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German Pages 320 [324] Year 1987
Christian Scholz Strategisches Management
Christian Scholz
Strategisches Management Ein integrativer Ansatz
W G DE
Walter de Gruyter Berlin · New York 1987
Dr. Christian Scholz Professor für Betriebswirtschaftslehre Universität des Saarlandes, FB 2 - Wirtschaftswissenschaften
CIP-Kurztitelaufnahme
der Deutschen
Bibliothek
Scholz, Christian: Strategisches Management : e. integrativer Ansatz / Christian Scholz. - Berlin ; N e w York : de Gruyter, 1987. ISBN 3-11-010863-1
© Copyright 1987 by Walter de Gruyter & Co., Berlin 30. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Photokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Printed in Germany. Satz: Druckerei Appi, Wemding. - Druck: Gerike GmbH, Berlin. - Bindung: Lüderitz& BauerGmbH, Berlin. - Umschlagentwurf: Thomas Bonnie, Hamburg.
Für Maria, Sebastian und Tobias
Vorwort
An Büchern zum Themenkomplex Strategisches Management fehlt es nicht. Jede neue Publikation muß sich daher von vornherein gegen eine Vielzahl von Mitbewerbern abgrenzen, um das Interesse des Lesers zu gewinnen. „Strategisches Management - Ein integrativer Ansatz" läßt sich danach wie folgt charakterisieren: Im Gegensatz zu Spezialmonographien oder auf Vollständigkeit zielenden Wissenskatalogen bietet das Integrativ Strategische Management („ISM") primär einen konzeptionellen und theoriegeleiteten Rahmen zur Verbindung der verschiedenen strategischen Ansätze. Kern des ISM sind dabei vier strategische Prinzipien: Sie sollen Hilfestellung leisten bei der Entwicklung von Theorien über strategisches Handeln, letztlich aber auch bei der konkreten Formulierung und Umsetzung von Unternehmensstrategien in der Praxis. Über die Anwendung des angebotenen konzeptionellen Rahmens hinausgehend, erlaubt das ISM unter anderem drei Nutzungsmöglichkeiten: Der (empirische) Forscher sollte die strategischen Prinzipien als komplexe Hypothese auffassen, also die Herausforderung von Operationalisierungs- und Falsifikationsversuchen annehmen. Der Praktiker sollte das ISM als generelle Methodik zur Lösung strategischer Probleme heranziehen. Dem Studenten schließlich soll das ISM helfen, die zunehmende Informationsflut im Bereich des strategischen Managements durch eine strukturierende Denkhilfe in den Griff zu bekommen. „Strategisches Management - Ein integrativer Ansatz" wurde im Sommersemester 1985 an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Regensburg als Habilitationsschrift eingereicht und im Wintersemester 1985/86 angenommen. Die vorliegende Arbeit entspricht - abgesehen von Kürzungen (speziell in Kapitel 4) - im wesentlichen der eingereichten Arbeit. Bei dieser Arbeit wurde mir in vielfacher Weise Unterstützung zuteil: Herr Prof. Dr. H.-J. Drumm betreute meine Habilitation und gewährte mir - neben intensiver Möglichkeit zur konstruktiven Diskussion - auch den zur Realisation eines derartigen Projektes nötigen Freiraum. Herr Prof. Dr. G. Niemeyer war am ISM zwar nicht direkt beteiligt: Seine systemtheoretische Denkweise war und bleibt dennoch für mich eine zentrale Arbeitsgrundlage. Herr Prof. Dr. K.Bohr unterzog sich der undankbaren Pflicht des Zweitgutachters. Herr Dipl.-Kfm. R Betz sowie Herr Dipl.-Kfm. K. A. May leisteten wertvolle Hilfe bei der Durchsicht des Manuskriptes. Herr Dr. H. Rumpf schließlich hat - zunächst als Kollege, dann als „Ansprechpartner in der Praxis" - die vielen Fassungen dieser Arbeit gelesen und mit mir durchdiskutiert. Das Haus Thum und Taxis ermöglichte mir durch seinen Förderpreis ein Forschungssemester an der Harvard Business School: Die dort gemachten Erfahrungen waren entscheidende Impulse für diese Arbeit. Besonders hervorzuheben sind da-
Vili
Vorwort
bei die Unterstützung meines „faculty sponsors" Prof. R. Meyer, die Zusammenarbeit im Projekt Mustererkennung mit Prof. N.Josephy sowie die Veranstaltungen von Prof. R.Hamermesh, Prof. M.Porter und Prof. R.Vancil. Ein zweiter AmerikaAufenthalt wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziell unterstützt. Allen genannten Personen und Institutionen möchte ich an dieser Stelle danken. Die Veröffentlichung dieser Arbeit wird zeitlich mit der Verlegung meines „wissenschaftlichen Standortes" von der Universität Regensburg zur Universität des Saarlandes zusammenfallen. Meiner Heimatuniversität Regensburg, die mir vierzehn Jahre lang - auf verschiedenen Stufen einer studentischen/akademischen Laufbahn optimale Arbeitsbedingungen und eine stimulierende Arbeitsatmosphäre bot, gilt daher mein besonderer Dank. Regensburg, im April 1986
Christian Scholz
Inhaltsverzeichnis
1 Grundlagen
1
1.1 Ausgangssituation und Ziel der Arbeit
1
1.2 Integrativ-Strategisches Management (ISM) 1.2.1 „Integrativ" 1.2.2 „Strategisch" 1.2.3 „Management"
4 4 5 6
1.3 Vorgehensweise der Arbeit 1.3.1 Problem 1.3.2 Lösungsweg 1.3.3 Wissenschaftstheoretische Einordnung
7 7 8 10
1.4 Resümee und Vorschau
11
2 Strategische Prinzipien
13
2.1 Überblick
13
2 . 2 Das Prinzip strategischer Effektivität 2 . 2 . 1 Grundüberlegung 2.2.1.1 Konzeptionelle Grundlage 2.2.1.1.1 Vorbemerkung 2.2.1.1.2 Effektivitätsansätze 2.2.1.2 Empirische Grundlage 2.2.1.2.1 Zur Zielbildung 2.2.1.2.2 Zur Effektivität 2.2.1.3 Nichtmonotone Effektivitätsverläufe 2 . 2 . 2 Formulierung 2 . 2 . 3 Umsetzung 2.2.3.1 Überblick 2.2.3.2 Stakeholder Scanning 2.2.3.2.1 Environmental Scanning als Grundmethodik 2.2.3.2.2 Stakeholder als Untersuchungsobjekte
13 13 13 13 15 17 17 18 21 22 24 24 25 25 26
.
X
Inhaltsverzeichnis 2.2.3.3 Stakeholder Mapping 2.2.3.3.1 Cognitive Mapping als Grundmethodik 2.2.3.3.2 Stakeholder als Untersuchungsobjekte 2.2.4 Resümee und Vorschau
....
30 30 31 31
2.3 Das Prinzip strategischen Verhaltens 2.3.1 Grundüberlegung 2.3.1.1 Konzeptionelle Grundlage 2.3.1.2 Relevanz der Objekte 2.3.1.2.1 Holismus 2.3.1.2.2 Elementarismus 2.3.1.3 Vereinfachung der Methodik 2.3.1.3.1 Komplexitätsreduktion 2.3.1.3.2 Potentialkonzentration 2.3.1.4 Proaktivität des Handelns 2.3.1.4.1 Kontingenzaktivität 2.3.1.4.2 Initiativaktivität 2.3.2 Formulierung 2.3.3 Umsetzung 2.3.3.1 Überblick 2.3.3.2 Management-Grundformen 2.3.3.2.1 Strategisches Enterprise Management 2.3.3.2.1.1 Vorgehensweise 2.3.3.2.1.2 Beispiel: Business Mission 2.3.3.2.2 Strategisches Capability Management 2.3.3.2.2.1 Vorgehensweise 2.3.3.2.2.2 Beispiel: Sozialbilanz 2.3.3.2.3 Strategisches Surprise Management 2.3.3.2.3.1 Vorgehensweise 2.3.3.2.3.2 Beispiel: Personalbereich 2.3.3.2.4 Strategisches Issue Management 2.3.3.2.4.1 Vorgehensweise 2.3.3.2.4.2 Beispiel: Corporate Communication 2.3.4 Resümee und Vorschau
32 32 32 34 34 35 35 35 38 38 38 41 43 44 44 45 45 45 47 48 48 52 53 53 56 57 57
2.4 Das Prinzip strategischer Stimmigkeit 2.4.1 Grundüberlegung 2.4.1.1 Grundlagen strategischer Stimmigkeit 2.4.1.1.1 Konzeptionelle Grundlage 2.4.1.1.2 Theoretische Grundlage 2.4.1.2 Systematik strategischer Stimmigkeit 2.4.2 Formulierung
61 61 61 61 62 64 66
59 60
Inhaltsverzeichnis
XI
2 . 4 . 3 Umsetzung 68 2.4.3.1 Überblick 68 2.4.3.2 Analytische Umsetzung 69 2.4.3.2.1 Die Fit-Chart-Methode 69 2.4.3.2.2 Die Kompatibilitätsmatrix 70 2.4.3.2.3 Die Strategic-Fit-Matrix 72 2.4.3.2.4 Die Mustererkennung 77 2.4.3.2.4.1 Mustererkennung als Grundmethodik 77 2.4.3.2.4.2 Stimmigkeit durch Mustererkennung 82 2.4.3.3 Summarische Umsetzung 85 2.4.3.3.1 Unternehmensidentität (Corporate Identity) . . 85 2.4.3.3.2 Unternehmenskultur (Corporate Culture) . . . 88 2.4.3.3.2.1 Vorüberlegung 88 2.4.3.3.2.2 Bestimmung der Ist-Kultur . . . . 90 2.4.3.3.2.3 Analyse der Kultur-Zusammenhänge 95 2.4.3.3.2.4 Festlegung der Soll-Kultur 100 2.4.3.3.2.5 Veränderung der Ist-Kultur . . . . 101 2 . 4 . 4 Resümee und Vorschau 102 2.5 Das Prinzip strategischer Kräfte 2 . 5 . 1 Grundüberlegung 2.5.1.1 Bedeutung strategischer Kräfte 2.5.1.2 Bestandteile strategischer Kräfte 2.5.1.2.1 Strategische Potentiale 2.5.1.2.2 Strategische Bewegungen 2.5.1.2.3 Strategische Barrieren 2.5.1.3 Entwicklung strategischer Kräfte 2 . 5 . 2 Formulierung 2 . 5 . 3 Umsetzung 2.5.3.1 Überblick 2.5.3.2 Unterstützung der Informationssuche 2.5.3.2.1 Kräfte-Scanning 2.5.3.2.2 Bewegungs-Scanning 2.5.3.2.2.1 Branchenanalyse als Grundmethodik 2.5.3.2.2.2 Bewegungs-Scanning über Branchenanalyse 2.5.3.2.2.3 Beispiel: U.S.-Branchenanalyse 2.5.3.2.3 Diskontinuitäten-Scanning 2.5.3.2.3.1 Inhalt und Bedeutung
103 103 103 103 103 104 106 111 113 115 115 115 115 117 117 120 . . 121 125 125
XII
Inhaltsverzeichnis
2.5.3.2.3.2 Lokalisierung und Bewertung . . . 126 2.5.3.3 Unterstützung der Alternativensuche 128 2.5.3.3.1 Kräfteoptimierung 128 2.5.3.3.2 Barrierenoptimierung 129 2.5.3.3.3 Signaloptimierung 132 2 . 5 . 4 Resümee und Vorschau 134
3 Strategische Aktivitäten
137
3.1 Überblick
137
3.2 Systementwurf
138
3 . 2 . 1 Grundüberlegung 3 . 2 . 2 Gestaltungsmodelle 3.2.2.1 Überblick 3.2.2.2 Modelldarstellung 3.2.2.2.1 Kompetenzmodelle 3.2.2.2.2 Mitbestimmungmodelle 3.2.2.2.3 Informationsflußmodelle 3.2.2.2.4 Kybernetische Partialmodelle 3.2.2.2.5 Modelle der Planungskoordination 3.2.2.2.6 „Gesamt"-Modelle 3.2.2.3 Zusammenführung 3 . 2 . 3 Resümee und Vorschau 3.3 Systemimplementation 3 . 3 . 1 Grundüber legung 3.3.2Teilaktivitäten der Systemimplementation 3.3.2.1 Sicherstellen strategischer Stimmigkeiten 3.3.2.2 Gewährleisten der Systemakzeptanz 3.3.2.2.1 Akzeptanzproblematik 3.3.2.2.2 Akzeptanztheorem 3 . 3 . 3 Resümee und Vorschau 3.4 Strategieformulierung 3 . 4 . 1 Grundüberlegung 3 . 4 . 2 Allgemeine Techniken zur Entscheidungsvorbereitung 3.4.2.1 Diskussion 3.4.2.1.1 Quantitative Techniken 3.4.2.1.1.1 Statistische Prognosetechniken 3.4.2.1.1.2 Mustererkennung 3.4.2.1.1.3 Risikoanalyse
138 138 138 139 139 142 144 145 148 148 149 153 154 154 155 155 155 155 156 157 158 158 159 159 159 . . 159 160 161
Inhaltsverzeichnis
3.4.3
3.4.4
3.4.5 3.4.6
3.4.2.1.2 Qualitative Techniken 3.4.2.1.2.1 Delphi-Technik 3.4.2.1.2.2 Kreativitätstechniken 3.4.2.1.2.3 Cross-Impact-Matrix 3.4.2.1.2.4 Cognitive Mapping 3.4.2.1.2.5 Szenario-Technik 3.4.2.1.2.6 STRATA 3.4.2.2 Einordnung in das ISM Vereinfachungstechniken zur Entscheidungsvorbereitung 3.4.3.1 Diskussion 3.4.3.1.1 Strategische Geschäftseinheiten 3.4.3.1.2 Strategische Gruppen 3.4.3.2 Einordnung in das ISM Strategische Techniken mit Entscheidungsregel 3.4.4.1 Erfahrungskurve 3.4.4.1.1 Diskussion 3.4.4.1.2 Einordnung in das ISM 3.4.4.2 Produktlebenskurve 3.4.4.2.1 Diskussion 3.4.4.2.2 Einordnung in das ISM 3.4.4.3 Profit Impact of Market Strategies (PIMS) 3.4.4.3.1 Diskussion 3.4.4.3.2 Einordnung in das ISM 3.4.4.4 Portfolio-Matrizen 3.4.4.4.1 Diskussion 3.4.4.4.2 Einordnung in das ISM Zusammenführung Resümee und Vorschau
XIII
. . . .
161 161 163 163 164 165 165 170 172 172 172 173 174 175 175 175 176 178 178 179 183 183 185 187 187 197 200 202
3.5 Strategieimplementation 3 . 5 . 1 Grundüberlegung 3 . 5 . 2 Teilaktivitäten der Strategieimplementation 3.5.2.1 Ableiten funktionaler Teilstrategien 3.5.2.2 Sicherstellen strategischer Stimmigkeiten 3.5.2.3 Vermitteln der Strategie 3.5.2.4 Gewährleisten der Strategieakzeptanz 3.5.2.4.1 Akzeptanzproblematik 3.5.2.4.2 „Bremsende" Kräfte 3.5.2.5 Ausführen der Strategie 3.5.3 Resümee und Vorschau
202 202 203 203 204 204 206 206 206 209 209
3.6 Strategische Kontrolle 3 . 6 . 1 Grundüberlegung
209 209
Inhaltsverzeichnis
XIV
3.6.2 Kontrollinhalte 211 3.6.2.1 Überblick 211 3.6.2.2 Anwendung der strategischen Prinzipien 211 3.6.2.2.1 Strategische Effektivität 211 3.6.2.2.2 Strategisches Verhalten 213 3.6.2.2.3 Strategische Stimmigkeit 214 3.6.2.2.4 Strategische Kräfte 215 3.6.2.3 (Zwischen-)Ergebnis 217 3.6.3 Das integrierte Kontrollmodell 217 3.6.3.1 Überblick 217 3.6.3.2 Kontrollhierarchien 218 3.6.3.2.1 Strategiekontrolle in der Leitungshierarchie . . 2 1 8 3.6.3.2.2 Systemkontrolle in der Metahierarchie 220 3.6.3.3 Weiterführende Implikationen 222 3.6.4 Resümee und Vorschau 225
4 Strategische Felder
227
4.1 Überblick
227
4.2 Grundüberlegung 4.2.1 Charakterisierung der Felder 4.2.2 Charakterisierung der Vorgehens weisen
227 227 230
4.3 Einsatz der strategischen Prinzipien 231 4.3.1 Zur Identifizierung des Problems 231 4.3.1.1 Vorgehensweise 231 4.3.1.2 Beispiel: Technologiedynamik 232 4.3.2 Zur Strukturierung des Problems 234 4.3.2.1 Vorgehensweise 234 4.3.2.2 Beispiel: Wachstumsstrategien 234 4.3.3 Zur Generierung von Alternativen 237 4.3.3.1 Vorgehensweise 237 4.3.3.2 Beispiel: Strategisches Rezessionsmanagement 238 4.3.4 Zur Bewertung von Alternativen 240 4.3.4.1 Vorgehensweise 240 4.3.4.2 Beispiel: Organisation multinationaler Unternehmen . . . 2 4 1 4.4 Resümee
5 Ergebnis
244
247
Inhaltsverzeichnis
XV
Abkiirzungsverzeichnis
251
Literaturverzeichnis
253
Namenverzeichnis
289
Sachverzeichnis
297
1 Grundlagen
1.1 Ausgangssituation und Ziel der Arbeit In der Nachfolge von Klassikern wie Drucker (1954), Chandler (1962), Ansoff (1965), Ackoff (1970), Andrews (1971) oder Hussey (1971) entstand eine Flut von Publikationen zu Themen wie strategische Planung, strategische Unternehmensführung, Business Policy oder Portfolio-Management. Schendel und Hofers(1979) Dokumentation über die Pittsburger Konferenz vom Mai 1977 spiegelt den state-ofthe-art der siebziger Jahre wider; danach lassen sich die in dieser Zeit oder kurz darauf publizierten Arbeiten (vgl. Überblicke bei Hofer 1976, Saunders/Thompson 1980 und Hax 1982) wie folgt charakterisieren: — Sie konzentrieren sich auf die Entwicklung von Produkt/Markt-Strategien. — Sie postulieren einen direkten und unmittelbaren Anwendungsbezug. — Sie verzichten aus pragmatischen Gründen auf eine theoretische Untermauerung ihrer Empfehlungen. — Sie bezeichnen sich als empirisch fundiert, weil sie konkret beobachtete Handlungsweisen reflektieren. — Sie bestechen durch eine sehr klare und unmittelbar einsichtige Grundaussage. — Sie versprechen bei Anwendung der jeweils präsentierten Technik eine deutliche Steigerung des Unternehmenserfolges. Begleitet wurden vor allem die früheren Publikationen zur strategischen Planung von einer oft euphorischen Begeisterung: Sie resultierte aus einer vermeintlich aufwandsarmen Einsetzbarkeit der Instrumente, verbunden mit der Erwartung hoher Wirksamkeit. Diese Einstellung ist insofern nicht verwunderlich, als kaum ein Beteiligter Interesse an kritischer Auseinandersetzung mit seinen Vorschlägen hat: So müssen Beratungsfirmen und Managementschulen jeglichen Zweifel an der Unfehlbarkeit ihrer Rezepte vermeiden, wollen sie sich nicht ihrer Existenzgrundlage berauben. Analoges gilt für betriebliche Planungsabteilungen. In der Unternehmensberatung engagierte Forschungsinstitute gewähren allenfalls selektiven Zugang zu ihren Datenbasen, um eine die Beratungstätigkeit störende Kritik zu verhindern. Die Personalunion von Forscher und Unternehmensberater zwingt angesichts von Beraterhonoraren bis 10.000 D M pro Tag (Kiechel 1979 a, 57) zudem zu einer Verschleierung der jeweiligen Methodik, um den individuellen Wettbewerbsvorsprung des Beraters zu verteidigen. Und schließlich gelten gescheiterte Implementationen von Planungssystemen oder Strategien als individuelles Versagen und werden daher lieber verschwiegen als offen diskutiert. Trotzdem artikulieren sich in Theorie und Praxis zunehmend Bedenken (vgl. Goldscheider 1979; Hamermesh 1979, 1 9 - 2 1 ; Horwitz 1979; Kiechel 1979 b; Kiechel 1 9 8 1 a ; Kiechel 1981b; Kiechel 1981 c; Mitroff/Mason/Barabba 1981; Clay-
2
1 Grundlagen
camp 1982, 9; Lorange 1982; More 1982; Wirtschaftswoche 1982; Wortman/Roberts 1982; Agthe 1983, 658; Steiner 1983; Berthel 1984; Pascale 1984; Schwaninger 1985). Diese lassen sich auf sechs grundsätzliche Kritikpunkte zurückführen: (1) Die Umsetzung der einfachen Rezepte erweist sich als äußerst kompliziert und selbst bei massivem Einsatz von Beratungsfirmen allenfalls partiell bewältigbar (Kiechel 1982). Unabhängig von ihrer potentiellen Wirksamkeit kommen also Zweifel an der Praktikabilität der diversen Erfolgsrezepte auf. So wird zwar betont, daß die einzelnen Aspekte der strategischen Planung aufeinander abzustimmen sind, substantielle Hilfestellungen dazu fehlen aber. (2) Auf den Nymbus der zwangsläufigen Wirksamkeit fielen Schatten: So kam AEG (vgl. Dunst 1983, 171) trotz lehrbuchhafter „strategischer Ausrichtung" auf Basis strategischer Geschäftsfelder 1982 in ernste Schwierigkeiten. Offenbar ist zum Erfolg mehr nötig als eine sich in Geschäftsfeldabgrenzung und PortfolioMatrix erschöpfende strategische Planung. (3) Weil Begründungen für beobachtetes Unternehmensverhalten und vorgeschlagenes Vorgehen fehlen, muß die theoretische Fundierung der Ansätze als unzureichend eingestuft werden. Zudem wird in unzulässiger Weise Allgemeingültigkeit von solchen Zusammenhängen unterstellt, die in einer speziellen Situation erhoben wurden; der mögliche Einfluß situativer Faktoren bleibt ausgeklammert. Oder um es deutlicher zu formulieren: Im Hinblick auf theoretischen Gehalt wurden in den letzten 25 Jahren kaum Fortschritte gemacht (McGuire 1982, 31-34). (4) Die methodische Fundierung der strategischen Planung in Theorie und Praxis ist insofern gering, als jeweils nur einzelne (individuell präferierte) Instrumente zum Einsatz kommen. (5) Inhaltlich überwiegt eine Beschränkung auf die Definition von Produkt/MarktKombinationen und ein Ausklammern von Funktionsbereichen wie Organisation und Personalwesen; vor allem aber forcieren die vorliegenden Ansätze die Strategieformulierung und vernachlässigen Implementationsfragen. (6) Hinzu kommt ein semantisches Problem: Seit der Entdeckung des klangvollen Attributs „strategisch" wurde derartig viel damit etikettiert, daß dieses Attribut heute nahezu bedeutungslos ist. Es dient allenfalls zur Charakterisierung von „beachtenswert und wichtig". Oder extrem ausgedrückt: Der Begriff „strategisch" hat mittlerweile in einer Weise metastasiert, daß er eigentlich überhaupt nichts mehr aussagt (Bower 1982, 631). Eine Gegenüberstellung von Monographien des Zeitraums 1980 bis 1985 zeigt, daß sich der state-of-the-art seit der Pittsburger Tagung allenfalls marginal geändert hat (vgl. Scholz 1986 b) und deutliche Entwicklungsperspektiven fehlen. Deshalb ist bereits hier die Grundtendenz des nachfolgend zu entwickelnden Ansatzes zu skizzieren (Tabelle 1.1): Im Mittelpunkt steht die Betonung unternehmerisch-strategischen Handelns, wie es beispielsweise von Drucker (1970; 1984 a) propagiert wird. Dazu gehört eine Integration von analytischem und intuitivem Vorgehen (vgl. Mintz-
1.1 Ausgangssituation und Ziel der Arbeit
3
berg 1976; Agor 1984; McGinnis 1984). Die angestrebte Fundierung in der gesamten Betriebswirtschaftslehre und das übergreifende Verzahnen der Funktionsbereiche spiegelt ein Riickbesinnen auf die zentralen Grundlagen jeglicher Unternehmensführung wider (vgl. Peters 1980; Gluck/Kaufman/Walleck 1982). Hinzu kommt das Befürworten einer begrenzten und komplexitätsreduzierenden Rationalität (vgl. Kieser 1984) sowie die (zumindest implizite) systemorientierte Betrachtungsweise. Damit ist auch das Ziel der vorliegenden Arbeit fixiert: Entwicklung einer theoriegestützten Konzeption, die inhaltlich aufeinander abgestimmt sowohl die betriebswirtschaftlich relevanten Funktionsbereiche als auch die zentralen Aktivitäten des Managementprozesses umfaßt und methodisch problemadäquate sowie aufeinander abgestimmte Lösungshilfen anbietet. Im Vordergrund steht daher nachfolgend weder die Entwicklung der optimalen Produkt/Markt-Kombination noch ausschließlich der Planungsaspekt, sondern vielmehr die Ganzheitlichkeit der strategischen Managementaufgabe. Das methodische Schwergewicht liegt dementsprechend weniger auf (nicht realisierbarer) Vollständigkeit der Techniken, als vielmehr problembezogen auf ihren Lösungspotentialen sowie der situativen Verbindbarkeit verschiedener Techniken.
Tabelle 1.1: Charakteristika des vorliegenden Ansatzes Alternative Ansätze
Vorliegender Ansatz
Intensivierung von Stabsfunktionen, beispielsweise zur Umweltbeobachtung oder zur internen Kurzfristkontrolle
Betonung des unternehmerisch-strategischen Handelns
Primat der „vollständigen Analyse"
Verbindung von Analyse und Intuition
Fundierung nur im Marketing
Fundierung in der gesamten Betriebswirtschaftslehre
Forcieren einzelner Methoden oder Bereiche
übergreifende Verzahnung der Funktionsbereiche
strenge Rationalität als Dogma
begrenzte Rationalität als strategischer Vorteil
technokratische Betrachtungsweise
systemtheoretische Betrachtungsweise
4
1 Grundlagen
1.2 Integrativ-Strategisches Management (ISM) 1.2.1 „Integrativ" Die im ISM intendierte Integration zielt nicht auf ein allseitig integriertes Gesamtsystem im Sinne der vor Jahren diskutierten totalen und vollständig vernetzten Integrationsmodelle maschineller Informationssysteme. Vielmehr soll aus Gründen der Funktionsfähigkeit und Flexibilität auf (temporäre) Zerlegbarkeit der Systeme geachtet werden. Dieser integrative Charakter des ISM schlägt sich in fünf Integrationszielen nieder, die für die zu entwickelnde Konzeption sowie für deren Anwender Gültigkeit haben und nachfolgend kurz skizziert werden. (1) Die Integration strategischer Aktivitäten bezieht sich im ISM auf fünf strategische Aktivitäten, nämlich auf Systemgestaltung, Systemimplementation, Strategieformulierung, Strategieimplementation sowie strategische Kontrolle: Strategisches Handeln setzt entsprechende Realisationssysteme, sinnvolles strategisches Handeln zusätzlich Planungs- und Kontrollsysteme voraus. Die ISM-Aktivität „Systemgestaltung" befaßt sich mit Auswahl und Entwurf dieser Systeme, die Systemimplementation mit ihrer Einführung. Die Formulierung der Strategie als eine Kernaufgabe des strategischen Managements umfaßt alle Aufgaben, die zur Festlegung der Unternehmensstrategie erforderlich sind. Die Formulierung einer Strategie muß nicht notwendigerweise formalisiert oder unter Verwendung von speziellen Methoden erfolgen. Die Strategieimplementation ist dann die Umsetzung einer formulierten Strategie in die betriebliche Realebene. Strategische Kontrolle im ISM bedeutet Überwachung nicht nur der Zielrealisation, sondern auch der dazu erforderlichen Aktivitäten. Aufgrund funktionaler Zusammenhänge wird im ISM keine strikte Differenzierung in Systemkontrolle und Strategiekontrolle propagiert. (2) Die Integration strategischer Felder betrifft unterschiedliche Objektbereiche strategischer Aktivitäten. Diese werden im ISM so abgegrenzt, daß im Hinblick auf das auch innerhalb der Felder gültige Integrationsziel gleichartige Problemkreise dem gleichen Feld angehören, gleichzeitig aber markante Unterschiede zwischen den Feldern deutlich werden. Um eine überschaubare Anzahl von Feldern zu verwenden, wird nachfolgend zwischen fünf Feldern differenziert: Leistungserstellung und -Verwertung umfaßt im ISM als weitgefaßter Oberbegriff alle zur Herstellung und zum Vertrieb von Gütern und Dienstleistungen erforderlichen Tätigkeiten. Dieses Feld, das somit Beschaffung, Produktion, Logistik und Absatz einschließt, wird also aufgrund der engen Verknüpfung seiner Komponenten im ISM „integriert" behandelt. Organisation beinhaltet im ISM statische Fragen der Grobstruktur einschließlich der Entscheidungen über strategieadäquate Organisationsformen sowie dynami-
1.2 Integrativ-Strategisches Management (ISM)
5
sehe Gesichtspunkte wie die Organisationslebenskurve. Hinzukommen strategisch bedeutsame Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen der Feinstruktur. Personal als strategisches Feld im ISM bezieht sich auf quantitative und qualitative Gesichtspunkte der Belegschaft. Hier sind neben Problemen kollektiver Anreiz- und Motivationssysteme vor allem Schwierigkeiten einer vorausschauenden Ermittlung und strategiekonformen Deckung des zukünftigen Personalbedarfs zu lösen. Finanzen und Rechnungswesen dient im ISM als Bezeichnung für das strategische Feld, das alle in Geldeinheiten bewerteten Zustände und Bewegungen beinhaltet. In diesem Zusammenhang relevante Fragestellungen sind Investitionsprogramme und Probleme der Mittelbeschaffung genauso wie die Ausgestaltung der Kapitalstruktur oder die strategische Bewältigung von Inflationseffekten. Öffentlichkeit umfaßt im ISM den Bereich, der sich von Bevölkerung bis hin zum Rechtssystem erstreckt. Dieses Feld ist im Normalfall nur zu einem geringen Teil vom Unternehmen beeinflußbar. Trotzdem hat sich ein strategisches Management an diesem Feld auszurichten und muß seine Beeinflussung zumindest versuchen. (3) Die Integration von Methoden besteht im Herbeiführen einer Kompatibilität zwischen den Methoden. Darüber hinaus werden im ISM Managementaufgaben mit Methoden verbunden und Aussagen darüber gemacht, welche Methode zur Lösung welcher Aufgabe angebracht ist. (4) Die Integration theoretischer Aussagen bedeutet die Herstellung ISM-spezifischer Zusammenhänge zwischen deskriptiv-erklärenden Theoriebausteinen und präskriptiv-gestaltenden Aussagen. Das Ziel der anzustrebenden Gesamtkonzeption verlangt ferner, das Theoriegebäude durch neue Komponenten zu ergänzen, wenn die Konsistenz oder anstehende Managementprobleme dies erfordern. Wichtig für die Konzeption des ISM ist somit die logisch-konsistente Zusammenführung der einzelnen theoretischen Grundlagen. (5) Integration situativer Aussagen schließlich heißt zumindest ansatzweises Einbeziehen situativer Variablen wie Wettbewerbssituation oder Unternehmensgröße. Diese fünf Integrationsziele zeigen, daß es beim ISM nicht darum geht, alle betrieblichen Teilfunktionen zu verschmelzen und darauf ein einziges simultanes Lösungsmodell anzuwenden. Vielmehr wird mit dem ISM der Entwurf einer konsistenten und systematischen Gesamtkonzeption angestrebt, die - in die Praxis umgesetzt — zur Entwicklung einer konsistenten und erfolgreichen Gesamtstrategie beitragen soll.
