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German Pages 371 Year 1992
CHRISTOPHER ERHARD
Strafzumessung bei Vorbestraften unter dem Gesichtspunkt der Strafzumessungsschuld
Kriminologische und sanktionen rechtliche Forschungen Begründet als "Kriminologische Forschungen" von Prof. Dr. Hellmuth Mayer Herausgegeben von Prof. Dr. Detlev Frehsee und Prof. Dr. Eckhard Horn
Band 3
Strafzumessung bei Vorbestraften unter dem Gesichtspunkt der Strafzumessungsschuld Zugleich ein Beitrag zur Struktur der in § 46 StGB verwendeten Systemkategorie "Schuld"
Von Christopher Erhard
DUßcker & Humblot . Berliß
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Erhard, Christopher: Strafzumessung bei Vorbestraften unter dem Gesichtspunkt der Strafzumessungschuld : zugleich ein Beitrag zur Struktur der in § 46 StGB verwendeten Systemkategorie "Schuld" / von Christopher Erhard. - Berlin : Duncker und Humblot, 1992 (Kriminologische und sanktionenrechtliche Forschungen; Bd. 3) Zug\.: Mainz, Univ., Diss., 1990/91 ISBN 3-428-07561-7 NE:GT
Alle Rechte vorbehalten © 1992 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany ISSN 0933-078X ISBN 3-428-07561-7
Vorwort Diese Arbeit hat dem Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der Iohannes-Gutenberg-Universität Mainz im Sommer 1990 als Dissertation vorgelegen. Seitdem erschienene Literatur konnte nur vereinzelt berücksichtigt werden. Der Streitstand ist indessen - soweit ich sehe - unverändert. Die Untersuchung unternimmt zunächst eine Bestandsaufnahme. Der eilige, mit dem gegenwärtigen Diskussionsstand zur Schuldrelevanz der Vorstrafenbelastung und zur Struktur der Strafzumessungsschuld vertraute, in erster Linie am Lösungsvorschlag des Verfassers interessierte Leser sei deshalb insbesondere auf die Kapitel B III.3.a) - d); B 1II.4 und B 1II.5. und im übrigen auf die Zwischenergebnisse und die am Ende der Arbeit unternommene Zusammenfassung verwiesen. Mein besonderer Dank gilt meinem verehrten Lehrer, Herrn Professor Dr.
A. Böhm. Ihm verdanke ich, auch für die vorliegende Arbeit, viele entschei-
dende Anregungen.
Die Reinschrift des Manuskripts besorgte Frau Waltraud Stroh; die Gestaltung der druckfertigen Fassung lag in den Händen von Frau Ursula Streng. Ihnen beiden bin ich ebenfalls zu großem Dank verpflichtet. Wiesbaden, März 1992
Christopher Erhard
Inhaltsübersicht A. EntwicldUDI und BeaI'ellZUD& der FragestellUDI. ....... ................... ...................
17
B. Die BedeutUDI der VorstrafenbeiastUDI für die Strafzumessungsschuld ...............
34
Gesetzeslage ... ..................................... ... ........... ....... ......... .. ........ .......
34
I.
1. Zur historischen Entwicldung..............................................................
34
2. Gegenwärtiger Stand ........................................................................
41
U. Dogmatischer Streitstand zur Schuldrelevanz der Vorstrafenbelastung ................
45
m.
1. Zur historischen Entwicklung...................... .................... ........ ............
45
2. Versuch eines systematischen Überblicks ...............................................
52
Der hier vertretene Lösungsansatz .......................... ................. .................
87
1. Auslegung des § 46 Abs. 1 S. 1 als notwendiger Ausgangspunkt..................
87
2. Positionsbestimmung zu einigen den Schuldbegriff des § 46 betreffenden Grundsatzfragen................................... ............ .. .............................
91
3. Die Struktur der SZM-Schuld .............................................................
141
4. Ausfiillung des hier vertretenen Struktunnodells...... .................................
205
5. Anwendung des skizzierten Struktunnodells auf die Vorstrafenbelastung ........
259
c. Konsequenzen für das Strafmaß..................................................................
304
D. ZusammenfassUDI. ...................................................................................
342
Literatunerzeichois .................................................................................. ....
353
Anhang......................................................................................................
369
Inhaltsverzeichnis
A. EntwicldUDg und Begrenzung der FragestellUDg........................ .... ..... .. .......... .
17
Empirischer Ausgangspunkt....................................................................
17
D. Ableitung der dogmatischen Fragestellung ...... .............. ... ...........................
23
m.
26
I.
Gegenstand der Untersuchung...... ................. ..........................................
IV. Abgrenzung zu friiheren, die SZM-Relevanz des "Rückfalls" betreffenden Arbeiten
27
V. Begriff der Vorstrafe..................................... ........................................
31
VI. Eigenes Vorverständnis .........................................................................
32
B. Die BedeutUDg der VorstrareobeiastUDg für die StrarzUDlessungsschuld ...............
34
I. Gesetzeslage .........................................................................................
34
1. Zur historischen Entwicklung............. ................... ..............................
34
2. Gegenwärtiger Stand .........................................................................
41
D. Dogmatischer Streitstand zur Schuldrelevanz der Vorstrafenbelastung ......... .......
45
1. Zur historischen Entwicklung............................................ ........ ..........
45
2. Versuch eines systematischen Überblicks ...............................................
52
10
Inhaltsverzeichnis a) Strafschärfung als Selbstverständlichkeit................................. ...........
52
b) Schuld als Derivat positiver Generalprivention....................................
54
c) Lebensfiihrungs- und Charakterschuldlehren.......................................
55
d) Indizkonstruktion als Einstieg in die Tatschuldbetrachtung......................
57
e) Täterpersönlichkeit und Tätergefährlichkeit als Elemente der "Tatschuld " ...
58
1) Wamfunktion der Vorstrafe ...........................................................
60
aa) Die Grundlagen des sog. ÜbelWindungsmodells ... .......... . ...............
61
bb) Das normative ÜbelWindungsmodell ................. . .........................
64
cc) Das ÜbelWindungsmodell der herrschenden Meinung ......................
66
dd) Die gegen die herrschende Meinung vorgebrachte, insbesondere kriminologische Kritik.............................................................
67
ee) Zur geringen Durchsetzungskraft solcher Kritik.............................
75
g) Weitere Argumentationsansätze ....................................... ...... ..........
77
aa) Geschärfte Verbotskenntnis ......................................................
77
bb) Geschärftes Strafwürdigkeitsbewußtsein .......................................
78
cc) Besondere kriminelle Energie .............. .... ........................... .......
78
dd) Rechtsfeindliche Gesinnung, Beharrlichkeit............ ................. ......
79
ee) Wiederholter Ungehorsam als zusätzliches Unrecht.........................
80
h) Die Gegenposition: Schuld irrelevanz der Vorstrafenbelastung .................
81
i) Zusammenfassung................................... ......... ................ . ..........
85
m. Der hier vertretene Lösungsansatz ............................................................
87
I. Auslegung des § 46 Abs. I S. I als notwendiger Ausgangspunkt..................
87
a) Schuld als Grundlage...................................................................
87
b) Nachrangigkeit des § 46 Abs. 2 ......................................................
88
c) Schwerpunktsetzung.....................................................................
88
2. Positionsbestimmung zu einigen den Schuldbegriff des § 46 betreffenden Grundsatzfragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .. . .. . ... . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . .. . . . . .. .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
91
a) Begriffliche Vorklärungen .............................................................
91
b) Zur Funktion des SZM-Schuldbegriffs ..............................................
92
aa) Strafbegrenzung als zentrale Aufgabe..........................................
92
bb) Schuldrahmentheorie als Arbeitsgrundlage .. ..... .......... ...... ......... ....
97
cc) Rechtsgüterschutz als Gegenstand......... . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
100
c) SZM-Schuld als Täterschuld oder Tatschuld? .... ........ ...... ... .... .............
102
aa) Zur Lebensfiihrungsschuld .......................................................
104
Inhaltsverzeichnis
II
bb) Zur Charakterschuld ............ .................. ............. ... .................
108
cc) Zur Tätergetährlichkeit als einem Schuldrnoment............................
111
dd) Zwischenergebnis..................................................................
112
d) "Andershandelnkönnen" als zentrale Kategorie des üblichen Tatschuldverständnisses ...............................................................................
114
aa) Zum Determinismusstreit .........................................................
115
bb) Gefahren eines schrankenlos normativen Schuldbegriffs ..... ....... .......
117
cc) Mangelnde Erklärungskraft eines empirisch-pragmatischen Schuldbegriffs, der sich ausschließlich an "Stufen des Dafiirkönnens" orientiert.
123
dd) SZM-Schuld jedoch auch kein bloßes Derivat positiver Generalprävention ....................................................................................
128
ee) Zwischenergebnis ..................................................................
134
fl) Berücksichtigung von Erschwernissen des AHKs zwar nicht hinrei-
chend, aber ergänzend notwendig...............................................
136
gg) Schlußfolgerung: Die Notwendigkeit eines strukturierten, mehrgliedrigen Modells der SZM-Schuld....................................................
140
3. Die Struktur der SZM-Schuld .............................................................
141
a) Derzeitiger Wissensstand ........ . ....... . ........... .. . ............. . ...... .. ..........
141
aa) Die Unterscheidung von Tat- und Täterkomponenten bei Bruns..........
141
bb) Tatunrecht und AHK als wesentliche Anknüpfungspunkte der herrschenden Meinung .................................................................
145
b) Kritik verbreiteter, mit Unrecht und Schuld arbeitender Auffassungen .......
147
aa) Das unklare Verhältnis der Begriffe Unrecht und Schuld im Rahmen der SZM .............................................................................
147
bb) Zweifel am weit verbreiteten Verständnis des SZM-relevanten Unrechts
158
cc) Zweifel am herkömmlichen Verständnis der SZM-Schuld (i.e.S.) .......
160
c) Skizzierung des hier vertretenen Modells: Übertragung der Struktur der Strafbegründungsschuld auf die SZM-Schuld .......... ...... ... ...................
163
d) Einordnung des hier vertretenen Strukturmodells in den gegenwärtigen Diskussionsstand ........................................................................
164
aa) Vergleichbare Ansätze in der Literatur.........................................
164
bb) Abgrenzung von abweichenden Strukturmodellen ...........................
169
e) Rechtfertigung des hier vertretenen Modells anhand der Diskussion um einen einheitlichen Schuldbegriff fiir Strafbegründung und SZM ...... ........
171
aa) Die Theorie der Deckungsgleichheit. .................... . ....... ... ............
173
bb) Die Trennungstheorie..............................................................
174
cc) Strafrahmen als relative Werteskala.. ............ ............ ......... ..... .....
177
dd) Tatbestand als ausfiillungsbedürftiger Satz.. .. .... ....... . ....... .............
179
12
Inhaltsverzeichnis ce) Die Lehren vom erweiterten Tatbegriff ........................................
181
ff) Die Position des hier vertretenen Modells: Nicht Declrungsgleichheit, aber Strukturgleichheit von Strafbegründungs- und SZM-Schuld .........
185
f) Die herrschende Verbrechenslehre als Grundlage des hier skizzierten Modells ........................................................................................
187
aa) Zur Entwicklung der personalen Unrechtslehre ..............................
187
bb) Ablehnung monistisch-subjektiver Unrechtskonzeptionen..................
189
cc) Streitige Ausgestaltungsvorschläge innerhalb der dualistischen Konzeption ....................................................................................
192
dd) Die herrschende Systematik......................................................
194
(I) Erfolgs- und Handlungsunrecht ............................................
196
(2) Schuld i.e.S ....................................................................
197
(3) Zur Unterscheidbarkeit von Unrecht und Schuld auf dem Boden der personalen Unrechtslehre...............................................
198
(3.1) Generc:lI/individuell.......... .. ...... ..................... ............
198
(3.2) Sollen/Können..........................................................
199
(3.3) Unrecht als Rechtsgütergefährdung ................................
200
(4) Einordnungsschwierigkeiten bei (strafbegründenden) Motiven und Gesinnungen............... ....................................................
202
4. Ausfüllung des hier vertretenen Strukturmodells.......................................
205
a) Das SZM-Unrecht ..................... ..................................................
205
aa) Das Ausmaß des SZM-relevanten Erfolgsunrechts ....... ........ ...........
205
bb) SZM-relevante Handlungsmodalitäten .........................................
207
cc) SZM-relevante objektiv-täterschaftliche Merkmale .......... ................
209
dd) SZM-relevante Dimensionen von Vorsatz und Fahrlässigkeit .............
210
ee) Zur SZM-Relevanz von Motiven und Gesinnungen .........................
213
(I) Die besondere Bedeutung der Einordnungsschwierigkeiten bei Motiven und Gesinnungen für das SZM-Modell............................
213
(2) Prüfung der Unrechtsrelevanz von Motiven und Gesinnungen anhand verschiedener Dc:finitionskriterien des Unrechtsbegriffs........
215
(2.1) Unrecht als generelle Kategorie.....................................
216
(2.2) WillensbetätigunglWilIensbildung ..................................
217
(2.3) Rechtsgütergefährdende Umstände der Willensbildung als Unrechtselemente......................................................
219
ff) Zwischenergebnis. ......................... . . . ..... ... ............. ..... ...........
224
gg) Zur Unrechtsrelevanz des Nachtatverhaltens .................... .............
226
b) Die SZM-Schuld i.e.S ..................................................................
228
Inhaltsverzeichnis
13
aa) Zum materiellen Verständnis der Schuld i.e.S. und dessen etwaiger Bedeutung für die Struktur der SZM-Schuld..................................
229
(1) Schuld und Vorwerfbarkeit.. .............. ............... ............. ......
229
(2) Schuld als Gesinnungsschuld ...............................................
230
(3) Schuld und Motivationsgefüge .............................................
233
bb) In generalisierenden Kategorien faßbare Erschwernisse des AHKs als Ausgangspunkt....... .... ....................... ................................. ...
234
cc) Qualitative Beschränkungen der Schuldeinschränkungen ("SchrankenSchranken") .........................................................................
237
(1) Probleme eines ausschließlich am AHK orientierten Schuldbegriffs
i.e.S..............................................................................
237
(2) Zur Berucksichtigungsfähigkeit von Haftungserwägungen bei der Schuld i.e.S. ........................................ ...........................
240
(3) Parallele zum sogenannten Vorverschulden..............................
250
dd) Die praktische Entbehrlichkeit der aus systematischen Grunden ausgeschlossenen, die Schuld i.e.S. erhöhenden Grunde am Beispiel der "besonderen kriminellen Energie" ..............................................
255
5. Anwendung des skizzierten Strukturmodells auf die Vorstrafenbelastung ........
259
a) Die Relevanz der Vorstrafenbelastung für das SZM-Unrecht...................
260
aa) Vorstrafenbelastung und Erfolgsunrecht .......................................
260
bb) Bedeutung der Vorstrafenbelastung im Rahmen der Handlungsmodalitäten .................................................................................
263
ce) Vorstrafenbelastung als objektiv-täterschaftliches Merkmal................
264
dd) Bedeutung der Vorstrafenbelastung für Vorsatz und Fahrlässigkeit ......
271
ee) Bedeutung der Vorstrafenbelastung im Kontext (möglw.) unrechtsrelevanter Motive .................................................... ,..................
278
ft) Zwischenergebnis................................... ...............................
283
b) Die Bedeutung der Vorstrafenbelastung für die SZM-Schuld i.e.S ............
284
aa) Das herrschende Konzept gesteigerter Vermeide macht .....................
284
bb) Zusammenfassende Argumente gegen die Berucksichtigung von über die Vollform der Schuld i.e.S. hinaus gesteigerter Vermeidemacht ......
287
ce) Schuldmindernde Berucksichtigung mangelnder Vorstrafenbelastung als Ausweg? .............................................................................
290
(1) Strafschärfung im Verhältnis wozu? Die Zulässigkeit eines norma-
tiven Normalfalls der Schuld i.e.S. am Beispiel des HandeIns ohne Not.................... ....................................................
291
(2) Ersttäterschaft als normativer Normalfall.. . .... ..........................
299
c) Ergebnis der systematischen Erwägungen ..........................................
302
14
Inhaltsvcrzcichnis
c. Konsequenzen für das Strafmaß..................................................................
304
I. Schuldunabhängige Strafschärfungen wegen geringerer Strafempfindlichkeit? .......
304
D. Zur Bedeutung der SZM-Schuld für die SZM i.e.S .......................................
311
1. Schuld jedenfalls als Strafobergrenze ....................................................
312
2. Stellenwertthcorie............................................................................
312
3. Schuld nur als Strafobergrenze? ................. ............... ............ ........ .......
314
4. Affinität des hier verfochtenen SZM-Schuldbegriffs zur Schuldrahmenthcorie..
316
DI. Zwischenergebnis bei Zugrundelegung der Schuldrahmentheorie ... . ..... . .. . ..... . . . .
318
IV. Einwendungen gegen die sich abzeichnende Lösung......................................
319
1. Untragbar restriktive Konsequcnzen bci vielfach Vorbestraften? ...................
319
a) Die wichtigsten ergebnisorientierten Einwände....................................
319
b) Verteidigung ............................................................................
320
aal Vorverständnis, kriminologische Ernüchterung ..............................
321
bb) Weite des Schuldrahmens.........................................................
321
cc) Faktische Wirkungen der SZM i.w.S ..........................................
322
c) Das Verhältnis zur Sicherungsverwahrung, § 66..................................
323
2. Mangelnde Eignung des Topos "Prävention"? .........................................
325
3. Mangelnde Bestimmtheit der Schuldrahmentheorie? ..................................
329
a) Der häufig der Schuldrahmentheorie entgegengehaltene Vorwurf .............
329
b) Vorteile des hier verfochtenen (und mit der Schuldrahmentheorie verknüpften) Struktunnodells................................... ...........................
331
aa) Strukturiertere Entscheidungsfindung des Tatrichters .......................
331
bb) Bessere Vergleichbarkeit..........................................................
332
cc) Revisionsrichterliche Überprütbarkeit der Entscheidungskriterien .... .. . .
334
dd) Revisionsrichterliche Überprütbarkeit der Schuldangemesscnhcit ........
334
V. Ergcbnis............................................................................................
337
1. Zusammenfassende Bewertung der Bedeutung des Struktunnodells für den Vorgang richterlicher SZM ................................................................
337
2. Konsequenzen bei unterschiedlich Vorbestraften ......................................
338
Inhaltsverzeichnis
VI. Ausblick: Zum Verhältnis von SZM i.w.S. und i.e.S. und den sich daraus für die SZM i.e.S. bei Vorbestraften möglicherweise zusätzlich ergebenden Konsequenzen
15
339
D. Zusammenfassung....................................................................................
342
Literaturverzeichnis ............... . ...... . .. ... ......... ...... . . . . . ....... . . . . . . . . ..... . . ... .............
353
Anhang ..•.........................................................................•.....................•...
369
A. Entwicklung und Begrenzung der Fragestellung I. Empirischer Ausgangspunkt
Die hier vorgelegte Untersuchung betrifft dogmatische Fragen der Strafzumessung (SZM) bei Vorbestraften. Auch gegenwärtig besteht in der Praxis und in der Literatur weitgehende Einigkeit darüber, daß es sich bei der Vorstrafenbelastung des Täters um einen wichtigen Strafzumessungsfaktor handelt, der es in vielen Fällen erlaubt, die Strafe gravierend zu erhöhen. Diese Einigkeit wird allerdings seit langem von einigem dogmatischen Unbehagen begleitet. Streit besteht darüber, wie sich solche Strafverschärfungen dogmatisch rechtfertigen lassen, welches ihre Voraussetzungen und was ihre Grenzen sind. Diese Debatte ist von einer befriedigenden Lösung nach wie vor weit entfernt. Vorliegend soll der Versuch unternommen werden, einen Beitrag zu einem Teilbereich dieser, Grundlagen der SZM berührenden, Diskussion zu leisten. Betrachtet man den dogmatischen Diskurs der Vergangenheit, so fällt zunächst auf, daß er sich fast ausschließlich mit der - übli~herweise als SZM i.e.S. bezeichneten - Zumessung der Strathöhe beschäftigt. Auch die nachfolgende Arbeit wird letztlich nicht umhinkommen, sich auf diesen Aspekt zu beschränken. Mein persönliches Interesse an den hier zu diskutierenden Fragen wurde jedoch durch empirische Erfahrungen geweckt, die Rechtstatsachen aus demjenigen Bereich betreffen, der üblicherweise als SZM i.w.S. bezeichnet wird l . Es handelt sich um Eindrücke, die ich während der Mitarbeit an zwei im Auftrag des Hessischen Ministers der Justiz durchgeführten Forschungsprojekten gesammelt habe. Beide Untersuchungen betreffen Fragen des § 57 StGB2.
1 Zum Sprachgebrauch Bruns 1985,4 f; Zipf in M/G/Z § 62 Rn 20; Roxin 1978, 192; Ebert 1985,221; Jescheck 1988, 777; Günler Hirsch in LK § 46 Rn 1 b; Lackner 1989 § 46 Anm. III.; Dreherrrröndie 1988 § 46 Rn 7; keit. Horn in SK § 46 Rn 4. 2 Böhm 1984; zusammenfassend BöhmlErhard MschrKrim 1984, 365 ff; sowie Böhm/Erhard 1988; zusammenfassend 1988a, 481 ff. 2 Erhard
18
A. Entwicklung und Begrenzung der Fragestellung
Zur besseren Einordnung des hier verfochtenen dogmatischen Ansatzes scheint es mir sinnvoll, zunächst diesen empirischen Hintergrund darzulegen. Bei den erwähnten Untersuchungen hat mich die - erfahrenen Rechtstatsachenforschern sicherlich nicht fremde, in der dogmatischen Literatur aber äußerst selten auch nur thematisierte - Beobachtung besonders beschäftigt, daß die strafverschärfende Berücksichtigung des Vorlebens, insbesondere der früheren Verurteilungen, die hinsichtlich der Entscheidung über die Strathöhe durchweg für unumgänglich erachtet wird, auf dieser Ebene der SZM i.e.S. nicht haltmacht. Bei der Betrachtung der Strafrestaussetzung erwies sich - bei allerdings erheblichen regionalen Unterschieden zwischen den Handlungsmustern der verschiedenen Strafvollstreckungskammern3 - die Vorstrafenbelastung als der (unter den betrachteten) aussagekräftigste Indikator für die Chance einer bedingten Entlassung. Nicht, wie wohl vielfach in der Öffentlichkeit vermutet, die "gute Führung", sondern Umstände, die bereits vor Strafantritt unabänderlich fixiert sind, wiesen den deutlichsten Zusammenhang mit der Chance der Strafrestaussetzung auF. Dieser Befund mag angesichts des Umstands, daß § 575 eine Entlassungsprognose verlangt, kriminologisch nicht überraschen. Er bleibt bemerkenswert, wenn man die erheblichen Auswirkungen bedenkt, die die Gewähr von Strafrestaussetzung zur Bewährung zur Folge hat. Bei dem nicht unerheblichen Teil derjenigen Verurteilten, bei denen die Restaussetzung nicht widerrufen wird6 , fällt die verbüßte Strafe im Ergebnis um ein Drittel oder um die Hälfte kürzer aus als bei denen, die ihre Strafe voll verbüßen müssen, sei es, weil ein Widerruf erfolgte oder aber auch deshalb, weil eine Restaussetzung zur Bewährung erst gar nicht versucht wurde. Der sich zunächst jenseits aller dogmatischen Bewertungen aufdrängende Eindruck, daß mit der Strafrestaussetzung eine - eben nur einem bestimmten Teil der Gefangenen gewährte - wesentliche Reduzierung des Strafübels verbunden ist, ist eines der Grundmotive, die am Anfang dieser Arbeit stehen. Versteht man die Entscheidung nach § 57 als eine das Ausmaß des auferlegten Strafübels wesentlich beeinflussende Entscheidung - eine Sichtweise, die sich gerade wegen der Bedeutung aufdrängt, die dieser Frage von seiten 3 Vgl. BöhmlErhard MschrKrim 1984,371 f; 1988a, 485 f. 4 Vgl. BöhmlErhard MschrKrim 1984, 374; Böhm/Erhard 1988, 76-78. Der Bekanntheitsgrad der "guten Führung" dürfte auf den bis 1953 geltenden Vorläufer des § 57 StGB, § 23 RGStGB, zurückgehen; vgl. dazu Jagusch in LK 7.Aufl. 1954 § 23; Kögler 1988,49. 5 Paragraphen ohne Gesetzesangabe sind solche des StGB. 6 Vgl. BöhmlErhard 1988,92 f.
Ausgangspunkt, Ableitung, eigenes Vorverständnis
19
der Gefangenen beigemessen wird - und bedenkt, daß die Wahrscheinlichkeit einer ablehnenden Entscheidung eng mit der Anzahl der Vorverbüßungen korreliert, so stellt sich diese Praxis faktisch als eine zusätzliche Strafverschärfung dar, die die üblichen Strafverschärfungen gegenüber Vorbestraften, die bereits bei der SZM i.e.S. für nötig gehalten werden, ergänzt. Die bisherige Diskussion um Rechtfertigung und um Grenzen von Strafverschärfungen gegenüber Vorbestraften dagegen hat sich fast ausschließlich mit der SZM i.e.S. beschäftigt und jene, den durchweg gleichen Personenkreis betreffenden, zusätzlichen faktischen Schärfungen bei der SZM i.w.S. meist außer Betracht gelassen. Faktische Differenzierungen des Strafübels zu Lasten mehrfach Vorbestrafter, vor allem zu Lasten detjenigen Täter, die bereits (möglicherweise mehrfache) Hafterfabrung aufweisen, wie sie hier am Beispiel des § 57 Abs. 1 aufgezeigt wurden, lassen sich auch in anderen Bereichen der SZM i.w.S. ausmachen. Die am 1.5.1986 in Kraft getretene Halbstrafenaussetzung gemäß § 57 Abs. 2 Nr. 1 erfaßt ausdrücklich nur solche Verurteilte, die erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßen. Ein bestimmter Grad der Vorbestrafung, die frühere Haftverbüßung, ist damit explizit als Versagungskriterium für die hier besonders weitreichende Möglichkeit, die Vollstreckung des Strafübels zu modifizieren, in das Gesetz aufgenommen worden. Aber auch bei der Anwendung der Prognoseklausel etwa des § 56 Abs. 1 ist zu vermuten, daß die Erwartung, "daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen" werde, häufiger bei nicht oder wenig Vorbestraften für begründet erachtet wird. Die durch Verbüßung einer Haftstrafe bereits "gewarnten" Täter dagegen werden vermutlich eher mit einer nicht ausgesetzten Strafe rechnen müssen 7 . Auch hier wird das "Vorleben" des Täters im Gesetz als Prognosekriterium ausdrücklich erwähnt (§ 56 Abs. 1 S. 2; ebenso § 57 Abs. 1 S. 2).
7 Zur Bcriicksichtigung der Vorstrafenbelastung bei § 56 siehe aus der dogmatischen Literatur etwa Dreherrrröndle 1988 § 56 Rn 6b; Lackner 1989 § 56 Anm. 4.b.aa.; Stree in Sch/Sch § 56 Rn 21; Zipf in M/G/Z § 65 Rn 21, jeweils m.w.N. Aus der Rspr. nachdrücklich OLG Düsseldorf JR 1988, 72 ff, mit noch dariiber hinausgehender Anmerkung Greger; weitere Nachw. bei Horn in sLSK § 56 Rn 3. Empirisches Material bei Kerner in KIKIS § 11 Rn 14; K10se 1989, 210 und eingehend, wenn auch vorrangig an Fragen der SZM-Disparitäten interessiert, Pfeifferl Savelsberg 1989, 17 ff; für Verkehrsdelikte Schöch 1973, 131 f; für das Jugendstrafrecht (§ 21 IGG) Pfeiffer BH 1989, 201.
20
A. Entwicklung und Begrenzung der Fragestellung
Vermutlich werden auch die besonderen Umstände der in § 56 Abs. 2 und § 57 Abs.2 Nr.2 umschriebenen Art bei hafterfahrenen Personen seltener konstatiert8 . Selbst bei der Entscheidung, ob eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe zu verhängen ist, dürfte die Vorbelastung des Täters in der Praxis beachtliches Gewicht haben9 . Man könnte sogar daran denken, die These von häufig gerade zu Lasten (mehrfach) Vorbestrafter gehenden unterschiedlich harten Gestaltungen des Strafübels über den noch als SZM (i.w.S.) bezeichneten Bereich hinaus auf alle Stufen des bei der strafrechtlichen Sanktionierung zu beobachtenden Ausfilterungsprozesses auszudehnen 1o. Denkbar wäre, daß es in einigen Bereichen bereits beim Anzeigeverhalten Unterschiede zugunsten der Ersttäter gibt ll . Auch die Polizei mag möglicherweise von den ihr in der Praxis zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, einen Sachverhalt trotz erkennbaren Tatverdachts nicht weiter zu behandeln, bei Vorbestraften seltener Gebrauch machen. Hinreichender Tatverdacht (§ 170 StPO) wird bei bislang Unauffälligen möglicherweise eher als beim bereits einschlägig Vorbestraften verneint werden ("Wer einmal lügt, ... "). Ferner ist zu vermuten, daß auch bei der Einstellung des Strafverfahrens nach § 153 und vor allem § 153a StPO die (fehlende) Vorbelastung ein wichtiges Entscheidungskriterium darstellt. Das "öffentliche Interesse" dürfte bei bereits einschlägig in Erscheinung getretenen Personen seltener für gering erachtet werden l2 • Ähnliches läßt sich auch im Hinblick auf die Diversionsmöglichkeiten des lugendgerichtsgesetzes in §§ 45,47 lGG annehmen 13 • 8 Zur Vorstrafenbelastung bei § 56 Abs. 2, § 57 Abs. 2 Nr. 2 vgl. BGH StV 1983, 502 f; 1984,375 f. 9 Zur Berücksichtigung der Vorstrafenbelastung bei § 47 siehe etwa Dreherrrröndie 1988 § 47 Rn 3,7,9; Stree in Sch/Sch § 47 Rn 11,14 jeweils m.w.N.; Rspr. bei Horn in sLSK § 47 Rn I, Nr. 3, 4; Rn 2, Nr. 2, 6; Rn 3, Nr. 6, 9; ferner OLG Düsseldorf NStZ 1986, 512 mit krit. Anm. Horn IR 1987, 292 ff. Detailliertes empirisches Material bei Hans-Iörg Albrecht 1980,97-120, zusammenfassend 120 f; rur Verkehrsdelikte auch bei Schöch 1973, 131 f. 10 10 Anlehnung an das in der Kriminologie häufig verwendete "Trichtermodell" , vgl. Kaiser 1988 § 41, Schaubild 11. 11 Etwa bei Ladendiebstahl, Beförderungserschleichung oder manchen Auffälligkeiten im sozialen Nahraum, in dem der Täter bekannt ist. 12 Vgl. aus der dogmatischen Literatur: Rieß in LR § 153 StPO Rn 28 und § 153a StPO Rn 30 m.w.N.; siehe ferner Nr. 16 RiStBV. Empirisches Material bei Blankenburg u.a. 1978, 155-161; Eisenberg 1')85 § 27 Rn 34. 13 Vgl. Heinz/Hügel 1986, 43; Pfeiffer 1985, 293. Allgemein zu dem in der jugendstrafrechtlichen Praxis möglicherweise noch deutlicher als bei Erwachsenen zu beobachtenden Prozeß des "Immer-strenger-werdens" Bußmann 1981, 354 ff und Plewig 1981, 373 ff, die vor allem pädagogische Einwände erheben. Die vorliegende Arbeit wird sich jedoch
Ausgangspunkt, Ableitung, eigenes VOIverständnis
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Auch am anderen Ende des "Trichters" (jenseits des üblicherweise der SZM i.w.S. zugerechneten Bereichs) lassen sich weitere Unterschiede vermuten. Offener Vollzug (insb. die Direktladung zum offenen Vollzug), Freigang und Urlaub sind Maßnahmen, die sich ebenfalls als Gestaltungsmodifikationen verstehen lassen, die das Strafübel - gerade aus der Sicht der Betroffenen - nicht unerheblich verändern l4 . Auch in diesem Bereich ist angesichts der prognostischen Formulierung des § 11 Abs.2 StVollzG die Vermutung naheliegend, daß mehrfach Vorbestrafte seltener oder später in den Genuß solcher Lockerungen kommen 15. Noch weitergehend könnte man gar daran denken, auch die Erschwernisse nach der Haftentlassung bei der Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu berücksichtigen. Der bereits mehrfach Sanktionierte wird es auch hier schwerer haben. Es würde allerdings mehrerer eigener empirischer Untersuchungen bedürfen, wollte man methodisch verläßlich prüfen, ob und in welchem Umfang die hier skizzierten Vermutungen zutreffen 16. Die These multipler Härterbehandlung mehrfach Auffälliger auf allen Stufen des Prozesses (jedenfalls) formeller Sozialkontrolle soll deshalb nicht im Detail weiter verfolgt werden. Daß der (wie auch immer zu bestimmende) Grad strafrechtlicher Vorbelastung jedoch zumindest an vielen Stellen dieses Prozesses mit der jeweils belastenderen Anordnung korreliert, wird man angesichts der vielfältigen Hinweise auf dieses Kriterium sowohl in der Rechtsprechung und Kommentarliteratur wie in der Rechtstatsachenforschung aber auch ohne eigene umfangreiche sekundäranalytische Betrachtung als wahrscheinlich bezeichnen dürfen 17 •
auf die Situation im stärker vom Schuldgedanken geprägten Erwachsenenstrafrecht konzentrieren. 14 Vgl. Böhm NStZ 1986, 201. 15 Hierzu Böhm NStZ 1986, 204; vgl. auch Thomas ZfStrVo 1985,223,229. Zudem hat die Nichtgewähr von Vollzugslockerungen ihrerseits negativen Einfluß auf die Chance der Strafrestaussetzung, Böhm 1984, 55 ff; BöhmlErhard 1988, 82 ff. Die geschilderten Diskrepanzen werden so zusätzlich vertieft. 16 Vermutlich wären vielfaltige, methodisch schwer eliminierbare regionale Unterschiede zu beachten. Zu den diesbezüglichen Schwierigkeiten BöhmlErhard 1988, 57-60. Die methodischen Probleme werden auch anband des materialreichen Sammelbands Pfeifferl Oswald 1989, zu Fragen regional und richterbezogen vergleichender SZM-Forschung, deutlich. 17 Siehe die, allerdings nur exemplarischen, Hinw. auf die dogmatische und die empirische Literatur in diesem Abschnitt. Bezeichnend für die Vehemenz, mit der Untergerichte, die die diesbezügliche Automatik (mit bei der SZM i.w.S. zugegebenermaßen angreifbaren Argumenten) zu durchbrechen trachten, nachgerade "zuruckgepfiffen" werden, OLG Düsseldorf JR 1987,292 und OLG Düsseldorf JR 1988, 72 sowie Greger JR 1988,74.
