovanni del Virgilio an Dante

Der Gelehrte autorisiert auf diese Weise seine Kritik an Dante und präsentiert sie als Dienst an dem Dichter, dem er mit seinen Ratschlägen dazu verhilft, wieder den Konventionen der Poetik zu entsprechen. Giovanni inszeniert so zum Abschluss seiner narratio eine Übereinstimmung zwischen seiner und Dantes Position und setzt voraus, dass sie dieselben soziopoetologischen Normen als gültig anerkennen. Auf diese Weise definiert er eine gemeinsame Bewertungsgrundlage für ihre Diskussion.96 Unter diesen Voraussetzungen beginnt Giovanni del Virgilio daraufhin mit der eigentlichen Argumentation seiner Epistel, in der er zuerst Dantes bisherige Dichtung als fehlerhaft zurückweist (I 15–24) und im Anschluss für eine alternative, regelkonforme Art der Dichtung plädiert (I 25–40). 3. Wirf doch nicht Perlen vor die Säue Bestärkt durch Dantes ‚Affirmation‘, den Gelehrten und damit auch ihren poetologischen Normen folgen zu wollen, legt Giovanni in der confutatio (I 15–24) Dante die Unzulänglichkeit seiner Dichtung dar.97 Dabei beschreibt er zunächst die Abneigung der Gelehrten für die volkssprachliche Dichtung, um daraufhin die Überlegenheit des Lateinischen zu begründen. Abschließend bittet er Dante um ein Gedicht, mit dem er auch der gelehrten Seite gerecht würde. Carmine sed layco: clerus vulgaria tempnit, et si non varient, cum sint ydiomata mille. Preterea nullus, quos inter es agmine sextus, nec quem consequeris celo, sermone forensi descripsit. Quare censor liberrime vatum fabor, si fandi paulum concedis habenas. Nec margharitas profliga prodigus apris, nec preme Castalias indigna veste sorores; at, precor, ora cie que te distinguere possint carmine vatisono, sorti comunis utrique.

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Strukturell geht er dabei abermals ähnlich vor wie Lovato dei Lovati, der in seiner Versepistel ebenfalls seinen Adressaten Bellino Bissolo in wörtlicher Rede auftreten lässt. Während dieser dort jedoch auch im weiteren Verlauf mithilfe der sermocinatio einen Dialog und eine Diskussion inszeniert, lässt Giovanni del Virgilio seinen Adressaten Dante nur einmal mit wörtlicher Rede auftreten. Zu den Redeteilen der confirmatio und confutatio in der Bologneser Rhetorik siehe Bene da Firenze Candelabrum III 4, 5. Albanese 2014, 1671 will bereits mit v. 14 die confutatio beginnen lassen, die meiner Meinung nach jedoch eher als Überleitung zwischen narratio und confutatio zu betrachten ist.

Wirf doch nicht Perlen vor die Säue

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Der Gelehrte kommt nun konkret auf die Dichtung der Commedia zu sprechen und kategorisiert sie zunächst anhand rhetorischer Fachtermini (Carmine sed layco: clerus vulgaria tempnit, / et si non varient, cum sint ydiomata mille, I 15 f.). Er missbilligt sie als ein carmen laycum (I 15) und erklärt, dass der clerus die vulgaria hasse. Giovanni macht sich die Mehrdeutigkeit dieser rhetorischen Fachausdrücke für seine Argumentation zunutze. So greifen die Kategorien laycus, clerus und vulgaris zunächst die bekannte Opposition zwischen Gelehrten und Ungelehrten wieder auf, die Giovanni in der narratio behandelte. Der Begriff des laycus steht zunächst für das Volkstümliche und nicht Gelehrte, das Giovanni zuvor als vulgus (I 6) oder gens ydiota (I 10) bezeichnete. Dem stellt er den clerus antithetisch gegenüber, der hier nicht einen kirchlichen Stand meint, sondern die Gelehrten als einheitlichen und institutionalisierten, sozialen Stand bezeichnet.98 Dass Giovanni die Commedia als carmen laycum bezeichnet, überrascht zunächst. Denn zuvor hatte er ja deren Inhalte als seria gelobt und den gelehrten Anspruch hervorgehoben, weswegen sie für das ungebildete Volk zu schade sei. Wenn er sie nun als laycus und vulgaris bezeichnet, bezieht sich dies folglich nicht auf ihren Inhalt. Vielmehr verwendet Giovanni die Termini an dieser Stelle, um die sprachliche Form von Dantes Commedia zu beschreiben.99 Mit vulgaris meint er die italienische Volkssprache, die er als ungelehrt diskreditiert (clerus vulgaria tempnit, I 15) und implizit der lateinischen Sprache gegenüberstellt. Laycus meint an dieser Stelle gemäß der zeitgenössischen Rhetorik „für ein ungebildetes Publikum“.

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Uguccione da Pisa Derivationes L 20, 1 s. v. laos grece, latine dicitur lapis; […] a laos, quod est populus, dicitur laycus -a, -um, idest popularis, vel potius a laos quod est lapis, inde laycus, idest lapideus, quia Deucalion reparavit homines de lapidibus iactis post tergum. Vel lapideus quasi durus et extraneus a scientia litterarum. Vgl. u. a. Albanese 2014, 1671. Die clerici erscheinen bei Uguccione da Pisa hingegen als kirchlicher Stand (Derivationes C 292, 1 f. s. v. cleros […] clerus). Auch Bene da Firenze unterscheidet in seinem Traktat clerici und laici und meint dabei tatsächlich Kleriker und Nicht-Kleriker (Candelabrum VI 9, 2). Zur Unterscheidung von clerici und laici siehe Dionisotti 1999, 55–88. Das Gegensatzpaar laicus-clericus beschreibt demgemäß auch ein Verhältnis der bestehenden kirchlichen und öffentlichen, adlig-bürgerlichen (v. a. Recht sprechenden) Institutionen und der von ihnen verwendeten Sprache. Dante, der – soweit bekannt – außerhalb der Institutionen lebte und v. a. volkssprachlich dichtete, nennt Dionisotti den „maggior laico della nostra letteratura“ (ibid., 58). Albanese 2014, 1673 verweist auf Dantes philosophischen Traktat Convivio, in dem er Gelehrte und Nicht-Gelehrte einander gegenüberstellt und jeweils mit der Volkssprache und dem Lateinischen assoziiert (Conv. I 7, 12; I 9, 4; IV 10, 6). An letzterer Stelle verwendet er zudem den Begriff des cherco (i. e. clericus) im Sinne des „Gelehrten“. Eine Gegenüberstellung von laicus und clericus als Nicht-Gelehrte und Gelehrte nimmt Galfrid von Vinsauf in seiner Summa de arte dictandi vor. Er teilt beiden einen bestimmten rhetorischen und poetischen Stil (nicht Sprachen!) zu und begründet dies mit der Qualität des Personals (Galfrid von Vinsauf Summa de arte dictandi 4). Zum Begriff des Laien im Mittelalter siehe auch Puza 2003. Vgl. Albanese 2014, 1671. Villa 2010, 147 erkennt eine Bezugnahme zu Dante Par. XXIII 64–66 und Dantes dortigen poetologischen Reflexionen, die zu Giovannis Missfallen die konventionelle Stillehre sprengen würden.

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Giovanni del Virgilio an Dante

Diese Gegenüberstellung von gelehrter lateinischer und ungelehrter volkssprachlicher Dichtung bekräftigt Giovanni daraufhin in zwei Argumenten, die die Unterlegenheit des volgare gegenüber dem Lateinischen beweisen sollen (I 16–19). Zuerst führt er die genuine Wandelbarkeit der Volkssprache ins Feld und ihre Uneinheitlichkeit, da sie in tausend Dialekte zerfalle (et si non varient, cum sint ydiomata mille, I 16). Der Gelehrte greift dabei zwei Eigenschaften auf, die Dante selbst in seiner philosophischen Abhandlung Convivio und seinem Traktat über die Volkssprache De vulgari eloquentia anführt. In Letzterem will Dante jedoch aus der Vielzahl der volkssprachlichen Dialekte eine hochsprachliche Form des volgare wählen, um es gerade nach dem Vorbild der lateinischen Rhetorik für jeden Stil und jede Gattung fruchtbar und damit der lateinischen Sprache formal ebenbürtig zu machen.100 Giovanni del Virgilio hingegen schließt diese Möglichkeit kategorisch aus und führt die Uneinheitlichkeit und Unbeständigkeit der Volkssprache in seiner Epistel als unumstrittenen Makel der Sprache an. Auch das zweite Argument, das Dante die Unterlegenheit des volgare gegenüber dem Lateinischen zeigen soll, basiert auf einem intertextuellen Verweis auf Dantes Werk (vgl. I 17–19). Giovanni spielt auf den vierten Canto des Inferno an. Unter der Führung des antiken Dichters Vergil erreicht die persona ‚Dante‘ dort den Limbo, eine Vorhölle, in der die Seelen der ehrwürdigen Heiden ein Dasein ohne Qualen, jedoch auch ohne Hoffnung auf die göttliche Erlösung verbringen müssen. Vergil, der selbst dem Limbo zugeteilt ist und sich nur ausnahmsweise auf göttliches Geheiß zu Dantes Führung von dort fortbewegen kann, stellt ‚Dante‘ hier den Dichtern Homer, Horaz, Ovid und Lucan vor. Die fünf Autoritäten der antiken Dichtung nehmen ‚Dante‘ in ihren Kreis auf. Auf diese Weise inszeniert sich der Autor Dante als Dichter, der ihr antikes Erbe weiterführt. Dabei schreibt er sich jedoch auch ihre Überwindung zu. Denn anders als die ehrwürdige Riege der lateinischen Dichter, kann ‚Dante‘ den Limbo und die Hölle verlassen und bis zur Gottesschau vordringen. ‚Dantes‘ Reise in der Commedia bezeugt folglich, dass er die antiken Autoritäten unter christlichen Vorzeichen überwindet.101 Giovanni hingegen führt in seinem Brief diese Schar, die Dante als Sechsten aufnimmt (quos inter es agmine sextus, I 17), als unangefochtene Autorität zu Dantes poe-

100 Vgl. Dante Dve I 9 f. Darüber hinaus identifiziert u. a. Albanese 2014, 1672 den Bezug zu Conv. I 5, 7–14. Dort argumentiert Dante für die Überlegenheit der unveränderlichen, artifiziellen lingua grammatica Latein gegenüber dem volgare. Albanese betont, Giovanni bediene sich Dantes eigener Argumente, um ihn für sein poetologisches Programm zu gewinnen. Zum Verhältnis des Lateinischen zur Volkssprache in Italien siehe Klein 1957. Zu Sprache und Literatur im lateinischen Mittelalter siehe Langosch 1969. 101 Zum Kreis der antiken Dichter in Inf. IV siehe u. a. Curtius 1993, 27–29; der Sammelband Iannucci 1993; Güntert 2000; Ricklin 2011. Zu Dante und den klassisch-antiken Autoren allgemein siehe u. a. Renucci 1954; Hudson-Williams 1951; Buck 1981; Martellotti 1983, 15–38. Speziell zu Vergil und Ovid in Dantes Commedia siehe Jakoff/Schnapp 1991. Zu Ovid und Dante siehe Bownlee 1991; Picone 1994; ibid. 2010.

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tischer Orientierung an, ohne eine christliche Überwindung zu berücksichtigen. Mit agmen wählt er dabei einen stilistisch erhabenen Begriff für die Menschenmenge, wie er zum einen in militärischem Sinne in epischem Kontext erscheint. Im sechsten Buch der Aeneis werden zum anderen auch die ehrenvollen Seelen an einem locus amoenus im Jenseits als agmen bezeichnet.102 Auf diese Weise verleiht Giovanni den antiken Dichtern in seiner Paraphrase sprachlich formal einen episch-erhabenen Charakter. Zudem übersetzt er quasi Dantes eigene Wortwahl ins Lateinische. Denn in Canto IV des Inferno bezeichnet Dante die Dichter ebenfalls als Heerschar (schiera), die ihn als ihren Sechsten aufnimmt.103 Wenn Giovanni Dante diese Schar als Autoritäten vorhält, bestreitet er nun nicht dessen Anrecht auf das antike Erbe. Jedoch weist er auf einen Umstand hin, der bisher Dantes vollkommene Nachfolge verhindert habe: Der sermo forensis, den dieser anwende, würde ihn noch von den antiken Dichtern unterscheiden (Preterea nullus, quos inter es agmine sextus, / nec quem consequeris celo, sermone forensi / descripsit, I 17–19). Mit dem sermo forensis meint Giovanni die Volkssprache, die er im Gegensatz zu dem erhabenen Latein der antiken Dichter als gemeine Alltagssprache diskreditiert. Giovanni führt gegen die Volkssprache folglich zwei Arten von Argumenten ins Feld. Mit der Uneinheitlichkeit thematisiert er zum einen die pragmatische Dimension, in der die Volksprache der Lateinischen unterliege (I 16). Zum anderen führt er an zweiter Stelle ein Autoritätsargument gegen das volgare an (I 17–19). So zeigt er Dante, wie das volgare in verschiedener Hinsicht defizitär und für einen gelehrten Dichter wie ihn unangemessen sei. Indem er in beiden Fällen Dantes Werke zitiert, tritt Giovanni dabei mit dem volgare-Dichter in einen poetologischen Dialog und trifft eine unmissverständliche Aussage. Denn er spielt auf Stellen an, an denen Dante eigentlich das volgare gemäß der lateinischen Rhetorik als Dichtungssprache legitimiert (De vulgari eloquentia) und an der er sich als volkssprachlicher Dichter in die Tradition der lateinischen Dichtungsautoritäten stellt (Commedia). Giovanni zitiert diese Passagen jedoch, um die Unzulänglichkeit der Volkssprache gegenüber der lateinischen Rhetorik und Dichtungstradition zu beweisen. So deklariert er Dantes Unterfangen mit der Autorität der antiken Rhetorik als Irrtum und Unmöglichkeit. Den Umstand, dass die Antike eine Unterscheidung zwischen Volkssprache und Latein in der Form nicht kennt, übergeht der Gelehrte geschickt, indem er das neue Phänomen in die Kategorien integriert, die er zuvor nach der antiken Rhetorik ent102 103

Vgl. Verg. Aen. VI 711 f. Zudem siehe ThLL s. v. agmen I 3; II. Vgl. Dante Inf. IV 100–102. Zusätzlich spielt Giovanni auf den antiken Dichter Statius an, den er entsprechend Dantes Darstellung in der Commedia ebenfalls nicht mit den übrigen nennt. In der Commedia bildet Statius eine Ausnahme: Er muss nicht im Limbo verbleiben, sondern seine Seele erklimmt den Läuterungsberg und hat somit Aussicht auf das Paradies, da er bei seinem Tod laut Dante schon Christ gewesen sei. Ab Pg. XXI begleitet er ‚Dante‘ und Vergil bis ins irdische Paradies. Darauf spielt Giovanni an, wenn er von demjenigen spricht, dem Dante in den Himmel gefolgt sei (vgl. I 18). Vgl. Petoletti 2016, 525.

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worfen hatte. Denn wie oben gezeigt, ist der Begriff vulgaria, mit dem Giovanni die Volkssprache bezeichnet, auch ein konventioneller Terminus technicus der Rhetorik, mit dem – ohne eine zwangsläufig negative Bewertung – entweder der mittlere oder niedere Schreibstil der elocutio-Lehre beschrieben wird. Bene da Firenze erläutert beispielsweise das genus mediocre elocutionis, das ex humili neque tamen ex infima et pervulgatissima dignitate verborum bestehe.104 Darüber hinaus wird das Adjektiv durchaus dazu herangezogen, um ein gegen die rhetorische Norm verstoßendes Phänomen abschätzig zu kritisieren. In einem solchen, pejorativen Sinn erscheint es mehrfach bei Bene da Firenze. Darunter fällt die Warnung, wonach der Redner das exordium nicht in gewöhnlicher, generischer Art (vulgare) gestalten solle, wie es jeder idiota täte.105 Wenn Giovanni del Virgilio den Begriff vulgaria (I 15) zur Bezeichnung der Volkssprache im Allgemeinen verwendet, evoziert er damit folglich bestimmte antike rhetorische Kategorien und ihre zeitgenössischen Bewertungen und Auslegungen. Die Volkssprache wird so einerseits als genuin niederer Sprachstil im elocutionellen Sinne kategorisiert, andererseits sogar als gemein und gewöhnlich im Sinne eines rhetorischen vitium. Vor diesem Hintergrund erscheint Giovannis Feststellung selbstverständlich, dass die Gelehrten die vulgaria verachten würden (clerus vulgaria tempnit, I 15). Ähnlich verhält es sich mit dem Ausdruck sermo forensis (I 18), mit dem der Gelehrte ebenfalls die italienische Volkssprache bezeichnet und von dem Latein der antiken Dichtungsautoritäten abgrenzt. So erinnert er an die Worte, mit denen Horaz in der Ars poetica den gemeinen Sprachstil des niederen Personals aus Satyrspiel oder Komödie bezeichnet. Dort fällt der Begriff des sermo humilis, der in den obskuren Tavernen gesprochen werde (Hor. Ars 229), und über die Faunen des Satyrspiels mahnt Horaz, sie sollten nicht sprechen, als seien sie auf den Dreiwegen oder auf dem Forum geboren (ibid. 245).106 Der Begriff des sermo forensis entspricht somit der gleichen rhetorischen Kategorie wie die vulgaria. Der Gelehrte setzt die Sprachform volgare mit der Stilbezeichnung vulgaris gleich. Gemäß den rhetorischen Grundannahmen, die Giovanni in der narratio (vgl. I 8–13) dargelegt hatte, ist diese Kategorie darüber hinaus eindeutig mit dem vulgus und daher mit der komischen, niederen Gattung assoziiert. Sie lässt sich somit nahtlos in das bipolare Wertgefüge einpflegen, das Giovanni zwischen den Gelehrten mit ihrer erhabenen Dichtung und dem vulgus mit seiner minderwertig-komischen Dichtung entwarf. Demzufolge kommt der Volkssprache einzig diejenige rhetorische Kategorie zu, die Giovanni und die gesamte gelehrte Institution der clerici verachten würde. Wie selbstverständlich verortet Giovanni die Volkssprache folglich als niederen Stil in die konventionellen Kategorien der antiken und mittellateinischen Rhetorik- und Dichtungslehre. Auf diese Weise kann er mit deren Autorität für ihre Minderwertig104 Bene da Firenze Candelabrum V 4, 3. 105 Vgl. Bene da Firenze Candelabrum IV 15, 2–4. 106 Vgl. Albanese 2014, 1673.

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keit argumentieren.107 Unter diesen Vorzeichen ist es zu verstehen, wenn Giovanni im Folgenden erstmals als individueller Sprecher in den Vordergrund tritt und Dante darum bittet, als Sittenrichter der Dichtung sprechen zu dürfen (Quare censor liberrime vatum / fabor, si fandi paulum concedis habenas, I 19 f.). In einer petitio wendet er sich an Dante, er möge die rhetorischen Regelverstöße vermeiden. Dabei wird abermals deutlich, wie sich der Gelehrte an die rhetorische Konvention der Briefkunst hält. So fungiert das quare als Signalwort, das die petitio einleitet. Die kausale Konjunktion begründet Giovannis Auftritt als Kritiker gegenüber Dante direkt aus der Autorität der Rhetoriktradition, die er zuvor als eindeutig und absolut gültig präsentierte. Das Adverb liberrime (I 19), mit dem Giovanni Dante um Erlaubnis zur offenen Rede bittet, relativiert dabei sein autoritäres Auftreten und ist in dieser Funktion ebenfalls ein konventionelles Element der petitio.108 Auffällig ist auch Giovannis Wortwahl, mit welcher der Gelehrte sich und Dante inszeniert. So bedient er sich eines dezidiert römischen Begriffs, wenn er sich als censor bezeichnet. Dieser ist Teil der römisch-republikanischen Ämterlaufbahn. Seine Hauptaufgabe besteht in dem census, der Zuteilung der Bürger zu den einzelnen Wählerklassen Roms. Dabei teilt er nicht nur nach finanziellen, sondern auch moralischen Gesichtspunkten ein, sodass der censor auch ein sittliches Richteramt darstellt. Diesen öffentlichen Amtstitel verleiht Giovanni del Virgilio nun sich selbst und überträgt ihn auf die Welt der Dichtung. Auf diese Weise setzt er die Gesellschaft der Dichter mit dem antiken Staat der römischen Republik gleich und erklärt sich zu einem Funktionsträger und Sittenrichter ihrer Institution.109 Seine Autorität begründet sich daher – so suggeriert er – in der klassisch antiken Tradition. Seiner Dichtungskritik verleiht er auf diese Weise die Bedeutung eines staatstragenden Akts. Mit der Übertragung des republikanisch-politischen Terminus auf die Dichtung bedient sich Giovanni einer Inszenierungsstrategie, die sich ebenfalls bereits in der Antike und auch im zeitgenössischen Umfeld Giovannis finden lässt. Horaz selbst verwendet den Begriff des censor im Sinne eines Dichtungskritikers und empfiehlt dem Dichter, sich einen solchen censor zu suchen, um die Qualität der eigenen Dichtung ehrlich attestiert zu bekommen. Auch Lovato nennt in seiner poetologischen Versepis107 Mit denselben rhetorischen Kategorien geht der Autor der Epistola XIII an Cangrande vor, deren Autorschaft bislang nicht eindeutig Dante zugeschrieben oder widerlegt werden konnte. In einer Art accessus zum Paradiso der Commedia begründet dieser, dass das Werk einen niederen modus loquendi aufweise, da es in der locutio vulgaris der Alltagssprache verfasst sei (Dante Epist. XIII 10). Zur Epistel an Cangrande siehe u. a. Villa 1981; Barański 1993, 231 f. 108 Bene da Firenze, der in seinem Candelabrum in konventioneller Weise salutatio, exordium, narratio, petitio und conclusio als Hauptteile des Briefes angibt, definiert die petitio entsprechend (Petitio est persone mittentis expressio qua quid fieri vel non fieri velit convenienti affectione, ibid. Candelabrum IV 35 f.). Er widmet sich auch ausführlich den Konjunktionen, die er bestimmten partes oratoriae zuordnet. Quare erscheint unter anderem als typische Überleitung zur petitio (ibid. V 28, 2–4). Superlative wie Giovannis liberrime gibt er ebenfalls als Merkmal der petitio an (ibid. IV 37). 109 Vgl. Krautter 1983, 59.

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tel das politische Amt der censura, um das Volk als ungeeigneten Dichtungskritiker zu diskreditieren.110 Giovanni reiht sich mit dem Motiv des Dichterzensors folglich in einen seit der Antike bestehenden Diskurs über die richtige Art des Dichtens ein. Er stellt sich in die Tradition antiker bzw. antikisierender Dichtungskritiker wie Horaz oder Lovato dei Lovati und gibt damit vor, das gemeinsame Anliegen, die antiken Dichtungsnormen als gemeingültiges Regelwerk, zu vertreten. Zugleich verleiht er der dichterischen Tätigkeit einen offiziellen Status, wenn er sie mit Amtsbegriffen der römischen Republik versieht. Wie es sich für den Amtsträger einer offiziellen Institution geziemt, wählt Giovanni seine Worte mit sprachlich-stilistischer Gravität. Die Bitte, offen sprechen zu dürfen, überträgt er in das Bild der Zügel, die Dante ihm zugestehen möge (fabor, si fandi paulum concedis habenas, I 20). Klassisch steht dieses Bild ebenfalls oftmals für eine staatslenkende Tätigkeit.111 Das Polyptoton aus fabor und fandi (I 20) passt explizit auf den Dialog und das Recht des Sprechens in der poetologischen Angelegenheit an. Mit diesem formellen Duktus leitet Giovanni daraufhin zu einer konkreten Bitte an Dante über, die er in drei Teilen vorbringt. Im Sinne der confutatio formuliert er die beiden ersten Teile mit einem anaphorischen nec (I 21 f.). So fordert er Dante zuerst auf, er solle nicht Perlen vor die Säue werfen (Nec margharitas profliga prodigus apris, I 21). Das biblische Bild, mit dem im Matthäus-Evangelium Jesus bei der Bergpredigt warnt, das Heilige nicht an die Falschen zu verschwenden, appliziert Giovanni auf die von ihm dargelegte Dichotomie zwischen ungebildetem Volk und Dantes gelehrter Dichtung. Die Perlen, das Heilige, stehen für die gelehrten Inhalte, die Schweine für das Volk.112 Das Adjektiv prodigus, mit dem Giovanni die Verschwendung bezeichnet, erinnert dabei an das iactabis (I 6) des abschließenden Vorwurfs in seinem exordium. Für die zweite Aufforderung bemüht Giovanni wieder ein klassisch-mythologisches Bild, das zudem seit der Antike im rhetorischen Kontext verwendet wird. Denn er bittet Dante, die Musen nicht in unwürdige Gewänder zu kleiden (nec preme Castalias indigna veste sorores, I 22). Die Musen als antike Göttinnen nennt er nach der mythologischen, ihnen und Apoll geheiligten Kastalischen Quelle am Parnass und personifiziert so auf antikisierende Weise die Dichtung. Das übertragene Bild der Kleidung für 110

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Vgl. Hor. Epist. II 2, 109 f.; Lovato Epist. II 64 f. Weitere übertragene Verwendungen des Begriffes censor ThLL s. v. censor II. In der Bedeutung als Richter über die Dichtung verwendet Horaz zudem den Begriff des iudex, den er für sich beansprucht und damit ähnlich wie Giovanni hier vor einem Verstoß gegen die Regeln der Poetik warnt (silvis deducti caveant me iudice Fauni, Hor. Ars 244). ThLL s. v. habena B. Dieselbe Junktur mit concedere findet sich in ähnlicher Bedeutung bei Alanus ab Insulis Anticlaudianus I 261 f. Vgl. u. a. Petoletti 2016, 527. Nolite dare sanctum canibus neque mittatis margaritas vestras ante porcos ne forte conculcent eas pedibus suis et conversi disrumpant vos (Mt 7, 6). Vgl. Petoletti 2016, 527. Albanese 2014, 1674 vermutet darüber hinaus eine Intertextualität zum Prolog des Anticlaudianus des Alain de Lille, der das Motiv dort ebenfalls im Zusammenhang mit der gelehrten Dichtung und dem zu ihrem Verständnis unfähigen Volk verwendet.

Wirf doch nicht Perlen vor die Säue

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eine rhetorische Form findet sich ebenfalls bereits in der antiken Rhetorik.113 Was dort nur die elocutionelle Ausgestaltung eines Inhalts betraf, meint bei Giovanni jedoch erneut die Sprachform des volgare gegenüber dem Lateinischen. Mit seinem Aufruf, Dante möge die Musen nicht in ein volkssprachliches Gewand kleiden, deklariert er abermals, dass die Volkssprache generell eine unwürdige Form der Dichtung sei. Der Imperativ nec preme suggeriert entsprechend sogar, dass Dante den Musen mit der volkssprachlichen Form Gewalt antäte. Abermals zeigt sich, wie der Gelehrte die akute Sprachfrage mit Wendungen der konventionellen Rhetorik ausdrückt und wie eindeutig in ihr verortet. Mit den beiden Versen bringt Giovanni folglich die verschiedenen Aspekte seiner confutatio an Dante noch einmal zusammen: erstens das Problem, dass er gelehrten Inhalt an ein unwürdiges Publikum richte (vgl. I 21); zweitens, dass die Volkssprache ein ungeeignetes Dichtungsmedium sei (vgl. I 22). Dies führt ihn schließlich zu einer positiven Forderung, in der er von Dante das Werk eines Dichterpropheten fordert, mit dem er sich hervortun und nun auch der gelehrten Seite gerecht werden könne (at, precor, ora cie que te distinguere possint / carmine vatisono, sorti comunis utrique, I 23 f.). Die scharf kontrastierende Konjunktion at signalisiert dabei deutlich die Wende in Giovannis Argumentation: weg von der Kritik, hin zur Formulierung einer Alternative. Das precor dient erneut als eine captatio benevolentiae, die den starken Imperativ cie (I 22) ausgleicht. Nachdem er sich zuvor deutlich von dem ungebildeten Volk und der unpoetischen Volkssprache abgegrenzt hat, ist das carmen vatisonum, das Giovanni nun von Dante fordert, unmissverständlich als ein lateinisches Gedicht gemäß antiker Tradition zu deuten.114 Diese Form ordnet er daraufhin wieder unmittelbar sozial zu, wenn er von den beiden sortes spricht (sorti comunis utrique, I 24). Er suggeriert, dass Dante mit seiner volkssprachlichen Dichtung bereits das Volk bedient habe und mit einem lateinischen carmen nun auch der gelehrten Seite gerecht würde. Dies impliziert sogleich auch Dantes eigene Distinktion als Dichter von der Seite des vulgus, um sich auf gelehrter Seite zu etablieren (que te distinguere possint, I 23). Der Begriff der sors, mit dem Giovanni das ungebildete Volk und die Gelehrten unterscheidet, erinnert dabei an die Paraphrase der Commedia, die Giovanni im exordium vorgenommen hatte. Dort nannte er das jeweilige Schicksal der Seelen nach dem Tode als sors. Indem er diesen Begriff nun für die Unterscheidung zwischen den Gelehrten und dem vulgus verwendet, suggeriert er einen ähnlich schicksalshaften Charakter dieser sozialen Kategorien.

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ThLL s. v. Castalia. Cicero verwendet das Bild beispielsweise, um die Tätigkeit der elocutio zu umschreiben (Cic. De orat. I 142). Für die Dichtung setzt es auch Galfrid von Vinsauf in seiner Poetria Nova ein (ibid. 61). Er warnt auch vor einer pannosa vestis (ibid. 64), mit der man die Dame poesis nicht kleiden dürfe. Bene da Firenze äußert eine ähnliche Forderung wie Giovanni, dass der äußere Schmuck mit dem inneren Wert übereinstimmen müsse, um die Würde der Rede zu wahren (ibid. Candelabrum I 14). Das Adjektiv vatisonus identifizieren u. a. Brugnoli/Scarcia 1980, 15 als „conio delvirgiliano“.

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4. Ein gelehrter Rat Giovanni tritt folglich in seiner Epistel nicht nur als Sprecher von antiker Autorität, sondern auch als Sprachrohr einer gelehrten Klasse an Dante heran. Aus seiner Rede spricht sowohl die Kenntnis und Beherrschung der antiken poetologischen und rhetorischen Normen als auch die Autorität der Gelehrten, die er als censor wie eine antike Institution vertritt. In deren Namen – so inszeniert er – lässt er auf die Zurückweisung Dantes bisheriger Dichtung nun positive Forderungen folgen. Diese confirmatio seines Briefes teilt sich dabei in zwei Teile.115 Zunächst macht er Dante konkrete Themenvorschläge für ein lateinisches Epos und legt daraufhin die Ruhmesaussichten dar, die eine solche gelehrte Dichtung dem Dichter ermöglichen würden (I 25–34). Im zweiten Teil bindet Giovanni dies an die Universität Bologna und stellt eine Dichterkrönung in Aussicht, die Dante mit einem solchen carmen in Bologna offen stünde (I 35–40). Et iam multa tuis lucem narratibus orant: dic age quo petiit Iovis armiger astra volatu, dic age quos flores, que lilia fregit arator, dic Frigios damas laceratos dente molosso, dic Ligurum montes et classes Parthenopeas, carmine quo possis Alcide tangere Gades et quo te refluus relegens mirabitur Hyster, et Pharos et quondam regnum te noscet Helysse. Si te fama iuvat, parvo te limite septum non contentus eris, nec vulgo iudice tolli.

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[I 25–34]

Nachdem Giovanni in der confutatio erstmals als individuelles Ich in den Vordergrund getreten war (fabor, I 20; precor, I 23), nimmt er seine Person hier wieder zurück. Er verleiht den Themen selbst das Wort, die Dante um eine poetische Verarbeitung bitten würden. Dante, der diese ans Licht bringen soll (lucem orant, I 25), erscheint so als Bringer von Erleuchtung und Erkenntnis.116 Erneut gibt der Gelehrte den Anschein, sich nicht mit einem persönlichen Anliegen an Dante zu wenden, sondern in Funktion anderer aufzutreten, wodurch seine Anfrage an objektiver Relevanz gewinnt. Vier Themen bieten sich Dante dar, denen Giovanni jeweils einen Vers widmet und anaphorisch mit dem Imperativ mit dic einleitet (I 26–29). Diese vierfache Anapher, die Dante positiv auffordert, verdoppelt die zweifache Anapher nec, die Dante in der confutatio von seiner bisherigen volkssprachlichen Dichtung abbringen sollte (I 21 f.), 115 116

Auch Albanese 2014, 1675 setzt hier den Beginn der confirmatio an. Das Bild des Fackelträgers verwendet Dante in der Commedia für Vergil. In Pg. XXII bezeichnet der Dichter Statius Vergil als sein poetisches Vorbild und Überbringer des christlichen Glaubens, der das Licht für andere hinter seinem Rücken trägt (Dante Pg. XXII 67–69).

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und stellt somit formal die Überwindung der „falschen“, volkssprachlichen Dichtungsweise dar. Die Themen präsentiert Giovanni in einem allegorischen Stil, dessen Bilder er in episch-erhabener Manier entwirft. Sie bescheiben jeweils kriegerische Auseinandersetzungen der jüngsten Vergangenheit, die in Italien aus dem Konflikt zwischen den papsttreuen Guelfen und kaisertreuen Ghibellinen erwachsen sind. Giovanni beginnt mit dem Adler, der als Waffenträger des Jupiter in seinem Flug nach den Sternen strebe (dic age quo petit Iovis armiger astra volatu, I 26). Er beschreibt damit Kaiser Heinrich VII. und seinen Italienfeldzug 1310–1313. Dieser versuchte (ohne Erfolg) gegen den Widerstand guelfischer Kräfte und König Robert von Anjou von Neapel-Sizilien seinen kaiserlichen Machtanspruch in Italien durchzusetzen. Dante setzte bis zu seinem Tod 1313 seine Hoffnungen darauf, Heinrich könne Italien in einer Monarchie zusammenführen.117 Mit dem Iovis armiger bedient sich Giovanni dabei eines Bildes, das unter anderem aus der Aeneis bekannt ist. Als gängige Allegorie des Kaisers findet sie sich so auch in einer Epistel Albertino Mussatos.118 Für Giovannis rhetorische Absicht ist das Bild in mehrfacher Hinsicht passend. So weist der Begriff des armiger auf ein episches Thema hin. Denn mit den Waffen beginnt auch Vergils Aeneis (Arma virumque cano, Verg. Aen. I 1). Sie kündigen dort programmatisch das epische Thema und die epische Gattung an. Der Waffenträger erscheint vor diesem Hintergrund als Protagonist der epischen Gattung. Diese gilt wiederum gemäß der mittellateinischen Stillehre als erhabene Stilebene.119 Denn neben der Gattungstrias Tragödie–Satire–Komödie, die aus Horaz’ Ars poetica abgeleitet wird, gelten die drei Werke Vergils, die Aeneis, die Georgica und die Bucolica als repräsentative Gattungstrias. Angelehnt ist diese Schematisierung an die spätantike Vergilkommentierung, wie sie der römische Grammatiker Servius (Ende 4.–Anfang 5. Jahrhundert n. Chr.) vorlegt. Dieser erkennt in den drei Werken Vergils drei Niveaus der Dichtung, die er in seiner Einführung zu den Bucolica als characteres voneinander unterscheidet. So entsprechen die Aeneis dem gravis character, die Georgica dem medius character und

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Eindrucksvoll bezeugt dies eine Epistel an den Kaiser, in der Dante ihn als Nachfolger Caesars und Augustus’ anspricht, der Italien wieder einen und in den Zustand der Gerechtigkeit bringen werde (Dante Epist. VII). Vgl. Albanese 2014, 1676. Auch der Lcom identifiziert den Iovis armiger als idest imperator Enricus. Auf Verg. Aen. V 255; IX 654 verweist auch u. a. Petoletti 2016, 528. Darüber hinaus findet sich die Wendung Iovis armiger antik u. a. bei: Verg. Aen. IX 561; Ov. Met. XV 386. Bei Mussato siehe Unum / quod sublime volat. Dictum Iovis Armiger illud, / Viva sed in latis carpens animalia campis (Albertino Mussato Epist. XVII 48). Auch in der Antike werden Gattungen in ihrem Niveau unterschieden. So erscheint beispielsweise die recusatio als ein typisches Motiv zur Rechtfertigung kleiner Gattungen der Elegie oder der Ekloge gegenüber der größeren, bedeutenderen Gattung des Epos, vgl. u. a. Verg. Ecl. VI 3–5; Ov. Am. I 1–4. Zur recusatio in der antiken lateinischen Literatur siehe Schmitzer 2001. Die Gattungstrennung und Hierarchisierung ist jedoch in der Antike weniger streng vollzogen als in der mittellateinischen Stillehre, die versucht, die einzelnen Angaben aus der antiken Rhetorik und Poetik in ein einheitliches Schema zu bringen.

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die Bucolica dem humilis character. Diese Unterscheidung macht Servius vor allem anhand des dargestellten Personals fest, ihrer Sprache und den Themen, die sie behandeln. Dementsprechend thematisieren die Hirten der Bucolica nur einfache Dinge und unterscheiden sich dadurch von den edlen Figuren des Epos und den staatstragenden Themen, die sie verhandeln.120 Franz Quadlbauer erkennt neben der horazischen Ars poetica die Vergilkommentierung als elementare Grundlage, auf der die Ausbildung des stark materiellen, resund persona-gebundenen Stilbegriffs im Mittelalter basiert. Diese schematische Theoretisierung zeigt sich eindrücklich in der sogenannten Rota Virgilii, die der englische Grammatiker und Dichter, und Schüler Alain de Lilles, Johannes von Garlandia (ca. 1180–1258) in seinem Traktat Parisiana Poetria abbildet. Darin teilt er die drei Werke Vergils ähnlich wie Servius in den stilus gravis, den stilus medius und den stilus humilis ein und gibt in sechs Kategorien typische Elemente des jeweiligen Stils an: darunter das Personal, nämlich für das Epos den Krieger, für die Georgica die Bauern und für die Bucolica die Hirten. Die weiteren Kategorien sind Tier, Werkzeug, Ort und Pflanze. Deutlich wird daran die inhaltliche Definition der Gattung sowie die Gleichsetzung des eigentlich elocutionellen Begriffs stilus mit dem der Gattung. Dieses Dreierschema wiederum wird parallel zum horazischen Dreierschema aus Tragödie–Satire–Komödie gelesen, sodass in der mittellateinischen Stillehre Epos und Tragödie denselben Status als Gattungen des stilus gravis einnehmen. Komödie und Bucolica stehen entsprechend beide für den stilus humilis.121 Wenn Giovanni del Virgilio Dante vorschlägt, den Waffenträger des Jupiter zu besingen, wird folglich bereits an der Formulierung armiger Iovis (I 26) erkennbar, dass er ihn von einer epischen Dichtung, also einem lateinischen Gedicht im hohen Stil überzeugen will. Denn die Waffen sind das Werkzeug des Kriegers, folglich des epischen Personals. Mit der Zuordnung zu Jupiter, dem höchsten Gott des antiken Götterhimmels, verankert Giovanni auch dieses Bild dezidiert in der antiken Mythenwelt.

120 Tres enim sunt characteres, humilis, medius, grandiloquus: quos omnes in hoc invenimus poeta [Vergilius]. nam in Aeneide grandiloquum habet, in georgicis medium, in bucolicis humilem pro qualitate negotiorum et personarum: nam personae rusticae sunt, simplicitate gaudentes, a quibus nihil altum debet requiri (Serv. Comm. in Verg. Ecl. Prooem.). 121 Zur Rota Virgilii siehe Johannes von Garlandia Poetria Parisiana II 116–132. Zu Johannes von Garlandia und der Verbindung zu Dante Beggiato 1971; Klopsch 1980, 147–163. Zu Johannes von Garlandia in Giovanni del Virgilios Werk siehe Velli 1981. Die Gleichsetzung zwischen Komödie und Bukolik findet sich auch in Bene da Firenzes Candelabrum in seinen Ausführungen zur narratio. Dort führt er beide als Beispiel der narratio poetica an, die nicht wie die Aeneis über Angelegenheiten spreche, sondern über Personen, ihre Eigenschaften in Sitten und Rede. Als Beispiel dafür nennt er Vergils Bucolica und Terenz’ Komödien (Bene da Firenze Candelabrum IV 21, 1–3). Rhetorische und poetologische Kategorien werden in der zeitgenössischen Rhetorik gleichwertig behandelt. Dies zeigt sich auch an Galfrid von Vinsaufs Beispiel für die salutatio zwischen Personen niederen Ranges in Briefen. Dort zieht er das Hirtenpersonal aus Vergils Bucolica als Personal des stilus humilis heran (Galfrid von Vinsauf Summa de arte dictandi 4).

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Der Kaiser Heinrich, dessen Italienfeldzug 1313 mit seinem Tode endet, erhält mit dem epischen Bild eine poetische postume Würdigung. Sein Flug zu den Sternen (petit astra volatu, I 26) spielt auf den antiken Mythos an, nach dem die Kaiser nach ihrem Tode verstirnt und damit selbst zu Göttern werden.122 Giovanni schlägt Dante folglich erstens ein Gedicht vor, das Kaiser Heinrich als Feldherrn antiker Tradition und Form verherrlicht. Der zweite Vorschlag, den Giovanni Dante unterbreitet, präsentiert eine der zeitgenössischen kriegerischen Auseinandersetzungen als mögliches Thema: den Konflikt zwischen der guelfischen Partei aus Florentinern und dem Haus der Anjou mit dem ghibellinischen Capitano und kaiserlichen Vikar Uguccione della Faggiola, der 1315 die Guelfen bei Genova besiegt (dic age quos flores, que lilia fregit arator, I 27). Wieder bedient sich Giovanni einer allegorischen Umschreibung. Dabei kombiniert er bekannte Bilder der zeitgenössischen Heraldik elegant mit Motiven der antiken Literatur, sodass die Bedeutung der einzelnen Allegorien möglichst eindeutig erkennbar bleibt. So repräsentieren die flores entsprechend der Etymologie des Namens Florentia die Stadt Florenz, die Lilien das Haus Anjou gemäß deren Wappenzeichen.123 Den Pflüger der Florentinischen flores und der Anjou-Lilien erschließt der zeitgenössische Leser aus seinem historischen Wissen über die vergangenen Schlachten zwischen den Anhängern der Guelfen und der Ghibellinen als den siegreichen Uguccione della Faggiola. Bemerkenswert ist an dieser Stelle erneut die stilistische Präsentation des Themas, an der sich das poetologische Programm des Gelehrten ablesen lässt. Denn die Blumen, die von dem Pflüger gebrochen werden, stellen eine intertextuelle Anspielung auf das neunte Buch der Aeneis dar. Dort fallen die jungen Trojanerkrieger Euryalus und Nisus in ihrem heldenhaften Kampf gegen die feindlichen Rutuler. Der vom Schwert niedergestreckte Euryalus wird in seinem Todeskampf eben mit einer Blume verglichen, die vom Pflug erfasst dahinwelkt.124 Die epische Niederlage aus Vergil verwendet Giovanni erkennbar als Folie, um den zeitgenössischen Konflikt in antikisierender Form darzustellen. So nennt er die typischen heraldischen Symbole der guelfischen Parteigänger, um sie in einem vergilisch-epischen Bild als Verlierer der kriegerischen Auseinandersetzung gegen den Ghibellinenführer darzustellen. Im Zuge dessen wird

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Zur Kaiserverstirnung siehe Servius’ Kommentar zur fünften Ekloge Vergils. In diesem Trauergedicht um den schönen Daphnis bietet Servius an, die Allegorie des Gaius Iulius Caesar zu lesen, der durch Cassius und Brutus getötet wurde. Die Verstirnung des Daphnis, die die Hirten in der fünften Ekloge besingen, ließe sich dementsprechend als Apotheose des Caesar deuten (‚tollemus ad astra‘ quia apotheosin eius dicturus est, Serv. Comm. in Verg. Ecl. V 50). Zum antiken Kaiserkult und der Vergöttlichung des Kaisers (auch bereits zu deren Lebzeiten) siehe Graf 1999; Loehr 2003. 123 Albanese 2014, 1677 verweist für die Florenz-Etymologie auch auf Dante Dve II 6, 4 und für die Lilie als Zeichen der Anjou auf Dante Par. VI 111. 124 Purpureus veluti cum flos succisus aratro / languescit moriens (Verg. Aen. IX 435 f.). Vgl. u. a. Petoletti 2016, 529.

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aus dem vergilischen Pflug bei Giovanni die Person des Pflügers, der in vollem Bewusstsein die gegnerischen Blumen niedermäht. Im Vergleich zu der epischen Figur des Waffenträgers stammt das Bild des Blumenpflügers zwar auch aus der Aeneis und somit aus einem epischen Kontext. Das Bild an sich ist jedoch landwirtschaftlich. Angesichts der stark schematisierten Gattungsdefinition der mittellateinischen Stillehre ist ein bewusstes Niveaugefälle von dem Iovis armiger zum arator des zweiten Themas anzunehmen. So steht der arator, der gemäß der Rota Virgilii dem bäuerlichen Kontext der Georgica, d. h. dem mittleren Stil zuzuordnen ist, für den ghibellinischen Kapitän Uguccione della Faggiola, der als Parteigänger des Kaisers auch einem sozial niedereren Rang angehört als der Kaiser selbst, der zuvor mit dem epischen Bild des Iovis armiger (I 26) genannt wurde. Giovanni del Virgilio nimmt folglich erneut eine epische Verherrlichung zeitgenössischer Kriegsereignisse vor und berücksichtigt dabei die strikte Gattungstrennung, die die Stillehre aufgrund der sozialen Stellung ihrer Figuren vornimmt. Auch das dritte Thema bleibt in der antikisierenden Allegorie, die Giovanni mit zeitgenössischen Bildern verquickt (dic Frigios damas laceratos dente molosso, I 28). So spielt er auf die Auseinandersetzungen zwischen Padua und Verona an, die sich in den Jahren 1311–1319 abspielen.125 Die phrygischen Geißen repräsentieren die Stadt Padua, auf deren antiken Gründungsmythos der Gelehrte anspielt. Laut der Aeneis wurde die norditalienische Stadt durch den Phrygier Antenor gegründet, sodass das Adjektiv frigius darauf zu beziehen ist.126 Die Geißen stehen für das furchtsame Beutetier des Molosserhundes, der mit dem Veroneser Ghibellinenführer und kaiserlichen Vikar Cangrande della Scala zu identifizieren ist. Der Hund, den dieser im Namen trägt, ist auch ein Wappentier der Scaligeri. Wenn Giovanni ihn als Molosser bezeichnet, spielt er auf die Hunderasse an, die bereits antik als scharfer Jagdhund bekannt ist.127 Erneut gelingt es Giovanni folglich, aktuelle politische Akteure mithilfe antiker Chiffren eindeutig zu allegorisieren. Schließlich wählt er viertens die zu seiner Zeit noch laufenden Kämpfe zwischen den guelfischen Truppen unter der Führung Robert von Anjous gegen die Ghibellinen unter Führung Marco Viscontis (dic Ligurum montes et classes Parthenopeas, I 29). Die Flotte des neapolitanischen Königs Robert wird antik-mythologisch als Parthenopeia bezeichnet. Dabei handelt es sich um den Namen der Sirene Parthenope, die nach dem antiken Mythos in Neapel begraben liegen soll.128 Die ligurischen Berge stehen metonymisch für die Umgebung Genuas, den Austragungsort des Konflikts. Mit der 125 126 127 128

Vgl. u. a. Brugnoli/Scarcia 1980, 18 f. Der Gründungsmythos findet sich bei Verg. Aen. I 242–249. Petoletti 2016, 529 verweist zudem auf Liv. I 1 und Lucan. VII 194. Albanese 2014, 1677 f. macht auf Lovato dei Lovati aufmerksam, der diesen antiken Mythos durch die Auffindung von Antenors Grab wiederbelebt habe. Albanese 2014, 1678 verweist auf Lucr. V 1063; Hor. Sat. II 6; Verg. Georg. III 405. Vgl. Uguccione da Pisa Derivationes M 128, 26. Vgl. Verg. Georg. IV 564; Ov. Met. XV 712.

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Gegenüberstellung der Flotte und der Berge hebt Giovanni dabei die Einwirkung vielfältiger Kräfte zu Meer und zu Land hervor und betont so den bedeutsamen Charakter des Ereignisses.129 Die Präsentation der vier Themen, die Giovanni Dante zur Behandlung vorschlägt, ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert. Denn zum einen beweist Giovanni mit der allegorisch-antikisierenden Darstellung, dass er selbst den hohen Stil der epischen Dichtung beherrscht und ihn mit seiner rhetorischen Absicht zu verbinden weiß, ohne die Verständlichkeit seiner Aussage zu beeinträchtigen. Damit hält er auf herausragende Weise die Waage zwischen dem allegorischen modus transumptivus und der eleganten, eindeutig verständlichen latinitas des Briefstils.130 Zum anderen gibt er Dante auf diese Weise quasi performativ inhaltlich und formal Beispiele, die er in seinem carmen vatisonum ausgestalten solle, um den gelehrten Ansprüchen gerecht zu werden.131 Den erhabenen Themen entspricht dabei die stilistisch erhabene Präsentationsform. Entsprechend des von Quadlbauer definierten materiellen Stilverständnisses liegen die Worte bzw. der Stil eigentlich nicht in der Auswahl des Dichters, sondern ergeben sich aus dem an sich erhabenen Gegenstand der Rede.132 Inhaltlich fokussieren die Themen, die Giovanni del Virgilio wählt, die ghibellinische Position und kommen damit zum einen Dantes politischer Einstellung nach. Dieser hatte sich unter anderem in seinem politischen Traktat Monarchia (zwischen 1308–1318) ausführlich der Begründung des Kaisertums als einzig rechtmäßiger weltlicher Herrschaftsform gewidmet. Zum anderen ist die ghibellinische Position als ein politischer Gegenentwurf zu der proguelfischen Tragödie Ecerinis erkennen, für die der Paduaner Notar und Dichter Albertino Mussato 1315 eine Dichterkrönung erhalten hatte.133 Giovannis Vorschlägen lässt sich darüber hinaus entnehmen, welche Funktion und Stellenwert der Gelehrte der Dichtung und dem gelehrten Dichter zuerkennen möchte. Denn inhaltliche und formale Gestalt der Vorschläge, die er Dante zur Bearbeitung unterbreitet, weisen auf eine Dichtung hin, die Taten zeitgenössischer politischer Führungsfiguren als Heroen antiker Tradition feiert. Die episch-antikisierende Form 129 130

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Vgl. Petoletti 2016, 531. Bene da Firenze attestiert dem modus transumptivus die Wirkung einer besonderen gravitas der Rede, warnt jedoch davor, mit einem zu stark transumptiven Modus die Nachricht unverständlich zu machen (Bene da Firenze Candelabrum VII 27, 4). Zur latinitas ibid. I 9, 1–5. Giovannis allegorische Darstellungen veranlassen den Verfasser des accessus aus dem Bologneser Universitätskreis dazu, einen bukolischen Modus der Epistel zu erkennen (abgedruckt in Petoletti 2016, 650). Denn die Bukolik gilt gemäß der spätantiken Vergilkommentierung als allegorische Chiffre biographischer oder zeitgenössischer Ereignisse. Dazu siehe u. a. Korenjak 2003. Vgl. Vecchi 1967, 72; Davie 1977, 184. Vgl. Quadlbauer 1962, 161. Vgl. Albanese 2014, 1675. Sie erkennt in den Themenvorschlägen zudem eine Verbindung zu Albertino Mussato Epist. ad Collegium artistarum 19–24; 87–89. Als Alternative zu Mussatos Ecerinis und seinem De gestis Henrici VII Cesaris deutet Villa 2010 Giovannis Vorschläge.

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bewirkt dabei eine Aufwertung der Ereignisse und Persönlichkeiten. Der Dichter ist demzufolge Herold einer bestimmten politischen Linie, deren Taten er im Sinne des antiken Herrschaftsanspruchs überhöht, und damit den Besungenen und sich selbst zu nachhaltigem Ruhm verhilft. Diesen Ruhm des Dichters thematisiert Giovanni weiterhin im Anschluss an die vorgeschlagenen Themen. Über drei Verse spannt er die Grenzen der bekannten Welt zwischen der Stadt Gades im Westen, der Donau im Norden, der Insel und dem gleichnamigen Leuchtturm Pharos im Osten und Karthago im Süden auf (I 30–32), die Dante mit einer solchen Dichtung erreichen würde.134 So wie zuvor die Anapher dic (I 25– 29) die Themenvorschläge strukturiert hatte, erscheint nun das Relativpronomen quo als einheitsstiftendes syntaktisches Strukturelement. Giovanni verleiht der Welt dezidiert antike Grenzen. Denn die Stadt Gades repräsentiert zum einen eine geographische Grenze im Westen.135 Gemäß der antiken Mythologie markiert sie jedoch zum anderen auch die Grenzen des menschlichen Wissenshorizonts. Denn in Gades werden im Mythos die Säulen des Herkules (Alcides) lokalisiert, der im Mittelalter aus dem enzyklopädischen Wissen der Etymologien bekannt ist.136 Das Gades des Alkiden Herkules leitet die Aufzählung der Grenzen somit einerseits als Repräsentant des Westens ein. Andererseits markiert es die Reichweite des antiken Wissenshorizonts, den Dante mit seiner gelehrten Dichtung erreichen solle. Daraufhin gibt Giovanni die nördliche Grenze an, die er metonymisch durch die Donau bezeichnet (et quo te refluus relegens mirabitur Hyster, I 31). Erneut spielt er mit einem antiken Motiv, demzufolge an der Donau der römische Kulturraum endet und das barbarische Gebiet beginnt.137 Weiterhin fällt der bildhafte Modus auf, wenn Giovanni den Hyster personifiziert, der in ehrfurchtsvoller Bewunderung von Dantes

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Vgl. u. a. Albanese 2014, 1679 f. Ihr Grenzcharakter ist im zeitgenössischen Wortgebrauch bereits so fest etabliert, dass beispielsweise Galfrid von Vinsauf den Namen der Stadt in seinem Poetiktraktat als Metapher für das Ende eines poetischen Werkes verwendet (Certus praelimitet ordo / Unde praearripiat cursum stylus, aut ubi Gades / Figat, Galfrid von Vinsauf Poetria Nova 56–58). Vgl. Uguccione da Pisa Derivationes G 8 s. v. Gadir. Albanese 2014, 1680 verweist zudem auf Isid. Etym. XIII 15, 2; XIV 6, 7. Nach dem Mythos stellte Herkules die Säulen an einem Ort im äußersten Westen auf, bevor er seine zehnte Aufgabe vollführte. Auch Dante spielt in seiner Commedia auf diesen Mythos an. In Inf. XXVI berichtet der verdammte Odysseus von seinem Vorhaben, die Säulen des Herkules passieren und damit die Grenzen der menschlichen Wissenswelt überwinden zu wollen. Seine Unternehmung, der folle volo (Dante Inf. XXVI 125), wird jedoch durch göttlichen Willen bestraft und das Meer verschlingt ihn mit seinem Schiff und seiner Mannschaft. Zum Patronym des Herakles ThLL s. v. Alcides A. Uguccione da Pisa Derivationes A 142 s. v. Alce. Uguccione da Pisa Derivationes H 53 s. v. Hic Hyster -tri fluvius est qui et Danubius dicitur, unde Hystri dicti sunt, siquidem de Colco insula quidam, missi ad persequendos Argonautas, a Ponto intraverunt Hystrum fluvium, et inde a vocabulo amnis, quo a mari recesserunt Hystri dicti sunt. Et inde hec Hystria –e dicta est terra quam incoluerut, unde hyster -tra -um gentile. Albanese 2014, 1680 verweist zusätzlich auf Oros. Hist. I 2, 54; Isid. Etym. XIII 21, 28; Verg. Georg. II 497 f., wo die Donau als Grenze des römisch zivilisierten Raumes erscheint.

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Dichtung seine Fließrichtung ändert (refluus relegens mirabitur Hyster, I 31). Die Alliteration des re- betont die beiden Adjektive in ihrer Zusammengehörigkeit und hebt damit die Ehrfurcht des Flusses hervor. Diese Reaktion verbindet zudem die Funktion des Flusses als nördliche Weltgrenze mit einem weiteren antiken Motiv, das Dantes Fähigkeiten als Dichter hervorheben soll. So sind die Reaktionen der Natur auf den Dichter zum einen vor allem mit der Figur des wundersamen Sängers Orpheus verbunden. Zum anderen erscheinen die zurückfließenden Flüsse in Vergils achter Ekloge. Dort sind die beiden Hirten Damon und Alphesiboeus mit orphischem Talent beschrieben und lassen mit ihrem Gesang die Flüsse ihren Lauf verändern.138 Indem der Gelehrte den nördlichen Grenzfluss Donau in derselben Reaktion beschreibt, attestiert er Dante und seiner gelehrten lateinischen Dichtung Fähigkeiten, die dem Orpheus und seiner Dichtung gleichkommen.139 Die östliche und südliche Grenze vereint Giovanni daraufhin in einem Vers (et Pharos et quondam regnum te noscet Helysse, I 32). Er repräsentiert sie ebenfalls in Personifizierungen, indem er auf berühmte Elemente der antiken Kultur- und Literaturtradition zurückgreift. Wenn er den Osten Pharos nennt, spielt er auf den Leuchtturm in Ägypten an, der seit der Antike als Weltwunder gilt. Bereits antike Dichter nennen ihn metonymisch für das Land Ägypten und auch zeitgenössisch ist es als konventionelle Metonymie bekannt.140 Für den südlichen Teil nennt er mit Karthago wiederum eine Stadt, die für den Ruhm Roms steht. Denn einerseits erinnert es an die römischen Siege über die machtvolle punische Stadt, wie sie unter anderem der römische Geschichtsschreiber Titus Livius in den Büchern 21 bis 30 seines Ab urbe condita wiedergibt.141 Andererseits lenkt Giovanni del Virgilio die intertextuellen Assoziationen des Lesers auch auf Vergils Aeneis, wenn er Karthago als regnum Helysse paraphrasiert. Damit ruft er die tragische Beziehung zwischen Aeneas und der Königin Dido auf, die Vergil im vierten Buch der Aeneis besingt. Bei dem Namen Elissa handelt es sich um einen alternativen Namen Didos, wie er bei Vergil mehrmals zu finden ist.142 Mit dem

Verg. Ecl. VIII 1–4. Vgl. u. a. Albanese 2014, 1680 f. Das Partizip relegens (I 31) trägt nach einer spätantiken Etymologie die Bedeutung des „Verehrens“ und unterstreicht somit ebenfalls den orphisch-prophetischen Effekt von Dantes Dichtung. Vgl. u. a. Albanese 2014, 1681. Sie verweist zudem auf Isid. Etym. X 234. Die prophetisch-göttliche Wirkung von Orpheus’ Dichtung attestiert Horaz in seiner Ars poetica, der den Sänger als interpres deorum bezeichnet (Hor. Ars 391 f.). Zu Orpheus als wundersamem Sänger siehe Klodt 2004, 37– 98. Zu Orpheus im Mittelalter siehe Friedman 1970. Für den Orpheus-Mythos in der Renaissance siehe Buck 1961. 140 Vgl. Lucan. VIII 443; Stat. Silv. III 2, 102; Uguccione da Pisa Derivationes F 53, 28. 141 Zu den Punischen Kriegen siehe Bringmann 2001. Zu Vergils Verarbeitung des Konflikts in der Aeneis, in der er Karthago als potenzielles Weltreich, aber gemäß der fata als eine falsche Alternative zu Rom darstelle, siehe Schauer 2007. 142 Verg. Aen. IV 335; IV 610; V 3; Ov. Am. II 18, 31; Ars III 40; Her. VII 1; VII 102, VII 193. Vgl. u. a. Petoletti 2016, 533. Dass es sich bei Elissa um Didos ursprünglichen Namen handelt, erläutert u. a. Servius zu Aen. I 340. 138 139

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Begriff regnum und der Anspielung auf die Episode zwischen Aeneas und Dido wählt Giovanni abermals episch-tragische Motive, die für ein stilistisch erhabenes Register sorgen. Die Paraphrase Karthagos als Königreich der Elissa, die Dante durch seine Dichtung kennen lernen sollen, vermittelt zudem den Eindruck, dass das Reich noch in eben der antiken Form besteht. Giovanni inszeniert so eine ungebrochene Kontinuität zwischen Geschichte und Mythos des antiken Roms und seiner aktuellen Zeit. Giovanni suggeriert folglich, dass Dante mithilfe eines lateinischen Epos über die verschiedenen Himmelsrichtungen bis an die Grenzen der antiken Wissens- und Kulturwelt bekannt würde. Die antikisierende Präsentation der Weltgrenzen schließt dabei formal an die Themenvorschläge an, die Giovanni in episch-erhabenem Stil vorbrachte. Diese Art der Dichtung und das Publikum der römisch zivilisierten Welt erscheinen so in einem logischen Verhältnis zueinander. Das carmen vatisonum und der vates, die Giovanni hier entwirft, sind somit von erdumspannender Wichtigkeit, eine Ehre, die er Dante im exordium bereits zugestanden hatte (orbem / mulces letifluum, I 1 f.). Das Argument des Ruhmes, das Giovanni bis hierher als Teil seiner confirmatio ausführlich unterbreitete, fasst er Dante daraufhin noch einmal in einem Bedingungssatz zusammen. Dabei formuliert er das Argument nun ex negativo: Wenn Dante ein solcher weltumspannender Ruhm erfreue, würde er sich mit den engen Grenzen der volkssprachlichen Dichtung nicht zufrieden geben und auch nicht mit einem positiven Urteil des Volkes (Si te fama iuvat, parvo te limite septum / non contentus eris, nec vulgo iudice tolli, I 33 f.). Giovanni stellt erneut die Vorzüge der lateinischen gelehrten Dichtung den Nachteilen der volkssprachlichen Dichtung gegenüber. Dabei wählt er zur Beschreibung des volkssprachlichen Phänomens einen konkreten, eindeutigen Stil, während er für die Ausführungen zur lateinischen Dichtung ein erhaben-bildreiches Register anwendet. So stellt er der poetischen Paraphrase der gelehrt-lateinischen Welt- und Kulturgrenzen (I 30–32) in einfachen Worten den parvus limes (I 33) der volkssprachlichen Grenze gegenüber. Damit spiegelt er zum einen sprachlich-stilistisch den unterschiedlichen Wert, den er den beiden Dichtungsarten zuerkennt. Zum anderen ist dies rhetorisch zweckdienlich, da der Gelehrte auf diese Weise das Argument des Ruhmes zunächst in poetischer Form schmuckvoll ausführt und anschließend in eindeutigen Worten einprägsam wiederholt. So stellt er im Nachhinein das genaue Verständnis der vorangehenden poetischen Amplifikation sicher.143 Mit dieser erneuten Kritik an der Volkssprache schlägt er zudem inhaltlich einen Bogen von der confirmatio zur vorangehenden confutatio (I 15–24). Dort hatte Giovanni ja die Uneinheitlichkeit und Unbeständigkeit der Volkssprache moniert (I 16). Die enge Grenze, die der Gelehrte hier mit der volkssprachlichen Dichtung verbindet, 143

So wird der stilus humilis traditionellerweise in der Rhetorik auch zum Zweck des docere verwendet, wohingegen der bildreiche stilus gravis vor allem zum flectere und movere dienen soll. Vgl. Auerbach 1958.

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Ein gelehrter Rat

liegt eben darin begründet. Denn die weiten Grenzen des lateinischen Ruhmes werden möglich durch die Einheitlichkeit der Sprache, die von allen Gelehrten im römisch zivilisierten Kulturraum beherrscht und verstanden werde. Eine volkssprachliche Dichtung, so suggeriert der Gelehrte, könne hingegen nur von einem des jeweiligen Idioms kundigen Publikum rezipiert werden. Darüber hinaus pauschalisiert Giovanni nochmals versichernd, dass generell die Richterschaft des vulgus nicht akzeptabel sei (nec vulgo iudice tolli, I 34). Abermals deuten sich hier intertextuelle Bezüge zu Horaz’ Ars poetica und Lovatos poetologischer Epistel an, die die elitäre Abneigung des Gelehrten gegenüber einer volkstümlichen, unkundigen Dichtungsrezeption und -kritik autoritativ unterstützen. So findet sich bei Horaz der entgegengesetzte, positive Fall. Er als Dichtungskundiger tritt als Richter auf und mahnt mit der Junktur me iudice davor, die Regeln der rhetorischen Schicklichkeit zu missachten. Lovato dei Lovato hingegen wendet sich ähnlich mahnend an Bellino Bissolo wie Giovanni del Virgilio an Dante, wenn er vor der opinio precipitis vulgi warnt, die keinen Maßstab darstellen dürfe.144 Nachdem Giovanni del Virgilio im ersten Teil seiner confirmatio (I 25–34) ausführlich für die gelehrte lateinische Dichtung geworben hat, bezieht er dies nun auf die konkrete Konstellation zwischen Dante und sich selbst. So lädt er Dante an die Universität nach Bologna ein und stellt ihm den Lorbeerkranz für seine gelehrte Dichtung in Aussicht.145 En ego iam primus, si dignum duxeris esse, clericus Aonidum, vocalis verna Maronis, promere gimnasiis te delectabor, ovantum inclita Peneis redolentem tempora sertis, ut prevectus equo sibi plaudit preco sonorus festa trophea ducis populo pretendere leto.

35

40 [I 35–40]

Mit der anfänglichen Interjektion en (I 35) stellt Giovanni ein besonders emphatisches Register her und signalisiert seine emotionale Beteiligung. Nachdem er vorher zumeist als Sprachrohr der Gelehrten aufgetreten war, stellt er seine Person wieder in den Vordergrund (ego primus, I 35). Er tritt auf, um Dante nun persönlich den Ruhm für ein lateinisches carmen vatisonum in Aussicht zu stellen, den er zuvor besprochen 144 Vgl. Hor. Ars 244; Lovato Epist. II 63 f. Albanese 2014, 1681 f. verweist neben Lovatos Epistel und Horaz’ Ars poetica zudem auf die intertextuellen Ähnlichkeiten zu Hor. Sat. I 6, 97–99. 145 Albanese 2014, 1679 will bereits in I 30 den Anfang eines neuen Abschnitts der confirmatio erkennen. Dies scheint mir jedoch inhaltlich wenig begründet, da die Verse I 30–34 noch immer die allgemeinen Möglichkeiten aufzählen, die eine gelehrte Dichtung eröffnen würde. Im folgenden Abschnitt I 35–40 beginnt hingegen ein neuer Teil der confirmatio, da Giovanni hier die konkret persönlichen Folgen aufzählt, welche eine solche Dichtung für Dante hätte und dabei seine eigene persönliche Beteiligung hervorhebt.

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hatte (vgl. I 30–34), und will Dante mit Freuden den gimnasia bekannt machen (En ego iam primus, si dignum duxeris esse, / clericus Aonidum, vocalis verna Maronis, / promere gimnasiis te delectabor, I 35–37). Dabei inszeniert er die Umstände an der Universität als unmittelbar geeignet für Dantes Ehrung als gelehrten Dichter. So stellt er sich selbst als besonders qualifiziert dar, um Dantes gelehrten Ruhm zu bewerben, indem er sich als Experten der vergilischen Dichtung präsentiert, nämlich als clericus Aonidum (I 36) und Haussklaven Vergils (vocalis verna Maronis, I 36).146 Da er Dante als neuen Vergil anerkennt (I 1–5), empfiehlt er sich hiermit implizit auch Dante als Diener an.147 Zudem stellt Giovanni die Universität mit der Bezeichnung der antiken Philosophenschulen als gimnasia (I 37) in die Tradition antiker Gelehrsamkeit.148 So präsentiert er Dante seinen Kontext an der Universität Bologna als besonders geeignet, um für eine gelehrte Dichtung ausgezeichnet zu werden und damit den Ruhm eines neuen Vergil zu erhalten. Auch die Auszeichnung, die Giovanni Dante in Aussicht stellt, stilisiert er als antike Zeremonie der Dichterkrönung und umschreibt diese als Peneischen Kranz der Triumphierenden, der Dante wohlriechend die berühmten Schläfen umwinden würde (ovantum / inclita Peneis redolentem tempora sertis, I 37 f.). Die Peneia serta verweisen dabei auf den Mythos der Nymphe Daphne, die auf der Flucht vor dem liebeskranken Apoll durch ihren Vater, den Flussgott Peneus, in einen Lorbeerbaum verwandelt wird. Ovid beschreibt diese Verwandlung im ersten Buch seiner Metamorphosen und legt damit das Aition des Lorbeers als Auszeichnung für Dichter und Feldherren des Römischen Reiches an. Denn nachdem Apoll voll Bedauern akzeptieren muss, dass ihm Daphne durch ihre Verwandlung in einen Lorbeerbaum entkommen ist, wählt der Dichtergott ihre Blätter als immergrünen Kopfschmuck und erklärt ihn darüber hinaus zum Zeichen der duces Latii.149

146 ThLL s. v. Aon 2. 147 Vgl. Albanese 2014, 1682. OLD s. v. verna 1a. Der Begriff des verna erscheint neben den klassischen Belegen auch in rhetorischem Kontext. Galfrid von Vinsauf verwendet ihn in der Einführung zu seiner Poetria Nova als Bild für den Anfang eines Gedichtes, der wie ein eloquenter Haussklave gegenüber dem Werk erscheinen soll (Carminis ingressus, quasi verna facetus, honeste / Introducat eam, ibid. Poetria Nova 71 f.). Interessanterweise folgt wie in Giovannis Epistel das Bild des Herolds kurz darauf. Dieser dient als Bild für das Ende des Werkes (Finis, quasi praeco / Cursus expleti, sub honore licentiet illam, ibid. 73 f.). Es lässt sich somit vermuten, dass Giovanni del Virgilio ein ähnliches Verhältnis zwischen Dantes und seiner Person ausdrückt, wie Galfrid zwischen einem Dichtwerk und seinen einzelnen Teilen. Erneut wird daran auch sichtbar, wie Giovannis Inszenierungen den zeitgenössischen rhetorischen Traktaten verpflichtet sind. 148 ThLL s. v. gymnasium A 2. 149 Die ganze Episode siehe Ov. Met. I 452–567. Das Aition findet sich am Ende von Apolls Rede (Ov. Met. I 557–565). Auch Dante verwendet das Motiv in seiner Commedia. Wörtliche Anspielungen auf Ovids Mythos finden sich in Par. I. Dort bittet Dante Apoll um die Auszeichnung, die Dichter und Feldherren zukäme (Par. I 22–33). In Par. XXV spricht er sich selbstbewusst das Anrecht auf die Dichterkrone für seine Commedia zu (ibid. XXV 7–9). Dass diese unter anderen Vorzeichen steht als diejenige, die Giovanni Dante in Aussicht stellt, zeigt sich in der zweiten Epistel der

Ein gelehrter Rat

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Das antike Motiv ist Giovannis Inszenierung in zweifacher Hinsicht dienlich. Denn zum einen stellt er Dante als Lorbeergekrönten in die Tradition der antiken Dichter. Dabei ist der immergrüne Lorbeer ein Zeichen des ewigen Ruhms, den Giovanni Dante in seiner Funktion als Universitätsgelehrter verspricht. Die Aussicht auf einen solchen ewigen Ruhm liest sich dabei erneut als implizite Abgrenzung von dem parvus limes (I 33), den eine volkssprachliche Dichtung Dante auferlegen und damit seinem Ruhm im Weg stehen würde.150 Neben seiner konkreten Funktion als Zeichen des Dichterruhms dient das Motiv des Dichterlorbeers zum anderen der stilistischen Inszenierungsstrategie des Gelehrten. Denn das Aition um Daphne und den Lorbeer unterstützt die poetisch-literarische Darstellung der Universitätsgelehrten und des gelehrten Dichters Dante als erhabenes Personal. In der narratio der Epistel ließ sich bereits feststellen, dass Giovanni das ungebildete Volk als komisches Personal inszeniert. Auf diese Weise begründete er die soziale Realität mit einer poetologischen Kategorie und bewies aufgrund dessen, dass das ungebildete Volk ein minderwertiges Personal und damit kein passendes Publikum für Dantes erhabene Dichtung darstelle (I 8–13). Denselben argumentativen Mechanismus verwendet Giovanni hier unter positiven Vorzeichen, um die Gelehrten der Universität als geeignetes Publikum für Dantes Dichtung zu präsentieren. Im ersten Teil der confirmatio (I 25–34) hatte er bereits die Vorschläge, die er Dante zur gelehrten Dichtung unterbreitet (I 26–29), durchweg mit erhaben-epischen Bildern gezeichnet. Auf diese Weise assoziierte er die gelehrte Dichtung mit der epischen Gattung, dem stilus gravis, und maß ihr einen dementsprechend erhabenen Status zu. Diese Bewertung bezieht Giovanni nun im zweiten Teil seiner confirmatio (I 35–40) auch auf die Gelehrten, zu denen er sich selbst, Dante und die universitäre Institution zählt. Erkennbar wird dies zunächst an dem Motiv der Dichterkrönung. Denn wenn Giovanni umschreibt, wie das Peneische Laub Dantes duftende Schläfen umwindet (inclita Peneis redolentem tempora sertis, I 38), verwendet er Begriffe, die den Dichter Dante mit einem antiken Feldherrn epischer Tradition assoziieren. So ist das Adjektiv inclitus, das hier die Schläfen des Dichters als berühmt bezeichnet, in der antiken Literatur oftmals ein Attribut des epischen Feldherrn.151 Das Genitivattribut des Lorbeerkranzes ovantum hebt darüber hinaus den triumphalen Charakter der Auszeichnung hervor und evoziert auf diese Weise auch die militärische Auszeichnung des antiken

150

151

Korrespondenz. Dort beteuert Dante, den Lorbeer für seine Commedia erhalten zu wollen (vgl. II 48–50). Vgl. Albanese 2014, 1683. Der Lorbeer gilt als immergrüne Auszeichnung des Dichters für sein Werk, der somit auch unvergänglichen Ruhm verheißt. So spricht Apoll bei Ovid von den ewigen Ehren, die durch das Laub bestehen (Ov. Met. I 565). Albertino Mussato, dem diese Auszeichnung 1315 in Padua zuteil wurde, ist sich ebenfalls des ewigen Ruhmes als Dichter antiker Tradition sicher, den ihm der Lorbeer verheißt (Albertino Mussato Epist. IV 73–76). Suerbaum 1972, 295 bewertet jedoch erst Petrarcas Dichterkrönung als erste tatsächliche der Neuzeit. ThLL s. v. inclutus 1 a β.

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Giovanni del Virgilio an Dante

Feldherrn, dessen Sieg bei seiner Rückkehr nach Rom in einem Triumphzug öffentlich gefeiert wird.152 Die Assoziation der Dichterkrönung mit dem Triumph des Feldherrn wird zudem intertextuell durch das mythologische Aition über Apoll und Daphne gestützt, das den Lorbeer explizit als Auszeichnung des Dichters und des siegreichen römischen Feldherrn angibt.153 Was die Wortwahl zur Beschreibung des Lorbeerkranzes andeutet, macht Giovanni del Virgilio mit dem folgenden Vergleich explizit. So vergleicht er die Dichterkrönung, die er Dante ermöglichen will, mit einem antiken Triumphzug (ut prevectus equo sibi plaudit preco sonorus / festa trophea ducis populo pretendere leto, I 39 f.).154 Dante wird auf diese Weise zum triumphierenden dux. Giovanni reitet als stimmreicher Herold vorweg, um dem frohlockenden Volk ihren Fürsten zu präsentieren. Der Vergleich stellt dabei eine exakte Wiederholung des Angebots dar, das Giovanni Dante zuvor unterbreitet hatte. So ist der preco sonorus das epische Bild zum clericus Aonidum und dem vocalis verna Maronis (I 36). Das Prädikat plaudit (I 39) entspricht dem delectabor (I 37), mit dem Giovanni seine Freude darüber ausdrückt, Dante der Universität vorzustellen. Die festa trophea (I 39) des Feldherrn Dante sind die Lorbeerkrone des poeta laureatus Dante, die ovantum Peneia serta (I 37 f.). Das glückliche Volk (populus letus, I 40), dem der Herold den Fürsten präsentiert, entspricht den gimnasia (I 37), den Gelehrten und Studenten der Universität Bologna. Auffällig ist auch, wie Giovannis epischer Vergleich mit dem Feldherrentriumph wörtliche Parallelen zu dem ovidischen Aition aufweist. So spricht Ovids Apoll von den duces Latii (Ov. Met. I 560), die dem dux Dante (I 40) in Giovannis Vergleich entsprechen. Das Adjektiv letus, das Giovanni auf das Volk bezieht (populus letus, I 40), variiert das ovidische laetus, das dort die Stimme nennt, die den Triumph verkündet (tu ducibus Latiis aderis, cum laeta triumphum / vox canet et viserit longas Capitolia pompas, Ov. Met. I 560 f.). Dieser Stimme, die bei Ovid anonym bleibt, verleiht Giovanni einen Urheber: Er selbst fungiert als preco sonorus, wenn er den triumphierenden dux Dante dem Volk der Gelehrten vorführt wie die vox laeta, die gemäß des ovidischen Apoll die lorbeergekrönten duces Latii besingt. An dem Vergleich wird somit deutlich, dass Giovanni del Virgilio die Gelehrten, vor allem Dante und sich selbst, mit einer römischen Triumphzuggesellschaft identifiziert. Entsprechend der mittellateinischen Stilkategorien, die den Feldherrn und Kriegsangelegenheiten als Gegenstände des epischen stilus gravis definieren, weist Giovanni der gelehrten Gesellschaft somit einen erhabenen Status zu. Diese epische Inszenierung der Gelehrten als sozial erhabene Klasse funktioniert dabei in derselben Weise wie

152 153 154

ThLL s. v. ovo II A 1 α. Ov. Met. I 558–561. Brugnoli/Scarcia 1980, 23 verweisen auf die Intertextualität zu Verg. Aen. VII 166–168. Dabei handelt es sich zwar nicht um einen Triumphzug, jedoch um einen Boten des Königs Latinus, der die Ankunft der Trojaner ankündigt, ebenfalls ein episches Bild.

Dante als Dichter und Lehrer

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Giovannis Gleichsetzung des gemeinen Volkes mit der komischen Gattung, dem stilus humilis, in der narratio des Briefes (I 8–13). Die epische Szene der erhabenen Gelehrtengesellschaft stellt somit implizit eine Brücke zur narratio her. Von der volkstümlich komischen Szene um den unkundigen nebulo, der Dantes Dichtung verständnislos „umherquakt“ und damit den gelehrten Horaz vom Erdkreis vertreiben würde (I 12 f.), grenzt Giovanni die gelehrt-erhabene Universitätsgesellschaft um sich und Dante als neuen lateinischen Vergil ab, indem er sie als episch-erhabene Figuren von dem komisch-grotesken nebulo unterscheidet.155 Die trivia, dem öffentlichen Platz, auf denen der Taugenichts rezitiert (I 12), stehen den gimnasia (I 37) entgegen, die Giovanni zum Ort des öffentlichen Dichtertriumphes erklärt. Das gelehrte Universitätspublikum, das Dantes Dichtung wertschätzen und freudig empfangen würde wie ein populus letus seinen triumphalen Heerführer (I 40), bildet den positiven Gegenpol zu dem unverständigen gemeinen Haufen der gens ydiota (I 10). Erneut wird Giovannis soziopoetologische Argumentationsstrategie erkennbar, da er die gelehrte Klasse als episches Personal darstellt und somit eine vermeintliche soziale Realität auf der Basis poetologischer Kategorien und ihrer Bewertungshierarchien inszeniert. Dante erscheint in der Inszenierung als neuer Vergil und Dichterfürst der gelehrt-erhabenen Gesellschaft und somit als genuines Mitglied der gelehrten Seite. Die Universität Bologna präsentiert Giovanni entsprechend als offizielle Stätte antik-römischen Wissens und Kultur und auf diese Weise als idealen Ort, um Dante in diesem Sinne auszuzeichnen. Er selbst zeigt sich dabei als Dichtungsexperte und Vertreter der gelehrten Institution und somit als idealer Vermittler, der Dante zu dieser Position und seinem verdienten Ruhm verhelfen könne. Die Übereinstimmung von Dichter, Dichtung und Publikum, gegen die Dante mit seiner volkssprachlichen und damit dem Volk gewidmeten Dichtung verstoßen hatte, erscheint in dieser Aussicht als wiederhergestellt. 5. Dante als Dichter und Lehrer Giovanni del Virgilio hat bis zu diesem Punkt seine verschiedenen Anliegen dargelegt. Er argumentierte zum einen für sein poetologisches Ideal, indem er die volkssprachliche Dichtung als minderwertig schmähte und dem die lateinische Dichtung als gelehrt-erhabene Dichtung gegenüberstellte. Zum anderen stellte er sich und Dante als erhabene Gelehrte einer klassisch-antiken Hochkultur dar. Dabei inszeniert er die genuine Entsprechung von episch-antikisierender Dichtung und der Institution der Gelehrten und proklamiert diese als soziopoetologischen Idealwert. Vor dem Hintergrund dieser Maßstäbe formuliert Giovanni abschließend eine conclusio (I 41–51). In

155

Vgl. Petoletti 2016, 533.

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Giovanni del Virgilio an Dante

zwei Teilen fasst er die dargelegten Vorstellungen zu Forderungen zusammen, die er konzentriert an Dante richtet. Die erste petitio (I 41–46) formuliert er zunächst aus einer kollektiven Perspektive.156 Iam michi bellisonis horrent clangoribus aures: quid pater Appenninus hyat? Quid concitat equor Tyrreneum Nereus? Quid Mars infrendet utroque? Tange chelim, tantos hominum compesce labores! Ni canis hec, alios ad te pendendo, poeta omnibus ut solus dicas, indicta manebunt.

45 [I 41–46]

Nach dem epischen Vergleichsbild, in dem sich Giovanni als Herold und Dante als triumphierenden dux darstellte (I 39 f.), bleibt der Gelehrte in dem kriegerischen Bildbereich. Es entsteht der Anschein einer spontanen Reaktion des Gelehrten, der plötzlich eines ihn umgebenden Getöses gewahr wird. So hebt er hervor, dass ihm bereits die Ohren von Kriegslärm erschrecken würden (Iam michi bellisonis horrent clangoribus aures, I 41). In antikisierend allegorischen Personifikationen zählt er den Appennin und das Tyrrhenische Meer auf, die vor dem Kriegsgott Mars starren und in Aufruhr sind (Quid pater Appenninus hyat? Quid concitat equor / Tyrreneum Nereus? Quid Mars infrendit utroque?, I 41–43). Die Bezeichnung des Appennin als pater verleiht Italien dabei eine emotionale Bedeutung als Vaterland.157 Das Knirschen des Kriegsgottes Mars und der Aufruhr, den der Gott Nereus im Tyrrhenischen Meer verursacht, wirken als übermenschliche Kräftekonstellationen, denen Land (Appenninus) und Meer (equor Tyrreneum) ausgesetzt sind.158 Mit den Gottheiten Nereus und Mars wählt Giovanni dabei erneut ein antikisierendes Vokabular. Die drei anaphorischen quid-Fragen, die sich durch eine kurze Syntax auszeichnen, unterstützen den Eindruck einer spontanen Reaktion des Gelehrten. Das horrere in seinen Ohren zeigt ihn wie in unmittelbarer Bedrängnis durch den um ihn herum tobenden Krieg. Mit seiner Wortwahl fokussiert Giovanni vor allem die klangliche Dimension des Krieges, wenn er seinen Schreck vor dem Krieg als bellisonus clangor (I 41) umschreibt, vor dem seine Ohren zurückschrecken würden. Das Adjektiv bellisonus erinnert dabei an das vatisonus (I 24), mit dem Giovanni das lateinische Epos bezeichnet hatte, das 156

157 158

Zur conclusio: Conclusio non ita sumitur ut in oratione rethorica: ibi enim dicitur conclusio artificiosus terminus orationis breviter colligens supradicta; hic autem est conclusio terminus epistole quid sequatur ex petitione declarans (Bene da Firenze Candelabrum IV 41, 1 f.). In Giovanni del Virgilios conclusio besteht die Schlussfolgerung aus zwei petitiones, die er vor dem Hintergrund des Gesagten noch einmal explizit an Dante richtet. Vgl. Albanese 2014, 1684. Brugnoli/Scarcia 1980, 23 verweisen für den Begriff pater Appenninus auf Verg. Aen. XII 702 f. Albanese 2014, 1684 f. vermutet hier eine historische Anspielung auf die Auseinandersetzung zwischen den guelfischen und den ghibellinischen Kräften bei Genua, die Giovanni bereits als letztes Thema Dante vorgeschlagen hatte (vgl. I 29).

Dante als Dichter und Lehrer

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Dante schreiben solle. So bringt er das Kriegsszenario mit dem erwünschten Dichtwerk Dantes verbal in Verbindung. Den Zusammenhang zwischen dem historischen Kriegsgeschehen und der poetischen Dimension macht Giovanni daraufhin in einer petitio an Dante explizit. Denn er fordert ihn auf, zur Kithara zu greifen, die er in einer antiken Metonymie nach ihrer Form als Schildkrötenpanzer (chelis, I 44) bezeichnet.159 Damit solle Dante die Mühen der Menschen lindern (Tange chelim, tantos hominum compesce labores, I 44).160 Indem er die Kriegsleiden der Menschen labores nennt, greift Giovanni abermals auf einen Begriff zurück, der in antiker Tradition die Leiden und Mühen des epischen Helden bezeichnet. So beginnt die Aeneis mit der Ankündigung, die labores des Helden Aeneas zu besingen.161 Erneut wird die epische Stilisierung zeitgenössischer Ereignisse erkennbar. Giovanni schreibt Dante folglich die Fähigkeit zu, als Dichter einen unmittelbaren positiven Einfluss auf das menschliche Zusammenleben zu nehmen und die Gesellschaft mit seiner Dichtung von den Widrigkeiten der Politik zu befreien, die Giovanni als übermenschliches Walten antiker Gottheiten darstellt (I 42 f.). Der Dichter erhält somit eine gesellschaftliche Verantwortung und Ordnung stiftende Funktion. Auch bei diesem Gedanken entspricht Giovanni einem antiken Motiv, das sich in ähnlicher Weise bei Horaz findet. In der Ars poetica schreibt der den Dichtern ebenfalls eine zivilisatorische Wirkung zu. Er führt dies auf den interpres deorum Orpheus zurück, in dessen Tradition er die Dichter als vates divini sieht, darunter Homer, der die Herzen der Männer für die Kriege des Mars anspornt.162 Das horazische Verständnis des vates lässt sich bei Giovanni wiederfinden. Auch er will Dante als antiken vates wie Orpheus und Homer verstehen, der mit seiner Dichtung die Ordnung im Sinne der antik-römischen Gesellschaft herstellt. Das Potenzial, diese Rolle einzunehmen, gesteht Giovanni dabei allein Dante zu, wie sich im folgenden Vers zeigt (Ni canis hec, alios ad te pendendo, poeta / omnibus ut solus dicas, indicta manebunt, I 45 f.). So beteuert er, dass die anderen Dichter den Vergleich mit ihm nicht standhalten könnten.163 Er weist Dante auf diesem

ThLL s. v. chelys. Uguccione da Pisa Derivationes C 125 s. v. chelon. Auch Albertino Mussato verwendet die chelys in seinen Briefen, um in poetischer Weise das Musikinstrument und damit die Tätigkeit des Dichters zu beschreiben (Nostra chelys facta seriem directa renarret, / Et modo substitat blandae indulgere Poesi, Albertino Mussato Epist. XVII 26 f.). Wie in Giovannis Epistel steht es hier im Zusammenhang mit Mussatos Dichtung über zeitgenössische Kriege. 160 Petoletti 2016, 536 verweist auf Verg. Georg. I 118; Verg. Aen. II 284; Ov. Met. II 404; Lucan. VII 144. 161 Vgl. Verg. Aen. I 8–11. 162 Silvestris homines sacer interpresque deorum / caedibus et victu foedo deterruit Orpheus, / […] / sic honor et nomen divinis vatibus atque / carminibus venit. post hoc insignis Homerus / Tyrtaeusque mares animos in Martia bella / versibus exacuit; dictae per carmine sortes / et vitae monstrata via est et gratia regum / Pieriis temptata modis ludusque repertus / et longorum operum finis: ne forte pudori / si tibi Musa lyrae sollers et cantor Apollo (Hor. Ars 391–407). An Orpheus denkt auch Albanese 2014, 1685. 163 Zur umstrittenen Deutung des ad te pendendo (I 45) siehe u. a. Albanese 2014, 1686, die pendendo als Gerundium von pendeo im Sinne eines „die anderen hängen dir am Mund“ deutet. Petoletti 159

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Giovanni del Virgilio an Dante

Weg eine besondere Verantwortung, ja eine Berufung zu, wenn er ihn so als einzigen nennt, der über diese Themen sprechen könne, da sie sonst ungesagt blieben (Ni canis hec […] / […] indicta manebunt, I 45 f.). In diesem ersten Teil der conclusio (I 41–46) tritt Giovanni folglich erneut im Namen der gelehrten Gesellschaft auf, um Dante seine Verpflichtung als vates bewusst zu machen. Angesichts der akuten Kriegssituation, die Dante besingen solle, um die Leiden der Gesellschaft zu lindern, ergibt sich das vorherige Bild des poetischen Triumphzuges als logische Folge von dessen erfolgreicher poetischer Kriegsbewältigung (I 39 f.). Seine lateinisch-epische Dichtung erscheint als Instrument zur Wiederherstellung der gesellschaftlichen Ordnung im Sinne der römisch-antiken Tradition.164 Der populus letus (I 40) feiert Dante entsprechend in seinem Triumph als Dichter der antiken Weltordnung. Die Gleichsetzung des Dichters mit dem Heerführer signalisiert somit die staatstragende Bedeutung des Dichters. Der Staat römischer Tradition steht für die Gemeinschaft der Gelehrten, die gemäß Giovanni del Virgilio in Dante ihren triumphierenden Anführer fänden. Die lateinische Sprache und Dichtung, welche die antik-römischen Werte auch in ihrer Gegenwart für gültig erklären, identifiziert diese als eine erhaben-epische Gesellschaft. Im zweiten Teil der conclusio (I 47–51) schließt Giovanni daraufhin die Epistel mit einem persönlichen Anliegen ab und bittet Dante um seine Antwort. Si tamen Eridani michi spem mediamne dedisti quod visare notis me dignareris amicis, nec piget enerves numeros legisse priorem quos strepit arguto temerarius anser olori, respondere velis aut solvere vota, magister.

50 [I 47–51]

Nachdem der Gelehrte zuvor seine Forderung, Dante möge einem klassischen Stilideal folgen, um sich vor der Gesellschaft der Gelehrten zu etablieren, deutlich formulierte, steht dieser letzte Teil der Epistel wieder im Sinne der captatio benevolentiae. Dabei geht es vor allem um die persönliche Kommunikation zwischen dem Gelehrten und Dante. So nimmt Giovanni Bezug auf ein vorheriges Versprechen, das ihm Dante in Ravenna gegeben haben soll und bittet ihn, mit freundschaftlichen Worten zu antworten, wenn Dante ihn für würdig hielte (Si tamen Eridani michi spem mediamne

2016, 537 liest ein Gerundium von pendo im Sinne des Urteilens, Messens und kommt daher zu der Übersetzung „Misst man andere an dir, bist du der einzige Dichter“. 164 Lidònnici 1913, 207 sieht in Giovannis thematischen Vorschlägen auch ein „fine squisitamente umano e civile“, das Dante als Dichter erfüllen solle. Combs-Schilling 2012, 12 stellt dementsprechend für die norditalienischen Gelehrten der Zeit insgesamt fest, ihr Ziel habe darin bestanden, durch die Wiederbelebung der klassischen Rhetorik einen neuen Stil zu schaffen und zeitgenössische Ereignisse, Angelegenheiten und Werte in der Form der alten Texte zu artikulieren.

Dante als Dichter und Lehrer

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dedisti / quod visare notis me dignareris amicis, I 47 f.).165 Das Prädikat dignareris erinnert dabei an die Formulierung aus dem zweiten Teil der confirmatio, in der Giovanni Dante anbot, ihn den Bologneser gimnasia vorzustellen, wenn Dante ihn für würdig halte (En ego iam primus, si dignum duxeris esse, I 35). Mit diesen Bescheidenheitsformen mildert der Gelehrte sein vorheriges autoritäres Auftreten gegenüber Dante und spricht ihm seine Ehrerbietung aus. Auch diesen Abschluss des Briefes prägt eine bildreiche Sprache. So umschreibt Giovanni Ravenna mit der Flussmetonymie, für die er darüber hinaus einen antik-mythologischen Namen verwendet. Denn er bezeichnet den Po, der durch Ravenna fließt, als Eridanus und folgt damit Vergils erstem Buch der Georgica. Dort erscheint der Eridanus als König aller Flüsse.166 Auch das abschließende Bild stellt eine Reminiszenz an Vergil dar. So bittet Giovanni Dante um Nachsicht für seine Verse und setzt sich mit einer Gans gleich, die waghalsig gegen einen helltönenden Schwan lärmt (nec piget enerves numeros legisse priorem / quos strepit arguto temerarius anser olori, I 49 f.). In diesem Lob an Dantes poetische Fähigkeiten ordnet sich Giovanni dem Florentiner unter, wie er es auch schon in der Gegenüberstellung zwischen Dante als dux und sich selbst als seinem preco sonorus (I 39 f.) getan hatte. Das Bild der gegen den Schwan schnatternden Gans ist dabei nicht episch, sondern verweist auf Vergils Bucolica. In der neunten Ekloge spricht der Hirte Lycidas mit Moeris über ihre Dichtung. Dabei beteuert er, dass die Pieriden ihn zum Dichter erklärt haben. Er selbst könne ihnen jedoch kaum glauben, da er doch bisher wie eine Gans unter helltönenden Schwänen schnattere (et me fecere poetam / Pierides, sunt et mihi carmina, me quoque dicunt / vatem pastores; sed non ego credulus illis. / nam neque adhuc Vario videor nec dicere Cinna / digna, sed argutos inter strepere anser olores, Verg. Ecl. IX 32–36). Giovanni nimmt wörtliche Anleihen an Vergils Ekloge, wenn er ebenfalls anser und olor einander gegenüberstellt und die Geräusche der Gans mit dem Verb strepere wiedergibt sowie den Schwan als argutus bezeichnet. Anders als Vergil versieht er auch die Gans mit einem Attribut. Er nennt sie temerarius (I 50) und aktualisiert das Motiv auf diese Weise für die aktuelle Konstellation zwischen sich und Dante. Das Adjektiv bezeichnet Giovannis eigene Position, der um Nachsicht für sein waghalsiges Unterfangen bittet, einen Dichter von Dantes Format zu kritisieren. Das temerarius greift somit die Hoffnung aus dem vorangehenden Vers auf, dass Dante sich an den kraftlosen Versen seiner Epistel nicht verdrieße (nec piget enerves numeros legisse priorem, I 49).167 Abermals zeigt sich Giovannis

Petoletti 2016, 538 erkennt in den nota eine metonymische Bezeichnung für die Epistel. Uguccione da Pisa erklärt dementsprechend nota im Sinne von „Buchstabe“ (Derivationes N 57, 10). Dieses Versprechen veranlasst die Forschung dazu, von einem Treffen zwischen Dante und Giovanni del Virgilio in Ravenna auszugehen, das vor der Korrespondenz stattgefunden haben soll. Vgl. u. a. Santagata 2012, 311. 166 Vgl. Verg. Georg. I 481–483. 167 Vgl. Petoletti 2016, 539. 165

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Giovanni del Virgilio an Dante

Geschick, seine Rede poetisch zu amplifizieren und dabei bekannte poetische Bilder in eindeutiger Weise auf sein Anliegen abzustimmen. Das Bild der gesangsunbegabten Gans verweist zudem nicht nur auf Vergil, sondern auch auf Dante. In seinem Traktat über die Volkssprache bezeichnet dieser verächtlich diejenigen als Gänse, die sich Dichter nennen wollen, ohne die Dichtkunst zu beherrschen und somit rein ihrem ingenium folgen. Sie seien wie Gänse, die versuchen einen Adler nachzuahmen (Et ideo confutetur illorum stultitia qui, arte scientiaque immunes, de solo ingenio confidentes, ad summa summe canenda prorumpunt; et a tanta presumptuositate desistant, et si anseres natura vel desidia sunt, nolint astripetam aquilam imitari, Dante De vulgari eloquentia, II 4, 11).168 Giovanni del Virgilio wählt folglich ein Bild, mit dem er sich auf Vergil und Dante zugleich beziehen kann. Indem er in einem Motiv beide Dichter assoziiert, suggeriert er zum einen erneut die Übereinstimmung der beiden Figuren. Dante wird so implizit zum neuen Vergil. Zum anderen erlaubt Giovanni das Zitat, seine Epistel mit einem subtilen Hinweis auf Dantes eigene poetologische Maximen zu beenden. Denn der führt es am Ende einer Passage an, in der er darlegt, dass die volkssprachlichen Dichter sich an dem Modell der antiken, lateinischen Dichter auszurichten haben. Ihre rhetorisierte Sprache und die Richtlinien ihrer antiken Poetik erklärt Dante auf diese Weise zur allgemeinen Maxime. So bezieht er sich auch auf Horaz, der in seiner Ars poetica jedem Dichter vorschreibe, einen Stoff nach seinen eigenen poetischen Fähigkeiten auszuwählen. Darüber hinaus beruft auch er sich auf die Stiltheorie, nach der Sprache und Stil einer jeden Dichtung nach dem jeweiligen Stoff (tragisch, komisch oder elegisch) zu wählen seien.169 Indem Giovanni diese Passage aus Dantes rhetorischem Traktat zitiert, erinnert er den Dichter zum Ende seines poetologischen Plädoyers noch einmal daran, seinen eigenen Forderungen nach einer Beachtung der antiken Dichtungsautoren zu entsprechen. So suggeriert Giovanni, dass Dantes eigenes Interesse eigentlich mit seinem übereinstimme. Mit der Rückführung des danteschen Gans-Bildes auf den Text der vergilischen Eklogen und damit zu der Autorität dieses lateinischen Dichters, hebt Giovanni jedoch zugleich hervor, dass das Ideal der rhetorischen Lehre nur in der lateinischen Sprache, nicht in der volkssprachlichen Dichtung zu finden sei. In diesem Sinne beendet Giovanni seinen Brief daraufhin mit der Bitte um die Erfüllung seiner Wünsche (respondere velis aut solvere vota, magister, I 51). Diese verstehen sich als die Bitte um ein lateinisches erhabenes Gedicht sowie die Einladung nach Bologna, die Giovanni Dante ausgesprochen hatte. Der Gelehrte bietet seinem Adressaten auf diese Weise einen Anknüpfungspunkt zur weiteren Diskussion und bittet um die Aufrechterhaltung der Kommunikation. Wenn er Dante zuletzt als magister apostrophiert, wird die rhetorische Ambivalenz von Giovannis Schreiben erneut deutVgl. Albanese 2014, 1662; 1689. Sie erklärt Dantes Dve II 4–6 zum zentralen Ausgangspunkt der Korrespondenz. 169 Vgl. Dante Dve II 4. 168

Dante als Dichter und Lehrer

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lich, die besonders im exordium erkennbar wurde. Denn indem er ihn so anspricht, formuliert er zugleich die Rolle und Funktion, die Dante ihm gemäß einnehmen soll. Da Giovanni in diesem zweiten Teil der conclusio nicht mehr nur als Sprachrohr des Gelehrtenkollektivs auftritt, sondern auch sein persönliches Anliegen an Dante in den Mittelpunkt stellt, gilt folglich auch diese Anrede als magister nicht nur als allgemeine Statusbezeichnung. Vielmehr hebt der Gelehrte abschließend hervor, dass Dante auch ihm persönlich als Lehrmeister der gelehrten lateinischen Dichtung gilt bzw. gelten soll.170

170 Albanese 2014, 1689 macht darauf aufmerksam, dass Dante Vergil zu Beginn der Commedia als seinen Lehrer anerkannt hat (Tu se’ lo mio maestro e ’l mio autore, / tu se’ solo colui da cu’ io tolsi / lo bello stilo che m’ha fatto onore, Inf. I 85–87) und vermutet eine implizite Anspielung an dieser letzten Stelle.

III. Dante an Giovanni del Virgilio Als Dante Giovanni del Virgilios Epistel erhält, befindet er sich in Ravenna im Dienst des Podestà Guido Novella da Polenta. Seine Commedia, die Giovanni del Virgilio in seinem Brief aufgrund ihrer volkssprachlichen Form und ihrer stilistischen Uneindeutigkeit kritisierte, ist der Dichter im Begriff fertigzustellen. Auf die Kritik des Gelehrten antwortet er im Jahre 1320 mit einer lateinischen hexametrischen Versepistel von 68 Versen Länge. Während Giovanni mit seinem Schreiben zuvor selbst die Vorgaben der Brieflehre in glanzvoller Weise erfüllte und Dante auf diese Weise ein Lehrstück rhetorischer Gelehrtenkunst präsentierte, sendet Dante ihm einen Brief von unkonventioneller Form. Denn er versetzt die Kommunikation in die allegorische Fiktion einer Hirtenwelt. Giovanni del Virgilio und sich selbst inszeniert er als Hirten, die auf Distanz kommunizieren.1 Als formales Vorbild werden sogleich die Bucolica Vergils erkennbar, darunter insbesondere dessen erste Ekloge, in der die Hirten Tityrus und Meliboeus miteinander ins Gespräch über ihre persönliche Situation als Hirten und Dichter in einer Zeit politischer Auseinandersetzungen treten. Inwiefern Dantes bukolisches Gedicht eine Antwort auf Giovannis poetologische Kritik und seine Einladung in den gelehrten Kreis Bolognas darstellt, wird das folgende Kapitel zeigen. Waren die einzelnen Redeteile exordium, narratio, confirmatio, confutatio und conclusio in Giovannis Brief deutlich ausgearbeitet, ist die rhetorische Struktur in Dantes Epistel weniger offensichtlich. Denn die poetische Form der Bukolik überlagert die rhetorische Struktur. Die folgende Analyse berücksichtigt den hybriden Charakter der Epistel zwischen rhetorischem Akt innerhalb der poetologischen Diskussion und ihrem Gedichtcharakter als vergilische Ekloge. Es wird sich zeigen, wie die partes oratoriae dennoch erkennbar sind und sich Dantes Aussage auch gerade aus der poetischen Form der Epistel ergibt. Wie schon in Giovannis Brief ist darüber hinaus die Strategie, mit der Dante sich selbst und seinen Korrespondenten inszeniert, von besonderer Relevanz für die poetologische Deutung der Epistel.

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Reggio 1969, 61 hebt die Neuartigkeit des Schrittes hervor, einen Brief in Form einer Ekloge zu schicken. Dante habe dies weder aus antiken noch aus mittelalterlichen Quellen kennen können.

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Nachricht für Tityrus

Mit der Einführung der bukolischen Allegorie vervielfältigt Dante die Kommunikationssituation. So handelt es sich bei dem Brief um eine Botschaft, die er an Giovanni del Virgilio sendet. Indem Dante Giovanni und sich als Hirten inszeniert, die miteinander kommunizieren, entsteht zudem eine fiktionale, textinterne Ebene der Kommunikation. Für die Beschreibung der verschiedenen Ebenen und ihr Verhältnis zueinander verwende ich im Folgenden die Termini der Erzähltheorie nach Gérard Genette. Dementsprechend ist die Kommunikation zwischen Dante und Giovanni del Virgilio als extradiegetische Ebene bezeichnet, die Kommunikation zwischen ihren bukolischen Alter Egos Tityrus und Mopsus als intradiegetische Ebene und die darauf folgende Ebene als metadiegetisch.2 1. Nachricht für Tityrus Dante beginnt mit einem exordium (II 1–4), in dem er ähnlich wie Giovanni der konventionellen Brieflehre folgt. Dennoch wird gleich zu Anfang erkennbar, wie er die Vorgaben der Rhetorik unterläuft und ein hybrides Textgebilde zwischen Brief und vergilischer Ekloge herstellt. Vidimus in nigris albo patiente lituris Pyerio demulsa sinu modulamina nobis. Forte recensentes pastas de more capellas tunc ego sub quercu meus et Melibeus eramus. [II 1–4]

Dante berichtet, wie er in schwarzen Buchstaben auf weißem Grund die aus der Musenbrust gemolkene Melodie sah (Vidimus in nigris albo patiente lituris / Pyerio demulsa sinu modulamina nobis, II 1 f.) und spielt damit auf den Brief des Gelehrten an. Im Anschluss beschreibt er die Situation, in der er diese Nachricht empfangen hat, als eine Hirtenszene. Er und sein Melibeus hätten gerade unter einer Eiche nach Gewohnheit die geweideten Zicklein gezählt (Forte recensentes pastas de more capellas / tunc ego sub quercu meus et Melibeus eramus, II 3 f.). Das exordium teilt sich in zwei Teile. Die ersten beiden Verse weisen noch keinen explizit bukolischen Charakter auf.3 Dante bestätigt, Giovannis Brief erhalten zu haben (Vidimus in nigris albo patiente lituris, II 1), und entspricht im Folgenden zunächst einer konventionellen captatio benevolentiae.4 Denn er umschreibt Giovannis Epistel

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Vgl. u. a. Genette 1983, 55 f. Ich verwende die Ebenenbezeichnungen ohne Berücksichtigung ihres historischen oder fiktionalen Charakters einheitlich für die integrale Kommunikation. Vgl. Martellotti 1983, 96 f. Zum exordium der zweiten Epistel siehe auch Allegretti 2004. Vgl. Bene da Firenze Candelabrum VI 20. Bene da Firenze spricht in Anlehnung an die antike Rhetorik (vgl. Rhetorica ad Herennium I 6–11) dem exordium eines Briefes die Aufgabe zu, den Zuhörer

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Dante an Giovanni del Virgilio

in poetischer Weise (Pyerio demulsa sinu modulamina nobis, II 2) und hebt so dessen Meriten als Schreiber des erhabenen Briefstils hervor. Mit der Bezeichnung als modulamen und dem Bezug auf die Musen spricht er Giovannis Brief dabei einen poetischen Wert zu.5 Das Adjektiv Pyerius spielt zudem wörtlich auf Giovannis exordium an, in dem dieser Dante als Pyeridum vox alma (I 1) apostrophiert hatte.6 Doch während Giovannis exordium die Vorgaben der Rhetorik einhielt und kunstvoll umsetzte, wird bei Dante ein ambivalentes Verhältnis zu den Konventionen der Brieflehre erkennbar. So erwähnt er lobend Giovannis Brief, leitet jedoch sein Schreiben mit der ersten Person Plural vidimus (II 1) ein. Die Pluralform lässt sich als ein pluralis modestiae lesen.7 Dante stellt jedoch seine Person an erster Versposition ungewöhnlich stark in den Vordergrund und widerspricht damit dem Ziel der captatio benevolentiae, den Adressaten hervorzuheben, die eigene Person hingegen zurückzunehmen.8 Darüber hinaus ist die Wortwahl vidimus (II 1) bemerkenswert, mit der Dante seinen Rezeptionsvorgang von Giovannis Brief beschreibt. Das Prädikat kündet weniger von einer lesenden als von einer betrachtenden Tätigkeit. Dante weist hier bereits auf die Inszenierung der Rezeptionssituation voraus, die er im Folgenden ausführen wird.9 Insgesamt weist Dante zu Beginn seines exordium auf den Übergang von der historischen, extradiegetischen Ebene der Kommunikation zur allegorisch-fiktionalen, intradiegetischen Ebene der Bukolik voraus. So fokussiert der erste Vers noch die konkrete

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aufmerksam und wohlwollend zu stimmen, wobei der Verfasser den Rezipienten loben und von sich demütig sprechen solle. ThLL s. v. modulamen 1. Uguccione da Pisa Derivationes M 125, 3 f. s. v. modulor -aris, cantare dulciter, melodias facere […] unde modulamen, cantatio dulcis. Albanese 2014, 1694 merkt an, dass Dante in seinem Traktat De vulgari eloquentia II 8, 5 modulatio synonym zu melodia verwendet. Diese Verwendung legt auch Verg. Ecl. V 14 nahe: carmina descripsi et modulans alterna notavi. Derartige wörtliche Anleihen an die vorangehende Epistel finden sich im weiteren Verlauf der Korrespondenz häufig. Martellotti 1983, 71–89 attestiert dem Briefwechsel daher den Charakter einer Tenzone. Zum lateinischen Streitgedicht des Mittelalters siehe Walther 1984. Albanese 2014, 1693 macht darauf aufmerksam, dass Dante nur hier die Bezeichnung Pyerides für die Musen verwendet. In anderem Kontext identifiziert er die Pieriden mit den Elstern nach Ov. Met. V 294–678; Pg. I 11 f. und Dve I 2, 7. In Vergils Eklogen nennt der Sängerhirte Lycidas die Pieriden, die ihn zum Dichter gemacht hätten (Verg. Ecl. IX 32–34). Auch der Sprecher der zehnten Ekloge ruft die Pieriden an (Verg. Ecl. X 70–72). Insofern lässt sich vermuten, dass Dante nicht nur auf Giovannis Formulierung zurückgreift, sondern auch bereits die Parallele zu dem bukolischen Dichterstreit nahelegt, um den bukolischen Charakter seiner Epistel anzukündigen. Vgl. Albanese 2014, 1692. Menge 2005, 96 § 60. Es wird darauf hingewiesen, dass innerhalb ein und derselben Passage pluralis modestiae und Singular ohne erkennbaren Grund abwechseln können (ibid., 97). Krautter 1983, 29 stellt als bemerkenswert fest, dass der Adressat gar keine Erwähnung fände. Ein ähnliches Phänomen merkt Mirko Tavoni 2012, 1126 bezüglich des Anfangs von De vulgari eloquentia an. Auch in der Commedia nennt Dante seine persona zwar nicht an erster Stelle, aber im ersten Vers in der ersten Person Plural, die daraufhin zu einer ersten Person Singular wird: Nel mezzo del cammin di nostra vita / mi ritrovai per una selva oscura (Inf. I 1 f.). Zum io der Commedia siehe Contini 1970, 33–62. OLD s. v. video 1. Vgl. Combs-Schilling 2015, 12.

Nachricht für Tityrus

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textliche Gestalt von Giovannis Brief (in nigris albo patiente lituris, I 1).10 Doch diese materielle Qualität löst Dante sogleich in andere Wahrnehmungszustände auf, wenn er im folgenden zweiten Vers Giovannis Brief eine Melodie nennt (vgl. II 2). Aus dem geschriebenen Text wird so ein akustisches Ereignis, ein süßer Klang, der darüber hinaus eine neue übertragene Materialität als Musenmilch erhält.11 Eine weitere ungewöhnliche Interpretation der Standardrhetorik fällt in Dantes Variation des Musenmotivs auf. Während Giovanni die Stimme der Musen nannte, um Dante lobend zu paraphrasieren (Pyeridum vox alma, I 1), fokussiert Dante ihre Brust (Pyerio demulsa sinu modulamina nobis, II 2) und wählt damit ein ungewöhnliches Körperteil als Dichtungsmetonymie. Im Zusammenhang mit dem Partizip demulsa (herausgemolken) weist es auf die Bukolik voraus, da der Melkvorgang einen typischen Vorgang der Hirtenwelt bezeichnet. Das Motiv deutet somit implizit auf den stilus humilis hin, den die Bukolik repräsentiert. Dies wird auf sprachlich-stilistischer Ebene durch den konkret-körperlichen Fokus auf das Melken aus der Brust bestätigt.12 Indem Dante die Textmaterialität von Giovannis Brief in das Material der Milch überträgt, verwandelt er so die poetologische Diskussion von der realen Debatte zwischen sich und Giovanni del Virgilio in ein Hirtengespräch über die Milchqualität. Auch das demulsa (II 2) ist bezeichnend für den Übergangsstatus des exordium zwischen extradiegetischer und intradiegetischer Kommunikationsebene. So erscheint das Partizip als Form von demulgere und beschreibt das Herausmelken der Musenmilch. Die Form ist grammatisch jedoch ambivalent. Denn es kann sich auch um das Partizip des Verbs demulcere handeln.13 Damit erinnert es an das mulces, mit dem Giovanni den streichelnden Effekt von Dantes Dichtung auf sein Publikum bezeichnet hatte (I 2). So wie der Gelehrte es verwendete, handelt es sich um einen rhetorischen Standardbegriff.14 Dantes demulsa ist hingegen eine Hybridform, die sowohl das Standardmotiv der streichelnden Berührung assoziiert, im gleichen Moment aber das Bild 10

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Der Begriff litura ist im mittellateinischen Sinn zu verstehen, der neben der klassischen Bedeutung als ausgestrichene Stelle auch diejenige des Buchstaben zulässt. Uguccione da Pisa Derivationes L 42, 30 s. v. lego. Vgl. Albanese 2014, 1692 f. Ähnlich in der ersten Ekloge des Calpurnius Siculus, wo die Hirten ein Lied sehen, dessen Lettern in eine Buche eingeritzt sind (Calp. Ecl. I 22 f.). Vgl. Seng 2010, 81; Combs-Schilling 2012, 25. Laut Fiorilla 2009, 156 erscheint das Bild der Milch spendenden Musen zum ersten Mal bei Dante, der es sowohl in der Commedia (u. a. Par. XXIII 55– 60) als auch in seiner Ekloge verwende. Er führt die bildliche Darstellung von Schrift als Milch auf die christliche Tradition zurück (ibid., 163). Entsprechend hält Servius über die Bukolik sowie die Komödie, die er beide dem humilis character zuschreibt, folgende Charakteristika fest: unde nihil in his urbanum, nihil declamatorium invenitur; sed ex re rustica sunt omnia negotia, comparationes et si qua sunt alia (Serv. Comm. in Verg. Ecl. Prooem.). Zu Servius bei Dante siehe Rand 1914; Richthofen 1974. Zum Kommentar des Servius im Allgemeinen siehe u. a. Fowler 1994. ThLL s. v. mulceo II A 1 a α. OLD s. v. demulceo b. Vgl. Petoletti 2016, 541 f. Vgl. u. a. Bene da Firenze Candelabrum I 14, 10: Ideoque artificium compositionis est necessarium, que orationi suavitatem accommodat, distinctiones ordinat, audientium aures artificiali ordinatione demulcet et vitia quelibet eloquii rusticantis eliminat; Giovanni del Virgilio ars dictaminis: secundo de

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Dante an Giovanni del Virgilio

für den bukolischen Kontext aktualisiert. Auf diese Weise spiegelt sich der Übergang, den Dante von der extradiegetischen in die fiktionale intradiegetische Kommunikationsebene schafft, auch verbal.15 Während Giovanni del Virgilio die Metaphern formelhaft verwendete, weicht Dante leicht ab und gibt damit den toten Metaphern eine spontane Bildkraft zurück, mit der sie auf den Fortgang des bukolischen Briefes vorausweisen. Nachdem Dante die Botschaft in die bukolische Form der Musenmilch übertragen hat, versetzt er im zweiten Teil des exordium die gesamte Kommunikationssituation in die bukolische Fiktion. So beschreibt er sich als Empfänger von Giovannis Botschaft in einer Hirtenszenerie, in der er zufällig mit seinem Gefährten Melibeus nach Gewohnheit die Zicklein nach dem Weiden zählt und dabei unter einer Eiche sitzt (Forte recensentes pastas de more capellas / tunc ego sub quercu meus et Melibeus eramus, II 3 f.). Als versierter Vergilleser assoziiert Giovanni del Virgilio den Beginn von Vergils erster Ekloge, in der der exilierte Hirte Meliboeus mit dem in Muße dichtenden Hirten Tityrus unter einer Eiche ein Gespräch beginnt (Verg. Ecl. I 1). Das müßige Setting aus Vergils erster Ekloge kombiniert Dante zudem mit Vergils siebenter Ekloge, in der sich zwei Hirten zum gemeinsamen Gesang einfinden (ibid. VII 1), stellt jedoch mit dem Fokus auf das Weiden (pastae capellae, II 3) und Zählen der Tiere (recensentes, II 3) deren tatsächliche Hirtenarbeit in den Vordergrund.16

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cursibus et puntis agatur, sine quibus nullum dictamen prosaicum et epistolare precipue mulcet aures auditoris. Dante vollzieht quasi eine Repoetisierung der Sprache und entspricht damit einer Empfehlung, die die zeitgenössischen Poetiken in Berufung aus Horaz ableiten (Hor. Ars 46–72). Vgl. Galfrid von Vinsauf Item notandum est quod docet Horatius egregie dicere sic, scilicet ponendo verbum notum in nova significatione, quod nos supra plene docuimus loquendo de nominatione, pronominatione, translatione (ibid. Documentum de modo et arte dictandi et versificandi II 3, 140). Auch die passende Erfindung eines Wortes, hier das Partizip demulsa, ist demnach legitim Praedictis itaque adjiciendum est quod dicit Horatius: licet invenire nova vocabula. Quod quidam sic intelligunt, quod in una lingua licet ex una dictione aliam formare (ibid. II 3, 141). In seiner Untersuchung zur transumptio bei den Bologneser dictatores und Dante erkennt Forti 1967, 139 f. für Dantes Konstruktion der contrappassi der Commedia ein ähnliches Verhältnis zur traditionellen Rhetorik. Dante übernehme aus seiner Zeit und seinem (rhetorischen) Umfeld den gusto transuntivo, jedoch nicht die einzelnen Figurationen. Die rhetorischen Mechanismen, die er dabei dekonstruiert und wieder neu zusammensetzt, würden gegenüber der blassesten Stelle der Commedia mechanisch wirken. Hingegen Marigo 1909, 188 f. sieht in Dantes exordium eine Reminiszenz der mittelalterlichen Barbarismen, ohne die Semantik des Neologismus in Betracht zu ziehen. Krautter 1983, 29 spricht von „gesuchten Metaphern“, mit denen Dante Giovannis exordium parodiere. Zu Dantes Metapherngebrauch siehe u. a. Davie 2005. Zu Dante und seinem Verhältnis zur Rhetorik siehe u. a. den Sammelband Marcozzi 2017. Für einen diachronen Überblick zum Verhältnis von Rhetorik und Dichtung im Allgemeinen siehe Föcking 1994. Tityre, tu patulae recubans sub tegmine fagi / silvestrem tenui Musam meditaris avena (Verg. Ecl. I 1 f.). Aus der ersten vergilischen Ekloge sind die Dialogpartner Tityrus und Meliboeus bekannt. Auch das Motiv des unter einem Baum musizierenden Hirten greift Dante auf. Die bukolische Situation unter einem Baum in Verbindung mit dem Versbeginn forte findet sich in Verg. Ecl. VII 1–5. Vgl.

Nachricht für Tityrus

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Dante amplifiziert die Kommunikationssituation in verschiedener Hinsicht. Indem er die poetologische Diskussion in die bukolische Fiktion überführt, erweitert er die Kommunikation um eine intradiegetische Ebene. Darüber hinaus wird sie horizontal erweitert, wenn Dante zusätzlich zu seinem Alter Ego die Figur des Melibeus einführt. Die erste Person Plural vidimus (II 1), mit der Dante die Epistel begonnen hatte, erhält so rückwirkend eine ambivalente Bedeutung. Denn während der Leser das Prädikat zunächst für einen pluralis modestiae hält, mit dem Dante sich selbst bezeichnet, erhält es nun tatsächlich eine plurale Bedeutung, die Dantes Alter Ego und Melibeus betrifft. In einer Ringkomposition steht das vidimus (II 1) zu Beginn des exordium in Analogie zu dem abschließenden eramus (II 4). Durch diese Erweiterung der Kommunikation wird Giovanni del Virgilio nun ersichtlich, dass er Dantes folgende Aussage in dem poetologischen Streit aus der bukolischen Allegorie abzuleiten hat. Die Amplifikation der Gesprächssituation und der allegorische Rahmen, den Dante aufspannt, führen dabei eine fiktionale Distanz zwischen der Aussage des Dichters Dante und denjenigen der fiktiven Figuren herbei. Die Vergangenheitsformen der Prädikate vidimus und eramus sowie das Adverb tunc (II 4) stellen zudem eine zeitliche Distanz her. Das Folgende ist als Erzählung einer vergangenen Situation markiert. Giovanni del Virgilio findet sich folglich als Augen- und Ohrenzeuge der Rezeptionssituation seines Schreibens wieder.17 Nicht nur inhaltlich nimmt das exordium den Verlauf der Epistel vorweg. Auch formal kündigt sich bereits Dantes kritische Haltung gegenüber dem Stilideal an, das Giovanni in seiner Epistel verkündete. So verstößt Dante sichtlich gegen die Vorgaben der ars dictaminis, die die höchste Kunst des Briefstils in einer erhabenen und dabei eindeutigen latinitas findet.18 Der Gelehrte hatte diese bedient, indem er einen bildreichen erhabenen Stil schrieb, diesen jedoch stets in den Dienst der jeweils zu treffenden Aussage stellte. Auch Dante wählt in seinem exordium ein bildreiches, übertragenes Sprachregister. Durch den transumptiven Modus weist er seinem Schreiben ebenfalls eine formale gravitas zu und charakterisiert sich als Schreiber des erhabenen Briefstils.19 Giovanni del Virgilio hatte diese Form in seiner Epistel als höchstes Stilideal deklariert

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Reggio 1969, 62. Albanese 2014, 1694 verweist zusätzlich auf Verg. Aen. VI 682 forte recensebat numerum. Vgl. Eitel 2013, 274. Vgl. DE ELEGANTIA SECUNDUM LATINITATEM. Elegantia est que reddit orationem latinitate puram et explanatione perspicuam. Latinitas congruitatem inducit sed explanatio bonitatem intelligentie circa ea de quibus agitur in sermone. Latinitas ergo cuncta vitia incongruitatis relegat; explanatio vero apertam et dilucidam orationem reddit (Bene da Firenze Candelabrum I 9, 1–5). Die Bologneser artes fassen zehn Figuren des übertragenen Sprachgebrauchs als decem colores des ornatus difficilis unter dem Begriff der transumptio zusammen, die eine poetisch schmuckreiche Diktion herstellen (Bene da Firenze Candelabrum VII 16, 1–3). Doch muss der Einsatz des modus transumptivus den pragmatischen kommunikativen Kontext berücksichtigen, d. h. den Sinn der Rede nicht verdunkeln, sondern verdeutlichen. Macht sie die Rede schwer verständlich, ist sie zu meiden (ibid. VII 21, 3).

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Dante an Giovanni del Virgilio

und für seine Inszenierung einer sozialen Elite der antiken Bildungstradition herangezogen. Dante greift nun zwar auch auf konventionelle Bilder eines hohen Briefstils zurück, variiert sie jedoch so, dass ein neuer Bildkontext entsteht. Er überspitzt den modus transumptivus, indem er nicht einzelne Aussagen in voneinander unabhängige Bilder überträgt, sondern die Bilder der Standardrhetorik in eine zusammenhängende Allegorie der Bukolik überführt. Dante bedient auf diese Weise auch eine rhetorische Kategorie, die Bene da Firenze in seiner Rhetorik Candelabrum als genus poeticum der Rede bezeichnet. Diese poetische Gattung der Rede unterscheidet er vom genus oratorium und dem genus digressivum, die beide zur Verhandlung bürgerlicher, offizieller Angelegenheiten herangezogen würden. Das genus poeticum mische Wahres mit Falschem, fingiere und lüge sogar auf diese Weise.20 Wenn Dante seine Antwort an Giovanni del Virgilio entsprechend in die poetische Gattung der Bukolik überführt, gibt er sich folglich als Schreiber des genus poeticum, als Dichter, der nicht der exakten Wahrheitsvermittlung verpflichtet ist. Damit präsentiert er einen Gegenentwurf zu Giovannis Einsatz des poetischen Modus, der seine Bilder stets für eine eindeutig identifizierbare Aussage funktionalisierte. Dante löst sich in dem poetischen Modus seiner Epistel von dem Anspruch der eindeutigen Verständlichkeit seiner Rede und gibt durch die bukolische Allegorie sowohl Wahrem als auch Falschem Raum.21 Die Wahl der bukolischen Gattung ist dabei in verschiedener Hinsicht poetologisch bedeutsam: Zum einen gilt sie als poetische Gattung des stilus humilis, da sie, wie unter anderem Servius festhält, im Gegensatz zum Epos von rustikalen Personen und ihren einfachen Angelegenheiten handelt.22 Dante stellt folglich einen inneren Widerspruch her, wenn er einerseits durch den transumptiven Modus einen erhabenen Briefstil vorführt, andererseits die verwendeten Bilder in eine kohärente bukolische Allegorie übergehen lässt und auf diese Weise eine Gattung des stilus humilis bedient. Sein Brief repräsentiert so zugleich einen hohen Briefstil und einen niederen Dichtungsstil. In dieser widersprüchlichen Form stellt er das erhabene Stilideal, das Giovanni del Virgilio als eindeutig und absolut gültig propagierte, performativ in Frage. Da die mittellateinische Poetik Komödie und Bukolik gleichwertig als Kategorien des stilus humilis bewertet, kündigt Dante mit der Einführung der bukolischen Form zudem an, dass er die Dichtung seiner Commedia, die Giovanni als niederen Stil kritisierte, verteidigen wird.23 20 21 22

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Vgl. Bene da Firenze Candelabrum IV 20–22. Vgl. Martellotti 1983, 91 f. Vgl. Serv. Comm. in Verg. Ecl. Prooem. In rhetorischem Kontext findet sich diese Einschätzung auch in Galfrid von Vinsauf Summa de arte dictandi 4, wenn er zur Illustration eines sozial niederen Adressaten und Empfängerniveaus Beispiele aus Vergils Eklogen heranzieht. Albanese 2014, 1694 weist darauf hin, dass sich Dante in seinem exordium an die Kategorien halte, die die Rota Virgilii für den stilus humilis angibt: „Tityrus, Melibeus, fagus (variatio in quercus), pascua.“ Gemäß Vecchi 1967, 75 demonstriere Dante Giovanni in seinem ersten bukolischen Brief, dass es keinen absoluten Stil geben könne, der die Vielfältigkeit der menschlichen Realitäten abbildet. Die

Eine gelehrte Angelegenheit

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Darüber hinaus erweist sich die bukolische Gattung inhaltlich als geeignetes Medium der poetologischen Diskussion. So definiert die mittellateinische Rhetorik Bukolik und Komödie als diejenigen Gattungen, die speziell von Personen, deren Sitten und Rede handeln.24 Insofern wählt Dante mit der Bukolik eine Gattung, die es erlaubt, Figuren in ihrer Rede zu porträtieren. Dieses Potenzial ist ihm im Folgenden seiner Epistel dienlich, um seine und Giovannis unterschiedliche Lebens- und Poetikkonzepte poetisch darzustellen. In seinem exordium entspricht Dante folglich einerseits den Vorgaben der Briefrhetorik, indem er seinen Adressaten durch ein Lob seines poetischen Schreibens benevolens stimmt. Darüber hinaus kündigt er Giovanni del Virgilio den grundsätzlichen poetisch-allegorischen Modus seiner poetologischen Antwort an, wenn er die bukolische Ausgangssituation einführt. Auf diese Weise macht er seinen Adressaten auch docilis, wie es die rhetorische Konvention verlangt. Andererseits ist offensichtlich, wie Dante die rhetorischen Vorgaben variiert und als Ausgangspunkt nimmt, um sie poetisch zu erweitern. Auf diese Weise präsentiert er sich von Beginn an als Dichter. Indem er seine eigene Person (vidimus, II 1) in den Vordergrund stellt, und durch die formale Gestaltung seines exordium die Stilideale des Gelehrten in Frage stellt, impliziert er bereits die unnachgiebige Haltung, die er gegenüber Giovanni del Virgilios poetologischem Standpunkt einnehmen wird. 2. Eine gelehrte Angelegenheit Im Folgenden führt Dante weiter in die Situation und die Akteure seines poetologischen Streits mit Giovanni ein. Dies kann als narratio (II 5–33) gelten, die in der konventionellen Epistel die Darlegung des Sachverhaltes umfasst. Dantes narratio teilt sich dabei in drei Teile. In einem ersten Abschnitt (II 5–10) steht die Situation zwischen Dantes Alter Ego und seinem Gefährten Melibeus im Zentrum. Ein zweiter Teil präsentiert Giovanni del Virgilio in seiner bukolischen Identität (II 11–23). Der dritte Teil beschreibt schließlich die Ausgangssituation des poetologischen Streits im fiktionalen Rahmen der bukolischen Allegorie (II 24–33).