1.2.2 „Strategisch" Der Begriff „strategisch" kann auf eine lange Entwicklungsgeschichte zurückblicken (vgl. Bracker 1980,220), beginnend bei der Spieltheorie (vgl. v. Neumann 1928) über die einleitend zitierten Klassiker bis hin zu der heute noch immer vorherrschenden
1 Grundlagen
6
Interpretation von Schendel und Hofer (1979). Im Gegensatz zu einigen älteren Vorschlägen (vgl. Ackoff 1974, 29; Arbeitskreis 1977) wird dabei die Auffassung einer Identität zwischen Langfristplanung und strategischer Planung in Theorie und Praxis überwiegend abgelehnt (vgl. Ulrich/Fluri 1978,92; Kreikebaum 1981,23; Hanssmann 1982, 5). Strategische Planung sollte somit mehr sein als lediglich eine „neue Bezeichnung für Langfristplanung" (Gälweiler 1980 b, 31). Wie in Abschnitt 2.3.1 ausführlich behandelt, lassen sich vielmehr drei charakterisierende Eigenschaften von „strategisch" ableiten (vgl. Scholz 1982 c, 986), nämlich - inhaltliche Betonung des Wichtigen (Relevanz), - methodische Beschränkung auf einige wesentliche Gesichtspunkte (Vereinfachung), - Streben nach frühzeitigem Handeln (Proaktivität). Dieser im ISM zugrundegelegte Minimalkonsens des Begriffsinhaltes von „strategisch" bringt drei Vorteile mit sich: Er ist als Teilmenge in den gängigen Begriffsfassungen von „strategisch" enthalten und steht damit nicht im Widerspruch zu ihnen. Er ist ferner besonders im Hinblick auf den Relevanzaspekt verträglich mit der in der Praxis üblichen Abgrenzung von strategischem zu taktisch-operativem Management (vgl. Kreikebaum/Grimm 1980, 520). Zudem forciert diese Auffassung von „strategisch" durch die Betonung von Vereinfachung und Proaktivität eine Denkweise, die dem eigentlichen „unternehmerischen Handeln" entspricht.
1.2.3 „Management" Die intendierte Integration strategischer Aktivitäten entspricht dem in der angloamerikanischen Literatur seit langem (vgl. Ansoff/Declerck/Hayes 1976) geforderten Übergang von einer strategischen Planung zu einem strategischen Management (vgl. Tabelle 1.2): Ein derartiges strategisches Management, das hinausgeht über die Strategieformulierung der strategischen Planung im engeren Sinne, fällt auch umfas-
Tabelle 1.2: Strategische Planung und strategisches Management Strategische Planung
Strategisches Management im ISM
i.e.S.
i.w.S.
Systemgestaltung
nein
nein
ja
Systemimplementation
nein
nein
Strategieformulierung
ja
ja ja
Strategieimplementation
ja nein
Kontrolle
nein
ja nein
ja
ja
1.3 Vorgehensweise der Arbeit
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sender aus als eine strategische Planung im weiteren Sinne (vgl. Leontiades 1982 a), die neben der Strategieformulierung die Strategieimplementation beinhaltet. Strategisches Handeln bezieht sich im ISM auf Planung und Aktion: So machen die in Kapitel 2 zu entwickelnden vier Prinzipien strategischen Handelns Aussagen, die für Planungen genauso wie für konkrete Maßnahmen gelten. Dies äußert sich beispielsweise im Prinzip strategischen Verhaltens darin, daß die dort geforderte Komplexitätsreduktion für Analysesysteme genauso gilt wie für die Sortimentspolitik. Die Ganzheitlichkeit des ISM verlangt, die fünf Aktivitäten eines strategischen Managements nicht als sukzessiv aufeinander aufbauende „Schritte" anzusehen. Ein derartiges bürokratisch-technokratisches Management entspräche weder den angestrebten Charakteristika eines strategischen Managements (vgl. Tabelle 1.1) noch der sich beispielsweise im Phasentheorem von Witte (1968) widerspiegelnden Planungsrealität: Gerade strategisches Management stellt einen kontinuierlichen Prozeß dar, bei dem sämtliche Aktivitäten quasi-simultan durchgeführt werden müssen.
1.3 Vorgehensweise der Arbeit 1.3.1 Problem Strategisches Management findet vor dem Hintergrund einer Vielzahl von situativen Variablen statt. Daraus folgt, daß Verknüpfungen zwischen den verschiedenen Handlungsvariablen und den situativen Variablen herzustellen sind. Mit diesem Ziel vor Augen läßt sich der für eine vollständige Management-Theorie" erforderliche Untersuchungsumfang abschätzen: Interpretiert man zunächst die fünf strategischen Aktivitäten und die fünf strategischen Felder als jeweils nur eine Komponente, ergänzt durch eine situative Binärvariable (Konjunkturlage), so ergibt dies 5 x 5 x 2 anzusprechende Verbindungen. Unabhängig davon, ob man eine deskriptiv-erklärende Theorie oder eine präskriptiv-instrumentelle Theorie anstrebt, müßte man bereits hier 50 Konstellationen diskutieren. Berücksichtigt man jedoch zehn situative Variablen (wie Größe, Branche, Konjunktur, Marktanteil, Marktwachstum, Abhängigkeit von Obergesellschaft, Internationalisierungsgrad, politisches Klima, Produktart, Konkurrenzsituation) mit jeweils vier Ausprägungen, so wären schon insgesamt 5 X 5 Χ 4 10 , also mehr als 26 Millionen Konstellationen im Hinblick auf strategische Ausgestaltung, situative Konkretisierung und Integration zu untersuchen. Diese Zahl deutet an, was ein strategisches Management leisten müßte, zeigt aber gleichzeitig die praktische Unmöglichkeit einer vollständigen enumerativen Behandlung dieses Problems.
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1 Grundlagen
1.3.2 Lösungsweg Ein streng empirisches Vorgehen ist aufgrund der nötigen Stichprobengröße unmöglich: Wegen des Postulats nach Besetzung aller Kontingenzzellen wären - wie ausgeführt - selbst im eingegrenzten Problem mindestens 26 Millionen Unternehmen als Untersuchungsbasis erforderlich. Ein rein instrumentelles Vorgehen würde auf die Präsentation alternativer Techniken hinauslaufen, erscheint aber angesichts der bereits existierenden Vielfalt von unbegründeten Handlungskonzepten wenig sinnvoll. Deshalb wird eine dritte Variante gewählt: Ausgangsbasis sind bereits existierende Theoriebausteine und empirische Aussagen. Aus ihnen ergeben sich vier strategische Prinzipien als theoriegestützte Handlungsmaximen und wichtigste Spezifika des ISM. In Kapitel 2 werden diese vier strategischen Prinzipien formuliert. Aus theoretischen und empirischen Grundüberlegungen abgeleitet sind sie zentraler Kern des ISM. Neben instrumenteilen Umsetzungen erlauben die vier Prinzipien deskriptives und präskriptives Bestimmen integrativ-strategischen Handelns. Diese Prinzipien gelten aufgrund ihres relativ hohen Abstraktionsniveaus losgelöst von Modetrends und Modetechniken im Bereich des strategischen Managements. Die Behandlung der fünf strategischen Aktivitäten in Kapitel 3 erfolgt vor dem Hintergrund der vier strategischen Prinzipien. Dies bedeutet Prüfung existierender Konzepte im Lichte der Prinzipien und Entwicklung von Vorschlägen zu einer diesen Prinzipien entsprechenden Ausgestaltung der Aktivitäten strategischen Managements. In Kapitel 4 wird gezeigt, wie sich aus den strategischen Prinzipien spezifische Problemlösungsbeiträge für alle Inhalte der fünf strategischen Felder ableiten lassen. Abbildung 1.1 faßt die Bestandteile des ISM sowie die Kapiteleinteilung zusammen. Sie zeigt auch die zentrale Stellung der vier strategischen Prinzipien. Die im ISM verwendeten Analyse- und Prognosemethoden werden jeweils im Zusammenhang mit ihren Anwendungsbereichen diskutiert. Bei Methoden wie der Mustererkennung oder dem „Environmental Scanning", die auf verschiedene Probleme angewendet werden sollen, wird jeweils beim ersten Ansprechen eine entsprechende Erläuterung der „Grundmethodik" vorgeklammert, ansonsten jeweils nur die spezifische Ausgestaltung der Methode diskutiert. Verzichtet wird in dieser Arbeit auf eine explizite Einbeziehung des Computers. Der Grund dafür ist allerdings nicht fehlende Bedeutung oder Einsetzbarkeit der elektronischen Datenverarbeitung. Im Gegenteil: Es ist von einem zunehmenden Stellenwert des Computers auch und gerade für das strategische Management auszugehen (vgl. Mertens/Plattfaut 1985). Der Computer ist im Zeitalter der Personal-Computer und einfach handhabbarer Spreadsheet-Programme als Hilfsmittel unverzichtbar. Es wird daher nachfolgend immer von der Maxime einer weitgehenden Computerunterstützung ausgegangen, ohne daß im einzelnen deren Spezifika hier diskutiert werden: Ein permanentes Hinzufügen des Halbsatzes „..., was rechnergestützt abgewickelt
1.3 Vorgehensweise der Arbeit
(Kapitel 3)
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(Kapitel 2)
(Kapitel 4 )
Abbildung 1.1: Inhalt und Aufbau des ISM
werden kann" würde letztlich inhaltsleer bleiben; der Versuch, die gesamten Implikationen des ISM im Hinblick auf ihre computergestützte Umsetzung mit allen technisch-algorithmischen Details zu behandeln, würde dagegen den hier vorgegebenen Rahmen sprengen und den Grundsatzcharakter dieser Arbeit entstellen. Im ISM wird als Menschenbild der an rationalen Entscheidungen interessierte Manager unterstellt, der trotzdem seine Intuition einsetzt und der ständig mit dem Problem der begrenzten Informationskapazität sowie dem Problem des Zeitdrucks konfrontiert ist. Empirische Befunde (vgl. Bourgeois 1980; Fredrickson/Mitchell 1982; Dess 1983; Fredrickson 1983) zeigen, daß dieses Leitbild nicht nur (deskriptiv) der Realität entspricht, sondern ein Verhalten nach diesem Leitbild auch präskriptiv durchaus sinnvoll ist. Viele Aspekte des Objektbereichs eines strategischen Managements entziehen sich einer Quantifizierung. Vor die Wahl gestellt zwischen quantitativem Purismus, der Urteile nur nach Lösung aller Meß- und Skalierungsprobleme zuläßt, und einem qualitativen Pragmatismus, der auch verbale Statements und Expertenurteile erlaubt, wird im ISM durchgängig ein qualitativer Pragmatismus postuliert. Dies bedeutet, daß in das ISM auch Phänomene einbezogen werden, die nicht quantitativ meßbar sind.
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1 Grundlagen
1.3.3 Wissenschaftstheoretische Einordnung Charakterisierendes Merkmal des ISM ist die Betonung einer integrativen Vorgehensweise. Der Integralen Logik (vgl. Gabriel 1965, 51) folgend besteht diese Integration dabei darin, jedem Teil eines Ganzen genau den Platz zuzuweisen, der ihm in einem sinnvollen und verstehbaren Gesamtzusammenhang zukommt. Dieses explizite Denken in zusammensetzbaren und interagierenden (Teil-)Systemen entspricht der Allgemeinen Systemtheorie (vgl. v. Bertalanffy 1949; 1971), die ebenfalls Erkenntnisse aus Teilsystemen zu einem Ganzen zusammenfügt. Die Übertragung systemtheoretischen Gedankengutes auf die (strategische) Planung ist nichts Neues: So stehen bei den Habilitationsschriften von Zahn (1979 a), Milling (1981) und Malik (1984) systemtheoretische Überlegungen im Mittelpunkt und werden als Instrumente für den Manager propagiert. Die Akzeptanz einer derartigen Betriebskybernetik ist allerdings bisher (leider) eher gering (Scholz 1984 d). In dieser Arbeit dient die Systemtheorie - wie auch die Integrale Logik - ausschließlich als Denkhilfe beim Entwurf der Managementkonzeption ISM. Zentralen Stellenwert im ISM nehmen die vier strategischen Prinzipen ein. Sie beinhalten literatur- und plausibilitätsgestützte Anforderungen an strategisches Handeln. Ein Erfüllen der in den vier strategischen Prinzipien zusammengefaßten Anforderungen erhöht - so die dem ISM zugrundeliegende Hypothese - die Überlebensfähigkeit eines Unternehmens: Oberlebensfähigkeit ist dabei die aus Sicht der Systemtheorie (vgl. Niemeyer 1977, 6 - 7 ) zwingend erforderliche Eigenschaft eines Systems, sich ausreichend Aufbau- und Stabilisierungsenergie zu beschaffen. So muß ein Unternehmen beispielsweise liquiditätsmäßig mindestens ein Fließgleichgewicht realisieren. Als vorweggenommenes Ergebnis aus Kapitel 2 ist damit folgende (Gesamt-)Hypothese zu formulieren: Die Überlebensfähigkeit eines Unternehmens steigt, wenn sein Handeln langfristig • an den Systemzielen und an den Zielen externer Interessengruppen ausgerichtet (Prinzip strategischer Effektivität), • den Forderungen nach Relevanz, Vereinfachung und Proaktivität Rechnung trägt (Prinzip strategischen Verhaltens), • das der Strategie entsprechende Maß an Stimmigkeit realisiert (Prinzip strategischer Stimmigkeit) und • strategische Potentiale, Barrieren und Bewegungen zu einer stabilen strategischen Kraft zusammensetzt (Prinzip strategischer Kräfte). Diese (Gesamt-)Hypothese läßt sich in vier Einzelhypothesen („strategische Prinzipien") zerlegen: Jedes der vier strategischen Prinzipien ist damit eine Hypothese zur Steigerung der Überlebensfähigkeit eines Unternehmens. Die Gesamthypothese und die vier Einzelhypothesen sind empirisch testbar: Sie erfüllen damit das wissenschaftstheoretische Postulat der Falsifizierbarkeit (vgl. Lakatos 1971; Popper 1976), da sie bestimmtes Verhalten ausschließen und widerlegbar sind.
1.4 Resümee und Vorschau
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Als potentielle Bestandteile einer erklärenden Theorie strategischen Handelns liefern die vier strategischen Prinzipien Begründungsversuche für den Erfolg von Unternehmen. Das Aufzeigen derartiger Erklärungszusammenhänge erlaubt eine präskriptive Nutzung, indem - ähnlich wie beim ökonomischen Prinzip - jeweils ein spezifisches strategisches Handeln empfohlen wird. Die vier Prinzipien dienen schließlich als heuristische Anregung zum Entwurf beziehungsweise zur Adaption entsprechender Analyse- und Planungstechniken (instrumentelle Nutzung).
1.4 Resümee und Vorschau Das ISM weist seinem Namen entsprechend drei Charakteristika auf: • „Integrativ" bezieht sich dabei auf - die fünf strategischen Aktivitäten, - die fünf strategischen Felder sowie - den abgestimmten Einbau von methodischen, theoretischen und situativen Aussagen. • ,¿Strategisch" bedeutet - die explizite und implizite Festlegung von Unternehmenszielen, speziell im Hinblick auf Erschließung und/oder Sicherung der lebenswichtigen Erfolgspotentiale des Unternehmens, sowie - die zur Festlegung und Durchführung dieser Ziele notwendigen Aktionen. • Management" beinhaltet den gesamten Vorgang der Formulierung, Implementation und Kontrolle der (Unternehmens-)Strategie sowie der dazu erforderlichen Systeme. Das ISM besteht aus folgenden Komponenten: • Basis sind vier strategische Prinzipien, nämlich - das Prinzip strategischer Effektivität, - das Prinzip strategischen Verhaltens, - das Prinzip strategischer Stimmigkeit und - das Prinzip strategischer Kräfte. • Diese schlagen sich nieder in den fünf strategischen Aktivitäten - Systemgestaltung, - Systemimplementation, - Strategieformulierung, - Strategieimplementation und - strategische Kontrolle. • Die Konkretisierung findet statt auf den fünf strategischen Feldern -
Leistungserstellung u n d -Verwertung,
- Organisation, - Personal,
12
1 Grundlagen — Finanzen und Rechnungswesen sowie - Öffentlichkeit.
Nach den konzeptionellen Grundlagen dieses einleitenden Kapitels befaßt sich Kapitel 2 mit der Entwicklung und exemplarischen Umsetzung der vier strategischen Prinzipien.
2 Strategische Prinzipien
2.1 Überblick Die Behandlung der vier Prinzipien erfolgt jeweils in drei Schritten: Als erstes werden Grundüberlegungen entwickelt, die der Erarbeitung der Basiskomponenten für die strategischen Prinzipien dienen. Dieser Abschnitt enthält die Präsentation von zentralen Konzepten aus der Literatur, von empirischen Befunden zum jeweiligen Thema und ihre ISM-spezifische Diskussion beziehungsweise Modifikation. Im zweiten Abschnitt werden die zuvor aufbereiteten Bausteine zu einem „strategischen Prinzip" zusammengesetzt. Zur Formulierung des Prinzips gehören auch Begründungen für dessen Inhalt sowie Prüffragen zu Plausibilität und Konsistenz. Es folgt jeweils ein dritter Abschnitt, der exemplarisch Möglichkeiten für eine Umsetzung des Prinzips beschreibt. Diese Ausführungen verfolgen einen doppelten Zweck: Sie illustrieren die Grundaussage des jeweiligen Prinzips und sie bereiten seinen praktischen Einsatz vor, indem sie konkrete Methoden zur Realisierung des Prinzips entwickeln. Im Hinblick auf die Anwendung der vier Prinzipien sind zwei Nutzungsmöglichkeiten vorgesehen: Zunächst tragen die vier Prinzipien deskriptiv-erklärend dazu bei, Gründe für erfolgreiches oder erfolgloses Unternehmensverhalten aufzudecken. Es lassen sich also strategische (Miß-)Erfolge ex post anhand der strategischen Prinzipien begründen. Darüber hinaus dienen die vier Prinzipien präskriptiv als Handlungsmaximen, an denen sich ein Unternehmen im Interesse langfristig-erfolgreicher Entwicklung orientieren kann.
2.2 Das Prinzip strategischer Effektivität 2.2.1 Grundüberlegung 2.2.1.1 Konzeptionelle Grundlage 2.2.1.1.1 Vorbemerkung Das erste strategische Prinzip des ISM befaßt sich mit den Zielen strategischen Handelns und steckt den Rahmen für die weiteren Ausführungen ab. Dieses Prinzip läuft hinaus auf das Postulat strikter Zielorientierung des Unternehmens, des strategischen Managements sowie der strategischen Planungstechniken.
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2 Strategische Prinzipien
Das Prinzip strategischer Effektivität stützt sich auf den im angloamerikanischen Sprachraum üblichen Effektivitätsbegriff (vgl. Barnard 1938, 19; Etzioni 1964, 8; Steers 1975; Katz/Kahn 1978, 239-240): Effektivität ist danach ein M a ß für die Wirksamkeit einer Handlung und gibt Zielerreichung oder Zielerreichungsgrad an; Effizienz dagegen ist ein M a ß für einen Wirkungsgrad und drückt die Wirtschaftlichkeit der Zielerreichung aus. Diese nach Meinung einiger Autoren „durch zumeist eigenwillige Interpretationen entsprechender amerikanischer Termini" (Welge/Fessmann 1980, 577) entstandene Begriffstrennung erfährt im deutschen Sprachraum sowohl Ablehnung (vgl. Grochla/Welge 1975; Staehle/Grabatin 1979; Frese 1980, 32; Pfohl 1981, 259) als auch Zustimmung (vgl. Poensgen 1973, 27; Drumm 1978, 9 3 - 9 4 ; Hill/Fehlbaum/Ulrich 1981, 160-161; Szyperski/Winand 1980, 91). Bei prinzipieller Äquivalenz beider Begriffsverwendungen folgt das ISM aus Gründen sprachlicher Präzision der angloamerikanischen Differenzierung zwischen Effektivität und Effizienz. In der Organisationstheorie stehen im Zusammenhang mit der Effektivität zwei Fragestellungen im Mittelpunkt: - Worin äußert sich die Effektivität eines Unternehmens? - Worauf kann diese Effektivität zurückgeführt werden? .Die Organisationstheorie liefert zur Beantwortung dieser Fragen umfangreiche Kataloge von Effektivitätsdimensionen oder -kriterien (vgl. Mahoney 1967, 81; Child 1974; Grochla/Welge 1975; Steers 1975, 549; Welge/Fessmann 1980, 5 8 2 - 5 8 6 ) . Vergleicht man aber beispielsweise die Sammelbände von Ghorpade (1971), Goodman und Pennings (1977) sowie von Cameron und Whetten (1983), so zeigt sich ein verstärktes Erkennen der immensen methodischen (Meta-)Probleme: Letztlich werden immer mehr Fragen aufgeworfen als Antworten gegeben. Berücksichtigt man zudem die Tatsache, daß in diesen organisationstheoretischen Arbeiten vorrangig nicht-strategische Effektivitätskriterien zum Zuge kommen, so ist verständlich, warum für das ISM von der Seite der Organisationstheorie kaum Hilfe kommen kann. Ausgenommen davon ist die Differenzierung in verschiedene Effektivitätsansätze, auf die im nächsten Abschnitt eingegangen wird. Obwohl die Frage nach der Effektivität des Unternehmens genau dem Kernproblem jeglichen strategischen Managements entspricht, spielen Überlegungen zu Effektivität und Effizienz - abgesehen von einigen noch zu diskutierenden Ausnahmen - im Bereich des strategischen Managements eine untergeordnete Rolle: So enthalten wichtige Publikationen des strategischen Managements (vgl. Porter 1980; Kirsch/ Roventa 1983) nicht einmal die Stichworte Effektivität und Effizienz. Stattdessen wird der nicht deckungsgleiche Begriff ,¡Nutzen" verwendet (vgl. Naylor/Schauland 1976). Die Präferenz f ü r diesen Terminus entspricht einer psychologischen Aversion gegen den Begriff „Effektivität": Unabhängig von den tatsächlichen Zielen der oberen Führungsebene gilt besonders die Betonung des Effektivitätskriteriums „Effizienz" wegen scheinbarer sozialer Immoralität als negativ (vgl. Mintzberg 1982) und ideologiebehaftet (vgl. Gustafsson 1983). Hinzu kommt die mit Effektiv!-
2.2 Das Prinzip strategischer Effektivität
15
tat und Effizienz verbundene Messung von Resultaten als von Mitarbeitern ebenfalls nicht immer gern akzeptierte Konsequenz (vgl. Etzioni 1964, 9). Schließlich verzichten selbst strategische Manager auf Effektivitätsüberlegungen, wenn sie elegante und teure Modelle nicht gegen weniger aufwendige und effiziente Modelle tauschen wollen (vgl. Higgins 1976, 44). Die vielfältigen Probleme im Zusammenhang mit der Effektivität strategischen Handelns machen ihre weitgehende Nichtberücksichtigung verständlich. Trotzdem wird wegen des integrativen Charakters der hier zu entwickelnden Konzeption und der dazu notwendigen klaren Zielausrichtung der Gedanke der Effektivität einschließlich seiner Konsequenzen im ISM berücksichtigt: angefangen beim Zwang zur expliziten Zielformulierung bis hin zur Realisationskontrolle.
2.2.1.1.2 Effektivitätsansätze Da Effektivität den Grad der Zielerreichung ausdrückt, ergibt sich als Ausgangspunkt für die Effektivitätsüberlegung die Frage nach den vorzugebenden Zielen. Dies bedeutet, daß Aussagen darüber zu machen sind, welche Ziele ein Unternehmen verfolgen sollte und woher diese Ziele stammen. Es geht aber nachfolgend nicht um die konkrete Entscheidung beispielsweise zwischen Mengenwachstum und Preiswachstum, sondern um das Metaproblem, wie diese Zielentscheidungen zu treffen sind. Als Angelpunkte dazu sollen die vielfältigen Effektivitätsansätze der Organisationstheorie dienen (vgl. Cunningham 1977; Staehle/Grabatin 1979). Mit ihrer Hilfe kann ein Rahmen abgesteckt werden, innerhalb dessen sich das Prinzip strategischer Effektivität positionieren läßt. Gemeinsame Basis aller Effektivitätsansätze ist der Zielansatz: Nach diesem Ansatz ist ein Unternehmen immer dann effektiv, wenn es seine Ziele erreicht (vgl. Cunningham 1977, 465; Staehle 1985,146-157). Dieser Ansatz macht weder Aussagen darüber, welche Ziele angestrebt werden sollten, noch wer diese Ziele präzisieren sollte. Gegen den Zielansatz werden „schwerwiegende forschungsmethodische Probleme" (Grabatin 1981, 23) wie geringe Operationalisierbarkeit ins Feld geführt. Diese Schwierigkeiten entfallen aber, wenn der Zielansatz ausschließlich als Paradigma aufgefaßt wird, das die Orientierung an Zielen postuliert. Der Systemansatz (vgl. Gross 1965; Yuchtman/Seashore 1967; Grabatin 1981, 26-34) bringt eine Festlegung auf eine besondere Art von Zielen: Die Ziele dieses Ansatzes leiten sich aus systemtheoretischen Grundpostulaten nach Systemerhaltung, Systemeffizienz und Systemzuverlässigkeit (vgl. Scholz 1981a, 18-20; Malik 1984,113) ab. Unterformen des Systemansatzes, die sich überwiegend auf interne Handlungsabläufe konzentrieren, sind prozeßorientierte Ansätze, die Aussagen zur Effizienz von Entscheidungs- (Gzuk 1975), Innovations- (Thom 1980), Reorganisations- (Knopf/Börsig/Esser/Kirsch 1976) oder Kontrollprozessen (Pfohl 1981, 254-258) machen. Gegen den Systemansatz spricht, daß gerade erfolgreiche Systeme verstärkt Aufmerksamkeit und Gegenwirkungen der Umwelt hervorrufen, so
16
2 Strategische Prinzipien
daß Wachstum oder Gewinn die Systemerhaltung gefährdet; dies zeigt sich besonders bei monopolistischen Großunternehmen, die gesellschaftspolitische Widerstände geradezu anziehen (vgl. Hannan/Freeman 1977). Während der Systemansatz angewendet auf Unternehmen ökonomische Effektivität durch Konzentration auf Unternehmensziele fordert, postuliert der Sozialansatz eine Konzentration auf Ziele der Gesellschaft. Nach diesem Ansatz, der auf das funktionsbezogene Modell der Effektivität (vgl. Cunningham 1977, 468-469) zurückgeht, ist ein Unternehmen effektiv, wenn es alle Interessengruppen zufriedenstellt. Nur wenn ihm dies gelingt, darf sich das Unternehmen seinen „eigenen" Zielen widmen, wie sie der Systemansatz definiert. Zur Konkretisierung dieses Ansatzes existieren eine Reihe von Überlegungen, beispielsweise - zur Diskussion der Rolle des Unternehmens in der Gesellschaft im Lichte alternativer Gesellschaftstheorien (vgl. Jehle 1980), - zur Frage nach der sozialen Verantwortung des Unternehmens (vgl. Chamberlain 1973; Huniziker 1980), - zur Behandlung der Legitimationsproblematik (vgl. Schreyögg 1981) sowie - zur Analyse des Unternehmensverhaltens danach, ob es dominierend im Interesse der Kapitaleigner oder der Beschäftigten operiert (vgl. Weber 1982). Gegen den Sozialansatz sprechen die Problematik der Anspruchskoordination über eine hochaggregierte Präferenzordnung (vgl. Arrow 1950) und die Gefahr der Systemaufzehrung. Systemansatz genauso wie Sozialansatz sind „in reiner Form" bedenklich: So bleibt im Sozialansatz offen, wie ein Unternehmen Konflikte in sowie zwischen Interessengruppen lösen soll und ob nicht letztlich die verschiedenen Interessengruppen durch sukzessive Steigerung ihrer Anspruchsniveaus dazu beitragen, die mittel- und vor allem die langfristige Überlebensfähigkeit des Unternehmens zu zerstören. Gegen den „reinen" Systemansatz spricht, daß ein Unternehmen weder Selbstzweck ist, noch aus sich heraus Ziele generieren kann. Damit ergibt sich für das Prinzip strategischer Effektivität die Notwendigkeit einer Verbindung von Systemansatz und Sozialansatz. Dies gilt umso mehr, als langfristig ein Unternehmen ohne Berücksichtigung der relevanten Interessengruppen nicht überlebt und langfristig die Interessengruppen keine Leistungen eines nicht mehr überlebensfähigen Systems erhalten. Zwei Effektivitätsansätze konkretisieren diese Verbindung durch zusätzliche Anregungen: Der Branchenansatz berücksichtigt Ziele, die sich aus der Zugehörigkeit des Unternehmens zu einer Branche ergeben. Grundlage dieses Ansatzes sind Aussagen über spezifische Effektivitätsdeterminanten einer Branche (vgl. Hirsch 1975, 332-340). Neben der generalisierenden Fundierung durch empirische Untersuchungen läßt sich der Branchenansatz über direkte Unternehmensvergleiche im Rahmen eines Management Audit (vgl. Koontz/O'Donnell 1976, 725-729) durchführen. Hierbei sollen unabhängige Prüfer (vgl. Burton 1971) auf Basis von Industrie- und Branchenver-
2.2 Das Prinzip strategischer Effektivität
17
gleichen ermitteln, wie effektiv ein Unternehmen seine Austauschbeziehungen im Vergleich zu anderen Unternehmen realisiert. Interessant an dieser Ausweitung des Systemansatzes bis zu den Branchengrenzen ist die Betonung einer relativen Effektivität als Gegenüberstellung der Zielerreichungsgrade mehrerer Unternehmen einer Branche. Der Interaktionsansatz postuliert wechselseitige Beeinflussungen als Teil der Zielbildung. In Abhängigkeit von den involvierten Personen gibt es mehrere Varianten, die sich jeweils auf Teilaspekte der Interaktion beziehen. In einer der beiden unternehmensintern ausgerichteten Varianten steht die historische Zielentwicklung im Vordergrund (vgl. Schneider 1983; auch Miles 1980, 431-436): In diesem Ansatz ergeben sich die Systemziele ausgehend von den Individualzielen der Unternehmensgründer durch Interaktion der jeweiligen Systemmitglieder. Ebenfalls nach innen gerichtet ist der Organisationsentwicklungsansatz (vgl. Cunningham 1977, 466), nach dem ein Unternehmen immer dann als effektiv gilt, wenn es über Möglichkeiten verfügt, Fragen nach anzustrebenden Zielen zu stellen, diese zu beantworten und die Antworten inform von Maßnahmen zu implementieren. Die auf Interaktion mit der Umwelt ausgerichtete Variante des Interaktionsansatzes (vgl. Staehle/Grabatin 1979, 94-100) geht wie der Sozialansatz von einer Dominanz gesellschaftlicher Ziele aus, stellt aber auf wechselseitig beeinflussende Interaktion des Unternehmens mit seinen Interessengruppen ab. Diese Gegenüberstellung legt nahe, das Prinzip strategischer Effektivität nicht auf einen einzigen Effektivitätsansatz zu beschränken, sondern einen Verbund aus fünf Ansätzen zugrundezulegen: - Aus dem Zielansatz stammt die Forderung nach expliziter Orientierung des Handelns an Zielen. - Aus dem Systemansatz wird das Postulat nach Systemerhaltung und den daraus abgeleiteten originären Unternehmenszielen übernommen. - Aus dem Sozialansatz wird die Empfehlung aufgegriffen, die Zielvorstellungen der Interessengruppen einzubeziehen. - Aus dem Branchenansatz entnommen ist der Vorschlag einer zusätzlichen Prüfung der relativen Effektivität. - Aus dem Interaktionsansatz kommt der Hinweis auf die notwendige explizite Auseinandersetzung mit externen und internen Interessengruppen.