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A. Entwicklung und Begrenzung der Fragestellung
Beschränkt man sich zudem auf denjenigen Ausschnitt, der üblicherweise als SZM (i.w.S.) verstanden wird, so erscheint folgende Vermutung, die als eine Art Arbeitshypothese den empirischen Anlaß dieser Untersuchung bildet, zumindest plausibel: Vorbestrafte, insbesondere mehrfach Vorbestrafte, werden tendenziell nicht nur zu höheren Strafen verurteilt; verglichen mit Ersttätern und weniger Vorbelasteten haben sie außerdem auch eher mit Freiheitsstrafe als mit Geldstrafe zu rechnen und kommen seltener in den Genuß von Strafaussetzungen und Strafrestaussetzungen zur Bewährung. Für die empirische Plausibilität dieser Ausgangsvermutung spricht der Umstand, daß von der veröffentlichten Rechtsprechung auf die Ermittlung der Vorstrafenbelastung des Täters sowohl für die Entscheidung nach § 46, wie im Rahmen der §§ 47, 56, 57 durchweg großer Wert gelegt wird l8 . Daß die Vorstrafenbelastung erhebliche Relevanz für die zu verhängende Strafhöhe genießt, gilt nahezu als kriminologisches Allgemeingut l9 ; eine Korrelation der Vollverbüßung gemäß § 57 mit der Vorstrafenbelastung wird man angesichts der erwähnten und vier weiterer, insoweit übereinstimmender Untersuchungen für gesichert halten dürfen20 . Eine Rechtfertigung solcher nicht an die Schwere der begangenen Tat, sondern prospektiv an die erwartete Tätergef'ahrlichkeit geknüpfter unterschiedlicher Ausgestaltungen des Strafübels wird üblicherweise unter Hinweis auf (spezial-)präventive Erwägungen unternommen. Nur bei einem bestimmten (und angeblich bestimmbaren) Personenkreis sei es geboten, das Strafübel in vollem Umfang "auszuschöpfen"21. Eigene, vor allem in der Untersuchung zu "Strafrestaussetzung und Legalbewährung" gewonnene Eindrücke haben jedoch auch bei mir die Skepsis gegenüber Ansätzen bestärkt, die die Zufügung von (zusätzlichem) Strafübel mit 18 Siehe vorangegangene Fn, sowie zu § 46 die Nachw. bei Horn in sLSK § 46 Rn 14. 19 Vgl. etwa Eisenberg 1985 § 31 Rn 37; Pfeiffer 1985, 292 ff; eingehend Meier 1982, 182, 184-197, insb. 192 und ZStW 95 (1983),330 ff; Kürschner 1978, 103; Klose 1989, 177-180; Hans-Jörg Albrecht 1989,67 f; Oswald/Langer 1989, 209 f sowie die Nachw. bei Geiter ZRP 1988,381 Fn 78. Auch Estermann, der den Vorwurf der "Klassenjustiz" belegen will, stellt statt Korrelationen der Straflänge mit Schichtvariablen vor allem solche mit Variablen der Vorstrafenbelastung fest, 1984, 88-94. Für Verkehrsdelikte vgl. Schöch 1973, 125. Zum Stellenwert der Vorstrafenbelastung in Literatur und Rspr. zu § 46 vgl. zunächst nur Dreherrrröndle 1988 § 46 Rn 24a; Stree in Sch/Sch § 46 Rn 31; Günter Hirsch in LK § 46 Rn 79 und BGHSt 24, 198 ff: "Einer der bedeutsamsten SZM-Gründe". 20 Vgl. BöhmlErhard a.a.O.; sowie AufsattIer u.a. MschrKrim 1982, 308 ff, 316; Ohle Kriminalpädagogische Praxis 1984, 16 ff, 21; Eisenberg/Ohder 1987, 36 (Tabelle 11), 80; Dünkel/Ganz MschrKrim 1985, 167 ff. 21 Zu dieser Formulierung vgl., wenn auch auf die SZM i.e.S. bezogen, § 59 Abs. 2 Alternativentwurf 1966.
Ausgangspunkt, Ableitung, eigenes Vorverständnis
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spezialpräventiven Erwägungen rechtfertigen wollen. Unabhängig davon, ob man eine Entscheidung wie die nach § 57 Abs. 1 behandlungs- oder sicherungsorientiert versteht, gibt die angesprochene Untersuchung Anlaß zu beachtlichen Zweifeln daran, ob es den jeweiligen Entscheidungsträgern gelingt, die unter präventiven Gesichtspunkten Geeigneten für eine Straf(rest)aussetzung auszuwählen und nur tendenziell ungeeignetere (oder des weiteren Vollzugs bedürftige) Probanden der (Voll)verbüßung zuzuweisen. Der prognostische Wert aller untersuchten Entscheidungen erwies sich (gemessen an den Kriterien "Trennschärfe" und "Treffsicherheit") als gering; spezialpräventiv betrachtet erschienen die unterschiedlichen Handlungsstrategien der betrachteten Kammern als austauschbar22 • Die diesbezüglichen Befunde liegen auf der Linie allgemeiner, in der Kriminologie der siebziger und achtziger Jahre zunehmend beobachteter Erfahrungen. Die spezialpräventive Überlegenheit bestimmter Rechtsinstitute oder Handlungsstrategien ist zwar häufig behauptet und die diesbezüglichen Behauptungen sind empirisch auch kaum widerlegt worden; umgekehrt gelang es aber gerade sorgfältigen, um methodisch gründliche Ausschaltung von "Störvariablen" bemühten Untersuchungen regelmäßig ebensowenig, in diese Richtung zielende Hypothesen fundiert zu belegen23 . In juristischem Duktus wird man die kriminologische Behandlungsforschung als durch ein (angesichts der methodischen Schwierigkeiten wohl auch künftig nur schwer weiter aufheIlbares) "non liquet" geprägt bezeichnen müssen. Eine solche Bestandsaufnahme mag zum einen Konsequenzen innerhalb der Kriminologie angeraten erscheinen lassen24 • Konsequenzen ergeben sich jedoch auch für die Strafrechtswissenschaft.
11. Ableitung der dogmatischen Fragestellung
Geraten die präventiv orientierten Rechtfertigungen unterschiedlich harter Sanktionsausgestaltungen in zunehmende Schwierigkeiten, so ist es m.E. geboten, den rechtlichen Grenzen dieser (spezial-)präventiv motivierten Sank-
22 Vgl. BöhmlErhard 1988, 150 ff, zusammenfassend 187-191. 23 Vgl. exemplarisch: Hans-Jörg Albrccht 1982, 238, 245 f; eingehend Kögler 1988; zusammenfassend Kaiser 1988, § 37 Rn 66-75, § 106 Rn 4-6, § 114; Kerner BH 1989, 205. Eine ähnliche Bewertung des status quo auch bei Bock NStZ 1990a, 457 ff. 24 Diesbezügliche Vorschläge bei Bock 1988, 156 ff; siehe auch Bock 1990, 15 ff; NStZ 1990a, 460 ff(und 1984).
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A. Entwicklung und Begrenzung der Fragestellung
tionsdifferenzen verstärkte Aufmerksamkeit zu widmen25 • Institute wie das der Strafaussetzung oder der Strafrestaussetzung zur Bewährung sollen hier keinesfalls in Zweifel gezogen werden. Sie genießen Berechtigung auch angesichts des geschilderten defizitären pönologischen Kenntnisstandes. Aber gerade dann, wenn man Pendelentwicklungen, wie sie etwa in der skandinavischen und der US-amerikanischen Strafrechtsdiskussion zu bemerken sind26 , vermeiden und trotz präventiver Ernüchterung eine Orientierung der Sanktionierung am Gedanken der Spezialprävention nicht ganz aufs Spiel setzen will, erscheint es geboten, die Grenzen für solche beizubehaltenden Spielräume möglichst exakt zu bestimmen. Die vorliegende Arbeit versucht daher, einen Beitrag zu denjenigen Erwägungen zu leisten, die - als dogmatische - um solche Grenzziehungen bemüht sind. Eine gewisse Begrenzung des Gewichts der Vorstrafenbelastung bei der SZM i.w.S. ließe sich möglicherweise im Zuge jener Ansätze erzielen, die eine exaktere Durchdringung strafrechtlicher Prognoseklauseln anstreben27 • Diesen Weg nimmt die vorliegende Arbeit jedoch nicht. Sie befaßt sich auch nicht mit dem kriminologischen Vorwurf, demzufolge die strafrechtliche Praxis das prognostische Gewicht der (leicht eruierbaren) Vorstrafenbelastung bei weitem überschätze28 . M.E. bedarf jenseits dieser wichtigen - allerdings mit kriminologischen Problemkreisen aufs engste verknüpften - Detailfragen auch die grundsätzliche strafrechtsdogmatische Frage größerer Aufmerksamkeit, ob sich nicht möglicherweise bereits dem Schuldprinzip, als einem der grundlegenden strafrechtlichen Topoi schlechthin, Grenzen für die skizzierte unterschiedliche Behandlung entnehmen lassen. 25 Vgl. Hassemer 1983, 65: "Die Schranken von Verbältnismäßigkeit und Opfergrenze hemmen die Verfolgung präventiver Ziele um so nachdrücklicher, je weniger man um die Chance der Zielerreichung weiß.· 26 Vgl. zusammenfassend Weigend ZStW 94 (1982), 801 ff; Andrew v. Hirsch ZStW 94 (1982), 1047 ff; Kögler 1988. 27 Grundlegend, wenn auch mit z.T. (etwa bei § 56) wohl fragwürdig weitgehenden Ergebnissen, Frisch 1983. Zur Vergleichsprognose Horn in SK § 56 Rn 11 a. Kritisch gegenüber Frisch und zu einem neuartigen Ansatz, der in Anlehnung an die Wissenschaftslehre Max Webers mit dem Topos des ·Verstehens· arbeitet (bzw., wohl exakter,: zu den erfahrungswissenschaftlichen Grundlagen, die einen solchen, in neue Richtung weisenden dogmatischen Ansatz ermöglichen sollen) vgl. zudem jüngst Bock NStZ 1990a, 457 ff. 28 Vgl. diesbezüglich Spieß MschrKrim 1981, 296-309 und Spieß 1982, 571-604; Göppinger 1980, 375; 1985, 9, 96; siehe auch BöhmlErbard 1988, 221 sowie Bock NStZ 1990a, 459 ff.
Ausgangspunkt, Ableitung, eigenes Vorverständnis
2S
Daß dieses, die SZM i.e.S. jedenfalls de lege lata beherrschende Prinzip
(§ 46 Abs. 1 S. 1) für die SZM i.w.S. keinerlei dogmatische Bedeutung ge-
nießen soll, erscheint mir angesichts der geschilderten faktischen Differenzierungen des Strafübels zweifelhaft29 •
Ursprüngliche Absicht dieser Untersuchung war es daher, sowohl auf der Ebene der SZM i.e.S. wie i. w.S. zu untersuchen, ob sich aus dem Prinzip der Schuld Grenzen für die oben skizzierten multiplen Strafverschärfungen gegenüber Vorbestraften ergeben. Ich meine, daß dieser Frage, auch soweit sie die SZM i.w.S. betrifft, nach wie vor besondere Bedeutung zukommt. Ihre Beantwortung würde jedoch die Behandlung zweier unterschiedlicher und jeweils sehr komplexer Fragenkreise voraussetzen: Zum einen wäre die Relevanz der Vorstrafenbelastung für die SZM-Schuld zu erörtern, zum anderen die Bedeutung der SZM-Schuld (auch) für die SZM i.w.S. Die Schwierigkeiten, die sich bereits bei der Behandlung der ersten dieser beiden Fragenkomplexe stellen, haben mich gezwungen, dogmatische Probleme der SZM i.w.S. und deren Verhältnis zur SZM i.e.S. außer acht zu lassen30 • Die vorliegende Arbeit wird sich deshalb auf die SZM i.e.S. beschränken. Zu untersuchen ist die Bedeutung der Vorstrafenbelastung für die Entscheidung über die Strafhöhe. Auch insoweit ist allerdings noch eine weitere Einschränkung notwendig. Auch bei der Strafhöhenzumessung gemäß § 46 sind nach überwiegender Auffassung präventive Überlegungen anzustellen. Diese sind mit kriminologischen wie erwähnt verflochten. Sie sollen deshalb ebenfalls nicht vertieft werden. Ob und unter welchem Umständen es aus spezialpräventiven Erwägungen des Einzelfalls geboten ist, die Strafe eines Vorbestraften höher zu bemessen, ist nicht Gegenstand dieser Arbeit. Fragen danach, ob Vorbestrafte aus Gründen der Individualabschreckung, Behandlung oder Sicherung höherer Strafen bedürfen, oder ob umgekehrt Gründe dieser Art es rechtfertigen, bei Ersttätern und weniger Vorbestraften geringere Strafen zu verhängen, werden, obwohl sie für die Bemessung der endgültigen Strafhöhe herrschenden Konzeptionen zufolge ebenfalls von Bedeutung sind, nicht erörtert. Die Untersuchung betrachtet statt dessen vor allem die Grenzen solcher Erwägungen. Sie 29 Mit dieser Bemerkung ist jedoch keine Bewertung der problematischen Entscheidung BVerlUE 64, 261 ff verbunden. (Das richtig gesehene Spannungsverhältnis wird dort m.E. auf falschem, oder zumindest nicht verallgemeinerbarem, Weg zu lösen versucht.) Vgl. zur Problematik Böhm 1988, 129 ffm.w.N. 30 Beachte jedoch den Ausblick am Ende der Arbeit, C.VI.
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A. Entwicklung und Begrenzung der Fragestellung
wird sich deshalb darauf konzentrieren, die Bedeutung der Vorstrafenbelastung für diejenige Kategorie zu erörtern, die jedenfalls für die SZM i.e.S. (zumindest de lege lata) für grundlegend erachtet wird: die Kategorie der ·Schuld" i.S.d. in § 46 Abs. 1 S. 1 verwendeten Begriffs. Dieser Begriff der Schuld i.S.d. § 46 Abs. 1 S. 1 wird nachfolgend, einer mittlerweile anerkannten Unterscheidung Achenbachs - auf die näher noch zurückzukommen sein wird - folgend, als SZM-Schuld bezeichnet31 • Die SZM i.w.S., der das ursprüngliche Interesse vordringlich galt, soll dabei aber nicht ganz aus dem Blick geraten. Die Entwicklung der Forschungsfrage wurde auch deshalb hier ausführlicher erörtert, weil sich die nachfolgend vertretene Konzeption nur verstehen und in ihren praktischen Konsequenzen bewerten läßt, wenn man sich bewußt macht, daß Härterbehandlungen Vorbestrafter nicht nur bei der hier zu erörternden SZM i.e.S. praktiziert werden, sondern faktisch auch bei der für den Verurteilten ebenfalls sehr bedeutsamen Wahl zwischen Geld- und Freiheitsstrafe, zwischen Strafaussetzung und Verbüßung sowie zwischen Strafrestaussetzung und Vollverbüßung eintreten. Infolge dieser Verschärfungen gerät die überwiegend für nötig erachtete Strafschärfung auf der Ebene der SZM i.e.S. unter zusätzlichen Legitimationsdruck. Dieser Legitimationsdruck gibt Anlaß, sich der dogmatischen Frage nach der Bedeutung der Vorstrafenbelastung für die SZM i.e.S. erneut zuzuwenden.
111.
~enstand
der Untersuchung
Die AufgabensteIlung der Arbeit läßt sich demnach wie folgt umreißen: Zu untersuchen ist, ob sich aus dem in § 46 Abs. 1 S. 1 als Grundlage der SZM apostrophierten Schuldbegriff Grenzen für Straferhöhungen gegenüber Vorbestraften ergeben. Der Hauptteil der Arbeit wird sich demzufolge mit der "Bedeutung der Vorstrafenbelastung für die SZM-Schuld" zu beschäftigen haben (B). Zu erörtern ist, ob (und ggf. unter welchen Umständen) frühere Straftaten des Verurteilten und deren Sanktionierung bzw. mit diesen Umständen einhergehende
31 Achenbach 1974,2 fT; vgl. unten B.m.2.a.
Ausgangspunkt, Ableitung, eigenes VONerständnis
27
Besonderheiten es rechtfertigen, dem Täter im Hinblick auf eine neue Straftat erhöhte Schuld i.S.d. § 46 Abs. 1 zuzumessen. In einem anschließenden Teil C werden die Konsequenzen des dabei erzielten Ergebnisses für die SZM zu betrachten sein. Entsprechend der dargelegten Reduzierung der Forschungsfrage ist es erforderlich, die Erörterungen im wesentlichen auf diejenigen Konsequenzen zu beschränken, die sich für die SZM i.e.S. ergeben.
IV. Abgrenzung zu früheren, die SZM-Relevanz des "Rückfalls" betreffenden Arbeiten Eine Untersuchung, die sich, wenn auch unter verändertem Forschungsinteresse, erneut der vieldiskutierten strafrechtsdogmatischen Frage nach der strafschärfenden BefÜcksichtigungsfähigkeit von Vorstrafen zuwendet, bedarf besonderer Rechtfertigung32. Angesichts schon der Vielzahl älterer, bis etwa 1930 erfolgter Veröffentlichungen zur SZM-Relevanz des Rückfalls, sodann der im Zusammenhang mit der Erörterung des § 48 a.F. grundlegenden Aufsätze von Bindokat (1959), Hanack (1968) und Horstkotte (1970)33, bei sieben Dissertationen zu Fragen des § 48 a.F. aus den siebziger und achtziger Jahren34 und vielen kürzeren Beiträgen35 liegt zunächst die Vermutung nahe, alles Wesentliche sei bereits gesagt. Auf einen bislang vernachlässigten Aspekt, der allerdings eher den Hintergrund, denn den Gegenstand der vorliegenden Arbeit bildet, ist jedoch bereits hingewiesen worden36 . Zudem hat Hanack schon 1968 betont, daß die Frage, wie sich die Strafrechtsordnung gegenüber Tätern verhalten solle, die durch wiederholte Straffiilligkeit besonders gefährlich oder gefährdet erscheinen, zu den Problemen gehöre, die "jede Zeit mit den ihr zur Verfügung stehenden
32 Klose 1989, 15 ist der Auffassung, daß es einer dogmatischen Arbeit nicht mehr bedürfe. 33 Bindokat ZStW 71 (1959),281 ff; Hanack 1968, 100 ff; Horstkolle JZ 1970a, 152 ff. 34 Breidthardt 1971; Härte1 1973; Peter Jürgen Schmidt 1974; Frosch 1976; Kürschner 1978; Meier 1982 und ZStW 95 (1983), 316 ff. Auch die jüngst erschienene empirische Untersuchung von Klose 1989 betriffi die SZM-Praxis bei § 48 a.F. 35 Siehe neben dem hiesigen LiteratuNerzeichnis auch die ausführlichen Verzeichnisse von Peter Jürgen Schmidt -der allein auf über zwanzig Diss. aus den Jahren 1870-1937 verweist -und von Frosch a.a.O. 36 Oben, A. I.
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A. Entwicklung und Begrenzung der Fragestellung
Erkenntnismethoden neu erarbeiten" müsse3 7 . Die vorliegende Arbeit möchte - angesichts einer seit längerem zu beobachtenden Stagnation des Diskussionsstandes - für ein solches neues Durchdenken werben. Ein zusätzlicher Anlaß hierfür ist die Streichung des § 48. Die nach dem Krieg erschienenen Arbeiten kreisten durchweg um die besondere Problematik der in dieser Vorschrift formulierten Voraussetzungen und Rechtsfolgen38 • Die vorliegende Arbeit versucht demgegenüber zu beleuchten, welche Situation sich nunmehr aufgrund der am 1.5.1986 erfolgten Streichung des § 48 ergibt39 . Aber auch inhaltlich soll ein Weg beschritten werden, der sich von früheren Dissertationen zu diesem Themenkomplex unterscheidet: Die bislang vorliegenden Untersuchungen beschränken sich, wenn sie zur Schuldrelevanz der Vorstrafenbelastung Stellung nehmen, stets sehr stark auf die konkreten Besonderheiten dieser Fragestellung; das den Einzelbetrachtungen zugrunde liegende Schuldverständnis wird meist allenfalls am Rande erörtert.
37 Hanack 1968, 101. 38 Dies gilt, entgegen ihres S. 7 fonnulierten Anspruchs, auch fiir die Arbeit von Klose 1989. Diese vorwiegend empirische Untersuchung erhebt jedoch selbst nicht den Anspruch, dogmatisch Neues vorzutragen (S. 15), sie referiert deshalb im wesentlichen die vorherrschenden (und nachfolgend kritisierten) Positionen. Auch fiir die hier erörterte Fragestellung interessant sind jedoch die Ausfiihrungen S. 45-49, 234, in denen die Theorie der kognitiven Dissonanz und die Attributionstheorie rezipiert werden, siehe dazu B. 11. f. dd. 39 Als ein weiterer Anlaß ließen sich auch die jüngsten, viel diskutierten Forschungen zu regionalen bzw. richterspezifischen SZM-Disparitäten anfiihren (vgl. die Beiträge in Pfeiffer/Oswald 1989). Es spricht trotz der erheblichen methodischen Probleme solcher Untersuchungen einiges dafiir, daß SZM-Unterschiede gerade bei der Gewichtung des Verhältnisses von Vorstrafenbelastung zu Tatschwere besonders gravierend ausfallen (vgl. Burgstaller 1989, 10; Pfeifferl Savelsberg 1989, 17 ff -passim -; Pfeiffer BH 1989, 179,201 -allerdings fiir § 21 JGG -; einschrinkend dagegen Hans-Jörg Albrecht 1989, 67 ff). Die jüngste Diskussion hat jedoch gezeigt, daß ein vorschneller Ruf nach gesetzgeberischen Veränderungen kaum die geeignete Konsequenz solcher Disparitäten sein dürfte (vgl. Krauss 1989, 134 ff; Horstkotte 1989,281 ff; Savelsberg 1989,290 ff; Hassemer 1989,297 ft). M.E. ist es allerdings ebenso zweifelhaft, ob sich die von den Rechtstatsachenforschern aufgezeigten Probleme vorrangig mit einem Ruf nach verstärkter Integration empirischer Erkenntnisse in die SZM-Dogmatik lösen lassen (vgl. aber Giehring 1989, 95 ff und Oswald 1989, 129 ft). Man könnte die deskriptiven Erkenntnisse statt dessen auch als einen Anlaß fiir die Forderung nach intensiverer, von der dogmatischen Forschung und von der Lehre mit größerer Aufmerksamkeit betriebener, SZM-Dogmatik selbst begreifen: Je ungenauer die dogmatischen Vorgaben, desto weniger kann von den Richtern interpersonelle Gleichmäßigkeit verlangt werden. Auf einige der m.E. gegenwärtig noch zu beobachtenden dogmatischen DefIZite will die vorliegende Arbeit hinweisen (ohne daß damit der beachtliche, häufig betonte Fortschritt der SZM-Lehre in den vergangenen Jahrzehnten in Zweifel gezogen werden soll).
Ausgangspunkt, Ableitung, eigenes Vorversländnis
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Die materielle Rückfallklausel des § 48, deren Grundgedanke auch heute weiterwirkt4O , basiert auf der Vorstellung, daß Vorstrafen infolge einer von ihnen ausgehenden warnenden Wirkung geeignet sein können, die Schuld des Täters zu erhöhen. Die Nachkriegsdiskussion wurde daher fast durchweg von der Frage beherrscht, ob die diesem Modell (möglicherweise) zugrunde liegenden kriminologischen Prämissen zu überzeugen vermögen. Es sind insoweit immer wieder empirische Bedenken geltend gemacht worden; diese haben sich jedoch als faktisch weitgehend fruchtlos erwiesen. Die Diskussion hat sich deshalb kaum fortzuentwickeln vermocht41 • Vorliegend soll dagegen den schulddogmatischen Prämissen dieses Modells größere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Es wäre denkbar, daß der gegenwärtig wenig fruchtbare Streit um die warnende Wirkung der Vorstrafenbelastung von dogmatischen Voraussetzungen ausgeht, die bei näherer Betrachtung dessen, was unter Schuld im Sinne der SZM zu verstehen ist, heute nicht mehr haltbar sind. Um die Diskussion hinsichtlich der Schuldrelevanz der Vorstrafenbelastung voranzutreiben, wird es daher nötig sein, sich zunächst näher damit zu beschäftigen, was unter Schuld im Sinne der SZM verstanden werden kann. Weniger als um grundsätzliche, etwa rechtsphilosophische Fragen wird es hier darum gehen müssen, zu präzisieren, welche Erwägungen zur Ausfüllung des nach wie vor überwiegend als beibehaltungswürdig erachteten Begriffs der Schuld im Sinne der SZM, der seinen ausdrücklichen positivrechtlichen Niederschlag in § 46 Abs. 1 S. 1 gefunden hat, zulässig sind und Erwägungen welcher Art zur Ausfüllung dieses Schuldbegriffs als von vornherein inadäquat bezeichnet werden müssen. Auch diejenigen, die, nach sorgfältiger Erörterung von Grundfragen des Verhältnisses von Schuld und Prävention, der Notwendigkeit und Möglichkeit eines strafrechtlichen Schuldbegriffs etc., mit der vorherrschenden Meinung an der Systemkategorie Schuld ausdrücklich festhalten, versäumen es häufig, den Inhalt dieser für notwendig erachteten Kategorie präzise zu definieren. So wird vielfach nicht hinreichend deutlich gemacht, auf welchem Weg inadäquate, etwa präventive Erwägungen von im Rahmen dieser Systemkategorie adäquaten Erwägungen abzugrenzen sind. Die vorliegende Arbeit wird darzulegen haben, daß eine, über die Auflistung einzelner Fallgruppen (und deren anspruchsvolle dogmatische Erörterung im Einzelfall) hinausgehende, in sich geschlossene und nicht beliebig ergänzbare dogmatische Erfassung dessen, was inhaltlich unter Schuld im Sinne der SZM zu verstehen ist, bislang noch nicht hinreichend geglückt ist. Den üblichen 40 Siehe B. I. 2. 41 Näher dazu unter B. 11. 2. f.
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A. Entwicklung und Begrenzung der Fragestellung
Konzepten zur Ausfüllung des Schuldbegriffs des § 46 Abs. 1 S. 1 scheinen zwar mehrere unterschiedliche Komponenten zugrunde zu liegen (Tatrräter; Unrecht/Persönlichkeit/Motive etc.); erhebliche Unklarheiten bestehen jedoch hinsichtlich deren Unterscheidung, hinsichtlich deren inhaltlicher Strukturierung und bezüglich des systematischen Verständnisses dieser Komponenten. Dogmatische Strukturen, wie sie als Grundlage der Erörterung von Einzelfragen bezüglich des "Ob's" der Stratbarkeit in der Form der allgemeinen Verbrechenslehre in mittlerweile hochdifferenzierter und die Diskussion dieser Einzelfragen vielfältig befruchtender Form vorliegen, fehlen zur Ausfüllung des Schuldbegriffs, der anschließend auf der Rechtsfolgenseite das Fundament des "Wieviels" der Strafe bilden soll, weitgehend. Als Grundlage für eine angemessene Auslegung des § 46 Abs. 1 S. 1, die ihrerseits Voraussetzung für eine sachgerechte Beantwortung der vieldiskutierten Frage nach der Schuldrelevanz der Vorstrafenbelastung ist, wird die vorliegende Arbeit daher (in Anlehnung an den bisherigen Diskussionsstand) versuchen, ein eigenes Strukturmodell des Begriffs der Schuld im Sinne der SZM zu zeichnen. Dessen Verteidigung wird einen wesentlichen Teil dieser Untersuchung ausmachen. Denn nur dann, wenn das hier verfochtene Strukturmodell sich einerseits systematisch und rechtstheoretisch rechtfertigen läßt, sich andererseits aber auch gegenüber dem Anspruch behaupten kann Gedenfalls mit Ausnahme der zweifelhaften Vorstrafenbelastung, die zunächst noch außer Betracht zu lassen ist), alle wesentlichen, für unabweisbar erachteten SZM-Erwägungen (etwa auch diejenigen, die in § 46 Abs.2 ausdrücklich genannt sind) angemessen integrieren zu können42 , erscheint es gerechtfertigt, ein solches, nicht allgemein anerkanntes, System der Frage zugrunde zu legen, ob Vorstrafen die Schuld erhöhen können und aus dem hierbei resultierenden Ergebnis eventuell auch Folgerungen zu Lasten der Schuld relevanz der Vorstrafenbelastung zu ziehen. Die Entwicklung eines Strukturmodells der SZM-Schuld, seine Verteidigung, sowie dessen anschließende Anwendung auf die SZM bei Vorbestraften sind demgemäß die drei Schwerpunkte der vorliegenden Arbeit. Ziel der Untersuchung bleibt somit zwar die Klärung der sich für die SZM bei Vorbestraften ergebenden Konsequenzen. Angesichts der im Verlauf der Untersuchung erkennbar werdenden Defizite des bisherigen Diskussions- und Kenntnisstandes wäre es m.E. jedoch bereits ein wichtiger Fortschritt, wenn - ungeachtet der konkreten Tragfähigkeit des hier verfochtenen Konzepts und 42 Soweit sich eine so umfassende Frage aufgrund einer in der Diss. notgedrungen kursorischen Betrachtung überhaupt beantworten läßt.
Ausgangspunkt, Ableitung, eigenes Vorverständnis
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der aus diesem abgeleiteten Lösung für die SZM bei Vorbestraften - zumindest die allgemeine Notwendigkeit verstärkter Bemühungen um die Strukturierung der Systemkategorie SZM-Schuld größere Aufmerksamkeit erlangte, als dies bislang zu beobachten ist.
V. Begriff der Vorstrafe
Als "Vorstrafen" im Sinne dieser Untersuchung sind Verurteilungen des Täters zu verstehen, die schon vor der Begehung der neuen, nunmehr Anlaß und Gegenstand des Strafverfahrens bildenden Straftat verhängt wurden und die deshalb nicht gesamtstrafentähig sind (vgl. § 55). Darüber hinausgehende Fragen der SZM bei mehrfacher Tatbegehung bleiben außer acht. Zwar könnte man auch in der Regelung der Gesamtstrafenbildung eine versteckte Strafschärfung gegenüber während ihres Lebens immer wieder auffälligen Tätern sehen. Die bei der Gesamtstrafenbildung vorgenommene Zäsur, die die aus § 54 resultierende erhebliche Milderung der gesamten Strafdauer davon abhängig macht, daß die neue Tat nicht erst nach Aburteilung der vorangegangenen erfolgte, wird teilweise ähnlich wie die Strafschärfung bei Vorbestraften mit der angeblich warnenden Wirkung der Vorverurteilung gerechtfertigt43 • Steht man, wie nachfolgend dargelegt, dieser postulierten Wamwirkung skeptisch gegenüber, so kommt es in Betracht, auch insoweit Zweifel anzumelden44 . Fragen der Konkurrenzregelungen müssen jedoch vorliegend beiseite bleiben. Wegen des hier verfolgten Gedankengangs wird es sich ferner nicht als notwendig erweisen, zwischen "einschlägigen" und "nicht einschlägigen" Vorstrafen zu unterscheiden bzw. die diesbezüglichen Einordnungsschwierigkeiten zu erörtern. Auch der Begriff des "Rückfalls", der oft dazu dient, bereits einen angeblich "inneren Zusammenhang" zwischen Vortat und neuer Straftat zu implizieren, wird weitgehend vermieden.
43 Ausdriicklich Roland Schmidt 1986, 33 und OLG München NJW 1974, 1855 mit krit. Anm. Remmele; siehe auch Stree in Sch/Sch § 55 Rn 16 und Schoreit 1989, 454. 44 Der hier skizzierte Effekt wird durch die neuere -den Anwendungsbereich der §§ 54, 55 noch ausweitende -Rspr. noch verstärkt. Dieser Rspr. zufolge sind ähnliche Ergebnisse, wie sie bei der Gesamtstrafenbildung eingetreten wären, durch einen "Abschlag" bei der neuen Strafe auch dann herbeizuführen, wenn die an sich mögliche Gesamtstrafenbildung nur deshalb unterbleiben mußte, weil eine Strafe, deren Einbeziehung in Betracht gekommen wäre, bereits voll verbüßt worden ist, § 55. Vgl. BGHSt33, 131; Stree in Sch/Sch § 55 Rn 28-31 m.w.N.
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A. Entwicklung und Begrenzung der Fragestellung
Vorstrafen sind nur ein Element des in § 46 Abs. 2 ausdrücklich benannten "Vorlebens" des Täters; die Arbeit enthält daher auch insoweit eine Beschränkung, als sie sich nicht anheischig macht, die SZM-Relevanz des Vorlebens umfassend zu beurteilen. Die Schuldrelevanz des Vorlebens wird nur insoweit betrachtet, als dies zur Erörterung der Schuldrelevanz der Vorstrafenbelastung unumgänglich ist. Des öfteren, etwa in der Arbeitshypothese, ist bereits vom "mehrfach" Vorbestraften gesprochen worden, der dem "Ersttäter" und dem "geringer Vorbestraften" gegenübergestellt wurde. Eine präzise Begriffsbestimmung dieser Termini ist jedoch ebenfalls entbehrlich. Es geht nicht darum, abstrakt exakte Fallgruppen zu bilden. Die Verwendung des Terminus "mehrfach Vorbestrafte" dient in erster Linie dazu, den Blick nicht nur auf mögliche Strafschärfungen bei denjenigen zu richten, die zum zweitenmal vor Gericht stehen. Das vorliegende Thema dürfte besonders interessant gerade im Hinblick auf bereits vielfältig auffällige Täter sein, vor allem auf diejenigen, die bereits mehrere Haftstrafen verbüßt haben und bei denen sich die in der Arbeitshypothese vermuteten Härten kumulieren könnten.