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Gleichbewertung von Bukolik und Komödie als Gattungen des stilus humilis stellt u. a. Krautter 1983, 36 f. fest. Bene da Firenze unterscheidet zwei verschiedene Arten der narratio poetica, die er einerseits in Vergils Aeneis, andererseits in Vergils Bucolica und Terenz’ Komödien repräsentiert sieht. Das Epos gilt dementsprechend als Gattung, die von Handlungen spricht, die Bukolik und die Komödie handeln dagegegen von Personen, ihren Sitten und ihrer Sprache. QUE SIT NARRATIO POETICA. Poetica narratio duas species habet: una in negotiis, alteram in personis, quia quandoque intendimus exprimere proprietatem negotii, ut Virgilius in Eneide, quandoque proprietatem personarum in moribus vel sermone, ut facit Virgilius in Bucholicis et Terentius in comediis, qui personarum introductarum mores et proprietates ostendunt (ibid. Candelabrum IV 21, 1–3).

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Dante an Giovanni del Virgilio

Ille quidem – cupiebat enim consciscere cantum – „Tityre, quid Mopsus? Quid vult? Edissere!“ dixit. Ridebam, Mopse; magis et magis ille premebat. Victus amore sui, posito vix denique risu, „Stulte, quid insanis?“ inquam „Tua cura capelle te potius poscunt, quanquam mala cenula turbet.

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Im ersten Abschnitt der narratio (II 5–10) vertieft Dante die bukolische Situation, die er im exordium eingeführt hatte, als er sein bukolisches Alter Ego und dessen Gefährten Melibeus beim Zählen der Zicklein unter einer Eiche zeichnete. Als autodiegetischer Erzähler berichtet er nun von dem Dialog, der sich zwischen den beiden entwickelt. Die Inszenierung ist dabei als eine erste Präsentation der bukolischen Charaktere zu verstehen. Denn Dante lässt erstmals die verschiedenen bukolischen Persönlichkeiten in ihren Sitten und ihrer Rede auftreten. Dantes Alter Ego berichtet seinem Adressaten Giovanni del Virgilio von dem Drängen seines Gefährten Melibeus, der unbedingt von ihm und seinem Gesang erfahren will (Ille quidem – cupiebat enim consciscere cantum – / „Tityre, quid Mopsus? Quid vult? Edissere!“ dixit, II 5 f.). Er erzählt, wie er über Melibeus lachen muss und sich schließlich liebevoll an seinen Gefährten wendet (Ridebam, Mopse; magis et magis ille premebat. / Victus amore sui, posito vix denique risu, II 7 f.). Dabei gibt er die wörtliche Rede wieder, mit der er seinen Gefährten als Einfaltspinsel (stulte, II 9) anspricht, ihn fragt, warum er denn außer sich sei und ihn ermahnt, sich um seine Zicklein zu kümmern, die ihn eher forderten, obwohl sie das schlechte Mahl in Aufruhr versetze („stulte quid insanis?“ inquam „Tua cura capelle / te potius poscunt, quanquam mala cenula turbet, II 9 f.). Die allegorische Übertragung der Kommunikationssituation wird an dieser Stelle erkennbar. So geht aus dem Dialog hervor, dass Dante als autodiegetischer Sprecher die Rolle des Hirten Tityrus übernommen hat. Die autobiographische Funktion der Figur Tityrus als Dantes Alter Ego bekräftigt dabei den intertextuellen Bezug zu Vergils erster Ekloge. Denn das Gespräch zwischen Vergils Hirten Tityrus und Meliboeus veranlasste bereits die spätantiken Vergilkommentatoren, hinter Tityrus die autobiographische Repräsentation des Dichters Vergil selbst zu erkennen.25 Indem Dante die Identität des Tityrus nun für sich beansprucht, fordert er auch den Status des neuen 25

Vgl. Serv. Comm. in Verg. Ecl. I 1. Albanese 2014, 1697 verweist darüber hinaus auf Vergils achte Ekloge, in der Vergil Tityrus mit Orpheus assoziiert wird (sit Tityrus Orpheus, / Orpheus in siluis, inter delphinas Arion, Verg. Ecl. VIII 55 f.), und erkennt darin Dantes Bezugnahme auf das Adynaton in Giovannis Epistel, in der er Dante die Fähigkeit abgesprochen hatte, das Volk so zu bewegen wie Arion den Delphin. Zur allegorischen Deutung der Eklogen Vergils siehe Korenjak 2003. Auch Effe/Binder 2001, 80 beschreiben die Integration historischer Personen und Begebenheiten als Merkmal der vergilischen Eklogen.

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Vergil ein. Damit greift er einen Aspekt aus Giovanni del Virgilios Brief auf, der Dante implizit diese Rolle zugesprochen hatte. Mopsus, an den sich wiederum Tityrus-Dante auf intradiegetischer Ebene wendet, ist entsprechend Dantes Empfänger Giovanni. Auch diese Figur ist aus Vergils Eklogen bekannt, jedoch nicht aus der ersten, sondern aus der fünften. Dort findet sich Mopsus mit dem älteren Hirten Menalcas zum gemeinsamen Hirtenspiel in einer Grotte ein. Trotz seines jungen Alters wird ihm ein großes Gesangstalent attestiert, mit dem er seinem Lehrer, dem göttlichen Dichter Daphnis, gleichkomme.26 Indem Dante seinem Adressaten die Identität des vergilischen Mopsus zuweist, erkennt er folglich die poetische Kunstfertigkeit an, mit der der Gelehrte seine gewählten Modelle imitiert. Wenngleich Dante den Status des neuen Vergil für sich beansprucht, suggeriert er doch, dass Giovanni del Virgilio mit seiner Dichtkunst seinen antiken Vorbildern ebenso gleichkomme wie Mopsus seinem Lehrer, dem göttlichen Daphnis. Darüber hinaus passt die Situation aus Vergils fünfter Ekloge zu der Figurenkonstellation in Dantes bukolischer Allegorie. Denn so wie Dante sich und seinen Gefährten Melibeus beim Zählen der weidenden Tiere zeigt (II 3 f.), ist auch in Vergils fünfter Ekloge von einem Tityrus die Rede, der während Mopsus’ virtuosem Spiel seine Böcke weidet.27 In dem vergilischen Hypotext ist dabei ein Unterschied zwischen den Hirtenfiguren Tityrus und Mopsus angelegt, den Dante im Folgenden in seiner bukolischen Allegorie ausbauen wird. Denn während Tityrus mit den alltäglichen Hirtenpflichten beschäftigt ist, geht Mopsus müßig seinem virtuosen Gesang nach. Dieselbe Konstellation wird Dante in seiner Ekloge entwerfen und mit poetologischer Bedeutung aufladen.28 Zu Beginn der narratio werden folglich die bukolischen Identitäten des Senders Dante als Tityrus und des Empfängers Giovanni del Virgilio als Mopsus deutlich. Darüber hinaus versetzt Dante auch die Kommunikation selbst in eine bukolische Allegorie. Denn bei Mopsus’ Gesang, den Melibeus unbedingt kennen lernen will (II 5 f.), handelt es sich offensichtlich um den Brief, den Giovanni del Virgilio Dante schickte. Giovanni del Virgilio erkennt, dass ihn in der folgenden Epistel ein Gespräch erwartet, das Dante mit einem Gefährten über seinen Brief führte und ihm nun im Nachhinein vermittelt.29 Melibeus’ Frage nach dem Inhalt von Mopsus’ Botschaft ist als Anstoß 26 27 28 29

Vgl. Verg. Ecl. V 45–49. Servius deutet die Konstellation aus dem Lehrer Daphnis und dem Schüler Mopsus allegorisch als Theokrit und Vergil (Serv. Comm. in Verg. Ecl. V 48). Zur bedeutsamen Auswahl der vergilischen Figuren durch Dante und Giovanni del Virgilio siehe Allegretti 2010. In Vergils fünfter Ekloge fordert der Hirte Menalcas Mopsus zu einem Gesang auf und weist darauf hin, dass Tityrus währenddessen die weidenden Böcke hüte (Verg. Ecl. V 10–12). Zu den zwei unterschiedlichen bukolischen Realitäten, die Dante in seinem Brief entwirft, siehe Krautter, der darin eine ironische Replik auf Giovannis Thematisierung der zwischen den beiden Dichtern bestehenden soziokulturellen Differenz erkennt (Krautter 1983, 33). Die Forschung hat in Melibeus oftmals die historische Person Ser Dino Perini aus Dantes unmittelbarem Umfeld in Ravenna wiedergefunden (vgl. Lcom: mellibeus, quidam ser dinus perini florentinus). Diese biographische Bedeutung trägt jedoch wenig zur Deutung der poetologischen Aussage des Textes bei. Der Meinung ist auch Martellotti 1983, 79. Eine ausführliche Archivrecher-

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des Gesprächs über Giovannis Schreiben zu deuten. Der Gelehrte muss folglich annehmen, dass er aus Tityrus’ Antworten Dantes indirekte Stellungnahme zu seiner poetologischen Epistel abzuleiten hat. Die fiktive Figur Melibeus erweist sich so als Träger einer rhetorischen Funktion. Denn Dante lässt ihn die Aspekte aus Giovannis Brief ansprechen, auf die er zu reagieren gedenkt, und unterbindet auf diese Weise die direkte Kommunikation mit Giovanni del Virgilio. Diese indirekte Kommunikation der Stellungnahme über einen Dialog stellt formal einen Kontrast zu Giovannis monologischer Epistel her, die dessen soziopoetologische Lehrmeinung als absolut gültig vertrat. Die verschiedenen Personen, Sitten und Sprachstile, die Dante hingegen in seinem Hirtendialog zu Wort kommen lässt, deuten eine flexible und relative Auffassung des Dichtungs- und Stilbegriffs an.30 Die bukolische Allegorie, in die Dante die Korrespondenz zwischen dem Gelehrten und sich versetzt, ist dabei einerseits mit Ereignissen und Personen der historischen Wirklichkeit zu identifizieren. Andererseits weist sie rein fiktive Elemente wie die Figur des Melibeus auf und stellt ein bukolisches Setting dar, das nicht eindeutig mit dem extradiegetischen Rahmen der Kommunikationssituation zu identifizieren ist. Die poetische narratio aus Dantes Brief vereint auf diese Weise Wahres mit Falschem. Dante entwirft in seiner Antwort an Giovanni del Virgilio ein Spannungsfeld aus poetischer Fiktion und der allegorischen Umsetzung von historischen Gegebenheiten.31 In dieser Form der Allegorie besteht ebenfalls eine Parallele zu den Eklogen Vergils bzw. deren spätantiker Auslegung durch Servius, der vielerorts biographisch deutet. Er warnt jedoch zugleich vor einem zu peniblen Biographismus in der Auslegung der Bucolica und gesteht ihnen damit implizit denselben hybriden Status zwischen poetischer Fik-

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che über die historischen Personen, die der Lcom identifiziert – darunter Dino Perini aus Dantes erstem Brief und Fiduccio de’Milotti aus Dantes zweitem Brief, unternehmen Albanese/Pontari 2017; 2018. Ferrara 2015 interpretiert Melibeus als Dantes junges Alter Ego Dante und kommt zu dem Schluss, Dante würde in der Ekloge zwei Zeiten überlagern. Melibeus sei sein jugendliches, Florentiner Alter Ego, dem die gelehrte lateinische Dichtung noch nicht bekannt sei. Tityrus hingegen sei Dantes aktuelles Alter Ego, der nun in voller Kenntnis und Beherrschung des gelehrten antiken Wissens sei. Albanese 2014, 1696 f. weist mit dem Bezug zu Servius’ Kommentar zur dritten Ekloge Vergils auch darauf hin, dass Dante das genus mixtum für die Erzählung seiner Ekloge wähle, in dem sowohl ein Sprecher existiert als auch Figurenrede. Auffallend ist dabei die formale Übereinstimmung mit der Sprechsituation der Commedia, die Dante in seiner ersten Briefekloge gegenüber Giovanni del Virgilio verteidigt. Diese mischt ebenfalls die Sprecherrede des Dichters Dante mit der Figurenrede. Zum modus loquendi in den Eklogen und der Commedia siehe Vescovo 2014. Zur Sprechsituation in der Commedia siehe Klinkert 2014. Aus der parallelen formalen Gestaltung der Ekloge und der Commedia lässt sich auch die formale Gestaltung der Ekloge als eine Verteidigung des Stils der Commedia lesen. Damit entspricht Dante der Beschreibung des genus poeticum narrationis durch Bene da Firenze Candelabrum IV 20, 5: narratio poetica fingit atque ita mentitur: sic veris falsa remiscet. Ähnlich stellt Martellotti 1983, 81 innerhalb des Briefes zwei Ebenen fest.

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tion und autobiographischer Allegorie zu, wie ihn Dante in seinem allegorischen Brief herstellt.32 Neben diesen Informationen über die Allegorie und ihrem Bezug zur historischen, extradiegetischen Ebene der Kommunikation, erhält Giovanni del Virgilio in diesem ersten Teil der narratio außerdem einen Eindruck von dem intradiegetischen Profil der bukolischen Figuren und ihrem Verhältnis zueinander. So ist Dantes Alter Ego Tityrus offensichtlich in einer überlegenen Position gegenüber Melibeus. Denn er bezeichnet diesen als stultus und bezeugt damit einerseits seinen Wissensvorsprung, da er Mopsus-Giovanni kennt und auch den Inhalt des Briefes. Andererseits zeigt es eine väterliche Autorität, wenn Tityrus sein spöttisches Lachen aus Liebe zu dem neugierigen Melibeus niederringt, ihn fragt, weshalb der so von Sinnen ist (stulte, quid insanis?, II 9), und ihm darüber hinaus die Anweisung gibt, sich besser um seine Zicklein zu kümmern.33 Tityrus’ Verhältnis gegenüber Melibeus bewegt sich folglich zwischen einer Distanz, die durch einen unterschiedlichen Kenntnisstand und Autorität charakterisiert ist, und einer Nähe, die aus einer emotionalen Verbundenheit besteht. Entsprechend wirkt Melibeus in seinem Verhalten. So zeigt ihn Tityrus’ Beschreibung zum einen ungeduldig bittend. Die Formulierung magis et magis verstärkt das Prädikat premebat (II 7), das bereits die dringende Ungeduld zum Ausdruck bringt. Zum anderen zeugt Melibeus’ Sprache von dem unnachgiebigen Begehren des Hirten („Tytire, quid Mopsus? Quid vult? Edissere!“ dixit, II 6). Die kurze Syntax seiner Fragen, die sich durch das Interrogativpronomen quid anaphorisch aneinanderreihen, verleiht seinen Worten ein spontanes, alltagssprachliches Register und spiegelt seine Unge-

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Servius mahnt den Leser der vergilischen Bucolica an, nur dort hinter Tityrus den Dichter Vergil zu vermuten, wo es die Vernunft zulässt (Serv. Comm. in Verg. Ecl. I 1). Albanese 2014, 1695 sieht ebenfalls, dass Dante die Bukolik in Anlehnung an den Servius-Kommentar verwende. Ihre Deutung, dass er die Gattung „leggermente e occasionalmente, secondo il metodo virgiliano ben illustrato da Servio“ verwende, greift jedoch zu kurz, wie sich zeigen wird. Die überlegene Position, aus der heraus die Ermahnung geschieht, findet sich auch in dem vergilischen Hypotext des Verses (Verg. Ecl. X 22). Dort wendet sich Apoll an Gallus. In Vergils erster Ekloge bezeichnet sich Tityrus selbst als stultus. Der spätantike Vergilkommentator Servius erklärt das stultus entsprechend als idest rusticus, qui nescivi iudicare (Serv. Comm. in Verg. Ecl. I 20). Dem Verhältnis zwischen Tityrus und Melibeus ist Vergils Rolle gegenüber ‚Dante‘ in der Commedia ähnlich, besonders im Inferno, der Dante so manches Mal zeigt, dass er nicht bereit ist für eine bestimmte Kommunikation bzw. sich anstrengen müsse, um angemessen zu sprechen (z. B. in der Farinata-Episode, in der Vergil Dante auf väterliche Weise dem Ghibellinenführer vorsetzt mit der Ermahnung, seine Worte mit Bedacht zu wählen, Inf. X 31–39; auch in der Odysseus-Episode, in der Dante doch nicht persönlich sprechen darf, denn es seien Griechen, die seine Worte verachten würden, Inf. XXVI 73–75). Eine solche Parallele zwischen Vergil in der Commedia und Tityrus sieht auch Combs-Schilling 2015, 14. Er erkennt zudem in Dantes Haltung ein Echo des Convivio, in dem Dante sich als Vermittler des Wissens an Ungebildete stilisiert (Conv. I 1, 8–10) und sieht eine Hierarchie, die Dante zwischen sich als Lehrendem und Melibeus als niederem, zu Belehrenden erstelle (ibid., 2; 10). U. a. Krautter 1983, 31 erkennt in Melibeus den Repräsentanten des ungelehrten Publikums, das Dante in Convivio I 1 beschrieben hatte.

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duld.34 Einen ähnlichen Effekt haben die Inchoativa consciscere (II 5)35 und edissere (II 6),36 deren [s]-Laut Melibeus’ Begehren onomatopoetisch untermalt.37 Gegenüber Tityrus wirkt Melibeus dadurch unmündig untergeordnet, aber von diesem eben väterlich liebevoll bedacht (victus amore sui, II 8). Giovannis Alter Ego Mopsus hingegen begegnet Tityrus in einem ebenbürtigen Verhältnis, wenn er ihm von seinem Spott über Melibeus berichtet.38 In ihrer Verbundenheit gegenüber dem untergeordneten Melibeus deutet sich dabei das Verhältnis zwischen den Gelehrten und dem vulgus an, das Giovanni del Virgilio in seiner Epistel so streng unterschieden hatte. Ähnlich wie dieser Dante und sich als Gelehrte dem ungebildeten Volk gegenübergestellt hatte, nimmt nun Dante in seiner bukolischen Allegorie eine Trennung vor, indem er sich als Tityrus und Mopsus-Giovanni als Wissende dem naiven Melibeus gegenüberstellt. Melibeus erscheint auf diese Weise als bukolisches Pendant zu dem comicomus nebulo, den Giovanni repräsentativ für die gens ydiota angeführt hatte (I 10–13).39 Es besteht jedoch auch ein wesentlicher Unterschied zwischen Dantes und Giovannis Inszenierung. Denn während Giovanni dem nebulo geringschätzig gegenübertrat, bleibt Tityrus-Dantes Verhältnis zu dem stultus Melibeus zwar das einer spöttischen Überlegenheit, jedoch zugleich einer liebevollen Zuwendung. Darüber hinaus ist Tityrus-Dantes Realität nicht streng von der des stultus Melibeus getrennt. Sie teilen vielmehr denselben einfachen Hirtenalltag, wie sich in der Anfangsszene zeigte (II 3 f.). Eine Distanz besteht, wenn Tityrus Melibeus von dem wunderbaren Gesang des Mopsus ablenken und wieder zu seinen eigentlichen Pflichten, den Ziegen und ihrem kargen Mahl, zurückbringen will. So suggeriert Dante innerhalb der einfachen Hirtenwelt auch eine Nivellierung: Ihm selbst steht die 34

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Die quid-Fragen, die Melibeus in jeder seiner Reden stellt, weisen ihn als einen Unwissenden aus, der noch eines Lehrers bedarf, der ihn in die Dinge einweiht. So erinnert es an den Passus aus Par. XX, als der Lichtadler mit ‚Dante‘ spricht. ‚Dante‘ hat in viele Dinge des Glaubens noch keine Einsicht. Das Licht stellt dementsprechend fest, dass er zwar den Namen einer Sache vernehme, aber ihre quiditate nicht begreife, bis ein anderer sie ihm erkläre (Par. XX 92–94). Consciscere liest sich nach der Glosse des L hier nicht in klassischer Bedeutung „entscheiden“, sondern in der Bedeutung von „cum“ und „sciscere“ als „zugleich in Erfahrung bringen suchen“ (Lcom: consciscere idest simul scire). Marigo 1909, 189 bezeichnet dies als einen „conio prettamente dantesco“. Marigo 1909, 190 identifiziert edissere als vergilisches hapax (Verg. Aen. II 149 mihi haec edissere vera rogantis). In seiner Untersuchung des Tenzone-Charakters des Briefes macht Martellotti 1983, 79 zudem auf die Verwendung der inquit-Formeln aufmerksam, die auch Melibeus’ Neugierde demonstrieren. Carrara 1915, 86 erkennt hingegen im Gebrauch der inquit-Formeln ein typisch mittelalterliches Gestaltungsmerkmal der bukolischen Dichtung. Die Szenerie erhalte dadurch eine narrative Form. Anders deutet hier Luca Carlo Rossi 2017, 131, der in dem ridebam Dantes spöttisches Lachen über Giovanni del Virgilios Verse lesen will und insgesamt von Dantes erster Epistel als einem „knock-out dell’avversario“ (ibid., 129) spricht. Ähnlich liest auch Corrado Bologna 2010, 149 das ridebam als ein Hinweis darauf, dass Dante sich in seinem Antwortbrief über Giovanni del Virgilio lustig mache. Vgl. Albanese 2014, 1698 f. In Tityrus’ Lachen sieht Albanese Dantes Inszenierung der poetischen Theorie, wie er sie in Dve II 6, 3 formulierte.

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Kenntnis und Auseinandersetzung mit dem Gesang des Mopsus zu, dem einfältigen Melibeus hingegen die Beschäftigung mit dem Alltagsgeschäft. In der Figurenkonstellation seiner bukolischen Fiktion deutet Dante folglich eine andere Bewertung von vulgus und Gelehrten an als Giovanni del Virgilio. Nachdem Dante im ersten Teil der narratio (II 5–10) die Situation zwischen seinem Alter Ego Tityrus und seinem Gefährten Melibeus geschildert hat, gilt der zweite Teil (II 11–23) Mopsus, Giovanni del Virgilios bukolischem Alter Ego. Obwohl Tityrus-Dante sich zunächst weigerte, seinem neugierigen Gefährten von Mopsus-Giovanni und seinem Gesang zu berichten, erzählt er ihm nun doch von dem Hirten, der auf idyllischen Wiesen freudig musiziert, während seine Tiere ausgelassen über das sanfte Gras tändeln. Mit dem allegorischen Bild, das Dante von seinem Adressaten zeichnet, verleiht er dessen antikisierendem Dichterprofil einerseits einen poetischen Ausdruck. Andererseits beweist Dante selbst, dass er mit den Motiven der lateinisch-antiken Dichtung umzugehen weiß. Pascua sunt ignota tibi que Menalus alto vertice declivi celator solis inumbrat, herbarum vario florumque inpicta colore. Circuit hec humilis et tectus fronde saligna perpetuis undis a summo margine ripas rorans alveolus, qui, quas mons desuper edit, sponte viam, qua mitis erat, se fecit aquarum. Mopsus in his, dum lenta boves per gramina ludunt, contemplatur ovans hominum superumque labores; inde per inflatos calamos interna recludit gaudia sic ut dulce melos armenta sequantur, placatique ruant campis de monte leones, et refluant unde, frondes et Menala nutent.

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Tityrus beginnt eine ausführliche Darstellung über Mopsus, die sich in zwei Abschnitte teilt. Zunächst setzt er mit einer Ortsbeschreibung an, die mit sieben Versen (II 11–17) über die Hälfte der Darstellung einnimmt. Im zweiten Teil kommt Tityrus auf Mopsus’ Person zu sprechen, den er mit sechs Versen in dem zuvor geschilderten Ort platziert (II 18–23). Erneut fällt eine Parallele zu Vergils erster Ekloge auf, wenn Tityrus auf die Fragen des Melibeus digressiv antwortet. Denn auch Vergils Tityrus legt in der ersten Ekloge ein solches Erzählverhalten gegenüber seinem Gesprächspartner Meliboeus an den Tag.40 40

Zur digressio als Figur mittelalterlicher Dichtung siehe Faral 1962, 74. Galfrid von Vinsauf erklärt ein Prinzip der digressio a materia ad aliam partem materiae (d. h. einer Digression, die innerhalb des behandelten Themas abschweift) und führt als Beispiel einen locus amoenus an (ibid. Documen-

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Tityrus präsentiert Mopsus’ Aufenthaltsort als ein Idyll. Ein hoher Berg mit dem Namen Menalus beschattet mit seinem hohen Gipfel die Weiden vor der untergehende Sonne (Pascua sunt ignota tibi que Menalus alto / vertice declivi celator solis inumbrat, II 11 f.). Diese sind von Gräsern und Blumen bunt gefärbt (herbarum vario florumque inpicta colore, II 13). Zudem umschließt die Wiesen ein niedriges Flüsschen, das selbst von Weidenlaub bedeckt ist und mit stetigen Wellen seine Ufer vom äußersten Rand her benetzt (Circuit hec humilis et tectus fronde saligna / perpetuis undis et summo margine ripas / rorans alveolus, II 14–16). Es hat sich von seiner Quelle am Gipfel des Berges selbst sein Flussbett an seichter Stelle gebahnt (rorans alveolus, qui quas mons desuper edit, / sponte viam, qua mitis erat, se fecit aquarum, II 16 f.). Das Diminutiv alveolus, die Adjektive humilis und mitis heben dabei den lieblichen Charakter des Flüsschens hervor. Das Adverb sponte attestiert der Landschaft eine friedliche Naturbelassenheit, da der Fluss sich selbst seinen Weg bahnen konnte. Darüber hinaus weist die Landschaft eine besonders geschützte Umgebung auf. So kreist das Flüsschen die Weidenlandschaft ein und schließt auf diese Weise den idyllischen Raum nach außen ab. Das Prädikat circuit (II 14) hebt in der Position zu Beginn des Verses den begrenzenden Verlauf des Flüsschens hervor. Weiterhin wird der geschützte Charakter auf verbaler Ebene durch das Partizip tectus (II 14) deutlich. So ist selbst das Flüsschen von Weidenlaub bedeckt und dadurch nach außen abgeschirmt (tectus fronde saligna / […] / rorans alveolus, II 14–16). Das Prädikat inumbrat (II 12), das die Beschattung der Wiesen durch den Berg ausdrückt, suggeriert durch das Präfix in- ebenfalls, wie der Schatten die Wiesen überragt und dadurch einen geschützten Innenraum herstellt. Ähnliche Wirkung hat das Adverb desuper (II 14), das die Fließrichtung des Flüsschens angibt, wie es sich von seiner Quelle in der Höhe des arkadischen Berges aus einen Weg hinunter zu den Wiesen gebahnt hat. So wie das inumbrat zeigt das Präfix de- in desuper eine zentripetale Perspektive und Bewegungsrichtung der Landschaft an und suggeriert dem Leser verstärkt das Bild eines hermetischen und geschützten Raumes. Dante evoziert in seiner idyllischen Ortsbeschreibung zwei prominente Motive der klassisch-antiken Literaturtradition. Denn mit dem Schatten (inumbrat, II 12), dem Flüsschen und den Blumen wählt er einerseits typische Elemente des locus amoenus, der seit der Antike als ein Standardmotiv literarischer Landschaftsbeschreibung gilt.

tum de arte versificandi II 2, 17–21). So verstehen sich auch Dantes Ausführungen zum locus amoenus (II 11–17), da Tityrus nicht mit dem eigentlichen Thema, nämlich Mopsus und dessen Gesang, beginnt, sondern zunächst einen Ort beschreibt, der sich anschließend als Mopsus’ Aufenthaltsort herausstellt. Dante hält sich mit dem digressiven Erzählen des Tityrus auch an den Hypotext der ersten Ekloge Vergils (vgl. von Albrecht 2001, 96 f.). Serv. Comm. in. Verg. Ecl. I 19 weist die umschweifende Rede des Hirten Tityrus dort als eine für den einfachen rusticus typische Sprache aus: VRBEM QUAM DICVNT ROMAM quaeritur, cur de Caesare interrogatus, Romam describat. et aut simplicitate utitur rustica, ut ordinem narrationis plenum non teneat, sed per longas ambages ad interrogata descendat. Noch an anderen Orten stellt er Periphrasen (ibid. I 21) fest, sodass das Stilmittel als besonderes Merkmal der bukolischen Gattung erscheint.

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Darüber hinaus assoziiert er das Motiv des goldenen Zeitalters, das in der antiken Literatur als Mythos des idealen Lebenszustands seine Verbreitung findet.41 So erscheint das Adverb sponte (II 17), das das Flüsschen in seinem selbsttätigen Bahnen des Flussbetts beschreibt, typischerweise im Zuge der Goldzeitalterbeschreibungen. Traditionellerweise zeigt es dort die Freiwilligkeit und Selbsttätigkeit der Natur und des gerechten Urzustands an.42 Die Assoziation wird zudem durch einen intertextuellen Bezug bekräftigt, den Dante mit der Gestaltung des bukolischen locus amoenus zu seiner Commedia legt. So fällt auf, dass Dante im irdischen Paradies, das seine gleichnamige persona betritt, nachdem er unter Führung des antiken Dichters Vergil die Hölle durchquert und den Läuterungsberg emporgestiegen ist, dieselben Landschaftselemente realisiert wie an Mopsus’ bukolischem Idyll. Am Ende von Purgatorio XXVII, an der Schwelle des Garten Eden, macht Vergil Dante auf die scheinende Sonne und das Gras, Blumen und Bäume aufmerksam, die die Erde dort von sich aus (sic!) hervorbringe (Vedi lo sol che ’n fronte ti riluce; / vedi l’erbette, i fiori e gli arbuscelli, / che qui la terra sol da sé produce, Dante Pg. XXVII 133–135). Das sol da sè produce ist dabei genauso zu verstehen wie das lateinische sponte der Goldzeitalterdarstellungen. Wenngleich sich die Selbsttätigkeit der Natur im irdischen Paradies der Commedia auf die Pflanzen, bei Mopsus’ Ort hingegen auf den Fluss bezieht, lassen sich doch weitere, teils wörtliche Parallelen zwischen dem bukolischen locus amoenus der Epistel und dem christlichen locus amoenus des Garten Eden finden. So werden beide durch einen Berg beschattet: die bukolische Wiese um Mopsus durch den Menalus, hinter dem die Sonne untergeht (Menalus alto / vertice declivi celator solis inumbrat, II 11 f.); das irdische Paradies durch den Läuterungsberg, der es vor der aufgehenden Sonne abschirmt (u’ la prim’ ombra gitta il santo monte, Dante Pg. XXVIII 12). Gabriella Albanese macht zusätzlich darauf aufmerksam, dass der Jenseitsfluss Lethe, auf den ‚Dante‘ im irdischen Paradies trifft, in ähnlicher Weise beschrieben ist wie Mopsus’ Bächlein. So präsentiert Dante die Lethe als ein Flüsschen, das mit seinen kleinen Wellen das

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Zum locus amoenus in der antiken Literatur siehe Schönbeck 1962. Zum locus amoenus in der Tradition des Mittelalters siehe Curtius 1942; 1993, 200–205. Er identifiziert als Elemente Bäume, eine Wiese, eine Quelle oder Bach, hinzutreten können Vogelgesang und Blumen. Er weist zudem darauf hin, dass die philosophische Epik des ausgehenden 12. Jahrhunderts den locus amoenus übernimmt und ihn zu verschiedenen Formen des irdischen Paradieses entfaltet. Zur Erscheinung des locus amoenus in der mittellateinischen Dichtungspraxis und -theorie siehe auch Thoss 1972, inbes. 34–52. Zum Topos des goldenen Zeitalters Kurfess 1950; Baldry 1952; Veit 1961; Gatz 1967. Zum goldenen Zeitalter in der Renaissance siehe Levin 1969. Haß 1998, 127–139 fügt in ihre Disseration über den locus amoenus einen Exkurs über die Darstellung des goldenen Zeitalters in der Antike ein und hebt dabei den Zusammenhang beider Topoi hervor. Demgemäß erfülle das goldene Zeitalter „zwar nicht die Anforderungen an einen locus amoenus, aber sie zeige eine zu diesem ‚übereinstimmende Struktur‘“ (ibid., 10). Vgl. Ov. Met. I 89 f. Aurea prima sata est aetas, quae vindice nullo, / sponte sua, sine lege fidem rectumque colebat. Verg. Ecl. IV 45 sponte sua sandyx pascentis vestiet agnos. Zu dem Motiv der Freigiebigkeit der Natur als Leitmotiv der Goldzeitalterdarstellung vgl. Schönbeck 1962, 136.

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Gras an seinen Ufern beugt (ed ecco più andar mi tolse un rio, / che ’nver’ sinistra con sue picciole onde / piegava l’erba che ’n sua ripa uscìo, ibid. 25–27). Dies entspreche Mopsus’ Bächlein, der in ähnlicher Weise mit seinen steten Wellen sein Ufer betaut (perpetuis undis a summo margine ripas / rorans alveolus, II 15 f.).43 Im Garten Eden der Commedia schließlich stellt Matelda, die Bewohnerin des irdischen Paradieses, die Verbindung des christlichen Garten Eden mit dem antiken Mythos des glücklichen Zustands im goldenen Zeitalter selbst her. Denn nachdem sie ‚Dante‘ die Landschaft und moralische Bedeutung des Garten Eden innerhalb der göttlich geordneten Welt erklärt hat, fügt sie hinzu, dass die antiken Dichter diesen Ort meinten, wenn sie vom goldenen Zeitalter und seinem glücklichen Zustand sangen. Da sie jedoch den christlichen Glauben noch nicht kannten, blieb ihnen der ungetrübte Blick auf die göttliche Wahrheit noch versperrt. Deswegen glaubten sie an den antiken Mythos und identifizierten diesen Ort menschlicher Glückseligkeit nicht als irdisches Paradies, sondern hielten ihn fälschlicherweise für den Parnass.44 Dante versetzt Giovannis Alter Ego Mopsus folglich an einen locus amoenus, der zum einen Assoziationen an den glücklichen Idealzustand des goldenen Zeitalters in antiker Tradition weckt und auf diese Weise den idealisierten Charakter von Mopsus’ Ort hervorhebt. Dieser wird zusätzlich gestützt durch die Intertextualität des bukolischen locus amoenus zum irdischen Paradies der Commedia, das gemäß christlicher Vorstellung den Ort des verlorenen Urzustands menschlicher Glückseligkeit darstellt.45 Wenngleich die intertextuellen Verweise implizit bleiben, suggerieren sie dennoch einen Vergleich des bukolischen locus amoenus mit dem christlichen Pendant in der Commedia, dessen Implikationen jedoch erst im weiteren Verlauf der Epistel verständlich und diskutiert werden sollen. Unmittelbar lässt der bukolische locus amoenus zunächst an die vergilischen Eklogen als Modelltext denken. Er steht somit in klassisch-antiker Tradition und zieht damit bestimmte Deutungsimplikationen nach sich. So gelten die pascua (II 11), mit denen Dante die Ausführungen beginnen lässt, gemäß der mittellateinischen Poetik als Signalwort der bukolischen Gattung und des stilus humilis, als deren Teil die Landschaft und ihr Bewohner Mopsus proklamiert werden.46 Die Bezeichnung des Berges als Menalus verankert den Ort zudem in Arkadien (II 11).

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Albanese 2014, 1701 f. Sie macht ebenfalls auf die dortige Vermischung der „miti poetici più cari a Dante“ aufmerksam und meint damit den locus amoenus, das Goldzeitalter und das irdische Paradies. Sie verkennt jedoch den subtilen Unterschied, den Dante in der Bewertung des bukolischen und des christlichen locus amoenus andeutet, wie sich im Folgenden zeigen soll. Quelli ch’anticamente poetaro / l’età de l’oro e suo stato felice, / forse in Parnaso esto loco sognaro. / Qui fu innocente l’umana radice; / qui primavera sempre e ohne frutto; / nettare è questo di che ciascun dice (Dante Pg. XXVIII 139–144). Zum Garten Eden in der Commedia Singleton 1978, 291–448. Darunter insbesondere das Kapitel Virgo ovvero la Giustizia, 337–357. König 2001, 435–445; Wehle 2003, 13–66. Die Rota Virgilii nennt für den stilus humilis in der Kategorie des Ortes die pascua. Vgl. auch Albanese 2014, 1699.

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Durch diese Verbindung des Hirtenidylls mit Arkadien stellt Dante erneut eine Intertextualität zu Vergils achter Ekloge her. Dort erscheint der Berg Maenalus in einem Kehrvers des Hirtensängers Damon.47 Das arkadische Gebirge ist dabei unmittelbar mit der Musik des Hirten assoziiert, wenn er sie als Verse des Maenalus bezeichnet. Die Verbindung zwischen dem Maenalus und den Sängerhirten zieht Vergil noch expliziter in der zehnten Ekloge. Dort singt der Dichter Gallus sein elegisches Liebeslied. Ganz Arkadien bemitleidet ihn und auch der Maenalus beweint sein Schicksal. Im Zuge dessen ruft Gallus die arkadischen Hirten an, sie mögen in ihren Gesängen an ihn erinnern, und spricht dabei ihnen allein die Expertise des Gesangs zu. Arkadien und das Maenalus-Gebirge, das Dante in seiner Briefekloge metonymisch als einen Berg nennt, sind folglich aus Vergils Bucolica als Ort gesangbegabter Hirten bekannt. Die Landschaft Arkadiens meint in der (bukolischen) Dichtung seit Vergil nicht mehr die konkrete Landschaft Griechenlands, sondern steht vielmehr allgemein für den Idealort des Dichterdaseins und des Dichtens.48 Wenn Dante Mopsus-Giovanni del Virgilio folglich an eine idyllische Wiese im Schatten des Menalus-Berges versetzt, ist dies vor dem Hintergrund der vergilischen Eklogen zu verstehen: Als locus amoenus stellen Mopsus’ Wiesen einen antiken Idealraum dar. Dessen Lokalisierung in Arkadien spezifiziert ihn zu einem Idealraum antiker Gesangskunst. Die Ortsbeschreibung, die Tityrus-Dante der eigentlichen Beschreibung von Mopsus vorausschickt, liest sich somit nicht als reine Landschaftsbeschreibung. Sie hat vielmehr eine ästhetische Funktion. Denn Dante weist Mopsus implizit durch die Lokalisierung an einem arkadischen locus amoenus die Identität eines idealen Sängerhirten antiker Tradition zu, entsprechend den arkadischen Hirten Vergils, denen in den Bucolica die höchste Gesangsexpertise zugesprochen wird. Die descriptio loci dient Dante in seiner Epistel folglich zur bukolischen Profilierung seines Adressaten und spiegelt das antikisierende Dichtungskonzept, das dieser in seinem Anschreiben verkündete. Die arkadische Landschaft ist als Vorwegnahme und poetische Amplifikation der Personenbeschreibung zu begreifen.49

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Vgl. Verg. Ecl. VIII 21; 25; 28a; 31; 36; 42; 51; 57; zudem ibid. 61. Vgl. u. a. Albanese 2014, 1700. Vgl. Snell 1980, 257 f. Für eine Gegenposition siehe Schmidt 1972, 154–185, der Snells Deutung eines entrückt-idealisierten Arkadiens in Vergils Eklogen in eben der rinascimental-humanistischen Lektüre des antiken Dichters begründet sieht. Für diesen Hinweis danke ich herzlich Helmut Seng. Auch Albanese 2014, 1700 erkennt in den pascua eine „allegorie della poesia dotta latina.“ Eine solche Funktion der Ortsbeschreibung zur Charakterisierung einer Person deutet sich bei Servius an. Der spätantike Vergilkommentator hebt im Kontext der ersten Ekloge Vergils hervor, dass keine Person ohne ihren Ort beschrieben sein könne: aut certe nullus, qui continetur, est sine ea re, quae continetur, est unde necesse habuit interrogatus de Caesare locum describere, in quo eum viderat (Serv. Comm. in Verg. Ecl. I 19). Die zeitgenössische Rhetorik führt derartige beschreibende Passagen einer Rede oder Dichtung unter dem Begriff der descriptio und zählt sie unter die Ausdrucksmittel rhetorischer bzw. poetischer amplificatio. Vgl. DE AMPLIATIONE QUE DICITUR DESCRIPTIO. Septimum genus ampliandi materiam est descriptio que inter colores sententiarum locatur. Secundum

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Erneut lässt sich eine Parallele zu Dantes Commedia feststellen. Denn auch dort sind die Landschaften stets allegorischer Natur. Sie spiegeln den moralischen Zustand der Seelen, die sich an der jeweiligen Stelle innerhalb der Jenseitstopographie befinden, die Dante in den drei Cantiche Inferno, Purgatorio und Paradiso, entfaltet.50 Der locus amoenus im Garten Eden, mit dem Mopsus’ locus amoenus in intertextueller Verbindung steht, ist dabei keine Ausnahme. Vielmehr hat das irdische Paradies als äußerster Punkt des Läuterungsbergs eine herausragende Position in der Jenseitstopographie der Commedia. Denn es handelt sich um die letzte irdische Landschaft vor dem himmlischen Paradies. Damit stellt sie auch die letzte Station dar, die die menschliche Seele durchschreitet, bevor sie gänzlich geläutert in den Paradieshimmel aufsteigen darf. ‚Dante‘, der auf seiner Wanderung durch die drei Jenseitsreiche als Lebender diese Läuterungsreise unternimmt, erlebt hier dementsprechend den nach irdischen Maßstäben vollkommensten Zustand seiner Seele. Erkennbar wird dies zunächst an der Reaktion Vergils, der ‚Dante‘ in der Funktion des maestro, duce und padre durch die Hölle und den Läuterungsberg hinaufgeführt und begleitet hatte. Vergil entlässt seinen Schützling an der Schwelle zum irdischen Paradies aus seiner Obhut und attestiert ihm, nun frei und gerecht der Herrscher über sich selbst zu sein.51 Die Landschaft des Garten Eden spiegelt in ihrer Lieblichkeit einerseits den individuellen Seelenzustand, den ‚Dante‘ zu diesem Zeitpunkt seiner Reise erreicht hat. Andererseits handelt es sich bei Dantes irdischem Paradies um eine landschaftliche Repräsentation der allgemeinen Vorstellung eines glückseligen Zustands des Menschen auf Erden, der mit der Vertreibung Adams und Evas für die Menschheit im irdischen Diesseits jedoch unerreichbar geworden ist.52 Dieser umfasst dabei nicht nur den innermenschlichen

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hanc loca, tempora et qualitates negotiorum et personarum sepissime describuntur causa probandi aliquid quod videatur ad materiam pertinere (Bene da Firenze Candelabrum VII 13, 1–4). Dass der mittelalterliche Dichter derartige Figuren der poetischen Amplifikation nicht nur zum Schmuck seiner Rede verwendet, sondern sie zur „Stoff- und Sinnvermittlung“ funktionalisiert, hebt Brandt 1986, 26 hervor. Prill 1999, 132 stellt für die Landschaft der Commedia entsprechend fest: „All diese düsteren Landschaftsbeschreibungen widerspiegeln allegorisch das System von Sünde und Strafe [im Inferno], sind aber dennoch von einer nachgerade körperlich spürbaren, sinnlichen Realität. […] Die Beschreibung der Welten, die ‚Dante‘ auf seiner Reise besucht, ist immer auch Allegorie. Gerade diese Verbindung von sinnlich nachfühlbarer Landschaftsbeschreibung und deren gleichzeitige Aufladung mit theologischer oder philosophischer Bedeutung machen einen Teil des ungeheuren Reizes aus, der von den deskriptiven Teilen der Commedia ausgeht.“ Zur Landschaft in der Commedia als Spiegel der Seelenkonstitutionen siehe auch Auerbach 1929, 193; Guardini 1958. Zur ästhetischen Repräsentation in der Commedia siehe Glunz 1937; Wilhelm 1961, 63–79. Zum mittelalterlichen Ästhetik-Begriff siehe Haug 1985. Ein ähnliches Phänomen der Entsprechung von Landschaft und deren Bewohner konstatiert Schönbeck 1962, 132–150 für die Goldalter- und Ideallandschaftsdarstellung in Vergils vierter Ekloge. Zur Landschaft in Vergils Eklogen siehe zudem Pietzker 1965; Leach 1966. Zum Goldzeitalter in Vergils Eklogen siehe Scott Ryberg 1958. Vgl. Dante Pg. XXVII 133–135. Wehle 2003, 25 bezeichnet das irdische Paradies dementsprechend als „den anthropologischen Moment der Commedia“. Dante beschreibt diese allegorische Bedeutung des irdischen Paradieses

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sündenlosen Glückszustand, sondern betrifft gemäß Dante auch den äußeren Zustand des ewigen Friedens, den das erste Menschenpaar im irdischen Paradies genoss. Wie sich der Commedia und ihren vielfältigen Invektiven auf politische Würdenträger oder gar Italien selbst entnehmen lässt, ist auch die Vorstellung eines politischen Friedens auf Erden gemäß Dante in weiter Ferne und eine ideale Sehnsuchtsvorstellung, die die menschliche Seele nur nach ihrem Tod im jenseitigen irdischen Paradies kurzzeitig finden kann.53 Aus Dantes politischem Traktat Monarchia wird zwar erkennbar, dass er grundsätzlich einen Zustand der irdischen Glückseligkeit nicht ausschließt. Dieser ist dementsprechend jedoch nur in Form der Monarchie realisiert, die im römischen Kaiserreich unter Augustus bestand, in den zeitgenössischen kleinteiligen Parteienstreitereien Italiens hingegen in undenkbare Ferne rückte.54 Um Giovanni del Virgilio herum hingegen scheint dieser friedliche Zustand zunächst möglich zu sein. Zumindest suggeriert dies der bukolische locus amoenus, den Dante um dessen Alter Ego Mopsus zeichnet und dabei einen friedlichen, geschützten Raum entwirft. Die intertextuelle Parallele des bukolischen locus amoenus zum irdischen Paradies in der Commedia legt somit verstärkt nahe, dass beide amöne Landschaften dieselbe allegorische Funktion erfüllen, nämlich die Konstitution ihrer Bewohner zu spiegeln. Im Unterschied zur Commedia, in der die Landschaft einen seelischen Zustand repräsentiert, bildet die Landschaft um Mopsus – gemäß dem poetologischen Kontext der Epistel – zunächst das poetologische Ideal des Dichters Mopsus-Giovanni ab und spiegelt auf diese Weise den inneren Zustand seiner Person. Zugleich ist der locus amoenus jedoch wie das irdische Paradies der Commedia auch als Beschreibung äußerer friedlicher Umstände zu lesen. Dante stellt Giovanni hier folglich als Dichter antiker Tradition in einem friedlichen irdischen Diesseits allegorisch dar. Die bukolische Landschaft hat darüber hinaus Implikationen in Bezug auf Melibeus. So betont Tityrus-Dante gegenüber seinem Gefährten Melibeus, dass diese

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selbst in seinem politischen Traktat Monarchia. Er schreibt dem Menschen zwei Ziele der Glückseligkeit zu: Eine entspricht der vergänglichen Natur seines Wesens und wird durch das irdische Paradies repräsentiert. Die zweite Glückseligkeit des Menschen liegt in der ewigen Natur seines Wesens begründet, die wiederum durch das himmlische Paradies abgebildet wird. Duos igitur fines providentia illa inenarrabilis homini proposuit intendendos: beatitudinem scilicet huius vite, que in operatione proprie virtutis consistit et per terrestrem paradisum figuratur; et beatitudinem vite ecterne, que consistit in fruitione divini aspectus ad quam propria virtus ascendere non potest, nisi lumine divino adiuta, que per paradisum celestem intelligi datur (Dante Monarchia III 16, 7 f.). Unter Dantes Schmähungen der zeitgenössischen Politik beispielsweise eindrucksvoll zu nennen ist die Invektive auf Italien und Florenz (Pg. VI 76–151). In der dunklen Voraussage, die der Urahn Cacciaguida seinem Nachfahren ‚Dante‘ mitteilt, beschreibt der Dichter auch sein eigenes Leid an den politischen Zuständen seiner Zeit (Par. XVI–XVII, insbesondere Par. XVII 37–99). In seiner Monarchia begründet Dante in drei Büchern den Anspruch des Kaisers auf die weltliche Herrschaft. Er führt dies historisch auf das Kaiserreich der Römer unter Augustus zurück, deren Herrschaft er als gottgewollt legitimiert. Im vierten und letzten Teil argumentiert er für die Gleichberechtigung des Kaisers als weltlichem Herrscher neben dem Papst als geistlichem Herrscher auf Erden. Zur Monarchia siehe die Einleitung zum Kommentar von Diego Quaglioni 2014.

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idyllischen Wiesen ihm unbekannt seien (pascua sunt ignota tibi, II 11). Der arkadische Idealraum ist somit nur Mopsus-Giovanni und Tityrus-Dante bekannt, dem stultus Melibeus hingegen nicht. Dante greift hier einen zentralen Aspekt aus Giovanni del Virgilios Anschreiben auf. Denn dieser sprach dem ungebildeten Volk das Verständnis erhabener Dichtungsinhalte ab (I 8–11). Sich selbst und Dante inszenierte er hingegen als Gelehrte der antiken Dichtungstradition. Dante greift diese Konstellation in seiner bukolischen Epistel auf und bildet das elitäre Dichtungsverständnis des Gelehrten mithilfe des poetischen Landschaftsmotivs ab. Indem sein Alter Ego Tityrus von Mopsus und seinem Ort berichtet, postuliert Dante dabei zudem seine eigene Vertrautheit mit Giovannis antikisierendem Dichtungsideal. Sein Verständnis und seine aktive Beherrschung antiker Dichtungsmotive stellt er dabei mit der Dichtung eines antiken locus amoenus performativ unter Beweis. An die amöne descriptio loci (II 11–17) schließt Tityrus-Dante die Beschreibung der Person Mopsus an.55 Diese führt die idyllisch idealisierte Atmosphäre weiter, die der arkadische locus amoenus zuvor evozierte. Sie setzt programmatisch mit dem Namen Mopsus ein (II 18) und erstreckt sich als zweiter Teil der deskriptiven Passage über sechs Verse (II 18–23). Mopsus erscheint dabei inmitten der Weidelandschaft. Die Position seines Namens in der Mitte der Passage (Vers 18 von II 11–23) spiegelt formal seine zentrale Position innerhalb des Ortes. Giovanni del Virgilios Alter Ego zeichnet Dante durch zwei wesentliche Merkmale aus. So ist Mopsus einerseits Rinderhirte. Sein Vieh tändelt spielerisch über das sanfte Gras (dum lenta boves per gramina ludunt, II 18). Er selbst hingegen betrachtet verzückt die Mühen von Menschen und Göttern (Mopsus in his […] / contemplatur ovans hominum superumque labores, II 18 f.). Aus dieser Freude geht schließlich sein Flötenspiel hervor (inde per inflatos calamos interna recludit / gaudia sic ut dulce melos armenta sequantur, II 20 f.). Die Musik ist dabei so bezaubernd, dass nicht nur seine eigene Herde, sondern auch wilde Löwen besänftigt vom Berg herabeilen, die Wogen des Flusses zurückfließen und das Laub an den Bäumen des Menalus sich zu ihm neigt (placatique ruant campis de monte leones, / et refluant unde, frondes et Menala nutent, II 22 f.). Weiterhin ist zu erkennen, dass der Hirtendichter Mopsus sich an einem idyllischen Ort aufhält, der von einer anderen, mühseligen Existenzform außerhalb seines locus amoenus abgegrenzt ist. So zeigen seine ausgelassen grasenden Rinder (vgl. II 18), dass sogar die eigentliche Hirtenpflicht an dem Ort unnötig ist.56 Die temporale Hypotaxe suggeriert entsprechend, dass es sich bei dem Vieh mehr um eine idyllische Staffage 55 56

Zur descriptio personarum siehe Faral 1962, 75–82. Er verweist insbesondere auf Matthäus von Vendômes Ars versificatoria, in der verschiedene Personentypen exemplarisch beschrieben werden. Das musische Spiel steht auch in Vergils Bucolica den eigentlichen Hirtenpflichten gegenüber. In der siebenten Ekloge beispielsweise finden sich Corydon und Thyrsis zum Wettgesang ein und Meliboeus entschließt, seine Pflichten dem Spiel der beiden hintanzustellen: et certamen erat, Corydon cum Thyrside, magnum; / posthabui tamen illorum mea seria ludo (Verg. Ecl. VII 16 f.).

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handelt, die Mopsus’ eigentliche musizierende Tätigkeit begleitet. Mopsus erscheint eher als Sänger denn als Hirte. Die poetische Muße wird dabei durch intertextuelle Verweise unterstrichen. So erinnert das Adjektiv lentus, das Dante verwendet, um das sanfte Gras zu beschreiben, über das Mopsus’ Rinder tändeln (dum lenta boves per gramina ludunt, II 16), erneut an Vergils erste Ekloge. Es erscheint dort an prominenter Stelle, wenn der exilierte Meliboeus zu Beginn Tityrus anspricht (nos patriam fugimus; tu, Tityre, lentus in umbra / formosam resonare doces Amaryllida siluas, Verg. Ecl. I 4 f.).57 Dort bezeichnet es den friedlichen Zustand, den Tityrus im Gegensatz zu dem vertriebenen Meliboeus genießt. Dante bezieht in seiner Epistel das Adjektiv nun nicht direkt auf Mopsus, sondern auf das Gras in Mopsus’ Landschaft, über das die Rinder schweifen. Auf diese Weise suggeriert er eine Parallele zwischen der Situation des Tityrus aus Vergils erster Ekloge und derjenigen von Mopsus-Giovanni, vermeidet jedoch eine Gleichsetzung der Figuren. Dies ist verständlich, da Dante die Identität des Tityrus bereits für sich beanspruchte, der gemäß der spätantiken Kommentartradition als Vergils Alter Ego gilt. Die Gleichsetzung von Mopsus-Giovanni und Tityrus-Vergil betrifft somit allein die Umstände: Dante zeigt Mopsus in einer friedlichen, von äußeren Bedrohungen freien Existenz des Sängerhirten wie Tityrus-Vergil, den in der ersten Ekloge der exilierte Meliboeus um seine poetische Muße beneidet, die ihm durch das Protektorat eines Gottes ermöglicht wird.58 Gestützt wird diese Parallele zwischen Mopsus-Giovanni und Tityrus-Vergil des Weiteren durch das Prädikat ludunt, mit dem die spielerische Bewegung von Mopsus’ Rindern beschrieben ist (II 18), und durch die generelle Situation, dass Mopsus singt und seine Rinder dabei grasen. Denn auch Tityrus’ Muße in Vergils erster Ekloge zeichnet sich dadurch aus, dass seine Rinder umherschweifen und er dabei seinem Hirtenspiel nachgehen kann (ille meas errare boues, ut cernis, et ipsum / ludere quae vellem calamo permisit agresti, Verg. Ecl. I 9 f.). Das vergilische errare entspricht dabei dem danteschen ludunt. Das ludere, das bei Vergil auf das Flötenspiel bezogen ist, beschreibt jedoch bei Dante das Verhalten der Rinder. Erneut bezieht Dante die Informationen über Tityrus-Vergil auf die Umstände von Mopsus-Giovanni und vermeidet auf diese Weise einerseits einen direkten Bezug zwischen den Personen Mopsus-Giovanni und Tityrus-Vergil. Andererseits erlaubt ihm

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Servius erklärt das Adjektiv als Synonym zu „mußevoll“ (LENTVS otiosus, ut qui nunc lenti consedimus arvis, Serv. Comm. in Verg. Ecl. I 4). Servius erkennt in dem Gott die Allegorie des Kaisers Augustus, dessen Schutz der Dichter Vergil seine genießt und daher friedlich dichten kann (Serv. Comm. in Verg. Ecl. I 7). Diesen Zusammenhang hält auch Riccardo Drusi 2013, 51 für ein zentrales Argument für Dante in seiner Wiederaufnahme der bukolischen Gattung. Beatrice Priest 2015, 239 f. erkennt in der Konstellation der ersten Ekloge Vergils, in dem Tityrus-Vergil – im Gegensatz zu seinem Gesprächspartner Meliboeus – mit dem politischen Frieden auch die poetische Muße zugestanden wird, ebenfalls für ein wesentliches Moment, das Dante für seine bukolische Allegorie fruchtbar macht. Dass die der vergilischen Bukolik eingeschriebene historische Dimension für Dante bedeutsam gewesen sei, hebt auch Allegretti 2018 hervor.

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die Übernahme des Verbs ludere, die Deutungsimplikationen, die der Begriff in Vergils Ekloge trägt, auch auf Mopsus-Giovannis Situation zu übertragen: In Vergils Ekloge beschreibt Tityrus damit sein müßiges Hirtenspiel. Servius deutet dies als autobiographischen Kommentar Vergils, der in der Identität des Tityrus seinen bukolischen Dichtungsstil beschreibe.59 Mit der Wiederaufnahme des ludere zeigt Dante folglich Giovannis und Vergils Alter Ego in derselben Situation und bringt auf diese Weise das Bestreben des Gelehrten zum Ausdruck, in die Nachfolge des antiken Dichters zu treten. Damit stellt Dante poetisch dar, was Giovanni in der ersten Epistel über sich preisgab, als er sich als vocalis verna Maronis (I 36) bezeichnete. Noch weitere Hinweise auf das poetologische Profil des Gelehrten lassen sich in der Beschreibung finden. So steht der friedlichen Muße, die Mopsus an seinem locus amoenus genießt, ein konfliktreiches Umfeld entgegen. Dante evoziert eine Trennung zwischen Mopsus’ friedlicher Innenwelt und einer Außenwelt, in der Menschen und Götter ein mühsames Leben führen (contemplatur ovans hominum superumque labores, II 19). Menschen und Götter meint die Gesellschaft, die die Hirten umgibt. In Analogie zu der Auslegung der vergilischen Bucolica durch Servius sind die Götter als herrschende, staatslenkende Figuren gemeint. So erkennt er hinter dem deus, den Tityrus in Vergils erster Ekloge als seinen Schirmherrn angibt, den Kaiser Augustus. Die superi und homines um Mopsus-Giovanni verstehen sich entsprechend als ein Sammelbegriff der Gesellschaft unter ihrer jeweiligen politischen Führung. Mopsus hat sich von ihr zurückgezogen. Er lebt in seinem hermetischen Idyll und betrachtet deren Schicksal von dort aus. Ihre Mühen betreffen ihn nur als Gegenstand seiner Dichtung. So bläst er seine Freude über seine jubelnde Kontemplation der ihn umgebenden gesellschaftlichen Ereignisse durch die Flötenrohre hinaus (vgl. II 19–21).60 Die hominum superumque labores stellen somit auch das Thema seines musikalischen Spiels dar. Entsprechend hatte Giovanni del Virgilio in seiner Epistel Dante zuerst zu einer epischen Dichtung aufgefordert und ihn gebeten, mit der Kithara die Mühen der Menschen zu lindern. Dazu verwendete er ebenfalls die Junktur labores hominum (I 44). Er inszenierte auf diese Weise Ereignisse der Zeit als epische Themen und stellte damit aktuelle gesellschaftliche Zustände in die römisch-antike Tradition. Dante inszeniert

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LVDERE scribere, ut carmina qui lusi pastorum: Horatius poscimur. siquid vacui sub umbra lusimus tecum (Serv. Comm. in Verg. Ecl. I 10). Auch in der sechsten Ekloge Vergils, die aufgrund der anfänglichen recusatio der epischen Dichtng unter poetologischen Gesichtspunkten besonders interessant erscheint, setzt Vergil das Verb ludere ein, um die kleine Dichtungsform der Bukolik im Gegensatz zur epischen Gattung zu beschreiben (Prima Syracosio dignata est ludere versu / nostra neque erubuit silvas habitare Thalea. / cum canerem reges et proelia, Cynthius aurem / vellit et admonuit: ‚pastorem, Tityre, pinguis / pascere oportet ovis, deductum dicere carmen.‘, Verg. Ecl. VI 1–5). Zur den ersten Versen der sechsten Ekloge Vergils Schmidt 1972, 238–299; auch Ross 2008. Parodi 1911, 203 f. deutet einen Kontrast zu Dantes Dichtungsideal an: „I labores della terra e del cielo sono per lui soltanto un buon soggetto di estetica contemplazione, e sulle canore canne sfoga il suo intimo godimento. Era proprio questo l’ideale poetico dell’autore della Commedia?“

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nun Giovanni als Sänger der hominum superumque labores (II 19) und erklärt ihn damit selbst zum epischen Dichter antiker Tradition.61 Neben dem intertextuellen Bezug zu Giovannis Epistel wird zudem ein erneuter Verweis auf die Commedia erkennbar. In Purgatorio XXI treffen ‚Dante‘ und Vergil auf den antiken Dichter Statius, der Vergil daraufhin einerseits als christlichen Propheten verehrt. Andererseits nennt er ihn als Vorbild seiner Dichtung über Menschen und Götter und spielt damit auf den epischen Stil an, den er Vergils Aeneis verdanke (è quel Virgilio dal qual tu togliesti / forte a cantar de li uomini e d’i dèi, Dante Pg. XXI 125 f.). Diese Formulierung überträgt Dante nun aus dem volgare der Commedia in die lateinischen Hexameter seiner Epistel an Giovanni, um Giovanni del Virgilio alias Mopsus zu beschreiben.62 Die Intertextualität impliziert dabei eine Gleichsetzung von Statius und Mopsus, der dadurch ebenfalls als virtuoser Vergilschüler erscheint. So wie sich zuvor an den intertextuellen Verweisen zu Vergils erster Ekloge zeigte, wird anhand der Intertextualität zur Commedia abermals deutlich, wie Dante Mopsus-Giovanni als Epigone Vergils, nicht aber als Vergil selbst darstellt.63 Als ein solcher Nachfolger Vergils ist Mopsus erwartungsgemäß als virtuoser Sänger gezeichnet. So nennt Dante sein Spiel ein dulce melos (II 21) und attestiert diesem damit einen besonderen künstlerischen Wert.64 Dass Mopsus’ Rinder, wilde Löwen und die Natur selbst von seiner Musik bezaubert werden, weist Mopsus zudem die Fähigkeiten des mythischen Dichters Orpheus zu.65 Darüber hinaus evoziert Dante mit der idealisierenden Beschreibung von Mopsus’ Flötenkunst den Beginn von Vergils achter Ekloge. Dort finden sich die Hirten Damon und Alphesiboeus in einem mußevollen Moment zum gemeinsamen Hirtenspiel ein. Sie sind so begabt, dass sogar die junge Kuh sie bewundert, die Luchse staunen und die Flüsse in die andere Fließrichtung streben. Kuh, Luchs und Fluss der vergilischen Ekloge entsprechen den Rindern, den Löwen und den zurückfließenden Wellen, die in Dantes Eklogenbrief auf Mopsus’ Spiel reagieren.66 61 62 63 64 65 66

Vgl. u. a. Parodi 1911, 203; Eitel 2013, 277. Albanese 2014, 1703 hebt hervor, dass Dante in der Beschreibung von Mopsus und seinen Gesangskünsten Giovannis Versprechen an Dante (vgl. I 44) aufgreife. Vgl. u. a. Albanese 2014, 1703. Zur Darstellung des Statius als epischen, Vergils als bukolischen Sänger in Canto XXII des Purgatorio und ihrem Verhältnis zu der bukolischen Korrespondenz siehe Allegretti 2018. Dante verwendet den Begriff des melos in seinem rhetorischen Traktat über die Volkssprache, um eine nach den Regeln der Rhetorik formvollendete Dichtung zu beschreiben (Dante Dve II 8, 5). Dementsprechend auch Uguccione da Pisa Derivationes M 74, 2. Zu dem mythischen Sänger Orpheus in Antike, Mittelalter und Renaissance siehe Fußnote II 139. Vgl. Albanese 2014, 1703. Vgl. Verg. Ecl. VIII 1–5. Michael von Albrecht 2001, 188 zeigt, wie gleich zu Beginn der vergilischen Ekloge ein musikalischer Akzent gesetzt wird und der ganze Absatz an Orpheus denken lässt. Löwen, die auf ein Ereignis in der Hirtenwelt reagieren, finden sich auch in Vergils Eklogen (Ecl. V 27 f.). Als Element des locus amoenus setzt Vergil in der vierten Ekloge (ibid. IV 22) Löwen und Rinder zusammen. Vgl. auch Schönbeck 1962, 139 f. Veit 1961, 124 nennt das Szenario der vierten

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Indem Dante auf bekannte Motive und Hypotexte der klassisch-antiken Dichtung zurückgreift, die eine ideale Sängerexistenz evozieren, zeichnet er Giovanni del Virgilio nun explizit als idealen Vertreter der antiken Dichtung in vergilischer Tradition. Die descriptio personae des Mopsus hat somit – wie die Ortsbeschreibung zuvor – nicht nur neutral beschreibenden Charakter. Sie erfüllt vielmehr die epideiktische Funktion einer Lobrede, die Mopsus bzw. Giovanni del Virgilio als Idealsänger antiker, vergilischer Tradition profiliert und ihm auf diese Weise zugleich seine Anerkennung ausspricht.67 Mopsus verkörpert also das antikisierende epische Stilideal, das Giovanni selbst in seiner Epistel verkündet hatte. Was auf den ersten Blick als anerkennendes Lob seiner poetischen Fähigkeiten und seines Dichtungsideals erscheint, erweist sich bei näherem Hinsehen jedoch als fragwürdig. Denn Mopsus’ Sängerexistenz bildet an sich einen Widerspruch zu den Forderungen des Gelehrten in der ersten Epistel. Der hatte dort die dreifache Entsprechung zwischen Dichter, Dichtung und Publikum vertreten. Dante stellt sein Alter Ego Mopsus nun entsprechend seiner eigenen Forderung als epischen Sänger in Vergils Tradition dar und weist ihm eine Dichtung im stilus gravis zu. Trotz seines Strebens nach einem antiken Erhabenheitsideal ist Mopsus jedoch ein Hirte und damit genuin eine Figur des bukolischen stilus humilis. Mit Tityrus und Melibeus teilt er eine grundsätzlich niedere Konstitution. Diese niedere Existenz steht jedoch im Widerspruch zu den epischen Themen seiner Dichtung und dem Ideal poetischer Erhabenheit, das Mopsus-Giovanni anstrebt. Mit seinem abgeschotteten Leben im bukolischen Idyll hat Mopsus absichtlich keine Berührungspunkte zu den Ereignissen der Zeit und dem Leid der ihn umgebenden Gesellschaft. Sein Leben ist im Gegensatz zu seiner Dichtung über die epischen Geschehnisse der Gesellschaft geprägt von Muße und Spiel und entspricht damit nicht der epischen Realität der hominum superumque labores (II 19). Mit der bukolischen Inszenierung unterstellt Dan-

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Ekloge als Protoyp des goldenen Zeitalters im Mittelalter. Ein Adynaton, das die Löwen mit der Rinderherde als eigentlich unnatürlich vereint darstellt, findet sich bei Hor. Epod. XVI 33. Laut Curtius 1993, 222 f. sind die Löwen ein typisches Element der (mittel-)lateinischen Landschaftsbeschreibung. Er nennt Beispiele, in denen sie als friedensbedrohliche Elemente genannt werden. Dass wilde Löwen von Gesang besänftigt werden, nennt u. a. Horaz im Zusammenhang mit Orpheus’ Gesang (Hor. Ars 393). Rinder als typische Beutetiere der Löwen bei Horaz (Carm. III 11, 41). Für die epideiktische Funktion deskriptiver Dichtungspassagen, insbesondere der descriptio personae siehe Faral 1962, 76 „Destination de la description. L’objet principal du genre oratoire que les anciens ont appelé démonstratif est l’éloge et le blâme et le moyen par lequel on y atteint est la description. Cette vertu de la description est expressément énoncée par les théoriciens du moyen âge (Matthieu, I 59) et c’est la fonction essentielle qu’ils lui assignent. En apparence, l’idée est accessoire; elle est, en fait, d’importance considérable: elle explique que, dans toute la littérature du moyen âge, la description ne vise que très rarement à peindre objectivement les personnes et les choses et qu’elle soit toujours dominée par une intention affective qui oscille entre la louange et la critique.“ Zur stets lobenden bzw. tadelnden Funktion einer Personenbeschreibung siehe auch Dante Conv. I 2, 3, der dort davon absehen will, von sich selbst zu seinem eigenen Lob zu sprechen.

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te Giovanni folglich in subtiler Weise, einer Inkongruenz in seinem Dichterdasein anheim zu fallen, die dieser selbst in seinem Anschreiben bemängelt hatte, als er die homogene Übereinstimmung von Dichter, Dichtung und Publikum forderte. Diesen Widerspruch innerhalb der Figur Mopsus, den Dante hier nur andeutet, wird er im Verlauf der Epistel sukzessive ausbauen. Im zweiten Teil der narratio (II 11–23) stellte folglich Tityrus-Dante seinem Melibeus zunächst den Sänger Mopsus-Giovanni allgemein vor. Dante verwendet diesen Teil des Dialogs zwischen seinem Alter Ego und dessen unwissendem Gefährten, um Giovannis Alter Ego Mopsus zu profilieren und übersetzt dabei das antikisierende Stilideal, das der Gelehrte in seiner Epistel proklamiert hatte, in die bukolische Allegorie. Die Beschreibung erscheint einerseits als Lobrede auf den antiken Dichterhirten. Andererseits deutet sich in seiner Inszenierung eine Widersprüchlichkeit der Dichterfigur an, die Dantes Einwände gegen Giovannis Stilideal suggerieren. Nach Tityrus’ ausführlicher Beschreibung von Mopsus und seiner idyllischen Umgebung, kommt Melibeus zu Wort. Er möchte von der Botschaft erfahren, die Mopsus-Giovanni Tityrus-Dante schickte. Hier beginnt der dritte Teil der narratio (II 24–33), in dem Dante schließlich die akute Ausgangssituation des Streits mit Giovanni del Virgilio in die bukolische Fiktion überführt. Im Zuge dessen vertieft er die Profile der Protagonisten. Insbesondere Mopsus steht weiter im Zentrum des Gesprächs zwischen Tityrus-Dante und Melibeus. „Titire,“ tunc „si Mopsus“ ait „decantat in herbis ignotis, ignota tamen sua carmina possum, te monstrante, meis vagulis prodiscere capris“. Hic ego quid poteram, cum sic instaret anhelus? „Montibus Aoniis Mopsus, Melibee, quot annis, dum satagunt alii causarum iura doceri, se dedit et sacri nemoris perpalluit umbra! Vatificis prolutus aquis, et lacte canoro viscera plena ferens et plenus ad usque palatum, me vocat ad frondes versa Peneyde cretas“.

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[II 24–33]

Melibeus’ Apostrophe Titire (II 24) und die Unterbrechung seiner wörtlichen Rede durch die inquit-Formeln (tunc ait, II 24) heben nach der vorangehenden ausführlichen descriptio wieder den dialogischen Charakter der Epistel hervor. Melibeus fasst hier Tityrus’ Rede für sich zusammen. So erkennt er an, dass ihm der Ort um Mopsus unbekannt ist („Titire,“ tunc „si Mopsus“ ait „decantat in herbis / ignotis, II 24 f.). In einer leichten Variation greift er dabei Tityrus’ Worte auf, wenn er die pascua ignota zu den herbae ignotae verändert. Mopsus’ wunderbaren Gesang, den Tityrus in einer poetischen Paraphrase als innere Freude bezeichnet hatte, die dieser durch seine Flötenrohre hinausbläst (inde per inflatos calamos interna recludit / gaudia, II 20 f.), und darüber

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hinaus als dulce melos (II 21), gibt Melibeus in dem Prädikat decantat (II 24) wieder und wählt anstatt des Gräzismus melos den einfachen Begriff der carmina.68 Anhand dieser Gegenüberstellung wird ein Kontrast zwischen den beiden Sprechern Melibeus und Tityrus eindrücklich deutlich. So wiederholt Melibeus in einfach-konkreter Wortwahl die Kerninformation, die Tityrus ihm in poetischen Worten vermittelte: Mopsus ist ein virtuoser Sänger außerhalb von Melibeus’ Reichweite. Melibeus erkennt seine eigene Unwissenheit durchaus an, die ihn von dem virtuosen Sänger Mopsus unterscheidet. In dem Polyptoton ignotis ignota (II 25) hebt er diese sogar speziell hervor.69 Er lässt sich dadurch jedoch nicht von seinem Interesse an dessen Nachricht abhalten. Vielmehr fordert er Tityrus erneut auf, ihn die unbekannten Gesänge des Mopsus zu lehren, die er daraufhin auch seinen Ziegen beibringen möchte (ignota tamen sua carmina possum, / te monstrante, meis vagulis prodiscere capris, II 25 f.). Das Wechselgespräch zwischen Tityrus und Melibeus ermöglicht Dante zweierlei. Zum einen zeigt es erneut das Verhältnis der Figuren Tityrus und Melibeus. So hebt Dante sein Alter Ego als elaborierten Sprecher von Melibeus ab, den er mit seiner pragmatisch-konkreten Rede als einfachen Sprecher präsentiert. In seinem bukolischen Alter Ego Tityrus stellt Dante sich als wissenden Hirten dar, der sich von dem stultus Melibeus abgrenzt. Zugleich ist er jedoch eine Kontaktperson für Melibeus, der ihn um seine Belehrung bittet (te monstrante, II 26).70 Melibeus’ Rede ist dabei nicht unpassend. Tendenziell zeichnet sie sich durch eine Einfachheit in ihrer Syntax, ihren Redefiguren und auch den vorgebrachten Inhalt aus. Gemäß der mittellateinischen Stillehre ist die elocutionelle Form von Melibeus’ Rede daher als stilus humilis oder comicus zu identifizieren. Der Schmuck beschränkt sich größtenteils auf rhetorische Figuren des ornatus facilis.71 Tityrus’ Rede hingegen weist die gegenläufige Tendenz auf mit gelehrten Inhalten, die von seinem Wissen zeugen, und einem oftmals bildreich übertragenen Stil im ornatus difficilis. In ihrem jeweiligen Stil spiegelt sich somit die Qualität der Figuren als einfacher oder erfahren-gelehrter Charakter.

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Vgl. Uguccione da Pisa Derivationes C 28, 1–5 s. v. cano; Dictionary of Medieval Latin s. v. decanto 1; 2; 4. OLD s. v. decanto 1. OLD s. v. carmen 1; 2; 3. Vgl. Bauschke 2011, 311, der den allgemeinen Charakter des Begriffs carmen im Mittelalter hervorhebt. Als Wortfigur zählt das Polyptoton zu den colores des ornatus facilis. Galfrid von Vinsauf beschreibt ein solches Phänomen unter anderer Begrifflichkeit. Beispielsweise entspricht dem die traductio als Wiederholung mit verändertem Kasus (oder Bedeutung) (ibid. Poetria Nova 1101 f.). Seng 2010, 83 deutet, dass Melibeus den Gesang des Mopsus auch dazu einsetzen wolle, seine umherschweifenden Tiere zu versammeln, wie es Mopsus mit seinem Gesang ja tat. Er vermutet darin die Betonung des praktischen Charakters und Verwendungsmöglichkeiten der lateinischen Sprache. Mir scheint es hier eher um die Möglichkeit der Vermittlung erhabener Dichtung an einfaches bukolisches Personal zu gehen. So stehen die carmina des Mopsus, die Melibeus seinen Ziegen darbieten will, in Kontrast zu dem kargen Mahl, das er ihnen eigentlich anbieten soll (vgl. II 9 f.). Dass Dichtung als Nahrung dargestellt wird, deutete sich bereits in der Milchmetaphorik zu Beginn der Epistel an. Vgl. Stocchi 2012, 173. Zur Unterscheidung von ornatus facilis und difficilis siehe Mengaldo 1973.

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Zum anderen erweist sich der Dialog als Methode zur Strukturierung der Epistel. Denn in der Rede des Tityrus zeichnet Dante ein ausführliches Bild von Giovannis arkadisch-bukolischer Existenz und stellt zugleich seine eigenen Fähigkeiten als Dichter der klassisch-antiken Motive unter Beweis. Der kurze Kommentar des Melibeus bindet die poetische Darbietung daraufhin wieder zurück an den Rahmen der Korrespondenz. Denn er fasst die dafür wesentlichen Informationen noch einmal zusammen und lenkt mit seiner Nachfrage den Dialog zwischen Tityrus und Melibeus auf die Fragen, die Giovanni del Virgilio als extradiegetischen Adressaten eigentlich interessieren.72 Dementsprechend tritt Tityrus-Dante nach der Wiedergabe von Melibeus’ Rede aus der metadiegetischen Ebene heraus und wendet sich an seinen intradiegetischen Adressaten Mopsus-Giovanni del Virgilio. Beinahe entschuldigend fragt Tityrus ihn, was er denn hätte tun sollen, wo Melibeus so atemlos insistierte (Hic ego quid poteram, cum sic instaret anhelus?, II 27).73 Auf diese Weise leitet Dante zu der folgenden metadiegetischen Besprechung der Botschaft über, die Mopsus-Giovanni ihm hatte zukommen lassen. Dante zeigt sein Alter Ego in diesen Dialogen zwischen zwei Interessengruppen.74 Denn zum einen fordert in der metadiegetischen Rede der naive Melibeus seine Belehrung und Zuwendung. Zum anderen zeigt ihn die intradiegetische Rede im Kontakt mit dem Gelehrten Mopsus-Giovanni. Dieser hatte seine Epistel ja ebenfalls mit Dantes Apostrophe als magister (I 51) beendet und ihn damit aufgefordert, als Lehrer der Gelehrten aufzutreten. Dante positioniert sein Alter Ego nun in einer Zwischenposition. So suggeriert sein Kommentar an Mopsus einerseits seine Verbundenheit mit diesem, wenn Dante sich für die Neugier des ungebildeten Melibeus und seine Nachgiebigkeit entschuldigt. Tityrus und Mopsus sprechen als Gelehrte miteinander, die sich von dem ungebildeten Melibeus abgrenzen. Dante greift abermals die Darstellung auf, die Giovanni del Virgilio in seiner Epistel vorgenommen hatte, als er sich und Dante als Gelehrte inszeniert hatte, die sich von der gens ydiota abheben. Andererseits wird deutlich, wie Dante eine andere Trennlinie als Giovanni zieht. So ist Tityrus-Dante von Melibeus, der das ungebildete Volk repräsentiert, zwar hinsichtlich seiner Kenntnisse und seines Sprachstils verschieden, jedoch geographisch und emotional nahe. Mit Mopsus-Giovanni hingegen verbinden ihn zwar die Gelehrsamkeit und der hohe Sprachstil, geographisch ist Tityrus jedoch genauso von Mopsus getrennt wie Melibeus. Darüber hinaus signalisiert Tityrus mit seiner Entschuldigung an Mopsus, sich nun dem Ungebildeten zuzuwenden. Er entscheidet sich somit dafür, 72

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Auch Parodi 1911, 204 sieht in Melibeus’ Redebeiträgen eine strukturelle Bedeutung. Seine Beiträge eröffneten „il motivo fondamentale“ eines Absatzes. Melibeus’ Redebetrag fungiert hier quasi als conclusio, die als eine der colores rhetorici des ornatus facilis gilt (Conclusio est que brevi argumentatione ex his que ante dicta sunt aut facta conficit id quod necessario consequatur, Bene da Firenze Candelabrum II 37, 2). Vgl. Eitel 2014, 58. Vgl. u. a. Krautter 1983, 30 f.

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dem stultus Melibeus Lehrer zu sein. Damit erteilt er Giovanni eine Absage, der Dante von seiner Zuwendung zum ungebildeten vulgus abbringen und für die gelehrte Seite gewinnen wollte.75 Nach dem Wechsel in die intradiegetische Ebene der Kommunikation zwischen Tityrus und Mopsus steht daraufhin wieder der metadiegetische Dialog zwischen Tityrus und Melibeus im Mittelpunkt. Es folgt ein längerer Redeteil, in dem Tityrus über Mopsus’ Situation als Dichtungsgelehrter berichtet und schließlich von der Einladung zur Lorbeerkrönung erzählt, die dieser ihm ausgesprochen hatte (II 28–33). Zunächst erfährt Melibeus von Mopsus’ Vergangenheit, in der er sich alljährlich den Aonischen Bergen gewidmet habe und im Schatten des heiligen Hains gänzlich erblichen sei („Montibus Aoniis Mopsus, Melibee, quot annis, / dum satagunt alii causarum iura doceri, / se dedit et sacri nemoris perpalluit umbra!, II 28–30). Dante bedient sich hier erneut eines klassisch-antiken Motivs. So sind die Aonischen Berge gemäß dem antiken Mythos den Musen geweiht. Sie sind die traditionelle Umgebung der antiken Dichterweihe und als metapoetischer Topos etabliert.76 Wie schon in der vorangehenden descriptio von Mopsus mit dem arkadischen locus amoenus und der Anspielung auf seine orphischen Fähigkeiten zieht Dante also abermals ein Motiv heran, das Giovanni del Virgilios Alter Ego zeigt, wie er sich als idealer Anhänger der antiken Dichtungstradition in ausgiebigen Studien um die Dichterweihe bemüht (Montibus Aoniis Mopsus […] quot annis / […] / se dedit, II 28–30). Dante greift zudem ein weiteres Mal wörtlich auf Giovannis eigene Präsentation in der ersten Epistel zurück. Dort hatte der sich mit dem Titel clericus Aonidum (I 36) als Gelehrter der antiken Dichtung ausgewiesen.77 Während Giovanni die Aoniden jedoch als einzelne Allegorie verwendet hatte, entwirft Dante in seiner bukolischen Allegorie nun die Geschichte seiner

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Die Konkurrenzsituation zwischen Mopsus und Melibeus, die beide an Tityrus-Dantes Belehrung interessiert sind, spiegelt sich auch in der Formulierung te monstrante, meis vagulis prodiscere capris (II 26). So erinnert das Präfix pro von prodiscere morphologisch und in der inhaltlichen Kombination mit einer an Tiere verfütterten Dichtung an dessen harschen Vorwurf an Dante, seine Dichtung in der Volkssprache wie Perlen vor die Säue zu werfen (nec margharitas profliga prodigus apris, I 21). Dort erschien das Präfix pro sogar in Alliteration. Zudem endet Giovannis Vers mit einem apris, das Melibeus’ capris in Ergänzung eines c aufgreift. Inhaltlich steht Melibeus’ Aufforderung an Tityrus-Dante der Ermahnung durch Giovanni-Mopsus hier explizit gegenüber. Denn während Giovanni Dante ermahnte, seine Dichtung nicht den illiterati hinzuwerfen, wirbt der stultus Melibeus darum, unter Tityrus-Dantes Anleitung Mopsus’ kunstvolle Dichtung nicht nur selbst lernen, sondern auch seinen Ziegen lehren zu können. Tityrus entscheidet sich, Melibeus zu lehren, und wirft somit in Giovannis Augen erneut Perlen vor die Säue. In Vergils sechster Ekloge, in der der Silen sein wundersames Lied singt, findet sich eine ähnliche Szene. Der Silen singt, wie der Dichter Gallus von einer der Musen in die Aonischen Berge geführt wird, um dort seine Dichterweihe in der Tradition Hesiods zu erhalten (ibid. Ecl. VI 64–73). Die Aonischen Berge als Berge der Musen und dichterischer Inspiration finden sich u. a. auch bei Verg. Ecl. X 12; Georg. III 11. Vgl. u. a. Petoletti 2016, 550. Zur Dichterweihe in der antiken Literatur siehe Latte 1946; Otto 1956; Kambylis 1965. Vgl. Brugnoli/Scarcia 1980, 35; Albanese 2014, 1706 f.

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Vergangenheit am Musenberg. Das Adjektiv sacer (II 30), das den Hain bezeichnet, an dem Mopsus sich den Studien hingab, unterstreicht eine heilig-mythische Stimmung und Bedeutung seiner Bemühungen.78 Das Prädikat perpalluit (II 30), das den Effekt der ausführlichen Studien zeigt, erinnert abermals an die Epistel des Gelehrten, in der Giovanni sich und die gelehrte Gemeinschaft als Erbleichende bezeichnet hatte (nos pallentes, I 7).79 Durch das Präfix per- hebt Dante die besondere Intensität seiner gelehrten Blässe hervor. Es fällt auf, dass Dante Giovanni del Virgilio in seiner gelehrten Bemühung um die antike Dichtung jedoch nicht als Teil eines gelehrten Kollektivs inszeniert, sondern als Einzelphänomen. Auf diese Weise widerspricht er Giovannis Darstellung, der ja stets von einem gelehrten Kollektiv gesprochen hatte, den nos pallentes (I 7). Dante hebt Mopsus’ Singularität besonders hervor. Tityrus berichtet, dass er sich mit seinen intensiven Studien der Dichtung von den anderen abhob, die währenddessen zum Unterricht der Rechtsfälle eilten (dum satagunt alii causarum iura doceri, II 29). Erstmals hält die extradiegetische Realität explizit Einzug in die bukolische Allegorie. Denn als Lehrer der Rhetorik und Grammatik umgeben Giovanni del Virgilio vor allem Studenten an der für die juristischen Studien bekannten Universität Bologna. Es besteht ein augenscheinlicher Kontrast zwischen dem Eilen der Rechtsgelehrten und Giovannis Vorliebe für die Dichtung. Entsprechend hatte Tityrus-Dante genau zehn Verse zuvor Mopsus’ Kontemplation in Abgrenzung zu den externen gesellschaftlichen Mühen beschrieben (II 19). Dante zeigt Giovanni del Virgilio folglich in seinem otium der vita contemplativa als Dichter im Gegensatz zu der praktischen vita activa, dem negotium, der Rechtsgelehrten.80

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Zu der Ursprungsbedeutung des Begriffs sacer Fowler 1911. Die Blässe und die Musen bringt auch Persius im Prooemium seiner Saturae zusammen (Sat. Prooem. 3 f.). Vgl. u. a. Albanese 2014, 1707. In demselben Kontext wie in der Epistel verwendet Dante das Motiv der Blässe des am Parnass geweihten Dichters auch in der Commedia. Als ‚Dante‘ in Pg. XXXI erstmals Beatrices Augen unverschleiert erblicken darf, fehlt es ihm an Wortgewalt, um die Erfahrung zu bedichten. Diesen Unsagbarkeitstopos verdeutlicht er mit der Beteuerung, dass selbst demjenigen, der im Schatten des Parnass bleich wurde oder aus seiner Quelle trank, die Worte versagt bleiben würden (Pg. XXXI 139–143). Dante inszeniert Giovanni-Mopsus folglich auf eine ähnliche Weise als Dichter wie seine eigene Dichter-persona. Die Parallelen täuschen jedoch nicht darüber hinweg, dass in der Logik der Commedia auch die höchste Weihe nach antiker Vorstellung nicht zur Beschreibung der göttlichen Erkenntnis befähigt. Dazu siehe Geyer 2013, insbes. 58–62. Vgl. Krautter 1983, 24 f. Zu dem Verhältnis zwischen der antikisierenden Dichtungskultur und dem Studium der bürgerlichen Fächer in der Zeit des frühen italienischen Humanismus siehe u. a. Witt 2000. Die Gegenüberstellung des profitablen Studiums mit den „desinteressierten“, moralisch überlegen zu bewertenden Studien der artes liberales (darunter Literatur und Musen) findet sich bei Dante weiterhin in Conv. III 11, 10 (vgl. u. a. Petoletti 2016, 551), in Par. IX 133–135; XI 4 f.; XII 82–84 (vgl. Stocchi 2012, 172). Zum otium-Begriff in der Antike siehe André 1966 (zu Vergil 500–527).

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Nach dieser Skizze von Mopsus’ Werdegang beschreibt Tityrus-Dante den inspirierten Zustand des Mopsus. Er berichtet, wie Mopsus als Konsequenz seiner stetigen Bemühungen von den Wassern überquelle, die zum Dichter machen (vatificae aquae, II 31),81 und darüber hinaus von den Eingeweiden bis zum Gaumen voll sei mit wohlklingender Milch. In diesem Zustand rufe er Tityrus-Dante zur Lorbeerkrönung (Vatificis prolutus aquis, et lacte canoro / viscera plena ferens et plenus ad usque palatum, / me vocat ad frondes versa Peneyde cretas, II 31–33). Nachdem Mopsus’ eingehendes Studium in den Aonischen Bergen zunächst ein erhabenes Bild des Dichters zeigte, deutet sich in der pleonastischen Ausdrucksweise an dieser Stelle ein Widerspruch in Mopsus’ Sängerprofil an. Zunächst lesen sich sowohl das Quellwasser der Musenberge als auch die wohlklingende Milch als erhabene Metaphern für die Inspiration des Dichters. Während es sich bei dem Quellwasser um ein neutrales Detail der Dichterweihe handelt, überführt die Milchmetapher den mythischen Exkurs wieder in den bukolischen Themenbereich.82 Der doppelte Ausdruck hebt Mopsus’ angefüllten Zustand hervor und präsentiert sich im ersten Moment als Lob seiner überdurchschnittlichen Inspiration. Dieser wird weiter durch das Adjektiv plenus betont, das sich zum einen auf Mopsus’ von Milch volle Eingeweide bezieht, zum anderen auf seine Füllung bis zum Gaumen (viscera plena ferens et plenus ad usque palatum, II 32). Spätestens an dem Polyptoton des Adjektivs plenus erhält Mopsus’ Beschreibung jedoch einen ambivalenten Klang. Sein Besitz an poetischer Inspiration erscheint nicht mehr nur als Reichtum, sondern erinnert eher an den Zustand einer Überfüllung. Der Fokus auf die Körperteile viscera und palatum, die einerseits als Verdauungs-, andererseits als Ge-

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Vatificus ist ein hapax. Lcom: vatificis idest poeticis; vates dicitur a vi mentis. Vgl. Uguccione da Pisa Derivationes U 25, 2 s. v. vieo et hic et hec vates -tis, sacerdos: quandoque sic dicitur poeta, quandoque propheta divinus, et dicebantur vates poete, quia metra ligarent pedibus et sillabis verba modis connecterent, et etiam per furorem divini eodem erant nomine, quia ipsi quoque plura versibus efferebant; vel vates a vi mentis dicti sunt vel a video, quia futura videbant. Albanese 2014, 107 f. sieht einen Rückbezug auf Giovannis vatisonus (I 24) und ex te vate (I 7). Zudem macht sie auf die auffallende Verwendung hier aufmerksam, da Dante für den Dichter antiker (epischer) Dichtung sonst den Begriff poeta bevorzuge. Einzige anderweitige Erwähnung des vates in einem lateinischen Text ist bei Dante Mon. II 3, 12, bezogen auf Vergil. Das Trinken aus der Quelle des Helikon verwendet Dante auch in seinem rhetorischen Traktat Dve II 4, 9 und fordert, dass diejenigen, die sich der hohen Dichtkunst verschreiben, zunächst vom Helikon getrunken haben müssen. Entsprechend zeichnet es auch in der Commedia den Dichtungsverständigen aus, dem jedoch angesichts göttlicher Themen oftmals seine Fähigkeiten nicht helfen (Pg. XXXI 137–141). Für das Trinken aus der Quelle als Bild der göttlichen Weisheit vgl. Par. XXIV 7–9; 55–57. Kambylis 1965, 17 konstatiert über die heilige Bedeutung des Wassers in der antiken Dichterweihe: „Lorbeer und Wasser sind mithin die Symbole, durch die sich die Dichterweihe des Hesiodos, des Kallimachos und des Properz vollzogen hat. Sie werden auch bei anderen griechischen und römischen Dichtern, wenn auch nicht unmittelbar in bezug auf einen „wirklichen“ Weiheakt, so doch immer in einer Bedeutung verwendet, die eben jenen Akt gleichsam voraussetzt“. Er macht auf die seit der Antike und im Christentum bedeutende Rolle des Wassers als reinigendes Element aufmerksam, das erst „verwandelt und befähigt, die Offenbarung Gottes zu verkünden“ (ibid., 27).

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schmacksorgan dienen und somit die körperliche Verarbeitung der aufgenommenen Flüssigkeit körperlich konkret vor Augen führen, erweckt den Anschein von Verdauungsschwierigkeiten, nicht eines souveränen Umgangs mit der Inspirationskraft, die Mopsus-Giovanni aufzunehmen suchte.83 Das Register der Beschreibung erfährt folglich eine subtile, sukzessive Veränderung. Während Tityrus in einem sakral-mythischen Ton begann, Mopsus’ Hingabe an den heiligen Hain der Aonischen Berge zu berichten, endet er in der Beschreibung körperlich-konkreter Effekte. Diese wirken wenig erhaben, sodass ein stilistischer Fall in Tityrus’ Darstellung erkennbar wird. Der formale Aspekt wirkt sich dabei auf ihre inhaltliche Deutung aus. Denn Mopsus’ Profil als erhabener Sänger der antiken Tradition erfährt auf diese Weise ebenfalls eine Relativierung. So erscheint er in einem ständigen Bemühen um ein Ideal, das er jedoch nicht zu verdauen versteht. In seinem übermäßigen Streben nach der antiken Inspirationskraft gelingt es ihm folglich nicht, diese umzusetzen. So verfehlt er den erhabenen Status des antiken vates, den er durch sie zu erreichen sucht, und seine vergebliche Mühe lässt ihn vielmehr als eine komisch-groteske Figur erscheinen. In dieser Inszenierung assoziiert Dante erneut ein Moment aus Giovannis Epistel. Denn der Gelehrte bediente sich ebenfalls einer Verdauungsmetapher, um das gemeine, ungelehrte Volk als komisches Personal zu inszenieren. So nannte er den comicomus nebulo, einen Akteur aus dem Volk, der sich anmaßt, die erhabenen Inhalte der Commedia unverdaut, also unverstanden, auf den Dreiwegen zu „quaken“ (que tamen in triviis nunquam digesta coaxat / comicomus nebulo, qui Flaccum pelleret orbe, I 12 f.). An eben diesen Verdauungs- bzw. Verständnisproblemen krankt in Dantes Epistel nun Mopsus-Giovanni. Dante rückt damit den Gelehrten selbst in die Kategorie des komischen, ungebildeten Personals, das er in seinem Schreiben so verächtlich schmähte. Bereits zuvor wies Dantes Profilierung von Mopsus als erhabenem Dichter antiker Tradition Widersprüche zu dem Profil auf, das Giovanni del Virgilio selbst von sich proklamierte. Dies wird an dieser Stelle umso evidenter, wenn Dante andeutet, dass Mopsus zu einer komischen Figur wird. Dabei wirkt die groteske Inszenierung von Mopsus noch unmotiviert. Bisher wurde nicht explizit deutlich, aus welchem Grund Dante seinem Korrespondenten zwar sein Streben nach dem antiken Dichtungsideal zugesteht, den Erfolg jedoch nicht anerkennt. Implizit sprach dagegen bisher Dantes allgemeine Festlegung eines niederen Status aller Figuren (Mopsus, Tityrus und Melibeus) durch ihre bukolische Existenz als Hirten. Auf individueller Ebene erscheint darüber hinaus gerade Mopsus in einem inhärenten Widerspruch, da er aus dieser grundsätzlich niederen Konstitution heraus nach einem hohen Dichtungsideal strebt und sich dabei als erhabener antiker Sänger gibt. Während zudem in der ersten Be83

Vgl. Seng 2010, 82. Den Begriff viscera verwendet Dante in weiteren lateinischen Texten in invektivischem Kontext (vgl. Epist. VI 5; VII 7). In Dantes zweiter Ekloge steht es in der Schilderung der grausamen Tötung des Acis durch Polyphem (Ecl. IV 79).

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schreibung, die ihn als orphischen Sänger an seinem arkadischen locus amoenus zeigte (II 11–23), Mopsus’ Dichtungsideal noch mit seiner persönlichen Qualität übereinzustimmen schien, klafft in der zweiten Beschreibung (II 28–32) ein Bruch zwischen seinem angestrebten Ideal und seiner eigentlichen Qualität. Zur Deutung dieses Bruchs hilft erneut ein Abgleich des Phänomens mit Passagen aus der Commedia. So ist auch dort das stilistische Niveau eines jeweiligen Sprechers, mit dem ‚Dante‘ auf seiner Jenseitswanderung spricht, ein Indikator über das Wesen und vor allem den moralischen Zustand der Seelen. Eine Begegnung im Inferno erweist sich in diesem Kontext als besonders aufschlussreich, da sie entscheidende Parallelen zu Mopsus’ Beschreibung in der Epistel aufweist. So trifft ‚Dante‘ im achten Höllenkreis, im Bereich der Fälscher auf Maestro Adamo, laut seines Titels wohl ein englischer Akademiker, der sich in Casentino als Geldwäscher betätigte. Seine Strafe besteht in einer Wassersucht, die seine Glieder und Gesicht von dem unverdauten Wasser so stark anschwellen lässt, dass er die Lippen offen halten muss und sein Oberkörper die Form einer Laute annimmt. Dennoch leidet er an einem unstillbaren Durst. Von sich aus wendet er sich in einem erhaben-pathetischen Ton an ‚Dante‘ und Vergil. Um Mitleid für seine schwere Situation zu erhalten, schildert er ihnen seine Sünde und sein Leiden, wobei er die tatsächliche Schuld für seine göttliche Bestrafung anderen zuweist. Im Anschluss an seine Worte wird er in einen Streit mit einem weiteren Sünder verwickelt. Sinon, der Grieche, der die Trojaner dazu überredete, das Holzpferd in die Stadt zu ziehen, und so deren Eroberung durch die Griechen ermöglichte, schlägt Maestro Adamo in den Bauch. Ein derbes Wortgefecht beginnt, in dem die beiden Sünder sich beleidigen und sich ihre jeweilige Sündhaftigkeit vorwerfen.84 Interessant in Bezug auf die Epistel ist die poetologische Bedeutung des Gesangs. Denn Maestro Adamo präsentiert sich zunächst als erhabener Sprecher gegenüber ‚Dante‘ und Vergil. Im Streit mit seinem Mitsünder Sinon kommt es jedoch zu einem abrupten Sturz der Stilhöhe und sein sündhafter Charakter kommt zum Vorschein: Er erkennt seine Sünde nicht als selbstverschuldet an, um sie daraufhin zu büßen, sondern verharrt in seinem Zustand, sucht die Schuld bei anderen und streitet mit Sinon über die Schlechtigkeit des jeweils anderen. Der Fall der Stilhöhe in Maestro Adamos Rede spiegelt somit sprachlich dessen moralischen Status. Seine gelehrte Rhetorik vermag nicht über seinen eigentlich unmoralischen Zustand hinwegtäuschen. Das niedrige polemische Register entspricht darüber hinaus seiner äußerlichen Erscheinung. Diese zeugt nämlich nicht von einem erhabenen Charakter, sondern zeigt ihn vielmehr als komische Figur. So hält ‚Dante‘ ihn beinahe für eine Laute und auch der Vergleich mit einer Trommel, als sein Streitpartner Sinon ihn schlägt, ruft komi-

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Vgl. Dante Inf. XXX 58–61; 49–99; 100–129. Der Ausruf zu Beginn seiner Rede markiert den Beginn einer pathetischen, mitleidsheischenden Rede: „O voi che sanza alcuna pena sete, / E non so io perchè, nel mondo gramo,“ / Diss’elli a noi, „guardate e attendete / Alla miseria del maestro Adamo!“.

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sche Assoziationen vor.85 Anna Maria Chiavacci Leonardi hebt an dem Gesang entsprechend die „multiformità“ hinsichtlich des Stils und der Personen hervor und stellt anhand des Maestro Adamo fest, dass Dante ihn zunächst in „modi solenni e nostalgici all’inizio, cupi e feroci alla fine“ sprechen lasse.86 Die Stilmischung deutet Chiavacci Leonardi als poetologische Stellungnahme des Dichters Dante, der den Figuren die verschiedenen Stile und Sprachregister in Funktion ihrer moralischen Verfassung und ihrer theologisch-systematischen Verortung innerhalb der göttlichen Jenseitsodnung zuschreibt. „[N]ella stessa persona, il nobile re che è in ogni uomo […] si avvilisce alla bassezza del plebeo, si degrada all’infimo livello sociale, quando perde, con il peccato, il suo rapporto di immagine e figliolanza divina.“87 An der Episode um den Sünder Maestro Adamo lässt sich folglich für Dantes Bewertung der poetischen Stile festhalten, dass sie ein äußeres Anzeichen der moralischen Qualität einer Person darstellen, die sich wiederum aufgrund des christlich-theologischen Wertehorizonts definiert.88 Auch Dante folgt somit einem materiellen Stilbegriff, wenn er davon ausgeht, dass der rhetorische und stilistische Ausdruck nicht durch den Redner selbst gewählt ist, sondern sich durch eine der Person oder Sache inhärente Qualität konsequent ergibt. So kann Maestro Adamo seinen erhabenen Redestil nicht absolut aufrecht erhalten, da er in seinem sündhaften Zustand verharrt und sich damit von Gott und der göttlichen Wahrheit weitestgehend entfernt hat. Der Canto verdeutlicht, wie eine Suche nach absoluter Erhabenheit abseits des gottgewollten Weges zum Scheitern verurteilt ist und zwangsläufig in der Groteske endet. Für die Deutung von Mopsus’ widersprüchlicher Darstellung in Dantes Epistel bietet die poetologische Aussage von Inferno XXX einen entscheidenden Hinweis. Bei Mopsus-Giovanni handelt es sich zwar nicht um einen Sünder der Hölle, sondern um einen Dichter im Diesseits. Dennoch verbinden ihn ähnliche Ansprüche und Symptome mit Maestro Adamo. Denn bei beiden handelt es sich um rhetorisch geschulte Akademiker, die mithilfe ihres Redestils vergeblich ihren erhabenen Status beweisen wollen. In beiden Fällen steht dabei der körperliche Aspekt im Vordergrund, wenn beschrieben ist, wie die Organe mit der Verdauung von Wassermengen überfordert

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Vgl. Inf. XXX 49–57. Bevor Sinon Maestro Adamo wütend anspricht, schlägt er ihm auf seinen vor Wasser geblähten Bauch, sodass der wie eine Trommel erklingt (Inf. XXX 102 f.). Chiavacci Leonardi 2005 zu Inf. XXX 882 f. In der Beschreibung seines Äußeren stellt sie einen „stilo comico […] con verbi e sostantivi in rima tipicamente petrosi (anguinaia, dispaia, ventraia)“ fest. Für seine erste Rede einen „[stilo] tragico (O voi che sanz’alcuna pena siete / e non so io perché, nel mondo gramo …) che proseque liricamente (Li ruscelletti che d’i verdi colli / del Casentin discendon giuso in Arno) e torna sulla fine alle rima aspre e dure (oncia–sconcia–non ci ha).“ Sie erkennt in dem Streitgespräch zwischen Maestro Adamo und Sinon eine „tenzone comico-realistica“. Ibid., 885. Diese theologische Auslegung des Stilbegriffs geht u. a. auf Augustinus’ Ausführungen zurück, darunter insbesondere aus dem vierten Buch des De doctrina christiana. Zu Augustinus’ Einfluss auf Dantes Poetik siehe Auerbach 1944 (Neudruck 2009); Marchesi 2011.

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sind. Der Fokus liegt in beiden Fällen auf Bauch und Kopf.89 Dies sorgt für ein grotesk komisches Aussehen, das zu ihrem poetologischen Anspruch bzw. ihrer Sprache in Kontrast steht. Denn Maestro Adamo geriert sich mit seiner Rede an ‚Dante‘ und Vergil als ein tragischer und damit erhabener Charakter. Mopsus erscheint als Nachfolger eines episch-erhabenen Stilideals. Beide Male kommt es zu einem Fall des Registers vom Erhabenen ins Komische. Bei dem Fälscher, der sich daraufhin mit einem anderen Sünder zankt, bezieht sich dies auf seine Rede selbst. Bei Mopsus findet der Bruch in seiner Beschreibung durch Tityrus statt, die zunächst in antikisierender Manier das mythisch-sakrale Motiv der Dichterweihe einleitet, dann aber in einem Zustand körperlich-organischer Überforderung endet. Bezieht man die theologischen Wertmaßstäbe, die Maestro Adamos widersprüchlichen Zustand erklären, auf Mopsus’ Existenz, wird die poetologische Position erkennbar, die Dante gegenüber dem antiksierenden Erhabenheitsideal des Gelehrten bezieht. Denn die bukolische Fiktion dient Dante zur allegorischen Darstellung seiner und Giovannis Dichterbiographien und -profile, also als Allegorie ihrer diesseitigen Existenz als Dichter. Die bukolische Inszenierung, die als stilus humilis allen Figuren eine genuin niedere Qualität zuschreibt, fügt sich dabei in das christliche Weltbild der Commedia. Denn in ihrem irdischen Dasein sind die Dichter gemäß christlicher Vorstellung mit Makeln behaftet und daher grundsätzlich von niederer moralischer Qualität. Erst die Läuterung im Jenseits wird ihnen eine Buße der im diesseitigen Leben begangenen Sünden und damit die sukzessive Annäherung an Gott und die Erkenntnis der göttlichen Wahrheit ermöglichen. Wenn Mopsus nun eine ähnliche Symptomatik aufweist wie der Sünder in der Hölle, ist anzunehmen, dass sie auch ähnlich begründet ist. Wie bei Maestro Adamo ist der Fall ins Groteske ein Hinweis auf die Distanz von Mopsus und seiner Dichtung zu Gott. In Mopsus’ missglücktem Versuch, von der antiken Inspirationsquelle zu trinken, deutet sich an, dass Mopsus-Giovanni die erworbene Inspiration nicht gemäß der göttlichen Ordnung einzusetzen weiß. Seine Dichterexistenz reduziert sich damit auf ein Streben nach dem antiken Dichtungsideal, das aber von allen christlich-moralischen Maximen losgelöst ist und daher die absolute, göttliche Erhabenheit nicht erreichen kann.90

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La grave idropesì, che sì dispaia / la membra con l’omor che malconverte, / che ’l viso non risponde a la ventraia (Dante Inf. XXX 52–54). Dem entspricht Mopsus-Giovannis Fülle von den Eingeweiden bis zum Gaumen, die ebenfalls Verdauungsprobleme der poetischen Flüssigkeiten Wasser und Milch suggerieren (Vatificis prolutus aquis, et lacte canoro / viscera plena ferens et plenus ad usque palatum, Dante Ecl. II 31–33). In der Forschung konnte der Stilbruch bisher nicht befriedigend erklärt werden. Es blieb offen, ob Dante mit dem Überfüllungszustand überhaupt Kritik oder Lob ausdrücken will. Beispielsweise Parodi 1911, 202 f. stellt anhand der übertrieben lobenden Darstellung des Mopsus eine ironische Haltung Dantes gegenüber Giovanni del Virgilio fest, so auch insbesondere anhand der Darstellung des überquellenden Mopsus. So auch Krautter 1983, 32 f. Petoletti 2016, 551 sieht einen Stilbruch, ohne diesen jedoch zu begründen. Erst vor dem Hintergrund der poetologischen Grund-

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Vor diesem Hintergrund erklärt sich Mopsus’ groteske Beschreibung und das Lob, das Tityrus-Dante dem arkadischen Sängerhirten zunächst aussprach, relativiert sich. Tityrus beendet seine letzte Rede über Mopsus daraufhin, indem er Melibeus von der Einladung zur Dichterkrönung berichtet, die der Sängerhirte ihm in seinem Schreiben aussprach (me vocat ad frondes versa Peneyde cretas, II 33). Damit kommt Tityrus nun endlich Melibeus’ Bitte entgegen, ihm mitzuteilen, worum es in Mopsus’ Gesang bzw. Giovanni del Virgilios Epistel ging. Tatsächlich greift Dante erneut wörtlich auf Giovannis Brief zurück. Dieser hatte ihm die Lorbeerkrone mit einer allegorischen Anspielung auf den Daphne-Mythos in Aussicht gestellt (promere gimnasiis te delectabor, ovantum / inclita Peneis redolentem tempora sertis, I 37 f.). Auch Dante paraphrasiert Daphne als Tochter des Flussgottes Peneius. Er variiert dabei den Ausdruck, indem er die Peneius-Tochter als Substantiv nennt (versa Peneyde, II 33), die Giovanni in ein Adjektiv transformierte (Peneis sertis, I 38). Dantes Partizipialkonstruktion versa Peneis evoziert dabei unmittelbar die Metamorphose, die Ovid beschreibt, und fasst sie kurz in zwei Wörtern zusammen. Die Adjektive versa und cretas (II 33) bezeichnen jeweils Wandlungs- bzw. Wachstumsprozesse und geben auf diese Weise den Hauptprozess der ovidischen Metamorphose in komprimierter Form wieder. Anders als bei Giovanni, bei dem die Metapher des Lorbeers in ihrer standardisierten Form neben die übrigen übertragenen Ausdrücke gereiht und zur Floskel erstarrt ist, ruft Dantes Formulierung und Kontextualisierung den Mythos in seinem Ablauf in Erinnerung und gibt der Metapher ihre Bildlichkeit zurück. Dante stellt auf diese Weise einen subtilen Kontrast zu Mopsus’ Beschreibung her. Denn auch mit Daphnes Verwandlung fokussiert Dante einen körperlichen Vorgang. Das Bild des Nymphenkörpers, der zu einen Baum wird, ist dabei jedoch von grundsätzlich anderer Qualität als die körperliche Beschreibung des Dichters Mopsus in seiner Überfüllung. Schon sprachlich mögen somit der edle Lorbeer und der komisch-groteske Mopsus nicht recht zusammenpassen. Mopsus’ Autorität, diese Auszeichnung zu verleihen, wie er sie Dante im ersten Brief in Aussicht stellte, steht somit umso mehr in Frage. Mit Tityrus’ zweitem Redeabschnitt (II 28–33) endet die narratio der Epistel (II 5–33). So sind nun alle Figuren in ihrem Profil bekannt: Mopsus direkt durch die externe Beschreibung von Tityrus, Tityrus und Melibeus indirekt durch ihr Sprechen und ihre Interaktion.91 Dabei griff Dante in der Ausgestaltung der Profile inhaltliche Aspekte aus Giovannis Epistel auf. So repräsentiert Mopsus das antike Stilideal, das Giovanni vertritt. Melibeus erinnert mit seinen unwissenden Fragen an den nebulo und das vulgus. Tityrus nimmt bis zu diesem Punkt eine Position ein, die zwischen dem poetisch-gelehrten Dichterhirten Mopsus und dem unwissenden Hirten Melibeus steht.

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annahmen, die auf dem moraltheologischen Wertgebäude der Commedia fußen, können die Verse jedoch befriedigend verstanden werden. Entsprechend erläutert Bene da Firenze die narratio poetica als Darstellung des Personals in ihrer Rede und ihren Sitten (ibid. Candelabrum IV 21, 1–3). Auch Albanese 2014, 1710 sieht in II 35 das Ende eines Sinnabschnittes der Ekloge, ohne jedoch einen Bezug zu den Redeteilen herzustellen.

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Der fiktionale Rahmen ist somit in den wesentlichen Koordinaten festgelegt, wobei Dante die unterschiedlichen poetologischen Positionen und Parteiungen, die er in Giovannis Epistel vorfindet, in den bukolischen Figuren repräsentiert. Die Konstellation, in die er die Figuren schließlich stellt, deuten das Verhältnis an, das Dante zwischen diesen poetologischen Positionen erkennt. An diesem letzten Teil der narratio ist zudem erneut zu beobachten, dass Tityrus nicht exakt auf die Frage seines Gesprächspartners Melibeus nach Mopsus’ Gesängen eingeht. Vielmehr spricht er weiter über das bukolische Dichterprofil des Gelehrten, um daraufhin allein dessen Angebot zur Lorbeerkrönung zu erwähnen.92 Alle weiteren Aspekte, die Giovanni del Virgilio in seiner Epistel thematisiert hatte (die soziopoetologische Stilkritik, seine Gegenüberstellung von volgare und Latein, seine Vorschläge zur epischen Dichtung), übergeht er. Auf diese Weise verschiebt Dante den thematischen Schwerpunkt der Korrespondenz. Denn während in Giovannis Brief die poetologische Kritik an Dante im Vordergrund stand und er die Dichterkrönung wie eine belohnende Aussicht zum Ende erwähnte, nennt Tityrus-Dante dies als zentralen Punkt der Kommunikation. Ihre Erwähnung am Ende der narratio macht sie zum Ausgangspunkt der folgenden Argumentation zwischen Tityrus und Melibeus. Damit signalisiert Dante zugleich, dass die Dichterkrönung der einzige Aspekt aus Giovannis Epistel ist, den er diskutieren wird. Die stilistischen Aspekte des poetologischen Streits hingegen werden, wie sich an der Beschreibung des Mopsus bereits zeigte, auf der gestalterischen Ebene implizit verhandelt. 3. Eine Absage an Giovanni del Virgilio Melibeus setzt daraufhin zu einer Nachfrage an, was Tityrus machen und ob er für immer als Hirte ohne Lorbeer bleiben wolle. Tityrus antwortet mit einer Absage. Dabei bedauert er zunächst, dass der Ruhm der Dichter sich in die Lüfte verflüchtigt habe und die Muse selbst Mopsus kaum wachhalte. Entrüstet, aber seiner Dichterwürde sicher, verkündet Tityrus, dass Mopsus’ Wiesen bei seiner Krönung von dem Muhen seiner Tiere erklingen würden, wenn er dort einen Gesang anstimme. Er fürchte aber die Täler und Ländereien, die keine Götter kennen. Giovanni del Virgilio kann diesem Abschnitt folglich Dantes Ablehnung seiner Einladung entnehmen. Es handelt sich um die confutatio (II 34–44) der Epistel. Tityrus’ abschließende rhetorische Frage, ob es nicht besser wäre, wenn er seinen Triumph in der Heimat feiere, sollte er jemals dorthin zurückkehren, leitet schließlich zu der confirmatio von Dantes eigenem Standpunkt über. 92

Albanese 2014, 1709 f. macht auf die Position aufmerksam, an der Dante die Thematik der Dichterkrönung anschneidet. Diese entspreche der Position des Themas in Giovannis Epistel. Dante halte sich hier an die Tradition der Tenzone.

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Eine Absage an Giovanni del Virgilio

„Quid facies?“ Melibeus ait „Tu tempora lauro semper inornata per pascua pastor habebis?“. „O Melibee, decus vatum, quoque nomen in auras fluxit, et insomnem vix Mopsum Musa peregit“ retuleram, cum sic dedit indignatio vocem: „Quantos balatus colles et prata sonabunt, si viridante coma fidibus peana ciebo! Sed timeam saltus et rura ignara deorum. Nonne triumphales melius pexare capillos et patrio, redeam si quando, abscondere canos fronde sub inserta solitum flavescere Sarno?“.

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[II 34–44]

Melibeus’ Frage entspricht inhaltlich, formal und in ihrer rhetorischen Funktion dem bisherigen Profil des Hirten. So stellt er erneut eine quid-Frage, die sich durch eine einfache Syntax aus Interrogativpronomen und Prädikat auszeichnet (quid facies?, II 34). Diese erinnert an Melibeus’ erste Wortmeldung, in der er zwei ähnliche quid-Fragen stellte (quid Mopsus? quid vult?, II 6). Die Einfachheit seines Sprechens, die sich bereits zuvor als Melibeus’ Stilmerkmal erwies (vgl. II 24 f.), wird auch in der zweiten Frage deutlich (Tu tempora lauro / semper inornata per pascua pastor habebis?, II 34 f.). So wiederholt er das Motiv der Lorbeerkrönung, mit dem Tityrus’ Rede zuvor endete, in konkreten Worten. Während dieser den Lorbeerkranz mit einer bildreichen Anspielung auf die Verwandlung Daphnes nannte (frondes versa Peneyde cretas, II 33), wählt Melibeus eine konkrete Formulierung. Er paraphrasiert die Dichterkrönung, indem er die Pflanze beim Namen nennt, die die Schläfen des Dichters zieren soll (tempora lauro / semper inornata […] habebis, II 35). Inhaltlich deutet sich in Melibeus’ Frage eine ungläubige Haltung gegenüber Tityrus an. Die Vorstellung, dass dieser für immer ohne Lorbeerkrone als Hirte über seine Weiden wandern solle, scheint ihm befremdlich. Die p-Alliteration in den drei Wörtern per pascua pastor (II 35) hebt dabei Tityrus’ bukolische Existenz als Hirte auf den Weiden besonders hervor. Beide Begriffe pastor und pascua sind zudem Schlagworte des stilus humilis innerhalb der Rota Virgilii, sodass Dante sein Alter Ego an dieser Stelle nochmals dezidiert in der Sphäre des niederen Stils verankert. Indem er das Pastorale hervorhebt, deutet sich für seine folgende Zurückweisung von Mopsus-Giovannis Lorbeer implizit ein poetologischer Grund an, nämlich die Ablehnung des stilus gravis, wie Giovanni ihn gefordert hatte.93

93

Vgl. u. a. Stocchi 2012, 172 f.; Albanese 2014, 1709, die die Passage als dezidierte Absage an eine Krönung in dem gelehrten Kontext deutet, den ihm Giovanni anbot.

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Dante an Giovanni del Virgilio

Tityrus antwortet erneut nicht direkt auf Melibeus’ Frage, ob er sich denn nicht krönen lassen wolle. Vielmehr beginnt er mit einem Seufzer über die allgemeine Situation des vates, dem nicht mehr die gebührende Anerkennung zukäme. Der Name des Dichterpropheten habe sich in die Lüfte verflüchtigt (O Melibee, decus vatum, quoque nomen in auras / fluxit, II 36 f.). Mit dieser allgemeinen Stellungnahme zum aktuellen Wert des vates impliziert Tityrus zugleich seine persönliche Absage an eine Dichterkrönung, wie Mopsus sie ihm anbietet. Denn er suggeriert, dass dieser für etwas wirbt, das keine Aktualität hat. Darüber hinaus deutet er auch Zweifel an Mopsus an, wenn er beteuert, dass diesen selbst die Muse kaum wach halte (et insomnem vix Mopsum Musa peregit, II 37). Die Betonung der Schlaflosigkeit und das mit dem Präfix per- verstärkte Prädikat peregit verleihen Mopsus’ poetischer Tätigkeit den Eindruck einer zwanghaften Bemühung, die dennoch keine Früchte der Anerkennung trägt.94 Die Darstellung ähnelt damit der Beschreibung von Mopsus’ Streben nach der Dichterweihe, die ihn zwar mit vatificae aquae (II 31) überfüllt und völlig bleich zurücklässt (per-[sic!]palluit, II 30), ihm aber nicht den erhabenen Status eines antiken vates ermöglicht, sondern ihn zur komischen Figur macht. Dass Tityrus einen generellen Zweifel an dem derzeitigen Umstand des vates äußert, wird dabei durch vielfältige intertextuelle Bezüge unterstrichen. So ist seine Klage über das decus und nomen vatum (II 36) zum einen eine Umkehrung des Lobes auf den vates, wie ihn Horaz in seiner Ars poetica ausspricht. Horaz führt die Ehrungen, die den vates früher zukamen, auf deren zivilisatorischen Dienst an der Menschheit zurück, den zuerst Orpheus und Amphion mit ihrem Musikspiel vollbracht haben. In diesem die Welt ordnenden Wirken erkennt Horaz einen göttlichen Auftrag des Dichterpropheten, den er als Sprachrohr der Götter bezeichnet (sacer interpresque deorum / […] Orpheus, Hor. Ars 400 f.).95 Die Ehrungen des Dichters bezeichnet er dabei wie Dante als nomen, das den divini vates zugestanden werde.96 Tityrus-Dante stellt die horazische Feststellung nun unter negative Vorzeichen, wenn er bedauert, dass das nomen vatum keine Bedeutung mehr habe. Durch seine Negation des horazischen Zustands deutet Dante auch an, dass in seinen gesellschaftlichen Umständen das Fehlen eines zivilisatorisch wirkenden vates bemerkbar werde. Denn wenn Tityrus im Folgenden seine Furcht vor den gottlosen Tälern und Ländereien betont (sed timeam saltus et rura ignara deorum, II 41), bedeutet dies, dass eben kein vates in der Funktion des interpres deorum auftrete bzw. gesellschaftliches Gehör finde. Die Menschen bleiben dadurch 94 95

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Zu diesen beiden Versen (II 36 f.) – insbesondere zum Begriff des decus vatum und eine mögliche Variante insonem anstatt insomnem – siehe auch Braccini 2011. Vgl. Hor. Ars 391–400. Dass auch Dante Orpheus als allegorische Darstellung des Dichters in seiner zivilisatorischen Funktion liest, zeigt sich im Convivio. Darin zieht er Orpheus als Allegorie des savio uomo heran, der collo strumento della sua voce faccia mansuescere ed umiliare li crudeli cuori, e faccia muovere alla sua volontade coloro che [non] hanno vita di scienza e d’arte; e coloro che non hanno vita ragionevole alcuna sono quasi come pietre (Dante Conv. II 1, 4). Vgl. Hor. Ars 400 f.

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ohne Kenntnis des göttlichen Willens und berauben sich so der Möglichkeit des friedlichen Zusammenlebens. Tityrus selbst erscheint als Opfer dieser Ignoranz, wenn er erstmals seinen exilierten Zustand erwähnt, der auf konfliktreiche gesellschaftliche Umstände hindeutet (et patrio, redeam si quando, II 43).97 Die zweite intertextuelle Referenz, die in Tityrus’ Rede ebenfalls negiert wird, besteht aus zwei Passagen aus Vergils Bucolica. So wird erstens auch in der fünften Ekloge ein Lob auf einen heiligen Dichter gesungen. Die beiden Hirten Mopsus und Menalcas betrauern und verehren in ihrem Gesang den verstorbenen Daphnis als divinus poeta (Verg. Ecl. V 45). Dabei beteuern sie, dass die Wälder, Ländereien, Pan, die Hirten und Dryaden sich über ihn freuen (vgl. ibid. V 58 f.), Frieden und Muße herrscht (vgl. ibid. V 60 f.) und seine Ehre, sein Name und sein Lob immer Bestand haben werden (semper honos nomenque tuum laudesque manebunt, ibid. V 78). Auch zu dieser Darstellung steht die Situation, die Tityrus-Dante beklagt, in Kontrast. Vergil lässt den Hirten Daphnis als göttlichen, Frieden stiftenden Dichter verehren wie Horaz den Orpheus. Ganz anders verhält es sich noch immer für Tityrus-Dante: Er beklagt, dass decus und nomen des Dichters verloren seien, und leidet unter dem kriegerischen Zustand der Zeit. Die Intertextualität zu Vergils fünfter Ekloge liegt zudem auf der Hand, da die Figur Mopsus darin als Nachfolger des göttlichen Dichters Daphnis erscheint und dem damit auch die Nachfolge auf den Status des divinus poeta zusteht.98 Auch dies hat Implikationen für Dantes Inszenierung. Denn er hatte den Namen Mopsus gewählt, um in bukolischer Chiffre Giovanni als Nachfolger des antiken Dichtungsideals darzustellen. Wenn Dante nun das Verschwinden des Dichterruhms bedauert, wie er bei Vergil Daphnis zukam, gilt das zugleich für Mopsus, der in dessen Nachfolge treten will. So spricht Dante Giovanni auf subtile Weise die gesellschaftliche Anerkennung und Legitimation als Nachfolger des antiken vates ab. Die zweite Intertextualität zu Vergils Eklogen hat weniger Implikationen für Giovannis Alter Ego Mopsus als für Dantes Selbstinszenierung. Denn Tityrus’ Rede evoziert auch die erste Ekloge Vergils, die Dante bereits durch die Figurenkonstellation seiner Epistel als wesentlichen Referenztext seiner bukolischen Inszenierung markierte. Die Apostrophe an Melibeus (O Melibee, II 36), mit der Tityrus-Dante hier zu seiner Antwort ansetzt, ruft eine bestimmte Passage aus Vergils erster Ekloge auf, die – wie sich zeigen wird – eine grundlegende Bedeutung für Dantes Epistel hat.

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Ein weiterer Kontrast besteht zu Inf. IV. Dort beteuert Vergil, dass die vier Dichterautoritäten Homer, Horaz, Ovid und Lucan mit ihm den Namen, also Ruhm und Anerkennung als Dichter teilen, ihm jedoch allesamt zurecht die Ehre erweisen (Però che ciascun meco si convene / nel nome, che sonò la voce sola / fannomi onore, e di ciò fanno bene, Dante Inf. IV 91–93). Indem Dante dieses nomen vatum, das insbesondere Vergil zugestanden wird, zu seinem Zeitpunkt negiert, impliziert er auch, dass es keinen Dichter mehr gibt, der Vergil gleichkommt in seinem poetischen Können und seiner Funktion. Vgl. Fußnote III 26.

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Erneut dreht Dante die Situation des Hypotextes in seiner Inszenierung um: Bei Vergil antwortet Tityrus auf eine Frage seines Gefährten Meliboeus mit der Apostrophe O Meliboee (Verg. Ecl. I 6). Dieser war zuvor auf Tityrus zugetreten und beschrieb dessen friedliches Dasein als Hirte, der in Muße unter einer Eiche musiziert (ibid. I 1 f.). Meliboeus hingegen musste seine Felder verlassen und leidet an seinem Exil (ibid. I 3). Im späteren Verlauf klagt er darüber, dass er aufgrund dessen nie wieder in Muße in seiner Grotte verweilen, seine Ziegen klettern sehen und Lieder singen werde (ibid. I 75–77). Vergils Tityrus begründet daraufhin seine Muße gegenüber dem exilierten Meliboeus damit, dass ein Gott sie ihm ermögliche, den er immer verehren werde (O Meliboee, deus nobis haec otia fecit. / namque erit ille mihi semper deus, illius aram / saepe tener nostris ab ouilibus imbuet agnus, ibid. I 6–8). Dante stellt die Antwort seines Tityrus unter das Vorzeichen dieser vergilischen Passage, wenn er sein Alter Ego die Apostrophe von Vergils Tityrus wiederholen lässt. Um das Verhältnis von Dantes Inszenierung zu Vergils erster Ekloge zu verstehen, die einen Schlüssel zur Interpretation von Dantes Epistel darstellt, ist der Umweg über den spätantiken Vergilkommentar des Servius notwendig. Denn dieser bietet die Grundlage für Dantes Verständnis der Eklogen und für die Funktion, die Dante Vergil als vates zuerkennt. Servius findet insbesondere in der ersten Ekloge eine autobiographische Allegorie Vergils. Der habe seine Bucolica mit 35 Jahren geschrieben, um seine Situation nach den politischen Wirrungen zu berichten, die nach der Ermordung Gaius Caesars und den folgenden Bürgerkriegen zwischen Augustus und Marc Anton eintraten. Nachdem er im Zuge dessen unverschuldet sein Land verloren hatte, habe Vergil sich die Gunst der Herrschenden wieder erworben und auf diese Weise sein Land zurückerhalten. Die erste Ekloge deutet Servius entsprechend als autobiographische Darstellung seiner Dichterexistenz: In Tityrus erkennt er Vergil.99 Den deus, den Tityrus gegenüber Meliboeus als Schirmherrn anführt, der seinen Tieren ein freies Leben und ihm darüber hinaus die Muße zur Dichtung ermögliche (ille meas errare boues, ut cernis, et ipsum / ludere quae vellem calamo permisit agresti, Verg. Ecl. I 9 f.), identifiziert Servius mit dem imperator Augustus, der Vergil sein Dichterleben in Frieden und Freiheit garantiert.100 An Tityrus’ Dialogpartner Meliboeus zeigt sich die gegenteilige Situation: Ihm fehlt die Gunst des Kaisers und so leidet er weiter an den Folgen des Bürgerkriegs. Er ist unfrei und kann seiner Dichtung nicht mehr nachgehen. Die erste Ekloge Vergils bildet somit gemäß Servius die Existenz des augusteischen Dichters in seinen idealen politischen Umständen ab.101 Sie beschreibt folglich auch eine Abhängigkeit des Dichters und seiner Tätigkeit mit der politischen Situation. Dante nimmt dies zur wesentlichen Voraussetzung, um die erste Ekloge mit seiner Deutung des Dichters Vergil in Einklang zu bringen. 99 Vgl. Serv. Comm. in Verg. Ecl. I 1. 100 Vgl. Serv. Comm. in Verg. Ecl. Prooem. 101 Vgl. dazu auch Drusi 2013.