2 . 2 . 1 . 2 Empirische Grundlage 2.2.1.2.1 Zur Zielbildung Da das Prinzip strategischer Effektivität als Gestaltungsrichtlinie für ein sinnvolles strategisches Handeln dienen soll, muß es als deskriptiv-erklärende Komponente das tatsächliche Entscheidungsverhalten berücksichtigen. In Ermangelung ausreichender empirischer Befunde über strategische Zielbildungsprozesse kann ersatzweise auf all-
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2 Strategische Prinzipien
gemeine Zielbildungsprozesse beziehungsweise Zielbildungsprozesse im Zusammenhang mit innovativen Entscheidungen zurückgegriffen werden. Hieraus sind im wesentlichen fünf Erkenntnisse wichtig: (1) Ziele können auf unterschiedliche Art und Weise gebildet werden, und zwar durch einen Verhandlungsprozeß, bei dem Zusammensetzung und Ziel von Koalitionen fixiert werden, durch einen internen Problemlösungsprozeß zur Erarbeitung und Stabilisierung von Zielen oder durch Anpassung an geänderte Umweltbedingungen (vgl. Cyert/March 1963, 29-36). (2) Die Zielbildung ist ein kognitiver Vorgang, der mit dem eigentlichen Problemlösungsprozeß eng verbunden ist, sich häufig an Anspruchsniveaus orientiert, eine ständige Bildung und Veränderung der Ziele impliziert und abhängig von den bekannten, wählbaren Alternativen ist (vgl. Hamel 1974, 41-46; Hauschildt 1977, 112-172). (3) Das Unternehmen orientiert sich an einem Bündel von Zielen, darunter (vgl. Hauschildt 1977, 25-26): - das Streben nach Gewinn, wobei offen bleibt, wie dieser Gewinn definiert ist, - das Streben nach Größe oder Wachstum, relativiert im Hinblick auf konkurrierende Unternehmen der gleichen Branche, - das Streben nach einer Profilierung des Leistungsprogramms, womit die Bindung des Unternehmens an bestimmte Produkte, Produktgruppen oder Produktqualitäten gemeint ist, und - das Streben nach Konsonanz mit den relevanten Bezugsgruppen außerhalb und innerhalb des Unternehmens. (4) Das formale Zielbildungs- und Entscheidungssystem ist umgeben von einem umfangreichen, schwer lokalisierbaren, informalen Zielbildungs- und Entscheidungssystem („decisional cloud"), das ebenfalls Einfluß auf die Zielartikulation ausübt (vgl. Papaligouras 1983,12—13). (5) Die (explizite) Zielorientierung stößt auf prozedurale Schwierigkeiten, da bei Entscheidungen über Ziele eher Konflikte zu Tage treten als bei Mittelentscheidungen (vgl. Bourgeois 1980, 239). Die Folge ist eine permanente Tendenz, Mittelentscheidungen zu Lasten von Zielentscheidungen in den Vordergrund zu stellen. Das Prinzip strategischer Effektivität muß deshalb davon ausgehen, daß Zielbildungsprozesse nicht streng der formalen Entscheidungslogik (punktgenaue Zielsetzung, sukzessive Problemlösung und anschließende Lösungsimplementation) folgen; vielmehr ist von einem Entscheidungsprozeß auszugehen, der ständig zwischen Problemvereinfachung, Zielartikulation und Interessenausgleich pendelt.
2.2.1.2.2 Zur Effektivität Bei empirischen Arbeiten über Effektivität ergeben sich Probleme, wenn die (Verbesserung der) Zielerreichung auf bestimmte verursachende Maßnahmen zugerechnet werden soll. Angesichts der vielen Einflußgrößen auf die Unternehmenseffektivität
2.2 Das Prinzip strategischer Effektivität
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(vgl. Ford/Schellenberg 1982; Handy 1981) ist es unmöglich, alle Faktoren zu erfassen. Aufgrund der Unerfüllbarkeit der Vollständigkeitsbedingung ist damit letztlich immer von stochastischen Beziehungen auszugehen (Stochastikproblem). Trotzdem existieren drei Gruppen von Untersuchungen zur Frage nach der Verursachung von Effektivität: (1) Zur Effektivität von Strategien gibt es beispielsweise Forschungsarbeiten, die von der PIMS-Datenbasis ausgehen. Auf ihre Problematik wird in Abschnitt 3.4.4.3 näher eingegangen. Festzuhalten ist aber bereits hier, daß der empirisch-statistische Zusammenhang zwischen Strategie und Effektivität weitgehend ungeklärt bleibt. (2) Ersatzweise bietet sich die Untersuchung der Effektivität des Planungssystems an. Dieser Überlegung liegt die Annahme zugrunde, daß ein besseres Planungssystem eine bessere Strategieformulierung und -implementation hervorruft. Mehrere ältere Untersuchungen stellen auch tatsächlich einen derartigen positiven Zusammenhang zwischen formaler Planung und Effektivität des Unternehmens fest, wobei letztere zumeist als ROI definiert ist (vgl. Thune/House 1970; Herold 1972; Karger/Malik 1975). Diese Aussagen sind allerdings zumindest diskutierbar (vgl. Leontiades/Tezel 1980, 6 6 - 6 7 ) : So wurde ein „formales Planungssystem" bereits dann als gegeben angesehen, wenn zumindest andeutungsweise geplant wird, was - abgesehen von einigen „Chaoten" - für die Mehrzahl der befragten Unternehmen der Fall war. Führt man ein differenzierteres M a ß für das Planungssystem ein, das über eine Polarisierung zwischen Chaoten und „Planern" hinausgeht, und vergrößert man den Stichprobenumfang, so verschwindet jeglicher Nachweis eines Einflusses von Ausbaustand der Planung auf Unternehmenseffektivität (vgl. Grinyer/Norburn 1974; Sheehan 1975; Kudla 1978; Leontiades/ Tezel 1980, 7 0 - 7 4 ; Poensgen/Hort 1980, 64). (3) Zur empirischen Effektivitätsbestimmung bietet sich schließlich die Analyse des Zusammenhangs zwischen der Verwendung spezifischer Planungstechniken und der Unternehmenseffektivität an (vgl. Foster/Foster 1982). Da dies wegen Zurechnungsproblemen zu noch größeren Schwierigkeiten als bei den beiden vorangegangenen Vorschlägen führt, wird ersatzweise die Einschätzung der verwendeten Planungstechniken durch die Betroffenen vorgenommen: Diese vor allem in England durchgeführten Untersuchungen (vgl. Grinyer/Wooller 1975; Wills/ Beasley 1982; Grinyer 1983) bieten dann zwar Informationen zur Verbreitung spezifischer Techniken, zu ihrer Nützlichkeitsbeurteilung durch den Verwender und zum jeweils subjektiv empfundenen Methodendefizit, beantworten aber nicht die Effektivitätsfrage. Zusammenfassend zeigt sich, daß ein strategisches Management und damit auch ein zu formulierendes Prinzip strategischer Effektivität nicht von umfassenden empirisch gestützten Theorien über effektives strategisches Handeln ausgehen kann. Zu dem oben aufgeführten Stochastikproblem kommen noch (mindestens) zwei weitere methodische Probleme:
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2 Strategische Prinzipien
Selbst wenn über eine signifikante Korrelation zwischen Effektivität einerseits und Strategie, Planungssystem oder Planungstechnik andererseits ein Zusammenhang erwiesen wäre, würde dies nicht bedeuten, daß tatsächlich Strategie, Planungssystem oder Planungstechnik die Effektivität hervorgerufen haben. Derartige Kausal Verbindungen könnten allenfalls ansatzweise über eine Pfadanalyse bewiesen werden (vgl. Gabele 1982), die sich aber im Bereich der empirischen Strategieforschung noch nicht durchgesetzt hat. Deshalb läßt eine signifikante Korrelation immer auch die umgekehrte Interpretation zu, nach der sich nur effektive Unternehmen bestimmte Strategien, Planungssysteme odeç, Planungstechniken leisten: Dies gilt besonders für Planungssysteme und Planungstechniken, da es zumindest nicht auszuschließen ist, daß sich nur Unternehmen in wirtschaftlich gesicherter Lage den „Luxus" teurer und im Erfolg fraglicher Techniken leisten, in Krisensituationen aber Planungskapazität abbauen. Gleiches gilt beispielsweise für Verdrängungsstrategien, die nur bei bestimmten Voraussetzungen (wie Finanzkraft) wählbare Alternativen sind. Ein Vergleich der strategischen Effektivität zweier Unternehmen wäre überhaupt nur dann zulässig, wenn beide Unternehmen dieselben strategischen Ziele verfolgen. Unternehmen, die sich auf ein kleines Marktsegment mit hohem Deckungsbeitrag konzentrieren oder die zukunftsträchtige Investitionen forcieren, dürfen daher nicht nur deshalb als nicht-effektiv eingestuft werden, weil sie einen niedrigen Marktanteil beziehungsweise einen niedrigen ROI aufweisen. Entscheidend ist also nicht das Effektivitätskriterium des vergleichenden Unternehmens oder des Forschers; jedes Unternehmen darf nur anhand der eigenen Effektivitätskriterien gemessen werden. Auch diese Problematik der Zielidentität ist ein Grund für das dürftige Ergebnis der empirischen Effektivitätsforschung im Bereich des strategischen Managements. Diese ernüchternde Erkenntnis hat für das ISM zwei Konsequenzen: Erstens ist zu prüfen, ob angesichts der Problematik empirischer Arbeiten überhaupt auf deren Verwendung verzichtet werden soll. Dies wäre zweifelsohne eine elegante und einfache Lösung. Dagegen spricht aber die Tatsache, daß dann die ISM-Konzeption losgelöst von der Realität wäre und in die Nähe eines Modellplatonismus rükken würde, bei dem axiomatische Widerspruchslosigkeit wichtiger ist als die Auseinandersetzung mit den scheinbaren Widersprüchen der Realität. Aus diesem Grund wird in der vorliegenden Arbeit versucht, zumindest einige empirische Studien aus dem Bereich des strategischen Managements einzubauen, um auf diese Weise das deskriptiv-erklärende Potential des ISM und die Effektivität der präskriptiven Vorschläge zu erhöhen - allerdings unter Berücksichtigung der oben aufgeführten grundlegenden Probleme: Zur Verringerung der Redundanz wird darauf verzichtet, bei jeder empirischen Untersuchung auf die Probleme • Bestimmung der Kausalität, • Ausschalten der Stochastik und • Gewährleistung von Zielidentität einzugehen.
2 . 2 Das Prinzip strategischer Effektivität
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Trotz fehlender Lösungen für diese Probleme läßt sich das heuristische Potential signifikanter Korrelationen nutzen. Zudem müssen die Ergebnisse empirischer Untersuchungen auf Übereinstimmung mit den strategischen Prinzipien beziehungsweise ihren Umsetzungen und Implikationen geprüft werden. Ein derartiger Test auf Widerspruchslosigkeit ist unabhängig vom Kausalitätsproblem. Zweitens ist festzuhalten, daß die genannten Schwierigkeiten eine Berücksichtigung von Effektivitätsaspekten in einem strategischen Management nicht ausschließen: So kann ein Unternehmen durchaus die eigene Effektivität (singulär) als Vergleich von Zielrealisation mit Zielvorgabe bestimmen. Eine theoriegeleitete Konzeption strategischen Managements muß somit den Vorgang der Zielfestlegung in den Mittelpunkt rücken, wozu auch Identifikation und Bewertung der relevanten Interessengruppen sowie (vorsichtige) strategische Vergleiche mit Konkurrenzunternehmen gehören.
2.2.1.3 Nichtmonotone Effektivitätsverläufe Aussagen über strategische Effektivität erfordern Überlegungen zum funktionalen Zusammenhang zwischen Inputvariablen wie Strategie, Planungssystem oder Planungstechnik und Effektivität als Outputvariable. Schließt man für Wirtschaftsunternehmen monoton-fallende und progressiv-steigende Verläufe als wenig realistisch aus, lassen sich drei Grundformen unterscheiden, die jeweils den Zielerreichungsgrad als Funktion von der Inputmenge ausweisen: linear-steigend, degressiv-steigend sowie glockenförmig. Diese Grundformen lassen sich zu beliebigen anderen Kurvenverläufen zusammensetzen. So ist der u-förmige Effektivitätsverlauf (vgl. Porter 1980, 43; Hax/ Majluf 1984, 124; Zäpfel/Brunner 1985) ein Ausschnitt aus der Zusammensetzung von zwei Glockenkurven. Es ist nun zu prüfen, welche dieser drei Effektivitätsverläufe sich als Grundlage für ein Prinzip strategischer Effektivität eignen: Strategische Ziele stellen ihrem Charakter nach hochaggregierte Ziele dar, wobei es unwahrscheinlich ist, daß sich ein Input positiv auf alle Ziele auswirkt; zumindest ab einer bestimmten Inputintensität treten Dysfunktionalitäten auf. Aus diesem Grund sind die beiden monotonen Kurvenverläufe (linear-, degressiv-steigend) unwahrscheinlich. Vielmehr sind nichtmonotone Verläufe zu erwarten, wobei die Glockenkurve eine Form dieses Kurventyps darstellt. Wird implizit Effizienz als Ziel verwendet, so sind nach Poensgen und Hort (1980, 57) Glockenkurven sogar zwingend: Plant ein Unternehmen gar nicht, so fehlt es an Koordination, plant ein Unternehmen zuviel, so hemmt Bürokratie den Betriebsablauf. Für strategische Fragestellungen sind daher nichtmonotone (im einfachsten Fall glockenförmige) Effektivitätsverläufe zu erwarten und zur Planungsgrundlage zu machen. Statt Planungseuphorie einerseits und maximalem Aktionismus andererseits rücken daher Selektionsfragen in den Vordergrund. Das Prinzip strategischer Effektivität enthält deshalb die (Teil-)Hypothese, daß für den strategischen Bereich ausschließlich nichtmonotone Effektivitätsverläufe gelten.
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2 Strategische Prinzipien
Charakteristisch dafür ist die Existenz eines Optimums, das nicht am Rand des Lösungsraumes liegt: So führt ab einem - sicherlich schwer bestimmbaren - Punkt ein „Mehr" an Planung oder Aktion durchaus absolut gesehen zu einem „Weniger" an Effektivität. Eine Handlungsmaxime also, die vor einer Aktion eine vollständige Durchdringung eines strategischen Problems verlangt, geht von monotonen Verläufen aus und ignoriert die Möglichkeit negativer Konsequenzen einer späten Aktion. Das Dilemma zwischen Vermeidung verspäteter und Verwendung falscher Aktion zeigt sich auch in der Analogie zur statistischen Fehlerklassifikation.· So existieren für die Unternehmensführung nicht nur die Gefahren, - bestehende Chancen/Bedrohungen zu übersehen (Fehler erster Ordnung) und - Chancen/Bedrohungen anzunehmen, die nicht existieren (Fehler zweiter Ordnung); vielmehr bestehen auch die Gefahren (vgl. Raiffa 1968, 264; Mitroff 1974; 1977), - Antworten auf falsche Fragen zu suchen (Fehler dritter Ordnung) und - richtige Antworten zu spät zu finden (Fehler vierter Ordnung). Die sich auch in der Glockenkurve niederschlagende Problematik jeglichen strategischen Handelns liegt hier in der gegenläufigen Beziehung zwischen dem Fehler vierter Ordnung einerseits und den Fehlern erster sowie zweiter Ordnung andererseits: Je mehr Fehler erster und zweiter Ordnung vermieden werden, umso eher kommt es zu dem Fehler vierter Ordnung und vice versa. Die empirischen Untersuchungen zur Effektivität im strategischen Management (vgl. Abschnitt 2.2.1.2) auf Basis von Korrelationsanalysen kommen kaum zu signifikanten Befunden. Diese sind bei nichtmonotonen und vor allem bei glockenförmigen Verläufen auch nicht zu erwarten, da sich diese Verläufe nicht durch Linearität unterstellende Korrelationsanalysen erfassen lassen.
2.2.2 Formulierung Strategische Effektivität ist nicht als Gegenstück zu einer „operativ-taktischen" Effektivität zu sehen; das Adjektiv „strategisch" drückt vielmehr das Bezugsobjekt für die zu analysierende Effektivität aus, also den strategischen Managementbereich. Es wird somit nicht Maßnahme X bei Ziel Ζ auf strategische und nicht-strategische Effektivität geprüft; ausschlaggebend dafür, ob es sich um eine strategische Maßnahme und damit um strategische Effektivität handelt, ist die strategische Bedeutung von Ziel Z. Faßt man die erarbeiteten Grundlagen eines Prinzips strategischer Effektivität zusammen, so ergeben sich folgende zentrale Aussagen: (1) Im Zusammenhang mit Effektivitätsbetrachtungen treten eine Reihe von psychologischen und methodischen Problemen auf, die eine Beschäftigung mit derartigen Fragestellungen in Theorie und Praxis wenig reizvoll machen. Nichtsdestoweniger erfordert ein strategisches Management bei begrenzten Ressourcen eine
2.2 Das Prinzip strategischer Effektivität
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explizite Klärung der anzustrebenden Ziele, der einzusetzenden Mittel und der vorzusehenden Erfolgskontrolle. (2) Effektivität ist ein vielschichtiges Konstrukt, bei dem neben alternierenden Bezugsbasen für die Effektivität (wie Unternehmen, Strategie oder Planungssystem) auch unterschiedliche Formen und Ebenen der Zielartikulation (vom Individuum bis zur Gesellschaft) zu unterscheiden sind. Angesichts des Umfangs und der Vielschichtigkeit strategischer Probleme ist präskriptiv der teilweise Verzicht auf vollständige entscheidungstheoretische Durchdringung durchaus angemessen. Dies gilt besonders vor dem Hintergrund nichtmonotoner Effektivitätsverläufe. (3) Bei der Zielbildung sind die relevanten Interessengruppen zu berücksichtigen. Ausgangspunkt für das ISM kann deshalb nur ein bewußter Kompromiß zwischen dem (ökonomischen) Systemansatz und dem (gesellschaftspolitischen) Sozialansatz sein. In diese Kompromißforderung münden zwei Argumentationsfolgen: Die Berücksichtigung der Interessengruppen kann aus einem sozial/gesellschaftspolitischen Verständnis heraus gefordert werden; sie muß aber auch aus Gründen der Selbsterhaltung des Unternehmens erfolgen, wenn Interessengruppen ein Sanktionspotential besitzen, zu dem mittel- und langfristig auch das Infragestellen des Unternehmens gehört. Die Konkretisierung dieses ausgleichenden Kompromisses erfolgt über den Interaktionsansatz, ergänzt durch das Management Audit und den Organisationsentwicklungsansatz. Diese Aussagen lassen sich in dem vierteiligen Prinzip strategischer Effektivität zusammenfassen. Die Hauptaussage steht im ersten Teil: Dieser gibt an, wann ein Unternehmen aus Sicht des ISM als effektiv einzustufen ist, nämlich wenn es Systemansatz mit Sozialansatz verbindet. Der zweite Teil enthält einen Hinweis auf die Bedeutung der relativen Effektivität. Der dritte Teil verbindet Unternehmenseffektivität mit der Effektivität von strategischer Planung und Aktion, indem er (als Konsequenz aus dem ersten Teil) Effektivitätsebenen und eine an diesem Ableitungszusammenhang ansetzende Meßvorschrift für die Effektivität von strategischer Planung und Aktion fordert. Der vierte Teil enthält die Teilhypothese der nichtmonotonen Effektivitätsverläufe bei Variablen, die sich aus der Unternehmenseffektivität ableiten. Prinzip strategischer Effektivität: (1) Ein Unternehmen ist dann effektiv, wenn es • die Anspruchsniveaus der relevanten Interessengruppen erfüllt und • seine eigenen strategischen Potentiale zumindest konstant erhält. (2) Ausschlaggebend für Vergleiche von Unternehmenseffektivität ist die relative Effektivität bezogen auf die jeweilige Branche. (3) Unternehmenseffektivität setzt voraus, daß strategische Planung und strategische Aktion zur Formulierung sowie Realisierung der erforderlichen Kompromißziele beitragen; daher ist die Effektivität von Planung und Aktion nur an Effektivitätskriterien zu messen, die sich aus der Unternehmenseffektivität ableiten.
2 Strategische Prinzipien
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(4) Wenn strategische Planungen und strategische Aktionen auf die Unternehmenseffektivität ausgerichtet sind, gelten für sie ausschließlich nicht-monotone Effektivitätsverläufe. In der deskriptiven Lesart erklärt das Prinzip strategischer Effektivität (als zumindest plausible Hypothese), wie Unternehmen (in der Vergangenheit) ihre langfristige Überlebenschance erhöhen konnten. In der präskriptiven Anwendung resultieren aus dem Prinzip strategischer Effektivität Forderungen an ein strategisches Management. Zur Überprüfung der Plausibilität der strategischen Prinzipien sollen jeweils mehrere Prüffragen dienen: (1) Liegt strategisches Handeln wirklich ausschließlich dann vor, wenn das Prinzip strategischer Effektivität erfüllt ist? Es ist unmittelbar einsichtig, daß bei Nichtberücksichtigung von Interessengruppen mit Sanktionspotential die Existenz des Unternehmens genauso gefährdet wird wie bei Abkehr von den originären Unternehmensinteressen. (2) Gibt es Fälle, in denen das Prinzip strategischer Effektivität verletzt werden kann und führt dies zu negativen Konsequenzen? Den Unternehmen steht es frei, relevante Interessengruppen zu ignorieren; spielen diese Gruppen aber ihr Sanktionspotential aus, so wirkt sich dies negativ auf das Unternehmensergebnis aus. Umgekehrt ist es denkbar, daß allen Interessengruppen nachgegeben wird und dies letztlich zur Auflösung des Unternehmens führt. (3) Sind die Bausteine des Prinzips strategischer Effektivität miteinander kompatibel? Diese Frage ist zu bejahen, obwohl die zugleich externe wie interne Ausrichtung zu Konflikten führen kann: Gerade diese Probleme sollen aber durch die angestrebte langfristige Perspektive des Integrationsgedankens ausgeglichen werden. Das Prinzip strategischer Effektivität findet in verschiedenen Bestandteilen des ISM in konkretisierter Form seinen Niederschlag: So erfolgt die Analyse der relevanten externen Interessengruppen im anschließend zu diskutierenden Stakeholder Scanning und im Stakeholder Mapping.
2.2.3 Umsetzung 2.2.3.1 Überblick Eine wichtige instrumenteile Umsetzung des Prinzips strategischer Effektivität besteht darin, relevante Interessengruppen zu ermitteln und dann ihnen entsprechende Strategien zu bestimmen. Um eine sprachlich saubere Verbindung zu bereits auch in der deutschen Managementliteratur gängigen Termini wie „Scanning" zu ermöglichen, wird dabei der angloamerikanische Ausdruck Stakeholder verwendet (vgl. Richards 1978, 7 7 - 7 8 ; Mendelow 1982; 1983): Er charakterisiert Personen oder Gruppen, die Ansprüche an oder Eingriffsmöglichkeiten in das Unternehmen haben
2.2 Das Prinzip strategischer Effektivität
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und die deshalb als relevant einzustufen sind. Ansprüche und Eingriffsmöglichkeiten können gesetzlich, faktisch oder vertraglich begründet sein, sind aber auch aus gesellschaftspolitischen Konventionen oder Wertsystemen ableitbar. Für eine explizite und bewußte Auseinandersetzung mit relevanten Interessengruppen gibt es eine Reihe verwertbarer Vorschläge: Nachfolgend steht allerdings weder ein pragmatisch-enumeratives Vorgehen (vgl. dazu Mendelow 1982; Freeman 1984) noch eine „psychologische" Auseinandersetzung mit Stakeholdern (vgl. dazu Mitroff 1983) im Vordergrund. Vielmehr sollen die Aufgaben eines Stakeholder Managements wie folgt eingegrenzt werden: (1) statische Bestimmung der Stakeholder sowie ihrer Relevanz, (2) dynamische Analyse der Interaktionen zwischen den Stakeholdern sowie zwischen Unternehmen und Stakeholdern und (3) Bestimmung der entsprechenden Strategie. Aufgabe (1) wird im ISM unter Einbeziehung der Technik des Environmental Scanning als Stakeholder Scanning, Aufgabe (2) unter Einbeziehung des Cognitive Mapping als Stakeholder Mapping gelöst. Aufgabe (3) ist nur interessengruppenspezifisch lösbar.
2.2.3.2 Stakeholder Scanning 2.2.3.2.1 Environmental Scanning als Grundmethodik Environmental Scanning (vgl. Aguilar 1967; Terry 1977; Hambrick 1982; Buchinger 1983) ist ein Vorgehen, bei dem die Umwelt systematisch auf für die Unternehmensstrategie bedeutsame Informationen abgesucht wird. Zur organisatorischen Umsetzung des Environmental Scanning gibt es drei Grundformen, nämlich das außerplanmäßige, periodische und kontinuierliche Environmental Scanning (vgl. Fahey/King 1977; Fahey/King/Narayanan 1981), die sich - wie Tabelle 22.1 zeigt - in mehrfacher Hinsicht unterscheiden. Diese drei Grundformen schließen sich aber nicht aus, sondern ergänzen sich: Kritische Bereiche werden kontinuierlich untersucht und betrachtet, weniger kritische nur periodisch; überraschend auftretende Krisen dagegen initiieren ein außerplanmäßiges Environmental Scanning. Für das ISM werden Konkretisierungen dieses Zusammenspiels und Vorschläge für ihre Umsetzung im Zusammenhang mit dem Strategischen Issue Management und dem Strategischen Surprise Management in Abschnitt 2.3.3.2 unterbreitet. Aus Gründen der konzeptionellen Klarheit soll unter Environmental Scanning im ISM ausschließlich die Grundmethodik verstanden werden, die problemspezifisch konkretisiert und ergänzt wird.
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2 Strategische Prinzipien
Tabelle 22.1: Grundformen des Environmental Scanning (modifiziert nach Fahey/King 1 9 7 7 , 6 3 ) Environmental Scanning
Auslöser
fallweise
periodisch
kontinuierlich
Krise
Planungsphasen
Problembewußtsein
Suchbereich
spezielle Ereignisse
ein ausgewählter
ein Umwelt-
Bereich von Ereignissen
(sub)system
Zeitbezug
Vergangenheit
Gegenwart
Zukunft
Ausrichtung
Reaktion
Antizipation
Antizipation
Suchmedium
ad-hoc Studien
aktualisierte
strukturiertes
Studien
Suchsystem
2.2.3.2.2 Stakeholder als Untersuchungsobjekte Stakeholder Scanning ist ein systematisches Durchsuchen und Analysieren der Umwelt im Hinblick auf relevante Interessengruppen. Für seine Realisierung bieten sich drei Schritte an: Schritt 1: Auflistung möglicher Interessengruppen Bei diesem Schritt wird davon ausgegangen, daß grundsätzlich jede Person oder Gruppe ein direktes oder indirektes Interesse an einem Unternehmen haben könnte. Es gilt also, eine möglichst vollständige Liste potentieller Stakeholder aufzustellen. Aus einer Reihe von Vorschlägen (vgl. Grabatin 1981, 69) ergeben sich folgende Stakeholder: Mitarbeiter, Gewerkschaften, Eigentümer (Aktionäre), Fremdkapitalgeber, Lieferanten, Abnehmer, Konkurrenten, Staat, politische Parteien, Bürgerinitiativen, Verbraucherorganisationen, Umweltschutzgruppen, Forschung und Wissenschaft sowie geographische Nachbarn. Eine derartige Enumeration stellt als Abgrenzung von Untersuchungsbereichen eine erste Hilfe zur Lokalisierung der Stakeholder dar. Um aber konkrete Stakeholder zu ermitteln, sind weitere Verfahren nötig, die sich auf sieben Suchstrategien zurückführen lassen (vgl. Mason/Mitroff 1981, 9 5 - 9 9 ; Mitroff 1983, 33-35): - Beim imperativen Vorgehen werden Meinungsartikulationen inform von Slogans, Schlagworten oder Aktionen (Streik, Sit-In) zur Suche verwendet. - Beim positionalen Vorgehen dienen formale Interaktionsstrukturen als Suchraster. - Beim reputationalen Vorgehen werden Experten befragt, wer eine Reputation als Stakeholder haben könnte. - Beim sozial-partizipativen Vorgehen gilt die aktive Beteiligung an entscheidenden Gremien als Indikator für das Vorliegen von Stakeholdern.