VI. Eigenes Vorverständnis
Gelegentlich der erwähnten empirischen Untersuchungen hat sich bei mir die Vermutung verfestigt, daß in unserem Rechtssystem gerade gegenüber mehrfach vorbestraften, hafterfahrenen, häufig etwas älteren Tätern, die immer wieder, jedoch vielfach eher mit dem Bereich der Alltags- und Kleinkriminalität zuzuordnenden Delikten, auffallen, nicht selten mit besonderer, mir in diesem Maß zweifelhaft erscheinender Härte reagiert wird. Das Vor-Urteil, etwas größere Gelassenheit gegenüber dieser Personengruppe stünde dem Rechtsstaat gut an, soll nicht verhehlt werden. Die vorliegende Arbeit hat, wie die Entwicklung und Präzisierung der Fragestellung deutlich macht, trotz des zunächst neutral formulierten Titels "SZM bei Vorbestraften", vorrangig das Ziel, nach Begrenzungen zu forschen, die (übermäßigen) Strafschärfungen gegenüber (mehrfach) Vorbestraften entgegenstehen könnten. So einleuchtend es auch mir erscheint, daß gewisse - beim Namen genannte - Strafschärfungen gegenüber mehrfach Vorbestraften, im Hinblick insbesondere auf präventive Erwägungen, nötig und angemessen sind, halte ich es dennoch für geboten, nicht nur über die systemkonforme Rechtfertigung solcher Strafschärfungen nachzusinnen, sondern
Ausgangspunkt, Ableitung, eigenes Vorversländnis
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verstärkt auch nach EIWägungen zu suchen, die es ermöglichen könnten, Grenzen für solche Strafschärfungen aufzuzeigen. Es scheint mir redlicheIWeise angebracht, dieses Vorverständnis ausdrücklich zu benennen. Trotz allen Bemühens, Gegenargumente zu berücksichtigen, wird der Leser die hier verfochtene Konstruktion vor allem unter dem Gesichtspunkt der zugrunde liegenden Motivation kritisch zu betrachten haben, die eher darauf abzielt, Argumente gegen die strafschärfende Berücksichtigung von Vorstrafen zu fmden, denn solche, die zu deren Berücksichtigung nötigen würden. Gerade angesichts der gegenwärtigen, vor allem in der kriminalpolitischen Diskussion vorherrschenden Themen ist m.E. eine Besinnung auf die etwas aus dem Blick geratene (weil präventiv vermeintlich schwerer zu beeinflussende) Gruppe der mehrfach Auftälligen besonders geboten. Die Aufmerksamkeit, die etwa das Stichwort "Diversion" in der gegenwärtigen jugendstrafrechtlichen Debatte genießt45 , aber auch etwa die im 23. Strafrechtsänderungsgesetz vorgenommenen vorsichtigen ElWeiterungen der Möglichkeiten der Straf(rest)aussetzung kommen stets vor allem Ersttätern, Jüngeren und weniger Vorbelasteten zugute46 . Es besteht deshalb die Gefahr, im Zuge der wohlmeinenden Absicht, dort Zurückdrängungen des Strafübels zu ermöglichen, wo dies mit präventiv orientierten Argumenten durchsetzbar erscheint, diejenigen häufig sozial umfassend Benachteiligten, bei denen Präventionsstrategien trotz der gutgemeinten Intention ihrer Verfechter nichts fruchteten, den vorgeblich besonderen und angeblich hier nicht in gleichem Maß beschränkbaren "Stratbedürfnissen der Allgemeinheit" vorschnell zu opfern. M.E. ist es an der Zeit, dem skizzierten Trend zuwider, auch diesen multipel belasteten Personenkreis verstärkt in den Blick zu nehmen. Auch ihm gegenüber sind die Chancen schrittweiser Zurückdrängung des Strafübels so konsequent als möglich auszuloten47 .
45 Vgl. dazu Böhm 1985, 78-82 m.w.N. 46 Exemplarisch deutlich wird dies bei der wohl folgenreichsten Änderung des 23. Strafrechtsänderungsgesetzes, der schon erwähnten Halbstrafenaussetzung für Erstverbüßer. 47 Eine begrüßenswerte Trendwende in diesem Sinn könnte sich möglicherweise auch mit den Thesen des 21. Deutschen lugendgerichtstages 1989 andeuten: "Mehrfach Auffällige -mehrfach Betroffene"; vgl. dazu Pfeiffer BH 1989, 195 ffund Kerner BH 1989,202. 3 Erhard
B. Die Bedeutung der Vorstrafenbelastung für die Strafzumessungsschuld I. Gesetzeslage
Das gegenwärtige Strafgesetzbuch enthält seit der Streichung des § 48 am 1.5.1986 keine spezielle Regelung mehr, die die Strafhöhenbemessung bei mehrfach Vorbestraften betrifft. Ob, wann und in welchem Umfang die Strafe bei Vorbestraften zu schärfen ist, kann deshalb de lege lata nur § 46 entnommen werden. 1. Zur historischen Entwicklung
Die Entstehungsgeschichte strafrechtlicher Rückfallvorschriften ist häufig und detailliert nachgezeichnet worden. Dies gilt besonders für die Diskussion um § 17 a.F. (später § 48) während der Großen Strafrechtsreform und für die Vorläufer dieser Vorschrift in den Kommissionsentwürfen der Weimarer Republik 1• Es mag deshalb für den hier gewählten Ansatz ausreichen, nur kursorisch an die wichtigsten Stationen zu erinnern: Der Gedanke einer (allgemeinen) Strafschärfung wegen Rückfalls entstammt der gemeinrechtlichen Doktrin des 19. Iahrhunderts2 • Es gelang jedoch nie, -dem Rückfall eine feste Gestalt zu verleihen -3. Zwar dürfte die Möglichkeit, bei erneuter Verurteilung eines bereits einschlägig Vorbestraften schärfer zu reagieren, schon seit langem gewohnheitsrechtlich anerkannt gewesen sein4 • Bei den Versuchen, einen solchen Gedanken näher zu präzisieren, wurden jedoch von je her die unterschiedlichsten Wege eingeschlagen. 1 Vgl. etwa Härtel 1973,5 - 32; Frosch 1976,3 - 40 und aus der älteren Literatur Binding 1907,280 ff; Effertz 1927, 3 - 129 jeweils m.w.N.; sowie die Nachw. bei Frosch 1976,3 Fn 1. 2 Vgl. Themme 1886, 176; Binding 1907,281; Effertz 1927, 10; Bindokat ZStW 71 (1959), 282 f; Härtel 1973,6 f. Zu vereinzelten, dogmatisch aber noch wenig ausgeprägten Vorläufern und insb. der streitigen Frage, ob Art. 162 der Constitutio Criminalis Carolina als Rückfalloder nur als Konlrurrenzregelung zu verstehen ist, vgl. Binding a.a.O.; Effertz 1927, 3 - 13; Härtel 1973,5 f; Frosch 1976,3 f. 3 Bindokat a.a.O., 283. 4 Binding a.a.O.
I. Gesetzeslage
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Bereits die Partikulargesetzgebung schwankte, ob Rückfall als allgemeiner Strafschärfungsgrund oder nur als besonderer (bei bestimmten Delikten des Besonderen Teils) zu behandeln sei. Unterschiedlich beantwortet wurde die Frage, ob die Rückfallschärfung nur Vorverurteilungen, ob sie rechtskräftige Vorverurteilungen oder ob sie Vorverbüßungen voraussetze und insbesondere, ob eine Rückfallschärfung nur bei erneut begangenen Delikten derselben oder, wie auch immer, vergleichbarer Art oder aber auch bei Vorverurteilungen ganz verschiedener Natur zulässig sei und wie ggf. solche Einschränkungen zu formulieren seien. Ferner bestanden seit Beginn der Diskussion Differenzen darüber, ob zusätzlich materielle Kriterien, etwa Aspekte der Gefährlichkeit oder des Hangs, als Voraussetzungen für die Strafschärfung zu berücksichtigen seien. Vorgeschlagen wurde auch, an Stelle von Rückfallvorschriften, die an Vorverurteilungen anknüpfen, Regelungen vorzusehen, die ausschließlich auf solche übergreifend materiellen Kriterien der Gewohnheitsmäßigkeit oder der Gefährlichkeit abstellen. Unterschiedlich behandelt wurden darüber hinaus die Rechtsfolgen des Rückfalls, sowohl das Ausmaß etwaiger Erhöhungen der Strafe als auch die Frage, ob infolge des Rückfalls (auch) die Strafart zu wechseln sei5• Streitfragen dieser Art, der Disput also um die konkrete Gestalt der Rückfallstrafschärfung, haben die Rechtsentwicklung - die dogmatische Diskussion ebenso wie gesetzgeberische Initiativen - bis zur Gegenwart beherrscht. Von ihnen zeugen eine Vielzahl von Reformentwürfen, Dissertationen und Monographien6 • Das RStGB von 1871 hielt sich mit legislativen Festschreibungen noch zurück. Es enthielt - insoweit eher der Tradition der Constitutio Criminalis Carolina folgend - nur einige einzelne Strafverschärfungen im Besonderen Teil (§§ 244, 250 Abs. 1 Nr. 5, 261, 264). Das RStGB kannte weder eine übergreifende SZM-Vorschrift für den Rückfall noch eine die SZM allgemein regelnde Vorschrift, etwa im Sinne des heutigen § 46 7 . Diesbezügliche Vorschläge finden sich erst in den Entwürfen der Jahre 1909 - 19308 . Diese sehen meist sowohl eine allgemeine SZM-Vorschrift als auch deliktsübergreifende Sondervorschriften für mehrfach auffällige Täter vor. Dabei wurde teilweise am - im einzelnen auch hier verschieden definierten - "Rückfall", teilweise - im Anschluß an Radbruch - an "Gewohnheitsmä5 VgI. Binding a.a.O.; ferner Köstlin 1855, 625 - 632; Effertz 1927, 13 - 17; Bindokat a.a.O., 283; HaD8ck 1968, 101; Härte11973, 7 Cf; Frosch 1976,4 Cf. 6 Überblick bei A. IV. 7 Zum RStGB vgI. ECfertz 1927, 13 f; Härtel 1973, 9; Frosch 1976,6. 8 Allgemein zu den Entwürfen Bruns 1967, 104 - 127; speziell bezüglich des Rückfalls EfTertz 1927, 76 -102; Härte11973, 16 -24; Frosch 1976, 7 -12.
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B. Vorstrafenbelastung und StrafZumessungsschuld
ßigkeit" angeknüpft9 • Betrachtet man die im Vergleich zum RStGB scharfen, strafrahmenverändernden Vorschläge, so läßt sich, bei allen Unterschieden im Detail, durchweg das Bedürfnis nach erheblichen Strafverschärfungen gegenüber dem hier betrachteten Personenkreis erkennen 10. Dennoch kam es zunächst zu keinen legislatorischen Veränderungen. Die Entwürfe der Jahre 1909 - 1930 sind nicht Gesetz geworden. Die Forderung nach einer die SZM allgemein regelnden Vorschrift konnte sich bis 1970 nicht durchsetzen. Eine eigene Strafschärfungsvorschrift für besonders gefährliche Täter, die in gewissem Umfang durchaus in der Tradition der Reformentwürfe und des in diesen artikulierten Bedürfnisses, gegenüber solchen Tätergruppen nachdrücklicher reagieren zu können, stehtli, wurde dagegen mit § 20a bereits kurz nach der Machterlangung Hitlers durch das "Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher ... " vom 24.11.1933 in das RStGB aufgenommen l2 . Da Abs. 1 des § 20a (alternativ zu Abs. 2) Vorverurteilungen voraussetzt, läßt sich dieser Absatz als eine "Rückfallvorschrift" im hier diskutierten Sinne begreifen. Die beiden ersten Absätze des neu eingefügten § 20a lauteten: "(1) Hat jemand, der schon zweimal rechtskräftig verurteilt worden ist, durch eine neue vorsätzliche Tat eine Freiheitsstrafe verwirkt und ergibt die Gesamtwürdigung der Taten, daß er ein gefährlicher Gewohnheitsverbrecher ist, so ist, soweit die neue Tat nicht mit schwererer Strafe bedroht ist, auf Zuchthaus bis zu fünf Jahren und, wenn die neue Tat auch ohne diese Strafschärfung ein Verbrechen wäre, auf Zuchthaus bis zu fünfzehn Jahren zu erkennen. Die Strafschärfung setzt voraus, daß die beiden früheren Verurteilungen wegen eines Verbrechens oder vorsätzlichen Vergehens ergangen sind und in jeder von ihnen auf Todesstrafe, Zuchthaus oder Gefängnis von mindestens sechs Monaten erkannt worden ist. (2) Hat jemand mindestens drei vorsätzliche Taten begangen und ergibt die Gesamtwürdigung der Taten, daß er ein gefährlicher Gewohnheitsverbrecher ist, so kann das Gericht bei jeder abzuurteilenden Einzeltat die Strafe ebenso verschärfen, auch wenn die übrigen im Abs. 1 genannten Voraussetzungen nicht erfüllt sind. " 1941 wurde die Rechtslage nochmals drastisch verschärft. § 1 des Änderungsgesetzes vom 4.9.1941 führte für den Personenkreis des § 20a die Todesstrafe ein. Diese sei gegenüber den "gefährlichen Gewohnheitsverbre9 Zur Konzeption Radbruchs vg\. Radbruch 1908,204 ff sowie Frosch 1976, 11 m.w.N. 10 Bruns 1967, 108, 111 und passim; weitere Nachw. bei B. 11. 1. 11 So auch BGH LM 1 zu § 20a; Bindokat a.a.O., 284; Frosch 1976, 12. 12 Zu § 20a Iagusch in LK 7. Aufl. 1954; Breidthardt 1971, 25 - 35; Frosch 1976,44 - 46.
I. Gesetzeslage
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chern" ZU verhängen, "wenn der Schutz der Volksgemeinschaft oder das Bedürfnis nach gerechter Sühne es erfordern "13. Während § 1 des Änderungsgesetzes unmittelbar nach dem Krieg abgeschafft wurde, blieb § 20a in der Fassung vom 24.11.1933 weiterhin in Kraft. Verfassungsrechtliche Bedenken hielt der BGH in einem Urteil vom 5.3.1951 für nicht durchgreifend, eine einschränkende Interpretation für nicht geboten l4 . Die durch das RStGB von 1871 und das "Gewohnheitsverbrechergesetz" von 1933 geschaffene Situation, die einerseits durch das Fehlen einer allgemeinen SZM-Vorschrift, andererseits durch spezielle Rückfallvorschriften bei einigen Einzeldelikten des Besonderen Teils und die allgemeine Strafschärfungsvorschrift für "gefährliche Gewohnheitsverbrecher" in § 20a gekennzeichnet war, bestand somit auch in den fünfziger und sechziger Jahren fort. Eine grundlegende Änderung brachte erst die Große Strafrechtsreform l5 . Die Strafrechtsreform war zu einem erheblichen Teil von der Erfahrung der durch die Nationalsozialisten betriebenen Perversion des Präventionsgedankens geprägt. Sie wurde demgemäß von der Intention bestimmt, dem Schuldgedanken stärkeres Gewicht zu verleihen und eine strikte Trennung von schuldorientierten Strafen und gefährlichkeitsorientierten Maßnahmen durchzuhalten l6 • Dies zeigt sich gerade an den hier zu erörternden Regelungen: Der Strafe und Gefährlichkeit allzu offensichtlich verknüpfende § 20a und die Einzelstrafschärfungen in den §§ 244, 250 Abs. 1 Nr. 5, 261, 264 wurden abgeschafft.
13 Siehe zu § I Änderungsgesetz Bruns 1967, 141 ff; 1985,35. 14 BGH LM Nr. I zu § 20a. Daß der Begriff des gefahrlichen Gewohnheitsverbrechers durch die nationalsozialistische Gesetzgebung geschaffen worden sei, treffe nur zeitlich zu. "Es ... kann nicht anerkannt werden, daß die bezeichneten Begriffe von nun an enger gefaßt werden müssen."
15 Allgemein zur Strafrechtsreform Jescheck 1988, 90 - 96; MaurachIZipf 1987 § 4 Rn 29, 40; § 6 Rn 37 - 42. 16 Vg!. Maurach 1960, 6, 13; 4. Aufl. 1971,74 f, 79; Jescheck ZStW 75 (1963), 1 ff,4; Lackner 1985a, 246 f m.w.N.; Maurach/Zipf 1987 § 6 Rn 38. Die starke Schuldorientierung zeigt sich insb. im Entwurf 1962; sie wurde im Grundsatz aber auch in der späteren Diskussion nicht aufgegeben; vg!. MaurachIZipf a.a.O. § 6 Rn 39 - 41; Jescheck ZStW 80 (1968), 54 ff; Kürschner 1978, 20; Lackner 8.a.0. Zum auf earl Stooß (1893) zurückgehenden Gedanken der ·Zweispurigkeit", Jescheck 1988, 74 - 79; Hanack in LK vor § 61 Rn I - 19. Das Prinzip der Zweispurigkeit wurde im Anschluß an die Tradition der Reformentwürfe der Weimarer Republik im Ansatz bereits durch das "Gesetz gegen getihrliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Besserung und Sicherung" vom 24.11.1933, durch das Maßregeln in das StGB Eingang fanden, verwirklicht, gleichzeitig aber durch § 20a erheblich verwässert; vg!. Hanack a.a.O. Rn 5.
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B. Vorstrafenbelastung und Strafzumessungsschuld
Mit § 13 a.F. (heute § 46) wurde erstmals eine allgemeine SZM-Vorschrift in das StGB aufgenommen. Sie rückt den Schuldgedanken explizit in den Mittelpunkt der Betrachtung l7 • In Abs. 1 S. 1 der bis heute im wesentlichen unverändert fortgeltenden Vorschrift heißt es: "Die Schuld des Täters ist die Grundlage für die Zumessung der Strafe. " Unter den "Umständen", die das Gericht bei der Zumessung gegeneinander abzuwägen hat, wird als Kriterium das "Vorleben des Täters" ausdrücklich benannt, § 46 Abs. 2. Auch die neu formulierten Vorschriften, die sich, an Stelle von § 20a und den Einzelstrafschärfungen, mit dem Personenkreis mehrfach auffälliger Täter beschäftigten, waren von dem Bemühen gekennzeichnet, dem Schuldprinzip stärker als in der Vergangenheit Rechnung zu tragen I 8. Man war der Überzeugung, daß strafrechtliche Reaktionen auf wiederholt auffällige Täter sich streng innerhalb der durch dieses Prinzip gezogenen Grenzen zu halten hätten. Soweit darüber hinausgehende Sanktionen aus präventiven Gründen unverzichtbar seien, hätten die Maßregeln der Besserung und Sicherung, insbesondere die Vorschriften über die Sozial therapeutische Anstalt und die Sicherungsverwahrung, einzugreifen. Gerade in der mit § 65 ins Auge gefaßten Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Anstalt sah man eine wichtige Chance, auf den hier interessierenden Personenkreis zukünftig angemessener reagieren zu können l9 . Dort, wo es aber nur darum gehe, den Täter aus Sicherungsgründen über das schuldangemessene Maß hinaus in Haft zu halten, sei ebenfalls nicht die Strafe, sondern allein die Sicherungsverwahrung einschlägig. Auch die Vorschriften dieses Instituts wurden jedoch neu und zugleich enger gefaßt. Der ultima-ratio-Gedanke der Sicherungsverwahrung wurde betont, ihre Verhängung bei Bagatelldelikten sollte verhindert werden20 • Diese engere Fassung der Sicherungsverwahrung durch das 1. Strafrechtsreformgesetz (§ 42e, seit dem 2. Strafrechtsreformgesetz § 66) hatte ihrerseits wiederum Rückwirkungen auf die Regelung der SZM-rechtlichen Seite: Trotz der stärkeren Betonung von Schuldgedanken und Zweispurigkeit hielt man es letztlich doch für nötig, auch bei den Strafsanktionen eine besondere Vorschrift für mehrfach auffällige Täter vorzusehen. Mit § 17 a.F. (spä17 Zur Genese des § 46 Bruns 1974, 285 - 308, zusammenfassend Bruns 1985, 38 ff. 18 Vgl. die vielfältigen diesbezüglichen Nachw. bei Kürschner 1978, 8 - 33, zusammenfassend 20. 19 Vgl. etwa Hanack 1968, 114. § 65 ist nie in Kraft gesetzt und 1985 endgültig gestrichen worden. Zur Gesetzesgeschichte und zum Scheitern der Reformhoffnungen vgl. Schöch U.8. ZRP 1982, 207 f; Böhm NJW 1985,1813 ffm.w.N. 20 Vgl. Hanack in LK § 66 Rn 2 - 19; Zipf in M/G/Z § 68 Rn 21 und Zipf 1989,442 f.
I. Gesetzeslage
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ter, mit nur redaktionellen Änderungen, § 48) wurde eine allgemeine Rückfallregelung geschaffen, die erkennbar kompromißhafte Züge trägt. Einerseits sollte sie dem Anspruch genügen, sich streng innerhalb der Grenzen des Schuldprinzips zu halten; gleichzeitig allerdings sollten bei Rückfalltätern, schon um die "Schere" zwischen Strafen und Maßregeln nicht zu groß werden zu lassen, nicht ganz unerhebliche Verschärfungen der Strafe weiterhin möglich bleiben21 . Abs. 1 des § 48 lautete: "Begeht jemand, nachdem er 1. schon mindestens zweimal im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes wegen einer vorsätzlichen Straftat zu Strafe verurteilt worden ist und 2. wegen einer oder mehrerer dieser Taten für die Zeit von mindestens drei Monaten Freiheitsstrafe verbüßt hat,
eine vorsätzliche Straftat und ist ihm im Hinblick auf Art und Umstände der Straftaten vorzuwerfen, daß er sich die früheren Verurteilungen nicht hat zur Warnung dienen lassen, so ist die Mindeststrafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten, wenn die Tat nicht ohnehin mit einer höheren Mindeststrafe bedroht ist. Das Höchstmaß der angedrohten Freiheitsstrafe bleibt unberührt." Sowohl § 13 a.F. (= § 46 gegenwärtiger Fassung) wie § 17 a.F. (= § 48 späterer Fassung) waren seit ihrem Entstehen umstritten. Während sich aber auch die Lehre bald mit § 46 arrangierte und sich statt auf die Bekämpfung dieser Vorschrift eher auf deren konträre Interpretation konzentrierte (wozu die offene Formulierung dieser Norm beigetragen haben dürfte)22, dauerte die rechtspolitische Diskussion um § 48 unvermindert fort23 . Es wurde heftig um die Frage gestritten, ob es mit § 48 tatsächlich geglückt sei, eine Regelung zu treffen, die dem Schuldgedanken hinreichend Rechnung trage. Die Auseinandersetzung kreiste allerdings weniger um Grundfragen der SZM, denn um die konkrete Gesetzesformulierung des
21 Detailliert zur Genese des § 48 und zu den ihm zugrunde liegenden Intentionen: Härtel 1973,25 - 39; Frosch 1976, 13 - 40; Kürschner 1978, 7 - 33. 22 Siehe etwa die Erwiderung von Lackner 1973, 117 ff auf Stratenwerth 1972; ferner Bruns 1985,42; Lackner 1985a, 248; Horstkotte, 1989,284. 23 Zu nennen sind insbesondere die Kritiken von Bindokat ZStW 71 (1959),281 ff; Hanack 1968,100 ff; Altcmativentwurf 1966, Begründung S. 111; Stratenwerth 1972, 15 ff; Mir Puig ZStW 86 (1974), 175 ff; Frosch 1976; Kürschner 1978; Berckhauer MschrKrim 1982,270 ff; Meier 1982 und ZStW 95 (1983), 316 ff; BaumannlWeber 1985, 642; Pfeiffer 1985, 291 ff; siehe auch Horn ZStW 89 (1977), 566 f; Schöch ZStW 92 (1980), 174 und die weiteren Nachw. (Blei, H. Mayer, Baumann u.a.) bei Meier 1982, 387 f.
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B. Vorstrafenbelastung und StrafLumessungsschuld
§ 48 24 • Die Verteidiger des § 48 waren der Meinung, daß die in dessen Abs. 1 enthaltene materielle Rückfallklausel geeignet sei, die Vereinbarkeit mit dem Schuldprinzip sicherzustellen. Wenn dem Täter "im Hinblick auf Art und Umstände der Straftaten" vorgeworfen werden müsse, "daß er sich die früheren Verurteilungen nicht hat zur Warnung dienen lassen", dann sei die Schuld dieses Täters als erhöht anzusehen25 • Die Kritiker der Vorschrift dagegen hielten die Formulierung der materiellen Rückfallklausel weder für praktisch handhabbar noch ror dogmatisch geeignet, § 48 mit dem Schuldprinzip in Einklang zu bringen26 • Vor allem aber wurden die Rechtsfolgen des § 48 kritisiert. § 48 sah für den Rückfall ausschließlich eine zwingende Erhöhung der Mindeststrafe auf sechs Monate Freiheitsstrafe vor. Der Anwendungsbereich der Vorschrift war damit relativ eng. § 48 blieb ohne Bedeutung für diejenigen Delikte, für die das StGB ohnehin eine höhere Mindeststrafe vorsah. Aber auch für alle diejenigen Straftaten, für die sich bereits aufgrund allgemeiner, dem § 46 zu entnehmender SZM-Erwägungen (etwa im Hinblick auf den verschuldeten Schaden) eine höhere Strafe als sechs Monate ergeben hätte, blieb die Bedeutung der Vorschrift zumindest faktisch gering27 • Der Regelung des § 48 wurde deshalb immer wieder vorgeworfen, einerseits nur den Bagatellbereich zu erfassen, andererseits gerade dort nicht selten zu unbilligen Lösungen zu führen. Ohne die schulderhöhende Wirkung des Rückfalls schlechthin in Zweifel zu ziehen, wurde an Beispielen wie etwa der wiederholten Beförderungserschleichung oder des wiederholten Diebstahls geringwertiger Sachen die These vertreten, daß die zwingende Verhängung von mindestens sechs Monaten Freiheitsstrafe bei Vorliegen der Rückfallvoraussetzungen des § 48 unbillig und mit dem Schuldprinzip kaum zu vereinbaren sei28 •
24 Nachw. wie Fn zuvor. 25 Vgl. zunächst Horstkotte JZ 1970a, 152 - 154; BVerfGE 50, 125 ff; detailliertere Nachw. unter B. n. 2. f. 26 Nachw. wie drittletzte Fn. 27 Zum Anwendungsbereich insb. Meier 1982, 4 ff; siehe auch Wagner GA 1979,41 ff. 28 So die gemäß Art. 100 Abs. I GG vorlegenden Amtsgerichte Düsseldorf in BVerfGE 50, 128 fund Herford in BVerfGE 65, 180; sowie von den oben aus der Literatur Genannten insb. Bindokat und Hanack a.a.O.; Frosch 1976, 184 f; Kürschner 1978, 107 f; Berckhauer MschrKrim 1982, 280; Meier 1982, 385 und ZStW 95 (1983), 338 f; ferner Groß StV 1985, 81; zusammenfassend Jung JuS 1986,743; Dölling NJW 1987, 1045; Geiter ZRP 1988, 377 379; Zipf 1989,440 f.
I. Gesetzeslage
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2. Gegenwärtiger Stand
Durch das 23. Strafrechtsänderungsgesetz vom 13.4.1986 wurde § 48 mit Wirkung zum 1.5.1986 ersatzlos gestrichen29 • Die Bedeutung dieser Streichung ist in jüngster Zeit unterschiedlich bewertet worden30 • Aus der Begründung des von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurfs ergibt sich jedoch, daß nicht etwa grundsätzliche Erwägungen den Anlaß zur Streichung bildeten, sondern daß es vor allem die erwähnte Kritik an den schematischen und nur im Bagatellbereich greifenden Rechtsfolgen des § 48 war, die zu dieser Aufhebung führte31 . Die Streichung sollte den Weg zu einer "flexiblen Strafbemessung im Bagatellbereich" öffnen32 . Angesichts dieses erkennbaren legislativen Willens wäre es verfehlt, die Streichung des § 48 als ein Fanal des Gesetzgebers zu verstehen, mit dem er die strafschärfende Berücksichtigung von Vorstrafen schlechthin beendet sehen wollte33 . Die (beabsichtigte) Folge der Streichung des § 48 ist außer der intendierten "flexibleren" Rechtslage im Bagatellbereich vor allem eine Verlagerung der dogmatischen Diskussion um die strafschärfende Wirkung früherer Verurteilungen auf die allgemeine SZM -Vorschrift des § 4634 . In dessen Abs. 2 ist das "Vorleben" nach wie vor erwähnt. Zwar hatte § 46 auch zuvor schon erhebliche dogmatische Bedeutung für die SZM bei Vorbestraften35 • Die Vereinbarkeit von vorstrafenbedingten Strafschärfungen mit dem Schuldprinzip wurde gleichwohl während der Geltung des § 48 fast ausschließlich anband dieser Norm debattiert. Kommentie-
29 BGBI I, 393 ff. An fonnelle Rüclfallvoraussetzungen knüpft heute, nachdem auch § 65 endgültig gestrichen wurde, im wesentlichen nur noch die Sicherungsverwahrung an, § 66. Eine stärkere Betonung von Wiederholungsgesichtspunkten läßt sich zudem möglicherweise auch dem Begriff der "schädlichen Neigungen" in § 17 Abs. 2 JGG entnehmen, die ständiger Rspr. zufolge bei einem Ersttäter allenfalls ausnahmsweise feststellbar sind, vgl. Böhm 1985, 171 f. 30 Vgl. Groß StV 1985, 81; Greger JR 1986,353; Jung JuS 1986,743; Dölling NJW 1987, 1045; Geiter ZRP 1988, 376 ff; Zipf 1989,439 ff. 31 Vgl. BT-Drucks. 10/2720, S. 10. Ebenso ein Vertreter der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Bundesländer: Groß StV 1985,81. 32 So ausdrücklich Greger, JR 1986, 353; vgl. auch Zipf 1989, 445; sowie die der Streichung vorangehende Forderung Meiers, ZStW 95 (1983),339. 33 Die Schlußfolgerungen von Geiter ZRP 1988, 380 f dürften deshalb zu weit gehen. 34 Vgl. Greger, Jung a.a.O.; Zipf 1989,439 ff, 445; K10se 1989, 14. 35 Vgl. BVerfUE 50, 132 f; Meier 1982, 14 ff und ZStW 95 (1983), 334 ff; Geiter ZRP 1988,380 und (nicht unzweifelhaft) Wagner GA 1979, 3 ff.
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B. Vorstrafenbelastung und Strafrumessungsschuld
rungen des § 46 beschränkten sich in bezug auf diese Frage meist auf einen Verweis auf den de lege lata existierenden und vom BVerfG für verfassungsgemäß erachteten § 4836 . Nunmehr dagegen ist "sedes materiae" ausschließlich § 46. Damit wird der Blick frei für die bislang meist nur beschränkt unter rechtspolitischem Gesichtspunkt einer angestrebten Streichung des § 48 diskutierte grundsätzliche Frage, welche Grenzen die Schuld als "Grundlage der SZM" einer strafschärfenden Berücksichtigung früherer Verurteilungen setzt. Die überwiegende neuere Literatur beschränkt sich jedoch weiterhin darauf, diejenigen Argumente, die zuvor zur Rechtfertigung des § 48 und insbesondere dessen materieller Rückfallklausel verwendet wurden, nun unmittelbar zur Interpretation des § 46 heranzuziehen. Die Vorstrafenbelastung soll demzufolge auch nach Streichung des § 48 die Schuld des Täters dann erhöhen, wenn ihm "im Hinblick auf Art und Umstände der Straftat vorzuwerfen (ist), daß er sich die früheren Verurteilungen nicht hat zur Warnung dienen lassen"37. Eine Übertragung dieses dem gestrichenen § 48 zugrunde liegenden Gedankens auf § 46 ist jedoch nicht unproblematisch38 . Auch wenn man dem Gesetzgeber nicht unterstellen kann, mit der Streichung des § 48 zugleich eine ausdrückliche Entscheidung gegen den Grundgedanken der in der materiellen Rückfallklausel enthaltenen Warnformel intendiert zu haben39 , so kann man in dieser Streichung aber auch kein Argument für die Beibehaltung des früher in dieser Klausel zum Ausdruck gekommenen Gedankens sehen. Der Gesetzgeber hat zwar darauf vertraut, daß auch gemäß § 46 Strafschärfungen bei Vorbestraften zulässig sind, in den Streit um die dogmatischen Voraussetzungen und um die Grenzen dieser Strafverschärfungen wollte er jedoch nicht eingreifen. Insbesondere für die Frage, ob Schärfungen gegenüber Vorbestraften sich möglicherweise ausschließlich präventiv rechtfertigen lassen und deshalb eventuell nur in einem gewissen, durch die Grenzen der Schuld gesetzten Rahmen zulässig sind, hat der Gesetzgeber durch das 23. Strafrechtsände-
36 Ausdriicklich Lackner 16. Aufl. 1985 § 48 Anm. 4; siehe auch Günter Hirsch in LK § 48 Rn 43. Ein bloßer Verweis auf die. in der Vorstrafe enthaltene Warnung, ohne Erörterung der Schuldproblematik, fand sich auch bei Dreherrrröndie 42. Aufl. 1985 § 46 Rn 24, 24a; Stree in Sch/Sch 22. Aufl. 1985 § 46 Rn 30, 31. Siehe ferner die Nachw. der Rspr., die ebenso verf"ahrt, bei Zipf in M/G/Z § 63 Rn 162, insb. BGHSt 24,200. 37 So ausdriicklich Zipf in M/G/Z § 63 Rn 162 und Zipf 1989, 439 Cf, 440, 445; Dreherrrröndie 1988 § 46 Rn 24a; Horn in SK § 46 Rn 124; Bruns 1988,57 - 59; K10se 1989, 14, 31 ff und - schon vor der geforderten Streichung - Meier ZStW 95 (1985), 339. VgJ. ferner Jescheck 1988, 803. Keine Veränderung auch bei Stree in Sch/Sch 23. Aufl. 1988 § 46 Rn 31 und Lackner 18. Aufl. 1989 § 46 Anm. IV.2.a. 38 Insoweit zutreffend Geiter ZRP 1988, 379 f. 39 Soweit Geiter a.a.O., 380 diesen Eindruck zu erwecken versucht, geht er deshalb, trotz zutreffender Kritik an der herrschenden Praxis, bei der Interpretation des gesetzgeberischen Willens wohl etwas zu weit.
I. Gesetzeslage
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rungsgesetz keine Entscheidung treffen wollen4O • Im Gegenteil. Der Reformgesetzgeber mag zwar von der fortbestehenden Möglichkeit gewisser Strafverschärfungen ausgegangen sein. Die Frage, wie solche Strafverschärfungen zu legitimieren sind, ist jedoch durch die Streichung des § 48 sogar wieder offener als früher geworden. Die ausdrückliche, positivrechtliche Festlegung im schulddogmatischen Streit um die Vorstrafenrelevanz, die viele in der materiellen Rückfallklausel des alten § 48 gesehen haben41 , ist entfallen. Die Präzisierung der Voraussetzungen und Grenzen von vorlebensbedingten Strafverschärfungen obliegt nunmehr wieder allein der Rechtsprechung und der Strafrechtswissenschaft42 • Dennoch ist es in der Literatur seit der Streichung des § 48 um die SZM bei Vorbestraften recht ruhig geworden43 • Befürworter wie Gegner erheblicher Strafverschärfungen scheinen die dogmatischen Probleme für gelöst oder doch zumindest für nunmehr wenig relevant zu halten44 . Die Kritiker der früheren Strafschärfungspraxis und deren dogmatischer Rechtfertigung scheinen der Auffassung anzuhängen, daß ihre Position mit der Streichung des § 48 einen durchschlagenden Sieg errungen hätte. Gleichzeitig sehen sich aber die Befürworter des § 48 nicht gehindert, das von ihnen für nötig Erachtete, nun gestützt auf § 46, unverändert fortzuführen45 . In der Praxis könnte sich möglicherweise sogar die Auffassung durchsetzen, daß die seit ehedem praktizierten Strafverschärfungen weiterhin in gleichem Umfang zulässig sind und daß es zudem, dank des "flexiblen" § 46, nun auch keiner aufwendigen Begründungen zur Rechtfertigung solcher Verschärfungen und zu deren Harmonisierung mit dem Schuldprinzip mehr bedürfe. Eine solche Auffassung wäre jedoch, gerade zum jetzigen Zeitpunkt - angesichts des Fehlens jeglicher positiv-rechtlicher Festlegungen seitens des Ge40 Die Begründung des - in diesem Punkt nicht streitig verhandelten - Gesetzesentwurfs enthält dafür auch keinerlei Indiz, vgl. BT-Drucks. 10/2720, S. 10; ebensowenig Groß StV 1985,81. 41 Vgl. Lackner 16. Aufl. 1985 § 48 Anm. 4.; siehe auch Günter Hirsch in LK § 48 Rn 43 sowie die übrigen Nachw. in der fünftletzten Fn. 42 So auch Zipf 1989,439 ff, der dem Gesetzgeber einen Rückzug aus der Verantwortung vorwirft und darin einen "Ausdruck der Resignation gegenüber der kriminalpolitischen Herausforderung des Rückfalls" sieht, a.a.O., 442 f. 43 Zipf a.a.O., 440: "Fast vollständiges Fehlen von Reaktionen." 44 Als Ausnahmen sind jedoch zwischenzeitlich Zipf und Geiter a.a.O. sowie Klose 1989 zu nennen. Zipf empfiehlt Änderungen de lege ferenda, mit denen in veränderter Form zu deliktsspezifischen Rückfallregelungen zurückgekehrt werden soll, a.a.O., 446 ff. Zu Geiter siehe bei B. D. 2. h. Klose 1989 behandelt vor allem empirische Fragen, seine kurzgefaßten dogmatischen Schlußfolgerungen, 1989,233 - 236, ähneln denen Geiters. 45 Siehe "ie vorangegangenen Nachw. auf die neuere Kommentarliteratur. Ähnliche Bedenken auch bei Geiter a.a.O.