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Vergil hat in Dantes Werk eine vielfältige Bedeutung, die in der Commedia ihre vollständige poetische Darstellung findet. So ist der antike Dichter, den Dante in der Commedia zur Führungsfigur seiner persona ‚Dante‘ wählt, zum einen Dantes stilistischer Meister. Dies bestätigt ‚Dante‘ gleich in seiner ersten Begegnung mit Vergil in Canto I des Inferno.102 Darüber hinaus führt Vergil ‚Dante‘ durch das Inferno und das Purgatorio, erklärt ihm die dort waltende göttliche Ordnung, bis ihn Beatrice am Gipfel des Läuterungsberges im Garten Eden als ‚Dantes‘ Führer ablösen wird. Vergil ist also nicht nur Dantes Referenzautorität in poetischen, sondern auch in moraltheologischen Fragen. In dem Dichter sieht Dante einen Universalweisen, die Summa allen Wissens, das der Mensch allein mit seiner ratio und seinem ingenium erreichen kann.103 Damit leidet er jedoch auch an einem tragischen Makel, der mitunter in Purgatorio XXII eindrücklich sichtbar wird, wenn ‚Dante‘ und Vergil auf die Seele des antiken Epikers Statius treffen. Statius erweist Vergil die höchste Reverenz als poetisches und moraltheologisches Vorbild und spricht damit auch die Funktion aus, die Dante Vergil zuweist. So habe dessen Aeneis erst sein Dichten ermöglicht, die Epen Thebais und Achilleis.104 In seinem Eklogenbrief hatte Dante bereits angedeutet, dass Mopsus-Giovanni del Virgilio Statius darin ähnelt. Denn den epischen Gesang, den Statius von Vergil lernte, paraphrasierte Dante in Purgatorio XXI als Singen über Menschen und Götter (de li uomini e d’i dèi, Pg. XXI 126). Dies übersetzte Dante für die Beschreibung von Mopsus-Giovannis Gesang in die lateinische Formel ovans hominum superumque labores (II 19). Ein wesentlicher Unterschied zwischen Statius in der Commedia und Giovannis Alter Ego Mopsus besteht jedoch in der zweiten, moraltheologischen Funktion, die Statius in Vergil findet. So beteuert Statius, Vergil habe ihn ermutigt, in den Grotten des Parnass zu trinken – auch hierin stimmt Statius mit Mopsus-Giovanni überein (vgl. II 28–33). Darüber hinaus habe er ihm aber auch den Weg zu Gott erleuchtet (Tu prima m’invïasti / verso Parnaso a ber ne lesue grotte / e prima appresso Dio m’alluminasti, Pg. XXII 64–66). Daraufhin folgt ein Vergleich, der in poetischer und empathischer Weise die Tragik der Figur Vergil in nuce zusammenfasst. Denn Statius vergleicht sein Vorbild mit einem Fackelträger, der ein Licht hinter dem Rücken trägt, von dem er selbst nichts hat, mit dem er jedoch den anderen den Weg erhellt (Facesti

Tu se’ lo mio maestro e ’l mio autore, / tu se’ solo colui da cu’ io tolsi / lo bello stilo che m’ha fatto onore, (Dante Inf. I 85–87). 103 Zur vielschichtigen Bedeutung Vergils in Dantes Gesamtwerk siehe Consoli/Ronconi 1984, Hollander 1983; Heil 2002. Zu Vergils Rolle in der Commedia, die sowohl moralische als auch poetologische Bedeutung impliziert, Prill 1999, 153–158. 104 Statius ist für Dante der Dichter der Achilleis und der Thebais. Als solcher stellt er sich selbst vor (Stazio la gente ancor di là mi noma: / cantai di Tebe, e poi del grande Achille; / ma caddi in via con la seconda soma, Dante Pg. XXI 91 f.). Die Silvae lässt Dante hier unerwähnt, sei es, weil er sie nicht kannte, oder weil er Statius in seiner Funktion als epischer Dichter hier brauchte. Zum Verhältnis von Statius, Vergil und Dante siehe Heil 2002. 102

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come quei che va di notte, / che porta il lume dietro e sé non giova, / ma dopo sé fa le persone dotte, Pg. XXII 67–69). Vergil ist folglich der Weise, der den Menschen wie auch ‚Dante‘ den Weg zur göttlichen Wahrheit zeigt. Er selbst kann jedoch nicht sehen. Denn er stirbt 19 v. Chr. und kann die christliche Lehre somit selbst nicht mehr erfahren. Aus diesem Grund befindet sich seine Seele auf ewig im Limbo. In dieser Vorhölle sind die Seelen der antiken Dichter und Weisen versammelt, ohne Qualen, aber in Sehnsucht nach Erkenntnis und zugleich ohne jede Hoffnung, das himmlische Licht und damit die wahre, göttliche Erkenntnis jemals zu Gesicht zu bekommen.105 So ist auch der zitierte Kommentar Mateldas zu verstehen, der Frau, die ‚Dante‘ im irdischen Paradies berichtet, dass der Ort der irdischen Glückseligkeit von den antiken Dichtern fälschlicherweise als goldenes Zeitalter identifiziert wurde, da sie eben nur wie im Traum die Wahrheit verschleiert vernehmen konnten (Pg. XXVIII 139–148). Das Medium, mit dem Vergil die Weisheit – wenn auch noch nicht explizit – verkündete, ist seine Dichtung. Statius nennt jedoch nicht die Aeneis als entscheidendes Werk, sondern Vergils vierte Ekloge, deren erste Verse er in volgare zitiert: ‚Secol si rinova; / torna giustizia e primo tempo umano, / e progenïe scende da ciel nova‘ (Pg. XXII 70– 72). Daraufhin beteuert er per te poeta fui, per te cristiano (ibid. 73), und fasst damit die doppelte Funktion Vergils als poetisches Modell und Überbringer des christlichen Glaubens zusammen.106 Für die Deutung von Dantes Briefekloge ist dies von Interesse, zum einen da vor dem Hintergrund dieser Commedia-Passagen die Funktion deutlich wird, die Dante dem Dichter Vergil zugesteht. Zum anderen gibt sie Hinweise auf die Bedeutung, die Dante speziell Vergils Bucolica zuweist. Gemäß Statius’ Aussagen in der Commedia liest Dante die vierte Ekloge als christliche Prophetie. Neben der Commedia zitiert Dante diese auch in seinem politischen Traktat Monarchia an entscheidender Stelle. Darin argumentiert Dante für die Gleichberechtigung und Unabhängigkeit des Kaisers als weltlichem Herrscher neben der päpstlichen Autorität. Dante konstatiert den Mangel einer kaiserlichen Macht in seiner Zeit und sieht darin einen Verstoß gegen die göttlich vorgesehene Ordnung der irdischen Welt. Denn nur unter der weltlichen Herrschaft eines Kaisers könne die Menschheit zu einer diesseitigen Glückseligkeit gelangen. Um dies zu begründen, beginnt er mit dem antiken römischen Volk, deren Herrschaft und Vormachtstellung auf der Welt er als gottgewollt legitimiert. Die Monarchie des Augustus gilt ihm dementsprechend zwar noch als heidnisch, dennoch deutet er sie als

So erklärt es Vergil selbst in Inf. IV, als ‚Dante‘ den Limbo durchwandert (Dante Inf. IV 33–42). ‚Dante‘ wird schließlich von den antiken Dichtungsautoritäten Homer, Vergil, Horaz, Ovid und Lucan in ihren Kreis aufgenommen (ibid. 82–102). Er ist damit als Nachfolger des antiken Dichtungserbes anerkannt, überwindet es jedoch, da er über den Limbo hinausgehen und bis zur Schau der göttlichen Erkenntnis vordringen wird. Zum Limbo in Inf. IV siehe Fußnote II 101. 106 Zu Vergils vierter Ekloge bei Dante siehe Cioffi 1983, 93–122. 105

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Verwirklichung eines politischen Zustands auf Erden, der die wahre Glückseligkeit auf Erden präfiguriert, wie sie in der christlichen Monarchie realisiert sein wird.107 In dieser politischen Debatte ist Vergil eine der antiken Referenzautoritäten. Dante zieht seine Dichtung als politische Botschaften in Funktion der göttlichen Ordnung auf Erden heran. Die vierte Ekloge, die Statius in der Commedia als Prophetie liest, die ihn zum christlichen Glauben bekehrt, zitiert Dante in der Monarchia in dem explizit politischen Kontext. So führt er die These ein, dass die Welt am besten geordnet sei, wenn Gerechtigkeit herrscht. Daraufhin erfolgt das Zitat aus Vergils vierter Ekloge, in dem dieser die Rückkehr des goldenen Zeitalters verkündet: iam redit et Virgo, redeunt Saturnia regna (Verg. Ecl. IV 6). Dante liest dabei die Virgo nach antiker Tradition als Virgo Astraea, die Allegorie der Gerechtigkeit, die mit der Wiederkehr der Saturnischen Reiche, i. e. des goldenen Zeitalters, ebenfalls auf die Erde zurückkehrt.108 Das goldene Zeitalter deutet Dante seinem Leser daraufhin im Kontext seines politischen Traktats als Beschreibung der glückseligen Zeit auf Erden. Diese Erläuterung des goldenen Zeitalters stimmt mit dem Kommentar der Matelda in Purgatorio XXVIII überein, die ‚Dante‘ erklärte, dass im Garten Eden der Zustand der irdischen Glückseligkeit herrsche, den sich die antiken Dichter noch als goldenes Zeitalter vorstellten.109 Wenngleich dementsprechend also Vergil die göttliche Wahrheit noch nicht gänzlich sehen und damit auch in seiner Dichtung noch nicht explizit formulieren konnte, findet Dante in seiner vierten Ekloge doch einen wahren Kern. Er gesteht sich weiterhin zu, diese verborgenen Wahrheiten aus Vergils Dichtung zu extrahieren und in seinem christlichen Bewusstsein und Erkenntnisstadium in ihrer tatsächlichen Bedeutung auszulegen. So erklärt er, dass Vergil mit dem gerechten Zustand auf Erden, den er in der vierten Ekloge vorhersieht, die Monarchie, das Imperium meine.110 Denn mit der Autorität des Servius zu Vergils vierter Ekloge erkennt Dante in dem zitierten Vers

107 Vgl. Dante Monarchia I 11, 1. Zu den antiken Dichtungsautoritäten in Dantes Monarchia siehe Buck 1989. Siehe auch Dantes Epistel an den Kaiser Heinrich VII., in den Dante seine Hoffnungen setzte, er werde die Monarchie nach Italien bringen. Ihn spricht er an als Sanctissimo, gloriosissimo atque felicissimo triumphatori et domino Henrico divina providentia Romanorum Regi et semper Augusto […]. Die Epistel selbst beginnt weiterhin mit seiner Klage über den Mangel des rechtmäßigen Herrschers in Italien und der Hoffnung, Heinrich werde als Nachfolger Caesars und Augustus’ wieder den Frieden bringen und ein neues Zeitalter werde den Italienern anbrechen wie dasjenige, das Vergil in seiner vierten Ekloge mit den Saturnia Regna und der Rückkehr der Jungfrau vorhersagte (Dante Epist. VII 1). Über die theologische Bedeutung des römischen Kaiserreichs, wie es Dante aus Vergils Aeneis liest, siehe Kablitz 1999. 108 Eine prominente Darstellung der Zeitalter, die auch die Virgo Astraea als personifizierte Gerechtigkeit erwähnt und die Dante kennt, ist neben Vergils vierter Ekloge die Version in Ov. Met. I 149 f. Zum Mythos des goldenen Zeitalters siehe Fußnote III 41. Zur Virgo Astraea bei Dante siehe Kraus 1970; Singleton 1978. 109 Vgl. Fußnote III 44. 110 Iustitia potissima est solum sub Monarcha: ergo ad optimam mundi dispositionem requiritur esse Monarchiam sive Imperium (Dante Monarchia I 11, 2).

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(Verg. Ecl. IV 6) ein Lob des Kaisers Augustus, unter dessen Herrschaft die Gerechtigkeit und damit die Glückseligkeit auf Erden hergestellt gewesen sei.111 Für Dantes Verständnis des Dichters Vergil lässt sich folglich festhalten, dass er ihm eine vielfältige Autorität zuspricht. Vergil ist poetisches Vorbild. Zudem verkörpert er den höchsten Grad an menschlicher Vernunft, Wissen und Kunstfertigkeit und ist insofern auch eine christlich-moralische Autorität, wie sich an seiner Führungsaufgabe in der Commedia zeigt. Dies qualifiziert ihn als Dichterpropheten, der in seinen Werken die göttliche Wahrheit auf Erden verkündet. Sein tragischer Makel besteht in der Tatsache, dass er als Nicht-Christ selbst noch keinen unmittelbaren Zugang zur göttlichen Erkenntnis hatte und dadurch zu einem ewig hoffnungslosen Dasein in der Hölle verdammt ist. Dante fasst den Begriff des vates folglich komplexer als ein stilistisches Vorbild und will dabei das antike Verständnis in christlichem Sinne überwunden wissen. Wenn Dante nun die vierte Ekloge Vergils mit Servius als politische Prophetie des vorchristlichen Idealzustands auf Erden in der augusteischen Monarchie liest und diese wiederum als Präfiguration der gottgewollten christlichen Monarchie auf Erden versteht, lässt dies Rückschlüsse auf seine Deutung der ersten Ekloge Vergils zu. Ebenfalls mit Servius findet Dante darin die autobiographische Darstellung Vergils über sein Dasein als Dichter, der nach den Wirren der Bürgerkriege unter dem kaiserlichen Imperium des Augustus ein Leben in Frieden, Freiheit und dadurch auch poetischer Muße führen kann. Laut Dantes Deutung lebt Tityrus-Vergil in dem monarchischen Idealstaat, der die irdische Glückseligkeit ermöglicht. Die politische Prophetie seiner vierten Ekloge hat sich folglich erfüllt, da Augustus die Monarchie und damit Gerechtigkeit und Frieden des goldenen Zeitalters eingerichtet hat. Tityrus-Vergil erlebt und beschreibt diesen idealen, nach seiner vierten Ekloge gewordenen Zustand in seiner ersten Ekloge aus seiner persönlichen Perspektive des Dichterpropheten. Die Existenz des Dichters und die politische Situation stehen in dieser Deutung in unmittelbarer Abhängigkeit: Denn die Monarchie des Augustus beweist, dass die Prophezeiung aus Vergils Gedicht von den Menschen umgesetzt wurde. Die Gunst des deus Augustus, die Vergil in der ersten Ekloge genießt, bezeugt demgemäß auch, dass die Menschen Vergil das Gehör schenken, das ihm als göttlicher Dichterprophet gebührt. Dichtung und Politik sind in dieser Deutung folglich zwei Phänomene, die mit der Umsetzung des christlich-heilsgeschichtlichen Programms auf Erden in Zusammenhang stehen: Der Dichterprophet verkündet die göttliche Wahrheit, nach der 111

REDIT ET VIRGO Iustitia, quae Erigone fuit, filia Themidis, (cum) inter homines versaretur, propter corum scelera terras reliquit: quam ideo virginem dicunt, quod sit incorrupta iustitia. et permiscet [= Vergilius] laudes tam pueri, quam Pollionis, quam Augusti: nam felicitas temporum ad imperatoris pertinet laudem (Serv. Comm. in Verg. Ecl. IV 6). Tätsächlich verwendet Dante den Begriff des vates außer in seinen Eklogen nur ein einziges Mal und dies in Bezug auf Vergil, nämlich in Monarchia II 3, 12: Quod autem Dardanus ab Europa originem duxerit, noster Vates in tertio cantat dicens. Vgl. dazu auch Drusi 2013, 51; Albanese 2014, 1708; Priest 2015, 237.

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die Politik auf Erden zu gestalten ist, um den Menschen die irdische Glückseligkeit zu gewährleisten. Diese Lektüre der ersten Ekloge Vergils erweist sich nun als Schlüssel für das Verständnis der confutatio, die Dante gegenüber Giovanni-Mopsus’ Einladung zur Lorbeerkrönung formuliert. Wenn Dante sein Alter Ego Tityrus auf Melibeus’ Frage, ob er die Einladung denn nicht annehmen wolle, mit der Apostrophe O Melibee (II 36) antworten lässt, stellt er die Intertextualität zu Vergils erster Ekloge her. Tityrus-Vergil beginnt mit derselben Apostrophe die Begründung und Darlegung seines müßigen Zustands unter dem Schutz des deus, der laut Servius als Kaiser Augustus zu deuten ist. Tityrus-Dante evoziert anlässlich der Frage nach seinem Interesse an Mopsus’ Angebot somit eine zentrale Stelle der vergilischen Ekloge, in der Vergil in bukolischer Chiffre darstellt, wie er unter dem Imperium des Augustus ein ideales Leben als Dichterprophet führt. Mit der Apostrophe O Melibee zitiert Dante diese Passage an, sodass sein Leser diese assoziiert, die folgende Rede des Tityrus-Dante vor dem Hintergrund der Rede des Tityrus-Vergil rezipiert und zueinander ins Verhältnis setzt. Dies ruft zunächst denselben Effekt hervor, wie schon die intertextuellen Verweise auf Horaz’ Ars poetica und Vergils fünfte Ekloge. Dante spielte dabei auf die Idealbeispiele des vates Orpheus und des poeta divinus Daphnis an, um diese für die Situation des vates zu seiner Zeit zu negativieren. Dieses negativierte Verhältnis ist auch in Bezug auf die Passage der ersten Ekloge Vergils zu beobachten. Die Intertextualität zu der Apostrophe des Tityrus-Vergil an Meliboeus hat jedoch weiter reichende Implikationen für die Deutung von Dantes bukolischer Epistel als die beiden zuvor genannten Bezugsstellen. Wie sich zeigen wird, bildet sie die grundsätzliche Folie, auf die sich der Kommentar des Tityrus-Dante bezieht und von der sie sich zugleich abhebt. Während Tityrus-Vergil nämlich mit dem O Meliboee (Verg. Ecl. I 6) zur Erklärung seines harmonischen Daseins als Dichterhirte ansetzt, leitet Tityrus-Dante damit seine Klage über den zeitgenössischen Zustand des vates ein, dessen Namen und Ehre nichts mehr bedeuten würden (vgl. II 36 f.). Mopsus’ Bemühungen um den Ruhm des vates und seine Einladung zum Lorbeer überzeugen Tityrus-Dante offensichtlich nicht. So gesteht Tityrus selbstbewusst zu, dass seine poetischen Fähigkeiten und deren Auszeichnung sicherlich Applaus an Mopsus’ Ort finden würden (Quantos balatus colles et prata sonabunt, / si viridante coma fidibus peana ciebo!, II 39 f.).112 Diese Beschreibung der Lorbeerkrönung gibt dabei über die Art der Auszeichnung Auskunft, wie sie Giovanni del Virgilio in seiner Epistel in Aussicht gestellt hatte. So umschreibt Tityrus-Dante die Krönung in antikisierender Manier mit Elementen, die aus dem Schluss der Apoll- und Daphneepisode bei Ovid bekannt sind. Das grünende Haar (viridans

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Lidònnici 1913, 213 erkennt hierin eine Ironie gegenüber dem Gelehrten. Vgl. dazu auch Allegretti 2010, 190 sowie Benucci 2015, 88.

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coma, II 40), das Tityrus erwähnt, steht metonymisch für das mit dem immergrünen Lorbeer bekränzte Dichterhaupt. Apoll selbst verkündet bei Ovid, dass das Laub der verwandelten Daphne von da an sein Haar, Kithara und Köcher bekränzen sowie Zeichen der Latinischen Feldherren und ihrer Triumphe sein solle. Der Gott besorgt daraufhin, dass der Lorbeerbaum allzeit seinen Blattschmuck trägt und begründet somit seinen immergrünen Zustand.113 Dantes Nennung des pean (II 40) verweist ebenfalls auf die ovidische Episode. Dort wird Apolls Rede abschließend als Paean bezeichnet.114 Gemäß der antiken Tradition gilt der Begriff zum einen für den Hymnus auf den antiken Dichtergott Apoll, zum anderen für den epischen Triumphgesang.115 Tityrus-Dante paraphrasiert hier folglich die Dichterkrönung, die Mopsus-Giovanni ihm nach der klassisch-antiken Tradition anbietet. Dante verwendet dabei dasselbe Prädikat ciebo (II 40) wie Giovanni del Virgilio, der er ihn in seinem Schreiben um einen epischen Gesang, ein carmen vatisonum bittet (at precor, ora cie que te distinguere possint / camine vatisono, sorti comunis utrique, I 23 f.). Zudem spielt er motivisch auf die Passage an, in der der Gelehrte ihm die Aussicht auf den Dichtertriumph vor Augen hält, der von den Bologneser gimnasia bejubelt würde (I 35–40). Dante versichert folglich, dass er eine solche Lorbeerkrönung, wie sie Mopsus ihm anbiete, unter applaudierendem Muhen zugestanden bekäme. Die Intertextualität zu dem ovidischen Apoll- und Daphnemythos und zu Giovanni del Virgilios Forderungen nach einem epischen carmen vatisonum impliziert dabei die Art der Lorbeerkrönung. Sie steht für eine Anerkennung seiner Fähigkeiten als epischer Dichter, der die römisch-lateinischen Vorbilder imitiert. Diese Fähigkeit gesteht sich Tityrus-Dante zu. Er führt jedoch zwei Gegenargumente ins Feld, deren interpretatorische Tragweite wiederum erst vor dem Hintergrund der ersten Ekloge Vergils und dem otium verständlich wird, das Tityrus-Vergil darin genießt. So begründet Tityrus-Dante seine Absage an die angebotene Lorbeerkrönung damit, dass er die gottlosen Täler und Ländereien bei Mopsus fürchte (Sed timeam saltus et rura ignara deorum, II 41). Er formuliert daraufhin einen Gegenentwurf in Form einer Frage: Ob es nicht besser sei, das triumphierende Haar zu kämmen und, sollte er je dorthin zurückkehren, das weiße 113 114 115

Vgl. Ov. Met. I 558–565. Ov. Met. I 566. Als so ein epischer Gesang erscheint der paean in Verg. Aen. VI 656–659. Dort werden die ehrwürdigen Seelen der antiken epischen Helden, Priester, Dichter Apolls und Erfinder beschrieben, die in der Unterwelt die Gefilde der Seligen bewohnen. Vgl. Albanese 2014, 1711; Petoletti 2016, 554. Uguccione da Pisa weist den pean als Gesang des Apoll aus (Derivationes F 53, 8). Dante selbst verwendet den Begriff darüber hinaus in Par. XIII unter negativen Vorzeichen. So erklärt ‚Dante‘, dass im himmlischen Paradies die Seelen nicht einen Lobgesang auf Bacchus oder einen Paean, einen Apollhymnus anstimmen, sondern die Dreifaltigkeit Gottes besingen (Par. XIII 25–27). Pascoli 1965, 174 f. deutet den Paean als die Commedia. Dante habe in Par. XIII bewiesen, dass er als Sänger der Commedia ein poeta sei, „come quelli antichi, grandi e regolari“. Er habe somit mit der Volkssprache erreicht, was die antiken Dichter auf Latein geschaffen hätten.

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Haar am heimatlichen Arno unter dem Lorbeerkranz zu verbergen, wo seine Haare zu erblonden pflegten (Nonne triumphales melius pexare capillos / et patrio, redeam si quando, abscondere canos / fronde […] flavescere Sarno?, II 42–44). Tityrus-Dante beklagt also die Gefahr, die an Mopsus’ Ort herrsche und zieht es vor, sich in der Heimat seiner Jugend Florenz, die metonymisch durch den Fluss Arno genannt ist, krönen zu lassen.116 Der Bezug zur extradiegetischen Realität liegt nahe. Denn Dante, der sich seit seiner Verbannung aus Florenz im politischen Exil in Ravenna befindet, sehnt sich nach seiner Heimatstadt und seiner dortigen Anerkennung als Dichter. Den Wunsch nach seiner Krönung in Florenz formuliert ‚Dante‘ auch in der Commedia. In Paradiso XXV äußert er sich ähnlich wie in Tityrus in der Epistel. Dort nennt er seine Commedia das heilige Gedicht, an das Himmel und Erde Hand angelegt haben. Selbstbewusst beteuert er, den Lorbeer über dem Becken seiner Taufe, dem Battisterio di San Giovanni in Florenz, zu erhalten, wenn sein Gedicht über die Grausamkeit gesiegt haben wird, die ihn ins Exil trieb. Die Grausamkeit steht hier für die politisch widrigen Umstände, die italienischen Bürgerkriege zwischen den guelfischen und ghibellinischen Parteigängern, deren Opfer auch Dante wurde. Dementsprechend liest sich Tityrus-Dantes rhetorische Frage. Denn er fragt Melibeus nicht, ob eine Krönung in seiner Heimat Florenz besser sei, sondern stellt dies als einzig für ihn akzeptable Form der Lorbeerkrönung Mopsus’ Angebot gegenüber. Mit seiner Furcht vor den gottlosen Ländereien bei Mopsus scheint Tityrus-Dante zunächst vor allem einen politischen Grund für seine Ablehnung an Mopsus-Giovannis Angebot anzuführen. So werden die saltus et rura ignara deorum gemeinhin mit der Stadt Bologna identifiziert, deren guelfisch-papsttreue Politik eine Gefahr für Dante darstellen solle. Die dei stehen entsprechend für die imperatores, die die guelfische Politik Bolognas nicht anerkennen wollen.117 Entsprechend Paradiso XXV sehne sich Tityrus-Dante an dieser Stelle danach, dass die Bürgerkriege enden und er in seiner Heimat Florenz die Lorbeerkrone für seine Commedia erhalten werde. Die Absage an Bolognas rura ignara deorum und die Fürsprache für seine Krönung in der Heimat erhält in ihrem politischen Charakter jedoch zusätzlich eine poetologische Bedeutung, liest man sie vor dem Hintergrund der ersten Ekloge Vergils und ihrer Kommentierung durch Servius. Denn Tityrus-Vergil steht dort unter dem Schutz des deus, also des imperator Augustus, und führt das ideale Leben eines vates. Tityrus-Dan116

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Auch ‚Dante‘ in der Commedia spricht an verschiedenen Stellen von seinem Anspruch auf die Dichterkrone. Insbesondere im Paradiso ist die Thematik präsent (vgl. Par. I 13–33; XXV 1–12). Vgl. Albanese 2014, 1709. Zur Dichterkrönung in der Ekloge und der Commedia siehe auch Ferrario 1990; Fumagalli 2012, 159–178; Marinetti 2014. Vgl. Lcom: deorum idest imperatorum, quia contraria parti Dantis tunc Bononia erat. Dem folgt u. a. Albanese 2014, 1712. Sie bleibt jedoch bei einer allgemeinen Deutung, dass Dante die „inospitalità di Bologna“ fürchte, ohne die weiter reichenden Implikationen zu erkennen. Brugnoli/ Scarcia 1980, 39 plädieren sogar explizit für eine abstrakte Bedeutung der Aussage. Bologna sei gottlos und unbarmherzig.

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te hingegen fürchtet in seiner Ekloge den Ort Bologna, der eben keine dei kennt, die hier – wie in Vergils erster Ekloge – als imperatores gedeutet werden. Dante, der die bukolische Identität Tityrus von Vergil übernimmt, entwirft die Situation seines Alter Egos in kontrastierender Analogie zu Vergils erster Ekloge. Denn Tityrus-Dante lebt im Exil. Er teilt daher die Gesellschaft und das Schicksal des Melibeus, der ja bei Vergil der einzig Exilierte war, während Tityrus-Vergil seinen Frieden genoss. In Tityrus-Dantes Zeit gibt es jedoch keinen deus Augustus, der als Kaiser in der Form der Monarchie die Gerechtigkeit auf Erden sicherstellt und so gemäß der gottgewollten Ordnung den Menschen die irdische Glückseligkeit gewähren würde. Wie gezeigt, stehen das Dasein und die Wirksamkeit des vates laut Dantes Deutung der vergilischen Eklogen in einer direkten Wechselwirkung mit den politischen Umständen. Denn der vates hat zunächst Einblick in die göttlichen Wahrheiten. Als neuer, christlicher Tityrus hat Dante im Vergleich zu seinem Vorgänger Vergil zudem einen unverschleierten Blick und genießt das direkte Verständnis der göttlichen Erkenntnis. Dies zeigt sich in der Commedia, wenn ‚Dante‘ am Ende von Paradiso XXXIII Gott schauen kann. Als Weiser hat der Dichter dementsprechend den Auftrag, seine Einsichten den Menschen im Diesseits mitzuteilen und auf diese Weise zu bewirken, dass die gottgewollte Ordnung auf Erden umgesetzt wird.118 Wie Dante in der Monarchia unter Berufung auf Vergils vierte Ekloge zeigte, bietet allein die Monarchie den politischen Rahmen, in dem Gerechtigkeit und Frieden und somit die irdische Glückseligkeit der Menschen nach dem göttlichen Plan bestehen können. Wenn nun Tityrus-Dante indigniert bedauert, dass der Name des vates an Bedeutung verliere, und darüber hinaus den götter-, also kaiserlosen Zustand in Bologna beklagt, steht dies in unmittelbarem Zusammenhang. Denn dass Bologna keine Kaiser kennt, beweist, dass dort der gerechte Zustand der Monarchie nicht möglich ist und daher die göttliche Ordnung auf Erden nicht umgesetzt wird, wie sie der vates in seiner Dichtung verkündet. Tityrus-Dante, der sich als christlicher vates im Exil befindet, ist folglich ein lebender Beweis dafür, dass die Gesellschaft auf Erden seiner poetischen Vermittlung der göttlichen Wahrheit keine Anerkennung entgegenbringt. Sie lebt entsprechend entgegen der göttlichen Ordnung und verstellt sich die Möglichkeit des glückseligen diesseitigen Lebens. Dante signalisiert somit, dass die Dichterkrönung nicht nur eine Auszeichnung poetischer Fähigkeiten bedeutet. Sie manifestiert vielmehr die Anerkennung des vates als Verkünder göttlicher Wahrheit. Zugleich bezeugt sie der verleihenden Gesellschaft, dass diese ihre irdische Politik und Handlungen im Einklang mit dem göttlichen Willen vollführt, der sie wiederum legitimiert und ihr ein glückliches Leben im Diesseits garantiert. Dante demonstriert auf diese Weise, dass er die antiken

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Diese Funktion als poetischer Verkünder der göttlichen Wahrheit auf Erden teilt sich Dante in der Commedia selbst zu. Vgl. u. a. Dante Par. XVII 127–129.

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Dichtungsformen nicht einfach übernehmen, sondern sie in ihrer christlichen Funktion erneuern und erfüllen will. Eine unpolitische und damit von der Heilsgeschichte losgelöste Imitation der antiken Dichter, wie sie Giovanni del Virgilio praktiziert, kommt für ihn daher nicht in Frage. Im Nachhinein erklären sich auf dieser Grundlage zwei Details in Mopsus’ Beschreibung als allegorisch aussagekräftig. Eines betrifft den Berg der amönen Landschaft (vgl. II 11 f.). Als Menalus half er, Mopsus’ Weiden in Arkadien zu lokalisieren, dem Land, dessen Bewohnern nach antiker Vorstellung die höchste Dichtungskompetenz zugeschrieben wird. Auf diese Weise definierte der Berg Mopsus’ Landschaft als Ort antiker Dichtungsexpertise. Angesichts des christlichen Wertehorizonts, an dem Dante die Dichtung misst, erhält der Berg nun eine weitere Bedeutung. So ist er bemerkenswerterweise als Verberger der untergehenden Sonne bezeichnet (declivi celator solis, II 12). Der Begriff des celator sticht insofern ins Auge, da es sich um ein nach antiker Tradition selten belegtes Substantiv handelt. Schon den zeitgenössischen Kommentator des Zibaldone Laurenziano XXIX 8 hat dies zu einer allegorischen Deutung verleitet.119 Auffällig ist zudem, dass in der Beschreibung die Sonne untergeht. Das Motiv des Sonnenuntergangs findet sich zwar auch mehrfach in Vergils Eklogen. Dort markiert die Zeitangabe jedoch gleichzeitig das Ende der jeweiligen Gedichte. Dass Dante seine Beschreibung mit dem Sonnenuntergang anfangen lässt, ist gemäß der bukolischen Motivik folglich bemerkenswert. Ein Sinn ergibt sich vor dem Hintergrund der christlichen Motivik, die Dante andernorts in seinen Werken verwendet. Die Sonne hat dort verschiedene Bedeutungen, die in diesem Kontext relevant werden. So endet das erste Buch seines philosophischen Traktats Convivio mit Dantes Rechtfertigung des volgare als Sprache des Traktats gegenüber dem Lateinischen. Er bezeichnet dort die lateinische Sprache als eine alte Sonne, die untergehen wird, während die neue Sonne des volgare aufgeht und denjenigen leuchten wird, die bisher in Finsternis und Dunkelheit leben, da die alte, abgenutzte Sonne ihnen nicht leuchtet.120 Die untergehende Sonne an Mopsus-Giovannis locus amoenus lässt sich somit einerseits vor dem Hintergrund des Convivio als die lateinische Sprache deuten, die laut Dante als Sprache der Erkenntnis untergeht. Dementsprechend impliziert Dante hier einerseits einen Einspruch gegen Giovanni del Virgilios Bevorzugung des Lateinischen über das volgare. Andererseits repräsentiert die Sonne in der Commedia vor allem die Präsenz Gottes und damit auch die Erkenntnis der göttlichen Wahrheit selbst. So endet ‚Dantes‘ Reise in der Gottesschau, in der der Dichter das reine Sonnenlicht Gottes wahrnimmt. Wenn

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Lcom: bucolicum carmen quod hic pro menalo monte intelligitur dicitur celator solis idest veritatis quia in lictera pastoralia narrat et in allegoria longe illis diversa intelligit. U. a. Eitel 2014, 52 verweist zudem auf Lucan. X 285 f. als einzige klassische Belegstelle. 120 Questo sarà luce nuova, sole nuovo, lo quale surgerà là dove l’usato tramonterà, e darà lume a coloro che sono in tenebre ed in oscuritade, per lo usato sole che a loro non luce (Dante Conv. I 13, 12). Vgl. Heil 2003. Zu den verschiedenen Bedeutungen der Sonne bei Dante siehe Bufano 1976.

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die Sonne an Mopsus’ locus amoenus nun untergeht, zeigt dies dessen Entfernung von der göttlichen Wahrheit. Bezeichnenderweise wird diese zudem von dem arkadischen Berg verstellt, der das antike Dichtungsideal evoziert. Auf diese Weise deutet Dante durch die Anordnung der landschaftlichen Details des arkadischen locus amoenus darauf hin, dass Giovanni del Virgilio mit seiner imitatio der antiken Dichtung zwar eine gelungene Nachahmung des antiken Formats herstellt, dieses Dichtungskonzept ihn jedoch isoliert und von der Erkenntnis der göttlichen Wahrheit entfernt.121 Seine Position ähnelt einer irdischen, selbst gewählten Form des Limbo aus Dantes Commedia, der Vorhölle, in der die antiken Weisen ihr Dasein ohne Qualen, aber zugleich ohne Hoffnung auf die Schau Gottes ewig fristen müssen.122 Das zweite Detail aus Tityrus’ Beschreibung seines Adressaten, das vor Dantes christlichem Bewertungshorizont verständlich wird, betrifft Mopsus selbst. Dante stellt ihn dar, wie er sich um das Erbe der antiken Dichtungstradition bemüht, jedoch die inspirierenden Wasser, die ihm dazu verhelfen sollen, ein vates antiker Tradition zu werden, nicht verdauen kann (vgl. II 31 f.). Bei der Verdauung handelt es sich dabei um ein traditionelles klassisch-antikes und biblisches Bild, mit dem ein Verstehensprozess bezeichnet wird. Wenn Giovanni del Virgilio also die inspirierenden Wasser der antiken Dichtungstradition nicht verdauen kann, deutet Dante damit an, dass er sie eben nicht versteht. Mopsus-Giovanni häuft sie nur an, kann sie jedoch nicht in eine erkenntnisbringende Dichtung umsetzen. So stellt Dante erneut Giovannis Dichtungskonzept als rein formales, quantitatives Streben nach dem antiken Erbe dar. Dagegen stellt er sich selbst als rechtmäßigen Nachfolger und christlichen Erfüller des antiken vates Vergil vor, der in seiner Dichtung das Erkenntnispotenzial der römischen Dichtung unter christlichen Vorzeichen weiterführt und auf diese Weise fruchtbar macht. Tityrus-Dante grenzt sich folglich durch ein globales christliches Dichtungsverständnis von Mopsus-Giovanni ab.123 Eine Dichterkrone auf Mopsus’ Bologneser Weiden und nach den Bewertungsmaßstäben des Gelehrten bieten für sein Dichtungs-

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Als positiver Gegenentwurf muss hier Dantes Beschreibung des irdischen Paradieses in Pg. XXVII und XXVIII gelten, die – wie u. a. Albanese 2014, 1701 f. feststellt – auch intertextuell mit Dantes Entwurf der arkadischen Landschaft um Mopsus in Verbindung steht. Für eine detaillierte Gegenüberstellung des arkadischen locus amoenus und des Garten Eden und ihren ästhetischen Implikationen siehe Stück 2019. Auerbach 1929, 123 formuliert Dantes Standpunkt folgendermaßen: „Dantes Bildungsbegriff und seine Anknüpfung an die Tradition war mit den Gegenwartskräften untrennbar verschmolzen; das Edle und Erhabene umfaßte alles Wissen, aber es war nicht auf die Gelehrsamkeit beschränkt, und seine aus dem Neuen Stil hervorgegangene Vorstellung von Vornehmheit war eine innere, die mit der gelehrten Abkapselung vom profanum vulgus nichts zu schaffen hatte; der höchste Gegenstand des Wissens mußte für jedermann bereitet sein, und nur aus der täglichen Sprache und dem taglichen Leben war die Erhebung möglich, die die universale Schöpfung gestaltete.“ Dies deutet sich in Karl Vosslers kurzer Erwähnung des bukolischen Briefwechsels an, wenn er Giovanni del Virgilio als „Dichter-Philolog“ dem „Dichter-Theolog“ Dante gegenüberstellt, ohne dies jedoch an konkreten Textbeispielen nachzuweisen (vgl. Vossler 1900, 29).

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konzept nicht die richtigen Voraussetzungen. Es bleibt zu beantworten, weswegen Tityrus-Dante in der Krönung in seiner Heimat Florenz unter diesen Vorzeichen eine Alternative erkennt (II 42 f.). Dies wird erneut vor dem Hintergrund der Commedia verständlich. Wie gezeigt, übersetzt Dante die Beteuerung aus Paradiso XXV in den Kontext der lateinischen Briefekloge. Dort zeigt sich ‚Dante‘ hoffnungsvoll, dass seine Commedia, sein poema sacro, die politische Grausamkeit der Bürgerkriege überwinden und ihm somit die Dichterkrönung an der Stätte seiner Taufe Florenz ermöglichen werde. Wie Edoardo Fumagalli in seiner Untersuchung zu Dantes Dichterkrönung feststellt, nennt Dante Florenz an dieser Stelle nicht nur als seine Geburtsstadt. Sie ist vielmehr als derjenige Ort wichtig für seine Dichterkrönung und Anerkennung, an dem er in den Glauben eintrat (ritornerò poeta, ed in sul fonte / del mio battesmo prenderò ’l cappello; / però che nella fede, che fa conte / l’anime a Dio, quivi intra’io, Dante Par. XXV 8–11).124 Dante wünscht sich hier die Anerkennung seiner Dichtung als Werk des christlichen Glaubens, als poetische Prophetie der göttlichen Wahrheit. In diesem Sinne ist auch Tityrus-Dantes rhetorische Frage zu verstehen, ob es nicht besser sei, wenn er sich in seiner Heimat am Arno bekränzen lasse (Nonne triumphales melius pexare capillos / et patrio, redeam si quando, abscondere canos / fronde sub inserta solitum flavescere Sarno?, II 42 f.). Neben der inhaltlichen Parallele fallen auch wörtliche Intertextualitäten auf. So erinnert das redeam si quando an den Beginn von Paradiso XXV se mai continga (Dante Par. XXV 1). Die capilli erscheinen als zumindest lautliche Übertragung des italienischen cappello (ibid. 9). Tityrus plädiert hier für seine Krönung zum christlichen vates.125 In der confutatio (II 34–44) wird somit deutlich, dass Tityrus-Dante Mopsus’ Einladung zur Dichtungskrone nicht annehmen will. Aus den intertextuellen Anspielungen zu Vergils erster und vierter Ekloge sowie Dantes Commedia, der Monarchia und dem Convivio geht darüber hinaus hervor, dass Dante Giovanni del Virgilios Dichtungskonzept insgesamt als eine leere, formalistische Form der imitatio veterum ablehnt. Der Paragraph stellt somit für die Deutung von Dantes Stellungnahme innerhalb der poetologischen Korrespondenz eine zentrale Passage dar. Nicht zuletzt wird unter diesen Voraussetzungen verständlich, weswegen Dante sich für seine Antwort an Giovanni del Virgilio für die bukolische Allegorie in Anleh-

124 Vgl. Fumagalli 2012. 125 Vgl. insbes. Fumagalli 2012, 172–174 zum Verhältnis und der Chronologie zwischen Par. I, der Ekloge und Par. XXV, in denen jeweils die Krönungsthematik erscheint. Renata Fabbri 1993 spricht sich für eine Abfassung der Eklogen vor Par. XXV aus: In den Eklogenbriefen verteidige Dante noch seine comica verba, am Ende des Paradiso hingegen spricht Dante schon gar nicht mehr von seinem Werk als Commedia, sondern als sacrato poema. Piermario Vescovo 2018 befasst sich ebenfalls mit der intertextuellen Verbindung zwischen Par. XXV und Dantes Eklogenbriefen unter besonderer Berücksichtung des altro vello (Par. XXV 7), bei dem es sich ganz bewusst um ein Schaffell im Gegensatz zu einem Bocksfell handeln würde, die gemäß der mittelalterlichen Stillehre jeweils für die niedere, komische bzw. für die erhabene, tragische Dichtung stünden (ibid., 111 f.).

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nung an die erste Ekloge Vergils entscheidet. Denn Dante findet darin das autobiographische Zeugnis des vates, der in der gottgewollten monarchischen Ordnung der irdischen Gesellschaft lebt, die die Menschen aufgrund seiner göttlichen poetischen Prophezeiung verwirklichten. Indem er diese autobiographische Allegorie von Vergil übernimmt, beansprucht er erstens die Rolle des göttlichen vates für sich. Die Funktion, die Vergil noch als unchristliche Vorstufe wahrnahm, erfüllt Dante im christlichen Sinne, in unmittelbarer Teilhabe an der göttlichen Erkenntnis. Indem er die Vorzeichen im Vergleich zu Vergils Ekloge jedoch umdreht, macht er auf die Misere des vates-Berufs und zugleich der Gesellschaft aufmerksam, die gegenüber der göttlichen Botschaft taub und ignorant bleibt. 4. Tityrus als Lehrer der Welt Mit der rhetorischen Frage, ob eine Dichterkrönung in Florenz nicht besser sei, leitete Tityrus-Dante bereits zu der positiven Formulierung seines eigenen Standpunkts über. Melibeus warnt Tityrus nun davor, dass die Zeit schnell vergehe und exemplifiziert dies an den Zicklein, die, kaum gezeugt, bereits gealtert seien. Tityrus geht darauf nicht weiter ein und betont, sich über den Lorbeer zu freuen, wenn er die Gesänge über Inferno, Purgatorio und Paradiso vollendet haben wird. Mopsus solle dies zugestehen. Auf Melibeus’ Nachfrage berichtet Tityrus seinem Gefährten von der stilistischen Kritik, die Mopsus an seiner Dichtung geübt hatte. Dieser habe die komischen Worte getadelt, da sie wie die Sprache gewöhnlicher Weiber klingen und die Musen sie zudem nicht anerkennen würden. Nach der Ablehnung von Mopsus’ Einladung spricht Dantes Alter Ego sich nun für seine Commedia aus und formuliert die confirmatio (II 45–54) des Briefes. Ille: „Quis hoc dubitet? Propter quod respice tempus, Titire, quam velox! Nam iam senuere capelle quas concepturis dedimus nos matribus hyrcos“. Tunc ego: „Cum mundi circumflua corpora cantu astricoleque meo, velut infera regna patebunt, devincire caput hedera lauroque iuvabit: concedat Mopsus!“. „Mopsus“ tunc ille „quid?“ inquit. „Comica nonne vides ipsum reprehendere verba, tum quia femineo resonant ut trita labello, tum quia Castalias pudet acceptare sorores?“

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[II 45–54]

Auf Tityrus’ Ausführungen hin formuliert Melibeus seine Frage abermals als quid-Frage. Erstmals stellt er jedoch keine inhaltliche Frage an Tityrus. Er bestärkt ihn vielmehr in seiner Sehnsucht nach einer Krönung in Florenz (Quis hoc dubitet?, II 45). Darüber

Tityrus als Lehrer der Welt

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hinaus äußert er erstmals selbst eine Meinung, wenn er Tityrus ermahnt, dass die Zeit jedoch schnell vergehe. Seine Mahnung impliziert die Frage, ob es nicht sinnvoller sei, eine angebotene Krönung anzunehmen, anstatt auf etwas zu warten, das Tityrus’ Lebenszeit übersteigen könnte (Propter quod respice tempus, / Titire, quam velox! Nam iam senuere capelle / quas concepturis dedimus nos matribus hyrcos, II 45–47). Seine Rede stellt ihn dabei erneut zu Tityrus in Kontrast. Denn um sein Anliegen zu formulieren, greift Melibeus nicht auf Mythen der klassisch-antiken Dichtungstradition zurück wie beispielsweise Orpheus, Apoll und Daphne oder das goldene Zeitalter. Er untermauert seinen Einwand vielmehr mit einem Beispiel aus seinem praktischen Erfahrungshorizont als Hirte. Wenn er die vergehende Zeit an der Zeit misst, die zwischen Zeugung und Alterung seiner Ziegen vergeht, beweist er Bauernschläue und somit seinen einfachen Charakter als rusticus des stilus humilis.126 Tityrus schenkt in seiner Antwort Melibeus’ Einwand über die vergehende Zeit keine Beachtung. Er bestätigt nur, dass er seine Commedia beenden und dafür den Lorbeer erhalten wolle (Cum mundi circumflua corpora cantu / astricoleque meo, velut infera regna patebunt, II 48 f.). Tityrus’ Rede hebt sich dabei stilistisch merklich von Melibeus’ rustikalem Sprechen ab. So umschreibt er sein Werk in einem poetischen Duktus, erkennbar zum einen an der c-Alliteration in der Beschreibung der paradiesischen Himmelskörper (cum mundi circumflua corpora cantu, II 58), zum anderen an dem übertragenen Sprachgebrauch. So stehen die Himmelskörper, die die Welt umfließen, für die Planeten und Himmelsphären des Paradieses, das gemäß dem ptolemäischen Weltbild um die Erde im Mittelpunkt angeordnet ist. Die Sternenbewohner sind die Seligen des Paradieses (astricoleque meo, II 49). Die Planeten und Sternenbewohner stehen metonymisch für das himmlische Paradies, das Dante in seiner dritten Cantica, dem Paradiso, bedichtet. Die unteren, irdischen Reiche meinen dementsprechend das Purgatorio und das Inferno (velut infera regna, II 49). Der besondere Fokus liegt durch die ausführlichere Umschreibung beim Paradiso. Auf diese Weise deutet Tityrus-Dante an, besonderen Wert auf diese letzte Cantica zu legen, in der ‚Dante‘ die irdischen Gefilde verlässt und in das himmlische Reich des Glaubens aufsteigt. Abermals liegt somit eine Betonung auf dem religiösen Wert seines Dichtwerks. Nicht nur durch die poetische Form, sondern auch durch den offensichtlich gelehrten, theologischen Anspruch des Werkes über die Jenseitsreiche hebt sich Tityrus von Melibeus und dessen rustikalen Wissens- und Sprachhorizont ab. Er deutet zudem in dem Prädikat patebunt (II 49) seine Rolle als Lehrer dieser theologischen Inhalte an. Hier klingt Giovanni

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Entsprechend gibt Servius in seinem Kommentar zu Vergils Eklogen als ein Charakteristikum des bukolischen Personals an, dass ihre Vergleiche bäuerlich seien (personae [= pastores], sicut supra dixi, rusticae sunt et simplicitate gaudentes: unde nihil in his urbanum, nihil declamatorium invenitur; sed ex re rustica sunt omnia negotia, comparationes et si qua sunt alia (Serv. Comm. in Verg. Ecl. Prooem.); insbesondere auch vgl. et quasi rusticus per aristas numerat annos: nam physica rusticanorum est in paleis et in messibus (Serv. Comm. in Verg. Ecl. I 69).

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Dante an Giovanni del Virgilio

del Virgilios Anmerkung aus dem ersten Brief nach, dass so viele Dinge darauf warten würden, von Dante offen gelegt zu werden (Et iam multa tuis lucem narratibus orant, II 25). Dante betont jedoch dezidiert, die Inhalte seiner Wahl offenlegen zu wollen, nämlich seine Commedia und nicht die zeitgenössischen epischen Ereignisse, die Giovanni del Virgilio ihm unterbreitete (vgl. I 26–29). Für diese fordert er die Krönung und macht unmissverständlich seinen Anspruch darauf deutlich (devincire caput hedera lauroque iuvabit, II 50). Nachdrücklich fordert Tityrus daraufhin, Mopsus möge dies zugestehen (concedat Mopsus!, II 51).127 Dante greift nun erst Giovannis Stilkritik auf, die in dessen Schreiben den zentralen Aspekt darstellte. Tityrus-Dante gibt diese nun gegenüber seinem Gefährten Melibeus wieder. Dabei fasst er Giovannis Stilkritik als Tadel an seinen komischen Worten zusammen (Comica nonne vides ipsum reprehendere verba, II 52). Die Formulierung comica verba deutet auf die Commedia hin, für die Tityrus-Dante kurz zuvor seinen Anspruch auf die Lorbeerkrönung geäußert hatte (vgl. II 48–50). Zugleich evoziert die Umschreibung implizit Giovannis Epistel. Der hatte das Adjektiv comicus nicht im stilistischen Sinne verwendet, jedoch nannte er die Figur aus dem Volk, die unwürdig und unverständig gelehrte Dichtung verkündete, einen comicomus nebulo (I 13). Auf diese Weise assoziierte er die Gattung der Komödie mit dem Volk, das er als gemein und unverständig schmähte. Das Ziel dieser soziopoetologischen Argumentation bestand dabei vor allem darin, die Volkssprache gegenüber der lateinischen Sprache zu diskreditieren. Dafür zog Giovanni sowohl soziale, stilistische und gattungsspezifische Begriffe heran, um die Volkssprache einer niedrigen Kategorie zuzuordnen und dem erhabenen, gelehrten Latein als minderwertig gegenüberzustellen. Wenn Tityrus-Dante nun von den comica verba spricht, die Mopsus tadele, spielt er auf diese Argumentation des Gelehrten an. Insofern impliziert Dante ebenfalls, dass Mopsus seine Commedia, die Gattung bzw. den Stil der Komödie und zugleich die volkssprachliche Form des Werkes kritisiert. Tityrus gibt daraufhin zwei Gründe für diesen Tadel an. Aus zwei unterschiedlichen Perspektiven wird die Unzulänglichkeit der comica verba gezeigt, jeweils anhand einer weiblichen Instanz. So sei ein Makel, dass diese klingen würden wie gemeines Frauengeschwätz (tum quia femineo resonant ut trita labello, II 53). Dante variiert hier Giovannis Schmähung der komischen Volksspra-

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Stocchi 2012, 175 vermutet bezüglich des patebunt, „non è improbabile che […] se ne aggiunga un altro [significato] più sottile e forse più dantesco, congruente con il concetto […] del comporre poesia come un portare alla luce quanto è scritto nel libro della memoria, così rendendo palese e comunicabile nella scrittura ciò che nel pensiero del poeta giaceva ancora segreto e inespresso.“ Albanese 2014, 1716 f. verweist bezüglich der Umschreibung der Dichterkrone als Efeu und Lorbeer (hedera lauroque, II 50) auf den Bezug zu Verg. Ecl. VIII 12 f. und Servius’ Kommentar, der den Efeu als militärische, den Lorbeer als poetische Auszeichnung erklärt. Auch hier deutet sich somit an, wie Dante die politische mit der poetischen Dimension verbindet. Für die Formulierung concedat Mopsus siehe Verg. Ecl. II 56 f. Vgl. Albanese 2014, 1717.

Tityrus als Lehrer der Welt

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che als sermo forensis (I 18). Den zweiten Grund zitiert er zum Teil wörtlich aus Giovannis Epistel: Den alltäglich sprechenden Frauen aus der ersten Begründung stehen die Musen gegenüber. Diese würden sich nämlich gemäß Mopsus-Giovanni schämen, die komischen Worte anzunehmen (tum quia Castalias pudet acceptare sorores, II 54). Dies entspricht Giovannis Bitte, Dante möge die Kastalischen Schwestern nicht in ein unwürdiges Gewand kleiden (vgl. I 22).128 Das Motiv der Frauen verknüpft folglich zwei unterschiedliche Ebenen: Das erste Argument beschreibt die stilistische Qualität der comica verba an sich als gemeines Alltagsregister. Das zweite beurteilt sie in ihrer mangelnden Eignung als Dichtungssprache. Wenngleich Dante einen offensichtlichen Bezug zu Giovanni del Virgilios soziopoetologischer Argumentation herstellt, ist bemerkenswert, dass er nicht explizit Stellung bezieht. Hatte diese in dem Brief des Gelehrten noch den Hauptteil eingenommen, belässt es Dante bei einer kurzen Rekapitulation der Stilkritik, ohne dass in dem unmittelbaren Gespräch zwischen seinen Hirtenfiguren eine Auseinandersetzung diesbezüglich stattfinden würde.129 Mit seiner Forderung concedat Mopsus! (II 51) signalisiert Tityrus-Dante schließlich, dass er die Dichtung seiner Commedia nicht zur Diskussion stellt. Auf die stilistischen Vorwürfe, die der Gelehrte Dante macht, antwortet dieser, wie gezeigt, vielmehr implizit, durch die Form der Epistel selbst und das intertextuelle Gefüge, in das er seine Briefekloge konstruiert.

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Eine ähnliche Beschreibung der Volkssprache findet sich auch in der Epist. XIII 10 an Cangrande, deren Echtheit umstritten ist. Darin bespricht Dante den modus loquendi der Commedia, der sich sowohl auf die elocutionell-stilistische Gestaltung, als auch auf die Sprache bezieht, und bezeichnet sie ebenfalls als remissus und humilis. Begründet ist dies durch die locutio vulgaris in qua et muliercule communicant (Dante Epist. XIII 10). Die Junktur trita labello erinnert zudem an Vergils zweite Ekloge. Dort bittet der liebesleidende Corydon, sein Verehrter Alexis möge sich nicht schämen, das Lippchen an der Hirtenflöte aufzureiben (nec te paeniteat calamo trivisse labellum, Verg. Ecl. II 34). Vgl. Albanese 2014, 1718 f. Dass das volgare in der Liebesdichtung durch das weibliche Zielpublikum bestimmt ist, formuliert Dante in seiner Vita Nova XVI 6. Seine Wahl der Volkssprache begründet er dort damit, dass lateinische Verse keine angemessene Form für das weibliche Publikum seien. In De vulgari eloquentia definiert er die Volkssprache zudem als die Sprache, die durch die Amme gelernt wird, und stellt diese natürliche Sprache der lateinischen lingua grammatica als überlegen gegenüber (Dve I 1, 2–4). Albanese (2014, 1714 f.) spricht hier von einer „autodefinizione dantesca della Commedia“ und stellt fest, dass Dante nach der Ablehnung der Krönung in Bologna den Agon mit Giovanni del Virgilio eröffne. Berücksichtigt man die jedoch sowohl die Stellung in der Struktur des Briefes als auch die Form, kann von einem Agon nur bedingt die Rede sein. Denn Dante stellt seinen Standpunkt nicht zur Diskussion, sondern bekräftigt den Status quo als indiskutabel. Damit beendet er – zumindest inhaltlich – den Streit, bevor dieser überhaupt begonnen hat. Allegretti 2010, 185 sieht hier, dass Dante die Problemstellung des poetologischen Streits von der sprachlichen zur stilistischen Fragestellung umdefiniere.

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Dante an Giovanni del Virgilio

5. Hirtendichtung von Gottes Gnaden Nach der Aufzählung von Mopsus’ Kritik an der Commedia wechselt die Sprechsituation erneut auf die intradiegetische Ebene. Tityrus berichtet Mopsus, wie er daraufhin dessen Epistel immer wieder gelesen habe, bis Melibeus ihn mit einem Schulterzucken und der Frage unterbricht, was sie denn tun sollen, um Mopsus zu antworten. Auf diese Weise beginnt der letzte Abschnitt des Gesprächs zwischen Tityrus und Melibeus. Tityrus verkündet sein Vorhaben, sein liebstes Schaf, das sich durch einen besonderen Milchreichtum auszeichnet und sich an keine Herde bindet, zu melken und davon zehn Kübel Milch an Mopsus zu schicken. Melibeus hingegen fordert er erneut auf, sich um seine Zicklein zu kümmern und sie zu lehren, ihre Zähne in die harten Krusten zu schlagen. Auf diese Weise endet der Dialog. Daraufhin schließt der intradiegetische Sprecher die Hirtenszenerie, indem er auf die Ausgangssituation der beiden Hirten unter der Eiche zurückkommt und beschreibt, wie bereits in den kleinen Hütten das karge Mahl kocht. Der Abschnitt bildet eine zweigeteilte conclusio (II 55–68), die zunächst den metadiegetischen Dialog und daraufhin die bukolische Szenerie insgesamt beendet. In dieser letzten Rede seines Alter Egos legt Dante erneut implizite, aber deutliche Hinweise auf sein christlich-theologisches Dichtungsverständnis. ipse ego respondi; versus iterumque relegi, Mopse, tuos. Tunc ille umeros contraxit et „Ergo quid faciemus“ ait „Mopsum revocare volentes?“. „Est mecum quam noscis ovis gratissima,“ dixi „ubera vix que ferre potest, tam lactis habundans; rupe sub ingenti carptas modo ruminat herbas. Nulli iuncta gregi nullis assuetaque caulis, sponte venire solet, nunquam vi, poscere mulctram. Hanc ego prestolor manibus mulgere paratis, hac implebo decem missurus vascula Mopso. Tu tamen interdum capros meditere petulcos et duris crustis discas infigere dentes!“. Talia sub quercu Melibeus et ipse canebam, parva tabernacla nobis dum farra coquebant.

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[II 55–68]

Wenn Tityrus berichtet, wie er Mopsus’ Brief immer wieder gelesen hat, entsteht eine kurze Pause der bukolischen Dialogszene (ipse ego respondi; versus iterumque relegi, / Mopse, tuos, II 55 f.). Tityrus-Dante lässt Mopsus-Giovanni bewusst im Ungewissen über seine Reflexionen zu Mopsus’ Brief. Denn er beschreibt seinem Adressaten nur seine äußere Handlung des wiederholten Lesens, ohne seine Gedanken mitzuteilen. Die Verbindung der bukolischen Fiktion zur extradiegetischen Realität ist dabei besonders

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eng, da Tityrus wieder explizit von der textlichen Materialität von Mopsus-Giovannis Botschaft spricht. So nennt er sie versus (II 55) und nicht in übertragenem Sprachgebrauch als Milch (vgl. II 2) oder Gesang (vgl. II 5). Auf diese Weise schließt sich der Kreis zum exordium des Briefes, in dem Dante Giovannis Brief von der geschriebenen Materialität in die bukolische Metapher der Milch übertragen hatte (vgl. II 1 f.). Die Unterbrechung und die vorläufige Rückführung der bukolischen Metapher in die extradiegetische Realität weisen bereits auf den Schluss von Dantes Darstellungen voraus. Die Pause wird daraufhin von Melibeus unterbrochen, der sowohl durch seine körperliche Bewegung des Schulterzuckens als auch seine Frage, wie sie denn nun auf Mopsus reagieren sollten (Tunc ille umeros contraxit et „Ergo / quid faciemus?“ ait „Mopsum revocare volentes?“, II 56 f.), die Verhandlung erneut voranbringt. Sein anfängliches ergo (II 56) ruft Tityrus dabei zu einer Schlussfolgerung aus den berichteten Angelegenheiten auf und kündigt damit ebenso den Abschluss des Themas an.130 Durch die erste Person Plural faciemus (II 57) schließt Melibeus sich explizit in eine Replik an Mopsus ein und stellt den Anspruch, an der Diskussion zwischen Tityrus und Mopsus beteiligt zu sein. Zugleich zeugen jedoch sowohl die syntaktische und semantische Einfachheit seiner Frage als auch sein Schulterzucken von dem unverändert einfältigen und einfachen Charakter des Hirten. So stellt er abermals eine quid-Frage, von der kein eigener inhaltlicher Impuls für die Diskussion ausgeht. Sein Zucken mit den Schultern ist die einzige Reaktion auf Tityrus’ Ausführungen und bekundet eine Haltung der Ratlosigkeit, des Unverständnisses und auch der Ungeduld gegenüber dem Gegenstand und der Situation. Sein Interesse besteht nicht an einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit Mopsus, sondern an der Aktion. Dante rückt den Hirten so doch wieder in die Nähe des comicomus nebulo, den Giovanni in seinem Brief als illiteratus schmähte. Denn dieser stellte ebenfalls den Anspruch, sich die gelehrten Themen anzueignen, ohne sie zu verstehen, sodass der Gelehrte eine unzureichende, oberflächliche Auseinandersetzung kritisierte (vgl. II 12 f.). Tityrus bekundet Melibeus daraufhin seine Pläne zur weiteren Kommunikation mit Mopsus. Er stellt sein besonderes Schaf vor, die ovis gratissima (II 58), von der er zehn Milchkübel melken wolle, um sie Mopsus-Giovanni zu schicken (Hanc ego prestolor manibus mulgere paratis, / hac implebo decem missurus vascula Mopso, II 63 f.). So wie Dante schon zuvor die Milch als Metapher für Dichtung verwendet hatte (vgl. II 1 f.), bezeichnet er mit der Milch des Schafes nun eine poetische Botschaft, die Tityrus seinem Korrespondenten zu schicken gedenkt. Das Motiv des zehnteiligen Geschenkes übernimmt Dante aus Vergils dritter Ekloge. Dort singt der Hirte Menalcas von einem geliebten Knaben, dem er zehn goldene Äpfel schicken wolle.131 Dante funktionalisiert 130 131

OLD s. v. ergo 3 a. Das revocare greift das me vocat ad frondes (I 33) aus Giovannis Epistel auf und kann somit als eine Antwort auf Mopsus gelesen werden. Vgl. u. a. Petoletti 2016, 561 f. Quod potui, puero siluestri ex arbore lecta / aurea mala decem misi; cras altera mittam (Verg. Ecl. III 70 f.). Vgl. u. a. Albanese 2014, 1722 f. Die Deutung der decem vascula (II 64) ist in der Forschung

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Dante an Giovanni del Virgilio

das Motiv nun für seinen poetologischen Kontext. Denn wenn Tityrus Mopsus Milch als Reaktion auf sein Schreiben schickt, so liest es sich wie ein Metakommentar des Dichters Dante, in dem er den Modus impliziert, mit dem er auf Giovannis Schreiben zu antworten gedenkt. So kündigt er an, keine theoretisch-poetologische Darlegung zu verfassen, wie es Giovanni del Virgilio mit seinem Schreiben getan hatte, sondern mit Dichtung zu antworten, aus der seine poetologischen Grundsätze implizit hervorgehen. Die Sendung der Milch umschreibt damit die Sendung seines aktuellen Schreibens, das weniger explizit theoretisch, sondern vielmehr durch seine bukolische Dichtungsform selbst Dantes poetologische Stellungnahme übermittelt. Während Tityrus über die Beschaffenheit der Dichtungsmilch, die er Mopsus sendet, nichts verlauten lässt, beschreibt er das Schaf, aus dem die Milch stammt. Ähnlich wie die Aonischen Berge, aus deren Quelle Mopsus wohlklingende Milch im Überschuss erworben hatte (vgl. II 31 f.), wird Tityrus durch das Schaf mit Dichtungsmilch versorgt. Es fungiert als Tityrus-Dantes poetische Inspirationsquelle. Die Beschreibung dieses inspirierenden Schafes liest sich folglich auch als poetologisches Programm. Dabei lassen sowohl die Beschreibung an sich, als auch die Intertextualität zu der Beschreibung von Mopsus bedeutungsvolle Rückschlüsse auf Dantes Dichtungsprogramm zu und darauf, wie er sich von Giovanni del Virgilio abgrenzt. So präsentiert Tityrus sein Schaf zunächst in seiner überbordenden Fülle an Milch, die es selbst kaum tragen kann (ubera vix que ferre potest, tam lactis habundans, II 59). Gemäß der Deutung der Milch als metapoetischer Metapher beschreibt Tityrus-Dante hier den Reichtum seiner poetischen Inspirationsquelle. Der prall gefüllte Zustand ihrer Euter, der sich zum einen in ihrer Beschwerlichkeit des Tragens (ubera vix que ferre potest, II 59), zum anderen in dem Adjektiv habundans (II 59) äußert, stellt eine motivische Assoziation zu Mopsus her. Diesen zeigte Tityrus, wie er nach seiner ausgiebigen Hingabe zu den Aonischen Bergen und der Musenquelle übervoll war von inspirierenden Wassern und Milch (vatificis prolutus aquis, et lacte canoro / viscera plena ferens et plenus ad usque palatum, II 31 f.). Das Adjektiv habundans ersetzt das plenus, das Mopsus beschrieben hatte. Mopsus und das Schaf verbindet der inspiratorische Reichtum, der sich beide Male in dem Zustand körperlicher Fülle manifestiert. Beide sind zudem in ihrer Besonderheit hervorgehoben. So sticht Mopsus allein aus der Menge der Jurastudenten hervor, wenn er sich ganz der Dichtung widmete (vgl. II 28–30). Das Schaf ist durch den Superlativ gratissima (II 58) vor anderen Tieren ausgezeichnet. Dies führt Tityrus im Anschluss aus, wenn er erklärt, dass es sich an keine Herde binde und keine Ställe gewöhnt sei (Nulli iuncta gregi, nullis assuetaque caulis, II 61). Trotz der Ähnlichkeiten zwischen Mopsus und der ovis gratissima impliseit jeher umstritten, die darin entweder zehn Eklogen nach dem Vorbild der vergilischen Eklogen erkennt oder die zehn ersten oder letzten Gesänge des Paradiso. Für eine Auflistung der Forschungsmeinungen zu den decem vascula und der ovis gratissima siehe den Forschungsstand dieser Arbeit (S. 23 f.).

Hirtendichtung von Gottes Gnaden

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ziert Dante eine unterschiedliche Bewertung der beiden. Denn Mopsus’ überfüllter Zustand sorgt für einen komischen Effekt, der zu seinem angestrebten Ziel des erhabenen vates antiker Tradition in Kontrast steht. So stellte Dante das Dichtungsideal des Gelehrten in Frage. Tityrus’ Schaf ist zwar ebenfalls in körperlicher Konkretheit beschrieben, seine Überfülle an Milch hat jedoch weniger einen komischen Effekt. Vielmehr erscheint es natürlich, wenn das Schaf volle Euter trägt und daraufhin vom Hirten gemolken werden muss. Es passt sich organisch in den bukolischen Kontext ein und steht nicht wie Mopsus im Widerspruch zu seiner Umgebung. Als Schaf steht es zudem für die Gattung der Bukolik und ist insofern auch poetologisch repräsentativ für den stilus humilis von Tityrus-Dantes Inspiration.132 Tityrus’ ovis tut sich folglich auf der Basis typisch bukolischer Bedingungen hervor. Damit unterscheidet es sich von Mopsus, der sich mit seinem Bestreben nach Erhabenheit aus seiner niederen Konstitution als Hirte zu befreien und sich damit zu überhöhen suchte. Während die humilitas bei Mopsus in seiner grotesken Verzerrung liegt, die durch den Bruch zwischen seiner tatsächlichen komischen und seiner gewünschten erhabenen Konstitution entsteht, ist die humilitas des Schafes durch die Gattung der Bukolik bedingt, die in inhaltlicher und formaler Kontinuität dargestellt und dadurch positiv konnotiert ist. Dante legt auf diese Weise dar, dass es sich bei seiner poetischen Inspiration zum einen um die vollkommene Muse des stilus humilis handelt, die eine perfekte Übereinstimmung zwischen ihrer Existenz und ihrem modesten Kontext herstellt und dennoch exzeptionell ist. Zum anderen hebt er sich damit von Mopsus-Giovanni ab, da er sein Dichtungsideal auf der Basis des stilus humilis definiert und somit im Einklang mit der niederen irdischen Konstitution des Menschen, den die bukolische Allegorie repräsentiert. Mopsus-Giovanni schafft es hingegen nicht, sein Dichtungsideal in Einklang mit seiner bukolisch-niederen Identität zu bringen. Sein Streben nach Erhabenheit ist damit zum Scheitern verurteilt, da es die irdisch-menschlichen Voraussetzungen des Dichters nicht berücksichtigt. Eine weitere Parallele zwischen dem Schaf und der Beschreibung des Mopsus zeigt sich an dem friedlichen und freien Leben der ovis. Tityrus erwähnt, dass sie unter einem riesigen Felsen wiederkäut (vgl. II 60). Da sie sie keiner Herde angehört und an keine Ställe gewöhnt ist (vgl. II 61), lebt sie somit gänzlich frei und kommt dennoch von selbst, ohne Zwang, zum Melkkübel (vgl. II 62). Das freie und ungezwungene Leben des Schafes erinnert dabei Mopsus’ Rinder, die, während Mopsus flötet, ausgelassen über die Weiden tändeln (vgl. II 18). Auch die geschützte Umgebung erscheint vergleichbar. So käut das Schaf unter dem hohen Felsen wieder (rupe sub ingenti, II 60). Die Rinder befinden sich auf den idyllischen Wiesen am Fuße des Menalus-Berges und damit ebenfalls in einer friedlichen Umgebung (vgl. II 11–23). Die Rinder stel132

Für das Motiv der Hirtentiere, die ihre schweren Euter zum Melkkübel bringen, verweist Albanese 2014, 1721 auf Verg. Ecl. IV 21 f.; Ov. Met. XV 471. Als repräsentatives Tier der Bukolik erscheint das Schaf auch in der Rota Virgilii. Vgl. Eitel 2014, 73.

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Dante an Giovanni del Virgilio

len zwar nicht Mopsus-Giovannis Dichtungsinspiration dar. Sie sind dennoch ein Teil der Landschaft, die für seine Dichtung und Poetik repräsentativ war, sodass auch sie eine poetologische Bedeutung tragen. Trotz der Gemeinsamkeiten zwischen Mopsus’ Rindern und Tityrus’ Schaf zeigen sich auch hier Unterschiede. So ist das Schaf eben nicht Teil einer Herde, sondern dezidiert als besonderes Einzelphänomen beschrieben. Darüber hinaus folgen Mopsus’ Rinder dessen süßem Spiel. Sie sind so zwar nicht gezwungen, aber doch zumindest zum Folgen aufgefordert (vgl. II 21). Die ovis gratissima hingegen kommt freiwillig, ohne äußere Einwirkung, zu Tityrus, um gemolken zu werden (sponte venire solet, nunquam vi, poscere mulctram, II 62). Der Hinweis, dass sie sich an keine Herde binde und keine Ställe gewöhnt sei (II 61), ruft darüber hinaus angesichts des poetologischen Interesses der Korrespondenz Assoziationen mit den poetologischen und rhetorischen Regelkategorien auf, deren Einhaltung Giovanni del Virgilio von Dante forderte. So evoziert das Bild der Herde die poetischen Konventionen, beispielsweise der Gattungen, in die Giovanni del Virgilio eine Dichtung genau verortet sehen wollte. Die Ställe assoziieren in ähnlicher Weise die rhetorischen Institutionen und Regelwerke, die einem Dichter und seinem Werk Orientierung bieten, diesen jedoch zugleich in seiner Bewegungsfreiheit limitieren. Dantes suggeriert somit, dass sich seine musische Inspiration jenseits dieser Grenzen bewegt.133 Eine Differenz, die angesichts des poetologischen Streits relevant erscheint, implizieren zudem die Prädikate, die die Tiere jeweils in ihrer Beschäftigung zeigen. Denn während die Rinder spielen (ludunt, II 18), ist das Schaf mit Wiederkäuen beschäftigt (ruminat, II 60). In poetologischer Hinsicht bergen beide Prädikate eine spezifische Bedeutung. So handelt es sich bei dem Verb ludere, wie bereits erwähnt, um einen Terminus der komischen, leichten Dichtungsformen. Dies steht zum einen zu der von Mopsus angestrebten Dichtung in Kontrast. Diese sollte ja gerade nicht komisch und leicht, sondern episch und erhaben sein. Erneut deutet sich an, wie Dante Giovannis Dichtungskonzept eine inhärente Widersprüchlichkeit unterstellt. Darüber hinaus stellt das ruminare von Tityrus-Dantes Schaf einen Gegensatz zu einer solchen leichten, spielerischen Dichtung her. So handelt es sich erneut um eine Verdauungsmetapher, die traditionell zur Beschreibung von Erkenntnisvorgängen Verwendung findet. Zu nennen ist insbesondere die Bibelexegese, in deren Vokabular das ruminare erscheint.134 Wenn Dante sein Schaf beim Wiederkäuen zeigt, Giovannis Rinder jedoch beim Spiel, impliziert dies eine Bewertung des Erkenntniswerts der

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Vgl. Albanese 2014, 1722. Daraus lässt sich jedoch nicht die allgemeine Aussage ableiten, Dante würde sich von den Kategorien der Poetik und Rhetorik gänzlich lösen. Vielmehr trifft er seine poetischen Entscheidungen sehr bewusst auf der Basis poetologischer, philosophischer und theologischer Überlegungen. Zu Dantes Verhältnis zur Rhetorik siehe Marcozzi 2017. OLD s. v. rumino 2. Vgl. Albanese 2014, 1721. Zu den Nahrungsmetaphern in Dantes Ekloge Heil 2003; Ott 2016.

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jeweiligen Dichtung. Während Giovannis Dichtung reines poetisches Vergnügen darstellt, bietet Dantes Dichtung einen Erkenntniswert in christlichem Sinne. Vor diesen Hintergrund muss auch die Bezeichnung des Schafes als ovis gratissima besondere Berücksichtigung erhalten. So gibt das Adjektiv gratissima einerseits Tityrus’ Wertschätzung des Schafes wieder. Es erscheint als das liebste seiner Herde, das ihm am meisten willkommen ist. Unter Berücksichtigung der theologischen Bedeutung, die Dante seiner Dichtung im Laufe seiner Epistel und der bukolischen Fiktion zugesteht, erhält das Adjektiv eine weitere Implikation, die abschließend den heilsgeschichtlichen Anspruch seiner Dichtung verdeutlicht. So handelt es sich bei gratissima um den Superlativ des Adjektivs gratus, das wiederum mit dem Substantiv gratia bzw. italienisch grazia etymologisch zusammenhängt und somit auf ein zentrales theologisches Prinzip der Commedia anspielt.135 Domenico Consoli und Andrea Ciotti erläutern die grazia divina in Dantes Werk und Denken als „un motivo di fondo, che sottintende la sua visione della realtà in una prospettiva cosmica e provvidenziale dell’uomo di fronte a sé stesso, a Dio, al tempo e all’eterno“.136 Die göttliche Gnade erscheint als Geschenk Gottes, das dem Menschen seine Rückkehr zu Gott, seinem Schöpfer, und damit die ewige Erlösung ermöglicht. In seiner Commedia zeigt Dante die grazia divina auch in Bezug auf sich selbst als Dichter, dem durch die göttliche Gnade die Reise durch das Jenseits bis zur Gottesschau gestattet wurde. Deutlich wird dies insbesondere in Paradiso XXXII und XXXIII, den letzten beiden Cantiche der Commedia. Dort tritt ‚Dante‘ unter der Führung des Heiligen Bernhard von Clairvaux vor die Gottesmutter Maria. Der Heilige erklärt, dass zunächst zu Maria für die grazia zu beten sei, bevor ‚Dante‘ die Gottesschau, das Ziel seiner Reise, erreichen kann. Denn sein eigenes Flügelschlagen und Streben würde ohne die grazia fehlgehen (vgl. Dante Par. XXXII 145–148). Anna Maria Chiavacci Leonardi erläutert, dass ‚Dante‘ hier vor der menschlichen superbia gewarnt werde, zu meinen, aus eigener Kraft ohne Gottes Gnaden zur Ewigkeit zur gelangen.137 Im letzten Canto ruft ‚Dante‘ schließlich Gott direkt an mit der Apostrophe Oh abbondante grazia (Par. XXXIII 82), dank der er den Blick auf das ewigen Licht erhalten 135

136 137

Vgl. Uguccione da Pisa Derivationes G 88, 1–13 s. v. gratis adverbium qualitatis, idest sponte, sine causa, sine spe remunerationis, sine pretio, unde hec gratia -e, donum vel donati, amor; et dicitur gratia quasi gratis data […] et gratus -a -um, quod tria significat: gratus, gratiam servans, gratiosus, acceptabilis, placitus; et gratus, idest memor beneficii; et gratus, idest remuneratus. Zur grazia in Dantes Werk, ihrer Erscheinung, ihren verschiedenen theologischen Facetten und Dantes theologischen Quellen siehe Ciotti/Consoli 1971. Interessanterweise deutet Drusi 2013, 52 in den decem vascula die Milch als Produkt der Grazia „in quanto gratuitamente concessa da Dio, così come gratuito è l’allattamento da parte dei madri“, ohne jedoch die etymologische Verbindung zur ovis gratissima zu erkennen. Ciotti/Consoli 1971. Chiavacci Leonardi zu Par. XXXII 145 f., 897. Entsprechend erbittet Bernardo für ‚Dante‘ ihre Gnade, damit die Flügel des Alighieri nicht umsonst schlagen und er die Augen zum letzten Heil erheben kann (Dante Par. XXXIII 13–15; 25–27).

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durfte (ibid. 82–84). Der Mensch ‚Dante‘ dankt Gott aus der Erkenntnis heraus, dass allein dessen Gnade ihm die Vision der göttlichen Wahrheit hat zukommen lassen. Chiavacci Leonardi erklärt diesen Dank an die göttliche Gnade im Zusammenhang mit der vorangehenden Invokation. Dort bat ‚Dante‘ Gott um seine Unterstützung, das im Jenseits Gesehene auf der Erde wiedergeben zu können (ibid. 67–72). Die grazia, die ‚Dante‘ in seiner Commedia als Jenseitswanderer von Gott erhält, ist somit einerseits die allgemeine Gnade, die nach der christlichen Vorstellung allen Menschen mehr oder weniger zukommt und dafür sorgt, dass diese ihre Erlösung und den Zustand ewiger Glückseligkeit besser oder schlechter erreichen können.138 Wie Domenico Consoli und Andrea Ciotti nachweisen, präsentiert Dante in der Commedia neben dieser allgemeinen grazia Gottes jedoch auch die individuelle grazia seiner Person. Diese ermöglicht ihm als Dichter, die Jenseitsreise von der anfänglichen poetischen und moralischen Verirrung im Wald hin zur unmittelbaren göttlichen Erkenntnis zu unternehmen, um darüber hinaus das Erfahrene und Gelernte mittels seiner Dichtung für die zukünftigen Generationen im Diesseits wiederzugeben.139 Consoli und Ciotti sprechen aufgrund dessen sogar von der Commedia als „epopea stessa della grazia“, die Dante aufgrund göttlicher Gnade zu schreiben fähig ist.140 Wenn Tityrus-Dante sein Schaf nun als ovis gratissima bezeichnet, ist dies angesichts der verschiedenen Hinweise auf das theologische Dichtungskonzept, das Dante gegenüber Giovanni del Virgilio vertritt, nicht allein als besondere Wertschätzung des Hirten für dieses Schaf zu deuten. Vielmehr versteht sich der Superlativ gratissima als Ausdruck der göttlichen Gnade, die Tityrus-Dantes poetische Inspiration durchzieht. Diese inszeniert Dante hier als ein Geschenk göttlicher Gnade. Das Adjektiv habundans (II 59), das den Milchreichtum des Schafes beschreibt, zitiert wörtlich die Apostrophe der göttlichen Gnade als abbondante grazia (Dante Par. XXXIII 82), die ‚Dante‘ im letzten Canto des Paradiso abschließend anruft. Dante überträgt den Überfluss der göttlichen Gnade aus dem Paradiso direkt auf die Dichtungsinspiration, die ihm von Gottes Gnaden in Überfülle zugestanden werde. Vor diesem Hintergrund wird der qualitative Unterschied zwischen dem negativ assoziierten plenus, das Mopsus in seiner hochmütigen Überfülle zeigt, und dem habundans, das den gnadenvollen Zustand des Schaf evoziert, noch evidenter. Umso zwingender ist die niedere bukolische Konstitution der Dichtungsinspiration und des empfangenden Dichters an sich. So beteuert in der Commedia auch der Heilige Bernhard vor der letzten Etappe der göttlichen Erkenntnis, dass ‚Dante‘ um Dieses Konzept gibt Dante ebenfalls in Par. XXXII 61–66 wieder: Lo rege [= Dio] per cui questo regno pausa / in tanto amore e in tanto diletto, / che nulla volontà è di più ausa / le menti tutte nel suo lieto aspetto / creando, a suo piacer di grazia dota / diversamente; e qui basti l’effetto. 139 Um den zukünftigen Generationen von Gottes Ruhm, den er im Jenseits erblicken durfte, zu berichten, bittet ‚Dante‘ Gott um Beistand kurz bevor er ihm für die Gnade zur Unternehmung selbst dankt (Par. XXXIII 67–72; XXXIII 82–84). 140 Ciotti/Consoli 1971. 138

Hirtendichtung von Gottes Gnaden

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die göttliche Gnade bitten müsse, da er nicht allein in diesen höchsten Zustand der Glückseligkeit gelangen könne.141 Die humilitas ist somit grundsätzliche Voraussetzung, damit die menschliche Seele sich Gott annähern kann. Dem entspricht in der Epistel das Schaf und Tityrus-Dantes Identität als Hirte, die in ihrer bukolischen Existenz übereinstimmen und auch keine Bestrebungen haben, ihren niederen Status zu leugnen. Vielmehr schöpfen sie daraus die Möglichkeit zu einer besonderen, zwanglosen Symbiose zwischen Schaf und Hirte bzw. zwischen göttlicher Inspiration und empfangendem Dichterpropheten. Wenn Tityrus als Reaktion auf die poetologische Kritik seines Korrespondenten von der Milch dieses Schafes zehn Kübel schicken will, ist dies erneut als Plädoyer zu deuten, mit dem Dante seine theologische Dichtung verteidigt. Der unwissende Melibeus, der mit dem faciemus (II 57) seine Beteiligung an der Diskussion zwischen Tityrus und Mopsus einforderte, wird von Tityrus wiederum explizit ausgeladen. Denn der beteuert, dass er sein Schaf melken und die Milch Mopsus schicken werde, Melibeus hingegen solle inzwischen seine Böcke lehren, ihre Zähne in die harten Krusten zu schlagen. Die Opposition zwischen sich und Melibeus macht Tityrus dabei durch die emphatische Verwendung der Personalpronomina ego und tu tamen deutlich (Hanc ego prestolor manibus mulgere paratis / […] / Tu tamen interdum capros meditere petulcos / et duris crustis discas infigere dentes!, II 63–66). Diese Trennung reduziert die Kommunikation somit wieder auf Mopsus und Tityrus und scheint zunächst die Abgrenzung der Gelehrten gegenüber dem Ungebildeten zu stützen, die Giovanni del Virgilio in seiner Epistel vorgenommen hatte. Dagegen spricht jedoch, dass Melibeus das Schaf offensichtlich bekannt ist (Est mecum quam noscis ovis gratissima, II 58). Mopsus scheint es hingegen noch nicht zu kennen, da Tityrus-Dante ihn erst durch die Sendung deren Milch von dem Dichtungskonzept überzeugen muss. Dante unterstreicht somit weniger die Trennung seines Alter Egos von dem stultus Melibeus, sondern diejenige von Mopsus. Tityrus’ Aufforderung, Melibeus solle sich um die Böcke kümmern und sie über die harten Krusten belehren, liest sich als eine Aufforderung, den alltäglichen Pflichten weiter nachzugehen. Die durae crustae weisen auf die beschwerliche Realität hin, mit der Tityrus und Melibeus als Hirten im Exil konfrontiert sind. Dies wird erneut durch die Parallele zum Paradiso gestützt. In Canto XVII spricht ‚Dantes‘ Urahn Cacciaguida zu ‚Dante‘ und sagt ihm sein hartes Exil voraus. Dabei verwendet er ebenfalls die Metapher des Brotes, das in der Fremde bitter schmeckt, und spricht von ‚Dantes‘ hartem Schicksal, bei anderen über die Stufen gehen zu müssen (Tu proverai sì come sa di sale / lo pane altrui, e come è duro calle / lo scendere e ’l salir per l’altrui scale, Dante Par. XVII 58–60). Das alltägliche Hirtenleben, das Tityrus und Melibeus normalerweise teilen, erscheint als eine bukolische Darstellung dieses har-

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Vgl. Dante Par. XXXII 145–148.

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Dante an Giovanni del Virgilio

ten Exilzustands, den Cacciaguida ‚Dante‘ im Paradiso vorhersagte.142 Auf diese Weise endet der metadiegetische Dialog zwischen Tityrus und Melibeus mit einem Bild, das die regulären Pflichten der Hirten wieder in den Vordergrund stellt. Das Intermezzo mit Mopsus-Giovanni erscheint als ein ungewöhnliches Ereignis in einem sonst arbeitsamen Alltag der Hirten. Entsprechend schließt Dante auch den allgemeinen Rahmen der bukolischen Fiktion. So hebt er in einer Ringkomposition zum exordium die Situation hervor, in der sein Alter Ego und Melibeus zusammen unter einer Eiche singen.143 Zudem weist er darauf hin, dass bereits in den kleinen Hütten für sie beide das Getreide koche (Talia sub quercu Melibeus et ipse canebam / parva tabernacla nobis dum farra coquebant, II 67 f.). Die Abschlussszene verweist dabei auf zwei bedeutsame Hypotexte. Zunächst wird das Ende der ersten vergilischen Ekloge erkennbar, die Dante in bezeichnender Weise variiert. Denn bei Vergil lädt Tityrus Melibeus ein, der zuvor seine Leiden des Exils darlegte, diese Nacht bei ihm zu verbringen auf einem grünen Laublager mit mildem Obst, weichen Kastanien und einer Menge gemolkener Milch (Verg. Ecl. I 79–81). Der Reichtum an Obst und Milch sowie das weiche Laublager zeugen dabei von dem sorgenfreien Leben, das Tityrus in der Gunst seines deus führt. Diesen Frieden bietet er dem exilierten Meliboeus an, zumindest für eine Nacht, auch zu genießen. Dante dreht diese Szene in seinem Brief um.144 So spricht auch er von dem Mahl, das für Tityrus und Melibeus bereit steht. Doch bei der Nahrung handelt es sich nicht um deliziöse Speisen, die das Landleben bereithält, sondern um eine karge Getreidemahlzeit (farra, II 68).145 Darüber hinaus sind die parva tabernacla (II 68), in denen das Getreide für die beiden kocht, betont bescheidene Hütten. Tityrus-Vergil hingegen lädt seinen Meliboeus auf ein grünes Laublager ein. Während die kleinen Hütten ein entbehrliches Hirtendasein evozieren, klingt das grüne Laublager nach einer Landidylle. Im Unterschied zu Vergils Ekloge ist es auch nicht Tityrus, der den exilierten Melibeus einlädt. Vielmehr kocht für beide in der Ferne ein Mahl. Tityrus-Dante teilt das Schicksal des Melibeus, der bei Vergil noch der einzige Exilant der beiden war. Bei Dante erscheinen vor dem Hypotext der vergilischen Ekloge folglich sowohl Tityrus als auch Melibeus als Exilanten. Dies wird durch den intertextuellen Bezug zu

142 Heil 2003, 127 erkennt hier eine Anspielung auf biblisches Vokabular. Denn die Brotspeise gelte in der Sprache der Bibelexegese als Metapher für das schwer Verständliche. Die Milch hingegen sei das leicht Verdauliche. Insofern sage Dante hier, dass er die formschöne, aber inhaltsarme Dichtung Giovanni del Virgilio überlassen wolle, die inhaltsreiche, formal anspruchsvollere Dichtung jedoch das eigentlich Anzustrebende sei. Diese These scheint mir vor dem Hintergrund der christlichen Bedeutung des Schafes als Quelle der Milchkübel nicht haltbar. 143 Vgl. u. a. Eitel 2014, 76. 144 Auf die Intertextualität zu Vergils erster Ekloge verweist auch u. a. Eitel 2013, 280, ohne jedoch weitere Schlüsse daraus zu ziehen. 145 Die farra stehen oftmals in der antiken Literatur für ein einfaches Essen. Vgl. erneut Heil 2003. U. a. Albanese 2014, 1724 verweist auf Iuv. V 10 f., wo es als Mahl für Hunde erscheint.

Hirtendichtung von Gottes Gnaden

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Paradiso XVII gestützt. Denn der Exilzustand, den er ‚Dante‘ voraussagt, umschreibt der Urahn Cacciaguida zuerst mithilfe des kargen Brotes, das ‚Dante‘ kosten werde, und spricht daraufhin von den fremden Stufen, über die er werde steigen müssen (Par. XVII 58–60). Dies klingt in dem Ende der bukolischen Epistel wieder. Tityrus kann nicht wie sein vergilisches Alter Ego den exilierten Gesprächspartner einladen, da er sich selbst mit ihm im Exil befindet. Vielmehr sind sie beide auf das Asyl und die Fürsorge anderer angewiesen, die ihnen als Exilanten eine Hütte und ein Mahl bieten. Diese entsprechen den fremden Treppen, die Cacciaguida ‚Dante‘ vorhersagte. Dante schließt seinen Brief folglich, ohne die bukolische Fiktion aufzulösen. Das Ende verdeutlicht jedoch noch einmal die Hauptaussage seiner Epistel. Denn mit Hilfe der programmatischen Kombination aus Vergils erster Ekloge und der Commedia verkündet Dante abschließend seinen Zustand als christlicher vates in der Nachfolge Vergils, der jedoch im Exil seines eigenen Friedens und damit auch seiner eigentlichen Aufgabe als Verkünder der göttlichen Wahrheit an die Gesellschaft beraubt ist. Wenn Giovanni diese gelehrte Intertextualität richtig decodiert, muss ihm folglich bewusst werden, dass Dante an seinem formal-antikisierenden Dichtungsideal kein Interesse hat. Denn er legitimiert seine Identität als Dichter über ihre christlich heilsgeschichtliche Funktion. Mit der bukolischen Form vermittelt Dante, dass er sich aufgrund dieses globalen Dichtungsanspruchs auf Vergils Erbe beruft, das Giovanni del Virgilio zwar in poetisch anspruchsvoller, aber moraltheologisch bedeutungsloser Form imitiert. So impliziert Dante, dass die Poetik des Gelehrten auf falschen Bewertungsmaßstäben aufbaue. Der Wert von Dichtung und Worten hängt nämlich ihm gemäß nicht (nur) von dem Grad der Gelehrsamkeit eines Dichters und der daraus folgenden rhetorischen oder poetischen Eloquenz ab, sondern von dessen moralischer und prophetischer Qualität, die sich aus seinem jeweiligen Streben und Nähe zur göttlichen Wahrheit und Tugendhaftigkeit ergibt. Diese wiederum kann nur mit dem Bewusstsein der menschlichen humilitas geschehen. Sie ist Voraussetzung, um die göttliche Gnade zugestanden zu bekommen, die allein das Erreichen der ewigen Glückseligkeit bei Gott ermöglicht. Dies bezieht sich zum einen auf das Personal und die Dinge, die innerhalb der Dichtung besungen werden. Zum anderen gilt es für den Dichter selbst, der sein Werk auf der Basis dieses moraltheologischen Wertehorizonts entwirft und sich damit einer christlichen Poetik verpflichtet. So ist der rhetorische oder poetische Sprachstil einer Person bei Dante Abbild der jeweiligen moralischen Qualität des Sprechers und die Dichtung zugleich das poetische Medium, um diese göttliche Wahrheit auf Erden zu verkünden.

IV. Giovanni del Virgilio an Dante Nachdem Giovanni del Virgilio von Dante die bukolische Antwort auf seine poetologische Kritik erhalten hat, macht er sich selbst daran, einen bukolischen Brief für Dante zu verfassen. Die Epistel ist mit 97 Versen länger als die vorangehenden beiden Briefe. Der Gelehrte knüpft mit seiner bukolischen Allegorie einerseits an die Konstellationen an, die Dante in seinem Brief beschrieben hatte. Andererseits wird sich zeigen, wie er weiterhin für ein Verständnis von Dichter und Dichtung eintritt, das auf grundsätzlich anderen Maximen gründet als Dantes theologisches Verständnis. Dante erreicht Giovannis zweites Schreiben im Frühjahr 1321. 1. Ein Hirtenidyll Zu Beginn seines Briefes leitet Giovanni del Virgilio in eine ländliche Szenerie ein und hebt die Kommunikationssituation zwischen Dante und sich somit unmittelbar in die intradiegetische Ebene der bukolischen Fiktion, die er von Dante übernimmt und für sein Anliegen aktualisiert. Ohne auf den extradiegetischen Kontext der Korrespondenz einzugehen, gestaltet Giovanni in figurenreicher Sprache das exordium einer bukolischen Szenerie.1 Forte sub inriguos colles, ubi Sarpina Rheno obvia fit, viridi niveos interlita crines nympha procax, fueram nativo conditus antro. 1

Als exordium verstehe ich III 1–5, da dort in Kürze die wesentlichen Koordinaten für die folgende narratio gelegt werden (vgl. Bene da Firenze Candelabrum IV 1 f.). In der folgenden Analyse des Briefes sollen erneut die traditionellen partes oratoriae (salutatio, exordium, narratio, petitio, confirmatio, confutatio, conclusio) als Leitfaden dienen. Denn wie schon in Dantes Briefekloge lassen sich trotz der poetischen Überformung in den einzelnen Abschnitten die rhetorischen Funktionen identifizieren. U. a. Petoletti 2016, 570 verweist für den Beginn der dritten Epistel auch auf den Brief von Lovato dei Lovati an Bellino Bissolo, der mit einem ähnlichen Fontibus irriguam spatiabar forte per urbem einsetzt. Darüber hinaus evoziert das Adverb auch das vergilische forte sub arguta consederat ilice Daphnis (Verg. Ecl. VII 1).

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Ein Hirtenidyll

Frondentes ripas tondebant sponte iuvenci, mollia carpebant agne, dumosa capelle.

5 [III 1–5]

Giovanni del Virgilio beschreibt sein Alter Ego am Fuße wasserreicher Hügel, wo der Fluss Sarpina dem Reno entgegengesetzt verläuft. Die Sarpina erscheint personifiziert als freche Nymphe mit weißem, grünlich durchzogenem Haar.2 An dieser Stelle habe er, Mopsus, sich zufällig aufgehalten, verborgen in einer naturbelassenen Höhle. Da Dante den bukolischen Rahmen bereits etabliert hatte, kann Giovanni direkt daran anknüpfen, ohne explizit auf den historischen Kontext der Korrespondenz zu rekurrieren. Anders als in Dantes Einleitung der intradiegetischen Fiktion (II 3 f.) fehlen in Giovannis Einführung jedoch zunächst die typischen bukolischen Elemente.3 Im Zentrum steht der Wasserreichtum einer Hügellandschaft, die von zwei Flüssen eingerahmt wird (Forte sub inriguos colles, ubi Sarpina Rheno / obvia fit, III 1 f.). Der Leser erkennt darin die Flüsse, die durch Bologna fließen, Savena und Reno. Mit der Flussmetonymie greift Giovanni Dantes poetisches Vorgehen in der vorangehenden Epistel auf, der seine Heimatstadt Florenz mit der Flussmetonymie des Arno bezeichnet hatte (vgl. II 42–44). Darüber hinaus kennzeichnen die Flussallegorien als Figuren des transumptiven Modus Giovannis Sprachgebrauch als erhaben.4 Die Flussnymphe Sarpina etabliert dabei eine mythologische Dimension der Szenerie (viridi niveos interlita crines / nympha procax, III 2 f.). Der Übergang von dem Fluss als landschaftlichem Element zur mythologischen Gestalt ist fließend. So nennt der Sprecher zunächst die Erscheinung der grünen und weißen Haare, die wie eine übertragene Beschreibung natürlicher Phänomene wirken, indem sie die Assoziation im Flussstrom wogender Algen oder Lichtreflexe hervorrufen, die sich auf der Oberfläche des Flusses wie grün-weiße Haare gestalten.5 Die Farben Grün und Weiß unterstreichen dabei den natürlich-fruchtbaren Kontext der Szenerie. Das Enjambement lässt im darauf folgenden 2

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Die Nymphe Sarpina personifiziert den Fluss Savena. Savena und Reno fließen an Ost- und Westseite Bolognas vorbei und schließen somit quasi die Stadt ein. Vgl. u. a. Albanese 2014, 1727 f. Diese Flussmetonymie für Bologna kennt Giovanni auch aus Dantes Commedia (Inf. XVIII 52–63). Vgl. u. a. Eitel 2014, 78. Dem Fluss eine Nymphe zuzuordnen, erklärt zudem bereits Servius als gängig: FONTES SACROS quia omnibus quis nymphae sunt praesidentes (ibid. Comm. in Verg. Ecl. I 52). Stocchi 2012, 182 hält die Szenerie unberechtigterweise für einen „spazio bucolico astratto e convenzionale“. Petoletti 2016, 570 hingegen erkennt Veränderungen gegenüber dem danteschen und dem vergilischen Vorbild einerseits an der Szenerie, andererseits an dem Fokus auf Mopsus allein. Darin sieht er Giovanni del Virgilios Bestreben nach einer variatio gegenüber den Modellen. Zu den zehn Figuren der transumptio: Graviores equidem sunt iste quattuor: nominatio, pronominatio, permutatio [= Allegorie], translatio. Minus gravitatis habent iste sex: denominatio [= Metonymie], circuitio, transgressio, superlatio, intellectio et abusio (Bene da Firenze Candelabrum VII 28, 1–4). Stocchi 2012, 181 weist auf eine Konvention der klassischen-antiken Literatur hin, Nymphen mit der Farbe Weiß zu assoziieren und fügt diverse Beispiele an. Thoss 1972, 42 hebt anhand der descriptio loci in der Poetik des Matthäus von Vendôme hervor, dass „coma, crinis […] häufig für Gras und Lauf verwendet wird.“

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Giovanni del Virgilio an Dante

Vers die Beschreibung in das mythologische Bild einer Nymphe münden. Wie zwei Seiten einer Medaille schimmert dem Leser entweder die historische extradiegetische Realität des Flusses oder deren intradiegetisch-fiktionale, mythologische Personifizierung als Nymphe entgegen. Das Attribut procax (III 3) suggeriert insofern zum einen das rege Plätschern des Flusslaufs, zum anderen das Bild einer Nymphe, die mit ihrer frechen Natur das Landschaftsbild belebt.6 Die Gestaltung des exordium kündet bereits von dem erhabenen Stil, den der Gelehrte in seiner Epistel anstrebt. Sukzessive wird der Leser aus dem realen Kontext der Korrespondenz heraus in die mythologische Fiktion hineingeführt. Am Ende dieser Einführung steht schließlich das dichterische Ich. Nach den Hügeln und den Flüssen, die die harmonische mythologische Außenlandschaft bilden, verharrt der Fokus auf der Höhle, die in ihrer natürlichen Beschaffenheit das idyllische Naturbild abschließt (fueram nativo conditus antro, III 3).7 Das Sprecher-Ich ist in der Höhle verborgen (conditus, III 3) und weist den mythologisch entrückten Ort als einen geschützten Rückzugsraum aus. Darüber hinaus finden sich Anklänge an Dantes bukolische Epistel. So leitete Dante seine bukolische Fiktion mit dem Adverb forte (II 3) ein, das Giovanni an den Anfang seiner Epistel stellt (Forte sub inriguos, III 1). Das Adverb markiert die Situation als eine zufällige, spontane Konstellation, in der sich das kommende Geschehen ereignen wird. Auch der Entwurf eines Schutzraumes durch die Präposition sub in sub inriguos (III 1) ruft Dantes sub quercu meus et Melibeus eramus (II 4) in Erinnerung.8 Nachdem Giovanni die landschaftlichen Elemente eingeführt und sein Alter Ego darin platziert hat, erscheinen im folgenden Vers die ersten bukolischen Elemente: das Hirtenvieh, das sich in der beschriebenen Landschaft aufhält, weidende Rinder, Lämmer und Ziegen (Frondentes ripas tondebant sponte iuvenci, / mollia carpebant agne, dumosa capelle, III 4 f.). Das Adverb sponte (III 4) zeigt die ungezwungene Bewegung der Rinder. Diese erhalten eine besondere Position, da sie zum einen als erste genannt werden und zum anderen über ein eigenes Prädikat verfügen (Frondentes ripas tondebant sponte iuvenci, III 4). Die Lämmer und Ziegen hingegen teilen sich sowohl einen Vers als auch ein Prädikat (mollia carpebant agne, dumosa capelle, III 5). Die Anordnung suggeriert dabei eine Hierarchie der Tiere: Die Rinder, die gemächlich die Ufer abweiden, erscheinen wichtiger als das kleinere Vieh der Schafe und Ziegen.

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Albanese 2014, 1729 weist das procax als nach der klassisch-antiken Tradition typisches Attribut der Nymphen aus sowie auch das Vorgehen, Flüsse als Nymphen zu personifizieren, in der antiken Tradition gängig sei. Eitel 2014, 78 hält das Adjektiv bereits für ein Indiz auf die erotische Konstellation, die Mopsus in seinem elegischen Gesang aufbauen wird. U. a. Brugnoli/Scarcia 1980, 49 deuten nativus als einen Hinweis auf Mopsus’ Geburtsstätte. Stocchi 2012, 183 sieht in dem Aufenthaltsort der Höhle den Bezug zu dem vergilischen Mopsus, der in der fünften Ekloge sich mit Menalcas zum Gesang in eine Höhle zurückzieht (Verg. Ecl. V 19). Vgl. auch Allegretti 2010, 172. Albanese 2014, 1729 f. weist auf den topischen Charakter der Höhle in bukolischem Kontext hin. Vgl. Allegretti 2010, 171 f.

Ein Hirtenidyll

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Die Tiere bieten somit ein harmonisch geordnetes Bild, das die Idylle der Szenerie unterstreicht.9 Anders als bei Dante stehen die Tiere in keinem direkten Kontakt zu dem Sprecher. Dante hatte seine Hirtenfiguren Tityrus und Melibeus sogleich in ihrer hütenden Tätigkeit gezeigt (vgl. II 3 f.). Bei Giovanni hingegen sind die Tiere von dem Ich getrennt. Rinder, Lämmer und Ziegen weiden außerhalb der Höhle, in der sich der Sprecher verborgen hält. Dennoch greift der Gelehrte Dantes Inszenierung auf. Denn der beschrieb Giovannis Alter Ego Mopsus als Hirten, der innerhalb einer idealen Landschaft seine Lieder spielt und dabei alle Elemente der Natur für sich begeistert (vgl. II 11–23). Mopsus’ Umgebung entsprach einem locus amoenus, umgeben von einem Fluss, dessen ewige Wogen von Laub bedeckt das Ufer benetzen (vgl. II 14–17). Seine Landschaft lag am Fuße des Menalus im Schutze des Berges. Ähnliches findet sich in Giovannis Eingangsversen: Den geschützten Raum, den Dante durch die Begrenzungen des Flusses und des Berges sowie des Laubdaches herbeiführte, verändert Giovanni zu einer Höhle, in der sich sein Alter Ego verborgen (conditus, III 3) hält. Dantes Flüsschen (rorans alveolus, II 16) baut Giovanni zu zwei Flüssen aus und macht das Wasser zu einem wesentlichen Element seiner Umgebung. Das Menalus-Gebirge ersetzt Giovanni mit Hügeln, an deren Fuß sich die Landschaft befindet (sub inriguos colles, III 1). Das Adverb sponte (II 17), das bei Dante den Flusslauf beschreibt (sponte viam […] se fecit aquarum, II 17), übernimmt Giovanni für die Beschreibung seines Viehs (Frondentes ripas tondebant sponte iuvenci, III 4). Noch weitere Elemente, mit denen Dante die Umgebung beschrieb, verwendet Giovanni für seine Tiere. So kombiniert er das Laub und die Ufer, die Dante einzeln verwendete, um den Fluss zu beschreiben (et tectus fronde saligna / perpetuis undis a summo margine ripas / rorans alveolus, II 14–16). Beides fügt der Gelehrte zu einem Objektkomplement zusammen, das die Nahrung seiner Rinder darstellt (Frondentes ripas tondebant sponte iuvenci, III 4). Darüber hinaus beschrieb Dante ein ähnliches Verhältnis zwischen Mopsus und seinen Tieren. Denn der Hirte hatte keine Arbeit mit seiner Herde. Sie erschien als Hintergrundinventar und Zuhörer seines virtuosen Musikspiels (vgl. II 18). Diese Konstellation übernimmt Giovanni für seine bukolische Inszenierung. Denn er setzt sein Ich zu den bukolischen Elementen ebenfalls nicht in ein interaktives Verhältnis. Diese unterstreichen vielmehr den idyllischen Charakter seiner Umgebung. Auch die Funktion der Landschaftsbeschreibung ist dieselbe wie bei Dante. Der hatte in Mopsus’ arkadischer Landschaft Giovannis Dichterprofil gespiegelt. Mopsus-Giovanni erschien so als idealer Sänger der antiken Dichtungstradition. Wenn Giovanni sein Alter Ego nun in einen ähnlichen, antik-mythologisch idealisierten Kontext einpflegt, suggeriert auch er das klassisch-antike We9

Der Kommentator des Lcom wird durch die hierarchische Struktur dazu angeregt, die Tiere als Schüler verschiedener Niveaus zu deuten: iuvenci, idest scolares maiores. angne minores scolares. capelle, mediocres scolares. U. a. Stocchi 2012, 182 verweist für den Vers über die Rinder auf Verg. Georg. I 15: nivei tondent dumeta iuvenci.

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Giovanni del Virgilio an Dante

sen seiner Person. Landschaft und Tiere erscheinen als Materialisierungen der Eigenschaften, die der Gelehrte seinem Alter Ego zuzuweisen sucht.10 Indem der Gelehrte in seinem exordium Elemente aus Dantes Epistel aufgreift, die seine Person beschrieben, suggeriert er eine Kontinuität zwischen den beiden bukolischen Inszenierungen. Neben der Intertextualität zu Dantes Epistel assoziiert Giovanni in seinem exordium auch die vergilischen Eklogen. So erinnert das Idyll, in dem er sein Alter Ego platziert, auch an die Bedingungen des idealen Ortes aus Vergils erster Ekloge. Dort beschreibt der exilierte Meliboeus neidisch die müßigen Umstände, die sein Dialogpartner Tityrus genießt: Zwischen zwei Flüssen an einer heiligen Quelle werde Tityrus die Kühle genießen. Dessen Mußeort steht dabei in Kontrast zu Meliboeus’ Exilsituation. Im weiteren Verlauf nennt der auch die Höhle als begehrlichen Ort des Gesangs, Umstände, die er jedoch nicht erreichen könne.11 Wenn Giovanni sein Alter Ego zwischen die zwei Flüsse Sarpina und Reno und in einer Höhle positioniert, hält er sich an den Ort, den Vergils Hirte als besonders erstrebenswert beschreibt. Sarpina und Reno füllen die Lokalisierung des vergilischen Tityrus hic inter flumina nota (Verg. Ecl. I 51) mit den konkreten, historischen Koordinaten Bolognas.12 Giovannis Alter Ego befindet sich also in einem mythologisch-idyllischen Bologna, das einerseits der Inszenierung in Dantes Epistel entspricht, andererseits dem idealen Dichtungs- und Mußeort, an dem sich der Tityrus aus Vergils erster Ekloge befindet. Die intertextuellen Verweise auf Dante und Vergil in Giovannis exordium weisen programmatisch die Inszenierungsstrategie seiner Epistel aus. Er entwirft seine bukolische Fiktion im Spannungsfeld zwischen Dantes und Vergils Eklogen. Wie sich zeigen wird, ist dies eine wesentliche Voraussetzung für das Verständnis seiner Epistel. 2. Vergilische Klänge für Mopsus Die ersten fünf Verse entwerfen folglich die grundsätzliche Szenerie: ein idyllisches Landschaftsbild mit bukolischen Elementen und Giovannis Alter Ego als verborgenes Zentrum. Damit sind die inhaltlichen und formalen Voraussetzungen geschaffen, um eine konkrete Situation zu fokussieren. An dieser Stelle setzt Giovanni mit der

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Damit steht er in Kontrast zu Tityrus, der sich in Dantes Epistel nicht mit seiner Umgebung identifizierte, sondern ganz im Gegenteil die karge Realität hervorhob. Vgl. Krautter 1983, 30–57. Vgl. Verg. Ecl. I 51 f.; 75–78 So u. a. Eitel 2014, 79 f. Vgl. Lcom antro, idest bononie. Den intertextuellen Bezug zu den Sehnsuchtsorten der ersten vergilischen Ekloge legt auch der Umstand nahe, dass Giovannis Ziegen daraufhin die dumosa als Nahrung zur Verfügung stehen (mollia carpebant agne, dumosa capelle, III 5), die der vergilische Meliboeus für seine Ziegen nur ersehnen kann (non ego vos posthac viridi proiectus in antro / dumosa pendere procul de rupe videbo, Verg. Ecl. I 75 f.).

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Vergilische Klänge für Mopsus

narratio (III 6–32) seines Briefes ein.13 Diese lässt sich in drei Sinnabschnitte unterteilen. Zuerst stellt er sein eigenes Alter Ego weiter vor (III 6–10). In einem zweiten Schritt (III 10–25) berichtet er, wie ihn Tityrus’ Gesang erreicht und die Bewohner an Mopsus’ Ort ihn vernehmen. In einem dritten Teil (III 26–32) kündet Mopsus von seiner Reaktion auf Tityrus’ Nachricht. So wie Giovanni seine Identität Mopsus aus Dantes Epistel übernommen hat, verbirgt sich auch hinter der Figur Tityrus der Dichter Dante. Bei der musikalischen Botschaft, die Mopsus von Tityrus erhält, handelt es sich folglich um den zweiten Brief der Korrespondenz, mit dem Dante auf Giovannis erstes Schreiben reagierte. Im ersten Teil der narratio (III 6–10) erfährt der Leser zunächst weitere Details über Mopsus’ Situation. Quid facerem? Nam solus eram, puer incola silve: irruerant alii causis adigentibus urbem, nec tum Nisa michi nec respondebat Alexis, suetus uterque comes. Calamos moderabar ydraules falce recurvella, cuncte solamina, quando

10 [III 6–10]

Giovanni geht nun auf seine Person weiter ein. Gemäß der durch Dante etablierten bukolischen Allegorie ist Giovannis Ich als Mopsus zu identifizieren. Giovanni charakterisiert sich als junger Bewohner des Waldes, der einsam an seinen Schilfrohren schnitzt. Seine Einsamkeit rührt daher, dass alle anderen in die Stadt geeilt sind, um dringende Rechtsfälle zu bearbeiten, und auch seine Hirtengefährten Nisa und Alexis wollen ihm nicht wie gewohnt antworten. Offensichtlich macht ihn seine Einsamkeit traurig. Denn in dem Schnitzen seiner Wasserrohre findet er einen Trost. Dabei kennzeichnet ihn die Beschäftigung mit den Schilfrohren, die zugleich Flötenrohre sind, als Musiker. Giovanni entwirft um sein Alter Ego folglich eine elegische Ausgangssituation.14 Abermals fällt auf, wie Giovanni sich mit seiner Inszenierung zwischen Dantes und Vergils Bukolik positioniert. So ruft die Frage Quid facerem? (III 6), mit der Mopsus 13

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Unter der narratio verstehe ich die Darlegung des Sachbestandes, in diesem Fall der poetologischen Profile der beiden Dichter Tityrus-Dante und Mopsus-Giovanni del Virgilio (Narratio est rerum gestarum aut proinde ut gestarum expositio, Bene da Firenze Candelabrum IV 19, 2). Es handelt sich nach Bene da Firenze um eine typische narratio poetica in personis, die Giovanni für die Botschaft seines Briefes verwendet. Diese definiert Bene da Firenze weiter Poetica narratio duas species habet: una in negotiis, alteram in personis, quia quandoque intendimus exprimere proprietatem negotii, ut Virgilius in Eneide, quandoque proprietatem personarum in moribus vel sermone, ut facit Virgilius in Bucholicis et Terentius in comediis, qui personarum introductarum mores et proprietates ostendunt (ibid. IV 21, 1–3). Für cuncte als „Verzögerung“ verweist u. a. Petoletti 2016, 576 auf Uguccione da Pisa Derivationes E 85, 23: cuncta -te, idest mora. Eitel 2014, 83 macht auf Dantes Pg. XXXI 4 hin, wo dieser eine ähnliche Substantivierung im volgare vornimmt.

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Giovanni del Virgilio an Dante

seine Erzählung einleitet, einerseits Dantes Epistel in Erinnerung, in der ebenfalls im sechsten Vers eine quid-Frage die Unterhaltung initiiert hatte (Tityrem quid Mopsus? quid vult? Edissere dixit, II 6). Andererseits tritt die vergilische Vorlage zutage. So handelt es sich um ein wörtliches Zitat der ersten und siebenten Ekloge, in der Tityrus bzw. Meliboeus diese Frage stellen.15 Indem Giovanni Dantes und Vergils Vorlage gleichzeitig assoziiert, profiliert er sein Alter Ego in bestimmter Weise. Denn in Dantes Epistel hatte der ungebildete Melibeus die einleitende quid-Frage gestellt (quid Mopsus? quid vult?, II 6). Giovanni stellt an derselben Versposition nun seinerseits eine quid-Frage, die jedoch ein direktes Vergilzitat darstellt. Indem der Gelehrte die ungeduldige Frage des ungebildeten Melibeus mit einem Vergilzitat ersetzt, korrigiert er Dantes Vorlage nach den Maßstäben einer gelehrten Vergilimitation, in der die ungelehrte Stimme des Melibeus keinen Platz hat. Giovanni kündigt auf diese Weise sein stilistisches Programm an, das sich an dem vergilischen Modell orientiert. Darüber hinaus wird an der Gegenüberstellung von Mopsus’ quid facerem? mit Melibeus’ quid Mopsus? quid vult? (II 6) die Sprechsituation deutlich, die Giovannis von Dantes Epistel unterscheidet. So führte Melibeus’ Frage bei Dante den Dialog zwischen Dantes Alter Ego Tityrus und dem ungebildeten Melibeus ein. Mopsus-Giovannis Frage hingegen ist Teil eines monologischen Berichts über seine Befindlichkeiten und Erlebnisse.16 Entsprechend stellt Mopsus sich als solus und puer incola silve (III 6) vor. Der Wald, den der Hirte als seinen natürlichen Lebensraum angibt, bietet ihm einen idyllischen Schutzraum (vgl. III 1–5). Die symbiotische Beziehung zwischen Mopsus und seiner natürlichen Umgebung erscheint dabei als Besonderheit. So steht Mopsus damit in Kontrast zu den anderen alii (III 7), die in die Stadt zu juristischen Fällen eilen (irruerant alii causis adigentibus urbem, III 7). Der Sprecher betont die Opposition zwischen sich und den alii. Ihr Stürzen (irruerant, III 7) und die Dringlichkeit der Fälle (causae adigentes, III 7) heben ihre Geschäftigkeit hervor, die zu Mopsus’ elegischer Einsamkeit in Kontrast steht. Unterstrichen wird dieser Kontrast durch die Verskonstruktion. So kommt Mopsus’ einsamer Muße ein Vers zu, der durch das finale silve mit der Lokalisierung im Wald endet (Nam solus eram, puer incola silve, III 6). Dazu stehen die alii im nächsten Vers in Kontrast, deren juristische Betätigung dezidiert als städtisch charakterisiert wird. So endet dieser Vers auf urbem (irruerant alii causis adigentibus urbem, III 7). Silva und urbs fassen somit den Kontrast zwischen Mopsus und den anderen in finaler Versposition zusammen. Das städtische negotium der anderen steht Mopsus’ ländlichem otium gegenüber. Giovanni zeigt sein Alter Ego folglich in einem gesellschaftlichen Sonderstatus.17

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Vgl. Verg. Ecl. I 40; VII 14. So auch u. a. Albanese 2014, 1730. Stocchi 2012, 182 erkennt in Giovannis Quid facerem? ein Echo an Melibeus’ letzte Frage quid faciemus? (II 57). Zum Modus der Erzählung in Dantes Ekloge und der Commedia siehe Vescovo 2014. Vgl. Albanese 2014, 1731. Eitel 2014, 80 f. deutet ähnlich einen alii-ego-Topos, der die anderen in ihrer vita activa dem Ich in einer vita passiva gegenüberstellt.

Vergilische Klänge für Mopsus

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Mit dieser Opposition greift Giovanni erneut auf ein Motiv zurück, das Dante in seiner Epistel verwendet hatte. In dessen Epistel charakterisierte Tityrus Mopsus als Einzelgänger, der sich den Musen hingab, um seine Dichterweihe nach antiker Tradition zu erhalten. Dies unterschied ihn von den anderen, die zu den Studien des Rechts eilten (vgl. II 28–30).18 Den Gegensatz zwischen Mopsus und den alii übernimmt Giovanni zum Teil wörtlich und in derselben Wortfolge: Dantes dum satagunt alii causarum iura doceri (II 29) steht Giovannis irruerant alii causis adigentibus urbem (III 7) gegenüber. Beide sprechen von den alii. Giovannis irruerant ersetzt Dantes satagunt, wodurch der Gelehrte nachdrücklicher auf das Eilen der Personen eingeht. Während Dante mit den Rechtsfällen und der Musenweihe den Gegensatz zwischen Stadt und Land nur andeutete, macht Giovanni dies durch die Gegenüberstellung von urbs und silva explizit. Indem der Gelehrte den Gegensatz zwischen Stadt und Land gegenüber Dante zuspitzt, arbeitet er ein Motiv aus, das auch in Vergils Eklogen prominent erscheint, und macht auf diese Weise seine Treue gegenüber dem antiken Modell kenntlich.19 Obwohl sich Mopsus-Giovanni von den Anhängern des städtischen negotium unterscheidet, ist er dennoch eigentlich nicht einsam. Denn für gewöhnlich stehen ihm Nisa und Alexis zur Seite (nec tum Nisa michi nec respondebat Alexis, / suetusque uterque comes, III 8 f.). In der akuten Situation, die Mopsus-Giovanni beschreibt, sind jedoch auch sie abwesend. Einsam vertreibt er sich die Zeit mit dem Schnitzen von Schilfrohren (suetus uterque comes. Calamos moderabar ydraules / falce recurvella, cuncte solamina, quando, III 9 f.). Dabei bedauert er insbesondere, dass sie nicht antworten (nec tum Nisa michi nec respondebat Alexis, III 8). Alexis und Nisa sind für Mopsus somit vor allem als Gesprächspartner relevant. Beide sind aus Vergils Eklogen bekannt, wo sie als begehrenswerte Figuren erscheinen.20 Giovannis bukolische Inszenierung erweist

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Vgl. Brugnoli/Scarca 1980, 52. Bereits in der ersten Ekloge steht die einfache ländliche Existenz der Hirten der kosmopolitischen Dimension der Stadt entgegen. So hebt Tityrus hervor, wie er in der naiven Annahme der ländlich-bukolischen Maßstäbe die Größe Roms falsch eingeschätzt habe (Verg. Ecl. I 19–25). Auch in Vergils achter Ekloge ruft Alphesiboeus in elegischem Leid seinen Geliebten Daphnis aus der Stadt zurück (ibid. VIII 68). Auch Corydon in der zweiten Ekloge bittet seinen Liebling Alexis darum, er möge nicht die ländliche Existenz verschmähen (ibid. II 28). Die Liebeselegie kennt den Gegensatz von Stadt und Land ebenfalls v. a. als Bild der Konkurrenz des einfachen, armen poeta amator gegenüber einem reichen, städtischen Liebhaber. So sehnt sich der Sprecher von Tibulls erster Elegie nach einer einfachen Existenz als rusticus und amator (Tib. I 7). Der elegische Gegensatz zwischen ländlichem rusticus und städtischem Konkurrenten erscheint in Mopsus-Giovannis Ekloge später im Kontext mit dem comis et urbanus Iollas (III 80–83). Vgl. Eitel 2014, 80. In der zweiten Ekloge verzehrt sich der Hirte Corydon in Sehnsucht nach Alexis, ohne auf dessen Interesse zu hoffen (Verg. Ecl. II 1 f.). In der achten Ekloge beklagt der Hirte Amyntas, in der Liebe zu Nisa enttäuscht worden zu sein, die nun Mopsus zur Frau gegeben wird (ibid. VIII 17–26). Die Bedeutung als famuli, die der Kommentator des Lcom den beiden Figuren zuweist und die u. a. Albanese 2014, 1731 aufnimmt, scheint mir zu einseitig, da sie an dieser Stelle im Wesentlichen als Gesprächspartner von Giovanni angeführt werden.

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Giovanni del Virgilio an Dante

sich somit als voraussetzungsreich gelehrt. Denn um die Implikationen der genannten Figuren zu verstehen, ist es notwendig den vergilischen Hypotext zu assozieren, da Giovanni das mußevolle Umfeld seines Alter Ego dezidiert gemäß der vergilischen Bukolik gestaltet. Wenn Mopsus an seinem Schilfrohr schnitzt, erfährt der Leser zudem erstmals über die Beschäftigung des Sprechers. Anders als Dante, der die Hirtenfiguren von Beginn an in ihrer hütenden Funktion gezeigt hatte (vgl. II 3), befindet sich Mopsus nämlich bei der Herstellung eines Musikinstrumentes. So lässt calamus neben der ursprünglichen Bedeutung als Rohr oder Halm auch die Bedeutung des daraus hergestellten Flötenrohrs zu. Auch das Prädikat moderabar (III 9), das sein Schnitzen wiedergibt, assoziiert einen musikalischen Kontext, da es neben der konkreten Bedeutung des „Anspitzens“ ebenfalls zur Beschreibung einer musizierenden Tätigkeit verwendet wird. Das Adjektiv ydraules (III 9) erscheint zudem als Verbindung aus Wasser (ydro-) und der Flöte (aules).21 Mit dem Adjektiv weist Giovanni erneut auf den Wasserreichtum der Umgebung hin und assoziiert zugleich das Musikinstrument. Auf diese Weise setzt er sein wasserreiches Idyll verbal in eine unmittelbare Beziehung zu der musikalischen Dimension und suggeriert eine lokale wie musikalische Lieblichkeit seiner Umgebung. Mopsus selbst ist damit vor allem als Musiker charakterisiert. Seine Identität als Hirte bleibt weiterhin eine Hintergrundfolie. Wenn Mopsus-Giovanni nun an seinen Flötenrohren schnitzt, um sich über die Absenz von Nisa und Alexis zu trösten, legt dies auch nahe, dass die vergilischen Figuren Mopsus nicht nur als Gesprächspartner, sondern vielmehr als Gesangspartner fehlen. Die elegische Situation des Ich rührt von einer Sehnsucht nach poetischem Austausch.22 Mopsus’ Bedürfnis spiegelt dabei Giovannis Wunsch nach einem Gesangs- und Gesprächspartner, den er in Dante zu finden sucht. Giovanni setzt Dante somit indirekt in ein Verhältnis zu den beiden bukolischen Figuren Nisa und Alexis. Denn um ihnen als Gesprächspartner gleichzukommen, muss Tityrus bzw. Dante ihre Rolle übernehmen, also sprechen wie eine ideale vergilische Figur. Nisa und Alexis bilden den Maßstab, an dem Dante sich als gewünschter Gesprächspartner messen soll. Giovanni entwirft sich die idealen Empfänger seiner Dichtung und fordert Dante

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OLD s. v. calamus: 1; 3. Uguccione da Pisa Derivationes C 7, 3. Albanese 2014, 1731 erkennt in den calami eine Allegorie zur Darstellung des bukolischen Gedichts. In diesem Sinne verwenden es sowohl Vergil (Ecl. I 10) als auch Giovanni im späteren Verlauf des Briefes (vgl. III 31 f.). ThLL s. v. moderor II B b β; OLD s. v. moderor 5. Uguccione da Pisa Derivationes A 3, 3 f. item aule grece, latine dicitur cannula vel tibia, unde hic aules -is […] et inde aulidus -a -um, idest dulcis ad instar soni organi […]. Et componitur hec pars cum ydor quod est aqua et fit hec ydraula -le, idest sonus organi vel quoddam genus organorum; […] et inde ydraulicus -a -um, ut ‚ydraulicus sonus‘, idest dulcis vel sonus ydraularum. Brugnoli/Scarcia 1980, 52 verweisen auf Serv. Comm. in Verg. Ecl. VII 21: nam aquae motus musicen efficit, ut in ydraulia videmus. Eitel 2014, 81 sieht hierin einen Unterschied zu der elegisch-erotischen Situation in Vergils zweiter Ekloge und Mopsus’ elegischem Leid aus mangelnder Gesprächsgelegenheit.

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Vergilische Klänge für Mopsus

implizit dazu auf, diesem Ideal zu entsprechen. Sein rhetorisches Ziel besteht wie in seiner ersten Epistel folglich darin, Dante zu einer vergilischen Dichtung zu bewegen. Giovanni vertieft folglich im ersten Teil der narratio (III 6–10) das Profil seines Alter Egos, das er im exordium (III 1–5) angekündigt hatte, und formuliert dessen Ausgangssituation. Er übernimmt Dantes Darstellung von Mopsus als einem Sänger, der nach dem antiken Dichtungsideal strebt. Ihm fehlt jedoch ein Gesangspartner, woraus seine elegische Ausgangssituation hervorgeht: Er sehnt sich nach einem vergilisch-bukolischen Umfeld und einer seinem Anspruch angemessenen Kommunikation. In dieser Situation erscheint plötzlich die Nachricht von Tityrus-Dante. Die Erzählung geht von der geschilderten Ausgangssituation in den Vordergrund des Geschehens über. Giovanni beginnt hier den zweiten Teil der narratio (III 10–25), in der er den Fokus von seiner Person Mopsus zu Tityrus’ Gesang lenkt. Dabei beschreibt er zunächst Tityrus’ Ort, von dem der Gesang herüberhallt (III 11–17). In einem zweiten Abschnitt wendet er sich der Rezeptionssituation an seinem eigenen Ort zu (III 18–25). So inszeniert Giovanni innerhalb der bukolischen Fiktion, wie er Dantes Epistel erhalten hat. Die Beschreibungen geben dabei weiterhin implizit Aufschluss über die poetischen Profile der beiden Dichter Mopsus-Giovanni und Tityrus-Dante. quando litoris Adriaci resonantem Tytyron umbra, qua dense longo pretexunt ordine pinus pascua, porrecte celo genioque locali, alida mirtetis et humi florentibus herbis, quaque nec arentes Aries fluvialis arenas esse sinit, molli dum postulat equora villo, retulit ipse michi flantis leve sibilus Euri;

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[III 10–17]

Mopsus berichtet, wie ihn in seiner Einsamkeit eine Melodie erreicht. Es ist eine Nachricht von Tityrus, die von der Adriatischen Küste zu ihm herüberhallt. Die Musik, die Mopsus zu Ohren kommt, nimmt er zum Anlass, um Tityrus’ Ort zu beschreiben.23 Dort bedecken hohe Pinien die Wiesen mit ihrem Schatten. Diese stehen voller duftender Blumen und werden durch einen Fluss bewässert. Überdies streicht die Brise des Eurus über sie hinweg und transportiert die Klänge, die Tityrus von sich gibt, hin zu Mopsus’ Ort. Tityrus’ Aufenthaltsort trägt folglich die typischen Merkmale eines locus amoenus.24

23 24

Eitel 2014, 83 bemerkt, dass Giovanni eine für den Leser „fast unerträgliche Spannung“ erzeugt, indem er den Hauptsatz erst sieben Verse später folgen lässt. Vgl. Albanese 2014, 1733. Curtius 1948, 200 nennt u. a. den Schatten als typisches Element des locus amoenus. Er sei ein „schöner, beschatteter Naturausschnitt.“

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Giovanni del Virgilio an Dante

Mopsus-Giovanni führt Tityrus sogleich als Sänger ein. Denn er nennt ihn metonymisch für seinen Gesang, den der Wind Mopsus zuträgt (litoris Adriaci resonantem Tytyron umbra / […] / retulit ipse michi flantis leve sibilus Euri, III 11–17). Der Hirte, der sich im Schatten an der Küste der Adria aufhält, scheint als resonans Tytyros selbst zu erklingen. Die metonymische Umschreibung setzt Sänger und Gesang gleich und suggeriert formal dessen erhabenen Charakter. Die gräzisierende Form des Namens Tytyron hat überdies eine antikisierende Wirkung.25 Die Figur Tityrus stilisiert Giovanni zudem vor dem Hintergrund der ersten vergilischen Ekloge. Denn motivisch und verbal erinnert seine Beschreibung an die Worte, mit denen in Vergils Ekloge Meliboeus Tityrus einführt: Nos patriam fugimus; tu, Tityre, lentus in umbra / formosam resonare doces Amaryllida silvas (Verg. Ecl. I 4 f.).26 Bei Vergil genießt Tityrus seine Muße im Schatten der Bäume und nutzt sie zu musikalischem Spiel. Giovanni beschreibt Tityrus-Dante zum Teil mit denselben Worten (litoris Adriaci resonantem Tytyron umbra, III 11). Das umbra an letzter Versposition sowie seine Verwendung von resonare als „erklingen“ sprechen für eine bewusste Parallele zu der Vergilstelle.27 Giovanni suggeriert, dass Tityrus-Dante sich in einer ähnlichen Situation befindet, wie der vergilische Tityrus und schreibt Dante auf diese Weise in die Tradition Vergils ein. Tityrus’ Darstellung als vergilischer Sänger wird zudem von der Beschreibung seines Aufenthaltsortes unterstrichen. Darin greift Giovanni sowohl inhaltlich als auch strukturell auf Dantes Epistel zurück. Dante hatte Mopsus-Giovannis Aufenthaltsort und dessen Gesang ebenfalls in demselben Vers (vgl. II 11) eingeführt und den Hirten mithilfe des locus amoenus-Motivs als Dichter der antiken Tradition charakterisiert.28 Giovanni platziert seine Ortsbeschreibung von Dantes Alter Ego in denselben Versen, wie Dante diejenige seines Alter Egos gesetzt hatte (III 11–17 entspricht II 11–17). So ist es nun Giovanni del Virgilio, der sich seinen Gesprächspartner Tityrus entwirft, wie Dante sich zuvor Mopsus als Gesprächspartner entworfen hatte. Wie in Dantes Epistel spielt die Ortsbeschreibung auch in Giovannis Epistel bei der bukolischen Profilierung seines Korrespondenten eine besondere Rolle. Giovanni verankert Dantes Alter Ego in der historischen Geographie. Denn Tityrus befindet sich an der Adriatischen Küste (litoris Adriaci resonantem Tytyron umbra, III 11). Dies liest sich als Hinweis auf Ravenna, wo sich Dante zum Zeitpunkt der Korrespondenz aufhält. Die historische Lokalisierung verwebt Giovanni sogleich wieder mit der fiktionalen Dimension, wenn er den Ort als einen bukolischen locus amoenus 25

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Vgl. Eitel 2014, 83. Bereits in seiner ersten Epistel hatte Giovanni Gräzismen verwendet und seiner Rede auf diese Weise einen besonders antikisierend gelehrten Ton verliehen (epyphebia regna beatis, I 4; Ante quidem cythara pandum delphyna movebis, / Davus et ambigue Sphyngos problemata solvet, / Tartareum presceps quam gens ydiota figuret, I 8–10). Vgl. Albanese 2014, 1734. Vgl. u. a. Eitel 2014, 83. Vgl. Albanese 2014, 1737.