2.2 Das Prinzip strategischer Effektivität
27
- Beim meinungsfükrer-orientierten Vorgehen werden Personen oder Gruppen gesucht, die bereits ihre Fähigkeit zur Beeinflussung anderer unter Beweis gestellt haben. - Beim demographischen Vorgehen wird als Suchraster die Differenzierung in verschiedene Alters-, Ausbildungs- oder Gesellschaftsschichten verwendet. - Beim interaktionsorientierten Vorgehen werden aus den tatsächlichen (auch informalen) Interaktionsbeziehungen die zentralen Einflußnehmer bestimmt. Da jedes dieser Verfahren spezifische Stärken und Schwächen hinsichtlich der erfaßbaren Gruppen aufweist, empfiehlt sich eine Realisation entsprechend der drei im Environmental Scanning vorgesehenen Grundformen: Bei der imperativen Vorgehensweise ist ein kontinuierliches Environmental Scanning über critical incidents vorzusehen, bei den übrigen Vorgehensweisen ein periodisches Environmental Scanning. Sofern zusätzliche Ereignisse die Existenz neuer Stakeholder möglich erscheinen lassen, wird ein außerplanmäßiges Scanning erforderlich. Bezogen auf die Relevanzmatrix (Tabelle 22.2), die abschließend das hier vorgeschlagene Vorgehen zusammenfaßt, besteht Schritt 1 in der Definition der Vorspalte. Schritt 2: Charakterisierung der Interessengruppen Die potentiellen Stakeholder werden im ISM anhand ihrer Ziel- und Machtstruktur sowie ihres eingegangenen Risikos charakterisiert: (1) Bei der Zielstruktur gibt es im Zusammenhang mit Stakeholdern eine Vielzahl möglicher Ziele (vgl. Mendelow 1983, 75-76): So sind beispielsweise die Aktionäre interessiert an Dividendenzahlungen beziehungsweise dem Aktienkurs, während für die Mitarbeiter Ziele wie Arbeitsplatzsicherheit und -qualität, persönliche Weiterentwicklung, Prestige und Bezahlung im Mittelpunkt stehen. (2) Aus der Fülle der theoretischen und praktischen Arbeiten zur Macht (vgl. Dahl 1957; Pennings/Goodman 1977; Freeman 1984, 62-63) sind - unabhängig von ihrer Messung - zwei Aspekte der Macht von Bedeutung, nämlich der Aggregatzustand und die Machtbasis: Hinsichtlich der Aggregatzustände der Macht (vgl. Krüger 1976, 7 - 8 ) ist, abgesehen vom Bluff, bei dem angekündigte Macht die potentielle Macht übertrifft, die potentielle Macht die am stärksten ausgeprägte Macht. Ihr gilt somit das Hauptinteresse des Stakeholder Scannings. Aktivierte und eingesetzte Macht dienen im Stakeholder Scanning lediglich zur Abschätzung des Ausmaßes der potentiellen Macht und als Indikatoren für mögliche Veränderungen der potentiellen Macht. Als Machtbasen stehen unter anderem zur Auswahl: Belohnungs- und Bestrafungsmacht sowie deren Zusammenfassung zur Sanktionsmacht, ferner legitime Macht, Expertenmacht, Vorbildmacht und Informationsmacht, mit ihren additiven, gegenläufigen oder kompensatorischen Wirkungen (vgl. French/Raven 1959, 156-164; Raven/Kruglansky 1970; Krüger 1976, 12-13). Für das Stakeholder Scanning sollen aus Gründen der Übersichtlichkeit vier Machtbasen po-
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2 Strategische Prinzipien
stuliert und als Bindungs-, Retaliations-, Substitutions- sowie Koalitionsmacht bezeichnet werden: - Unter Bindungsmacht wird im ISM die Tatsache verstanden, daß durch gesetzliche oder vertragliche Regelungen die Aktionen des Unternehmens an die Entscheidungen des Stakeholders gebunden sind. Dies ist zum Beispiel bei Genehmigungsverfahren der Fall. - Unter Retaliationsmacht wird im ISM die Fähigkeit des Stakeholders verstanden, das Unternehmen dafür zu bestrafen, daß interessengruppenspezifische Anspruchsniveaus nicht erfüllt wurden. Beispiele dafür sind Streik oder Störungen des Betriebsablaufs. - Unter Substitutionsmacht wird im ISM die Möglichkeit des Stakeholders verstanden, die Beziehung zum Unternehmen abzubrechen, wobei eine Substitutionsmacht aber nur dann vorliegt, wenn der Schaden für das Unternehmen größer ausfällt als für den Stakeholder. Ein Beispiel für Substitutionsmacht ist die Fähigkeit eines Stakeholders, durch Kapitalentzug oder Auftragsstornierung dem Unternehmen zu schaden, nicht aber sich selbst. - Unter Koalitionsmacbt wird die Chance eines Stakeholders verstanden, ohne Inanspruchnahme eigener Bindungs-, Retaliations- oder Substitutionsmacht seine Interessen durchzusetzen, indem er sich die Unterstützung einer Gruppe sichert, die über Macht verfügt. Dies kann sogar eine Gruppe sein, die selbst kein Interesse als Stakeholder am Unternehmen hat. Beispiele für Gruppen, die anderen Stakeholdern Koalitionsmacht gewähren, sind politische Parteien oder Massenmedien. Es haben aber nicht nur Stakeholder Macht gegenüber dem Unternehmen. Umgekehrt hat dieses wiederum Machtbasen gegenüber den Stakeholdern: darunter wirtschaftliche, soziale, kulturelle, individuumsbezogene, technologische, umweltbezogene und politische Macht (vgl. Epstein 1973 a, 15-22; Epstein 1973 b, 32-41). Diese Formen lassen sich ebenfalls auf die vier oben eingeführten Machtbasen zurückführen. (3) Als weiteres Charakteristikum der Interessengruppen ist schließlich ihr eingegangenes Risiko zu ermitteln. Hierunter soll nicht der entscheidungstheoretische Begriff von Risiko (Wahrscheinlichkeit für Eintreten eines Umweltzustandes) verstanden werden, sondern vielmehr die Höhe des „Einsatzes" (stake) des jeweiligen Stakeholders. Bei Arbeitnehmern ist dies der Arbeitsplatz, bei Aktionären das eingesetzte Kapital. Die Beurteilung dieses Risikos hängt nicht nur davon ab, wie hoch der eingesetzte Betrag absolut ausfällt, sondern auch wie groß er in Relation zu den übrigen Einsätzen des betreffenden Stakeholders ist. Die absolute und relative Höhe des eingegangenen Risikos fungiert im ISM als Indikator dafür, wie massiv der Stakeholder seine Ansprüche geltend machen dürfte. Ziele, Macht und Risiken werden zum einen aus Sicht der zu analysierenden Interessengruppe, zum anderen aus Sicht des Unternehmens ermittelt. Zu der rein statistischen Beurteilung der aktuellen Situation kommt zusätzlich der Versuch, mögliche
2.2 Das Prinzip strategischer Effektivität
29
Veränderungstendenzen in der Zukunft aufzuzeigen. In Schritt 2 werden damit die sechs Charakterisierungsspalten der Relevanzmatrix (Tabelle 22.2) ausgefüllt. Zwangsläufig ergeben sich erhebliche Probleme der Datenerfassung: So ist es für ein Unternehmen schwierig festzustellen, welche Machtbasen vorliegen und welche potentielle Macht daraus resultiert. Trotz aller Meßprobleme ist es aber dennoch sinnvoller, ein Stakeholder Scanning durchzuführen, als wegen der Erfassungsprobleme völlig darauf zu verzichten. Hinzukommt, daß für Schritt 3 eine grobe Skalierung ausreicht. Schritt 3: Bestimmung der Relevanz Als letztes erfolgt die Beurteilung der Relevanz der betreffenden Interessengruppen in der Relevanzspalte der Relevanzmatrix (Tabelle 22.2). Damit eine Interessengruppe zu einem Stakeholder wird, ist eine entsprechende Zielhöhe und/oder ein bestimmtes Einsatzrisiko nötig. Als weitere Bedingung kommt hinzu, daß zwischen der Interessengruppe und dem Unternehmen ein positives Machtgefälle existiert: Die Macht der Interessengruppe wird also in diesem Fall nicht durch Macht des Unternehmens gegenüber der Interessengruppe kompensiert. Eine Interessengruppe ist im ISM von Relevanz und damit „Stakeholder", wenn sie Zielansprüche äußert, ein Einsatzrisiko trägt und über adäquate Macht verfügt. Macht ohne Ansprüche und Ansprüche ohne Macht resultieren dagegen in einer geringen Relevanz. Die Relevanzurteile erfolgen wie die übrigen Eintragungen inform verbaler Statements oder stufenordinal-skaliert. Tabelle 22.2: Relevanzmatrix für Stakeholder Scanning Stakeholder
Stakeholder zu Unternehmen Ziele
Mitarbeiter Gewerkschaften Anteilseigner Kapitalgeber
Lieferanten
Abnehmer
Macht
Unternehmen zu Stakeholder Risiko
Ziele
Macht
Relevanz
Risiko
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2 Strategische Prinzipien
Durch die Relevanzurteile sind diejenigen Interessengruppen lokalisiert, die entsprechend dem Prinzip strategischer Effektivität als Stakeholder zu berücksichtigen sind: Ihre Zielstruktur muß in die Formulierung der strategischen Ziele einfließen.
2.2.3.3 Stakeholder Mapping 2.2.3.3.1 Cognitive Mapping als Grundmethodik Ein für die Umsetzung des Prinzips strategischer Effektivität im Stakeholder Management bedeutsamer Umstand ist die Interaktion zwischen den Interessengruppen sowie zwischen den Interessengruppen und dem Unternehmen. Für deren Erfassung eignet sich das Cognitive Mapping. Diese Methode hat zwei Ursprünge: Der eine Ursprung ist die Theorie dynamischer Systeme, wie sie sich im Simulationskonzept „System Dynamics" niederschlägt (vgl. Forrester 1961). Die Zentralaussage dieses Ansatzes besteht darin, daß alle Systeme hochgradig rückgekoppelt sind, wodurch ein schwerdurchschaubarer und in seiner Konsequenz nicht mehr nachvollziehbarer Wirkungsverbund entsteht, der auch gegenintuitives Verhalten zeigen kann (vgl. Forrester 1972). Dieses klassische Problem der Systemtheorie wird heute unter dem Schlagwort der Vernetzung diskutiert (vgl. Vester 1983). Der andere Ursprung sind psychologische Arbeiten, die sich mit menschlichen Denkstrukturen befassen (vgl. Axelrod 1976) und die Fähigkeit des Menschen zur Erfassung komplexer Zusammenhänge auf seine Fähigkeit zur Bildung von vertietzten Bildern („cognitive maps") zurückführen. Derartige Überlegungen wurden auch im betriebswirtschaftlichen Bereich angestellt, und zwar sowohl hinsichtlich des unbewußten Mapping zur Problemlösung als auch im Hinblick auf ein bewußtes Mapping zur Komplexitätsreduktion (vgl. Pyke 1971; Eden/Harris 1975; Vesper 1979; Klein/Cooper 1982; McCaskey 1982,14-33). Das wichtigste instrumenteile Hilfsmittel für die Umsetzung dieser Gedanken ist das Beeinflussungsdiagramm: In ihm werden die verschiedenen Komponenten aufgeführt und die direkten Beziehungen zwischen den Komponenten mehr oder weniger exakt beschrieben (also quantifiziert oder mit + / — ). Anwendungsbeispiele für Beeinflussungsdiagramme reichen von Regionalplanung (Forrester 1969) über Sozialplanung (Forrester 1975) und Wohnungsprogramme (Sims/Eden 1984, 55-56) bis hin zu Entwicklungsperspektiven der amerikanischen Stahlindustrie (Stubbart/Smircich/Newell 1984). Entscheidend ist aber nicht nur, daß komplexe Systeme über Beeinflussungsdiagramme dargestellt werden. Wichtig ist vielmehr, daß die Erstellung derartiger Cognitive Maps ein Vorgang der Problembewältigung ist, bei dem die einzelnen „maps" bewußt gemacht und zusammengelegt werden. Der Gesamtvorgang des Cognitive Mappings (Eden/Harris 1975; Sims/Eden 1984) läuft somit in drei Schritten ab:
2.2 Das Prinzip strategischer Effektivität
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(1) Teilweises Übertragen der individuellen, unbewußten „maps" in eine visualisierte Form, also in ein rudimentäres und am Anfang lückenhaftes Beeinflussungsdiagramm, (2) Zusammenführung der Diagramme und Diskussion, also schrittweise Modifikation und Vervollständigung, jeweils verbunden mit einer Analyse der Konsequenzen des gerade erarbeiteten Modells, (3) Rückspeichern der modifizierten „maps" in die betroffenen Individuen. Obwohl Beeinflussungsdiagramme über entsprechende Programmpakete (wie CSMP, DYNAMO oder COPE) durchrechenbar sind, ist die Erstellung der „maps" sowie die Bestimmung ihrer Implikationen auch ohne Computerunterstützung möglich.
2.2.3.3.2 Stakeholder als Untersuchungsobjekte Während Stakeholder Scanning statisch die Ausprägungen von Zielen, Macht und Risiko zu einem bestimmten Zeitpunkt beschreibt, analysiert das Stakeholder Mapping die dynamischen Effekte und die Verbundeffekte zu sowie zwischen den Stakeholdern. Um dies zu realisieren, werden zunächst Macht, Ziele und Risiken aller Stakeholder in knapper, verbaler Form erfaßt. Diese Information ergibt sich im wesentlichen direkt aus Tabelle 22.2 und wird durch weitere Komponenten ergänzt, vor allem um situative Variablen und natürliche Grenzwerte. Anschließend wird die Beziehungsstruktur abgeleitet: Dafür werden jeweils verstärkende und abschwächende Wirkungen eingetragen, bis ein komplexes Netz entsteht. Auch ohne rechnergestützte Analyse lassen sich positive und negative Rückkopplungen erkennen: Diese zeigen an, wo sich im Laufe der Zeit Interessenspotentiale aufschaukeln könnten oder wo Kompensationswirkungen die Stakeholder schwächen könnten. Insgesamt ist festzuhalten, daß bei zunehmender Verbindung zwischen den Interessengruppen und komplementärer Zielrichtung die Bedeutung der Stakeholder zunimmt, bei Zielkonkurrenz dagegen abnimmt. Das Ergebnis dieser Interdependenzbestimmung ist dann unter anderem eine zusätzliche Spezifizierung der jeweiligen Koalitionsmacht der Interessengruppe, also eine Korrektur in Tabelle 22.2. Dies kann zu Veränderungen in der Beurteilung der Relevanz der betreffenden Stakeholder führen.
2.2.4. Resümee und Vorschau Empirisch gesicherte und sinnvoll verwertbare Aussagen zur Effektivität von Strategien oder Planungssystemen existieren kaum und sind - sofern vorhanden - mit erheblichen methodischen Mängeln belastet. Trotzdem werden im ISM soweit wie
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2 Strategische Prinzipien
möglich empirische Arbeiten einbezogen, jedoch nur nach Prüfung ihrer spezifischen Probleme und immer vor dem Hintergrund der generellen Probleme. Das Prinzip strategischer Effektivität stellt vorrangig auf die Unternehmenseffektivität ab und besagt, daß ein Unternehmen langfristig seine Überlebenschance nur verbessern kann, wenn es einen Ausgleich zwischen Systemzielen (des Unternehmens) und den Ansprüchen der relevanten Interessengruppen herstellt. Neben der (absoluten) Unternehmenseffektivität ist die relative Effektivität des Unternehmens im Branchenvergleich wichtig, da diese die Ansprüche der Stakeholder und somit die Überlebensfähigkeit des Unternehmens beeinflußt. Aus dem Prinzip strategischer Effektivität ergeben sich in seiner präskriptiven Lesart neben der direkten Umsetzung inform von Staheholder Scanning und Stakeholder Mapping mehrere generelle Forderungen an ein strategisches Management: -
Ermittlung der relevanten Interessengruppen, Bestimmung ihrer charakteristischen Merkmale, Definition von unternehmensbezogenen (originären) strategischen Zielen, kompromißsuchende Zielfestlegung, Ausrichtung der strategischen Planungen und Aktionen an expliziten strategischen Zielen, - Umsetzung der strategischen Ziele in Verbindung mit Realisationskontrollen und - Berücksichtigung der nichtmonotonen Effektivitätsverläufe. Nachdem das Prinzip strategischer Effektivität für das ISM die strikte Zielausrichtung mit allen verbundenen Konsequenzen postulierte, gilt es im nächsten Abschnitt zu prüfen, worin - abgesehen vom Zielbezug - „strategisches Handeln" liegt. Diese Deduktion spezifischer strategischer Merkmale im ISM erlaubt dann eine Charakterisierung strategischen Verhaltens in deskriptiver und präskriptiver Hinsicht.
2.3 Das Prinzip strategischen Verhaltens 2.3.1 Grundüberlegung 2.3.1.1 Konzeptionelle Grundlage In Abschnitt 1.2 wurde eine Identität von „strategisch" und „langfristig" abgelehnt. Zur Charakterisierung strategischen Verhaltens kommt im ISM vielmehr eine Merkmalshierarchie zum Einsatz (vgl. Scholz 1982 c, 980-982). Sie besteht aus drei Ebenen: Erste Ebene In Theorie und Praxis existiert eine Vielzahl von Einzelaussagen dazu, worin das „Strategische" im strategischen Handeln besteht (vgl. Friedman/Segev 1976; Arbeitskreis 1977, 4; Gälweiler 1977; Hofer/Schendel 1978, 17-20; Mitroff 1978, 59;
2.3 Das Prinzip strategischen Verhaltens
33
Kreikebaum/Grimm 1980, 520; Szyperski/Winand 1980, 84; Ackoff 1981, 58; Kreikebaum 1981, 21-23; Thielenhaus 1981, 4 6 - 4 8 ; Jacob 1982, 4 2 - 4 4 ; Makridakis/ Faucheux/Héau 1982, 13; Brose 1983, 88-90; Paine/Naumes 1982, 4; Göhringer 1984, 3). Überwiegend herrscht allerdings Einigkeit darüber, daß das zentrale Merkmal strategischen Managements ein Aufgabenbereich ist, der sich wie folgt beschreiben läßt: Strategisches Management bestimmt • Ziele („Zielräume") und • Aktionen („Aktionsräume") im Hinblick auf • Erschließung, • Sicherung und • Nutzung der zentralen Erfolgspotentiale des Unternehmens. Dieser Aufgabenbereich beschreibt im ISM als Grundparadigma die erste Ebene der Merkmalshierarchie. Er wird nachfolgend konkretisiert. Zweite Ebene Die Deduktion von Merkmalen der zweiten Ebene -erfolgt ebenfalls ausgehend von Literaturaussagen (Ansoff 1972, 5 - 7 ; Gälweiler 1974, 134-135; Grochla 1975, 19; Nanus 1975, 6 - 7 ; Haselhoff 1976, 19; Wilson/George/Solomon 1978, 66-67; Zahn 1979a, 18; Dirsmith/Jablonsky/Luzi 1980, 316; Attiyeh/Wenner 1981; Catingo et al. 1982; Kelley 1983). Diese lassen sich zu den drei bereits in Abschnitt 1.2.2 erwähnten strategischen (Ober-)Merkmalen Relevanz, Vereinfachung und Proaktivität verdichten: Das Merkmal Relevanz stellt auf die inhaltliche Betonung des Wichtigen ab. Dazu gehört die Berücksichtigung der zentralen Erfolgspotentiale, die beispielsweise in einem ausgereiften Produkt, einer herausragenden Personalausstattung oder einer überdurchschnittlichen Kapitalreserve liegen. Das Merkmal Vereinfachung dagegen betont die gezielte methodische Beschränkung. Diese Vereinfachung besteht in der Verwendung von Mechanismen, die es den Unternehmen erlauben, Informations- und Handlungsvielfalt zu bewältigen. Das Merkmal Proaktivität beschreibt ein Verhalten, das sich durch eine frühzeitige und handlungsbezogene Vorbereitung auf die Zukunft auszeichnet. Die Alternativenmenge für proaktives Handeln reicht von rein planerischen Aktivitäten bis hin zur tatsächlichen Gestaltung der Zukunft. Dritte Ebene Im ISM werden für jedes Merkmal der zweiten Ebene auf der nächsten Ebene zwei Konkretisierungen vorgeschlagen. Damit besteht die dritte Ebene der Merkmalshierarchie aus sechs strategischen Merkmalen. Bevor in den nächsten Abschnitten eine detaillierte Behandlung dieser sechs strategischen Merkmale erfolgt, zeigt Tabelle 23.1 die drei Merkmalsebenen des ISM im Zusammenhang.
34
2 Strategische Prinzipien
Tabelle 23.1: Merkmalshierarchie für strategisches Verhalten im ISM „Bestimmung von Ziel- und Aktionsräumen im Hinblick auf Erschließung, Sicherung und Nutzung der zentralen Erfolgspotentiale des Unternehmens" Relevanz Holismus
Vereinfachung Elementarismus
Komplexitätsreduktion
Proaktivität Potentialkonzentration
Kontingenzaktivität
Initiativaktivität
Die strategischen Merkmale der dritten Ebene können in beliebigen Kombinationen gleichzeitig auftreten: Die beiden Konkretisierungen jedes Merkmals der zweiten Ebene sind somit keine sich ausschließenden, polaren Ausprägungen auf einem Kontinuum. Vielmehr liegen auf der dritten Ebene sechs unabhängige Merkmale vor. Sie beziehen sich auf alle Formen strategischen Handelns, also auf Planung und Aktion. Zudem erlauben sie deskriptiv die Beschreibung tatsächlichen Verhaltens und gelten - wie es noch zu begründen gilt - präskriptiv als Empfehlung für Ausgestaltung eines strategischen Managements.
2.3.1.2 Relevanz der Objekte 2.3.1.2.1 Holismus Beim Holismus steht das Gesamtunternehmen mit seinen betrieblichen Funktionen und Bereichen als einheitliches Ganzes im Vordergrund: Holistisches Verhalten trägt der Tatsache Rechnung, daß die betrieblichen Teilfunktionen und -bereiche in vielfältiger Weise nicht nur untereinander verbunden sind, sondern auch mit den verschiedenen Segmenten der relevanten Umwelt. Holistisches Verhalten im ISM ist gekennzeichnet durch eine ganzheitliche Betrachtung des Unternehmens und seiner Umwelt. Holismus ist jedoch nicht identisch mit einer Berücksichtigung aller (Teil-)Aspekte dieses Ganzen (vgl. Checkland 1981, 13-14). Als expliziten Bestandteil des strategischen Managements fordern nur wenige Autoren (Mitroff 1978; Wilson/George/Solomon 1978, 66; Mason/Mitroff 1981,15) eine holistische Vorgehensweise. Dies hat vorrangig zwei Gründe: Holismus entspricht nicht der gängigen Denkrichtung, die strategisches Management als ein ausschließlich an wenigen wesentlichen Aspekten orientiertes Vorgehen ansieht, das bewußt Lücken läßt (vgl. Fandel 1983, 488). Zudem impliziert eine Befolgung des Postulats nach holistischem Verhalten zwangsläufig einen erheblichen Aufwand im Planungsalltag, dem scheinbar wenig Nutzen entgegensteht. Ein Nutzen holistischen Verhaltens liegt im Ausnutzen von Synergiepotentialen: Die Gesamtwirkung eines strategischen Verhaltens übersteigt also die Summe der einzel-
2.3 Das Prinzip strategischen Verhaltens
35
nen Effekte. Im Hinblick auf Anreizsysteme und Erfolgszurechnung ist dabei aber auch die Frage zu beantworten, wer im Einzelfall von der Synergie begünstigt wird. Ferner dient holistisches Verhalten der Beseitigung indirekt auftretender negativer Rückwirkungen, die den Erfolg der Gesamtunternehmensstrategie gefährden: Dies wäre der Fall, wenn die Einführung eines Produktes in Teilbereich Β ungünstige Auswirkungen auf Teilbereich A hätte und diese negativen Konsequenzen für A größer wären als der Nutzen für Teilbereich B. Insgesamt stellt Holismus eine Konkretisierung des Relevanzmerkmals dar, die der Notwendigkeit und den Vorteilen eines übergreifenden Vorgehens Rechnung trägt. Holismus ist damit wichtigstes Merkmal ¿«íegraííf-strategischen Managements.
2.3.1.2.2 Elementarismus Das Postulat strategischer Relevanz von Planung und Aktion läßt sich zweitens erfüllen durch eine explizite Beschränkung auf äußerst wenige und wichtige, weil bedrohliche oder erfolgversprechende Tatbestände: Elementaristisches Verhalten im IS M besteht darin, wenige wichtige Teilbereiche oder Teilfunktionen in den Vordergrund zu rücken. Für die Planungsebene äußert sich Elementarismus in detaillierter (tiefer) Planung einzelner Teilprobleme; auf der Aktionsebene impliziert elementaristisches Verhalten strategische Aktionen, die sich überwiegend oder sogar ausschließlich auf eine einzige strategische Geschäftseinheit oder eine einzige strategische Funktion konzentrieren. Elementaristisches Verhalten spiegelt sich demnach wider in - der gezielten Zuteilung knapper Ressourcen nur auf bestimmte Bereiche, - der vorrangigen Berücksichtigung einzelner Marktsegmente oder - der Konzentration auf den „Kampf" gegen den Konkurrenten, der die größte Gefahr darstellt. Sowohl Holismus als auch Elementarismus sind Verhaltensmerkmale, die Inhalte (Objektbereiche) von strategischen Planungen und Aktionen betreffen.
2.3.1.3 Vereinfachung der Methodik 2.3.1.3.1 Komplexitätsreduktion Komplexität läßt sich in vielfacher Weise abgrenzen und operationalisieren (vgl. Luhmann 1980). Im Hinblick auf den Grundansatz des ISM als übergreifende Konzeption erscheint folgende ISM-spezifische Definition zweckmäßig: Komplexitätsreduktion im ISM ist die Transformation einer quantitativ nicht mehr effizient und effektiv verarbeitbaren Menge von Einheiten in effizient und effektiv verarbeitbare Einheiten. „Einheiten" in dieser Definition sind sowohl Informationseinheiten als auch physi-
36
2 Strategische Prinzipien
kaiische Objekte. Wie alle strategischen Merkmale im ISM bezieht sich „Komplexitätsreduktion" nicht nur auf rein informatorische Vorgänge. Vielmehr postuliert das ISM eine Komplexitätsreduktion bei Planung und Aktion: Beispiele für Komplexitätsreduktion bei der Planung sind vereinfachende Instrumente zur Strategieformulierung wie die Portfolio-Matrix. Ein Beispiel für Komplexitätsreduktion bei der Aktion sind (modulare) Produktionskonzepte, die die Anzahl der unterschiedlichen Einzelteile und Bearbeitungsvorgänge drastisch reduzieren. Im Zusammenhang mit strategischer Planung erheben Theorie und Praxis in den meisten Fällen explizit (vgl. Dunst 1983, 15) oder implizit (vgl. Hanssmann 1982, 3 - 4 ) die Forderung nach Komplexitätsreduktion. Trotzdem findet die Behandlung der Frage, wie diese praktisch realisierbar wäre, nur geringe Aufmerksamkeit. Im ISM wird unterschieden zwischen den Ursachen der Komplexität, Ansatzpunkten der Komplexitätsveränderung und Formen der Bewältigung von Komplexität: Für den zugrundeliegenden Objektbereich sind vier Ursachen für Komplexität bedeutsam, nämlich - Variablenvielfalt als Anzahl unterscheidbarer Zustandsvariablen, - Ausprägungsvielfalt als Anzahl möglicher Ausprägungen dieser Zustandsvariablen, - Interdependenzvielfalt als Anzahl, Intensität und Veränderungsrate der Beziehungen zwischen diesen Zustandsvariablen, sowie - Langfristigkeit als mit sich ausdehnendem Planungshorizont abnehmende Konstanz in Unternehmen und Umwelt. Die ersten beiden Formen entsprechen dem systemtheoretischen Terminus „Varietät" (vgl. Ashby 1956, 124-126; Beer 1972, 53 + 307; Scholz 1981a, 121), die letztgenannte Form der temporalen Komplexität (Ronchi 1980, 662). Um Komplexität zu reduzieren, wird im ISM nach unterschiedlichen Ansatzpunkten für die Komplexitätsreduktion differenziert: - Die Reduktion der Systemkomplexität bezieht sich auf Verringerung der Zahl von Komponenten, Ausprägungen und Beziehungen in Unternehmen und Umwelt. Bei diesem Vorgehen wird tatsächlich in reale Prozesse eingegriffen. - Die Reduktion der Modellkomplexität strebt nach möglichst einfachen Entscheidungsmodellen. Sie bezieht sich also auf die der Entscheidung zugrundeliegende Information. - Die Reduktion der Aktionskomplexität bezieht sich auf die der Unternehmensleitung zur Verfügung stehenden Aktionsmöglichkeiten. Als Kombinationen aus Ursachen der Komplexität und Ansatzpunkten für ihre Veränderung ergeben sich mehrere konkrete Formen der Bewältigung von Komplexität. Tabelle 23.2 zeigt vier ausgewählte Kombinationen: Drei erhalten ihre Bedeutung dadurch, daß sie etablierte Vorgehensweisen der Betriebswirtschaftslehre widerspiegeln. (1) Das hier als systemtheoretisch bezeichnete Vorgehen konzentriert sich auf die Vielfalt und die Variabilität der Komponenten. Ansatzpunkt ist die Aktionskom-
2.3 Das Prinzip strategischen Verhaltens
37
Tabelle 23.2: Komplexitätsbewältigung Komplexität
Komplexitätsveränderung Systemtheore-
Organisations- Entschei-
tischer Ansatz
theoretischer
dungstheoreti- Ansatz nach
Strategischer
Ansatz
scher Ansatz
dem ISM
Ursachen: Variablen Vielfalt
ja
ja
ja
ja
Ausprägungsvielfalt
ja
nein
ja nein
ja
Langfristigkeit
ja ja nein
ja
Interdependenzvielfalt
ja nein
Systemkomplexität
nein
nein
nein
Reduktion
Modellkomplexität
nein
Erhöhung
Reduktion
Reduktion
Aktionskomplexität
Erhöhung
nein
Reduktion
Reduktion
ja
Ansatzpunkte:
plexität, die bis zur Übereinstimmung mit der Systemkomplexität gesteigert wird. Entsprechend dem Gesetz der erforderlichen Varietät (vgl. Ashby 1956, 202-218) hat sich ein Unternehmen beispielsweise auf vier unterschiedliche Kundentypen (Systemkomplexität) durch das Vorbereiten differenzierter Verhaltensweisen (Aktionskomplexität) einzustellen. (2) Die als organisationstheoretisch bezeichenbare Kombination setzt an der Modellkomplexität an und verlangt, daß sich die Unternehmensleitung durch positives oder negatives Lernen ein realitätsnahes und zusammenhängendes Bild von Unternehmen und Umwelt macht (vgl. Hedberg 1981, 13). Das Ziel dieses Vorgehens liegt darin, Modellkomplexität und Systemkomplexität in Übereinstimmung zu bringen - und zwar durch Erhöhung der Modellkomplexität. (3) Das entscheidungstheoretische Vorgehen bezieht sich ebenfalls auf die Variablen, die Ausprägungen und die Interdependenzen. Im Gegensatz zum organisationstheoretischen Ansatz wird hier versucht, die Komplexität von Modell und Aktion zu reduzieren. Ein Beispiel dafür ist das Grundmodell der Entscheidungstheorie (vgl. Schneeweiß 1966), bei dem eine klar abgegrenzte Menge von Alternativen bezüglich mehrerer Umweltzustände bewertet wird. (4) Ein strategischer Ansatz zur Komplexitätsbewältigung muß aber noch weiter gehen und versuchen, alle vier Ursachen der Komplexität und alle Ansatzpunkte der Komplexitätsreduktion zu berücksichtigen. Dies verlangt nach Reduktion der Systemkomplexität, Aktionskomplexität und Modellkomplexität. Eine Umsetzung dieses Postulats erfolgt im ISM durch die strategischen Prinzipien sowie durch die Ausgestaltung der strategischen Aktivitäten und Felder.