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B. Vorstrafenbelastung und Strahumessungsschuld
setzgebers auf der einen und der unveränderten dogmatischen Probleme, vorstrafenbedingte Strafverschärfungen mit dem Schuldgedanken in Einklang zu bringen, auf der anderen Seite - besonders bedenklich. Es kann deshalb keinen Anlaß geben, die Kritik der herrschenden Konstrukte zur Rechtfertigung der Strafverschärfung gegenüber Vorbestraften ad acta zu legen46 • Schon 1978 hat Kürschner zu Recht darauf hingewiesen, daß die mit einer schuldangemessenen Bestrafung der Rückfalltäter verbundenen Probleme sich auch durch eine bloße Streichung des § 48 nicht lösen ließen47 . Seine Forderung nach einer über eine Streichung hinausgehenden ausdrücklichen KlarsteIlung des Gesetzgebers von Ob und Ausmaß zulässiger Strafverschärfungen gegenüber Vorbestraften ist jedoch nicht erfüllt worden48 • Die zu § 48 geäußerte grundsätzliche Kritik gegenüber den vorherrschenden Versuchen, auch gravierende Strafverschärfungen dogmatisch zu rechtfertigen, hat somit weder einen abschließenden Erfolg erzielt, noch ist sie hinfällig geworden. Statt dessen hat die Problematik - infolge der offeneren Gesetzeslage - sogar an Bedeutung gewonnen. Es erscheint, einer Empfehlung Walters folgend, dringend geboten, die an der materiellen Rückfallklausel des § 48 geäußerten Zweifel nunmehr in den Diskurs um die angemessene Auslegung des § 46 hineinzutragen49 . Dabei werden allerdings grundsätzliche, von der Formulierung und den konkreten Unzulänglichkeiten des § 48 stärker gelöste Erwägungen im Vordergrund stehen müssen. Auf dem Boden des § 46 bleibt vor allem die seit jeher streitige Frage von unvermindertem Interesse, ob und unter welchen Voraussetzungen Vorstrafen geeignet sind, die "Schuld" des Täters zu erhöhen.
46 Ebenso Geitcr a.a.O. 47 Kürschner 1978, 108. 48 Vgl. Kürschner a.a.O.; krit. zum gesetzgeberischen "Rückzug" auch Zipf 1989, 439 ff. 49 Vgl. Walter 1986, 500 Fn 30.
O. Dogmatischer Streitstand
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11. Dogmatischer Streitstand zur Schuldrelevanz der Vorstrarenbelastung
1. Zur historischen Entwicklung
Auch wenn man die historische Entwicklung nur dieses Streitstandes, der Frage also nach der Bedeutung der Schuld für die SZM bei Vorbestraften, sorgfältig nachzeichnen wollte, bedürfte eine solche rechtsgeschichtliche Betrachtung einer eigenen Untersuchung. Statt dessen kann hier nur exemplarisch und thesenartig verkürzt auf einige historische Gesichtspunkte hingewiesen werden, die im vorliegenden Zusammenhang von besonderem Interesse erscheinen50 : - Die dogmatische Diskussion um die Schuldrelevanz der Vorstrafenbelastung stagniert, im Grunde seit dem 19. Jahrhundert. Daß die Strafe gegenüber Vorbestraften geschärft werden darf, ist seit jeher befürwortet worden. Es sind der Sache nach präventive Argumente angeführt und es ist die Vereinbarkeit mit dem Schuldprinzip behauptet worden51 • Aber auch die Kritik, Praxis und herrschende Meinung neigten zu "exorbitanten" Strafverschärfungen52 , hat eine lange Tradition53 • Dies gilt auch für die wesentlichen Argumente, die solchen Verschärfungen immer wieder entgegengehalten werden. Die wichtigsten der auch heute noch von den Kritikern der Rückfallschärfung vorgetragenen Einwände finden sich - bewundernswert formuliert - bereits bei Köstlin (1855)54. Schon er hat auch denjenigen, später noch näher zu betrachtenden Ansatz, der sich heute als vorherrschend durchgesetzt hat, mit Erwägungen kritisiert, wie sie sich seitdem ähnlich und in vielfach modifizierter Form immer wieder finden lassen55 . Die Kritiker übermäßiger Rückfallstrafschärfungen kamen, wie sich am Beispiel des Hegel-Schülers Köstlin deutlich zeigt, durchweg aus derjenigen Denktradition, die üblicherweise als "klassische Schule" bezeichnet wird. Die Orientierung an "abstrakt~r Gerechtigkeit" und "objektiver Wiederherstellung des Rechts" forderte eine Ausrichtung der Strafhöhe an der Schwere des begangenen Delikts. Die Gefährlichkeit des Täters und seine früheren, abgeurteilten Straftaten schienen in einem solchen an
SO Es handelt sich um Aspekte, die im Verlauf der weiteren Untersuchung aufgegriffen und dort meist näher vertieft werden. SI Vgl. Wächter 1825 I § 117 m.w.N.; Heffier 1833, 117 f; sowie die bei Köstlin 1855, 621 Fn 5 Genannten. 52 Köstlin 1855, 621, 624. 53 Vgl. Köstlin a.a.O. 621-632; Themme 1876,177; Geyer 1884,179. 54 Köstlin a.a.O., insb. 621-624. 55 Köstlin 8,.a.O., 622; siehe dazu später B.0.2.f.
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B. Vorstrafenbelastung und Strafzumessungsschuld
Tatproportionalität ausgerichteten System wenig Platz zu haben56 • Dennoch hat schon Köstlin die Berechtigung, bei Rückfall schärfer zu strafen, nicht gänzlich geleugnet, sondern nur das von ihm geargwöhnte Übermaß solcher Verschärfungen und deren dogmatische Rechtfertigung kritisiert57 • - Einen wesentlichen Aufschwung erlebten die Forderungen nach dfal'tischen Strafverschärfungen gegenüber Vorbestraften um die Jahrhundertwende. v. Liszt gehört zu den nachdrücklichsten Verfechtern solcher Verschärfungen58 • Seine aus heutiger Sicht überaus repressiven Forderungen gegenüber einem Personenkreis, der sich im wesentlichen aus mehrfach Vorbestraften rekrutiert59 , erscheinen ihm als zwingende Folge seines an der Unterscheidung von "Gelegenheitsverbrechern" , "besserungsfähigen" und "nicht besserungsfähigen Zustandsverbrechern" ausgerichteten spezial-präventiven Strafsystems60 • Die ZUfÜckdrängung des Strafübels gegenüber den für "besserungsfähig" Erachteten und die spezial präventive Umorientierung des strafrechtlichen Sanktionensystems, mit denen der Name v. Liszt gegenwärtig meist verbunden wird, gingen mit der Befürwortung unnachgiebiger Härte gegenüber denjenigen einher, die für "nicht besserungsfähig" erachtet wurden61 • v. Liszt sah in dieser Forderung keinen Widerspruch zu seiner heute vielzitierten Äußerung62 , das Strafrecht habe die "Magna Charta des Verbrechers" zu bilden, es sei die Schranke der Kriminalpolitik. Das Schuldprinzip hat seiner Konzeption zufolge Bedeutung nur für die StratbegfÜndung; eine klar gesetzlich geregelte, aber rein präventive Ausgestaltung der SZM unter Verzicht auf den Schuldbegriff wäre ihm nicht als ein Verstoß gegen den Magna-Charta-Gedanken erschienen63 • Zwar hat v. Liszt, nachdem er die Schuldorientierung der SZM zunächst vehement bekämpft hatte64 , später den Versuch unternommen, die präventive Orientierung der SZM, vor allem die von ihm nachdrücklich geforderten, erheblichen Strafverschärfungen gegenüber mehrfach 56 Vgl. Ebernard Schmidt 1965, 294-297. 57 Köstlin a.a.O., 624. 58 Die Forderung nach drastischer Bekämpfung des "Gewohnheitsverbrechertums" nimmt bereits im Marburger Programm breiten Raum ein, v. Liszt I (1882), 164, 166 f, 170, 173; ferner n (1893), 123: v. Liszt fordert hier die "Unschädlichmschung der Unverbesserlichen". Noch drastischer formuliert er in einem Brief an Dochow, zit. bei Naucke ZStW 94 (1982), 548. 59 Vgl. ausdriicklich v. Liszt I (1882), 167. 60 Vgl. grundlegend v. Liszt I (1882), 166 ff. 61 Auf diese Seite des v. Liszt'schen Gedankenwerks hat vor allem Naucke ZStW 94 (1982), 525 ff in anderenorts zuvor vermiedener Deutlichkeit hingewiesen; siehe auch Baurmann Kriminalsoziologische Bibliographie 1984, Heft 42, 54 ff m. w.N. 62 v. Liszt n (1893), 60; 11 (1893),80. 63 Vgl. v. Liszt n (1893),60 f; 11 (1893),79-93. 64 Vgl. v. Liszt n (1893),47.
U. Dogmatischer Streitstand
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Auffälligen, scheinbar mit dem Schuldbegriff zu harmonisieren65 • Er bediente sich dazu des Begriffs der "Gesinnung", einer Größe, die auch die Anhänger des klassischen Schuldverständnisses verwendeten66 • Der Kunstgriff, präventive Ausrichtung der SZM und Schuldbegriff in Übereinstimmung zu bringen, konnte jedoch nur durch eine Neuformulierung des Schuldbegriffs gelingen. v. Liszt akzeptierte den Schuldbegriff67 , doch er hielt zugleich fest an seiner vehementen Ablehnung der Ausrichtung der SZM am Gedanken der Tatproportionalität. Statt von der klassischen Schule verfochtener Proportionalität zwischen Strafe und Tat verlangte v. Liszt "Proportionalität zwischen Strafe und Gesinnung "68 • Die dem klassischen Begriffsinventar entnommene Floskel der "Gesinnung" wurde somit zum für die Höhe der "Schuld" allein maßgeblichen Kriterium ernannt, zudem wurde sie inhaltlich umformuliert. Denn v. Liszt kam es nicht auf das Maß von "Verwerflichkeit" oder "Ehrlosigkeit" der in der Tat erkennbar gewordenen Gesinnung oder auf deren "Niedrigkeit" an69 • Entscheidend sei allein, ob die Tat mehr oder weniger Ausdruck der "bleibenden Eigenart" des Täters sei7o • Dieser Hinweis v. Liszts auf die "bleibende Eigenart" des Verurteilten macht besonders deutlich, daß für ihn die "verbrecherische Gesinnung" im Grunde ein Synonym für die andauernde Gefährlichkeit des Täters ist. Schuld wird so als Maßstab für die SZM formal zwar akzeptiert, inhaltlich aber in prospektive Tätergefährlichkeit umformuliert. v. Liszt selbst hat dies deutlich gesehen. Er verstand seine Interpretation des Schuldbegriffs als einen sprachlichen Kompromiß zur Durchsetzung des kriminalpolitisch Erwünschten ("Dabei soll es uns auf den Namen nicht ankommen. ")71. Es ist deshalb Jescheck zu folgen, wenn er betont, daß sich v. Liszt der Sache nach nie am "Schuldprinzip als Grenze und Maßstab der SZM" orientiert habe72 . - Für die weitere dogmatische Entwicklung dürfte entscheidend gewesen sein, daß die rechtspolitischen Forderungen v. Liszts, gerade was die schärfere Ahndung von Rückfalltaten betrifft, auch bei seinen strafrechtstheoretischen Gegnern auf fruchbaren Boden fielen. Darüber, daß auf wiederholte Auffälligkeit erheblich schärfer als in der Vergangenheit reagiert werden müsse, bestand über alle Diskrepanzen der Rechtfertigung hinweg, weitgehende 65 Vgl. v. Liszt U (1903),356 ff, insb. 377-390. 66 v. LiSZl verweist U.8. 8ufBirkmeyer, 11 (1902),367. 67 v. Liszt 1914, 164; siehe aber auch 1914,278. 68 v. Liszt U (1892),16; 11 (1902), 377 ff, insb. 381 ff, 389 f. 69 Ausdrücklich v. Liszt 11 (1902), 386. 70 v. Liszt 1914, 164. 71 v. Liszt U (1893), 72. 72 Jescheck 1983, 262; ebenso Naucke ZStW 94 (1982), 534: Den Straftrieb zu formen, rechtsförmig zu gestalten, sei bei v. Liszt nur unvollständig gelungen.
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B. Vorstrafenbelastung und Strafzumessungsschuld
Einigkeit73. Gespeist wurde dieser Konsens aus von v. Liszt und anderen vorgetragenen kriminologischen Erwägungen, welche wesentlich weniger Widerspruch hervorriefen als seine dogmatischen Thesen74 • Dieser gemeinsame Hintergrund der unterschiedlich gerechtfertigten Strafschärfungsbemühungen ist deshalb von Interesse, weil die v. Liszt und seine Zeit beherrschenden kriminologischen Erwägungen (Aussagekraft der Kriminalstatistik hinsichtlich der Rückfallquote von Wiederholungstätern75 ; Chancen der Besserung "Besserungsfähiger" durch geeignete justizielle Maßnahmen76; Existenz eines Personenkreises "Nicht-Besserungsfähiger"77 und vor allem die prognostische Trennbarkeit beider Personengruppen78) aus heutiger Sicht - unter anderem aus den in der Einleitung benannten Gründen - erheblichen Zweifeln ausgesetzt sind79 , ohne daß dies auf die strafrechtsdogmatische Bewertung durchschlagende Auswirkungen gehabt hätte. Daß auch die dogmatischen Gegner v. Liszts dessen kriminologische Prämissen teilten und seine kriminalpolitischen Schlußfolgerungen demzufolge im wesentlichen billigten, dürfte die Ursache dafür sein, daß in der Folgezeit auch die klassische Schule erhebliche Strafschärfungen gegenüber Rückfalltätern nicht als einem Schuldstrafrecht in ihrem Sinne zuwiderlaufend brandmarkte, sondern statt dessen ebenfalls versuchte, dogmatische Wege zur Harmonisierung der Strafschärfung mit dem Strafrechtssystem zu finden 80 . Auch in der sogenannten klassischen Schule 73 VgJ. etwa die Zustimmung bei van Calker 1902,242 (den Eberhard Schmidt 1965,294 allerdings bereits der "vermittelnden Richtung" zuordnet; siehe dagegen v. Liszt ß < 1907> , 366); bei Kahl 1903, 232 f; Kronecker 1903, 241, 243; Max Ernst Mayer 1905, 145, 147. Siehe zudem selbst Birkmeyer, zit. bei v. Liszt 11 (1902), 367. 74 Nachw. wie zuvor, insb. van Calker a.a.O. 75 v. Liszt I (1882), 162, 167; siehe auch Kahl 1903, 232 f: "Brutale Beweiskraft" der Reichskriminalstatistik; Max Ernst Mayer 1905, 145. Beachtenswert ist jedoch die bereits 1907
von Praktikern geäußerte Kritik an der Überinterpretation des statistischen Materials, Hoegel 1907, 389-397; v. Prittwitz und Gaffron 1907, 405 ff und Hartmann 1907, 408 f; skeptisch auch Binding 1907, Vorwort XIV f.
76 Siehe trotz v. Liszt 11 (1893), 83 ("Der Kampf ist in erster Linie ... auf sozialpolitischem Gebiete zu führen") zur enieherischen Wirkung der Freiheitsstrafe 11 (1896), 209 und 11 (1883), 132. 77 v. Liszt I (1882), 168 f; U (1896), 209 f. Von den "nur allzu zahlreichen
Menschenfreunden", die entsprechend dem Gedanken "it is never too late to mend" grundsätzlich die Annahme der Unverbesserlichkeit verwerfen, hält v. Liszt wenig, ß (1893), 125. Siehe dazu nur die Rückfalldaten bei Böhm/Erhard 1988, 118 und Tabelle 23 für Personen mit mehr als fünf und mehr als zehn Vorverbüßungen, die von 100 % weit entfernt sind (52-75 %); sowie, eher qualitativ orientiert, Maschke 1989, 64-69 und, zusammenfassend, Kerner BH 1989,212 m.w.N.
78 v. Liszt U (1893), 91 ff; siehe dagegen etwa die Ergebnisse bei BöhmlErhard 1988, 150 ff, zusammenfassend 236-239. 79 Vgl. oben A.I.; ausdrücklich auch Stratenwerth 1972,21. 80 VgJ. das Gutachten, das van Calker als der zweite Gutachter neben v. Liszt für den 26. deutschen luristentag 1902 zu der Frage "Nach welchen Grundsätzen ist die Revision des Strafrechts in Aussicht zu nehmen?" erstattete, van Calker 1902, 237 ff, 243; ebenso der
U. Dogmatischer Streitstand
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wurde deshalb durchweg die schulderhöhende Wirkung der Vorstrafenbelastung postuliert81 • Als ein probates Mittel, das erwünschte Ergebnis bei (scheinbarem -?-) Festhalten an klassischen Strukturen zu erzielen, diente auch ihr die im Rahmen der Schuld zu berücksichtigende "Gesinnung" des Täters. Der Begriff wurde zwar von van Calker und anderen etwas zurückhaltender als von v. Liszt interpretiert; zudem betonte man, daß es nicht um eine Ersetzung, sondern nur um eine Ergänzung der Tatproportionalität durch die (verstärkte) Berücksichtigung der Tätergesinnung gehe. Auch mit der nur ergänzenden Berücksichtigung war jedoch der Weg gewiesen, auf dem die wiederholte Tatbegehung als ein berücksichtigungsfähiger Bestandteil in den Schuldbegriff integriert werden konnte82 . Der Streit konnte sich somit darauf beschränken, ob der Rückfälligkeit, der Tätergefährlichkeit oder ähnlichem ausschließliche oder nur ergänzende, größere oder kleinere Bedeutung bei der Ausfüllung des Schuldbegriffs beizumessen sei. (Max Ernst Mayer resümierte bereits 1905, daß es nun nicht länger die Frage sei, ob eine besondere strafrechtliche Behandlung des "Gewohnheitsverbrechers" erlauht, sondern daß es nur noch darum zu gehen habe, welche Behandlung am richtigsten sei 83 .) - Harmonisierungsbemühungen wie diese, auf den Begriff der "Gesinnung" gestützten, bestimmten seitdem die Strafrechtsentwicklung. Sie unterscheiden sich vor allem dadurch voneinander, ob die Absicht, die Täter-"gefährlichkeit als Schuldmoment" zu begreifen, offen benannt wird, wie dies etwa Grünhut in einem Aufsatz dieses Titels aus dem Jahr 1926 tat84 , oder ob statt dessen ein ähnliches Ergebnis unter Rekurs auf scheinbar hruchloser in den Schuldbegriff zu integrierende Erwägungen angestrebt wird85 . Von eigener dogmatischer Bedeutung sind hier insbesondere die als Täterschuldiehren bezeichneten Lebensführungsschuld-86 und CharakterschuldlehBerichterstatter Kahl 1903, 234: Eine energische Veränderung werde "von allen Seiten gefordert". 81 Vgl.van Calker und und Kahl a.a.O. 82 Besonders deutlich van Calker 1902, 245-249; zustimmend Max Ernst Mayer 1905, 146 (Die Notwendigkeit, die "Gesinnung" verstärkt zu berücksichtigen, sei "Gemeingut des deutschen luristenstandes geworden".); Hoegel 1907, 397. Siehe selbst Birkmeyer (zit. bei v. Liszt U ,367). 83 Max Ernst Mayer a.a.O. 84 Grünhut, Monatsschrift rur Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform XVII (1926), Beiheft I, 87 tT. 85 Siehe etwa die Ansätze v. LilienthaIs (bei Bruns 1967, 111) und zusammenfassend Bruns 1967, 1l0-125, insb. lll, 121, 123. Krit. gegenüber solchen "Verschleierungsmethoden" u.a. Beling, Archiv rur Rechts- und Wirtschaftsphilosophie 1921/22, 144 ff, 145, 200 ff und Mittermaier (bei Bruns 1967, 122). 86 Siehe vor allem Mezger ZStW 57 (1938), 688-690; ZStW 60 (1941), 370-374; 1943, 84 f; Bockelmann 1940, 145 ff; ferner Welzel ZStW 60 (1941), 428 ff, insb. 459 f. 4 Erhard
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8. Vorstrafenbelastung und Strafrumessungsschuld
ren87 • Gemeinsam ist diesen Konzepten, daß auch sie, ähnlich wie Grünhuts These, die Schwierigkeit, bereits zurückliegende (und abgeurteilte) Vorgänge aus dem Leben des Täters zu berücksichtigen, immerhin ausdrücklich benennen und zum Gegenstand der dogmatischen Erörterung machen. Es wird der Nachweis zu führen versucht, daß die der Tat vorausgehende "Lebensführung", oder daß spezifische "Lebensentscheidungen" oder der "Charakter" des Täters als Bestandteil des Schuldbegriffs zu verstehen seien. Folgt man diesen Ansätzen, so fällt es leicht, die früheren Straftaten als Teil einer solchen (erneut) berücksichtigungsfähigen "Lebensführung", als Ausdruck verfehlter "Lebensentscheidungen " oder als Ausdruck eines Charakterzuges zu begreifen und demgemäß in die Schuldbetrachtung einzubeziehen88 • Lehren dieser Art haben in den dreißiger und vierziger Jahren besondere Bedeutung erlangt89 . Sie wurden vor allem für Bemühungen herangezogen, mit denen § 20a RStGB gerechtfertigt werden sollte, ohne zugleich das herkömmliche Schuldprinzip als Maß der SZM aufzugeben90 . - Die Nachkriegsentwicklung ist, auch soweit es um die Schuldrelevanz der Vorstrafenbelastung geht, im Zusammenhang mit den §§ 17 a.F., 48 mehrfach dokumentiert worden~l. Sie bleibt durch einen fortdauernden Zwiespalt gekennzeichnet. Zwar scheint zunächst die Forderung strenger Schuldorientierung der SZM entscheidenden Aufwind zu erlangen. Die Akzentuierung der (jedenfalls) limitierenden Bedeutung des Schuldprinzips findet weitgehende Anerkennung92 . Andererseits bleiben gerade die mehrfach Vorbestraften ein Personenkreis, bei dem auch die Literatur nicht unerhebliche Strafverschärfungen meist für unverzichtbar hält93 . Auch nach dem Krieg werden deshalb mit leichten Modifikationen zunächst die erwähnten Täterschuldlehren, die nach wie vor den Anspruch erheben, eine dogmatische Chance zur Vereinbarung der Strafschärfungen mit dem, nun wieder verstärkt betonten, Schuldge-
87 Vor allem Engisch ZStW 61 (1942),166 fT; ZStW 66 (1954), 358-364; 1963; MschrKrim 1967, 108 fT. Weitere Nachw. nachfolgend und bei 8.1II.2.c. 88 Vgl. zusammenfassend Maurach/Zipf 1987 § 35 Rn 10-15, insb. 13 und 8runs 1967, 474 f. 89 Täterschuldfragen spielten etwa auf der Tagung der deutschen Strafrechtslehrer 1940 in Weimar eine erhebliche Rolle, vgl. Mezger ZStW 60 (1941), 370 und 80ckelmann ZStW 60 (1941),417 fT. 90 Nachw. wie zuvor, insb. Mezger a.a.O. 91 Vgl. Härtel1973, 25-34; Frosch 1976, 13-40; Kürschner 1978, 23-33. 92 Vgl. oben 8.1.1. und eingehend unten 8.1II.2.b.aa. Darüber, daß Schuld jedenfalls Strafe zu begrenzen habe, bestand zwischen den Anhängern des Entwurfs 1962 und des Alternativentwurfs 1966 kein Streit; vgl. § 60 des Entwurfs 1962 einerseits, § 59 AE andererseits; näher dazu unten, a.a.O. 93 Nachw. wie vorletzte Fn.
D. Dogmatischer Streitstand
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danken zu bieten, aufgegriffen94 • Die Entwicklung seit den fünfziger und sechziger Jahren ist dann allerdings durch eine schrittweise Zurückdrängung dieser, durch die nationalsozialistische Indienststellung nachhaltig diskreditierten, Lehren gekennzeichnet95 • § 48 war zwar noch unter nicht unerheblicher Mitwirkung auch derer, die sich auf Täterschuldprinzipien beriefen, zustandegekommen96 • Nach seinem Inkrafttreten konnte sich jedoch, im Anschluß an einen einflußreichen Aufsatz des damaligen Referenten im Bundesjustizministerium, Horstkotte, die Auffassung durchsetzen, daß es zur Einordnung dieser Vorschrift und zur Rechtfertigung von Strafverschärfungen gegenüber Vorbestraften keines Rückgriffs auf solche Konzepte bedürfe. Strafverschärfungen gegenüber Vorbestraften seien streng am Tatschuldprinzip zu messen. Dann, wenn diejenigen, in jedem Einzelfall konkret zu prüfenden Voraussetzungen, die in der materiellen Rückfallklausel des § 48 umschrieben seien, tatsächlich vorlägen, sei jedoch auch die Tatschuld des Täters erhöht. Auf die Einzelheiten dieses Ansatzes, dem das Bundesverfassungsgericht gefolgt ist, wird noch ausfiihrlich einzugehen sein97 . Für die geschichtliche Betrachtung erscheint es bemerkenswert, daß auch der mit diesem Ansatz verbundene, scheinbar grundsätzliche, Rechtfertigungswechsel von Lebensfiihrungs- auf Tatschuldkonzepte auf die weiterhin vorherrschende Überzeugung, derzufolge einschlägig Vorbestrafte in der Mehrzahl der Fälle höhere Schuld aufweisen, keinen wesentlichen Einfluß gehabt hat. Es wird sich zeigen, daß auch gegenwärtig die Überzeugung vorherrscht, die Schuld des "einschlägig" vorbestraften Täters sei jedenfalls im Regelfall höher anzusetzen als die Tatschuld eines nicht oder weniger Vorbelasteten98 •
94 Siehe etwa Eberhard Schmidt ZStW 69 (1957), 372 f; Engisch ZStW 66 (1954), 358-364; 1963 und MschrKrim 1967, 108 fT; sowie übernächste Fn. 95 Ablehnend u.a. Arthur Kaufmann 1961, 187 fT; Baumann MDR 1963, 803; § 59 Alternativentwurf 1966; Bruns 1967, 478-482; Lenckner in Sch/Sch vor § 13 Rn 105; BaumannlWeber 1985, 360; Rudolphi in SK vor § 19 Rn 3; Maurach/Zipf 1987 § 35 Rn 14; weitere Nachw. unter B.III.2. 96 Vg\. die Hinw. auf die Äußerungen in der Großen Strafrechtskommission von Mezger, Eberhard Schmidt, Gallas und Wetzel bei Kürschner 1978, 11-13. 97 Vg\. Horstkotte JZ 1970a, 152 fT; ihm folgend BVerfGE 50, 125 fT. Der Umschwung setzte bereits während der Geselzgebungsarbeiten ein, vg\. Kürschner 1978, 20 unter Hinweis auf Kopf (S. 14) und den, allerdings noch wenig ausgeprägten, TatschuldbegrifT bei Dreher und Koftka (S. 17). Horstkotte hatte zudem bereits im Rahmen der Beratungen des Sonderausschusses erheblichen Einfluß gewonnen, vg\. Kürschner 1978, 23, 25. Näher zum Überwindungsmodeli unten, B.II.2.f. 98 Siehe B.II.2.a.-g.
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B. Vorstrafenbelastung und Strafzumessungsschuld
2. Versuch eines systematischen Oberblicks
Angesichts des somit insgesamt eher geringen Fortschritts der historischen Diskussion mag hier eine Vertiefung der geschichtlichen Betrachtung unterbleiben und an ihre Stelle der Versuch treten, in einem zweiten Schritt einen systematischen Überblick über alle diejenigen Auffassungen zu gewinnen, die im Rahmen des aktuellen Streitstandes um die Schuldrelevanz der Vorstrafenbelastung nach wie vor von Bedeutung sind. Bereits bei der historischen Betrachtung erwähnte Gesichtspunkte sind dabei aufzugreifen, teilweise zu differenzieren und durch weitere, in der gegenwärtigen Diskussion vertretene Argumentationen zu ergänzen. Auch hier muß es jedoch genügen, die Grundlinien der verschiedenen Auffassungen darzulegen und auf wichtige, in der Literatur immer wieder angeführte Kritikpunkte hinzuweisen. Gewisse Wertungen sind dabei unumgänglich. Eine eigene, über solche Deskription hinausgehende Auseinandersetzung mit den einzelnen Rechtfertigungsansätzen ist jedoch an dieser Stelle noch nicht beabsichtigt. Sie hat nach Darstellung des gesamten aktuellen Streitstandes im Rahmen des eigenen Lösungsweges zu erfolgen (B.III. ff). Selbst eine bloße Systematisierung der gegenwärtig vertretenen Ansichten zur Schuldrelevanz der Vorstrafenbelastung fällt allerdings nicht leicht. Als hinderlich erweist sich vor allem, daß die herrschende Strafrechtspraxis die strafschärfende Berücksichtigung der Vorstrafenbelastung für im Grunde unproblematisch hält. Häufig wird deshalb das hier als Grundsatzfrage bezeichnete Problem mit wenigen, meist in mehrere Richtungen interpretierbaren und nur selten näher erläuterten Schlagworten abgetan99 • a) Strafschärfung als Selbstverständlichkeit Als die in der Praxis vorherrschende, aber auch in der Literatur nicht seltene Meinung wird man deshalb zunächst diejenige derer hervorzuheben haben, die die Möglichkeit erhöhter Schuld des ("einschlägig") Vorbestraften als eine eingehender Begründung nicht bedürftige Selbstverständlichkeit erachten. Der Umstand, daß Vorbestrafte (unter gewissen, hier nicht näher zu erörternden, einschränkenden Umständen) mit höheren Strafen zu rechnen haben, erscheint als ein Topos, der kaum hinterfragt werden mußlOO. Käme man auf99 Nur knappe Bemerkungen, nicht hinsichtlich der Einzelfragen, aber hinsichtlich der Schllidrelevanz der Vorstrafenbelastung, selbst bei Zipf in M/G/Z § 63 Rn 162; Bruns 1985, 223 f; Stree in Sch/Sch § 46 Rn 29, 31; Horn in SK § 46 Rn 124; Günter Hirsch in LI( § 46 Rn 79 f. 100 Dies zeigt sich außer an den meist nur knappen Bemerkungen der Kommentarliteratur (vorige Fn) auch an der Rspr. zu Strafschärfungen bei "einschlägig" Vorbestraften. Meist wird
O. Dogmatischer Streitstand
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grund strafrechtstheoretischer Erwägungen zu der Auffassung, daß Strafrechtssystem und Strafschärfung bei Vorbestraften sich nicht vereinbaren lassen, so würde dies jener Meinung zufolge gegen die zugrunde gelegte Strafrechtssystematik und nicht gegen die Notwendigkeit der Rückfallschärfung sprechen. Die Ursache solcher Überzeugungen sind von kriminologischen Kritikern häufig im sozialpsychologischen und tiefenpsychologischen Bereich gesucht worden lOl • Dem soll hier wegen der abweichenden Zielsetzung dieser Arbeit nicht näher nachgegangen werden. Häufig dürften jedoch bei solchen tief verwurzelten und nicht immer näher reflektierten Bewertungen Gesichtspunkte, die begrifflich dem Bereich der Prävention zuzuordnen sind, entscheidendes Gewicht haben. Als zugrunde liegende Motive für eine wie auch immer dogmatisch gerechtfertigte Strafverschärfung kommen sowohl auf Individualabschreckung wie auf Resozialisierung und auf Sicherung abzielende Bedürfnisse in Betracht. Auf die unabhängig von der jeweils vertretenen schuldstrafrechtlichen Auffassung immer wieder durchscheinende Dominanz der Überzeugung, daß Strafverschärfungen ein nötiges und geeignetes Mittel seien, um wiederholte Straffälligkeit wirksam zu bekämpfen, ist bereits im geschichtlichen Überblick hingewiesen worden lO2 • Angesichts dieser Motivlage vieler Verfechter erheblicher Rückfallverschärfungen wäre es naheliegend, wenn ausdrücklich auch die dogmatische Auffassung vertreten würde, (massive) Rückfallschärfungen seien aus präventiven Gründen notwendig und gerechtfertigt, unabhängig davon, ob sie mit dem Schuldprinzip vereinbar seien. Dies war der Sache nach die Position v. Liszts l03 • Auch bei Mezger finden sich in diese Richtung zielende Äußerungen lO4 • Heute jedoch ist eine solche Auffassung de lege lata nicht mehr veres nur für nötig erachtet, Ausnahmen von dem stillschweigend zugrunde gelegten Grundsatz straf- und schuldemöhender Wirkung zu erörtern, vgl. BayObLG NJW 1970, 871; BGHSt 24, 199 sowie die Nachw. bei Horn sLSK § 46 Rn 14. Diesbezüglich besonders deutliche Worte finden sich zudem in mehreren Deballenbeiträgen im Sonderausschuß zur Strafrechtsreform. Müller-Emmert bezeichnet die Strafschärfung als ·Selbstverständlichkeit" und "alten Brauch"; Dreher tut Zweifel an der schuldemöhenden Wirkung der Vorstrafe als "überspitzte Psychologie" ab; dokumentiert bei Frosch 1976, 65, 116. Siehe auch Stock 1961, 150: Die emöhteSchuld der Rückfalltäter sei "unbezweifelbar". Ähnliche Nachw. auch bei Klose 1989, 31 f. 101 Vgl. Hame GA 1978, 49; 1984, 112; Streng ZStW 92 (1980), 637 ff, 651 f; Pfeiffer 1985,291 f, 302 ff; siehe auch Stratenwerth 1972, 18 f; Bußmann 1981, 362 ff; Plewig 1981, 383 f; Walter 1986, 505 f. 102 Vgl. oben, B.O.1. und Stratenwerth 1972, 18 f. 103 Siehe oben B.II.1. m.w.N.; ihm folgend Sichart ZStW 10 (1890), 413. 104 Mezger 1938, 135, 142: "Strafe ist ... mehrdimensional." Sie kann und muß, über ihr Wesen als Tat-Schuld-Strafe hinausgehend, als Nebenaufgabe bestimmte Sicherungsaufgaben mit übernehmen"; anders 1943, 160 f. Siehe zudem, noch in der Großen Strafrechtskommission, Kopf, dokumentiert bei Kürschner 1978, 14.