Vergilische Klänge für Mopsus

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mit seinen traditionellen Elementen beschreibt. In dessen Gestaltung knüpft Giovanni weiter an Dantes Brief an, variiert jedoch im Sinne seines spezifischen Anliegens.29 Mopsus beginnt seine Beschreibung des Ortes mit der dichten Ordnung der Pinien, die die pascua beschatten (qua dense longo pretexunt ordine pinus / pascua, porrecte celo genioque locali, III 12 f.). Mit den pascua hatte auch Dante seinen locus amoenus eingeleitet (pascua sunt ignota tibi que Menalus alto, II 11). Während bei Dante der arkadische Berg Menalus die Wiesen beschattete, sind es bei Giovanni die Pinien. Sowohl Dante als auch Giovanni del Virgilio evozieren somit einen natürlich geschützten Raum. Den Schutz der Bäume drückt Giovanni in dem Prädikat pretexunt (III 12) aus, das Dantes tectus fronde saligna (II 14) motivisch und verbal aufgreift.30 Dieser hatte damit das mit Laub bedeckte Flüsschen beschrieben, das vom Menalus herabfließt und Mopsus’ Wiesen umringt. So wie bei Dante der Menalus mit seinem hohen Gipfel (Menalus alto / vertice, II 11 f.) charakterisieren Giovannis Pinien sich durch ihre Höhe (porrecte celo genioque locali, III 13), in der sie die Wiesen überschatten (pretexunt […] / pascua, III 12 f.). Mopsus beschreibt sie in weiten Ausmaßen: So sind sie nicht nur besonders hoch, sondern auch dicht und erstrecken sich zudem horizontal in die Weite (dense longo pretexunt ordine pinus, III 12). Der Ablativ longo ordine (III 12) hebt hervor, dass sie nicht beliebig, sondern in einer Ordnung stehen. Zugleich wird das Wachstum auf den lokalen Genius zurückgeführt, wenn Mopsus mit genioque locali (III 13) die in den Himmel ragende Natur der Bäume begründet. Tityrus’ Wiesen zeichnen sich in Giovanni-Mopsus’ Darstellung somit durch die Fülle der sie umgebenden Bepflanzung aus, die in ihrem üppigen Wachstum eine durch den Ort gegebene Ordnung einhält. Die natürliche Idylle, die Mopsus beschreibt, ist nicht wild, sondern durch eine natürliche Strukturierung charakterisiert. Den idyllischen Zustand unterstreichen weitere Intertextualitäten. So erinnert Mopsus’ Beschreibung von Tityrus’ Aufenthaltsort auch an das irdische Paradies in Dantes Purgatorio, das bereits Dante in seiner locus amoenus-Darstellung bemüht hatte. Giovanni wählt jedoch andere Elemente als Dante, um sie auf seine locus amoenus-Darstellung zu übertragen.31 So ist der Wald an Tityrus’ Ort wie in Dantes irdischem Paradies besonders dicht (qua dense longo pretexunt ordine pinus, III 12; La divina foresta spessa e viva, Pg. XXVIII 2). Die Bäume zeichnen sich in beiden Fällen durch ihren aufrechten Wuchs aus (pascua, porrecte celo genioque locali, III 13; Non però dal lor esser dritto sparte, Pg. XXVIII 13). Zudem werden die Bäume des irdischen Paradieses 29 30 31

Vgl. u. a. Petoletti 2016, 576. Petoletti 2016, 577 verweist zusätzlich auf Verg. Ecl. VII 12 f. und Georg. III 14 f. als mögliche Vorbilder für Giovannis Gestaltung des geschützten locus amoenus. Als konventionelle Elemente erscheinen in beiden Fällen zudem die duftende Blumenwiese (alida mirtetis et humi florentibus herbis, Ecl. III 16; Prendendo la campagna lento lento / su per lo suol che d’ogne parte auliva, Pg. XXVIII 5 f.) und der Schatten der Bäume (litoris Adriaci resonantem Tytyron umbra, Ecl. III 11; tutte quante piegavano a la parte, / u’ la prim’ ombra gitta il santo monte, Pg. XXVIII 11 f.).

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Giovanni del Virgilio an Dante

bei Dante mit den Pinien der Küste Ravennas verglichen, auf die sich auch Giovanni bezieht, wenn er Dantes aktuellen Aufenthaltsort Ravenna in bukolischer Chiffre darstellt (litoris Adriaci […] / qua dense longo pretexunt ordine pinus, III 11 f.; Tal qual di ramo in ramo si raccoglie / Per la pineta in sul lito di Chiassi, / Quand’ Eolo Scirocco fuor discioglie, Pg. XXVIII 19–21).32 An den locus amoenus aus Dantes Epistel erinnert Giovannis Beschreibung wiederum, wenn Blumen und Gräser die pascua von Tityrus’ Ort zieren (pascua […] / alida mirtetis et humi florentibus herbis, III 14). Während bei Dante die Vielfarbigkeit der Blumen im Vordergrund stand (herbarum vario florumque inpicta colore, II 13), ist es bei Giovanni del Virgilio der Duft, den sie zu der Lieblichkeit des Ortes beitragen (alida mirtetis et humi florentibus herbis, III 14). Des Weiteren vereinen Giovannis humi florentibus herbis (III 14) die herbarum florumque, die bei Dante zwei eigenständige Genitivattribute zur Farbe (herbarum vario florumque inpicta colore, II 13) bildeten. In Giovannis humi (III 14) klingt darüber hinaus das humilis an, mit dem Dante das Flüsschen beschrieben hatte ([…] humilis […] / […] / rorans alveolus, II 14–16). Wie Dante beendet Giovanni die Beschreibung des locus amoenus mit dem Wasser, dem Fluss Aries, der ins Meer strebt (quaque nec arentes Aries fluvialis arenas / esse sinit, molli dum postulat equora villo, III 15 f.). Der „fließende Widder“ (Aries fluvialis) ist dabei ein Wortspiel, das der Leser erst entziffern muss, indem er aries als das italienische montone übersetzt. Montone bezeichnet nicht nur das Tier, den Widder, sondern auch einen Fluss, der bei Ravenna in die Adria mündet.33 Die Nennung der Flussmetapher verankert den locus amoenus erneut in der historischen Geographie und im extradiegetischen Rahmen der Korrespondenz zwischen Giovanni del Virgilio und Dante. Giovanni verleiht ihr sogleich wieder eine figürliche Gestalt. So beschreibt Mopsus, wie das Fell des Widders nach dem Meer hinstrebt (molli dum postulat equora villo, III 16). In ähnlicher Weise hatte er die Nymphe Sarpina beschrieben, die den Fluss Savena mythologisch personifizierte und deren Haare den Flusslauf darstellten (III 1–3). Die Formulierung postulat equora (III 16) lässt wie schon im Fall der Flussnymphe sowohl die übertragene Lektüre als Widder als auch die konkrete Deutung als Fluss Montone zu und vereint beides zu dem Bild einer lebhaft strebenden Bewegung. Mit der eleganten Bildlichkeit seiner Wortwahl wählt Mopsus für die Beschreibung des locus amoenus ein hohes stilistisches Register.34 32

33 34

Vgl. Albanese 2014, 1733. Gmelin 1968, 437 hebt in seinem Kommentar zum Purgatorio hervor: „Am Meerstrande bei Ravenna, wo das antike Classis, heute Classe liegt, erstreckt sich ein großer Pinienwald, der mit seiner Feierlichkeit, seinen Lichtungen und seinen durchfließenden Kanälen Dante das Vorbild des Paradieswaldes gegeben hat.“ Vgl. u. a. Eitel 2014, 85. Petoletti 2016, 578 erkennt hier eine Anspielung auf das Goldene Vlies aus Ov. Met. VIII 1–158. Auf die Analogie der Gestaltung von Sarpina und Aries weist auch Eitel 2014, 85 hin. Die Bezeichnung des Montoneflusses als aries stellt zudem intertextuelle Bezüge zu Vergils vierter Ekloge her. In Vergils Beschreibung des Goldzeitalters erscheint der aries an gleicher Versposition und im Zu-

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Darüber hinaus hat der aries poetologische Implikationen. Denn das Flussrätsel kann nur durch die Übersetzung des lateinischen aries zum italienischen montone gelöst werden. Giovanni del Virgilio latinisiert den volkssprachlichen Begriff, um eine gelehrte Metapher zu entwerfen. Dieser Vorgang unterstreicht den gelehrten Anspruch, den er bereits in der ersten Epistel stark gemacht hatte. Indem Giovanni die Volkssprache eliminiert, nobilitiert er das niedere Stilregister und deutet so formal die poetologische Ansicht an, für die er Dante zu gewinnen sucht.35 Über Tityrus’ Ort lässt sich folglich festhalten, dass es sich um eine liebliche Ideallandschaft handelt, die einerseits mit derjenigen des irdischen Paradieses aus Dantes Commedia vergleichbar ist, andererseits mit dem locus amoenus, der gemäß Dante Mopsus selbst umgibt. Die descriptio loci von Tityrus’ Aufenthaltsort erscheint dabei als eine kurze Digression, da Mopsus eigentlich über die Melodie berichten will, die von Tityrus-Dante zu ihm herüberhallt.36 Wie Edmond Faral konstatiert, sind derartige descriptiones nicht als neutrale Beschreibungen, sondern stets in ihrer rhetorischen Funktion zu betrachten, die sie an ihrer jeweiligen Position erfüllen. So sind sie in poetischem Kontext oftmals als Lob- oder Tadelreden auf einen gewählten Gegenstand zu verstehen.37 Bereits in Dantes Epistel hatte sich gezeigt, dass er die descriptio des locus amoenus um Mopsus-Giovanni dazu verwendete, diesen als Vertreter der klassisch-antiken Dichtungstradition zu profilieren. Auch für die descriptio in Giovannis Epistel gelten diese rhetorischen Voraussetzungen. Da die Beschreibung der Ideallandschaft in dem Kontext steht, in dem Giovanni Tityrus’ Gesang darstellt, steht sie in Funktion seiner Charakterisierung. Wenn der Gelehrte Ravenna als locus amoenus inszeniert, den er mit intertextuellen Verweisen auf Dantes irdisches Paradies gestaltet, spielt er einerseits lobend auf Dantes Existenz als Dichter der Commedia an. Zum anderen markieren der bukolische Kontext der Epistel und die intertextuellen Bezüge zu Dantes und Vergils bukolischen loca amoena den locus amoenus um Tityrus als einen amönen Ort der vergilisch-bukolischen Tradition. Auf diese Weise deutet Giovanni mithilfe seiner Ortsbeschreibung auch die antike Tradition an, in die er Tityrus-Dante zu stellen gewillt ist. Die descriptio loci in Giovannis Epistel hat folglich sowohl eine ähnliche motivische Gestaltung als auch dieselbe strukturelle Position und epideikti-

35

36 37

sammenhang mit seinem natürlich rotgefärbten Fell (Verg. Ecl. IV 43). Der vergilische Hypotext unterstützt somit den paradiesisch-idyllischen Charakter des locus amoenus. Petoletti 2016, 578 weist darauf hin, dass Dante andererseits in Pg. VIII 134 und Par. XXIX 2 das Sternzeichen des Widders in der volkssprachlichen Variante Montone nennt. Dass Giovanni del Virgilio jegliche Thematisierung der Opposition von lateinischer Gelehrtensprache und dem volgare in seiner zweiten Epistel aufgegeben haben soll, ist daher nicht haltbar, wie es u. a. Combs-Schilling 2014, 30 festhält. Die digressio ist hier im mittellateinischen Sinn zu verstehen, wie sie u. a. Galfrid von Vinsauf als digressio a materia ad aliam partem materiae (d. h. einer Digression, die innerhalb des behandelten Themas abschweift) anführt (ibid. Documentum de arte versificandi II 2, 17–21). Siehe Fußnote III 67.

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Giovanni del Virgilio an Dante

sche Funktion wie bei Dante. Auf diese Weise nähert Giovanni die Orte um Tityrus und Mopsus aneinander an und suggeriert eine Kontinuität zwischen der Welt des Tityrus und der seines eigenen Alter Ego. Die Kontinuität besteht zum einen in der offensichtlichen Ähnlichkeit der beiden Orte. Zum anderen stehen die Landschaften in Giovannis Inszenierung für dieselben poetologischen Werte. Tityrus und Mopsus erscheinen beide an ihren loca amoena als Dichter antiker Tradition. Sie trennt allein eine geographische, keine ideelle Distanz. Nach dem Exkurs über Tityrus’ Aufenthaltsort kehrt der Fokus der Erzählung zu Mopsus zurück. Der beschreibt, wie das Säuseln des leicht wehenden Ostwindes Tityrus’ Melodie zum ihm herübergetragen hat (retulit ipse michi flantis leve sibilus Euri, III 17). Die Melodie stellt eine Verbindung zwischen Tityrus und Mopsus her. Der Wind fungiert als Bote, der Tityrus’ Gesang zu Mopsus trägt. Giovanni profitiert von der Mehrdeutigkeit des Prädikats retulit (III 17), das zum einen den konkreten Akt des Tragens oder Bringens ausdrückt, zum anderen das Überbringen einer Nachricht, die Handlung des Berichtens oder auch des dichterischen Antwortens.38 Das Säuseln des Windes kann somit rein akustisch die Übertragung der Melodie ausdrücken. Zugleich wird der personifizierte Eurus zum Boten der Nachricht, die Tityrus-Dante Mopsus-Giovanni zukommen lässt. In der Beschreibung des idyllischen Herkunftsortes deutet sich dabei die liebliche Qualität der Botschaft an (III 11–16), und auch das Adverb leve (III 17), das das Wehen des Windes charakterisiert, legt nahe, dass es sich bei dem resonantem Tytyron (III 11) um eine zarte Melodie handelt, die Mopsus’ Landschaft erreicht.39 Wenn Mopsus Tityrus’ Melodie erreicht, beschreibt Giovanni in bukolischer Chiffre, wie er den Brief von Dante erhalten hat. Im Vergleich zu Dantes Epistel fällt auf, dass Giovanni den Rezeptionsvorgang von Dantes Botschaft in die bukolische Fiktion seines Briefes verlegt. Dante hatte seine erste Lektüre von Giovannis Schreiben gleich zu Anfang seiner Epistel genannt und erst daraufhin die bukolische Fiktion eingeführt (vgl. II 1–4). In Giovannis zweiter Epistel hingegen ist bisher kein expliziter Bezug zu der extradiegetischen Ebene der Korrespondenz erkennbar. Der Gelehrte verbirgt auf diese Weise den hybriden Charakter seines Schreibens, das eigentlich Brief und bukolische Dichtung zugleich ist, zugunsten der bukolischen Dichtung. Wenn er an dieser Stelle zum ersten Mal auf die Kommunikationssituation eingeht, fügt er dies nahtlos in die bukolische Fiktion ein und bewahrt so die formale Einheit des bukolischen Gedichts. Tityrus und Mopsus erscheinen in der Fiktion als Hirten, die in dem beschriebenen Moment über ihre Musik miteinander in Kontakt stehen.40

38 39 40

OLD s. v. refero 1; 12 d; 13 d. U. a. Petoletti 2016, 578 identifiziert leve als unklassische Form des Adverbs. Auch Albanese 2014, 1732 weist darauf hin, dass Giovanni hier die Ankunft der Nachricht in die Fiktion legt wird. Sie führt es auf Dantes Epistel zurück (II 55 f.), in der er ebenfalls Tityrus’ Lek-

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Vergilische Klänge für Mopsus

Daraufhin beschreibt Mopsus die Umstände an seinem Ort, als Tityrus’ Nachricht eintrifft. Den idyllischen Ton, mit dem er dessen Aufenthaltsort beschrieb, prägt dabei auch die Stimmung an seinem Ort. quo vocalis odor per Menala celsa profusus balsamat auditus et lac distillat in ora, quale nec a longo meminerunt tempore mulsum custodes gregium, quanquam tamen Archades omnes. Archades exultant audito carmine Nymphe pastoresque, boves et oves hyrteque capelle arrectisque onagri decursant auribus ipsi; ipsi etiam Fauni saliunt de colle Licei.

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25 [III 18–25]

Mopsus legt dar, wie seine Umgebung Tityrus’ Gesang wahrnimmt. Er beschreibt, wie Tityrus’ Gesang über den Menalusberg strömt, dem Gehör schmeichelt und als Milch in die Münder träufelt. Der Gesang sei von einer Qualität gewesen, die die Hüter der Herden an Mopsus’ Ort seit langem nicht mehr vernommen hätten, obwohl sie doch Arkader seien. Die Arkader, die Nymphen, die Hirten und ihr Vieh vernehmen den Gesang mit Jubel und die Esel stürzen mit aufgestellten Ohren herbei. Die Faune springen vom lyceischen Hügel herab. Fast unmerklich schwenkt die Erzählung von dem Ort der Produktion zum Ort der Rezeption des Gesangs. Einziges Erkennungsmerkmal von Mopsus’ Ort ist das Menalus-Gebirge (Menala celsa, III 18). Dante hatte es in seiner Epistel als prominentes Element an Mopsus’ Aufenthaltsort eingeführt (vgl. II 11). Giovanni übernimmt die Rahmenbedingungen, die Dante in seiner bukolischen Inszenierung vorgenommen hatte, und identifiziert seine Umgebung entsprechend als Arkadien, das in Vergils Eklogen als bukolische und poetische Ideallandschaft gilt.41

41

türe des Briefes in die Fiktion legte, und verkennt den Kontrast zu Dantes Inszenierung seiner Epistel. Albanese 2014, 1736 führt die Beschreibung Arkadiens auf Vergils achte und zehnte Ekloge zurück, aus denen Giovanni del Virgilio die charakteristischen Merkmale übernehme (Verg. Ecl. VIII 22– 24; X 14 f.). Darüber hinaus deutet sie hier zum Teil nicht zwei unterschiedliche loca amoena, sondern hält die arkadische Umgebung für eine erweiterte Beschreibung Ravennas, das nun von der historischen Dimension in die literarische übertragen wird. Diese Interpretation halte ich für unwahrscheinlich, da der Menalus in Dantes Epistel dezidiertes Merkmal von Mopsus’ Aufenthaltsort ist und dieser im Gegensatz zu Tityrus an diesem Idealort der klassischen Dichtung und Dichtungsrezeption gezeichnet wird. Giovannis rhetorisches Ziel ist es eben, seinen Ort als diesen poetischen Idealort zu beschreiben und Dante-Tityrus unter diesen Vorzeichen zu sich zu locken. Dafür, dass die Beschreibung Arkadiens sich hier auf Mopsus’ Umgebung bezieht, spricht nicht nur die Parallele zu Dantes Beschreibung von Mopsus’ locus amoenus, sondern auch innerhalb von Giovannis Ekloge finden sich Hinweise darauf. So zählte er die Hirtentiere, die nun Tityrus’ Gesang lauschen (III 23), in derselben Reihenfolge bereits an anderer Stelle als Teil seiner Landschaft

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Giovanni del Virgilio an Dante

Den fließenden Übergang von Tityrus’ zu Mopsus’ Ort unterstützt auch die Erzählperspektive. Tityrus’ Nachricht steht im Zentrum des Absatzes, die als klangvoller Duft über das Menalus-Gebirge hinwegströmt, das Gehör streichelt und schließlich als Milch in die Münder träufelt (quo vocalis odor per Menala celsa profusus / balsamat auditus et lac distillat in ora, III 18 f.). Zuvor war sie als klangliches Objekt genannt, das der Wind zu Mopsus herüberweht (vgl. III 11–17).42 Nun wird die Nachricht zum Subjekt, das sich als Klang und als Duft an Mopsus’ Ort ausbreitet, und sich schließlich in den Zustand von Milch verflüssigt. Die Subjektposition hat zur Folge, dass der Leser die Perspektive der Nachricht verfolgt, die, nachdem sie Tityrus’ locus amoenus verlassen hat, nun auch Mopsus’ Umgebung mit ihrer lieblichen Form erfreut. So wie sie ein passendes Produkt aus Tityrus’ locus amoenus ist, erscheint sie auch als passendes Rezeptionsobjekt in Mopsus’ Idyll. Mit der Beschreibung von Tityrus’ Dichtung stellt Giovanni dabei auch eine stilistische Kontinuität zum bisherigen Verlauf der Korrespondenz her. So nennt er Tityrus’ Gesang in den verschiedenen Sinnesformen, wenn er von einem klingenden Duft spricht, der das Gehör balsamiert und als Milch in die Münder der Zuhörer träufelt (quo vocalis odor per Menala celsa profusus / balsamat auditus et lac distillat in ora, III 18 f.). Auch Dante hatte im zweiten Brief die Dichtung mithilfe verschiedener Sinnesformen beschrieben. Er beschränkte sich jedoch vor allem auf die Milchmetaphorik. So nannte er Giovannis Brief eine aus der Musenbrust gemolkene Melodie (vgl. II 2) und nach der missglückten Dichterweihe beschrieb er Mopsus-Giovanni als voll von wohlklingender Milch (vgl. II 31 f.). Giovanni übernimmt Dantes Dichtungsmetaphorik, baut das Themenfeld jedoch weiter aus. So kombiniert er nicht nur die Milch mit der akustischen Dimension wie Dante (lac canorum, II 31), sondern fügt die akustische mit der olfaktorischen Dimension zusammen, wenn er Tityrus’ Nachricht als einen klingenden Duft (vocalis odor, III 18) lobt.43 Die übertragene Bezeichnung der Botschaft als Duft (odor, III 18) ermöglicht Giovanni eine variatio von Dantes Metaphorik, die sich in den Kontext seiner narratio einpasst. Denn sowohl als Duft als auch als Klang kann die Botschaft vom Wind Eurus von einem Ort zum anderen getragen werden (vgl. III 17), ohne dass die Logik der Metapher gestört wird.44 Dabei unterstreicht die Bezeichnung als odor die liebliche Qualität des Gesangs, die im Anschluss durch das Prädikat balsamat (III 19) weiter unterstrichen wird. Mit dem Adjektiv voca-

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auf (III 4 f.). Zudem lockt Mopsus später Tityrus gerade durch das arkadische Publikum, das ihm an seinem Ort zuhören würde (vgl. III 67 f.). Vgl. Albanese 2014, 1735. Albanese 2014, 1735 f. erkennt für die Formulierung vocalis odor zudem eine Parallele in Dantes Purgatorio. In Canto XXI spricht Statius Tanto fu dolce mio vocale spirito (Pg. XXI 88). Jedoch ist hier nur von einem klingenden Geist, nicht von einem klingenden Geruch die Rede. Petoletti 2016, 578 weist auf Verg. Ecl. V 82 hin. Dass Giovanni den Auster durch den Eurus ersetzt, ist den geographischen Verhältnissen geschuldet. Er muss den Ostwind wählen, da die Botschaft von Ravenna aus dem Osten nach Bologna weht.

Vergilische Klänge für Mopsus

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lis greift Giovanni wiederum einen Begriff aus seiner ersten Epistel auf, mit der er sich selbst als stimmvoller Diener Vergils bezeichnet hatte (vocalis verna Maronis, I 36).45 Er weist Tityrus-Dantes Gesang folglich dasselbe Attribut zu wie sich selbst. So legt er erneut die Nähe der beiden Dichter nahe. Zugleich deutet der intertextuelle Bezug an, inwiefern Giovanni Dantes Dichtung schätzen will, nämlich als Dichtung, die Vergil verpflichtet ist (vocalis verna Maronis, I 36). Trotz der Kontinuität der Metaphorik, die Giovanni in seinem dritten Brief wählt, unterscheidet sie sich von derjenigen der vorangehenden Briefe. Denn Giovanni wird in der dritten Epistel expliziter und eindeutiger in seiner Bewertung. Erkennbar ist dies beispielsweise an dem Prädikat balsamat (III 19). Giovanni drückt damit Ähnliches aus wie die Prädikate, mit denen er und Dante in den vorangehenden exordia jeweils die Wirkung des Gesanges ihres Korrespondenten gezeichnet hatten. Im ersten Brief hatte Giovanni von mulces (I 2) gesprochen, um zu betonen, dass Dante mit seinen Gesängen die Welt streichele. Dante wiederum lobte Giovannis Botschaft in ambivalenter Weise als eine aus der Musenbrust gemolkene Melodie (Pyerio demulsa modulamina, II 2). Giovannis balsamat auditus (III 19) im dritten Brief hat ähnlich lobenden Charakter. Es unterscheidet sich dennoch von den vorangehenden Verbalformen mulces und demulsa. Denn bei balsamat (III 19) handelt es sich nicht wie bei dem mulces (I 2) um eine rhetorisch standardisierte Metapher zum Ausdruck wohlgestalteter Dichtung, sondern es ist als bildliches Sprechen erkennbar. Von Dantes demulsa (II 2) unterscheidet es sich wiederum, da demulsa (II 2) nicht direkt den Effekt, sondern die gemolkene Beschaffenheit der Dichtung bezeichnet und somit nur indirekt ihren angenehmen Effekt angedeutet hatte. Diese Uneindeutigkeit war bei Dante wichtig, da jedes Lob an Giovannis Dichtung zugleich eine kritische Haltung implizierte. Das balsamat (III 19) hingegen, mit dem Giovanni die Wirkung von Dantes Dichtung auf seine Zuhörer beschreibt, passt sich in die bukolische Fiktion ein und ersetzt dabei die rhetorische Standardmetaphorik, die den Effekt formvollendeter Dichtung ausdrückt. Dabei positiviert Giovanni Begriffe und rhetorische Elemente, die Dante ambivalent formulierte, zu einem eindeutigen Lob. Dieser Unterschied zu Dantes Metaphorik lässt sich in Giovannis Beschreibung von Tityrus’ Gesang weiter beobachten. So wird Tityrus’ vocalis odor (III 18), der das Gehör seines Publikums balsamiert (balsamat auditus, III 19), schließlich zur Milch, die in die Münder träufelt (lac distillat in ora, III 19). Das Bild assoziiert nicht nur Dantes exordium, sondern auch dessen Beschreibung von Mopsus’ Dichterweihe. Dort zeichnete er Mopsus als vollgetränkt an klangreicher Milch und spielte auf seine übermäßige dichterische Inspiration an (lacte canoro / viscera plena ferens, II 31 f.).46 Der von Milch volle 45 46

Vgl. Albanese 2014, 1736. Außerdem verweist sie auf die Parallele zu Pg. XXI, wo Statius’ die Rezeption seiner Dichtung als einen dolce vocale spirito bezeichnet, für die er zum Lorbeer nach Rom gerufen wird (Pg. XXI 88–90). Vgl. Petoletti 2016, 579.

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Giovanni del Virgilio an Dante

Zustand hatte dabei den zwiespältigen Charakter körperlicher Überfüllung. Giovanni verfeinert im dritten Brief diese Darstellung. Denn auch hier wird Dichtungsmilch verabreicht. Jedoch nicht in rauen Mengen, sondern die Milch tröpfelt in die Münder des Publikums (lac distillat in ora, III 19). Die geringe Menge und die träufelnde Handlung assoziieren die poetische Milch als eine feine Kostbarkeit. Damit steht Giovannis Bild in Kontrast zu Dantes viscera plena ferens (II 32), das die Milch in der übermäßigen Menge entwertete. Auch verschiebt Giovanni den körperlichen Fokus von dem unmäßig prall gefüllten Bauch auf den Mund (in ora, III 19). Während Dante die unglückliche Verdauung betonte, stellt Giovanni die Münder in den Vordergrund. Damit bewahrt der Gelehrte einen engeren Bezug seiner Metapher zur Dichtung. Denn der Mund, der hier Ort der geschmackvollen Rezeption ist, steht normalerweise als stimmliches Produktionsorgan mit Dichtung und Gesang in einem direkten Assoziationszusammenhang. Giovanni fügt die Milchmetapher somit in den idyllisch-lieblichen Kontext seiner Hirtenwelt ein und befreit sie von der Ambivalenz, die ihr bei Dante anhaftete. Für Giovannis Darstellung von Tityrus-Dantes Nachricht lässt sich folglich festhalten, dass er metaphorische Strukturen aus Dantes Epistel aufgreift, diese aber zu einem eindeutigen Lob variiert. Der fließende, fast unmerkliche Übergang des süßen Klangs von Tityrus’ Idyll in Ravenna zu Mopsus’ arkadischem Bologna suggeriert zudem eine Ähnlichkeit der beiden Orte, die beide mit der lieblichen Musik kompatibel sind. So inszeniert Giovanni in poetischer Form eine Kohärenz und Kompatibilität zwischen Dante und sich sowie ihrer Vorstellungen von Dichtung. Nachdem Mopsus nachgezeichnet hat, wie Tityrus’ Musikspiel an seinem Ort ankommt (III 18–21), beschreibt er daraufhin die Rezeption der Musik an seinem Ort (III 20–25). Dabei stellt er Tityrus’ Spiel zunächst mit der bisherigen Dichtungstradition seines Ortes in Relation. So beteuert Mopsus, dass eine solche Dichtung lange nicht mehr in seiner Welt vernommen worden sei (quale nec a longo meminerunt tempore mulsum, III 20). Diejenigen, die Tityrus’ Gesang hören, sind die arkadischen Hirten in Mopsus-Giovannis Umfeld (custodes gregium, quanquam tamen Archades omnes, III 21). Wie die zuvor genannten Figuren Nisa und Alexis (III 8) sind sie aus den vergilischen Eklogen bekannt, in denen sie als Experten des Gesangs erscheinen. Wenn die arkadischen Hirten nun Tityrus’ Gesang loben, tun sie dies mit ihrer Erfahrung als Experten der vergilischen Dichtung. Sie erkennen Tityrus-Dante als einen Sänger an, der den damaligen Gesängen ebenbürtig ist.47 Giovanni gesteht Dantes Dichtung folglich zu, mit seiner Bukolik das Niveau des antiken Modells Vergil zu erreichen. Indem er anstatt seiner eigenen Figur Mopsus das Kollektiv der vergilischen Arkader auf Tityrus’ Gesang lobend reagieren lässt, verleiht er diesem positiven Urteil Gewicht und legitimiert es zudem mit vergilischen Autoritäten. Nicht nur über Tityrus-Dantes Sängerprofil sagt diese Inszenierung etwas aus, sondern auch über Mopsus-Giovanni

47

Vgl. Petoletti 2016, 580.

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selbst. Denn mithilfe der Arkader weist der Gelehrte erneut den Kontext von Vergils Eklogen als Hintergrundwelt seiner bukolischen Figur aus. Dadurch schreibt er auch sich selbst in diese Tradition ein und verdeutlicht zudem den Maßstab, an dem in seiner Welt Dichtung bewertet wird, nämlich an ihrem Verhältnis zu ihrem antiken Modell Vergils. Neben den Arkadern nennt Mopsus weitere entzückte Zuhörer von Tityrus’ Gesang: Nymphen, Hirten, Rinder, Schafe und Ziegen (Archades exultant audito carmine Nymphe / pastoresque, boves et oves hyrteque capelle, III 22 f.). Giovanni greift das Personal auf, das bereits zu Beginn des Briefes seine idyllische Umgebung bevölkerte. So zählte er die boves et oves hyrteque capelle (III 22) in identischer Reihenfolge die Tiere auf, als sie Mopsus’ Höhle umgaben (iuvenci, / mollia carpebant agne, dumosa capelle, III 4 f.). Auch eine Nymphe hatte Mopsus-Giovanni zu Anfang genannt, als er den Fluss Sarpina als kecke Flussnymphe bezeichnet hatte (vgl. III 3). Giovanni knüpft seine bukolische Welt weiter an Vergils Bukolik an, wenn er die vergilischen Arkader an die Spitze des von ihm bereits erwähnten Personals stellt. Dabei strukturiert er die Verse so, dass jeweils die mythologischen Figuren, Arkader und Nymphen, von den einfachen bukolischen Figuren, den Hirten und ihren Tieren, durch den Vers getrennt werden. So bringt er formal eine Bewertungshierarchie des Personals zwischen erhabenem und einfachem Publikum zum Ausdruck (Archades exultant audito carmine Nymphe / pastoresque, boves et oves hyrteque capelle, III 22 f.).48 Mopsus erwähnt noch weiteres Publikum von Tityrus’ Dichtung. Denn auch Waldesel und Faunen kommen herbeigeeilt, um Tityrus’ Gesang zu vernehmen (arrectisque onagri decursant auribus ipsi; / ipsi etiam Fauni saliunt de colle Licei, III 24 f.). Die onagri fallen auf, da sie nicht zum traditionellen Inventar der vergilischen Bukolik gehören. Darüber hinaus gelten sie nach antiker Tradition als unmusikalische Wesen.49 Sie erscheinen somit innerhalb des Idylls, das Giovanni bisher als vergilische Sängerlandschaft inszenierte, als Fremdkörper. Die Faunen hingegen, die leichtfüßig vom Hügel herabspringen, sind als mythologisches Personal und Rezipienten von Gesang durch die vergilischen Eklogen legitimiert (ipsi etiam Fauni saliunt de colle Licei, III 25). Die Nennung des lyceischen Hügels lokalisiert den Ort erneut in Arkadien und bestätigt den in vergilischer Manier idealisierten Kontext.50 Tityrus’ Gesang zieht folglich ein sehr unterschiedliches Publikum an, das von dem bukolischen Standardpersonal über mythologische Figuren reicht, die sich traditionell durch ihr musikalisches Verständnis auszeichnen und als vergilisches Personal be-

48 49 50

Zur bukolischen Ideallandschaft, deren arkadischem Personal und ihren Tieren bei Vergil, siehe Schönbeck 1962, 35–37. Vgl. Eitel 2014, 87; Petoletti 2016, 581. Albanese 2014, 1737 verweist für onagri auf Verg. Georg. III 409, die dort als hapax in Vergils Oeuvre erscheinen. Zu den Faunen Verg. Ecl. VII 27 f. Vgl. Petoletti 2016, 581. Zum lyceischen Hügel vgl. u. a. Eitel 2014, 88.

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Giovanni del Virgilio an Dante

kannt sind. Zum anderen zieht es auch ein unvergilisches Publikum an, das sich durch seine musikalische Ignoranz auszeichnet. Auf diese Weise bildet der Gelehrte in der bukolischen Allegorie das doppelte Publikum ab, das Dante mit seiner Dichtung anspricht, wie er es selbst in seiner vorherigen Epistel postuliert hatte: die Ungebildeten, die sich verständnislos durch den Klang verzaubern lassen, sowie die gelehrten Kenner. Sie alle nehmen voller Freude Tityrus’ Gesang wahr. Der Effekt, den Mopsus-Giovanni Tityrus-Dantes’ Gesang zugesteht, knüpft dabei wiederum intertextuelle Bezüge zu Vergils Bukolik und Dantes Epistel. Denn einerseits beschreibt Vergil in der achten Ekloge ein ähnlich diverses Publikum, das staunend den singenden Hirten lauscht und gesteht diesen so einen orphischen Effekt zu.51 Dies ist andererseits aus Dantes Epistel bekannt, der Mopsus-Giovanni als orpheusgleichen Dichter inszeniert hatte, bei dessen Gesang auch wilde Tiere herbeieilen (placatique ruant campis de monte leones, II 22). Giovanni inszeniert in der narratio seines Briefes Tityrus’ Gesang und dessen Wirkung auf Mopsus’ Umwelt in entsprechender Weise. So suggeriert der Gelehrte, dass Tityrus’ und Mopsus’ Gesang denselben orphischen Effekt in seiner Umgebung hervorrufen würden. Auf diese Weise unterstreicht Giovanni erneut die Ähnlichkeit zwischen den beiden Dichtern. Zudem deutet er an, dass sich an seinem Aufenthaltsort ein Publikum befinde, das Tityrus-Dantes Dichtung angemessen zu würdigen wisse. Einen Bogen über alle drei bisherigen Briefe spannt Giovanni mit der Inszenierung der Anerkennung, die Tityrus entgegengebracht würde. So erinnert das exultant (III 22), mit dem Tityrus’ Gesang bei Mopsus aufgenommen wird, an den Jubel, den sowohl Giovanni in seiner ersten Epistel für Dantes epische Dichtung vorausgesagt hatte (vgl. I 37 f.), als auch Dante sich selbst in seiner zweiten Epistel (vgl. II 39 f.). Während Giovanni in der ersten Epistel diese Anerkennung noch in der Futurform in Aussicht stellte (delectabor, I 37) und Dante nur hypothetisch von einem solchen Jubel sprach (Quantos balatus colles et prata sonabunt, II 39), entwirft der Gelehrte diesen in der bukolischen Fiktion des dritten Briefes nun im Präsens (exultant, decursant, III 22–24). Tityrus-Dantes Botschaft wird von den Bewohnern in Mopsus-Giovannis arkadischer Landschaft gefeiert. Giovanni stellt Dantes Verehrung, die er ihm zuvor in Aussicht gestellt hatte (vgl. I 35–40), somit als eintretendes Ereignis greifbar dar. So deutet er zudem an, in Dantes Epistel ein Zugeständnis an sein Angebot der Lorbeerkrone in Bologna zu erkennen und damit an die antikisierenden poetologischen Bedingungen, an die er diese Auszeichnung knüpfte. In der narratio seines Briefes vermittelt Giovanni del Virgilio folglich einerseits ein bestimmtes Bild seines Adressaten Dante. Er stilisiert ihn als orpheusgleichen Sän51

In der achten Ekloge werden die Hirten Alphesiboeus und Damon in der arkadischen Landschaft beschrieben, deren Gesang die Kuh, die Luchse und die Flüsse beeindrucken (Verg. Ecl. VIII 1–4). U. a. Albanese 2014, 1732 stellt fest, dass sich Giovanni an den Orpheus-Mythos anlehnt, wenn er die Effekte von Tityrus’ Gesang beschreibt.

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ger vergilischer Tradition, dessen Gesang in Mopsus’ Arkadien seine begeisterte Rezeption findet. Andererseits impliziert der Gelehrte zugleich sein eigenes poetisches Profil. Denn mit der Beschreibung seines Alter Ego und Tityrus als Sängerhirten an den bukolischen loca amoena präsentiert er in performativer Weise sein eigenes Bestreben nach einer klassisch-antiken Vergil-imitatio, von der er Dante zu überzeugen sucht. Im Vergleich zu Dantes bukolischer Inszenierung fällt dabei auf, dass Dante die zwei Lebenswelten der Hirten Mopsus und Tityrus unterschiedlich beschrieb, um den Kontrast zwischen den beiden Dichtern und ihren poetologischen Standpunkten zu demonstrieren. Giovanni hingegen stellt die Kompatibilität zwischen Tityrus und Mopsus und ihrer beiden Lebensräume dar, um Dante auf diese Weise von seinem poetologischen Standpunkt zu überzeugen.52 Nachdem Giovanni die Reaktionen der Hirten und Tiere seiner arkadischen Umgebung auf Tityrus’ Gesang beschrieben hat, steht im letzten Teil der narratio (III 26–32) seine eigene Person im Zentrum. Mopsus führt ein Selbstgespräch, in dem er seinen poetologischen Konflikt mit Tityrus über stilus gravis und stilus humilis thematisiert. Giovanni lässt sein Alter Ego explizit über sein Dichterprofil reflektieren und sich gegenüber Tityrus-Dante positionieren. Auf diese Weise legt er die poetologischen Vorzeichen offen, unter denen sein eigener Gesang zu verstehen ist. Et mecum: „Si cantat oves et Tityrus hyrcos aut armenta trahit, quianam civile canebas urbe sedens carmen? Quando hoc Benacia quondam pastorale sonans detrivit fistula labrum, audiat in silvis et te cantare bubulcum!“. Nec mora; depostis calamis maioribus inter, arripio tenues et labris flantibus hysco:

30

[III 26–32]

In Reaktion auf Tityrus’ bukolisches Lied fragt sich Mopsus, warum er selbst noch in der Stadt ein städtisches Lied singt. Da Tityrus-Dante auf der vergilischen Flöte ein Hirtenlied anstimmte, will er nun auch in den Wäldern das Lied eines Rinderhirten singen. So entschließt er sich, die größeren Blasrohre vorübergehend abzulegen, sie durch die zarteren zu ersetzen und einen Gesang anzustimmen. In diesem letzten Teil der narratio thematisiert Giovanni den Stilkonflikt, den er in seinem ersten Schreiben an Dante dargelegt hatte.53 Mopsus identifiziert Tityrus’ Gesang zunächst als bukolisch. Denn er beschreibt einerseits, dass Tityrus’ Gesang die bukolischen Tiere, Schafe, Ziegen und Rinder, folgen (Si cantat oves et Tityrus hyrcos / aut armenta trahit, III 26 f.). Seine wunderbare Musik, die Menschen, Tiere und

52 53

Vgl. Krautter 1983, 40. Vgl. Albanese 2014, 1739.

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Giovanni del Virgilio an Dante

mythologische Wesen an Mopsus’ Ort verzückte, hat somit auch eine Funktion innerhalb der Hirtentätigkeit. Mopsus spricht über Tityrus somit erstmals nicht nur als Sänger, sondern auch als Hirte. Dabei ähnelt die Darstellung erneut Dantes Epistel, der Mopsus gezeigt hatte, wie er mithilfe seines Gesanges mühelos seine Tiere hütet (inde per inflatos calamos interna recludit / gaudia sic ut dulce melos armenta sequantur, II 20 f.). Abermals stellt Giovanni folglich zwischen der Inszenierung seines eigenen und Dantes Alter Ego eine Kontinuität her. Trotz der Ähnlichkeiten thematisiert Giovanni erstmals einen Unterschied zwischen Mopsus und Tityrus. Denn Tityrus zeichnet sein Gesang als bukolischen Sängerhirten aus. Mopsus hingegen präsentiert sich als städtischer Sänger (quianam civile canebas / urbe sedens carmen?, III 27 f.). Die Gegenüberstellung zwischen dem ländlichen Sänger Tityrus und dem städtischen Sänger Mopsus überrascht zunächst, hatte sich doch Mopsus zu Beginn als Waldbewohner vorgestellt, der zu den städtischen Juristen in Opposition steht (vgl. III 6 f.). Nun behauptet er, es sei erst der bukolische Gesang seines Korrespondenten, der ihn zu dem Entschluss gebracht habe, im Wald das Lied eines Rinderhirten zu singen (Quando hoc Benacia quondam / pastorale sonans detrivit fistula labrum, / audiat in silvis et te cantare bubulcum!, III 28–30).54 Giovanni del Virgilio führt hier einen logischen Widerspruch in seine bukolische Fiktion ein, der in Funktion seiner poetologischen Aussageintention zu deuten ist. Zunächst bleibt festzuhalten, dass Giovanni del Virgilio die beiden konträren Sängerprofile in den Gegensatz zwischen Stadt und Land übersetzt, der in antiker Tradition aus Vergils Bukolik und der römischen Liebeselegie bekannt ist.55 Demnach steht das Land für eine einfache, auch rohe Existenz, die Stadt hingegen für eine raffiniertere, elegantere, auch teurere Lebensform. Der Gelehrte repräsentiert folglich die Opposition zwischen dem episch-erhabenen und dem niedrig-bukolischen bzw. komischen Stil mithilfe des klassisch-antiken Motivs. Wenn er auf diese Weise die poetologische Meinungsverschiedenheit zwischen sich und Dante in bukolischer Chiffre beschreibt, werden zunächst dieselben Kategorien und Wertmaßstäbe erkennbar, die Giovanni in seiner ersten Epistel proklamiert hatte. Das carmen civile entspricht der epischen Gattung, die er Dante in seiner ersten Epistel vorgeschlagen hatte (I 26–29). Dante sollte die rezenten politischen Auseinandersetzungen besingen und damit die Leiden der städtischen Bevölkerung lindern (Tange chelim, tantos hominum compesce labores!, I 44). Eine solche Dichtung verband er direkt mit der bürgerlichen Politik 54

55

Das Adjektiv Benacius ist Giovanni del Virgilios Neuschöpfung auf der Basis des Benacus. Dabei handelt es sich um den antiken Namen des Gardasees, von dem der Fluss Mincius abgeht, der wiederum die Seen um Vergils Heimatstadt Mantua speist. Insofern wird erneut eine Flussmetonymie herangezogen, die den Dichter der betreffenden Flussregion bezeichnet. Auch in der Aeneis findet sich die Verbindung zwischen Benacus, Mantua und Mincius (Verg. Aen. X 201–206). Überdies erscheint es in Inf. XX, wenn Vergil von seiner Heimatstadt Mantua erzählt (Dante Inf. XX 76–78). Vgl. Albanese 2014, 1739. Vgl. Fußnote IV 19.

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der Stadtstaaten. Die Gattungen, in denen staatstragende Angelegenheiten poetisch zu verhandeln seien, sind traditionell das Epos und die Tragödie.56 Diese poetologischen Kategorien verbergen sich hinter Giovannis Begriff des carmen civile. Damit steht das Adjektiv civile in Kontrast zur bukolischen Gattung, die die persönlichen, privaten Belange der Hirtenfiguren thematisiert.57 Wenn Giovanni Tityrus’ Gesang als bukolisch beschreibt, spielt er einerseits auf den stilus humilis von Dantes Dichtung an, den der Gelehrte in seinem ersten Brief kritisiert hatte. Andererseits betrifft dies auch die konkrete Epistel, die Dante Giovanni gesendet hatte, die ja als bukolisches Gedicht abermals dem stilus humilis zuzuordnen ist. Dass Tityrus’ Dichtung dem stilus humilis zuzuordnen ist, impliziert Giovanni auch mithilfe von Intertextualitäten. So ist das Prädikat detrivit (III 29), mit dem er Tityrus-Dantes Spiel auf der bukolischen Flöte bezeichnet, in zweierlei Hinsicht auffällig (vgl. III 28 f.). Denn das Verb repräsentiert zum einen in Vergils zweiter Ekloge die einfache Hirtenmusik. Dort bittet der Hirte Corydon seinen Liebling Alexis, er möge sich nicht schämen, das Lippchen an der Hirtenflöte aufzureiben und verwendet dafür das Verb triuisse (Verg. Ecl. II 34). Zum anderen stellt Giovannis detrivit einen intertextuellen Bezug zu Dantes Epistel her. Dieser hatte Giovannis stilistische Kritik an seiner Commedia als Tadel der gewöhnlichen Worte (verba trita, II 53 f.) wiedergegeben. In dem Partizip trita vereinte Dante sowohl Giovannis Kritik an der Sprachform des volgare als Sprache des gemeinen Volkes als auch die Kritik, die dieser an dem stilus comicus bzw. humilis ausübte, den er mit dem volgare gleichsetzte.58 Auch hier repräsentierte das Verb terere folglich einen Gesang des stilus humilis. Wenn Mopsus an dieser Stelle hervorhebt, dass er selbst ein carmen civile gesungen habe, Tityrus ihn nun jedoch zu seiner pastoralen Dichtung überreden würde, beschreibt Giovanni damit folglich die unterschiedlichen Dichtungskonzepte des stilus gravis und des stilus humilis, die er und Dante bisher verfolgten.59 Dabei zitiert er dieselben Kategorien und Hierarchien zur poetologischen Bewertung, die er bereits in 56

57 58 59

So erläutert Servius beispielsweise die recusatio der epischen Dichtung in Vergils sechster Ekloge: DEDVCTVM DICERE CARMEN tenue […] idest bucolicum. sane ‚cum canerem reges et proelia‘ et ‚deductum dicere carmen‘ quidam volunt hoc significasse Vergilium, se quidem altiorem de bellis et regibus ante bucolicum carmen elegisse materiam, sed considerata aetatis et ingenii qualitate mutasse consilium et arripuisse opus mollius, quatenus vires suas leviora praeludendo ad alteriora narranda praepararet (Serv. Comm. in Verg. Ecl. VI 5). Beispielsweise Mussatos Ecerinis, die Giovanni Dante schon in der ersten Epistel als implizites Vorbild seiner Dichtung vorzuschlagen scheint, ist ein solches zeitgenössisches Werk, das durch seinen politischen, staatstragenden Inhalt der Gattung des stilus gravis zugeordnet werden kann. Die Krönung des Dichters mit dem Lorbeer impliziert jedoch vielmehr eine politische als eine literarästhetische Bewertung des Werkes, das für die Paduaner Stellung gegen den politischen Gegner nimmt. Dazu siehe Locati 2006. Vgl. Petoletti 2016, 582. Vgl. Albanese 2014, 1739. Albanese 2014, 1738 will eine historische Entsprechung dafür in dem epischen Fragment finden, das von Giovanni del Virgilio erhalten ist. Dieses Projekt einer bürgerlich-epischen Dichtung habe er zugunsten der bukolischen Korrespondenz mit Dante aufgegeben.

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Giovanni del Virgilio an Dante

seiner ersten Epistel vertreten hatte, als er den tragisch-epischen, staatstragenden erhabenen Stil dem privat-volkstümlichen, niederen Stil gegenüberstellte. Im Gegensatz zu seiner ersten Epistel, in der Giovanni den niederen Stil als minderwertig verschmähte, signalisiert der Gelehrte hier eine veränderte Haltung. Denn sein Korrespondent hat ihn offensichtlich mit seiner pastoralen Dichtung dazu veranlasst, sich ebenfalls von dem städtischen Gesang ab- und der niederen Hirtendichtung zuzuwenden (vgl. III 28–32). Wenn Mopsus verkündet, nun die zarten anstatt der großen Rohre anzunehmen, beschreibt er den Vorgang, den er mit der Abfassung seiner bukolischen Epistel begonnen hatte: Giovanni nimmt die bukolische Dichtung und damit das niederere stilistische Niveau an, das Dante vorgegeben hatte. Der Gelehrte übernimmt den stilus humilis jedoch nicht bedingungslos. Denn seine Inszenierung definiert implizit die Prämissen, unter denen er diese Form der Dichtung akzeptieren kann. So umschreibt er Tityrus-Dantes Dichtung als ein Hirtenlied, mit dem er auf der Benacischen Flöte seine Hirtenlippe aufreibe (vgl. III 28 f.). Mit dieser Formulierung stellt Giovanni Tityrus’ Dichtung gleich zweifach in die Tradition der vergilischen Eklogen. Denn bei dem Adjektiv Benacia, das seine Flöte beschreibt, handelt es sich um eine Flussmetonymie, die auf Vergils Heimatregion bei Mantua hindeutet und damit wiederum die Flöte als ein Instrument vergilischer Tradition ausweist. Darüber hinaus erwies sich der Ausdruck der durch das Flötenspiel zerriebenen Lippe bereits als ein Motiv aus Vergils zweiter Ekloge. Wenn dort der Hirte Corydon elegisch nach dem edlen Alexis schmachtet und diesen darum bittet, ihn nicht für seine einfache Hirtenexistenz zu verschmähen, bestätigt dies zwar einerseits eine defizitäre, weil einfache Qualität des Hirtengesangs.60 Andererseits identifiziert Giovanni das bukolische Flötenspiel und dessen abschätzige Bewertung durch diesen intertextuellen Verweis als vergilisch. Dies ermöglicht Giovanni, zwar seine Kritik an dem bukolischen stilus humilis als minderwertig zu wiederholen, ihn aber über den vergilischen Hypotext dennoch als gelehrte Dichtung zu legitimieren. Noch eine weitere Intertextualität zu Vergils Eklogen drängt sich auf, wenn Mopsus-Giovanni von den großen zu den kleinen Flötenrohren wechselt (Nec mora; depositis calamus maioribus inter, / arripio tenues, III 31 f.). Denn die Opposition des stilus humilis der bukolischen Dichtung und des epischen stilus gravis hat ein prominentes Modell in Vergils sechster Ekloge. Dort wird der Hirte Tityrus von Apoll am Ohr gezupft und zu einem Hirtengedicht angehalten, als er gerade Könige und Kriege besingen will (Verg. Ecl. VI 3–8). Die recusatio der epischen Gattung in Vergils Ekloge und Giovannis Epistel entspricht sich dabei zum Teil wörtlich (nunc ego […] / […] / agrestem tenui meditabor harundine Musam, Verg. Ecl. VI 6–8). So signa60

In Vergils zweiter Ekloge singt Corydon sein elegisches Lied. Wenn er versucht, seinen verehrten Alexis zu überzeugen, zu ihm zu kommen, bittet er ihn darum, sich nicht zu schämen, die Lippen an der Hirtenflöte aufzureiben (Verg. Ecl. II 28–34). Zu Corydons elegischem Gesang in Vergils zweiter Ekloge siehe Leach 1966.

Vergilische Klänge für Mopsus

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lisiert Vergils nunc ego (Verg. Ecl. VI 6) wie Mopsus-Giovannis nec mora (III 31) den akuten Entschluss zum Gattungswechsel und auch das vergilische agrestem tenui meditabor (Verg. Ecl. VI 8) spiegelt sich in Mopsus-Giovannis arripio tenues (III 32).61 Giovannis Ablegen der größeren, epischen zugunsten der kleineren, bukolischen Flötenrohre steht somit in der Tradition der vergilischen recusatio. Giovanni ändert folglich seine Argumentationsstrategie, um Dante von seinem poetologischen Konzept zu überzeugen. Denn er tadelt Dante nicht mehr direkt für einen Verstoß gegen seine Regelpoetik. Vielmehr adelt er den niederen Stil, indem er die Tradition der vergilischen Bukolik hervorhebt, in die Dante sich damit einordne. Das theologische Anliegen, mit dem Dante seinen stilus humilis begründete, ignoriert er dabei. Auf diese Weise integriert Giovanni del Virgilio Dantes poetologischen Standpunkt in sein gelehrtes Dichtungskonzept und macht ihn für seine Argumentation fruchtbar. Indem er die Antinomie zwischen stilus humilis und stilus gravis in das klassisch-antike Motiv des Stadt-Land-Gegensatzes übersetzt und auf die recusatio in Vergils sechster Ekloge anspielt, inszeniert Giovanni die poetologische Auseinandersetzung darüber hinaus insgesamt als konventionelles Diskussionsthema der lateinischen Gelehrtenkultur antiker Tradition. Unter diesen Voraussetzungen kann Giovanni del Virgilio nun den niederen Stil, den er zuvor tadelte, selbst annehmen und von dem erhabenen carmen civile zu den niederen Flötenrohren greifen. Tityrus-Dante soll ihn als Rinderhirten singen hören (audiat in silvis et te cantare bubulcum!, III 30). Mopsus entsagt seinem bisherigen städtischen Umfeld (urbe sedens, III 28) und nimmt eine rustikale Umgebung an, indem er sich in den Wäldern lokalisiert (in silvis, III 30). Der Begriff bubulcum (III 30), der am Versende eine hervorgehobene Stellung erhält, bezeichnet die einfache Identität, die er nun annimmt. So schildert Giovanni, wie er sich den Koordinaten des stilus humilis zuordnet.62 Sein Zugeständnis ist dabei nicht mit einer Anerkennung des volkssprachlichen stilus humilis zu verwechseln, die Dante in seinem Brief propagierte. Er folgt 61

62

Vgl. Albanese 2014, 1740. In demselben Kontext und in Kombination mit dem Begriff tenuis verwendet Servius den Begriff arripere, wenn er Tityrus’ Hinwendung zur Hirtendichtung in Vergils sechster Ekloge beschreibt und dabei die Identifizierung mit Vergil erlaubt. ([…] quidam volunt hoc significasse Vergilium, se quidem alteriorem de bellis et regibus ante bucolicum carmen elegisse materiam, sed considerata aetatis et ingenii qualitate mutasse consilium et arripuisse opus mollius, Serv. Comm. in Verg. Ecl. VI 5). Allegretti 2010, 179 erkennt in der recusatio der sechsten Ekloge Vergils einen Anlass für die Wahl der bukolischen Gattung, ohne jedoch weiter auf Giovannis Umgang mit diesem Motiv einzugehen. Sie stellt insgesamt fest, dass Giovanni del Virgilio seine Gestaltung der bukolischen Allegorie stark an Vergil anlehne. Er ersetzt die traditionellen Elemente pascua und pastor, die die Rota Virgilii für den stilus humilis angibt, mit den Elementen silvae und bubulcus, die jedoch semantisch in derselben Stildimension verbleiben. Schmidt 1972, 243 führt silvae als „Symbolwort Vergils für seine bukolische Welt und Dichtung“ an. Besonders Vergils sechste Ekloge legt die Identifizierung der silvae als einen typischen Ort komischer bzw. bukolischer Dichtung nahe, die zur epischen Dichtung in Kontrast steht (Prima Syracosio dignata est ludere versu / nostra neque erubuit silvas habitare Thalea, Verg. Ecl. VI 1 f.).

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Giovanni del Virgilio an Dante

Dantes bukolischem stilus humilis erst, nachdem er diesen als Vergiltradition identifiziert hat. Auf diese Weise ist auch Giovannis Nachfolge auf Dante eine indirekte Nachfolge Vergils. So wiederholt Giovanni del Virgilio die Konstellation aus dem ersten Brief, als er Dante zum poetischen dux an der Universität Bologna erklärte und sich selbst zu dessen Herold (vgl. II 35–40). Er entwirft seinen Korrespondenten als Gelehrten der klassisch-antiken Dichtungstradition, um sich ihm daraufhin unterordnen und anschließen zu können.63 Was er zuvor in epischer Weise skizziert hatte, wiederholt er nun also in bukolischer Form. Dennoch deutet Giovanni seine Unzufriedenheit mit dem stilus humilis an. Denn das Zeitadverb inter, mit dem er sein Ablegen der größeren zugunsten der kleineren Flötenrohre beschreibt, weist darauf hin, dass er die Dichtung niederen Stils nur übergangsweise anzunehmen gedenkt (depositis calamis maioribus inter, III 31).64 Mopsus zeigt, dass er nicht grundsätzlich bereit ist, von seinen Stilhierarchien abzuweichen. Tityrus-Dantes poetische Botschaft hat ihn offensichtlich nur zu einem kurzfristigen Gesinnungswechsel veranlasst. Mit der poetologischen Selbstreflexion wird erstmals die doppelte Funktion erkennbar, in der Giovanni del Virgilio die Allegorie der Bukolik verwendet. Denn sie ist einerseits eine allgemeine Chiffre für die Existenz der Dichter wie bei Dante. Andererseits stellt Giovanni innerhalb der Allegorie die bukolisch-ländliche Identität einer Stadtexistenz gegenüber. Die Figur des Hirten wird auf diese Weise auch zur spezifischen Allegorie eines niederen Dichtungsstils und -profils, das zu einem erhabenen städtischen Sängerprofil in Kontrast steht.65 Damit schließt Giovanni die narratio (III 6–32) seiner Epistel. In den ersten beiden Teilen (III 6–10 und 10–25) hat er die bukolischen Profile der Korrespondenten als Sänger eines antiken Dichtungsideals entworfen. Darüber hinaus überträgt er den Stilkonflikt zwischen sich und Dante in die bukolische Chiffre (III 26–32) und harmonisiert dabei ihre konträren Standpunkte über die gemeinsame vergilische Tradition. Hinsichtlich der bukolischen Allegorie wird erkennbar, dass Giovanni ihr in seiner Epistel eine doppelte Funktion zur Repräsentation der allgemeinen Dichterexistenz und des speziell niederen, aber gelehrt-vergilischen Dichtungsstils zuweist. Mit der hierarchischen Unterscheidung zwischen stilus gravis und stilus humilis rückt der Gelehrte dabei einen Aspekt der poetologischen Debatte wieder ins Zentrum der Argumentation, den Dante nur noch am Rande erwähnte. Der diskutierte in seinem Brief 63 64 65

Vgl. Albanese 2014, 1738 kommentiert hier: „dichiarandosi epigono di Dante e della sua ripresa del genere bucolico“. Vgl. u. a. Petoletti 2016, 583. Mit dieser doppelten allegorischen Funktionalisierung der bukolischen Gattung entspricht der Gelehrte der vergilischen Kommentartradition, wie sie prominent aus Servius bekannt ist. Demnach lesen sich Vergils Eklogen zum Teil als autobiographische Dichtung, zum Teil als poetologische Stellungnahme des Dichters über seine bukolische Dichtung. Zur poetologischen Dimension in Vergils Eklogen siehe Schmidt 1972.

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vor allem Giovannis Einladung zur Dichterkrönung nach Bologna, die er ablehnte. Giovanni del Virgilio verleiht der stilistischen Thematik hingegen wieder eine zentrale Position. Mit dem Griff zu den zarten Flötenrohren der Hirtenmusik setzt Mopsus nun zu einer Antwort auf Tityrus’ Nachricht an. Giovanni del Virgilio amplifiziert die Sprechsituation seiner Epistel um eine dritte, metadiegetische Ebene, wenn sein Alter Ego den Gesang wörtlich wiedergibt, mit dem er auf Tityrus antwortete. Im Gegensatz zu Dantes Epistel, in der auf der metadiegetischen Ebene Tityrus und Melibeus dialogierten, spricht in Giovannis Brief weiterhin allein Mopsus. Wenn er nun zu seiner Antwort an Tityrus ansetzt, die den Großteil der Epistel einnehmen wird (III 33–96), wird das Verhältnis der bukolischen Inszenierung zur extradiegetischen Ebene der Kommunikation zwischen Giovanni und Dante deutlich. Denn bei Mopsus’ Antwort handelt es sich um den dritten Brief, mit dem der Gelehrte auf Dantes Epistel reagiert. Giovanni del Virgilio gestaltet folglich mit Mopsus’ folgendem Gesang eine bukolische mise en abyme seines Briefes an Dante. Der Leser ist aufgefordert, erst den folgenden Gesang als eigentliche Reaktion auf Dantes Brief zu lesen. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass Giovanni mit der bisherigen Beschreibung des bukolischen Settings die Rahmenbedingungen der Kommunikation nach seinen Vorstellungen inszeniert und definiert: Mopsus-Giovanni vernimmt als arkadischer Sängerhirte den Gesang von Tityrus-Dante und setzt zu einer Antwort an. Den Wechselgesang stellt Giovanni dabei unter die Vorzeichen der vergilischen Bukolik. Mopsus’ Griff zu den zarten Hirtenflöten liest sich somit nicht nur als poetologische Reflexion der aktuellen Epistel, sondern zugleich als programmatische Ankündigung des bukolischen Gesangs, mit dem er im Folgenden auf Tityrus’ Botschaft anworten wird. 3. Liebeswerbung um Tityrus Giovanni del Virgilio präsentiert mit Mopsus’ Antwort folglich eine Binnenrede. Erwartungsgemäß präsentiert er sein Alter Ego dabei als versierten Sprecher, dessen Rede nach den Regeln der Rhetorik gestaltet ist. So lassen sich auch hier die konventionellen partes oratoriae (exordium, narratio, petitio, confirmatio, confutatio und conclusio) identifizieren. 3.1 Vergilische Ehren für Tityrus Mopsus beginnt in dem metadiegetischen exordium mit einer Anrede an Tityrus (III 33– 35) und spricht ihm als göttlichem Greis und Nachfolger Vergils, gar als Reinkarnation Vergils, höchste Anerkennung und poetische Autorität zu. Dabei setzt sich Mopsus zu Melibeus ins Verhältnis, den Dantes Epistel als Tityrus’ Gefährten präsentierte.

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Giovanni del Virgilio an Dante

„A, divine senex, a sic eris alter ab illo! Alter es, aut idem, Samio si credere vati sic liceat Mopso, sicut liceat Melibeo.

35 [III 33–35]

Der Hirte eröffnet seine Rede in einem pathetisch-erhabenen Register. Mit der exclamatio A, divine senex (III 33) drückt er Tityrus seine Ehrfurcht aus. Seine korrigierende Anrede zuerst als zweiter Vergil, dann als eben derselbe Vergil (a sic eris alter ab illo! / Alter es, aut idem, III 33 f.), hat den Effekt einer Klimax, in der er Tityrus als neuen Vergil preist.66 Wenngleich Mopsus Vergil nicht explizit nennt, ist anhand der bisherigen vergilisch-bukolischen Inszenierung unverkennbar, dass er seinen Adressaten in dessen Nachfolge stellt. Zur Legitimation seiner Reinkarnationsthese beruft Mopsus sich dabei auf den antiken Philosophen Pythagoras (Alter es, aut idem, Samio si credere vati / sic liceat Mopso, sicut liceat Melibeo, III 34–36).67 Mit dem Verweis auf die antike Autorität betont Mopsus-Giovanni, dass er Dantes Vergilnachfolge unter klassisch-antiken Vorzeichen versteht. Die Nennung des Samius vates Pythagoras weist darauf hin, dass Mopsus’ bukolische Welt auf den Mechanismen der klassisch-antiken Philosophie fußt. Dabei bezieht Giovanni Tityrus-Dantes Kontext mit ein, wenn er dessen Gefährten Melibeus zuschreibt, auch an die pythagoreische Reinkarnationsidee zu glauben und daher in Tityrus Vergil zu erkennen (vgl. III 34 f.). So inszeniert er eine gemeinsame Glaubensgrundlage zwischen seinem Alter Ego und Tityrus’ naivem Begleiter Melibeus, die sich in der parallelen Versstruktur spiegelt (sic liceat Mopso, sicut liceat Melibeo, III 35). Giovanni del Virgilio bezieht sich somit auf Dantes Epistel, greift aber in die ideologischen Grundkoordinaten von seiner bukolischen Allegorie ein, die er für seine Intentionen verändert. Denn Tityrus’ unwissender Gefährte Melibeus war bei Dante kein Anhänger der antik-klassischen Autoritäten. Bei Giovanni hingegen glaubt er an die Glaubenssätze der antiken Philosophie. Der Gelehrte erklärt Tityrus-Dantes Gefolgschaft folglich zu Anhängern der antiken vergilischen Tradition und schließt sich ihr unter diesen Prämissen an. Erneut zeigt sich, wie der Gelehrte den Hypotext von

66 67

Eine Klimax der Encomiastik sieht hier auch Albanese 2014, S, 1741. Lcom: samio idest pictagore. Das Konzept der Metempsychose nimmt Giovanni nach Albanese 2014, 1741 auf extradiegetischer Ebene rein metaphorisch an, wie aus seinen allegorischen Auslegungen zu Ovids Pythagoras-Episode hervorgehe. Da es sich bei Giovannis Allegorie, wie sich zeigte, jedoch um eine Fiktionalisierung der historischen Situation handelt, ist dennoch denkbar, dass Giovanni seinem Alter Ego Mopsus die Metempsychose als tatsächlich, nicht nur metaphorisch vollzogen darstellen lässt. Die tatsächliche Reinkarnation kann insofern als eine Überbietung des Motivs der poetischen Traditionsweitergabe gelten, die sich in der vergilischen Bukolik allein durch die Weitergabe des Wissens an eine andere Person (vgl. Verg. Ecl. II 36–38; VII 49) manifestiert hatte. Mit der tatsächlichen Identifizierung des Nachfolgers Dante mit dem Modell Vergil impliziert Giovanni eine höhere Perfektionsstufe der Nachfolge als es Vergil darstellte.

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Dantes bukolischer Epistel mit der klassisch-antiken Gelehrtenkultur harmonisiert und auf diese Weise die Kontinuität zwischen Dante und sich unterstreicht. Diese Kontinuität bestätigt Giovanni weiter durch intertextuelle Referenzen zu den vergilischen Eklogen. So ist Tityrus’ Anrede als divine senex (III 33) aus verschiedenen Anreden der vergilischen Eklogen zusammengesetzt. In Vergils erster Ekloge spricht Meliboeus Tityrus als fortunate senex (Verg. Ecl. I 46) an. So wie dort Meliboeus dem greisen Tityrus respektvoll begegnet, spricht hier Mopsus-Giovanni Tityrus-Dante seine Ehrung aus, der ebenfalls als alter Mann erscheint (divine senex, III 33). Das Adjektiv divine, mit dem Giovanni das vergilische fortunate ersetzt, gesteht Tityrus-Dante sogar einen heiligen Rang zu. Dieses Heilige hat keine unmittelbar christliche Motivation, sondern bezieht sich allein auf Tityrus-Dantes poetische Nachfolge auf Vergil. Hier deutet sich ein Unterschied zu Dante an, der das „Heilige“ an Vergil nicht nur in der poetischen Form, sondern auch in der moraltheologischen Bedeutung findet, die er dem antiken Dichter zuerkennt.68 Neben der Intertextualität zu Vergils erster Ekloge ist zudem der Bezug zu Vergils fünfter Ekloge evident. Dort wendet sich der Hirte Menalcas an seinen Gesangsgefährten Mopsus mit dem Ausruf divine poeta (Verg. Ecl. V 45). An dieser Stelle findet sich das Adjektiv divinus wie in Giovannis Anrede an Tityrus-Dante. Der Kontext bei Vergil und Giovanni ist derselbe. Denn Vergils Menalcas spricht Mopsus aufgrund seiner dichterischen Fähigkeiten als divinus an. Darüber hinaus folgt das Motiv der poetischen Traditionsweitergabe: fortunate puer, tu nunc eris alter ab illo (Verg. Ecl. V 49). In derselben Formulierung wie Mopsus-Giovanni (a sic eris alter ab illo, III 33) sich an Tityrus wendet, gesteht Vergils Menalcas Mopsus zu, die poetische Nachfolge des göttlichen Dichters Daphnis zu sein. Auffällig ist, dass bei Vergil Mopsus die Nachfolge des göttlichen Dichters zugestanden wird. Giovanni hingegen lässt sein Alter Ego Mopsus seinem Adressaten Tityrus-Dante diese Nachfolge zuerkennen. Vor dem Hintergrund des vergilischen Hypotexts assoziiert der Gelehrte auf diese Weise beide, Tityrus und Mopsus, als herausragende Dichter vergilischer Tradition.69

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Albanese 2014, 1740 sieht in dem Adjektiv divine (III 33) hingegen nur einen Verweis auf Giovannis Anrede aus seinem ersten Brief und insofern einen indirekten Bezug zu Dantes Selbstbild als christlicher Dichter: „Il canto bucolico di Mopso inizia con l’appellativo divino dato a Dante-Titiro poeta bucolico virgiliano in pendant con ecl. I 1 Pyeridum vox alma, riferito invece alla poesia „sacra“ della Commedia“. Dieser Deutung entgeht jedoch die rhetorische Relevanz dieser Wortwahl innerhalb von Giovannis Argumentation, die Dante und seine Dichtung als gelehrt vereinnahmen will. Allegretti 2010, 171 erkennt in der Anrede an Tityrus als divine senex, wie Giovanni Dante-Tityrus’ Klage über den verlorenen decus vatum (II 36 f.) widerspricht. Allegretti 2010, 172–176 deutet diesen Intertext anders, indem sie eine polemische Intention des Gelehrten erkennt. Mit dem Bezug zur fünften Ekloge Vergils stelle er den Anspruch, selbst Nachfolger Vergils zu sein und mache Tityrus diesen Anspruch implizit abspenstig. Dies sieht sie vor dem Hintergrund des Servius-Kommentar legitimiert, der an der entsprechenden Stelle dazu auffordert, in der fünften Ekloge die Vergil-Figur hinter Mopsus zu erkennen, der die Nachfolge Theokrits (= Daphnis) als Vater der bukolischen Dichtung antrete. Die Deutung erscheint jedoch

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Die Intertextualitäten zu Vergils Eklogen verdeutlichen somit einerseits, dass Mopsus seinen Adressaten als Sänger in vergilischer Tradition feiert und ihm sogar denselben Status wie dem antiken Dichter zuerkennt. Andererseits sagt Giovanni etwas über seine eigene poetische Identität aus. Mopsus hält sein Versprechen, wie ein bubulcus (III 30) mit den calami tenues (III 32) zu singen, indem er in seinem Gesang Vergils Hirten zitiert und sich mit ihnen identifiziert. Mopsus’ stilus humilis, den der intradiegetische Kommentar ankündigte (vgl. III 31 f.), erweist sich als das erhabene Register der vergilischen Hirten, die sich als Sänger im poetischen Wettstreit präsentieren und in der hexametrischen und intertextuell anspielungsreichen Form keinesfalls nur als einfache Hirten auftreten.70 Die Identifikation des stilus humilis als Stil und Gattung der gens ydiota, die Giovanni in seiner ersten Epistel formuliert und abgelehnt hatte, ersetzt er in seinem zweiten Brief durch einen vergilischen Begriff des stilus humilis und legitimiert somit seine aktuelle poetische Darbietung. Giovanni selbst präsentiert sich auf diese Weise gegenüber Dante als zweiter Vergil, indem er die vergilischen Motive zitiert und für seine Intentionen variiert. Der Gelehrte macht sich selbst zu dem Modell, das Dante nachahmen soll, um den Status des alter Vergilius zu gewinnen. Giovannis rhetorische Strategie besteht folglich auch darin, Dante den gewünschten gelehrten Stil vorzumachen, um ihn in dem bukolischen Wettstreit zu einer aemulatio zu reizen und auf diese Weise für das gelehrte Schreiben zu gewinnen.71

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zweifelhaft, da es durchaus in Giovannis Interesse liegt, Dante als den neuen Vergil zu inszenieren, dem er sich unterordnet. Dass Giovanni sich hinter Dante den zweiten Rang zuweist, hebt er mehrmals hervor (I 39 f.; III 50 f.), sodass nicht davon die Rede sein kann, er wolle ihn als alter Vergilius übertreffen. Entsprechend auch Albanese 2014, 1740. Schmidt 1972, 17 stellt entsprechend für Vergil die hochgradig stilisierte Rede der Hirten fest, wenn sie im lateinischen Hexameter ihre Lieder vortragen. Zum Stil der vergilischen Eklogen siehe Nisbet 2008. Zum Prinzip der aemulatio siehe Bauer 1992, insbes. 141 f.: „Als rhetorischer und dichtungstheoretischer Terminus bedeutet „A.“ bzw. „aemulari“ das Wetteifern mit einem stilistischen oder poetischen Vorbild, in der Absicht, es zu erreichen oder zu übertreffen. Die Vorbilder für die A. sind die classici scriptores. […] Die Ergebnisse einer erfolgreichen A. können selber wieder Ziel einer neuen A., d. h. selber für eine spätere Dichter- oder Rednergeneration klassisch werden. […] Ein Grenzfall der A. ist der literarische Wettstreit zwischen Zeitgenossen. Literaturfehden, Rivalitäten zwischen einzelnen Dichtern und Rednern oder zwischen Fürsprechern verschiedener Stilrichtungen und Gattungen, Schulen und Traditionen gab es in allen Epochen; die Analyse ihrer Strukturmerkmale gehört in eine Theorie der literarischen Evolution und Innovation. Während für die A. im rhetorik- und stilgeschichtlichen Sinn der Bezug auf ältere klassische Vorbilder charakteristisch ist, können die Wertmaßstäbe der Literaturfehden unter Zeitgenossen sehr unterschiedlich sein; gegebenenfalls ist die Einigung auf gemeinsame Normen überhaupt erst Ziel und Ergebnis eines Literaturstreits“.

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3.2 Klage um Tityrus Unter diesen Vorzeichen steht Mopsus’ weitere Rede. Die folgende metadiegetische narratio (III 36–46) vertieft stilistisch und inhaltlich die Ansätze des exordium. Eheu, pulvereo quod stes in tegmine scabro et merito indignans singultes pascua Sarni rapta tuis gregibus, ingrate dedecus urbi, humectare genas lacrimarum flumine Mopso parce tuo, nec te crucia crudelis et illum, cuius amor tantum, tantum complectitur, inquam, iam te, blande senex, quanto circumligat ulmum proceram vitis per centum vincula nexu. O si quando sacros iterum flavescere canos fonte tuo videas et ab ipsa Phillide pexos, quam visando tuas tegetes miraberis uvas!

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Mopsus beklagt Tityrus’ miserable Zustände im Exil. Dass seinen Herden die Wiesen geraubt sind, konstatiert er als Schande für die Stadt. Dabei signalisiert Mopsus, wie sehr er Tityrus zugetan ist und dass ihm daher dessen Zustand selbst Leid zufügt. Er bittet Tityrus, sie beide nicht weiter mit diesen empörenden Umständen zu quälen. Die Aussicht, dass dieser an den Ort seiner Jugend zurückkehren könne, zeichnet er schließlich pathetisch als erfüllende Zukunftsvision. Von der ehrerbietenden Anrede seines Adressaten geht Mopsus also direkt zu dessen armseliger Situation über. Tityrus’ Lebensumstände erweisen sich als einem Hirten unangemessen. Denn mit den Weiden ist ihm seine wesentliche Lebensgrundlage geraubt (et merito indignans singultes pascua Sarni / rapta tuis gregibus, III 37 f.) – nicht zuletzt die Rota Virgilii gibt die pascua als entscheidendes Merkmal der Hirtendichtung an. Tityrus’ persönliche Exilmisere steht dabei in starkem Kontrast zu seiner Autorität als alter Vergilius, die Mopsus zu Beginn seiner Rede proklamiert hatte.72 Thematisch wird sie die narratio dominieren. Mopsus’ Klage über Tityrus’ miserablen Zustand mag zunächst verwundern, zeichnete er ihn zuvor doch an einem locus amoenus (III 11–16). Giovanni bezieht sich hier auf Dantes persönliche Situation. So stand der locus amoenus, an den er Tityrus versetzte, für Ravenna, die Stadt, in der Dante sich zu dem Zeitpunkt der Korrespondenz aufhält. Wenn Mopsus nun Tityrus’ geraubte Weiden bedauert und eine Stadt anklagt, die offensichtlich für Tityrus’ Leid verantwortlich ist (ingrate dedecus urbi, III 38), spielt Giovanni auf Dantes politisches Exil an, das ihn seit 1302 aus seiner Heimat-

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Vgl. Eitel 2014, 92.

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stadt Florenz fernhält. Die Stadt, die Mopsus schmäht, ist somit als Florenz zu identifizieren. Entsprechend lokalisiert er Tityrus’ geraubte Weiden am Arno (pascua Sarni, III 37). Indem er die Stadt für ihre Schande tadelt, stellt Giovanni eine Intertextualität zu Dante her. So finden sich in der Commedia zahlreiche Invektiven auf die Stadt und ihre Bewohner, deren Politik Dante aus der Stadt vertrieb.73 Darüber hinaus besteht ein wörtlicher Bezug zu Dantes bukolischer Epistel. Denn als Sarnus hatte auch er den Arno bezeichnet. Der Kontext war ähnlich. Tityrus-Dante nannte ihn metonymisch für seine Heimat Florenz und äußerte die Hoffnung, aus seinem Exil dorthin zurückzukehren und die Dichterkrönung zu erhalten (vgl. II 43 f.). Dieses Exil bedauert nun Mopsus-Giovanni und evoziert dabei dieselben Emotionen wie Tityrus-Dante in seinem vorangehenden Brief. Denn Tityrus hatte seine Sehnsucht nach der heimatlichen Anerkennung mit Empörung geäußert (retuleram, cum sic dedit indignatio vocem, II 38). Mopsus-Giovanni greift die indignatio wörtlich auf, wenn er Tityrus beschreibt, der unverdientermaßen und empört seine geraubten Weiden beweine (et merito indignans singultes pascua Sarni / rapta tuis gregibus, III 37 f.). Wenn Mopsus-Giovanni das Exil seines Adressaten bedauert, bezieht er neben Dantes Epistel einen weiteren Hypotext ein, den er für seine Inszenierung funktionalisiert. Denn Tityrus in seiner staubig-schmutzigen Behausung (Eheu, pulvereo quod stes in tegmine scabro, III 36) spielt wörtlich auf den ersten Vers Vergils erster Ekloge an, in der Tityrus zurückgelehnt an einer Buche weilt: Tityre tu patulae recubans sub tegmine fagi (Verg. Ecl. I 1). Tityrus, der sich mit dem exilierten Hirten Meliboeus unterhält, genießt dort das Privileg eines deus, der ihm die Muße und das Dichten ermöglicht.74 Schon Dante hatte sein Alter Ego in der zweiten Epistel in Abgrenzung zu Vergil als exilierten Tityrus dargestellt. Dies macht Giovanni expliziter, indem er wörtlich den Vergilvers zitiert, jedoch den vergilischen Mußezustand zum staubigen Exil umwandelt: Vergils recubans ersetzt er mit einem stes. Das sub tegmine behält er mit der leichten Variation zu in tegmine bei. Vergils fagi ersetzt Giovanni durch scabro, sodass Tityrus nicht unter einem lieblichen Baum liegt, sondern in einer staubigen Hütte stehen muss. Auf diese Weise zeigt Giovanni, wie Tityrus-Dante in unvergilischen Zuständen lebt. Zudem greift er die karge Exilsituation auf, die auch Dante um sein Alter Ego Tityrus entworfen hatte, als er seine Ekloge mit dem Hinweis auf die tabernacla (II 68) beschloss.75 Giovanni übertrifft Dante jedoch in der poetischen Darstellung, wenn er Tityrus’ Exil in einer virtuosen Umstellung des Vergilzitats zusammenfasst. 73 74 75

Siehe Fußnote III 53. O Meliboee, deus haec nobis otia fecit (Verg. Ecl. I 6). Während die älteren Kommentare das tegimen (III 36) als eine Hütte in Analogie zu den tabernacla (II 68) deuten, erläutern seit Enzo Cecchini 1979 die Kommentatoren dies fälschlicherweise als Mantel des Exils, wobei Petoletti 2016, 585 erstaunlicherweise die Verbindung zu Verg. Ecl. I 1 anmerkt, ohne die rhetorischen Implikationen zu erkennen. Allegretti 2010, 199 zieht einen ähnlichen Schluss, wenn sie feststellt, dass in Mopsus’ Darstellung „i veri ozi saranno quelli di cui gode Mopso/Giovanni: egli lo invita perciò a stare con lui in campagna e a non pensare a niente,

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Giovanni spielt weiter auf Vergils erste Ekloge an, um Tityrus-Dantes Exilzustand in vergilischem Code zu inszenieren. So erinnern zum einen die Weiden, die Tityrus-Dante beweint (singultes pascua Sarni / rapta tuis gregibus, III 37 f.), an die Klage des Hirten Meliboeus. In Vergils Ekloge leidet der an seinem Exil und bedauert, dass er aufgrund dessen nie mehr in seiner Grotte liegen und singen könne. Seinen Ziegen eröffnet er, dass sie nie wieder unter seiner Obhut blühenden Schneckenklee oder bittere Weiden fressen werden (Verg. Ecl. I 75–78). Das Exil, das Giovanni um Tityrus-Dante entwirft, entspricht der Situation des vergilischen Meliboeus. Die Wiesen, die Tityrus-Dantes Herden geraubt sind, sind angelehnt an die Rede des vergilischen Meliboeus, der beklagt, dass aufgrund seines Exils seine Ziegen nicht mehr unter seiner Obhut weiden werden. Über die Intertextualität zu Vergils erster Ekloge stellt Giovanni Tityrus-Dante folglich als exilierten Hirten dar, der den umgekehrten Zustand des Tityrus-Vergil lebt und dadurch denselben Zustand wie der vergilische Meliboeus erleidet.76 Der negativierte Umstand der vergilischen Ekloge suggeriert dabei eine Widernatürlichkeit von Tityrus-Dantes akuter Situation. Diese wird umso virulenter, da Mopsus-Giovanni seinen Adressaten zuvor als neuen Vergil angesprochen hatte. Sowie die spätantike Kommentartradition hinter Vergils Tityrus den Dichter Vergil in der poetischen Muße unter der Schirmherrschaft des Augustus erkennt, impliziert Giovanni durch diese Verkehrung, dass der Dichter Dante unter Konditionen lebt, die seiner Identität als Tityrus und neuer Vergil unangemessen sind. Ähnlich wie Dante in seiner bukolischen Epistel inszeniert Giovanni del Virgilio Dantes persönlichen Exilzustand als Negativ zu Vergils erster Ekloge. Er hält sich dabei jedoch formal wesentlich stärker an den antiken Hypotext als Dante. Neben den bereits genannten Bezügen lässt sich auch Mopsus’ Schmähung der Stadt, die Tityrus’ Exil zu verantworten habe (ingrate dedecus urbi, III 38), in Vergils erster Ekloge finden. Dort erzählt Tityrus von seiner unfreien Vergangenheit, in der er noch so viele Opfertiere und Käse preisgab, die Stadt aber alles undankbar nahm, ohne ihm einen Lohn dafür zu bezahlen.77 Indem Mopsus-Giovanni ebenfalls die undank-

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il trattamento sarà alla pari.“ Sie erwähnt jedoch nicht die explizite Umkehrung der Zustände, die Giovanni gegenüber Vergils erster Ekloge vornimmt. Sie erkennt darin nur einen Beweis dafür, dass Giovanni Dantes Ablehnung der Einladung nicht verstanden habe, ohne dies als Teil seiner rhetorischen Strategie anzunehmen. Dies sieht so auch Sabrina Ferrara 2016, 294: „L’egloga è interamente coordinata intorno ai due piani opposti e antinomici che servono da specchio a due diverse esperienze di vita: quella, placida di Titiro e quella, dolorosa, di Melibeo raggiunto da una storia che sconvolge tutto.“ Sie kommt dann jedoch zu einer gänzlich anderen Interpretation, dass es sich bei Melibeus um Dantes früheres Alter Ego handele, das noch an der Exilsituation leide. Hingegen sei Tityrus die bereits gealterte Existenz Dantes, der sich an sein Exil gewöhnt und damit seinen poetischen Frieden gemacht habe. Vgl. Verg. Ecl. I 33–35. Vgl. Eitel 2014, 93. Albanese 2014, 1742 hält zudem Dante Inf. XV 61–78 für eine weitere Inspirationsquelle, auf die Giovanni bei der Formulierung ingrate dedecus urbi (III 38) zurückgreife.

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bare Stadt beschuldigt, evoziert er Vergils Hypotext und suggeriert, dass Tityrus-Dante in dem unfreien Zustand verharre, den Tityrus-Vergil erlitt, aus dem der sich jedoch befreien konnte. Tityrus-Dante hingegen muss darunter nach wie vor leiden. Mopsus’ Schmähung der Stadt ruft darüber hinaus seine eigene städtische Existenz in Erinnerung, die er zugunsten von Tityrus abgelegt hatte (vgl. III 26–32). Hatte Mopsus zuvor noch die städtische Existenz vorgezogen, solidarisiert er sich nun mit Tityrus, den er gegen die Ungerechtigkeit der Stadt sogar verteidigt. Mopsus hat seine ländliche Identität somit akzeptiert. Seiner Solidarität mit Tityrus verleiht er dabei sprachlich Nachdruck. So fällt erneut die exclamatio auf, mit der er sich an seinen Adressaten wendet und dessen miserablen Zustand bedauert (Eheu, pulvereo quod stes in tegmine scabro, III 36). Nach der Beschreibung von Tityrus’ Exil führt Mopsus diesen elegischen Ton weiter, wenn er seine Empathie ausdrückt und sich von Tityrus’ Leid unmittelbar betroffen zeigt.78 So erwidert er Tityrus’ Empörung (indignans, III 37) und Trauer (singultes, III 37) mit einem Strom von Tränen, der seine Wangen benetzt (humectare genas lacrimarum flumine Mopso, / parce tuo, III 39 f.). Der Übergang von einer zur anderen Person ist dabei kaum merklich. Denn das Gefühl der empörten Trauer bleibt dasselbe. Der einfache Ausdruck singultes (III 37) wird nur zum bildlich komplexeren humectare genas lacrimarum flumine (III 39) erweitert. Mopsus erscheint so als emotionaler Spiegel von Tityrus. Die elegische Stimmung spitzt Giovanni daraufhin zu. So beteuert Mopsus zum einen, dass Tityrus ihn mit seinem elendigen Zustand quäle und bittet, er möge ihn schonen. Die Alliteration crucia crudelis (III 40) hebt die Grausamkeit, die Mopsus durch Tityrus’ Leid selbst erfahre, formal hervor. Mopsus stellt sich so als gleichberechtigtes Opfer von Tityrus’ Leid dar. Giovanni zeigt ein elegisches Verhältnis zwischen den beiden Hirten, wenn Mopsus von Tityrus’ Verfassung in direkter Abhängigkeit steht.79

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Mit einer exclamatio hatte Mopsus’ Rede bereits begonnen (A, divine senex, III 33). Die Figur erscheint im Folgenden mehrfach und fungiert als Strukturelement von Mopsus’ metadiegetischer Rede, das einen jeweils neuen Aspekt einleitet (III 33; 36; 44; 66; 72). Dabei hebt sie formal den elegischen Ton hervor. Erneut entspricht dies Guizzardo da Bolognas Erläuterung zu Galfrid von Vinsaufs Poetria Nova, der die exclamatio (384, 163) erklärt als est que conficit significationem doloris aut indignationis alicuius per hominis aut urbis aut loci aut rei cuiuspiam compellationem. Dass Mopsus hier seine Empathie beteuert, macht auch Eitel 2014, 92 an den Begriffen merito und der Interjektion eheu fest. Eine solche Abhängigkeit im Liebesdienst findet sich zuhauf in der elegischen Tradition. Wilfried Stroh 1971, 44 unterscheidet dabei das obsequium von einem servitium amoris: „Unterschieden ist [das obsequium von dem servitium amoris] dadurch, daß servitium den Zustand der Unfreiheit an sich bezeichnet, obsequium dagegen die bewußt gewählte, um des letztlichen Erfolgs willen akzeptierte Unfreiheit […] Als spezielle Tugend des Liebhabers erscheint das obsequium (nicht nur dem Wort nach!) erst bei den römischen Elegikern.“ Auch in der Bukolik ist das elegische Leid ein gängiges Motiv. So ruft u. a. in Vergils zweiter Ekloge Corydon klagend nach seinem Geliebten Daphnis. In der zehnten Ekloge leidet Gallus an seiner unerfüllten Liebe zu Lycoris (Verg. Ecl. X 10). Ein bekanntes Beispiel für das elegische Leid unter der Herrschaft Amors findet sich in

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Dies bekräftigt Mopsus auch explizit, wenn er seine Liebe zu Tityrus beteuert, die diesen umarme, wie eine Weinrebe die schlanke Ulme mit 100 Windungen umrankt (Mopso / parce tuo, nec te crucia crudelis et illum / cuius amor tantum, tantum complectitur, inquam, / iam te, blande senex, quanto circumligat ulmum / proceram vitis per centum vincula nexu, III 39–43). Die schlanke Beschaffenheit der Ulme (ulmum / proceram, III 42 f.) verleiht dem Bild eine grazile Eleganz und die hundertfache Anzahl der Umschlingungen (per centum vincula nexu, III 43) spiegelt quantitativ die innige Qualität der Liebe, die Mopsus mit Tityrus verbindet. Erstmals suggeriert Giovanni eine elegisch-erotische Beziehung zwischen den beiden Hirten. Sie wird durch die Intertextualität zu zwei vergilischen Eklogen unterstrichen, die ein ähnliches Liebesverhältnis präsentieren. So erinnert die von der Ulme umrankte Weinrebe an die zweite Ekloge Vergils. Dort leidet der Hirte Corydon an seiner unglücklichen Liebe zu Alexis und hört die Rebe, die halbgeschnitten an der dichtbelaubten Ulme rankt, nach ihm rufen: „Ah Corydon, Corydon, welchem Wahnsinn bist du verfallen“ (Verg. Ecl. II 69 f.). In der zehnten Ekloge stellt der von Liebe gequälte Gallus fest, dass an der Ulme bereits der Bast abstirbt (nec si, cum moriens alta liber aret in ulmo, Verg. Ecl. X 67).80 Im Unterschied zu den vergilischen Hirten ist der Vergleich bei Mopsus-Giovanni nicht aus der Enttäuschung geboren. Er steht unter den Vorzeichen der hoffnungsvollen Werbung um den begehrten Tityrus. Giovanni bedient sich der vergilischen Vorlage, rekontextualisiert den Vergleich jedoch positiv für Mopsus’ elegische Werbung. Wenn Mopsus eine elegisch-erotische Verbindung zu Tityrus proklamiert, wird zugleich eine Konkurrenz erkennbar. Denn Giovanni setzt sein Alter Ego Mopsus auf subtile Weise mit Tityrus’ Gefährten Melibeus ins Verhältnis. Tityrus hatte ihn in Dantes Epistel zuerst als meus Melibeus bezeichnet (II 4) und formulierte später explizit seine liebevolle Zuneigung (Victus amore sui, II 8). Mopsus’ Konkurrenz zu Melibeus deutet sich an, da er sich mit der Bezeichnung tuus Mopsus (III 39 f.) wörtlich als Alternative zum meus Melibeus (II 4) einbringt und auch Tityrus’ Liebe einfordert. Darüber hinaus tritt er sprachlich mit Melibeus in Konkurrenz, den Dante als ungelehrten Hirten präsentierte. Dessen einfaches Gemüt wurde mitunter deutlich, als er Tityrus dazu bewegen wollte, Mopsus’ Angebot zur Dichterkrone zu überdenken.81 Dabei versuchte er, die vergehende Zeit anhand der alternden Zicklein zu demonstrieren

80 81

Vergils zehnter Ekloge. Dort spricht Gallus die famosen Worte omnia vincit Amor: et nos cedamus Amori (Verg. Ecl. X 69). Vgl. u. a. Albanese 2014, 1742; Eitel 2014, 93. Allegretti 2010, 170 f. stellt Melibeus und Mopsus ebenfalls anhand dieses Vergleichs von Melibeus einander gegenüber. Sie hebt dabei hervor, dass Giovanni-Mopsus nicht den Aspekt des Alterns, sondern den Generationenunterschied betone, um sich für eine angemessene Entsprechung von Alter und poetischem Stil auszusprechen. Auf diese Weise suche er Dante von dem Verhältnis Mopsus-puer und Tityrus-senex zu überzeugen, das zugleich ein poetisches Hierarchieverhältnis impliziert, das Dante zur Dichtung im hohen Stil überreden soll.

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und bewies damit den Erfahrungshorizont seiner Rede als rustikal und einfach (vgl. II 45–47). Der Vergleich, mit dem Mopsus-Giovanni nun auf Tityrus-Dante eingeht, um ihm seine Zuneigung auszusprechen, weist diesen als wesentlich geschliffeneren Redner aus. So hat zunächst Mopsus’ Anrede blande senex (III 42) nichts von der Hast des Titire, quam velox! (II 46), mit dem Melibeus Tityrus zur schnellen Entscheidung drängen wollte, sondern ist eine ehrfürchtige Anrede, mit der Mopsus schmeichelnd versucht, den Adressaten für sich zu gewinnen. Darüber hinaus steht sein Vergleich der Umarmung mit den Schlingen der Weinrebe in Kontrast zu Melibeus’ Hinweis auf den Alterungsprozess der Ziegen. Denn Melibeus schöpft aus seinem bukolischen Arbeitskontext, Mopsus hingegen aus der müßigen Kontemplation der Natur, wenn er das Naturbild als Parallele zu der Liebesumarmung zweier Menschen poetisch überträgt. Mopsus sticht Melibeus folglich durch seine poetische Ausdrucksweise aus und bewirbt sich auf diese Weise gegenüber Tityrus als würdigere, weil rhetorisch versierte Alternative zu Melibeus. Wenn der gelehrte Mopsus den stultus Melibeus rhetorisch übertrifft, ist dies erneut poetologisch zu deuten. Denn Giovanni gibt abermals zu verstehen, den stilus humilis als einen gelehrten vergilischen Stil, nicht aber als populären niederen Stil anzuerkennen. Nachdem Mopsus auf diese Weise Tityrus’ Exilsituation beklagt und seine Empathie und Liebe für den Hirten beteuert hat, äußert er die Hoffnung, dass Tityrus irgendwann wieder in seine Heimat zurückkehren könne. Tityrus werde, wenn er denn je an seine heimatliche Quelle und seine Hütten zurückkehren sollte, wo ihm Phillis die neu erblondeten Haare kämmen würde, seine Trauben bewundern (O si quando sacros iterum flavescere canos / fonte tuo videas et ab ipsa Phillide pexos, / quam visando tuas tegetes miraberis uvas!, III 44–46). Diesen neuen Aspekt leitet abermals eine exclamatio ein (O, III 44), die der Rede weiterhin einen pathetischen Ton verleiht. In Mopsus’ Wunsch spielt Giovanni abermals sowohl auf Dantes als auch Vergils Eklogen an, deren Texte er für seine Intention vermischt und variiert. So fällt zunächst auf, dass Tityrus-Dante im zweiten Brief die Sehnsucht nach der Heimat mit dem Wunsch der Dichterkrönung an fast identischer Versposition geäußert hatte (II 42– 44 gegenüber III 44–46). Darüber hinaus bestehen wörtlichen Parallelen zwischen Giovannis und Dantes Textstelle (Nonne triumphales melius pexare capillos / et patrio, redeam si quando, abscondere canos / fronde sub inserta solitum flavescere Sarno?, II 42–44).82 So erscheinen Dantes pexare, si quando, canos und flavescere ebenfalls in Mopsus-Giovannis Rede. Dennoch fallen zwischen Tityrus’ und Mopsus’ Worten wesentliche Unterschiede in der Inszenierung auf. Schon der Ton der beiden Äußerungen ist verschieden. Denn Mopsus’ Ausruf O ruft einen sehnenden, schwermütigen Ton hervor. Dante hingegen ließ Tityrus eine rhetorische Frage stellen, sodass weni-

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Vgl. u. a. Albanese 2014, 1742 f.

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ger seine Sehnsucht nach der heimatlichen Krönung im Vordergrund stand. Vielmehr führte er dies selbstbewusst als Argument gegen Giovanni-Mopsus ins Feld. Darüber hinaus verändert Giovanni den Gegenstand von Tityrus’ Sehnen. Denn Dante zielte eindeutig auf die Dichterkrönung in Florenz ab, wenn er von dem triumphierenden Haar sprach (triumphales capilli, II 42) und von dem Laub, mit dem er sein nun weißes Haar umkränzt wissen will (fronde sub inserta, II 44), das am heimatlichen Arno erblondete (abscondere canos / fronde sub inserta solitum flavescere Sarno, II 43 f.). Giovanni hingegen erwähnt nicht die Dichterkrone, sondern beschreibt, wie Tityrus’ Haar wieder erblonden würde (O si quando sacros iterum flavescere canos / fonte tuo videas, III 44 f.). Das flavescere, das bei Dante die vergangene Jugend in Florenz bezeichnete, erscheint bei Giovanni als Effekt von Tityrus’ Rückkehr in die Heimat. Er suggeriert, Tityrus-Dante würde sich wieder verjüngen, und unterstellt der Heimat somit einen revitalisierenden Effekt auf den Dichter, den das Exil alt machte (divine senex, III 33). Wenn Dante mithilfe der Flussmetonymie Sarnus Florenz als Heimat identifizierte, stand dies für den Ort seiner Taufe. Er spielte damit auf seine Berufung zum Dichterpropheten an, der die Anerkennung für sein Werk an dem Ort erhalten wollte, an dem er in den christlichen Glauben eintrat. Giovanni ersetzt Dantes Hinweis auf den Arno (patrio Sarno, II 43 f.) nun durch die Quelle (fonte tuo, III 45). Die Quelle assoziiert dabei einerseits auch das florentinische Taufbecken, nach dem sich Dante sehnt. So spricht ‚Dante‘ in Paradiso XXV ebenfalls von der Quelle, an die der Dichter zu seiner Krönung zurückkehren wolle.83 Auf literaler Ebene unterlässt Giovanni jedoch jeden offensichtlichen Bezug zu Florenz oder Dantes Wunsch zur Dichterkrönung. Der fons, den er erwähnt, erscheint vielmehr als natürliches Quellwasser, ein Motiv, das in der klassisch-antiken Dichtungstradition häufig als Element heiliger Orte erscheint.84 Besonders naheliegend ist die Assoziation mit der Quelle am Musenberg, deren Wasser zum Dichter machen. Das Motiv hatte Dante in seiner Epistel verwendet, um Giovannis Bemühungen um die antike Dichtungstradition darzustellen (vgl. II 28–32). Die Heimat, nach der sich Tityrus-Dante sehnt, präsentiert Giovanni somit als ein natürliches Idyll, das mit seiner Fähigkeit zur Verjüngung des Dichters über heilige Kräfte verfügt. Entsprechend bezeichnet Giovanni auch Tityrus’ Haar, das aus dem greisen Weiß wieder erblonden würde, als sacri cani (III 44). Diese natürlich-heilige Dimension des Ortes bekräftigt Giovanni mit weiteren Bezügen zu Vergils Eklogen. So imaginiert Mopsus auch, dass Phillis Tityrus in der Heimat 83

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Die Verse aus Par. XXV hallten in dem entsprechenden Abschnitt aus Dantes Epistel (II 42–44) nach, wie u. a. Albanese 2014, 1713 erklärt. Sie erkennt in Giovannis Passage ebenfalls einen genauen Rückbezug auf Par. XXV (vgl. ibid., 1743), nennt jedoch nicht die entchristianisierende Umbewertung, die Giovanni vornimmt. Dieser verwendet das Bild der Quelle nicht, um wie Dante eine Krönung für sein christliches Werk auszudrücken, sondern inszeniert eine Rückkehr aus dem Exil an einen vergilisch-heiligen Mußeort. Vgl. Schönbeck 1962, 20.

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die Haare kämmen würde (fonte tuo et ab ipsa Phillide pexos, III 45). Das Partizip pexus übernimmt Giovanni aus Dantes Ekloge, der mit den gekämmten Haaren die ersehnte Lorbeerkrone umschrieb (Nonne triumphales melius pexare capillos / […] / fronde sub inserta solitum flavescere Sarno?, II 42–44). Giovanni löst es in seinem Kontext von der direkten Assoziation mit dem Lorbeer. Vielmehr verheißt er Tityrus die Verwöhnung durch die weibliche Figur Phillis, die ihm die Haare kämmt und damit einen Dienst erweist. Bei Phillis handelt es sich um eine Figur aus Vergils zehnter Ekloge. Dort stellt sich der Sprecher die angenehmen Konstellationen vor, eine Phillis zu verehren oder von dieser Kränze geflochten zu bekommen.85 Mopsus verheißt Tityrus-Dante somit, von einer begehrenswerten vergilischen Figur bedient zu werden, wenn er wieder in seine Heimat zurückkehrt. So inszeniert Giovanni den Sehnsuchtort von Dantes Alter Ego als einen angenehmen Idealort der vergilischen Bukolik. Dies unterstützt auch die Intertextualität zu Vergils erster und vierter Ekloge. Denn wenn Mopsus hervorhebt, wie sehr Tityrus-Dante die Trauben bewundern würde, wenn er in seine Behausung zurückgekehrt sei (quam visando tuas tegetes miraberis uvas!, III 46), erinnert dies einerseits an das Sehnen des vergilischen Meliboeus. Der arme Exilant aus Vergils erster Ekloge fragt sich, ob er jemals das heimatliche Gebiet und das grasbewachsene Dach seiner armen Hütte wiedersehen und sich dann wundern werde, dass einige Ähren gewachsen sind (en umquam patrios longo post tempore finis / pauperis et tuguri congestum caespite culmen, / post aliquot, mea regna, videns mirabor aristas?, Verg. Ecl. I 67–69). Giovanni zitiert diese Passage zum Teil wörtlich. So entspricht Giovannis miraberis (III 46) Vergils mirabor. Das visando tuas tegetes (III 46) greift auf Vergils mea regna videns zurück. Giovannis tegetes entsprechen Vergils tugurium. Der Gelehrte entwirft die Heimat, an die Tityrus-Dante hoffentlich einmal zurückkehren werde, gemäß der Heimat, an die Vergils Meliboeus sich zurücksehnt, einem Ort, an dem eine idealisierte Einfachheit herrscht. Diese idealisierte Einfachheit unterstreicht Giovanni zusätzlich mit einem Verweis auf Vergils vierte Ekloge. Darin beschreibt Vergil den idealen Urzustand des goldenen Zeitalters, das mit der Geburt eines Kindes wieder eintreten werde. Tityrus-Dantes Heimat evoziert diesen Zustand in verschiedener Weise. So verweist zum einen das Verb flavescere (III 44), mit dem Giovanni das verjüngende Erblonden von Tityrus’ Haaren beschreibt, auf Vergils vierte Ekloge. Dort beschreibt es, wie die Ähren auf dem Feld langsam gelb werden (molli paulatim flavescet campus arista, Verg. Ecl. IV 28). Die reifenden Ähren sind dabei Indiz des idealen Zustandes, der sich mit dem Heranwachsen des Kindes allmählich auf der Welt etabliert. So wie die reifenden Ähren auf den eintretenden Idealzustand hinweisen, erscheint bei Giovanni das Erblonden von Tity-

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Verg. Ecl. X 37–41. Die gängige Deutung, die Figur der Phillis an dieser Stelle als eine Allegorie für die Stadt Florenz zu lesen (u. a. Albanese 2014, 1743), ist insofern weniger interessant, da es die Funktion der Figur in Giovannis vergilisierenden Argumentationsstrategie verkennt.

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rus-Dantes Haar als Symptom eines Idealzustandes, der wieder eintrete, wenn dieser an seinen Heimatort zurückkehre.86 Giovanni kombiniert folglich Tityrus-Dantes Heimat aus dem rustikal-idealisierten Zuhause, das sich der exilierte Meliboeus aus Vergils erster Ekloge wünscht und in dem sich der vergilische Tityrus befindet, mit dem ideal-natürlichen Urzustand, den Vergil in der vierten Ekloge als Begleiterscheinung des wundersamen Jungen beschreibt. Auf diese Weise erscheint Tityrus-Dantes ersehnte Heimat als ideale Hirtenumgebung. Seine Rückkehr dorthin beschreibt Giovanni zugleich als Rückkehr der Welt ins Lot, so wie bei Vergil die Welt wieder in das goldene Zeitalter eintrat, als der wundersame Junge geboren wurde. Tityrus-Dante und seine Umwelt stehen in einer ähnlichen Wechselwirkung wie in Vergils vierter Ekloge der Junge und die Welt.87 Wenn der Gelehrte dieser Vereinigung von Ort und Dichter eine sakrale Bedeutung zumisst (sacros canos, III 44), scheint er sich mit Dante zu treffen, der sein Dichten in die Funktion der christlichen Wahrheitsverkündung stellte. Giovanni definiert jedoch die heilige Dimension grundsätzlich anders als Dante. Denn er übergeht alles Christliche und bindet Dantes Verehrung allein an die poetische Existenz. Tityrus-Dante wird heilig in seiner Funktion als neuer Vergil, wie es bereits die Anrede zu Beginn seiner Rede angekündigt hatte (A, divine senex, a sic eris alter ab illo [= Vergilio], III 33).88 Sein Heimatort ist entsprechend ideal nach den Maßstäben der vergilischen Bukolik und erweist sich als vollkommener Ort des Dichters klassisch-antiker Tradition. Die Heiligkeit, die bei Dante christlich definiert war, ist bei Giovanni eine poetisch-philologische. Dantes Sehnsucht nach der Heimat macht Giovanni zu einer Sehnsucht nach der Wiederbelebung und Anerkennung des antik-vergilischen Dichtungserbes durch Dante. 86

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Auch Brugnoli/Scarcia 1980, 60 f. sehen einen intertextuellen Bezug zu Vergils vierter Ekloge, der anhand von uve und flavescere festzustellen sei, ohne dies jedoch weiter in Giovanni del Virgilios Argumentationsstrategie zu kontextualiseren. Gestützt wird diese Intertextualität durch den Hinweis auf die Trauben, die Tityrus-Dante in seiner Heimat sehen werde (quam visando tuas tegetes miraberis uvas!, III 46). Giovanni variiert hier das Zitat aus Vergils erster Ekloge (post aliquot, mea regna, videns mirabor aristas, Verg. Ecl. I 69), indem er die Ähren durch Trauben ersetzt. Diese wiederum erscheinen in Vergils vierter Ekloge, ebenfalls an letzter Versposition. Dort nennt sie Vergil als Merkmal des wiederkehrenden Goldzeitalters folgend auf den Vers, der die reifenden Ähren erwähnt (incultisque rubens pendebit sentibus uva, ibid. IV 29). Die hier prominenten antiken Darstellungen des goldenen Zeitalters stammen einerseits aus dem ersten Buch der Metamorphosen von Ovid (Met. I 89–112) und aus Vergils vierter Ekloge. Das Ideal der rustikalen Einfachheit findet sich bei den antiken Dichtern auch losgelöst von dem Goldaltermythos und der Bukolik. So leben beispielsweise Philemon und Baucis in Ov. Met. VIII 611–724 als einfache Menschen, deren pietas sich eben in diesem Zug der Bescheidenheit äußert (vgl. inbes. ibid. 630–634). Zur Bukolik und der Idealisierung der rustikalen Einfachheit siehe Poggioli 1975. Eitel 2014, 92 weist auf die religiösen Begriffe divinus, credere und vates hin und stellt fest, die Passage um die Reinkarnation Vergils verweise auf den göttlichen Bereich, ohne jedoch weitere Schlüsse auf Giovannis rhetorische Funktionalisierung zu ziehen. Vecchi 1967, 70 f. weist darauf hin, dass in dem sogenannten prähumanistischen Kreis der Universität Bologna die Dichtung in der Tradition der klassisch-antiken Autoren einen sakralen Stand erhielt.

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Giovanni del Virgilio an Dante

3.3 Ein vergilisches Duett In der narratio der metadiegetischen Rede schilderte Mopsus folglich zunächst den bedauerlichen Ist-Zustand des Hirten Tityrus und ließ sie in dem ersehnten Idealszenario der vergilisierten Heimat kulminieren. Die Formulierung si quando (III 44) markiert jedoch einen Haken. Sie verdeutlicht, dass es sich um eine Wunschvorstellung handelt, die nicht derzeitig, vielleicht nie ihre Erfüllung finden wird. Unter dieser Voraussetzung beginnt Mopsus die petitio (III 47–79), die mit 33 von 64 Versen den quantitativen Hauptteil der metadiegetischen Rede einnimmt. Darin wirbt er um Tityrus und versucht ihn zu überzeugen, doch an seinen Ort zu kommen. Die metadiegetische petitio lässt sich in vier Abschnitte unterteilen, in denen jeweils unterschiedliche Aspekte der Werbung im Vordergrund stehen. Im ersten Teil (III 47–66) unterbreitet Mopsus einen Aufenthalt bei sich als vorläufige Alternative zu seiner unerreichbaren Heimat. Ast intermedium pariat ne tedia tempus letitie, spectare potes quibus otior antris et mecum pausare. Simul cantabimus ambo: ipse levi calamo, sed tu gravitate magistrum firmius insinuans, ne quem sua deserat etas.

50 [III 47–51]

Damit die Zwischenzeit, bis Tityrus wieder in seine Heimat zurückkehren könne, ihn nicht verdrieße, lädt Mopsus ihn zu sich ein, um sein müßiges Höhlendasein zu sehen. Mopsus stellt sich vor, wie sie gemeinsam musizieren und zwar jeder seinem Alter entsprechend: Mopsus auf der leichten Flöte, Tityrus spiele als Lehrer mit mehr Gewicht. Giovanni lässt sein Alter Ego Mopsus die Einladung wiederholen, die er im ersten Brief geäußert hatte. Dante hatte sie ausgeschlagen, da er erstens die rura ignara deorum (II 41) fürchte, zweitens die Möglichkeit einer Krönung in seiner Heimat am Arno bevorzuge (vgl. II 42–44), die er zudem nur für die Dichtung seiner Commedia annehmen wolle (vgl. II 48–50). Giovanni gibt sich mit Dantes Absage offensichlich nicht zufrieden. Mit dem kontrastierenden ast (III 47) setzt Mopsus Tityrus’ Heimatwunsch seinen Alternativvorschlag für die Übergangszeit entgegen. Er zeigt Verständnis für Tityrus’ Sehnen nach dem unerreichbaren Heimatziel, suggeriert aber zugleich die Notwendigkeit einer Veränderung seines aktuellen Zustands. Gegen den Ekel des Exils (tedia, III 47) solle Tityrus daher zu seiner Höhle kommen und dort mit ihm in Muße verharren (III 47–49). Tityrus’ akutes tedium (III 47) steht seiner ersehnten letitia (III 48) antithetisch gegenüber. Durch die Substantivierung der Gefühle tedium und letitia erscheinen diese als Kräfte, denen die Hirten unterliegen.

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Mopsus bietet Tityrus seine Höhle als Ort der Muße und der Pause an (letitie, spectare potes quibus otior antris / et mecum pausare, III 48 f.).89 Giovanni greift dabei den Beginn des Briefes wieder auf. Dort hatte er sich eben in einer idyllischen Grotte beschrieben (forte sub inriguos […] / […] / […] fueram nativo conditus antro, III 1–3). Diese soll nun Tityrus übergangsweise von seinem Überdruss des Exils (tedium, III 47) erleichtern.90 Die Muße, die Mopsus anbietet, knüpft er sogleich an die Möglichkeit des musikalischen Austauschs. Denn er lädt Tityrus zum gemeinsamen Singen ein (Simul cantabimus ambo, III 48 f.). Die Kombination aus idyllischem Mußeort und einem Partner zum Gesang soll folglich Tityrus locken. Bedenkt man Mopsus’ eigene elegische Klage zu Beginn, die sich eben aus dem Mangel eines Gesangspartners ergab (vgl. III 9 f.), fällt die Parallele auf, die Giovanni del Virgilio zwischen seinem Alter Ego und Dantes Tityrus suggeriert. Offensichtlich befinden sich beide als Sängerhirten an lieblichen Orten. Jedoch ist Tityrus zum einen nicht in seiner Heimat, zum anderen fehlt beiden Sängern ein angemessener Partner zum gemeinsamen Gesang. Eine weitere Entsprechung besteht in dem zeitlichen Bedürfnis der beiden Hirten. So bietet Mopsus die Überbrückung einer Zwischenzeit an (intermedium tempus letitie, III 47). Auch sich selbst beschrieb er in einer zeitweisen Phase poetischer Bedürftigkeit, da seine gewohnten Gefährten Nisa und Alexis fort seien (vgl. III 9 f.). Der Gelehrte unterstellt Tityrus und Mopsus folglich ähnliche Ausgangssituationen und Interessen, sodass es logisch erscheint, wenn beide zusammenkommen, um ihrem Bedürfnis nach einem gemeinsamen Gesang an dem locus amoenus nachzukommen. Erneut fallen Konstellationen auf, die Vergils Eklogen als Hypotexte von Giovannis Inszenierung ausweisen. So erinnert Mopsus’ vorübergehende Einladung an den Schluss von Vergils erster Ekloge, als Tityrus seinem traurig exilierten Gesprächspartner Meliboeus ebenfalls übergangsweise, für eine Nacht die Ruhe auf einem angenehmen Hirtenlager anbietet (Verg. Ecl. I 79–81). Des Weiteren erinnert Mopsus-Giovannis Einladung in seine Höhle an die Szenerie aus Vergils fünfter Ekloge. Darin suchen Mopsus und Menalcas für ihren spontanen Wechselgesang eine idyllische Grotte im Wald. Zugunsten des müßigen Gesanges legen die beiden Sänger ihre Hirtenpflicht kurz ab. Mopsus-Giovannis Einladung steht unter denselben Vorzeichen, wenn er Tityrus für das Intermezzo (intermedium tempus, III 47) in seine Grotte einlädt und dabei mit ähnlichen Worten auf die Grotte aufmerksam macht, wie Vergils Mopsus seinen Gefährten Menalcas. So klingt in Mopsus-Giovannis spectare potes quibus an-

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Uguccione da Pisa Derivationes P 43, 5 et hec pausa -e, requies, quando paulum intermittitur labor; unde paso -as, idest quiescere, et componitur repauso -as, idest requiescere. Brugnoli/Scarcia 1980, 61 stellen anhand von otior antris einen Bezug zu Verg. Ecl. I 1 recubans sub tegmine fagi und ibid. 6 deus nobis haec otia fecit her. Mopsus zeige Tityrus-Dante hier, dass das wahre otium sich bei ihm befände.

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Giovanni del Virgilio an Dante

tris (III 48) das vergilische aspice, ut antrum (Verg. Ecl. V 6) verbal und motivisch wieder.91 Mit seiner Einladung verkündet Mopsus-Giovanni darüber hinaus die Rollen- und Stimmenverteilung, mit der er den Wechselgesang mit Tityrus bestreiten will. Er selbst wolle das leichtere Flötenrohr blasen, Tityrus hingegen solle mit Erhabenheit in kräftigerem Ton spielen (ipse levi calamo, sed tu gravitate magistrum / firmius insinuans, III 50 f.).92 Mopsus ordnet sich Tityrus dabei als seinem Lehrer (magister, III 50) unter. Giovanni kombiniert hier zwei Unterscheidungen, die er bereits in seiner ersten Epistel getroffen hatte. Denn zum einen spiegelt sich die Hierarchie, in die sich Giovanni zu Dante stellte. Denn er ordnete sich ihm stets unter, wenn er als Dantes Herold auftreten wollte (vgl. I 33–40) und Dante abschließend als seinen Lehrer ansprach (respondere velis aut solvere vota, magister, I 51).93 Dieselbe Konstellation wiederholt Giovanni hier in bukolischer Chiffre. Mit dieser sozialen Schüler-Lehrer-Hierarchie verknüpft Giovanni die poetologische Hierarchie zwischen stilus gravis und stilus humilis, die er bereits hervorhob (vgl. III 31 f.). Die Gegenüberstellung der leichten Flöte (levis calamus, III 50), die er nehmen wolle, und der Erhabenheit (gravitas, III 50), mit der Tityrus spielen soll, greift die Unterscheidung zwischen den ländlich zarten und den größeren städtischen Flötenrohren wieder auf. Damit hatte Giovanni vor Beginn seiner metadiegetischen Rede angekündigt, wie sein Alter Ego nach Dantes Vorbild von der erhaben-epischen zur niedrig-bukolischen Dichtung wechselt (III 31 f.). Während Giovanni so seinen Griff zu einer vergilisch-gelehrten Form des stilus humilis legitimierte, fordert er dagegen Tityrus-Dante nun auf, sich dem stilus gravis zuzuwenden. Damit reformuliert er sein Anliegen aus der ersten Epistel, Dante möge sich der erhaben-epischen Dichtung zuwenden, die die zeitgenössische Poetik traditionellerweise mit dem Attribut gravis bezeichnet. Es zeigt sich, dass Mopsus-Giovanni den stilus humilis in seiner vergilischen Form zwar für sich annehmen konnte. Er deutete jedoch innerhalb des stilus humilis bereits Hierarchien an, wenn er sich dem stultus Melibeus mit seinem einfachen Sprachregister als erhabenerer Sprecher gegenüberstellte und um Tityrus’ Gunst buhlte (vgl. III 41–43). Darüber hinaus zeigt sich, dass Giovanni trotz seiner Akzeptanz des stilus humilis offensichtlich das Stilideal immer noch im stilus gravis erkennt, wenn er Tityrus

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Vgl. Allegretti 2010, 172; Petoletti 2016, 588. Brugnoli/Scarcia 1980, 61 f. deuten insinuans (III 51) zusammen mit levi, gravitate und magistrum (III 50) als musikalischen Begriff, der den cantus firmus bezeichne, den Tityrus-Dante übernehmen solle. Mopsus-Giovanni fordere Tityrus-Dante folglich auf, die führende Stimme des Gesangs zu übernehmen. Da der Gelehrte an dieser Stelle jedoch die poetologische Auseinandersetzung innerhalb der bukolischen Allegorie reflektiert, halte ich es für naheliegender insinuare im Sinne eines dissimulierten, allegorischen Sprechens, das sowohl Giovanni del Virgilio als auch Dante in den Briefen und ihrer Dichtung im Allgemeinen vornehmen, zu deuten. Vgl. Uguccione da Pisa Derivationes S 137, 8 s. v. insinuo. Vgl. u. a. Albanese 2014, 1744.

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auffordert, mit einer größeren Erhabenheit zu musizieren (vgl. III 50 f.). Im Gegensatz zur ersten Epistel bedeutet dies jedoch nicht die kategorische Ablehnung des niederen Stils. Vielmehr erklärt Giovanni die beiden Stile zu einer Frage der poetischen Entwicklung und Erfahrung. Denn Mopsus begründet seine Rollen- und Stimmenzuordnung mit der jeweiligen Altersangemessenheit eines Stils (ne quem sua deserat etas, III 51). Mopsus, der sich zu Beginn als puer vorgestellt hatte, entsprechen somit die leichten Rohre des stilus humilis. Tityrus hingegen spricht er als senex an (III 33) und begründet damit die altersbedingte Notwendigkeit zu einer höheren gravitas. Für diese Gleichsetzung von Alter und Dichtungsstil findet der Gelehrte ebenfalls bei Vergil eine Legitimation. Denn dieser beendet seine Georgica mit einem Rückblick auf die vorherige Hirtendichtung, die er als seine Jugenddichtung deklariert: carmina qui lusi pastorum audaxque iuuenta, / Tityre, te patulae cecini sub tegmine fagi (Verg. Georg. IV 565 f.).94 Die bukolische Dichtung kann vor diesem Hintergrund traditionell als Jugenddichtung gelten. Zudem legt Vergils Kommentar nahe, seine folgenden Werke als Errungenschaften des höheren Alters zu deuten. Das Epos als stilus gravis und Dichtung des reifen Alters steht somit der bukolischen Jugenddichtung gegenüber. Wenn Mopsus-Giovanni sich nun als puer inszeniert, Tityrus-Dante als senex und darüber hinaus eine je altersgemäße Dichtung fordert, stellt er sich in diese Deutungstradition der vergilischen Werke. So erlaubt ihm seine eigene Jugend die bukolische Dichtung, Tityrus-Dante hingegen dürfe seinem Alter entsprechend nur die epische Dichtung betreiben. Neben der absoluten Bedeutung der Bukolik als Allegorie der Dichterexistenz verwendet der Gelehrte sie also zweitens als relative Chiffre einer unteren Entwicklungsstufe der poetischen Karriere. Giovannis Forderung ist folglich gegenüber der ersten Epistel dieselbe geblieben, seine Argumentation ist nur leicht verschieden. Denn er möchte Tityrus-Dante als Lehrer eines erhabenen Stils nach dem Vorbild der antiken Dichter folgen. Anders als in seinem ersten Brief adelt er den stilus humilis jedoch. So ist die Bukolik zwar relativ dem hohen epischen Stil untergeordnet, aber dennoch als vergilische Dichtungstradition für den gelehrten Diskurs legitimiert. Den niederen Rang, den der Gelehrte der Bukolik trotzdem zugesteht, drückt er erneut in einer sozialen Hierarchie aus, wenn er sie dezidiert als Jugenddichtung deklariert. Auf diese Weise rechtfertigt er zum einen seine eigene bukolische Dichtung und erklärt sie zu 94

Allegretti 2010, 168–172 betont, dass die Entsprechung von Alter und Gattung bereits in der Servius-Deutung feste Tradition hat und verweist auf Servius, der die Entwicklung der drei menschlichen Lebensformen des Hirten, des Bauern und des Kriegers in der Reihenfolge der von Vergil verwendeten Gattungen wiederfindet (sane sciendum Vergilium XXVIII. annorum scripsisse bucolica, unde etiam ipse in fine georgicum audaxque iuventa, Tityre, te patulae cecini sub tegmine fagi. et dicit Donatus, quod etiam in poetae memoravimus vita, in scribendis carminibus naturalem ordinem secutum esse Vergilium: primo enim pastoralis fuit in montibus vita, post agriculturae amor, inde bellorum cura successit, ibid. Comm. in Verg. Ecl. Prooem.). Auch Dante beziehe sich in seinen Reflexionen (vgl. Conv. IV 26, 2) darauf.

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dem für ihn als jungen, aufstrebenden Vergilnachfolger perfekt geeigneten Medium. Zum anderen nutzt er diese Definition der bukolischen Gattung, um das Verhältnis allegorisch abzubilden, das er zwischen sich und Dante anstrebt: nämlich seine Nachfolgerschaft gegenüber Dante als seinem Modell und Lehrer in klassisch-antiker Dichtungstradition. Gänzlich untergeordnet erscheint der stilus humilis der Ungebildeten, wie ihn Melibeus repräsentiert. 3.4 Ein arkadisches Idyll für Tityrus Nachdem an dieser Stelle des Briefes die relative Bedeutung der Bukolik in Giovannis Argumentation als rangniedere, vergilisch-gelehrte Gattung hervortrat, steht im Folgenden wieder deren absolute Funktion im Vordergrund, die der Gelehrte für seine Darstellung der biographischen Umstände der beiden Dichter fruchtbar macht. So stellt Mopsus seinem Korrespondenten den idealen arkadischen Dichtungsort vor, an den er ihn zum gemeinsamen Gesang einlädt.95 Die Passage stellt somit die confirmatio (III 52–71) von Mopsus’ metadiegetischer Rede dar. Die Beschreibung des Ortes (III 52–76) lässt sich dabei in drei Teile unterteilen. Der erste fokussiert die Vorzüge für Tityrus-Dantes Wohl (III 52–66). Der zweite Abschnitt führt sein potenzielles Publikum an (III 67–71).96 Der dritte Teil (III 72–76) der Ortsbeschreibung leitet schließlich zur confutatio (III 72–79) von Mopsus’ metadiegetischer Rede über, in der er Tityrus’ Einwände zurückweist. Auch in dieser Beschreibung ist der vergilische Hypotext präsent, den Giovanni für seine Argumentationsstrategie funktionalisiert.97 Ut venias, locus ipse vocat: fons humidus intus antra rigat, que saxa tegunt, virgulta flabellant; circiter origanum redolet; quoque causa soporis herba papaveris est, oblivia, qualiter aiunt, grata creans; serpilla tibi substernet Alexis, quem Corydon vocet ipse rogem; tibi Nisa lavabit ipsa pedes accinta libens cenamque parabit; Testilis hec inter piperino pulvere fungos condiet, et permixta doment multa allia, si quos 95

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Krautter 1983, 41 erkennt in Giovannis Verwendung des arkadischen Bildes nur die absolute Funktion: Es diene nun dazu, „eine von vornherein bukolische Stilisierung der realen Umwelt mythisierend zu überhöhen, und zwar mit dem Ziel, die Erneuerung bukolischer Dichtung als Zeichen einer Wiederkehr klassischer Dichtungskultur überhaupt zu feiern.“ Petoletti 2016, 588 erkennt in III 52–71 eine rhetorische Einheit, die er insbesondere auf Moeris’ Ruf nach Galatea in Vergils neunter Ekloge zurückführt (ibid. Ecl. IX 39–42). Albanese 2014, 1745 stellt zu diesem Absatz fest, er sei auf der Basis der Motive aus Vergils erster und zweiter Ekloge entworfen, die dort einerseits Tityrus’ Rückkehr beschwören würden, andererseits Alexis zu kommen überzeugen sollen.