2 Strategische Prinzipien
38
2.3.1.3.2 Potentialkonzentration Im Gegensatz zu den generellen Vereinfachungsmechanismen der Komplexitätsreduktion betont die Potentialkonzentration die Selektion als Mittel zur Vereinfachung. Potentialkonzentration im ISM ist die Vereinfachung von Planung und Aktion durch das stringente und ausschließliche Ausrichten auf die zentralen Erfolgspotentiale des Unternehmens. Eine Umsetzung von Potentialkonzentration verlangt nach Bestimmung der Potentiale, auf die sich ein Unternehmen „konzentrieren" soll. Dazu ist zunächst eine Potentialanalyse (vgl. Kreikebaum 1971) durchzuführen, die dann in eine Bestimmung der strategischen Faktoren (vgl. Grimm 1983) mündet. Grundsätzlich gibt es jeweils mehrere Ansatzpunkte für eine Potentialkonzentration. Es ist daher ein bestimmtes Potential immer unter verschiedenen Gesichtspunkten zu betrachten. Strategische Potentiale können in allen Bereichen des Unternehmens liegen; aus diesem Grund erfolgt im ISM eine Potentialkonzentration auf allen Feldern (Leistungserstellung und -Verwertung, Organisation, Personal, Finanzen und Rechnungswesen sowie Öffentlichkeit). Potentialkonzentration bedeutet eine Abkehr von der unmittelbaren Orientierung an aktuellen Leistungszielen und ein Hinwenden zur intensiven Beachtung strategischer Erfolgspotentiale im Sinne von in Zukunft verwertbaren Potentialen. Potentialkonzentration strebt also nicht nur nach Auswertung bereits bestehender Erfolgspotentiale, sondern auch nach deren Aufbau und Erhaltung. Beispiele für Potentialkonzentration sind Intensivierung der Forschung und Entwicklung sowie längerfristiger Aufbau eines Firmenimages.
2.3.1.4 Proaktivität des Handelns 2.3.1.4.1 Kontingenzaktivität Eine der beiden im ISM vorgesehenen Möglichkeiten für ein strategisch frühzeitiges Einstellen auf die Zukunft, ist die Kontingenzaktivität. Für diese soll folgende Definition gelten: Kontingenzaktives Verhalten im ISM besteht in der frühzeitigen und differenzierten Vorbereitung des Unternehmens auf mehrere, also auf mindestens zwei mögliche Umweltkonstellationen. Die Ausgangsbasis der Kontingenzaktivität des ISM liegt in den situativen oder (als synonym ansehbaren) kontingenztheoretischen Ansätzen (vgl. Staehle 1985, 8 2 - 1 0 5 ; Tosi 1982; Lehnert 1983, 92-186): Diese besagen, daß es keine allgemeingültig richtigen Handlungsweisen gibt, sondern je nach Situation unterschiedliche Lösungen angemessen sind. Drei Gruppen kontingenztheoretischer Ansätze sind zu unterscheiden (vgl. Steiner 1979, 408-413):
2.3
39
D a s Prinzip strategischen Verhaltens
- In der empirischen Organisationsforschung werden verschiedene Umweltformen, Organisationsstrukturen oder Prozeßvarianten beschrieben und in Abhängigkeit von der Situation einander zugeordnet. Beispiele dafür sind die Arbeiten der Aston-Gruppe (vgl. Pugh/Hickson 1976), oder von Lawrence/Lorsch (1967 a) und Rumelt (1974). - In der empirischen Produktions- und Absatzforschung werden strategische Variablen wie Forschungs- und Entwicklungsaufwand oder Werbemaßnahmen mit situativen Variablen in Zusammenhang gebracht und diejenige Variablenkonstellation lokalisiert, die in einer bestimmten Situation den größten Gewinn mit sich gebracht hat (vgl. Buzzel/Gale/Sultan 1975). - In der konzeptionellen Strategieforschung werden plausibilitätsgestützte Vermutungen entwickelt, die zum Beispiel für jede Phase der Produktlebenskurve eine bestimmte Verhaltensweise vorschlagen (vgl. Hofer/Schendel 1978, 108). Alle diese Ansätze laufen aber auf ein ausschließlich reaktives Verhalten hinaus, bei dem das Unternehmen die Wahl einer Maßnahme von der Ausprägung der situativen Variablen abhängig macht. Die im ISM verlangte Kontingenzaktivität geht dagegen über die situativen (kontingenztheoretischen) Ansätze hinaus und verlangt ein aktives Ausrichten an mindestens zwei alternativen Umweltentwicklungen. Diese Kontingenzaktivität ist in zwei Varianten möglich, die beide auf Planungs- und Aktionsebene ansetzen können (vgl. Tabelle 23.3): In einem Fall wird eine Antwort gesucht, die im Sinne einer robusten Lösung (Rosenhead/Elton/Gupta 1972; Rosenhead/Wiedemann 1979) gleichzeitig mehreren Umweltzuständen gerecht wird. Da bei dieser Variante quasi situativ undifferenziert vorgegangen und nicht für unterschiedliche Umweltzustände nach unterschiedlichen Lösungen gesucht wird, soll von „unechter" Kontingenzaktivität gesprochen werden. Auf der Planungsebene bedeutet „unechte" Kontingenzorientierung die Erstellung eines Planes, der für mehrere Umweltzustände paßt. Auf der Aktionsebene liegt „unechte" Kontingenzaktivität in der Schaffung von Flexibilitätspotentialen. Bei „echter" Kontingenzaktivität dagegen stellt sich das Unternehmen gleichzeitig in unterschiedlicher Form auf mindestens zwei alternative Umweltzustände ein. Auf der Planungsebene besteht Kontingenzaktivität im Erstellen von Kontingenzplänen und in der Sicherung ihrer Durchführbarkeit. Auf der Aktionsebene ist eine echte Tabelle 23.3: Varianten der Kontingenzaktivität
Planungsebene
„Unechte" Kontingenz-
„ E c h t e " Kontingenz-
aktivität
aktivität
robuste Planung oder
Kontingenzplanung
Planung mit Freiheitsraum Aktionsebene
Flexibilitätspotential
Alternative Aktionspotentiale
40
2 Strategische Prinzipien
Kontingenzaktivität dann gegeben, wenn im Hinblick auf unterschiedliche Zukunftsentwicklungen unterschiedliche Maßnahmen eingeleitet werden. Ein Beispiel soll die vier in Tabelle 23.3 ausgewiesenen Formen der Kontingenzaktivität illustrieren. Betrachtet wird ein Unternehmen, das sich mit Problemen im Beschaffungs-, Produktions- und Absatzsektor konfrontiert sieht. Die vier Formen der Kontingenzaktivität stellen sich dann wie folgt dar: Echte Kontingenzaktivität auf der Aktionsebene liegt vor, wenn (1) eine alte kostengünstige und bewährte Produktionstechnologie beibehalten wird, aber (2) über Intensivierung des F&E-Bereichs zusätzlich eine neue Technologie entwickelt wird, die nach einer Zulieferblockade bei Rohstoff X ohne diesen Rohstoff auskommen könnte, und (3) als Rückwärtsintegration Zulieferbetriebe für den Rohstoff Y aufgekauft werden, wenn dieser Rohstoff beim Wechsel des Konsumentengeschmacks essentiell für den Produkterfolg wird. Echte Kontingenzaktivität auf der Planungsebene liegt vor, wenn in Kontingenzplänen festgelegt wird, welche Unternehmen in welchem Krisenfall aufgekauft werden sollen und wann gegebenenfalls Vorverträge abgeschlossen oder Optionen erworben werden. Entlang der Zeitachse bietet sich dazu der Einsatz der flexiblen Planung (vgl. Schneider 1971; Hax/Laux 1972; Schneider 1972; Bohr/Saliger 1983) an, um bereits zum Planungszeitpunkt das Reagieren auf unterschiedliche Zukunftsentwicklungen vorzubereiten. Unechte Kontingenzaktivität auf der Aktionsebene liegt vor, wenn sich das Unternehmen für die robuste Lösung des Abstoßens des betroffenen Geschäftsbereichs entscheidet, wodurch Schwierigkeiten in allen drei Sektoren ausgeschaltet werden, unabhängig davon, in welcher der drei Problemzonen die Schwierigkeit auftritt. Unechte Kontingenzaktivität auf der Planungsebene liegt vor, wenn die Beschaffung zusätzlicher liquider Mittel vorbereitet wird, die dann eine Reserve für beliebige Formen der Änderung darstellen. Im Gegensatz zu den situativen Ansätzen stehen damit bei der Kontingenzaktivität die Berücksichtigung von mehreren zu erwartenden Umweltzuständen („Kontingenz ...") und die entsprechenden Handlungen („.. .aktivität") im Vordergrund. Dieser direkte Aktivitätsbezug legt - anders als bei zuvor diskutierten strategischen Merkmalen - eine nach Schritten differenzierende Betrachtungsweise nahe: Schritt 1 dient der Informationssammlung. Ausgehend von einem Verzicht auf eine singuläre Prognose der Zukunft werden alternative Szenarien entwickelt (vgl. Abschnitt 3.4.2). Das strategische Management ersetzt somit die extrapolierende Projektion des Status quo durch alternative und explorative Zukunftsbestimmungen. In Schritt 2 erfolgt die eigentliche Vorbereitung auf diese alternativ möglichen Ausprägungen der Zukunft auf der Planungs- beziehungsweise auf der Aktionsebene. Im Zusammenhang mit („echter") Kontingenzaktivität ergibt sich zwangsläufig ein Problem: Je mehr und je unterschiedlichere Umweltzustände über alternative Aktionspotentiale zu berücksichtigen sind, umso kostspieliger fällt dieses strategische
2.3 Das Prinzip strategischen Verhaltens
41
Management aus. Grundsätzlich ist eine Aktion zu bejahen, wenn der Erwartungsnutzen der herbeigeführten Schadensreduktion oder der Gewinnerhöhung größer ist als die zu erwartenden Kosten der Kontingenzaktivität. Trotz der geringen Operationalität einer derartigen Entscheidungsregel bietet sie in Verbindung mit Expertenurteilen zumindest eine erste Hilfestellung bei der Entscheidung über den Umfang der Kontingenzaktivität. 2.3.1.4.2
Initiativaktivität
Eine zweite Variante der Proaktivität ist die ebenfalls aus der Literatur (vgl. Wilson/ George/Solomon 1978, 67; MacMillan 1982; Drucker 1985, 296-326) ableitbare Initiativaktivität: Initiativaktives Verhalten im ISM ist die bewußte Gestaltung strategisch relevanter Tatbestände, um die Zukunft in eine für das Unternehmen günstige Richtung zu lenken. Während kontingenzaktives Vorgehen durch Prognose- und Analysetechniken alternative Ausprägungen der Zukunft zu bestimmen sucht, um das Unternehmen durch geeignete Strategien darauf vorzubereiten, will initiativaktives Verhalten die Eintrittswahrscheinlichkeit der höchst präferierten Zukunftsentwicklung vergrößern. Im Gegensatz zur Kontingenzaktivität steht bei der Initiativaktivität somit die autonome Gestaltung der Zukunft im Vordergrund: In Schritt 1 werden die angestrebten strategischen Ziele festgelegt. Hilfsmittel sind Techniken wie das Brainstorming (vgl. Abschnitt 3.4.2.1.2.2). Anschließend werden in Schritt 2 diejenigen Aktionen bestimmt, die das Unternehmen beziehungsweise die Umwelt in diesen gewünschten Zukunftszustand transformieren. Diese Strategien werden dann mit allen verfügbaren Mitteln sofort eingeleitet. Weil die Initiativaktivität bewußt das Risiko sucht, bietet sich für die Formulierung einer initiativaktiven Strategie neben Kreativitätstechniken die Risikoanalyse (vgl. Abschnitt 3.4.2.1.1.3) an. Initiativaktives Verhalten hat den Vorteil, daß bei Zieldefinition und Umweltanalyse auf Vollständigkeit verzichtet werden darf: Für die Initiativaktivität genügt bereits ein interessantes Ziel, unabhängig von der Existenz weiterer möglicher Ziele. Trotz der bewußten Unvollständigkeit der Analyse ist eine hohe Irrtumswahrscheinlichkeit nicht zwingend: Nur wenn die Kontingenzaktivität alle denkbaren Umweltzustände einbezieht, hat die Initiativaktivität eine höhere Irrtumswahrscheinlichkeit als die Kontingenzaktivität. Ansonsten ist zumindest die Möglichkeit nicht auszuschließen, daß gerade die frühzeitige Gestaltung der Zukunft die unberücksichtigte Varianz (und damit die Irrtumswahrscheinlichkeit) reduziert. Durch Verzicht auf Analysevollständigkeit und Beginn der eigenen Aktion vor der Umweltaktion läßt sich der Faktor „Zeit" wirkungsvoll einsetzen. Deshalb stellt gerade initiativaktives Verhalten eine effektive Form des strategischen Managements dar. Die Initiativaktivität hat zudem im Gegensatz zur Kontingenzaktivität keine eingebaute Ineffizient": Bei der Kontingenzaktivität finden auf der Planungs- und
42
2 Strategische Prinzipien
Aktionsebene immer Maßnahmen statt, die sich ex post als überflüssig herausstellen; dies gilt besonders für den kontingenzaktiven Aufbau von alternativen Aktionspotentialen. Bei der Initiativ&ktmtät dagegen sind alle Maßnahmen auf einen Umweltzustand ausgerichtet. Initiativaktivität und Kontingenzaktivität in „reiner" Form schließen sich beim gleichen Planungsobjekt zur gleichen Zeit ex definitione aus. Wohl aber ist es zulässig, bei drohendem Scheitern eine Initiativaktivität zugunsten einer Kontingenzaktivität aufzugeben - und umgekehrt. Ebenfalls können zwei unterschiedliche Problemstellungen gleichzeitig mit einer Kontingenzaktivität und einer Initiativaktivität behandelt werden. Abschließend stellt Tabelle 23.4 die Initiativaktivität zusammenfassend im Vergleich zur Kontingenzaktivität dar. Die Wahl zwischen kontingenz- und initiativaktivem Verhalten hängt ab von der Höhe des Schadens bei Scheitern der Initiativaktivität und der Risikoneigung des Entscheidungsträgers. Aus diesem Grund wird es nur in Ausnahmefällen angemessen sein, die obersten Unternehmensziele mit einer Initiativaktivität erreichen zu wollen. Tabelle 23.4: Vergleich von Kontingenzaktivität und Initiativaktivität Kontingenzaktivität
Initiativaktivität
Berücksichtigung alternativer Zukunftsvarianten
frühzeitige Gestaltung der Zukunft
Schritt 1
Prognose alternativer Zukunftsvarianten
Ermittlung einer gewünschten Zukunft
Vorgehen
Schritt 2
Aufbau alternativer Aktionspotentiale
Bestimmung und Durchführung einer geeigneten Strategie
Methodische Unterstützung
Schritt 1
auf Divergenz zielende Techniken
Kreativitätstechniken
wie Multiple Szenario Analyse
wie Brainstorming
evt. Nutzenerwartungswert
evt. Risikoanalyse
passiv-vorbereitend risikominimierend
aktiv-gestaltend risikosuchend
aufwendig, da zwangsläufig nicht alle Aktivitätspotentiale genutzt werden
ökonomisch, da im Idealfall jede Aktion ein positives Ergebnis bringt
Ziel
Grundhaltung
Effizienz
Schritt 2
2 . 3 Das Prinzip strategischen Verhaltens
2.3.2
43
Formulierung
Im vorangegangenen Abschnitt wurden sechs strategische Merkmale erläutert. Offenbar zeichnet sich aber strategisches Management durch Kombination von bestimmten Charakteristika aus (vgl. Wilson/George/Solomon 1978, 6 6 - 6 7 ; Zahn 1979 a, 18; Thielenhaus 1981,46-51). Es muß also nicht jedes strategische Verhalten zwingend alle sechs möglichen Merkmale aufweisen. Damit stellt sich die Frage nach sinnvollen Kombinationen von Merkmalen. Für diese Frage gibt es zwei mögliche Antworten: Entweder werden generell alle sechs Merkmale immer vorgeschrieben; die im vorangegangenen Absatz erwähnten Quellen gehen in diese Richtung. Oder es werden beliebige Kombinationen zugelassen: Dann wäre zwischen (6 + 15 + 20 + 15 + 6 + 1 = ) 63 Alternativen zu wählen, wovon aber nicht alle strategisches Verhalten „vollständig" beschreiben. Die erste Antwort läuft auf ein nicht-situatives und nicht nach Problemklassen differenzierendes Vorgehen hinaus. Sie wird deshalb im ISM abgelehnt. Vielmehr soll die zweite Antwort verwendet und um einen Auswahlmechanismus erweitert werden, der nur vollständige strategische Kombinationen zuläßt. Anknüpfend an die einleitend für das ISM postulierte Merkmalshierarchie (Tabelle 23.1) ergibt sich eine zulässige Kombination immer dann, wenn für jedes der drei (Ober-)Merkmale der zweiten Ebene mindestens je eine der beiden Konkretisierungen auf der dritten Ebene realisiert ist. Prinzip strategischen Verhaltens: Ein Unternehmen verhält sich im Hinblick auf eine spezifische Problemstellung strategisch, wenn es mindestens drei Verhaltensmerkmale aufweist, und zwar (1) Holismus oder Elementarismus und (2) Komplexitätsreduktion oder Potentialkonzentration und (3) Kontingenzaktivität oder Initiativaktivität. Auf diese Weise wird sichergestellt, daß erstens die jeweils behandelten Probleme von entsprechender Mindestbedeutung für das Unternehmen sind, zweitens das gewählte Vorgehen der strategischen Problematik entsprechende Vereinfachungsmechanismen beinhaltet und drittens eine aktive Auseinandersetzung mit der Zukunft stattfindet. Das Prinzip strategischen Verhaltens reduziert die Menge von möglichen Kombinationen der sechs strategischen Merkmale: 8 Kombinationen aus drei Merkmalen (8 = 2 3 ) erfüllen genau die Mindestvorschrift des Prinzips. Zulässig sind gemäß dem Prinzip strategischen Verhaltens darüber hinaus 12 Kombinationsformen aus vier Merkmalen, 6Kombinationsformen aus /««^Merkmalen sowie die Kombination aller sechs Merkmale. Das Prinzip strategischen Verhaltens erlaubt demnach 27 unterschiedliche „vollständige" Formen strategischen Verhaltens: Durch dieses Instrumentarium läßt sich deskriptiv strategisches Verhalten differenziert erfassen, aber auch präskriptiv der zulässige Lösungsraum abgrenzen.
44
2 Strategische Prinzipien
Vor der instrumentellen Umsetzung soll wieder anhand von Prüffragen die Plausibilität dieses Prinzips geprüft werden: (1) Liegt strategisches Verhalten wirklich ausschließlich dann vor, wenn das Prinzip strategischen Verhaltens erfüllt ist? Diese Frage kann bejaht werden, denn - ohne Holismus oder Elementarismus wird kein essentielles, sondern ein operativ-taktisches Problem behandelt, das keine Erfolgspotentiale tangiert, - ohne Komplexitätsreduktion oder Potentialkonzentration fehlt die angesichts des Umfangs und der Dringlichkeit strategischer Probleme unbedingt erforderliche Vereinfachungskomponente und - ohne Kontingenzaktivität oder Initiativaktivität mangelt es an der gerade für ein strategisches Management notwendigen expliziten Auseinandersetzung mit der Zukunft. (2) Gibt es Fälle, in denen das Prinzip strategischen Verhaltens verletzt werden kann, und führt diese Verletzung zu negativen Konsequenzen? Das Prinzip strategischen Verhaltens ist trivialerweise immer bei operativ-taktischem Management verletzt; ein Unternehmen, das sich nur operativ-taktisch und damit nicht strategisch verhält, dürfte allenfalls in Ausnahmefällen (wie extrem statische Umwelt sowie stabile und gesicherte Wettbewerbssituation) überlebensfähig sein. (3) Sind die Bausteine des Prinzips strategischen Verhaltens miteinander kompatibel? Die Konsistenz der einzelnen Verhaltensweisen zueinander ist insofern gewährleistet, als jedes der drei Obermerkmale und somit auch die daraus abgeleiteten Paare der Verhaltensmerkmale unterschiedliche Gesichtspunkte des strategischen Managements berühren. (4) Ist das Prinzip strategischen Verhaltens mit dem vorab tegischer Effektivität verträglich? Dies ist der Fall, da Verhaltens insofern eine Konkretisierung des Prinzips darstellt, als es Aussagen über Wege zur Zielrealisation
2.3.3 2.3.3.1
diskutierten Prinzip stradas Prinzip strategischen strategischer Effektivität macht.
Umsetzung Überblick
Als Kombination aus jeweils drei strategischen Merkmalen sind nach dem Prinzip strategischen Verhaltens insgesamt acht Zusammenstellungen zulässig (vgl. Tabelle 23.5). Für die nachfolgende instrumentelle Umsetzung des Prinzips strategischen Verhaltens werden jeweils zwei Kombinationen zusammengefaßt, wodurch vier Grundformen eines strategischen Managements entstehen. Nach Tabelle 23.5 läßt sich jede der vier Grundformen eines strategischen Managements durch zwei zwingend vorgeschriebene sowie eine und/oder-Beziehung zwischen zwei weiteren Merkmalen charakterisieren. Die vier Grundformen dienen im ISM nicht nur als Bezeichnungen für bestimmte Merkmalskombinationen, sondern auch zur Kennzeichnung bestimmter Konkretisie-
2.3 Das Prinzip strategischen Verhaltens
45
Tabelle 23.5: G r u n d f o r m e n strategischen Managements N a c h dem Prinzip strategischen Verhal tens zulässige Kombi nationen
Holismus
(1)
(2)
(3)
(4)
χ
X
X
X
Elementarismus
(•*)
(6)
(7)
(8)
χ
X
χ
X
Komplexitätsreduktion
X
X
X
X
Potentialkonzentration
X
X
X
X
Kontingenzaktivität
X
X
Initiativaktivität
X
X
X
X
X
X
G r u n d f o r m e n stra-
Strategisches
Strategisches
Strategisches
Strategisches
tegischen Manage-
Enterprise
Capability
Surprise
Issue
ments
Management
Management
Management
Management
rungen dieser Merkmale: So bezieht sich Holismus im Strategischen Enterprise Management und im Strategischen Capability Management auf unterschiedliche Tatbestände. Die Reihenfolge der anschließenden Behandlung der vier Grundformen strategischen Managements resultiert aus einer schwach ausgeprägten Überordnung, nach der beispielsweise das Strategische Enterprise Management ein Strategisches Issue Management generieren kann, aber nur beschränkt umgekehrt. Obwohl grundsätzlich diese vier Managementformen - wie alle übrigen Merkmalskombinationen - Gegenstand empirischer Überprüfung sein können, soll nachfolgend präskriptiv argumentiert werden: Die Gültigkeit des Prinzips strategischen Verhaltens unterstellt, werden aus diesem jeweils spezifische Umsetzungen von strategischem Verhalten deduziert und operationalisiert. Im nachfolgenden Abschnitt werden die vier Managementformen jeweils allgemein erläutert sowie exemplarisch auf einem strategischen Feld konkretisiert.
2.3.3.2 Management-Grundformen 2.3.3.2.1 Strategisches Enterprise Management 2.3.3.2.1.1 Vorgehensweise Das Strategische Enterprise Management legt die langfristige Grundstrategie fest. Diese ist als „enterprise plan" (vgl. Allen 1982, 81), „master plan" (vgl. Chang/Campo-Flores 1980, 7), „business mission" (vgl. Byars 1984, 9), „company mission"
46
2 Strategische Prinzipien
(Pearce 1982a), „strategic game plan" (Thompson/Strickland 1983, 2), „grand strategy" (Pearce 1982 b) oder „theory of the business" (Drucker 1970, 9) zeitlich unlimitiert und definiert die generellen Ziele und Mittel des Unternehmens. Nach Tabelle 23.5 gilt: Strategisches Enterprise Management = Holismus + Komplexitätsreduktion + Kontingenzaktivität und/oder Initiativaktivität (1) Dominierendes Merkmal im Strategischen Enterprise Management ist der Holismus, verstanden als Ganzheitlichkeit der Unternehmensführung. Dieses Entrepreneurship („Unternehmertum") läßt sich wie folgt charakterisieren (vgl. Drucker 1970, 4 - 9 ) : - Es befaßt sich mit dem Gesamtunternehmen. - Es stellt den externen Bezug her. - Es impliziert die Übernahme von Risiko und Gesamtverantwortung. - Es impliziert die Orientierung an der Gesamteffektivität. - Es impliziert die Definition der grundlegenden Unternehmensstrategie. Entsprechend dieser Aufgabenbeschreibung liegt das Hauptanliegen des Strategischen Enterprise Managements in der ganzheitlichen Festlegung sowie in der laufenden Aktualisierung der Grundstrategie des Unternehmens. (2) Komplexitätsreduktion bezieht sich nicht auf den Inhalt des Strategischen Enterprise Managements, sondern auf seine Methodik. Komplexitätsreduktion ist in diesem Fall eine Denkrichtung, die auf systematische und damit erlernbare Vereinfachung bei der Bestimmung der Unternehmensstrategie abstellt. Diese Business Policy läßt sich im historischen Kern wie folgt charakterisieren (vgl. Taylor/ MacMillan 1973, 4 - 5 ) : - Sie befaßt sich nur mit den Aufgaben der oberen Unternehmensführung. - Sie analysiert die Probleme ausschließlich vom Standpunkt des Gesamtunternehmens aus. - Sie arbeitet integrativ durch Zusammenführung unterschiedlicher Konzepte, Funktionen und Bereiche. - Sie liefert Lösungen auch für hochkomplexe und schlecht strukturierte Probleme. Für diese Komplexitätsreduktion werden in den Kapiteln 3 und 4 eine Reihe von Instrumenten bereitgestellt: angefangen von Kreativitätstechniken bis hin zur Portfolio-Matrix. Allen diesen Instrumenten ist gemeinsam, daß sie in hochaggregierter Form einen Überblick über die Unternehmensentwicklung geben. (3) Proaktivität ist im Strategischen Enterprise Management inform der Kontingenzaktivität und/oder Initiativaktivität zu realisieren: Bei Kontingenzaktivität stellt sich das Unternehmen durch vorbereitende Planungen und Aktionen auf die Umwelt ein, bei der Initiativaktivität gestaltet das Unternehmen aktiv seine Zukunft.
2.3
D a s Prinzip strategischen Verhaltens
47
Tabelle 2 3 . 6 : Merkmale des Strategischen Enterprise Managements Strategisches Enterprise Management Festlegung und laufende Aktualisierung der Grundstrategie des Unternehmens (Holismus) Ständiger Überblick über die Unternehmensentwicklung in hochaggregierter Form (Komplexitätsreduktion) Absichern gegen Unsicherheit der Zukunft (Kontingenzaktivität)
oder
Suchen des unternehmerischen Risikos (Initiativaktivität)
Diesen beiden unterschiedlichen Vorgehensweisen entsprechen dem empirisch von Mintzberg (1973) beobachteten planning mode und entrepreneurial mode: Der planning mode beschreibt eirl analytisches, Risiko bewältigendes und eher passives Vorgehen; der entrepreneurial mode drückt dagegen ein intuitives, Risiko suchendes und eher aktives Vorgehen aus. Beide Unterformen des Strategischen Enterprise Managements operieren aber holistisch aus der Perspektive des Gesamtsystems und bedienen sich entsprechender Mechanismen zur Komplexitätsreduktion (vgl. Tabelle 23.6). Zusammengefaßt stellt sich das Strategische Enterprise Management im ISM als eine relativ abstrakte Vorgehensweise dar, die aber nichtsdestoweniger die Hauptaufgabe der Unternehmensleitung widerspiegelt.
2 . 3 . 3 . 2 . 1 . 2 Beispiel: Business Mission Die Business Mission gibt den Unternehmenszweck an, ausgedrückt in herzustellenden und zu vertreibenden Gütern beziehungsweise Dienstleistungen (vgl. Hax/ Majluf 1984, 56-57). Bei der Business Mission geht es damit nicht um die Abgrenzung der konkreten Märkte für die Produkte, sondern um die Festlegung des hierarchisch höchsten Gesamtkonzeptes in einer kommunizierbaren Form. Die Erstellung der Business Mission ist also Aufgabe des Enterprise Managements. Für die Festlegung der Business Mission im ISM gibt es vier Varianten (vgl. Tabelle 23.7): Zunächst ist die gegenwärtig verfolgte Grundstrategie zu bestimmen. Ausgehend von den strategischen Verhaltensmerkmalen ist dazu Holismus mit Komplexitätsreduktion zu verbinden, wobei allerdings jeweils eine der beiden Möglichkeiten zur Vereinfachung im Vordergrund steht: Die primär holistische Vorgehensweise orientiert sich an der global-subjektiven Perzeption der aktuellen Geschäftstätigkeit und versucht diese verbal in eine griffige Form zu bringen. Ein Beispiel dafür ist die Aussage „Herstellung und Vertrieb von Schnellgerichten". Besonders diese Variante verlangt nach unternehmerischer Vision (Foster 1982). Die primär komplexitätsreduzierende Vor-
48
2 Strategische Prinzipien
Tabelle 23.7: Bestimmung der Business Mission im I S M Schritt 1:
primär holistisch
Erfassung der aktuellen
primär komplexitätsreduzierend
Grundstrategie Schritt 2: Definition der zukünftigen
initiativ-
kontingenz-
initiativ-
kontingenz-
Grundstrategie
aktiv
aktiv
aktiv
aktiv
Variante
1
2
3
4
gehensweise bedient sich einer systematisch formalisierenden Denkhilfe wie der morphologischen Methode (vgl. Abschnitt 3.4.2.1.2.2). So verwendet beispielsweise Abell (1980, 143 + 200) die drei Dimensionen Technologien, Funktionen für den Kunden sowie Kundengruppen und positioniert die Geschäftstätigkeit in diesem Koordinatensystem. Im Rahmen einer derartigen Klassifikation läßt sich dann eine „business mission" beispielsweise festlegen als - (kundenorientiert) alle Funktionen bei einem Kunden abdeckend, - (technologieorientiert) alle Anwendungen einer Technologie anstrebend oder - (selektiv) „Kundengruppe X und Funktion Y" bedienend. Die Business Mission soll das Unternehmen aber auch in andere Bahnen lenken. Bei der initiativaktiven Variante wird dazu die Business Mission vom Unternehmen selber ausgeweitet. Definiert ein Hersteller von Aluminiumbüchsen für Getränke seine (neue) Business Mission als „Produktion und Vertrieb von Metallbehältern", so ist dies eine vom Unternehmen selbst initiierte Expansion. Bei der kontingenzaktiven Variante wird die Business Mission dagegen so definiert, daß sie bei unterschiedlicher Umweltentwicklung Erfolg verspricht. Exemplarisch für eine derartige Definition ist die Business Mission „Energieversorgung" als Vorbereitung des Unternehmens auf alternative Rohstoffsituationen. Das Strategische Enterprise Management auf dem Feld Leistungserstellung und -Verwertung mündet damit in die produktbezogene Grundstrategie als ersten Baustein zur Unternehmensgrundstrategie.