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B. Vorstrafenbelastung und Strafzumessungsschuld
tretbar. Spätestens seit der Geltung des § 46 (§ 13 a.F.) sehen sich die Verfechter von Strafverschärfungen gezwungen, deren Vereinbarkeit mit dem Schuldprinzip zu behaupten. Die diesbezüglichen Begründungen fallen jedoch sehr unterschiedlich aus. b) Schuld als Derivat positiver Generalprävention Oft lassen die vorgetragenen Argumente eine exakte Trennung zwischen präventiven und schuldorientierten Gesichtspunkten vermissen. Der - häufig erhobene - Vorwurf unzulässiger, unterschwelliger Einmengung präventiver Erwägungen in den Schuldbegriff kann allerdings nur dann verfangen, wenn Schuld und Prävention tatsächlich - wie bislang stillschweigend vorausgesetzt - trennbare und trennungsbedürftige Begriffe sind. Er trifft denjenigen nicht, der die Trennung zwischen Schuld und Prävention bestreitet. Dies gilt etwa für Jakobs, der Schuld als Derivat (positiver) Generalprävention begreift 105 • Orientiert man sich am Gedanken positiver Generalprävention, drängen sich Zweifel an der Zulässigkeit von schärferen Strafen gegenüber mehrfach auffälligen Tätern kaum auf. Aus den erwähnten sozialpsychologisch/tiefenpsychologischen Gründen liegt es nahe, das Normvertrauen der Bevölkerung bei Wiederholungstätern für in besonderem Maß erschüttert zu halten 106 • Es verblüfft deshalb nicht, wenn Jakobs, im Gegensatz zu vielen anderen Strafrechtswissenschaftlern, keinerlei Zweifel an der Notwendigkeit und Zulässigkeit solcher Strafschärfungen äußert. Mit im Vergleich zu anderen Lehrbüchern auffallender, auf dem Boden der von ihm verfochtenen Schuldauffassung aber möglicherweise folgerichtiger Kritiklosigkeit führt Jakobs aus: "Da es nicht tolerabel ist, die Intensität von Delinquenz durch Nachsicht zu honorieren, bleiben die Erschwernisse der Rechtsbefolgung, die Vortaten mit sich bringen mögen, Sache des Täters, mildem also die Schuld nicht. Nicht das Faktum der psychischen Verfassung des Täters interessiert, sondern die Zuständigkeit für das faktisch bei intensiver Delinquenz nun einmal erhebliche Manko an Rechtstreue. "107 Eine Erörterung, die die Schuldrelevanz der Vorstrafenbelastung in Zweifel ziehen will, wird daher zu dem von Jakobs verfochtenen Schuldverständnis Stellung beziehen müssen 108.
105 Jakobs 1976, 8 ff,32; 1983, 17 Rn 18-22. 106 Nachw. wie fünf Fn zuvor. 107 Jakobs 1983, 17 Rn 26; siehe auch 1976,26 Fn 76. 108 Unten, B.m.2.d.dd.
u. Dogmatischer Streitstand
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c) Lebensführungs- und Charakterschuldlehren Die vorherrschende Meinung jedoch hält an der Trennung zwischen Schuld und Prävention fest. Ganz überwiegend ist sie der Auffassung, daß bei mehrfach Vorbestraften nicht nur das Präventionsbedürfnis, sondern auch die Schuld zumindest erhöht sein kann. Bereits die historische Betrachtung hat gezeigt, daß hierbei zwei dogmatische Positionen zu unterscheiden sind: Diejenigen, die einen streng auf die sogenannte Tatschuld begrenzten Schuldbegriff zugrunde legen und diejenigen, die - jedenfalls für die SZM - mit einem umfassenderen Schuldbegriff operieren, der über die strafbegründende Tatschuld hinaus Elemente des Vorlebens, der Entwicklung des Täters oder seiner Täterpersönlichkeit unmittelbar als Bestandteile des Schuldbegriffs der SZM berücksichtigt. Ein solcher, weiter Schuldbegriff liegt vor allem den Konzepten der Lebensführungsschuld-, Lebensentscheidungsschuld- und Charakterschuldlehren zugrunde. Auch an dieser Stelle ist ohne Erörterung in der Sache zunächst nur auf deren Ergebnisse hinzuweisen 109 : Ist man der Auffassung, für die Schuld des Täters sei seine gesamte "Lebensführung", oder doch zumindest deren tatbezogener Teil, unmittelbar berücksichtigungsfähig, so scheint der Weg frei, den Rückfälligen, wegen der Verwerflichkeit seiner bisherigen "Lebensführung", schärfer zu bestrafen. Auch für die Vertreter der Charakterschuldlehren, die der - später noch näher zu beleuchtenden - Maxime folgen, jeder hafte für das, was er sei, unabhängig davon, warum er so geworden sei 11 0, liegt die Bejahung erhöhter Schuld des wiederholt Auffälligen nahe. Diesem wird ein in der Rückfalltat zum Ausdruck kommender besonders verwerflicher (oder gefährlicher) .Charakter zugeschrieben; ein solcher Charaktermangel, für den der Täter einzustehen habe, wirke sich schuldsteigernd aus 111 • Zwar werden Lebensführungsschuld- und Charakterschuldlehren heute überwiegend, insbesondere in der Lehrbuchliteratur des Allgemeinen Teils des StGBs, strikt abgelehnt 112 • Diese Ablehnung bezieht sich jedoch nicht uneingeschränkt auf die SZM. Gerade in bezug auf die Rückfallstrafschärfung wird des öfteren, teilweise sogar von denselben Autoren, die an anderer Stelle den Gedanken der Lebensfiihrungsschuld scharf kritisieren, die Position ver109 Zu den Fundstellen siehe oben bei B.II.1. und eingehend unten bei B.lII.2.c. 110 Heinitz ZStW 63 (1951), 74, 76; Engisch ZStW 66 (1954), 359; Ebernard Schmidt ZStW 69 (1957), 387. 111 Vgl. Engisch 1963, 61 f; weitere Nachw. unten, B.III.2.c. 112 Vgl. BaumannlWeber 1985, 360; Ebert 1985, 80; MaurachIZipf 1987 § 35 Rn 14; BockelmannNolk 1987,238; Wesseis 1989, 113; weitere Nachw. unten, B.III.2.c.
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B. Vorstrafenbelastung und Strafzumessungsschuld
treten, daß der SZM-Schuldbegriff hier "nicht zu eng" verstanden werden dürfe 113 . Auch heute wird zum Teil noch ausdrücklich vertreten, daß im Rahmen der SZM eine gewisse Mitberücksichtigung von Aspekten der Lebensführungsschuld unvermeidlich sei. Jescheck etwa hält bei der SZM eine "Verbindung" von Lebensführungsschuld- und Tatschuldauffassungen für geboten 114 . Das Bemühen, die Lebensführung des Täters nicht umfassend zu berücksichtigen, keine "Gesamtabrechnung" mit seiner Person zuzulassen, ist auch bei dieser Meinungsgruppe stets erkennbar; gerade an der Berücksichtigungsfähigkeit früherer Verurteilungen soll jedoch nicht gerüttelt werden. Die Relevanz der Vorverurteilungen soll weiterhin, vermittels eines vorsichtigen, aber dennoch beibehaltenen Rekurses auf den sonst eher verpönten Gedanken der Lebensführungsschuld gerechtfertigt werden. Typisch für eine solche, scheinbar vermittelnde Position ist die Empfehlung von Gallas, der es für nötig und zulässig hält, "tatbezogene Lebensführungsschuld" zu berücksichtigen 115 . Die Konzepte der Lebensführungs- und Charakterschuld sind somit nicht nur wegen ihrer historischen, sondern auch wegen ihrer aktuellen Bedeutung nach wie vor von Interesse. Die vorliegende Arbeit wird sich deshalb auch mit ihnen zu befassen haben 116 . Dabei wird unter anderem zu erörtern sein, ob sich die vielen vorgeblich radikalen Gegner der Täterschuldkonzepte bei der Bewertung der SZM-Schuld der Vorbestraften stets konsequent verhalten. Es wäre denkbar, daß man den Täterschuldlehren konzedieren muß, daß sie detjenige Ansatz sind, mit dem sich eine erhöhte Schuld Vorbestrafter dogmatisch noch am ehesten erklären ließe. Die These, derzufolge die Zulässigkeit erheblicher Strafverschärfungen gegenüber Vorbestraften mit der Akzeptanz der Lebensführungsschuld steht oder fällt, wird jedoch in der neueren Literatur überwiegend bestritten. Man meint, Schuldsteigerungen auf anderem Weg rechtfertigen zu können.
113 Die Fonnulierung stammt aus BVerfOE SO, 136. Besonders deutlich wird der Zwiespalt m.E. bei Rudolphi in SK vor § 13 Rn 3; siehe aber auch BaumannfWeber 1985, 360 sowie die Nachw. in der folgenden Fn. . 114 Vgl. Jescheck 1988, 381 m.w.N. und in LK vor § 13 Rn 68; eingehend auch sein Doktorand Härtel 1973, 68-71, 136; ferner Wesseis 1989, 113; sowie, für das österreichische SZM-Recht, Pallin 1982, Rn 43. Zweifel, ob eine strikte Ausgrenzung der Lebensführungsschuld auch bei der SZM möglich sei, finden sich aber auch bei Rudolphi und BaumannfWeber a.a.O. M.E. unklar BockelmannNolk 1987,238-240. 115 Ga11as, dokumentiert bei Frosch 1976,64. 116 Siehe B.II.2.c.
D. Dogmatischer Streitstand
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d) Indizkonstruktion als Einstieg in die Tatschuldbetrachtung Überwiegend steht die Lehre heute auf dem Standpunkt, daß Konzepte wie das der Lebensführungsschuld auch für die SZM zu verwerfen seien und daß auch der die SZM reglementierende Schuldbegriff des § 46 Abs. 1 S. 1 streng auf die reine "Tatschuld" zu begrenzen sei l17 . Einen zumindest gedanklich entscheidenden Einschnitt stellt insoweit die von Bruns unter Berufung auf die Rechtsprechung des BGH118 vertretene Indizkonstruktion dar, der die herrschende Meinung überwiegend gefolgt ist l19 . Das Vorleben wird nach dieser Auffassung (ebenso wie das Nachtatverhalten) nicht für unmittelbar schuldrelevant erachtet; es kann jedoch mittelbar als ein "Indiz" für die Tatschuld herangezogen werden. Damit scheint eine dogmatisch saubere Vereinbarkeit mit dem strengen Tatschuldbegriff gewährleistet. Bruns meint, auf diesem Weg eine "Gesamtabrechnung" mit dem Täter vermeiden zu können l20 . Es läßt sich jedoch einwenden, daß mit dem Verweis auf die nur indizielle Bedeutung der Vorstrafenbelastung die Probleme in der Sache noch keineswegs gelöst sind. Die Indizkonstruktion selbst liefert noch keinen Beitrag zu der Frage, warum und unter welchen Umständen das Vorleben als Indiz für erhöhte Tatschuld herangezogen werden kann. Ob es Komponenten der Tatschuld gibt, die durch belastetes Vorleben indiziell erhöht werden und wieso dies der Fall ist, vermag die Indizkonstruktion allein nicht zu beantworten. Als kurzschlüssig muß es deshalb erscheinen, wenn teilweise der Eindruck erweckt wird, die Zweifelhaftigkeit der Schuld relevanz der Vörstrafenbelastung sei mit dem Hinweis auf die Indizkonstruktion von Bruns bereits überwunden l21 . 117 Explizit einen Rückgriff auf Lebensführungsschuldkonzepte ablehnend u.a.: Horstkotte JZ 1970a, 153; Maurach 4. Aufl. 1971,412 ff; Bruns 1985, 192; Zipf in M/G/Z § 63 Rn 6; Günter Hirsch in LK § 46 Rn 7; Horn in SK § 46 Rn 43; Frisch ZStW 99 (1987), 381; BVerfGE 50, 132 ff; sowie, außer Härtel a.a.O., seit 1968 alle Aufsätze und monographischen Behandlungen des Themas, vgl. insb. Hanack 1968, 110; Stratenwerth 1972,6 ff; Peter Jürgen Schmidt 1974, 190-241; Frosch 1976,59 ff m.w.N.; siehe ferner die Nachw. fünf Fn zuvor. 118 Richtungsweisend BGH MDR 1954, 693. 119 Vgl. Bruns 1985, 220 ff m.w.N.; ihm folgend Günter Hirsch in LK § 46 Rn 78; Jescheck 1988, 797; Lackner 1989 § 46 Anm. IV .2.; krit. etwa Zipf in M/G/Z § 63 Rn 50-59. 120 Bruns 1985,219; ebenso Jescheck 1988, 796 f. 121 Vor allem kann es zur Begründung erhöhter Schuld nicht ausreichen, wenn man sich mit der Rechtsprechung darauf beschränkt, als Indiz auf einen "inneren" oder "kriminologischen" Zusammenhang hinzuweisen. Weshalb aus einem solchen - wie immer gearteten - Zusammenhang auf erhöhte Schuld (und nicht nur auf erhöhte Gefährlichkeit) zu schließen ist, bleibt auch beim Vorliegen solcher Zusammenhänge darzulegen. Ob ein solcher Nachw. mit Hilfe des "Warnmodells" gelingt, ist durchaus fraglich; dazu nachfolgend näher unter B.D.2.f.dd.; sowie Frisch ZStW 99 (1987), 773. Schaffstein warnt deshalb durchaus zu Recht vor der Gefahr, daß
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B. Vorstrafenbelastung und Strafzumessungsschuld
Richtigerweise wird man diese Konstruktion lediglich als einen Einstieg in die unmittelbar die Tatschuld betreffende Diskussion begreifen können. e) Täterpersönlichkeit und Tätergefährlichkeit als Elemente der "Tatschuld" Die Erwägungen, welche Elemente die als "Tatschuld" bezeichnete Systemkategorie ausfüllen, gehen im einzelnen weit auseinander. Das macht sich gerade bei der Diskussion um die Vorstrafenbelastung bemerkbar. Weit verbreitet ist die Behauptung, daß einschlägige Vorstrafen deshalb schuldrelevant seien, weil sie ein wichtiges Indiz für die auch im Rahmen der Tatschuld zu berücksichtigende "Täterpersönlichkeit" bildeten l22 • Daß die Täterpecsönlichkeit, "soweit sie tatbezogen" sei, Tatschuldrelevanz genieße und nicht nur für Präventionsfragen von Interesse sei, wird von der in der Rechtsprechung und in der Literatur ganz überwiegenden Meinung behauptet l23 • Schon eine eingehende Begründung dieser, ebenfalls nicht selten für selbstverständlich erachteten, These ist jedoch häufig zu vermissen. Die nähere Betrachtung läßt vermuten, daß sich hinter dem harmonisierenden Rekurs auf die "Täterpersönlichkeit" unterschiedliche Konzepte verbergen. Man wird im Hinblick auf die Vorstrafenbelastung vor allem zwei Erklärungsansätze unterscheiden müssen: Eine Möglichkeit ist es, an die dem Täter unterstellte Fähigkeit des "Andershandelnkönnens" (AHK) anzuknüpfen. Schuld wird, worauf noch gründlicher einzugehen ist, überwiegend unter Rückgriff auf mit dem Stichwort AHK angesprochene Gedankenfiguren definiert. Dem Täter wird vorgeworfen, so gehandelt zu haben, obwohl er hätte anders (rechtmäßig) handeln können l24 . Für die Beurteilung der Frage, ob und inwieweit der Täter hätte anders handeln können, wird der Täterpersönlichkeit entscheidende Bedeutung zugemessen. Auf die an diesen Aspekt anschließenden Erklärungsversuche zur Schuldrelevanz der Vorstrafenbelastung - die im wesentlichen darauf
sich die Indiztheorie als "Trojanisches Pferd" erweisen könne, mit dem Täterschuldaspekte doch wieder in den Tatschuldbegriff eingefiihrt würden, 1973, 114 Fn 35; krit. auch Appl 1987,61. 122 Vgl. Bruns 1985, 191-193, 219 f, 223 m.w.N.; Stree in Sch/Sch § 46 Rn 29, 31; Jescheck in LK vor § 13 Rn 68; Pallin 1982, Rn 9, 14. Für einen Einfluß des Vorlebens vermitteis der Täterper8Önlichkeit auch Zipf in M/G/Z § 63 Rn 54 (trotz § 63 Rn 5-9). 123 Siehe etwa Bruns 1985, 191-193; 1988, 49; Günter Hirsch in LK § 46 Rn 6; Stree in Sch/Sch § 46 Rn 9, 29; Jescheck 1988, 795 f; Klose 1989,22, 24 f; aus der Rspr. etwa: BGH NStZ 1981,299 f; 1981,389; 1982,433. 124 Im Anschluß an BGHSt 2, 200.
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abstellen, daß dem Vorverurteilten das Andershandeln besonders leicht fallen müsse - wird sogleich zurückzukommen sein 125 . Häufig wird der Rekurs auf die Täterpersönlichkeit jedoch auch unter den Anhängern des Tatschuldbegriffs in einem offenbar umfassenderen Sinn verstanden. Zwar wird auch hier betont, daß es nicht um die allseits kritisierte "Gesamtabrechnung" mit dem Täter gehen könne, zu würdigen sei nur der in der Tat zum Ausdruck gekommene Ausschnitt der Täterpersönlichkeit. Gleichzeitig gehen jedoch zumindest einige Vertreter dieser Auffassung erkennbar über diejenigen Fragen hinaus, die sich noch auf Art und Ausmaß der Fähigkeit, sich normgemäß zu verhalten, beziehen lassen könnten. Tatbezogene Aspekte der Täterpersönlichkeit sollen demnach, dieser Meinungsgruppe zufolge, eigene Schuldrelevanz auch für die Tatschuld genießen l26 • Ist jedoch der Anknüpfungspunkt des AHKs verlassen, so stellt sich die Frage nach der Rechtfertigung für die Berücksichtigung der Täterpersönlichkeit als einem Schuldsteigerungsfaktor um so drängender. Insbesondere gerät die Abgrenzung gegenüber den Charakterschuldlehren, die ja gerade der Einbeziehung der (tatbezogenen) Täterpersönlichkeit dienen, von denen sich diese Meinungsgruppe aber absetzen will, erneut ins Wanken. Die, häufig nicht näher reflektierte, Berufung auf die "Täterpersönlichkeit" als Erklärung für die tatschuldsteigernde Wirkung der Vorstrafenbelastung stellt deshalb ein Einfallstor für vielfältige und häufig nicht offengelegte Vermengungen von Schuld- und Präventionserwägungen dar. Dies gilt jedenfalls dann, wenn nicht am AHK, für das die Persönlichkeit naheliegende Bedeutung besitzt, angeknüpft wird. Diejenigen Anhänger des Tatschuldprinzips, die solche unterschwelligen Vermengungen vermeiden möchten und die dennoch über das AHK hinausgreifen, müßten deutlich machen, weshalb die Täterpersönlichkeit eigenständige Bedeutung auch innerhalb der Tatschuld, die ja qua defmitionem als das Gegenstück zu Lebensführungs- und ähnlichen Schuldkonstruktionen begriffen wird, genießen kann. Nur wenige Verfasser beziehen in diesem Zusammenhang unmißverständliche Positionen. Heinitz etwa gesteht ausdrücklich zu, daß die auch von ihm befürwortete tatbezogene Berücksichtigung der Täterpersönlichkeit die Notwendigkeit beinhalte, auch im Rahmen des Tatschuldbegriffs ein Stück Gefährlichkeit der Tä125 Unter B.0.2.f. 126 Vgl. Bruns, Stree, Günter Hirsch, lescheck, P.llin •.•. 0. Ebenso, d.s in Österreich .ufgrund § 32 öStGB weit verbreitete Verständnis des Schuldbegriffs referierend, Burgstaller ZStW 94 (1982), 135.
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B. Vorstrafenbelastung und StrafLumessungsschuld
terpefSÖnlichkeit zum Tatzeitpunkt zu berücksichtigen 127 . Hier wird klar, daß mit dem Verweis auf die für die SZM bedeutsame "TäterpefSÖnlichkeit" im Grunde die in der wiederholten Tatbegehung zum Ausdruck kommende Tätergefährlichkeit gemeint ist. Unter Zuhilfenahme der TäterpefSÖnlichkeit wird der Sache nach diejenige Auffassung vertreten, die sich schon früher, besonders deutlich in einem bereits erwähnten Aufsatz Grünhuts aus dem Jahr 1926, findet: Grünhut begreift "Gefährlichkeit als Schuldmoment"128. Zwar hat sich Grünhuts Position, vielleicht gerade wegen der plakativen Offenheit, mit der prospektive Gesichtspunkte in den üblicherweise retrospektiv interpretierten Schuldbegriff integriert werden, schon zu seiner Zeit nicht durchzusetzen -vermocht 129 . Auch heute findet seine Position kaum ausdrückliche Befürworter l30 . Der Sache nach dürften jedoch viele deJjenigen, die pauschal darauf rekurrieren, daß die Täterpersönlichkeit für die Schuldbetrachtung dort, wo sie einen Zusammenhang mit der Tat aufweise, berücksichtigungsfähig sei und die dabei erkennbar über Aspekte aus dem Zusammenhang der Fähigkeit, anders zu handeln, hinausgreifen, hier einzuordnen sein. Die einschlägige Rückfälligkeit selbst wird auf diesem Weg - als Indiz für die Tätergefährlichkeit, die als Aspekt der Täterpersönlichkeit zumindest unterschwellig in den Blick kommt - zum Schuldsteigerungsfaktor erkoren. Hält man eine unmittelbare Berücksichtigung der Täterpersönlichkeit und deren Gefährlichkeit im Rahmen des Schuldbegriffs der SZM für unzulässig und betrachtet die Täterpersönlichkeit nur als mittelbar zur Bestimmung anderer schuldausfüllender Kriterien wie etwa Mqtive, Beweggründe, Gesinnungen und vor allem für im Rahmen des erwähnten, für die Schuldbeurteilung für zentral erachteten Kriteriums der Fähigkeit zum "Andershandelnkönnen " für relevant, so muß die Begründung anders ausfallen.
f) Wamfunktion der Vorstrafe
Wie oben erwähnt, ist die seit 1970 als "herrschend" zu bezeichnende Auffassung dementsprechend diejenige, die an der "Wamfunktion der Vorstrafe" anknüpft. 127 V,I. Heinitz ZStW 63 (1951), 73. Deutlich auch (für Österreich) Pallin 1982, Rn 17, 21: Die in der Tat zum Ausdruck kommende "Gefährlichkeit des Täters wird daher zum Schuldelement •. 128 Grünhut Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform XVO (1926), Beiheft 1, 87 ft'. 129 V,I. oben, B.O.1. 130 Wenn man von Pallin a.a.O. absieht.
D. Dogmatischer Streitstand
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Vor allem während der Geltung des § 48 lehnte man sich an dessen materieller Rückfallklausel an, in der man eine gesetzgeberische Entscheidung sah, wie die Strafschärfung mit dem Schuldprinzip zu vereinbaren sei l3l . Man ging deshalb von der Vorstellung aus, daß es dem Täter im Hinblick auf Art und Umstände der Straftaten zum Vorwurf gereichen könne, daß er sich die frühere Verurteilung nicht habe zur Warnung dienen lassen l32 • Aber auch nach der Streichung des § 48 sieht die vorherrschende Meinung, wie bereits erwähnt, offenbar keinen Anlaß, an der Auffassung zu zweifeln, daß die Mißachtung der von früheren Verurteilungen ausgehenden Warnung (unter Umständen) geeignet sein könne, die Tatschuld zu erhöhen 133 • Formulierungen, die die erhöhte Tatschuld Vorbestrafter damit begründen, daß der Rückfällige sich vorwertbar über von den Vorverurteilungen ausgehende Warnappelle hinweggesetzt habe, finden sich in nahezu allen neueren Kommentaren und Lehrbüchern des StGBs 134. Gerade diese, im Rahmen der historischen Darlegungen nur skizzierte Auffassung bedarf deshalb der näheren Darstellung. Zu beachten ist, daß sich auch unter dem Stichwort "Warnfunktion der Vorstrafe" mehrere, gedanklich trennbare Vorstellungen subsumieren lassen. aa) Die Grundlagen des sog. Überwindungsmodells Die überwiegende Meinung knüpft an Umständen an, die dem Themenbereich "Fähigkeit zu normgemäßem Verhalten" zuzurechnen sind. Betrachtet wird der Prozeß der Willensbildung. Man meint, dem Vorbestraften (unter
131 Vgl. oben B.I.2. m.w.N. 132 Grundlegend Horstkotte JZ 1970a, 153; BVerfUE 50, 134 m.w.N.; siehe ferner Günter Hirsch in LK § 48 Rn 32; Stree in Sch/Sch 22. Aufl. 1985 § 48 Rn 17; Zipf in M/G/Z § 63 Rn 162 und 1989,439 ff sowie Laclmer 1973, 131; Sturm MDR 1979,370; Darmis 1984,45, 137-140; Roland Schmidt 1986, 32; und aus der älteren Literatur insb. Effertz 1927, 138 f; Dreher 1947, 87; ferner die Nachw. bei Köstlin 1855, 622 Fn 1 und bei Peter Jürgen Schmidt 1974, 177. Eingehend und überwiegend krit. zu dieser "Warnformel" u.a. Stratenwerth 1972, 15 ff; Hillenkamp GA 1974, 208 ff; Peter Jürgen Schmidt 1974, 177-188; Frosch 1976,59-114; Kürschner 1978; Meier 1982, 29-45; Hafflce 1984, 197 ff. 133 Ausdrücklich Zipf a.a.O.; Dreherrrröndie 1988, § 46 Rn 24a; vgl. auch Bruns 1988, 58 f; Horn in SK § 46 Rn 124; Roland Schmidt 1986, 31-33; Jescheck 1988, 803, 797; K10se 1989,31 ff, 38; sowie oben B.1.2. Daß der Grundgedanke des § 48 auch zur Interpretation des § 46 heranzuziehen sei, entsprach bereits zuvor der h.M.; vgl. diesbezüglich Meier 1982, 11 ff und ZStW 95 (1983), 339; Dünkel StV 1985, 237; Geiter ZRP 1988,379 f; Zipf a.a.O.; sowie BGHSt 24,199 mit Anm. Maurach JZ 1972, 130. 134 Vgl. etwa Stree in Sch/Sch, Günter Hirsch in LK, Horn in SK, Dreherrrröndle, jeweils a.a.O.; Lackner 1989 Anm. IV.2.a; sowie Bruns 1985, 223; Zipf a.a.O.; BaumannIWeber 1985,635.
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B. Vorstrafenbelastung und Strafzumessungsschuld
Umständen) vorhalten zu können, ihm habe die Entscheidung für das Recht und gegen das Unrecht leichter fallen müssen als dem Ersttäter. Deutlich kommt dies bei Horstkotte, dem sich das BVerfG, die überwiegende Literatur und die Rechtsprechung angeschlossen haben, zum Ausdruck: Derjenige, der sich über die "mit früheren Verurteilungen gesetzten Hemmimpulse" hinwegsetze, handele (unter Umständen) mit vermehrter krimineller Energie und deshalb mit vermehrter Schuld 135 • Das Sich-Hinwegsetzen über bestimmte Hemmimpulse stellt somit den Kern des besonderen Schuldvorwurfs dar. Vorausgesetzt wird demzufolge sowohl die Existenz bzw. Postulierbarkeit von aus den Vorverurteilungen resultierenden Hemmimpulsen als auch deren Relevanz im Rahmen der Schuld. Während bislang vor allem der erste dieser beiden Aspekte kritisch diskutiert wurde, wird im Verlauf des eigenen Lösungsvorschlags versucht werden, auch die Schwierigkeiten des zweiten Aspekts zu thematisieren. Zum Verständnis der herrschenden Auffassung erscheinen jedoch zunächst die nachfolgenden Differenzierungen geboten. Der Gedanke, daß von früheren Verurteilungen Hemmimpulse ausgehen, von denen sich der Täter letztlich aber nicht hat hemmen lassen, läßt sich zunächst ebenfalls in zwei Richtungen verstehen. Ihm kann die Vorstellung zugrunde liegen, dem Täter sei vorzuwerfen, daß er diese zur Errichtung innerer Hemmungen geeigneten Impulse nicht verarbeitet und es vorwertbar verSäumt habe, Hemmungen, die ihn von einer erneuten Tatbegehung abgehalten hätten, in sich zu errichten. Dieser Vorwurf, die Vorstrafe nicht verarbeitet, sie nicht in innere Hemmungen umgesetzt zu haben, dürfte angesichts der erneuten Rückfiilligkeit des Täters zunächst näher liegen. Ihm steht jedoch ein Modell gegenüber, demzufolge die Vorstrafen es durchaus vermochten, beim Täter erhöhte Hemmschwellen zu errichten, den Täter jedoch der Vorwurf trifft, sich über die erhöhten Schwellen hinweggesetz~ und trotzdem gehandelt zu haben l36 • Diese Unterscheidung ist - unabhängig von der empirisch-psychologischen Überzeugungskraft solcher Modelle - bereits dogmatisch deshalb nicht ganz uninteressant, weil der Vorwurf, trotz der Vorstrafen keine inneren Hemmschwellen errichtet, d.h., die Warnung innerlich nicht verarbeitet zu haben, rasch dem Einwand ausgesetzt ist, den Boden der Tatschuld wieder zu verlassen und Lebensführung zu bewerten. Denn der vom Täter verlangte Verarbeitungsprozeß wäre zeitlich bei oder nach Verurteilung, während der Voll-
135 Horstkottc IR 1970a, 153; BVerfUE 50, 134; vgl. im übrigen vorletzte Fn. 136 Zu dieser Unterscheidung auch Hame 1984,207.
D.
Dogmatischer Streitstand
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streckung, jedenfalls aber abgrenzbar vor der erneuten Tatbegehung anzusiedeln l37 . Das zweite Modell, das auf das in der erneuten Tatbegehung zum Ausdruck kommende Überwinden besonders hoher, durch die vorangegangene Warnung zunächst erfolgreich errichteter, dann aber überschrittener innerer Schranken abstellt, läßt sich dagegen streng am Tatzeitpunkt festmachen. Es dürfte deshalb kein Zufall sein, daß Horstkotte und das BVerfG erkennbar von letzterem Gedankengang ausgehen. Vorgeworfen wird nicht das Fehlen von (erwartbaren) Hemmungen, sondern das Überwinden besonders hoher Hemmungen. Eine solche Überwindung sei Ausdruck besonderer Schuld l38 . Bei diesem Argumentationsgebilde handelt es sich um eine Figur, die nachfolgend entsprechend der zutreffenden Charakterisierung Walters als "Überwindungsmodell" bezeichnet werden soll 139 . Die Frage, wieso das Überwinden besonders hoher Hemmungen Tatschuldrelevanz haben soll, wird weder von Horstkotte noch vom BVerfG beantwortet und hat auch seitdem kaum nähere Beachtung gefunden. Für die herrschende Meinung scheint die grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit solcher Hemmungen im Rahmen der für die Strafhöhenzumessung relevanten Schuldbetrachtung offenbar unproblematisch. Dies ~ntspricht einer gerade im Rahmen der SZM häufig vertretenen Auffassung, die etwa in der Aussage Strees zum Ausdruck kommt, der zusammenfassend bemerkt, "je größer die Schwierigkeiten" (d.h. die äußeren aber auch die inneren Hemmnisse), "die der Täter bei der Tat zu überwinden hatte, und je hartnäckiger er sein Ziel verfolgte, desto größer ist seine Schuld"14O. Dem zugrunde liegt das bereits erwähnte Verständnis des Schuldbegriffs auch der SZM-Schuld, das sich zentral am "Dafürkönnen" bzw. am "AHK" des Täters orientiert. Demjenigen, der besonderen Hemmungen ausgesetzt war, wird unterstellt, daß es ihm leichter gefallen wäre, rechtmäßig zu handeln als demjenigen, dem diese Hemmungen fehlten. Man mag hier, ohne daß dies an dieser Stelle vertieft werden soll, von einem "erleichterten" oder von "erhöhtem" "AHK", von gesteigertem "Dafürkönnen" oder in Anlehnung an eine plastische Formulierung Frischs von einer dem Täter unterstellten gesteigerten "Vermeidemacht" spre-
137 Nicht unbedenklich deshalb Hanack 1968, 110. Die Problematik liegt ähnlich wie bei 17, siehe dazu später noch differenzierend, bei B.DI.4.b.cc.(3). 138 Vgl. Horslkotte und BVerfU a.a.O. 139 Vgl. Waller GA 1985, 198. 140 Stree in Sch/Sch § 46 Rn 16; ähnlich Dreher 1947, 84 ff, 87 (vgl. auch Dreherrrröndie 1988 § 46 Rn 18); lagusch in LI( 8. Aufl. 1957 Arun. B.IV.4.a.; Dannis 1984, 76; Bruns 1985, 211; Klose 1989,20,42; besonders deutlich Reling 1908,64. §
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B. Vorstrafenbelastung und Strafrumessungsschuld
chen 141 • (Erachtet man im.Täter errichtete zusätzliche Tatbemmungen unter dem Gesichtspunkt gesteigerter Vermeidemacht - erleichterten AHKs - für das entscheidende Kriterium zur Schulderhöhung, wie dies übelWiegend und meist ohne nähere Begründung für zutreffend erachtet wird, so präzisiert sich die Bedeutung der Bruns'schen Indizkonstruktion. Die Vorstrafen stellen sich bei dieser Betrachtung als ein Indiz dar, das unter bestimmten Umständen für gesteigerte Hemmungen und deshalb gesteigerte Schuld spricht.) bb) Das normative ÜbelWindungsmodell Aber auch die Frage, ob sich der Täter über zu konstatierende Hemmungen hinweggesetzt hat, läßt sich noch in mehrfacher Hinsicht differenzieren. Man kann sie als empirisch-psychologische Fragestellung verstehen und vom Richter die konkrete Prüfung verlangen, ob die Vorstrafe geeignet war, beim Täter psychologische Hemmungen aufzubauen und ob somit tatsächlich besonders hohe Hemmschwellen übelWUnden wurden. Denkbar ist aber auch eine normative Betrachtung. MöglichelWeise in Anlehnung an unter dem Stichwort "normative SchuldIehren" vertretene Auffassungen 142 könnte man die Notwendigkeit einer solchen empirischen Prüfung bestreiten und die Auffassung vertreten, die Frage, ob Vorstrafen Hemmimpulse bewirkten und der Täter solche erhöhten Schwellen übelWinde, sei im Grunde empirischer Prüfung nicht zugänglich. Sie werde von der Rechtsordnung normativ entschieden. Es gelte hier ähnliches wie bei der Anknüpfung an das Kriterium des AHKs als Grundlage des Schuldbegriffs. Auch insoweit werde dem Richter keine empirische Entscheidung darüber abverlangt, ob der Täter in der konkreten Situation habe tatsächlich (mit freiem Willen) auch anders handeln können l43 • Die Bewertung der Schuldrelevanz der Vorstrafenbelastung sei mit dieser Situation vergleichbar. Ebenso wie das AHK beim Fehlen besonderer Umstände postuliert werde (vgl. §§ 20, 21), sei beim Vorliegen bestimmter Vorverurteilungen regelmäßig davon auszugehen, daß der Täter durch diese grundsätzlich gehemmt werde und deshalb in erhöhtem Maß hätte anders handeln können l44 .