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forsitan inprudens Melibeus legerit hortis; ut comedas apium memorabunt mella susurri; poma leges Niseque genas equantia mandes, pluraque servabis nimio defensa decore; iamque superserpunt hedere radicibus antrum, serta parata tibi. Nulla est cessura voluptas.

65 [III 52–66]

Mopsus versucht zunächst, Tityrus zu einem gemeinsamen Gesang zu verlocken, indem er den Ort in all seinen Reizen beschreibt, von denen dieser profitieren würde. Eine Quelle benetzt die von Felsen bedeckte Höhle, die zusätzlich von Buschwerk angefächelt wird. Ringsumher duftet der Oregano und der Mohn hat eine angenehm einschläfernde Wirkung. Auch Menschen befinden sich an dem Ort, die zu seiner Verfügung stünden. So würde Mopsus Corydon bitten, Alexis herbeizurufen, der Tityrus Thymian hinstreuen würde. Nisa werde ihm gerne bereitstehen, die Füße zu waschen und das Mahl zu bereiten. Testilis wiederum werde zu dem Mahl Pilze mit Pfeffer mischen und mit viel Knoblauch bändigen, sollte der unverständige Melibeus die Pilze gesammelt haben. Weitere Köstlichkeiten stellt die Natur in Aussicht, darunter der Honig, den die Bienen Tityrus anempfehlen, und auch die Früchte, die schön anzusehen sind wie Nisas Wangen, sogar zum Teil zu schön, um sie zu verzehren. Diesen ersten Teil der Ortsbeschreibung schließt Mopsus mit dem Hinweis, dass bereits der Efeu mit seinen Wurzeln die Höhle umschlingen würde und Kränze für Tityrus bereitet seien. Unendliche Wonne würde auf ihn warten. Ein zweites Mal innerhalb des Briefes stellt Mopsus somit Tityrus seinen Aufenthaltsort vor, dem er bereits zu Beginn seiner Epistel Züge eines locus amoenus verliehen hatte (III 18–25).98 Die Funktion der Ortsbeschreibung wird gleich zu Beginn deutlich, wenn Mopsus mit dem Finalsatz ut venias ansetzt (III 52). Sie soll Tityrus-Dante davon überzeugen, zu ihm zu kommen. Indem Mopsus den Ort selbst zum Subjekt macht, funktionalisiert er ihn als Sprachrohr seines persönlichen Interesses. Das rhetorische Gestaltungsprinzip des locus amoenus ist somit programmatisch vorweggenommen: Alle Details sind auf die Werbung um Tityrus ausgerichtet. Zentrales Element ist die Grotte, die Mopsus zu Beginn der Epistel als seinen Aufenthaltsort nannte (vgl. III 3). Um sie herum werden die weiteren Elemente angeordnet, die sie als charakteristisch amönen Ort auszeichnen. So erscheint zuerst die Feuchtigkeit spendende Quelle (fons humidus, III 52), anschließend die Felsen als schützende Elemente (saxa tegunt, III 53) und schließlich das Buschwerk, das in diesem Fall mit seiner streichenden Bewegung einen sanften Windhauch suggeriert (virgulta flabellant,

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Vgl. Albanese 2014, 1745.

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III 53).99 Alle Landschaftselemente sind als Subjekte auf die Höhle bezogen und erscheinen auf diese Weise als aktive Handlungsträger, die den Ort besonders lieblich und damit mittelbar für Tityrus attraktiv machen. Neben der physisch einladenden und geschützen Beschaffenheit erweist sich der Ort auch als eine geistige Zufluchtsstätte. Schlaf und Vergessen, die der Mohn bewirkt, versprechen Tityrus Erleichterung (vgl. III 54–56). Mopsus eröffnet mit seinem locus amoenus folglich nicht nur einen Schutzraum, sondern bietet dem exilierten Sänger Tityrus eine eskapistische Vision zu einem idealen neuen Kontext.100 Im weiteren Verlauf wird Tityrus schließlich zum Zentrum der Ortsbeschreibung. Alexis, Corydon, Nisa und Testilis und Mopsus selbst würden ihm persönlich zu seinen Diensten zur Verfügung stehen. Während Nisa bereitwillig ihm die Füße wäscht und das Mahl bereitet, sorgt Testilis für die Bekömmlichkeit des Essens, indem sie Pfeffer und Pilze mischt und gegebenenfalls Melibeus’ unbekömmliche Auswahl mit Knoblauch lindert (vgl. III 57–62). Die Figuren Nisa und Alexis hatte Giovanni bereits früher als seine gewohnten Gesprächspartner angeführt (vgl. III 8 f.). Die Figuren, die Vergils Hirten sich nur elegisch und erfolglos herbeisehnten, stünden nun Tityrus sogar dienend zur Verfügung. Vor dem Hintergrund des vergilischen Hypotexts erweisen sich somit die Umstände, die Mopsus Tityrus in Aussicht stellt, als besonders reizvoll. Der inprudens Melibeus (III 61) verweist zudem auf den bukolischen Kontext von Dantes Brief. Dort erschien er ähnlich als stultus Melibeus (II 9). Indem Giovanni Dantes Melibeus mit den vergilischen Figuren zu gemeinsamen Bewohnern seiner Welt macht, integriert er Dantes Bukolik bruchlos in die vergilische Hirtenwelt und legt diese als harmonische Einheit für die Konstruktion seiner eigenen Welt zugrunde.101 In der Ortsbeschreibung finden sich abermals intertextuelle Hinweise auf verschiedene vergilische Eklogen, durch die Giovanni seiner Beschreibung spezifische Assoziationen unterlegt. Explizit spielt Giovanni beispielsweise auf Vergils zweite Ekloge an, wenn Mopsus beteuert, er würde Corydon bitten, Alexis zu rufen (serpilla tibi substernet Alexis, / quem Corydon vocet ipse rogem, III 56 f.). Denn Vergils zweite Ekloge besteht aus Corydons elegischem Ruf nach Alexis. Mopsus’ Kommentar impliziert dabei eine Metabedeutung bezüglich Giovannis Schreiben. Denn wenn Mopsus die 99 Zu den Standardelementen des locus amoenus-Motivs siehe Curtius 1993, 200. 100 Vergleichbar ist dies auch mit den Gefilden der Seligen, die Horaz in Epode XVI als eskapistische Vision den Römern in Aussicht stellt: arva beata / petamus, arva divites et insulas […] Iuppiter illa piae secrevit litora genti, / ut inquinavit aere tempus aureum. / aere dehinc ferro duravit saecula; quorum / piis secunda vate me datur fuga (Hor. Epod. XVI 41 f.; 63–66). Zum goldenen Zeitalter in der Epode des Horaz siehe Baldry 1952. Velli 1992, 112 erkennt in der eskapistischen Vision des Dichters eine zentrale Funktion der Bukolik in der Korrespondenz zwischen Dante und Giovanni del Virgilio und für deren Verwendung der folgenden humanistischen Dichter. Meiner Meinung nach gilt dies jedoch ausschließlich für Giovanni del Virgilio. Für Dante ist die Bukolik eine Allegorie des irdischen Zustands und der politischen Misere, in der die Menschen der göttlichen Ordnung zuwider leben. 101 Eitel 2014, 98 spricht gar von einem „Hirtenkatalog“.

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Konstellation aus der Vergilekloge wiederherstellt, deutet der Gelehrte zum einen an, die vergilische Bukolik in seiner Dichtung neu zu schreiben. Darüber hinaus weist er auf den vergilischen Hypotext hin, an den er seine Werbung um Tityrus in großen Teilen motivisch, verbal und strukturell anlehnen wird. Beispielsweise erscheint darin auch Testilis, wie sie Knoblauch und Quendel zu einer Mahlzeit vermengt (Verg. Ecl. II 10 f.). Neben der zweiten Ekloge, die vor allem als Modell für Mopsus’ Werberuf dient, greift Giovanni in der konkreten Ortsbeschreibung erneut auf die Goldalterbeschreibungen in Vergils vierter Ekloge zurück. So hebt Mopsus die Friedlichkeit des Kontextes hervor, wenn er schildert, wie Testilis in der Speise schädliche Pilze aufhebt. Mopsus’ Ort gewährleistet Tityrus somit Schutz vor schädlichen Einflüssen, selbst solchen, die versehentlich aus dem Umfeld seines Melibeus hervorgehen. Diese Schadlosigkeit erinnert an die idealisierten friedlichen Umstände des vergilischen Goldzeitalters, in denen jegliches Gift von Tieren und Kräutern vergeht (Verg. Ecl. IV 23 f.). In Mopsus’ Hirtenidyll werden darüber hinaus blumige, fried- und lustvolle Umstände bereitet. Wie in Vergils vierter Ekloge das tibi für den puer steht, dem angenehme Zustände entstehen (at tibi prima, puer, nullo munuscula cultu, Verg. Ecl. IV 18), hebt Giovanni mit dem wiederholten tibi (III 56; 57) hervor, dass diese Annehmlichkeiten extra für Tityrus-Dante erstünden. Mit den Bienen, die Tityrus mit ihrem Summen dazu auffordern, von ihrem Honig zu kosten, verstärkt sich einerseits der intertextuelle Bezug zu Vergils vierter Ekloge (ut comedas apium memorabunt mella susurri, III 62). Denn es ist ein weiteres natürliches und nicht menschliches Element, das Tityrus auf wundersame Weise seine kostbaren Erzeugnisse darbietet. Ähnlich spendet in Vergils goldenem Zeitalter die Natur dem Kinde Honig.102 Andererseits evoziert das Summen der Bienen auch die angenehmen Umstände, die in Vergils erster Ekloge der exilierte Meliboeus an Tityrus beneidet. Dort laden die Bienen zum Schlaf ein, den MopsusGiovanni seinem Tityrus-Dante ebenfalls in Aussicht gestellt hatte (Verg. Ecl. I 54 f.).103 Die Verquickung dieser beiden Kontexte aus der Goldzeitdarstellung in Vergils vierter Ekloge und der idyllischen Hirtenmuße, die Vergils Tityrus in der ersten Ekloge genießt, fiel bereits zuvor in der Beschreibung von Tityrus’ unerreichbarer Heimat auf (III 44–46). Hier bezieht Mopsus-Giovanni sie nun auf seinen Ort, um zu suggerieren, dass auch sein Ort Tityrus ein ideales Hirtendasein ermögliche. Implizit stellt er damit seinen Ort mit Tityrus’ Heimat auf eine Stufe. Vor dem Hintergrund der spätantiken Vergilkommentare, die in dem Tityrus der ersten Ekloge die autobiographische Darstellung Vergils poetischer Muße erkennen, stellt Giovannis Einladung somit eine

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Ähnliches tun in Vergils vierter Ekloge die Ziegen, die ihre Milch freiwillig dem Knaben bringen (Ecl. IV 21). Den Honig spendet bei Vergil die Eiche (Ecl. IV 30). Ohne einen Bezug zum goldenen Zeitalter der vierten Ekloge herzustellen verweist u. a. Albanese 2014, 1746 ebenfalls auf die Parallele zur ersten Ekloge Vergils.

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Möglichkeit an Dante dar, als alter Vergilius wieder in die vergilischen Umstände der ersten Ekloge zurückzukehren.104 Auch die folgenden Details der Ortsbeschreibung evozieren motivisch und verbal den Kontext insbesondere der ersten, zweiten und vierten Ekloge. So folgen nach den Bienen die Früchte, die sich Tityrus appetitlich darbieten. Nicht nur gleichen sie den Wangen der Nisa, sondern sind sogar fast zu schön, um verzehrt zu werden (poma leges Niseque genas equantia mandes, / pluraque servabis nimio defensa decore, III 63 f.). Auch die Früchte sind in Vergils Bukolik Teil von Tityrus’ Mußewelt oder eine attraktive Gabe, die Corydon in der zweiten Ekloge seinem verehrten Alexis in Aussicht stellt und fügen sich somit in die bisherige Funktionalisierung des vergilischen Hypotextes ein.105 Im Verlauf der Ortsbeschreibung rückt Tityrus immer weiter ins Zentrum. Um ihn drehen sich Natur und Personal. Zugleich steigern sich die geschilderten Annehmlichkeiten von einer äußeren Lieblichkeit des Ortes über ergebene Dienste des vergilischen Personals hin zu einer wesenseigenen Schönheit der Natur, die sich Tityrus-Dante darbietet. Endlich kommt die Beschreibung zurück zu der konkreten Örtlichkeit, mit der sie angefangen hatte. So schließt der erste Teil der Ortsbeschreibung (III 52–66) wieder mit der anfangs genannten Grotte. Das antrum (III 64) am Versende beendet diesen ersten Teil mit demselben Begriff, mit dem sie eröffnet wurde (III 53). Dabei hebt Mopsus hervor, wie der Ort sich schon für die Ankunft des Tityrus vorbereite. So umschlängele der Efeu bereits mit seinen Wurzeln die Grotte und die Kränze als Krönungselemente sind für Tityrus bereitet (iamque superserpunt hedere radicibus antrum, / serta parata tibi, III 65 f.). Der von oben herabschlängelnde Efeu hebt erneut das geschützte Idyll des Ortes hervor, das sich als lustvolles Refugium anbietet.106 Zudem erinnert es abermals an die Prophezeiung aus Vergils vierter Ekloge. Denn zum einen ist es auch dort der Efeu, den die Erde als erstes Geschenk dem Wunderknaben bereitet (At tibi prima, puer, nullo munuscula cultu / errantis hederas passim cum baccare tellus, Verg. Ecl. IV 18 f.). Zum anderen ist das iam am Versbeginn sogar zweifach Teil der Rückkehr zur idealen Goldzeit (iam redit et Virgo, redeunt Saturnia regna, / iam noua progenies caelo demittitur alto, Verg. Ecl. IV 6 f.).107 Die Kränze, die ihm bereits bereitet sind (serta parata tibi, III 65), greifen zudem die Lorbeerkrönung aus Giovan-

104 Vgl. Eitel 2014, 96. 105 In Vergils erster Ekloge bietet Tityrus dem exilierten Meliboeus eine ruhige Nacht in seinen Hütten an. Früchte sind dort Teil der angenehmen Ausstattung (Verg. Ecl. I 79 f.). In der zweiten Ekloge sind Früchte Teil des Werbegeschenks an Alexis (ibid. II 53). 106 Wie auch u. a. Eitel 2014, 96 anmerkt, besteht eine motivische und verbale Parallele auch zu Vergils neunter Ekloge, in der Moeris das Werbelied um Galatea singt, die in die Lustgrotte gerufen wird (Verg. Ecl. IX 39–43). Auch hier findet sich der werbende Kontext und die umrankte Höhle als Ort, an den der Sprecher Galatea locken will. 107 Vgl. Eitel 2014, 99 denkt bei iam an einen intertextuellen Bezug zu Vergils vierter Ekloge, ohne jedoch weitere Schlüsse zu ziehen.

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nis erster Epistel wieder auf (inclita Peneis redolentem tempora sertis, I 38).108 Durch die gleichzeitige Assoziation der Hypotexte suggeriert Giovanni, Tityrus’ Ankunft und Krönung an seinem Ort werde erwartet wie die Rückkehr des goldenen Zeitalters in Vergils Ekloge. Giovannis Einladung gerät zu einer Prophezeiung der wiederkehrenden Idealzustände bei Tityrus’ Ankunft in seinem arkadischen Bologna. Schließlich bringt Mopsus seine Werbung noch einmal auf den Punkt mit der Aussicht, dass an diesem Ort Tityrus’ Lust keine Grenzen gesetzt würden (nulla est cessura voluptas, III 66) und bezieht sich dabei erneut auf Vergils zweite Ekloge. Dort ruft Corydon trahit sua quemque voluptas (Verg. Ecl. II 65).109 Trotz der ähnlich werbenden Ausgangslage zwischen Vergils Corydon und Mopsus-Giovanni ist doch die Kontextualisierung eine andere. Denn während Vergils Corydon über seine alles beherrschende, aber unerfüllte voluptas resigniert, verwendet Giovanni-Mopsus den vergilischen Hypotext für eine positive Bewerbung seiner Sache. Die voluptas, die bei Vergil Ursache von Corydons elegischen Leidens war, wird bei Mopsus-Giovanni zum begehrenswerten Zustand, der Tityrus-Dante an seinem Ort erfüllt würde. Insgesamt lässt sich für den ersten Teil der Ortsbeschreibung (III 51–66) festhalten, dass Giovanni del Virgilio seine Werbung hauptsächlich nach Motiven der ersten, zweiten und vierten Ekloge bedient. Die Motive erhalten dabei eine affirmative Funktion und positive Bedeutung im Kontext der Werbung um Tityrus-Dante. Die physisch-idyllischen Räumlichkeiten des bukolischen locus amoenus, der geistig-ideale, weil sorgenfreie Zustand des goldenen Zeitalters sowie erreichbare Wohltaten und Gelüste, nach denen sich Vergils Hirten zumeist nur elegisch-hoffnungslos sehnen, sind Bestandteile, die Giovanni aus Vergils Eklogen schöpft und zu einem erfüllbaren Szenario zusammenfügt, das er Tityrus in Aussicht stellt. Nachdem Mopsus Tityrus also dargelegt hat, wie der Ort selbst um sein Kommen werbe, geht er im zweiten Teil der Ortsbeschreibung (III 67–71) auf das Publikum ein, das Tityrus erwarte. Huc ades! Huc venient, qui te pervisere gliscent, Parrasii iuvenesque senes, et carmina leti qui nova mirari cupiantque antiqua doceri. Hi tibi silvestres capreas, hi tergora lincum orbiculata ferent, tuus ut Melibeus amabat.

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Jung und Alt der arkadischen Bevölkerung kämen, um Tityrus-Dante zu sehen, seine neuen und alten Gesange zu bewundern und gelehrt zu bekommen. Geschenke würden sie ihm bringen: wilde Ziegen und Luchsfelle, wie sie auch Melibeus lieben würde.

108 Vgl. u. a. Albanese 2014, 1746. 109 Vgl. u. a. Petoletti 2016, 591.

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Wie zuvor setzt er mit einem emphatischen Ausruf an und fordert Tityrus zum Kommen auf (huc ades!, III 67).110 Erneut ist der Verweis auf Vergils Eklogen deutlich. Denn so ruft Corydon nach Alexis, in der siebenten Ekloge fordert zudem Meliboeus Corydon zum gemeinsamen Spiel im Schatten auf und auch der elegische Ruf nach Galatea aus der neunten Ekloge wird von einem huc ades gerahmt.111 Diese Intertextualität sowie der emphatische Ton der Anrede hebt die elegische Grundstimmung der metadiegetischen Rede wieder in den Vordergrund, die insbesondere deren exordium (III 33–35) und narratio (III 36–46) inhaltlich und formal prägte. Mopsus legt dar, wie alle Parrhasier darauf brennen würden, Tityrus zu sehen, zu hören und von ihm zu lernen (huc venient, qui te pervisere gliscent, / Parrasii iuvenesque senes, et carmina leti / qui nova mirari cupiantque antiqua doceri, III 67–69).112 Ihr Drang ist dabei durch die verbale Doppelung pervisere gliscent (III 67) hervorgehoben, in der sowohl das gliscere das Begehren bezeichnet als auch die neologistische Form pervisere, in der das Präfix per- die Bedeutung des visere verstärkt, das ebenfalls ein begehrliches Sehen ausdrückt.113 Dies bestätigt in den folgenden Versen ein weiteres cupiantque (III 69), das abermals ihr Begehren hervorhebt, Dantes Dichtung zu hören und unterrichtet zu bekommen. Die neue und die alte Dichtung, in die Giovanni Tityrus’ Dichtung aufteilt, repräsentieren zum einen die volkssprachliche, moderne Dichtung und die lateinische Dichtung nach den antiken Vorbildern (Parrasii iuvenesque senes, et carmina leti / qui nova mirari cupiantque antiqua doceri, III 68 f.).114 Mopsus-Giovanni scheint Dantes moderne, volkssprachliche Dichtung anzuerkennen, wenn er die Arkader diese bestaunen lässt (qui nova mirari cupiantque antiqua doceri, III 69). Verglichen mit deren Bestreben, die alten Gesänge zu lernen, deutet sich jedoch dieselbe Skepsis gegenüber der volgare-Dichtung an, die Giovanni bereits in seinem ersten Brief geäußert hatte. Denn die Reaktion des Staunens suggeriert eine Perplexität der antiken Sängerexperten angesichts der neuen Gesänge, die sie im Gegensatz zu den antiqua carmina nicht

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Vgl. III 33; III 36; III 44. Vgl. Verg. Ecl. II 45; VII 9; IX 39–43. Vgl. u. a. Eitel 2014, 99 f. Petoletti 2016, 591 weist darauf hin, dass die Bezeichnung Parrhasier für Arkader zwar nicht in Vergils Bucolica erscheine, aber durchaus häufig sei und beispielsweise erscheine in Verg. Aen. VIII 344. Uguccione da Pisa Derivationes G 74, 3 s. v. glisco item a glicin glisco -scis, quia que dulcia sunt desiderare solemus: gliscere enim est cupere vel desiderare. Ibid. U 26, 7 s. v. viso item a video viso -is -si desiderativum, idest cum desiderio videre. Vgl. Petoletti 2016, 591. So deutet es auch u. a. Albanese 2014, 1747, die bereits früher den Bezug zwischen den novis cantibus (I 1) und den nova carmina (III 68 f.) herstellt (ibid., 1663). Frühere Kommentare (u. a. Cecchini 1979; Brugnoli/Scarcia 1980) wollen in der neuen Dichtung Dantes neulateinische Dichtung erkennen, in der alten die Dichtung der antiken lateinischen Dichter. Die Deutung, die auch Albanese vertritt, ist jedoch überzeugender, da Giovanni del Virgilio dezidiert von Dantes Dichtung spricht und die Argumente seiner ersten Epistel dabei wiederholt, in der er ebenfalls mit dem Begriff der novis cantibus (I 1) auf die modernen, volkssprachlichen Verse der Commedia anspielte.

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gelehrt bekommen wollen.115 Dennoch erkennen sie ihn an, offensichtlich für seine carmina antiqua, die auch ihren Geschmack bedienen. In dieser Wunschvorstellung ist auch Giovannis Forderung aus dem ersten Brief erfüllt, Dante möge eine lateinische Dichtung schreiben und somit beiden, dem volkssprachlichen und dem gelehrten lateinischen Publikum gerecht werden (vgl. I 23 f.). In ihrem Streben nach Dantes Belehrung erinnern die Arkader darüber hinaus an die Juristen in Mopsus’ Umfeld, wie sie zum Unterricht des Rechts in die Stadt eilen (vgl. II 29; III 7). Mopsus’ Welt erweist sich dabei als poetische Gegenwelt, wenn er die Arkader zu seiner sozialen Umgebung erklärt, deren Bemühung und Interesse nun gänzlich den poetischen Studien gilt. Wenn Giovanni das Kollektiv arkadischer Dichtungsgelehrter in seinem Interesse an Tityrus zeigt, knüpft er zudem an die Argumentationsstrategie seiner ersten Epistel an. Dort machte er sich zum Sprachrohr eines Kollektivs von Dichtungsexperten (nos pallentes, I 7), in deren Namen er Dante bat, seine Verantwortung als Dichtungsautorität anzunehmen. Er inszenierte eine Schule von Gelehrten, die ihn als ihren Anführer freudig anerkennen und mit Lorbeer bekränzen würden (vgl. I 37–40). Diese Argumente lässt Giovanni sein Alter Ego Mopsus hier in bukolischem Gewand wiederholen. Die Arkader, die glücklich Tityrus-Dantes Gesänge vernehmen und gelehrt bekommen (et carmina leti / qui nova mirari cupiantque antiqua doceri, III 68 f.), entsprechen dem jubelnden Publikum, das Giovanni Dante für ein lateinisches Epos in Aussicht gestellt hatte.116 Wie in seinem ersten Brief versucht Giovanni del Virgilio folglich, seinem Wunsch, Dante möge sich zur klassisch-lateinischen Tradition bekennen und sich dem Gelehrten als magister anschließen, Autorität zu verleihen, indem er dies als Begehr eines Kollektivs von Gelehrten ausgibt. Bestand dieses Kollektiv im ersten Brief noch aus den Gelehrten der Universität, die er in einem episch-militärischen Vergleich als Dantes Fußvolk identifizierte (vgl. I 36–40), inszeniert Giovanni del Virgilio dies in seiner zweiten Epistel in bukolischer Manier als arkadische Sängerhirten, die Dante als Tityrus und alter Virgilius zu ihrem Dichterkönig küren. Die folgenden zwei Verse bekräftigen Tityrus’ Verehrung. Sie beschreiben, wie die Parrhasier ihm Geschenke bringen, wilde Ziegen und gefleckte Luchsfelle (Hi tibi silvestres capreas, hi tergora lincum / orbiculata ferent, tuus ut Melibeus amabat, III 70 f.). Die Gabe von Tieren und Fellen entspricht dabei einerseits dem rustikalen Lebensbereich der Hirtenwelt. Das Adjektiv silvestres markiert die Ziegen als Teil von MopsusGiovannis Kontext. Denn die Wälder machte er zum wesentlichen Merkmal seiner Identität als Hirte und Sänger (vgl. III 30). Andererseits sind es vor diesem einfachen Horizont exotische Gaben. Den exotischen Aspekt betonen besonders die gefleckten 115 116

Giovannis skeptische Haltung gegenüber den nova carmina erkennt Stocchi 2012, 152 bereits in den Anfangsversen des ersten Briefes. Brugnoli/Scarcia 1980, 65 bringen das leto eher mit dem Triumph in Verbindung, den Giovanni del Virgilio in I 38–40 beschreibt.

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Luchsfelle (hi tergora lincum / orbiculata ferent, III 70 f.). Luchse sind zwar ebenfalls aus Vergils Eklogen bekannt. So lauschen sie in der achten Ekloge verzaubert dem wunderbaren Gesang der Hirten Damon und Alphesiboeus (vgl. Verg. Ecl. VIII 3).117 Giovanni nennt sie jedoch nicht als lebendige Zuhörer, sondern als Felltrophäen. Es ist ein besonderes Geschenk der Hirten an Tityrus (tergora lincum / orbiculata ferent, III 70 f.), das den Sängerhirten mit einem triumphierenden Feldherrn assoziiert, dem kostbare Gaben der eroberten Gegend entgegengebracht werden.118 Giovanni modifiziert hier erneut ein Motiv aus Vergils zweiter Ekloge. Dort bietet Corydon seinem Alexis zwei Bergzicklein mit geflecktem Fell an (Verg. Ecl. II 40– 42).119 Im Gegensatz zu Corydons Geschenk, das das Diminutiv capreoli als klein und bescheiden charakterisiert, ist Mopsus-Giovannis Geschenk der gefleckten Luchsfelle hingegen exotisch-wild. So greift Giovanni ein vergilisches Motiv auf, wendet aber den bescheidenen bukolischen Charakter der Gaben zu besonderen herrschaftlichen Geschenken an Tityrus um. Dies hat erneut poetologische Implikationen. Denn auf diese Weise schafft der Gelehrte innerhalb der bukolischen Allegorie eine erhaben-fürstliche Sphäre um Tityrus. So tariert er das Spannungsfeld zwischen seinem eigentlichen Streben nach einem episch-erhabenen Stil und der bukolischen Allegorie aus. Diese Voraussetzung überträgt er auch auf Dantes bukolische Welt, wenn er Tityrus’ Gefährten Melibeus miteinbezieht (vgl. III 70 f.). Den Versschluss tuus ut Melibeus amabat (III 71) konstruiert er parallel zu dem Vers, in dem Dante Melibeus und die bukolische Ausgangssituation erstmals eingeführt hatte: tunc ego sub quercu meus et Melibeus eramus (II 4). Giovanni verändert das Zitat aus Dantes Epistel. Denn während Dante damit seine einfache Hirtenexistenz und sein entsagungsreiches Exil einführt (vgl. II 3 f.), hebt Giovanni mit dem orbiculata ferent, tuus ut Melibeus amabat (III 71) hervor, wie Melibeus sich an Mopsus’ Lustort an dessen reichen und exotischen Vorzügen erfreut, die ihm in seiner kargen Realität nicht zur Verfügung standen und die ihm Tityrus-Dante sogar explizit untersagte (vgl. II 64 f.). Mopsus stellt folglich die genussreiche Vision dem kargen Exil gegenüber, das Tityrus-Dante um sich und Melibeus beschrieben hatte. Er suggeriert, deren Sehnsucht nach besseren Umständen stillen zu können und ihre Situation (tunc ego sub quercu meus et Melibeus eramus, II 4) zu einer willkommenen Alternative (tuus ut Melibeus amabat, III 71) umzuformulieren.

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Vgl. u. a. Brugnoli/Scarcia 1980, 66. Auch die Formulierung iuvenesque senes (III 68), mit der Mopsus beschreibt, wie das Publikum zusammenkäme, zitiert eine epische Szene aus Vergils Aeneis. Dort findet sich die Junktur iuvenumque senumque (Verg. Aen. IX 309) und beschreibt die Versammlung der jungen und alten Edlen, die den Aufbruch der jungen Krieger Euryalus und Nisus mit ihrem Segen begleiten. Giovanni variiert hier die epische Abschiedsszene für Tityrus-Dantes Verehrung als Dichter. Auf den vergilischen Hypotext verweist auch Albanese 2014, 1747. Eitel 2014, 101 sieht einen Widerspruch zwischen dem Luchsgeschenk zum Stand der Hirten, die nicht auf die Jagd gehen würden. Vgl. Albanese 2014, 1748.

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Mopsus bewirbt seinen Aufenthaltsort folglich als einen Lustort, der auf Tityrus’ physisches Wohl und seine geistige Zuflucht ausgerichtet ist, an dem ihn Natur und Menschen wie ihren Herrn bedienen und ihm zum Zeichen dieses Status schließlich mit Kränzen aus dem natürlichen Material des Ortes krönen. Tityrus wird zum Zentrum, um das sich alle Lieblichkeiten und Vorzüge entfalten. Wenn Mopsus-Giovanni derartige Idealbedingungen der vergilischen Eklogen komponiert und Tityrus-Dante herbeiruft, lässt er damit zugleich seine Intention verlauten. Denn indem er Tityrus als geistiges Zentrum und Fürsten seiner vergilischen Idealwelt zu sich ruft, propagiert er dies zugleich als Bedingungen, unter denen er Dante als dichterisches Modell anzunehmen sucht. Dabei bietet sich Giovanni wie in der ersten Epistel als Helfer an. Er könne Dante die friedlichen Umstände zurückgeben, die dieser gegenüber seinem Vorgänger Tityrus aus der ersten vergilischen Ekloge verloren hat, bzw. solche, die eben diese noch übertreffen. Indem Giovanni das bukolische Szenario eines repatriierten alter Virgilius entwirft, stilisiert er sich selbst als Vermittler zu Dantes Ruhm als neuem Vergil und macht sich somit zum mittelbaren Reformator des vergilischen Erbes.120 3.5 Ein Ort ohne Hinterhalt und Unrecht Der dritte Teil der Ortsbeschreibung (III 72–76) verändert die rhetorische Stoßrichtung. Mopsus geht zu einer Defensive über, in der er die Gefahr bestreitet, die Tityrus-Dante in seiner Epistel an Mopsus’ Ort argwöhnte. Es beginnt folglich die confutatio, in der Mopsus Tityrus’ Standpunkt zurückweist. Huc ades, et nostros timeas neque, Tytire, saltus: namque fidem celse concusso vertice pinus glandifereque etiam quercusque arbusta dedere. Non hic insidie, non hic iniuria, quantas esse putas.

75 [III 72–76]

Mopsus wiederholt seine Aufforderung, Tityrus möge kommen, und versichert ihm, er solle die Täler nicht fürchten. Denn sowohl die Pinien mit ihren hohen Wipfeln, die Eicheln tragenden Eichen und das Buschwerk würden vertrauenswürdigen Schutz bieten. Er beteuert, es gebe keinen Hinterhalt und kein Unrecht, wie Tityrus glaube. Erneut setzt Mopsus-Giovanni mit dem huc ades (III 72) ein, mit dem er bereits den zweiten Teil der Ortsbeschreibung eingeleitet hatte (Huc ades!, III 67). Während

120 Gemäß Krautter 1983, 43 verwendet Giovanni del Virgilio die bukolische Allegorie zur „Reproduktion eines klassischen Dichtungsstils [mit] ästhetischem Eigenwert.“

204

Giovanni del Virgilio an Dante

er Tityrus’ Einladung jedoch bisher als Wunsch des Ortes oder der Parrhasier genannt hatte (vgl. III 52; 67), spricht er nun erstmals für sich selbst. Mit dem nostros saltus (III 72) gibt er den vergilischen Idealort als seine Heimat zu erkennen (huc ades, et nostros timeas neque, Tytire, saltus, III 72) und zeigt sein persönliches Interesse an Tityrus’ Kommen. Mopsus zitiert den kritischen Einwand, den Tityrus in Dantes Epistel gegenüber seinem Ort geäußert hatte (Sed timeam saltus et rura ignara deorum, II 41).121 Er kehrt diese Bedenken zugunsten seines Ortes um. So würde die Landschaft vielmehr Vertrauen einflößen, die hohen Pinien, die ihre Wipfel schütteln, die Eicheln und das Buschwerk (namque fidem celse concusso vertice pinus / glandifereque etiam quercusque arbusta dedere, III 73 f.). In einer Antithese stellt er Tityrus’ Furcht (timeas, III 72) dem Zutrauen (fides, III 73) gegenüber, das die Landschaft in ihm erwecken solle. So erklärt Mopsus Tityrus’ Bedenken als unnötig. Als Lustort (voluptas, III 66) und Schutzraum (fides, III 73) ist Mopsus’ Ort den Bedürfnissen zugeschnitten, nach deren Befriedigung sich ein Exilant wie Tityrus sehnt.122 Nachdem Mopsus noch einmal betont hat, dass es keinen Hinterhalt und kein Unrecht gäbe, wie Tityrus glaube (vgl. III 75 f.),123 lässt er die Verteidigung des Ortes in eine Verteidigung seiner Person übergehen und weist damit das persönliche Interesse aus, unter dessen Vorzeichen die gesamte Ortsbeschreibung zu betrachten ist. Der folgende Teil ist somit noch immer Teil der confutatio (III 72–79), in der Mopsus versucht, Tityrus’ Bedenken an seiner Einladung zu entkräften. Non ipse michi te fidis amanti? Sunt forsan mea regna tibi despecta? Sed ipsi di non erubuere cavis habitare sub antris: testis Achilleus Chyron et pastor Apollo. [III 76–79]

121 122

123

Vgl. u. a. Albanese 2014, 1748. Die Landschaftselemente assoziieren dabei auch den locus amoenus, als den Mopsus-Giovanni Tityrus’ aktuellen Aufenthaltsort beschrieben hatte (vgl. III 11–17). Dort nannte er zunächst die Pinien, die hoch ragend die Wiesen bedecken (vgl. III 12 f.). Auch seinen Ort beschreibt Mopsus nun von hohen Pinien bewachsen (vgl. III 73 f.). Den schützenden Charakter des Ortes reklamiert Mopsus auch für seinen Ort, da seine Pinien aktiv Zutrauen einflößen (fidem dedere, III 73 f.). Mopsus stellt hier auf subtile Weise die beiden beiden Idealorte einander gegenüber. Doch wenn seine Bäume ihr Geäst wie zum zustimmenden Applaus schütteln und sich damit auch aktiv ihrem Bewohner Tityrus widmen, suggeriert er, dass sich die Orte zwar in ihrer Ausstattung ähneln. Sein Ort erscheint jedoch attraktiver, da die Landschaft nicht nur einen idyllischen Schutzraum biete, sondern aktiv zu seiner Verfügung stünde. Diese Konkurrenz zwischen dem Ort, an dem sich Tityrus derzeit aufhält, und dem eigenen locus amoenus greift er später wieder auf (vgl. III 80–83). Den Schutzaspekt erkennt auch Eitel 2014, 101. Es zeigt sich, dass er Dantes Kritik v. a. in ihrer konkret politischen Dimension deutet. Denn Tityrus’ Angst lässt sich mit Dantes historischer Situation als Exilant begründen, in der eine Bewegung ins politisch feindliche Bologna Risiken bergen könnte. U. a. Albanese 2014, 1748 erläutert, dass Giovanni versuche, Dantes politische Bedenken auszuräumen.

Liebeswerbung um Tityrus

205

Ob Tityrus ihm denn kein Vertrauen schenke und ob er seine Reiche verachten würde, fragt Mopsus seinen Adressaten. Nicht einmal die Götter hätten sich geschämt, in Höhlen zu wohnen, wie Achills Lehrer Chiron und der Hirte Apoll bezeugen würden. Mopsus rückt seine persönliche Beziehung zu dem umworbenen Tityrus wieder in den Vordergrund. Die Frage, ob Tityrus ihm denn nicht vertrauen würde, zeigt Mopsus als liebendes Subjekt in seiner persönlichen Betroffenheit (Non hic insidie, non hic iniuria, quantas / esse putas. Non ipse michi te fidis amanti?, III 75 f.). Das Prädikat fidis (III 76) greift dabei die fides wieder auf, die die Bäume Tityrus entgegenbringen würden (namque fidem celse concusso vertice pinus / […] dedere, III 73 f.).124 Die Ortsbeschreibung und Mopsus’ Konstitution sind somit verbal miteinander verknüpft. Mopsus greift die Charakteristika des Ortes in seiner Frage wieder auf, die er nun auf das persönliche Verhältnis zwischen sich und Tityrus bezieht. Dabei verändert er den semantischen Wert der Begriffe. Denn war die fides (III 73) der Bäume unter dem Aspekt des Schutzes zu verstehen, erhält das fidis (III 76) hier eine erotische Bedeutung. Mopsus spricht nun als Liebender zu Tityrus, wie das prädikative amanti signalisiert (Non ipse michi te fidis amanti?, III 76). Damit greift er die Liebe auf, die bereits die narratio (III 36–46) seiner (metadiegetischen) Rede verkündet hatte. Seine dort hoffnungsvoll-positive Stimmung hat sich in der confutatio (III 72–79) jedoch geändert. Mopsus gibt zu verstehen, dass er Tityrus’ Schmähung seines Ortes, der ihm doch zu seiner voluptas und seiner fides zur Verfügung stehen würde, persönlich nimmt. Seine Kränkung hebt er im folgenden Vers weiter hervor, wenn er Tityrus vorwirft, seine Reiche zu verschmähen (Sunt forsan mea regna tibi despecta?, III 77). Das Motiv des gekränkten Hirten übernimmt Giovanni dabei erneut aus Vergils zweiter Ekloge. Dort wendet sich Corydon klagend an Alexis, er solle doch seine Person nicht verachten (Verg. Ecl. II 19). Anders als Vergils Corydon bezieht Mopsus-Giovanni seine Klage jedoch nicht auf sich, sondern auf den Ort, die mea regna (III 77).125 Wenn Mopsus seinen locus amoenus als mea regna bezeichnet, hebt er seinen besonderen Status hervor. Denn dadurch ist er nicht nur Bewohner der Weiden, ein Hirte, sondern erhält eine erhabene Position. Der Ort ist sein Reich und rechtfertigt insofern das Gefühl der Kränkung, als Tityrus’ Ablehnung der Beleidigung einer herrschaftlichen Instanz gleichkommt. Denn der Begriff der regna entstammt einem königlichen Register. Wenn dies in dem einfachen bukolischen Kontext zunächst unpassend erscheint, lässt sich in Giovannis Inszenierung seines poetischen Alter Egos dennoch eine Kontinuität erkennen. Denn Giovanni zitiert hier erneut einen Vers aus Vergils Ekloge. Dort sehnt sich der verbannte Meliboeus danach, seine Reiche wiederzusehen.126 Die Bezeichnung steht dort jedoch für seine ärmliche Hütte und hebt somit Meliboeus’ 124 Petoletti 2016, 593 macht auf den transitiven Gebrauch des Verbs fidere aufmerksam, das nach dem klassischen Latein intransitiv gebildet werde. 125 Vgl. Eitel 2014, 102. 126 Vgl. u. a. Albanese 2014, 1749.

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Giovanni del Virgilio an Dante

Schmerz über die verlorene Heimat umso deutlicher hervor, der ihn seine Hütten wie Königreiche ersehnen lässt (Verg. Ecl. I 67–69). Bei Giovanni hingegen beschreibt es Mopsus’ Ort als einen locus amoenus, der als vergilisches Arkadien in seinen idealen Bedingungen gestaltet ist. Der Begriff des Reiches spielt somit auf die Nobilität seiner Hirtenlandschaft an. Wie schon zuvor zeigt sich, dass für den Gelehrten die bukolischen Grundvoraussetzungen nur in ihrer erhabensten Form akzeptabel sind. Eine einfache, entbehrungsvolle Hirtenumgebung, wie sie Dante in der zweiten Epistel als seine Umgebung beschrieben hatte, betrachtet er als defizitären Zustand, den es zu verlassen bzw. zu veredeln gilt. Vor diesem Hintergrund bietet er Tityrus mit seiner Einladung an, auch führender Teil der erhabenen Umstände zu werden, in denen er selbst sich bereits wähnt. Erneut klingt die Konstellation aus Giovanni del Virgilios erster Epistel an, in der er Dante an seine Universität in den Kreis der Gelehrten gerufen hatte, die er mit einem epischen Vergleich in eine fürstliche Sphäre entrückte (vgl. I 35–40). Die Verwendung des epischen Begriffs regna innerhalb der bukolischen Allegorie zeigt erneut Giovannis Bestreben, die bukolische Gattung und den stilus humilis mithilfe epischer Elemente zu sublimieren. Dementsprechend verteidigt Mopsus seine Reiche weiter in den folgenden Versen. So führt er die Götter an, die sich sogar nicht geschämt hätten, in Höhlen zu wohnen. Als Beispiele nennt er Chiron, den Lehrer Achills, und den Hirten Apoll (Sed ipsi / di non erubuere cavis habitare sub antris: / testis Achilleus Chyron et pastor Apollo, III 78 f.). Formal greift er ein weiteres Motiv aus Vergils zweiter Ekloge auf. Corydon mahnt dort ebenfalls Alexis, dass doch sogar die Götter in den Wäldern gewohnt hätten (Verg. Ecl. II 60 f.).127 Während Vergils Corydon jedoch das Landleben gegenüber der städtischen Existenz als besonders attraktiv preist (Verg. Ecl. II 61 f.), zieht MopsusGiovanni die Autoritäten heran, um damit die ländlich-einfache Lebensform überhaupt erst zu legitimieren.128 Chiron repräsentiert zum einen den epischen Kontext, da er als Lehrer Achills, dem Helden der Ilias, genannt ist (testis Achilleus Chyron et pastor Apollo, III 79). So ist die Höhle als Ort für Figuren epischen Rangs gerechtfertigt. Die Nennung Apolls und die Formulierung erubuere (III 78) erinnern hingegen an die recusatio der epischen zugunsten der bukolischen Gattung aus Vergils sechster Ekloge (Verg. Ecl. VI 1–5).129 Dort zupft Apoll den Hirten Tityrus am Ohr, der daraufhin zu einem zart gesponnenen Hirtenlied ansetzt, vor dem die Muse nicht errötet. Mithilfe des intertextuellen Verweises seiner Höhle auf die vergilische recusatio rechtfertigt 127 128 129

Vgl. u. a. auch Albanese 2014, 1749, die die variatio von Vergils silvae zu Giovannis antra als dessen Anpassung an das eigene bukolische Motiv ausweist. Petoletti 2016, 594 verweist zudem auf Verg. Aen. III 641 cavo Polyphemus in antro. Für die verschiedenen klassisch-antiken Quellen, denen Giovanni del Virgilio den Mythos von Apoll entnimmt, der nach seinem Sieg über die Kyklopen als Hirte in den Dienst des Admet treten muss, siehe u. a. Petoletti 2016, 594. Vgl. u. a. Eitel 2014, 102 f., die zudem auf Corydons Aufforderung in der zweiten vergilischen Ekloge verweist (Verg. Ecl. II 60 f.).

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Liebeswerbung um Tityrus

Mopsus-Giovanni somit seine bukolische Existenz gegenüber einer erhabeneren epischen und weist sie als innerhalb der vergilischen Tradition legitim aus. So verteidigt Mopsus-Giovanni seinen Aufenthaltsort als einen attraktiven Idealort gegenüber Tityrus-Dantes Kritik. 3.6 Mopsus’ Liebesleid Im Folgenden verliert Mopsus seine Zuversicht, dass Tityrus auf seine Argumente eingehen könnte und bedauert seinen unwürdigen Zustand. In der Passage ist Corydons elegische Klage aus der zweiten Ekloge Vergils als Hypotext präsent. Dabei lässt Giovanni weiterhin stilistische Reflexionen einfließen. Rhetorisch handelt es sich um eine captatio benevolentiae, in der Giovanni-Mopsus die Eignung seiner Person infrage stellt und damit indirekt die Qualität seines Adressaten Tityrus hervorhebt. In einem ersten Teil (III 80– 84) stellt Mopsus sich einem bisher unbekannten Konkurrenten, Iollas, gegenüber. Im zweiten Teil (III 85–87) steht die Verbindung zu Tityrus erneut im Vordergrund. Mopse, quid es demens? Quia non permittet Iollas comis et urbanus, dum sunt tua rustica dona, hisque tabernaclis non est modo tutius antrum, quis potius ludat. Sed te quis mentis anhelum ardor agit, vel que pedibus nova nata cupido?

80

[III 80–84]

Mopsus fragt sich, ob er von Sinnen sei anzunehmen, dass Tityrus seine rustikalen Gaben akzeptieren und in seine Höhle kommen würde. Denn der höfliche und städtische Iollas würde es nicht erlauben. Auch unter dem Sicherheitsaspekt könne seine Höhle die Hütten des Iollas nicht übertreffen, in denen Tityrus lieber spiele. Dies verleitet Mopsus zu der Frage, welche glühende Begierde seines Geistes und welches neu entstandene Begehren ihm denn Beine machen würde. Mopsus’ werbender Ton wechselt zu einer kritischen Selbstreflexion, die die Frage quid es demens? (III 80) einleitet. Ähnlich wie im Falle des anfänglichen quid facerem? (III 5) handelt es sich um ein Zitat der vergilischen Eklogen. Es entspricht dem Ausruf a Corydon, Corydon, quae te dementia cepit! (Verg. Ecl. II 69), mit dem Corydon seine hoffnungslose Liebe zu Alexis als Wahnsinn verteufelt. Nach diesem elegischen Modell formuliert er auch den Grund seiner Selbstkritik.130 Mopsus vergleicht sich mit einem Iollas und stellt dabei seine Unterlegenheit in der Werbung um Tityrus fest (Quia non permittet Iollas / comis et urbanus, dum sunt tua rustica dona, III 80 f.). Ähnlich be-

130

U. a. Albanese 2014, 1749 stellt fest, wie die gesamte Ekloge sowie auch diese Stelle nach Vergils zweiter Ekloge gestaltet ist.

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Giovanni del Virgilio an Dante

dauert bei Vergil Corydon, dass er ein einfacher Landbewohner sei, dessen Geschenke sein Alexis nicht annehmen würde, da sie die Attraktivität des Konkurrenten Iollas nicht wettmachen könnten.131 Auch strukturell ist diese Passage in Vergils zweiter Ekloge Vorbild (Verg. Ecl. II 56– 73). Dort leitet sie einen Wendepunkt der Rede ein, für den Robert Coleman feststellt: „An abrupt change of mood: in a flash of self-awareness and disillusion he sees the hopeless absurdity of his passion and the alienation that it has imposed on him.“132 Wenngleich der Stimmungswechsel bei Mopsus-Giovanni sich bereits ankündigte (vgl. III 76 f.), gesteht er sich erstmals ein, dass seine Werbung fehlgehen könnte. Der reiche Konkurrent ist dabei ein typisch elegisches Thema, das Giovanni aus Vergils Ekloge aufgreift.133 Anders als Vergils Corydon jedoch, der sich in seiner Selbstkritik als rusticus bezeichnet (rusticus es, Corydon, Verg. Ecl. II 56), fragt sich Mopsus-Giovanni, ob er ein Wahnsinniger sei (quid es demens?, III 80). Dadurch evoziert er zwei weitere Stellen aus Vergils zweiter Ekloge, die er mit der genannten Stelle über den Konkurrenten Iollas kombiniert (Verg. Ecl. II 56 f.): erstens die Frage, die Vergils Corydon vorwurfsvoll an Alexis stellt, ob der denn von Sinnen sei, vor seiner Liebe zu fliehen (quem fugis, a! demens?, ibid. II 60); zweitens Corydons spätere desillusionierte Feststellung an sich selbst, was für ein Wahnsinn ihn befallen habe (a Corydon, Corydon, quae te dementia cepit!, ibid. II 69). Giovanni übernimmt die Frageform der ersten Vergilstelle, wendet diese jedoch an sich selbst. Während Vergils Corydon seinen Wahnsinn abschließend konstatiert und damit seine Desillusionierung kundtut, lässt Mopsus-Giovanni mit der Frageform (quid es demens?, III 80) eine Hoffnung, dass seine Begierde nach Tityrus doch kein Wahnsinn sein könnte. Giovanni hat seine Werbung um Dante somit offensichtlich noch nicht aufgegeben. Eine weitere Intertextualität besteht in der Gegenüberstellung von rusticus und urbanus. So wirft sich Vergils Corydon vor, ein rusticus zu sein, und sieht in seinem Gegenspieler Iollas eine vornehme Person.134 Giovanni verwendet diese Begriffe ebenfalls. Als rusticus beschreibt er dabei nicht sich, sondern die Geschenke, die Mopsus für Tityrus bereithalte (tua rustica dona, III 81). Im Gegensatz dazu nennt er Iollas comis et urbanus (III 81).135 Anders als bei Vergil fällt der Begriff urbanus (III 81) explizit,

131 132 133 134

135

Coleman 1977, 104 stellt für den Iollas aus Vergils zweiter Ekloge fest: „he is here a diues amator, the stock villain of comedy and elegy“. Ibid. Zu den Topoi der römischen Liebeselegie siehe Holzberg 1990. Coleman hebt die implizite Gegenüberstellung des rusticus Corydon mit dem urbanus Iollas hervor. Coleman 1977, 104 zu Verg. Ecl. II 57: „rusticus is sharply contrasted with urbanus in both senses: ‚a country-dweller‘ and ‚a boor‘.“ U. a. Brugnoli/Scarcia 1980, 67 sehen hier in Verg. Ecl. II 56 f. das Vorbild. Brugnoli/Scarcia 1980, 68 deuten comis „cittadin cortese“. U. a. Albanese 2014, 1750 weist zudem auf Hor. Sat. I 10, 65 hin (comis et urbanus fuerit limatior idem), der ebenfalls die Dichotomie zwischen „gentile e raffinato“ und rustica dona hervorhebt.

Liebeswerbung um Tityrus

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um Mopsus’ Gegenspieler Iollas zu bezeichnen (Iollas / comis et urbanus, III 80 f.). Mit dem Adjektiv comis weist er die städtische Existenz als vornehm aus, die auch darin der ländlichen Existenz gegenübersteht. Die Umformulierung gegenüber Vergils Ekloge ist motiviert, da Giovanni seinem Alter Ego Mopsus ein zwar bukolisches, aber dennoch erhabenes Profil zu verleihen sucht. Indem er nicht sich selbst, sondern Mopsus’ Geschenke als ländliche Gaben (tua rustica dona, III 81) deklariert, weist er nur den Kontext als rusticus aus, sodass der Begriff auf die Bedeutung „einfach“-„ländlich“ beschränkt ist. In dem prädikativen Gebrauch bei Vergils Corydon hingegen (rusticus es, Corydon, Verg. Ecl. II 56) impliziert das Adjektiv, wie Coleman erläutert, nicht nur die Bedeutung des „Landbewohners“, sondern es transportiert auch die pejorative Bedeutung des „Rüpels“ („boor“).136 Indem Giovanni rustica als Adjektiv auf die Geschenke bezieht, determiniert er den Begriff in der Bedeutung als „ländlich“ als eine direkte Beleidigung seiner eigenen Person. In dieser Bedeutung stellt er die ländlichen Gaben dennoch dem Städter Iollas entgegen und bedient damit das für die Bukolik und die Elegie typische Motiv des Stadt-Land-Gegensatzes.137 Den Gegensatz zwischen sich und Iollas verdeutlicht Mopsus-Giovanni daraufhin an einem weiteren Beispiel. So stellt er fest, dass seine Höhle nicht sicherer sei als Iollas’ Hütten und daher Tityrus lieber dort sein musikalisches Spiel betreiben würde (hisque tabernaclis non est modo tutius antrum, / quis potius ludat, III 8 f.). Wenn er Iollas’ Hütten als tabernacla (III 82) bezeichnet, scheint dies nicht den Attributen des comis et urbanus (III 81) zu entsprechen, die den Konkurrenten zuvor beschrieben. Dies erklärt sich mit einem Zitat aus Dantes vorangehendem Brief, das Giovanni hier einwebt. Dort hatte Tityrus-Dante die bukolische Szenenbeschreibung damit beendet, dass in den Hütten bereits das Mahl für ihn und Melibeus kochen würde (parva tabernacla nobis dum farra coquebant, II 68).138 Giovanni übernimmt die tabernacla als eine Allegorie für Dantes derzeitigen Aufenthaltsort Ravenna. Dort gewährt ihm der Podestà Guido Novello da Polenta seine Gastfreundschaft. Dieser ist es auch, den Giovanni mit der Figur des Iollas in die bukolische Allegorie übersetzt. Wenn Mopsus zugesteht, dass seine Höhle nicht sicherer sei als Iollas’ Hütten, spielt der Gelehrte folglich auf Dantes Situation als politischer Exilant an, der auf eine sichere Zuflucht angewiesen ist (hisque tabernaclis non est modo tutius antrum, III 82).139 Neben dieser biographischen Dimension ist zudem erneut Giovannis poetologische Inszenierungsstrategie erkennbar. So hebt Mopsus nicht nur den Sicherheitsaspekt in Iollas’ Hütten hervor, sondern diese erscheinen auch im Gegensatz zu seiner 136 137 138 139

Coleman 1977, 104. Zu dem Gegensatz zwischen der Hirtenwelt und der städtischen Welt in der elegischen Werbung in Vergils Eklogen siehe Stanzel 2016. Vgl. u. a. Albanese 2014, 1750. Vgl. Lcom: Iollas idest dominus guido novellus depolenta tunc dominus ravenne; Albanese 2014, 1749 f., die als Modell für Giovannis Epistel auf Verg. Ecl. II 57: nec, si muneribus certes, concedat Iollas verweist.

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Giovanni del Virgilio an Dante

Höhle als Tityrus’ bevorzugter Dichtungsort (quis [= his tabernaclis] potius ludat, III 83). Auf diese Weise setzt Giovanni die politische mit der poetischen Situation in Bezug. Während Dante mit den tabernacla (II 68) seine Umgebung als besonders entbehrungsreich dargestellt hatte, präsentiert Giovanni-Mopsus sie im Gegensatz zu seiner Höhle als edle Behausung. Damit charakterisiert Giovanni nicht nur sein Alter Ego als einfach, sondern zeigt auch Tityrus als Dichter, der für sein politisches Asyl und seine künstlerische Tätigkeit nach einem vornehm-städtischen Kontext sucht. Bereits zuvor hatte der Gelehrte mit den Bildern von Stadt und Land den niederen, bukolischen Dichtungsstil dem episch-erhabenen Stil gegenübergestellt (vgl. III 26–32). Diese Dichotomie greift Giovanni wieder auf. Denn die rustica dona, die er Tityrus anbietet, lassen sich nicht nur auf Mopsus’ ländliche Höhlenbehausung beziehen. Sie sind auch als der bukolische Gesang zu identifizieren, den er Tityrus gerade darbietet.140 Damit verändert Giovanni das Dichterprofil, das er zuvor von Tityrus entworfen hatte. Denn er hatte Tityrus explizit als ländlichen Spieler auf zarten Flötenrohren gezeichnet (vgl. III 26–28) und dies sogar als nicht altersgemäß (III 50 f.) deklariert. Nun ist es hingegen Tityrus, der das Spiel in Mopsus’ ländlichem Idyll zugunsten eines Spiels in den Hütten des Städters Iollas verschmäht (quis potius ludat, III 83). Es zeigt sich, dass Tityrus offensichtlich die größeren Flöten, d. h. den städtischen, erhabenen Stil andernorts angenommen hat.141 In der poetologischen Argumentation setzt Giovanni den erhabenen Iollas und seine tabernacla folglich ein, um Tityrus ein Bestreben nach einem städtischen Leben zu unterstellen. Damit weist er ihm ein erhabenes Stilideal zu, das der städtisch-vornehme Raum symbolisiert. Sich selbst ordnet der Gelehrte wiederum unter, wenn Mopsus sich das ländliche Ideal zuschreibt und sein Nachsehen gegenüber der städtischen Eleganz bedauert. Giovanni stellt hier die bekannten poetologischen Hierarchien wieder her. Denn er bestätigt erneut die Überlegenheit eines erhabenen Stils gegenüber dem niederen. Er suggeriert, dass Dante bereits das erhabene Stilideal vertrete, das er ihm in der ersten Epistel anempfohlen hatte. Unter dieser Voraussetzung hebt er seine eigene Unterlegenheit hervor. Seinen Unterlegenheitsgestus inszeniert der Gelehrte dabei vor der intertextuellen Folie der zweiten, elegischen Ekloge Vergils. Die elegische Motivik ermöglicht ihm, sich seinem Korrespondenten unterzuordnen und dennoch seinen niederen Status innerhalb des klassischen Formats der vergilischen Dichtungstradition zu rechtfertigen. So wie das Motiv der puer-senex-Opposition verwendet Gio140 Vgl. Brugnoli/Scarcia 1980, 68. Sie verweisen auch auf Verg. Ecl. III 84: Pollio amat nostram, quamuis est rustica, Musam. Albanese 2014, 1750 verweist zudem auf Verg. Ecl. II 56 f., die Giovanni in III 80 imitiere, und auf Servius, der in seiner Praefatio zum Kommentar der Eklogen die Qualität der Hirten als rusticus dem Städtischen gegenüberstellt: nam personae hic rusticae sunt, simplicitate gaudentes […] unde nihil in his urbanum, nihil declamatorium invenitur; sed ex re rustica sunt omnia negotia, comparationes et si qua sunt alia. 141 Für ludere im Sinne des Musizierens siehe Verg. Ecl. I 10 Vgl. u. a. Petoletti 2016, 595. Zum Begriff des lusus in Vergils Eklogen siehe Schmidt 1972, 20.

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vanni das Motiv der Land-Stadt-Opposition, um das Stilgefälle zwischen sich und Dante in antiker Chiffre darzustellen und damit als gelehrt zu legitimieren. Nach der Gegenüberstellung mit seinem städtischen Konkurrenten Iollas drückt Mopsus schließlich sein Leid an der Liebe aus, wenn er sich fragt, welche Flamme ihn keuchend umtreibt und welche Lust, die aus neuen Versfüßen geboren ist (Sed te quis mentis anhelum / ardor agit, vel que pedibus nova nata cupido?, III 83 f.). Giovanni hebt nochmals die elegische Situation seines Alter Ego hervor, sein Begehren nach Tityrus-Dante und dessen Dichtung. Mit dem Adjektiv anhelum (III 83) stellt Mopsus sich erneut Melibeus aus Dantes Epistel gegenüber. Denn dessen Drängen hatte Tityrus mit demselben Begriff bezeichnet: Hic ego quid poteram, cum sic instaret anhelus? (II 27). Die Situation der Charaktere ist ähnlich, da beide atemlos um Tityrus’ Antwort werben. Doch Mopsus’ Werbung präsentiert sich als elaborierte Liebesklage nach dem Modell der zweiten vergilischen Ekloge. Melibeus hingegen fiel in Dantes Epistel in seinem naiven, ungeduldigen Drängen auf, sodass Tityrus ihn mitleidig als anhelus (II 27) bezeichnete. Giovanni impliziert so erneut eine Konkurrenz zwischen Mopsus und Melibeus, in der sein Alter Ego den naiven Gefährten von Tityrus übertrifft und sich Tityrus-Dante als gelehrte Alternative anbietet. Wie bereits in dem elegischen Register der metadiegetischen narratio (III 34–43) substantiviert Mopsus die Affekte, den ardor mentis und die cupido (III 83 f.).142 Auf diese Weise stilisiert er sie erneut zu abstrakten Mächten, unter deren Einfluss das Subjekt leidet. ardor und cupido rufen dabei erotische Assoziationen auf, die bereits die narratio kennzeichneten. Der Charakter seines elegischen Leids ist jedoch verändert. So spricht Mopsus von einem ardor mentis (III 83 f.) und der cupido, die seinen Beinen neu entstanden sei (pedibus nova nata cupido, III 84). Im Unterschied zu dem zuvor genannten amor (III 41) ist der befangene Geist (mens) fokussiert, dessen Brennen Mopsus keuchen macht.143 Die Bezeichnung seiner Begierde als neu (nova cupido, III 84) erinnert zudem an Tityrus’ carmina nova (III 68 f.), die die Bewohner Arkadiens bestaunen würden. Die erneute Nennung des Adjektivs nova in Verbindung mit der cupido legt ebenfalls nahe, dass es sich bei Mopsus’ cupido insbesondere um ein Interesse an Tityrus’ Dichtkunst handelt.144 Die erotische Sehnsucht zu Beginn der metadiegetischen Rede wird hier zu einem intellektuellen Begehren.

142 Vgl. die stilistischen Empfehlungen des Galfrid von Vinsauf Poetria Nova 1588–1760. Für die Junktur ardor agit verweist Albanese 2014, 1751 auf Verg. Aen. VII 393. 143 Das Bild der Füße, denen ein neues Begehren gegeben ist, weist ebenfalls in die Richtung. Dante verwendet es beispielsweise in einem Brief an die Florentiner die Bezeichnung der pedes mentis, die blind laufen würden, und meint damit eine Verwirrung des Geistes, nicht eine erotisch-emotionale Verwirrung. Auf diese Parallele in Epist. VI 5 verweisen Brugnoli/Scarcia 1980, 68: Quam in noctis tenebris malesane mentis pedes oberrent ante oculos pennatorum, nec perpenditis nec figuratis ignari. 144 Eitel 2014, 104 geht so weit, pedibus als Ablativ zu lesen und mit Versfüßen zu übersetzen, die ein neues Begehren in Mopsus ausgelöst hätten.

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Giovanni del Virgilio an Dante

Seine elegische Situation illustriert Mopsus daraufhin in einer vierteiligen Reihung von Analogien. Miratur puerum virgo, puer ipse volucrem, et volucris silvas et silve flamina verna; Titire, te Mopsus: miratio gignit amorem.

85

[III 85–87]

Die Jungfrau bewundere den Jungen, der Junge den Vogel, der Vogel die Wälder und die Wälder den Frühlingshauch. An diese Reihe von Konstellationen, in denen Mopsus jeweils Menschen, Tiere und Elemente nennt, die in einem Verhältnis der Bewunderung zueinander stehen, setzt er sich selbst, der Tityrus bewundere. Daraus schließt er, dass Bewunderung Liebe hervorbringe.145 Auch dieser zweiter Teil der captatio benevolentiae (III 85–87) ist Vergils zweiter Ekloge verpflichtet.146 Denn auch Corydon stellt sein Begehren nach Alexis in eine Reihe von Konstellationen natürlichen Begehrens. Er zählt die wilde Löwin auf, die dem Wolf folge, der Wolf wiederum folge der Ziege, die Ziege dem Schneckenklee, sowie Corydon Alexis folge. Jeden ziehe folglich seine voluptas an (Verg. Ecl. II 63–65).147 Giovanni-Mopsus übernimmt Vergils Reihung einerseits formal. So verknüpft er die asyndetische Reihung, indem er das jeweilige Objekt des vorangehenden Kolons in einem Polyptoton als Subjekt des folgenden wieder aufgreift (Miratur puerum virgo, puer ipse volucrem, / et volucris silvae et silve flamina verna, III 85 f.). Dadurch suggeriert Mopsus zwischen den einzelnen Elementen Jungfrau, Junge, Vogel, Wald und Frühlingswind einen logischen Zusammenhang. Im Unterschied zu Corydon stellt er die Reihung nicht unter die Prämisse der voluptas (Verg. Ecl. II 65), sondern der miratio. So leitet Mopsus die Reihung mit dem Prädikat miratur (III 85) ein und die Schlussfolgerung am Ende lautet miratio gignit amorem (III 87). Mopsus-Giovannis Liebe gegenüber Tityrus basiert folglich nicht auf erotischer voluptas, sondern sie entspringt einer intellektuellen Bewunderung. Giovannis Anleihen an Corydons Worte sind nicht nur formaler Natur. Denn Vergils Corydon versucht mithilfe der exempla aus der Tierwelt, seine voluptas gegenüber Alexis als natürliche Kondition zu rechtfertigen.148 In dieser rechtfertigenden Funktion verwendet sie auch Mopsus-Giovanni. Während Corydon eine Nahrungskette beschreibt (die Löwin jagt den Wolf, der Wolf die Ziege, die Ziege den Klee), ist Mopsus’ Auswahlkriterium der Elemente zunächst 145 Petoletti 2016, 596 spricht von einer „sententia“. 146 Wesentlich sind für den Abschnitt der captatio benevolentiae insbesondere die Verse 56–73 aus Vergils zweiter Ekloge, wobei Giovanni del Virgilio jedoch die desillusioniert-negative Situation von Vergils Corydon zu einer elegischen Werbung variiert, deren positiver Ausgang möglich ist und damit die Kommunikationssituation mit Tityrus-Dante aufrecht erhält. 147 Vgl. u. a. Albanese 2014, 1751. 148 Vgl. Petoletti 2016, 595. Zu Verg. Ecl. II 63 Coleman 1977, 105: „The rustic analogy is a conventional pastoral figure.“

Liebeswerbung um Tityrus

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nicht eindeutig. So erscheint die Attraktion zwischen der Jungfrau und dem Jungen natürlich motiviert, diejenige zwischen Junge und Vogel weniger. Die Bewunderung der Wälder durch den Vogel scheint als dessen natürliches Habitat begründet. Für die Bewunderung des Frühlingswindes durch die Bäume findet sich wiederum schwerlich eine offensichtliche Begründung. Der gemeinsame Nenner, der alle Konstellationen legitimiert, ist weniger in der Natur als in der Motivik von Vergils Eklogen zu finden.149 So ist die Konstellation aus virgo und puer aus Vergils vierter Ekloge bekannt. Dort stellen sich zur Geburt des puer wieder die Umstände des goldenen Zeitalters ein (Verg. Ecl. IV 8 f.).150 Zu diesem Anlass kehrt auch die virgo als die Verkörperung der Gerechtigkeit, die die Welt ob ihrer Schlechtigkeit verlassen hatte, zurück.151 Die virgo, die den puer bewundert, spielt folglich auf den Goldalterzustand an, den Vergil in seiner vierten Ekloge besingt. Unter den Vorzeichen dieses friedlichen Idealzustandes sind auch die folgenden Beispiele zu erklären, die Mopsus-Giovanni aufreiht. So hebt der Junge, der den Vogel bewundert, die ländliche Umgebung hervor, in der dieser aufwächst. Erneut ist es eine ideale, ursprüngliche Naturwelt, die Mopsus-Giovanni beschreibt. Dies fügt sich in die vorherige Gegenüberstellung des einfachen Landlebens mit dem vornehmen Stadtleben ein. So zeigt die Bewunderung des Vogels durch den Jungen, dass dieser eben nicht den vornehmen städtischen Verlockungen anheim fällt, sondern den natürlichen Elementen seiner Umgebung. Mit der Szene des Jungen im Wald stellt Mopsus zudem die direkte Assoziation mit seiner eigenen Situation her, der sich als puer incola silve (III 6) präsentierte. Durch die Goldalterassoziation stellt Mopsus somit den natürlichen Urzustand als erstrebenswerten Zustand dem vornehmen Leben des Städters Iollas implizit gegenüber. Das dritte Kolon versetzt die Szenerie schließlich explizit in die natürliche Umgebung des Waldes, wenn Mopsus den Vogel beschreibt, der die Wälder bewundere (et volucris silvas, III 86). Das letzte Kolon fügt sich wiederum in die Motivik des Goldzeitalters. Denn der erwähnte Frühlingswind (et silve flamina verna, III 86) ist typisches Motiv der lieblichen Idealzustände, die im goldenen Zeitalter herrschen.152 Die Reihung verbindet somit Mopsus’ eigene ländliche Identität mit dem vergilischen Goldzeitalter. Mopsus hebt seine Identität damit auf die Stufe einer idealen Urzeit. So ist er zwar ein einfacher Hirte. Sein Dasein ist aber nicht bäu-

149 Vgl. Brugnoli/Scarcia 1980, 69. Sie erkennen in den Motiven der Reihung hingegen „simboli più grossolani della vita cortese“, ohne dies jedoch weiter zu begründen. 150 Coleman 1977, 133 zu Verg. Ecl. IV 7: „Certainly the assimilation of the Virgin Mother of the Wonder Child from oriental prophecy to the virgin Dike-Astraia of Greek mythology would provide a plausible starting point for the complementary development of the poem’s two dominant themes – the return of the Golden Age and the birth and growth of the Child.“ 151 Vgl. Verg. Ecl. IV 6 f.; Ov. Met. I 149 f. 152 So beschreibt Ovid in seiner berühmten Darstellung der Zeitalter: Ver erat aeternum, placidique tepentibus auris / mulcebant Zephyri natos sine semine flores (Ov. Met. I 107 f.). Und als Jupiter nach dem goldenen Zeitalter das silberne einsetzt, ist es auch die Frühlingszeit, die er verkürzt (Ov. Met. I 116–118).

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Giovanni del Virgilio an Dante

risch-rustikal, sondern von einer ursprünglichen Natürlichkeit. Erneut zeigt sich, wie Giovanni den stilus humilis seines bukolischen Alter Egos als erhabenen legitimiert und sich im Zuge dessen zum Repräsentanten einer idealisierten Umwelt in der Tradition Vergils stilisiert. Wenn eine Apostrophe an Tityrus die gelehrte Reihung beendet (Tityre, te Mopsus: miratio gignit amorem, III 87), rechtfertigt Mopsus seine Bewunderung ebenfalls als eine natürliche Zuneigung und suggeriert, dass Tityrus-Dante doch eigentlich natürlicher Teil seiner Idealwelt ist. Daraufhin nimmt Mopsus’ Rede eine abrupte Wendung, wenn er Tityrus davor warnt, sein Angebot zu verachten. Mopsus leitet hier die conclusio (III 88–96) seiner metadiegetischen Rede ein, wenn er bereits die möglichen Konsequenzen der Kommunikation in Aussicht stellt.153 Me contempne: sitim frigio Musone levabo, scilicet – hoc nescis? – fluvio potabor avito. [III 88 f.]

Nachdem er seine emotionale Nähe zu Tityrus ausgedrückt hat, droht Mopsus, sich alternativ an die Gefilde seiner Vorfahren zu wenden, sollte Tityrus ihn weiter verschmähen. Erneut bedient sich Giovanni eines Motivs aus Vergils zweiter Ekloge. Denn von seiner Schmähung spricht auch Corydon zunächst, als er Alexis bittet, seinen Hirtengesang nicht zu verachten (Verg. Ecl. II 34).154 Anders als Corydon äußert Mopsus-Giovanni keine desillusionierte Feststellung, sondern eine Drohung, Tityrus möge ihn nicht verachten. Die Ankündigung, sich notfalls an den phrygischen Musone zu wenden, zeigt, dass Mopsus auch über Tityrus hinaus über Perspektiven verfügt, seine Wünsche zu verwirklichen. Die Flussmetonymie Musone deutet auf Padua hin, die Stadt von Giovannis Vorfahren, in der zudem der lateinische Dichter Mussato im Jahre 1315 seine Lorbeerkrönung erhielt.155 Der Verweis auf Padua impliziert, Mopsus 153

154 155

So zählt Bene da Firenze in die conclusio zum einen eine weitere captatio benevolentiae, die bei Giovanni noch folgen wird, sowie den Ausblick auf positive oder negative Konsequenzen, die die Reaktion des Adressaten auf die petitio haben wird. Zudem gebe die conclusio dem besprochenen Material einen Abschluss (Conclusio non ita sumitur ut in oratione rethorica: ibi enim dicitur conclusio artificiosus terminus orationis breviter colligens supradicta; hic autem est conclusio terminus epistole quid sequatur ex petitione declarans, ibid. Candelabrum IV 41). Vgl. Albanese 2014, 1751. Sie geht soweit, die die elegische Feststellung einer Verachtung durch das Gegenüber als einen bukolischen Topos zu bezeichnen. Für die biographischen Informationen zu Giovanni del Virgilio siehe Martellotti 1984. U. a. Eitel 2014, 106 erläutert das phrygio Musone als Padua: „Der Fluss Musone in der Nähe von Padua wird aus dem folgenden Grund phrygisch genannt: Einer der berühmtesten Phryger war Antenor, der mit Aeneas nach dem Fall Trojas nach Italien aufbrach. Er soll sich, gemäß der Schilderung des Livius, im Veneto niedergelassen haben und im Mittelalter galt Antenor als Gründer von Padua.“ Brugnoli/Scarcia 1980, 70 weisen zudem darauf hin, dass Giovannis Wahl des Begriffs avito nicht zwangsläufig in einer tatsächlichen familiären Bindung an die Stadt Padua zu suchen ist, als vielmehr eine kulturelle Bindung ausdrückt.

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Eine bukolische Sendung an Tityrus

werde sich gegebenenfalls an jemand anderen der gelehrten Community wenden, sollte Tityrus-Dante ihn verschmähen. 4. Eine bukolische Sendung an Tityrus Die Drohung (III 88 f.) leitet schließlich zum Abschluss der bukolischen Fiktion über, in dem Giovanni seinem Korrespondenten einen Anknüpfungspunkt für die weitere Kommunikation schafft. Quid tamen interea mugit mea bucula circum? Quadrifluumne gravat coxis umentibus uber? Sic reor: en propero situlas inplere capaces lacte novo, quo dura queant mollescere crusta. Ad mulctrale veni, si tot mandabimus illi vascula, quot nobis promisit Titirus ipse. Sed lac pastori fors est mandare superbum“. Dum loquor, en comites, et sol de monte rotabat.

90

95

[III 90–97]

Mopsus’ Reflexionen werden abrupt unterbrochen, als seine Kuh zu muhen beginnt. Der Hirte führt ihr Muhen auf die schweren Euter zurück, die gemolken werden wollen, und beschreibt sein Vorhaben, sie zu melken und von der Milch, die harte Krusten erweichen könne, zehn Fässer an Tityrus zu senden, sowie der sie zuvor ihm zugesandt habe. Sein Vorbehalt über den Hochmut, einem Hirten ein solches Geschenk zu machen, beendet die metadiegetische Rede. Im letzten Vers spricht Mopsus-Giovanni wieder auf intradiegetischer Ebene und schließt die bukolische Szenerie mit dem Hinweis an seine Gefährten, dass die Sonne bereits untergegangen sei. Die Kuh, die überraschend Mopsus’ Rede unterbricht, verleiht dem Abschnitt einen dramatischen Charakter. Denn Mopsus reagiert mit seiner Frage spontan auf ein Element seiner Umwelt und tritt mit ihm in Interaktion. Dominierte bisher das elegische Register, als Mopsus in seiner metadiegetischen Rede um Tityrus warb, tritt mit der Kuh erstmals ein bukolisches Element in den Vordergund und fordert Mopsus’ Pflichten als Hirte ein (Quid tamen interea mugit mea bucula circum?, III 90). Dementsprechend rücken körperlichere Motive in den Fokus. So schildert Mopsus, wie die Euter seiner Kuh bereits so prall sind, dass sie die Hüften beschweren (gravat coxis umentibus uber, III 91). Der Überfluss ist der Kuh deutlich anzumerken und zeigt sie in offensichtlicher Bedrängnis, die Flüssigkeit loswerden zu wollen. Darin ähnelt sie Mopsus, wie Dante ihn im zweiten Brief beschrieben hatte. Dort unterbrach ein unerwartet körperliches Vokabular die erhabene Szenerie der Dichterweihe (vgl. II 31 f.). Die dreifache Partizipialkonstruktion (prolutus, ferens, plenus) zeigte Mopsus voll von Dichterwassern, sodass er Tityrus zu sich ruft, um sich von seiner Überfülle zu erleichtern.

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Giovanni del Virgilio an Dante

Giovanni übernimmt das Motiv für die Beschreibung seiner übervollen Kuh. Dantes viscera und palatum (II 31) ersetzt er dabei durch uber und coxae (III 91). Wie es Dante von Mopsus berichtete, ist Mopsus’ Kuh ebenfalls so überfüllt an Flüssigkeiten, dass sie nach Mopsus ruft, der sie melken solle. Das Bild, das bei Dante ambivalent über Mopsus’ Reichtum an dichterischen Wassern sprach, wendet Mopsus jedoch ins Positive. Denn die Kuh ist die poetische Inspirationsquelle, die Giovanni für den weiteren Verlauf der Korrespondenz zu melken gedenkt. Sie bildet das Pendant zu Tityrus’ ovis gratissima (II 58), die dieser als seine besondere Milch- und Dichtungsquelle anführte.156 Ähnlich wie Mopsus beteuerte Tityrus den Milchreichtum seines Schafs, den ihre Euter kaum tragen könnten (II 59). So käme sie freiwillig zum Milchkübel (II 62) und er stehe bereit, sie zu melken (II 63). Auch Tityrus beendete seinen Brief mit der Ankündigung, er werde Mopsus zehn Kübel Milch senden (II 63 f.). Mopsus gestaltet die Szene mit seiner Kuh somit einerseits auf der Grundlage der Abschlussparagraphen aus Tityrus-Dantes Epistel. Andererseits vermischt er das Motiv mit der Dichterweihe, die Tityrus von ihm beschrieben hatte. Indem er die ambivalente Beschreibung seiner Person auf die Kuh überträgt, wird die Überfülle zu einem positiven Umstand, wie ihn Tityrus für sein Schaf postuliert hatte. Trotz der Ähnlichkeit grenzt Mopsus-Giovanni seine Kuh dennoch von Tityrus’ Schaf ab. So hebt er an seiner Kuh hervor, dass ihr Euter vierströmig ist, indem er das Adjektiv quadrifluum an die erste Position im Vers setzt (III 91). Das Adjektiv beschreibt dabei nicht nur konkret die vier Zitzen der Kuh, sondern stellt einen intertextuellen Bezug zu Prudentius’ drittem Hymnus ante cibum aus dem Liber Cathemerinon her. Dort beschreibt dieser den Garten Eden als einen locus amoenus, in dem ein vierströmiger Fluss verläuft. Dieser wird ebenfalls als quadrifluus bezeichnet, das zudem an derselben Versposition steht wie bei Giovanni (quadrifluo celer amne rigat, Prud. Cath. III 105).157 Durch die intertextuelle Assoziation mit dem Paradiesfluss erhält Mopsus’ Kuh einen erhabenen Status. Dieser wird von dem darauf folgenden Prädikat gravat (III 91) unterstützt, das zwar einerseits körperlich beschreibt, wie das Euter die Hüften der Kuh beschwert. Andererseits ruft der Begriff gravare in dem poetologischen Kontext des Briefwechsels die Assoziation mit dem stilus gravis hervor, den Giovanni stets als dem stilus humilis überlegen bezeichnet. So suggeriert Giovanni durch die Wortwahl trotz der konkret-körperlichen, bukolischen Situation des Melkens eine erhabene Qualität seines Tieres und damit auch seines Kontextes.158 156 157 158

Albanese 2014, 1752; sie bezeichnet die Verse III 90–95 als „responsorio di Eg II 58–64“. Tunc per amoena vireta iubet / frondicomis habitare locis, / ver ubi perpetuum redolet / prataque multicolora latex / quadrifluo celer amne rigat (Prud. Cath. III 101–105). Vgl. auch Brugnoli/Scarcia 1980, 71; Eitel 2014, 106. Dass er sich eine Kuh wählt, assoziiert zudem die Hierarchie, in der Mopsus seine Tiere aufzählte. Dort standen die Kühe vor den Lämmern, vor den Zicklein und erhielten somit bereits einen überlegenen Status (vgl. III 3 f.). Dass die Chronologie der Aufzählung auch eine Wertehierarchie abbildet, drückt bereits der Kommentar des Lcom aus, der die Tiere mit den Niveaustufen der

Eine bukolische Sendung an Tityrus

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Auch Mopsus’ Melkvorhaben erinnert nur oberflächlich an Tityrus’ Melken seines Schafes. So entpricht Mopsus’ situlas inplere capaces / lacte novo (III 92 f.) Tityrus’ hac implebo decem missurus vascula Mopso (II 64). In beiden Fällen beteuern die Hirten, von ihrem besonderen Tier etwas in Behältnisse abzumelken und dies dem Korrespondenten zu schicken. Während Tityrus jedoch besonders kleine Gefäße wählt, wie sich an dem Diminutiv vascula (II 64) zeigt, verwendet Mopsus besonders fassende Eimer (situlae capaces, III 92)159 und stellt seine Gabe in Konkurrenz zu Tityrus’ kleinen Gefäßchen. Dass seine neue Dichtungsmilch harte Krusten erweichen könne (lacte novo, quo dura queant mollescere crusta, III 92 f.), stellt diese ebenfalls mit Tityrus’ Milch in Konkurrenz. Denn der forderte seinen Gefährten Melibeus auf, er möge sich nicht um die Schafsmilch, sondern um die harten Krusten kümmern (vgl. II 65 f.). Wenn Mopsus seiner Milch nun eine erweichende Wirkung zuspricht, weist sie eine erleichternde Wirkung auf, die Tityrus’ Milch offensichtlich nicht herbeiführen kann.160 Mopsus’ Milch übertrifft die des Tityrus folglich nicht nur in quantitativer, sondern auch in qualitativer Hinsicht. Giovannis Dichtungsmetapher lac novum (III 93) erinnert zudem an Tityrus’ Dichtung, die Mopsus eingangs als lac […], / quale nec a longo meminerunt tempore mulsum / custodes gregium (III 19–21) und damit als Erneuerung der vergilischen Bukolik bezeichnet hatte.161 Wenn Giovanni seine Dichtung hier ebenfalls lac novum (III 93) nennt, fordert er diese vergilische Qualität auch für seine Dichtung ein.162 Mit seiner Kuh stellt Giovanni somit einen Gegenentwurf zu Dantes Schaf her. Die Tiere ähneln sich zunächst. Denn beide erscheinen als typische Elemente des stilus humilis. Anders als Dantes ovis aber, die sich als bescheidenes Tier in einen einfachen Kontext einfügt, inszeniert Giovanni mit seiner Kuh ein erhabenes Tier, das in sein erhaben idealisiertes Arkadien passt, als das der Gelehrte die bukolische Welt stilisiert. Ein weiteres Merkmal, das Giovannis Inszenierung von Dantes unterscheidet, ist die Situation, in der Mopsus seine Kuh empfängt. Dessen Vorhaben, seine Kuh zu melken und Tityrus davon zehn Kübel zu senden (III 90–96), entspricht strukturell dem letzten Teil von Dantes Epistel (II 58–64). Darin verspricht auch Tityrus die Sendung von zehn Kübeln Milch seiner ovis gratissima an Mopsus. Doch während Tityrus im Laufe

Schüler des Gelehrten gleichsetzt (4. iuuenci, idest scolares maiores. 5. angne, minores scolares. 6. capelle, mediocres scolares). 159 Uguccione da Pisa Derivationes S 177, 2 item a sitio hec situla -e, restis cum qua aqua trahitur vel potius ipsum vas, et dicitur sic quia apta est sitientibus ad bibendum. Vgl. u. a. Petoletti 2016, 597. 160 Dies erinnert an den Effekt, den gemäß Giovannis erster Epistel Dantes Dichtung haben solle (tange chelim, tantos hominum compesce labores!, I 44). 161 Vgl. Lcom: lac novum idest buccolico carmine. Eitel 2014, 107 verweist auf eine Parallele zu Vergils zweiter Ekloge, in der Corydon mit seiner Milch um Alexis wirbt (lac mihi non aestate nouum, non frigore deest, Verg. Ecl. II 22). 162 Pascoli 1965, 172 f. deutet, dass Giovanni Dantes decem vascula als Eklogen nach vergilischer Art verstanden und daraus abgeleitet habe, er wolle nun ein bucolicum carmen nach Vergil dichten.

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Giovanni del Virgilio an Dante

des Gesprächs mit seinem Gefährten Melibeus auf das Schaf zu sprechen kommt und damit von einem Gesprächsthema zum nächsten übergeht, stellen die Verse in Giovannis Epistel einen Bruch der bisherigen Sprechsituation her. Es stellt sich zum ersten Mal eine Interaktion mit Mopsus’ konkreter Umwelt ein. Denn Mopsus beendet abrupt seinen werbenden Monolog und beginnt, sich seiner aktuellen Umgebung bewusst zu werden. Der dramatische Modus vermittelt dabei den Eindruck einer Spontaneität, mit der Mopsus entscheidet, die Kuh zu melken und Tityrus seine Kostproben zu senden (Sic reor: en propero situlas inplere capaces / lacte novo, […] / Ad mulctrale veni, si tot mandabimus illi / vascula, quot nobis promisit Titirus ipse, III 92–95). So dient das sic reor (III 92) als inquit-Formel für Mopsus’ folgenden Handlungsbeschluss.163 Auch das en (III 92), mit dem Mopsus seinen Beschluss einleitet, vermittelt als Interjektion einen mündlich-spontanen Charakter. Die Präsensform des Prädikats propero (III 92) verankert die Handlung dabei in der akuten Gegenwart. Die Entscheidung, zu der Kuh zu eilen, diese zu melken und Tityrus ebenfalls zehn Kübel zurückzusenden, erscheint somit als eine spontane Reaktion. Diesen Eindruck verstärkt schließlich die direkte Rede, in der Mopsus seine Kuh mit dem Imperativ veni auffordert, zum Milchkübel zu kommen (Ad mulctrale veni, si tot mandabimus illi / vascula, quot nobis promisit Titirus ipse, III 94 f.). Giovanni stellt so ein Pendant zu Tityrus’ Worten in Dantes Epistel her, doch er dramatisiert die Handlungen, die Tityrus nur berichtete. Dieser hatte Melibeus erklärt, dass sein Schaf freiwillig zum Milchkübel komme, er nur die Hände bereithalten müsse und nun zehn Kübel an Mopsus senden wolle (sponte venire solet, nunquam vi, poscere mulctram. / Hanc prestolor manibus mulgere paratis, / hac implebo decem missurus vascula Mopso, II 62–64).164 Dantes mulctra (II 62) wird zu mulctrale (III 94), die vascula nimmt Giovanni hier auf, nachdem er sie oben bedeutungsvoll durch die situlae capaces (III 92) ersetzt hatte. Tityrus-Dantes Sendevorhaben, das er in einem Futur I implebo und dem Partizip Futur Aktiv missurus (III 64) ausdrückt, übernimmt Mopsus-Giovanni in mandabimus (III 95). Tityrus-Dantes Bericht über sein spontan zum Melkkübel kommendes Schaf ersetzt Giovanni durch die Spontaneität seiner szenischen Handlung. So kündigt sich das freiwillige Kommen von Mopsus’ Kuh in ihrem plötzlichen Muhen an (III 90). Tityrus’ Ankündigung, sein Schaf zu melken, dramatisiert Giovanni ebenfalls, wenn Mopsus seine Kuh auffordert, zum Melkkübel zu kommen (ad mulctrale veni, III 94). Sein Entschluss, Tityrus davon zehn Fässchen zu senden, erscheint durch die dramatische Form des Kontexts ebenfalls als spontane Entscheidung (III 94 f.). Giovanni verleiht ausgerechnet dann seiner Epistel

163

Eitel 2014, 106 f. stellt ebenfalls fest, dass Mopsus nach seinem langen Monolog zum ersten Mal in der Ekloge handele, ohne jedoch weitere hermeneutische Konsequenzen zu ziehen. Während dies die einzige inquit-Formel in Giovannis Epistel ist, finden sie sich in Dantes Ekloge zahlreich und spiegeln formal den dramatischen Gesamtcharakter seines Briefes (dixit, II 6; inquam, II 11; tunc […] ait, II 24; etc.). 164 Vgl. Albanese 2014, 1752.

Eine bukolische Sendung an Tityrus

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erstmals einen dramatischen Modus, wenn es darum geht, die Epistel abzuschließen und einen Anknüpfungspunkt für Dante zu weiterer Kommunikation zu formulieren. Das Motiv des Gabenausstauschs stellt den kommunikativen Akt des Briefwechsels in antiker bukolischer Chiffre dar.165 Durch diese Neuinszenierung der Passage, in der auch Dante sein Sendevorhaben an Mopsus-Giovanni beschrieb, hebt der Gelehrte den spontanen Charakter der Korrespondenz zwischen Mopsus und Tityrus hervor. Der bukolische Briefwechsel erscheint so als Gelegenheitsdichtung und Spontanaustausch zwischen zwei gelehrten Dichtern. Mopsus’ metadiegetische Rede endet daraufhin in einer weiteren captatio benevolentiae, in der er darüber reflektiert, dass es einen überheblichen Akt darstellen könnte, einem Hirten Milch zu senden (Sed lac pastori fors est mandare superbum, III 96).166 Dabei formuliert er erneut die unterlegene Stellung, die er sich gegenüber Dante bereits mehrfach zugestanden hatte.167 Nach diesem Schluss der metadiegetischen Rede beendet ein letzter Vers den Brief, in dem der Sprecher seine Gefährten darauf aufmerksam macht, dass während seines Sprechens die Sonne bereits untergegangen sei (Dum loquor, en comites, et sol de monte rotabat, III 97). Giovanni hebt die Sprechsituation nach Mopsus’ metadiegetischer Rede (III 33–96) somit zurück auf die intradiegetische Ebene. Mit der untergehenden Sonne setzt Giovanni das Ende der bukolischen Epistel dabei in ein landschaftliches Motiv um. Auf diese Weise variiert er Dantes Abschluss, der ebenfalls für das Ende seiner Szene eine bukolische Chiffre verwendete, nämlich den Hinweis auf das Mahl, das bereits in den Hütten gekocht werde (vgl. II 68). Giovanni setzt somit zum einen seinen Text erneut mit einer variatio in Beziehung zu Dantes Epistel. Zum anderen lehnt er diesen an den Abschluss von Vergils erster Ekloge an, in der Vergil von den Schatten spricht, die nun länger von der Spitze des Berges herabfallen.168 Giovanni legt den Fokus jedoch nicht wie Vergil auf die Schatten, sondern

165

In Vergils Eklogen stellen Hirten zu verschiedenen Situationen bukolische Gaben in Aussicht: Entweder als Wetteinsatz (Verg. Ecl. III 29–31) oder als Geschenk der Liebeswerbung (Verg. Ecl. III 68– 71). Albanese 2014, 1752 will dies ebenfalls als einen „topos della reciprocità del dono pastorale“ betrachten und verweist dafür auch auf die aurea mela aus Vergils dritter Ekloge (Verg. Ecl. III 71). 166 Mandare ist hier im Sinne von „schicken“ zu lesen, wie es u. a. Eitel 2014, 107 feststellt. 167 Giovannis Äußerungen gehen immer in die Richtung, dass er unter Dantes Führung seinen Platz einnehmen wolle. So in der ersten Epistel, als er sich als Dantes Herold inszeniert (I 35–40), oder auch in der zweiten, als er sich für das gemeinsame Spiel selbst mit den leichteren Rohren, Tityrus hingegen mit mehr gravitas vorstellt (III 49–51). Albanese 2014, 1753 erkennt in der captatio benevolentiae ebenfalls eine Parallele zu I 49 f. 168 In der ersten, sechsten und zehnten Ekloge beendet jeweils ein Hinweis auf die fortgeschrittene Tageszeit auch das Gedicht (Verg. Ecl. I 82 f.;. VI 85 f.; X 77). Coleman 1977, 294 stellt einen Bezug zwischen dem Ende der ersten und der zehnten Ekloge her und weist dem Ende eine metapoetische Funktion zu. Zu Ecl. X 77: „ite capellae echoes Meliboeus’ farewell to his Arcady in I 74. In taking leave of the pastoral Vergil retains (cf. 7) the guise of the humble herdsman“. Einen ähnlichen Abschluss, jedoch nicht am Ende des Gedichts, findet sich in Ecl. II 67 (et sol crescentis dedecens duplicat umbras). In dieser Parallele sieht Albanese 2014, 1753 einen erneuten Hinweis darauf, wie Giovanni del Virgilio dem formalen Modell der zweiten Ekloge Vergils treu bleibt.

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Giovanni del Virgilio an Dante

auf die untergehende Sonne. Damit greift er zugleich das Bild auf, mit dem Dante Mopsus’ locus amoenus entworfen hatte. Dieser sprach von dem Berg, der die untergehende Sonne verbirgt (vertice declivi celator solis inumbrat, II 12). Erneut zeigt sich, wie Giovanni das Spannungsfeld zwischen der vergilischen Bukolik und Dantes Ekloge harmonisiert und sich in deren gemeinsame Tradition zu stellen sucht. Neu erscheinen hier die comites (III 97), an die sich der Sprecher in einer abschließenden Apostrophe wendet. Giovanni verändert damit unerwartet die bisherige Sprechsituation, denn er scheint somit nicht zu Tityrus, sondern zu seinen Gefährten gesprochen zu haben. Während er sich zuvor als einsamer Sänger im Wald vorgestellt hatte (vgl. III 6–9), sind diese in dem Moment seiner Erzählung wieder an seiner Seite. Giovanni del Virgilio legt hier die Bedeutung offen, die er der Korrespondenz beimessen will. Denn er präsentiert sein bukolisches Gespräch mit Dante einem Publikum, das sich gemäß der Epistel aus den arkadischen Hirten seines Umfelds zusammensetzt (vgl. III 19–21). Da diese gemäß der zehnten Ekloge Vergils als die einzigen Experten der Dichtung gelten (Verg. Ecl. X 32 f.), erscheinen Giovannis Gefährten als ein Publikum von Dichtungsgelehrten, denen er seine und Dantes vergilische Gelegenheitsdichtung präsentiert. Unter dieser Voraussetzung hat Giovannis starke Anlehnung seines Schreibens an Vergils zweite Ekloge weitere Implikationen. Denn während Dante in seinem Schreiben durch die Konstellation aus Tityrus und Melibeus vor allem Vergils erste Ekloge evozierte, greift Giovanni auf die zweite Ekloge zurück und führt so die Korrespondenz in der Reihenfolge der vergilischen Eklogen weiter. Giovanni inszeniert auf diese Weise die Korrespondenz tatsächlich als Erneuerung des vergilischen bucolicum carmen, das er seinem gelehrten Publikum zu zeigen sucht. Inhaltlich und formal bezeugt Giovanni del Virgilio in seiner dritten Epistel folglich sein Bestreben, sich und Dante als gelehrte Dichter zu profilieren, die das Erbe Vergils in einer gelehrten Neuauflage der lateinisch-antiken Dichtung wiederbeleben. Dabei präsentiert er dieselben Bewertungsmaßstäbe und -hierarchien wie in seiner ersten Epistel, einerseits zwischen einem niederen und einem hohen Stil, andererseits zwischen Dante als Lehrer der Dichtung und Giovanni als seinem Nachfolger und Vermittler seines Ruhms in der gelehrten Gemeinschaft. Dafür greift er die bukolische Inszenierung aus Dantes Epistel auf und verbindet diese mit dem Hypotext der vergilischen Eklogen zu seiner eigenen Darstellung einer Dichterwelt, deren Traditionslinie von Vergil über Dante verläuft und bei Giovanni del Virgilio endet.

V. Dante an Giovanni del Virgilio Dantes Antwort, der vierte Brief der Korrespondenz, umfasst 97 Verse, die Giovanni del Virgilio im Jahre 1321 erhält. Dante ist bereits verstorben, sodass die Epistel den Gelehrten wohl durch einen seiner Söhne erreicht. Wahrscheinlich handelt es sich bei dem Brief somit um das letzte Schreiben, das von Dante erhalten ist.1 So wie Giovanni del Virgilio in seinem zweiten Brief den poetologischen Maximen und Forderungen treu geblieben war, die er in seinem ersten Anschreiben geäußert hatte, lässt sich auch in Dantes zweitem Schreiben erkennen, dass er weiterhin auf seiner theologischen Perspektive auf Dichter und Dichtung beharrt. 1. Die Hirten im Kosmos Im exordium (IV 1–9) der vierten Epistel tritt Dante unmittelbar in die allegorische Fiktion ein, ohne auf die extradiegetische, historische Ebene der Korrespondenz Bezug zu nehmen.2 Dante führt die Ausgangssituation ein, aus der sich das folgende Geschehen entwickelt. Mit neun Versen ist das vierte exordium auffallend lang und auch inhaltlich erweitert Dante die bukolische Fiktion gegenüber der bisherigen Korrespondenz.

1

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Einer Marginalglosse des Zibaldone Laurenziano XXIX 8 zu Giovanni del Virgilios Eklogenbrief an Albertino Mussato ist folgende Angabe zu entnehmen: Lcom: Nam postquam magister Johannes misit Danti eglogam illam Fort sub irriguos, etc., stetit Dantes per annum ante quam faceret Velleribus Colchis, et mortuus est ante quam eam micteret; et postea filius ipsius Dantis misit illam predicto magistro Johanni. Albanese 2014, 1754 siedelt die Epistel zeitlich zwischen dem späten Frühling und August 1321 an, vor Dantes diplomatischer Reise nach Venedig, von der er mit der Malariaerkrankung zurückkehrt, an der er schließlich zwischen dem 13. und dem 14. September des Jahres 1321 stirbt. In seiner ersten Epistel thematisierte er noch die extradiegetische Realität (vgl. II 1 f.), Giovanni del Virgilio antwortete daraufhin mit einem Brief, der sich formal stark an das Modell einer vergilischen Ekloge anlehnte und explizite Verweise auf die extradiegetische Realität vermied. Sein exordium (III 1–3) führte insofern auch unmittelbar in die allegorische Fiktion ein.

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Dante an Giovanni del Virgilio

Velleribus Colchis prepes detectus Eous alipedesque alii pulcrum Titana ferebant. Orbita, qua primum flecti de culmine cepit, currigerum canthum libratim quemque tenebat; resque refulgentes, solite superarier umbris, vincebant umbras et fervere rura sinebant. Titirus hoc propter confugit et Alphesibeus ad silvam, pecudumque suique misertus uterque, fraxineam silvam tiliis platanisque frequentem.

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[IV 1–9]

Der Sprecher beginnt die Szenenbeschreibung im himmlischen Raum, den er anschließend in die irdische Sphäre überführt. Das schnelle Sonnenpferd Eous, das die Deckung des Kolchischen Vlieses verlassen hat, trägt mit den anderen geflügelten Pferden den schönen Titanen, gemeint ist die Sonne. Die Bahn des Sonnenwagens hält an der Stelle, wo sie sich erstmals von der Spitze krümmt, jedes Wagenrad im Gleichgewicht. Die Dinge auf der Erde reflektieren das Licht. Sie, die für gewöhnlich von den Schatten überragt werden, besiegen diese und lassen das Gelände erglühen. Schließlich berichtet der Sprecher von den beiden Hirten Tityrus und Alphesibeus, wie sie mit ihrem Vieh vor der Sonnenhitze in den Wald fliehen. Anhand der Figurenkonstellation fällt sogleich auf, dass Dante eine Veränderung gegenüber der zweiten Epistel vornimmt. Während dort Tityrus-Dante mit seinem Gefährten Melibeus sprach und dies Mopsus-Giovanni berichtete, erscheint im vierten Brief der Hirte Alphesibeus als Tityrus’ Gefährte (Titirus hoc propter confugit et Alphesibeus, IV 7).3 Zwischen den beiden Hirten deutet sich ein anderes Verhältnis an als zwischen Tityrus und Melibeus. Denn der stultus Melibeus war Tityrus intellektuell und im Status unterlegen (vgl. II 9 f.; 65 f.). Tityrus und Alphesibeus hingegen erscheinen in einer gleichberechtigten Position, wenn sie beide Mitleid mit den Tieren empfinden und offensichtlich gemeinsam entscheiden, sich mit ihnen vor der Mittagshitze in den Wald zurückziehen (Titirus hoc propter confugit et Alphesibeus / ad silvam, pecudumque suique misertus uterque, IV 7 f.). Verändert ist auch die Sprechsituation. Denn Tityrus-Dante erscheint nicht mehr als homodiegetischer Sprecher, sondern als extradiegetischer Sprecher Dante berichtet von seinem Alter Ego Tityrus nun in der

3

In Alphesibeus erkennen die Kommentatoren Fiduccio de’Milotti, einen gelehrten Arzt und Freund Dantes in Ravenna: Lcom: alfesibeus idest magister fiducius demilottis de certaldo medicus qui tunc morabatur rauenne; vgl. Albanese 2014, 1758. Für die Deutung der Allegorie innerhalb des poetologischen Briefwechsels scheint mir diese Information von geringer Relevanz. Es geht vielmehr um den Status, den er vertritt und um sein Sprachregister, wie im Folgenden zu zeigen sein wird. Die Figur ist ebenfalls aus Vergils Eklogen bekannt. In Vergils achter Ekloge singt Alphesibeus mit Damon im Wettstreit. Beide werden als orphische Sänger einführt (Verg. Ecl. VIII 1–5).

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dritten Person. Dante kündigt in seinem exordium folglich eine veränderte Ausgangssituation seiner folgenden Szenerie an.4 Auch fällt die Ortswahl auf. Denn während Dante im zweiten Brief nur von der Eiche gesprochen hatte, unter der er und Melibeus sich befanden (vgl. II 4), lässt er seine Hirten hier in den Wald fliehen, der das Setting der folgenden bukolischen Situation bilden wird (ad silvam, pecudumque suique misertus uterque, / fraxineam silvam tiliis platanisque frequentem, IV 8 f.). Dante greift dabei ein Detail aus Giovannis bukolischer Inszenierung auf und verleiht ihm eine andere Bedeutung. Denn der Wald erinnert an den Ort, an den Giovanni sein Alter Ego Mopsus im dritten Brief versetzte, der sich als puer incola silve (III 6) bezeichnete. Mopsus’ Wald diente als typisch ländliches Umfeld seiner bukolischen Existenz im Gegensatz zum städtischen Leben, das er mit einem vornehmeren, erhabenen Dichtungsstil assoziierte (vgl. III 26–30). Ähnlich steht auch in Dantes Epistel der Wald für ein ländlich-einfaches Refugium. Anders als bei Giovanni, der seinen Wald als idyllischen Rückzugsort stilisierte, ist der Rückzug von Dantes Hirten jedoch nicht durch eine Sehnsucht nach einer poetischen Muße, sondern durch die brennende Mittagssonne motiviert. Dantes Setting kennzeichnet somit weniger eine ländliche Muße, sondern eine notwendige Alltagssituation. Wie in Dantes erster Epistel erscheinen die Figuren mehr als Hirten, die ihrer Pflicht nachgehen, denn als ländliche Sänger. Nur ein intertextueller Bezug deutet auf die poetische Dimension hin. Denn der Wald, in den sich seine Hirten zurückziehen (fraxineam silvam tiliis platanisque frequentem, IV 9), verweist mit den verschiedenen aufgezählten Baumarten auf den Baumkatalog aus Ovids Metamorphosen. Im zehnten Buch lässt sich der mythologische Sänger Orpheus zu seinem Spiel nieder und zieht dabei verschiedene Baumarten an, darunter auch Esche, Linde und Platane.5 Mit der Assoziation der Bäume, die Orpheus’ Gesang lauschen, suggeriert Dante einen entsprechend orphischen Status auch für seine beiden Protagonisten. Anders als in den bisherigen Episteln verleiht Dante der bukolischen Szenerie einen Rahmen. So nimmt er eine globale Verortung der Hirten in Zeit und Raum vor. In einer bildreichen Umschreibung bestimmt er zunächst die Jahreszeit (Velleribus Colchis prepes detectus Eous / alipedesque alii pulcrum Titana ferebant, IV 1 f.). Das Kolchische Fell spielt auf das Tierkreiszeichen des Widders (aries) an, der nach dem römischen Kalender am Anfang der Tierkreiszählung steht. Wenn die Sonne, die Dante in antik-mythologischer Allegorie als Titan in seinem Sonnenwagen bezeichnet, in diesem Zeichen steht, entspricht dies der Frühlingsjahreszeit.6 Auf die Angabe der Jahreszeit 4 5 6

Vgl. Albanese 2014, 1757. Ov. Met. X 86–105. Auf den ovidischen Baumkatalog verweist auch Eitel 2014, 114, ohne jedoch weiter zu deuten. Vgl. u. a. Petoletti 2016, 600 f. Wörtlich nennt Dante das Tierkreiszeichen des ariete als poetische Paraphrase des Frühlings auch in einem seiner Rime petrose (Dante Rime XL 40–42). In der Commedia spielt Dante in Par. I auf das Sternzeichen des Widders an. Dort sieht die Dante persona die Sonne mit dem Sternbild des aries aufgehen und bezeichnet diesen als migliore stella (Par. I 40).

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folgt die Tageszeit. Die Position des Sonnenwagens am höchsten Punkt seiner Bahn bezeichnet den Mittag, in der die Sonne am höchsten steht (Orbita, qua primum flecti de culmine cepit, / currigerum canthum libratim quemque tenebat, IV 3 f.).7 Schließlich beschreibt der Sprecher den Effekt, den jahres- und tageszeitliche Konstellation auf die irdischen Dinge, die Menschen und das Vieh haben. Der Blick wechselt dabei von dem Makrokosmos der Sternenkonstellationen in den Mikrokosmos auf der Erde. Dort sorgt die hohe Mittagssonne einerseits für kleine Schatten, andererseits bewegt ihre Hitze die Hirten mit ihrem Vieh zu einer Flucht in den Wald (resque refulgentes, solite superarier umbris, / vincebant umbras et fervere rura sinebant. / Titirus hoc propter confugit et Alphesibeus / ad silvam, pecudumque suique misertus uterque, IV 5–8). Mit dieser Verortung der Hirtenwelt im globalen Makrokosmos nimmt Dante sowohl gegenüber Giovannis als auch gegenüber Vergils Eklogen eine Neuerung vor. Die kosmische Zeitangabe erinnert vielmehr an die Commedia. Insbesondere im Purgatorio leiten vielerorts derartige Periphrasen einen neuen Tag und eine neue Etappe auf der Jenseitsreise ein.8 Diese sind Zeichen der spezifisch irdischen Qualität des Läuterungsberges, auf den die Seelen der Verstorbenen gen Paradies wandern.9 Der intertextuelle Bezug des bukolischen exordium zum Purgatorio lässt dabei auf die Position der Hirtenwelt schließen, die Dante gegenüber Giovanni und Vergil neu festlegt.

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Dantes Wahl des Frühlingszeitpunkts lässt sich historisch als ein Verweis auf das Abfassungsdatum der Epistel im Frühling 1321 deuten. So schlägt es u. a. Albanese 2014, 1756 vor. Zu den Tierkreiszeichen siehe Hübner 2002. Albanese 2014, 1757 macht an dieser Stelle auf die Entsprechung mit Par. XXIX aufmerksam. Dort vergleicht Dante die Dauer von Beatrices Blick mit dem kurzen Augenblick, an dem Sonne und Mond sich im Zeichen des Widder und der Waage befinden und auf diese Weise quasi einen Gürtel um den Horizont bilden (Dante Par. XXIX 1–6). Ein entscheidender Unterschied zwischen dem Bild der Ekloge und des Paradiso besteht jedoch in der Funktion. In der Ekloge wird die Tageszeit angegeben, wodurch die folgende Szenerie eine genaue Positionierung in der irdisch-menschlichen Zeitdimension erhält. Die Angabe im Paradiso dient hingegen als Vergleich dazu, die Kürze des Moments mit den Begriffen begreifbar zu machen, die der menschlichen ratio zur Berechnung der Zeit zur Verfügung stehen. Die Zeitangabe zeugt somit in den unterschiedlichen Kontexten von einer grundsätzlich verschiedenen Beschaffenheit der Dimensionen: Die bukolische Szene befindet sich auf der Erde und ist Teil der irdischen Dimension, die sich der menschlichen ratio – anders als die himmlischen Sphären – ohne Weiteres erschließt. Die Dimensionen des Paradiso übersteigen hingegen das Fassungsvermögen der menschlichen ratio, sodass ein irdischer Vergleich Abhilfe schaffen muss und dabei die Unzulänglichkeit menschlichen Zeitmaßes angesichts jenseitig-göttlicher Dimensionen umso deutlicher hervortreten lässt. Albanese 2014, 1756 verweist auf Inf. XXIV 1 f.; Pg. I 19–21; II 1–9; IX 1–5; XV 1–6; XIX 1–6; XXV 1–3; XXVII 1–5 und führt als Hauptverweis Par. XXIX 1–6 an. Auf die veränderte Funktion der astronomischen Paraphrase in Purgatorio, Paradiso oder Ekloge geht sie jedoch nicht ein. Die astronomischen Angaben stehen dort in Kontrast zu der sternenlosen Finsternis der Hölle, die eine zeitliche Standortbestimmung erschwerte. Auch von dem himmlischen Paradies unterscheidet es den Läuterungsberg, auf dem die menschlichen Raum- und Zeitvorstellungen nicht mehr greifen. Die Momente in der Commedia, in denen sichtbare Sternenkonstellationen einen Zeitpunkt bestimmen, zeugen somit zugleich von der irdischen Beschaffenheit des Ortes, für den eben diese Zeitrechnung ihre Gültigkeit hat. Eine essayistische Ausführung zu Dante und den Sternen gibt Boitani 2017.

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Denn Dantes Hirten befinden sich offensichtlich genauso auf der irdischen Sphäre wie die sich läuternden Seelen. Ihre Position ist jedoch eine andere. Denn sie sind nach wie vor allegorische Repräsentationen der Dichter Dante und Giovanni del Virgilio. Gemessen an dem Kosmos, den Dante in der Commedia topographisch entfaltete, befinden sie sich somit nicht am jenseitigen Läuterungsberg auf der Südhalbkugel, sondern auf der Nordhalbkugel im Diesseits. Entsprechend lesen sie die Zeit anhand derselben Sternenkonstellation wie die Seelen des Läuterungsbergs, nur eben aus der irdisch-diesseitigen, nicht aus der irdisch-jenseitigen Perspektive. Dante verortet seine Hirtenwelt mithilfe der kosmologischen Zeitangabe folglich implizit im irdischen Diesseits des ptolemäischen Weltbilds der Commedia. Neben der textexternen Verortung der bukolischen Szene implementiert Dante auch textintern eine Ordnung. Denn im Zuge der kosmischen Rahmung definiert Dante das Verhältnis zwischen irdischer und himmlischer Sphäre. So erscheinen die leblosen Elemente, Hirten und Tiere auf der Erde in einer Abhängigkeit von den himmlischen Konstellationen: Da die Sonne brennt (vgl. IV 5 f.), müssen die Hirten Zuflucht im Wald suchen. Die Erdenbewohner sind somit dem Kosmos untergeordnet. Das hierarchische Verhältnis zwischen dem bukolischen Mikrokosmos und dem Makrokosmos spiegelt sich dabei auch auf sprachlich-stilistischer Ebene. So bespricht Dante das kosmische Walten in einem episch-erhabenen Register und mit einem gelehrten Duktus, wenn er die Sonne antikisierend als Titan umschreibt, dessen Wagen die Sonnenpferde ziehen, von denen eines gerade das Kolchische Vlies verlässt (vgl. IV 1 f.).10 Das Kolchische Vlies evoziert dabei den antiken Mythos des goldenen Vlieses. Die Anspielung auf die Argonautenfahrt verleiht dem exordium eine epische Konnotation. Diese verbindet Dante wiederum mit dem bukolischen Kontext seiner Epistel. Denn das goldene Vlies assoziert auch einen Schafbock und setzt das kosmische Geschehen wiederum in Bezug zu der bukolischen Welt auf der Erde.11 Der Tenor der Kosmosbeschreibung bleibt jedoch episch.12 Denn die Umschreibung der Sonne als Titan in

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Die mythologischen Zeitparaphrasen zeugen von dem transumptiven Modus des exordium, der einen erhaben-poetischen Sprachstil herbeiführt. Des Weiteren stehen beispielsweise die alipedes (IV 2) metonymisch für die Pferde des Sonnenwagens, canthus metonymisch für dessen Rad. Auch Mopsus sprach in Giovannis Epistel von dem Widder, der nicht zulassen würde, dass der Sand an Tityrus’ Ort trocken bliebe, während er mit seinem weichen Fell gen Meer strebt (quaque nec arentes Aries fluvialis arenas / esse sinit, molli dum postulat equora villo, IV 15 f.). Dabei nannte er den aries wörtlich, auf den Dante hier als Sternbild anspielt. Giovannis villo (III 16) klingt in Dantes velleribus (IV 1) wieder. Eitel 2014, 109 spricht von einem „bukolischen Kolorit“, das das velleribus dem Brief bereits verleihen würde. Meiner Meinung nach handelt es sich jedoch gerade um die entgegengesetzte Richtung, die Dante betont. So wird die Bukolik in einen größeren Kontext gestellt und die idyllisch-bukolische Kleinform geöffnet. Der Mythos um Jason und die Argonautenfahrt ist Dante u. a. aus dem siebenten Buch der Metamorphosen bekannt (Ov. Met. VII 1–158). Eitel 2014, 109 weist darüber hinaus Stat. Theb. V 403–485 als mögliche Quelle aus. Den Mythos verwendet Dante mehrmals in der Commedia und macht Jasons Argonautenfahrt zu einer Vergleichsfolie für seine eigene Reise hin zur göttlichen Erkenntnis. Auf die

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seinem Sonnenwagen lässt an einen majestätisch-göttlichen Streitwagen denken13 und impliziert einen erhaben-epischen Ton.14 Auch inhaltlich erweisen sich die waltenden Himmelskräfte als epische Instanzen mit kosmischer Macht. So zeigt das Bild der Sonnenbahn, die die Erde umspannt und die Räder des Wagens im Gleichgewicht hält (vgl. IV 3), die himmlische Ordnung, aus der alle anderen Bewegungen ihren Einfluss erhalten und in einer Balance gehalten werden.15 Dies zeigt sich auch an ihren gewaltigen Effekten, wenn der Widerschein der heißen Sonne die Erde erglühen lässt (vgl. IV 5 f.). Die Beschreibung des Schattenwurfs fügt sich wiederum sprachlich in das epische Register ein. Denn das superarier (IV 5) drückt zwar einerseits den natürlichen Umstand aus, wenn die Schatten größer sind als die verursachenden Gegenstände. Der Begriff lässt andererseits jedoch die übertragene Bedeutung des „überwinden“ oder „obsiegen“ zu und assoziiert so auch eine kriegerische Semantik.16 Dies unterstützt das Prädikat vincebant (IV 6), das Schatten und Gegenstände daraufhin in einem kriegerischen Ringen zeigt. Die wechselnden Lichtverhältnisse des Tages erscheinen als Kampf von Licht und Schatten, sodass auch die Tageszeit als kriegerisch-aggressives, daher episches Ereignis erscheint. Wenn Dante daraufhin die Reaktion der Hirten anfügt, die sich vor dem Walten des Himmels in den Wald zurückziehen, steht dies in Kontrast zu der gelehrten und erhabenen Umschreibung des Sonnenlaufs. Das confugere (IV 7) sowie das Mitleid der Hirten mit sich und ihren Tieren (pecudumque suique misertus uterque, IV 8) heben ihre Bedrängung hervor und zeigen sie als Fliehende vor den ungünstigen kosmischen Konstellationen. Ihre Beschreibung prägt zudem ein konkret-einfaches Vokabular.

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Parallelstellen verweist u. a. Petoletti 2016, 600 (vgl. Inf. XVIII 86 f.; Par. II 16–18; XXXIII 94–96). Zu Jason bei Dante siehe Padoan/Vanossi 1971. Ovid nennt die drei Pferde des Sonnenwagens in der Erzählung über Phaetons Flug (Ov. Met. II 153–155). Vgl. Albanese 2014, 1756, die zudem auf Lucan. VII 2 f. hinweist. Dort setzt der Sprecher ebenfalls mit einer Tageszeitangabe an, in die Sonne als Titan seinen Wagen über den Himmel lenkt. Auf den Phaeton-Mythos verweist Dante zudem in seinem Convivio und zählt den Sonnenwagen und die vier Sonnenpferde als frühere pagane Vorstellung der Sonne auf (Dante Conv. IV 23, 14). Vgl. u. a. Petoletti 2016, 601. Eitel 2014, 108 macht zudem auf Pg. XXXII 55–57 aufmerksam, wo Dante das Bild des Sonnenwagens ebenfalls zur Angabe der Frühlingsjahreszeit verwendet. Ein intertextueller Bezug zu Vergil, der die Metonymie der alipedes verwendet, bestätigt die erhaben-epische Assoziation. Im siebenten Buch werden die edlen Pferde, die Latinus den Trojanern bereitstellt, als alipedes bezeichnet (Verg. Aen. VII 274–279). Vgl. Eitel 2014, 110 f. Deutlich wird die erhabene Nuance auch in Ovids Phaetonmythos, wo die alipedes ebenfalls die Pferde des Sonnenwagens bezeichnen (Ov. Met. II 47 f.). Vgl. u. a. Petoletti 2016, 602. Diese Hierarchie der göttlichen Energie legt Dante in seinem philosophischen Traktat Convivio dar. Im zweiten Buch erläutert er ausführlich die einzelnen Planeten und wie sie ihre Energie empfangen. In der Commedia erklärt Beatrice Dante die Himmelssphären und den Zusammenhang der Kräfte darin (Par. II 112–148). OLD s. v. supero 4. U. a. Petoletti 2016, 603 sieht den Gebrauch des antikisierenden Infinitiv Passiv „in conformità con il tono elevato di questi primi versi (e più in generale di tutta l’egloga).“

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Sprachlich und inhaltlich erweisen sich die einfach private Existenz der Hirten und ihre irdische Realität dem stilus humilis zugehörig.17 Die Eingangsszene verbindet folglich verschiedene Perspektiven miteinander, die sich in verschiedenen Stilhöhen ausdrücken. So suggeriert die Hierarchie zwischen Himmel und Erde auch eine Gegenüberstellung des bukolischen stilus humilis und des epischen stilus gravis. Mit dieser hierarchischen Stiltrennung scheint Dante zunächst den poetologischen Forderungen des Gelehrten entgegenzukommen, der stets den stilus gravis dem stilus humilis vorzog. Dante nimmt jedoch eine Zuordnung vor, die Giovannis Stilkonzept entgegensteht. Denn er behält den episch-erhabenen Stil dem Himmel vor, dem das Irdische als Ebene des niederen Stils untergeordnet ist. Giovannis Stilvorstellung, die das Episch-Erhabene in der irdisch-menschlichen Sphäre sucht, deklariert Dante auf diese Weise als unmöglich. Neben dieser grundsätzlichen Stilkritik an Giovanni entwirft Dante auch innerhalb der bukolischen Chiffre ein Gegenmodell. Denn der Gelehrte verwendete die Bukolik, um sein Alter Ego als idealen Sänger vergilischer Tradition an einem poetischen Sehnsuchtsort zu inszenieren. Der idyllischen Erhabenheit einer gelehrt-privaten Dichterexistenz, die er um Mopsus entwarf, stellt Dante im exordium des vierten Briefs nun eine global-epische Erhabenheit des Kosmos gegenüber. So befreit er die bukolische Allegorie aus der eskapistischen Sehnsuchtsvorstellung des Gelehrten und erklärt sie zur allgemeinen Allegorie der menschlich niederen Existenz auf Erden innerhalb der globalen Weltordnung. Dantes Stilbegriff erweist sich somit erneut als christlich motiviert. Sein anfänglicher Verweis auf das ptolemäische Weltgebäude, das er in der Commedia im Diesseits und den drei Jenseitsreichen entwirft, bedeutet dabei nicht nur eine geographische, sondern auch eine moraltheologische Verortung der Hirtenwelt.18 Denn die Hirten leben im irdischen Diesseits und damit gemäß christlicher Vorstellung in einer vorläufigen und niederen Verfassung der menschlichen Seele, die erst im Jenseits mit ihrer 17

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Dies entspricht Servius’ Definition des bukolischen Personals in der Einleitung zu seinem Kommentar von Vergils Bucolica: in bucolicis humilem pro qualitate negotiorum et personarum: nam personae hic rusticae sunt, simplicitate gaudentes, a quibus nihil altum debet requiri (Serv. Comm. in Verg. Ecl. Prooem.). Eine ähnliche Differenz stellt Claudio Giunta 2014, xxxiv zwischen Dantes Liebesdichtung und der Troubadourdichtung fest. Zwar stelle er sich auch in Konkurrenz zu anderen Dichtern innerhalb seiner Dichtung, „ma è un confronto che ha luogo sul terreno della nobiltà dello spirito e dell’etica amorosa, non della metapoesia.“ Giunta hebt hier die moralisch-ethische Dimension hervor, die in Dantes Dichtung stets von besonderer Relevanz sei. Die Unterscheidung zwischen rein metapoetischer und ethisch-moralischer Dichtungsreflexion stellt sich auch in dem Briefwechsel zwischen Giovanni del Virgilio und Dante als virulent heraus. Denn Dante ordnet die metapoetischen Anliegen des Gelehrten in den moraltheologischen Kontext ein, wie er ihn u. a. der Commedia zugrunde gelegt hatte. Albanese 2014, 1756 weist darauf hin, dass die Eingangsverse von Dantes zweiter Epistel eine „cornice bucolica tradizionale“ herstellen würden, ist daher nur bedingt zutreffend. Der Rahmen ist vielmehr unkonventionell, da er auf den größeren Gesamtkontext hinweist, in den die bukolische Szene eingebettet wird.

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Läuterung und Annäherung an Gott ihre endgültige und vollkommene Existenzform erreicht. Dass Dante sich und Giovanni del Virgilio als poetische Figuren des stilus humilis darstellt, spiegelt somit ihren niederen, weil irdisch-diesseitigen Zustand innerhalb des göttlichen Kosmos. Im exordium der Epistel (IV 1–9) führt Dante folglich zum einen die Ausgangssituation seiner Hirten ein. Zum anderen deutet er auf die christliche Begründung seines poetologisches Programms voraus, das er der formalen Stildefinition des Gelehrten entgegenhält. Nach dieser Einführung stehen die beiden Hirten Tityrus und Alphesibeus im Zentrum der Epistel. Der Sprecher gibt zunächst genauere Informationen über die Figuren und ihre Befindlichkeit (IV 10–15), um schließlich ein Gespräch zwischen den Hirten wiederzugeben, das den Großteil des Briefes (IV 16–87) einnimmt. Die Epistel endet daraufhin mit einer weiteren Rahmung der Situation, die das bukolische Setting wie das exordium um eine neue Dimension erweitert. 2. Das Hirtengespräch An das exordium (IV 1–9) schließt sich die narratio (IV 10–48) an, in der Dante die Ausgangssituation zwischen Tityrus und Alphesibeus zunächst vertieft (IV 10–15) und im Hirtengespräch die Hauptthemen der Epistel definiert. Alphesibeus führt das erste Thema des Gesprächs ein (IV 16–27): Er kritisiert Mopsus’ Aufenthaltsort als unwirtlich und wundert sich darüber, dass dieser sich dort aufhält. Daraufhin erscheint der junge Melibeus und bringt Kunde von Mopsus’ Botschaft (IV 28–44). Dante inszeniert so seinen Empfang von Giovannis Epistel innerhalb der bukolischen Allegorie, die die Hirten zum Anlass ihres weiteren Gesprächs nehmen. Der letzte Teil der narratio (IV 45–48) leitet schließlich zu Tityrus’ und Alphesibeus’ Diskussion über Mopsus-Giovannis Einladung an seinen Ort über. Wie in seinem vorangehenden Brief kommuniziert Dante folglich indirekt mit seinem Adressaten. Giovanni del Virgilio muss Dantes Stellungnahme aus dem Dialog zwischen Tityrus, Alphesibeus und Melibeus ablesen. Zu Beginn der narratio (IV 10–15) führt Dante zunächst die Situation der Hirten Tityrus und Alphesibeus aus, die der letzte Teil des exordium (IV 7–9) eingeführt hatte. So beschreibt der Sprecher, wie die Kleinviehherde der Hirten sich auf dem Gras niederlässt, während sie mit den Nüstern die Luft einatmet. Der greise Tityrus liegt unter schützenden Ahornblättern, schwer auf den Schlaf bringenden, duftenden Gräsern. Auf einen knorrigen Stab aus Birnbaum gestützt, steht Alphesibeus, um daraufhin zu einer Rede anzusetzen. Et dum silvestri pecudes mixteque capelle insidunt herbe, dum naribus aera captant, Tytirus hic – annosus enim – defensus acerna

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fronde soporifero gravis incumbebat odori; nodosoque piri vulso de stirpe bacillo stabat subnixus, ut diceret, Alphesibeus.

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Dante zeigt Hirten und Vieh folglich in der Mittagsrast. Der Rückzug in den Wald verschafft ihnen physische Erleichterung von der Sonnenhitze. Es fällt auf, dass Dante für die Gestaltung der Situation einerseits auf die bukolischen Inszenierungen der vorangehenden Episteln zurückgreift, andererseits auf die Commedia verweist. Die Veränderungen, die er gegenüber den vorangehenden Briefen vornimmt, implizieren dabei eine poetologische Stellungnahme. Bemerkenswert ist zunächst die Abgrenzung von dem idealisierten Dasein des Mopsus. Dante zeigt seine Hirtenfiguren umgeben von ihren Tieren, die sich auf dem Gras des Waldes niederlassen und mit den Nüstern nach Luft schnappen (Et dum silvestri pecudes mixteque capelle / insidunt herbe, dum naribus aera captant, IV 10 f.). Die zweifache Nebensatzkonstruktion mit der Konjunktion dum assoziiert die Beschreibung von Mopsus-Giovanni in der zweiten Epistel, in der auch eine dum-Hypotaxe die Rinderherde um den Hirten beschrieb. Dante zeichnete Mopsus flötend an seinem arkadischen locus amoenus, während seine Rinder über das Gras tändelten (Mopsus in his, dum lenta boves per gramina ludunt, / contemplatur ovans superum hominumque labores, II 18 f.). Der Unterschied zwischen der Szene um Mopsus und um Dantes Hirten Tityrus und Alphesibeus wird anhand verschiedener Details deutlich. So sind Tityrus’ und Alphesibeus’ Tiere nicht in einem idyllischen Spiel gezeigt, sondern in ihrem körperlichen Bedürfnis nach der frischen Luft des Waldes.19 Dem idealisierten Kontext um Mopsus steht die realistisch anmutende Inszenierung der Mittagsrast um Tityrus gegenüber. Darüber hinaus stehen die Tiere im vierten Brief in einer exponierten Stellung, da Dante sie noch vor den Hirten Tityrus und Alphesibeus beschreibt (vgl. IV 12–15). Mit den behüteten Tieren ist somit die Pflicht der Hirten Tityrus und Alphesibeus hervorgehoben. Bei Mopsus’ Beschreibung hingegen erschienen die Rinder im Hintergrund. Sie spiegelten weniger Mopsus’ Verantwortung als Hirte als die virtuosen Effekte seines Musikspiels. Diese Unterscheidung zwischen Mopsus’ idealisiertem Sängerdasein und dem realistischeren Hirtenalltag von Tityrus und Alphesibeus unterstreichen weitere intertextuelle Bezüge. So nennt Dante die Gräser, die bisher stets als Details der locus amoenus-Beschreibungen die Idylle unterstrichen (vgl. II 11–13; III 14), in der vierten Epistel als waldigen Untergrund, auf dem sich das Vieh zur Rast niederlässt (Et dum 19

Das Motiv der nach Erfrischung lechzenden Tiere findet sich auch in Vergils zweiter Ekloge (Verg. Ecl. II 8). U. a. Albanese 2014, 1759 verweist für ein ähnliches Motiv auf das erste Buch Vergils Georgica. Dort schnappt eine Kuh nach Luft und kündet damit den aufkommenden Regen an (Verg. Georg. I 373–376).