2.3.3.2.2 Strategisches Capability Management 2.3.3.2.2.1 Vorgehensweise Im ISM wird ein Strategisches Capability Management gefordert, bei dem das dominante Merkmal der Potentialkonzentration mit Holismus kombiniert und durch Proaktivität ergänzt wird:
2.3 Das Prinzip strategischen Verhaltens
49
Strategisches Capability Management = Potentialkonzentration + Holismus + Kontingenzaktivität und/oder Initiativaktivität Das Strategische Capability Management geht über die in der Literatur (vgl. Ansoff 1978; 1979, 17; Lenz 1980) geforderte Potentialkonzentration in zweifacher Weise hinaus: Es betrachtet die Potentiale des gesamten Unternehmens unter der ganzheitlichen Perspektive der Unternehmensstrategie (Holismus) und es impliziert die aktive, strategiebezogene Gestaltung der Potentiale. (1) Im Hinblick auf die angestrebte Potentialkonzentration ist zunächst die trivial erscheinende Frage zu beantworten, welche Potentiale überhaupt von Bedeutung für das strategische Management sind. Geht man von einem nach strategischen Geschäftseinheiten (vgl. Abschnitt 3.4.3) gegliederten Unternehmen aus, so läßt sich diese Frage vollständig nur für zwei Untersuchungsebenen beantworten, nämlich für die fünf strategischen Felder in allen strategischen GeschäftseinheiTabelle 23.8: Ausschnitte einer Potentialliste für strategische Geschäftseinheiten (SGE) 1. Ebene
2. Ebene
3. Ebene
Leistungserstellung und -Verwertung
Produktpalette...
Organisation SGE N r . 1
Personal
... Entwicklungsingenieure ...
Finanzen und Rechnungswesen Öffentlichkeit
... Firmenimage ...
Leistungserstellung und -Verwertung
Produktpalette ...
Organisation SGE N r . X
Personal
... Vertriebsbeauftragte ...
Finanzen und
... Kreditinstitut...
Rechnungswesen Öffentlichkeit
2 Strategische Prinzipien
50
ten. In Tabelle 23.8 ist die daran ansetzende dritte Ebene lediglich exemplarisch belegt, da sie einzelfallspezifisch auszufüllen ist. Diese Vorgehensweise konzentriert sich damit nicht nur auf ein zentrales Potential, sondern auf eine Potentialliste, deren Betrachtung sich holistisch aus dem gesamten Unternehmen herleitet. (2) Holismus schlägt sich nicht nur in der Bestimmung der Ist-Potentiale nieder, sondern auch in den angestrebten Soll-Potentialen. Diese ergeben sich aus der jeweils verfolgten Gesamtstrategie sowie aus der Gesamtkonfiguration der Potentiale. Hinzu kommt ein für die mittelfristige Maßnahmenplanung wichtiger Wert, nämlich die Entwicklungsgrenze der Potentiale als maximal realisierbare Veränderung. Da strategisches Management entsprechend der in Abschnitt 1.2.2 für das ISM festgelegten Zielsetzung kurzfristig und langfristig ausgerichtet ist, bietet es sich ferner an, zwischen den heutigen Ausprägungen und denjenigen zum Ende des Planungshorizonts zu unterscheiden. (3) Als Ausgangspunkte für eine Proaktivität sind demnach drei Werte zu unterscheiden: - die Istausprägung der Potentiale, - die Entwicklungsgrenze der Potentiale und - die aus der Strategie abgeleitete Sollausprägung der Potentiale. Alle drei Werte sind - für den aktuellen Zeitpunkt sowie - für die „Zukunft" anzugeben; dabei kann „Zukunft" im Sinne des strategischen Planungshorizonts durchaus für jedes Element der Potentialliste unterschiedlich definiert sein. Unter Verwendung der zuvor definierten Potentialliste stellt sich damit die Ausgangssituation für die proaktive Maßnahmenbestimmung wie in Tabelle 23.9 dar. Die Eintragungen müssen nicht notwendigerweise numerisch erfolgen. Bei qualitativen Größen wie Firmenimage sind sie auch in verbalisierter Form möglich, sofern diese Informationen Vergleiche zulassen. Zwei Konstellationen erfordern besondere Aufmerksamkeit: A < C und Β < C In dieser Situation liegt selbst die aktuelle Entwicklungsgrenze noch unter dem Soll-Potential. Hier gibt es zwei Alternativen: Entweder wird initiativaktiv ein „crash-program" zur Erhöhung von Ist-Potential (A) und Entwicklungsgrenze (B) eingeleitet - im Personalbereich beispielsweise durch Personalakquisition. Oder aber es erfolgt eine Reduktion des Soll-Potentials (C) im Rahmen eines Strategiewechsels. Bei dieser Konstellation prägt die Initiativaktivität das Strategische Capability Management. D < F und E < F Dieser Fall verlangt nach Maßnahmen zur Erhöhung des Ist-Potentials (D) und nach Maßnahmen zur Erhöhung der zukünftigen Entwicklungsgrenze (E). Ferner
2.3 Das Prinzip strategischen Verhaltens
51
ergibt sich die Notwendigkeit einer Überprüfung der vorgesehenen Strategie, also des zukünftigen Soll-Potentials (F). Abgesehen vom ausschließlich initiativaktiven crash-program (bei A < C und Β < C) lassen sich alle aus Tabelle 23.9 abzuleitenden Strategien alternativ als Kontingenzaktivität oder Initiativaktivität realisieren: Ein initiativaktives Vorgehen basiert auf Größen, die einwertig (scharf) und offensiv definiert werden; es versucht, das Istpotential, die Entwicklungsgrenze und die Sollpotentiale zur Deckung zu bringen, um eingebaute Ineffizienzen zu vermeiden. Kontingenzaktives Verhalten operiert mehrwertig (unscharf) und defensiv. Aus Gründen der Absicherung werden die zukünftigen Istpotentiale und Entwicklungsgrenzen höher als die zukünftigen Sollpotentiale angesetzt. Pro Element der Potentialliste schließen sich - wie in Abschnitt 2.3.1.4 erläutert — Kontingenz- und Initiativaktivität aus, da mit diesen beiden Varianten jeweils grundsätzlich andere strategische Ausrichtungen verbunden sind. Diese Ausschließlichkeit wird auch an technischen Details sichtbar: So kann ein Ziel nicht gleichzeitig einwertig und mehrwertig sein. Allerdings kann ein Strategisches Capability Management unterschiedliche Elemente der Potentialliste unterschiedlich behandeln, also einen Teil der Potentiale initiativaktiv, den anderen Teil kontingenzaktiv. Tabelle 23.9: Ansatzpunkte für Proaktivität im Strategischen Capability Management Zukunft
heute Ist-
Entwick-
Soll-
Ist-
Entwick-
Soll-
potential
lungs-
potential
potential
lungs-
potential
grenze
grenze A
Β
D
C
E
F
Poten tialliste (vgl. Tabelle 23.8)
Tabelle 23.10: Konkretisierung des Strategischen Capability Managements Strategisches Capability Management Festlegung der zu betrachtenden Potentiale in der Potentialliste (Potentialkonzentration) Bestimmung der erforderlichen Sollpotentiale unter Beachtung des Gesamtbezugs (Holismus) Vergleich der Istpotentiale, Entwicklungsgrenzen und Sollpotentiale sowie Maßnahmenbestimmung und -durchfiihrung einwertig (scharf)
und/
und offensiv
oder
(Initiativaktivität)
mehrwertig (unscharf) und defensiv (Kontingenzaktivität)
52
2 Strategische Prinzipien
Zusammengefaßt (Tabelle 23.10) läßt sich das Strategische Capability Management im ISM als eine Managementform charakterisieren, die ausgehend von eigenen strategischen Istpotentialen und marktinduzierten Sollpotentialen eine systematische und gezielte Veränderungsstrategie der betrieblichen Potentiale vor dem Hintergrund der Grundstrategie des Unternehmens praktiziert.
2 . 3 . 3 . 2 . 2 . 2 Beispiel: Sozialbilanz Daß ein Strategisches Capability Management im Personalbereich oder auf dem Feld Leistungserstellung und -Verwertung stattzufinden hat, liegt nahe. Das Capability Management im ISM betrifft aber alle Felder, also auch das Feld Öffentlichkeit, auf das an dieser Stelle exemplarisch eingegangen werden soll: Als eine mögliche Teil-Umsetzung des Capability Managements auf dem strategischen Feld Öffentlichkeit bietet sich die Adaption des Konzeptes der Sozialbilanz (vgl. Mintrop 1976; Kissel/Wolf 1977; Heymann 1981; v. Wysocki 1981) an. Als gesellschaftsorientierte Rechnungslegung bestimmt das Corporate Social Accounting den Nutzen und den Schaden für die Öffentlichkeit, der durch die Unternehmensaktivitäten unmittelbar und mittelbar entsteht. Bei der Aufstellung von Sozialbilanzen gibt es diverse methodische Probleme: So läßt sich der Input mit „DM für Umweltschutz" leichter bestimmen als der Output. Während derartige Probleme aus Sicht des ISM als operativ-taktisch, aber nichtsdestoweniger als wichtig und lösungsbedürftig einzustufen sind, interessiert hier die Verbindung zwischen Sozialbilanz und Strategischem Capability Management. Danach ist die Sozialbilanz so auszugestalten, daß sie die für ein Capability Management vorgesehenen Merkmale aufweist: (1) Die Sozialbilanz operiert holistisch, wenn sie sozialen Schaden und Nutzen des gesamten Unternehmens im Hinblick auf die gesamte Umwelt ausweist und dabei Interdependenzen zwischen den Umweltsegmenten berücksichtigt. (2) Potentialkonzentration verändert die Funktion der Sozialbilanz als Instrument für vergangenheitsbezogene Berichterstattung zu einem Instrument für die Feststellung eines positiven oder negativen „Umweltpotentials": Es ist also nicht wichtig, einen bestimmten Betrag für die Emissionsverringerung ausgegeben zu haben, sondern es entscheidet die Fähigkeit (das Potential) zur Realisierung niedriger Emissionswerte. (3) Die Sozialbilanz dient dann als Grundlage zur Formulierung einer proaktiven Strategie, wenn sie einen zukunftsweisenden Wettbewerbsvorteil enthält: So kann beispielsweise ein Chemiewerk durch frühzeitigen Bau und Inbetriebnahme einer Kläranlage die Einleitung von verschmutzten Abwässern in das Flußsystem weit unter die gesetzlichen Vorschriften senken und dies imagefördernd nutzen. Festzuhalten ist auch hier wieder der grundsätzliche Unterschied zwischen beiden Varianten der Proaktivität: Bei der Kontingenzaktivität steht die Absicherung von Strategien im Vordergrund. Es werden also mehrere Umweltentwicklungen antizipiert und Maßnahmen vorbereitet, die bei Eintreten von Umweltänderungen
2.3 Das Prinzip strategischen Verhaltens
53
das Unternehmen in eine günstige Lage versetzen. Bei der Initiativaktivität dagegen wird nicht nur der soziale Nutzen von Maßnahmen in den Vordergrund gestellt, sondern es wird zudem das Bewußtsein dafür in der Öffentlichkeit verstärkt beziehungsweise geweckt. Den Unterschied beider Strategien soll ein Beispiel verdeutlichen, bei dem ein Hersteller von formaldehydhaltigen Möbeln auf die (vor 1984) „schwachen Signale" einer möglichen Problematik dieses Produktes reagieren will: Bei einer Nullstrategie werden die Signale ignoriert. Bei einer kontingenzaktiven Strategie steigt der Hersteller entweder ohne Publicity auf Spanplatten und Lacke mit geringem Gehalt an Formaldehyd um oder bereitet die Umstellung zumindest vor. Diese Aktion schlägt sich nicht oder kaum in der Sozialbilanz nieder. Bei der initiativaktiven Strategie dagegen bietet sich folgendes Vorgehen (ex post, also beginnend vor 1984) an: (a) radikales Senken des Formaldehydgehalts in den verwendeten Ausgangsstoffen (Spanplatten, Lacke), (b) Alarmieren der Öffentlichkeit, also Warnung vor möglichen schädlichen Wirkungen von Formaldehyd durch Angabe von gefährlichen Grenzwerten und (c) Hervorheben der Tatsache, daß (nur) die eigenen Produkte weit unter diesen Grenzwerten liegen. Der (temporäre) Wettbewerbsvorteil der kontingenzaktiven Strategie gegenüber der „Nullstrategie" setzt dann ein, wenn in der Öffentlichkeit beispielsweise aufgrund des Formaldehyd-Berichts (BfAS 1985) ein Anti-Formaldehyd-Bewußtsein entsteht; tritt eine derartige Entwicklung nicht ein, behält die „Nullstrategie" den Wettbewerbsvorteil. Bei der Initiativaktivität versucht das Unternehmen daher selbst eine entsprechende öffentliche Meinung zu schaffen; gelingt dies, ergibt sich daraus sofort ein (temporärer) Wettbewerbsvorteil. Gerade eine initiativaktive Strategie bietet daher die Chance, ökonomischen Gewinn mit sozialem Nutzen zu koppeln - wobei es dann letztlich gleichgültig ist, aus welchem Grund (ökonomischer Gewinn oder sozialer Nutzen) die Strategie gewählt wurde.
2.3.3.2.3 Strategisches Surprise Management 2.3.3.2.3.1 Vorgehensweise Die Literatur zum strategischen Management kennt den Begriff „strategic surprise management" bereits seit längerem (vgl. Ansoff 1980 a, 131-132; Ansoff 1984, 24-25), wenngleich konkrete Vorschläge für seine Ausgestaltung weitgehend fehlen. Die Aufgabe des Strategischen Surprise Managements im ISM liegt als antizipatives Krisenbewältigungsmanagement bei potentiellen Krisen (vgl. Krystek 1981, 159-183) in der Verhinderung negativer Konsequenzen von strategischen Überraschungen, nicht aber in der Beseitigung ihrer negativen Konsequenzen. Das Strategische Surprise Management macht also keine Aussagen darüber, wie eine akute und
2 Strategische Prinzipien
54
gravierende Krise bewältigt werden sollte. Es versucht vielmehr, durch kontingenzaktives Verhalten Überraschungen zu verhindern, indem sich das Unternehmen auf alternative Umweltentwicklungen einstellt: Strategisches Surprise Management = Komplexitätsreduktion und/oder Potentialkonzentration + Elementarismus + Kontingenzaktivität. Diese strategischen Merkmale lassen sich auf drei klar abgrenzbare Schritte zuordnen, die Abbildung 23.1 im Vorgriff auf die nachfolgenden Ausführungen zeigt. (1) Um bedrohliche Entwicklungen zu lokalisieren, werden im ersten Schritt gezielt die Vereinfachungsmechanistnen Komplexitätsreduktion und Potentialkonzentration eingesetzt: Aufgabe der Komplexitätsreduktion ist es, die Umwelt in ihrer gesamten Breite vereinfacht abzubilden. So wird zum Beispiel im Rahmen eines Environmental Scannings die Umwelt in geeignete Indikatorvariablen transformiert. Diese stellen dann im Sinne eines auch „schwache Signale" (vgl. An-
Komplexitätsreduktion
(Schritt 1)
Potentialkonzentration
(Schritt 2a) (Schritt 2b) ^
/¡\. Cfl /f\ 1
(Schritt 2 c ) (Schritt 2d)
A
Kontingenzaktivität (Schritt 3)
Abbildung 23.1: Ablauf des Strategischen Surprise Managements
A
2.3 Das Prinzip strategischen Verhaltens
55
soff 1975) erfassenden Frühaufklärungssystems (vgl. Hahn/Krystek 1979; Kirsch/Trux 1979; Müller 1981) den Ausgangspunkt für die weitere Analyse dar. Ein Beispiel für einen derartigen Indikator ist der BERI-Index, der das Anlagerisiko im Ausland erfaßt (vgl. Hake 1979). Bei der Potentialkonzentration werden dagegen im Unternehmen die zentralen Erfolgspotentiale bestimmt, wie bereits bei Erläuterung dieses Verhaltensmerkmals in Abschnitt 2.3.1 diskutiert. (2) Nach diesen Vereinfachungsoperationen sind aus der gewonnenen Datenmenge elementaristisch die relevanten Entwicklungen herauszufiltern. Für diese Selektion gibt es in Abhängigkeit davon, welche der beiden Vereinfachungsmechanismen in Schritt leingesetzt wurden, mehrere Möglichkeiten. Diese lassen sich auch kumulativ einsetzen: (2 a) Ausgehend von den über die Komplexitätsreduktion ermittelten Umweltvariablen werden diejenigen Unternehmensvariablen gesucht, bei denen eine Änderung der entsprechenden Umweltvariablen zu gravierenden Konsequenzen im Sinne von Bedrohungen oder Chancen führen würde. (2 b) Ebenfalls ausgehend von den komplexitätsreduzierten Umweltvariablen werden die „überraschbaren" Unternehmensvariablen ausgewählt; allerdings beschränkt sich jetzt die Suche auf das Ergebnis der Potentialkonzentration, also auf die zentralen Erfolgspotentiale. (2 c) Ausgehend von den im Rahmen der Potentialkonzentration bestimmten zentralen Erfolgspotentialen werden diejenigen Umweltvariablen ermittelt, von denen ein gravierender Einfluß ausgehen könnte. (2 d) Ebenfalls ausgehend von den durch Potentialkonzentration bestimmten zentralen Erfolgspotentialen wird in diesem Fall in der komplexitätsreduzierten Umwelt nach Variablen gesucht, die mögliche Auslöser für Bedrohungen oder Chancen darstellen. Unterstützt werden alle vier Varianten durch Analyse- und Prognosetechniken (vgl. Abschnitt 3.4) sowie durch adäquate Fragestellungen, die nicht auf ein „was ist wahrscheinlich?" abstellen, sondern auf ein „was könnte selbst mit an Unmöglichkeit grenzender Wahrscheinlichkeit passieren?". Hilfen bei der Prüfung möglicher Zukunftsbedrohungen bieten zudem entsprechende „was wäre wenn"-Fragen, wofür die Literatur Vorschläge macht (vgl. Hershey 1975, 24), darunter: - Was wäre, wenn die Zufahrtswege zum Werksgelände blockiert würden? - Was wäre, wenn sich unser Produktionsvorgang als gesundheitsschädlich herausstellen würde? Diese Fragen betreffen jeweils spezifische Verbindungen von Umwelt- und Unternehmensvariablen. (3) Sofern in Schritt 2 eine als wichtig und möglich eingestufte Zukunftsentwicklung lokalisiert wurde, leitet das Unternehmen schließlich entsprechende Kontingenzaktivitäten ein. Diese Maßnahmen bestehen entweder aus einer direkten strategischen Antwort auf noch nicht eingetretene strategische „Überraschungen", oder es werden zumindest Vorbereitungen für eine adäquate Reaktion getroffen. Dem
56
2 Strategische Prinzipien
Tabelle 23.11: Konkretisierung des Strategischen Surprise Managements Strategisches Surprise Management Bestimmung relevanter
und/
Ermittlung zentraler
Umweltzustände
oder
Erfolgspotentiale
(Komplexitätsreduktion)
(Potentialkonzentration)
Ermittlung möglicher überraschungsfähiger Beziehungen (Elementarismus) Ergreifen oder Vorbereiten von alternativen Schutzmaßnahmen (Kontingenzaktivität)
Grundgedanken der Kontingenzaktivität folgend, bereitet sich das Unternehmen gleichzeitig auf mehrere überraschungsfähige Umweltzustände vor. Tabelle 23.11 faßt diesen Grundaufbau des Strategischen Surprise Managements im ISM zusammen. Ein Beispiel soll die Bedeutung eines Strategischen Surprise Managements illustrieren: Am 30. September 1982 starben in Chicago sieben Menschen an vergifteten Ty/ewo/-Kapseln; als Konsequenz auf einen weiteren Vorfall wurde eine teure und image-schädigende Rückrufaktion eingeleitet (vgl. Moore 1982; Harbus News 1982). Bemerkenswert an diesem Fall ist die Tatsache, daß offenbar kein Surprise Management durchgeführt wurde. Angesichts des Verkaufs der ungeschützten Behälter in offen zugänglichen Regalen in Drugstores war ex post die Gefahr eines derartigen Vorfalls mehr als naheliegend gewesen. In der oben eingeführten Schrittfolge eines Surprise Managements wäre es Aufgabe der Schritte 1 und 2 gewesen, die gefährliche Verbindung „Aktion eines Verrückten" und „Tylenol Kapseln" zu lokalisieren, worauf in Schritt 3 ein Schutzmechanismus bei den Kapseln einzuführen gewesen wäre.
2.3.3.2.3.2 Beispiel: Personalbereich Nimmt man exemplarisch das Feld Personal, so sind hier zwei Ansatzpunkte für ein Surprise Management zu untersuchen, nämlich Überraschungen für den Personalbereich und Bewältigung von Überraschungen durch den Personalbereich: Überraschungen für den Personalbereich resultieren aus dem Zusammenspiel der Tarifpartner, der Rechtsprechung und dem soziokulturellen Umfeld. Entsprechend der Grundkonzeption des Surprise Managements ist die Suche nach potentiellen Überraschungen in zwei Richtungen durchzuführen: Auf der einen Seite wird ermittelt, welche Schlüsselpersonen oder Tarifgruppen im Personalbereich besonders anfällig für Überraschungen sind; für diese Problemgruppen wird in der Umwelt nach möglichen Ursachen für Veränderungen gesucht. Auf der anderen Seite wird nach Ereignissen wie Tarifverhandlungen gesucht, die Überraschungen beinhalten können.
2.3 Das Prinzip strategischen Verhaltens
57
Auch kriminelle oder terroristische Aktionen sind zu berücksichtigen. Beide Vorgehensweisen münden in kontingenzaktive Maßnahmen: Beispiele dafür sind vertragliche Absicherungen wie „vorbeugende" Betriebsvereinbarungen oder die Bereitstellung von Zusatzkapazität. Eine Bewältigung von Überraschungen durch den Personalbereich setzt die Entwicklung von Fähigkeiten zur Überraschungslokalisierung und -handhabung voraus: Die Mitarbeiter sollen sensitiv für ihre Umwelt werden, um Chancen und Bedrohungen verstärkt wahrzunehmen und in den Prozeß der Strategieformulierung einfließen zu lassen. Darüber hinaus sollen die Mitarbeiter „lernen", Überraschungen als (interessanten) Teil ihrer Aufgabe anzusehen und diese zu bewältigen. Wahrend das Initiieren einer derartigen Personalentwicklung durchaus in den Bereich des strategischen Personalmanagements fällt, gehören Konkretisierung und Umsetzung dieser Ausbildungsinhalte zum taktischen beziehungsweise operativen Personalmanagement.
2.3.3.2.4 Strategisches Issue Management 2.3.3.2.4.1 Vorgehensweise Bereits Ansoff (1980 a) forderte ein Issue Management und konkretisierte seine Vorstellungen zumindest teilweise (1984, 20-21). Das im ISM vorgeschlagene Strategische Issue Management geht aber über diesen Vorschlag hinaus: Seine Bedeutung liegt in der Abkehr von der Zustandsbetrachtung hin zu einer konsequenten Veränderungsbetrachtung: Nicht der „Marktanteil" löst also beispielsweise strategische Aktionen aus, sondern die „Veränderung im Marktanteil". Strategisches Issue Management = Komplexitätsreduktion und/oder Potentialkonzentration + Elementarismus + Initiativaktivität. Das Strategische Issue Management besteht danach wiederum aus drei Schritten, die Umwelt- und Unternehmensvariablen in Zusammenhang bringen (vgl. Abbildung 23.2): (1) Schritt 1 dient der Vereinfachung. Über Potentialkonzentration und/oder Komplexitätsreduktion werden ähnlich wie beim Surprise Management wichtige Verbindungen von Umwelt- und Unternehmensvariablen lokalisiert, die dann für das Unternehmen bedeutsam werden, wenn sie bestimmte Bandbreiten verlassen. Deshalb wird eine Liste dieser strategischen Variablen mit entsprechenden Bandbreiten erstellt. Im Unterschied zum Strategischen Surprise Management sind die Variablen beim Strategischen Issue Management wesentlich spezifizierter (konkreter, meßbarer), da nur so Veränderungen und damit Überschreitungen der Bandbreiten festzustellen sind. Je nach Art der Variablen bezieht sich die Bandbreite auf die Variable selbst oder auf die Veränderung der Variablen in einer vor-
58
2 Strategische Prinzipien
gegebenen Periode. Beispiele für derartige„issues" (im ISM als strategische Fragen bezeichnet) sind Dollarkurs, Sozialgesetzgebung oder protektionistische Maßnahmen. (2) Aus der Liste anstehender strategischer Fragen werden in Schritt 2 elementaristisch die sofort zu behandelnden Fragen herausgesucht. Dies sind Veränderungen in Variablen, die eine bestimmte Bandbreite verlassen. Überschreitet eine Variable ihre vorgegebene Bandbreite, wird die dazugehörende strategische Frage auf ihre Bedeutung geprüft (Elementarismus). Für die anschließende Behandlung dieser strategischen Frage kann auf das Issue Management nach Ansoff (1980 a, 137) zurückgegriffen werden: - Wenn von der strategischen Frage keine entscheidenden Veränderungen von Stärken/Schwächen oder Chancen/Bedrohungen ausgehen, wird sie als erledigt betrachtet und aus der Liste eliminiert. - Wenn von der strategischen Frage möglicherweise ein Einfluß ausgehen könnte, aber auch noch später genügend Reaktionszeit zur Verfügung steht, kommt sie auf eine Warteliste zur weiteren Beobachtung.
Potentialkonzent ration
Potentialkonzentration Komplexitätsreduktion
Strategische Variablen und ihre Bandbreiten
Proaktivität (Schritt 3) Abbildung 23.2: Ablauf des Strategischen Issue Managements
2.3 Das Prinzip strategischen Verhaltens
59
Tabelle 23.12: Konkretisierung des Strategischen Issue Managements Strategisches Issue Management Ermittlung strategischer Variablen aus Unternehmen und Umwelt durch Komplexitätsreduktion
und/ oder
Potentialkonzentration
Bestimmung von wesentlichen Veränderungen und Untersuchung ihrer strategischen Bedeutung (Elementarismus) Ergreifen der entsprechenden strategischen Maßnahmen (Initiativaktivität)
- Wenn von der strategischen Frage mit ziemlicher Sicherheit ein Einfluß zu erwarten ist und eine bereits abschätzbare Reaktionszeit vorliegt, ergibt sich die Notwendigkeit zu einer auf die Reaktionszeit abgestimmten Aktion. Dies ist vor allem der Fall bei latenten und „beherrschbar-aktuellen Unternehmenskrisen" (vgl. Krystek 1981, 184-248) sowie bei zeitlich limitierten Chancen. Der erste Fai! führt zurück zu Schritt 1, der letztgenannte Fall macht Schritt 3 erforderlich. (3) Initiativaktivität soll in Schritt 3 dazu beitragen, daß - eine mögliche Chance auch wahrgenommen, - eine entstehende Stärke auch ausgenutzt, - eine mögliche Bedrohung wirksam abgeschwächt oder - eine entstehende Schwäche tatsächlich ausgeglichen wird. Strategisches Issue und Strategisches Surprise Management sind jeweils spezielle Formen von Risikomanagement (vgl. Brühwiler 1980; Helten 1984) und von Chancenmanagement (vgl. Schwab 1976): Beide dienen also der Vorbereitung auf negativ und positiv zu bewertende Ereignisse. Das Strategische Issue Management unterscheidet sich ansonsten aber grundsätzlich vom Surprise Management: Während dort Vorbereitungen auf Aktionen der Umwelt im Mittelpunkt stehen, zeichnet sich das Issue Management aus durch seine strikte Ausrichtung auf ein frühzeitiges Gestalten des Unternehmens und der Umwelt.
2.3.3.2.4.2 Beispiel: Corporate Communication Ein im Issue Management verwaltetes Instrument ist die Corporate Communication (vgl. Demuth 1982) als strategisch geplante Vermittlung strategischer Anliegen des Unternehmens. Diese Kommunikation mit der Öffentlichkeit soll Einstellungsänderungen hervorrufen. Obwohl Corporate Communication vorrangig über Annoncen betrieben wird, geht es dabei nicht um Produktwerbung. Durch Corporate Communication soll vielmehr in der Öffentlichkeit sowie über die Öffentlichkeit beim Gesetzgeber dafür gesorgt werden, daß sich bestimmte Meinungen verändern: Dazu
60
2 Strategische Prinzipien
gehören Fragen des Steuerrechts (Quellensteuer) genauso wie Kampagnen, die die Bedeutung bestimmter Berufszweige (Ingenieure) hervorheben oder die sich mit der Staatsverschuldung befassen. Dem Charakter der Corporate Communication gemäß muß die vermittelte Botschaft widerspruchsfrei sein und über einen längeren Zeitraum konstant bleiben. Dies entbindet die strategische Ebene von einer permanenten Beschäftigung mit der Corporate Communication. Die Formulierung der Corporate Communication ist damit eine strategische Frage, die nur in gewissen Zeitabständen zur Beantwortung ansteht. Deshalb sind Auslöser zu definieren, die den Zeitpunkt für ein neuerliches Aufwerfen dieser strategischen Frage anzeigen. Potentielle Auslöser sind neben den in der Corporate Communication selbst definierten Fixpunkten (milestones) alle übrigen Strategien, die sich mit der Öffentlichkeit auseinandersetzen.
2.3.4 Resümee und Vorschau Im ISM wird die Frage, worin „strategisches Verhalten" besteht, mit einer Merkmalshierarchie beantwortet, die sich durch zwei Charakteristika auszeichnet: Sie ist umfassend, da sie eine Vielzahl verschiedener Formen strategischen Verhaltens zuläßt. Und sie ist differenziert, da sie verschiedene Formen strategischen Verhaltens unterschiedlich ausweist. Im Prinzip strategischen Verhaltens sind insofern unterschiedliche Formen strategischen Verhaltens berücksichtigt, als für jedes der drei (Ober-)Merkmale zwei Verhaltensmerkmale vorgesehen sind, und zwar - Holismus und Elementarismus zur Sicherstellung der Relevanz der behandelten Objekte, - Potentialkonzentration und Komplexitätsreduktion als Mittel zur methodischen Vereinfachung sowie - Initiativaktivität und Kontingenzaktivität als Alternativen proaktiven Handelns. Insgesamt erfüllen acht Kombinationen aus drei Merkmalen diese Bedingung, hinzukommen weitere (19) zulässige Verbindungen aus vier, fünf und sechs Merkmalen. Die zulässigen Minimalkombinationen lassen sich verdichten zu vier charakteristischen Formen strategischen Verhaltens: • Strategisches Enterprise Management • Strategisches Capability Management • Strategisches Surprise Management • Strategisches Issue Management. Diese vier Managementgrundformen schließen sich nicht aus; auf unterschiedlichen Ebenen und bezogen auf unterschiedliche Planungsobjekte sind daher auch unterschiedliche Grundformen nebeneinander einsetzbar. Als empirisch testbare Hypothese besagt das Prinzip strategischen Verhaltens, daß mit zunehmender Erfüllung der geforderten Merkmalskombinationen auch die stra-
2.4 Das Prinzip strategischer Stimmigkeit
61
tegische Effektivität zunimmt. Verwendet als präskriptive Aussage ist die Realisation der geforderten Merkmalskombinationen eine notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung für erfolgreiches strategisches Handeln. Eine holistische Strategie setzt genauso wie eine Initiativaktivität Stimmigkeit voraus. Deshalb werden durch ein Prinzip strategischer Stimmigkeit vor allem diese beiden Merkmale konkretisiert.