141 Vgl. Frisch ZStW 99 (1987), 765; siehe auch Bruns, 1988, 54 und zuvor bereits Schünemann 1984, 190. 142 Dazu näher unter B.IO.2.d. 143 Nachw. zum ·sozialen Schuldbegriff" und zum Determinismusstreit bei Lackner 1989 vor § 13 Anm. 1O.4.a., b. und unten B.II1.2.d. 144 Man mag dann ähnlich wie bei den §§ 20, 21 wertend bestimmte Fallgruppen bilden, in denen diese normativ-indizielle Wirkung wegen besonderer Umstände ausgeschlossen sein soll.
u. Dogmatischer Streitstand
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Als ein expliziter Vertreter einer solchen normativen Sichtweise ist Theune zu nennen. Er bezeichnet die strafschärfende Berücksichtigung von Vorstrafen, die auf der Annahme beruhe, der Wiederholungstäter habe sich frühere Verurteilungen zur Warnung dienen lassen und deswegen der Versuchung, eine neue Straftat zu begehen, leichter widerstehen können, bündig als ein "Beispiel für die normative Bestimmung des Schuldbegriffs, für seine Loslösung von beweisbaren tatsächlichen Möglichkeiten des Täters" 145 . Je nach zugrunde liegendem Schuldversländnis könnte man diese normative Betrachtung als losgelöst normative oder als eine pragmatisch-generalisierende einordnen. Die Einordnung als pragmatisch-generalisierende läge nahe, wenn man der Auffassung wäre, daß das Modell, demzufolge Vorstrafen grundsätzlich eine Erhöhung der Hemmschwellen nach sich ziehen, die empirische Wirklichkeit im allgemeinen zutreffend beschreibe, der Richter aber aus forensisch-praktischen Gründen dem Bekenntnis zu einem solchen Modell als der zutreffenden Beschreibung von Wirklichkeit sowie der Einzelfallprüfung seiner Voraussetzungen enthoben werden solle l46 . Eine solche pragmatische Gesetzesentscheidung hätte man dann wohl als eine Art (im Einzelfall) widerlegbarer gesetzlicher Vermutung aufzufassen. Diese Ausdeutung müßte sich deshalb immer noch derjenigen Kritik, die das Überwindungsmodell für eine stets oder regelmäßig unzutreffende Beschreibung von Wirklichkeit hält, stellen. Dies würde nicht mehr für die noch weitergehende Auffassung gelten, die man als losgelöst normative charakterisieren könnte. Für eine solche rein normative Auffassung wäre das empirische Modell im Grunde nur ein Konstrukt zur gedanklichen Erleichterung, auf dessen empirischer Überzeugungskraft die normative Entscheidung in der Sache nicht beruht l47 . Aus solcher Sicht wäre das Überwindungsmodell als rechtliche Fiktion (oder zumindest unwiderlegbare Vermutung) zu beschreiben, die wie andere gesetzliche Fiktionen nach ihrer empirischen Richtigkeit nicht fragt und einer Widerlegung auf der Ebene empirischer Tatsachen nicht zugänglich ist. (Auch eine solche Fiktion kann von normierten einschränkenden Voraussetzungen ausgehen und bestimmte Ausnahmen vorsehen.)148 Als eine solche normative Fiktion müssen der Sache nach all diejenigen Auffassungen bezeichnet werden, die es für 145 Theune StV 1985, 163; siehe auch Waller 1986, 500 Fn 38; Lackner 1973, 131 f. Hier einzuordnen sind auch Äußerungen aus der Zeit der Geltung des § 48, die das Wammodell mit den Worten einleiteten: "Das Gesetz geht davon aus, daß ... ", vgl. OLG Hamm NJW 1972, 1382; Günter Hirsch in LK § 48 Rn 32, siehe dazu bereits unter 8.1.2. 146 Vgl. zu dieser Betrachtung Walter a.a.O. 147 In diesem Sinn offenbar Theune a.a.O. 148 Zum rechtstheoretischen Unterschied zwischen Fiktion und Vermutung vgl. Baumann 1984,84 f. S Erhard
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B. Vorstrafenbelastung und Strafzumessungsschuld
zulässig erachten, aus dem Vorliegen von (bestimmten, etwa einschlägigen) Vorstrafen (jedenfalls beim Fehlen ebenfalls normativ bestimmter Sondersituationen) ohne weiteres auf erhöhte Schuld zu schließen und die dabei postulieren, daß der Täter besondere Hemmungen überwunden haben müsse, ohne daß das tatsächliche innerpsychische Vorliegen solcher Hemmungen (sei es auch nur mittelbar, anband von Indizien) für überprüfenswert erachtet wird. Welche Autoren einem solchen rein normativen Wammodell zuneigen, ist häufig nicht eindeutig erkennbar. Knappe Formulierungen derart, der Täter sei durch frühere Verurteilungen gewarnt worden, er habe daher bei der Tat erhöhte Hemmungen überwunden und sich deshalb in besonderem Maße schuldig gemacht, dürften jedoch vielfach hier einzuordnen sein l49 • Erleichtertes AHK, gesteigerte Vermeidemacht o.ä. wird bei diesen Positionen nicht mehr empirisch überprüft oder normativ generalisierend vermutet, sondern durch Andershandelnsollen ersetzt. Erhöhte Tatschuld bei Vorbestraften wird, wie Hanack im Anschluß an Kohlrausch kritisch formuliert hat, zur "staatsnotwendigen Fiktion" 150.
ce) Das Überwindungsmodell der herrschenden Meinung Eine solche streng normative Betrachtung entspricht jedoch ausdrücklich nicht der Position Horstkottes, des BVerfGs und der diesen folgenden herrschenden Meinung. In der erwähnten Entscheidung des BVerfGs heißt es ausdrücklich: "Der Gesetzgeber macht also die Anwendung des § 48 StGB davon abhängig, daß den Täter im konkreten Fall im Blick auf die Warnfunktion der Vorverurteilung ein verstärkter Schuldvorwurf trifft. "151 Übertragen auf § 46 kennzeichnet diese Bemerkung auch die gegenwärtige, unverändert herrschende Position. Erhöhte Tatschuld kann im Anschluß an das BVerfG auch beim Vorliegen bestimmter Vorverurteilungen nicht einfach fingiert werden, geboten ist stets eine konkrete einzelfallbezogene Prüfung l52 • Oh im Einzelfall der Vorwurf erhöhter Tatschuld zu rechtfertigen ist, soll vom Tatrichter "von Amts wegen erforscht werden" 153. Auch diese Position begibt sich jedoch in erhebliche Schwierigkeiten. Während die Notwendigkeit der Einzelfallbetrachtung für die Vereinbarkeit 149 Explizit etwa Theune und OLG Hamm a.a.O., vier Fn zuvor. 150 Hanack 1968, 113. 151 BVerfGE 50,134. 152 Siehe die Nachw. in diesem Abschnitt, insb. Zipf in M/G/Z § 63 Rn 162; Horn in SK § 46 Rn 124 f; Hillenkamp GA 1974,217.
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Dogmatischer Streitstand
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mit dem Schuldprinzip betont wird, bleibt weitgehend offen, in welchen Fällen der Vorwurf, sich über Hemmimpulse hinweggesetzt zu haben, gerechtfertigt ist und in welchen Fällen nicht. Das BVerfG beschränkt sich auf recht pauschale Verweise hinsichtlich einer "gebotenen Gesamtwürdigung" , die "auch psychische Faktoren, charakterliche Eigenschaften des Angeklagten und dessen Lebensumstände einbeziehen" müsse l54 . Die Leitlinien, anband derer eine solche Entscheidung zu erfolgen hat, bleiben weitgehend unklar. Unter Zugrundelegung des von ihnen verwendeten "Überwindungsmodells" wird man Horstkotte und das BVerfG dahin interpretieren müssen, daß zur Feststellung erhöhter Schuld im Einzelfall erstens zu prüfen ist, öb die jeweiligen konkreten Vorverurteilungen geeignet waren, von einer Tat wie der nun begangenen abzuhalten und zweitens, ob der Täter psychisch so strukturiert war, daß die Annahme bei ihm errichteter erhöhter Hemmschwellen unter Ansehung seiner Person gerechtfertigt ist l55 . dd) Die gegen die herrschende Meinung vorgebrachte, insbesondere kriminologische Kritik Gerade eine solche, konkrete Einzelfallprüfungen voraussetzende Position ist von Anfang an Gegenstand heftiger Kritik gewesen. Zusammenfassen lassen sich die vielfältigen Einwendungen (die sich in ihrer Intention meist gegen § 17 a.F. bzw. § 48 und deren Vorgänger richteten) in dem Vorwurf, daß es für einen bereits (mehrfach) Verurteilten regelmäßig nicht leichter, sondern schwerer als für einen Ersttäter sei, nicht (erneut) straffällig zu werden. Die Behauptung gesteigerter Hemmungen wird sowohl mit Blick auf die Wirksamkeit der Sanktionen als auch mit Blick auf die relevanten Täterkreise kritisiert. Man kann deshalb eher poenologische und eher täterorientierte Kritik unterscheiden. Bereits bei Köstlin und Bindokat findet sich der Einwand, es sei zu erwägen, "inwiefern Unvollkommenheiten des Strafvollzugs und die negative Einstellung der Gesellschaft gegenüber dem Vorbestraften den Rückfall begünstigt haben"156. Stratenwerth spricht vom vorwiegend negativen Einfluß, der - bei nüchterner Einschätzung der Wirklichkeit der Freiheitsstrafe - vom Vollzug in aller Regel ausgehe und verweist dabei auf die bereits 1823 von 153 BVerfGE 50, 136. 154 BVerfGE 8.a.0. 155 Vgl. Horstkotte IR 1970a, 153; so auch die Ausdeutung Froschs 1976, 89; vgl. ferner Stunn MDR 1979,370. 156 Bindokat ZStW 71 (1959),288 m.w.N.; Köstlin 1855,622 (m.w.Hinw. 8ufMittermaier u.a.).
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B. Vorstrafenbelastung und StrafLumessungsschuld
Henke geäußerte Kritik, die Strafanstalt "verschlechtere" den Sträfling nur zu oft, "anstatt ihn zu bessern" 157. Das Überwindungsmodell der herrschenden Meinung und des BVerfGs müßte sich dieser kriminologischen Kritik stellen und - wollte es seine eigenen Prämissen ernst nehmen - die kriminologische Forschung zur Wirkungsweise von Strafsanktionen zur Kenntnis nehmen l58 . Zwar dürften kriminologisch argumentierende Kritiker der Rückfallschärfung den Stand gesicherter Erkenntnis dieses Forschungszweigs häufig überschätzen. Ein "vorwiegend negativer Einfluß" der Freiheitsstrafe (Stratenwerth)159 ist zwar von Kriminologen, gerade der jüngeren Kriminologie, insbesondere soweit sie Ansätzen aus dem Bereich des labeling approach nahestehen, immer wieder behauptet worden I60. Angesichts der methodischen Schwierigkeiten, den Einfluß bestimmter Strafsanktionen auf die Legalbewährung isoliert nachzuweisen, auf die oben bereits hingewiesen wurde, läßt sich ein gesicherter empirischer Nachweis solcher Hypothesen jedoch keineswegs erkennen l61 . Dies gilt für die dem Überwindungsmodell üblicherweise zugrunde liegende Vermutung, die vorangegangene Verurteilung und Bestrafung sei regelmäßig geeignet, die Rückfallgefahr zu mindern, allerdings in gleichem Maße162 . Das "non liquet" des diesbezüglichen Forschungsstandes ist oben unter A.1. beschrieben worden. Zudem ist auf einen weiteren Einwand zu verweisen. Es dürfte manches für die Vermutung sprechen, daß bereits die Begehung der (ersten) Tat bei den meisten Tätern Hemmungen abbaut. Das dem Betreffenden vertraute Verhaltensrepertoire hat sich durch das Erlebnis der Tatbegehung erweitert; sein
157 Stratenwerth 1972, 16, 21; schon Radbruch 1908, 211 kritisierte: Rückfallschärfung, weil der Täter trotz Bestrafung rückfällig geworden sei, sei erst dann zu rechtfertigen, wenn er nicht mehr infolge Bestrafung rückfällig geworden sein könne. Krit. zum Hemmodell angesichts der Sanlctionswirklichkeit auch Hanack 1968, 111; Peter Jürgen Schmidt 1974, 186 f; Mir Puig ZStW 86 (1974),202 f; Frosch 1976, 106-108; Schöch ZStW 92 (1980), 167 f; Peter Albrecht Schw JZ 1983,267; Pfeifferl985, 301. 158 In diese Richtung zielende Einwände lassen sich vortragen, unabhängig davon, ob die behauptete Warnwirkung dogmatisch an die Verhängung oder an den Vollzug der Sanktion geknüpft wird, zutreffend Stratenwerth 1972, 17; Peter Jürgen Schmidt 1974, 186 f; gegen Horstkotte JR 1970a, 153 Fn 24. 159 Stratenwerth 1972, 16; siehe auchSchöch, Mir Puig und Pfeiffer a.a.O. 160 Vgl. die zusammenfassenden Darstellungen bei Böhm 1986, 39 ffund Kaiser in KIKIS § 2 Rn 71 m.w.N. 161 Böhm a.a.O.; Kaiser 1988, § 114 m.w.N.; vgl. auch Böhm/Erhard 1988,58 f; Kögler 1988; Kerner BH 1989,205. 162 Vgl. Böhm 1986, 44. Diesbezüglich weiterführende Aussagen würden eine Integration pocnologischer und ätiologischer Forschung voraussetzen, die bislang noch nicht geleistet ist, vgl. Bock 1988,157,172 f.
D. Dogmatischer Streitstand
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Selbstkonzept wird häufig nicht unbeeinflußt geblieben sein. Der Schritt zur zweiten Tat dürfte deshalb meist kleiner sein als der zur ersten 163 • Selbst wenn man nun der Strafverhängung und deren Vollstreckung eine gewisse warnende Wirkung zuschreibt, so wird diese Wirkung allenfalls - was zweifelhaft genug ist - ein Hemmungsniveau wiederherstellen können, wie es vor der Tat bestand. Die Vorstellung, daß die strafrechtliche Reaktion auf die Tat so bemessen sein sollte, daß sie den Täter nicht nur stellt, wie er vor der Tat gestanden hat (Nivellierung der Tathemmungen), sondern ihn sogar stärker vor erneuter Begehung schützt als einen Ersttäter, erscheint schon rechtlich bedenklich. (Möglicherweise würde sowohl unter dem Gesichtspunkt der Schuld wie unter dem der Prävention über das verhältnismäßige Ziel hinausgeschossen.) Ein solches Modell wäre zudem - betrachtet man die übliche SZM-Praxis - lebensfremd. Seine Prämissen zu beweisen, dürfte deshalb besonders schwerfallen. Fehlt somit schon der Nachweis, daß Sanktionen überhaupt geeignet sein können, bei einem nennenswerten Täterkreis hemmend zu wirken und erst recht der Nachweis, daß diese neu errichteten Hemmungen die mit dem Taterlebnis vermutlich verbundene Hemmungseinb1iße überwiegen, so fehlen aber zudem auch die Kriterien dafür, anband welcher Indizien der Richter entscheiden könnte, ob es sich im Einzelfall um einen Täter handelt, der durch die verhängte Vorstrafe (überhaupt und noch dazu im geforderten Maß) beeinflußbar war. Empirisch-kriminologische Fragen dieser Art sollen hier nicht vertieft werden. Bereits der Versuch, die aufgrund des Warnmodells nötigen empirischen Fragestellungen zu präzisieren, zeigt jedoch, daß die Praxis und wohl auch die Strafrechtswissenschaft an empirischen Daten dieser Art im Grunde wenig interessiert sind 164• Es drängt sich die Vermutung auf, daß trotz entgegenstehender Bekundungen faktisch doch mit einer der oben beschriebenen Normativierungen gearbeitet wird. Das gilt auch dort, wo versucht wird, die Voraussetzungen, unter denen beim Vorliegen von Vorstrafen auf erhöhte Hemmschwellen und demzufolge auf erhöhte Schuld geschlossen werden dürfe, durch bestimmte Faustformeln näher zu präzisieren. Auf Formeln wie die des "inneren Zusammenhangs", 163 Vgl. Schoreit 1989, 453. Für diese (allerdings ebenfalls nicht bewiesene) Vennutung lassen sich auch die Theorie der kognitiven Dissonanz und die Attributionstheorie anfiihren: Wer sich für die Straftat "entschieden" hat, wird im nachhinein bemüht sein, kognitive Dissonanzen abzubauen, um unerwünschte Beeinträchtigungen des Selbstwertgefiihls zu verringern. Der bereits stratTallig Gewordene tendiert deshalb diesen psychologischen Theorien zufolge eher zum Abbau von Hemmschwellen, vgl. K10se 1989, 45-49, 234. Allgemein zu am ·Selbstkonzept" anknüpfenden Erklärungsversuchen Göppinger 1980, 251. 164 Hatlke 1984, 197 ff; vgl. auch Theune StV 1985, 163.
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B. Vorstrafenbelastung und StrafLumessungsschuld
des "kriminologisch faßbaren Zusammenhangs" oder der "kriminellen Kontinuität"165 soll hier deshalb nur kurz und ohne Differenzierung eingegangen werden. Man wird auch diese Formeln - entgegen ihrem scheinbaren Anspruch - eher als (vermutlich präventiv motivierte) Fiktionen, denn als pragmatische Generalisierungen erhöhter Vermeidemacht begreifen müssen. Hinsichtlich der ihnen im Detail entgegenzuhaltenden Kritik ist auf die umfangreiche Literatur, vor allem auf Frosch, zu verweisen 166. Im vorliegenden Kontext mögen folgende zusammenfassenden Erwägungen hinreichen: Es ist bislang nicht geklärt, wie solche, scheinbar deskriptive, Formeln zu operationalisieren wären. Fraglich ist aber auch, ob es überhaupt phänomenologisch möglich ist, kriminologisch faßbare Zusammenhänge zwischen bestimmten Taten zu beschreiben. Noch schwieriger ist es, über solche denkbaren Gemeinsamkeiten verschiedener Taten hinaus, Konstellationen zu beschreiben, die die Prognose erhöhter Rückfallgefahr rechtfertigen. Selbst dies würde im vorliegenden Zusammenhang aber nicht ausreichen. Um auf dem Boden des Warnmodells der herrschenden Meinung nicht erhöhte Präventionsbedürftigkeit, sondern erhöhte Tatschuld durch empirische Phänomene zu belegen, wäre die Feststellung nötig, daß beim Vorliegen solcher Zusammenhänge die Vorverurteilungen geeignet waren, einen Täter wie den Verurteilten von erneuter Rückfälligkeit abzuhalten. Läßt sich aber schon bei denjenigen, die nicht mehr rückfällig werden, verbindlich nicht nachweisen, ob dies auf die Vorverurteilung zurückzuführen ist, oder ob die Legalbewährung andere Ursachen hat, so scheint erst recht der Schluß, auch bei denen, die rückfällig wurden, seien (wie aus einer bestimmten Konstellation geschlossen werden dürfe) hemmende Wirkungen eingetreten, der Täter habe diese jedoch aufgrund seiner besonderen verbrecherischen Energie überstiegen, aus empirischer Sicht allenfalls als Spekulation l67 . Die poenologische Kritik am Überwindungsmodell, die an der Eignung von Vorstrafen, erhöhte Hemmungen auszulösen und insbesondere an der forensischen Schwierigkeit, eine solche Eignung festzustellen, anknüpft,168 wird ergänzt durch eher täterorientierte kriminologische Kritik, die am zweiten Gedankenschritt des Überwindungsmodells ansetzt, wonach das Überschreiten der vorgeblich erhöhten Hemmschwellen Ausdruck besonderer krimineller Intensität des Täters sei.
165 Umfassende Nachw. in BVerfGE 50, 138; siehe auch Hillenkamp GA 1974,208 ffund Horn in SK § 46 Rn 125. 166 Frosch 1976,76-88; siehe auch Horn a.a.O.; Meier 1982, 34 f jeweils m.w.N.; Hanack 1968, 108. 167 Ähnlich, wenn auch teilweise etwas vermittelnder, Horn, Frosch und Meier a.a.O. 168 Letzteren Aspekt betonen etwa Stratenwerth 1972, 17 und Hatlke 1984, 207.
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Es wird eingewandt, daß der Begriff der kriminellen Energie besondere verbrecherische Kraft impliziere, er werde damit Rückfalltätern häufig nicht gerecht. Deren Delikte seien in Wahrheit vielfach eher als Delikte der Schwäche zu charakterisieren. Schon Bindokat betont, daß auch wWillensschwäche und Lebensuntüchtigkeit ... , weil sie· den sozialen Konflikt begünstigen, den Rückfall verursachen w können l69 . Auch Hanack vertritt die Auffassung, daß Rückfälligkeit nach bisheriger kriminologischer Erfahrung in weitem Umfang ein Moment sei, das nicht durch kriminelle Energie, sondern eher durch gegenteilige Faktoren verursacht werde. Der typische Rückfalltäter werde in der Kriminologie als ein geschädigter Mensch wvon irgendwie beschränkter sozialer Tauglichkeit Wbeschrieben, der weit mehr der Hilfe als der Strafe bedürfe. Die wWürde erhöhter Tatschuld w werde diesem Personenkreis meist wenig gerecht. Sie beruhe auf dem unangemessenen Wpathos einer theoreti170. schen Konstruktion W Solchen Positionen folgend wird deshalb der herrschenden Meinung häufig entgegengehalten, Rückfalltäter seien, sei es aufgrund ihrer Vorverurteilungen oder auch aufgrund anderer, allenfalls in der Lebensführung, nicht aber in der Tat anzusiedelnder Faktoren, solche, bei denen im Vergleich ·zum Ersttäter keinesfalls von erhöhter Vermeidemacht, sondern allenfalls von besonderen Erschwernissen hinsichtlich der Fähigkeit, sich normgemäß zu verhalten, die Rede sein könne. Nähme man die Orientierung an der Fähigkeit zum AHK ernst, so seien deshalb bei Rückfalltätern allenfalls erhebliche Strafmilderungen, keinesfalls jedoch Straferhöhungen geboten 171. Anknüpfend an solchen generellen Zweifeln gegenüber der erhöhten kriminellen Energie von Rückfalltätern im Vergleich zu Ersttätern, wird außerdem auch hier die Schwierigkeit betont, die Differenzen im Einzelfall empirischforensisch festzustellen l72 . Bereits Horstkotte hatte hier von einer wrecht subtilen Einschätzung der psychologischen Situation des Täters Wgesprochen 173. Frosch spricht von einem wschwierigen, oft hoffnungslosen Unterfangen w174 .
169 Bindokat ZStW 71 (1959),228 m.w.N. 170 Hanack 1968, 111; ähnliche Kritik auch bei Stratenwerth 1972, 16; Mir Puig ZStW 86 (1974),202 f; Peter Jürgen Schmidt 1974, 186; Frosch 1976,91 ff insb. 94; Meier 1982, 37 ff; Haftke 1984, 208 f; Dünkel StV 1985, 237; Frisch ZStW 99 (1987), 774; Geiter ZRP 1988, 378. 171 Vgl. Stratenwerth 1972, 23; Frosch 1976, 105 m.w.N.; Schöch ZStW 92 (1980), 167 f; Peter Albrecht Schw JZ 1983, 267; Bsurmann 1986,282; Haftke, Geiter a.a.O. 172 Vgl. Frosch 1976, 100-105; Haftke 1984,208; Geiter ZRP 1988, 379. 173 Dokumentiert bei Haftke 1984,208. 174 Frosch 1976, 117.
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B. Vorstrafenbelastung und Strafzumessungsschuld
Selbst das BVerfG gesteht, wenn auch zurückhaltender, zu, daß die notwendigen Feststellungen "gelegentlich schwierig" sein mögen l75 • Es ist deshalb wohl kein Zufall, daß weder· Rechtsprechung noch Literatur den Versuch unternommen haben, präzise Kriterien für eine einzelfallbezogene Beurteilung der Täterpersönlichkeit anband der Gesichtspunkte von gesteigertem AHK oder erhöhter krimineller Intensität zu entwickeln. Trotz verbaler Betonung der notwendigen Einzelfallprüfung beschränkt man sich meist auf recht pauschale Verweise auf einzelne Tätergruppen, bei denen es an der geforderten gesteigerten kriminellen Energie mangeln könne l76 • Eine gewisse Ausnahme bildet insoweit nur Meier, der zumindest den Versuch unternimmt, psychische Kriterien zu erarbeiten, anband derer über den erhöhten Tatschuldvorwurf entschieden werden könne l77 • Meier geht in Anlehnung an Thomae von einem PeTSÖnlichkeitsmodell aus, in dem die Kategorien "Steuerung" und "Halt" entscheidende Bedeutung haben. Darauf aufbauend meint er, zwischen psychisch instabilen und psychisch stabilen Rückfall tätern unterscheiden zu können. Angesichts möglicher stigmatisierender Effekte, die Meier offenbar vor allem bei psychisch instabilen Tätern vermutet und angesichts des geringen Grades von Selbstkontrolle und Haltstärke, durch den diese Tätergruppe definiert sei, bezweifelt Meier, daß bei diesem Personenkreis die Vorverurteilungen zu einer Stabilisierung der Widerstandsfähigkeit der TäterpeTSÖnlichkeit führten. Einen erhöhten Vorwurf hält er hier nicht für gerechtfertigt. Bei psychisch stabilen Persönlichkeiten dagegen - die sich durch größere Widerstandsfähigkeit gegenüber Triebregungen oder verlockenden Tatsituationen auszeichneten - sei eher zu unterstellen, daß diese ihre Lage und damit auch die früheren Verurteilungen in ihre aktuelle Entscheidung, eine neue Straftat zu begehen, mit einbezögen. Bei psychisch stabilen Rückfalltätern sei daher zumindest die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß der erhöhte Schuldvorwurf im Einzelfall gerechtfertigt sein könne. Der von Meier unternommene Versuch, die Forderung der herrschenden Meinung einzulösen, erscheint verdienstvoll. Auch hier werden jedoch die Grenzen eines solchen Unterfangens deutlich. Man könnte Meier etwa die (zwar ebenfalls fragwürdige, aber m.E. mit gleichem Recht vertretbare) Hypothese entgegenhalten, daß es auch denkbar wäre, daß eine Steigerung der Hemmungen gegenüber rechtswidrigem Tun aufgrund einer Vorverurteilung gerade bei psychisch instabilen Tätern eintritt. Es wäre vorstellbar, daß gerade Täter mit geringem innerem Halt auf Strafe und die in dieser liegende 175 BVerfUE 50,138. 176 Vgl. Horstkotte IR 1970a, 153; umfassende Nachweise bei Meier 1982, 37 und bei Hom in sLSK § 46 Rn 14b; insb. OLG Hamburg StV 1983, 152; OLG Celle StV 1983,242. 177 Meier 1982, 38-45.
D. Dogmatischer Streitstand
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Verdeutlichung des Normgefüges (als Kriterium äußeren Halts) eher reagieren als Personen mit gefestigtem innerem Hah 178 • Denkbar wäre auch, daß sich gerade bei diesem Personenkreis eher resozialisierende, kompensatorische Wirkungen bestimmter Sanktionen erzielen ließen als bei anderen. Es wäre deshalb auch vorstellbar, daß entgegen der von Meier vertretenen Position gerade psychisch stabile Rückfalltäter eher diejenigen sind, an denen die präventiven Intentionen der Sanktionierung abprallen l79 • Auch insoweit ist aber auf nähere kriminologische Kritik zu verzichten. Abstand genommen wird auch von dem Versuch, die Plausibilität der dem Überwindungsmodell zugrunde liegenden Persönlichkeitstheorie zu überprüfen, mag auch der Vorwurf, das mit zweifelhaften Hemmimpulsen und deren Überwindung arbeitende Modell beruhe auf viel zu naiven Vorstellungen vom menschlichen Motivationsgefüge, naheliegen. Ziel des vorangegangenen Abschnitts war es nur, deutlich zu machen, welchen Schwierigkeiten sich die herrschende Meinung, wie sie sich etwa in der Begründung der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung widerspiegelt, ausgesetzt sieht, wenn ihr Anspruch der konkreten Einzelfallprüfung empirisch-deskriptiver Zusammenhänge ernst genommen wird. Diese Schwierigkeiten sind es, die vor allem Haffke dazu veranlassen, die in der Warnformel zum Ausdruck kommende Position als "scheindeskriptiv" zu bezeichnen. Sie sei ein typisches Beispiel dafür, wie in der Jurisprudenz sozialwissenschaftliche Begriffe herangezogen würden, ohne daß der ihnen zugrunde liegende deskriptive Anspruch eingelöst werde l80 . Auf diese Kritik, die Grundfragen des Schuldbegriffs berührt, wird zurückzukommen sein l81 • Auch andere Juristen konstatieren die Schwierigkeiten, die sich aus der herrschenden, (vorgeblich) an empirischer Einzelfallprüfung orientierten Betrachtung ergeben. So wird ein Spannungsverhältnis zwischen Rückfallschärfung und Schuld heute häufig zugestanden. Äußerungen, wie etwa diejenige Zipfs, daß es unter Schuldgesichtspunkten bis heute "letztlich nicht geglückt" sei, die Strafschärfung wegen Rückfalls mit einem ernstgenommenen
178 Auf die Halttheorie von Reckless (vgl. Göppinger 1980, 71 f; Eisenberg 1985 § 5 Rn 31) nimmt Meier zwar nicht ausdriicklich Bezug; eine Parallele drängt sich jedoch auf. 179 Meier, der in bezug auf diese Personengruppe nur von der Möglichkeit des erhöhten Schuldvorwurfs spricht, unternimmt hier schon nicht mehr den Versuch, darzulegen, von welchen weiteren Faktoren es im Einzelfall abhängt, wann eine solche Möglichkeit bei psychisch stabilen Tälern zu bejahen ist, vgl. 1982,45. 180 Vgl. Haftke 1984, 197 ff, 204. 181 Unten, B.D1.2.d.
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Tatschuldprinzip selten I 83 •
B. Vorstrafenbelastung und StrafLumessungsschuld ZU
harmonisieren l82 , sind bei Strafrechtsdogmatikem nicht
Die naheliegende Konsequenz, aus dieser Analyse zu schließen, daß Rückfälligkeit kein geeigneter Faktor zur Erhöhung der Tatschuld sei, wird jedoch fast durchweg gescheut. Üblicherweise herrscht eine ambivalente Betrachtungsweise vor. Man gesteht die dogmatischen Schwierigkeiten zu, meint aber dennoch, die Schuldrelevanz der Vorstrafenbelastung "nicht leugnen" zu dürfen l84 • Diese zurückhaltende Umsetzung als berechtigt anerkannter Kritik zeigt sich auch in der Diskussion um § 48. Solange es galt, dessen Streichung durchzusetzen, wurden auch die erwähnten schulddogmatischen Friktionen häufig bemüht. Mit dem flexibleren § 46 dagegen meint man offenbar leben zu können, ohne den erwähnten dogmatischen Schwierigkeiten allzu große Aufmerksamkeit widmen zu müssen. Hier wird kaum die Auffassung vertreten, Vorstrafen seien schuldirrelevant und nur innerhalb des Präventionsspielraums von Bedeutung; überwiegend wird es für hinreichend erachtet, unter Berufung auf die dogmatischen Probleme für eine "zurückhaltende" Handhabung der Vorstrafenbelastung als Indiz für erhöhte Schuld zu votieren l85 • Diese vorherrschende ambivalente Position, die auch .in allen neueren monographischen Behandlungen des Themas ,zum Ausdruck kommt, liegt nach wie vor auf der Linie Köstlins: Kritisiert werden zwar "die exorbitanten Vorstellungen" von der strafschärfenden Wirkung der V'orstrafenbelastung. Die Möglichkeit aber, daß es zumindest einige Fälle geben könne, in denen Hemmimpulse vorwertbar mißachtet worden seien, wird von fast keinem strafrechtlichen Kritiker prinzipiell geleugnet l86 • So gesteht auch Hanack zu, daß man unter engen Voraussetzungen im 'Rückfall "ein Stück Tatschuld" sehen könne, insbesondere dann, wenn der Täter, was im einzelnen freilich zu beweisen sei, ein mit der früheren Bestrafung konkret verbundenes Bemühen
182 Zipf 1969, 93; siehe ailch 1989, 441. 183 Vgl. etwa Hanack 1968, 113; Hillenkamp GA 1974,215; Walter 1986,505; jüngst auch Horstkotte 1989, 286; siehe ferner BaumannlWeber 1985,360,642 f; Horn in SK § 46 Rn 124 und auch Bruns 1974, 563, der dann jedoch der Rspr. folgt. 184 So, trotz der zugestandenen dogmatischen Bedenken, ausdrücklich Zipf 1969, 38; ebenso in M/G/Z § 63 Rn 54; ferner 1989, 444. 185 Nachweise in der vorletzten und in der nächsten Fn. 186 Vgl. Köstlin 1855, 621, 624; Bindokat ZStW 71 (1959),287; Alternativentwurf 1966, S. 111; Hanack 1968, 110; Peter Jürgen Schmidt 1974, 189; Hillenkamp GA 1974, 214 f m.w.N.; Frosch 1976,67 f m.w.N.; (offen auch Kürschner 1978, 3, 107 f); Meier 1982, 11; Pfeiffer 1985, 307 f; Dünkel StV 1985, 237; Klose 1989,38 f; Horn in SK § 46 Rn 124.