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silvestri pecudes mixteque capelle / insidunt herbe, IV 10 f.). Sie haben somit nicht mehr dekorative, sondern pragmatische Funktion. Darüber hinaus verwendet Dante die olfaktorische Dimension gegenüber Giovanni del Virgilio in einer anderen Funktion. So versetzte Mopsus-Giovanni Tityrus-Dante an einen locus amoenus, an dem der Duft der Gräser eine liebliche Atmosphäre hervorrief (vgl. III 14). Die Luft, die bei Giovanni duftete, erwähnt Dante in seiner Hirtenszene als frische Luft, die die Tiere erst im kühlen Schatten des Waldes wieder atmen und begierig einsaugen (vgl. IV 11). Auch hier zeigt sich, wie Dante ein dekoratives Element aus Giovannis idealisierender Darstellung zu einem pragmatischen Element des Hirtenalltags umwandelt. Das Phänomen ist weiterhin an der Beschreibung des Hirten Tityrus zu beobachten. Diesen zeigt Dante ebenfalls in seinem körperlichen Bedürfnis nach Rast, wenn er sich schwer im Schutz des Ahorndaches auf das duftende Laub legt. Dabei betont der Sprecher sein Alter, das zusätzlich für seine physische Schwere sorgt (Tytirus hic – annosus enim – defensus acerna / fronde soporifero gravis incumbebat odori, IV 12 f.). Erneut finden sich die landschaftlichen Elemente wieder, die bereits in den vorangehenden locus amoenus-Darstellungen erschienen. Zum einen erinnert das duftende Laub an den Wohlgeruch, als den Giovanni Tityrus-Dantes Gesang bezeichnet hatte (vocalis odor, III 19). Der Geruch lädt bei Dante nun Tityrus zum Schlaf ein (soporiferus odor, IV 13) und assoziiert damit wiederum die Schlaf und Vergessen bringenden Gräser, die Tityrus-Dante im dritten Brief an Mopsus’ Ort locken sollten (vgl. III 54 f.). Während Mopsus Tityrus jedoch mit einem eskapistischen Schlaf des Vergessens zu locken suchte, ist der Schlaf, den Tityrus die Waldgräser im vierten Brief bringen, ein Mittagsschlaf zur körperlichen Erholung von der Hirtentätigkeit. Entsprechend verhält es sich mit dem Ahornlaub, das Tityrus von der Sonne abschirmt (defensus acerna / fronde, IV 12 f.). Das bedeckende Laub erschien bereits im zweiten Brief. Dort wurde das seichte Flüsschen, das Mopsus’ locus amoenus umschloss, mit Weidenlaub bedeckt (tectus fronde saligna, II 14 f.). Bei Tityrus in der vierten Epistel ist das tectus durch ein defensus ersetzt und verleiht dem Laubdach damit eine andere Nuancierung. So hebt bei Mopsus das Weidendach über dem Flüsschen die Geborgenheit des Idylls hervor. Bei Tityrus haben die Ahornblätter vielmehr die pragmatische Funktion eines Sonnendaches, das denn Hirten vor der Hitze schützt. Auch in der Darstellung der Person Tityrus übernimmt Dante Details aus Giovannis bukolischer Inszenierung und verleiht ihnen eine andere Stoßrichtung. So zeichnete schon Giovanni Tityrus-Dante als Greis, als er ihn als divine senex (III 33) anredete. Er betonte dessen fortgeschrittenes Alter, um ihn dann zu einer altersgemäßen Dichtung im stilus gravis aufzufordern (vgl. III 50 f.). Dante übernimmt Tityrus’ Greisenalter im vierten Brief.20 Er kontextualisiert es jedoch anders. Denn während Giovanni es als 20

Das hohe Alter des Hirten deutete Dante bereits in seiner ersten Epistel an, als Tityrus von seiner Hoffnung sprach, sein ergrautes Haupt in der Heimat seiner Jugend mit dem Lorbeerlaub bekränzen zu können (vgl. II 42–44). Albanese 2014, 1759 erkennt in Tityrus’ Altersangabe „un elemento

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poetologisches Argument verwendete, lässt Dante den Kommentar zunächst losgelöst von einer poetologischen Forderung. Tityrus’ Alter begründet vielmehr die körperliche Erschöpfung, in der er sich zum Mittagsschlaf niederlegt (vgl. IV 12 f.). Das Prädikat incumbebat weist sein Hinlegen als beschwerliche Bewegung aus.21 Entsprechend hebt auch das gravis die körperliche Schwere hervor. Dante verwendet das Adjektiv damit gezielt anders als Giovanni. Der hatte Tityrus ebenfalls mit den Begriff der gravitas beschrieben, aber damit explizit auf den stilus gravis angespielt, der sich für Tityrus’ Alter gezieme (vgl. III 50 f.). Dante verwendet den Begriff nun in seiner primären, konkret-körperlichen Bedeutung. Tityrus erscheint in dem vierten Brief nicht als erhaben epischer Sänger, sondern als von der Hirtentätigkeit erschöpfter Greis. Dante lehnt die bukolische Szene und seine Figuren somit an die bisherigen bukolischen Darstellungen an. Dabei stellt er jedoch Giovanni del Virgilios idealisierend vergilischer Hirtenwelt eine alltägliche gegenüber und distanziert sich von der unmittelbaren poetologischen Funktionalisierung der bukolischen Inszenierung. So geht Dante auch vor, wenn er den Hirten Alphesibeus fokussiert. Ihn zeigt er ebenfalls in der Mittagsrast, wenn er auf einem knorrigen Stab aus Birnenholz gestützt steht (nodosoque piri vulso de stirpe bacillo / stabat subnixus, ut diceret, Alphesibeus, IV 14 f.). Alphesibeus ist nicht so alt wie Tityrus, jedoch auch in einer ruhenden Position. Mit der Hirtenfigur und ihrer Pose bezieht sich Dante nun nicht mehr auf die bisherige Korrespondenz, sondern evoziert zum einen Vergils achte Ekloge, zum anderen eine Szene aus der Commedia. Der Bezug zu Vergils achter Ekloge hat dabei zunächst ähnliche Implikationen wie Dantes konkretisierender Umgang mit Giovannis idealistischen Hirtenmotiven. Denn der Hirte Alphesiboeus erscheint bei Vergil im Wettgesang mit Damon. Dort ist es Letzterer, der sich auf einen Stab stützt und ein Lied beginnt.22 Dante zeigt nun Alphesibeus auf den Stab gestützt, nimmt dabei jedoch bedeutungsvolle Veränderungen gegenüber Vergil vor. So bezeichnet er Alphesibeus’ Stab als bacillum. Das Diminutiv charakterisiert ihn als kleinen Stab und signalisiert ein sprachlich niederes Register, das den einfachen Status der Hirten spiegelt.23 Darüber hinaus gestaltet Dante den Hirtenstab als Gegenstück zu dem vergilischen. Denn Vergils Damon stützt sich auf einen glatten Stab (incumbens tereti olivae, Verg. Ecl. VIII 16). Dantes Alphesibeus hingegen hat einen Stab, der aus einem knorrigen Birnbaum herausgerissen wurde. Bereits die Herkunftspflanze ist knorrig und damit

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di realismo autobiografico nella fictio, dato che è coerente con l’effetiva età di Dante“. Inwiefern Dante seine autobiographische Inszenierung jedoch in den Dienst der poetologischen Diskussion stellt, lässt sie unbeachtet. ThLL s. v. incumbo I A 3. Das Partizip incumbens, das bei Vergil das Stützen auf den Stab bezeichnet, trennt Dante zudem aus dem Motiv heraus und verwendet es als Prädikat, um Tityrus zu beschreiben, der sich auf dem Waldboden niederlässt (fronde soporifero gravis incumbebat odori, IV 13). Vgl. Albanese 2014, 1761.

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ästhetisch unvollkommen.24 Dass er von einem Birnbaumstamm abgerissen wurde (piri vulso de stirpe bacillo, IV 14), verweist zudem auf die körperliche Tätigkeit, mit der sich die Hirten an ihrer einfachen, ländlichen Umgebung bedienen, um ihrer Arbeit nachgehen zu können. Anders als der elegante Stab des vergilischen Damon entwirft Dante Alphesibeus’ Stab als rustikalen Alltagsgegenstand. Auch die Prädikate, mit denen Vergils Damon und Dantes Alphesibeus zu ihrer folgenden Rede ansetzen, unterstützen diesen Konstrast. So verändert Dante Vergils verbum dicendi von einem sic coepit (Verg. Ecl. VIII 16), das Damon zum Ansatz seines Liedes zeigt, zu einem ut diceret (IV 15). Alphesibeus’ Worte erscheinen somit explizit gesprochen, nicht gesungen. Seine Situation ist folglich nicht unmittelbar musikalisch wie bei Vergil, bei dem sich die Hirten zum Wettgesang getroffen haben. Durch eine Veränderung der Details stellt Dante somit einen Kontrast seines Alphesibeus zu Vergils Hirten dar, die wie bei Giovanni del Virgilio als bukolisch stilisierte Sänger erscheinen, weniger als tatsächliche Hirten. Vielmehr assoziiert der intertextuelle Verweis auf Vergil nur indirekt Dantes Tityrus und Alphesibeus mit der musischen Kompetenz der vergilischen Modellhirten. Denn Damon und Alphesiboeus werden zu Beginn der achten Ekloge als orphische Sänger eingeführt (Verg. Ecl. VIII 1–5). Der vergilische Hypotext ermöglicht Dante, auf literaler Ebene allein die realistisch-bescheidene Identität von Tityrus und Alphesibeus zu betonen und dennoch deren Fähigkeiten als orphische Sänger vorauszusetzen. Nach wie vor steht bei Dantes Inszenierung also der alltägliche Hirtencharakter im Vordergrund, während die poetische Kompetenz der Figuren anhand von Intertextualitäten nur angedeutet ist. Die körperliche Erschöpfung der Hirten ist Zeichen ihrer niederen, irdischen Existenz, die in Abhängigkeit von den göttlich waltenden Kräften des Universums steht. Dabei zeigt sich, dass erst aus dieser konkret-alltäglichen, irdisch-menschlichen Dimension heraus Dantes bukolische Inszenierung auch eine poetologische Aussage transportiert. Hier erweist sich die zweite Intertextualität als bedeutsam, die Dantes Beschreibung des Hirten Alphesibeus evoziert. So ist die Konstellation der zwei Hirten, die rastend über ihr Vieh wachen, wobei sich einer auf seinen Stab stützt, auch aus Dantes Commedia bekannt.25 In Purgatorio XXVII beschreibt

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25

Ein drastisches Beispiel für die Bewertung einer knorrigen Pflanzenform bietet Inf. XIII, in dem Pier delle Vigne für das Vergehen seines Selbstmordes als knorriges Gebüsch büßen muss (Inf. XIII 4–6). Zudem steht Tityrus-Dantes Stab in Kontrast zu demjenigen, den Damon in Vergils achter Ekloge trägt, der als teres bezeichnet und insofern auch von besonderer ästhetischer Qualität ist. Albanese 2014, 1759 f. sieht darin eine oppositio in imitando durch Dante, der sich von Vergil abgrenzt. Sie deutet jedoch nicht weiter. Der Hinweis von Albanese 2014, 1758, dass es sich um eine „scena bucolica convenzionale [handele], costruita da Dante su un intarsio di Virgilio e Ovidio […], della campagna assoluta dove bestiame e pastori, che appoggiati ai loro bastoni lo sorvegliano, trovano riparo dalla calura nella fresca ombra della selva“, die außerdem quasi identisch in Pg. XXVII erscheine, bleibt noch ohne einen zusammenhängenden Deutungsvorschlag.

Das Hirtengespräch

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Dante, wie seine gleichnamige persona auf der Wanderung mit seinen Führern, den antiken Epikern Vergil und Statius, sich eine nächtliche Ruhestelle sucht. In zwei aufeinanderfolgenden bukolischen Bildern vergleicht Dante sich mit Ziegen, die in der Obhut des auf einen Stab gestützten Hirten in Sicherheit wiederkäuen (Pg. XXVII 76– 81). Die Dichter Statius und Vergil setzt Dante dabei mit Hirten gleich, die ihm als Ziege Schutz gewähren (tali eravamo tutti e tre allotta, / io come capra, ed ei come pastori, Pg. XXVII 85 f.). Die bukolische Ausgangssituation in dem Vergleich ist ähnlich zu der Szene, die Dante in seiner Epistel entwirft. Eine Parallele besteht zum einen an der Situation der Rast. Im Purgatorio beginnt Dante in einem ersten Bild mit den Ziegen, die nach ausgelassenem Spiel auf der Weide vor der brennenden Mittagssonne im Schatten ruhen und wiederkäuen, wobei sie ein auf einen Stab gestützter Hirte behütet (Pg. XXVII 76–81). Die brennende Mittagssonne wird in beiden Fällen mit dem Verb fervere wiedergegeben (et fervere rura sinebant, IV 6; mentre ch ’l sol ferve, Pg. XXVII 79). Auch der auf den Stab gestützte Hirte erscheint jeweils (nodosoque piri vulso de stirpe bacillo / stabat subnixus, ut diceret, Alphesibeus, IV 14 f.; guardate dal pastor, che ’n su la verga / poggiato s’è e lor di posa serve, Pg. XXVII 80 f.). Ein offenkundiger Unterschied zwischen Purgatorio und Ekloge besteht darin, dass Dante die bukolische Szene im Purgatorio als Vergleich heranzieht. Das Rastmotiv dient dort zur Illustration eines Zustands, in dem sich der Jenseitswanderer ‚Dante‘ befindet. In der Epistel hingegen ist die bukolische Situation inszenierte Realität. Die Funktion des Hirtenvergleichs in der Commedia bietet jedoch den Schlüssel zu einer übertragenen Deutung der bukolischen Epistel. Der bukolische Vergleich im Purgatorio kennzeichnet sich durch eine friedliche und zuversichtliche Atmosphäre. ‚Dante‘ hat in dem Moment seines Vergleichs mit einer behüteten Ziege gerade unter der Führung der antiken Dichter Vergil und Statius das Fegefeuer durchwandert. Vor ihm liegt die letzte Nacht auf dem Läuterungsberg, bevor er das irdische Paradies betritt. Dort erwartet ihn die Krönung durch seinen Jenseitsführer Vergil, der ihn am Ende des Canto XXVII zum Herrscher über sich selbst erklärt und ‚Dante‘ damit attestiert, dass er die höchstmögliche Freiheit der menschlichen Vernunft erreicht hat (Pg. XXVII 139–142). Das irdische Paradies als Ort irdisch-menschlicher Glückseligkeit liegt ‚Dante‘ somit unmittelbar vor den Füßen, als Dante den bildlichen Vergleich mit der widerkäuenden Ziege einfügt. Die friedliche Ziege spiegelt ‚Dantes‘ Zustand, dessen Seele nach der Läuterung des Fegefeuers einen moralischen Frieden genießt. Auch über ‚Dantes‘ Führer Vergil gibt der bukolische Vergleich Auskunft. Denn wenn Dante den Dichter, der seine persona bis zu diesem Punkt des seelischen Friedens geführt hat, mit einem Hirten vergleicht, bezeugt dies dessen moralische Funktion als ‚Dantes‘ Hüter. Denn erst die Ägide Vergils, den Beatrice am Beginn der Commedia zu seiner Rettung geschickt hatte, ermöglichte ‚Dante‘, bis zur Spitze des Läuterungsberges zu gelangen, die seelische Läuterung im Fegefeuer zu durchleben und die folgen-

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de Krönung zum Herrscher über sich selbst zu erhalten.26 Hat ‚Dante‘ erst einmal das irdische Paradies erreicht, gibt es nichts mehr, was der Heide Vergil ihm weitergeben könnte, weder in moralischer noch in poetischer Hinsicht. Die Gefilde des Glaubens, die ‚Dante‘ mit dem Paradies betritt, muss ihm Beatrice zeigen und auch ‚Dantes‘ poetische Fähigkeiten, die himmlischen Sphären zu besingen, finden in dem antik-heidnischen Dichter Vergil kein Vorbild mehr. Vergil ist allegorisch als ‚Dantes‘ moralische, epistemische und poetische Führung zur Spitze dessen, was menschliche ratio und ars vermögen, zu deuten und damit ein Führer der irdisch-menschlichen Sphäre.27 Wenn ‚Dantes‘ letzte Nacht in Vergils Obhut mit der friedlichen Ziege unter Aufsicht des Hirten verglichen wird, spiegelt dies diese Funktion des antiken Dichters innerhalb des göttlichen Weltgebäudes. Der Hirte Vergil nimmt in der Nacht vor Betreten des irdischen Paradieses ein letztes Mal seine Wächterfunktion gegenüber der Ziege ‚Dante‘, seinem in göttlichem Auftrag anvertrauten Schützling, ein, bevor dieser sich aus seiner Herde lossagt. Denn wie sich in der Krönung am folgenden Tage zeigt, hat dieser nun seine rationale, moralische und poetische Selbstherrschaft erlangt und bedarf daher Vergils Obhut nicht mehr. Die letzte Nacht unter der Behütung Vergils zeigt ‚Dante‘ in einem abschließenden Frieden mit seiner antiken Führer-, Lehrer- und Vaterfigur. Die Ziege, die unter der Obhut des Hirten friedlich ruht, spiegelt diesen Zustand einer glückseligen Existenz in einem Bild der irdisch-diesseitigen Welt.28 Hinsichtlich der Epistel bietet der bukolische Vergleich in Purgatorio XVII wesentliches Deutungspotenzial, berücksichtigt man die Verschiebungen, die Dante für seine bukolische Versepistel vornimmt. So erscheint in Dantes Brief dasselbe Motiv der Mittagsrast mit den gezeigten wörtlichen und motivischen Anleihen. Verschoben ist jedoch zum einen Dantes eigene Position. Denn er ist nun selbst zum Hirten Tityrus geworden und hat folglich die Position Vergils eingenommen. Darüber hinaus besteht ein grundsätzlicher Unterschied in dem Status der Bukolik. So handelt es sich im Purgatorio um einen Vergleich, der ‚Dantes‘ Seelenzustand illustriert. In der Epistel hin26 27

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Im zweiten Gesang des Inferno erläutert Vergil seine Sendung durch Beatrice (Inf. II 52–120). Chiavacci Leonardi II, 817 kommentiert Vergils Abschied in Pg. XXVII 142: „Virgilio dunque, nelle ultime solenni parole che rivolge a Dante, gli conferisce come un’investitura: quella signoria di sé a cui ragione e virtù conducono l’uomo, la suprema aspirazione del mondo antico che il poeta latino vede realizzarsi in colui che fu il suo discepolo.“ Dante hat die „felicità naturale“ erreicht, zu der Vergil ihn con ingegno e con arte (Pg. XXVII 130) hat führen können, d. h. mit seiner „capacità intellettiva e quella tecnica. Qui forse si vuol ricordare la doppia serie di virtù naturali con le quali, nel luogo citato della Monarchia, si giunge alla felicità di questa [terrena] vita: secundum virtutes morales et intellectuales operando.“ Vergil hat Dante somit auch aus seinem mangelhaften moralischen Zustand herausgeführt, aus der „difficoltà morale che l’uomo deve affrontare per giungere al bene, in continua lotta con i propri istinti. Ora tutto questo è finito, e Dante gode la pura libertà di chi ha vinto se stesso, libertà di cui il dolce paesaggio che Virgilio indica intorno è figura.“ Vergils Abschied bezeichnet Chiavacci Leonardi II, 814 somit auch als „un addio e un ultimo appello a quell’impegno morale di cui fin qui gli è stato maestro.“ Entsprechend stellt Chiavacci Leonardi II, 807 fest, dass der Vergleich die irreale Gruppe aus Vergil, Statius und Dante in der irrealen Welt des Jenseits in eine „assoluta concretezza“ überführe.

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gegen ist die Bukolik eine unmittelbare poetische Chiffre für die irdisch-diesseitige Existenz des Dichters Dante, der über die Hirtenfigur Tityrus seinen Status als neuer Vergil und christlicher vates beansprucht. Auch die Umstände unterscheiden sich, da Tityrus, Alphesibeus und ihr Vieh zwar rasten, ihre Lage jedoch von körperlicher Anstrengung geprägt ist, die in dem bukolischen Vergleich im Purgatorio nicht erscheint. So regt die Hirten das Mitleid mit sich und den Tieren an, vor der Sonne in den Wald zu fliehen (vgl. IV 7 f.). Sie sind erschöpft (vgl. IV 13; IV 14 f.), die Tiere lassen sich ebenso matt auf dem Waldboden nieder und schnappen atemlos nach frischer Luft (vgl. IV 11). Dieser notwendigen Zuflucht steht das idyllische Vergleichsbild im Purgatorio entgegen. Dort liegen die Tiere nach ausgelassener Stimmung auf der Weide still im Schatten und käuen ruhig wieder (Quali si stanno ruminando manse / le capre, state rapide e proterve / sovra le cime avante che sien pranse / tacite a l’ombra, mentre che ’l sol ferve, Pg. XXVII 76–79). Es gibt keine Anzeichen von der körperlichen Erschöpfung oder Beschwerlichkeit, wie sie die Tiere von Tityrus und Alphesibeus prägt. Auch der Hirte des Vergleichs in der Commedia erscheint in einer Pose der Entspannung, wenn er sich auf seinen Stab lehnt und seine wiederkäuenden Tiere behütet (guardate dal pastor, che’n su la verga / poggiato s’è e lor di posa serve, ibid. 80 f.). Alphesibeus in der Epistel hingegen ist erschöpft, so wie er sich nach dem Rückzug in den Wald über seinen Stab stützt (stabat subnixus, IV 15). Zu erklären ist dieser Unterschied zwischen dem illustrativen, idyllischen Bild des Purgatorio und der beschwerlichen Rastsituation in der Epistel mit der unterschiedlichen Position der bukolischen Szenen in der Topographie der christlichen Welt. Denn den postpurgatorialen Zustand veranschaulicht natürlich ein Vergleich, der absolute Friedlichkeit darstellt. Die irdisch-menschliche Existenz, die die bukolische Allegorie in der Epistel abbildet, ist hingegen von diesem beinahe himmlisch-seligen Zustand weit entfernt und kennzeichnet sich durch körperliche Entbehrlichkeiten. Trotz der topographisch verschiedenen Position im christlichen Weltgefüge ist jedoch der Deutungshorizont in der Commedia und der Epistel derselbe. Denn die antiken Dichter Vergil und Statius erscheinen in ihrer Funktion als Führer, Lehrer und Vater über ‚Dante‘ als Hirten, die sowohl ein moralisches, epistemisches als auch poetisches Modell implizieren. In der Epistel erscheint Dante selbst als Hirte Tityrus in der Identität Vergils und in der Begleitung des Alphesibeus, der ebenfalls aus Vergils Ekloge als herausragender Sänger bekannt ist.29 Tityrus-Dante hat mit Vergils Status als Dichter auch dessen Status als Weiser übernommen, der in seiner Dichtung die ideale Ordnung auf Erden verkündet, die den Menschen im Diesseits das Leben in irdischer Glückseligkeit ermöglicht.30 Er ist wie im zweiten Brief als Dichterprophet und christliche Erfüllung Vergils zu verstehen. Alphesibeus, der im Folgenden als Ti29 30

Vgl. Verg. Ecl. VIII 1–6. Dazu siehe Kapitel III. Deutlich wird dies v. a. auch in Dantes Monarchia, in der Dante die vierte Ekloge zitiert, um zu beweisen, dass die irdische Welt dann am besten organisiert sei, wenn die Ge-

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tyrus’ alumnus (IV 89) hervortreten wird, bildet entsprechend das Pendant zu dem antiken Dichter Statius, der sich in der Commedia als poetischer und christlicher Anhänger Vergils zu erkennen gibt (Per te poeta fui, per te cristiano, Pg. XXII 73). Wenn Tityrus und Alphesibeus folglich ihr Vieh hüten, erscheinen sie als diesseitiges Pendant zu Vergil und Statius. Wenngleich sie wie alle irdischen Lebewesen von grundsätzlich niederer Existenz und dem himmlischen Wirken ausgesetzt sind, nehmen sie in dieser Identität dennoch ihre Funktion als Wissende und Dichterpropheten der göttlichen Ordnung auf Erden wahr. Dies qualifiziert sie als moralische, epistemische und poetische Hüterfiguren, die einerseits ihre diesseitige kreatürliche Konstitution innerhalb der göttlichen Ordnung annehmen und andererseits ihrer Verantwortung in der diesseitigen christlichen Gemeinschaft nachgehen, wenn sie ihre Herden hüten. Erst in der Annahme dieser irdischen Konstitution kann in dem von ihrer Hirtentätigkeit und der Sonnenhitze erschöpften Zustand auch eine Gravität der Dichterhirten erkannt werden. Denn ihre Erschöpfung bezeugt, wie sie ihrer Aufgabe als Hüter nachgehen. Nur in Kombination mit seiner körperlich konkreten Bedeutung kann somit das gravis (IV 13), das den greisen Tityrus beschreibt, auch als Indiz seines poetologischen Status als erhabener Dichterhirte gelesen werden, da es von der Übernahme seiner Verantwortung als christlicher Dichterprophet auf Erden zeugt. Nachdem das Setting und die Ausgangssituation der Figuren im ersten Teil der narratio (IV 10–15) vertiefend dargestellt sind, folgt eine erste wörtliche Rede des Alphesibeus (IV 16–27). In einer fünfteiligen Analogie tut er seine Verwunderung über Mopsus kund, der sich an einem unwirtlichen Ort aufhalte. „Quod mentes hominum“ fabatur „ad astra ferantur unde fuere, nove cum corpora nostra subirent, quod libeat niveis avibus resonare Caistrum temperie celi letis et valle palustri, quod pisces coeant pelagi pelagusque relinquant flumina qua primum Nerei confinia tangunt, Caucason Hyrcane maculent quod sanguine tigres, et Libies coluber quod squama verrat arenas, non miror: nam cuique placent conformia vite, Tytire. Sed Mopso miror, mirantur et omnes pastores alii mecum Sicula arva tenentes, arida Ciclopum placeant quod saxa sub Ethna.“

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[IV 16–27]

rechtigkeit, die Virgo Astraea auf Erden sei und dies sei nur unter den Umständen der Monarchie, des Imperium, gewährleistet, wie Vergil es unter Augustus erlebt habe.

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Alphesibeus setzt zu einer philosophischen Reflexion über die verschiedenen Existenzen und ihre entsprechenden Lebensweisen und -räume an. Er spricht über den menschlichen Geist, der zu den Sternen getragen werde, von denen er stamme und von wo aus er neu in den irdischen Körper gehe. Den weißen Schwänen gefalle es, den Kaystros erklingen zu lassen, glücklich über die Wärme des Himmels und das sumpfige Tal. Die Fische paaren sich im Meer und verlassen es dann dort, wo die Flüsse erstmals die Grenzen des Meeres berühren. Die hyrcanischen Tiger beflecken mit Blut den Caucasus. Die libysche Schlange streicht mit ihren Schuppen über den Sand. All dies erkennt Alphesibeus als Lebensweisen an, die den Lebewesen jeweils entsprechen. Vor diesem Hintergrund rufe jedoch Mopsus allgemeine Verwunderung bei ihm und den sizilischen Hirten hervor. Denn ihm gefallen offensichtlich die kargen Felsen der Kyklopen am Ätna. Mit dieser ersten wörtlichen Rede verleiht Dante seiner zweiten Epistel eine ähnliche Struktur wie seiner ersten. Denn wie zuvor lässt er dem Gefährten seines Alter Egos das erste gesprochene Wort. Anders als Melibeus im zweiten Brief (vgl. II 5) erweist sich Alphesibeus jedoch nicht als ungebildeter, sondern als gelehrter Sprecher. Dies wird an dem philosophischen Inhalt seiner Rede deutlich, in der er über die Angemessenheit der Lebensformen (conformia vite, IV 24) reflektiert. Seine Analogien, die er aus den verschiedenen Lebenswelten heranzieht, konstruiert er dabei jeweils als quod-Sätze. So spiegelt der parallelistische Vers- und Satzbau formal Alphesibeus’ philosophisch scholastische Argumentation.31 Eine weitere Parallele zu der zweiten Epistel besteht in Dantes Amplifikation der Sprechsituation. Denn erneut erweitert er die Rede seines Briefes vertikal um eine metadiegetische Ebene. Darüber hinaus erfährt diese eine horizontale Erweiterung, wenn nicht ein weiteres Alter Ego Dantes Stimme wiedergibt, sondern sich die metadiegetische Rede auf verschiedene Figuren (Tityrus, Alphesibeus, später Melibeus) verteilt. Durch diese horizontale Amplifikation der Sprechsituation steht der vierte Brief erneut in Kontrast zu Giovannis Epistel, in dem der Gelehrte ausschließlich seine eigene Stimme vertikal erweiterte. Auf diese Weise übermittelte dessen poetologische Stellungnahme formal den Anspruch einer absoluten, eindeutigen Gültigkeit. Dantes erweiterte Sprechsituation hingegen deutet eine vielfältige Realität von Sprechern und Stilen an. Neben der Amplifizierung der Sprechsituation lässt sich darüber hinaus an dieser Stelle erkennen, wie Dante die rhetorische Struktur seines Briefes an Giovannis bukolische Epistel, den dritten Brief der Korrespondenz, anlehnt. Denn wie Giovanni entwirft Dante in der narratio den Aufenthaltsort seiner Hirten und denjenigen des Adressaten. Giovanni hatte in der narratio des dritten Briefes sein Alter Ego im Wald lokalisiert, den er als idyllischen Rückzugsort nach dem Modell der vergilischen Bu-

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Petoletti 2016, 606 spricht bezüglich Alphesibeus’ Rede von einer sententia.

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kolik stilisierte und in dem poetischen Sehnsuchtsort Arkadien ansiedelte (vgl. III 6; 18–25). Im Zuge dessen beschrieb der Gelehrte auch den Ort seines Adressaten Tityrus als einen locus amoenus, von dem aus dessen Melodie zu Mopsus herüberströmte (III 11–17). Die Ortsbeschreibungen dienten Giovanni dabei nicht nur zu einer geographischen Lokalisierung der beiden Hirtenfiguren, sondern spiegelten vor allem deren poetisches Profil als bukolische Sänger vergilischer Tradition. Bei der Anlage der Orte war Giovanni del Virgilio daran gelegen, eine harmonische Kohärenz zwischen den beiden Sängerhirten Tityrus und Mopsus darzustellen. Ähnlich geht Dante in der narratio der vierten Epistel vor. Denn er unternimmt ebenfalls eine Lokalisierung der Hirtenfiguren. Wie Giovanni beschreibt er erst sein eigenes Alter Ego Tityrus und versetzt ihn mit seinem Gefährten Alphesibeus in einen Wald (vgl. IV 10–15). Ein wesentlicher Unterschied zu Mopsus-Giovanni ergab sich jedoch bereits, da Dante seine Figuren nicht zu vergilisch-bukolischen Sängern stilisierte, sondern sie als Hirten in einer alltäglichen Umgebung zeigte. Im Anschluss thematisiert Dante nun auch den Ort seines Adressaten und entspricht damit weiterhin der Struktur aus Giovannis Epistel. Dante gibt jedoch dieses Mal keine landschaftliche Beschreibung, sondern der Hirte Alphesibeus reflektiert auf einer Metaebene über die Eignung des Ortes für seinen Bewohner Mopsus. Darüber hinaus kommt Alphesibeus auch nicht zu einer positiven Darstellung wie die Ortsbeschreibungen der vorangehenden Episteln, sondern konstatiert die mangelnde Übereinstimmung zwischen Mopsus und seinem Ort (vgl. IV 25–27). Die narratio der vierten Epistel erfüllt folglich dieselbe rhetorische Funktion wie in der zweiten und dritten Epistel, wo die Beschreibungen der Orte zugleich die dort ansässigen bukolischen Alter Egos charakterisierten, sie erhalten bei Dante jedoch eine andere Aussagekraft. Denn während Giovanni im dritten Brief bestrebt war, eine Kongruenz zwischen den Orten und den Sängerhirten Tityrus und Mopsus darzustellen, attestiert Dante Giovanni eine Inkongruenz seines Ortes mit seiner Person und weist damit auf einen Kontrast zwischen den beiden Korrespondenten hin. Diesen Kontrast begründet Dante jedoch nicht primär durch poetologische Differenzen. Alphesibeus’ Ausführungen schneiden eher eine grundlegend philosophische Problematik an. In ihnen deutet Dante auf die moralischen Prämissen hin, die er seiner Stellungnahme gegenüber Giovanni del Virgilio zugrunde legt. So umfasst Alphesibeus’ gelehrte Rede sechs exempla, die das Prinzip der angemessenen Lebensform anhand verschiedener Existenzformen darstellen sollen (vgl. IV 16–23). Der gelehrte Hirte beginnt mit dem Beispiel des Menschen, dessen Geist zu den Sternen zurückkehre, woher er zu Beginn seines Lebens gekommen sei, um den irdischen Körper auf sich zu nehmen („Quod mentes hominum“ fabatur „ad astra ferantur / unde fuere, nove cum corpora nostra subirent, IV 16 f.). Dante lässt Alphesibeus hier einen Lehrsatz äußern, der an die philosophischen und theologischen Prinzipien erinnern, die Dante andernorts in seinem Werk darlegt. So klingt in der Vorstellung der Seelen, die von den Sternen in den Körper fahren und schließlich wieder dorthin

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zurückkehren, die Lehre aus Platons Timaios an, die Dante in den theologischen Überbau der Commedia integriert.32 Die mens steht demgemäß für die intellektive Kraft der menschlichen Seele, die nach dem Tod erhalten bleibt und – bis zum Jüngsten Gericht – ohne den irdischen Körper ins Jenseits übergeht, im besten Fall in den Himmel.33 Sie verbindet folglich den Menschen mit der himmlischen, göttlichen Sphäre. Die corpora hingegen bleiben zunächst dem irdischen Bereich verhaftet. Die Trennung zwischen dem erhabenen Himmel und der niederen irdischen Existenz erinnert dabei an das exordium (IV 1–9), das die Menschen im Konstrast zum Kosmos als niedrig-irdische Existenz charakterisierte. Alphesibeus’ Worte zeigen nun, wie der Mensch eigentlich an beiden Sphären teil hat, die ihm als conformia vite (IV 24) entsprechen: So lebt er seine temporäre, physische Existenz auf Erden. Sein intellektueller Geist verbindet ihn jedoch mit dem Himmel, in den dieser auch nach dem Tod zurückkehrt.34 Mit der Reflexion über die Zugehörigkeit und conformia vite der mentes hominum (IV 16 f.) zum Himmel ordnet Alphesibeus folglich die bukolische Welt und die irdische Existenz der Hirten in metaphysischem Sinne in den kosmologischen Kontext ein. Formal erinnert Alphesibeus’ Äußerung zudem an einen klassischen Hypotext. So betrauern in Vergils fünfter Ekloge die Hirten Mopsus und Menalcas den Tod des Daphnis und verwenden ebenfalls die Junktur ad astra ferre. Sie zeigt dort einen Gesang, der die Himmelfahrt des herausragenden Dichterhirten Daphnis besingt und diesen auf diese Weise verewigt.35 Dantes Alphesibeus greift auf diese vergilische Formulierung zurück, wenn er 32

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Petoletti 2016, 606 weist die verschiedenen möglichen Quellen aus: „la versione latina del Timeo (41–42), procurata da Calcidio, che vi aggiunse una spiegazione, o il commento di Macrobio al Somnium Scipionis, Comm. I 11–12 e II 17, 14 (un cenno anche in Agostino De civ. Dei XIII 19, e Boezio, Cons. III carm. IX 18–21).“ Während unter den christlichen Gelehrten Augustinus diese Lehre als häretisch zurückweist, eröffnet Dante in seiner Commedia eine Möglichkeit, diese für die christliche Vorstellung fruchtbar zu machen. So erklärt Beatrice Dante in Par. IV, dass die Ansicht zwar in ihrer wörtlichen Bedeutung nicht zutreffe. Versteht man jedoch in übertragenem Sinne, dass die Seele unter dem Einfluss der Sterne stehe, sei dies eine nicht zu verlachende Aussage. Dante verwendete in seiner ersten Epistel die Sterne bereits metonymisch für das Paradies, wenn er von den astricole (II 49) spricht und damit die Seelen bezeichnet, die sich im Paradies aufhalten. Vgl. Brugnoli/Scarcia 1980, 43 f.; Albanese 2014, 1716. Auch im dritten Buch des Convivio spricht Dante über die mens als den letzten und edelsten Teil der Seele, die auf Erden nur dem menschlichen Lebewesen eigen ist und daher dessen Status als göttliches Lebenwesen beweise: Per che è manifesto che per mente s’intende questa ultima e nobilissima parte dell’anima (Dante Conv. III 2, 16). Zur mens bei Dante siehe Maierù 1971. Auch diese geistige Existenz ist zunächst vorläufig, da die Seelen ihre Körper mit dem Jüngsten Gericht zurückerhalten. Die Trennung beschreibt Dante im dritten Buch seines Convivio in Anlehnung an die aristotelische Philososphie: Ciascuna forma sustanziale procede dalla sua prima cagione, la quale è Iddio, sì come nel libro Di Cagioni è scritto, e non riceve diversitade per quella, che è simplicissima, ma per le secondarie cagioni e per la materia in che discende (Dante Conv. III 2, 4). Dabei gesteht er der menschlichen Seele den höchsten Rang zu, da sie die Form ist, die das meiste der göttlichen Natur empfängt (III 2, 6). Dies führen auch Brugnoli/Scarcia 1980, 78 f. als Argument an, um astra nicht nur konkret als „Sterne“ zu deuten, sondern allgemeiner als „Himmel“. So spricht Menalcas zu Mopsus, er werde Daphnis in seinem Lied rühmen: Daphnin ad astra feremus: amavit nos quoque Daphnis (Verg. Ecl.

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von den menschlichen Seelen spricht, die ad astra ferantur (IV 16), und aktualisiert so den vergilischen Hypotext mit dem theologischen Inhalt der Commedia. Die vier folgenden exempla sind daraufhin der irdischen Sphäre entnommen. Alphesibeus fokussiert darin die Tierwelt und widmet sich zunächst den Schwänen (quod libeat niveis avibus resonare Caistrum / temperie celi letis et valle palustri, IV 18 f.). Als angemessenen Lebensort weist er ihnen den Fluss Kaystros zu, der durch seine klimatischen und geographischen Bedingungen ein willkommenes Rückzugsgebiet biete. So seien sie glücklich über die gemäßigte Temperatur des Himmels und das sumpfige Tal (temperie celi letis et valle palustri, IV 19) und lassen diese mit ihrem Gesang erklingen (resonare, IV 18).36 Mit dem Motiv zieht Alphesibeus ein traditionelles Motiv der klassisch-antiken Dichtung heran. So beschreiben auch Ovid und Vergil den Kaystros als typischen Ort des Schwanengesangs.37 Alphesibeus zeigt hier seine Gelehrsamkeit in antiker Wissenstradition, die er zum Beweis seiner conformia vite-These heranzieht. Die Vögel gelten gemäß der antiken Dichtung zudem als besonders gesangsbegabt. Der Hinweis auf die Schwäne, die am Kaystros einen geeigneten Ort für ihren Gesang finden, impliziert somit auch eine Reflexion über den geeigneten Ort für den Dichter und seinen Gesang.38 Erneut thematisiert Dante die poetische Dimension unterschwellig. Als drittes Element führt Alphesibeus die Fische an (quod pisces coeant pelagi pelagusque relinquant / flumina qua primum Nerei confinia tangunt, IV 20 f.). Der angemessene Ort für ihre Paarung sei das Meer, das sie aufsuchen und daraufhin wieder verlassen. Der Hirte unterfüttert seine These der conformia vite folglich mit Argumenten aus verschiedenen Lebensbereichen von Land- und Wassertieren, und verleiht seiner Argumentation damit das Gewicht einer allgemeingültigen Aussage. Der vierte Vergleich betrifft die hyrcanischen Tiger, die den Kaukasus mit Blut beflecken (Caucason Hyrcane maculent quod sanguine tigres, IV 22). Der gelehrte Hirte fokussiert mit den Tigern raubende Säugetiere. Ihr Raubtierwesen steht plastisch vor Augen, wenn Alphesibeus in einer Paraphrase als Konsequenzen ihrer reißenden Tätigkeit das Blut ih-

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V 52). Vgl. u. a. Albanese 2014, 1760. Michael von Albrecht 2001, 152 spricht im Zuge dessen von Vergils fünfter Ekloge als „Todes- und Himmelfahrtsgedicht“. Resonare ist als Bezeichnung des Gesanges prominent aus Vergils erster Ekloge bekannt, in der Meliboeus beschreibt, wie Tityrus den Wäldern beibringen würde, die schöne Amaryllis zu besingen (Verg. Ecl. I 5). Auch Giovanni del Virgilio hatte resonare in diesem Sinne in seiner Ekloge aufgegriffen, um damit zu beschreiben, wie Tityrus’ Gesang zu Mopsus herübergetragen wurde (vgl. III 11). Vgl. Petoletti 2016, 607. Vgl. Ov. Met. V 386 f. Vgl. Albanese 2014, 1761. Auch Vergil zieht in seiner Aeneis die Schwäne, die den Kaystros und das sumpfige Gebiet in ihrem Flug erklingen lassen, zu einem Vergleich heran. Dort findet sich auch ihre Beschreibung als schneeweiß (Verg. Aen. VII 699–702). Ähnlich finden sich die Vögel am Kaystros auch in Verg. Georg. I 383–387. Giovanni del Virgilio selbst hatte sich in seiner ersten Epistel als eine Gans beschrieben, die unbeholfen gegen einen wohlklingenden Schwan schnattert (I 49 f.). Dieses Motiv wiederum findet sich ähnlich in Vergils neunter Ekloge (Verg. Ecl. IX 35 f.).

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rer Opfer beschreibt, das den Lebensraum der Tiger zeichnet. Erstmals handelt es sich um ein aggressives Bild im Gegensatz zu den mentes, den Schwänen und den Fischen. Wie bei den Schwänen bedient sich Alphesibeus mit den hyrcanischen Tigern eines Motivs klassisch-antiker Tradition, das der Hirte jedoch in einem gelehrten Interesse verwendet. So verweist der Vers intertextuell auf Didos empörte Worte an Aeneas sed duris genuit te cautibus horrens / Caucasus Hyrcanaeque admorunt ubera tigres (Verg. Aen. IV 366 f.).39 Der Kaukasus und die hyrcanischen Tiger erscheinen dort als Vergleichselemente, deren Feindseligkeit die moralische Verwerflichkeit des Trojaners verdeutlichen soll, der seine Mission über die Liebe zu Dido stellt. Der gelehrte Alphesibeus hingegen lässt wertende Adjektive wie Didos horrens Caucasus weg. Er beschreibt vielmehr die blutigen Folgen der Jagd nicht als moralisch verwerflich, sondern zeigt die Tiger in ihrem natürlichen Raubverhalten. Ihre Blutrünstigkeit erscheint dabei als genuiner Wesenszug, der Kaukasus als ihr natürlicher Lebensraum, in dem sie ihrer Jagd nachgehen. Ähnlich schließt das letzte Vergleichselement an, die libysche Schlange, die mit ihrem schuppigen Körper über den Sand hinstreicht (et Libies coluber quod squama verrat arenas, IV 23). Auch die Schlange ist sowohl aus der klassisch antiken, als auch aus der christlichen Tradition als unheilvolles Wesen bekannt und mit einer besonderen Schadhaftigkeit für den Menschen assoziiert. In der Commedia wird dies in Inferno XXIV deutlich, wo Dante die Diebe in einer ständigen gewaltsamen Verwandlung zu Schlangen und Menschen zeichnet.40 Die Tiere sind dabei Ausdruck der moralischen Verkommenheit der Sünder, denen in den Schlangenverwandlungen immer wieder ihr Körper genommen wird.41 Alphesibeus unterlässt hingegen jede Art der morali39 40

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Vgl. Albanese 2014, 1761. Im vierten Buch der Metamorphosen erwähnt der Sprecher kurz, wie nach Perseus’ Sieg über die Medusa, aus ihrem abgetrennten Kopf Blutstropfen auf den libyschen Sand fielen, aus denen die Schlangen hervorgingen, die seitdem das feindselige Land bevölkern (infestaque terra colubris, Ov. Met. IV 260). Albanese 2014, 1761 verweist zudem auf Ov. Met. IV 615–620. Motivische Ähnlichkeiten finden sich darüber hinaus zu dem Schlangenkatalog im zehnten Buch von Lucans Bellum civile. Dieser führt aus, wie aus dem Blut des Medusenhaupts diverse Schlangenarten entstehen. Das Adjektiv squamifer beschreibt dort die Schuppenringe des Schlangenkörpers, die sich entrollen, und trägt damit eine ähnliche Bedeutung wie die squama in Alphesibeus’ Rede (Lucan. IX 708 f.). Die negative Bewertung der Tiere fasst der Sprecher bei Lucan nach dem Schlangenkatalog zusammen, der berichtet, wie Cato zwischen diesen Scheusalen (pestes, ibid. 734) mit seinen Soldaten den Marsch durch die Wüste beging, die an deren Bissen sterben (ibid. 734–736). Dante spricht von einer terribile stipa di serpenti (Inf. XXIV 82 f.) und von den Schlangen als pestilenze (ibid. 88). Vgl. Albanese 2014, 1761. Chiavacci Leonardi I, 703 f. erläutert dementsprechend die Strafe der Diebe: „L’essenza stessa poi del furto, l’attendare alla proprietà altrui – proprietà fondata sul diritto naturale –, ha una ben grave conseguenza nella società civile, perché, come scrive Tommaso nel luogo citato, si passim homines sibi invicem furarentur, periret humana societas […]. È certamente questo tipo di argomentazione che fa ritenere così grave a Dante il peccato della settima bolgia, punito con una violenza e un disprezzo – fino a tramutare l’uomo in bestia, e nella più spregevole del creato, il serpente – quali forse non sono ritrovabili in nessuna delle altre pur crudeli e degradanti pene dell’ottavo cerchio.“

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schen Bewertung. Vielmehr nennt er die Schlange neutral in ihrem Lebensraum Libyen und ihrer typischen schlängelnden Bewegung. Erneut greift der Hirte auf sein antikes Wissen zurück, das er zu einer objektiven Darstellung in seinem gelehrten Vortrag heranzieht. Alphesibeus beendet daraufhin seine Analogiekette (IV 16–23) mit einer Schlussfolgerung (non miror: nam cuique placent conformia vite, IV 24). Über die von ihm aufgezählten Phänomene wundere er sich nicht. Denn an ihnen zeige sich, wie jedes Lebewesen seinen Ort nach seiner natürlichen Neigung wähle. Diesen natürlichen Phänomenen stellt er daraufhin in einem Polyptoton des Prädikats non miror und miror (IV 24 f.) den Hirten Mopsus gegenüber. Denn der falle mit seinem Aufenthalt an den unwirtlichen Kyklopenfelsen aus der natürlichen Ordnung und rufe damit die Verwunderung von Alphesibeus und den anderen sizilischen Hirten hervor (Sed Mopso miror, mirantur et omnes / pastores alii mecum Sicula arva tenentes, / arida Ciclopum placeant quod saxa sub Ethna, IV 25–27). Das Adjektiv arida (IV 27) kündet dabei von der kargen Beschaffenheit der Umgebung am Fuße des Ätna. Die Kyklopen sind zudem in der lateinisch-antiken Tradition als Ungeheuer bekannt, die zwar als Hirten Schafe hüten, jedoch für Menschen gefährlich sind. Als derartig blutrünstiges Monster beschreiben prominent Vergil und Ovid den Polyphem.42 Dort erscheinen auch die

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Die Bedeutung der Schlange als Teufel, das in der Genesis Eva verführt, unterstreicht die negative Bewertung der Schlange auch für den biblischen bzw. christlichen Kontext. U. a. Albanese 2014, 1762 f. verweist auf Verg. Aen. III 588–654 als Quelle. So spricht Aeneas im dritten Buch der Aeneis ausführlich über die Erfahrungen des Griechen Achaemenides, der auf der Insel der Kyklopen Jahre verbringen musste. Die Kyklopen bezeichnet dieser dort als gens nefanda, vor denen er zu fliehen hofft (Verg. Aen. III 653). Darüber hinaus steht insbesondere Polyphem in Verbindung mit der pastoralen Bildwelt. Denn auch er lebt mit seinen Schafen. So stellt ihn Aeneas als Hirte vor, als er berichtet, wie er das Ungeheuer zum ersten Mal selbst erblickt. Er beschreibt ihn als Hirte und zugleich als scheußliches Monster, ungestalt, groß und ohne Augenlicht (ibid. III 657 f.). Als Aeneas den gestrandeten Griechen auf seinem Boot mitnimmt und Polyphem damit um seine Beute bringt, stimmt dieser ein fürchterliches Geschrei an, das das Meer und die Erde Italiens erbeben lässt und in den tiefen Klüften des Ätna widerhallt (ibid. III 669–674). Auch aus Ovids Metamorphosen ist der Kyklop bekannt. Im vierzehnten Buch erscheint ebenfalls die Geschichte um Achaemenides, der den Kyklopen besonders blutrünstig beschreibt (Ov. Met. XIV 154–222). Zudem erscheint Polyphem im dreizehnten Buch. Dort tritt er als enttäuschter Liebender der Nymphe Galatea auf, der vor Eifersucht deren Liebhaber Acis mit einem Felsen zertrümmert (ibid. XIII 750–897). Galatea beschreibt ihn dort als gnadenlos, sogar den Wäldern Schrecken erregend, Verächter der Götter, der von keinem Feind ungestraft gesehen würde. In Liebe zu ihr habe er seine Hirtenpflichten vergessen (ibid. 759–763). Nach seiner vergeblichen Liebeswerbung tritt seine eifersüchtige Grausamkeit zutage, als er seinen Konkurrenten Acis tötet. Galatea beschreibt dabei, wie seine Stimme typisch war für einen erzürnten Kyklopen und den Ätna sich entsetzen ließ (ibid. XIII 876 f.). Letztere Episode um Polyphem und Galatea wird zudem in Vergils neunter Ekloge angedeutet. Dort erinnert der Hirte Moeris an das Gedicht des Polyphem, das er zu Galateas Werbung sang, und nennt es ein nicht zu verachtendes Gedicht (Verg. Ecl. IX 38). Daraufhin zitiert er Polyphems Einladung in seine Höhle, die in Teilen wörtlich an die Einladung erinnert, die Giovanni-Mopsus in seiner zweiten Epistel an Dante aussprach: huc ades, o Galatea; quis est nam ludus in undis? / hic ver purpureum, varios hic flumina circum / fundit humus flores, hic candida populus antro / imminet et lentae texunt umbracula vites. / huc ades; insani feriant

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Klüfte des Ätna als traditioneller Lebensraum der Kyklopen. Vergil bezeichnet sie entsprechend im ersten Buch der Aeneis als Cyclopia saxa (Verg. Aen. I 201).43 Insgesamt erinnert Alphesibeus’ gelehrte Rede formal an einen klassischen Hypotext. Denn das Argument der natürlichen Anziehung findet sich ähnlich in Vergils zweiter Ekloge, wenn Corydon versucht, Alexis von der Natürlichkeit seiner Zuneigung zu überzeugen. Der liebeskranke Hirte zieht dabei verschiedene Beispiele aus der Natur heran, in der ein Tier einem anderen folgt, und schlussfolgert, dass eben alle ihrer Leidenschaft folgen würden (Verg. Ecl. II 63–65). Dies hatte Mopsus-Giovanni im dritten Brief für seine Werbung um Tityrus-Dante variiert, um seine elegisch-intellektuelle Bewunderung für Tityrus argumentativ zu legitimieren (III 85–87).44 Diese miratio (III 87), die Mopsus-Giovanni zum natürlichen Treiber seiner Werbung um Tityrus erklärte, greift Dante nun in der vierten Epistel auf und legt sie Alphesibeus’ Reflexion über die natürliche Zugehörigkeit eines Wesens zu seinem Lebensraum zugrunde. Dante verändert gegenüber Giovanni jedoch die Argumentationsstruktur. Denn Alphesibeus’ miror (IV 25) bzw. non miror (IV 24) entbehrt Giovannis elegischen Tons einer persönlichen Bewunderung oder unerwiderten Liebe. Seine miratio ist reines Erstaunen und einer sachlichen Reflexion erwachsen und verdeutlicht Mopsus’ Zuwiderhandlung gegen eine natürliche Ordnung. Dante stellt folglich mit Alphesibeus’ Argumentation eine formale Verknüpfung zu dem antiken Text Vergils und Giovannis Epistel her, aktualisiert die Vergleichsserie jedoch als eine rational-philosophische Überlegung, die eine Disharmonie zwischen Mopsus-Giovanni und Dantes Hirten offenlegt. Wie sich bereits anhand des ersten Beispiels über die menschlichen mentes andeutete, verbindet Dante die klassisch-antike Argumentationsform zudem inhaltlich mit dem theologischen Wertegebäude der Commedia. So ist Alphesibeus’ Theorie der conformia vite insgesamt vor dem Hintergrund des Paradiso VII zu verstehen. In ihrem theologischen Sinn werden die conformia vite dort durch Beatrice erklärt, als sie von der speziellen Konstitution des Menschen spricht. Sie erläutert ‚Dante‘, dass

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sine litora fluctus (ibid. IX 39–43). Mopsus’ Ruf beinhaltete auch zweimal den Ruf huc ades (III 67; 72) und auch er lud Tityrus-Dante in eine Höhle ein, die von Pflanzen umringt wird (iamque supersepunt hedere radicibus antrum, / serta parata tibi, III 65). Es bestehen somit verbale und motivische Ähnlichkeiten zwischen Giovanni-Mopsus’ Einladung in der dritten Epistel und Polyphems Ruf an Galatea in seine Höhle in Vergils neunter Ekloge. Dies wird sich Dante im späteren Verauf seiner Epistel weiter zunutze machen. In Dantes Commedia treten die Kyklopen nicht explizit in Erscheinung, sondern sind durch ihre Werke im Inferno präsent. So sieht ‚Dante‘ die Seitendämme des siebenten Höllenkreises, die als besonders massiv beschrieben werden, deren Erbauer aber ‚Dante‘ nicht kennt (Inf. XV 1–12). Padoan 1970 erkennt hinter diesen nicht genannten maestri die Kyklopen, die in der Aeneis als Fabrikanten übernatürlicher Bauten genannt werden (Verg. Aen. VI 630 f.; VIII 416–453). Bei Dante sind diese Bauten jedoch die gigantischen Mauern und Ketten der Hölle, sodass das Kyklopenwerk zwar auch eine göttliche Funktion erfüllt, jedoch nur im Kontext der Strafe Gottes im Inferno. Vgl. u. a. Petoletti 2016, 606.

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der Mensch direkt durch Gott geschaffen und damit unsterblich sei.45 Der Mensch sei durch seine unmittelbare Kreation frei in seinem Willen (Ciò che da essa sanza mezzo piove / libero è tutto, perché non soggiace / a la virtute de le cose nove, ibid. 70–72). Darin sei er Gott besonders ähnlich und rufe seinen besonderen Gefallen hervor. Auf diese direkte Verbindung des Menschen mit der himmlischen Sphäre hatte Alphesibeus in der Epistel ja gleich zu Beginn der Analogiekette hingewiesen, als er über die mentes humanum sprach, die wieder in den Himmel zurückkehren (IV 16 f.). Dass es sich bei Alphesibeus’ und Beatrices Ausführungen um denselben Gedanken handelt, zeigt sich in der terminologischen Übereinstimmung. Denn wenn Beatrice die menschliche Ähnlichkeit mit Gott beschreibt, verwendet sie dasselbe Adjektiv wie Alphesibeus, der über die conformia vite (IV 24) spricht. So stellt sie fest: Più l’è conforme, e però più le piace (Par. VII 73). Der Mensch als direkt von Gott geschaffene und diesem somit besonders ähnliche Kreatur ist folglich Gott „konform“.46 Doch wie sich auch in Alphesibeus’ Unterscheidung der mentes und der corpora andeutete (IV 16 f.), genießt der Mensch seine Konformität mit Gott nicht automatisch. So erläutert Beatrice, wie der Fall Adams und Evas einen Bruch zwischen Gott und den Menschen herstellte, die mit ihrer Entfernung von Gott in einen sündhaften Zustand verfielen. Erst Christus entsühnte als Inkarnation Gottes auf Erden den Bruch der Menschen mit Gott, indem er am Kreuz starb und dabei die menschliche Sünde auf sich nahm. Auf diese Weise ermöglichte Gott dem Menschen, in den sündenfreien Zustand zurückzukehren und seiner göttlichen Qualität wieder zu entsprechen.47 Gemäß der theologischen Prämissen der Commedia lebt der Mensch folglich dann seiner Natur gemäß, wenn er seiner Ähnlichkeit, seiner Konformität zu Gott entspricht. Vor diesem Hintergrund ist Alphesibeus’ erstes Beispiel zu verstehen, der die menschlichen conformia vite in der Rückkehr seiner geistigen Kraft (mens) zu Gott in den Himmel erkennt (vgl. IV 16 f.).48 Auch seine folgenden Beispiele aus der Tierwelt, 45

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Vgl. Par. VII 67 f. Chiavacci Leonardi III, 198 f. kommentiert: „Ciò che deriva da Dio […] senza causa intermedie. Si distinguevano allora due ordini di creature: quelle create direttamente da Dio (gli angeli, gli uomini, la materia prima, i cieli) e quelle create attraverso la mediazione (il mezzo) dell’influsso dei cieli, cioè tutte le creature del mondo sublunare, eccetto l’uomo. Le prime non sono soggette a fine, sono immortali; le seconde si corrompono e muoiono.“ Chiavacci Leonardi III, 199 verweist zu diesem Gedanken zudem auf Conv. IV 5, 1–4. Vgl. Dante Par. VII 115–117. Chiavacci Leonardi III, 203 kommentiert diese Verse: „perché più grande fu la misericordia di Dio nel donare se stesso nella persona del Figlio affinché l’uomo fosse reso sufficiente a rialzarsi, pagando il suo debito, e soddifacendo così alla giustizia, che se egli avesse perdonato soltanto in forza della sua onnipotenza (sol da sé). Questo gesto fu dunque il massimo che si potesse compiere per la via della misericordia, come per quella della giustizia.“ Im Convivio beschreibt Dante diesen Vorgang mit eben dem Begriff der Konformität: Volendo l ’nmensurabile bontà divina l’umana creatura a sé riconformare, che per lo peccato della prevaricazione del primo uomo da Dio era partita e disformata (Conv. IV 5, 3). Dass es sich um denselben Gedanken handelt, belegt auch die verbale Übereinstimmung der conformia vite mit den Begriffen des conforme (Par. VII 73), des riconformare und des disformata (Conv. IV 5, 3), die in Dantes Convivio die Ähnlichkeit des Menschen zu Gott ausdrücken. Das biblische

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die in ihren jeweiligen Gegenden ihrem Wesen nachgehen (vgl. IV 18–23), erklären sich in Beatrices Vortrag aus Paradiso VII. So erwähnt sie auch die Tiere und Pflanzen, die der menschlichen Existenz als minderwertig gegenüberstehen. Denn sie sind von der Kraft der Himmelskörper geschaffen. Daher sterben sie im Gegensatz zum Menschen, der von Gott geschaffen ist und wieder zu ihm zurückkehrt.49 Die Tiere gehören somit gänzlich der irdischen Sphäre an. Diese irdische Qualität der Tiere im Gegensatz zu derjenigen des Menschen, der zwar auf Erden lebt, aber dessen mens dann zu Gott zurückkehrt, begründet Dante zudem weiter in seinem Convivio. Dort unterscheidet er die irdischen Lebewesen nach den drei Vermögen der Seele, die deren Qualität jeweils bestimmen. So ist das vegetative Vermögen die Grundlage, die das pflanzliche Dasein ausmacht. Das sensitive Vermögen ist den Tieren eigen. Das intellektuelle Vermögen, die Vernunft, ist schließlich das höchste und kennzeichnet allein den Menschen. Durch sie hat er Anteil an der göttlichen Natur und stellt daher das höchste Lebewesen auf Erden dar.50 Wenn Alphesibeus die verschiedenen Beispiele aus der Tierwelt heranzieht, in der Vögel, Fische, Tiger und Schlangen in ihrem jeweiligen irdischen Habitat gezeigt sind, entsprechen sie folglich den Bedürfnissen, wie es ihnen ihr vegetatives und sensitives Vermögen vorgibt. Auch die Blutrünstigkeit der Tiger und die traditionell negativ konnotierte Schlange erscheinen vor diesem Hintergrund als wertneutrale Phänomene, da es ihrem natürlichen Wesen entspricht. Denn als Tiere sind sie reine Instinktwesen und verfügen nicht wie das Vernunftwesen Mensch über ein intellektives Vermögen, das ihnen eine andere Form des Lebens ermöglichen würde. Alphesibeus’ Argumentation erweist sich somit nicht als eine nur willkürliche Zusammenstellung verschiedener Erkenntnisse aus der Seelenlehre und naturwissenschaftlicher Beobachtung, die über klassisch-antike Motive vermittelt werden. Es handelt sich vielmehr um eine theologisch fundierte Überlegung, die das natürliche Verhältnis der einzelnen irdischen Lebenwesen zu ihrer gottgegebenen Existenz und Qualität reflektiert und auf diese Weise das moraltheologische Gebäude assoziiert, das Dante andernorts in seinen Werken, vor allem in Commedia und Convivio, darlegt. Vor dem Hintergrund seiner theologischen Vorannahmen erwecken also die mensch-

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Potenzial von Alphesibeus’ Ausdruck der conformia vite zeigt auch ein Vergleich mit dem Text der Vulgata. Dort erscheint das Adjektiv conformis im Römerbrief wie bei Dante zum Ausdruck der Ähnlichkeit des Menschen mit Gott: nam quos praescivit et praedestinavit conformes fieri imaginis Filii eius ut sit ipse primogenitus in multis fratribus (Röm 8, 29). Vgl. Par. VII 139–148. E quella anima che tutte queste potenze comprende, ed è perfettissima di tutte l’altre, è l’anima umana, la quale colla nobilitade della potenza ultima, cioè ragione, participa della divina natura a guisa di sempiterna Intelligenza: però che l’anima è tanto in quella sovrana potenza nobilitata e dinuda da materia, che la divina luce, come in angelo, raggia in quella: e però è l’uomo divino animale dalli filosofi chiamato (Conv. III 2, 14). vegetare, sentire, muovere e ragionare o vero intelligere. Manifesto è, che vivere nelli animali è sentire – animali, dico, bruti –, vivere nell’uomo è ragione usare (Conv. IV 7, 11).

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lichen Seelen und die Tiere in ihren jeweiligen Lebensräumen keine Verwunderung in Alphesibeus, sondern verhalten sich erwartungsgemäß nach der gottgewollten Ordnung. Alphesibeus’ Andeutung, dass Mopsus-Giovanni ein Ort gefalle, der ihm nicht konform sei, impliziert folglich einen starken moralischen Vorwurf an Giovanni del Virgilio. Denn mit seiner widernatürlichen Vorliebe für die Kyklopenfelsen handelt Mopsus entgegen seiner von Gott gegebenen Natur.51 Zu dieser unwirtlichen Gegend steht Alphesibeus’ und Tityrus’ Lebensort in einem positiven Kontrast. Denn Alphesibeus beteuert, dass sich über Mopsus’ Aufenthalt am Ätna er selbst und mit ihm die sizilischen Hirten wundern würden (Sed Mopso miror, mirantur et mones / pastores alii mecum Sicula arva tenentes, IV 25 f.). Auf diese Weise stellt er Mopsus sich selbst, die sizilischen Hirten und auch Tityrus gegenüber. Tatsächlich erscheinen die Hirten durch ihre Lokalisierung auf den sizilischen Felsen ihrem Wesen konform. Denn wie schon bei Theokrit ist auch in Vergils Eklogen Sizilien ein typischer Ort der Hirten. Alphesibeus, Tityrus und die sie umgebenden Hirten entsprechen folglich ganz dem traditionellen bukolischen Wesen, wenn sie sich auf Sizilien aufhalten.52 Dantes Verlegung seiner Figuren an den idealen Hirtenort fügt sich dabei konsequent in seine bisherige Inszenierungsstrategie. Denn während der andere topische Ort der Bukolik, Arkadien, als entrücktes dichterisches Sehnsuchtsland erscheint, stellt Sizilien noch nicht eine derartig topische Ideallandschaft dar. Daher lässt es die Inszenierung eines tatsächlich konkreten Hirtendaseins zu. Dennoch bleibt eine implizite Assoziation der sizilischen Hirten mit den arkadischen Dichtungsexperten. Denn Vergil hatte seine zehnte Ekloge zwar auf Sizilien spielen lassen, dort jedoch auch arkadische Sängerhirten angesiedelt. So assoziierte er Sizilien und das poetische Idealland Arkadien miteinander. Diese Brücke, die Vergil zwischen Sizilien und Arkadien andeutet, erlaubt es Dante, seine Figuren einerseits als alltägliche sizilische Hirten darzustellen, andererseits deren Identität als arkadische Gesangsexperten intertextuell anzudeuten. Darüber hinaus bietet Vergils Verbindung von Sizilien und Arkadien eine ideale Vorlage für Dante, um die idealisierte Präsentation von Giovannis Alter Ego radikal

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Andrea Tabarroni 2016, 346–348 kommt zu einer ähnlichen Beobachtung, wenn er die conformia vite im Zusammenhang mit Convivio II 13, 5 f. und Monarchia I 13, 2 liest und daraus schließt, dass Dante Bologna und das dortige akademische Umfeld nicht als seiner Natur entsprechend empfinde. So ruft Vergil zu Beginn der vierten Ekloge die sizilischen Musen an: Sicelides Musae (Verg. Ecl. IV 1). Eitel 2014, 120 f. verweist zusätzlich auf den Anfang Vergils sechster Ekloge für die Verbindung zwischen Sizilien und der Bukolik. In Vergils zehnter Ekloge bezeichnet das Adjektiv die Hirtenflöte des Theokrit und steht dabei metonymisch für die Gattung der Bukolik: ibo et Chalcidico quae sunt mihi condita versu / carmina pastoris Siculi modulabor avena (Verg. Ecl. X 51). In Vergils zweiter Ekloge befindet sich der Hirte Corydon auf Sizilien, wo seine Schafe umherstreifen. Dabei verwendet er ebenfalls das Adjektiv Siculus, um die Berge Siziliens zu beschreiben (Verg. Ecl. II 21).

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umzugestalten. Denn Mopsus-Giovanni hatte im dritten Brief um Tityrus geworben, indem er sich an einen locus amoenus versetzte und mit dem gelehrten Kollektiv der arkadischen Sängerhirten um Tityrus-Dantes Kommen warb. Dante dreht dieses Verhältnis nun um, indem er einerseits sein Alter Ego Tityrus bereits in einer Gemeinschaft der sizilischen Hirten und der Gesellschaft des gelehrten Alphesibeus zeigt. Andererseits erscheint Mopsus-Giovanni isoliert und nicht mehr in Arkadien, sondern an dem grausigen Ort am Ätna. Für Mopsus gilt so nicht die vergilische Assoziation Siziliens mit dem Idealland Arkadien, sondern Dante versetzt ihn an einen Ort, der nicht nur landschaftlich karg, sondern durch die Präsenz der Kyklopen auch noch höchst gefährlich ist.53 Wenn Dante Mopsus-Giovanni zwar auf Sizilien, jedoch in der unwirtlichen Gegend der Kyklopenfelsen lokalisiert, bedeutet dies folglich eine radikale Entidealisierung gegenüber dessen bisher angenommener arkadischer Existenz. Giovannis Einladung aus dem dritten Brief erscheint somit gänzlich obsolet. Denn Tityrus-Dante hat sowohl seine gelehrte Gesellschaft als auch einen angemessenen Ort für sein bukolisches Dasein. Zudem kann ihn Mopsus’ Ort in keinster Weise locken. Dante verändert die bukolische Inszenierung im vierten Brief somit einerseits, indem er sie unter umgekehrte Vorzeichen stellt. Andererseits ändert er den thematischen Tenor gegenüber Giovannis Epistel. Denn während Giovanni die Ortsdiskussion in unmittelbar poetologischer Funktion verwendete, deutet Dante die poetologische Dimension nur im Hintergrund an und präsentiert Figuren und Umgebungen vielmehr unter Betonung der moraltheologischen Perspektive. Mit der Kritik an Mopsus-Giovannis Ort als ungeeignete Gegend für den Hirten lässt Dante Alphesibeus ein Thema anschneiden, das den weiteren Verlauf der Epistel zentral beherrschen wird. Im dritten Teil (IV 28–44) der narratio (IV 10–48) tritt daraufhin eine neue Figur auf, die auch einen thematischen Impuls gibt. Der junge Melibeus kommt herbei und überbringt die Botschaft von Mopsus-Giovanni. Dixerat, et calidus et gutture tardus anhelo iam Melibeus adest et vix „En, Tytire …“ dixit, Inrisere senes iuvenilia guttura, quantum Sergestum e scopulo vulsum risere Sycani. Tum senior viridi canum de cespite crinem sustulit et patulis efflanti naribus infit: „O nimium iuvenis, que te nova causa coegit pectoreos cursu rapido sic angere folles?“. Ille nichil contra, sed, quam tunc ipse tenebat, cannea cum tremulis coniuncta est fistula labris, sibilus hinc simplex avidas non venit ad aures,

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Albanese 2014, 1762 sieht eine Dichotomie und die Sicula arva gegenüber den arida saxa als „metafore di contrastanti realtà politiche coeve“.

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verum, ut arundinea puer is pro voce laborat, – mira loquar sed vera tamen – spiravit arundo: „Forte sub inriguos colles ubi Sarpina Rheno“; et tria si flasset ultra spiramina flata, centum carminibus tacitos mulcebat agrestes.

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In die Mittagsrast der beiden Hirten Tityrus und Alphesibeus stürzt der junge Melibeus herbei und bittet keuchend um ihre Aufmerksamkeit. Die beiden Alten lachen zunächst über den Überschwang des Jungen, so wie die Sikaner den Sergestus verlachten, als der mit seinem Schiff an einen Felsen stieß. Tityrus hebt daraufhin jedoch sein Haupt aus dem Gras und fragt den schnaufenden Melibeus nach dem Grund seiner Eile. Anstatt zu antworten, führt Melibeus seine Flöte an die Lippen und müht ihr schließlich einen nicht einfachen Ton ab. Er gibt – kaum zu glauben – Mopsus’ Lied, den dritten Brief der Korrespondenz, wieder und streichelt mit 97 Versen die Ohren der Hirten. Dante inszeniert innerhalb der bukolischen Fiktion die Ankunft von Mopsus-Giovannis Botschaft, dem dritten Brief der Korrespondenz. Weiterhin lehnt er die narratio seiner Epistel strukturell an Giovannis vorangehenden Brief an. Dieser hatte ebenfalls die Ankunft von Dantes Botschaft als Flötenmelodie in die bukolische Fiktion integriert, die von Tityrus’ locus amoenus in Ravenna zu ihm ins arkadische Bologna herübergetragen wird (vgl. III 11–21). Bei Giovanni war es der Wind Eurus, der den Tytyros resonans in lieblicher Weise transportierte. Bei Dante übernimmt Melibeus den Botendienst, wenn er auf einer Flöte Mopsus-Giovannis Epistel wiedergibt.54 Die Parallele wird dabei wörtlich markiert. Denn Dante verwendet für Melibeus’ Spiel dieselben Begriffe aus dem Wortfeld des Lufthauchs wie Giovanni für den blasenden Wind. So bezeichnet er Melibeus’ Flötenspiel als sibilus, der die Ohren streichelt (sibilus hinc simplex avidas non venit ad aures, IV 38). Giovanni sprach von dem sibilus des Ostwindes, der Tityrus’ Melodie herüberwehte (retulit ipse michi flantis leve sibilus Euri, III 17). Auch finden sich in beiden Fällen verbale Formen von flare (flantis Euri, III 17; et tria si flasset ultra spiramina flata, IV 42). Wenn Dante ausgerechnet Melibeus als Boten für Mopsus’ melodische Nachricht wählt, trägt dies auch eine Polemik gegenüber Giovanni del Virgilio. Denn dieser erschien in den bisherigen Episteln stets als Typus der gens ydiota und des indoctus, den Giovanni del Virgilio schon in seinem ersten Schreiben schmähte. Wenn es dem ungelehrten Hirten nun gelingt, Mopsus-Giovannis Botschaft wiederzugeben, signalisiert dies einerseits eine Umbewertung der Figur des indoctus, andererseits wird sich zeigen, inwiefern Dante damit eine Aussage über den Charakter von Giovannis Dichtkunst trifft.

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Vgl. Albanese 2014, 1764.

Das Hirtengespräch

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Dante personalisiert den Botendienst gegenüber Giovanni und erweitert seine Hirtenszenerie damit um eine weitere Sprecherfigur. Melibeus’ Ankunft verändert die Dynamik der Szene. So bringt der hitzig und atemlos herbeieilende Hirte eine Unruhe in die Rastsituation, die bisher von einer ruhigen und gelehrten Atmosphäre geprägt war (Dixerat, et calidus et gutture tardus anhelo / iam Melibeus adest et vix „En Tytire …“ dixit, IV 28 f.). Dante gestaltet die Figur Melibeus zunächst konsequent zur zweiten Epistel, wenn er ihn als anhelus bezeichnet, das auch zuvor Melibeus’ drängenden, ungeduldigen Charakter beschrieb (vgl. II 27).55 Dante betont seine körperliche Konstitution, wenn er Melibeus’ Atemlosigkeit mit der keuchenden Kehle umschreibt (gutture tardus anhelo, IV 28). Entsprechend atemlos wirkt seine anakoluthische Anrede an Tityrus En Tytire … (IV 29).56 Mit dieser direkten Anrede, die jeder Formalität entbehrt und einen spontan-alltagsprachlichen Charakter aufweist, präsentiert sich Melibeus erneut als einfacher Sprecher.57 Sein einfacher Charakter wird daraufhin von der Reaktion der Hirten Tityrus und Alphesibeus unterstrichen. Denn die beiden lachen ihn aus (Inrisere senes iuvenilia guttura, quantum / Sergestum e scopulo vulsum risere Sycani, IV 30 f.). Dante etabliert hier eine Hierarchie innerhalb der Hirtenwelt. Denn das spöttische Lachen zeigt Melibeus in einer untergeordneten Position gegenüber Tityrus und Alphesibeus. Diese Hierarchie wird darüber hinaus durch den Altersunterschied bekräftigt, den Dante erwähnt. So sind Tityrus und Alphesibeus explizit als Greise (senes, IV 30) dem jungen Hirten (iuvenilia guttura, IV 30) gegenübergestellt. Die Paraphrase des jungen als iuvenilia guttura verleiht dem Kontrast eine zusätzliche Bedeutung. So steht das Alter der körperlich verausgabten Jugend in ruhiger, erhabener Pose gegenüber. Indem Dante an dieser Stelle den Altersunterschied betont, greift er ein Motiv auf, das Giovanni in seiner Epistel hervorhob. Der Gelehrte markierte auf diese Weise eine Hierarchie zwischen Tityrus-Dante und seinem Alter Ego Mopsus, den er als jungen aufstrebenden Dichter in die Fußstapfen des älteren Tityrus stellte. Das Alter diente ihm dazu, eine Traditionslinie vergilischer Dichter zwischen sich und Dante zu etablieren. Dante greift das Motiv des Altersunterschieds auf, um ebenfalls eine Hierarchie innerhalb seiner Hirtengemeinschaft zu etablieren. Eine polemische Spitze deutet er dabei an, wenn er Melibeus den Status des puer zuweist, den sich Mopsus-Giovanni zuteilte. Auf diese Weise suggeriert Dante eine Gleichsetzung des als indoctus bekannten Melibeus mit dem sich als doctus gerierenden Mopsus-Giovanni. Im Unterschied zu Giovanni legt Dante darüber hinaus die Altershierarchie nicht explizit auf eine poetologische Bedeutung fest. Sie spiegelt zunächst allgemein die sozialen Status der Figuren innerhalb der Gemeinschaft. Die poetologische Kategorie der Figuren ist nach 55 56 57

Vgl. Petoletti 2016, 609. Vgl. ibid. Albanese 2014, 1763 erkennt in dem spöttischen Lachen gegenüber dem Ungebildeten Dantes Rekurs auf Hor. Ars 104 f. und seine eigene Schrift Dve II 6, 3.

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wie vor implizit angedeutet. Denn der jüngere Melibeus steht mit seiner einfachen Redeweise zu dem gelehrt sprechenden Alphesibeus in Kontrast. Darüber hinaus charakterisiert die Hirten ihr Verhalten einerseits als altehrwürdig, andererseits als jung und ungestüm, sodass auch hier eine Opposition zwischen Figuren des stilus humilis und des stilus gravis gezeichnet wird. Die spottende Reaktion der Hirten verleiht darüber hinaus der Situation, in der Melibeus auftritt, einen komischen Charakter. Dies wird noch durch den Vergleich hervorgehoben, den der Sprecher zwischen den beiden älteren Hirten und den Sykanern zieht, die im fünften Buch der Aeneis im Zuge der Leichenspiele für Anchises den Trojaner Sergestus auslachen, der sein Schiff auf der Regatta gegen einen Felsen manövriert und auf diese Weise eine entehrende Niederlage erleidet (Sergestum e scopulo vulsum risere Sycani, IV 31). Dante macht hier einen epischen Vergleich zur Illustration der komischen Situation dienstbar. Dies erreicht er durch eine Zitation, die gegenüber der Aeneis den Spott der Sykaner in den Vordergrund stellt. Bei Vergil war Sergestus das Subjekt, der sein Schiff gegen den Felsen setzt. Das Lachen des Publikums erwähnte er nur nebenbei in einer Partizipialkonstruktion, in der die lachenden Subjekte ungenannt blieben (cum saevo e scopulo multa vix arte revulsus / amissis remis atque ordine debilis uno / inrisam sine honore ratem Sergestus agebat, Verg. Aen. V 270–272). Dante zeigt die Szene nicht aus der Perspektive des Sergestus, sondern aus derjenigen der Lachenden. Diese bezeichnet er darüber hinaus als Sykaner, eine andere Bezeichnung für die Sizilianer, die in Dantes bukolischer Welt ja Tityrus’ und Alphesibeus’ Gesellschaft darstellen (vgl. IV 26). Auf diese Weise verknüpft Dante das epische mit seinem bukolischen Personal.58 Indem er das Lachen der Sykaner als Prädikat einsetzt (risere Sykani, IV 31), stellt er gegenüber Vergil den Spott in den Vordergrund.59 Die komische Situation, die Dante so hervorhebt, illustriert das Verhalten des Melibeus, der auf diese Weise ebenfalls als komischer Charakter dargestellt ist. Dante versieht seine Figuren und Situationen folglich durch ihre äußerliche Charakterisierung, ihre Sprechweise und den Vergleich mit poetologischen Bewertungen. Dieses Thema, das Giovannis Inszenierung dominant durchzog, erscheint bei Dante nach wie vor als ein Detail, das der Dichter subtil in seine bukolische Narration einwebt. So signalisiert er Giovanni del Virgilio, dass es ihm in seiner Dichtung um einen ganzheitlicheren Ansatz geht, der nicht auf rein poetologische Aspekte beschränkt bleibt. Darüber hinaus deutet Dante einen erneuten Einspruch gegenüber Giovannis strenger Hierarchie zwischen stilus gravis und stilus humilis an, wenn er den epischen Stoff der Aeneis zu einem komischen Vergleich heranzieht. Denn Dante schneidet die Stilkategorien an, vermengt sie jedoch in seiner bukolischen Erzählung so, dass eine getrennte Hierarchisierung zwischen stilus gravis und stilus humilis nicht eindeutig 58 59

Vgl. Albanese 2014, 1763. Dantes Hervorhebung des ridere bemerkt auch u. a. Albanese 2014, 1763, ohne jedoch weitere Schlüsse daraus zu ziehen.

Das Hirtengespräch

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identifizierbar ist.60 Die verschiedenen poetologischen Positionen, die sich dennoch tendenziell in Dantes bukolischer Gemeinschaft abzeichnen, sind von anderer Qualität als bei Giovanni. Denn der Gelehrte machte verschiedene Sprecherniveaus innerhalb seiner arkadischen Welt vor allem am Alter fest. So ordnete er sich als puer dem senex Tityrus-Dante unter und auch die Arkader, die er in jung und alt unterschied, wollten alle von Tityrus lernen und ihn als Lehrer anerkennen (vgl. III 67–69). Giovannis Hirtengesellschaft erschien so als eine altersmäßig heterogene Gemeinschaft. Die Altersstufen entsprachen den verschiedenen Stufen der Gelehrsamkeit. Dantes Gemeinschaft ist ebenfalls heterogen und in verschiedene Altersstufen aufgeteilt. Anders als bei Giovanni ist ihnen jedoch nicht eine grundsätzliche Gelehrsamkeit gemeinsam, sondern sie teilen nur alle denselben Status des einfachen Hirten. So erscheint ein ungelehrter Melibeus ebenso wie die beiden gelehrten Figuren Tityrus und Alphesibeus. Der Unterschied zwischen dem jungen, komischen Melibeus und den alten, erhabenen Hirten wird weiter unterstrichen, wenn Tityrus nach dem spöttischen Lachen sein weißes Haupt aus dem grünen Gras erhebt, um sich an den schnaubenden Melibeus zu wenden (Tum senior viridi canum de cespite crinem / sustulit et patulis efflanti naribus infit, IV 32 f.). Das senior definiert Tityrus auch unter den alten Hirten als den älteren und suggeriert einen noch ehrwürdigeren Status, den die erhabene Beschreibung seiner Kopfbewegung als ein Heben des Hauptes (vgl. IV 32 f.) zudem unterstützt. Der Kontrast zwischen dem weißen Haar und dem grünen Waldboden evoziert dabei das mythologisch-idyllische Bild aus Giovannis exordium. Dort hatte er die Flussnymphe Sarpina mit weiß-grün durchzogenem Haar gezeigt (vgl. III 2 f.). Dante entmythisiert das Bild nun für das Haar seines Alter Egos. Dessen Erhabenheit ergibt sich nicht durch eine mythologische Natur, sondern entsteht an dieser Stelle vor allem in Kontrast zu Melibeus, der aus den Nüstern schnaubend vor ihm steht (patulis efflanti naribus, IV 33). So wird Melibeus’ Atemlosigkeit abermals hervorgehoben. Nach dem zweifachen Fokus auf Melibeus’ atemlose Kehle (IV 28; 30) stehen jetzt dessen Nasenlöcher im Vordergrund, deren Blähen seine jugendliche Hast bezeugen und ihn zu dem bedächtigen Greis Tityrus in Kontrast stellen.61 Dieses Verhältnis bestätigen daraufhin die Worte, mit denen Tityrus sich an Melibeus wendet. So setzt der alte Hirte mit dem Anruf O nimium iuvenis (IV 34) an, der seiner Rede einen pathetisch-erhabenen Ton verleiht und darüber hinaus den Altersund Statusunterschied noch einmal hervorhebt, wenn er Melibeus sogar als zu jung bezeichnet. Auch dessen Atemlosigkeit thematisiert er und beschreibt diese in noch

60 61

Combs-Schilling 2012, 34 f. macht an diesem epischen Vergleich ebenfalls eine Hybridisierung der eindeutigen Gattungsschemata fest, die Dante hier vornehme. Darüber hinaus assoziieren ihn die aufgeblähten Nüstern mit den Tieren, die Dante zu Beginn der narratio mit weiten Nüstern die frische Waldluft hatte einsaugen lassen (naribus aera captant, IV 11). Die wörtliche Verbindung stellt Melibeus auf eine ähnliche Stufe mit den Tieren und zeigt sie in einer ähnlichen körperlichen Verausgabung.

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Dante an Giovanni del Virgilio

einer körperlichen Symptomatik, wenn er die Brust bzw. die Lungenflügel beschreibt, die sich von seinem schnellen Lauf verengen (O nimium iuvenis, que te nova causa coegit / pectoreos cursu rapido sic angere folles?, IV 34 f.).62 Tityrus fragt den jungen Hirten in einer periphrastischen, rhetorisch ausgefeilten Anrede nach dem Grund seiner Eile. Der Vergleich seiner Rede mit Melibeus’ vorherigen atemlosen En Tytire … (IV 29) bestätigt, dass Tityrus’ höheres Alter auch eine rhetorische Überlegenheit gegenüber Melibeus mit sich bringt.63 Nachdem die Status und das Verhältnis der Hirten untereinander festgelegt sind, wirft die Antwort, die Melibeus auf Tityrus erwidert, jedoch eine neue Perspektive auf. Denn Melibeus tritt nun erstmals, nachdem er bisher nur als einfache Hirtenfigur und wenig elaborierter Sprecher aufgefallen war, als Flötenspieler auf (vgl. IV 36–43). Er führt die Flöte an die zitternden Lippen und entlockt ihr mit einiger Mühe auf wundersame Weise einen nicht einfachen Klang (cannea cum tremulis coniuncta est fistula labris, / sibilus hinc simplex avidas non venit ad aures, IV 37 f.). Der Sprecher beschreibt die einzelnen Schritte bis zum Entstehen des Tones und spiegelt dabei Melibeus’ Unsicherheit im Umgang mit dem Instrument vor seinem gelehrten Publikum. Das Zittern der Lippen ebenso wie die retardierende Beschreibung des „nicht einfachen Tones“, der schließlich der Flöte entweicht, zeichnen dabei die Spannung der Zuhörer auf das Ergebnis von Melibeus’ Versuchen erzählerisch nach. Dass das Ergebnis schließlich überrascht, betont der Sprecher selbst. So beteuert er das unwahrscheinliche Ereignis, dass Melibeus anstatt Tityrus in Worten zu antworten, die Flöte mit viel Arbeit 62

63

Diese Assoziation stützt dabei ein intertextueller Bezug zu Vergils Georgica. Im vierten Buch finden sich beispielsweise die folles in der Beschreibung der Kyklopen, die im Ätna arbeiten und dabei Blasebalge aus Stierhaut die Luft ein- und ausblasen lassen (ac veluti lentis Cyclopes fulmina massis / cum properant, aliis taurinis follibus auras / accipiunt redduntque, alii stridentia tingunt / aera lacu, Verg. Georg. IV 170–173). Vgl. u. a. Brugnoli/Scarcia 1980, 83. Als antiker Hypotext biete sich zudem die fünfte Satire des Persius an. Der Sprecher zieht den Blasebalg dort als Metapher heran, um die Arbeit zu karikieren, mit der Dichter aufwendig versuchen, ihrer Dichtung besonders viel Gewicht und künstlerischen Wert zu verleihen und dabei Banalitäten quasi aufblasen (tu neque anhelanti, coquitur dum massa camino, / folle premis ventos, Pers. Sat. V 10 f.). Auch kontextuell liegt ein Bezug zu Persius’ Satire nahe, da dieser den Blasebalg als Metapher für das dichterische Tun verwendet, das er persifliert. Vgl. Petoletti 2016, 611. Explizit drängt sich bei Tityrus’ Umschreibung von Melibeus’ Atemlosigkeit eine intertextuelle Referenz auf, in der eine ähnliche Formulierung den Zustand körperlicher Verausgabung beschreibt. So verwendet Dante in seiner Commedia das Bild des Blasebalges für die Atmung, wenn in Pg. XXIV die Seele Forese Donatis sich kurz aus der Gruppe der laufenden Büßer löst, um mit ‚Dante‘ zu sprechen. Dort vergleicht ihn der Sprecher ‚Dante‘ mit einem, der des Laufens müde seine Kameraden vorbeiziehen lässt und eine Weile geht, bis die Enge seiner Brust sich wieder gelegt hat (E come l’uom che di trottare è lasso / lascia andar li compagni, e sì passeggia / fin che si sfoghi l’affollar del casso, Dante Pg. XXIV 70–72). Vgl. Petoletti 2016, 611. U. a. Galfrid von Vinsauf zählt die circuitio unter die Figuren des ornatus difficilis ([…] ad ornatus difficultatem valent translatio, nominatio, pronominatio, denominatio, circuitio, intellectio, ibid. Documentum de arte versificandi II 3, 102). Bene da Firenze attestiert der circuitio zudem besondere stilistische Wirkung (Valet hec [= circumitio] exornatio mirabiliter in sublimi stilo, ibid. Candelabrum II 41).

Das Hirtengespräch

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zum Spielen bringt (verum, ut arundinea puer is pro voce laborat, / – mira loquar sed vera tamen – spiravit arundo:, IV 39–40).64 Das Flötenspiel selbst fasst der Sprecher dabei in aller Kürze zusammen, indem er den ersten Vers von Mopsus-Giovannis Botschaft zitiert und daraufhin nur noch die Verszahl der Epistel umschreibt („Forte sub inriguos colles ubi Sarpina Rheno“ / et tria si flasset ultra spiramina flata / centum carminibus tacitos mulcebat agrestes, IV 41–43). Im Vergleich zu der fünf Verse umfassenden Beschreibung des Produktionsvorgangs, nimmt die Botschaft selbst nur einen geringen Raum ein. Der Fokus der Erzählung liegt vielmehr auf Melibeus’ Arbeit, mit der er Flöte Mopsus’ Botschaft entlockt. Auch im Gesamtkontext der bukolischen Allegorie ist Melibeus’ Flötenspiel bemerkenswert. So hält erstmals ein musikalischer Gegenstand in Dantes Hirtenwelt Einzug, die zuvor nur durch das alltägliche Hirtengeschäft und gelehrtes Gespräch geprägt war. Dass ausgerechnet Melibeus dieses musikalische Element in die Hirtenwelt bringt, überrascht, da er doch bisher den unmusikalischen und ungelehrten Charakter repräsentierte. Dante lässt nun gerade den stultus Melibeus Mopsus’ poetische Botschaft wiedergeben und attestiert ihm dabei noch einen wunderbaren Effekt auf seine ländliche Zuhörerschaft, die sich schweigend von den Versen streicheln lässt (centum carminibus tacitos mulcebat agrestes, IV 43). Dante sagt hier einerseits etwas über die Figur des indoctus aus. Denn er zeigt, wie Melibeus sich durch harte Arbeit und Mühe (ut arundinea puer is pro voce laborat, IV 39) eine poetische Kompetenz erworben hat. Der Charakter erweist sich somit als entwicklungsfähig und wird dem Etikett des indoctus und stultus nicht mehr ohne Weiteres gerecht.65 Andererseits bezieht Dante auf diese Weise implizit zu Mopsus-Giovannis Art der Dichtung Stellung. Denn dass der stultus Melibeus es durch harte Arbeit zu einer Imitation von Mopsus’ gelehrter Dichtung bringt, charakterisiert diese als eine formal erlernbare Kunst und Technik. Eine polemische Spitze gegenüber Giovanni del Virgilio ist somit nicht zu übersehen, wenn Dante den einfältigen Melibeus nun in die poetische Nachfolge des Gelehrten Mopsus-Giovanni stellt, der sich doch stets von der gens ydiota zu distanzieren suchte. Schon zuvor hatte Dante Mopsus und Melibeus einander angenähert, wenn er Melibeus als Jungen den älteren Hirten gegenüberstellte sowie Mopsus sich als puer dem senex Tityrus-Dante unterordnete. Dante stellt folglich sukzessive Melibeus und Mopsus auf eine Stufe.

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65

Die mittellateinische Etymologie stellt die cannae zudem in Beziehung mit dem Verb canere, sodass bereits eine genuine Verbindung zwischen den Rohren und dem Akt des Singens suggeriert wird, die Melibeus im Folgenden erfüllt, wenn er auf der Flöte Mopsus’ Gesang wiedergibt. Uguccione da Pisa Derivationes C 28, 14 s. v. cano item a cano hec canna, quia canitur. Das Adjektiv canneus ist nicht klassisch belegt, wie u. a. Albanese 2014, 1764 feststellt. Dass Melibeus’ Bewertung sich ändert, deutet sich auch in der Veränderung der sich wandelnden Wortfelder an. Während die Luftbegrifflichkeiten sich zuvor auf Melibeus’ Atemlosigkeit bezogen und ihn als komischen Charakter von den altehrwürdigen Hirten abgrenzten, beziehen sich die Luftbegriffe nun auf die musikalische Performanz, die Melibeus als erfolgreichen Lerner der Dichtung zeigen (sibilus, IV 38; flasset spiramina flata, IV 42).

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Dante an Giovanni del Virgilio

3. Diskussion über Mopsus’ Botschaft Im Anschluss an Melibeus’ musikalische Darbietung von Mopsus’ Botschaft beginnen die beiden Hirten Tityrus und Alphesibeus über das Gehörte zu sprechen (IV 46–87). Das gesamte Gespräch präsentiert eine Ablehnung von Mopsus-Giovannis Ort und ist somit als confutatio von Giovannis Standpunkt zu lesen. Alphesibeus setzt zur Rede an und fragt Tityrus, ob er wagen würde, das tauige Land des Pelorus zu verlassen, um in die Höhle des Kyklopen zu gehen. Tityrus fragt daraufhin nach dem Grund für Alphesibeus’ Skepsis und gibt Alphesibeus damit Anlass zu weiteren Reflexionen über Mopsus und dessen Einladung an den Ätna. Tytirus et secum conceperat Alphesibeus, Tytiron et voces compellant Alphesibei: „Sic, venerande senex, tu roscida rura Pelori deserere auderes, antrum Ciclopis iturus?“. Ille: „Quid hoc dubitas? Quid me, carissime, tentas?“.

45

[IV 44–48]

Das Eintreffen von Mopsus-Giovannis Botschaft bietet den beiden älteren Hirten folglich Anlass zum Gespräch. Auch hier entspricht Dante der Inszenierung und rhetorischen Struktur der dritten Epistel. Darin hatte Giovanni zunächst in der narratio das bukolische Setting eingeführt und im Zuge dessen die Ankunft von Dantes Brief als musikalische Botschaft an seinem Ort dargestellt. Daraufhin schilderte er die Reaktion seines Alter Egos Mopsus, der zu den bukolischen Flötenrohren griff und auf der metadiegetischen Ebene der Kommunikation seine Stellungnahme zu Tityrus-Dantes Botschaft formulierte (vgl. III 26–32). Dante übernimmt diese Struktur unter wörtlichen Anleihen. Das folgende Gespräch der Hirten Tityrus und Alphesibeus, in dem sie Mopsus-Giovannis Botschaft diskutieren, entspricht dem Monolog des Mopsus aus der dritten Epistel, in dem dieser seine Reaktion auf Tityrus’ Nachricht präsentierte. So wie im dritten Brief eigentlich Mopsus’ Monolog die Antwort auf Dantes Epistel darstellte, ist im vierten Brief der folgende Dialog zwischen Tityrus und Alphesibeus (IV 45–87) als Dantes Stellungnahme zu Mopsus-Giovannis Schreiben zu lesen. Entsprechend leitet Dante auch mit derselben Formulierung zu dem Dialog über wie Giovanni zu seinem Monolog. So kündigte Mopsus seine Reaktion auf Tityrus’ Melodie mit einem et mecum (III 26) an. Dante leitet zu der Reaktion seiner Hirten auf Mopsus’ Botschaft entsprechend mit einem et secum (IV 44) über. Die Variation spiegelt erneut die unterschiedlichen Sprechmodi, die die beiden Dichter wählen. Während Giovanni mit sich selbst spricht und seine Entscheidungen fällt, präsentiert Dante seine Reflexionen in dem Dialog zweier Hirten. Dass mit dem Dialog zwischen Tityrus und Alphesibeus ein neuer inhaltlicher Abschnitt beginnt, markiert Dante formal anhand zweier parallelistischer Verse. So schließt die Ankunft von Mopsus’ Botschaft mit dem Hinweis, dass auch Tityrus und

Diskussion über Mopsus’ Botschaft

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Alphesibeus dem Flötenspiel des Melibeus lauschen (Tytirus et secum conceperat Alphesibeus, IV 44). Im Übergang zum nächsten Vers markiert Dante den neuen Abschnitt, indem er den vorangehenden Vers formal geringfügig variiert und inhaltlich beschreibt, wie die Hirten nun von der Rezeption der Botschaft zur Diskussion übergehen (Tytiron et voces compellant Alphesibei, IV 45). Alphesibeus ergreift zunächst das Wort und wendet sich an Tityrus. Seine Worte sind dabei durch das Prädikat compellant (IV 45) als alltagssprachliche Anrede eingeführt.66 Das künstlerisch-musikalische Element, das mit Melibeus’ Spiel kurz die Szene betreten hatte, weicht sogleich wieder dem Gespräch zwischen den alten Hirten. Auch damit steht der Dialog zwischen Tityrus und Alphesibeus als ernsthafte Diskussion Mopsus’ Reflexionen im dritten Brief gegenüber, die dieser als Spiel auf den kleinen bukolischen Flötenrohren präsentierte (vgl. III 31 f.). Die künstlerisch-ästhetische Dimension wird auch in dem Gespräch nicht offen durch die Hirten thematisiert. Ohne auf Melibeus’ Performanz einzugehen, kommt Alphesibeus auf den Inhalt der Botschaft zu sprechen, die Melibeus von Mopsus überbrachte. Dabei geht er auf die Einladung ein, die Mopsus-Giovanni im dritten Brief ausgesprochen und seinen Ort als lieblichen und idealen Ort für den Dichter Tityrus-Dante präsentiert hatte. Dante hatte in diesen Idealort bereits entzaubert, indem er Mopsus aus seiner lieblichen Grotte in Arkadien an die kargen Felsen des Ätna versetzte, Alphesibeus gelehrt über die Unangemessenheit dieses Ortes für einen Hirten reflektieren ließ und dem die sizilischen Felder als geeignete Umgebung gegenüberstellte (vgl. IV 16–27). Alphesibeus wiederholt diese Gegenüberstellung nun in der konkreten Frage an Tityrus, ob er denn die tauigen Felder des Pelorus zu verlassen wagen würde, um in die Höhle des Kyklopen zu gehen („Sic, venerande senex, tu roscida rura Pelori / deserere auderes, antrum Ciclopis iturus?“, IV 46 f.). Dante lokalisiert hier den Aufenthaltsort seiner eigenen Hirten genauer, nämlich am Capo Peloro, dem nordöstlichen Teil Siziliens. Damit deutet Dante die geographische Position Ravennas an, das östlich zu Bologna liegt.67 Die Bezeichnung von Mopsus’ Ort als Höhle des Kyklopen (antrum Ciclopis, IV 47) macht zudem den kontrastiven Bezug zu der idyllischen Höhle, in der Giovanni sein Alter Ego präsentierte (vgl. III 3; 65; 82), noch expliziter als die zuvor genannten arida saxa Ciclopum (IV 27).68 Der Singular Ciclopis im Gegensatz zum vorherigen Ciclopum verweist nun umso deutlicher auf einen expliziten Kyklopen, 66 67

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ThLL s. v. compello II A. Albanese 2014, 1767 identifiziert den Pelorus bei Dante mit dem Appennin und verweist dabei auf Pg. XIV 32 und Par. VIII 67–70. Antik erscheint der Begriff bei Verg. Aen. III 411, nicht jedoch in der Bukolik. Sie stellt zudem fest, dass diese Toponyme erst seit Dante Eingang in die bukolische Dichtung gefunden haben. Petoletti 2016, 614 verweist darüber hinaus auf das fünfte Buch der Metamorphosen, in denen die Insel Sizilien, Trinacria, in ihren Teilen genannt wird, dem Pelorus, dem Pachynus, das Lilybaeum, die jeweils den Giganten Typhoeus hinabdrücken (Ov. Met. V 346–353). Vgl. Albanese 2014, 1767.

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den Polyphem, der aus Vergils Aeneis und Ovids Metamorphosen als blutrünstiges Ungeheuer bekannt ist. Den Dialogbeginn gestaltet Dante wiederum in Abgrenzung zu dem Beginn von Mopsus’ Monolog. Alphesibeus’ Anrede an Tityrus O venerande senex (IV 46) entspricht formal Mopsus’ O divine senex (III 33), ersetzt jedoch die Gleichsetzung des Hirten mit einer göttlichen Instanz als divinus mit dem neutralen Ausdruck der Verehrung venerandus. Auch das grundsätzliche Anliegen des Dialogs, das Alphesibeus formuliert, ist von Mopsus’ Monolog unterschieden. Denn Mopsus sprach Tityrus sogleich als neuen Vergil an (vgl. III 33–35) und markierte damit das poetische Interesse als zentralen Punkt seiner Rede. So galt das divinus in der Anrede Tityrus-Dantes Fähigkeiten als vergilischer Dichter. Auch die Einladung an seinen Ort bewarb Mopsus-Giovanni damit, dass es sich um den idealen Ort für den neuen Vergil handele. So stand seine Werbung insgesamt im poetischen Interesse an Dante als Dichter antiker Tradition. Alphesibeus hingegen eröffnet den Dialog ohne einen Hinweis auf die poetische Identität von Tityrus. Mit seiner warnenden Frage, ob Tityrus denn wagen würde, die lieblichen Ländereien am Pelorus für die Kyklopenhöhle zu verlassen (deserere auderes, IV 47), setzt er die Schmähung von Mopsus’ Ort als Ausgangspunkt des Dialogs fest. Seine Vorbehalte hatte er ja bereits zuvor angekündigt (vgl. IV 16–27), wenn er die Ortsfrage als philosophisches Problem diskutierte. Vor diesem Hintergrund ist nun auch seine Kritik an Mopsus’ Ort in einer globaleren Perspektive begründet und fokussiert nicht nur das poetologische Interesse wie bei Mopsus-Giovanni. Alphesibeus eröffnet den Dialog folglich als Gegenmodell zu Mopsus’ werbendem Monolog. Denn er kündigt eine Antiwerbung für Mopsus’ Ort an sowie ein Plädoyer für denen eigenen Aufenthaltsort am Pelorus. Der gelehrte Hirte erscheint somit als Konkurrent zu Mopsus, wenn er nun seinerseits um Tityrus’ Gunst wirbt. Für dieses Konkurrenzverhältnis zu Mopsus spricht auch Alphesibeus’ emotionale Haltung. Denn in dem deserere (IV 47) klingt der Vorwurf an, Tityrus würde ihn für Mopsus verlassen und verleiht seiner Frage einen eifersüchtigen Unterton. Tityrus’ Reaktion bestätigt das innige Verhältnis daraufhin, da er seinen Gefährten als carissime anspricht (Ille: „Quid hoc dubitas? Quid me, carissime, tentas?“, IV 48). Er tritt dabei in die Defensive, wenn er Alphesibeus in kurzen quid-Fragen zu einer Erklärung seiner Vorbehalte auffordert. 3.1 Alphesibeus’ Vorbehalte Auf Tityrus’ Nachfrage erklärt Alphesibeus seine Vorbehalte gegenüber Mopsus’ Einladung (vgl. IV 49–62). Er warnt Tityrus, dass die liebliche Melodie, die Melibeus von Mopsus überbringe, durch einen numinosen Wink geschehe, und vergleicht das Flötenspiel mit dem Murmeln der Schilfrohre, die die hässlichen Ohren des Königs Midas verrieten, der auf Bacchus’ Geheiß das sandige Ufer des Pactolus gefärbt habe. Daher bittet Alphesibeus Tityrus, er möge Mopsus’ Ruf an den Strand des Ätna nicht

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Diskussion über Mopsus’ Botschaft

folgen und so der falschen Gunst Glauben schenken. Er solle Mitleid haben mit den Dryaden und dem Vieh an seinem Ort. Joche, Täler und Flüsse würden seine Abreise beweinen. Die Nymphen und er selbst würden zudem Schlimmeres befürchten. Der Neid des Pachinus um Tityrus würde enden und die Hirten würde es grämen, Tityrus kennen gelernt zu haben. Seine eindringliche Rede lässt Alphesibeus in die abschließende Bitte münden, Tityrus möge seine Quellen und bekannten Weiden nicht mit seinem langlebigen Namen verlassen. Alphesibeus präsentiert sich in seiner Rede weiterhin als Konkurrent zu Mopsus in der Werbung um Tityrus. Denn er lehnt zunächst Mopsus’ Einladung ab und untermauert dies in gelehrter Weise mit einem exemplum aus der antiken Mythologie, König Midas. Daraufhin bewirbt er seinen eigenen Ort, den Tityrus nicht verlassen soll. Alphesibeus’ Werbung für seinen eigenen Ort entwirft Dante dabei nach demselben Argumentationsmuster, das im dritten Brief in Mopsus-Giovannis Werbung um seinen Ort auffiel. „Quid dubito? Quid tento?“ refert tunc Alphesibeus „Tibia non sentis quod fit virtute canora numinis et similis natis de murmure cannis, murmure pandenti turpissima tempora regis qui iussu Bromii Pactolida tinxit arenam? Quod vocet ad litus Ethneo pumice tectum, fortunate senex, falso ne crede favori, et Driadum miserere loci pecorumque tuorum! Te iuga, te saltus nostri, te flumina flebunt absentem et Nimphe mecum peiora timentes, et cadet invidia quam nunc habet ipse Pachinus; nos quoque pastores te cognovisse pigebit. Fortunate senex, fontes et pabula nota desertare tuo vivaci nomine nolis!“.

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[IV 49–62]

Ungläubig wiederholt Alphesibeus Tityrus’ Nachfragen („Quid dubito? Quid tento?“ refert tunc Alphesibeus, IV 49). Um Tityrus von der falschen Gunst zu überzeugen, mit der Mopsus ihn an seinen Ort locke, bedient sich der gelehrte Hirte erneut aus seinem Wissensfundus der antiken Dichtung, den er zur Illustration seiner Meinung heranzieht. So verweist er in einer gelehrten Paraphrase auf König Midas, den Ovid in den Metamorphosen in zwei aufeinanderfolgenden Episoden als habgierigen und einfältigen König zeigt, der darüber hinaus über ein schlechtes poetisches Urteilsvermögen verfügt und dafür mit göttlicher Strafe belegt wird.69 So berichtet der Sprecher im elf-

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Auf die Episode in Ov. Met. II 95–193 weist u. a. Eitel 2014, 128 hin.

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ten Buch der Metamorphosen, wie der phrygische König Midas von dem Gott Bacchus einen Wunsch freigestellt bekommt und in einfältiger Gier um die Gabe bittet, alles in Gold verwandeln zu können, das er berührt. Nachdem er zu verhungern droht, da sogar seine Nahrung sich zu Gold verwandelt, gestattet Bacchus ihm, sich von der fatalen Gabe zu befreien, indem er das Gold in dem Fluss Pactolus wieder auswäscht. Seitdem – so Ovid – trage das Ufer des Pactolus Gold. Auf diese Episode spielt Alphesibeus in seiner Paraphrase des Midas an, den er als König bezeichnet, der auf Bacchus’ Geheiß den pactolischen Sand färbte (qui iussu Bromii Pactolida tinxit arenam, IV 53).70 Das wesentliche Element aus dem Mythos um den unglücklichen phrygischen König entnimmt Alphesibeus jedoch der Episode, die Ovid im Anschluss an die Goldverwandlung erzählt. Denn die hässlichen Schläfen, die das Schilf verrät (numinis et similis natis de murmure cannis, / murmure pandenti turpissima tempora regis, IV 51 f.), spielen auf die Strafe an, die Midas erhält, nachdem er sich von seinem Königsamt zu einem einfachen Leben im Wald zurückgezogen hat. Dort wurde er zum Verehrer des Pan und dessen ländlicher Musik. Als dieser einen poetischen Wettstreit mit Apoll antritt, ist Midas der einzige, der in vorlauter Dummheit die rustikale Melodie des Pan dem erhabenen Gesang des Apoll vorzieht. Zur Strafe für seinen mangelnden Musikgeschmack schlägt Apoll den Midas mit Eselsohren. Dies sind die turpissima tempora (IV 50), von denen Alphesibeus spricht. Bei Ovid trägt Midas seine Ohren aus Scham unter einer Tiara und setzt nur seinen Diener unter Gebot des Stillschweigens darüber in Kenntnis. Da der das Geheimnis nicht für sich behalten kann, vertraut er es der Erde an. Doch dort ist es nicht sicher. Denn aus der Erde erwachsen Schilfrohre, die, wenn der Wind weht und sie zum Klingen bringt, die Geschichte über Midas’ Eselsohren verraten. Mit diesem Wunder der Schilfrohre, die Midas’ hässliches Geheimnis erzählen, vergleicht Alphesibeus die wunderbare Flötenmelodie, mit der Mopsus seinen Ort bewirbt und die Melibeus in einer getreuen Imitation übermittelt hat. Alphesibeus bringt in seiner Paraphrase die beiden Episoden aus Ovid in dem kurzen Abschnitt von vier Versen (vgl. IV 50–53) zusammen und funktionalisiert den antiken Stoff dabei für seine Analogie. Er unterstellt Mopsus’ süßem Flötenspiel, eine eigentlich hässliche Wahrheit zu überbringen so wie das Schilf im Midasmythos, das gegen dessen Willen die schändlichen Ohren des Königs verrate. So suggeriert Alphesibeus, sei auch der Ort, den Mopsus bewirbt, in der hässlichen Wahrheit eine grausige Kyklopenhöhle. Mopsus rufe ihn nicht an ein liebliches Idyll, sondern an den kargen,

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Für die Bezeichnung des Bacchus als Bromius verweisen Brugnoli/Scarcia 1980, 86 u. a. auf Servius’ Kommentar zu Vergils sechster Ekloge (Comm. in Verg. Ecl. VI 15). Dort wird auf die Nymphen verwiesen, die Bacchus genährt haben sollen. Sonst erscheint der Name nicht bei Vergil, sondern in Ov. Met. IV 11 und Lucan. V 73. Petoletti 2016, 616 verweist auf Uguccione da Pisa, der den Beinamen anführt: Uguccione da Pisa Derivationes B 117, 13 vel bromin interpretatur comedere vel consumere, inde Bromius idest Bachus, quia dat appetitum comedendi.

Diskussion über Mopsus’ Botschaft

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mit Bimsstein bedeckten Strand des Ätna (Quod vocet ad litus Ethneo pumice tectum, IV 52).71 Alphesibeus unterstellt Mopsus also einen bösen Hintergedanken, einen falsus favor, dem Tityrus nicht anheim fallen solle (fortunate senex, falso ne crede favori, IV 55). Dies ist die unmittelbare Botschaft, die Alphesibeus Tityrus vermittelt. Zugleich tragen die beiden Midas-Episoden, mit denen Alphesibeus Mopsus’ Ort als feindlich diskreditiert, weitere Implikationen, die mittelbar Aussagen über Mopsus-Giovannis Ort treffen. Diese zweite Bedeutungsebene ergibt sich im Zusammenhang mit Alphesibeus’ folgenden Worten. Darin formuliert der Hirte eine elegische Aufforderung an Tityrus (vgl. IV 54–62), die einerseits deutliche Parallelen zu Mopsus’ Werbung im dritten Brief aufweist, andererseits in bedeutsamer Weise Vergils erste Ekloge evoziert: Dass die verschiedenen Landschaftselemente Joche, Täler, Flüsse, dazu Nymphen, das Hirtenvieh und schließlich Alphesibeus selbst an Tityrus’ Bleiben interessiert sind, weinen und sich ängstigen, zeigt Tityrus’ Ort zunächst in demselben elegischen Begehren nach Tityrus wie Mopsus-Giovanni es in seinem Brief entworfen hatte, nur unter umgekehrten Vorzeichen. Denn Mopsus’ Ort weinte nicht, um die Abreise zu verhindern, sondern warb um Tityrus’ Kommen. Er rief nach Tityrus, indem die Zweige wedelten, die Höhle von der Quelle bewässert wurde und es ringsum duftete. Die Nymphen und das bukolische Personal stellten ihre Dienste zur Verfügung und warben mit Geschenken um Tityrus (vgl. III 52–74).72 Mopsus und Alphesibeus versuchen folglich mit ähnlichen Vorzügen ihres Ortes und der jeweiligen Bewohner, Tityrus zum Kommen bzw. zum Bleiben zu bewegen. Auch stimmt die Werbung der beiden Hirten darin überein, dass sie ihr eigenes Interesse zuletzt nennen und zur Legitimation ihres Bedürfnisses ihren Ort und dessen Bewohner heranziehen. So äußerte Mopsus erst am Ende seiner elegischen Werbung seine persönliche Beteiligung und verlieh dem Nachdruck, wenn er Tityrus damit 71

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Die Höhle aus Bimsstein erscheint im dritten Buch der Metamorphosen und beschreibt dort den lieblichen Ort im Wald, an den sich Diana mit ihren Nymphen zum Bad zurückzieht, bevor sie von Aktaion überrascht wird (Ov. Met. III 156–160). Auch im zehnten Buch erscheint die Bimssteinhöhle als natürlicher Rückzugsraum, den Hippomenes und Atalanta zum Ort ihrer Liebe machen (Ov. Met. X 691–693). Im vierten Buch der Georgica schließlich wird in gleicher Manier das Lager beschrieben, in das Anteus eintritt (Postquam est in thalami pendentia pumice tecta / perventum, Verg. Georg. IV 374). Auf diese Parallelstellen verweist u. a. Petoletti 2016, 617. Stocchi 2012, 203 erläutert, dass der Bimsstein in der antiken und mittellateinischen Dichtungstradition weniger als Vulkanstein identifiziert wurde. Vielmehr diene er zur Charakterisierung einer „qualsiasi roccia scabra e corrosa donde si formano bordi e sorgenti e, più spesso, volte di caverne.“ Albanese 2014, 1769 verweist zusätzlich auf Vergils fünfte Ekloge. Dort beweinen die Nymphen die Abwesenheit des verstorbenen Hirten Daphnis (Verg. Ecl. V 20 f.). Auch die Dryaden fallen in diesem Kontext. Sie freuen sich anschließend über die Vergöttlichung des Daphnis (ibid. V 58 f.). Albanese erkennt in den Dryaden dementsprechend ein „simbolo della poesia bucolica stessa“. Petoletti 2016, 617 verweist zudem auf die Georgica. Dort erscheinen die Dryaden ebenfalls als Naturgottheiten und Personifikationen des Waldes (Verg. Georg. III 40) und drücken im Kontext der Orpheus-Erzählung insbesondere die Trauer der Natur aus (ibid. IV 460 f.).

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Dante an Giovanni del Virgilio

drohte, sich einen anderen Gesangspartner zu suchen (vgl. III 76–89). Auch Alphesibeus nennt sein eigenes Interesse nur im Zusammenklang mit den anderen, in einem mecum, das seine Zustimmung zu der Furcht der Nymphen ausdrückt (et Nimphe mecum peiora timentes, IV 58), und wenn er den Gram aller Hirten in Aussicht stellt in einem nos (nos quoque pastores te cognovisse pigebit, IV 60).73 Auch droht er wie Mopsus mit der Missgunst, die allerdings andernorts enden würde, wenn Tityrus fortginge (et cadet invidia quam nunc habet ipse Pachinus, IV 59).74 Die motivischen Parallelen zwischen Mopsus’ und Alphesibeus’ Werbung um Tityrus zeigen die beiden abermals in einer Konkurrenz um Tityrus. Neben diesen Parallelen zu Mopsus-Giovannis Werbung im dritten Brief fällt der intertextuelle Bezug zu Vergils erster Ekloge auf. Dort beneidet der exilierte Hirte Meliboeus den müßig ruhenden Tityrus um sein liebliches Land, das Vieh, das in Frieden und ohne Gefährdung lebt (Verg. Ecl. I 46–58) und rahmt seine Rede jeweils mit der Anrede fortunate senex (ibid. 46; 51). Dante lässt Alphesibeus nun ähnliche angenehme Details aufzählen, die sich jedoch bereits an Tityrus’ Ort befänden und ihn damit zum Bleiben bewegen wollen. Wörtlich zitiert Dantes Alphesibeus die zweifache Anrede des vergilischen Meliboeus fortunate senex (IV 55; 61) und auch die Quellen, Wiesen und Flüsse erscheinen in leichter Variation. So verändert Dante beispielsweise Vergils flumina nota zu pabula nota.75 Durch diesen intertextuellen Bezug suggeriert Dante, dass Tityrus sich bei Alphesibeus in den idealen müßigen Zuständen befinde, die Vergils Tityrus in der ersten Ekloge besitzt und die dort von dem exilierten Meliboeus beneidet werden. Mit dieser Inszenierung nimmt Dante nun in seiner zweiten Epistel eine Umkehrung gegenüber seiner ersten Epistel vor. Denn dort hatte er sein Alter Ego Tityrus als christlichen Erben des vates Tityrus-Vergil gezeigt, der jedoch gerade nicht mehr in den idealen Friedensverhältnissen lebt wie der vergilische Tityrus, sondern das Exilschicksal des Melibeus teilt.76 Auf diese Weise stellte Dante dar, wie er als christlicher 73 74

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Ähnlich hatte sich Giovanni del Virgilio im ersten Brief als ein Teil eines gelehrten Kollektivs vorgestellt (nos pallentes, I 7) und auch im dritten Brief umgaben ihn arkadische Hirten (vgl. III 20 f.). Eitel 2014, 133 weist den Neid auch in Vergils Eklogen als ein gängiges Motiv aus (vgl. Verg. Ecl. I 11; II 39; VII 26). Während Stocchi 2012, 204 den Pachinus für eine Chiffre für Bologna hält, identifizieren Brugnoli/Scarcia 1980, 88 die sizilische Region als Verona. Vgl. auch Albanese 2014, 1770: „I bucolici ma opposti monti Peloro e Pachino ben potevano servire la metafora della rivalità tra i centri culturali che avevano ospitato Dante e che si contendevano la sua poesia, Ravenna e Verona, in una fictio dove il regno della poesia è simboleggiato dalla metafora teocritea della Sicilia originario tratto distintivo del genere bucolico.“ Im Paradiso verwendet Dante die Gegenden Pachinus und Pelorus, um Sizilien zu paraphrasieren (Par. VIII 67–70). Vgl. Albanese 2014, 1769. Auch die Anapher des te, mit der Dantes Alphesibeus das potenzielle Klagen der Natur um Tityrus wiedergibt, findet seine Entsprechung in Vergils erster Ekloge. Dort berichtet Meliboeus ebenfalls mit einer te-Anapher, wie bei Tityrus’ Absenz die Pinien, Quellen und Rebenranken nach Tityrus gerufen haben sollen (Tityrus hic aberat. ipsae te, Tityre, pinus, / ipsi te fontes, ipsa haec arbusta vocabant, Verg. Ecl. I 38 f.). Brugnoli/Scarcia 1980, 87 stellt fest, dass Tityrus-Vergil für Dante „l’archetipo del proprio esilio“ sei.

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vates unter der politischen Situation leidet. Denn gegenüber Tityrus-Vergil fehlte der imperator, der mit der Monarchie die gerechte politische Ordnung auf Erden etabliert und damit die gottgewollte Ordnung gesellschaftspolitisch umsetzt, die der vates mit seiner Dichtung auf Erden verkündet. Die Exilsituation des Dichters stilisierte Dante daher zu einem Symptom für den verkehrten Zustand der irdischen Gesellschaft, die der göttlichen Prophezeiung durch den Dichter kein Gehör (mehr) schenkt und damit ihre Chance auf ein glückseliges, ihrem Wesen angemessenes Erdenleben vergibt. In der vierten Epistel suggeriert nun Alphesibeus’ Rede, dass Tityrus-Dante sich wieder in diesen Umständen befindet, wie der Tityrus-Vergil sie erlebte. Vor dem Deutungshorizont des zweiten Briefes impliziert dies, dass sowohl die politischen Umstände angemessen sind, als auch Tityrus-Dantes Existenz als christlicher vates anerkannt und gewürdigt ist. Entsprechend liest sich Alphesibeus’ abschließende Forderung, Tityrus möge seine Weiden am Pelorus nicht mit seinem langlebigen Namen verlassen (Fortunate senex, fontes et pabula nota / desertare tuo vivaci nomine nolis!, IV 61 f.). Die Anerkennung von Tityrus’ Namen deutet auf die gesellschaftliche Anerkennung seiner Person hin und stellt somit einen Gegenentwurf zur zweiten Epistel dar. Denn dort hatte Tityrus indigniert beklagt, dass der Name des Dichters nichts mehr wert sei (O Melibee, decus vatum, quoque nomen in auras / fluxit, II 36 f.). Im vierten Brief attestiert Alphesibeus ihm nun ein vivax nomen in seiner Hirtengemeinschaft und impliziert damit die Anerkennung, die Tityrus-Dante als vates entgegengebracht wird.77 Zweierlei wird an dieser Stelle über Dantes Dichtungsbegriff erkennbar. Denn im Zusammenspiel mit der zweiten Epistel stellt die vierte dar, wie die Existenz des Dichters durch zwei Komponenten bestimmt ist: Zum einen trägt der vates eine gesellschaftliche Funktion innerhalb der göttlichen Ordnung, nämlich als poetisches Sprachrohr der göttlichen Wahrheit auf Erden. Dabei ist er zum anderen davon abhängig, dass die irdische Gemeinschaft seiner Dichtung Gehör und ihm als Sprachrohr der göttlichen Wahrheit Anerkennung zollt. Dies hat zur Folge, dass Dante seinen Begriff von Dichtung und Dichter in Abhängigkeit von der gesellschaftspolitischen Situation auf Erden definiert. In diesem Umstand liegt nun ein zentraler Hinweis auf die konzeptionellen Voraussetzungen seiner Antwort an Giovanni del Virgilio. Denn wenn Dante

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Wenn Dante nun auch in seinem vierten Brief auf die Konstellation in Vergils erster Ekloge anspielt, als seine Hirten über den richtigen Ort für den Dichter Tityrus-Dante diskutieren, steht abermals die Frage nach den richtigen politischen Bedingungen für das Dichterdasein zur Debatte. Denn Alphesibeus warnt Tityrus-Dante vor einem falsus favor an Mopsus’ Ort (vgl. IV 55). Die Formulierung erinnert dabei an den favor potentium, den sich Tityrus-Vergil gemäß Servius in der ersten Ekloge erworben hatte und damit unter Augustus die angemessenen politischen Umstände für seine Dichtungsprophetie gefunden hatte (Serv. Comm. in Verg. Ecl. Prooem.). Alphesibeus sieht den favor, den Mopsus’ Ort Bologna in Aussicht stellt, als falsch an und hebt implizit den verus favor hervor, den Tityrus an seinem Ort bereits besitze. Denn dieser stelle ihm tatsächlich eine solche Umgebung bereit, wie sie Vergils Tityrus genoss und dabei politischen Frieden und Anerkennung als Dichter erhielt.

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den Motiven in der bukolischen Korrespondenz (Alter, Ort etc.), die der Gelehrte unmittelbar mit einer poetologischen Deutung auflud, zunächst ihre ursprüngliche, soziale Bedeutung zuweist, deutet sich darin an, dass diese Konstellationen bei Dante ihre poetologische Relevanz erst durch ihre Funktionen und Positionen innerhalb der menschlichen Gemeinschaft auf Erden erhalten. Die moraltheologische Reflexion, in der Alphesibeus feststellt, dass Mopsus sich an einem seinem Wesen unangemessenen Ort aufhält (vgl. IV 16–27), ist folglich ebenfalls nicht nur in Hinsicht auf seine Lebensführung zu verstehen, sondern hat auch Implikationen für seine Existenz als Dichter. Dante suggeriert, dass Mopsus-Giovanni, wenn er sich an einem unwirtlichen, unmenschlichen Ort aufhält, auch an einem für den Dichter unfruchtbaren Ort lebt. Inwiefern dies zu verstehen ist, darauf gibt das Midas-exemplum einen ersten Hinweis. Denn die ovidischen Midas-Episoden vereinen verschiedene Aspekte, die ihn für Dante als exemplum attraktiv erscheinen lassen. Vordergründig sind es Ovids flötende Schilfrohre, die auf wundersame Weise ein böses Geheimnis offenbaren und daher für Alphesibeus eine passende Analogie für das Flötenspiel des Mopsus darstellen, dem der Hirte einen bösen Hintergedanken unterstellt. Doch neben den wundersamen Schilfrohren gibt Alphesibeus der Figur des Midas und den zwei ovidischen Episoden genug Raum in seiner Analogie, sodass auch der König selbst und nicht nur das Spiel der Flötenrohre als bedeutungstragender Bestandteil des Vergleichs erscheint. Aus den beiden Ovidepisoden, die Alphesibeus innerhalb der vier Verse zusammenbringt, geht Midas dabei zum einen als habgieriger König hervor, zum anderen als poetischer Ignorant.78 Wenn der Hirte die Ohren, die Midas zur Strafe von Apoll erhält, zudem als turpissima tempora regis (IV 52) bezeichnet, drückt er dabei eine moralische Verachtung für den habgierigen und unpoetischen König aus. Da Alphesibeus in seinem Vergleich, mit dem er Tityrus vor Mopsus’ Einladung warnen will, diese moralische Bewertung der Herrscherfigur so stark markiert, suggeriert er, Midas’ schändliche Eigenschaften auch mit der Kyklopenhöhle zu assoziieren. Nachdem Alphesibeus Mopsus’ Aufenthaltsort zuvor als unangemessen für den Hirten und Dichter deklariert hatte (vgl. IV 25–27), deutet der Midas-Vergleich nun eine Begründung an. Denn er legt nahe, dass an Mopsus’ Ort sowohl in morali-

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Die politische Relevanz des habgierigen Königs, als den die Gold-Episode Midas beschreibt, hebt Dante auch in der Commedia hervor. In Pg. XX lässt er den französischen König Hugo Capet die Machtgier seiner Nachkommen anprangern und führte daraufhin den König Midas als negatives exemplum an. Sein Beispiel repräsentiert in dem Zusammenhang die Habgier der französischen Königslinie, die ihre Macht auf Italien ausweitet und die Durchsetzung der nach Dantes Auffassung gottgewollten Ordnung in Form einer weltlichen Monarchie verhindert. Der König Midas weist in der Commedia somit unmittelbar auf die sündhafte Habgier des französischen Königshauses hin. Mittelbar repräsentiert er darüber hinaus einen Herrscher, der mit seiner sündhaften Habgier auch die gottgewollte politische Ordnung der Monarchie und damit die Durchsetzung einer irdischen Glückseligkeit verhindert (Pg. XX 106–108). Zu dieser Episode und dem Zusammenhang von Politik und Rhetorik siehe Rigo 2017.

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scher als auch in poetischer Hinsicht schändliche Zustände herrschen und er damit keinen geeigneten Ort für einen Hirten und Dichter darstellt. Dante übt eine subtile Kritik an Bologna, das ihm offensichtlich weder in moralisch-gesellschaftspolitischer noch in poetischer Hinsicht attraktiv erscheint. An Alphesibeus’ Rede zeigt sich folglich zum einen, wie der gelehrte Hirte in Konkurrenz zu Mopsus tritt, wenn er in elegischer Manier um Tityrus’ Bleiben wirbt. An der Kritik an Mopsus’ Ort erhärtet sich dabei der Verdacht, dass Dante die Einladung des Gelehrten nach Bologna nicht annehmen wird. Zum anderen deutet die Argumentation des gelehrten Hirten Alphesibeus darauf hin, dass die Ablehnung an Giovanni einerseits durch moralische Bedenken gegenüber Bologna motiviert ist, dies jedoch andererseits unmittelbar mit der Existenz des Dichters und der Funktion seiner Dichtung zusammenhängt. Hinsichtlich Dantes Stilbegriff lässt dies darauf schließen, dass dieser sich im Gegensatz zu Giovanni nicht in einem formalen Konzept mit seinen Idealen und Kategorien erschöpft, sondern stets auch in einem politisch-moralischen Kontext steht.79 3.2 Tityrus’ Zugeständnis Auf Alphesibeus’ Warnung vor Mopsus’ Einladung und der Bitte, Tityrus möge seinem Umfeld seine Abreise ersparen, antwortet Tityrus wiederum ausführlich (IV 63– 75). Dabei relativiert er zwar Alphesibeus’ Unterstellung, Mopsus würde Tityrus unter falscher Gunst an einen schrecklichen Ort locken, bekräftigt jedoch auch seine Ablehnung der Einladung. In einer emotionalen Anrede apostrophiert er seinen Gefährten zunächst periphrastisch als denjenigen, der verdientermaßen mehr als die Mitte seines Herzens einnehme, und fasst sich an die Brust. Daraufhin nimmt Tityrus Mopsus in Schutz. Mit ihm verbinde ihn die Liebe zu den Musen, die ängstlich vor dem rasenden Pyreneus flohen. Mopsus rate ihm die Weiden am Rande des Ätna nur deswegen an, da er fälschlicherweise meine, dass Tityrus sich zur Rechten des Po und zur Linken des Rubicon aufhalte, wo die regio Aemilia an die Adria grenzt. Mopsus wisse nicht, dass Tityrus und Alphesibeus sich im zarten Gras des Trinacrischen Berges befinden und

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Eine ähnliche Deutung von Ovids Episode, die Midas poetisches Fehlurteil und die darauf folgende Bestrafung durch Apoll mit den Eselsohren beschreibt, legt Giovanni del Virgilio in seinem allegorischen Kommentar der Metamorphosen dar: Quarta transmutatio est de auribus Mide conversis in asininas. Per Apollinem intelligo sapientem, per Pan intelligo aliquem sophistam qui vult contendere cum Apolline. Sed vincitur iudicio sapientum. Sed per Midam qui iudicat Pan cantasse melius quam Apollo intelligo hominem qui solum considerat voces et non medullam intrinsecam. Et talis dicitur ob audire, et tunc aures sue convertuntur in auricolas asininas. U. d. e.: Qui magis ore probat factos quam pectore cantus / Auricolas asini rite tenere datur (Giovanni del Virgilio Comm. Lib. XI 4). Ganz ähnlich scheint Dante Giovanni del Virgilio zu unterstellen, dass das dichterische Ideal, nach dem er strebt, ein leeres formales ist, dem die medulla fehlt.