2.4 Das Prinzip strategischer Stimmigkeit 2.4.1 Grundüberlegung 2.4.1.1 Grundlagen strategischer Stimmigkeit 2.4.1.1.1 Konzeptionelle Grundlage Nachfolgend soll gelten: Strategische Stimmigkeit zwischen zwei (strategischen) Komponenten ist dann gegeben, wenn sich beide Komponenten der intendierten Strategie entsprechend zueinander verhalten. Strategische Stimmigkeit ist damit nicht identisch mit Harmonie, Konsistenz oder Konfliktfreiheit; sie drückt vielmehr ausschließlich die Kompatibilität von (mindestens) zwei Komponenten vor dem Hintergrund einer konkreten Strategie aus. Diese Auffassung strategischer Stimmigkeit zeigt sich auch in der Abgrenzung von „stimmig" zu „koordiniert": So verhalten sich zwei Geschäftsbereiche trotz fehlender Koordination durchaus stimmig, wenn sie aufgrund ihrer Unabhängigkeit nicht koordiniert werden müssen, oder aber wenn sie aufgrund einer expliziten (internen) Konkurrenzstrategie in Wettbewerb zueinander gestellt werden. Ob zwei Komponenten strategisch stimmig sind, hängt also im ISM nicht nur von den Eigenschaften dieser beiden Komponenten ab, sondern auch von der gewählten Strategie und dem situativen Hintergrund: So ist der Wettbewerb zwischen zwei strategischen Geschäftseinheiten mit der Gesamtstrategie „stimmig", wenn diese wegen fehlender Synergiepotentiale um knappe Ressourcen kämpfen sollen; liegen aber Synergiepotentiale oder funktionale Interdependenzen vor, so ist ein stark ausgeprägter Wettbewerb zwischen diesen beiden strategischen Geschäftseinheiten ein Indiz für fehlende strategische Stimmigkeit. Einer der ersten Hinweise auf das strategische Abstimmungsproblem findet sich bei Hofer (1978, 13): Er verlangt gleichgerichtete Strategiekomponenten, wobei dieser Zustand in seinem „functional policy vector diagram" an den Richtungen der als Vektoren symbolisierten Strategiekomponenten erkennbar ist. Allerdings folgt dieser
62
2 Strategische Prinzipien
bildhaften Darstellung der Abstimmungsnotwendigkeit kein Vorschlag zur Bewältigung des Abstimmungsproblems. Gleiches gilt f ü r den bekannten 7-S-Ansatz von McKinsey, wo - strategy als angestrebtes Aktionsbündel - structure als Aufbauorganisation - systems als Ablauforganisation - style als Führungsverhalten - staff als Mitarbeiterstamm - shared values als gemeinsames Zielverständnis - skills als Fähigkeitspotential der Organisation abgestimmt werden (Waterman/Peters/Phillips 1980); eine zufriedenstellende Abstimmung soll dann erreicht sein, wenn diese sieben S-Elemente „wie sieben Kompaßnadeln in die gleiche Richtung zeigen" (Waterman 1982, 72). Diese und ähnliche Ansätze (vgl. Yavitz/Newman 1982, 2 2 5 - 2 2 9 ; Boulton 1984, 20) betonen, daß bestimmte Elemente im Hinblick auf eine erfolgreiche Strategie gleichgerichtet sein müssen. Es fehlen aber inhaltliche Konkretisierungen der abzustimmenden Komponenten sowie instrumentelle Vorschläge zu ihrer Lokalisierung und Abstimmung.
2.4.1.1.2 Theoretische Grundlage Ein Postulat f ü r strategische Stimmigkeit steckt implizit in zwei Theorien: Die bereits in Abschnitt 2.2.1 angesprochene Kontingenztheorie verlangt eine Abstimmung zwischen Umwelt und Organisation. Diese Kontingenz ist notwendige Bedingung für das Überleben einer Organisation (vgl. Thorelli 1977, 279). Die unter der Bezeichnung Konsistenztheorie zusammenfaßbaren Ansätze verlangen dagegen Abstimmungen zwischen unternehmensinternen Komponenten. Beispiele hierfür sind die konzeptionellen Vorschläge von Leontiades (1982b) zur Abstimmung zwischen Führerpersönlichkeit sowie diverse Stimmigkeitspostulate auf dem Feld Leistungserstellung und -Verwertung (vgl. Pekar 1979; Miller 1981; Stobaugh/Telesio 1983). Hinzukommen Stimmigkeiten zwischen Unternehmensideologie, Wertesystemen, Prozeßverläufen und Unternehmensstruktur (vgl. Beyer 1981, 173-176). Stellvertretend f ü r Kontingenz- und Konsistenzansätze seien ferner genannt: Wrigley (1970), Héau(1976), Grinyer/Yasai-Ardekani/Al-Bazzas (1980), Grinyer/YasaiArdekani (1982). Auch die ASTON-Studien (vgl. Grinyer 1978) enthalten Aussagen zu Stimmigkeiten. Im Gegensatz zu diesen überwiegend deskriptiv ausgerichteten Arbeiten sind Untersuchungen vom Typ „Strategy + Structure = Performance" präskriptiv interpretierbar (vgl. Rumelt 1974; Preston 1977; Thorelli 1977; Kreder 1983). Aus der Fülle der Kritik sei exemplarisch auf die Diskussion um die Arbeit von Rumelt (1974) verwiesen, wie sie sich in Christensen/Montgomery (1981), Bettis (1981), Bettis/Hall (1982) widerspiegelt.
2.4 Das Prinzip strategischer Stimmigkeit
63
Am intensivsten wurde offenbar der Zusammenhang zwischen der Divisionalisierung als Ausprägung der Grobstruktur und der Diversifikation als Produktstrategie erforscht. Deshalb soll diese Verbindung zwischen den Feldern Organisation sowie Leistungserstellung und -Verwertung nachfolgend näher betrachtet werden: In der Folge von Chandler (1962) gingen mehrere Dissertationen an der Harvard Business School dem Problem zunehmender Divisionalisierung nach. Diese Arbeiten befaßten sich mit den USA (Rumelt 1974) genauso wie mit Frankreich und Deutschland (Dyas/Thanheiser 1976), mit England (Channon 1973) sowie mit Italien (PaTabelle24.1: Diversifikations- und Divisionalisierungsgrad im Harvard Untersuchungsdesign·, verkürzt entnommen aus Pethia (1982, 1 4 - 1 5 ) , der sich auf die Originalquellen sowie auf zusätzliches nichtpubliziertes Material bezieht
(3) %
(1) „Strategie"
(2) „Struktur"
Diversifikation
Divisional
(in %)
(in %)
1950
30
20
67%
1960
47
50
106%
1970
65
77
118%
(2/1)
USA
England 1950
26
4
15%
1960
46
22
48%
1970
63
70
111%
1950
36
1
3%
1960
43
8
19%
1970
52
43
83%
1950
41
0
0%
1960
50
4
8%
1970
58
40
69%
Frankreich
Deutschland
Italien 1950
43
3
7%
1960
53
6
11%
1970
56
26
46%
Japan 1950
41
7
18%
1960
54
20
37%
1970
66
55
83%
64
2 Strategische Prinzipien
van 1976). Es folgte eine methodisch ähnliche Arbeit über Japan (Suzuki 1980). Tabelle 24.1 enthält in den Spalten (1) und (2) einen Überblick über die Ergebnisse dieser Untersuchungen. Von einer Stützung der These eines beobachtbaren Zusammentreffens zwischen Diversifikation und Divisionalisierung könnte nur gesprochen werden, wenn die rechte Spalte immer annähernd den Wert 100% ausweisen würde - was eindeutig nicht der Fall ist. Dies läßt die Möglichkeit zu, daß es keine zwingende Stimmigkeitsbeziehung zwischen beiden Variablen gibt, sondern - wie auch im Prinzip strategischer Stimmigkeit ausgedrückt - lediglich strategieabhängige Stimmigkeiten. Wissenschaftsmethodische Konsequenz aus dieser Feststellung ist die Forderung, die offenbar unzweckmäßige Beschränkung auf Übereinstimmung zwischen jeweils nur zwei Komponenten aufzugeben und Stimmigkeiten zwischen mehreren Komponenten zu untersuchen. Für die Umsetzung des Prinzips strategischer Stimmigkeit in der Praxis folgt aus dem für alle strategischen Felder nahezu durchgängig gültigen Fehlen empirisch gesicherter Erkenntnisse die Notwendigkeit individuell-heuristischer Analysetechniken. Hinsichtlich der „theoretischen" Grundlage ist zusammenfassend ein generelles, aber überwiegend implizites Plädoyer für allseitige Abstimmung zu konstatieren. Klare und empirisch fundierte Vorschläge zur Erfüllung dieser Forderungen gibt es aber soweit erkennbar nicht: Vor allem fehlen Aussagen darüber, welche Arten von strategischen Stimmigkeiten zu beachten und wie sie herbeizuführen sind.
2.4.1.2 Systematik strategischer Stimmigkeit Um deskriptiv die Vielfalt der abzustimmenden Komponenten zu berücksichtigen und um präskriptiv auf die Einbeziehung dieser Abstimmungszwänge hinzuwirken, wird im ISM eine Konkretisierung der strategischen Stimmigkeit postuliert, die auf einer Unterscheidung von „System" und „Strategie" basiert: Das System beinhaltet im ISM die Komponenten des Unternehmens sowie seiner Umwelt einschließlich ihrer Beziehungen. Diese Komponenten sind den fünf strategischen Feldern Leistungserstellung und -Verwertung, Organisation, Personal, Finanzen und Rechnungswesen sowie Öffentlichkeit zugeordnet. „System" umfaßt damit sowohl das Insystem (Unternehmen) als auch das Umsystem (Umwelt). So befaßt sich das Feld Personal hinsichtlich der Mitarbeiterqualifikationen mit dem „Insystem", hinsichtlich des relevanten Arbeitsmarktes mit dem „Umsystem". Die Strategie besteht aus Aussagen über angestrebte Ziele und/oder der entsprechenden Ressourcen-Allokation zu deren Verfolgung. Die Strategie bezieht sich ebenfalls auf die fünf strategischen Felder und ist (analog zur Differenzierung in Insystem und Umsystem) sowohl intern als auch extern orientiert. Tabelle 24.2 bringt einige Beispiele für diese spezifische Auffassung.
2.4 Das Prinzip strategischer Stimmigkeit
65
Tabelle 2 4 . 2 : Beispiele für K o m p o n e n t e n von System und Strategie im I S M Feld
System
Strategie
Leistungserstellung
P r o d u k t e mit h o h e r Q u a l i t ä t
Senken der P r o d u k t i o n s k o s t e n
Funktionalgliederung
Einführen und Stabilisieren der
und -Verwertung Organisation
Divisionalgliederung Ausgeglichene Altersstruktur
Personal
Beibehalten des Fließgleichgewichts
F i n a n z e n und
Z u n a h m e der Investitionen in
Realisieren einer gleichmäßigen
Rechnungswesen
einer bestimmten Periode
zeitlichen Verteilung von Investitionen
Öffentlichkeit
I m a g e als
Restriktive I n f o r m a t i o n s p o l i t i k
Umweltverschmutzer
Trotz der offenkundigen Symmetrie zwischen den Komponenten von „System" und „Strategie" beziehen sich die jeweils angesprochenen Komponenten auf eindeutig unterscheidbare Tatbestände: So kann beispielsweise ein Unternehmen funktional gegliedert sein („System"), gleichzeitig aber eine divisionale Gliederung anstreben („Strategie"). Die Grundgedanken der strategischen Stimmigkeit im ISM illustriert Abbildung 24.1; diese setzt, um die Vollständigkeit der abgedeckten Bereiche zu sichern, wieder an den fünf strategischen Feldern an.
A
STRATEGIE
Leistungserstellung unci - V e r w e r t u n g
Leist ungserstellung und - V e r w e r t u n g
Organisation
Organisation
Personal
Personal
F i n a n z e n und Rechnungswesen
\/
SYSTEM
F i n a n z e n und Rechnungswesen
Öffentlichkeit
Öffentlichkeit
^
> Strategie-System-Fit
A b b i l d u n g 2 4 . 1 : Systematik strategischer S t i m m i g k e i t
A
ν
66
2 Strategische Prinzipien
Es existieren somit folgende zu prüfende strategische Stimmigkeiten: Erstens ist als Intra-Strategie-Fit die strategische Stimmigkeit zwischen den Komponenten der Strategie zu prüfen. Macht die Strategie also beispielsweise Aussagen zu „Marketing" und „Personalbeschaffung", so gilt es, die strategische Stimmigkeit zwischen diesen beiden Komponenten zu prüfen. Zweitens ist als Strategie-System-Fit die Stimmigkeit zwischen den Komponenten der Strategie und allen verbundenen Komponenten im System zu analysieren. Anknüpfend an obiges Beispiel wäre daher unter anderem zu prüfen, ob die Personalbeschaffungsstrategie mit allen fünf strategischen Feldern kompatibel ist. Drittens ist als Intra-System-Fit zu prüfen, inwieweit die relevanten Komponenten im System untereinander stimmig sind; dabei wird sowohl das Insystem (zum Beispiel das Finanzierungspotential) als auch das Umsystem (wie die rechtliche Lage) berücksichtigt.
2.4.2 Formulierung Im vorangegangenen Abschnitt wurde eine Systematik entwickelt, die konkretisierende Aussagen zu den Inhalten strategischer Stimmigkeit macht. Offen bleibt lediglich die Frage, ob immer alle Komponenten aufeinander abgestimmt werden müssen. Diese Frage ist in zwei Fällen zu verneinen: - Eine ökonomisch vertretbare Unstimmigkeit bleibt unkorrigiert, wenn der Aufwand der Korrekturmaßnahme größer ist als der realisierbare Nutzen oder vermeidbare Schaden. - Eine intendierte Unstimmigkeit ist beizubehalten, solange sie der System- oder Strategieimplementation dient. So erleichtert ein als krasse Unstimmigkeit empfundener Zustand den organisatorischen Wandel, wenn er zum „Auftauen" (Lewin 1947, 3 4 - 3 5 ) der bisherigen Organisation führt und dadurch deren Veränderbarkeit fördert. Daraus ergibt sich für das Prinzip strategischer Stimmigkeit folgende Formulierung: Prinzip strategischer Stimmigkeit: Strategische Stimmigkeit als strategieadäquate Ausrichtung der strategischen Komponenten ist notwendige Bedingung für strategisches Verhalten und für strategische Effektivität. Strategische Stimmigkeit muß gewährleistet sein (1) zwischen den Komponenten einer Strategie (Intra-Strategie-Fit), (2) zwischen den Komponenten einer Strategie und den strategierelevanten Teilen des Systems (Strategie-System-Fit), (3) zwischen den strategierelevanten Teilen des Systems (Intra-System-Fit). Zulässig sind lediglich ökonomisch vertretbare oder intendierte Unstimmigkeiten. Die strategische Stimmigkeit darf für unabhängige strategische Geschäfts-
2.4 Das Prinzip strategischer Stimmigkeit
67
einheiten jeweils isoliert aufgebaut werden; für abhängige strategische Geschäftseinheiten hängt die Verbundenheit beim Aufbau der strategischen Stimmigkeit von dem Grad der Verflechtung der strategischen Geschäftseinheiten ab. Die Überprüfung der Plausibilität des Prinzips strategischer Stimmigkeit erfolgt wieder anhand entsprechender Prüffragen: (1) Liegt strategisches Handeln wirklich ausschließlich dann vor, wenn das Prinzip strategischer Stimmigkeit erfüllt ist? Ein fehlender Intra-Strategie-Fit bedeutet, daß nicht alle strategischen Maßnahmen gleichgerichtet sind. Unabhängig davon, welcher Grund für diese Unstimmigkeit vorliegt, stellt dies ein wenig effektives, weil nicht stringent-strategisches Handeln dar. Analoges gilt für den StrategieSystem-Fit und den Intra-System-Fit. (2) Gibt es Fälle, in denen das Prinzip strategischer Stimmigkeit verletzt werden kann und führt diese Verletzung zu negativen Konsequenzen? Strategische Unstimmigkeiten rufen Reibungsverluste zwischen den nicht-abgestimmten Komponenten hervor. Diese Ressourcenverschwendung reduziert unmittelbar Effizienz und Effektivität der Strategie. (3) Sind die Bausteine des Prinzips strategischer Stimmigkeit miteinander kompatibel? Da die Erfüllung einer Stimmigkeit höchstens in Ausnahmefällen kurzfristig während strategischer Änderungen andere Stimmigkeiten tangiert, ist diese Frage zu bejahen. (4) Verträgt sich das Prinzip strategischer Stimmigkeit mit den Prinzipien strategischer Effektivität und strategischen Verhaltens? Das Prinzip strategischer Stimmigkeit ergänzt das Prinzip strategischer Effektivität, da es konkretisierende Aussagen dazu macht, wie Unternehmen ihre Effektivität erreichen können; anknüpfend an das Prinzip strategischen Verhaltens gibt das Prinzip strategischer Stimmigkeit vor allem Hinweise zur Realisierung des Verhaltensmerkmals Holismus. Das Prinzip strategischer Stimmigkeit hat für die strategischen Aktivitäten drei Konsequenzen: Für die Systemgestaltung und Strategieformulierung bedeutet es, daß zu dem Produkt-Markt-Kriterium explizit als weitere Orientierungshilfe das Kriterium der strategischen Stimmigkeit tritt. Damit wird eine Strategie mit geringer Gewinnerwartung wählbar, wenn sie aufgrund zu erwartender strategischer Stimmigkeiten eine höhere Implementationschance hat. Für die Systemimplementation und die Strategieimplementation erlaubt die Anwendung des Prinzips strategischer Stimmigkeit das Lokalisieren dysfunktionaler Verbindungen. Um die Strategie erfolgreich umzusetzen, ist es erforderlich, strategische Stimmigkeit weitgehend zu schaffen beziehungsweise fehlende strategische Stimmigkeiten zu korrigieren oder zumindest durch flankierende Maßnahmen ihre negativen Konsequenzen abzuschwächen.
68
2 Strategische Prinzipien
Für die Systemkontrolle und die Strategiekontrolle bedeutet das Prinzip strategischer Stimmigkeit eine Ausweitung der Kontrollaufgaben im Hinblick auf Existenz und Verbesserbarkeit von strategischer Stimmigkeit.
2.4.3 Umsetzung 2.4.3.1 Überblick Als Umsetzung des Prinzips strategischer Stimmigkeit werden im ISM eine Reihe von Vorschlägen diskutiert, denen jeweils eine spezifische Methodik zugrundeliegt. Primär wird dabei zwischen analytischem und summarischem Vorgehen unterschieden: Wird das Problem der strategischen Stimmigkeit analytisch behandelt, so bedeutet dies eine explizite Auseinandersetzung mit diesem Phänomen, indem die einzelnen Komponenten aufgezeigt, ihre Stimmigkeiten geprüft und Änderungsvorschläge unterbreitet werden. Hierfür bieten sich zwei Gruppen von Ansätzen an: Bei optimierenden Ansätzen werden konkrete Strategien in Abhängigkeit von einer Zielfunktion ausgewählt beziehungsweise zusammengesetzt; bei den heuristischen Ansätzen dienen die vorgeschlagenen Techniken vorrangig zur Problemstrukturierung sowie zur Lösungsgenerierung. Beim summarischen Vorgehen wird davon ausgegangen, daß sich das Stimmigkeitsproblem aufgrund seiner Komplexität nicht vollkommen durch analytische Techniken lösen läßt. Deshalb zielt die summarische Umsetzung darauf, die (Gesamt-)Stimmigkeit über entsprechende Variablen indirekt zu erheben und durch diese Variablen Maßnahmen indirekt zu beeinflussen. Als Beispiel für einen nach außen orientierten Ansatz wird nachfolgend geprüft, inwieweit das Konzept der Unternehmensidentität (Corporate Identity) anwendbar ist. Für nach innen gerichtetes Vorgehen wird umfassend auf das Konzept der Unternehmenskultur (Corporate Culture) eingegangen, da dieses bei entsprechender Adaption wichtige Beiträge zur Lösung des Stimmigkeitsproblems verspricht. Tabelle 24.3: Instrumentelle Umsetzung des Prinzips strategischer Stimmigkeit Strategische Stimmigkeit Summarische Analytische Umsetzung optimierend
Umsetzung heuristisch
Fit-Chart-
Kompatibilitäts-
Strategic-Fit-
Methode
matrix
Matrix
Mustererkennung
nach
nach
außen
innen
Corporate
Corporate
Identity
Culture
2.4 Das Prinzip strategischer Stimmigkeit
69
Tabelle 24.3 zeigt die im ISM propagierte Systematik der Umsetzung des Prinzips strategischer Stimmigkeit und die Einordnung der sechs nachfolgend behandelten Ansätze. Die Fit-Chart konzentriert sich ausschließlich auf den Strategie-System-Fit. Die Kompatibilitätsmatrix berücksichtigt zusätzlich den Intra-System-Fit. Die vier übrigen Methoden decken alle drei strategischen Stimmigkeiten ab.
2.4.3.2 Analytische Umsetzung 2.4.3.2.1 Die Fit-Chart-Methode Die erste Analysetechnik zielt auf den Strategie-System-Fit und geht von folgender Problemstellung aus: Gegeben ist eine Anzahl von Strategien, die auf ihre Stimmigkeit zum System geprüft werden sollen. Die Alternativen brauchen sich nicht gegenseitig ausschließen. Ein derartiges Vorgehen basiert auf zwei Annahmen: Die Gesamtstimmigkeit muß sich additiv aus einzelnen Stimmigkeitsurteilen zusammensetzen (Additivitätsprämisse) und die Bewertung der einzelnen Alternativen darf nicht von anderen Entscheidungen abhängig sein (Unabhängigkeitsprämisse). Eine Konkretisierung findet dieser Scoring-Ansatz durch Rückgriff auf den FitChart-Approach; dieser weist eine für den Strategie-System-Fit interessante Erweiterung auf (vgl. Reed 1972; 1977): Bei den Beurteilungsvariablen wird nämlich differenziert zwischen — „Complements" als positive Beiträge, durch die eine Alternative die Gesamteffektivität des Unternehmens erhöht, und - Supplements" als Verträglichkeiten der Alternative mit den bisherigen Stärken des Unternehmens. Jede Alternative wird dann beispielsweise zwischen Ound 10 bezüglich der Complements und Supplements eingestuft. Die spaltenweise zu ermittelnde Punktsumme führt dann entsprechend dem Scoring-Ansatz zur Rangfolge zwischen den Alternativen (vgl. Tabelle 24.4). Einträge in diese Scoring-Tabelle erfolgen aufgrund von Expertenurteilen, wobei durch zusätzliche Integration von Delphi-Prozeduren sichergestellt werden kann, daß keine Gruppe (wie die Firmenleitung) im Sinne von Meinungsführern dominiert. Die Bedeutung dieses Ansatzes liegt in der analytischen Zerlegung des Gesamtproblems in Einzelfragen, die Expertenurteilen zugänglich sind. Die Fit-Chart-Methode unterstellt allerdings die Erfüllbarkeit der oben erläuterten Additivitäts- und Unabhängigkeitsprämisse. Trotz der Problematik, die mit einer subjektiven Schätzung von Verträglichkeitswerten verbunden ist, erlaubt dieser Ansatz zumindest ein tendenzielles Urteil über strategische Stimmigkeiten im Hinblick auf den Strategie-SystemFit.
2 Strategische Prinzipien
70
Tabelle 24.4: Beispiel für die Fit-Chart-Methode (modifiziert nach Reed 1977, 9) Beurteilungsvariablen
Gewichte
Alternativen 1
X
S
Complements: Verbesserung des ROI
2
5
Ausgleich von Saisonschwankungen
1
9
4
Abhängigkeiten reduzieren
1
4
2
Kostenstruktur verbessern
5
6
3
Marketing Mix verbessern
1
1
8
54
39
10
(SUMME = 10) Gewichtete Punktsumme Supplements: Top Management Fit
1
3
Größenentsprechung
2
2
0
Stimmigkeit mit Geschäftspolitik
2
1
1
Organisationsklima
2
2
3
Kapitalentsprechung
3
9
1
(SUMME = 10) Gewichtete Punktsumme
40
21
Endsumme
94
60
2
5
Rang
2.4.3.2.2 Die Kompatibilitätsmatrix Die zweite Analysetechnik ist primär auf den Intra-Strategie-Fit ausgerichtet, berührt aber auch den Strategie-System-Fit. Sie geht von folgender Problemstellung aus: • Eine Strategie besteht aus mehreren Strategiekomponenten, also beispielsweise aus Entscheidungen über Kapazitätsauslegung, Finanzierungsform und -umfang oder Marketingkonzept. • Für jede Strategiekomponente gibt es mindestens zwei Ausprägungen im Sinne möglicher Alternativen; so stehen dem Unternehmen beispielsweise alternative Finanzierungsweisen zur Verfügung. • Für jede Strategiekomponente muß genau eine Alternative gewählt werden. Das Unternehmen darf sich also beispielsweise nur für eine von mehreren Varianten zur Kapazitätsveränderung entscheiden. (Diese Bedingung ist allerdings bei Definition komplexer Alternativen leicht erfüllbar.) • Die Stimmigkeit zwischen zwei Alternativen zweier Strategiekomponenten (Kompatibilitätsindex) muß vom Entscheidungsträger abschätzbar sein; verlangt wird
2.4 Das Prinzip strategischer Stimmigkeit
71
also nicht ein summarisches Urteil über die gesamte Strategie, sondern vielmehr analytisch-zerlegte Einzelurteile über paarweise Kompatibilität. • Der Kompatibilitätsindex zwischen zwei Alternativen hängt ausschließlich von diesen beiden Alternativen ab. Eine bedingte Kompatibilität, wie beispielsweise zwischen Kapazitätsentscheidung und Finanzierungsentscheidung in Abhängigkeit von der Produktentscheidung, ist in diesem Modell nicht berücksichtigt. Es wird also auch hier die Gültigkeit der Unabbängigkeitsprämisse unterstellt. Ziel ist die Ermittlung einer Strategie, die zumindest insoweit als optimal bezeichnet werden kann, als sie eine gemessen an der Summe der Kompatibilitätswerte möglichst günstige Zusammensetzung der Strategiekomponenten realisiert. Zur Lösung dieses Problemtyps eignet sich die Kompatibilitätsmatrix (vgl. Diffenbach 1981). Für sie gilt als Zusatzbedingung: • Aus algorithmischen Gründen dürfen ausschließlich diskrete Alternativen vorliegen. Für die paarweise Beurteilung der Kompatibilität eignet sich jede mindestens stufenordinal aufgebaute Skala. Die nachfolgende Skala entspricht dieser Anforderung (vgl. Diffenbach 1981, 51-52): + + sehr kompatibel: sich stark gegenseitig unterstützend + tendenziell kompatibel: sich in geringem Umfang gegenseitig unterstützend oder ohne jegliche Interdependenz. ? Unsicherheit: Eine Aussage über die Kompatibilität kann nicht gemacht werden, weil entweder nicht genug Information vorliegt oder weil bei einer Gruppenentscheidung stark divergierende Meinungen auftreten. — tendenziell inkompatibel: in geringem Umfang konfliktär oder dysfunktional. sehr wenig kompatibel: sich gegenseitig stark behindernd. Ausgehend von einer derartigen Skala wird die Kompatibilitätsmatrix (Tabelle 24.5) erstellt, die alle Strategieelemente mit ihren Alternativen ausweist. Die rechte obere Dreieckszone nimmt dabei die einzelnen Beurteilungen auf; die linke untere Dreieckszone (schraffiert) bleibt unausgefüllt, da sie sich spiegelbildlich aus der rechten Dreieckszone ergibt. Die nachfolgende Kompatibilitätsmatrix enthält über den Vorschlag von Diffenbach (1981, 55) hinausgehend Spalten für Systemrestriktionen, zu denen die einzelnen Alternativen in unterschiedlichem Ausmaß verträglich sind. Beispiele für derartige Prüfvariablen sind Finanzrestriktionen oder das angestrebte Image des Unternehmens. Die Dreieckszone in Tabelle 24.5 realisiert dabei den Intra-StrategieTest, die rechte Zone den Strategie-System-Test. Transformiert man jede Stufe der Skala in eine Punktbewertung, so läßt sich mit Hilfe eines einfachen Computerprogramms (sukzessiver Vergleich der zulässigen Kombinationen) diejenige Strategie ermitteln, bei der die Summe der Einzelkompatibilitätswerte maximiert wird. Unter obigen Prämissen ist dies dann die Strategie mit dem größten Intra-Strategie-Fit und dem besten Strategie-System-Fit.
72
2 Strategische Prinzipien
Tabelle 24.5: Erweiterte Kompatibilitätsmatrix (erweitert nach Diffenbach 1981, 55) System-
Strategiekomponenten 1
2
3
restriktionen 1
Alterna-
12 3
123
2
3
4
5
1 2 3
tiven 1
1 2 3
2
1 2 3
3
1 2 3
/////// /////// ///////
/////// /////// ///////
/////// /////// ///////
/////// /////// ///////
/////// /////// lllllll
lllllll lllllll lllllll
Dieses Analysemodell läßt sich in Abhängigkeit von der Problemstellung erweitern: Die Skala könnte von vorneherein eine breitere Auswahl an Punkteziffern (also statt bis + + zum Beispiel —10 bis + 1 0 ) vorsehen, unzulässige Verbindungen wären durch „Minus Unendlich" zu sperren. Zudem könnte die strategische Stimmigkeit zwischen den Komponenten in unterschiedlicher Weise gewichtet werden: beispielsweise Stimmigkeiten mit der Finanzierungskomponente am höchsten, Stimmigkeiten mit einer vernachlässigbar kleinen Interessengruppe am geringsten.