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um Resozialisierung bewußt in den Wind schlage und dadurch eine besondere verbrecherische Energie entwickele oder betätige l87 • ee) Zur geringen Durchsetzungkraft solcher Kritik Bereits der Umstand, daß der an die Strafrechtspraxis gerichtete Vorwurf, diese neige zu übermäßigen Strafschärfungen und berücksichtige nicht hinreichend, daß der Vorwurf erhöhter Tatschuld nur in Ausnahmefällen gerechtfertigt sei, nunmehr seit mehr als 130 Jahren unverändert erhoben wird, legt Zweifel hinsichtlich der Erfolgschancen einer so argumentierenden Kritik nahe. Es wäre denkbar, daß gerade die von der herrschenden Kritik bezogene dogmatisch vermittelnde Position deren praktischer Durchsetzung im. Wege steht. Denn die Reaktion der Praxis auf die auch vom BVerfG geteilte Forderung nach einzelfallbezogener Prüfung erscheint angesichts der oben geschilderten diffizilen Argumentationsprobleme bereits vorgezeichnet. Die Strafrechtspraxis entzieht sich den Schwierigkeiten weitgehend mit einer de facto praktizierten Regelvermutung. Auch einige strafrechtliche Kommentare werben, gestützt auf die Diktion vieler obergerichtlicher Entscheidungen, der Sache nach für eine Regelvermutung l88 • Der regelhafte Charakter der Betrachtungsweise klingt vor allem bei den erwähnten, häufig nahezu als ungeschriebene Tatbestandsmerkmale verwendeten Voraussetzungen wie dem "inneren" oder angeblich "kriminologisch faßbaren" Zusammenhang an: Aus dem Vorliegen bestimmter Konstellationen (Einschlägigkeit, Vergleichbarkeit der Vorverurteilungen oder ähnlichem) wird regelmäßig auf erhöhte Tatschuld geschlossen l89 • Eine solche Vorgehensweise kann wenig verwundern, wenn einerseits die Zulässigkeit höherer Strafen bei Vorbestraften einem allgemeinen (wohl vorrangig präventiv motivierten) Konsens entspricht, andererseits eine Einzelfallprüfung zwar gefordert, Kriterien, anband derer diese Prüfung praktikabel durchführbar wäre, aber nicht genannt werden. Würden die Gerichte die de 187 Hanack •.•. 0. 188 Vgl. Günter Hirsch in LK § 48 Rn 36, 35 mit umfassenden Rspr.Nachw.; Stree in Sch/Sch 22.Aufl. § 48 Rn 17; Dreherrrröndie 1988 § 46 Rn 24a; siehe auch Bruns 1974,580; 1985, 223 f; Iescheck 1988, 797; Sturm MDR 1979, 370; Seib Deutsches Autorecht 1971, 227 f. Rspr.Nachw .•uch bei Horn in sLSK § 46 Rn 14b, insb. OLG Hamm NIW 1972, 1382; OLG Köln NStZ 1984, 550; OLG Karlsruhe MDR 1980, 867. Empirisches Material bei Kürschner 1978, 75. Krit. zu dieser Praxis auch Frosch 1976, 76-118, insb. 83, 114 f; Dünkel StV 1985, 238; Geiter ZRP 1988,378 f. 189 Nachweise wie Fn zuvor.
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B. Vorstrafenbelastung und Strafzumessungsschuld
facto praktizierte Regelvennutung offen benennen und sich demgemäß auf den Boden der oben als Fiktion bezeichneten Position stellen, so wären sie dem Vorwurf ausgesetzt, dem Anspruch des BVerfGs nicht zu genügen 190• Eine ausdrückliche Benennung der eigenen Position als einer - mangels empirischer Kriterien losgelöst normativen - Regelvennutung dürfte in der Praxis jedoch, schon angesichts der nur beschränkten revisionsrechtlichen Kontrolle von SZM-Erwägungen l9l , gar nicht nötig sein. Vom die SZM-Entscheidung begründenden Richter wird seitens der Revisionsgerichte nicht einmal die gedanklich/sprachliche Trennung von schuld- und präventionsrelevanten Erwägungen verlangt I 92. Die sorgfältige Darlegung der Vorstrafen und die pauschale Behauptung, diese seien im Rahmen der SZM gewürdigt worden, wird deshalb revisionsrechtlich häufig ausreichen. Aber selbst wenn hier die Begründungsanforderungen erhöht würden, müßte dies eine an Strafschärfungen interessierte Praxis nicht notwendigerweise von· der als de-factoRegelvennutung zu bezeichnenden Vorgehensweise abbringen. Es wäre zu befürchten und angesichts der dogmatischen Unklarheiten sogar verständlich, wenn Tatrichter sich auch.dann darauf beschränken würden, den Anforderungen des BVerfGs nur formal (scheinbar) Rechnung zu tragen und eine Einzelfallprüfung zu behaupten, ohne sie im Detail durchzuführen. Es dürfte revisionsrechtlich kaum verhinderbar sein, wenn der Tatrichter (regelmäßig) mit einigen Floskeln behauptet, aufgrund einer von ihm vorgenommenen Einzelfallwürdigung sei im vorliegenden Fall erkennbar geworden, daß die erneute Tatbegehung Ausdruck (aus dem Übersteigen von Hemmschwellen, erhöhter krimineller Energie etc. zu schließender) erhöhter Tatschuld sei. Solange man auch nur die Möglichkeit der Tatschulderhöhung aufgrund vorangegangener Vorverurteilungen akzeptiert, ohne die einschränkenden Kriterien präzis zu bezeichnen, wird man damit rechnen müssen, daß die Praxis diese Möglichkeit (aus präventiven Absichten bzw. sozialpsychologisch erklärbaren Gründen l93 ) zur Regel macht. Es besteht somit stets zumindest die Gefahr einer fatalen Arbeitsteilung: Der Literatur und dem BVerfG bleibt es überlassen, auf die Notwendigkeit der einzelfallbezogenen Prüfung beson190 Schon jetzt aber wird man ihnen eine gewisse sachliche Diskrepanz zur verbal restriktiven Entscheidung des BVerfGs bescheinigen müssen. Diese allerdings wird bereits durch Bruche in den Entscheidungsgrunden selbst befördert. Das BYerfO erachtet einerseits eine Einzelfallprufung aus schulddogmatischen Erwägungen für nötig, deutet jedoch andererseits an, daß es, anders als von kriminologischen Kritikern behauptet, eher Besonderheiten sein dürften, die die Verneinung erhöhter Schuld rechtfertigen. Auch das BVerfG begibt sich damit auf den Boden zweifelhafter kriminologischer Prämissen. Vgl. BVerfGE 50, 134-138. 191 Dazu noch unter C.IV.3.b.dd. 192 Lackner 1978,30. Sie wird auch, soweit ersichtlich, von seiten der Literatur nicht angemahnt, vgl. Bruns 1985 und Hanack in LR § 337 Rn 180-204, 214. 193 Vgl. oben, B.II.2.a. mit Hinweisen auf Streng, Hame und Pfeiffer.
D. Dogmatischer Streitstand
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derer Voraussetzungen hinzuweisen, die es ausschließlich rechtfertigten, von der Vorstrafenbelastung auf eine erhöhte Tatschuld zu schließen. Der Praxis reicht der Hinweis, daß erhöhte Tatschuld nicht völlig ausgeschlossen sei, um regelmäßig den Ausnahmefall zu unterstellen. Alle Appelle, angesichts der dogmatischen Zweifelhaftigkeit Zurückhaltung zu bewahren, dürften somit wenig Erfolg versprechen. Die Ohnmacht der immer wieder vorgetragenen Kritik gegenüber der gefestigten Praxis ist natürlich kein hinreichendes inhaltliches Argument gegen die von den Kritikern bislang eingenommene vermittelnde dogmatische Position. Die geschilderten Probleme legen jedoch die Frage nach Konzepten nahe, die die Vorstrafenbelastung für die Schuld für schlechthin irrelevant erachten und insbesondere bestreiten, daß es auf Erwägungen wie die, daß der Täter bestimmte Hemmungen etwa infolge erhöhter krimineller Energie überwunden habe, überhaupt ankommt. Zunächst ist jedoch noch auf einige weitere Ansätze zur Rechtfertigung erhöhter Tatschuld einzugehen. g) Weitere Argumentationsansätze aa) Geschärfte Verbotskenntnis Als eine wohl nur spezifische Unterart des Überwindungsmodells wird man Äußerungen einordnen können, die auf die "geschärfte Verbotskenntnis" des Wiederholungstäters abstellen. Hillenkamp etwa hält es für unabweisbar, daß das Handeln trotz geschärfter Verbotskenntnis als vorwerfbares Sich-Hinwegsetzen über die durch diese Schärfung geschaffenen H~mmungen tatschulderhöhend wirke l94 . In diesem Zusammenhang finden sich Äußerungen wie die, daß dem Täter durch die früheren Verurteilungen das Unrecht seiner Tat nunmehr deutlich vor Augen geführt worden sei, auf Unkenntnis der Normen könne er sich nicht mehr· berufen 195. Hier klingt die Vorstellung an, daß derjenige, der die Strafe wegen einer rechtswidrigen Tat am eigenen Leib erfahren habe, eine manifestere Vorstellung von der Rechtswidrigkeit seines erneuten Tuns habe als der Ersttäter l96 • Das Argument der "geschärften Verbotskenntnis· rückt damit in die Nähe eines Modells, wonach dem Ersttäter gegenüber dem Rückfalltäter eine Art schwache Form des Verbotsirrtums 194 Vgl. Hillenkamp GA 1974,215. 195 Vgl. Stock 1961, 150; Seib De~tsches Autorecht 1971, 227. 196 Vgl. dazu Frisch ZStW 99 (1987), 773.
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B. Vorstrafenbelastung und Strafzumessungsschuld
zugute gehalten wird, der zwar nicht die Folgen des § 17 nach sich zieht, in der SZM aber zu beachten wäre l97 • Auch ein solches Modell ist, vor allem hinsichtlich des Kernbereichs massenhaft auftretender Delikte, ebenfalls empirischen Zweifeln ausgesetzt. Daß das, was er tut, verboten ist, wird auch der Ersttäter meist mit kaum veränderbarer Präzision wissen. Häufig wird Erwägungen dieser Art zudem entgegengehalten, daß ihnen zufolge auch die erstmalige Straftat etwa eines Strafrichters oder Polizeibeamten so wie die eines Rückfalltäters bestraft werden müsse. Dies sei ungerechtfertigt; aus dem Umstand, daß eine solche Parallele durchweg nicht gezogen werde, ergebe sich der Scheincharakter solcher Argumentationen 198. bb) Geschärftes Strafwürdigkeitsbewußtsein Maurach stellt statt auf geschärfte Strafbarkeitskenntnis auf ein "geschärftes Bewußtsein von der Strafwürdigkeit" ab 199 • Seine Argumentation beruht ersichtlich auf der Annahme, daß dem Täter durch den formalen Gang des Strafverfahrens, den Dialog der Verfahrensbeteiligten mit dem Täter, aber auch durch das verhängte Strafmaß und dessen Vollstreckung die Strafwürdigkeit seines Verhaltens in besonderem Maße deutlich gemacht werde2OO • Setzt sich der Täter über die hierbei erworbenen Kenntnisse und Erfahrungen hinweg, so lädt er Maurach zufolge größere Schuld auf sich. Hier könnte ein interessanter Ansatzpunkt liegen. Ob allerdings das, herkömmlichen Schuldkategorien verhaftete, Kriterium der "geschärften Strafwürdigkeitskenntnis " die zutreffende Einordnung solcher Erwägungen ermöglicht, wird noch näher zu erörtern sein20I • cc) Besondere kriminelle Energie Bei der Betrachtung eigenständiger oder doch zumindest differenzierbarer Erklärungsansätze für erhöhte Tatschuld des Rückfälligen ist noch einmal auf den Begriff der kriminellen Energie zurückzukommen, den wie erwähnt auch 197 Hillenkamp a.a.O. bezeichnet den erhöhten Tatschuldvorwurf als die "Kehrseite des Verbotsirrtums" . 198 Vgl. Mir Puig ZStW 86 (1974), 185; Frisch ZStW 99 (1987), 774. Daß eine solche Gleichbehandlung wirklich völlig ungerechtfertigt ist, läßt sich allerdings durchaus in Zweifel ziehen. Vgl. dazu später, unter B.ID.5.a.dd. 199 Maurach 4. Aufl. 1971,856; ihm folgend Breidthardt 1971, 14 und OLG Hamm NJW 1972, 1382; siehe auch Brauneck 1966, 246. 200 Vgl. Maurach 1960,32; Breidthardt, Brauneck a.a.O. 201 Unten, B.ID.5.a.dd. und B.III.5.b.
D. Dogmatischer Streitstand
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Horstkotte und das BVerfG verwenden202 . Während er dort jedoch ausschließlich im Zusammenhang mit dem Überwindungsmodell verwendet wird (Überwindung erhöhter Hemmungen durch besondere kriminelle Energie), findet sich die Berufung auf die besondere kriminelle Energie des Rückfall täters teilweise auch ohne daß damit ein Rekurs auf das skizzierte Überwindungsmodell verbunden wäre. Die angeblich erhöhte kriminelle Energie ist häufig der zentrale Begriff, mit dem beim Wiederholungstäter neben besonderer Gefährlichkeit gleichzeitig erhöhte Schuld begründet werden so1l203. Auch dagegen wird die oben erwähnte kriminologische Kritik vorgebracht, die darauf abzielt, daß die Vorstellung erhöhter krimineller Energie (wie immer diese zu definieren sei) beim Rückfalltäter der empirischen Wirklichkeit regelmäßig nicht entspreche204 . Auch hier ist es jedoch geboten, zunächst der strafrechtsdogmatischen Berechtigung dieser im Rahmen der SZM häufig verwendeten Kategorie näher nachzugehen205 .
dd) Rechtsfeindliche Gesinnung, Beharrlichkeit Ähnlich unklar wie der Verweis auf die besondere kriminelle Energie bleibt häufig auch der auf die "Intensität der rechtsfeindlichen Gesinnung" oder auf die besondere "Beharrlichkeit" des Rückfalltäters206 . Es liegt die Vermutung nahe, daß auch diese Begriffe in der Sache einen neuen Begründungsansatz nicht enthalten, sondern nur bei den einen ein Synonym für besondere Getährlichkeit207 , bei den anderen ein Synonym für das Überwindungsmode1l 208 darstellen. Dennoch wird auch auf die Berechtigung von solchen, mit Motivationsbegriffen arbeitenden Auffassungen noch zurückzukommen sein209 .
202 Horstkotte JZ 1970a, 153; BVerfGE 50, 134. 203 Vgl. etwa Stock 1961, 150 f. 204 Nachweise oben bei B.ß.2.f.dd. 205 Unten, B.Iß.4.b.dd. 206 Vgl. BOH MDR 1963,331; Bemer 1898, 311; Sichart ZStW 10 (1890), 405, 407; v. Liszt 1914, 164 und oben, B.II.I.; EtTertz 1927, 139; Jagusch in LK 8. Aufl. 1957 vor § 13 Anm. B.IV.l.b. und d.; Stock 1961, 150 f; Maurach 4. Aufl. 1971,848,857 fund 1960,33 ("Rechtsfeindschaft"); Seib Deutsches Autorecht 1971, 227; Breidthardt 1971, 16; Jescheck 3. Aufl. 1978, 718 Fn 15; Dannis 1984, 140; KlolIC 1989, 40; umfassende HinweillC auf älteres Schrifttum bei Peter Jürgen Schmidt 1974, 172 f Fn 75. 207 So bei Bemer, Sichart und v. Liszt a.a.O.; siehe auch BGH a.a.O. 208 So bei Maurach 4. Aufl. 1971, Klosc, Breidthardt, EtTertz a.a.O. 209 Unten, B.Iß.5.a.ee.
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B. Vorstrafenbelastung und Strafzumessungsschuld
Der Vorwurf besonderer -Beharrlichkeit- verweist jedoch noch auf einen anderen, von den bislang vorgetragenen Positionen grundsätzlich zu unterscheidenden Ansatz:
ee) Wiederholter Ungehorsam als zusätzliches Unrecht Zu erörtern ist ein Konzept, das auf jeden Rückgriff auf Komponenten des AHKs, der Vermeidemacht oder auf Persönlichkeitskomponenten im Tatschuldbegriff verzichtet. Es sieht in der Wiederholung der Tat selbst ein Stück objektives zusätzliches Unrecht, das zum Unrecht der konkret verwirklichten Tat hinzukommt. In diesem Sinn kann man Positionen charakterisieren, ·die die Strafschärfung beim Vorbestraften schlicht als -Ungehorsamszuschlagverstehen2lO • Aber auch differenziertere Ansätze stellen teilweise darauf ab, daß in der wiederholten Tatbegehung und der damit verbundenen besonderen Nichtachtung der Norm erhöhtes Tatunrecht zu sehen sei 211 • Die Wamformel des ehemaligen § 48 wird hierbei als Typisierung nicht von gesteigertem AHK, sondern von gesteigertem Unrecht verstanden. Diese, von den bislang diskutierten Positionen strukturell abweichenden Auffassungen haben sich bislang nicht durchzusetzen vermocht212 • Sie werden jedoch ebenfalls in die Betrachtung einzubeziehen sein213 . An dieser Stelle soll der Versuch einer Gliederung der zur Begründung erhöhter Schuld Vorbestrafter verwendeten Argumente beendet werden. Die Schwierigkeiten eines solchen Versuchs sind deutlich geworden. Ihre Ursache ist vor allem in dem Umstand zu suchen, daß ein echter Streit um die Frage, ob die Vorstrafenbelastung überhaupt geeignet sein kann, die Schuld zu erhöhen, im Grunde nicht besteht. Trotz Kritik und Zweifel an übermäßigen Rückfallstrafschärfungen wird zumindest die Möglichkeit schulderhöhender Berücksichtigung von Vorstrafen bislang im Grunde allseits für eine Selbstverständlichkeit erachtet, die näher zu rechtfertigen lange Zeit schon die Existenz des § 48 und dessen Vorgänger entbehrlich zu machen schienen. Es lag deshalb bislang nahe, sich auf einige Schlagworte oder pauschale Hin210 So der in der Literatur häufig aufgegriffene Vorwurf des Alternativentwurfs 1966, S. 111; siehe aber auch Maurach 4. Aufl. 1971,858. Der italienische Strafrechtslehrer Latagliata spricht von der" Aggression gegen die Autorität der friiheren Verurteilung", dokumentiert bei Mir Puig ZStW 86 (1974), 185. 211 Siehe Armin Kaufmann 1954,211; Nagler 1918, 617 f; dazu vor allem Mir Puig ZStW 86 (1974), 189 ff, insb. 197-199; ferner Härtel 1973, 42-44; Peter lürgen Schmidt 1974, 164-167; Hatlke 1984,205 f. 212 Vgl. Mir Puig a.a.O. und 199 ff; Haftke a.a.O.; siehe auch Frisch ZStW 99 (1987), 773. 213 Unten, B.UI.5.a.
D. Dogmatischor Streitstand
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weise zu beschränken, die im Nachhinein zu differenzieren schwerfällt. Des weiteren wird deutlich, daß trotz aller rechtstheoretischer Diskussion um das Verhältnis von Prävention und Schuld auch von den Anhängern einer solchen Trennung auf deren gedanklich scharfe Beibehaltung im Konkreten gerade im Bereich der Berücksichtigung des Vorlebens als SZM-Faktor wenig Aufmerksamkeit verwendet wird. Man mag angesichts dieses Diskussionsstandes den Versuch systematischer Differenzierung häufig pauschal und kumulativ vorgetragener Argumente für gekünstelt halten. Insbesondere die Erwägungen, die hier im Zusammenhang mit dem Überwindungsmodell der herrschenden Meinung anzustellen waren, mögen geeignet erscheinen, den Vorwurf begrifflicher "Spitzfindigkeit" zu bestätigen214 . Dem wäre jedoch entgegenzuhalten, daß die zweifelhaften Künstlichkeiten, die bei der Bemühung entstehen, das Gedankenkonstrukt näher auszuführen und anzuwenden, das die hel'rSChende Meinung für notwendig erachtet, um Rückfallstrafschärfungen mit dem Tatschuldprinzip zu harmonisieren, sich auch bereits als ein erstes gewichtiges Indiz gegen das verfochtene Ergebnis selbst interpretieren lassen. Von besonderem Interesse sind daher diejenigen Auffassungen, die die schulderhöhende Bedeutung der Vorstrafenbelashing schlechthin leugnen. h) Die Gegenposition: Schuld irrelevanz der Vorstrafenbelastung Eine solche radikale Position wird jedoch von denjenigen Strafrechtlern, die konkret zu der Frage Stellung nehmen, wie mehrfach Vorbestrafte (nach geltendem Recht) zu bestrafen seien, nur selten vertreten. Zwar dient die Kritik an den mühsamen Versuchen, Strafschärfungen mit dem Schuldprinzip zu harmonisieren, einigen Autoren dazu, für eine Preisgabe des Schuldprinzips zu votieren. Peter Jürgen Schmidt plädiert zur Lösung der dogmatischen "Probleme der Rückfallkriminalität" für eine "Integration von Strafe und Maßregel unter einem erweiterten Schuldbegri ff"2 I 5. Baurmann legt einen rechtsphilosophisch entwickelten Entwurf eines "tatbezogenen Maßnahmerechts" vor2 16 . Von der überwiegenden Zahl der "systemimmanenten" Kritiker dagegen (denjenigen also, die an der in § 46 Abs. 1 S. 1 fixierten Systemkategorie
214 Vgl. dazu Dreher bei Frosch 1976,65, 116. 215 Peter Jürgen Schmidt 1974,410. 216 Baurmann 1987. 6 Erhard
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B. Vorstrafenbelastung und Strafzumessungsschuld
"Schuld" festhalten), wird zumindest die Möglichkeit erhöhter Schuld nicht in toto geleugnet217 • Selbst der Alternativentwurf legt sich insoweit nicht fest218 • Zwar empfiehlt er ausdrücklich den Verzicht auf eine allgemeine Rückfallstrafschärfungsklausel. Die Begründung läßt jedoch auch für diejenigen Raum, die, wie etwa der Mitverfasser Hanack, nicht ausschließen wollen, daß unter bestimmten Umständen im Rückfall auch einmal ein Moment erhöhter Tatschuld gesehen werden könne und deren Intention lediglich dahin geht, solche Schulderhöhungen ausschließlich im Rahmen der allgemeinen SZMVorschrift zu berücksichtigen ("Soweit Rückfall als Moment der Tatschuld überhaupt in Betracht kommt, darf dadurch der normale Strafrahmen nicht gesprengt werden. "219). Einige der Mitverfasser des Alternativentwurfs dürften jedoch Rückfälligkeit für schlechthin schuldirrelevant gehalten haben. Deutlich wird diese Auffassung insbesondere von Grünwald in seinem Überblicksreferat über "Das Rechtsfolgensystem des Alternativentwurfs" vertreten: Rückfälligkeit, das sei der Standpunkt des Alternativentwurfs, erhöhe die Schuld nicht. Die Obergrenze der "noch schuldangemessenen " Strafe sei bei einer bestimmten Straftat die gleiche, unabhängig davon, ob es sich um einen Vorbestraften oder einen Ersttäter handele. Nur aus Gründen der Spezialprävention könne eine Straferhöhung geboten sein, diese Schärfung sei jedoch nur bis zur Grenze dessen zulässig, was für alle Täter gleichermaßen schuldangemessen sei 220 • Damit hat Grünwald eine klare und dogmatisch vergleichsweise kompromißlose Konzeption zur Diskussion gestellt, die seitdem jedoch nur wenig Beachtung gefunden hat: Irrelevanz der Vorstrafenbelastung für die Schuld und Würdigung des Vorlebens ausschließlich unter präventiven Gesichtspunkten im Rahmen der ohne Einbeziehung des Vorverhaltens zu ermittelnden Tatschuld. Einer solchen Konzeption gilt die besondere Aufmerksamkeit der nachfolgenden Untersuchung. Eine nähere Begründung seiner Auffassung hat Grünwald in seinem Überblicksreferat jedoch nicht entwickeln können. Insbesondere fehlen Erläuterun217 Nachweise oben, B.II.2.f.dd. am Ende. 218 Zutreffend K10se 1989, 3S. 219 Alternativentwurfl966, S. 111. 220 Grünwald ZStW 80 (1968), 98. Bemerkenswert ist dabei, daß diese Position auf dem Boden eines Schuld verständnisses vertreten wird, das dem der heute herrschenden Meinung im Ansatz entspricht: Grünwald versteht den Inhalt des § S9 AE im Sinne einer Schuldrahmentheorie, derzufolge die Tatschuld nicht nur eine Obergrenze für die Strafe bestimmt, sondern auch eine Untergrenze, vgl. Grünwald a.a.O., S. 96.
D. Dogmatischer Streitstand
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gen dazu, wieso Grünwald auch die bloße Möglichkeit erhöhter Tatschuld, etwa durch ein vorwertbares Sich-Hinwegsetzen über besondere Hemmschwellen im Einzelfall, für schlechthin irrelevant hält. Übereinstimmung mit der Position Grünwaids wäre vor allem bei denjenigen zu erwarten, die sich dafür aussprechen, im SZM-Bereich "den Schuldbegriff möglichst auf die Tatkomponente zu konzentrieren" und die Täterkomponente der Präventionsentscheidung vorzubehalten221 . Zu den Anhängern eines solchen "reduzierten Schuldbegriffs" werden vor allem Zipf und Stratenwerth gezäh1t222 . Es ist jedoch bereits darauf hingewiesen worden, daß selbst Zipf, der eine weitgehende "Bereinigung" des Tatschuldbegriffs von Persönlichkeitsmerkmalen und deren Zuweisung zum Präventionsbereich verlangt, vor den Konsequenzen einer solchen Entleerung dort, wo die Schuld relevanz der Vorstrafenbelastung in Rede steht, offenbar zurückschreckt. Auch auf dem Boden eines die Täterkomponente angeblich ausscheidenden Tatschuldbegriffs223 hält er die Berücksichtigung von Vorstrafen im Rahmen der Tatschuldbewertung für zulässig224 . Eine mit Grünwald in der Sache übereinstimmende Position nimmt dagegen vor allem Stratenwerth ein, der in einem beeindruckenden, 1972 veröffentlichten Vortrag zu "Tatschuld und Strafzumessung" ebenfalls für eine drastische Reduzierung des Tatschuldbegriffs eintritt. Anders als Zipf hält Stratenwerth die dogmatischen Konstruktionen, die die Schuldrelevanz des Vorlebens rechtfertigen sollen, für "in jeder Hinsicht realitätsfern und doktrinär"225. Er möchte das Vorleben des Täters ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Prävention gewürdigt wissen226 . In seiner Kritik der herrschenden Meinung zur Schuld relevanz der Vorstrafenbelastung beschränkt er sich nicht nur auf die skizzierten kriminologischen Erwägungen, sondern streicht als eine entscheidende dogmatische Frage heraus, inwiefern kriminelle Energie eigentlich mit erhöhter Schuld gleichgesetzt werden dürfe227 . Auch Stratenwerth hat jedoch sein, der herrschenden Meinung entgegengesetztes Konzept, wonach "nach Möglichkeit diejenigen Momente, die bisher 221 So Zipf in M/G/Z § 63 Rn 5. 222 Vgl. Bruns 1985, 146. 223 Vgl. Zipfa.a.O. Rn 7 und 1969,218. 224 Vgl. Zipf 1969, 38, 68 f, sowie in M/G/Z § 63 Rn 54 und 1989, 439 ff; krit. dazu Dannis 1984, 134. Ähnlich zwiespältig wie Zipf auch Horn in SK: vgl. einerseits § 46 Rn 41, 42,44, andererseits Rn 124. Näher zu Zipf und Horn unten bei B.III.3.d. 225 Stratenwerth 1972, 15. 226 Slralenwerth 1972,28 ff, 35; zustimmend Schaffslein 1973, 108, 112, 114. 227 Stratenwcrth 1972, 17.
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B. Vorstrafenbelastilng und Strafzumessungsschuld
unter dem Titel einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit einbezogen worden sind" auszuscheiden und künftig nur noch unter dem Blickwinkel der Prävention zu betrachten seien228 , nur grob skizzieren können. Man hat Stratenwerth deshalb wiederholt den Vorwurf gemacht, daß er mit seiner radikalen Auffassung außer den von ihm benannten Kategorien, wie etwa dem Vorleben, auch eine ganze Reihe wichtiger anderer Aspekte aus dem Schuldbegriff entleere, die aus Gründen der Dogmatik, ebenso wie des allgemeinen Gerechtigkeitsempfindens, im Rahmen der Schuldbetrachtung unverzichtbar seien229 . Stratenwerths Auffassung ist daher durchweg auf Ablehnung gestoßen230 . Die vorliegende Untersuchung wird trotzdem der Frage nachgehen, ob nicht dennoch ein solcher "reduzierter", an den Intentionen Stratenwerths orientierter Tatschuldbegriff zulässig, vielleicht sogar geboten ist. Dabei wird es darauf ankommen, ob eine Konzeption eines gegenüber der herrschenden Praxis reduzierten Tatschuldbegriffs denkbar ist, die dem Vorwurf, unabweisbar relevanten Persönlichkeitskriterien nicht Rechnung tragen zu können, entgeht. Eine in diese Richtung zielende Auffassung kann sich neuerdings vor allem auf Frisch berufen. Auch Frisch ha~, in einem Ende 1987 veröffentlichten Aufsatz zu Grundfragen der SZM231, die herrschende Auffassung zur Schuldrelevanz "täterbezogener schulderhöhender Umstände" kritisiert232 . Zur SZM bei Vorbestraften äußert er die Überzeugung, daß mit der Streichung des § 48 "jeder positivistische Zweck entfallen (sei), die SZM-Relevanz des Vorlebens unter Schuldaspekten am Leben zu erhalten"233. In seinen (allerdings entsprechend ihrer Intention häufig nur skizzenhaften) Darlegungen werden mehrere Gesichtspunkte erörtert, die auch nach der hier verfochtenen Auffassung besonderes Gewicht haben. Ich meine mich daher (trotz
228 Stratenwerth 1972, 29. 229 So wurde Stratenwerth angesichts diesbezüglich nicht ganz eindeutiger Formulierungen häufig dahingehend verstanden, daß er auch schuldmindernde Umstände der im § 21 benannten Art unterhalb der dort normierten ErheblichkeitsgrenZe für generell schuld irrelevant halte und dies für mit Prinzipien materieller Gerechtigkeit nicht vereinbar erachtet; vgl. Rudolphi ZStW 85 (1973), 111 ff; Schöneborn GA 1975, 272 ff; unten B.III.2.d.ff. 230 Siehe außer Rudolphi und Schöneborn a.a.O. auch Lackner 1973, 117 ff, 130 ff; Bruns JZ 1972, 414 und Dltrmis 1984, 11 f. 231 Frisch ZS:W 99 (1987), 349 ff, 751 ff. (Die vorliegende Dissertation war zu diesem Zeitpunkt allerdings bereits weit fortgeschritten). 232 Frisch a.a.O., 382-388. 233 Frisch a.a.O., 771 f.
D. Dogmatischer Strcitstand
85
verbleibender Diskrepanzen) an mehreren Stellen der nachfolgenden Untersuchung besonders auf Frisch berufen zu können234 • Im Rahmen der Skizzierung des gegenwärtigen Streitstandes ist zunächst zusammenfassend festzuhalten, daß die gegenüber der herrschenden Auffassung dogmatisch konträre Position, wonach der Grad der Vorstrafenbelastung für die bei der SZM zu beachtende Schuld gänzlich unbeachtlich sei und das Vorleben ausschließlich Präventionsrelevanz genieße, zwar vereinzelt vertreten wird, daß sie sich aber bislang keineswegs durchzusetzen vermochte235 • Schließlich ist auch eine neuerdings von Geiter vorgetragene Position zu erwähnen, die über den soeben behandelten Ansatz noch hinausgeht. Geiter verlangt, die Vorstrafenbelastung bei der SZM "nie s~rafschärfend" zu berücksichtigen236 • Geiter leitet diese Forderung aus der von ihm geteilten Kritik des Postulats schulderhöhender Wirkung der Vorstrafenbelastung ab. (Diese Kritik habe durch die Streichung des § 48 zusätzliche Durchschlagskraft erhalten. 237 .) Geiter legt jedoch nicht dar, wieso er meint, von der Schuldirrelevanz unmittelbar auf die SZM-Irrelevanz schließen zu dürfen. Er muß sich daher die Argumente all derjenigen entgegenhalten lassen, die eine völlige Gleichbehandlung ohne Rücksicht auf den Grad der Vorbelastung aus präventiven Gründen für weder wünschenswert noch durchsetzbar halten. (Auf die - entgegen Geiter - auch bei etwaiger Schuldirrelevanz der Vorstrafenbelastung eventuell noch verbleibenden, wenn auch begrenzten, Möglichkeiten einer Schärfung wird in Teil C der Arbeit hinzuweisen sein. Ihre Berechtigung abschließend zu bewerten, ist nicht Gegenstand dieser Arbeit.) i) Zusammenfassung Die Bestandsaufnahme des gegenwärtigen Streitstandes ist damit abzuschließen. Sie hat bestätigt, daß die Schuld relevanz der Vorstrafenbelastung oder doch zumindest die Möglichkeit, daß mit der Vorstrafenbelastung einhergehende Umstände wichtige Indizien für im Einzelfall erhöhte Tatschuld sein können, nach wie vor überwiegend für selbstverständlich, vielfach einer näheren Begründung kaum bedürftig, erachtet wird.
234 Näher zur Konzeption Frischs und zu den diesbezüglichen Parallelen und Diskrepanzen des vorliegenden Ansatzes u.a. bei B.ID.3.d.aa. Dort auch zur Replik Bruns 1988. 235 Krit. zuletzt Bruns 1988, 57 ff. 236 Geitcr ZRP 1988, 380 f. Offenbar gegen jegliche Strafschärfungen beim Rückfall aus empirischer Sicht nun auch Klose 1989, 236. 237 Geiler a.a.O.