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dass Klein- und Großviehherden daher auf dem fruchtbarsten aller sizilischen Berge weiden. Aber dennoch, beteuert Tityrus, würde er, wenngleich die Felsen des Ätna dem grünen Boden des Pelorus hintanstehen, gehen, um Mopsus zu besuchen und seine Herde verlassen, würde er nicht Polyphem fürchten. „O plus quam media merito pars pectoris huius,“ – atque suum tetigit – longevus Tytirus inquit „Mopsus, amore pari mecum connexus ob illas que male gliscentem timide fugere Pyreneum, litora dextra Pado ratus a Rubicone sinistra me colere, Emilida qua terminat Adria terram, litoris Ethnei commendat pascua nobis, nescius in tenera quod nos duo degimus herba Trinacride montis, quo non fecundius alter montibus in Siculis pecudes armentaque pavit. Sed quanquam viridi sint postponenda Pelori Ethnica saxa solo, Mopsum visurus adirem, hic grege dimisso, ni te, Polipheme, timerem“.

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75 [IV 63–75]

An Tityrus’ Worten wird zunächst das enge Verhältnis zu seinem Gefährten Alphesibeus deutlich. Mit seiner pathetische Anrede als „mehr als die Mitte seines Herzens“ bezeugt er seine außerordentliche Zuneigung (O plus quam media merito pars pectoris huius, IV 63) und geht damit beschwichtigend auf die elegischen Bitten ein, mit denen Alphesibeus ihn zuvor seiner Würdigung versicherte und die Furcht ausdrückte, Tityrus könne ihn und seinen Ort verlassen (vgl. IV 55 f.).80 Wenn Tityrus sich dabei an die eigene Brust fasst und der Sprecher sein hohes Alter unterstreicht (– atque suum tetigit – longevus Tytirus inquit, IV 64), erhält die Szene eine erhabene Aura, in der sich die alten Hirtengefährten ihre gegenseitige Verehrung aussprechen.81 Tityrus’ ehrerbietende Anrede steht dabei in Kontrast zu seiner vorherigen Apostrophe an Melibeus, die 80 81

Vgl. OLD s. v. pectus 4. Volkssprachlich verwendet Dante den Begriff petto ebenfalls in diesem metaphorischen Sinne (vgl. Dante VN VII 4; Pg. XXX 97–99; Par. III 1–3). Für die Paraphrase des halben Herzens verweist u. a. Petoletti 2016, 619 auf Hor. Carm. I 3, 8; II 17, 5 f. Das Adjektiv, das neben dem hohen Alter auch eine transzendente Bedeutung im Sinne des „ewig andauernd“ impliziert, assoziiert dabei darüber hinaus Tityrus’ Ansehen als hohe Autorität. Albanese 2014, 1771 verweist darüber hinaus auf Par. XVIII 81–83: O diva Pegasëa che li’ingegno / fai glorïosi e rendili longevi, / ed essi teco le cittadi e’ regni. Hier bezeichnet das Adjektiv explizit den Nachruhm des Dichters. Zudem macht sie aufmerksam auf Verg. Aen. VI 764 quem tibi longaeo serum Lavinia coniunx. Dort bezeichnet es den langen und nachhaltigen Ruhm, den Anchises Aeneas und seinem Geschlecht voraussagt. Laut Serv. Comm. in Verg. Aen. VI 764 weist das Adjektiv longaevus bezüglich Aeneas auf eine transzendente, göttliche Dimension hin: id est deo; aevum enim proprie aeternitas est. Vgl. ThLL s. v. longaevus II. So spielt der Sprecher auf dessen ruhmvollen Namen an und bestätigt aus neutraler Sicht, was Alphesibeus zuvor als vivax nomen bezeichnet hatte

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ebenfalls aus einer Interjektion und einer Periphrase des Adressaten bestand. Jedoch schrieb die Anrede als „allzu junger Mann“ (O nimium iuvenis, IV 34) dem Melibeus einen niederen Status zu. Zu dem gelehrten Alphesibeus hingegen spricht Tityrus auf Augenhöhe.82 Der erhabene Greis Tityrus findet in dem anderen alten, gelehrten Hirten (beide sind senes, IV 30) offensichtlich einen gleichgesinnten Gefährten. Indem Dante sein Alter Ego in gelehrter und achtungsvoll-freundschaftlicher Gesellschaft zeigt, trifft er implizit auch eine Aussage gegenüber Mopsus-Giovanni. Denn dessen Werbung versuchte Tityrus ja an einen Ort zu rufen, an dem ihn neben einer idyllischen Landschaft ein angemessenes soziales Umfeld arkadischer Dichtungsgelehrter erwarte, in deren Gesellschaft er seiner gravitas entsprechend leben könne (vgl. III 50 f.). Gemäß Dantes Inszenierung muss Tityrus diese Aussicht nicht mehr reizen. So ist es ihm offensichtlich möglich, auch an seinem jetzigen Aufenthaltsort mit einer gravitas zu leben, zu kommunizieren und behandelt zu werden. Nach der pathetischen Anrede an Alphesibeus lenkt Tityrus das Gespräch auf Mopsus, den Alphesibeus für seine hinterlistige Einladung kritisiert hatte. Tityrus nimmt Mopsus dabei in Schutz und stellt zunächst seine Beziehung zu dem entfernten Sängerhirten dar. So beteuert er, mit Mopsus durch eine gleiche Liebe zu den Musen verbunden zu sein (Mopsus, amore pari mecum connexus ob illas / que male gliscentem timide fugere Pyreneum, IV 65 f.).83 Seine Beziehung zu Mopsus unterscheidet sich folglich von der zu Alphesibeus. Zwar deutet Tityrus zu beiden ein liebendes Verhältnis an, während ihn jedoch mit Alphesibeus eine direkte Liebe verbindet (vgl. IV 63 f.), teilt er mit Mopsus eine Liebe für dasselbe Objekt, die Musen. Auf diese Weise lenkt Dante die elegisch-intellektuelle Liebe, die Mopsus-Giovanni im dritten Brief zwischen sich und Tityrus etablierte, in unpersönliche Bahnen. Ihre Liebe stellt weniger

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(vgl. IV 62). Die Beziehung zwischen Alphesibeus’ vivax nomen und dem Adjektiv longevus sieht u. a. Albanese 2014, 1771. Der Unterschied zwischen den beiden Apostrophen fällt auch anhand des Begriffes pectus auf, der jeweils in unterschiedlicher Form und Bedeutung erscheint. So thematisiert Tityrus in der Anrede des Melibeus dessen sich von dem schnellen Lauf verengende Brust, um anhand dieser die körperlichen Folgen von dessen Eile zu paraphrasieren (que te nova causa coegit / pectoreos cursu rapido sic angere folles?, IV 34 f.). Das pectus bezeichnet in der adjektivischen Form pectorei folles folglich ein konkret körperliches Phänomen. In der Anrede an Alphesibeus erscheint der Begriff des pectus ebenfalls (O plus quam media merito pars pectoris huius, IV 63). Auch an dieser Stelle ist die Brust in ihrer körperlichen Konkretheit erwähnt, wenn Tityrus sich bei diesen Worten zudem an die Brust fasst (atque suum [pectus] tetigit, IV 64). Anders als in Melibeus’ Fall weist Tityrus der Brust hier jedoch eine metaphorische Bedeutung zu, nämlich als körperlicher Sitz der Emotionen. Durch diesen übertragenen Sinn, der das pectus mit den erhabenen Gefühlen der Freundschaft und Liebe verbindet, erhält der Begriff hier einen höheren rhetorischen und poetischen Wert als in dem komischen Kontext um den atemlosen Melibeus, dessen konkret-körperliche Befindlichkeit es beschreibt. Dante greift das Motiv der elegischen Liebeswerbung auf, die Giovanni seinem Alter Ego Mopsus in der dritten Epistel in den Mund gelegt hatte (vgl. III 39–43; 87).

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eine emotionale als eine intellektuelle Verbindung dar.84 Dante kommt folglich Giovannis Liebeswerbung aus der dritten Epistel einerseits entgegen, da er eine intellektuelle Gemeinsamkeit zwischen Tityrus und Mopsus postuliert. Andererseits stellt er Mopsus innerhalb Tityrus’ persönlichem Beziehungsgeflecht zurück, da ihn anders als mit Alphesibeus keine direkte emotionale Beziehung mit Mopsus verbindet. Diese Konstellation muss Giovanni-Mopsus enttäuschen, der ja sein intellektuelles Interesse an Tityrus als tatsächliche Liebe inszenierte (miratio gignit amorem, III 87) und diese intellektuell-emotionale Bindung zum zentralen Argument seiner Einladung ins arkadische Bologna machte. Für die Beschreibung der Musenliebe, die er mit Mopsus teile, greift Tityrus dabei auf den klassisch-antiken Mythenfundus zurück und folgt damit einer ähnlich gelehrten Argumentationsstrategie wie Alphesibeus. Der hatte zuletzt auf einen ovidischen Mythos zurückgegriffen, als er mithilfe von König Midas illustrierte, dass Tityrus an Mopsus’ Ort kein locus amoenus, sondern etwas Schreckliches erwarte (vgl. IV 50–53). Tityrus umschreibt nun die Musen als diejenigen, die ängstlich vor dem rasenden Pyreneus flüchteten (que male gliscentem timide fugere Pyreneum, IV 66), und spielt dabei auf einen Mythos an, den Ovid im fünften Buch der Metamorphosen bedichtet.85 Beide Hirten zeichnen sich folglich durch ihre Kenntnis des antiken Mythenschatzes aus, den sie für ihre Argumentationen heranziehen. Während Tityrus formal an Alphesibeus’ gelehrtes Register anknüpft, erweist sich seine mythologische Paraphrase der Musen inhaltlich als bemerkenswert. So spricht er ja gerade über sein Verhältnis zu Mopsus, mit dem er die Liebe zu den Musen teile. Die Paraphrase umschreibt die Musen dabei jedoch nicht etwa in einem allgemeinen Sinne als Dichtungsgottheiten, sondern zeigt sie in einem bestimmten Kontext, nämlich in der Bedrängnis durch den König Pyreneus. Die inhaltliche Kohärenz des Pyreneusmythos mit der Musenliebe, die Tityrus mit Mopsus teilt, erschließt sich dabei nicht direkt. Vielmehr stellt die Konstellation des Mythos indirekt eine assoziative Verbindung zu der Situation des Tityrus her. Bei Ovid berichtet die Episode um Pyreneus eine Muse der Göttin Pallas Athene (Ov. Met. V 271 f.). Sie erzählt von ihrer Begegnung mit dem thrakischen König Pyreneus, den sie als grausamen Feldherrn vorstellt, der sich mit seinen Eroberungen eine unrechtmäßige Herrschaft über die Ländereien von Daulis und Phocis verschafft habe.86 Als die Musen nun auf dem Weg zum parnassischen Tempel waren, habe er sie heuchlerisch gelockt, vor dem schlechten Wetter Schutz unter seinem Dach zu suchen.87 Die Obhut stellte sich jedoch als trügerisch heraus. Denn sobald das Wetter

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Vgl. Eitel 2014, 134 f. U. a. Albanese 2014, 1771 f. verweist auf Ov. Met. V 274–293. Ibid. 276 f. Vidit euntes / nostraque fallaci veneratus numina vultu / […] / „nec dubitate, precor, tecto grave sidus et imbrem“ / (imber erat) „vitare meo: subiere minores / saepe casas superi.“ (ibid. 278–283).

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sich besserte und die Musen Pyreneus’ Palast verlassen wollten, habe er die Türen verschlossen, um ihnen daraufhin Gewalt anzutun.88 Die Schwestern entflohen ihm auf Flügeln. Bei dem Versuch, ihnen zu folgen, stürzte der König vom Turm seines Palastes und verendete mit zertrümmerten Gliedern auf dem Boden, der sich von seinem Blut rot färbte.89 Tityrus’ Paraphrase der Musen mit dem Pyreneusmythos hat mit seiner eigentlichen Aussage, die ja Mopsus und seinem gemeinsamen Interesse an den Musen gilt, folglich tatsächlich keine Berührungspunkte. Sie knüpft thematisch jedoch an einen vorherigen Zusammenhang an. So erinnert die Konstellation zwischen Pyreneus und den Musen an Tityrus’ eigene Situation. Denn die Gefahr, die Alphesibeus Tityrus in Aussicht stellte, wenn er als Dichter an einen feindseligen Ort wie die Kyklopenhöhle eingeladen wird, erinnert an die Dichtungsgottheiten, die durch den schlechten Herrscher verlockt und dann bedroht werden. Mit der Pyreneusparaphrase knüpft Tityrus also an Alphesibeus an, der zuvor gewarnt hatte, hinter Mopsus’ lieblicher Einladung verberge sich eine falsche Gunst (IV 55) und an dem Ort eine Gefahr für den Dichterhirten (IV 57 f.). Es fällt dabei auf, dass beide Hirten einen Mythos aus Ovids Metamorphosen heranziehen, um diese Aussage zu treffen. So ließ Alphesibeus in seinem Midasvergleich anklingen, dass sich hinter der wohlklingenden Gunst des Mopsus ein schändliches Geheimnis für den Dichter verbergen könnte. Tityrus’ Pyreneusepisode präsentiert eine vergleichbare Konstellation. Denn die falsche Gastfreundschaft des Königs, auf die sich die Musen einlassen und ihm fast zum Opfer fallen, deutet ebenfalls die Gefahr einer falschen Gastfreundschaft für Tityrus an Mopsus’ Ort an.90 In beiden Ovidverweisen geht es also um die heuchlerische Darstellung eines schändlichen bzw. gefährlichen Umstands, dem Tityrus anheim zu fallen drohe. Die Ovidverweise stehen folglich inhaltlich miteinander in Beziehung. Dabei weisen sie nicht nur beide auf einen gefährlichen Umstand für Tityrus hin. Sie suggerieren auch ähnliche Begründungen dieser Gefahr. So wies Alphesibeus’ Midasvergleich den unmoralischen und unpoetischen Charakter des Königs Midas aus und deutete damit auf den moralischen und poetischen Missstand hin, der Tityrus am Ätna gefährden würde (IV 51–53). In dem Pyreneusmythos wird diese doppelte Begründung der Gefahr ebenfalls evident, in noch gesteigertem Maße. So ist Pyreneus (wie Midas) aus Ovid zunächst als eine negativ konnotierte Herrscherpersönlichkeit bekannt. Während Midas’ fataler Goldrausch jedoch nur durch seine Einfältigkeit motiviert ist, begeht Pyreneus bewusst unrechtmäßige Taten, wenn er fremde Völker erobert und die Musen 88 89 90

Claudit sua tecta Pyreneus / vimque parat (ibid. 287 f.). Seque iacit vecors e summae culmine turris / et cadit in vultus discussisque ossibus oris / tundit humum moriens scelerato sanguine tinctam (ibid. 291–293). In dem Adjektiv timide (IV 66), das die Furcht der fliehenden Musen vor Pyreneus ausdrückt, hallt zudem das timentes (IV 58) wider, mit dem Alphesibeus seine Furcht um Tityrus ausdrückte, sollte er zu Mopsus gehen. Auch daran wird ein Zusammenhang zwischen der Konstellationen der Pyreneusepisode und der Furcht, die Alphesibeus zuvor äußerte, erkennbar.

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hinterlistig in eine Falle lockt (Ov. Met. V 278 f.). Pyreneus ist somit als skrupelloser Herrscher gezeichnet und erscheint damit noch schlimmer als Midas.91 Wie bei Midas steht die moralische Bewertung des Pyreneus als schlechter Herrscher darüber hinaus in einem direkten Zusammenhang mit seinem Verhältnis zur Dichtung. Dabei ist abermals eine Steigerung erkennbar. Denn Midas war nicht boshaft, sondern nur dumm und besaß daher auch einen miserablen Musikgeschmack. Pyreneus hingegen ist ein boshafter Herrscher und sein Verhältnis zur Dichtung ist entsprechend nicht nur durch Einfältigkeit, sondern durch destruktive Aggression geprägt. Denn er lädt die Musen ein, um ihnen Gewalt anzutun. Noch expliziter als Alphesibeus’ Midasvergleich weist Tityrus’ Pyreneusparaphrase folglich auf eine unmoralische Herrscherperson und zugleich auf für die Dichtung abträgliche Zustände hin, die dem Dichter an Mopsus’ Ort drohen würden.92 91

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Daulida Threicio Phoceaque milite rura / ceperat ille ferox iniustaque regna tenebat, Ov. Met. V 276 f. Der Zusammenhang zwischen den beiden Herrscherfiguren Midas und Pyreneus lässt sich dabei auch an dem Verb tingere erkennen, das in beiden Mythen an prominenter Stelle erscheint. So enden beide Episoden mit der Färbung des Bodens. Während Midas nach der Einsicht seiner fatalen Goldgier auf Bacchus’ Geheiß den Sand des Pactolus färbt (qui iussu Bromii Pactolida tinxit arenam, IV 53; vis aurea tinxit / flumen et humano de corpore cessit in amnem, Ov. Met. XI 142 f.), führt Pyreneus’ Frevel zu dem grausigen Tod des Königs, dessen Glieder bei seinem Sturz aus dem Palast zertrümmert werden. Hier färbt sich die Erde rot vom Blut des sterbenden Frevlers (tundit humum moriens scelerato sanguine tinctam, Ov. Met. V 293). An dem Ausmaß der Strafe, die die frevelnden Könige erleiden, lässt sich eine Steigerung von Midas zu Pyreneus erkennen, die sich konkret in der jeweiligen Art der Bodenfärbung am Ende der Episoden manifestiert. Zwar erwähnt Tityrus in seiner Wiedergabe der Pyreneus-Episode nicht die Details des Sturzes. Die Färbung des Bodens mit Blut erscheint nur bei Ovid. Da Alphesibeus jedoch in der späteren Erzählung des Polyphem-Mythos erneut auf das Verb tingere zurückgreift, wenn er beschreibt, wie Polyphems Rachen von dem Blut seiner Opfer gefärbt ist (vgl. IV 77), ist anzunehmen, dass Dante mit seiner intertextuellen Anspielung auf Pyreneus auch hier die Parallele andeuten will. Während Midas’ Goldrausch noch glimpflich ausgewaschen werden kann, ist es bei Pyreneus’ hinterlistigem Frevel dessen Blut selbst, mit dem er seine Tat büßt. Dass der Pyreneusmythos in Bezug auf Mopsus’ Einladung zu deuten ist, legen weitere Aspekte der ovidischen Erzählung nahe. Eine signifikante Parallele besteht beispielsweise in dem elegischen Argument, mit dem Mopsus in der dritten Epistel versucht hatte, Tityrus von seinem Kommen zu überzeugen. Denn Tityrus’ möglicher Verachtung seiner Behausung hatte er entgegnet, dass sogar Chiron und Apoll in Grotten gelebt hätten (vgl. III 79). Mit einem ganz ähnlichen Argument bewirbt bei Ovid Pyreneus seinen Palast bei den Musen als Obdach vor dem Regen. Andere Götter hätten nämlich bereits bescheidenere Hütten aufgesucht („nec dubitate, precor, tecto grave sidus et imbrem“ / (imber erat) „vitare meo: subiere minores / saepe casas superi.“, Ov. Met. V 281–283). Auch die metonymische Verwendung des Daches tectum für seinen Palast (ibid. V 281), die dessen Funktion als Schutzraum vor dem widrigen Wetter hervorhebt, erinnert an Giovanni-Mopsus’ Inszenierung seines Ortes als idyllischen Schutzraum. Wie gezeigt, bediente der sich dafür ebenfalls des Verbs tegere (antra […] que saxa tegunt, III 53). Waren der Appell zu einer Wertschätzung bescheidener Behausungen und die Aussicht auf einen Schutzraum bei Mopsus-Giovanni ernst gemeint, sind sie bei Pyreneus Teil der perfiden Intrige, um die Musen in eine Falle zu locken. Indem Dante Tityrus auf den Mythos anspielen lässt, der wesentliche Argumente aus Mopsus’ Werbung unter negativen Vorzeichen beinhaltet, parodiert er weiter Giovannis positive Darstellung Bolognas als ein idealisiertes Dichteridyll Arkadien. Explizit wird diese Verkehrung auch anhand des Partizips gliscens (IV 66), mit dem er Pyreneus’ gieriges Streben nach den Musen bezeichnet.

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Die zwei ovidischen Mythen, derer sich die beiden Hirten bedienen, stehen folglich in einem assoziativen Zusammenhang und zeigen, dass Tityrus Alphesibeus’ Befürchtung über Mopsus’ Ort durchaus teilt. Im weiteren Verlauf seiner Rede nimmt er jedoch gegenüber Alphesibeus eine Differenzierung vor, die einerseits die Figur des Mopsus und seine Verantwortlichkeit neu perspektiviert und andererseits die bukolische Allegorie im Vergleich zur bisherigen Korrespondenz umkoordiniert. So klärt Tityrus seinen Gefährten im Folgenden über die Hintergründe von Mopsus’ Einladung auf (IV 67–72). Er erläutert, dass diese aus einem Irrtum erwachsen sei. Denn Mopsus gehe fälschlicherweise davon aus, Tityrus halte sich zwischen Po und Rubikon auf, wo die Adria das Land der regio Aemilia begrenzt (IV 67 f.).93 Er wisse nicht, dass Tityrus sich auf dem zarten Gras des trinacrischen Berges, dem für Klein- und Großvieh fruchtbarsten der sizilischen Berge, befindet (IV 70–72).94 Diese Fehlannahme habe ihn dazu verleitet, Tityrus seine Weiden am Ufer des Ätna vorzuschlagen (IV 69). Diese Erklärung zerstreut zum einen Alphesibeus’ Unterstellung, Mopsus habe mit seiner Einladung an Tityrus böse Absichten verfolgt. Denn Tityrus rechtfertigt Mopsus’ Ruf an die Kyklopenfelsen durch dessen Unwissenheit über die tatsächlichen, idealen Bedingungen, in denen sich Tityrus bereits befinde und daher keines besseren Ortes bedürfe, als Missverständnis. Zum anderen hat Tityrus’ Richtigstellung der Ortsverhältnisse auf der extradiegetischen Ebene einen Effekt auf die Deutung der bukolischen Allegorie. So musste der Leser der vierten Epistel bisher – trotz der veränderten Sprechsituation von einem ho-

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Denn auch Giovanni-Mopsus verwendete das Verb in der dritten Epistel. Er beschrieb auf diese Weise das begierige Interesse der Bewohner seines Arkadiens an Tityrus und dessen Gesängen (vgl. III 67–69). Nicht zufällig fällt das Verb im vierten Brief in etwa demselben Vers: gliscentem (IV 66) und gliscent (III 67). Auf diese Parallele weist auch u. a. Eitel 2014, 135 hin. Tityrus greift für die Beschreibung Ravennas als Ort zwischen den Flüssen Po und Rubikon, wo die Adria die Erde einschließt (IV 67 f.), zunächst formal und inhaltlich auf die Umschreibung der Lokalitäten zurück, die Mopsus im dritten Brief vorgenommen hatte. Giovanni del Virgilio hatte sein Alter Ego Mopsus darin in ein arkadisches Idyll versetzt, das er durch eine zweiteilige Flussmetonymie in den geographischen Koordinaten der Stadt Bologna verankerte. So beschrieb Mopsus sich in der Position zwischen den Flüssen Savena und Reno (vgl. III 1–3). Auch Tityrus-Dante verankerte Giovanni durch eine geographische Angabe in der historischen Welt. Denn den Ort, von dem aus dessen Flötenspiel zu Mopsus vordringt, identifiziert er mit dem Ufer der Adria (vgl. III 11) und dem Fluss Musone, den er latinisiert als aries bezeichnete (vgl. III 15 f.). Dieses Vorgehen diente Giovanni del Virgilio zu einer eindeutigen geographischen Verankerung der bukolischen Allegorie in der historischen Realität. Dies erlaubte dem Gelehrten wiederum, die übrige Fiktion umso freier zu gestalten und dichterisch zu entrücken. So machte er aus Bologna ein idealisiertes Dichterland Arkadien, wobei der historische Bezugsrahmen der Allegorie dennoch immer eins zu eins verständlich blieb. Albanese 2014, 1772 erkennt in der griechischen Adjektivform Emilida eine Analogie zu Sicelides aus Verg. Ecl. IV 1 und erläutert die zeitgenössisch geographischen Verhältnisse. So entspreche die regio Aemilia ungefähr der heutigen Emilia-Romagna. Die sizilischen Berge erscheinen auch bei Vergil mehrfach als Weideland der Hirten. Albanese 2014, 1774 verweist auf Verg. Ecl. II 21. Für die tenera herba verweist u. a. Eitel 2014, 136 auf Verg. Ecl. VIII 15.

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modiegetischen Sprecher im zweiten, zu einem heterodiegetischen Sprecher im vierten Brief – in Tityrus nach wie vor Dantes bukolisches Alter Ego erkennen und davon ausgehen, dass dieser sich in der Emilia-Romagna in Ravenna befindet. Zwar verlegte Dante die bisherige Szenerie in der narratio nach Sizilien und nahm damit schon eine Ortsveränderung vor. Diese schien jedoch zunächst die historischen Ankerpunkte nicht infrage zu stellen. Die Höhle der Kyklopen erwies sich als eine Parodie der arkadischen Höhle, als die Giovanni im dritten Brief sein Bologna gezeichnet hatte (vgl. IV 27; 47). Die grünen Weiden des sizilischen Pelorus, auf denen Alphesibeus sich und Tityrus lokalisierte, erschienen als eine neue bukolische Chiffrierung Ravennas (vgl. IV 26; 46). Tityrus selbst deklariert diese Identifikation nun jedoch als eine irrtümliche Annahme des Mopsus. Tityrus weist hier jedoch nicht nur Mopsus, sondern indirekt auch den extradiegetischen Leser auf seinen Irrtum hin, immer noch die Koordinaten des zweiten Briefs anzunehmen. Dante verändert im Vergleich zu den vorangehenden Episteln das Verhältnis zwischen der bukolischen Allegorie und der historisch-geographischen Realität. Dafür identifiziert er zunächst Ravenna durch die Metonymie der beiden Flüsse Po und Rubikon (IV 67 f.) und gewährt auf diese Weise den realen geographischen Koordinaten wie gewohnt Eintritt in die bukolische Allegorie. Denn ähnlich hatte Giovanni del Virgilio Ravenna durch den Fluss Montone metonymisch lokalisiert (vgl. III 15). Genauso wie Giovanni nennt Dante zudem das Ufer der Adria als Erkennungsmerkmal Ravennas (vgl. III 11; IV 68). Was bei dem Gelehrten die Verankerung der bukolischen Allegorie in der Realität sicherstellte, verwendet Dante jedoch, um eben diese eindeutige Identifikation aufzuheben. Denn er lässt Tityrus seinen historisch-realen Aufenthaltsort Ravenna in einer geographischen Beschreibung aufrufen (IV 67 f.), um ihn daraufhin zu negieren. Stattdessen beschreibt Tityrus sich und Alphesibeus in einer Ideallandschaft am fruchtbarsten Berg Siziliens, den Dante nicht in der historischen extradiegetischen Realität verankert (IV 70–72).95 Dies hat nun für den Leser besondere Deutungsimplikationen. Dante legt hier erste Hinweise auf den Status, den er seinem Alter Ego Tityrus im vierten Brief zuschreibt und der sich von dessen Status in der zweiten Epistel wesentlich unterscheidet. So befand sich Tityrus im zweiten Brief noch in einer kargen Exilsituation, in der er über die mangelnde Anerkennung des Dichternamen klagte (vgl. II 36 f.). Dante drückte in der Ekloge seine biographisch-historische Situation als exilierter Dichter aus. In Anlehnung an Servius’ Deutung von Vergils erster Ekloge inszenierte er sich als neuer Tityrus-Vergil, der jedoch nicht in dessen idealen müßigen Umständen, sondern mit Melibeus im Exil lebt und dabei auch als Dichter und christlicher vates keine Aner95

Für die Form Trinacride weist Albanese 2014, 1773 darauf hin, dass es das klassische Adjektiv trinacrii ersetzt. Dante verwendet die Bezeichnung Trinacria für Sizilien ebenfalls im Paradiso, wo er die Kaps Pachinus und Pelorus erwähnt: E la bella Trinacria, che caliga / tra Pachino e Peloro (Dante Par. VIII 67 f.).

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kennung erhält. Zum vierten Brief hat Dante nun sein Alter Ego in einen idealisierten, gänzlich fiktiven Raum entrückt. Wenn sich Tityrus an grünenden Wiesen und in gelehrter Gesellschaft befindet, die ihm mit Respekt und Anerkennung begegnet und bei einer möglichen Abreise sogar um seinen Namen trauert (vgl. IV 56–62), zeigt Dante sein Alter Ego in einem Idealzustand, wie ihn Tityrus-Vergil in der ersten Ekloge genoss. Tityrus’ friedliches, verehrtes Dasein entspricht dabei jedoch nach wie vor nicht Dantes historischer Realität. In dieser Diskrepanz zwischen dem Entwurf des idealen Daseins seines Alter Egos und Dantes realer Situation erklärt sich nun die Sprechsituation, die Dante von der autodiegetischen Erzählhaltung in der zweiten Epistel zur heterodiegetischen in der vierten Epistel verändert. Denn auf diese Weise markiert er im vierten Brief einen Bruch zwischen seinem historischen Ich und seinem bukolischen Alter Ego Tityrus und weist darauf hin, dass er Tityrus als bukolische Identität des christlichen Dichterpropheten nun aus externer, quasi unbeteiligter Perspektive beleuchtet. Dante entwirft aus der Außenperspektive die ideale Existenz des christlichen vates auf Erden, dessen dichterischem Wort Anerkennung entgegengebracht wird. Dies bedeutet nicht, dass Dante den Anspruch auf die Funktion bzw. Identität des Tityrus als christlichem vates aufgegeben hat. Es zeigt vielmehr, dass diese Position, in der er ihn beschreibt, eine Wunschvorstellung ist, die sich Dante ersehnt. Denn seine reale Situation als politischer Exilant unter einem in Parteienstreitereien fragmentierten Italien und ohne Hoffnung auf einen gerechten Frieden unter Führung eines weltlichen Monarchen ist davon weit entfernt. Dante entwirft im vierten Brief folglich die Fiktion seiner idealen irdischen Existenz als vates Tityrus und christlicher Erfüller des antiken Dichterpropheten Vergil. Diese fiktive Idealvorstellung ist jedoch nur eine Dimension der vierten Epistel. Tityrus’ Redefinition seines Ortes hat nämlich auch zur Folge, dass innerhalb des vierten Briefes nun zwei Ebenen der bukolischen Allegorie nebeneinander bestehen. Die eine funktioniert nach den bekannten Mustern der biographischen Allegorie, wie sie die spätantike Vergilkommentierung insbesondere an Vergils erster Ekloge vorgenommen hatte und nach der auch die bukolischen Allegorien der zweiten und dritten Epistel gestaltet waren.96 Dabei inszenierten Dante und Giovanni ihre historisch-realen Umstände in der allegorischen Chiffre der bukolischen Dichtung. Im vierten Brief besteht diese reale Allegorie allein in Mopsus’ Fall, da die Höhle des Kyklopen eine bukolische Chiffre für dessen tatsächlichen Aufenthaltsort Bologna darstellt. Tityrus hingegen ist im vierten Brief eine rein fiktive Existenz, die sich Dante ersehnt, und auch der Ort, die saftigen Wiesen des Pelorus, an denen Tityrus und Alphesibeus sich aufhalten, entbehren einer geographischen Entsprechung in der historischen, extradiegetischen Welt. So sind in der vierten Epistel zwar alle Hirten, Mopsus, Tityrus, Alphesibeus und 96

Auch Martellotti 1983, 100 identifiziert zwei Ebenen, versteht sie jedoch nicht aufzulösen, sondern findet hier einen Widerspruch in Dantes Konzeption der Epistel. Michele Feo 1986, 318 sieht hier, dass Dante die geographische Realität zugunsten einer tieferen, spirituellen Realität auflöse.

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Melibeus auf Sizilien. Die bukolische Allegorie weist dabei jedoch zwei verschiedene Modi auf: Die biographisch-historische Chiffrierung von Mopsus-Giovannis Situation existiert neben der biographisch-fiktionalen des Tityrus-Dante. Vor dem Hintergrund dieser gedoppelten Allegorie ist es nun zu verstehen, wenn Tityrus Mopsus vor Alphesibeus’ Anschuldigung in Schutz nimmt. Denn wenn Tityrus erklärt, Mopsus habe seine Einladung in der falschen Annahme ausgesprochen, er befände sich in der regio Aemilia in Ravenna, inszeniert Dante, dass Mopsus-Giovanni noch Tityrus’ Exilstatus und damit den biographisch-historischen Modus der Allegorie aus der zweiten Epistel angenommen habe. Vor diesem Hintergrund erscheint Mopsus’ Einladung an die Felsen des Ätna, nach Bologna, verständlich. Zwar würde sie grundsätzlich keine Veränderung von Tityrus’ Status als Exilant bedeuten. Tityrus stellt es jedoch als eine für ihn denkbare Alternative dar, aus seinem Exil in Ravenna ins Exil nach Bologna zu Mopsus-Giovanni zu reisen. Da er sich jedoch nicht mehr im Exil in Ravenna, sondern auf den süßen Wiesen des Pelorus befindet, also in der zweiten, fiktional idealisierten Dimension der bukolischen Allegorie, kann ihn im Grunde kein Angebot der historischen Wirklichkeit des Ätna bzw. Bolognas, also der ersten allegorischen Dimension, mehr locken.97 Tityrus reflektiert somit innerhalb der bukolischen Fiktion den Wandel seines eigenen Status als Exilant aus dem historischen Modus der Allegorie im zweiten Brief zum fiktionalen im vierten Brief, in dem er als christlicher Dichterprophet in einem idealen Erdendasein erscheint. Mopsus-Giovanni hat von diesem Wandel keine Kenntnis, sondern denkt in den historischen Dimensionen und macht ihm daher ein Angebot, das ihn nicht reizen kann. Diesen Umstand erklärt Tityrus Alphesibeus und identifiziert auf diese Weise Mopsus’ Einladung nicht als bösen Willen, sondern als Annahme falscher Voraussetzungen. So entbindet Tityrus Mopsus des unmittelbaren Verdachts eines falsus favor, dessen Alphesibeus ihn verdächtigte. Zum Abschluss seiner Rede hebt Tityrus schließlich seine positive Haltung gegenüber Mopsus weiter hervor. Denn er beteuert, sogar zu ihm gehen und seine Herde verlassen zu wollen, obwohl die Felsen des Ätna den grünen Weiden des Pelorus nachstehen (Sed quanquam viridi sint postponenda Pelori / Ethnica saxa solo, Mopsum visurus adirem, / hic grege dimisso, ni te, Polipheme, timerem, IV 74 f.). Die grünen Wiesen des Pelorus (viridis Pelorus, IV 74) stehen dabei den Felsen des Ätna (Ethnica saxa, IV 75) erneut antithetisch gegenüber, die Alphesibeus ja bereits als besonders karg bezeichnet hatte (arida saxa, IV 27; litus pumice tectum, IV 54) und auch dem saftigen Grün 97

Albanese 2014, 1772 f. nimmt einen fingierten Status der Dichterwelt an, in die Dante Tityrus in der vierten Epistel versetzt. Sie spricht von einer „dimensione utopica e allegorica della patria dei poeti.“ Sie verkennt jedoch die Kohärenz mit der zweiten Epistel und den Zusammenhang mit der ersten Ekloge Vergils, über die Dante sich als christliche Erfüllung des antiken vates Vergil inszeniert und dabei gerade nicht eine „evasione poetica“ in ein vergilisches Goldzeitalter inszeniert, sondern einen diesseitigen Zustand irdischen Friedens, in dem ihm als christlicher Dichterprophet Anerkennung und Gehör geschenkt wird wie Tityrus in der ersten Ekloge Vergils.

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der eigenen Wiesen gegenüberstellte (vgl. IV 26 f.).98 Doch wie Tityrus im Folgenden ausführt, ist es nicht die grundsätzliche Unattraktivität von Mopsus’ Ort im Vergleich zu seinem Idealort, die ihn von einem Besuch abhalte, sondern ein anderer schwerwiegender Grund: seine Furcht vor Polyphem (ni te, Polipheme, timerem, IV 75). Der einäugige Kyklop, der aus der klassisch-antiken Literatur einerseits als Schafhirte, andererseits als Menschen fressendes Ungeheuer bekannt ist, flößt Tityrus so akute Angst ein, dass er ihn sogar direkt in einer Apostrophe anspricht. Der Wandel der Sprechsituation zu einem dramatischen Modus innerhalb der wörtlichen Rede des Hirten macht seine Furcht dabei besonders greifbar. Erstmals spricht Tityrus selbst von seiner Angst und dass diese ihn von einem Besuch bei Mopsus abhalte. Damit ruft er in Erinnerung, was er bereits in der zweiten Epistel angedeutet hatte, als er davon sprach, dass er die Täler und Ländereien bei Mopsus fürchte, die keine Götter kennen würden (sed timeam saltus et rura ignara deorum, II 41).99 Während der Anlass seiner Angst dort noch diffus blieb, erhält er in der vierten Epistel eine konkrete Manifestation in dem Ungeheuer Polyphem. Im zweiten Brief ließ sich erkennen, dass Dante mit der Gottlosigkeit der Umgebung auf einen politischen Missstand anspielt, den er in Bologna erkennt und den er für zu gravierend hält, um als christlicher vates und Fürsprecher einer gottgewollten Monarchie nach Bologna zu gehen. Dieser Zusammenhang zwischen politischer Macht und poetischer Existenz deutete sich auch im vierten Brief bereits mehrfach an. So stellten sowohl der Midasvergleich (vgl. IV 51–53) als auch die Pyreneusparaphrase (vgl. IV 66) Umstände vor, in denen sich eine Herrscherpersönlichkeit im Widerspruch mit poetischer Qualität oder poetischen Instanzen befindet. Mit Polyphem tritt nun eine dritte Figur auf den Plan der vierten Epistel, die unter anderem aus Ovids Metamorphosen bekannt ist. Anders als Midas und Pyreneus wird er nicht nur als exemplum herangezogen, sondern tritt als tatsächliche Figur im Umfeld der Hirten auf. Dennoch liegt es nahe, Polyphem im Zusammenhang mit den anderen beiden ovidischen Figuren zu verstehen, da Midas, Pyreneus und Polyphem jeweils Machtinstanzen darstellen, die mit ihrer Präsenz an einem jeweiligen Ort auf Dichtung und Dichter negativen Einfluss nehmen. Insbesondere zwischen der Pyreneusepisode und Polyphem wird die Analogie evident. So entspricht die Furcht des Dichterhirten Tityrus vor Polyphem der Furcht, mit der die Musen vor Pyreneus fliehen. In Tityrus’ timerem (IV 75), das seine Angst vor Polyphem ausdrückt, wiederholt sich entsprechend das timide (IV 66), das den furchtsamen Zustand der Musen in der Pyreneusparaphrase beschrieb.100 Als dritte Machtfigur aus dem ovidischen Mythenschatz, die nun als existierende Figur auftritt, erscheint Polyphem quasi als physische Erfüllung dessen, was die exempla des 98 Vgl. Albanese 2014, 1773. 99 Vgl. ibid., 1775. 100 Schon die verschiedene Verwendung des Verbs tingere wies auf einen Zusammenhang der drei Mytheme hin. Vgl. Fußnote V 91.

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habgierig-einfältigen Midas und des gewalttätig-hinterhältigen Pyreneus bereits antizipierten. Deren Eigenschaften wirken sich dabei implizit auf das Bild des Polyphem aus und assoziieren ihn als frevelhaften Herrscher. Insbesondere die Analogie zu dem habgierigen Tyrannen Pyreneus und seinem fatalen Umgang mit den Musen veranlasst den Leser, einen negativen Einfluss des Polyphem auf das Dasein des Dichters Tityrus zuzuschreiben, d. h. in Polyphem eine politische Gefahr für seine Existenz und somit auch seine Dichtung zu erkennen.101 Diesen Aspekt wird Alphesibeus in seiner folgenden Replik bekräftigen. Tityrus’ Rede (IV 63–75) bekräftigt folglich die ablehnende Haltung gegenüber Mopsus-Giovannis Einladung, die sich schon seit Alphesibeus’ erster Rede andeutete (vgl. IV 25–27). Zugleich entbindet Tityrus-Dante den Hirten jedoch von einer unmittelbaren Verantwortung für die Missstände, die er an dessen Ort argwöhnt. Darüber hinaus legt Dante in diesem Redeabschnitt wesentliche Hinweise zur Deutung der bukolischen Allegorie in seinem vierten Brief, die sich in der folgenden Rede des Alphesibeus weiter verdichten. Die Figur des Polyphem wird dabei eine zentrale Rolle spielen. 3.3 Alphesibeus insistiert Alphesibeus antwortet daraufhin in einer letzten Replik (IV 76–85) und nimmt Tityrus’ Furcht vor Polyphem zum Anlass, über die Gefahr zu sprechen, die dem Hirten an Mopsus’ Ort drohen würde. So zeichnet er ein grässliches Bild des Kyklopen, dessen Rachen stets von menschlichem Blut gefärbt sei und führt zwei Beispiele seiner Grausamkeit an. Zum einen erinnert Alphesibeus an die Flussnymphe Galatea, die Zeuge wurde, wie Polyphem aus Eifersucht ihren Liebhaber Acis zerriss und deren Liebe gegen eine solche Raserei nichts ausrichten konnte. Zum anderen nennt er das Beispiel

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Die Figur wurde vielfältig gedeutet, zum einen als Allegorie einer konkreten Herrscherfigur in Bologna, zum anderen als abstrakte politische Macht der schwarzen Guelfen in Bologna, die Dante gefährlich würden. Für die Forschungsmeinungen zu Polyphem in Dantes Epistel siehe den betreffenden Abschnitt in der Hinführung der Arbeit S. 24 f. Albanese 2014, 1774 reiht sich in die Tradition der abstrakten Deutung ein und erkennt in Polyphem den „potere politico bolognese rappresentato dal mito del sanguinario Polifemo […] nel quadro di quella violenta guerra civile tra parte guelfa e ghibellina da cui ormai Dabte si era chiamato fuori, abbandonando il suo partito (Par. XVII 62 la compagnia malvagia e scempia) secondo la profezia dell’avo Cacciaguida, leggibile in filigrana in quest’ultima parte dell’egloga.“ In der konkreten Deutung schließt sie sich der verbreiteten Meinung an, dass es sich um Fulcieri da Calboli, den Podestà von Firenze, handele, der im Jahr 1321 Capitano del Popolo in Bologna wird. Unterstützt werde diese These von der Darstellung des Fulcieri da Calboli durch Dante selbst im Pg. XIV 58–66 als blutrünstiger Figur sowie durch die historischen Chroniken, die ihn ebenfalls als grausamen Herrscher darstellen. Ausführlicher geht sie dem in dem späteren Artikel „Il notariato bolognese, le Egloghe e il Polifemo dantesco. Nuove testimonianze manoscritte e una nuova lettura dell’ultima Egloga“ von 2016 nach.

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des Odysseus-Gefährten Achaemenides, der ebenfalls mitansah, wie seine Gefährten von dem Monster gerissen wurden und der bei dem Anblick selbst fast gestorben wäre. Alphesibeus schließt daraufhin mit der Bitte, Tityrus möge sein illustres Haupt nicht zwischen Rhenus und der Najade in Bologna einschließen lassen, sondern an seinem jetzigen Ort bleiben, an dem ihm bereits der Schnitter das Laub für den Lorbeerkranz bereite. Nachdem also Tityrus seine Furcht vor Polyphem kundtat, bestärkt Alphesibeus seine Vorbehalte. Er beharrt noch einmal auf der Ablehnung von Mopsus-Giovannis Einladung und stellt Tityrus eine alternative Krönung an seinem Ort in Aussicht.102 Die intertextuellen Bezüge, die Alphesibeus’ Rede dabei einerseits zur Commedia und dem Convivio, andererseits zu Vergils erster und vierter Ekloge aufweist, deuten dabei auf die ideologische Grundlage hin, die Dante bei seiner Dichterkrönung voraussetzt. „Quis Poliphemon“ ait „non horreat“ Alphesibeus „assuetum rictus humano sanguine tingui, tempore iam ex illo quando Galathea relicti Acidis heu miseri discerpere viscera vidit? Vix illa evasit: an vis valuisset amoris, effera dum rabies tanta perferbuit ira? Quid, quod Achemenides, sociorum cede cruentum tantum prospiciens, animam vix claudere quivit? A, mea vita, precor, nunquam tam dira voluptas te premat ut Rhenus et Nayas illa recludat hoc illustre caput, cui iam frondator in alta virgine perpetuas festinat cernere frondes!“.

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[IV 76–87]

Alphesibeus’ Rede ist ein abschließendes Plädoyer für die Schlechtigkeit von Mopsus’ Ort und ein letzter Einsatz dafür, dass Tityrus sich an seinem jetzigen Ort krönen lassen soll. Der Kyklop Polyphem erweist sich dabei als Schlüsselfigur, an der Dantes Kritik an Bologna als feindseliger Ort für den Dichter, aber auch allgemein die menschliche Gemeinschaft verständlich wird. Um seinen Gefährten zu überzeugen, nicht zu Mopsus-Giovanni zu gehen, zeichnet Alphesibeus ein grausiges Bild des dort hausenden Polyphem, dessen Rachen für gewöhnlich mit menschlichem Blut gefärbt sei (assuetum rictus humano sanguine tingui, IV 77). Zur Illustration dienen dem gelehrten Hirten erneut zwei Beispiele aus dem antiken Mythos, die Geschichte um Galatea und

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Albanese 2014, 1776 erkennt in Alphesibeus’ Rede die Stimme des Zirkels an Dichtern und Freunden, der Dante in Ravenna umgibt, die Tityrus-Dantes subjektive Furcht vor Polyphem objektiver bestätigen würden. Sie verkennt jedoch, dass Dante seine bukolische Fiktion von seiner historischen Realität in Ravenna löst und eigentlich einen Idealraum entwirft, der vor dem Hintergrund der ersten Ekloge Vergils zu lesen ist.

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Acis sowie um Achaemenides. Dante greift dabei auf die verschiedenen Polyphemepisoden zurück, die einerseits Vergil im dritten Buch der Aeneis und andererseits Ovid im 13. und 14. Buch der Metamorphosen vornehmen. Jedes der beiden exempla akzentuiert dabei verschiedene Aspekte der Gefahr, die von Polyphem an Mopsus’ Ort ausgehe. Wenn Alphesibeus zunächst an Galatea erinnert, die zusehen musste, wie Polyphem die Eingeweide ihres geliebten Acis zerriss (tempore iam ex illo quando Galathea relicti / Acidis heu miseri discerpere viscera vidit, IV 78 f.), steht eine Liebesverbindung im Zentrum der Erzählung, die unter Polyphem keinen Bestand haben könne.103 Alphesibeus fasst hier die grausige Episode zusammen, die in Ovids Metamorphosen die Meeresnymphe Galatea berichtet.104 Dort erzählt diese, wie sie den Acis liebt, jedoch von dem Kyklopen, der als Schafhirte in den Wäldern Siziliens lebt, begehrt und umworben wird. Sie stellt ihn als schreckliches Monster vor, vor dem die Wälder zurückschrecken und der die Götter verachtet. Ergriffen vor Begierde zu ihr habe der Kyklop jedoch sein Vieh vergessen und sich herausgeputzt. Er ließ sich auf einem Felsen nieder und spielt auf einer Flöte aus hundert Schilfrohren sein elegisches Lied um die Meeresnymphe. Darin warb er um sie, pries seine Höhle und die umgebende Landschaft, die ihr Annehmlichkeiten bereiten würde, seinen Reichtum an Schafen, Milch und Käse. Er forderte sie auf, seine Angebote nicht zu verachten, bat um ihr Mitleid und beteuerte ihr seine Verehrung. Daraufhin drohte er, ihrem Geliebten Acis die Eingeweide bei lebendigem Leibe herauszureißen, die Glieder zu zerstückeln und sie über Felder und Wogen zu streuen. Brüllend stürzte Polyphem los, sodass der ganze Ätna vor ihm erschrak. Während Galatea untertauchte, starb Acis durch einen Felsen, den der Kyklop warf, und wurde schließlich in einen Fluss verwandelt. In Dantes Brief fasst Alphesibeus den ausführlichen Bericht der Nymphe in zwei Versen zusammen (tempore iam ex illo quando Galathea relicti / Acidis heu miseri discerpere viscera vidi?, IV 78). Im Gegensatz zu Ovid stirbt Acis in Alphesibeus’ Wiedergabe nicht an dem geworfenen Felsen, sondern an den zerrissenen Eingeweiden, die Ovids Polyphem nur androht. Die körperlich konkrete Beschreibung des Hirten zeigt Polyphems Grausamkeit dabei besonders drastisch und dramatisch eindrücklicher als Ovid.105 Neben der Grausamkeit legt Alphesibeus bei der Rekapitulation des Mythos 103 Albanese 2014, 1777 verweist für die Formulierung auf Verg. Aen. I 623 sowie Verg. Ecl. I 29. 104 In Ov. Met. XIII 750–897 erkennt u. a. Albanese 2014, 1777 das Modell für die Episode um Galatea, Acis und Polpyhem. 105 Viscera viva traham divisaque membra per agros / perque tuas spargam (sic se tibi misceat!) undas (Ov. Met. XIII 866). Das Verb discerpere erinnert dabei an das vierte Buch der Georgica, wo es in ebenfalls äußerst verkürzter Form den grausamen Tod des Orpheus beschreibt, der von den verschmähten Thrakerinnen zerrissen wird (spretae Ciconum quo munere matres / inter sacra deum nocturnique orgia Bacchi / discerptum latos iuvenem sparsere per agros, Verg. Georg. IV 520–522). Ohne weiter zu deuten, weisen auf diese intertextuelle Parallele auch Brugnoli/Scarcia 1980, 91 hin. Darüber hinaus stellen die viscera einen intertextuellen Bezug zum zweiten Brief der Korrespondenz her, in dem Tityrus-Dante Mopsus’ von den Wassern des Helikon überquellenden Zustand beschrieb (vgl. II 31 f.). Während die Erwähnung der viscera dort einen grotesk-komischen Moment

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den Fokus auf die Beobachtung der Szene durch Galatea (vidit, IV 79). Die Meeresnymphe dient Alphesibeus als Augenzeugin der Grausamkeit des Polyphem. Aus dem eindrücklichen Beispiel zieht Alphesibeus daraufhin eine desillusionierte Konsequenz. In einer rhetorischen Frage mahnt er, dass selbst die Liebe machtlos sei, wenn so großer Zorn wilde Raserei anheizte (an vis valuisset amoris, / effera dum rabies tanta perferbuit ira?, IV 80 f.). Die Doppelung des ferus in effera und in perferbuit hebt dabei die tierische Wildheit von Polyphems Zorns hervor, die die Suffixe ef- und per- weiter verstärken.106 Die mahnende Schlussfolgerung fordert Tityrus auf, aus Galateas Fall eine Analogie zu seiner Situation zu ziehen. Zentral ist dabei die angesichts Polyphems rasender Gewalt kraftlose Liebe. Denn auch Tityrus erwog ja, aus Liebe an Mopsus’ Ort zu gehen. Er sprach von seinem amor zu den Musen, den er mit Mopsus teilen würde (vgl. IV 65) und der ihn sogar dazu bewegen würde, Mopsus’ kargen Ort zu besuchen (vgl. IV 73–75). Alphesibeus’ Warnung suggeriert nun, das fürchterliche Ende der Liebe zwischen Galatea und Acis auf Tityrus’ und Mopsus’ Liebe zu den Musen zu übertragen. So könne auch deren intellektuelle Liebe zu den Musen unter Polyphem keinen Bestand haben wie diejenige zwischen Acis und Galatea. Der Dichter Tityrus würde wie Acis dem grausamen Kyklopen zum Opfer fallen. Seiner Muse würde wie Galatea nichts übrig bleiben, als den Tod ihres Dichters zu beweinen. Der Galateamythos hat somit als Analogie zu der Situation des Dichters eine warnende Funktion in Alphesibeus’ Rede und knüpft darin an die vorangehenden exempla um Midas und Pyreneus an. Die Analogie des Polyphem-exemplum zu Tityrus’ Situation ist dabei direkter, die warnende Wirkung dadurch noch expliziter. Darüber hinaus illustriert Alphesibeus mit dem exemplum nicht nur seine Furcht um Tityrus und die Bedrohung, die er für den Dichter unter Polyphems Schreckensherrschaft erkennt. Auch die Verwunderung, die er anfangs gegenüber Mopsus geäußert hatte, wird nun nachvollziehbar. Alphesibeus fragte sich ja, wie sich Mopsus im Gegensatz zu allen anderen Lebewesen an einem Ort aufhalten könne, der nicht seinem Wesen entspreche (vgl. IV 16–27). Der Widerspruch zwischen Mopsus und den Kyklopenfelsen erklärt sich anhand der Galatea-Episode. Denn die Warnung, Polyphem würde jegliche Liebe zerstören, muss auch für Mopsus gelten, der ja wie Tityrus in Liebe mit den Musen verbunden ist (vgl. IV 65). Wenn Mopsus sich an den Kyklopenfelsen aufhält, lebt er folglich an einem Ort, wo eine solche Liebe gar nicht existieren kann. Alphesibeus’ Verwunderung über Mopsus begründet sich somit nicht nur in einem allgemeinen Staunen darüber, wie der Hirte eine so karge Umgebung wählen kann, sondern beherstellte, ist es hier Teil eines gewalttätigen Szenarios. Das Register, in dem Dante das Ambiente um Mopsus beschreibt, wechselt folglich in der vierten Epistel zu einem ernsthaft-bedrohlichen Ton. 106 Brugnoli/Scarcia 1980, 92 weisen auf Verg. Georg. I 471–473 hin. Dort fällt das Verb effervere ebenfalls im Zusammenhang mit den Kyklopen, die im Ätna hausen (quotiens Cyclopum effervere in agros / vidimus undantem ruptis fornacibus Aetnam, / flammarumque globos liquefactaque volvere saxa).

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zieht sich auch auf Mopsus’ Existenz als Dichter. Denn ein Dichter, der sich an einem Ort aufhält, an dem er für seine Liebe zur Dichtung den Zorn einer herrschenden Macht fürchten muss, lebt entgegen seinem Wesen.107 Mit dem Mythos um Polyphem und Galatea warnt Alphesibeus Tityrus also noch einmal ausdrücklich vor Mopsus’ Einladung und weist dessen Ort als eine feindliche Umgebung für die Liebe zwischen Menschen sowie zwischen Dichter und Muse aus. Dennoch hat Alphesibeus offensichtlich seinen Standpunkt verändert. Denn den falsus favor, den er Mopsus noch durch seinen Midasvergleich vorwarf, erwähnt er nun nicht mehr. Er kritisiert nicht Mopsus als Urheber einer hinterlistigen Einladung, sondern warnt vor den herrschenden Bedingungen an dessen Ort. Dennoch bleibt in Alphesibeus’ exemplum ein impliziter Verweis auf Giovannis Brief erhalten. Darin hatte der Gelehrte ja sein Alter Ego um Tityrus-Dante werben lassen und gestaltete dies nach dem Modell von Vergils zweiter Ekloge, in der der Hirte Corydon elegisch nach Alexis ruft. Neben der zweiten Ekloge Vergils weist jedoch auch das Lied des ovidischen Polyphem um Galatea, auf das Alphesibeus’ exemplum anspielt, Parallelen zu Mopsus-Giovannis Werbung auf. So finden sich die gleichen Motive in Polyphems Werbung bei Ovid wie in dem elegischen Gesang, mit dem Mopsus-Giovanni im dritten Brief um Tityrus buhlt: Beide, Mopsus und der ovidische Polyphem, erscheinen als Hirten, die ihre Pflicht zugunsten ihres Liebesgesangs hintanstellen. Wie Mopsus preist Polyphem zudem die Vorzüge seiner Höhle, die Galatea zur Verfügung stünden. Auch die Bitte, ihn nicht zu verachten, erinnert an Mopsus-Giovanni, der Tityrus-Dante beschwor, seine Reiche nicht zu verachten.108

107 Vor dem Hintergrund dieser Deutung scheint die Wahl des Verbs discerpere (IV 79) umso interessanter, das in Vergils Georgica den Tod des Dichters Orpheus beschreibt (siehe Fußnote V 105). Ein bewusster Zusammenhang zwischen Orpheus und den Dichtern Tityrus und Mopsus liegt an dieser Stelle nahe. 108 Auch Polyphem umwirbt Galatea in der ovidischen Fassung mit einer süßen Melodie. Er wird dort ebenfalls als Hirte vorgestellt, der aus Liebessehnsucht seine Pflichten vernachlässigt, sodass sein Vieh ihm ohne seine Aufsicht folgt (Ov. Met. XIII 781). Stattdessen fertigt er aus Schilf eine Flöte und lädt das Objekt seiner Begierde zu sich ein (ibid. 784 f.). Unter denselben Voraussetzungen beginnt auch Mopsus im dritten Brief sein Spiel. Auch er kümmert sich nicht um sein Vieh (III 4), sondern fertigt sein Flötenrohr (III 9 f.). Ähnlich wie bei Ovid aus Polyphems Flöte pastoria sibila (Ov. Met. XIII 785) hervorkommen, fällt der Begriff des sibilus (III 17) als Träger des Flötengesangs auch in der dritten Epistel. Hier ist es der Wind, der Tityrus’ Spiel zu Mopsus herüberträgt. Auch inhaltlich finden sich signifikante Entsprechungen zwischen der Werbung des Polpyhem und der des Mopsus. So preist Mopsus seine Höhle an (III 47 f.). Auch Polyphem bietet seine Höhle feil, die winters wie sommers angenehme Bedingungen biete (Ov. Met. XIII 810–812). Mopsus wie Polyphem locken ihren Adressaten zudem mit Geschenken und Diensten, die sie an ihrem Ort erwarten würden. Mopsus’ Aussage, dass es Tityrus an keiner Wonne mangeln werde (III 66), entspricht Polyphems Versprechen von Vergnügungen und Geschenken an Galatea (Ov. Met. XIII 831 f.). Schließlich entspricht Mopsus’ Aufforderung, Tityrus möge seine Reiche nicht verachten (III 77), Polyphems Bitte, Galatea möge seine Geschenke nicht verachten (Ov. Met. XIII 839). Polyphems Werbung endet bekanntermaßen darin, dass dieser zu wüten anfängt und sein eifersüchtiger Ausbruch seine eigentlich herrschsüchtigen Motive offenbart. In dieser

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Alphesibeus’ exemplum suggeriert folglich Parallelen zwischen Polyphems und Mopsus-Giovannis elegischen Gesängen. In dieser intertextuellen Anspielung wird eine raffinierte Strategie offenbar, mit der Dante Giovannis elegische Werbung aus der dritten Epistel reinszeniert und damit dessen Aussage umdeutet. Denn Dante funktionalisiert hier eine eigentlich antike Intertextualität, um die bukolische Allegorie der poetologischen Korrespondenz nach seiner Auffassung umzugestalten. So steht schon Polyphems Werbung um Galatea in Ovids Metamorphosen in enger intertextueller Anlehnung an die Werbung des Corydon um Alexis in Vergils zweiter Ekloge, die ja das wesentliche Modell für Giovannis dritten Brief darstellte.109 Wenn Alphesibeus nun Mopsus-Giovannis Elegie mit Polyphems Werbung um Galatea assoziiert, führt Dante folglich Giovannis Inszenierung auf einen anderen antiken Hypotext zurück. Damit bewirkt er eine andere Perspektivierung von dessen elegischer Werbung. Denn Giovanni diente der vergilische Hypotext zur Unterstützung seiner Einladung an Tityrus. Die Werbung des ovidischen Polyphem hingegen, auf den Dante Giovannis Text zurückführt, entspricht zwar formal der Elegie des vergilischen Corydon, kontrastiert diese aber in grausig destruktiver Weise. Denn während Corydon typisch elegisch um seinen Geliebten Alexis trauert und am Ende seine Hoffnung aufgibt, pervertiert Polyphem das Prinzip der elegischen Werbung. Schon seine monströse Art will nicht zu der Nymphe Galatea passen und entsprechend endet die Elegie auch nicht in dem desillusionierten Rückzug des Liebhabers, sondern auf die Art des Kyklopen in dem Massaker an Galateas Liebhaber Acis. Die Vertauschung des antiken Hypotextes für Giovannis Werbung ermöglicht Dante nun, die elegische Werbung und die liebliche Gegend, die dieser ihm im dritten Brief in Aussicht stellte, als falsch zu entlarven und Bologna vielmehr als karges, von Ungeheuern beherrschtes Land darzustellen. Zugleich entlastet er jedoch Giovanni von dem direkten Vorwurf einer schlechten Absicht. Denn Dante verlegt mit dieser Reinszenierung die Verantwortung der ungünstigen Verhältnisse von Mopsus auf Polyphem. Damit hebt er den Streit um den Dichter und seinen Ort von der persönlichen Ebene, auf der Giovanni sie mit seiner Einladung problematisierte, auf eine politische. süßen Werbung, die grundsätzlich schlechte Motive und ihre grausigen Konsequenzen verbirgt, lässt sich der falsus favor wiederfinden, den Alphesibeus hinter Mopsus’ süßer einladender Melodie an Tityrus vermutete (IV 55). Wenngleich Alphesibeus Polyphems Werbung nicht wörtlich wiedergibt, sind die Ähnlichkeiten zwischen dessen Worten in der ovidischen Episode, auf die Alphesibeus anspielt, und Mopsus’ Werbung an Tityrus im dritten Brief doch so offensichtlich, dass von einem impliziten Hinweis auszugehen ist, den Dante hier vornimmt. 109 Diese Intertextualität der antiken Hypotexte begründet sich dabei wiederum in Vergils Vorlage. Denn dieser gestaltete seine zweite Ekloge nach dem Vorbild der theokritischen Bukolik. Dort erscheint ebenfalls der elegische Gesang Polyphems um Galatea. Diese theokritische Vorlage für Vergils zweite Ekloge konnte Dante jedoch nicht kennen. Zu den Bezügen zwischen Cordyons Gesang bei Vergil und Polyphems Gesang bei Theokrit siehe Coleman 1977, 91–109. Zu den Bezügen von Ovids Episode um Galatea und Polyphem zur zweiten Ekloge Vergils siehe Bömer 1982, 419–444 zum 13. Buch der Metamorphosen.

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Denn Dantes Vorbehalte begründen sich nicht in einer Aversion gegen Mopsus-Giovanni, sondern gegen eine herrschende Figur, die an dessen Ort für ein feindseliges Klima sorge. Die Figur des Polyphem dient Dante somit dazu, Mopsus-Giovannis elegisch stilisierte Einladung zu parodieren und zugleich auf die politischen Missstände hinzuweisen, die er an Bologna kritisiert. Die politischen Implikationen der Polyphemfigur hebt daraufhin Alphesibeus’ zweites exemplum (IV 82 f.) hervor. So nennt der Hirte nach Galatea Achaemenides als zweiten Augenzeugen für die Grausamkeit des Polyphem. Dieser ist erneut aus Ovids Metamorphosen bekannt und erscheint auch im dritten Buch der Aeneis. Laut dem Mythos war der Grieche einst ein Gefährte des Odysseus, der mit seinen Männern auf der Insel des Kyklopen landete. Nachdem Polyphem die Mannschaft dezimierte, gelang den übrigen die Flucht. Achaemenides, der das schreckliche Morden an seinen Gefährten miterlebte, blieb jedoch auf der Kyklopeninsel zurück.110 Alphesibeus beschreibt den Griechen nun, wie er den vom Blut seiner Gefährten verschmierten Polyphem erblickt und dabei vor Schreck selbst fast stirbt (Quid, quod Achemenides, sociorum cede cruentum / tantum prospiciens, animam vix claudere quivit?, IV 82 f.).111 Im Vergleich zur Galateaepisode verschiebt sich in diesem exemplum der inhaltliche Fokus von der speziellen Liebe, die Polyphems Grausamkeit zum Opfer fällt, zur allgemeineren Form der menschlichen Gemeinschaft, die durch den Kyklopen zerstört wird. Achaemenides leidet unter den socii, die Polyphem vor seinen Augen verschlingt. So sorgt Polyphems herrische Anwesenheit dafür, dass kein sozialer Frieden existieren kann. Beide Beispiele illustrieren also Polyphems Grausamkeit. Sie zeigen den Kyklopen einerseits als Bedrohung für den Dichter und seine Liebe zu den Musen, andererseits für eine in Frieden lebende Gemeinschaft.112 Alphesibeus präsentiert Mopsus’ Ort folglich mithilfe seiner exempla sowohl in persönlicher als auch in politischer Hinsicht als unwirtlich. Die ganze Tragweite des Kyklopen zeigt sich jedoch, liest man seine Figur unter den theologischen Voraus110 111

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Achaemenides’ Bericht über sein erlebtes Leid findet sich bei Verg. Aen. III 612–654, zudem bei Ov. Met. XIV 167–222. Vgl. u. a. Albanese 2014, 1778. Sowohl in Ovids Metamorphosen als auch Vergils Aeneis ist Achaemenides’ Schilderung des Mordes an seinen Gefährten besonders grausam. Ähnliche Formulierungen finden sich auch in den Versionen Ovids und Vergils. Im dritten Buch der Aeneis lässt Vergil Achaemenides die Trojaner bitten, dass sie ihm doch lieber das Leben nehmen sollten, bevor es der Kyklop tut (vos animam hanc potius quocumque absumite leto, Verg. Aen. III 654). Bei Ovid spricht der Grieche von seiner Dankbarkeit, dass seine Seele nicht im Rachen des Kyklopen endete und verwendet ebenfalls den Begriff der anima (quod non anima haec Cyclopis in ora / venit, Ov. Met. XIV 174 f.). Einseitig politische Deutungen, wie sie u. a. Scolari 1965 vornimmt, greifen jedoch zu kurz, da sie die enge Abhängigkeit verkennen, in die Dante Politik und Dichtung stellt. Rein autobiographische Deutungen, die in Achaemenides Dantes Schicksal erkennen wollen, müssen ebenfalls zu kurz greifen, da sie nicht das rhetorische Anliegen der Epistel berücksichtigen. Dante sucht hier primär nicht sein eigenes, individuelles Leiden darzustellen, sondern seine Existenz als Dichter innerhalb der christlichen Gemeinschaft, die politisch in fatal falsche Richtung geht und daher auch ihm als Dichter nicht die gebührende Anerkennung zollt.

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setzungen, die Dante in Commedia und Convivio darlegt. Vor diesem Wertehorizont erschließt sich die gesellschaftspolitische Stellungnahme, die Dante in seiner Epistel gegenüber Giovanni del Virgilio äußert und in der er seine Definition des Dichters verankert. Betrachtet man Polyphems Rolle innerhalb der bukolischen Fiktion, bleibt festzuhalten, dass er als gefährliches Ungeheuer erscheint, das, von negativen Affekten wie Zorn und Raserei geleitet, am Ätna bzw. in Bologna herrscht und jede Form der individuellen Liebe und Gemeinschaft unterbindet. So unterdrückt er die Menschen und herrscht als grausamer Tyrann. Bemerkenswert ist zunächst seine unmenschliche Natur. Mit Polyphem integriert Dante ein Wesen in die bukolische Fiktion, das einerseits als blutrünstiges Ungeheuer den Mikrokosmos der Hirten sprengt, andererseits doch in die bukolische Welt passt. Denn sowohl Vergil als auch Ovid stellen den Kyklopen als Hirten vor, der mitunter von seinen Hirtenpflichten absieht und zur Rohrflöte greift, wie es auch Tityrus, Alphesibeus, Melibeus und Mopsus tun.113 Der Kyklop ist folglich quasi einer von ihnen. Ihn unterscheidet nur seine nicht menschliche und grausame Kyklopennatur. Um Polyphems Funktion in Dantes bukolischer Allegorie zu verstehen, bietet zunächst die Commedia eine Orientierung, in der sich ähnliche Figuren finden lassen. So wird in Purgatorio XIV Fulcieri da Calboli als ein Beispiel der schändlichen Tyrannen angeführt, die die Städte Italiens mit ihrer laut Dante verkehrten Politik beherrschen und damit auch für sein Exil verantwortlich sind.114 Da Calboli, der zeitweise als guelfischer Capitano del Popolo in Bologna wirkt, wird als grausamer Herrscher beschrieben, dessen Führung materielle und moralische Schäden in seiner Stadt anrichtet und die Aussöhnung der verschiedenen papst- und kaisertreuen Interessengruppen und somit einen politischen Frieden unmöglich macht. Zur Illustration vergleicht ihn der Sprecher mit einem blutigen Raubtier.115 Sowohl motivisch als auch durch sein 113

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So erblickt ihn in der Aeneis Aeneas nach der Rede des Achaemenides und beschreibt ihn als schreckliches schwerfälliges Ungeheuer zwischen seinen Schafen, den Hirten Polyphem (pastorem Polyphemum, Verg. Aen. III 657). Auch in der Galatea-Episode Ovids wird er als Hirte vorgestellt, der aufgrund seiner Liebe zu Galatea seine Hütepflichten vernachlässigt und zur Flöte greift (Ov. Met. XIII 781–786). Vgl. u. a. Albanese 2014, 1776. Fulcieri da Calbolis politische Karriere fasst Anna Maria Chiavacci Leonardi zu II 14, 58 zusammen: „Fulcieri da Calboli […] ricoprì, come altri signorotti della Romagna, vari incarichi pubblici nelle città comunali: fu podestà e capitano del popolo a Milano, Parma, Modena e Bologna. Ma la sua fama è legata alla podesteria tenuta in Firenze nel primo e secondo semestre del 1303, durante la quale continuò con maggior ferocia, al servizio della Parte nera, le persecuzioni contro i Bianchi iniziate nel 1302 da Cante dei Gabrielli (il responsabile dell’esilio di Dante) e Gherardino da Gambara. Il Villani lo presenta come „uomo feroce e crudele, a posta de’ caporali di parte Nera“, e descrive le molte condanne e le atroci pene da lui inflitte agli avversari, „onde grande turbazione n’ebbe la città, e poi ne seguì molti mali e scandali (VIII, LIX)“.“ Io veggio tuo nepote che diventa / cacciator di quei lupi in su la riva / del fiero fiume, e tutti li sgomenta. / Vende la carne loro essendo viva; / poscia li ancide come antica belva; / molti di vita e sé di pregio priva. / Sanguinoso esce de la trista selva; / lasciala tal, che di qui a mille anni / ne lo stato primaio non si

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politisch feindliches Verhältnis zu Dante bietet sich Fulcieri da Calboli als passendes Pendant zu dem bukolischen Polyphem an, der ja ebenfalls blutig in Bologna herrscht und eine Dante feindliche Politik verfolgt. Doch wie schon im Fall der Hirtenfiguren Melibeus und Alphesibeus führt es weiter, Polyphem nicht konkret zu identifizieren. So erscheint Polyphem zwar als tyrannischer Herrscher, der Bologna im Griff hat. Als Kyklop ist er jedoch einer unter vielen.116 Entsprechend ist für die Interpretation der bukolischen Allegorie weniger eine individuelle Identifikation interessant als seine Deutung als ein grausamer Herrscher unter vielen. Auch dafür lassen sich in der Commedia aufschlussreiche Parallelen finden. Denn dass ein grausamer Herrscher nicht als Mensch, sondern als Bestie dargestellt wird, entspricht den allgemeinen theologischen Maximen der Commedia. So ist die bestialità neben der malitia und der incontinentia eine der moralischen Kategorien, nach denen das Inferno eingeteilt ist. Basierend auf Aristoteles’ Nikomachischer Ethik und deren christlicher Auslegung durch Thomas von Aquin kennzeichnet die bestialità diejenigen Menschen, die ihre Menschlichkeit verloren haben und sich so zum Tier degradieren.117 In der Commedia findet dies in unterschiedlichen Phänomenen und Kontexten seinen Niederschlag. So sind im Inferno ein tierischer Körper und tierisches Verhalten Zeichen einer fehlenden ratio, die in unterschiedlichen sündhaften Eigenschaften resultiert.118 Eine bedeutsame Parallele zu der Figur Polyphems in Dantes bukolischer

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rinselva (Pg. XIV 58–66). Chiavacci Leonardi zu II 14, 66 kommentiert die Allegorie der Bestie, die den Wald unwiederbringlich zerstört, als die politischen Verfolgungen des Fulciero da Calboli, die eine Wiederaussöhnung der beiden Parteiungen (zwischen den weißen und schwarzen Guelfen der Stadt Florenz) unmöglich machten. Es meine die irreparablen Schäden, die die Stadt materiell und moralisch erlitten hatte. In der Aeneis warnt Achaemenides die Trojaner dementsprechend, zu fliehen, da eben nicht nur Polyphem, sondern noch viele andere seiner Art auf der Insel hausen (Verg. Aen. III 639–644), und auch in Dantes Epistel spricht Alphesibeus nicht nur von Polyphem, sondern stets von den Felsen der Kyklopen im Plural (vgl. III 27). Anceschi 1970 fasst die bestialitade bei Aristoteles und Thomas von Aquin zusammen, auf deren Basis sie Dante u. a. in die Prophezeiung Cacciaguidas einfließen lässt: „Nei testi aristotelici e tomistici […] è comunque evidente che b. comporta assenza o ottundimento della ragione, un’assenza che riduce l’uomo ‚amens‘ e quindi simile alla bestia. Perciò la b. è matta, in quanto […] denota sì un atteggiamento malvagio, ma che travalica i limiti della natura umana e che sfugge al suo principio regolatore, l’intelletto.“ Dies betrifft sowohl Höllenpersonal als auch Sünder in der Hölle wie z. B. den Dieb Vanni Fucci, der sich seines tierischen, nicht menschlichen Lebens rühmt (Vita bestial mi piacque e non umana, / sì come a mul ch’i’fui; son Vanni Fucci / bestia, Dante Inf. XXIV 124–126). Dass noch im Purgatorio die unmenschlich Sündigen mit tierischen Bestien verglichen werden, zeigte das Beispiel Fulcieri da Calbolis aus Canto XIV 58–66. Der Höllenrichter Minos knurrt und hat einen Schwanz, mit dem er die Sünder auf die Kreise verteilt, und ähnelt auf diese Weise einem Tier (Dante Inf. V 4–12). Cerbero, der Hüter des dritten Höllenkreises, ist in seiner hässlichen tierischen Art gezeichnet mit den drei Mäulern, aus denen er hündisch bellt, mit roten Augen, fettig-schmutzigem Bart, aufgequollenem Bauch und reißenden Krallen. Er quält die Sünder, die im Regen des Höllenkreises auch wie Hunde heulen. So zeigen auch sie ihre tierische Art (ibid. VI 13–19). Besonders deutlich wird der Zusammenhang mit der tierischen Optik und der moralischen Monstrosität bei Geryon,

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Epistel besteht zudem in Paradiso XIX. Der Gesang beginnt mit dem Lob der paradiesischen Gerechtigkeit, dem schließlich eine Klage über den gegenteiligen Zustand auf Erden gegenübergestellt wird. ‚Dante‘ erfährt dort über die Schlechtigkeit der europäischen Herrscherklasse, die eine unmoralische, menschenunwürdige Politik führt und damit die göttliche Gerechtigkeit auf Erden nicht einsetzt, sondern verhindert. Explizit wird der letzte König der Aufzählung als bestia bezeichnet (Par. XIX 146–148). Die Bestialität ist somit kein Alleinstellungsmerkmal Fulciero da Calbolis, sondern prägt laut Dante die Riege der politischen Machthaber in Italien und Europa insgesamt. In diese Darstellung fügt sich nun Dantes bukolische Inszenierung. Die Kyklopen lesen sich als antikisierende Allegorie dieser bestialischen Persönlichkeiten. Polyphem in Bologna ist einer derjenigen, die die Politik auf Erden mit ihrer irrationalen Machtausübung ins Verderben stürzen, und damit vor allem als Typus des unmoralischen, gottlosen Herrschers zu verstehen. Der theoretische Hintergrund zur bestialità, der bezüglich der bestialischen Herrscherfigur aufschlussreiche Hinweise bietet, ergibt sich zudem erneut aus dem Convivio. Darin charakterisiert Dante, wie bereits genannt, die menschliche Seele in Abgrenzung zur pflanzlichen Existenz, die über das vegetative Vermögen verfügt, und zum Tier, das über das vegetative und sensitive Vermögen verfügt. Der Mensch besitzt zusätzlich das intellektive Vermögen, die Vernunft, und hat dadurch Teil an der göttlichen Natur. In diesem vernüftigen Vermögen werden die Liebe zu Wahrheit und Tugend geweckt.119 Die Tugenden, die aus diesem göttlichen Teil der menschlichen Seele entstehen, nennt Dante den Geist (mente).120 Dieser ist dem Menschen jedoch nicht bedingungslos eigen. Denn handelt er seinem rationalen Vermögen zuwider und dem Monster, das ‚Dante‘ und Vergil vom siebenten Höllenkreis der Gewalt zum achten Kreis des Betrugs transportiert. ‚Dante‘ beschreibt, dass er noch den ehrlichen Kopf eines Menschen habe, dann aber in den Körper einer Schlange übergehe, schließlich mit Pranken und Behaarung und dem Schwanz eines Skorpions. So nennt ‚Dante‘ ihn das imagine di froda, das Abbild des Betrugs (ibid. XVII 7–13). Gleich zu Beginn nennt ihn Vergil la fiera con la coda aguzza (ibid. XVII 1). Das Substantiv fiera erinnert an Dantes Darstellung Polyphems in seiner effera rabies (IV 81). Auf diese Stellen verweist größtenteils Anceschi 1970. Im Paradiso verwendet ‚Dantes‘ Urahn Cacciaguida den Begriff in seiner düsteren Prophezeiung von dessen Zukunft im Exil. So spricht er von der bestialitate seiner Mitverbannten, von denen ‚Dante‘ sich absondern solle und meint damit deren Verhalten, das der menschlichen ratio widerspricht (Di sua bestialitate il suo processo / farà la prova; sì ch’a te fia bello / averti fatta parte per te stesso, Par. XVII 67–69). U. a. Albanese 2014, 1776 f. sieht die Notwendigkeit, den vierten Brief vor dem Hintergrund der Prophezeiung Cacciaguidas in Par. XVII zu lesen. Sie verkennt jedoch, dass Dante in der Ekloge nicht seine schweren Bedingungen im Exil bedauert, sondern dass es sich um einen idealen und fiktionalen Entwurf handelt, in der er die Situation genießt, die er sich in Par. XXV wünscht, nämlich für seine Commedia in seiner Heimat Anerkennung zu erhalten, worin sich auch beweist, dass die politischen Zustände nach der göttlichen Ordnung auf Erden wiederhergestellt wurden. 119 Dante Conv. III 2, 14; IV 7, 11. E per la quinta e ultima natura, cioè vera umana o meglio dicendo, angelica, cioè razionale, ha l’uomo amore alla veritade e alla vertude (Conv. III 2, 11). 120 […] è una vertù che si chiama scientifica, e una che si chiama ragionativa o vero cosigliativa; e […] la vertù inventiva e [la] giudicativa. E tutte queste nobilissime vertudi, e l’altre che sono in quella eccellentissima

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lässt sich von anderen Beweggründen leiten, verliert er seine Menschlichkeit und wird zum „Ding mit einer wahrnehmenden Seele, d. h. ein Stück Vieh“, das nur noch einer sensitiven, tierischen, nicht mehr der intellektiven Liebe folgt.121 In diesen Ausführungen findet auch Polyphem seine theoretische Begründung. Denn den Kyklopen kennzeichnen Zorn und Raserei (vgl. IV 81). Er ist optisch und affektiv als Bestie gezeichnet, dem jede Beherrschung der sensitiven, tierischen Liebe durch das intellektive, menschlich-göttliche Vermögen der Vernunft fehlt.122 Polyphem ist folglich einerseits ein Hirte wie Tityrus, Mopsus, Alphesibeus und Melibeus. Wie sie ist er Teil der bukolischen Welt, die den niedrigen Status der irdischen Existenz spiegelt. Aufgrund seines mangelnden rationalen Vermögens erscheint er jedoch nicht als Mensch, sondern als gefährliche Bestie, unter der die Menschen leiden.123 So wird Polyphem innerhalb der bukolischen Fiktion zur Allegorie des politischen Machthabers, der seine menschliche ratio verloren hat und dessen Politik somit der Lenkung durch die rationale Liebe zur göttlichen Wahrheit entbehrt. Als Typus des unmoralischen Herrschers erfüllt er nun die Rolle, die Midas und Pyreneus bereits vorwegnahmen, in der tatsächlichen Realität der Hirtenwelt. Die Figur des Polyphem ist in Dantes Epistel somit in zweifacher Hinsicht motiviert. Zum einen dient er Dante durch den ovidischen Polyphem-Galatea-Mythos als eine intertextuelle Folie, um Giovannis elegischen Ruf aus dem dritten Brief zu persiflieren und damit dessen Einladung als falsche Versprechung auszuschlagen. Zum anderen trifft Dante eine politische Stellungnahme, wenn er Giovannis Ort von Polyphem beherrschen lässt. Denn der Kyklop erscheint als antike Chiffre des pervertier-

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potenzia, sì chiama insieme con questo vocabolo, del quale si volea sapere che fosse, cioè mente. Per che è manifesto che per mente s’intende questa ultima e nobilissima parte dell’anima (Dante Conv. III 2, 15 f.). Auch das vegetative und das sensitive Vermögen der Seele, die der Mensch mit Pflanzen und Tieren gemeinsam hat, folgt einer Liebe. So folgt beispielsweise das sensitive Vermögen der Liebe zu denjenigen Dingen, die mit den irdischen Sinnen wahrnehmbar sind. Diese habe laut Dante auch eine besonders starke Macht im Menschen: E per la natura quarta, delli animali, cioè sensitiva, ha l’uomo altro amore, per loquale ama secondo la sensibile apparenza, sì come bestia; e questo amore nell’uomo massimamente ha mestiere di rettore per la sua soperchievole operazione, nello diletto massimamente del gusto o del tatto (Conv. III 3, 10). Zügelt der Mensch diese tierische Liebe nicht zugunsten seiner rationalen Liebe, wird er zum Tier (così levando l’ultima potenza dell’anima, cioè la ragione, non rimane più uomo, ma cosa con anima sensitiva solamente, cioè animale bruto, Conv. IV 7, 15). Albanese 2014, 1789 verweist für das Adjektiv ferus auf Parallelstellen in Vergils Aeneis. Dort stehen die Begriffe um das Lexem ferus stets auch in Verbindung mit einem irrationalen Wahn. Beispielsweise im Rasen der Sibylle (Verg. Aen. VI 49) oder im Zusammenhang mit dem Tyrannen Mezzentius (ibid. VIII 483 f.). Polyphem und die Kyklopen, denen die mens als edelster Teil der menschlichen Seele fehlt, sind auch in der Epistel indirekt als unmenschlich deklariert. Denn von der menschlichen Eigenheit spricht Alphesibeus in seinen ersten gesprochenen Versen, wenn er die Geister der Menschen beschreibt, die zu den Sternen zurückgetragen werden, woher sie kommen und die menschlichen Körper auf sich nehmen („Quod mentes hominum“ fabatur „ad astra ferantur / unde fuere, nove cum corpora nostra subirent, IV 16 f.). Mopsus, dem als Mensch diese Eigenschaft eigentlich zukommt, lebt zudem bei den Kyklopen an einem Ort, der seinem Wesen nicht entspricht.

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ten und damit von der göttlichen Wahrheit entfernten, sündhaften Herrschers, der die Gemeinschaft der Menschen durch seine verfehlte Politik um ihre irdische Glückseligkeit bringt. Dass Dante einen genauen Bezug zu einer historischen Figur offenlässt, deutet darauf hin, dass er in Polyphem den allgemeinen Missstand einer bestialischen Machtstruktur des irdischen Diesseits figürlich darstellt, der eben auch in Bologna herrscht. Denn wie insbesondere aus Monarchia und Commedia hervorgeht, ist die Vorherrschaft einer derartig pervertierten Politik ein Phänomen, das Dante nicht nur in Bologna erkennt, sondern als grundsätzlichen politischen Missstand seiner Zeit ansieht. Dies hat nun auch Konsequenzen für Dante selbst, der ja in seinen bukolischen Episteln den Anspruch auf die Identität des christlichen Dichterpropheten erhebt. Es leuchtet bereits ein, dass Dante an einem Ort wie Bologna, in dem eine Politik wider der göttlichen Ordnung geführt wird, als poetischer Verkünder der göttlichen Wahrheit nicht friedlich leben und dichten kann. Vielmehr liegt es nahe, dass seine göttliche Botschaft nicht nur nicht erhört, sondern er zudem der Missgunst und Machtgier des verfehlten Herrschers zum Opfer fallen würde. Entsprechend schlägt Alphesibeus nun im Anschluss an seine beiden exempla die Krönung an seinem jetzigen Ort als angemessene Alternative für den Dichterpropheten Tityrus-Dante vor. Nachdem er die widrigen Machtverhältnisse an Mopsus’ Ort gezeichnet hat, schließt er mit der Bitte, Tityrus möge nicht der wilden Lust nachgeben und sich zwischen Reno und Najade einschließen lassen. Er solle an seinem Ort bleiben, an dem sich bereits ein Schnitter beeile, in der Höhe des jungfräulichen Lorbeer das ewige Laub zu sammeln (A, mea vita, precor, nunquam tam dira voluptas / te premat ut Rhenus et Nayas illa recludat / hoc illustre caput, cui iam frondator in alta / virgine perpetuas festinat cernere frondes!, IV 84–87). Alphesibeus’ Schlusswort stellt Mopsus’ grausiger Kyklopenhöhle Bologna noch einmal Tityrus’ idealen Aufenthaltsort gegenüber. Dabei sind es erneut die intertextuellen Verflechtungen aus Vergils erster und vierter Ekloge sowie der Commedia, vor deren Hintergrund sich Dantes Stellungnahme ergibt. So wird nicht nur der ideologische Unterschied zwischen Tityrus’ Ort und Mopsus’ Kyklopenhöhle erkennbar, sondern auch die unterschiedliche Bedeutung einer Lorbeerkrönung an dem jeweiligen Ort. Mit seiner pathetischen Apostrophe a, mea vita, precor (IV 84) leitet Alphesibeus erneut ein elegisches Register ein, das Tityrus seiner Liebe versichert.124 Nachdem er zuvor die Kyklopenhöhle als einen Ort beschrieben hatte, an der keine Liebe möglich ist (vgl. IV 78–81), steht seine liebevolle Zuneigung in Kontrast zu den grausigen Bedingungen an Mopsus’ Ort. Entsprechend polemisiert Alphesibeus, dass nur eine grauenvolle Lust an diesen Ort drängen würde (dira voluptas / te premat, IV 84 f.), der Tityrus nicht anheim fallen solle. Erneut wird in Alphesibeus’ Rede eine Umkehrung

124 U. a. Albanese 2014, 1778 verweist hier auf Catull. 45, 13; 109, 1; Prop. II 3, 23; II 20, 11; Ov. Am. II 15, 21.

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Dante an Giovanni del Virgilio

von Mopsus’ Werbung im dritten Brief erkennbar. Der stellte Tityrus einen Lorbeerkranz in Aussicht und lockte ihn mit endloser Wonne an seinen Ort (serta parata tibi. Nulla est cessura voluptas, IV 66). Alphesibeus entlarvt diese nun als dira voluptas (IV 84), die die bestialische Liebe des Polyphem zu Galatea evoziert.125 Dieser pervertierten Liebe stellt Alphesibeus implizit seine eigene gegenüber. Auch in seiner metonymischen Umschreibung von Mopsus’ Ort zitiert Alphesibeus Mopsus-Giovannis liebliche Beschreibung und kehrt diese ins Negative. Denn der hatte zu Beginn des dritten Briefes Bologna in einer amönen Metonymie zwischen der Flussnymphe Sarpina und dem Reno lokalisiert (vgl. III 1–3). Alphesibeus greift dies auf, indem er Mopsus’ Ort als Zwischenraum zwischen der Najade und dem Fluss Reno beschreibt (vgl. III 85).126 Die Flüsse identifizieren die Gegend als Bologna und verankern die Kyklopenhöhle im Gegensatz zu Tityrus’ Idealort explizit in der bekannten historischen Dimension. Anders als Mopsus beschreibt Alphesibeus diese Flusslandschaft nicht als lieblich, sondern evoziert ein Gefängnis, wenn er Tityrus davor warnt, doch sein illustres Haupt nicht von den beiden Flüssen einschließen zu lassen (te premat ut Rhenus et Nayas illa recludat / hoc illustre caput, IV 85 f.). Indem Alphesibeus Tityrus metonymisch als illustren Kopf nennt, lenkt er dabei die Aufmerksamkeit auf das zu krönende Dichterhaupt. Alphesibeus’ Warnung spricht Tityrus somit insbesondere als Dichter an. Er suggeriert auf diese Weise, dass Tityrus in Bologna zwar ein bekröntes Haupt erwarte (vgl. III 66), der Dichter jedoch unter der Macht des bestialischen Herrschers zwischen Savena und Reno unterdrückt bliebe. Wenn Alphesibeus daraufhin alternativ von dem Schnitter spricht, der an seinem Ort bereits das Laub des jungfräulichen Lorbeers für Tityrus’ Dichterhaupt pflücke (vgl. IV 86 f.), entwirft Dante nun die Krönung, wie er sie sich für sein Alter Ego als christlichem Dichterprophet idealerweise zugedenkt. Über den ideologischen Charakter dieser idealen Dichterkrönung geben die verschiedenen Intertextualitäten Aufschluss. So weist zunächst der auch in der antiken Dichtung seltene Begriff des frondator (IV 86) auf Vergils erste Ekloge zurück.127 Schon mehrfach erwies sich diese als antiker Hypotext für Dantes bukolische Dichterbiographie im zweiten und vierten Brief der Korrespondenz. Tityrus gilt Dante als allegorische Repräsentation des vates Ver125

126 127

Diese negative christliche Konnotation wird zudem durch einen intertextuellen Bezug zum ersten Buch von Dantes Monarchia unterstützt. Dort spricht Dante von der pax universalis, die das Beste für die menschliche Glückseligkeit auf Erden sei und dann zu erreichen, wenn die Menschheit ihre ganze intellektuelle Potenz verwirklicht. Die voluptas ist dabei eine der Dinge, von denen die Hirten der irdischen Welt auf göttliche Order abzusehen haben: Unde manifestum est quod pax universalis est optimum eorum que ad nostram beatitudinem ordinantur. Hinc est quod pastoribus de sursum sonuit non divitie, non voluptates, non honores, non longitudo vite, non sanitas, non robur, non pulcritudo, sed pax (Mon. I 4, 2 f.). Albanese 2014, 1778 f. verweist für die Junktur dira voluptas zudem auf Lucan. IV 705 und Coripp. Ioh. IV 208, die diese jeweils im Kontext des Krieges verwenden. Zur voluptas bei Dante siehe auch Stabile 1976. Vgl. Albanese 2014, 1779. Vgl. ThLL s. v. frondator.

Diskussion über Mopsus’ Botschaft

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gil, der unter der Schirmherrschaft des Kaisers Augustus politischen Frieden und die Anerkennung seiner Dichtung genießt. Während Dante sein bukolisches Alter Ego im zweiten Brief noch in Abgrenzung zu dem Idealzustand des Tityrus-Vergil entwarf, zeigte er ihn im vierten Brief in Analogie zu dem Tityrus-Vergil in idealen Umständen für den Dichter. Der frondator ist in Vergils erster Ekloge Teil der lieblichen Umstände, die der exilierte Meliboeus an Tityrus-Vergil beneidet.128 Wenn in Dantes Epistel nun Alphesibeus den frondator nennt, wie er das Laub für Tityrus-Dantes Lorbeerkrönung pflückt, evoziert dies erneut die idyllischen Umstände des Tityrus-Vergil in der ersten Ekloge. Die Lorbeerkrone, die Alphesibeus Tityrus an seinem Ort in Aussicht stellt, ist somit diejenige, die Tityrus-Dante als Nachfolger des Tityrus-Vergil in denselben idealen Bedingungen krönt. Neben dem frondator ist in Alphesibeus’ Angebot darüber hinaus die Umschreibung des Lorbeer als ewiges Laub bemerkenswert, die der Schnitter auf der hohen Jungfrau pflücke (cui iam frondator in alta / virgine perpetuas festinat cernere frondes, IV 86 f.). Auf den ersten Blick handelt es sich um eine Umschreibung des ovidischen Daphnemythos, wie er bereits mehrfach in der Korrespondenz erschien (vgl. I 38; II 42–44; III 66). Denn die Beschreibung als perpetuae frondes spielt auf die immergrüne Beschaffenheit an, die Apoll dem Lorbeerbaum zuteilt, nachdem Daphne sich dazu verwandelte. Die alta virgo scheint auf Daphne selbst anzuspielen, die Ovid als virgo vorstellt (Ov. Met. I 539), und somit in Alphesibeus’ Umschreibung die Spitze des Lorbeerbaums zu bezeichnen, von der das Laub gepflückt wird. Die virgo ruft im Kontext von Dantes Eklogen jedoch weitere Assoziationen hervor. So zeigte sich in Dantes Gesamtwerk, dass er dem vergilischen Eklogenkorpus insbesondere aufgrund der vierten Ekloge Bedeutung beimisst, in der Vergil die Rückkehr des goldenen Zeitalters anlässlich der Geburt und Entwicklung eines puer besingt. Wie aus der Monarchia hervorgeht, deutet Dante diese vierte Ekloge als Prophezeiung der idealen politischen Ordnung, des goldenen Zeitalters auf Erden, unter dem Kaiser Augustus (Dante Mon. I 11, 1–3). Eine zentrale Rolle spielt in dieser Deutung die Figur der Virgo Astraea. Diese erscheint in Vergils vierter Ekloge als Allegorie der Gerechtigkeit, die auf die Erde zurückkehrt, als der Idealzustand der goldenen Zeit wieder Einzug 128

Hinc alta sub rupe canet frondator ad auras (Verg. Ecl. I 56). Albanese 2014, 1779 f. deutet den frondator in Parallele zu Par. I 15 und XXV 1–9 als Apoll, der Dante für seine Commedia mit dem Lorbeer auszeichne. Wenngleich sie auch auf Verg. Ecl. I 56 hinweist, verkennt sie doch den engen intertextuellen Zusammenhang zu Vergils erster Ekloge, in deren Tradition sich Dante auf diese Weise stellt. Brugnoli/Scarcia 1980, 93 schlagen auch eine eschatologische Deutung des frondator vor und denken neben Apoll an den veltro aus Inf. I 101, den Rächer für die erlittene Ungerechtigkeit. Auch sie bleiben bei einer Vermutung. Da Dante sein Alter Ego hier jedoch noch als irdische Existenz zeigt, der noch nicht in den Himmel aufgestiegen ist, liegt die Deutung einer Krönung bzw. dem Zugeständnis einer Krönung durch einen politischen, irdischen Herrscher wie den veltro nahe. Ohne den weiteren Kontext in Dantes Gesamtwerk zu berücksichtigen, erwägt auch Eitel 2014, 143 f. in der Szene mit dem frondator eine Situation der Ruhe und des ländlichen Friedens, der auch in Vergils erster Ekloge evoziert werde, in dem der Begriff auch falle.

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Dante an Giovanni del Virgilio

hält.129 Dante deutet diese in seiner Monarchia im christlichen Sinne als göttliche Iustitia, die mit der Monarchie des Augustus wieder in die irdische Politik Einzug hielt und dieser Staatsform somit den Status eines glückseligen und gottgefälligen Idealzustands auf Erden attestiert. Die Virgo ist somit ein Element aus Vergils Eklogen, dem Dante eine besondere Relevanz zumisst. Wenn in seinem bukolischen Brief Alphesibeus nun den Lorbeer als alta virgo bezeichnet, assoziiert dies ebenfalls die Virgo Astraea aus Vergils vierter Ekloge, die Allegorie der göttlichen Iustitia. Das ewige Laub, das der Schnitter bereits für den Dichter Tityrus-Dante an der alta virgo pflücke, steht somit im Zeichen dieser göttlichen Gerechtigkeit. Wenn Tityrus-Dante mit diesem Laub gekrönt werden soll, zeichnet ihn dies als Dichter der göttlichen Gerechtigkeit aus.130 So wird Tityrus-Dante zum neuen Vergil gekrönt, der in seinem Werk wie Vergil in seiner vierten Ekloge die göttliche Gerechtigkeit auf Erden prophezeit. Mithilfe der intertextuellen Bezüge zu Vergils erster und vierter Ekloge inszeniert Dante folglich, wie sein Alter Ego Tityrus sich in Alphesibeus’ Gesellschaft auf den grünen Wiesen des Pelorus in dem politischen Frieden befindet wie Tityrus-Vergil in der ersten Ekloge. Darüber hinaus erhält er dort die Anerkennung als poetischer Prophet der göttlichen Botschaft auf Erden, als der er die Funktion, die zuvor der heidnische Tityrus-Vergil innehatte, in christlicher Weise erfüllt. Zusätzlich zu den vergilischen Reminiszenzen bestätigt dies der Vergleich mit einer zentralen Passage aus Dantes Commedia. Denn zu Beginn von Paradiso XXV spricht ‚Dante‘ ebenfalls von seiner Commedia als prophetischem Dichtungswerk und seiner Anerkennung als göttlicher Dichterprophet auf Erden an seiner Taufstätte Florenz. Er beklagt jedoch den politischen Missstand, der dies verhindere. Zu Dantes bukolischer Epistel besteht eine motivische Verbindung. Denn ‚Dante‘ bedient sich in der Commedia eines bukolisches Motivs: Er bezeichnet seine Taufstätte Florenz als den schönen Stall, in dem er als Lämmchen ruhte, und der nun von den Wölfen verheert werde. Dabei äußert er die Hoffnung, sein heiliges Dichtwerk werde irgendwann die Grausamkeit der politischen Machthaber, der Wölfe, besiegen und so seine Rückkehr und Anerkennung in der Heimat ermöglichen. Der Canto des Paradiso lässt sich komplementär und zugleich kontrastiv zu der Situation in Dantes bukolischer Epistel lesen. Denn dort befindet sich Dantes Alter Ego Tityrus in eben den idealen Umständen, die sich ‚Dante‘ in Paradiso XXV noch ersehnte. Der Dichter lebt friedlich in seinem bukolischen Idyll und erhält die Anerkennung für seine poetische Prophetie der gött129

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Iam redit et Virgo, redeunt Saturnia regna, / iam nova progenies caelo demittitur alto (Verg. Ecl. IV 6 f.). Auch Brugnoli/Scarcia 1980, 93 lesen in der virgo eine Anspielung auf die Virgo Astraea aus Vergils vierter Ekloge, ohne jedoch weitere hermeneutische Schlüsse zu ziehen. Weiterführend hier Drusi 2013; Priest 2015. Vescovo 2018, 117 liest in der Erwähnung der virgo eine doppelte Bedeutung, indem sie nicht nur auf den antiken Lorbeermythos um die virgo Daphne hinweise, sondern ebenfalls auf die Jungfrau Maria, sodass Dante hier auf seine christliche Mission als Dichter anspiele, die er sich in der Commedia zuweist.

Diskussion über Mopsus’ Botschaft

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lichen Wahrheit. Andernorts wütet hingegen noch die Grausamkeit. Der in Bologna hausende Polyphem entspricht den Wölfen, deren crudeltà (Par. XXV 4) ‚Dante‘ im Paradiso beklagt. Zugleich hatte Dante die ideale Existenz seines bukolischen Alter Egos jedoch von seiner eigenen historischen Existenz entrückt, indem er die Sprechsituation vom autodiegetischen in den heterodiegetischen Modus verschob und Tityrus’ Aufenthaltsort von Ravenna loslöste (vgl. IV 67–72). Auf diese Weise signalisierte Dante, dass es sich bei seinem Entwurf des christlichen vates Tityrus, der in einem friedlichen Erdenzustand gesellschaftliche Anerkennung findet, um eine Fiktion handelt, die Dante real nicht vergönnt ist. Seine historische Gegenwart ist immer noch das Exil in Ravenna. Die politische Grausamkeit seiner Umgebung hält ihn nach wie vor ausgesperrt aus seinem schönen Stall, in dem er als Lämmchen ruhte, und verhindert, dass er über dem Becken seiner Taufe den Lorbeer empfängt (Par. XXV 1–9).131 Es herrscht folglich noch immer der Zustand, den er in Paradiso XXV bedauert. Die Intertextualitäten zu Vergils Eklogen und der Commedia weisen somit den ideologischen Hintergrund der Dichterkrönung aus, die Alphesibeus Tityrus abschließend anbietet. Dante entwirft hier seine Idealvorstellung des Dichterdaseins. Sein Alter Ego erscheint als vates in einem Umfeld, das von menschlicher ratio und der daraus hervorgehenden sozialen und intellektuellen Liebe geleitet ist. Diese Gesellschaft führt somit ein friedliches Erdendasein.132 Sie hat ihr niederes Dasein als Hirten angenommen und folgt der göttlichen Ordnung, die der vates Tityrus-Dante in seinem Gedicht besingt. Wenn sie ihm durch ihr Gehör solche Anerkennung entgegenbringt und ihm schließlich den Lorbeer verleiht, zollt sie dem Dichter auf diese Weise die ihm gebührende Ehre als poetisches Medium der göttlichen Ordnung. Implizit lässt sich daraus auch eine Stellungnahme gegenüber Giovanni del Virgilio und dessen Dichtungsverständnis erkennen. Dante exkulpiert sein Alter Ego Mopsus zunächst, da er nicht dessen Dichtung, sondern die politischen Machtstrukturen kritisiert, die in Italien herrschen und unter denen eine prophetische Dichtung, die die Monarchie als gottgewollte irdische Ordnung propagiert, nur Anfeindung findet. Zugleich wirft Dante Giovanni jedoch eine fruchtlose Art der Dichtung vor. Denn er teilt zwar Giovannis Liebe zur Dichtung (vgl. IV 65), versteht jedoch nicht, wie der Gelehrte als Dichter in einer politischen Umgebung leben kann, die nach Dantes christlichem Verständnis unmenschlich ist (vgl. IV 24–27). Offensichtlich steht seine Dichtung somit nicht im Dienste der göttlichen Wahrheit. Vielmehr verfolgt

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Die Deutung von Albanese 2014, 1780, die den Lorbeer, den Alphesibeus Tityrus in Aussicht stellt, mit einem Lorbeer in Ravenna identifiziert, der der Krönung in Bologna gegenübersteht, greift zu kurz, da es die ideale Fiktion nicht erkennt, die Dante hier von seinem Dasein als alter Vergilius und christlichem poeta vates entwirft. Eben dieser Frieden ist es, den Dante in seiner Monarchia als pax universalis einfordert (vgl. Mon. I 4, 2).

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Dante an Giovanni del Virgilio

Giovanni das antike Stilideal zur Verherrlichung menschlicher Machtstrukturen und unterwirft sich somit einer unmenschlichen Herrschaft. Das Epos, zu dem Giovanni Dante zweifach aufforderte, hat für Dante unter den skizzierten Bedingungen keine Legitimation, da es keinen Monarchen gibt, dem allein die Preisung in einem epischen Gedicht zustünde.133 4. Ein poetisches Evangelium Mit Tityrus’ Aussicht auf den Lorbeer endet Alphesibeus’ Rede und damit der Dialog zwischen den beiden Hirten. Der folgende letzte Teil der Epistel (IV 88–97) spielt sich nur noch auf der intradiegetischen Ebene ab und bringt die bukolische Szenerie zu einem Abschluss. Es folgt zunächst eine konventionelle bukolische Abendszene, an die dann jedoch eine unerwartete Konstellation schließt, die sich als Interpretationsschlüssel zu Dantes bukolischer Allegorie erweist. Im Vordergrund des Briefschlusses steht zunächst Tityrus. Anstatt zu antworten, empfängt er schweigend und zustimmend lächelnd die Worte des Alphesibeus, des Zöglings seiner großen Herde. Daraufhin werden die Hirten wieder in ihrem Kontext gezeigt. Der Sonnenwagen, der anfangs die Mittagszeit eingeläutet hatte, zerschneidet den Äther, nun zum Untergang geneigt, sodass jeder Schatten seinen Gegenstand um ein Vielfaches besiegt. Die Hirten haben die Wälder mit ihrem kalten Tal verlassen und kehren hinter ihrem Vieh zurück. Die Ziegen laufen voraus, als würden sie zu den sanften Wiesen zurückgeführt. Nachdem die Situation um Tityrus und Alphesibeus abgeschlossen ist, wendet sich der Sprecher in einer Appendix an seinen Adressaten Mopsus und klärt ihn über die Umstände auf, in denen er von dem Hirtengespräch erfahren hat. So offenbart er, dass nicht er selbst dessen Zeuge wurde. Der kluge Iollas habe sich während der bukolischen Szene verborgen gehalten und alles vernommen. Der berichtete daraufhin dem Sprecher, und dieser dichtet es wiederum Mopsus.

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Entsprechend stellt Geyer 2013, 39–43 fest, Dante lege in der Commedia dar, wie der antike epische Gesang nach dem Vorbild der Aeneis nicht mehr möglich sei. In Par. IV lege Dante die Gründe dafür dar, wenn er Justinian einen Abriss der Geschichte von Aeneas bis zu Dantes Zeit geben lässt, den er unter heilsgeschichtliche Vorzeichen stellt. Aber „Dantes gesellschaftspolitisches Ideal wäre das Machtgleichgewicht und die diesseitig-jenseitige Gewaltenteilung zwischen römischem Kaiser und römischem Papst, eine Gesellschaft mit garantiertem Wertehorizont, wie er sie in seinem philosophisch-politisch-theologischen Traktat De Monarchia (um 1310) in abstrakter Form entworfen hat.“ Doch Dante sieht diese Vorstellungen in der gegenwärtigen Dekadenz der Gesellschaft unmöglich werden. „In [seiner] Rede umreißt [ Justinian] […] eine christliche Fortsetzung und Überbietung der Aeneis mit dem illusorischen Telos im Sacrum Imperium Romanum.“ Laut Geyer skizziert Justinian darin das Epos, das Dante aufgrund der gesellschaftlichen Umstände nicht schreiben konnte.

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Ein poetisches Evangelium

Tityrus arridens et tota mente secundus verba gregis magni tacitus concepit alumni. Sed quia tam proni scindebant ethra iugales ut rem quamque sua iam multum vinceret umbra, virgiferi, silvis gelida cum valle relictis, post pecudes rediere suas, hyrteque capelle inde velut reduces ad mollia prata preibant. Callidus interea iuxta latitavit Iollas, omnia qui didicit, qui retulit omnia nobis: ille quidem nobis, et nos tibi, Mopse, poymus.

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[IV 88–97]

Tityrus’ zustimmendes Lächeln beendet den Dialog zwischen den beiden Hirten schweigend in einer friedlichen Stimmung, die die abschließende Szene dominiert (Tityrus arridens et tota mente secundus / verba gregis magni tacitus concepit alumni, IV 88 f.). Die friedvolle Stimmung und das altehrwürdige Verhalten des Tityrus rufen in dem rustikalen Hirtenkontext eine erhabene Atmosphäre hervor. Diese wird unterstrichen, wenn der Sprecher von einem magnus grex spricht und damit erstmals die Quantität von Tityrus’ Herde hervorhebt. Alphesibeus’ Bezeichnung als alumnus gregis magni (IV 89) ist dabei zweideutig und impliziert bestimmte Intertextualitäten, die abschließend eine neue Bedeutungsdimension in Dantes bukolische Allegorie einbringen. So liest sich der alumnus einerseits in der Bedeutung des Nährers der großen Herde und weist Alphesibeus in seiner Funktion als Hirte aus. Andererseits lässt sich der Begriff aber auch als Zögling der großen Herde deuten.134 Alphesibeus wird so selbst zu einem Teil der großen Herde, nämlich der Gefolgschaft des Tityrus. Diese übertragene Deutung der bukolischen Herde als menschliche Gemeinschaft unter Tityrus’ Führung findet zunächst ihre Entsprechung in Servius’ spätantikem Vergilkommentar. In der Einführung zu Vergils erster Ekloge übersetzt Servius den Namen Tityrus als aries maior und Anführer der Herde.135 Wenn Dante Alphesibeus als 134

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Die aktive Bedeutung von alumnus ist bereits in antiken Texten belegt, jedoch v. a. in adjektivischer Form. ThLL s. v. alumnus: alumna notione activa fere i. q. nutrix pro adiectivo. OLD s. v. alumnus: 1; 4. Eitel 2014, 145 will grex im übertragenen Sinne deuten, als Gefolgschaft des Tityrus und liest daher auch alumnus im Sinne von „Zögling der Herde“, d. h. als Tityrus’ Schüler. Albanese 2014, 1780 lehnt diese Interpretation zugunsten der aktiven Deutung des alumnus als Nährer der Herde ab, verkennt auf diese Weise aber die christlichen Konnotationen, die Dante durch die Ambivalenz des Begriffes zwischen aktiver und passiver Bedeutung herstellt. Sie verweist jedoch auf Serv. Comm. in Verg. Aen. XI 33 und Isid. Etym. X 3 sowie Uguccione da Pisa Derivationes A 119, 7, die beide Bedeutungen angeben. Nam Laconum lingua tityrus dicitur aries maior, qui gregem anteire consuevit. […] personae, sicut supra dixi, rusticae sunt et simplicitate gaudentes: unde nihil in his urbanum, nihil declamatorium invenitur; sed ex re rustica sunt omnia negotia, comparationes et si qua sunt alia (Serv. Comm. in Verg. Ecl. Prooem).

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Dante an Giovanni del Virgilio

Zögling aus dessen Herde nennt, ruft dies die Deutung des Servius auf, der die Hirtenmenschen selbst als eine Herdenkonstellation beschreibt. Mit der Identifikation der Menschen mit dem Hirtenvieh assoziiert Dante darüber hinaus einen weiteren Hypotext. So handelt es sich bei dem Motiv der menschlichen Schafherde um ein prominentes biblisches Bild. Beispielsweise im Evangelium des Johannes bezeichnet Jesus die Menschen als Schafe und sich als deren Anführer bzw. als die Tür, durch die ein jeder auf die fruchtbaren Weiden kommen könne. Denjenigen, die sich seiner Herde anschließen, verspricht er das ewige Leben.136 Auch am Schluss des Evangeliums findet sich die Schafmetapher. Nach seiner Auferstehung erscheint Jesus den Jüngern Petrus und Johannes und fordert Petrus auf, sich um die christliche Gemeinschaft zu kümmern. Auch hier nennt er die Schafherde metaphorisch für die menschliche Christenheit und fordert Petrus dreimal auf, er solle seine Schafe weiden.137 Indem Dante am Schluss seiner bukolischen Epistel die biblische Gleichsetzung von Schafen und Hirten nahelegt, deutet er darauf hin, die bukolische Chiffre unter christlichen Gesichtspunkten zu lesen: Seine Herde erscheint so als christliche Gemeinschaft, der aries maior Tityrus als ihre Führungsperson. Dante gesteht seinem bukolischen Alter Ego folglich eine ähnliche Funktion wie Christus zu, wenn er Tityrus wie Jesus im Johannes-Evangelium als Anführer der Schafherde inszeniert.

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Vgl. Joh 10, 1–30 (insbes. ego sum ostium per me si quis introierit salvabitur et ingredietur et egredietur et pascua inveniet. […] mercennarius et qui non est pastor cuius non sunt oves propriae videt lupum venientem et dimittit oves et fugit et lupus rapit et dispergit oves mercennarius autem fugit quia mercennarius est et non pertinet ad eum de ovibus ego sum pastor bonus et cognosco meas et cognoscunt me meae sicut novit me Pater et ego agnosco Patrem et animam meam pono pro ovibus et alias oves habeo quae non sunt ex hoc ovili et illas oportet me adducere et vocem meam audient et fiet unum ovile unus pastor […] sed vos non creditis quia non estis ex ovibus meis oves meae vocem meam audiunt et ego cognosco eas et sequuntur me et ego vitam aeternam do eis et non peribunt in aeternum et non rapiet eas quisquam de manu mea, Joh 10, 9–28). So befiehlt Jesus Petrus zweimal, er möge seine Lämmer weiden, einmal, er solle seine Schafe weiden. hoc iam tertio manifestatus est Iesus discipulis cum surrexisset a mortuis cum ergo prandissent dicit Simoni Petro Iesus Simon Iohannis diligis me plus his dicit ei etiam Domine tu scis quia amo te dicit ei pasce agnos meos. dicit ei iterum Simon Iohannis diligis me ait illi etiam Domine tu scis quia amo te dicit ei pasce agnos meos. dicit ei tertio Simon Iohannis amas me contristatus est Petrus quia dixit ei tertio amas me et dicit ei Domine tu omnia scis tu scis quia amo te dicit ei pasce oves meas ( Joh 21, 14–17). Der meiner Meinung nach virulente explizite Bezug der danteschen Eklogen, vor allem des vierten Briefes, zu den Evangelien wurde in der bisherigen Forschung nur wenig beachtet: Riccardo Drusi 2013 weist in seinem Artikel überzeugend nach, wie Dante mit Rückgriff auf die mittelalterliche Deutungstradition der vergilischen Eklogen die bukolische Gattung als antikisierende Allegorie zur Verkündigung der christlichen Heilsbotschaft verwenden konnte, mit der er seine Commedia im stilus humilis gegenüber Giovanni del Virgilio verteidigt. Auch Beatrice Priest 2015 diskutiert die Verbindung, die Dante zwischen der christlichen Verwendung pastoraler Motive und Vergils Eklogen herstellt. Sie bleibt dabei vor allem im Kontext der Commedia. Paola Allegretti 2018, 249 zieht eine Verbindung zwischen Dantes Lektüre der entsprechenden Kapitel des Johannes-Evangeliums und der ersten Ekloge Vergils, ohne jedoch auf die Bedeutung für Dantes bukolische Korrespondenz mit Giovanni del Virgilio einzugehen. Zur christlichen Weiterführung klassischer Rhetorik siehe Kennedy 1980.

Ein poetisches Evangelium

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Entsprechend liest sich auch Tityrus’ Reaktion auf Alphesibeus nicht nur im literalen Sinn, sondern trägt allegorische Implikationen. Bemerkenswert ist das Lachen (arridens, IV 88), mit dem Tityrus seine Zustimmung gegenüber Alphesibeus ausdrückt. Ähnlich wie Polyphems bestialità findet das Lachen in Dantes philosophischem Traktat Convivio eine theoretische Darlegung. Im dritten Buch erläutert Dante, dass neben den Augen der Mund dasjenige Körperteil sei, an dem sich der Zustand der Seele physisch manifestiere. Das Lachen sei ein Aufblitzen der Seelenfreude und kündige die Freude der Glückseligkeit an, des höchsten Guts des Paradieses.138 Ursache eines solchen Lachens ist wiederum die göttliche Liebe, die alle Dinge des Kosmos miteinander verbindet und die die individuelle Menschenseele in dem Moment des Lachens empfindet.139 Tityrus’ Lachen, mit dem er Alphesibeus antwortet, liest sich entsprechend als Zeichen der göttlichen Liebe, die ihn mit dem Gefährten verbindet (vgl. IV 63), und der Seelenfreude, die in seiner irdischen Existenz die Glückseligkeit des Paradieses antizipiert.140 Die Betonung der mens in Tityrus’ Zustimmung (tota mente secundus, IV 88) zeigt darüber hinaus, dass seine Seelenfreude und Liebe auf einer intellektuellen Übereinstimmung der beiden basiert.141

In dem philosophischen Traktat besingt Dante das Lächeln einer Frau, der donna gentile, die er zur Allegorie der Weisheit erklärt. Ihr Lächeln erkennt Dante als ein Zeichen, in dem sich die Freude der Glückseligkeit, dem höchsten Gut des Paradieses ankündigt (Dante Conv. III vv. 55–62; 8, 8–12). Vgl. Föcking 2010, 88: „Damit führt [Dante] Lachen, Vernunft, Glückseligkeit und Paradies zusammen.“ Zum Lachen bei Dante zudem Pasquini 1973. 139 E dico che Amore le reca queste cose quivi, sì come a luogo suo. Dove si può amore doppiamente considerare prima l’amore dell’anima, speziale a questi luoghi; secondamente l’amore universale che le cose dispone ad amare e ad essere amate, che ordina l’anima ad adornare queste parti (Dante Conv. III 8, 13). Fioravanti 2014, 437 deutet den Zusammenhang zwischen der speziellen Liebesregung der Seele und der allgemeinen Liebe mit dem Verweis auf den letzten Vers der Commedia, wo die Liebe als kosmische Kraft erscheint, die das Universum in all seinen Teilen bewegt und zu Gott hinwenden lässt. Entsprechend stellt Dante in der Commedia das menschliche Lachen als irdisches Pendant der Lichtblitze vor, mit denen die Seelen im Paradies ihre innere Glückseligkeit kundtun (Per letiziar là sù fulgor s’acquista, / sì come riso qui; ma giù s’abbuia / l’ombra di fuor, come la mente è trista, Dante Par. IX 70–72). Vgl. Chiavacci Leonardi zu III 9, 70 f.: „in paradiso per l’interna gioia si acquista esternamente maggior fulgore, come qui sulla terra il segno esterno della gioia è il riso. L’improvviso apparire del riso terreno, che è la stessa cosa della luce celeste, è uno dei grandi tocchi inventivi propri della terza cantica. Il riso è sempre per Dante espressione dello spirito, quasi del suo interno trasalire, e nel Paradiso luce e riso vengono continuamente a scambiarsi i ruoli.“ 140 Auffallend ist dabei auch die Form arridere (IV 88), die Dante hier wählt. Denn damit stellt er eine unmittelbare wörtliche Verbindung zu dem göttlichen Lächeln her, das ‚Dante‘ im letzten Canto der Commedia erblickt, das seine Augen nun ertragen können und seiner mens, seinem Intellekt somit die Erkenntnis der göttlichen Liebe und Wahrheit attestieren. So spricht er das göttliche Licht, das er sieht, an: O luce etterna che sola in te sidi, / sola t’intendi, e da te intelletta / e intendente te ami e arridi! (Par. XXXIII 124–126). Auch hier in der reinen göttlichen Erscheinung bilden Intellekt, Liebe und Lachen eine Einheit. 141 Auch seine Haltung entspricht dabei den Vorgaben aus Dantes Convivio. So ist es kein lautes Auflachen, sondern ein schweigendes (tacitus, IV 89) Lächeln. Eben so beschreibt Dante im Convivio das weise, erhabene Lachen, das nicht gehört, sondern nur gesehen werden könne. E però si conviene all’uomo, a dimostrare la sua anima nell’allegrezza moderata, moderatamente ridere, con onesta 138

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Vor dem theologischen Horizont hat Tityrus’ Zufriedenheit an seinem Ort und in seiner Gesellschaft nun nicht nur eine individuelle, sondern auch eine absolute Bedeutung. Denn es zeigt einen Menschen in liebender Verbundenheit mit seinen Mitmenschen. Da sich die Liebe dieser Gemeinschaft in der mens begründet, basiert sie auf einer Übereinstimmung des intellektiven Vermögens, das ja der mens entspringt und den Menschen als einziges Wesen direkt an der göttlichen Existenz teilhaben lässt. So entwirft Dante mit Tityrus und Alphesibeus, die in ihrer christlichen Herde an einem friedlichen Ort in liebender Verbindung leben, eine ideale Gemeinschaft, die gemäß ihres menschlich-intellektiven Wesens in Einklang mit der göttlichen Ordnung und damit in irdischer Glückseligkeit existiert. Diese von göttlicher caritas geprägte Gemeinschaft steht in Kontrast zu der durch tierische Liebe bestimmten Herrschaft des Polyphem in Bologna.142 Nachdem das Gespräch der beiden Hirten in dieser Glückseligkeit verheißenden Stimmung schließt, bringt die Sternenkonstellation die bukolische Szene allgemein zu einem Abschluss (IV 90–94). Der Sprecher umschreibt den anbrechenden Abend wie zu Beginn der Epistel in antikisierender Manier mit dem Bild des Sonnenwagens, der nun vorwärtsgeneigt den Äther durchschneidet (Sed quia iam proni scindebat ethra iugales / ut rem quamque sua iam multum vinceret umbra, IV 90 f.).143 Die Schatten, die in der Mittagszeit klein waren, überragen wieder ihre Gegenstände und die Hirten können ihre Zuflucht im kühlen Tal verlassen und ihr Vieh zurücktreiben (virgiferi, silvis gelida cum valle relictis, / post pecudes rediere suas, hyrteque capelle / inde velut reduces ad mollia prata preibant, IV 92–94). Anders als die Flucht vor der Mittagshitze verläuft die abendliche Rückkehr friedlich. Der bukolische Mikrokosmos wird somit erneut in den Makrokosmos eingeordnet. Zudem wird so die Zeitlichkeit der bukolischen Welt

severitade e con poco movimento della sua faccia. […] Ahi mirabile riso della mia donna, di cu’ io parlo, che mai non si sentia se non dell’occhio (Conv. III 8, 11). 142 Wie ‚Dante‘ schließlich in Par. XXVI in seiner Befragung zur caritas durch den Evangelisten Johannes beschreibt, ist es die mens, mit deren Hilfe der Mensch liebt. Das höchste Gute, auf das er bzw. seine mens seine Liebe zielt, ist Gott (Par. XXVI 31–36). Zugleich gilt diese göttliche Liebe, die caritas, auch den Geschöpfen Gottes, deren Ausmaß sich je nach deren jeweiliger Nähe zu Gott ergibt (ibid. XXVI 64–66). Wenn die Hirtengemeinschaft, in der Tityrus und Alphesibeus leben, die gemäß ihres rationalen Vermögens in göttlicher Ordnung lebt, zeichnet dies sowohl ihre ausgeprägte Liebe zu Gott als auch zueinander aus. So steht ihre Gemeinschaft im Zeichen der caritas. Albanese 2018, 335 f. tendiert in eine ähnliche Richtung und liest die Gesellschaft, die Dante in seiner zweiten Ekloge inszeniert, als eine utopische, irdisch-menschliche Vorstellung des Exilanten Dante, der sich nach dem Entwurf des Paradiso in einen idealen, in Freundschaft und Liebe verbundenen Zirkel hineindenkt. Ihr Interesse besteht dann jedoch in der Rekonstruktion der tatsächlichen autobiographischen Angaben und realen Personen hinter den Hirtenfiguren, nicht in der Rekonstruktion der allegorischen Fiktion, wie sie Dante in Kohärenz mit der Erzählung seiner Commedia vornimmt. 143 Vgl. u. a. Albanese 2014, 1780 f. Eitel 2014, 145 sieht zudem in dem Adjektiv proni die entsprechende Gegenbewegung zu prepes, mit dem die Epistel ihren Anfang nahm.

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in Erinnerung gerufen, in der die Hirten ihrem täglichen Leben nachgehen, dessen Rhythmus von der Bewegung der Sterne bestimmt wird. Auch die stilistischen Implikationen aus dem exordium wiederholen sich. So erscheint die Sonne erneut in einem epischen Bild als Pferdewagen (iugales, IV 90).144 Sie steht im stilistischen Kontrast zu der irdischen Welt der Hirten mit ihren struppigen Zicklein, deren einfach-ländlichen Status das Diminutiv capelle (IV 93) in Kombination mit dem Adjektiv hirtus (IV 93) hervorhebt. Die humilitas der Hirten und Zicklein stellt Dante dabei erneut unter biblische Vorzeichen. Denn er entwirft an dieser Stelle ein unerwartetes Gleichnis, wenn er die Zicklein beschreibt, die auf die zarten Weiden vorauslaufen, so als würden sie zurückgeführt (inde velut reduces ad mollia prata preibant, IV 94). Die Vergleichspartikel velut veranlasst dazu, eine übertragene Bedeutung der zurückgeführten Schafherde anzunehmen und erinnert an das bereits zitierte biblische Gleichnis aus dem Johannes-Evangelium. Dort bezeichnet sich Jesus als Hirte der Schafherde Gottes bzw. als Tür, durch die alle Schafe Gottes auf die Weiden finden. Gleich im Anschluss deutet Jesus das Gleichnis, indem er verkündet, dass jeder, der durch ihn gehe, gerettet werde (ego sum ostium per me si quis introierit salvabitur et ingredietur et egredietur et pascua inveniet, Joh 10, 9). Die Schafe stehen somit für die Menschen, die Weiden, die sie durch Jesus erreichen können, für die Rettung ihrer Seelen, die sie nur in der Gefolgschaft Christi und im Glauben an Gott finden können. Indem Dante die Rückführung seiner bukolischen Herdentiere zu den sanften Weiden durch das velut als Gleichnis markiert, legt er die intertextuelle Beziehung zu dem entsprechenden Bibelgleichnis nahe. Auch das Adjektiv reduces (IV 94) fügt sich in diesen Kontext. So tritt es unter anderem im dritten Buch der Aeneis gleich zweimal hintereinander auf und bezeichnet die rettende Rückkehr der aus Troja fliehenden Trojaner zu ihrem Anführer Aeneas. Dabei erscheint es ebenfalls in einem Gleichnis, das die Göttin Venus gegenüber ihrem Sohn Aeneas formuliert. So setzt sie Schwäne der Vogelschau mit Aeneas’ Gefährten gleich. Diese ließen sich, nachdem sie von Jupiters Adler umhergejagt wurden, schließlich in sicheren Gefilden nieder. Ihre Rettung, die Venus mit dem Adjektiv reduces beschreibt, würden diese so genießen, wie auch Aeneas’ Gefährten, die ihn bald erreichen und damit gerettet würden. Unter diesen positiven Vorzeichen fordert Venus ihren Sohn schließlich auf, weiter seinem Weg zu folgen.145 Das reduces, das Dantes Sprecher für 144 U. a. Albanese 2014, 1781 verweist für die Junkturen auf Stat. Theb. III 268 (spumantem proni mandunt adamanta iugales) und 408 f. (flagrantes Sol pronus equos rutilamque lavabat / oceani sub fonte comam). Ein weiteres Beispiel für einen episch erhabenen Streitwagen, der als iugalis bezeichnet wird, findet sich im siebenten Buch der Aeneis. Dort erhält Aeneas von Latinus einen übermenschlich prächtigen Streitwagen, dessen Pferde von den Rossen des Sol abstammen (absenti Aeneae currum geminosque iugalis / semine ab aetherio spirantis naribus ignem, / illorum de gente patri quos daedala Circe / supposita de matre nothos furata creavit, Verg. Aen. VII 280–284). 145 Namque tibi reduces socios classemque relatam / […] / aspice bis senos laetantis agmine cycnos, / […] / ut reduces illi ludunt stridentibus alis / […] / haud aliter puppesque tuae pubesque tu-

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das Gleichnis seines auf die Wiesen zurückkehrenden Hirtenviehs verwendet, impliziert somit auch vor dem Hintergrund der Aeneis eine Rettung, die zudem zum Fortgang der heilsgeschichtlichen Mission des Aeneas führt. Mittels der intertextuellen Parallelen zur Aeneis und zum Johannes-Evangelium deutet Dante an, dass Tityrus als Anführer seiner Herde diese zu ihrem rettenden Heil führt so wie Aeneas die Trojaner und Jesus die Christen. Diese heilsbringende Bedeutung seines Alter Egos belässt Dante dabei im Code der vergilischen Bukolik. So liest sich die Szene der abendlichen Rückkehr von Hirten und Zicklein im literalen Sinn als traditionelles Abschlussbild, wie es sich zum einen in Vergils zehnter Ekloge finden lässt. Dort schickt der Sprecher ebenfalls die Zicklein nach Hause (ite domum saturae, venit Hesperus, ite capellae, Verg. Ecl. X 77).146 Dies vermengt sich zum anderen mit der Motivik der ersten Ekloge Vergils, die wie bei Dante (vgl. IV 91) mit den länger werdenden Schatten schließt (maioresque cadunt altis de montibus umbrae, Verg. Ecl. I 83). Beide intertextuelle Parallelen markieren abschließend die Traditionslinie, die Dante mit seinen Eklogenbriefen zu Vergils Bukolik beansprucht. So hebt er zum einen mit dem Verweis auf Vergils erste Ekloge diese noch einmal als zentralen Hypotext hervor, dessen spätantike Deutung als Vergils Dichterbiographie die allegorische Folie für Dantes bukolische Inszenierung darstellt. Mit dem Verweis auf den Schluss der zehnten und letzten Ekloge in Vergils bukolischem Korpus verkündet Dante zum anderen seinen eigenen Abschied von der bukolischen Dichtung. Wenngleich die bukolische Fiktion an dieser Stelle zu einem Ende gebracht ist, fügt Dante eine überraschende Auflösung der Sprechersituation an. Die letzten drei Verse (IV 95–97), die auf literaler Ebene zunächst Rätsel aufgeben, bergen dabei wesentliche Hinweise zur Deutung von Dantes bukolischer Allegorie sowie Dantes Selbstbild als Dichter und der Funktion, die er der Dichtung zugesteht.147 Der Sprecher wendet sich darin direkt an seinen Adressaten Mopsus-Giovanni und erklärt ihm, dass ein Iollas orum / aut portum tenet aut pleno subit ostia velo. / perge modo et, qua te ducit via, derige gressum (Verg. Aen. I 390–401). 146 Vgl. Albanese 2014, 1781. Bei Vergil enden mehrere Eklogen mit dem Abendmotiv: Die erste Ekloge schließt mit Tityrus’ Ankündigung, dass die länger gewordenen Schatten von den hohen Bergen herabfallen (Verg. Ecl. I 83). In der sechsten Ekloge berichtet der Sprecher abschließend, wie es Zeit ist, die Schafe in die Ställe zu treiben und zu zählen, da der Abendstern bereits über dem Olymp aufgeht (ibid. VI 85 f.). In der zehnten Ekloge endet der Sprecher mit der Aufforderung an die Schafe, sie sollten gesättigt unter Anwesenheit des Abendsterns heimkehren (ibid. X 77). Auch die mollia prata sind aus der zehnten Ekloge Vergils bekannt. U. a. Albanese 2014, 1782 verweist auf Verg. Ecl. X 42. 147 Die gängige Deutung, u. a. bei Albanese 2014, 1782, dass Dante durch diese Distanzierung eine Absage an das bukolische Genus vornehme, halte ich für eine Fehlinterpretation. Denn sie berücksichtigt nicht die Funktion, die Dante der bukolischen Allegorie zuweist, nämlich einer biographischen Allegorie des christlichen poeta-vates, als den Dante sich selbst identifiziert. Eine Absage an das bukolische Genus würde einer Absage an die Funktion des Dichterpropheten gleichkommen. Es ist kaum denkbar, dass Dante, der gerade sein Paradiso beendet hat, sich von dieser Position entfernen würde.