2 . 4 . 3 . 2 . 3 Die Strategic-Fit-Matrix Die speziell für das ISM entwickelte Technik der „Strategic-Fit-Matrix" dient dazu, eine Strategie im Hinblick auf alle strategischen Stimmigkeiten zu überprüfen und gegebenenfalls entsprechend zu modifizieren. Je nach Grad der Verbundenheit zwischen den jeweiligen Untersuchungsobjekten wird sie für ein Gesamtunternehmen, eine Gruppe von strategischen Geschäftseinheiten oder eine einzelne strategische Geschäftseinheit erstellt. Die Strategic-Fit-Matrix ist ein heuristischer Ansatz ohne Optimierungsvorschrift. Wahrend die Kompatibilitätsmatrix von expliziten Strategiekomponenten mit jeweils mehreren wählbaren Alternativen ausgeht, setzt sich die Strategic-Fit-Matrix mit dem Gesamtkomplex auseinander, wie er nach einer (ersten) Strategieformulierung aussieht. Die Strategic-Fit-Matrix gliedert sich daher auch nicht nach individuell bereits feststehenden Strategiekomponenten, sondern hat jeweils das gesamte Spektrum der Unternehmensaktivitäten abzudecken. Ein (allgemeingültiger) Vor-
2.4 Das Prinzip strategischer Stimmigkeit
73
schlag dafür ist die im ISM vorgesehene Differenzierung nach fünf strategischen Feldern. Die Anwendung der Strategic-Fit-Matrix (vgl. Tabelle 24.6) erfolgt in sieben Schritten: In Schritt 1 wird die Strategie durch charakterisierende Statements schriftlich fixiert. Innere Logik, Kompatibilität oder Interdependenz spielen dabei keine Rolle; es geht ausschließlich darum, Aussagen über die zu untersuchende Strategie zu sammeln. Zu jedem der fünf strategischen Felder, also Leistungserstellung und -Verwertung (L), Organisation (O), Personal (P), Finanzen und Rechnungswesen (F) und Öffentlichkeit (ö) erfolgt ein Eintrag zur Strategie (ST). In Schritt 1 werden somit die Zellen ST/L, ST/O, ST/P, ST/F und ST/Ö ausgefüllt. In Schritt 2 wird analog dazu der aktuelle Zustand des Systems (SY) bestimmt. Aussagen über Kapazitätsauslastung, Innovationsfreundlichkeit der Mitarbeiter oder negatives Firmenimage gehören genauso zur Zustandsbestimmung wie das Produktionsprogramm oder der Kreditrahmen. Im Gegensatz zur Strategie (ST), die besagt, welche Ziele ein Unternehmen verfolgt beziehungsweise wohin sich ein Unternehmen entwickeln möchte, bezieht sich die Zustandsbestimmung des Systems (SY) ausschließlich auf vorhandene oder in Entwicklung befindliche Potentiale. Die Eintragungen erfolgen hier in die Felder SY/L bis SY/Ö. Während die ersten beiden Schritte der Sammlung von beschreibenden Aussagen zu System und Strategie dienen, beginnt bei Schritt 3 die Prüfung auf Stimmigkeit: Im Intra-Strategie-Test wird die Stimmigkeit zwischen den Komponenten der Strategie bestimmt. Es sind jeweils Urteile über die Stimmigkeiten zwischen den einzelnen beTabelle 2 4 . 6 : Die Strategic-Fit-Matrix
ρ S ω Η ίΛ
ρ
ρ
ρ
ρ
ρ
ρ
ρ
ρ ρ
STRATEGIE
SY/L
SY/O
SY/P
SY/F
SY/Ö
ST/L
ρ
ρ
ρ
ρ
ρ
}
?
ρ
ρ
ρ
ρ
ρ
ρ
ρ
ρ
ρ
ρ
ρ
ρ
ρ
ρ
ρ
ST/O
ρ
ρ
ST/P
ρ
ρ
ρ
ST/F
ρ
ρ
ρ
?
ST/Ö
74
2 Strategische Prinzipien
schreibenden Aussagen zur Strategie aus Schritt 1 (ST/L bis ST/Ö) abzugeben. In Schritt 3 werden somit zehn Beurteilungen für strategische Stimmigkeiten abgegeben, und zwar jeweils in die Felder links unten. Da keine mathematisch-optimierende Lösung angestrebt wird, bietet sich im einfachsten Fall folgende Skala an: + zwischen den Komponenten liegen strategische Stimmigkeiten vor, — zwischen den Komponenten liegt mindestens eine strategische Unstimmigkeit vor, ? eine Beurteilung im Hinblick auf die strategischen Stimmigkeiten erscheint nicht möglich. Schritt 4 beurteilt analog dazu in den Feldern rechts oben als Intra-System-Test die Stimmigkeiten innerhalb des Systems. Auch hier sind insgesamt zehn Beurteilungen abzugeben. Schritt 5 schließlich verlangt als aufwendigster Analyseteil im Strategie-System-Test die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Strategie (aus Schritt 1) und System (aus Schritt 2). Dieser Test umfaßt also 25 Einzelurteile. Schritt 6 setzt an den Feldern des Intra-Strategie-Tests und des Strategie-SystemTests an und eliminiert durch Modifikationen die strategischen Unstimmigkeiten innerhalb der Strategie. Soweit möglich sind dabei zusätzlich Unstimmigkeiten zwischen Strategie und System zu reduzieren. Der Entscheidungsträger kann sich hierbei, über Kostenaspekte sowie strategische Grundsatzentscheidungen hinausgehend, vor allem von drei Regeln leiten lassen: (a) Treten strategische Unstimmigkeiten im Intra-Strategie-Test überwiegend in einer Spalte oder einer Zeile auf, so deutet dies auf eine Änderungsnotwendigkeit bei der Tabelle 24.7: Beispiele für strategische Unstimmigkeiten im Intra-Strategie-Test ST/L -
ST/O
-
+
ST/P
-
+
+
ST/F
-
+
+
+
ST/Ö
ST/L
+
ST/O
+
+
-
-
-
+
+
+
ST/P ST/F
+
ST/Ö
2.4 Das Prinzip strategischer Stimmigkeit
75
entsprechenden Komponente hin; so verlangt Tabelle 24.7 oben eine Modifikation der Produktstrategie, unten dagegen eine Modifikation der Finanzstrategie, (b) Tritt eine strategische Unstimmigkeit nur in einer Zelle des Intra-Strategie-Tests auf, so ist diejenige Komponente zu modifizieren, die im Strategie-System-Test die meisten Minus-Beurteilungen aufweist: Auf diese Weise wird zusätzlich zum IntraStrategie-Fit auch der Strategie-System-Fit verbessert, was die Konvergenz des Vorgehens erhöht. In Tabelle 24.8 ist demnach zur Beseitigung der Unstimmigkeit zwiTabelle24.8: Beispiele für strategische Unstimmigkeiten im Intra-Strategie-Test und im Strategie-SystemTest SY/L ST/L 4-
ST/O ST/P
4-
-
4-
+
+
ST/F
4-
4-
4-
+
ST/Ö
SY/O
SY/P
SY/F
SY/Ö
+
-
4-
4-
+
4
4-
+
+
4-
-
4-
-
4-
-
+
+
+
-
+
4-
+
4
+
+
Tabelle 24.9: Beispiele für strategische Unstimmigkeiten im Strategie-System-Test SY/L
SY/O
SY/P
SY/F
SY/Ö
ST/L
4·
-
4-
4-
4-
ST/O
+
-
+
4-
4-
ST/P
+
-
4-
4-
4-
ST/F
+
-
4-
4-
4-
ST/Ö
+
+
+
4-
4-
SY/L
SY/O
SY/P
SY/F
SY/Ö
ST/L
4
+
+
4-
+
ST/O
4
4-
4-
-
4-
ST/P
4-
4
4-
4-
4-
ST/F
-
-
-
4-
-
ST/Ö
+
4-
+
4-
4-
2 Strategische Prinzipien
76
Definition der Untersuchungseinheit
1 Bestimmung
Bestimmung
der
des
Strategie
Systems
Χ 3
4
5
Intra-
Intra-
Strategie-
Strategie-
System-
System-
Test
Test
Test
Λ .c
α 3
Strategieund Systemänderung
7 System: N a c h - und Feinabstimmung
X S y s t e m i m p l e m e n t a t i o n und S t r a t e g i e i m p l e m e n t a t i o n
Abbildung 24.2: Schaffung von strategischen Stimmigkeiten über die Strategic-Fit-Matrix
sehen Personalstrategie und Organisationsstrategie eine Änderung der Personalstrategie sinnvoller als eine Änderung der Organisationsstrategie. (c) Wenn im Strategie-System-Test Unstimmigkeiten auftreten, die sich auf denselben Systemzustand beziehen (also in der Matrix untereinander liegen), weist dies auf die Notwendigkeit einer Systemänderung hin; werden dagegen mehrere Unstimmigkei-
2.4 Das Prinzip strategischer Stimmigkeit
77
ten zwischen Strategie und System durch die gleiche Strategiekomponente hervorgerufen (also in der Matrix waagrecht nebeneinanderliegend), so signalisiert dies eine Modifikationsempfehlung für diese Strategiekomponente. So zeigt Tabelle 24.9 oben eine Situation, die nach einer Änderung im Bereich der Unternehmensorganisation verlangt; unten dagegen dürfte eine Korrektur der Finanzstrategie notwendig werden. Nach jeder Änderung in Schritt 6 erfolgt eine Wiederholung der Stimmigkeitsprüfungen der Schritte 3 bis 5. Diese Iteration findet ein Ende, wenn Intra-Strategie-Test und Strategie-System-Test allenfalls noch Unstimmigkeiten ausweisen, die nach dem Prinzip strategischer Stimmigkeit als ökonomisch-vertretbare oder intendierte Unstimmigkeiten zugelassen sind. Danach befaßt sich Schritt 7 mit den Intra-System-Fits und versucht, durch Systemänderungen Unstimmigkeiten zu beseitigen. Um allerdings die Konvergenz des Verfahrens nicht zu gefährden, darf nicht ausschließlich auf die Schaffung von weiteren Intra-System-Fits geachtet werden: Vielmehr stehen in Schritt 7 nur solche Änderungen zur Auswahl, die keine negativen Konsequenzen auf den Strategie-System-Fit haben. Die bereits realisierten Strategie-System-Fits sind somit als Nebenbedingungen aufzufassen. Im Ergebnis stellt die Strategic-Fit-Matrix somit eine Heuristik dar, die iterativ über Veränderungen in Strategie und System die strategische Stimmigkeit verbessert, bis die Matrix über die oben aufgezeigten Abbruchkriterien ein Ende der Iteration signalisiert. Im Gegensatz zu den beiden bereits diskutierten Techniken operiert die Strategic-Fit-Matrix auf einem wesentlich größeren Objektbereich und kommt mit unstrukturierteren Informationen aus, liefert aber keine optimale Lösung.
2.4.3.2.4 Die Mustererkennung 2.4.3.2.4.1 Mustererkennung als Grundmethodik Der Objektbereich strategischen Managements zeichnet sich durch eine Vielzahl zu verarbeitender Informationen aus. Daß diese Informationsverarbeitung überhaupt möglich ist, kann zum Teil auf die (unbewußte) Fähigkeit des Menschen zur Mustererkennung und damit zur Komplexitätsreduktion zurückgeführt werden. Die algorithmengestützte Mustererkennung versucht diese Fähigkeit abzubilden (vgl. Duda/ H a r t 1973; Fu 1974; Gelsema/Kanal 1980; Niemann 1974; Young/Calvert 1974; Niemann 1980) und damit letztlich auch zur Lösung betriebswirtschaftlicher Probleme nutzbar zu machen (vgl. Fogler 1974; Felsen 1975; Blin/Whinston 1977; Mertens 1977; Miller/Friesen 1977; Miller/Friesen 1978; Scholz/Rumpf 1979; Scholz 1981 b; Miller 1982). Vorschläge zu einer Grundmethodik der Mustererkennung wurden an anderer Stelle unterbreitet (vgl. dazu Scholz 1980; Scholz 1981b; Scholz 1984 f) und sollen hier kurz zusammengefaßt werden. Wichtig ist zunächst die Differenzierung zwischen Profil und Muster:
2
78
Strategische Prinzipien
Ein Profil ist ein Satz von Daten eines Untersuchungsobjektes; die gemeinsame Untersuchung von mehreren Profilen dient dann zur Feststellung von (gemeinsamen) Mustern. Untersuchungsobjekte sind zum Beispiel mehrere Unternehmen und/oder mehrere Perioden. Die Profile (und die damit zu realisierenden Muster) können -
zeitpunktbezogen zeitraumbezogen
aus ursprungszeitidentischen Variablen bestehen oder den (zeitlichen) Verlauf einer Variablen ausdrücken.
Das Profilgebirge in Abbildung 24.3 verdeutlicht diese Alternativen für den Ein-Unternehmen-Fall: Aus Werten von vier Variablen zu vier Zeitpunkten werden zeitpunktbezogene (Querschnitt-)Profile und zeitraumbezogene (Längsschnitt-)Profile gebildet. Zum Ähnlichkeitsvergleich zwischen den Profilen werden in der Literatur mehrere Ähnlichkeitsmaße vorgeschlagen (vgl. Bock 1974, 3 5 - 4 8 ; Chen 1977; Jardine/Sibson 1971, 3 - 3 4 ; Vogel 1975, 7 8 - 9 3 ) . An der menschlichen Wahrnehmung orientiert ist das dualistische Ähnlichkeitsmaß (Scholz 1981 b, 164): Es bietet sich für betriebswirtschaftliche Fragestellungen an, da es „optisch" ähnliche Profile zusammenfaßt.
PI
Abbildung 24.3: Profilgebirge
2.4 Das Prinzip strategischer Stimmigkeit
79
Ausgehend vom Ähnlichkeitsvergleich zwischen den Profilen, werden Cluster gebildet und typische Muster innerhalb der Cluster gesucht. Bei dieser Musterextraktion kann wie folgt vorgegangen werden: - Zunächst wird graphisch oder numerisch eine Musterhüllkurve konstruiert. Beide Varianten weisen pro Merkmal Minimum, Maximum und Durchschnitt aus, die
80
2 Strategische Prinzipien
numerische Variante zusätzlich statistische Maße wie die Standardabweichung. Wenn die Musterhüllkurve bezogen auf ein vorzugebendes Anspruchsniveau durchwegs schmal ausfällt, stellt das Durchschnittsprofil das gesuchte Muster dar und die Analyse des betreffenden Clusters ist beendet; im anderen Fall werden Splitting oder Fokusierung erforderlich. - Beim Splitting wird das Cluster durch eine hierarchische Clusteranalyse in zwei oder mehr Teilmengen aufgespalten. - Eine breite Musterhüllkurve entsteht bereits durch ein einziges Ausreißer-Profil. Deshalb wird sukzessive jeweils das Profil aus dem Cluster eliminiert, das dem gerade aktuellen Durchschnittsprofil am unähnlichsten ist (Fokusierung). - Alle bei der Fokusierung eliminierten Profile werden analog zu oben auf Muster untersucht. Abbildung 24.4 zeigt ein Beispiel für dieses Vorgehen. Auf diesem Grundansatz baut die hierarchische Musterextraktion auf, die Muster in bereits gefundenen Mustern sucht: Es gehen die Musterbezeichnungen einer vorangegangenen Musterextraktion als Input-Profile in eine weitere Extraktion ein, die wieder nach dem Grundansatz abläuft. Die hierarchische Musterextraktion ist damit strikt von der hierarchischen Clusteranalyse zu trennen. Ein Beispiel soll die hierarchische Musterextraktion verdeutlichen: Tabelle 24.10 zeigt oben eine Klassifikation, bei der aus 28 Profilen (7 Unternehmen, 4 Jahre) mit Tabelle 24.10: Beispiel f ü r hierarchische Musterextraktion Jahr
1965
1970
1975
1980
Unternehmen 1
41335
51436
57779
57789
2
31435
41434
6 7 879
67779
3
41434
51435
5 7 879
57779
4
31335
37736
41435
41336
5
31434
37734
37744
67879
6
41335
48 7 3 5
4 8 836
58778
7
31344
37 8 4 4
4 7 846
67 889
Jahr
1965
1970
1975
1980
Unternehmen 1
A
A
C
C
2
A
A
C
C
3
A
A
C
c
4
A
Β
A
A
5
A
Β
Β
C
6
A
Β
Β
C
7
A
Β
Β
C
2.4 Das Prinzip strategischer Stimmigkeit
81
jeweils fünf Merkmalen Muster extrahiert werden. Das Ergebnis besteht aus drei Mustern (A, B, C). Für den hierarchischen Ansatz werden jetzt ausgehend von diesen drei Mustern sieben neue Input-Profile gebildet, die angeben, welche Muster die sieben Unternehmen im Zeitablauf durchlaufen („Unternehmensstadien"). Eine Klassifikation dieser sieben Profile aus vier Merkmalen ergibt zwei Muster „2. Ordnung": Beim ersten Muster (Unternehmen 1 bis 3) geht Stadium A direkt in Stadium C über, beim zweiten Muster (Unternehmen 5 bis 7) wird das Zwischenstadium Β durchlau-
U
ν. Profilsegment
(Umwelt)
E
S
(Erfolg)
(Strategie)
Untersuchungsrichtung Unternehmen
Γ^
1 2
X
U1
X El
3
X
stabil
X gut
4
X
5
X
6
X
7
X
8
X
X E2
9
X
X schlecht
10 11
X
13
X
14
u
X
S1 Spezialisierung
X S2
low c o s t / high volume
w
X
^
12
. ^
(χ)
w (χ)
Diversifikation
Í
X E3
X S3
X dynamisch
X gut
X Konsolidierung
15
X
X
16
X
X
17
X
X
18
X
X E4
X S5
19
X
X schlecht
X Spezialisierung
20
U2
w
Abbildung 24.5: Beispiel für die segregierende Musterextraktion
V ^ x y S4
X
82
2 Strategische Prinzipien
fen. Lediglich Unternehmen 4 entwickelte sich offenbar atypisch; dieses Entwicklungsprofil kann auf keines der beiden Muster „2. Ordnung" zugeordnet werden. Auch die segregierende Musterextraktion, die strikt von der partitionierenden Clusteranalyse zu trennen ist, verwendet den Grundansatz. Sie geht von Profilen aus, die in Segmente zerlegt werden, denen jeweils eine eigenständige Bedeutung zukommt. Auf diese Segmente wird sukzessive der Grundansatz angewendet: Nachdem auf Teilprofil i insgesamt m Muster gefunden wurden, erfolgen auf dem Teilprofil i + 1 jeweils m unabhängige Musterkennungsprozesse. Abbildung 24.5 bringt ein Beispiel für diesen Ansatz: Hier wurden die Unternehmensprofile in jeweils drei Segmente (Umwelt, Erfolg, Strategie) zerlegt. Die zu einer gemeinsamen Musterhüllkurve gehörenden Profile sind jeweils zusammengefaßt, die durch Fokusierung oder Clusterbildung ausgeschiedenen Profile sind ausgeklammert. Das Ergebnis dieses Ansatzes sind situative Aussagen dazu, welche Strategie bei welcher Umweltsituation erfolgreich war.
2.4.3.2.4.2 Stimmigkeit durch Mustererkennung Konnten aus den Profilen charakteristische Muster extrahiert werden, so ermöglicht dies verschiedene Formen von Aussagen über Stimmigkeiten: (A) Statische Stimmigkeiten beschreiben die zeitgleiche Existenz zweier Muster. Zeitraumbezogene Analysen dynamischer Stimmigkeiten dagegen machen Aussagen darüber, ob zwei Muster hintereinander auf der Zeitachse auftreten. (B) Beim deskriptiven Vorgehen wird lediglich festgestellt, daß offenbar zwei Muster gemeinsam beziehungsweise hintereinander vorkommen. Daraus wird dann auf Stimmigkeit geschlossen; fehlen kausale Erklärungen, muß evolutionstheoretisch (vgl. Miller 1981) damit argumentiert werden, daß sich offenbar nur bestimmte Zusammenstellungen als (über-) lebensfähig erwiesen haben. Der präskriptive Ansatz verwendet zusätzlich Informationen darüber, wie gut zwei Muster harmonieren. Daraus werden Vorschläge zur Herstellung von Stimmigkeiten abgeleitet. (C) Schließlich wurde bereits oben differenziert zwischen - dem Grundansatz, der aus Profilen Muster extrahiert, - dem hierarchischen Ansatz, der bereits definierte Muster in „Eingabeprofile" transformiert und daraus Muster höherer Ordnung definiert, sowie - dem segregierenden Ansatz, der Muster über Teilprofile bildet. Setzt man die 2 x 2 x 3 Alternativen dieser drei Dimensionen zusammen, so resultiert dies in 12 Möglichkeiten zur Bestimmung von strategischer Stimmigkeit mit Hilfe der Mustererkennung. Für die Wahl der zu verwendenden Alternative ist wie folgt vorzugehen: (1) Die Entscheidung zwischen statischem und dynamischem Ansatz resultiert aus der anstehenden Fragestellung. (2) Die Entscheidung zwischen deskriptivem und präskriptivem Ansatz ergibt sich aus den beschaffbaren Daten.
2 . 4 D a s Prinzip strategischer Stimmigkeit
83
(3) Die Wahl der Methode hängt von den beiden vorangegangenen Entscheidungen ab: So lassen sich beispielsweise präskriptive Fragestellungen eher mit segregierender Mustererkennung beantworten. Vier Beispiele sollen stellvertretend für die 12 Alternativen stehen: (a) Statisch - deskriptiv - Grundansatz Tabelle 24.11 zeigt zwei Muster, die ansatzweise empirisch bereits nachgewiesen wurden (vgl. Scholz 1982c, 985). Sie korrespondieren mit Überlegungen aus der kybernetischen Systemtheorie: • Im Falle der Ultrastabilität (vgl. Ashby I960, 80-99; Scholz 1981a, 57-59) reagiert das Unternehmen als Ganzes auf eine Umweltänderung und versucht sich über eine holistische Strategie auf die Umwelt einzustellen. Die hohe Anzahl involvierter Komponenten erfordert geeignete Mechanismen zur Komplexitätsreduktion. • Im Einklang mit der Theorie der „nearly decomposible systems" (Simon 1962, 473-477) reagiert das System bei einer multistabilen Strategie (vgl. Ashby 1960, 205-217; Scholz 1981a, 57-59) dagegen durch zeitweise entkoppelte Komponenten. So ist es möglich, schnell auf einzelne Umweltsegmente einzuwirken, um einzelne Potentialfaktoren zu verbessern. Tabelle 24.11: Strategische Stimmigkeit (statisch - deskriptiv - Grundansatz) ja
χ I 1 II
teilweise
nein
ja
Holismus
Holismus
l l l l f
f i l l i
Elementarismus
Elementarismus
H i l l Komplexitätsreduktion
II
1
x
teilweise
II
nein
I ΙΤ
II 1 1 x χ ι ι J! Komplexitätsreduktion
Potentialkonzentration
Potentialkonzentration
H i l l
U l l i
Kontingenzaktivität
Kontingenzaktivität
II
H i l l
Iii
Initiativaktivität
Initiativaktivität
Ultrastabile Muster
Multistabile Muster
2 Strategische Prinzipien
84
Ob aus derartigen Mustern Hinweise auf strategische Stimmigkeiten abgeleitet werden können, hängt von der empirischen Trennschärfe ab: Taucht beispielsweise Holismus immer mit Komplexitätsreduktion auf, Elementarismus dagegen nie, so lassen sich daraus Hypothesen über die Kompatibilität ableiten. (b) Dynamisch - deskriptiv - hierarchisch Dieser Ansatz wurde bei Tabelle 24.10 verwendet, mit der die hierarchische Musterextraktion eingeführt wurde: Im Beispiel von Tabelle 24.10 dürften offenbar die Muster Β und C zeitlich im Anschluß an Muster A stimmig sein, nicht aber die Muster A oder Β nach C. (c) Statisch - präskriptiv - segregierend Im präskriptiven Ansatz genügt es nicht, daß zwei Muster miteinander koexistieren; es muß vielmehr auch ein vorgegebenes Anspruchsniveau für die realisierte Effektivität erfüllt sein. Auch hierfür wurde bereits ein Beispiel diskutiert, und zwar im Zusammenhang mit dem segregierenden Ansatz (Abbildung 24.5). Tabelle 24.12: Strategische Stimmigkeit (statisch - präskriptiv - hierarchisch) Personal
Typ PI
Bedarfsplanung
Χ
|
|
|
|
X
Beschaffungsplanung
Χ ι
Ι 1
Ι 1
I 1
] I
X 1
Personalentwicklungsplanung
Ι I
Anreizsysteme
| nein
Organisation Typ O l
Typ 0 2
Feinstruktur
| I
Grobstruktur
X
j
j
Organisationsklima
|
X
|
Feinstruktur
|
X
j
Grobstruktur
|
|
X
Organisationsklima
X
j
|
nein
i
Ι
i
X
ja
i
Typ P2
I |
i
X
Ι Χ
|
ja
nein
I
Χ X
i
I i | ja
2.4 Das Prinzip strategischer Stimmigkeit
85
(d) Statisch - präskriptiv - hierarchisch In Tabelle 24.12 werden Muster aus dem strategischen Organisationsmanagement und dem strategischen Personalmanagement miteinander verbunden: Im ersten Schritt werden unabhängig voneinander aus den Profilen der Datenbasen „Organisation" und „Personal" Muster gebildet; in diesem (hypothetischen) Beispiel ergeben sich je zwei Muster für Organisation (Ol und 0 2 ) und Personal (PI und P2). Im zweiten Schritt wird die Crosstabulation zur Ermittlung des gemeinsamen Auftretens durchgeführt; so dominieren beispielsweise die Kombinationen 0 1 / P 2 und 02/P1. Im dritten Schritt wird präskriptiv strategische Stimmigkeit bestimmt. Die günstigste Kombination ist dabei (im Gegensatz zum deskriptiven Ansatz) anhand von empirischen Effektivitätswerten festzulegen. Insgesamt kann festgestellt werden, daß es mehrere Möglichkeiten zur Bestimmung strategischer Stimmigkeiten mit Hilfe der Mustererkennung gibt. Gerade diese Vielfalt der Ansätze erlaubt ein Eingehen auf die konkreten Probleme des Einzelfalles, weshalb die Mustererkennung ein geeignetes Mittel zur Bestimmung strategischer Stimmigkeiten ist.
2.4.3.3 Summarische Umsetzung 2.4.3.3.1 Unternehmensidentität (Corporate Identity) Im Gegensatz zu den vorangegangenen Techniken wird bei der summarischen Umsetzung des Prinzips strategischer Stimmigkeit nicht auf einzelne Komponenten und deren Stimmigkeit untereinander abgestellt. Stattdessen wird die strategische Stimmigkeit als Ganzes über entsprechende Variablen indirekt bestimmt und durch daran ansetzende Maßnahmen indirekt beeinflußt. Als einer der beiden summarischen Ansätze soll das Konzept der Unternehmensidentität adaptiert werden: Unternehmensidentität (Corporate Identity) ist die Menge aller Mechanismen, mit denen sich ein Unternehmen seiner relevanten Umwelt gegenüber präsentiert. Für die Unternehmensidentität (vgl. Martineau 1958; Margulies 1977) gibt es eine Vielzahl von Erscheinungsformen·, beispielsweise Firmenname, Produktgestaltung, Kommunikationsform, Uniformen, Fahrzeugkennzeichnung oder Briefpapier (vgl. Rechenauer/Stankowski 1969; Birkigt/Stadler 1980; Olins 1982; Antonoff 1983; Wirtschaftswoche 1983). „Unternehmensidentität" hat zwei verbundene Bedeutungen: Zum einen drückt sie als „Identität" das Charakteristische und Eigentümliche eines Unternehmens aus, zum anderen bewirkt sie im Sinne von „identisch" eine tendenzielle Übereinstimmung strategischer Handlungen.
86
2 Strategische Prinzipien
Eine klare Unternehmensidentität erleichtert kurzfristige Entscheidungen, da sie am langfristigen Leitbild der Unternehmensidentität überprüfbar sind; ferner reduziert eine ausgeprägte Unternehmensidentität die Gefahr, daß Vertreter von Teilen der Unternehmenspolitik (wie Kapitalmarktpolitik, Personalpolitik, Marketingpolitik oder Öffentlichkeitsarbeit) von außen gegeneinander ausgespielt werden, weil die Wahrscheinlichkeit f ü r unabhängige, dennoch gleichgerichtete Entscheidungen steigt (vgl. BDW1980, 472). Die Hauptzielrichtung f ü r die Anwendung von Unternehmensidentität als Umsetzung des Prinzips strategischer Stimmigkeit ist unternehmensexier«: Strategische Stimmigkeit soll dadurch realisiert werden, daß sich alle nach außen gerichteten Handlungen von Organisationsmitgliedern am angestrebten Außenbild des Unternehmens orientieren. Ein Beispiel für die Bedeutung von Unternehmensidentität im allgemeinen und des Firmennamens im speziellen ist die Umbenennung von U.S.Rubber in Uniroyal (vgl.Margulies 1977, 68): Der ursprüngliche Name „U.S.Rubber" signalisierte ein auf die USA ausgerichtetes Unternehmen mit primärem Geschäftszweck im Gummibereich. Bei Internalisierung der mit dem Namen verbundenen Aussage bedeutet dies, daß strategische Planungen und strategische Maßnahmen unter dieser Prämisse operieren. Solange die formulierte Grundstrategie tatsächlich diesem Firmennamen entsprach, trug „U.S.Rubber" zum Strategie-System-Fit und vor allem zum IntraStrategie-Fit bei. Dann verschob sich aber die Unternehmensgrundstrategie in Richtung auf ein internationales Unternehmen, das sich auch mit Chemikalien, Plastik und Fasern befaßt. Dieser Ausweitung des Geschäftszweckes steht der neue N a m e „Uniroyal" nicht mehr entgegen, die Gefahr von fehlenden Stimmigkeiten durch eine (unbewußte) Ausrichtung an „U.S.Rubber" ist damit ausgeschaltet. Ein weiteres Beispiel für eine strategiebegleitende Namensänderung ist der Wechsel von „Telefonbau und Normalzeit" in Telenorma. Das Beispiel Uniroyal zeigt aber auch eine Grundproblematik der Realisierung von Stimmigkeiten über Unternehmensidentität: Eine starke Unternehmensidentität, also in diesem Fall ein bedeutungsreicher Name, hat die Fähigkeit zur Schaffung strategischer Stimmigkeiten. Auf der anderen Seite birgt er die Gefahr, selbst zu strategischen Unstimmigkeiten zu führen; dies war nach der Ausweitung des Geschäftszwekkes bei U. S. Rubber der Fall. Umgekehrt bewirkt aber eine schwache Unternehmensidentität, also in diesem Fall der neutrale N a m e Uniroyal, kaum etwas im Hinblick auf strategische Stimmigkeiten; eine schwache Unternehmensidentität hat aber den Vorteil, keine Stimmigkeitsprobleme zu schaffen. Für dieses in analoger Form auch bei der nach innen gerichteten Unternehmenskultur zu diskutierende Problem existiert keine generelle Lösung. Vielmehr ist laufend zu prüfen, inwieweit Unternehmensidentität und intendierte Unternehmensstrategie übereinstimmen. Ergibt diese Prüfung eine Abweichung, so ist eine Anpassung der Unternehmensstrategie oder eine Änderung der Unternehmensidentität zu erwägen. Eine Änderung der Unternehmensidentität ist auch dann zu prüfen, wenn zwar
2.4 Das Prinzip strategischer Stimmigkeit
87
Übereinstimmung existiert, aber die Unternehmensidentität lediglich schwach ausgeprägt ist. Die letztliche Entscheidung über eine Änderung der Unternehmensidentität hängt von zwei schwer quantifizierbaren Größen ab: dem Aufwand der Änderung einschließlich ihrer (zumindest kurzfristig) dysfunktionalen Wirkungen und dem Nutzen der Änderung, der auch die Verringerung von Unstimmigkeitsproblemen einschließt. Abbildung 24.6 gibt einen Überblick über die Schrittfolge, die dem hier vorgeschlagenen Vorgehen zugrundeliegt. Da dieses Procedere zyklisch ist, wurde als Wartepo-
Bestimmung (Messung)
>
der Corporate Identity und der
Delay