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eigentlich Zeuge des eben berichteten Hirtengesprächs geworden sei. Er habe all dies vernommen und dann an den Sprecher weitergetragen, der es nun Mopsus bedichte (Callidus interea iuxta latitavit Iollas, / omnia qui didicit, qui retulit omnia nobis: / ille quidem nobis, et nos tibi, Mopse, poymus, IV 95–97). Eine textinterne Deutung dieser Konstellation kann hier nur bedingt weiterhelfen. So erschien die Figur Iollas zwar bereits innerhalb der Korrespondenz. Giovanni verwendete ihn als Chiffre für den Ravennaer Podestà Guido Novello da Polenta, in dessen Dienst sich Dante befindet. Giovanni integrierte ihn als elegischen Konkurrenten seiner Werbung um Tityrus-Dante in die bukolische Fiktion der dritten Epistel (vgl. III 80–83).148 Diese Deutungen als historische Person oder elegischer Konkurrent geben in Dantes Epistel jedoch keinen interpretatorischen Mehrwert.149 Auch ist Iollas bei Dante nicht wie bei Giovanni als comis et urbanus (III 81) charakterisiert, sondern als callidus (IV 95). An die Stelle von Reichtum und städtischer Vornehmheit zeichnet sich Dantes Iollas durch seine Klugheit aus. Darüber hinaus kennzeichnet ihn seine Anonymität. So wie er die Szene aus einem Versteck mithört (latitavit, IV 95), bleibt auch seine Identität im Verborgenen. Interessanter als seine Identität ist Iollas’ Funktion als kluger Zeuge. Erneut sind es biblische Intertextualitäten, die Aufschlüsse zur Interpretation versprechen. So handelt es sich bei dem Adjektiv callidus um ein Epitheton, das prominent in den Proverbia erscheint. Dort bezeichnet es den Weisen, der sich durch seinen Intellekt von den stulti unterscheidet, da er den rechten Weg Gottes erkennt und auf diese Weise dem Übel fernbleibt.150 In Dantes Epistel tat sich ein ähnlicher Unterschied auf. So stehen Tityrus und Alphesibeus, die durch ihren Intellekt gemäß der göttlichen Ordnung leben, dem Polyphem als unmenschlichem, gottlosem Herrscher gegenüber. Wenn Iollas somit als callidus bezeichnet ist, assoziiert dies ebenfalls die biblische Bedeutung des Weisen im christlichen Sinne, der der göttlichen Vernunft folgt.

148 Vgl. u. a. Albanese 2014, 1783. 149 Ähnlich unergiebig ist der Vergleich mit dem vergilischen Iollas. Dort erscheint er zum einen in der zweiten Ekloge in derselben Funktion wie bei Mopsus-Giovanni als elegischer Konkurrent. Zum anderen wird ein Iollas in der dritten Ekloge erwähnt, dessen Funktion und Identität jedoch unbestimmt bleibt. So bittet ihn Damoetas, er möge Phillis zu ihm schicken. Sollte Damoetas eine Kuh für die Ernte opfern, solle er selbst kommen (Verg. Ecl. III 76 f.). Die folgende Replik des Menalcas ist nicht weniger kryptisch. So bekräftigt dieser ebenfalls seine Liebe zu Phillis, die ihm bei seiner Abreise hinterhergerufen habe: „Schöner, leb wohl, leb wohl, Iollas“ (ibid. III 78 f.). Servius deutet Iollas in seinem Kommentar zu Vergils Eklogen jeweils als abstrakte Identität: in der zweiten Ekloge als der reiche Liebhaber oder Herr des begehrten Hirten Alexis (IOLLAS vel ditior amator, vel eius dominus, Serv. Comm. in Verg. Ecl. II 57). In der dritten Ekloge schlägt er vor, Iollas als allgemeinen Typus des pastor optimus zu verstehen (VALE VALE INQUIT IOLLA […] certe Iollam eum quasi pastorem optimum appellavit a quodam pastore nobillissimo, sicut fortem plerumque Achillem, adulterum Parin vocamus, Serv. Comm. in Verg. Ecl. III 79). Zu Iollas bei Dante siehe Stocchi 1971. 150 Sapientia callidi est intellegere viam suam et inprudentia stultorum (Prov 14, 8). Errans callidus vidit malum et abscondit se innocens pertransiit et adflictus est damno (ibid. 22, 3).

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Eine weitere Parallele zwischen der Zeugenschaft des Iollas und einer biblischen Referenz liegt in der Sprechsituation.151 So endet auch das Johannesevangelium mit dem Verweis auf die Zeugenschaft der berichteten Ereignisse. Dabei lassen sich einerseits Entsprechungen zwischen der Figur des Zeugen und dem Iollas in Dantes Epistel erkennen. Andererseits ergibt ein Vergleich grundsätzliche Parallelen zwischen der Allegorie der bukolischen Epistel und dem Evangelium. Bereits das Gleichnis der Schafherde rief eine Intertextualität zwischen der bukolischen Epistel und dem Ende des Johannesevangeliums auf. Denn Jesus hält Petrus, als er nach der Auferstehung seinen Jüngern begegnet, dreimal dazu an, seine Lämmer und Schafe zu weiden und bezeichnet damit die Christengemeinschaft, die er in Petrus’ Obhut legt ( Joh 21, 15–19). Nach dieser Passage beendet ein anonymer Sprecher das Evangelium und erklärt die Überlieferung des Evangelientextes. Er weist dabei auf den zweiten Jünger hin, der anwesend war, als Jesus sich an Petrus wandte. Dieser sei Zeuge gewesen für die Taten Christi und habe das Evangelium geschrieben.152 Die Identität dieses Jüngers bleibt dabei unsicher. Der Sprecher nennt ihn stets unpersönlich als discipulus ( Joh 21, 24) oder paraphrasiert ihn als denjenigen, den Jesus liebte und der sich beim Abendmahl an Christi Brust gelehnt und nach dessen Verräter gefragt habe ( Joh 21, 20).153 Am Ende des Evangeliums findet somit eine Reflexion über Überlieferung und Autorschaft des Textes statt, die eine ähnlich rätselhafte Konstellation wie in Dantes Epistel aufweist. So tritt in beiden Fällen ein Zeuge auf, der eigentlich die biographischen Ereignisse über Christus bzw. Tityrus erlebt haben soll, die das Evangelium bzw. die bukolische Epistel berichtet. Es stellt sich auf diese Weise überraschend heraus, dass 151

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Die bisherige Forschung verweist meist auf Vergils siebente Ekloge als Vorbild, in der Meliboeus dem Gesang der Arkader Corydon und Thyrsis lauscht und daraufhin dem Leser der Ekloge berichtet (Haec memini, et victum frustra contendere Thyrsin. / ex illo Corydon Corydon est tempore nobis, Verg. Ecl. VII 69 f.). Der Vergleich bleibt jedoch unbefriedigend, denn diese beinhaltet eine weitere Sprechebene. Während es sich bei Vergil um den homodiegetischen Sprecher Meliboeus handelt, der sich als Teil der Gesprächssituation an den Leser wendet, führt Dante zum einen am Ende seines Eklogenbriefes Iollas als bisher ungenannte Figur ein. Zum anderen ist dieser Iollas auch nicht der tatsächliche Sprecher der Ekloge, sondern eine Mittlerfigur, die den eigentlichen Sprecher über das Geschehen unterrichtete. Der namenlose Sprecher ist somit, anders als Vergils Meliboeus, nicht persönlich Zeuge der bukolischen Situation, die er berichtet, sondern gibt diese aus zweiter Hand wieder. Hic est discipulus qui testimonium perhibet de his et scripsit haec et scimus quia verum est testimonium eius. sunt autem et alia multa quae fecit Iesus quae si scribantur per singula nec ipsum arbitror mundum capere eos qui scribendi sunt libros amen ( Joh 21, 24 f.). Zu den verschiedenen Deutungen des Zeugen am Ende des Johannesevangelium als Autor des Johannesevangeliums oder nicht siehe Beutler 2016, 613–615. Zum Evangelisten Johannes bei Dante siehe Sarolli 1971. Die Formulierung (discipulus quem diligebat Iesus) erscheint mehrfach im Johannesevangelium: 13, 23; 19, 26; 20, 2; 21, 7; 21, 20; 21, 27. Bei Dante sind der Apostel Johannes, den Jesus liebt, und der Autor des Evangeliums ein und dieselbe Person, wie u. a. aus Par. XXV und XXVI hervorgeht. Dort stellt Beatrice den Apostel Johannes als denjenigen vor, der beim Abendmahl an der Brust Christi lag (Par. XXV 112–114). ‚Dante‘ identifiziert ihn schließlich als den Evangelisten (ibid. XXVI 45).

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die Sprecher erst aus zweiter Hand über Christus bzw. Tityrus berichten.154 Der Zeuge ist zudem in beiden Fällen als Schüler der biographierten Person angegeben. So ist der Zeuge im Evangelium ein discipulus Christi. In Dantes Epistel berichtet Iollas dem Sprecher ebenfalls, nachdem er über Tityrus „gelernt“ hat (omnia qui didicit, IV 96).155 Darüber hinaus bleiben jedoch Identitäten der Zeugen ungewiss. Auch die Identität der Sprecher, ihr Verhältnis zu dem Zeugen und den berichteten Ereignissen sind im Evangelium wie in der Epistel undefiniert. Um die Konstellationen und auch den Zusammenhang zwischen dem Schluss des Evangeliums und Dantes Epistel zu verstehen, ist erneut die Commedia zurate zu ziehen. So trifft ‚Dante‘ in Paradiso XXV–XXVI auf den Apostel Johannes, der ihn über die theologische Tugend der caritas befragt. Aus den Gesängen lässt sich ableiten, wie Dante das Ende des Johannesevangeliums deutet. Denn zum einen wird der Apostel Johannes als derjenige beschrieben, der beim Abendmahl an der Brust Christi gelegen habe. Dies entspricht der Paraphrase, mit der im Evangelium der anonyme Jünger und Zeuge umschrieben wird.156 Dante erkennt folglich in dem anonymen Zeugen den Apostel Johannes. Zum anderen spricht ‚Dante‘ den Jünger auch als den Evangelisten an.157 Der Dichter identifiziert folglich den bezeugenden Apostel und den Autor des Johannesevangeliums als dieselbe Person. Daraus lässt sich nun auch schließen, wie er die Konstellation am Ende des Evangeliums deutet. Denn wenn er den geliebten Jünger mit dem Evangelisten identifiziert, zieht also der Evangelist sich selbst als Zeugen seiner Christusbiographie heran (vgl. Joh 21, 24). Sprecher und Zeuge sind somit 154

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Eine weitere Parallele zwischen dem evangelischen Sprecher und dem der Episteln liegt in ihren Sprüngen zwischen erster Person Singular und erster Person Plural. So wählt der Sprecher in der Bibel zunächst die wir-Form, als er die Glaubwürdigkeit der Zeugenschaft des Apostels betont: et scimus quia verum est testimonium eius ( Joh 21, 24). Im folgenden Vers beendet er das Evangelium in der ersten Person, als er beteuert, dass, würde man alle Taten Jesu aufschreiben, die ganze Welt die Bücher nicht fassen könnte, die man schreiben müsste: sunt autem et alia multa quae fecit Iesus quae si scribantur per singula nec ipsum arbitror mundum capere eos qui scribendi sunt libros ( Joh 21, 25). Anstelle der ersten Person Plural, die sich zuvor in scimus zeigte, wählt er nun die erste Person Singular in dem Prädikat arbitror. Einen ähnlichen Numeruswechsel der Sprecherfigur nimmt Dante in seinen bukolischen Briefen vor. So beginnt er den zweiten Brief im Plural mit dem Prädikat vidimus, beendet ihn jedoch im Singular (talia sub quercu Melibeus et ipse canebam, II 67). Im vierten Brief schließlich, tritt der Sprecher nur am Ende auf und zwar in der wir-Form (ille quidem nobis, et nos tibi Mopse, poymus, IV 97). Die Wechselbewegung zwischen der ersten Person Plural und Singular, die der Sprecher am Ende des Johannesevangeliums vornimmt, findet folglich in Dantes bukolischen Briefen eine Entsprechung und stellt auf diese Weise eine weitere Parallele zwischen den beiden Texten her. Das Prädikat didicit kann dabei einerseits textintern als „in Erfahrung bringen“ gedeutet werden, ermöglicht jedoch andererseits die verbale Verbindung zu der Bezeichnung des Apostels im Evangelium als discipulus und assoziiert die beiden Figuren weiter miteinander. Conversus Petrus vidit illum discipulum quem diligebat Iesus sequentem qui et recubuit in cena super pectus eius ( Joh 21, 20) entspricht Questi è colui che giacque sopra ’l petto / del nostro pellicano (Dante Par. XXV 112 f.). Köhler 2011, 555 zu III 112 f., verweist hier direkt auf die Abendmahlsszene (erat ergo recumbens unus ex discipulis eius in sinu Iesu quem diligebat Iesus, Joh 13, 23). Vgl. Dante Par. XXVI 43–45.

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für Dante ein und dieselbe Person. Die Spaltung des Sprechers in ein Sprecher-Ich und eine intradiegetische Figur, über die er in dritter Person berichtet, dient demgemäß der Rechtfertigung seines Evangeliums als wahren Bericht über Leben und Taten Christi.158 Dantes Deutung des Johannesevangeliums bietet nun aufschlussreiche Hinweise zur Deutung seiner bukolischen Epistel. So besteht ebenfalls eine Identität zwischen dem Sprecher der vierten Epistel und einer intradiegetischen Figur, die jedoch formal als zwei verschiedene Personen auftreten. So ist die Figur des Tityrus, über die in dritter Person gesprochen wird, eigentlich mit dem Dichter Dante zu identifizieren, der sich zudem als Sprecher der Epistel an Mopsus-Giovanni wendet. Der Sprecher der bukolischen Epistel und die intradiegetische Figur Tityrus stehen folglich in demselben Identitätsverhältnis wie der Sprecher des Johannesevangeliums und die intradiegetische Figur des Zeugen. Die Spaltung der Person ist dabei unterschiedlich, da sich Dante in den Sprecher und den biographierten Tityrus aufteilt. Der Zeuge Iollas ist eine zweite, andere Figur. Im Evangelium hingegen ist der Sprecher der Zeuge und der biographierte Jesus ist die andere Person. Trotz dieser Abweichung erweist sich das Johannesevangelium als Interpretationsschlüssel für die bukolische Epistel, der über die Funktion, die Dante dem Dichter und der Dichtung als Medium göttlicher Erkenntnis zuschreibt, abschließend Auskunft gibt. Die Modifikationen, die Dante gegenüber dem Bibeltext vornimmt, verstehen sich dabei nicht als willkürlicher Transfer der evangelischen Strukturen in den bukolischen Kontext, sondern erklären sich inhaltlich. Zunächst fällt auf, dass beide Texte dieselbe Funktion erfüllen. So geben der Sprecher der bukolischen Epistel sowie derjenige des Evangeliums einen biographischen Bericht über Tityrus bzw. Christus ab. Der Vergleich ergibt dabei weitere Parallelen in der Konstellation: So ist Iollas Zeuge und fungiert damit als Instanz, die den biographischen Bericht über Tityrus extern legitimiert, sowie der Jünger Johannes, der ebenfalls als Garant für die Biographie Christi im Evangelium auftritt. Als Biographierte teilen wiederum Tityrus und Christus dieselbe Position. Diese strukturellen Parallelen zwischen dem Evangelium und der bukolischen Epistel suggerieren nun auch, die Allegorie der Epistel inhaltlich entsprechend zum Evangelium zu deuten. Mit der Appendix seiner Epistel verleiht Dante folglich der Bukolik, die er in vergilischer Tradition als poetische Autobiographie verwendet, den Rang eines Evangeliums und setzt auf diese Weise sein Alter Ego Tityrus implizit mit dem Gottessohn gleich. Tityrus-Dante erscheint in der Epistel somit nicht nur als neuer Vergil, sondern auch als neuer Christus. Dabei geht es Dante nicht unmittelbar um dessen Identität als Sohn Gottes, sondern vielmehr um die Funktion, die Dante in Jesus erkennt und die er im Convivio beschreibt. Daraus lässt sich die Parallele ableiten, die Dante zwischen Chris-

158

Vgl. Beutler 2016, 615.

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tus und Vergil zieht und die sich auch für die Gleichsetzung von Tityrus und Christus als wesentliche Voraussetzung erweist. Wie Dante im zweiten Buch des Convivio beschreibt, schickte Gott Christus zur Erde, damit dieser den Menschen die göttliche Wahrheit verkünde, während den „Antiken“ vor Christi Geburt diese christliche Offenbarung fehlte.159 Dazu zitiert Dante den Apostel Johannes: „Lo qual fu luce che allumina noi nelle tenebre“, sì come dice Giovanni Evangelista, e disse a noi la veritade di quelle cose che noi sapere sanza lui non potavamo, né vedere veramente (Conv. II 5, 2 f.).160 Das Johanneszitat, das Christus als Licht in der Finsternis und damit als Verkünder der göttlichen Wahrheit zeigt, schlägt die Brücke zu der Figur Vergils in Dantes Commedia. Denn dasselbe Bild, das Dante im Convivio zur Beschreibung Jesu Christi verwendet, legt er in Purgatorio XXII dem Dichter Statius in den Mund. Der huldigt dort Vergil einerseits als seinem poetischen Vorbild durch die Aeneis und andererseits als Verkünder der christlichen Botschaft durch die vierte Ekloge. So nennt er Vergil einen Träger des Lichts, der mit der Fackel hinter seinem Rücken den Nachfolgenden den Weg leuchte, aber selbst nicht sehe. Als Träger der göttlichen Wahrheit habe er ihn, Statius, zum Dichter und Christen gemacht.161 Dante gesteht Vergil somit dasselbe Bild des Lichtträgers zu, mit dem ihm gemäß der Evangelist und Apostel Johannes Christus beschreibt. Darüber hinaus setzt er sie in seinem Werk folglich in ihrer Funktion als Träger des Lichts der göttlichen Wahrheit gleich. Wie Dante im Convivio erklärt, ist dabei jedoch ihr Modus der Wahrheitsverkündung verschieden.162 Denn bei Christus als Gottes Sohn sind es seine Taten und Worte selbst, die die göttliche Botschaft überbringen. Vergil hingegen ist nur Vermittler. Denn nicht aus seinen Taten, sondern aus seiner Dichtung geht die göttliche Wahrheit hervor, sodass er sich als vates qualifiziert. Vor diesem Hintergrund ist Dantes Inszenierung seines Alter Egos Tityrus als neuer Vergil und zugleich neuer Christus zu verstehen. Denn auf diese Weise fordert er den Status des Propheten auch für sich ein. So wie die enge Verbindung zu Vergil durch die

Detto è che per difetto d’amaestramento li antichi la vertade non videro delle creature spirituali (Conv. II 5, 1). 160 Fioravanti 2014, 254 identifiziert in dem Bild des Lichtträgers, der die Finsternis erhellt, eine Mischung Dantes aus zwei Versen des Prologs des Johannesevangeliums: lux in tenebris lucet ( Joh 1, 5) und erat lux vera quae illuminat omnem hominem (1, 9). 161 Ed elli [Stazio] a lui [Virgilio]: „Tu prima m’invïasti / verso Parnaso a ber ne le sue grotte, / e prima appresso Dio m’alluminasti. / Facesti come quei che va di notte, / che porta il lume dietro e sé non giova / ma dopo sé fa le persone dotte / quando dicesti: „Secol si rinova; / torna giustizia e primo tempo umano, / e progenïe scende da ciel nova“. / Per te poeta fui, per te cristiano (Pg. XXII 64–73). 162 Dante unterscheidet zwischen der Allegorie der Theologen und derjenigen der Dichter. Diese Dichterallegorie bezeichne dementsprechend die Dichtung, die zwar die göttliche Wahrheit berge, diese jedoch in poetischer Fiktion vermittle. Die Allegorie der Theologen hingegen verkündet die göttliche Wahrheit in den historischen Ereignissen, die die Bibel beschreibe. Zur Allegorie bei Dante siehe Auerbach 2009, 176–226; Pépin 1970; Singleton 1978, 17–35; 1978; Cecchini 2000; Hollander 2000. Dantes theoretische Ausführungen finden sich in Conv. II 1, 2–7, Epist. XIII 20–22. 159

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bukolische Form der Epistel unmittelbar erkennbar und diejenige zu Jesus nur angedeutet wird, ist auch die Beziehung von Dantes Alter Ego zu Vergil enger zu verstehen als zu Jesus. Denn Tityrus-Dante ist kein inkarnierter Gott auf Erden, sondern Dante beansprucht den Status des Dichterpropheten für sich, der die göttliche Botschaft mittels seiner Dichtung verkündet. Im Unterschied zu dem Heiden Vergil verfügt er, wie der letzte Gesang der Commedia bezeugt, über den direkten Blick auf das göttliche Licht. Die Prophezeiung seiner Dichtung ist somit direkter als die Vergils, sodass Dante seinen antiken Vorgänger als christlicher Dichterprophet typologisch erfüllt. In der Identität des Tityrus präsentiert sich Dante nun also als irdische figura des christlichen vates.163 Die Spaltung seiner Sprecherperson von seinem Alter Ego Tityrus signalisiert dabei, in der bukolischen Allegorie allgemein die Biographie des vates in seinen idealen gesellschaftspolitischen und damit poetischen Umständen zu erkennen, den in vorchristlicher Zeit Vergil, in christlicher Zeit Dante inkarnieren. Mithilfe der abschließenden Parallele zum Evangelium und zu Christus weist Dante somit auf den christlich prophetischen Anspruch hin, den er mit dem vates verbindet und auf den Giovanni del Virgilio nie eingegangen war. In Anlehnung an das biblische Evangelium, das Taten und Leben Christi beschreibt, stellt Dante mit seinem Brief eine Biographie des christlichen Dichterpropheten dar. Durch die bukolische Allegorie präsentiert er diese jedoch nicht in einem historischen Modus wie das Neue Testament die Christusbiographien, sondern in poetischer, fiktionaler Form, wie auch das letzte Wort poymus abschließend hervorhebt.164 Dante schreibt also in der Epistel seine vates-Biographie in einer poetischen Allegorie. Diese Form der Epistel, in der Dante den Dichter als christlichen Propheten vorstellt, bildet dabei zugleich die prophetische Funktionsweise und den zugrunde liegenden poetisch-allegorischen Modus ab, den Dante der Dichtung des christlichen vates zuschreibt: So verkündet sie die göttliche Wahrheit auf Erden durch eine poetische Repräsentation historischer Realitäten.165 Auf diese Weise sendet Dante Giovanni del Virgilio ein poetisches Evangelium, 163 Zur figura bei Dante siehe Auerbach 2009, 176–226. 164 Lcom: poymus fingimus vel monstramus. Albanese 2014, 1783 verweist zudem auf De vulgari eloquentia. Im zweiten Buch verwendet Dante das Verb ebenfalls, um damit die spezifische poetische Qualität zu beschreiben: si poesim recte consideremus: que nichil aliud est quam fictio rethorica musicaque poita (Dve II 4, 2). Auch hier wird die Parallele und zugleich der Unterschied zum Johannesevangelium deutlich. Denn dieses beendet der Sprecher mit der Beteuerung, dass all das Bezeugte wahr sei (hic est discipulus qui testimonium perhibet de his et scripsit haec et scimus quia verum est testimonium eius, Joh 21, 24). Das verum, das die Taten Christi als historische Tatsachen deklariert, steht somit in konstrastiver Verbindung zu dem poymus, mit dem Dante seine Ekloge als dichterische Fiktion bezeichnet, ohne ihr das Erkenntnispotenzial abzusprechen. 165 Singleton 1978, 34 stellt für die Commedia fest, dass Dante einen Hybrid zwischen poetischer und theologischer Allegorie herstelle. Denn er besingt zwar eine Fiktion, wenn er sich selbst durch das Jenseits reisen lässt. Zugleich inszeniert er jedoch diese Fiktion seiner Unterweltsreise als eine tatsächlich unternommene Erfahrung, der eine eschatologische Bedeutung zukommt. Denn ‚Dante‘ erlebt in der Fiktion der Commedia zwar seine individuelle Reise zu Gott, zugleich erhält diese Reise jedoch auch die überzeitliche Bedeutung der Reise eines jeden Christen. Darüber hinaus

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in dem er einerseits sein Verständnis von Dichtung und Dichter proklamiert und andererseits in diesem Sinne die Nachfolge Vergils für sich beansprucht.

wird er mit der Aufgabe betreut, diese göttliche Erkenntnis an die Menschen im Diesseits weiterzutragen und bekommt in der Rolle des christlichen Propheten somit eine Funktion im göttlichen Heilsplan verliehen. Eine ähnlich hybride Funktion weist Dante auch der bukolischen Allegorie in der Epistel zu. Denn bei der Hirtenwelt handelt es sich um eine Fiktion. Sie beruht nicht auf historischen Tatsachen, sondern ist eine Chiffre, mit der früher der antike Dichter Vergil sein Leben als Dichter poetisch ausgestaltet und darstellt, die nun Dante ebenfalls als poetische Fiktion seiner Dichterbiographie verwendet. Dabei findet sich ein ähnlicher Widerspruch, wie ihn Dante in der Allegorie der Commedia herstellte. Denn die poetische Fiktion hat zugleich den Anspruch, das biographische Erleben des Dichters Dante zu beschreiben. Es handelt sich somit offensichtlich nicht um reine Fiktion, sondern um die fiktionale Inszenierung eines tatsächlich gelebten Zustandes des Dichters in Gestalt des Hirten Tityrus.

VI. Schlussbetrachtung Bei dem bukolischen Briefwechsel zwischen Giovanni del Virgilio und Dante Alighieri handelt es sich um einen Streit über das Wesen von Dichtung und über die Funktion des Dichters. Die beiden Korrespondenten vertreten dabei grundsätzlich unterschiedliche Positionen. Sie debattieren über die antike Dichtungstradition, die beide Seiten als Grundlage des jeweils eigenen Dichtungskonzepts beanspruchen. Zentrale Bedeutung kommt dabei der Figur Vergils zu, dessen Autorität als antiker vates sie in unterschiedlicher Weise definieren und in dessen Tradition sie die eigene Dichteridentität stellen. Ihr Verständnis von Dichtung und ihr Verhältnis zum antiken Erbe geht dabei vor allem implizit aus der poetischen Form der Briefe hervor. Ihre Reflexionen vermitteln Dante und Giovanni anhand ihrer eigenen Dichterpersönlichkeiten, die sie im zweiten bis vierten Brief als die vergilischen Hirten Tityrus und Mopsus inszenieren. Auf diese Weise machen die Korrespondenten sich selbst zu Figuren der antiken Dichtung, deren Charakter und Kontext ihr jeweiliges Profil und Dichtungsverständnis repräsentieren. Indem Dante und Giovanni so die bukolische Gattung als biographische Allegorie ihrer Dichterexistenz funktionalisieren, knüpfen sie formal an die Deutungstradition der vergilischen Bukolik an, wie sie prominent der spätantike Vergilkommentator Servius überliefert. Den wesentlichen Bezugsrahmen der Korrespondenz stellt dabei Vergils erste Ekloge über das Hirtengespräch zwischen dem in poetischer Muße rastenden Tityrus und dem am Exil leidenden Meliboeus. Die biographisch-allegorische Deutung nach Servius erkennt in Tityrus den Dichter Vergil, der nach den Wirren der römischen Bürgerkriege die Schutzherrschaft des Kaisers Augustus genießt. Diese Konstellation aus der glücklichen Situation des Dichterhirten Tityrus-Vergil in Kontrast zu dem exilierten Meliboeus erweist sich sowohl bei Dante als auch bei Giovanni als Dispositiv und interpretatorischer Schlüssel ihrer bukolischen Inszenierungen. Die erste Epistel, mit der Giovanni del Virgilio sich an Dante wendet, ist zwar allegorisch und poetisch gestaltet, weist jedoch noch keinen bukolischen Charakter auf. Sie präsentiert sich als eine Dichtungslehre in horazischer Tradition. Giovanni ist daran gelegen, Dante von der volkssprachlichen, komischen Dichtung abzubringen, wie er sie in der Commedia vorlegt, und will ihn für die lateinische, epische Dichtung gewinnen. Er propagiert dabei ein gelehrtes Dichtungsverständnis, das in der formalen

Ein poetisches Evangelium

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Imitation der antiken Dichtungsautoritäten ihr Ideal findet. Der Dichter ist demgemäß ein virtuoser Kenner der lateinischen Sprache sowie der antiken Literatur und Wissenskultur, an deren Tradition er mit seiner eigenen Dichtung anknüpft. Diese dient zudem als Code, der ihn als Teil einer gelehrten Gemeinschaft identifiziert, die sich in formaler, teils epistemischer und moralischer Hinsicht in der Nachfolge der römischen (republikanischen) Antike und ihrer Dichtungsautoritäten sieht. Vor diesem Hintergrund vermittelt Giovanni mit seinem Brief sein Interesse an Dante, ihn als Dichter und Lehrer der antiken Dichtung zu gewinnen. Dazu lädt er ihn nach Bologna ein, das er als Hochburg der Gelehrsamkeit präsentiert, an dem Dante durch eine Dichterkrönung in antikem Sinne seine gebührende Ehre als vates entgegengebracht werde. Die Argumentationsstrategie, mit der Giovanni Dante für sein gelehrtes Dichtungsideal gewinnen will, besteht dabei in der Inszenierung einer soziopoetologischen Lehre, die er auf der Basis der antiken Rhetorik und deren zeitgenössischer Auslegung entwirft. So bringt er die lateinische mit der volkssprachlichen Dichtung in Opposition und lädt beide Sprach- bzw. Dichtungsformen moralisch auf, sodass ein episch-erhabener lateinischer Stil einem komisch-niederen volkssprachlichen Stil gegenübersteht. Die poetologischen Kategorien des Stils und der Gattung setzt er darüber hinaus je mit einem bestimmten textexternen Publikum gleich. So identifiziert Giovanni del Virgilio den erhabenen Stil mit einer gelehrten Elite, den niederen Stil mit dem ungebildeten Volk und proklamiert auf diese Weise eine natürliche Überlegenheit der gelehrten Kultur. Volk und Gelehrte erscheinen somit als soziale und moralische Kategorien, die Giovanni wiederum mithilfe literarischer Motive der antiken Dichtungstradition illustriert: Er präsentiert einerseits das Volk als eine ungebildete Masse, die dem unmoralischen und sozial niederen Personal der antiken Komödie entspricht. Andererseits erklärt er die Gelehrten mithilfe epischer Motive zu den erhabenen Hütern einer offiziellen Wissenskultur, die ihre Gesellschaft auf den Werten der römisch-republikanischen Antike begründen. In dieses bipolar hierarchisierte soziopoetologische Gefüge verortet Giovanni del Virgilio Dante und sich selbst. Dabei erklärt er ihre genuine Zugehörigkeit zu der erhabenen gelehrten Klasse, gegen die Dante mit seiner volkssprachlichen Dichtung jedoch verstoßen würde. Giovanni tritt als gelehrter Zensor des römischen Gelehrtenstaates und seiner Werte auf und macht Dante in dieser Funktion auf das Missverhältnis aufmerksam, das seine Dichtung zwischen Dichter, Dichtung und Publikum herbeiführe. Diese natürliche Einheit solle er in einer neuen gelehrten Dichtung berücksichtigen. Der Gelehrte suggeriert dabei, Dante einen Dienst zu erweisen, indem er ihm helfe, seine Berufung als antiker vates und neuer Vergil zu erfüllen und damit seine rechtmäßige Position als Dichterfürst des Gelehrtenstaates einzunehmen. Dantes Einladung als gelehrter Meister der Dichtung an die Universität Bologna präsentiert er vor diesem Hintergrund als natürliche Konsequenz und als Gelegenheit für Dante, seinem Wesen zu entsprechen.

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Schlussbetrachtung

Dante erteilt dem Gelehrten daraufhin im zweiten Brief eine Absage, die sich zunächst in seinen expliziten Aussagen äußert. So beteuert er, für seine Commedia den Lorbeer erhalten zu wollen. Darüber hinaus lobt er zwar Giovanni del Virgilios Fähigkeiten als Nachahmer der antiken Dichtungsform. Er äußert jedoch zugleich seine Furcht und Kritik an dessen Aufenthaltsort Bologna. Ex negativo liest sich Dantes Epistel als Absage an Giovannis Einladung nach Bologna sowie an dessen Vorstellung eines gelehrten lateinischen Dichtungsideals und seiner Person als Meister und Lehrer dieser Dichtung. Von den vier Anliegen, die Giovanni formulierte (Dantes Wahl der Volkssprache, die Schmähung des ungebildeten Volks bzw. das Lob der Gelehrten, die Aufforderung zu einer lateinischen epischen Dichtung und die Einladung zur Dichterkrönung in Bologna) thematisiert Dante folglich unmittelbar nur zwei und nimmt damit eine Themenverschiebung gegenüber Giovannis Epistel vor. So steht die Lorbeerkrönung im Zentrum seines Briefes. Die stilistische Kritik greift Dante kurz auf, ohne sie jedoch weiter zu diskutieren. Giovannis Bewertung der unterschiedlichen sozialen Klassen sowie die Unterscheidung zwischen lateinischer und volkssprachlicher Dichtung, auf die der Gelehrte die Argumentation seines Dichtungsverständnisses aufbaute, lässt Dante unerwähnt. Die Begründung seiner Position geht implizit aus der Gestaltung der Epistel sowie ihrer Intertextualitäten hervor. Dante verlegt die Korrespondenz im zweiten Brief in das allegorische Format der Bukolik und knüpft dabei vor allem an Vergils erste Ekloge an. Das Format bietet sich zum einen an, da Dante mit der bukolischen Gattung in Vergils poetische Nachfolge tritt. Zum anderen macht er sich ihre biographisch-allegorische Deutungstradition zunutze, um sich und Giovanni als Hirtenfiguren und ihre poetologische Diskussion als Hirtengesang zu inszenieren. Seinen Anspruch auf das Erbe Vergils verdeutlicht Dante dabei, indem er sich als der Hirte Tityrus darstellt, der seit der Spätantike als Vergils bukolisches Alter Ego gedeutet wird. Mit der Intertextualität zu Vergils erster Ekloge erklärt Dante sich folglich formal zum Nachfolger Vergils. Er interpretiert den antiken Dichter und sein Erbe jedoch anders als Giovanni del Virgilio. Dies spiegelt sich nicht nur allgemein in dem Format der bukolischen Allegorie, sondern auch im Detail ihrer Ausgestaltung: Die Bukolik bietet sich aus verschiedenen Gründen als Chiffre für Dantes Stellungnahme gegenüber Giovanni del Virgilio an. So ist sie neben ihrer allegorisch-biographischen Funktion auch durch ihre traditionelle Motivik passend: Vergil stellt in mehreren seiner Eklogen einen poetischen Wechselgesang zwischen zwei Hirten dar, in der diese mitunter kompetitiv, wie in der dritten und siebenten Ekloge, um den Rang des besten Dichters streiten, mitunter in einem freundlichen gemeinsamen Spiel, wie in der fünften Ekloge, singen oder auch, wie in der ersten und neunten Ekloge, über das persönliche Leben als Hirte und Sänger unter bestimmten gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen sprechen. Wenn Dante seine Antwort auf Giovannis soziopoetologische Kritik als eine Kommunikation zwischen zwei Hirten darstellt, erweisen sich Vergils Eklogen folglich als geeigneter fiktionaler Rahmen.

Schlussbetrachtung

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Darüber hinaus finden sich in Vergils Eklogen metapoetische Aussagen, die sich ebenfalls mit Dantes Anliegen in Einklang bringen lassen. Vergils sechste Ekloge beispielsweise beginnt mit einer recusatio der epischen Gattung und stellt dieser die Bukolik als kleine Dichtungsform gegenüber. Die Kategorisierung der Bukolik als Dichtung des stilus humilis ist Dante dienlich. Denn die mittellateinische Rhetorik systematisiert dies in der Unterscheidung eines epischen stilus gravis von einem bukolischen stilus humilis. Da die Gattungen der Komödie und der Bukolik in der mittellateinischen Stillehre dieselbe Kategorie des stilus humilis repräsentieren, liest sich Dantes bukolische Epistel formal als eine Verteidigung seiner Commedia gegen das episch-erhabene Stilideal, mit dem ihn der Gelehrte konfrontierte. Überhaupt führt Dante ein stilistisches Paradox herbei, das sich aus dem Mischcharakter seines Schreibens zwischen Epistel und bukolischem Gedicht ergibt. So übertrifft Dante Giovannis Brief in der poetischen Qualität, da er im Unterschied zu dem Gelehrten keine einzelnen Allegorien aneinanderreiht, sondern mittels einer konsequenten Allegorisierung ein abgerundetes vergilisches Gedicht verfasst. Dante präsentiert sich auf diese Weise formal als Dichter und stellt seine Virtuosität in der Imitation der antiken Autorität Vergil unter Beweis. Im Widerspruch zu der erhabenen Form des Briefes, steht jedoch das Hirtenthema, das diesen eigentlich als niedere Dichtung identifiziert. Mit diesem Widerspruch aus inhaltlich niederer und formal erhabener Bewertung der bukolischen Allegorie stellt Dante implizit die Schlüssigkeit der Regelpoetik infrage, die Giovanni als eindeutig und absolut gültig bewarb. Doch nicht nur die allgemeine Kategorisierung als Gattung des stilus humilis macht die Bukolik zum geeigneten Rahmen für Dantes Stellungnahme. So definiert sie die zeitgenössische Rhetorik inhaltlich als Darstellung der proprietas personarum in moribus vel sermone. Dies macht sich Dante zunutze, wenn er in den verschiedenen Hirtenfiguren unterschiedliche Dichterprofile repräsentiert und sie in ihren stilistischen und moralischen Eigenschaften zueinander ins Verhältnis setzt. Dantes Alter Ego Tityrus erscheint dabei in Rede und Inhalt gelehrt. Giovanni del Virgilio wird in der Hirtenfigur Mopsus als erhabener Dichter eines antiken Stilideals repräsentiert. Die dritte, rein fiktive Hirtenfigur Melibeus zeichnet sich hingegen in ihrer Rede und ihren Reaktionen als naiv und ungebildet aus. Dante personifiziert in den Hirtenfiguren folglich die Profile, die Giovanni del Virgilio einander gegenüber gestellt hatte. Denn Tityrus-Dante und Mopsus-Giovanni stehen als weise und gelehrte Hirten dem ungebildeten Melibeus gegenüber. Dies erinnert an die erste Epistel, in der Giovanni sich und Dante als gelehrten Adel von dem ungebildeten Volk abgrenzte, das er als komisch und unmoralisch schmähte. Dante entwirft jedoch eine andere Konstellation und impliziert damit auch eine andere Bewertung der Profile. Denn Melibeus ist zwar einfältig, aber dem gelehrten Tityrus in Liebe verbunden. Zudem steht die Erhabenheit des antik-gelehrten Sängers Mopsus in Frage, wenn seine idyllische Umgebung als gottlos bezeichnet wird und seine Dichterweihe als groteskes Szenario erscheint, das in seiner Überfüllung an poetischer Inspi-

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Schlussbetrachtung

ration resultiert, die der Gelehrte nicht zu verdauen im Stande ist. Die verschiedenen Hirtenfiguren, die Dante in seiner bukolischen Allegorie präsentiert, dienen somit nicht nur als individuelle biographische Allegorien, sondern personifizieren auch die unterschiedlichen Profile, die Giovanni in der soziopoetologischen Argumentation seiner ersten Epistel entworfen hatte. Diese werden bei Dante implizit durch die Charaktere der Hirten, ihre Umgebung und ihre Beziehungen untereinander definiert. Aus der personalen Inszenierung geht dabei hervor, wie Dante die Bewertungen verändert, die Giovanni diesen Profilen zukommen ließ. Die tatsächliche Bedeutung dieser allegorischen Inszenierung ergibt sich nun erst auf der Basis des moraltheologischen Wertgefüges, das Dante in seinen verschiedenen Werken einerseits theoretisch darlegt, andererseits in den drei Jenseitsreichen der Commedia poetisch darstellt: Die Bukolik erhält vor allem an zwei Stellen seines Werkes eine Würdigung. So geht aus Purgatorio XXII der Commedia und seinem politischen Traktat Monarchia hervor, wie Dante die vierte Ekloge Vergils deutet. Er liest sie als Prophezeiung der Monarchie des Augustus, in der Dante den irdischen Idealstaat verwirklicht sieht, der zwar unter noch vorchristlichen Bedingungen besteht, jedoch die göttliche Gerechtigkeit auf Erden bereits politisch einrichtete. Vergil ist für Dante entsprechend ein vorchristlicher Dichterprophet, dessen Werk mit der Monarchie des Augustus die gottgewollte Ordnung auf Erden verkündet, wenngleich sie ihm aufgrund seines Heidentums noch nicht gänzlich zugänglich war. Auch Vergils erste Ekloge, nach deren Modell Dante seine Epistel gestaltet, deutet er vor dem Hintergrund der christlichen Heilsgeschichte und des spätantiken biographisch-allegorischen Serviuskommentars. Dante erkennt in Tityrus den Dichter Vergil zum Zeitpunkt des politischen Friedens unter Augustus, der ihm seine politische und poetische Muße als Dichter ermöglicht. Die erste Ekloge gilt Dante somit als autobiographisches Zeugnis, das den prächristlichen Dichterpropheten in der idealen Monarchie zeigt, die seine vierte Ekloge voraussagte. Vergils politische Prophezeiung einer gerechten monarchischen Ordnung auf Erden hat sich folglich erfüllt und beweist zugleich, dass die Gesellschaft seine Botschaft erhört und umgesetzt hat. Wenn Dante sich in seiner Epistel als Tityrus inszeniert, liest diese sich ebenfalls als autobiographisches Zeugnis seiner Existenz als Dichterprophet. Als Christ hat Dante nun im Unterschied zu dem Heiden Vergil direkten Zugriff auf die göttliche Wahrheit und erfüllt den antiken Dichter somit typologisch. Dante bezeugt zu seiner Zeit jedoch ein Missverhältnis zwischen vates und Gesellschaft. Denn sein Alter Ego Tityrus befindet sich im Exil. In Analogie zu Vergils erster Ekloge bedeutet dies zum einen, dass es keinen Kaiser gibt, der Tityrus-Dante ein Leben in Frieden erlaubt, zum anderen, dass er als Dichter der göttlichen Botschaft auf Erden nicht erhört wird. Mit der bukolischen Allegorie seiner Epistel äußert Dante somit zunächst eine Kritik an Gesellschaft und Politik, die nicht die gerechte Weltmonarchie errichten, wie er sie in seiner Dichtung als einzig legitime Staatsform prophezeit. In dieser gesellschaftspolitischen Kritik begründet sich wiederum seine Ablehnung von Giovannis

Schlussbetrachtung

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Dichtungsverständnis. Denn der Gelehrte forderte ein Epos zur Verherrlichung eines zeitgenössischen Herrschers als Nachfolger der antiken Heldentradition. Laut Dante gibt es jedoch keinen Herrscher, der entgegen der Parteistreitereien die Gerechtigkeit auf Erden in der Monarchie verwirklichen könnte und damit über ein göttlich legitimiertes Imperium verfügt. Das Epos stellt daher angesichts der gesellschaftspolitischen Umstände kein adäquates poetisches Medium dar. Entsprechend impliziert auch der bukolische Rahmen der Allegorie eine moraltheologische Aussage. Als Gattung des stilus humilis spiegelt sie den niederen Status, der den Menschen in seiner irdisch-diesseitigen Existenz grundsätzlich kennzeichnet. Indem Dante sich und Giovanni del Virgilio zu Hirten erklärt, repräsentiert er folglich ihre niedere Konstitution als irdische Dichter und widerspricht so der erhabenen Inszenierung, die der Gelehrte vornahm, als er Dante und sich selbst mit epischen Figuren, als triumphierenden dux und dessen Herold, verglich. Insgesamt erweist sich vor diesem christlichen Hintergrund Mopsus-Giovannis erhaben-gelehrtes Stilideal als falsch, da er die antiken Traditionen fortzuführen sucht, ohne die göttliche Ordnung zu berücksichtigen. Bei Dante hingegen stehen sowohl seine Existenz als Hirte als auch sein Dichtungsstil mit dem niederen Status der irdischen Welt im Einklang. Seine poetische Inspiration, die er in der ovis gratissima personifiziert, kommt zudem – wie das Adjektiv gratissima verlauten lässt – von göttlicher Gnade, mit deren Hilfe allein sich der Mensch der göttlichen Erkenntnis und der eigenen Glückseligkeit annähern kann. Die bukolische Allegorie ermöglicht Dante somit, die verschiedenen Dichtungsstile poetisch darzustellen und gleichzeitig vor einem moraltheologischen Wertehorizont zu positionieren. So würdigt er Giovanni del Virgilios antikisierende Poetik als formal erhaben, wertet sie jedoch als falsches Ideal. Sein eigenes Dichtungskonzept hingegen präsentiert er als legitim, da es die christliche Weltordnung berücksichtigt und sich in den Dienst der göttlichen Wahrheitsverkündung stellt. Den Dichter Vergil verehrt Dante somit auch nicht nur als poetische Autorität. Es ist vielmehr die Funktion als christlicher vates und zugleich höchster Dichtungsautorität der abendländischen Tradition, die Dante mit der Vergilnachfolge für sich beansprucht und gegenüber Giovanni del Virgilio verteidigt. Im dritten Brief präsentiert Giovanni del Virgilio daraufhin seine Version der bukolischen Allegorie, ohne jedoch auf die theologischen Implikationen von Dantes Aussagen einzugehen. So zeichnet er sich und seinen Korrespondenten in einem gemeinsamen Bestreben nach den antiken Stilidealen. Auf der Basis von Dantes Brief und Vergils Eklogen dichtet er eine Stellungnahme, in der er die Bukolik als Medium eines aufstrebenden Gelehrten antiker Tradition und damit als sein eigenes ideales Medium deklariert. Zugleich lobt er Dantes bukolischen Brief als vergilisch und stellt ihn auf diese Weise ebenfalls in diese Dichtungstradition. Er weist Dante jedoch erneut dazu an, sich der erhaben-epischen Gattung zuzuwenden. Denn diese stelle die höchste Perfektionsstufe gelehrter Dichtung dar und entspreche damit Dantes Status.

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Schlussbetrachtung

Für die bukolische Inszenierung seines Anliegens greift Giovanni Tityrus-Dantes Klage über sein Exil aus dem zweiten Brief auf und entwirft in Anlehnung an Vergils zweite Ekloge ein elegisches Werbungslied seines Alter Ego Mopsus. Darin stellt er Tityrus-Dante den müßigen Idealzustand des Tityrus aus Vergils erster Ekloge an seinem Ort Bologna in Aussicht, dessen Verlust Tityrus-Dante im zweiten Brief bedauert hatte. Bologna erklärt der Gelehrte im Zuge dessen zum poetischen Sehnsuchtsland Arkadien und zum idyllischen Rückzugsort für Tityrus-Dante als neuem Vergil. Giovanni bleibt somit den Forderungen aus seiner ersten Epistel treu, in der er Dante das Potenzial und die Verantwortung zusprach, eine führende Position in der antik-gelehrten Dichtergemeinschaft einzunehmen. Der Gelehrte macht sein poetologisches Anliegen dabei weiterhin zu einer Frage der sozialen Hierarchie. Denn er trennt erneut in hierarchischer Manier die Kategorien des stilus humilis und des stilus gravis. Die Stilkategorien repräsentieren zudem abermals unterschiedliche Grade an Gelehrsamkeit, die jeweils einen sozialen Wert und Status implizieren. Im Unterschied zur ersten Epistel unterscheidet Giovanni jedoch auf diese Weise nicht Gelehrte von Ungelehrten, sondern hebt die Ordnung innerhalb des gelehrten Diskurses hervor. So verwendet er die Stilhierarchie zwischen niederer Bukolik und erhabener Epik, um den Statusunterschied zwischen sich und Dante zu verdeutlichen. Er erklärt sich zum idealen Jungdichter der gelehrten, niederen bukolischen Gattung und ordnet sich Dante unter, dem als altehrwürdigem Meister der antiken Dichtung die epische Gattung entspreche. So wiederholt er die Wunschkonstellation aus der ersten Epistel, in der er sich Dante als Meister und Lehrer der gelehrten Dichtung wünschte. Die Hirtenfiguren Tityrus und Mopsus funktionalisiert Giovanni dabei ähnlich wie Dante als Allegorien stilistischer Profile, die er in ein bestimmtes Verhältnis zueinander stellt. Auf diese Weise drückt er nun denselben poetologischen Wunsch in poetisch impliziter Form aus, den er in seiner ersten Epistel theoretisch explizit formuliert hatte. Auch die monologische Form seines Briefes spiegelt denselben belehrenden, absoluten Anspruch seiner Stillehre wie die erste Epistel. Wo Dante einen unüberbrückbaren Unterschied zwischen ihren beiden Figuren und den damit verbundenen Konzepten eines christlichen und eines antikisierend-philologischen Dichtungsbegriffs darlegte, propagiert Giovanni del Virgilio eine Kontinuität und spannt eine harmonische Traditionslinie von Vergil über Dante zu sich selbst. Dieses Bestreben spiegelt sich abermals formal. Denn nachdem Dante seine Briefekloge vor allem in Anlehnung an Vergils erste Ekloge gestaltet hatte, lehnt sich Giovanni in seinem Brief an Vergils zweite Ekloge an und inszeniert auf diese Weise eine poetische Kooperation zwischen sich und Dante, die im Wettgesang das vergilische Eklogenkorpus wieder aufleben lässt. Giovannis Brief präsentiert sich somit als formales Zeugnis einer gelungenen, antikisierend gelehrten Zusammenarbeit zwischen sich und Dante in der Tradition Vergils. In der vierten und letzten Epistel der Korrespondenz beharrt Dante wiederum auf der Position, mit der er Giovanni del Virgilio bereits in der zweiten Epistel widerspro-

Schlussbetrachtung

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chen hatte. Nach wie vor verwendet er die Bukolik zur allegorisch-figuralen Darstellung ihrer beider Dichterprofile, die er innerhalb der bukolischen Welt in bestimmte Verhältnisse setzt und implizit vor einem christlichen Wertehorizont verortet. Im Vergleich zu den bisherigen Episteln nimmt Dante jedoch signifikante Veränderungen und Erweiterungen vor. So öffnet er die bukolisch-irdische Szene zunächst, indem er sie räumlich und zeitlich im göttlichen Makrokosmos kontextualisiert und diesen mit einem antikisierenden epischen Stil beschreibt. In der Gegenüberstellung von himmlischem Makro- und bukolischem Mikrokosmos spiegelt sich dabei eine stilistische Hierarchie zwischen erhabener Epik und niederer Bukolik. Daran zeigt sich, wie Dante poetologische und stilistische Kategorien als Ausdruck einer Wertehierarchie innerhalb der Ordnung des göttlichen Kosmos interpretiert. Dies birgt nun in verschiedener Hinsicht eine Stellungnahme an Giovanni del Virgilio. Denn zum einen bekräftigt Dante in der expliziten Gegenüberstellung von bukolischer und epischer Sphäre seine Aussage aus der zweiten Epistel, dass alle Hirtenfiguren – und damit jeder Dichter und Mensch – von grundsätzlich niederer moralischer Konstitution sind. Dante erteilt Giovanni del Virgilio also erneut eine Absage, der ihm ja im dritten Brief noch immer die Identität eines epischen Dichters und damit einen erhabenen Charakter zuschrieb. Erstmals formuliert Dante zudem eine eigene Interpretation des Epischen. Denn er reserviert den episch-erhabenen Stil für die himmlische Dimension, deren Göttlichkeit er poetisch verherrlicht, und lehnt damit nochmals Giovannis Forderung einer epischen Dichtung über zeitgenössische Herrscher und kriegerische Auseinandersetzungen ab. Auch innerhalb der bukolisch-irdischen Inszenierung nimmt Dante im Vergleich zu den vorangehenden Episteln Veränderungen vor, die wiederum unter Berücksichtigung des christlichen Wertehorizonts zu deuten sind. Zunächst modifiziert er die Figurenkonstellation. Denn es sprechen nicht mehr Tityrus und der ungebildete Melibeus miteinander, sondern Tityrus und ein gelehrter Gefährte Alphesibeus. Im Unterschied zu Giovannis vorangehender Inszenierung erscheinen Dantes Hirten zudem nicht primär als antike Sängerexperten, sondern sind in einen alltäglichen, einfachen Kontext eingebettet, der ihren niederen irdischen Status spiegelt. Ein wesentlicher Unterschied zu den vorangehenden Briefen besteht zudem in der Lokalisierung der Hirtenwelt, die Dante insgesamt nach Sizilien verlegt. Tityrus und Alphesibeus befinden sich an den fruchtbaren Weiden des Pelorus, Mopsus-Giovanni hingegen an den kargen Felsen des Ätna, wo Polyphem und andere Kyklopen hausen. Für die Interpretation von Dantes Reinszenierung erweisen sich zwei Motive als zentral, die Dante aus Giovannis Brief aufgreift und umdeutet: die Aufenthaltsorte der Hirten und die Liebe, die ihre Gemeinschaft jeweils auszeichnet. So hatte Mopsus-Giovanni Tityrus-Dante im dritten Brief mit einem elegischen Lied zum gemeinsamen Musikspiel an seinem Ort eingeladen und seine Liebe beteuert. Tityrus solle bei ihm seinen elendigen Exilzustand in Bologna überbrücken, das Giovanni als Arkadien präsentierte und zu einem idealen Ort stilisierte, wie ihn Tityrus-Vergil in der ersten Ekloge

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Schlussbetrachtung

genoss. Dante nimmt im vierten Brief nun eine Neubewertung dieses vielversprechenden Angebots vor. Dafür lässt er das Hirtengespräch zunächst mit Alphesibeus’ philosophischer Fragestellung nach dem angemessenen Lebensraum einsetzen und erklärt die Reflexion über den Ort so zum übergeordneten Thema der vierten Epistel. Bereits in den vorherigen Briefen dienten die Orte als Bedeutungsträger innerhalb der jeweiligen Argumentation. So repräsentierte Giovanni Bologna stets als idealen Ort der gelehrt-erhabenen Dichtung. Dante wiederum funktionalisierte im zweiten Brief die Ortsbeschreibung um Mopsus, um Giovannis gelehrtes und elitäres Stilideal landschaftlich abzubilden. Zugleich implizierte seine Darstellung jedoch eine Kritik an den gesellschaftspolitischen Umständen Bolognas. Vor diesem Hintergrund wurde wiederum verständlich, dass Dante Giovannis poetologisches Ideal diskreditiert. Er suggerierte, Giovanni verharre bei seiner Imitation der antiken Autoritäten in einer unpolitischen formalen Kunstübung, ohne deren christlich-allegorischen Erkenntniswert zu berücksichtigen. Es zeigte sich, das Dante das Dasein als Dichter und die Nachfolge der antiken Autorität Vergil nur im Dienst der göttlichen Wahrheitsverkündung auf Erden anerkennt und ihm daher stets eine gesellschaftspolitische Verantwortung zuschreibt. Der Dichter kann ein ideales Leben somit nur führen, wenn die göttliche Botschaft seiner Dichtung von der Gesellschaft erhört und dadurch Gerechtigkeit und Frieden in Form der Monarchie hergestellt sind. Diese Verquickung der gesellschaftspolitischen und der poetologischen Dimension vor einem christlichen Wertehorizont, die der zweite Brief implizierte, durchzieht auch im vierten Brief Dantes bukolische Inszenierung und ist ein wesentlicher Aspekt seiner Argumentation gegenüber Giovanni del Virgilio. Die Inszenierung der Orte und das Liebesverhältnis der Hirtengemeinschaft erweisen sich dabei als zentrale Motive, an denen Dantes christliche Bewertungsmaßstäbe erkennbar werden. So zeigt Dante sein Alter Ego Tityrus nicht mehr im Exil, sondern an einem einfachen, aber äußerst fruchtbaren Ort Siziliens, der ideale Bedingungen für Hirten und Tiere bietet. Er lebt zudem in einer harmonischen Gemeinschaft, die sich in Liebe zugetan ist und dieselbe Mentalität teilt. Ganz anders Mopsus-Giovanni, den Dante an den Ätna in die karge Höhle des Kyklopen Polyphem versetzt. Dante macht Giovannis arkadisches Bologna zur sizilischen Kyklopenhöhle Bologna. Der Austausch Arkadiens mit Sizilien ist dabei durch Vergil motivisch legitimiert, der in seiner zehnten Ekloge Sizilien mit Arkadien verbindet. Während Vergil auf diese Weise seine Hirtenwelt idealisierte, macht Dante diese Bewegung rückgängig. Er entzaubert Giovannis arkadische Idealisierung, wenn er Mopsus nach Sizilien versetzt, noch dazu an die Kyklopenfelsen. Dante parodiert Giovannis Werbung, indem er dessen Ort auf diese Weise als eigentlich feindselige Umgebung stilisiert. Mit dieser Ortsverschiebung trifft Dante zunächst eine politische Aussage. Denn in Polyphem hat Mopsus’ Umgebung einen bestialischen Herrscher. Dante zeigt Bologna in der Hand einer tyrannischen Politik, deren Machthaber nicht für Gerechtigkeit und Frieden, sondern für Gewalt und Unterdrückung sorgen. Damit knüpft er an die

Schlussbetrachtung

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zweite Epistel an, in der er Bologna als Ort kritisierte, an dem die gottgewollte Monarchie als politischer Garant der irdischen Glückseligkeit nicht umgesetzt sei. Den Vorwurf macht Dante im vierten Brief expliziter, indem er mit Polyphem einen Machthaber allegorisch personifiziert, der mit seiner Politik der göttlichen Wahrheit zuwiderhandelt. Auf diese Weise äußert Dante zum einen seine generelle politische und menschliche Abneigung gegenüber Bologna. Zum anderen formuliert er diese Abneigung insbesondere in seiner Identität als vates, dessen Prophezeiung einer Monarchie als gottgewollte Politik dort nicht erhört, sondern angefeindet würde. Der Inszenierung der Orte kommen folglich bei Dante und Giovanni unterschiedliche Funktionen zu, die wiederum deren unterschiedliches Verständnis des Dichters spiegeln. Denn Giovanni präsentierte Bologna im dritten Brief als eskapistischen Idealort für den vergilischen Dichter. Der erscheint als Gelehrter, der sich vor dem negotium der Gesellschaft zurückzieht, um sich ganz der Kunst und Imitation der antiken Dichtung zu widmen. Dante diskutiert im vierten Brief den Ort hingegen auf abstrakter Ebene als Frage nach der angemessenen gesellschaftspolitischen Umgebung für Mensch und Dichter. Der Dichter betreibt nach Dante seine Dichtung und Auseinandersetzung mit den antiken Autoritäten dabei in gesellschaftlicher Funktion, die sich aus einem christlichen Weltverständnis definiert. Neben dem Ort verkehrt Dante das Liebesmotiv aus Giovannis Brief in sein negatives Gegenteil und stellt dem eine eigene, positive Version gegenüber. So setzt er Mopsus’ elegische Liebeswerbung an Tityrus-Dante nun mit dem Lied des Polyphem gleich, der in brennender Liebe zu der Nymphe Galatea um diese warb und schließlich ihren Liebhaber Acis auf grausame Weise zur Strecke brachte. Dante assoziiert Mopsus-Giovannis elegische Liebe mit dieser monströsen Liebe und äußert so die Befürchtung, dass ihn dies an Giovannis Ort erwarte. Als positive Alternative beschreibt er sein Alter Ego Tityrus, der sich bereits an einem amönen Aufenthaltsort und in der Gesellschaft des Alphesibeus befinde, mit dem er in Liebe verbunden sei. Dante setzt hier Giovannis elegischem, klassisch-antikem Liebesmotiv ein christliches Liebesverhältnis entgegen. Denn die Liebe, die Tityrus mit seinem Gefährten verbindet, entspringt nicht einer triebhaften, tierischen Begierde nach dem jeweils anderen, sondern einer Übereinstimmung ihrer Vernunft. Sie begründet sich auf dem intellektiven Vermögen, durch das der Mensch mit Gott verbunden ist. In Tityrus’ Gemeinschaft herrscht folglich die theologische Tugend der caritas und damit eine mit der göttlichen Ordnung übereinstimmende Form des Zusammenlebens in Frieden und Gerechtigkeit. Insgesamt entwirft Dante in der vierten Epistel somit eine ideale irdische Existenz des christlichen Dichterpropheten. Denn dieser lebt in einer Hirtengemeinschaft, die ihre menschlich niedere Konstitution akzeptiert, deren Zusammenleben zudem auf der Tugend der caritas basiert und die sich somit im Einklang mit der göttlichen Ordnung befindet. Diese irdische Glückseligkeit zeigt zugleich, dass die Botschaft des Dichterpropheten auf Erden vernommen und gesellschaftlich umgesetzt wurde. Mit

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Schlussbetrachtung

Dantes historischer Situation stimmt dieser Entwurf jedoch nicht überein, da der sich nach wie vor im Exil befindet und den politischen Missstand Italiens beklagt. Formal wird diese Diskrepanz deutlich, da Dante seine Person in der vierten Epistel aufspaltet. Denn er erscheint einerseits als Sprecher der Epistel, andererseits als Tityrus. Während Dante im zweiten Brief noch als autodiegetischer Sprecher Tityrus auftrat, spricht er in der vierten Epistel nun jedoch in der dritten Person über Tityrus und markiert auf diese Weise eine Distanz zwischen dem Zustand seines Alter Egos und seiner historischen Person. Darüber hinaus verleiht Dante dem idealen Entwurf des vierten Briefes ein Finale, durch das zum einen die Funktion erkennbar wird, die er dem Dichter zugesteht, und zum anderen die bukolische Allegorie eine interpretatorische Auflösung erhält. So identifiziert eine abschließende Intertextualität zum Johannesevangelium die bukolische Versepistel ebenfalls als eine Art Evangelium. So wie jenes die Biographie Christi darstellt, dessen beschriebene Taten und Leben die göttliche Botschaft auf Erden verkündeten, schreibt Dante im vierten Brief das poetische Evangelium des christlichen vates, der nicht mit seinen Taten, sondern mit seiner Dichtung die göttliche Botschaft auf Erden verkündet. Dichter und Christus stimmen somit in ihrer Funktion als Propheten Gottes auf Erden überein, unterscheiden sich jedoch im allegorischen Modus ihrer Prophezeiungen. Den Modus seiner Wahrheitsverkündung reflektiert Dante dabei in der Epistel selbst. Denn um sein Verständnis des Dichters als Diener der göttlichen Wahrheit gegenüber Giovanni del Virgilio kundzutun, beschreibt er die Existenz des vates in einem allegorisch-figuralen Gedicht. Seine Allegorie verwandelt dabei zunächst die historischen Personen in fiktive Hirtenpersönlichkeiten und versetzt sie innerhalb dieses poetischen Rahmens in fiktive Konstellationen. Aus dieser fiktionalen Bearbeitung der historischen Wirklichkeit geht nun der prophetische Wert der Epistel als Evangelium des Dichters hervor: Dante erklärt seine historische Person zur figura des christlichen Dichterpropheten, indem er sich als Hirtenfigur Tityrus inszeniert und diese wiederum in die fiktive Konstellation einer Hirtengesellschaft versetzt. Dabei zeigt die zweite Epistel eine negative und die vierte Epistel eine positive Version der irdischen Existenz des christlichen Dichterpropheten. Darin erhalten sie jeweils eine allgemeingültige allegorische Bedeutung als Evangelium des vates. In seinen Episteln verdeutlicht Dante somit an seiner Person als christlichem vates und in antikisierendem Code den Modus seiner poetischen Prophetie, in der die göttliche Wahrheit durch die poetische Bearbeitung der historischen Wirklichkeit verkündet wird. In dem Briefwechsel stellen Giovanni del Virgilio und Dante somit zwei grundsätzlich verschiedene Auffassungen über Dichtung und die Funktion des Dichters zur Diskussion. Der Bologneser Gelehrte geht von einer stilistischen Reflexion aus, die er mithilfe einer soziopoetologischen Argumentation rechtfertigt. Der poetische Stil bildet demgemäß den sozialen und gelehrten Status des Dichters ab. Er propagiert den hohen Stil als poetisches Ideal, das er im lateinischen Epos verwirklicht sieht, und grenzt

Schlussbetrachtung

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ihn von dem niederen Stil ab, den wiederum die Gattungen der Komödie, der Bukolik und alle volkssprachliche Dichtungsformen repräsentieren. Während er letztere einer in sozialer und gelehrter Hinsicht niederen Gesellschaftsschicht zuweist, definiert er die lateinische epische Gattung als höchstes Medium eines gelehrten Bildungsadels. Politisch dient diese Dichtung als affirmatives Mittel zur Verherrlichung einer jeweiligen Herrschaft, die sie in die antike Tradition einordnet und somit legitimiert. Dante lehnt das Dichtungskonzept des Gelehrten ab und stellt diesem sein moraltheologisch definiertes Dichtungsverständnis entgegen. Den bukolischen Inszenierungen des zweiten und vierten Briefs lässt sich entnehmen, dass seine Dichtung aus dem christlichen Wertehorizont heraus zu verstehen ist, wie er ihn vor allem im Convivio und in der Commedia darlegt. Der poetische Stil ist dabei stets Spiegel einer christlich verstandenen moralischen Konstitution. Der episch-erhabene Stil ist auf Erden allein dem Kaiser vorbehalten, dessen Herrschaft die göttliche Ordnung auf Erden herstellt. Da Dante zu seinen Lebzeiten in der gesellschaftspolitischen Situation einen Widerspruch zur Gott gewollten Ordnung erkennt, fehlt der epischen Dichtung jedoch ihre Legitimation. Dante reserviert sie daher einzig für die kosmisch-göttliche Dimension und erteilt der Forderung des Gelehrten auf diese Weise eine Absage. Aus den abweichenden Auffassungen von Dichtung ergibt sich zudem die unterschiedliche Funktion, die Dante und Giovanni dem Dichter im Allgemeinen und ihrem antiken Vorbild Vergil im Speziellen zugestehen. So verehrt Giovanni del Virgilio die Kunst an sich. Er sieht den Dichter als Kunstmeister in der formalen Tradition der antiken Dichtung, deren höchste Autorität der epische Vergil darstellt. Die Bukolik dient ihm als vergilischer Code, um die poetische Tätigkeit in antiker Tradition zu überhöhen und zu verherrlichen. Dante hingegen sieht seine Dichtung im Dienst der göttlichen Wahrheitsverkündung. Den Dichter definiert er als Propheten der göttlichen Botschaft auf Erden. Die Hirtenallegorie dient ihm als Zeichen dessen niederer, irdischer Existenz. Sein Alter Ego ist stets erst Hirte und dann Dichter, woran die gesellschaftspolitische Funktion erkennbar wird, die Dante dem vates zugesteht. Die Autorität des antiken Dichters Vergil sieht Dante entsprechend in seiner Funktion als antiker Weiser begründet, der die göttliche Wahrheit in seiner Dichtung noch undeutlich verkündete, und den Dante nun als christlicher vates typologisch erfüllt.

Literaturverzeichnis In dieser Arbeit berücksichtige ich die Veröffentlichungen zu der von mir untersuchten bukolischen Korrespondenz bis in das Jahr 2019. Für eine umfassende und stetig aktualisierte Bibliographie sei an dieser Stelle auf die sehr hilfreiche und benutzerfreundliche Homepage der Società Dantesca Italiana und der Dante Society of America (http://dantesca.ntc.it/dnt-fo-catalog/pages/material-search.jsf) verwiesen. Primärtexte, Kommentare und Übersetzungen Dante Alighieri Commedia La Divina Commedia. Inferno. Purgatorio. Paradiso a cura di A. M. Chiavacci Leonardi, Milano 2 2005. Die Göttliche Komödie übers. und komm. v. H. Gmelin, Stuttgart 21968. Die Göttliche Komödie I–III. Italienisch/Deutsch in Prosa übers. und komm. von H. Köhler, Stuttgart 2011.

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Stellenverzeichnis Alanus ab Insulis Anticlaudianus prol. 5–8: 45 Anm. 66 I 261–262: 62 Anm. 111 III 113–114: 50 Anm. 80 Thomas von Aquin Scriptum super sententiis IV d. 45, q. 1, a. 3: 38 Anm. 45 Augustinus De civitate Dei XIII 19: 239 Anm. 32 Bene da Firenze Candelabrum I 9, 1–5: 69 Anm. 130; 89 Anm. 18 I 14: 63 Anm. 113 I 14, 10: 36 Anm. 38; 87 Anm. 14 II 37, 2: 111 Anm. 72 II 39: 33 Anm. 29 II 40: 34 Anm. 30 II 41: 35 Anm. 36; 252 Anm. 63 II 63: 55 Anm. 94 III 1, 17–19: 31 Anm. 20; 45 Anm. 68 III 1, 3: 31 Anm. 20 III 2–4: 51 Anm. 84 III 4, 5: 56 Anm. 97 III 4: 31 Anm. 18 IV 1–2: 150 Anm. 1 IV 1, 2: 32 Anm. 25 IV 1, 2–3: 35 Anm. 36; 40 Anm. 56 IV 4: 31 Anm. 18 IV 6: 31 Anm. 18 IV 6, 1–2: 35 Anm. 36 IV 15, 2–3: 45 Anm. 67 IV 15, 2–4: 60 Anm. 105

IV 19, 2: 47 Anm. 73; 155 Anm. 13 IV 20, 5: 94 Anm. 31 IV 20–22: 90 Anm. 20 IV 21, 1–3: 66 Anm. 121; 91 Anm. 24; 119 Anm. 91; 155 Anm. 13 IV 35–36: 61 Anm. 108 IV 37: 61 Anm. 108 IV 41: 214 Anm. 153 IV 41, 1–2: 78 Anm. 156 V 4, 2–3: 45 Anm. 67 V 4, 3: 60 Anm. 104 V 28, 2–4: 61 Anm. 108 VI 2, 5: 48 Anm. 75 VI 9, 2: 57 Anm. 98 VI 20: 85 Anm. 4 VII 13, 1–4: 102 Anm. 49 VII 16, 1–3: 89 Anm. 19 VII 21, 3: 89 Anm. 19 VII 27, 4: 69 Anm. 130; VII 28, 1–4: 151 Anm. 4 VII 28, 3–4: 34 Anm. 33 Die Bibel Das Buch der Sprichwörter 14, 8: 297 Anm. 150 22, 3: 297 Anm. 150 Das Evangelium nach Matthäus 5, 3–11: 39 Anm. 53 7, 6: 62 Anm. 112 Das Evangelium nach Johannes 1, 5: 301 Anm. 160 1, 9: 302 Anm. 160 10, 1–30: 292 Anm. 136 10, 9–28: 292 Anm. 136 10, 9: 295 13, 23: 298 Anm. 153; 299 Anm. 156

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Stellenverzeichnis

19, 26: 298 Anm. 153 20, 2: 298 Anm. 153 21, 7: 298 Anm. 153 21, 14–17: 292 Anm. 137 21, 15–19: 298 21, 20: 298; 298 Anm. 153; 299 Anm. 156 21, 24: 298; 299; 299 Anm. 154; 302 Anm. 164 21, 24–25: 298 Anm. 152 21, 25: 299 Anm. 154 21, 27: 298 Anm. 153 Die Paulinischen Briefe – Brief an die Römer 8, 29: 245 Anm. 48 Boethius De consolatione philosophiae III 9, 18–21: 239 Anm. 32 Calpurnius Siculus Eklogen I 22–23: 87 Anm. 10 Catull 45, 13: 285 Anm. 124 109, 1: 285 Anm. 124 Cicero De inventione I 19: 31 Anm. 18 De oratore I 142: 63 Anm. 113 Corippus Iohannis IV 208: 286 Anm. 125 Dante Alighieri Commedia – Inferno I 1–2: 86 Anm. 8 I 85–87: 83 Anm. 170; 125 Anm. 102 I 101: 287 Anm. 128 II 52–120: 234 Anm. 26 IV 33–42: 126 Anm. 105 IV 82–102: 126 Anm. 105 IV 91–93: 123 Anm. 97 IV 100–102: 59 Anm. 103 V 4–12: 282 Anm. 118 VI 13–19: 282 Anm. 118

X 31–39: 95 Anm. 33 XIII 4–6: 232 Anm. 24 XV 1–12: 243 Anm. 43 XV 61–78: 183 Anm. 77 XVII 1: 283 Anm. 118 XVII 7–13: 283 Anm. 118 XX 76–78: 172 Anm. 54 XVIII 52–63: 151 Anm. 2 XVIII 86–87: 226 Anm. 12 XXIV 1–2: 224 Anm. 8 XXIV 82–83: 241 Anm. 40 XXIV 88: 241 Anm. 40 XXIV 124–126: 282 Anm. 118 XXVI 73–75: 95 Anm. 33 XXVI 125: 70 Anm. 136 XXX 49–57: 117 Anm. 85 XXX 49–99: 116 Anm. 84 XXX 52–54: 118 Anm. 89 XXX 58–61: 116 Anm. 84 XXX 100–129: 116 Anm. 84 XXX 102–103: 117 Anm. 85 Commedia – Purgatorio I 11–12: 86 Anm. 6 I 19–21: 224 Anm. 8 II 1–9: 224 Anm. 8 VI 76–151: 103 Anm. 53 VIII 134: 163 Anm. 35 IX 1–5: 224 Anm. 8 XIV 32: 255 Anm. 67 XIV 58–66: 274 Anm. 101; 282 Anm. 115 XV 1–6: 224 Anm. 8 XIX 1–6: 224 Anm. 8 XX 106–108: 262 Anm. 78 XXI 88: 166 Anm. 43 XXI 88–90: 167 Anm. 45 XXI 91–92: 125 Anm. 104 XXI 126: 125 XXI 125–126: 107 XXII 64–66: 125 XXII 64–73: 301 Anm. 161 XXII 67–69: 64 Anm. 116; 126 XXII 70–72: 126 XXII 73: 126; 236 XXIV 70–72: 252 Anm. 62 XXV 1–3: 224 Anm. 8 XXVII 1–5: 224 Anm. 8 XXVII 76–79: 235

Stellenverzeichnis

XXVII 76–81: 233 XXVII 79: 233 XXVII 80–81: 233; 235 XXVII 85–86: 233 XXVII 130: 234 Anm. 27 XXVII 133–135: 99; 102 Anm. 51 XXVII 139–142: 233 XXVII 142: 234 Anm. 27 XXVIII 2: 161 XXVIII 5–6: 161 Anm. 31 XXVIII 11–12: 161 Anm. 31 XXVIII 12: 99 XXVIII 13: 161 XXVIII 19–21: 162 XXVIII 139–144: 100 Anm. 44 XXVIII 139–148: 126 XXX 97–99: 264 Anm. 80 XXXI 4: 155 Anm. 14 XXXI 137–141: 114 Anm. 82 XXXI 139–143: 113 Anm. 79 XXXI 140–145: 41 Anm. 58 XXXII 55–57: 226 Anm. 13 Commedia – Paradiso I 13–15: 39 Anm. 54 I 13–33: 131 Anm. 116 I 15: 287 Anm. 128 I 22–33: 74 Anm. 149 I 40: 223 Anm. 6 II 1–6: 45 Anm. 66 II 16–18: 226 Anm. 12 II 112–148: 226 Anm. 15 III 1–3: 264 Anm. 80 VI 111: 67 Anm. 123 VII 67–68: 244 Anm. 45 VII 73: 244; 244 Anm. 48 VII 115–117: 244 Anm. 47 VII 139–148: 245 Anm.49 VIII 67–68: 270 Anm. 95 VIII 67–70: 255 Anm. 67; 260 Anm. 74 IX 70–72: 293 Anm. 139 IX 133–135: 113 Anm. 80 XI 4–5: 113 Anm. 80 XII 82–84: 113 Anm. 80 XIII 25–27: 130 Anm. 115 XVII 37–99: 103 Anm. 53 XVII 58–60: 147; 149 XVII 62: 274 Anm. 101

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XVII 67–69: 283 Anm. 118 XVII 127–129: 132 Anm. 118 XVII 130–132: 36 Anm. 41; 51 Anm. 84 XVIII 81–83: 264 Anm. 80 XIX 146–148: 283 XX 92–94: 96 Anm. 34 XXIII 55–60: 87 Anm. 11 XXIII 61–66: 35 Anm. 35 XXIII 64–66: 57 Anm. 99 XXIV 7–9: 114 Anm. 82 XXIV 55–57: 114 Anm. 82 XXV 1: 135 XXV 1–9: 24 Anm. 27; 287 Anm. 128; 289 XXV 1–12: 131 Anm. 116 XXV 4: 289 XXV 7: 135 Anm. 125 XXV 7–9: 74 Anm. 149 XXV 8–11: 135 XXV 9: 135 XXV 112–113: 299 Anm. 156 XXVI 31–36: 294 Anm. 142 XXVI 64–66: 294 Anm. 142 XXV 112–114: 298 Anm. 153 XXVI 45: 298 Anm. 153 XXVI 43–45: 299 Anm. 157 XXIX 1–6: 224 Anm. 7; 224 Anm. 8 XXIX 2: 163 Anm. 35 XXXII 61–66: 146 Anm. 138 XXXII 145–146: 145 Anm. 137 XXXII 145–148: 145; 147 Anm. 141 XXXIII 13–15: 145 Anm. 137 XXXIII 25–27: 145 Anm. 137 XXXIII 67–72: 146 Anm. 139 XXXIII 82: 145; 146 XXXIII 82–84: 146 Anm. 139 XXXIII 94–96: 226 Anm. 12 XXXIII 124–126: 39 Anm. 54; 293 Anm. 140 Convivio I 2, 3: 108 Anm. 67 I 1, 8–10: 95 Anm. 33 I 1, 15: 51 Anm. 84 I 5, 7–14: 58 Anm. 100 I 7, 12: 57 Anm. 98 I 9, 4: 57 Anm. 98 I 13, 12: 133 Anm. 120 II 1, 4: 122 Anm. 95 II 1, 2–7: 301 Anm. 162

336

Stellenverzeichnis

II 5, 1: 301 Anm. 159 II 5, 2–3: 301 II 13, 5–6: 246 Anm. 51 III 55–62 (Canzone): 293 Anm. 138 III 2, 4: 239 Anm. 34 III 2, 6: 239 Anm. 34 III 2, 11: 283 Anm. 119 III 2, 14: 245 Anm. 50; 283 Anm. 119 III 2, 15–16: 284 Anm. 120 III 2, 16: 239 Anm. 33 III 3, 10: 284 Anm. 121 III 5, 4–8: 50 Anm. 81 III 8, 8–12: 293 Anm. 138 III 8, 11: 294 Anm. 141 III 8, 13: 293 Anm. 139 III 11, 10: 113 Anm. 80 IV 5, 1–4: 244 Anm. 46 IV 5, 3: 244 Anm. 47; 244 Anm. 48 IV 7, 11: 245 Anm. 50; 283 Anm. 119 IV 7, 15: 284 Anm. 121 IV 10, 6: 57 Anm. 98 IV 23, 14: 226 Anm. 13 IV 26, 2: 193 Anm. 94 De vulgari eloquentia I 1, 2–4: 139 Anm. 128 I 2, 7: 86 Anm. 6 I 9–10: 58 Anm. 100 II 4: 82 Anm. 169 II 4, 2: 302 Anm. 164 II 4, 3: 36 Anm. 37 II 4, 9: 114 Anm. 82 II 4, 11: 39 Anm. 52; 78 II 4–6: 82 Anm. 168 II 6, 3: 48 Anm. 76; 96 Anm. 39; 249 Anm. 57 II 6, 4: 67 Anm. 123 II 8, 5: 86 Anm. 5; 107 Anm. 64 Eklogen II 1: 85; 87; 89; 91 II 1–2: 85; 141; 221 Anm. 2 II 1–4: 85; 164 II 2: 87; 86; 141; 166; 167 II 3: 88; 152; 158 II 3–4: 96; 85; 88; 93; 151; 153; 202 II 4: 89; 152; 185; 202; 223 II 4–9: 15 II 5: 96; 141; 237 II 5–6: 92; 93

II 5–10: 91; 92; 97 II 5–33: 91; 119 II 5–6: 92 II 6: 96; 95; 121; 156; 218 Anm. 163 II 7: 95 II 7–8: 92 II 8: 96; 185 II 9: 92; 95; 196 II 9–10: 110 Anm. 70; 92; 222 II 11: 100; 104; 160; 161; 165; 218 Anm. 163 II 11–12: 98; 99; 133; 161 II 11–13: 229 II 11–17: 97; 98 Anm. 40; 160 II 11–23: 116; 91; 97; 104; 109; 143; 153 II 11–12: 99 II 11–17: 104 II 12: 98; 133; 220 II 12–13: 141 II 13: 98; 162 II 14: 98; 161 II 14–15: 230 II 14–16: 98; 153; 162 II 14–17: 153 II 15–16: 100 II 16: 105; 153 II 16–17: 98 II 17: 99; 153 II 18: 104; 105; 143; 144; 153 II 18–19: 104; 229 II 18–23: 97; 104 II 19: 106; 107; 108; 113; 125 II 19–21: 106 II 20–21: 104; 109; 172 II 21: 107; 110; 144 II 22: 170 II 22–23: 104 II 24: 109; 110; 218 Anm. 163 II 24–25: 109; 121 II 24–33: 91; 109 II 25: 110; 138 II 25–26: 110 II 26: 112 Anm. 75; 110 II 27: 111; 211; 249 II 28–30: 112; 142; 157 II 28–32: 116; 187 II 28–33: 112; 119; 125 II 29: 113; 157; 201

Stellenverzeichnis

II 30: 113; 122 II 31: 114; 122; 166; 216 II 31–32: 134; 142; 166; 167; 215; 276 Anm. 105 II 31–33: 114; 118 Anm. 89; 142 II 32: 114; 168 II 33: 119; 121 II 34: 121 II 34–35: 121 II 34–44: 120; 121; 135 II 35: 119 Anm. 91; 121 II 35–40: 176 II 36: 122; 123; 129 II 36–37: 122; 122 Anm. 94; 129; 179 Anm. 68; 261; 271 II 37: 122 II 38: 182 II 39: 170 II 39–40: 129; 170 II 40: 130 II 41: 122; 130; 190; 204; 273 II 42: 187 II 42–43: 135 II 42–44: 131; 151; 186; 187 Anm. 83; 188; 190; 230 Anm. 20; 287 II 43: 123 II 43–44: 182; 187 II 44: 187 II 45: 136 II 45–47: 137; 186 II 45–54: 136 II 46: 186 II 48–49: 137 II 48–50: 75 Anm. 149; 138; 190 II 49: 239 Anm. 32; 137 II 50: 138; 138 Anm. 127 II 51: 138; 139 II 52: 138 II 53: 138 II 53–54: 173 II 54: 139 II 55: 141 II 55–56: 140; 164 Anm. 40 II 55–68: 140 II 56: 141 II 56–57: 141 II 57: 141; 147; 156 Anm. 16 II 58: 23; 137; 141; 142; 147; 216

II 58–64: 216 Anm. 156; 217 II 59: 142; 146; 216 II 60: 143; 144 II 61: 142; 143; 144 II 62: 143; 144; 216; 218 II 62–64: 218 II 63: 216 II 63–64: 141; 216 II 63–66: 147 II 64: 23; 141 Anm. 131; 217 II 64–65: 202 II 65–66: 217; 222 II 67: 299 Anm. 154 II 67–68: 148; 219 Anm. 168 II 68: 148; 182; 182 Anm. 75; 209; 210; 219 IV 1: 225 Anm. 11 IV 1–2: 223; 225 IV 1–9: 221; 222; 228; 239 IV 2: 225 Anm. 10 IV 3: 226 IV 3–4: 224 IV 5: 226 IV 5–6: 225; 226 IV 5–8: 224 IV 6: 226; 233 IV 7: 222; 226 IV 7–8: 222; 235 IV 7–9: 228 IV 8: 226 IV 8–9: 223 IV 9: 223 IV 10–11: 229; 230 IV 10–15: 228; 229; 236; 238 IV 10–48: 228; 247 IV 11: 230; 235; 251 IV 12–13: 230; 231 IV 12–15: 229 IV 13: 230; 231 Anm. 22; 235; 236 IV 14: 232 IV 14–15: 231; 233; 235 IV 15: 232; 235 IV 15–16: 225 Anm. 11 IV 16: 240 IV 16–17: 238; 239; 244; 284 Anm. 123 IV 16–23: 238; 242 IV 16–27: 228; 236; 255; 256; 262; 277 IV 16–87: 228

337

338 IV 18: 240 IV 18–19: 240 IV 18–23: 245 IV 19: 240 IV 20–21: 240 IV 22: 240 IV 23: 241 IV 24: 237; 239; 242; 243; 244 IV 24–25: 242 IV 24–27: 289 IV 25: 243 IV 25–26: 246 IV 25–27: 238; 242; 262; 274 IV 26: 250; 270 IV 26–27: 273 IV 27: 242; 255; 270; 272 IV 28: 249; 251 IV 28–29: 249 IV 28–43: 248 IV 28–44: 228; 247 IV 29: 249; 252 IV 30: 249; 251; 265 IV 30–31: 249 IV 31: 250 IV 32–33: 251 IV 33: 251 IV 34: 251; 265 IV 34–35: 252; 265 Anm. 82 IV 36–43: 252 IV 37–38: 252 IV 38: 253 Anm. 65 IV 38: 248; 256 IV 39: 253 IV 39–40: 253 IV 41–43: 253 IV 42: 248; 253 Anm. 65 IV 43: 253 IV 44: 254; 255 IV 44–48: 254 IV 45: 255 IV 45–48: 228 IV 45–87: 254 IV 46: 256; 270 IV 46–47: 255 IV 46–87: 254 IV 47: 255; 256; 270 IV 48: 257

Stellenverzeichnis

IV 49: 257 IV 49–62: 256; 257 IV 50: 258 IV 50–53: 258; 266 IV 51–52: 258 IV 51–53: 267; 273 IV 52: 259; 262 IV 53: 258; 268 Anm. 91 IV 54: 272 IV 54–62: 259 IV 55: 259; 260; 261 Anm. 77; 267; 279 Anm. 108 IV 55–56: 264 IV 56–62: 271 IV 57–58: 267 IV 58: 260; 267 Anm. 90 IV 59: 260 IV 60: 260 IV 61: 260 IV 61–62: 261 IV 62: 265 Anm. 81 IV 63: 264; 265 Anm. 82; 293 IV 63–64: 265 IV 63–75: 263; 264; 274 IV 64: 264; 265 Anm. 82 IV 65: 277; 277; 289 IV 65–66: 265 IV 66: 266; 267 Anm. 90; 268 Anm. 92; 269 Anm. 92; 273; 273; 286 IV 67–68: 269; 269 Anm. 93; 270 IV 67–72: 269; 289 IV 68: 270 IV 69: 269 IV 70–72: 269; 270 IV 73–75: 277 IV 74: 272 IV 74–75: 272 IV 75: 273; 273 IV 76–85: 274 IV 76–87: 275 IV 77: 268 Anm. 91; 275 IV 78: 276 IV 78–79: 276 IV 78–81: 286 IV 79: 115 Anm. 83; 277; 278 Anm. 107 IV 80–81: 277 IV 81: 283 Anm. 118; 284

Stellenverzeichnis

IV 82–83: 280 IV 84: 286 IV 84–85: 286 IV 84–87: 285 IV 85–86: 286 IV 86: 286 IV 86–87: 286; 287 IV 88: 293; 293; 293 Anm. 140 IV 88–89: 291 IV 88–97: 290; 291 IV 89: 236; 291; 293 Anm. 141 IV 90: 295 IV 90–91: 294 IV 90–94: 294 IV 91: 296 IV 92–94: 294 IV 93: 295 IV 94: 295 IV 95: 297 IV 95–97: 296; 297 IV 96: 299 IV 97: 299 Anm. 154 Episteln III 2: 35 Anm. 34 VI 5: 115 Anm. 83; 211 Anm. 143 VII 65 Anm. 117 VII 1: 127 Anm. 107 VII 7: 115 Anm. 83 XIII 8: 38 Anm. 45 XIII 10: 61 Anm. 107; 139 Anm. 128 XIII 20–22: 301 Anm. 162 Monarchia I 4, 2: 289 Anm. 132 I 4, 2–3: 286 Anm. 125 I 11, 1: 127 Anm. 107 I 11, 1–3: 287 I 11, 2: 127 Anm. 110 I 13, 2: 246 Anm. 51 II 3, 12: 114 Anm. 81; 128 Anm. 111 III 16, 7–8: 103 Anm. 52 Rime XL 40–42: 223 Anm. 6 Vita Nova VII 4: 264 Anm. 80 XVI 6: 139 Anm. 128

339

Galfrid von Vinsauf Documentum de modo et arte dictandi et versificandi II 2, 11–16: 35 Anm. 36 II 2, 17–21: 163 Anm. 36 II 3, 6: 33 Anm. 29 II 3, 102: 35 Anm. 36; 252 Anm. 63 II 3, 140: 88 Anm. 15 II 3, 141: 88 Anm. 15 Poetria Nova 56–58: 70 Anm. 135 61: 63 Anm. 113 64: 63 Anm. 113 71–72: 74 Anm. 147 73–74: 74 Anm. 147 84–85: 34 Anm. 31 101–103: 37 Anm. 42 151–154: 37 Anm. 42 163: 184 Anm. 78 226–240: 35 Anm. 36 384: 184 Anm. 78 908–912: 34 Anm. 31 952–956: 33 Anm. 29 973–977: 41 Anm. 58 1101–1102: 110 Anm. 69 1588–1760: 211 Anm. 142 Summa de arte dictandi 3–4: 35 Anm. 35 4: 57 Anm. 98; 66 Anm. 121; 90 Anm. 22 Johannes von Garlandia Parisiana Poetria de Arte Prosaica II 116–132: 66 Anm. 121 Hesiod Theogonie 53: 33 Anm. 28 Horaz Ars poetica 38–40: 35 Anm. 35 46–72: 88 Anm. 15 104–105: 249 Anm. 57 114: 49 Anm. 78 202–250: 42 220–222: 44 Anm. 64 220–224: 42 Anm. 60

340 226–229: 44 Anm. 64 226–230: 43 Anm. 61 229: 60 237–238: 49 Anm. 78 244: 62 Anm. 110; 73 Anm. 144 244–247: 53 Anm. 91 244–250: 43 Anm. 62 245: 60 272–274: 55 Anm. 95 391–392: 71 Anm. 139 391–400: 122 Anm. 95 391–407: 79 Anm. 162 393: 108 Anm. 66 400–401: 122; 122 Anm. 96 400–406: 33 Anm. 28 Episteln II 2, 109–110: 62 Anm. 110 Epoden XVI 33: 108 Anm. 66 XVI 41–42: 196 Anm. 100 XVI 63–66: 196 Anm. 100 Oden I 3, 8: 264 Anm. 80 II 17, 5–6: 264 Anm. 80 III 11, 41: 108 Anm. 66 Satiren I 6, 97–99: 73 Anm. 144 I 9, 7: 53 Anm. 89 I 10, 65: 208 Anm. 135 II 5, 91: 49 Anm. 78; 53 Anm. 90 II 6: 68 Anm. 127 Incerti auctoris Rhetorica ad Herennium I 4: 31 Anm. 18 I 6–11: 85 Anm. 4 Isidor von Sevilla Etymologiae X 3: 291 Anm. 134 X 234: 71 Anm. 139 XIII 15, 2: 70 Anm. 136 XIII 21, 28: 70 Anm. 137 XIV 6, 7: 70 Anm. 136 Juvenal V 10–11: 148 Anm. 145

Stellenverzeichnis

Livius Ab urbe condita I 1: 68 Anm. 126 Lovato dei Lovati Episteln II 1: 150 Anm. 1 II 1–10: 46 Anm. 70 II 4–5: 54 Anm. 92 II 63–64: 73 Anm. 144 II 64–65: 62 Anm. 110 II 87: 40 Anm. 55 II 93: 50 Anm. 80 Lucan De bello civile IV 705: 286 Anm. 125 V 73: 258 Anm. 70 VII 2–3: 226 Anm. 13 VII 144: 79 Anm. 160 VII 194: 68 Anm. 126 VIII 443: 71 Anm. 140 IX 708–709: 241 Anm. 40 IX 734: 241 Anm. 40 IX 734–736: 241 Anm. 40 X 285–286: 133 Anm. 119 Lucrez De rerum natura V 1063: 68 Anm. 127 Macrobius Commentarii in somnium Scipionis I 11–12: 239 Anm. 32 II 17, 14: 239 Anm. 32 Albertino Mussato Episteln I 19–24: 69 Anm. 133 I 87–89: 69 Anm. 133 IV 5: 37 Anm. 42 IV 13–14: 46 Anm. 71 IV 50–51: 40 Anm. 55 IV 73–76: 75 Anm. 150 XVII 26–27: 79 Anm. 159 XVII 48: 65 Anm. 118

Stellenverzeichnis

Orosius Historiae adversus paganos I 2, 54: 70 Anm. 137 Ovid Amores I 1–4: 65 Anm. 119 II 15, 21: 285 Anm. 124 II 18, 31: 71 Anm. 142 Ars amatoria III 40: 71 Anm. 142 Fasti II 83–118: 47 Anm. 74 II 113: 47 Anm. 74 Heroides VII 1: 47 Anm. 74 VII 102: 47 Anm. 74 VII 193: 47 Anm. 74 Metamorphosen I 89–90: 99 Anm. 42 I 89–112: 189 Anm. 87 I 107–108: 213 Anm. 152 I 116–118: 213 Anm. 152 I 149–150: 127 Anm. 108; 213 Anm. 151 I 452–567: 74 Anm. 149 I 539: 287 I 557–565: 74 Anm. 149 I 560: 76 I 560–561: 76 I 565: 75 Anm. 150 I 566: 130 Anm. 114 I 558–561: 76 Anm. 153 I 558–565: 130 Anm. 113 II 47–48: 226 Anm. 14 II 153–155: 226 Anm. 13 II 404: 79 Anm. 160 III 156–160: 259 Anm. 71 IV 11: 258 Anm. 70 IV 260: 241 Anm. 40 IV 615–620: 241 Anm. 40 V 271–272: 266 V 274–293: 266 Anm. 85 V 276–277: 266 Anm. 86; 268 Anm. 91 V 278–279: 268 V 278–283: 266 Anm. 87 V 281: 268 Anm. 92 V 281–283: 268 Anm. 92

V 287–288: 267 Anm. 88 V 291–293: 267 Anm. 89 V 293: 268 Anm. 91 V 294–317: 33 Anm. 28 V 294–678: 86 Anm. 6; 82 V 346–353: 255 Anm. 67 V 386–387: 240 Anm. 37 V 662–678: 33 Anm. 28 VII 1–158: 225 Anm. 12 VIII 1–158: 162 Anm. 34 VIII 611–724: 189 Anm. 87 VIII 630–634: 189 Anm. 87 X 86–105: 223 Anm. 5 X 691–693: 259 Anm. 71 XI 85–193: 257 Anm. 69 XI 142–143: 268 Anm. 91 XII 40: 38 XIII 750–897: 242 Anm. 42; 276 Anm. 104 XIII 759–763: 242 Anm. 42 XIII 781: 278 Anm. 108 XIII 781–786: 281 Anm. 113 XIII 784–785: 278 Anm. 108 XIII 785: 278 Anm. 108 XIII 810–812: 278 Anm. 108 XIII 831–832: 278 Anm. 108 XIII 839: 278 Anm. 108; 278 Anm. 108 XIII 866: 276 Anm. 105 XIII 876–877: 242 Anm. 42 XIV 154–222: 242 Anm. 42 XIV 167–222: 280 Anm. 110 XIV 174–175: 280 Anm. 111 XV 386: 65 Anm. 118 XV 471: 143 Anm. 132 XV 712: 68 Anm. 128 Persius Satiren Prooem. 3–4: 113 Anm. 79 V 10–11: 252 Anm. 62 Properz II 3, 23: 285 Anm. 124 II 20, 11: 285 Anm. 124 Prudenz Cathemerinon III 105: 216 III 101–105: 216 Anm. 157

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Servius Commentarii in Vergilii Aeneidem I 340: 68 VI 764: 264 Anm. 81 XI 33: 291 Anm. 134 Commentarii in Vergilii Bucolica Prooem. 66 Anm.120; 87 Anm. 12; 90 Anm. 22; 124 Anm. 99; 137 Anm. 126; 193; 227 Anm. 17; 261 Anm. 77; 291 Anm. 135 I 1: 92 Anm. 25; 95 Anm. 32; 124 Anm. 99 I 4: 105 Anm. 57 I 7: 105 Anm. 58 I 10: 106 Anm. 59 I 19: 98 Anm. 40; 101 Anm. 49 I 20: 95 Anm. 33 I 21: 98 Anm. 40 I 52: 151 Anm. 2 I 69: 137 Anm. 126 II 57: 297 Anm. 149 III 79: 297 Anm. 149 IV 6: 128 Anm. 111 V 48: 93 Anm. 26 V 50: 67 Anm. 122 VI 5: 173 Anm. 56; 175 Anm. 61 VI 15: 258 Anm. 70 VII 21: 158 Anm. 21 Statius Silvae III 2, 102: 71 Anm. 140 Thebais I 56: 38 Anm. 48 III 268: 295 Anm. 144 III 408–409: 295 Anm. 144 V 403–485: 225 Anm. 12 Terenz Andria 194: 49 Eunuchus II 2, 269: 53 Anm. 88 IV 4, 717: 53 Anm. 88 IV 7, 785: 53 Anm. 88 Tibull I 7: 157 Anm. 19

Uguccione da Pisa Derivationes A 3, 3–4: 158 Anm. 21 A 119, 7: 291 Anm. 134 A 142: 70 Anm. 136 B 117, 13: 258 Anm. 70 C 7, 3: 158 Anm. 21 C 28, 1–5: 110 Anm. 68 C 28, 14: 253 Anm. 64 C 125: 79 Anm. 159 C 292, 1–2: 57 Anm. 98 E 85, 23: 155 Anm. 14 E 89, 1: 39 Anm. 54 F 53, 1: 39 Anm. 54 F 53, 8: 130 Anm. 115 F 53, 28: 71 Anm. 140 G 8: 70 Anm. 136 G 46, 21: 51 Anm. 84 G 74, 3: 200 Anm. 113 G 88, 1–13: 145 Anm. 135 H 53: 70 Anm. 137 I 31, 4: 48 Anm. 76 L 20, 1: 57 Anm. 98 L 42, 30: 87 Anm. 10 M 74, 2: 107 Anm. 64 M 125, 3–4: 86 Anm. 5 M 128, 26: 68 Anm. 127 N 57, 10: 81 Anm. 165 O 39, 1: 38 Anm. 49 P 43, 5: 191 Anm. 89 P 77: 33 Anm. 28 P 156, 1: 48 Anm. 77 S 137, 8: 192 Anm. 92 S 177, 2: 217 Anm. 159 U 25, 2: 114 Anm. 81 U 26, 7: 200 Anm. 113 Matthäus von Vendôme Ars versificatoria I 59: 108 Anm. 67 IV 21: 35 Anm. 36 I 51: 46 Anm. 72 I 52: 46 Anm. 72 I 53: 49 Anm. 78 I 53–54: 46 Anm. 72

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Vergil Aeneis I 1: 65 I 8–11: 79 Anm. 161 I 201: 243 I 242–249: 68 Anm. 126 I 390–401: 296 Anm. 145 I 623: 276 Anm. 103 II 149: 96 Anm. 36 II 284: 79 Anm. 160 III 411: 255 Anm. 67 III 588–654: 242 Anm. 42 III 612–654: 280 Anm. 110 III 639–644: 282 Anm. 116 III 641: 206 Anm. 127 III 653: 242 Anm. 42 III 654: 280 Anm. 111 III 657: 281 Anm. 113 III 657–658: 242 Anm. 42 III 669–674: 242 Anm. 42 IV 335: 71 Anm. 142 IV 366–367: 241 IV 610: 71 Anm. 142 V 3: 70 Anm. 142 V 255: 65 Anm. 118 V 270–272: 250 VI 49: 284 Anm. 122 VI 74: 34 Anm. 31 VI 137–148: 37 Anm. 44 VI 273: 38 Anm. 49 VI 630–631: 243 Anm. 43 VI 656–659: 130 Anm. 115 VI 682: 89 Anm. 16 VI 711–712: 59 Anm. 102 VI 713–715: 39 Anm. 51 VI 764: 264 Anm. 81 VII 166–168: 76 Anm. 154 VII 274–279: 226 Anm. 14 VII 280–284: 295 Anm. 144 VII 393: 211 Anm. 142 VII 699–702: 240 Anm. 37 VIII 344: 200 Anm. 112 VIII 416–453: 243 Anm. 43 VIII 483–484: 284 Anm. 123 IX 309: 202 Anm. 118 IX 435–436: 63 Anm. 124 IX 561: 65 Anm. 118

IX 654: 65 Anm. 118 X 201–206: 172 Anm. 54 XII 702–703: 78 Anm. 157 Eklogen I 1: 88; 182; 182 Anm. 75; 191 Anm. 90 I 1–2: 88 Anm. 16; 124 I 3: 124 I 4–5: 105; 160 I 5: 240 Anm. 36 I 6: 124; 129; 182 Anm. 74 I 6–8: 124 I 9–10: 105; 124 I 10: 210 Anm. 141 I 11: 260 Anm. 74 I 19–25: 157 Anm. 19 I 29: 276 Anm. 103 I 33–35: 183 Anm. 77 I 38–39: 260 Anm. 75 I 40: 156 Anm. 15 I 46: 179; 260 I 46–58: 260 I 51: 154; 260 I 51–52: 154 Anm. 11 I 54–55: 197 I 56: 287 Anm. 128 I 67–69: 188; 206 I 69: 189 Anm. 86 I 74: 219 Anm. 168 I 75–76: 154 Anm. 12 I 75–77: 124 I 75–78: 154 Anm. 11; 183 I 79–80: 198 Anm. 105 I 79–81: 148; 191 I 82–83: 219 Anm. 168 I 83: 296 Anm. 146 II 1–2: 157 Anm. 20 II 8: 229 Anm. 19 II 10–11: 197 II 19: 205 II 21: 246 Anm. 52; 269 Anm. 94 II 22: 217 Anm. 161 II 28: 157 Anm. 19 II 28–34: 174 Anm. 60 II 34: 139 Anm. 128; 173; 214 II 36–38: 178 Anm. 67 II 39: 260 Anm. 74 II 40–42: 202

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II 45: 200 Anm. 111 II 53: 198 Anm. 105 II 56: 208; 209 II 56–57: 138 Anm. 127; 208; 208 Anm. 134; 210 Anm. 140 II 56–73: 208 II 57: 208 Anm. 134; 209 Anm. 139 II 60: 208 II 60–61: 206; 206 Anm. 129 II 61–62: 206 II 63: 212 Anm. 148 II 63–65: 212; 243 II 65: 199; 212 II 67: 219 Anm. 168 II 69: 207; 208 II 69–70: 185 III 11: 161 Anm. 31 III 16: 161 Anm. 31 III 26–27: 53 Anm. 91 III 29–31: 219 Anm. 165 III 68–71: 219 Anm. 165 III 70–71: 141 Anm. 131 III 71: 219 Anm. 165 III 76–77: 297 Anm. 149 III 78–79: 297 Anm. 149 III 84: 210 Anm. 140 III 85: 33 Anm. 28 IV 1: 246 Anm. 52; 269 Anm. 93 IV 6: 127; 128 IV 6–7: 198; 213 Anm. 151; 288 Anm. 129 IV 7: 213 Anm. 150 IV 8–9: 213 IV 18: 197 IV 18–19: 198 IV 21: 197 Anm. 102 IV 21–22: 143 Anm. 132 IV 22: 107 Anm. 66 IV 23–24: 197 IV 28: 188 IV 29: 189 Anm. 86 IV 30: 197 Anm. 102 IV 43: 163 Anm. 34 IV 45: 99 Anm. 42 V 6: 192 V 10–12: 93 Anm. 27 V 14: 86 Anm. 5 V 19: 150; 152 Anm. 7

V 20–21: 259 Anm. 72 V 27–28: 107 Anm. 66 V 45: 123; 179 V 45–49: 93 Anm. 26 V 49: 179 V 52: 239 Anm. 35 V 58–59: 123; 259 Anm. 72 V 60–61: 123 V 78: 123 V 82: 166 Anm. 44 VI 1–2: 175 Anm. 62 VI 1–5: 106 Anm. 59; 206 VI 3–5: 65 Anm. 119 VI 3–8: 174 VI 6: 175 VI 6–8: 174 VI 8: 175 VI 64–73: 112 Anm. 76 VI 85–86: 219 Anm. 168; 296 Anm. 146 VII 1: 88; 150 Anm. 1 VII 1–5: 88 Anm. 16 VII 9: 200 Anm. 111 VII 14: 156 Anm. 15 VII 12–13: 161 Anm. 30 VII 16–17: 104 Anm. 56 VII 26: 260 Anm. 74 VII 27–28: 169 Anm. 50 VII 49: 178 Anm. 67 VII 69–70: 298 Anm. 151 VIII 1–4: 71 Anm. 138; 170 Anm. 51 VIII 1–5: 107 Anm. 66; 222 Anm. 3; 232 VIII 1–6: 235 Anm. 29 VIII 3: 202 VIII 12–13: 138 Anm. 127 VIII 15: 269 Anm. 94 VIII 16: 231; 232 VIII 17–26: 157 Anm. 20 VIII 21: 101 Anm. 47 VIII 22–24: 165 Anm. 41 VIII 25: 101 Anm. 47 VIII 28a 101 Anm. 47 VIII 31: 101 Anm. 47 VIII 36: 101 Anm. 47 VIII 42: 101 Anm. 47 VIII 51: 101 Anm. 47 VIII 55–56: 47 Anm. 74; 92 Anm. 25 VIII 57: 101 Anm. 47

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VIII 61: 101 Anm. 47 VIII 62–63: 33 Anm. 28 VIII 68: 157 Anm. 19 IX 32–34: 33 Anm. 28; 86 Anm. 6 IX 32–36: 81 IX 35–36: 240 Anm. 38 IX 38: 242 Anm. 42 IX 39–42: 194 Anm. 96 IX 39–43: 198 Anm. 106; 200 Anm. 111; 243 Anm. 42 X 10: 184 Anm. 79 X 12: 112 Anm. 76 X 14–15: 165 Anm. 41 X 22: 95 Anm. 33 X 32–33: 220 X 37–41: 188 Anm. 85 X 42: 296 Anm. 146 X 51: 246 Anm. 52 X 67: 185 X 69: 185 Anm. 79 X 70–72: 86 Anm. 6 X 77: 219 Anm. 168; 296; 296 Anm. 146 Georgica I 15: 153 Anm. 9 I 118: 79 Anm. 160 I 373–376: 229 Anm. 19 I 383–387: 240 Anm. 37 I 471–473: 277 Anm. 106 I 481–483: 81 Anm. 166 II 497–498: 70 Anm. 137 III 11: 112 Anm. 76 III 14–15: 161 Anm. 30 III 40: 259 Anm. 72 III 405: 68 Anm. 127 III 409: 169 Anm. 49 IV 170–173: 252 Anm. 62 IV 374: 259 Anm. 71 IV 460–461: 259 Anm. 72 IV 510: 36 Anm. 38 IV 520–522: 276 Anm. 105 IV 564: 68 Anm. 128 IV 565–566: 193 Giovanni del Virgilio Commentarii in Ovidii Metamorphoses XI 4: 263 Anm. 79

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Eklogen I 1: 33; 35; 41; 86; 87; 200 Anm. 114; I 1–2: 36; 72 I 1–3: 35 I 1–5: 35; 74 I 1–7: 32; 41 I 2: 36; 37; 38; 87; 167 I 3: 38 I 3–5: 35; 37; 38; 40 I 4: 160 Anm. 25 I 5: 38; 39 I 6: 40; 41; 42; 44; 50; 52; 57; 62 I 6–7: 40; 44; 46 I 7: 41; 55;113; 114 Anm. 81; 201; 260 Anm. 73 I 8: 47; 50 I 8–9: 47 I 8–10: 160 Anm. 25 I 8–11: 51; 104 I 8–13: 40 Anm. 56; 47; 60; 54; 75; 77 I 9: 48; 49; 50; 54 I 9–10: 48; 53 I 10: 50; 57; 77 I 10–11: 47; 50 I 10–13: 96 I 11: 50; 51; 54 I 12: 51; 52; 53; 77 I 12–13: 51; 77; 115 I 13: 51; 52; 53; 55; 138 I 14: 55 I 15: 57; 60 I 15–16: 57 I 15–24: 56; 72 I 16: 58; 59; 72 I 16–19: 58 I 17: 58 I 17–19: 58; 59 I 18: 59 Anm. 103; 60; 139 I 19: 61 I 19–20: 61 I 20: 62; 64 I 21: 62; 63; 112 Anm. 75 I 21–22: 62; 64 I 22: 62; 63; 139 I 23: 63; 64 I 23–24: 63; 130; 201 I 24: 63; 78; 114 Anm. 81 I 25: 64

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I 25–29: 70 I 25–34: 64; 73; 75 I 25–40: 56 I 26: 65; 66; 67; 68 I 27: 67 I 26–29: 64; 75; 138; 172 I 28: 68 I 29: 68; 78 Anm. 158 I 30: 73 Anm. 145 I 30–32: 72; 70 I 30–34: 73 Anm. 145; 74 I 31: 70; 71; 71 Anm. 139 I 32: 71 I 33: 72; 75; 141 Anm. 130 I 33–34: 72 I 33–40: 192 I 34: 73 I 35: 73; 81 I 35–37: 74 I 35–40: 64; 73; 73 Anm. 145; 75; 130; 167; 170; 206; 219 Anm. 167 I 36: 74; 76; 106; 112; 167 I 36–40: 201 I 37: 74; 76; 77; 170 I 37–38: 74; 76; 119; 170 I 37–40: 201 I 38: 75; 119; 199; 287 I 38–40: 201 Anm. 116 I 39: 76 I 39–40: 76; 78; 80; 81; 180 Anm. 69 I 40: 77; 76; 80 I 41: 78 I 41–43: 78 I 41–46: 78; 80 I 41–51: 77 I 42–43: 79 I 44: 36 Anm. 41; 79; 106; 107 Anm. 61; 172; 217 Anm. 160 I 45: 79 Anm. 163 I 45–46: 79; 80 I 47–48: 81 I 47–51: 30 Anm. 13; 80 I 49: 81 I 49–50: 81; 219 Anm. 167; 240 Anm. 38 I 50: 81 I 51: 82; 111; 192 III 1: 152; 153

III 1–2: 151 III 1–3: 162; 191; 221 Anm. 2; 269 Anm. 93; 286 III 1–5: 150 Anm. 1; 151; 156; 159 III 2–3: 151; 251 III 3: 152; 153; 169; 195; 255 III 3–4: 216 Anm. 158 III 4: 152; 153; 278 Anm. 108 III 4–5: 152; 166 Anm. 41; 169 III 5: 152; 154 Anm. 12; 207 III 6: 155; 156; 213; 223; 238 III 6–7: 172 III 6–9: 220 III 6–10: 155; 159; 176 III 6–32: 155; 176 III 7: 156; 157; 201 III 8: 157; 168 III 8–9: 157; 196; 209 III 9: 158 III 9–10: 157; 191; 278 Anm. 108 III 10–25: 155; 159; 176 III 10–17: 159 III 11: 160; 164; 240 Anm. 36; 269 Anm. 93; 270 III 11–12: 162 III 11–16: 164; 181 III 11–17: 159; 160; 166; 204 Anm. 122; 238 III 11–21: 248 III 12: 161 III 12–13: 161; 204 Anm. 122 III 13: 161 III 14: 162; 229; 230 III 15: 270 III 15–16: 162; 269 Anm. 93 III 16: 162; 225 Anm. 11 III 17: 164; 166; 248; 278 Anm. 108 III 18: 165; 166; 167 III 18–19: 166 III 18–21: 168 III 18–25: 159; 165; 195; 238 III 19: 166; 167; 168; 230 III 19–21: 217; 220 III 20: 168 III 20–21: 260 Anm. 73 III 20–25: 168 III 21: 168 III 22: 169; 170 III 22–23: 169 III 22–24: 170

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III 23: 165 Anm. 41 III 24–25: 169 III 25: 169 III 26: 254 III 26–27: 171 III 26–28: 210 III 26–30: 223 III 26–32: 155; 171; 176; 184; 210; 254 III 27: 282 Anm. 116 III 27–28: 172 III 28: 173; 175 III 28–29: 174 III 28–30: 172 III 28–32: 174 III 29: 173 III 30: 175; 180; 201 III 31: 175; 176 III 31–32: 158 Anm. 21; 174; 180; 192; 255 III 32: 175; 180 III 33: 178; 179; 179 Anm. 68; 184 Anm. 78; 187; 189; 193; 200 Anm. 110; 231; 256 III 33–34: 178 III 33–35: 177; 178; 200; 256 III 33–96: 177; 219 III 34–35: 178 III 34–36: 178 III 34–43: 211 III 35: 178 III 36: 182; 182 Anm. 75; 184; 184 Anm. 78; 200 Anm. 110 III 36–46: 181; 200; 205 III 37: 182; 184 III 37–38: 182; 183 III 38: 181; 183; 183 Anm. 77 III 39: 184 III 39–40: 184; 185 III 39–43: 185; 265 Anm. 83 III 40: 184 III 41: 211 III 41–43: 192 III 42: 186 III 42–43: 185 III 43: 185 III 44: 184 Anm. 78; 186; 187; 188; 189; 190; 200 Anm. 110 III 44–45: 187 III 44–46: 186; 197

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III 45: 187; 188 III 46: 188; 189 Anm. 86 III 47: 190; 191 III 47–48: 278 Anm. 108 III 47–49: 190 III 47–51: 190 III 47–66: 190 III 47–79: 190 III 48: 190; 192 III 48–49: 191 III 49–51: 219 Anm. 167 III 50: 192; 192 Anm. 92 III 50–51: 180 Anm. 69; 192; 193; 210; 230; 231; 265 III 51: 192 Anm. 92; 193 III 51–66: 199 III 52: 195; 204 III 52–66: 194; 195; 198 III 52–71: 194; 194 Anm. 96 III 52–74: 259 III 52–76: 194 III 53: 195; 196; 198; 268 Anm. 92 III 54–55: 230 III 54–56: 196 III 56: 197 III 56–57: 196 III 57: 197 III 57–62: 196 III 61: 196 III 62: 197 III 63–64: 198 III 64: 198; 218 III 65: 198; 243 Anm. 42; 255 III 65–66: 198 III 66: 184 Anm. 78; 199; 204; 278 Anm. 108; 286; 287 III 67: 200; 203; 204; 244 Anm. 42; 269 Anm. 92 III 67–68: 166 Anm. 41 III 67–69: 200; 251; 269 Anm. 92 III 67–71: 194; 199 III 68: 202 Anm. 118 III 68–69: 200; 200 Anm. 114; 201; 211 III 69: 200 III 70–71: 201; 202 III 71: 202 III 72: 184 Anm. 78; 203; 204; 243 Anm. 42

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III 72–76: 194; 203: III 72–79: 194; 204; 205 III 73: 204; 205: III 73–74: 204; 204 Anm. 122; 205 III 75–76: 204; 205 III 76: 205 III 76–77: 208 III 76–79: 204 III 76–89: 260 III 77: 205; 278 Anm. 108 III 78: 206 III 78–79: 206 III 79: 206; 268 Anm. 92 III 80: 207; 208; 210 Anm. 140 III 80–81: 207; 209 III 80–83: 157 Anm. 19; 204 Anm. 122; 297 III 80–84: 207 III 81: 208; 209; 297 III 82: 209; 255 III 83: 210; 211 III 83–84: 211 III 84: 211

III 85: 212 III 85–86: 212 III 85–87: 207; 212; 243 III 86: 213 III 87: 212; 214; 243; 265 Anm. 83; 266 III 88–89: 27 Anm. 2; 214; 215 III 88–96: 214 III 90: 215; 218 III 90–95: 216 Anm. 156 III 90–96: 217 III 90–97: 215 III 91: 215; 216 III 92: 217; 218 III 92–93: 217 III 92–95: 218 III 93: 217 III 94: 218 III 94–95: 218 III 95: 218 III 96: 219 III 97: 219; 220

Marc Föcking / Claudia Schindler (Hg.)

Klassik und Klassizismen in römischer Kaiserzeit und italienischer Renaissance HaMBurger stuDien zu gesellscHaften unD Kulturen Der vorMoDerne - BanD 9 2020. 325 Seiten 978-3-515-12834-6 Kartoniert 978-3-515-12835-3 e-BooK

So positiv das Etikett ‚Klassik‘ und ‚Klassiker‘ besetzt ist, so abschreckend wirkt das des ‚Klassizismus‘, scheint es doch Epigonalität und uninspirierte Regelfixiertheit zu signalisieren. Ein Blick auf zwei den beiden Begriffen besonders affine Epochen aber zeigt, das ‚Klassik‘ und ‚Klassizismus‘ keine Oppositionen, sondern dialektisch-dynamisch verbundene Kategorien künstlerisch-literarischer Selbst- und Fremdzuschreibungen sind: Die Römische Kaiserzeit, deren literarisches Schaffen der sogenannten augusteischen Klassik stark verpflichtet ist, und das italienische sechzehnte Jahrhundert, in dem die pluralen Bezugnahmen der italienischen Renaissance auf die Antike systematisiert, poetologisch reflektiert und die Isolierung des Prinzips der Imitatio auch auf volkssprachliche Texte selbst übertragbar werden. Beide Epochen bilden nicht nur je eigene Klassiken und Klassizismen aus, sie zeigen auch, wie über Jahrhunderte hinweg Autori-

tätssetzungen durch historische Rückbezüge funktionieren, zugleich aber neue Klassiker jenseits historischer Modellbildung entstehen können. Mit Beiträgen von Anja Wolkenhauer, Florian Mehltretter, Dennis Pausch, Meike Rühl, Hartmut Wulfram, Gerhard Regn, Dietrich Scholler, Florian Schaffenrath, Christine Schmitz, Christiane Reitz, David Nelting, Nicola Hömke, Petra Schierl, Susanne Friede Die HerausgeBer Marc Föcking ist Professor für italienische und französische Literatur an der Universität Hamburg. Claudia Schindler ist Professorin für Klassische Philologie mit dem Schwerpunkt Latinistik an der Universität Hamburg.

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Barbara Dimde

Gladiatur und Militär im römischen Germanien hAmburger studIen zu gesellschAften und Kulturen der Vormoderne - bAnd 7 2019. 404 Seiten mit 17 Farb- und 6 s/w-Abbildungen 978-3-515-12490-4 KArtonIert 978-3-515-12499-7 e-booK

Mit Legionären aus dem fernen Rom kam in der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts n. Chr. ein Kulturgut nach Germanien, das dort bis dahin unbekannt war: Amphitheater und Gladiatoren. In Standlagern römischer Legions- und Auxiliareinheiten und in römisch geprägten Zivilsiedlungen hinterließen die Stars dieser Arenen zahlreiche Spuren. Barbara Dimde folgt diesen Spuren und entdeckt dabei die in der Forschung bislang unbekannte Militärgladiatur, die in Germanien den Nukleus der späteren zivilen Gladiatur bildete. Dimde zeigt diese grundsätzliche Trennung in einen kaiserlich-militärischen und einen städtisch-zivilen Sektor mit unterschiedlichen Ziel- und Wirkmechanismen: Der Kaiser als Oberbefehlshaber der römischen Truppen setzte die Militärgladiatur in Germanien gezielt zur Sicherung seiner Macht ein. Er gab finanzielle Ressourcen frei, die die Errichtung von Militäramphitheatern und die Ausstattung von Legions- und Flottenverbänden mit familiae gladiatoriae

ermöglichten. Die Zivilgladiatur unterlag dagegen der Eigenverantwortung der Städte und städtischen Eliten. Diese mussten für den Bau ziviler Amphitheater und die Veranstaltung der populären Gladiatorenkämpfe und Tierhetzen selbst aufkommen – streng reglementiert durch kaiserliche Kontrollauflagen. Aus dem InhAlt Editorial | Vorwort | Einleitung | Raum für Spektakel: Wo kämpften die Gladiatoren in Germanien? | Militär und munera gladiatoria in Germania Superior und Inferior | Zusammenfassung | Römische Gladiatur in Germanien: Funde und Befunde (Katalog ausgewählter Stücke) | Literaturverzeichnis | Indices dIe AutorIn Barbara Dimde studierte Latein, Sport und Archäologie; Mitarbeiterin an Ausgrabungen in Nemea; Lehrtätigkeiten an den Universitäten Bonn, Hamburg, Köln und Athen.

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Kaja Harter-Uibopuu (Hg.)

Epigraphische Notizen Zur Erinnerung an Peter Herrmann HaMBurger stuDien zu gesellscHaften unD Kulturen Der vorMoDerne – BanD 6 2019. 280 Seiten mit 39 s/w-Abbildungen 978-3-515-12456-0 Kartoniert 978-3-515-12459-1 e-BooK

Am 23. Mai 2017 wäre der Hamburger Althistoriker Peter Herrmann 90 Jahre alt geworden. Er hat die griechische Inschriftenkunde weit über Deutschland hinaus nachhaltig geprägt. Dies nehmen Epigraphikerinnen und Epigraphiker zum Anlass, um in diesem Band die neuesten Forschungen zu Inschriften aus dem hellenistischen und kaiserzeitlichen Kleinasien zu präsentieren. Ein erster Schwerpunkt der Beiträge liegt in den Wirkungsstätten Peter Herrmanns, Sardes und Milet. Im zweiten Teil des Bandes werden neue Inschriften erstmals ediert und bekannte Texte grundlegenden Neulesungen unterzogen. Den Abschluss bilden mit thematischen Studien zu prosopographischen Fragen, Ehren und Stiftungen sowie dem Verhältnis zwischen Kaisern und Provinzen Themen, die Herrmann am Herzen gelegen hatten. So sollen – ganz in seinem Sinne – neueste wissenschaftliche Erkenntnisse der Erinnerung dienen.

Mit Beiträgen von Kaja Harter-Uibopuu, Georg Petzl, Norbert Ehrhardt, Hasan Malay & Marijana Ricl, Michael Wörrle, Angelos Chaniotis, Christof Schuler, Klaus Zimmermann, Christian Wallner, Mustafa Adak, Linda-Marie Günther, Werner Eck, Marietta Horster, Helmut Halfmann, Rudolf Haensch Die HerausgeBerin Kaja Harter-Uibopuu ist Professorin für Alte Geschichte an der Universität Hamburg und Vizesprecherin des Exzellenz-Clusters „Understanding Written Artefacts“. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen neben der griechischen Epigraphik vor allem die antike Rechts- und Verfassungsgeschichte sowie das Grabwesen und Grabrecht im griechischrömischen Kleinasien.

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Lars Hübner

Homer im kulturellen Gedächtnis Eine intentionale Geschichte archaischer Homerrezeption bis zur Perserkriegszeit hAmburger studIen zu gesellschAften und Kulturen der Vormoderne - bAnd 5 2019. 247 Seiten 978-3-515-12349-5 KArtonIert 978-3-515-12351-8 e-booK

Die Dichtungen, die mit dem Namen Homer verbunden werden, haben Geschichte gemacht. Nach wie vor stellen sie einen wesentlichen Teil des europäischen kulturellen Gemeinguts dar. Umso tiefgreifender muss ihre Wirkmächtigkeit für die griechische Antike veranschlagt werden. Zu dieser Zeit galt Homer als der Dichter überhaupt und seine – selbstverständlich als historisch erachteten – Helden dienten als Maßstäbe menschlichen Handelns. Warum jedoch wurden diese Dichtungen zum Fixstern eines gesamtgriechischen Wir-Gefühls? Lars Hübners These: Von Anfang an stellte Homerisches eine Konstituente archaischer Machtpolitik dar. Hübner kann zeigen, dass die archaische Homerrezeption und die Genese der polis auf das Engste miteinander verwoben sind. Die kulturelle Wirkmächtigkeit der homerischen Epen ist daher nicht nur in ihrer inhaltlichen wie sprachlichen Opulenz begründet. Sie besteht mindestens ebenso in ihrer Eigenschaft, auf die legitima-

torischen Fragen in politicis von Aristokraten, Tyrannen und schließlich ganzer Bürgerschaften Antworten geben zu können. Aus dem InhAlt Prolegomena | Proto-aristokratische Homerrezeption während des achten vorchristlichen Jahrhunderts | Aristokratische Homerrezeptionen während des siebten vorchristlichen Jahrhunderts | Tyrannische und bürgerschaftliche Homerrezeption während des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts | Zwischenergebnisse | Bürgerschaftliche und aristokratische Homerrezeption während des fünften vorchristlichen Jahrhunderts | Schlussbetrachtung: Homer und die polis | Bibliographie | Indices der Autor Lars Hübner studierte an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg sowie an der Università di Pisa Geschichte, Germanistik und Romanistik.

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Die „Eklogen“ Dante Alighieris stehen gerade im deutschen Sprachraum nach wie vor im Schatten der scheinbar alles überragenden Commedia des Florentiner Dichters. Gegen Ende seines Lebens entstanden, oszilliert der lateinisch-sprachige Briefwechsel mit dem Bologneser Grammatiker Giovanni del Virgilio zwischen vergilischer Bukolik, christlicher Allegorese und zeitgenössischer Poetik. Raffiniert kontert Dante Giovannis Vorwurf, mit seiner in italienischem volgare verfassten Commedia „Perlen vor die Säue“ geworfen zu haben. Auf dem Prüfstand steht in ihrer vierteiligen Debatte der Wert der Antike in einem ISBN 978-3-515-12817-9

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7835 1 5 1 281 79

fundamental im Wandel begriffenen Europa zwischen Spätmittelalter und Frührenaissance. Andrea Renker nimmt in dieser wegweisenden Untersuchung die intertextuellen Bezüge der Korrespondenz zu ihren klassischen, biblischen und zeitgenössischen Prätexten in den Blick und zeichnet anhand dessen ein systematisches Bild der widerstreitenden poetologischen Profile. Damit wirft sie ein Schlaglicht auf die von der Forschung nach wie vor wenig beachteten Eklogenbriefe, die nichts Geringeres beinhalten als das poetologische Testament des Florentiner Dichters.

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