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B. Vorstrafenbelastung und Strafrumessungsschuld
Auch die gegenwärtige Diskussion wird durch eine Vielzahl von Konstruktionen geprägt, die immer wieder als unzulässige Vermengungen zwischen Schuld und Prävention kritisiert worden sind. Auf die historische Entwicklung solcher Vermengungen, insbesondere bei v. Liszt und dessen Rezeption, auf die ebenfalls traditionsreiche Kritik, ebenso wie auf deren bislang offenbar eher geringe Wirkung, wurde hingewiesen. Auch gegenwärtig für die SZM nicht ganz ohne Bedeutung sind die dem Bereich der Täterschuldlehren zuzurechnenden Auffassungen (insbesondere Lebensführungsschuld- und Charakterschuldlehren), vor allem in nicht näher präzisierten "vermittelnden" Modifikationen. Ähnliches gilt für die im Rahmen der SZM weiterhin häufigen, allerdings vielfach ebenfalls nicht näher präzisierten, Äußerungen, wonach die Täterpersönlichkeit über die Tat hinaus, wenn auch auf diese bezogen, umfassender Würdigung auch im Blick auf die Tatschuld bedürfe. Als "herrschende Auffassung" war das hier so bezeichnete "Überwindungsmodell" (dem auch das BVerfG gefolgt ist) zu betrachten. Es beruht auf der Vorstellung von der Überwindung von durch die Vorverurteilung errichteten inneren Hemmschwellen aufgrund der besonderen kriminellen Energie des Täters, ist aber im Detail ebenfalls mehreren Deutungen, insbesondere solchen stärker normativer und solchen stärker empirisch-deskriptiver Art zugänglich. Weitere Rechtfertigungsansätze (geschärfte Verbotskenntnis, geschärftes Strafwürdigkeitsbewußtsein, Beharrlichkeit, erhöhtes Tatunrecht etc.) wurden erwähnt. Zusammenfassend betrachtet zeigt sich, daß sich die Erklärungsansätze für erhöhte Schuld des Vorbestraften ohne allzu große Vergröberung auf drei Grundmuster zurückführen lassen: auf tatbezogene Lebensführungsschuld, auf tatbezogene Tätergefährlichkeit oder auf das (vorherrschende) Überwindungsmodell. Ferner wurde dargelegt, daß auch die solchen Positionen gegenüberstehende Auffassung, derzufolge das Vorleben für die Tatschuld keine Rolle spielt und ausschließlich im Rahmen der Prävention zu würdigen ist, vereinzelt vertreten wird. Sie hat sich jedoch bislang nicht durchzusetzen vermocht. Die nähere Darlegung der vorherrschend vertretenen Auffassungen und die Erwähnung der gegen die wichtigsten Ansätze immer wieder vorgetragenen Kritikpunkte haben bereits die Fragwürdigkeit solcher Konzeptionen erkennen lassen. Eine nähere inhaltliche Auseinandersetzung wurde jedoch bislang vermieden. Ob etwa die von den Kritikern angemahnte Trennung von Schuld und Prävention überhaupt anzustreben ist, ist bislang nicht erörtert worden. Nicht näher nachgegangen wurde der Behauptung, daß ein gewisser Rekurs auf Aspekte von Lebensführung oder Charakterschuld in der SZM schlechthin unumgänglich sei. Vor allem aber wurde die für das Überwindungsmodell der herrschenden Meinung jenseits aller kriminologischen Erwägungen zentrale,
m.
1. Auslegung des § 46 Abs. 1 Satz 1 als Ausgangspunkt
87
bislang aber kaum erörterte, weil offenbar für selbstverständlich erachtete Frage außer Betracht gelassen, ob es im Rahmen desjenigen Schuldbegriffs, der für die SZM relevant ist, auf das Überwinden solcher angeblichen Hemmungen überhaupt ankommt. Die Beantwortung gerade der letzten dieser drei offenen Fragen dürfte für einen Fortschritt der Diskussion um die SZM bei Vorbestraften entscheidende Bedeutung haben. Sie setzt jedoch zunächst die Präzisierung dessen, was inhaltlich unter "Schuld" im Sinne des § 46 Abs. 1 S. 1 zu verstehen ist, voraus. Dem hat der nachfolgende Lösungsansatz Rechnung zu tragen.
111. Der hier vertretene Lösungsansatz
1. Auslegung des § 46 Abs. 1 S. 1 als notwendiger Ausgangspunkt
a) Schuld als Grundlage Angesichts der oben skizzierten Schwierigkeiten der bislang vertretenen Lösungsvorschläge sowie der Grenzen, auf die die übliche, kriminologisch ausgerichtete Kritik in der Strafrechtspraxis stößt, soll der Versuch unternommen werden, (in Anlehnung an verschiedene der Literatur zu entnehmende Gedanken) einen eigenen Lösungsansatz zu entwickeln. Ausgangspunkt hierfür kann jedoch nicht eine weitere isolierte Erörterung des Meinungsstands zur Schuldrelevanz der Vorstrafenbelastung und der den vertretenen Konzeptionen im Detail entgegenzuhaltenden Kritik sein. Das eigene Konzept muß vielmehr mit dem Versuch, den Schuldbegriff des § 46 Abs. 1 S. 1 auszulegen, ihm nähere Konturen abzugewinnen, beginnen. Es ist an dieser Stelle an die bereits in der Einleitung erwähnten Bedenken zu erinnern: Viele bislang vorgetragene Erörterungen zum Problem der Rückfallstrafschärfung betrachten diese Streitigkeit zu isoliert. Die Vereinbarkeit der Strafverschärfung mit dem Schuldprinzip wird herzustellen versucht, ohne daß der Inhalt, die Komponenten und die Reichweite des Begriffs der Schuld zuvor näher bestimmt wurden. Gerade nach der Streichung des § 48 wird aber der Blick dafür frei, daß das Fundament auch der Erörterungen der strafschärfenden Bedeutung der Vorstrafen (de lege lata) die Auslegung des § 46 Abs. 1 S. 1 zu sein hat.
88
B. Vorstrafenbelastung und Strafromessungsschuld
Aus dem Gehalt und der Struktur der Schuld im Sinne von § 46 muß sich zumindest eine wichtige Vorentscheidung dafür ergeben, ob und in welchem Umfang die Vorstrafen bei der SZM berücksichtigt werden dürfen. Schon die schwer vereinbar erscheinenden Positionen, die von denselben Autoren zur Lebensfiihrungsschuld allgemein und zur Rolle des Vorlebens im speziellen geäußert werden238 , deuten darauf hin, daß diese Grundlage möglicherweise nicht immer ausreichend berücksichtigt wird. So erscheint es denkbar, daß die herrschende Diskussion um das Überwindungsmodell auf Prämissen aufbaut, die innerhalb der Grundlagendiskussion um den SZM-Schuldbegriff möglicherweise längst nicht mehr unzweifelhaft sind.
b) Nachrangigkeit des § 46 Abs. 2 Man könnte freilich meinen, daß es sich wegen der Erwähnung des Begriffs "Vorleben" in der 5. Gruppe des § 46 Abs. 2 von selbst verstehe, daß den Vorstrafen zumindest de lege lata Schuldrelevanz zukomme. Eine solche Annahme würde jedoch aus zwei Gründen zu kurz greifen. Zum einen ist der Begriff des "Vorlebens" weiter als der der Vorstrafen. Zum zweiten bezieht sich § 46 Abs.2 nicht nur auf § 46 Abs. 1 S. 1, sondern auf § 46 insgesamt239 • Es wäre deshalb denkbar, daß das "Vorleben" nur schuld mindernde und daneben Relevanz vor allem für die von § 46 Abs. 1 S. 2 in den Blick genommenen präventiven Komponenten24O der SZM hat. Der Auslegung des Schuldbegriffs des § 46 Abs. 1 S. 1 kann deshalb gerade bei der Frage nach der SZM-Relevanz der Vorstrafenbelastung nicht mit dem Hinweis auf § 46 Abs. 2 aus dem Weg gegangen werden241 •
c) Schwerpunktsetzung Die Auseinandersetzung mit dem Schuldbegriff des § 46 Abs. 1, der eigene diesbezügliche Strukturierungsvorschlag und dessen Anwendung auf die Vorstrafenbelastung sind somit - wie unter A.III. skizziert - die drei grundlegenden Schritte, innerhalb derer sich die nachfolgenden Erwägungen einordnen. 238 Vgl. oben, bei B.D.2.c. 239 Vgl. Horstkottc JZ 1970, 125; Bruns 1985, 129, 144; Zipf in M/G/Z § 63 Rn 149, 162; Jescheck 1988, 788. 240 Vgl. zu § 46 Abs. I S. 2 Bruns 1985, 94 ff; Zipf in M/G/Z § 63 Rn 103, 106; BGHSt 24,42. 241 Das gilt jedenfalls dann, wenn man "Schuld" und "Prävention" für - wie durch § 46 nahegelegt - notwendige und trcnnungsbedürftige Begriffe hält, siehe dazu unter B.m.2.
m.
1. Auslegung des § 46 Abs. I Satz I als Ausgangspunkt
89
Eine Untersuchung, die beim SZM-Schuldbegriff des § 46 Abs. 1 selbst ansetzen muß, befindet sich allerdings in einem gewissen Dilemma. Der für die Beantwortung der zunächst thematisierten Spezial frage notwendige Rekurs weist auf eine Systemkategorie, die ihrerseits zu den umstrittensten und ungeklärtesten des Strafrechts überhaupt gehört. Eine umfassende Erörterung der diesbezüglichen Fragen ist nicht leistbar. Eine Ausklammerung der Diskussion um den Schuldbegriff, wie sie vielfach im Hinblick auf das vorliegende Thema praktiziert wird, ist jedoch ebenfalls nicht angebracht. Es hat sich gezeigt, daß sie Fortschritte auf diesem Gebiet gerade hemmen würde. Nachfolgend muß deshalb zwar das eigene Verständnis der Grundlagen des Schuldbegriffs benannt werden. Dort, wo jedoch vor allem bekannte oder herrschende Auffassungen zugrunde gelegt werden, ohne daß insoweit wesentlich neue Argumente angeführt werden könnten, wird auf die nähere Rechtfertigung solcher grundlegenden Positionen und die Darstellung des diesbezüglichen Diskussionsstandes soweit als möglich verzichtet242 • Die vorliegende Untersuchung bemüht sich, auf dem Boden des im Rahmen des § 46 überwiegend vertretenen Schuldbegriffs (den sie im Grundsatz akzeptiert) um dessen nähere Strukturierung; sie betrachtet vor allem Inhalt und wesentliche Komponenten dieses Schuldbegriffs. Eine solche Schwerpunktsetzung erscheint gerade angesichts des derzeitigen Diskussionsstandes geboten. Während der im Rahmen der Strafbegründung zugrunde gelegte Schuldbegriff im letzten Jahrhundert, gerade auch in der differenzierten Abgrenzung vom Unrecht, vergleichsweise präzise inhaltliche Konturen gewonnen hat, ist der von der herrschenden Meinung verwendete Schuldbegriff des § 46 nach wie vor wenig präzisiert. Die vorliegende Untersuchung wird sich mit der These beschäftigen, daß trotz des beachtlichen dogmatischen Aufschwungs der SZM-Lehre insoweit noch erhebliche Defizite zu verzeichnen sind. Die oben dargelegten Unklarheiten hinsichtlich der Berücksichtigungsfiihigkeit des Vorlebens sind dafür nur ein, wenn auch wichtiges Indiz. Absicht der nachfolgenden Erörterungen ist es, den hier behaupteten Mangel zunächst näher unter Beweis zu stellen. Es sollen allerdings nicht nur offene Fragen benannt, es soll auch ein eigener Vorschlag unterbreitet werden (B.II!.3. ff). Dies kann jedoch nicht mit dem Anspruch geschehen, die zuvor beschriebenen Lücken nun allseits befriedigend zu schließen. Auch der in dieser Arbeit empfohlene Lösungsansatz dient in erster Linie dem Bemühen, zumindest auf die Notwendigkeit einer strukturelle Fragen der vorliegend diskutierten Art stärker in den Blick nehmenden Diskussion hinzuweisen. 242 Vgl. zu dieser Vorgehensweise selbst Zipf 1969,37.
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B. Vorstrsfenbelastung und StrafLumessungsschuld
Der Umstand, daß die vorliegende Arbeit versucht, sich der Bedeutung der Vorstrafenbelastung für die SZM durch eine Analyse dessen, was unter Schuld im Sinne des § 46 Abs. 1 S. 1 zu verstehen ist, zu nähern, bringt noch weitere Beschränkungen mit sich. Zwar werden die wichtigsten der unter B.II. geschilderten Auffassungen im Verlauf der weiteren Erörterung aufzugreifen sein. Die Arbeit kann jedoch nicht für sich in Anspruch nehmen, alle in der Diskussion bislang vorgetragenen Argumente zur SZM-Relevanz der Vorstrafenbelastung umfassend zu erörtern. Schon die Fülle des mittlerweile vorliegenden Materials nötigt dazu, sich auf die vorrangig vertretenen und diejenigen Lösungsansätze zu beschränken, die einen Bezug zum hier verfochtenen Lösungsweg aufweisen. Die vorliegende Untersuchung, der es um eine angemessene Auslegung des § 46 Abs. 1 S. 1 geht, kann deshalb vor allem solchen Ansätzen nicht gerecht werden, die die oben skizzierte Kritik der herrschenden Theorien zur Schuldrelevanz der Vorstrafenbelastung zum Anlaß nehmen, für eine Preisgabe der Systemkategorie Schuld schlechthin (nicht etwa nur für deren präventive Ausfüllung) zu votieren. Die Tragfähigkeit von Konzepten, die eine Überwindung von überwiegend für fundamental erachteten Grundsätzen des deutschen Strafrechts wie etwa des Prinzips der Zweispurigkeit verfechten243 , kann hier auch dann nicht näher erörtert werden, wenn dies gerade im Hinblick auf die SZM bei Vorbestraften geschieht244 • Es erscheint jedoch bemerkenswert, daß modeme Versuche, das Schuldstrafrecht durch ein Maßregelrecht zu ersetzen, die zwar einerseits von dem Bemühen, sich von dem als metaphysisch verschrienen und offenbar für nicht auslegungsfähig erachteten Schuldbegriff zu lösen gekennzeichnet, andererseits aber auch bestrebt sind, den einem reinen Maßregelrecht üblicherweise entgegengehaltenen Einwänden innerhalb ihres Systems Rechnung zu tragen, durchaus gewisse Parallelen zu dem aufweisen, was hier als angemessene Auslegung des Schuldbegriffs verstanden werden wird. Die Ausdifferenzierung des Maßregelgedankens und des folgenorientierten Ansatzes scheint betrachtet man die Resultate des anspruchsvollen Entwurfs Baurmanns245 - zu gewissen Annäherungen an die Institute der herkömmlichen Schulddogmatik zu führen. Eine strukturierte Auslegung des SZM-Schuldbegriffs und ein "tatbezogenes Maßnahmerecht" , das, wenn auch unter veränderter Begründung,
243 So etwa die Diss. von Peter Jürgen Schmidt 1974,249 ffm.w.N. 244 Diese Einschränkung ist unbeschadet des Umstands nötig, daß viele ausländische Rechtsordnungen das Prinzip der Zweispurigkeit nicht kennen; vgl. Hanack in LK § 66 Rn 10. Die Zweispurigkeit wird hier lediglich nicht "hinterfragt". Damit wird nicht behauptet, sie sei sakrosant; zur Kritik vgl. Hanack in LK vor § 61 Rn 13 ff. 245 Baurmann 1987, insb. 253 ff.
m. 2. Positionsbestimmung zu einigen den Schuldbegriffbetreffenden Grundsatzfragen 91
dem Schutz des Täters hinreichend Rechnung trägt, mögen daher im Ergebnis nicht mehr allzuweit voneinander entfernt sein246 • Einer solchen Konvergenzthese und den verbleibenden rechtstheoretischen wie dogmatisch-konstruktiven Unterschieden kann hier jedoch nicht näher nachgegangen werden. Die Untersuchung wird in ihrem Ausgangspunkt statt dessen eher herkömmlichen Theoremen folgen.
2. Positionsbestimmung zu einigen den Schuldbegriff des § 46 betreffenden Grundsat7/ragen
a) Begriffliche Vorklärungen Die Anknüpfung an den Begriff der Schuld im Sinne von § 46 Abs. 1 setzt zunächst einige terminologische Klarstellungen voraus. An der bereits bislang praktizierten terminologischen Trennung zwischen Schuld und Prävention wird festgehalten. Zwar wird deren inhaltliche Unterscheidbarkeit in der Literatur bestritten247 , bereits dieser Streit spricht jedoch dafür, die terminologische Unterscheidung beizubehalten. Eine Entscheidung, ob Schuld und Prävention der Sache nach trennbar sind, ist damit noch nicht verbunden248 • Auch von dem Versuch, Schuld durch Begriffe, wie etwa den der "Verantwortlichkeit" oder der "Zurechnung" zu ersetzen, wird, trotz rechtstheoretischer Erwägungen, die hierfür angeführt werden249 , nachfolgend schon im Hinblick auf § 46 Abs. 1 S. 1, dessen Ausdeutung die nachfolgenden Erwägungen gelten, abgesehen250 •
Gegenstand der Erörterungen ist, wie im Hinblick auf die Zielsetzung der Untersuchung ebenfalls keiner näheren Begründung bedarf, Schuld weder im
246 Ähnlich auch Feltes GA 1988, 524 ff. 247 Näheres unter B.1lI.2.d.dd. 248 Wie Fn zuvor. 249 Vgl. Roxin einerseits 1974, 182 ff; andererseits aber 1979, 303; Achenbach 1974, 218222; 1984, 137 f. 250 Zudem werden sich auch inhaltliche Bedenken gegen eine Reduzierung der "Schuld" im Sinne des § 46 auf bloße "Verantwortlichkeit" oder ·Zurechnung· ergeben, siehe B.1lI.3.b.
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B. Vorstrafenbelastung und StrafLumessungsschuld
sittlichen noch im philosophischen Sinn, sondern diejenige Schuld, die üblicherweise als Rechtsschuld apostrophiert wird251 . Entsprechend der von Achenbach entwickelten und inzwischen allgemein anerkannten Unterscheidung zwischen Schuldidee, Strafbegründungsschuld und SZM-Schuld252 ist Gegenstand der Erörterungen ferner nur die SZMSchuld. Strafbegründungs- und SZM-Schuld unterscheiden sich nach Achenbach gedanklich dadurch, daß erstere das "Ob", letztere das "Wie" (m.E. ist zu ergänzen: und "Wieviel") der Strafe betrifft253 . Der Begriff der SZMSchuld unterstreicht bereits sprachlich, daß Schuld im Sinne von § 46 Abs. 1 S. 1 als Steigerungsbegriff verstanden werden muß. Anders als bei der Strafbegründung muß die Kategorie der SZM-Schuld die Annahme größerer und geringerer Schuld zulassen254 . Inwieweit beide Fragen darüber hinaus inhaltlich trennbar sind, ist damit ebenfalls nicht entschieden. Achenbach selbst vertritt zwar die Auffassung, daß die Frage nach dem "Wie" der SZM grundsätzlich anderen Kategorien zu folgen habe als die nach dem "Ob"255, aber auch wenn man dies bezweifelt, erscheint die sprachliche Trennung angebracht. Aus der Beschränkung der Betrachtung auf den Begriff der SZMSchuld ergibt sich, daß Erörterungen zum "Ob" der Strafe nur insoweit notwendig sind, als sie das "Wie" beeinflussen. b) Zur Funktion des SZM-Schuldbegriffs256
aa) Strafbegrenzung als zentrale Aufgabe
Eine Konkretisierung des Begriffs der SZM-Schuld läßt sich nur erreichen, wenn ein gewisses Maß an Klarheit über die Aufgabe herrscht, die einem solchen Begriff zukommen soll. Obgleich der Bereich dessen, was Achenbach in Abgrenzung zur SZM-Schuld als "Schuldidee" bezeichnet, nicht Gegenstand dieser Untersuchung ist, scheint damit ein Rekurs auf Grundfragen der Straf251 Vgl. Zipf 1969,37 f; Bruns 1985, 146; Jescheck 1988, 376. 252 Vgl. Achenbach 1974, 2 ff. Seiner terminologischen Differenzierung ist die h.M. gefolgt; vgl. etwa Roxin 1979, 282; Bruns 1985, 145; Jescheck 1988, 787; Dreherrrcöndie 1988 § 46 Rn 4; Lackner 1989 vor § 13 Anm. DI.4.; Stree in Sch/Sch § 46 Rn 9a. 253 Vgl. Achenbach a.a.O. 254 Vgl. Bruns, Jescheck, Dreherrrcöndie a.a.O. Sie bildet somit einen Ordnungs- und nicht einen Klassenbegriff, vgl., im Anschluß an Radbruch, Hassemer 1968, 281 ff; Puppe 1979, 84 ff. 255 Achenbach 1974, 11 ff. 256 Die Begriffe "Funktion" und "Aufgabe" werden hier, im dogmatischen Kontext, synonym verwendet.
m. 2. Positionsbestimmung zu einigen den SchuldbegritTbetretTenden Grundsatzfragen
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zweckdiskussion unvermeidlich. Die nachfolgenden Erwägungen werden jedoch deutlich machen, daß wesentliche Streitfragen der Strafzweckdiskussion für die hier anzustellenden Betrachtungen dahinstehen können. Die Bedenken der heute überwiegenden Lehre gegen eine sogenannte "absolute" Rechtfertigung staatlichen Strafens257 sind zu teilen. Gerechtigkeit um ihrer selbst willen erscheint auch mir keine hinreichende Rechtfertigung staatlichen Strafens im pluralistischen Staat258 . Stellt man sich demgemäß hinsichtlich der Grundfrage nach der Rechtfertigung staatlichen Strafens schlechthin auf den Boden relativer Strafzwecke, so muß damit m. E. nicht notwendigerweise die Überzeugung von der präventiven oder gar spezial präventiven Wirksamkeit staatlichen Strafens (eine Position, die, wie oben erwähnt, vielfältigen kriminologischen Zweifeln ausgesetzt ist259 ) verbunden sein. Ebenfalls gegenwärtig einflußreichen Positionen260 nur folgend, scheint mir der Gedanke der positiven Generalprävention (möglicherweise weniger für die konkrete SZM, aber) für die Rechtfertigung staatlichen Strafens von wichtiger Bedeutung. Zwar ist die Behauptung, im Einzelfall verhängte konkrete Strafverschärfungen (etwa solche, die unmittelbar auf das Ansteigen bestimmter Kriminalitätsformen in bestimmten Regionen reagieren)261 seien geeignet, künftig ähnliche Straftaten Dritter zu verhindern, aus empirischer Sicht ähnlich problembehaftet wie der spezialpräventive Ansatz262 . Zumindest plausibler, wenn auch zugegebenermaßen eines empirisch exakten Beweises ebenfalls nicht zugänglich, sind aber bereits diejenigen Erwägungen, die, von einer abstrakteren Betrachtungsstufe ausgehend, darauf abstellen, daß die Existenz der Strafrechtsordnung schlechthin sowie das Wissen um deren Durchsetzung geeignet sind, die Rechtsüberzeugung und das Normvertrauen der Bevölkerung 257 Siehe vor allem No1l1966, 219 tT; Alternativentwurf 1966, 29; Roxin, unter anderem in JuS 1966, 377 tT; MschrKrim 1973,316 ff; 1974, 182!'; 1977,468; Horstkotte JZ 1970, 122; Lackner 1973, 118; Stratenwerth 1977; 1981, Rn 10-16,29; Hassemer 1981, 226; Schünemann 1984, 153 tT; Ebert 1985, 209; MaurachIZipf 1987 § 7 Rn I ff; Jescheck 1988, 63, 70; BGHSt 24, 42; BVerfGE 45, 253 tT; 64, 271; zusammenfassend Roxin JA 1980, 223-226. Krit. und statt auf präventive Argumentationsmuster wieder auf Kant zurückgreifend, Köhler 1983. 258 Ob eine streng absolute Theorie je vertreten wurde, was neuerdings bestritten wird, vgl. Frommel 1987, mag hier dahinstehen. 259 Vgl. A.I. 260 Vgl. Noll 1966,219 ff; Hoerster GA 1970, 272 ff; Roxin 1979,306; Achenbach 1984, 142 f; zusammenfassend Bierbrauer/Haft1ce 1978, 166 ff; NeumannlSchroth 1980, 33 ff; Hassemer 1981, 295 ff; Stratenwerth 1981, Rn 23 ff; Jescheck 1988, 4; Stree in Sch/Sch vor § 38 Rn 2; Lackner 1989 § 46 Anm. m.3.b.; BVerfGE 45, 256 ff; ferner 64, 271 ff. Krit. Köhler 1983. 261 Vgl. etwa BGHSt 17, 324; BGHSt NStZ 1986, 358; Bruns 1985, 102 m.w.N. 262 Vgl. Zipf in M/G/Z § 63 Rn 90 ff; Köhler 1983, 42 f; Peter-Alexis Albrecht GA 1983, 200; Kaiser 1988 § 37 Rn 53-65.
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B. Vorstrafenbelastung und Stratzumessungsschuld
zu stärken. Die Existenz der Strafrechtsordnung dürfte von wichtiger Bedeutung schon bei der Entwicklung des inneren Normgefüges sein. Nicht (nur) die Angst vor Strafe (negative Generalprävention), sondern bereits die das Rechtsbewußtsein unterstützende Funktion des Strafrechts dürfte geeignet sein, Straftaten zu verhindern263 • M.E. ist jedoch zumindest ergänzend auf einen weiteren Aspekt positiver Generalprävention zu velWeisen. Er verläßt (ebenso wie der Aspekt generellen Normvertrauens) im Grunde die übliche Gegenüberstellung "absoluter" und präventiver Strafzwecke. Statt (ausschließlich) auf einen gewichtigen erzieherischen Effekt zu setzen, dürfte es hinreichen, auf den Schaden abzustellen, der zu befürchten wäre, wenn auf strafrechtliche Normen zum gegenwärtigen Zeitpunkt in übermäßigem Maß verzichtet würde264 • Strafrecht wird nachfolgend als ein Instrument verstanden, das jedenfalls geeignet und bestimmt ist, gesellschaftlichen Strafbedürfnissen in gewissem Umfang Rechnung zu tragen265 • Staatliche Strafe wird als eine Kanalisierung gesellschaftlicher Strafbedürfnisse interpretiert266 • Der damit angesprochene Aspekt der Strafe läßt sich mit dem Schlagwort ·staatliche Strafe zur Vermeidung von Privatjustiz", wenn auch zugegebenermaßen nur sehr grobschlächtig, umschreiben267 • Im vorliegenden Zusammenhang dürfte es hinsichtlich der Frage nach der Rechtfertigung staatlichen Strafens ausreichen, auf diesen Aspekt, das - m.E. in besonderem Grad plausible - Vorhandensein gesellschaftlicher Strafwünsche, zu rekurrieren268 • Ob dabei in der Bevölkerung der Wunsch, daß Übles mit Üblem vergolten werde oder präventive ElWägungen (Abschreckung, Besserung, Sicherung gegen263 Nachw. drei Fn zuvor. 264 Dieser Gesichtspunkt wird ausdrücklich thematisiert von Haffke 1976, 162 ff; Streng ZStW 92 (1980), 640, 663; Stratenwerth 1981, Rn 16, 25; Hassemer 1981,226, 295 f; Peter Albrecht Schw JZ 1983,266; Giehring 1989,97. 265 Grundlegend Haffke 1976; GA 1978, 33 ff; Streng a.a.O., 637 ff; siehe auch Streng ZStW 101 (1989),273 ff. 266 Vgl. Hassemer a.a.O.; Stratenwerth 1981, Rn 30; Hafflc:e GA 1978, 33 ff, 56 f; Bierbrauer/Haffke 1978, 180; Streng ZStW 92 (1980), 650; siehe auch Achenbach 1984, 142 f; Ebert 1985, 209. 267 Vgl. Hassemer 1981, 295; Stratenwerth 1981, Rn 16; siehe auch Ebert 1985, 209. Giehring 1989, 97 spricht, pointiert, vom ·Schutz des Straftäters vor der Gegenaggression der Gesellschaft·. 268 Man mag auch die Behauptung real existierender gesellschaftlicher Strafbedürfnisse für empirisch angreifbar halten. Ich hielte dies für wirklichkeitsfremd, muß aber gleichwohl zugeben, daß die Überzeugung, derzufolge in der Bevölkerung ein nicht unerhebliches - und zumindest gegenwärtig nicht eliminierbares - Bedürfnis nach Strafe existiert, die wirklichkeitsbezogene Grundlage des hier unternommenen Rechtfertigungs- und Einordnungsversuchs bleibt, auf die auch die vorliegende Betrachtung, trotz der Schwierigkeiten empirischer Fundierung, meint nicht verzichten zu können. Siehe zum Streitstand auch Streng ZStW 101 (1989),293.
m. 2. Positionsbestimmung zu einigen den Schuldbegriffbetreffenden Grundsatzfragen
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über Gefährlichen) im Vordergrund stehen, ob hier "Triebe" oder andere (tiefen-)psychologisch ergründbare Strafbedürfnisse am Werk sind und inwieweit solche Bedürfnisse philosophisch gerechtfertigt erscheinen, mag vorliegend dahinstehen269 • Ein demokratischer Staat wird auf die Berücksichtigung solcher Strafbedürfnisse und Strafforderungen nicht verzichten können und sogar dies reicht für die Argumentation de lege lata im Grunde aus - tut dies auch nicht. Dann aber hat er die Verpflichtung, Strafe nicht den Privaten zu überlassen (Fehde, Lynchjustiz ... ), sondern - und dies entspricht auch der rechtsgeschichtlichen Entwicklung270 - die Sanktionierung in staatliche Bahnen zu lenken. Ein sich als Rechtsstaat definierendes Gemeinwesen ist darüber hinaus verpflichtet, bei der Erfüllung dieser Aufgabe nicht willkürlich vorzugehen, sondern rechtsstaatliche Grundsätze zu beachten, Strafe demgemäß in rechtsstaatliche Bahnen zu lenken. Der demokratische Aspekt wird so durch den der Rechtsstaatlichkeit ergänzt. Die Beachtung sich daraus ergebender Einschränkungen ist gerade angesichts des Umstands, daß Strafsanktionen zu den intensivsten Eingriffsmöglichkeiten des Staates in die Rechtssphäre des Bürgers zählen, von besonderer Bedeutung. Strafe im Rechtsstaat stellt sich daher (zumindest auch) als eine an rechtsstaatlichen Prinzipien wie dem Übermaßverbot, dem Willkürverbot und dem Prinzip der Vorhersehbarkeit staatlicher Maßnahmen orientierte Kanalisierung gesellschaftlicher Strafbedürfnisse dar. Aus dieser Grundposition ergibt sich, daß es (möglicherweise nicht die einzige, aber jedenfalls eine unabdingbare) Aufgabe der Strafrechtsdogmatik sein muß, Strafe im Interesse des Bestraften zu begrenzen271 • Dies gilt um so mehr in dem Maß, in dem der Staat (wie dies zunehmend geschieht) für sich in Anspruch nimmt, mit Strafe präventive Zwecke (nicht nur im Sinne von Verhinderung von Privatjustiz, sondern im Sinne von Verhinderung anderer künftiger Straftaten entweder des Bestraften oder Dritter) zu verfolgen. Eine solche - auch m.E. nicht grundsätzlich illegitime - Position verlangt, neben dem Bemühen um eine methodisch nur schwer leistbare Überprüfung der Effektivität einer solchen Politik, jedenfalls nach rechtsstaatlicher Begrenzung; - dies schon deshalb, weil im Rechtsstaat angesichts von Menschenwürde und Übermaßverbot nicht jede effektive Maßnahme rechtmäßig sein kann.
269 Krit. gegenüber einer solchen "Resignstion" Peter-Alexis Albrecht GA 1983,200 Fn 51. 270 Vgl. Roxin JA 1980,223; Stratenwerth 1981, Rn 16. 271 H.M. vgl. vor allem Roxin, unter anderem in JuS 1966,385; 1977,467 f; Schw ZStrR 1987, 360, 372, 376; Alternativentwurf 1966 § 2 und S.29; ferner Zipf 1969, 51 ff und in MaurachIZipf 1987 § 7 Rn 11-19; Hassemer 1981,226; sowie die Nachw. drei Fn später.
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B. Vorstrafenbelastung und Strafzumessungsschuld
Die von v. Liszt verdienstvoll geprägte, wenn auch in seinem Werk nicht näher verfolgte Formel, wonach Strafrecht (jedenfalls auch) "Magna Charta des Verbrechers" zu sein habe272 , kennzeichnet daher die auch hier vertretene Grundposition. Anders als v. Liszt erscheint es mir mit der heute herrschenden Meinung aber auch nötig, die begrenzende Funktion der Strafrechtsdogmatik nicht auf die Strafbegrundung zu beschränken, sondern auf die SZM zu erstrecken. Angesichts der im Rahmen der SZM zulässigen Differenzierungen zugefügten Übels (vgl. A.I.) liefe ein Schutzrecht des Verbrechers, das sich nur auf das Ob der Bestrafung beschränken würde, faktisch weitgehend leer273 • Dem Rechtsstaatsprinzip und dem Übermaßverbot entsprechende dogmatische Schranken sind daher auch bei der SZM notwendig. Es muß die Aufgabe (insbesondere) des Begriffs der SZM-Schuld sein, diese begrenzende Funktion zu erfüllen274 • Dies gilt de lege lata bereits im Hinblick auf § 46 Abs. 1 S. 1. Der Schuldbegriff, der Grundlage der SZM sein soll, ist angesichts der spärlichen positiv-rechtlichen Regelungen der SZM i.e.S. ein zentraler Gesichtspunkt zur umfassenden dogmatischen Begrenzung präventiver Strafwünsche. § 46 Abs. 1 S. 1 wird deshalb hier (zumindest auch) als Magna Charta des Verbrechers auf dem Gebiet der SZM betrachtet275 . Dem Begriff der Schuld eine limitierende Bedeutung beizumessen und ihn, anders als v. Liszt, in den Magna-Charta-Gedanken einzubeziehen, dürfte auch dessen historischer Entwicklung entsprechen. Die von v. Liszt der Sache nach nicht geteilte, in § 46 aber, insoweit eher im Gefolge der klassischen Schule, zum Ausdruck kommende Forderung nach schuldangemessener SZM hat seit der Aufklärung stets (auch) einen übermäßig harte Strafen begrenzenden Impetus gehabt276 •
272 V. Liszt n (1893), 60, 80. 273 "Die Tatbestandsbestinuntheit wird zur Schimäre, wo ihr nicht eine Bestimmtheit der Rechtsfolgen entspricht ... ", Grasnick 1987. 33. 274 Vgl. Hassemer 1977, 252; 1981, 219 ff, 226; Stratenwerth 1977, 42; Schünemann 1984, 187; Rudolphi in SK vor § 19 Rn Ib; Zipf 1969, 51 ff und in MaurachIZipf 1987 § 7 Rn 11-19; siehe auch Alternativentwurf 1966, § 59; Roxin JA 1980, 223; Schw ZStrR 1987, 360,372,376; Schöneborn ZStW 88 (1976), 362; ZStW 92 (1980), 697; Bruns 1985, 92. Auf die notwendige Gestaltung und Begrenzung kriminalpolitischer Erwartungen durch das Schuldprinzip weist auch Krümpelmann hin, ZStW 88 (1976), 34 und GA 1985, 338. Umfassende Nachw. zur (nur) begrenzenden Wirkung des Schuldprinzips bei Schünemann a.a.O., 160 f Fn 18 und Bierbrauer/Haft1c:e 1978, 162 ff. 275 Auf die außerdem relevanten mittelbaren Wirkungen der strafrahmenbegründenden Normen des Allgemeinen Teils und des Besonderen Teils wird noch einzugehen sein, vgl. B.ID.3.e.cc. 276 Vgl. Roxin Schw ZStrR 1987, 358; MaurachIZipf 1987 § 6 Rn 9 ff, 26, 31.
ID. 2. Positionsbestimrnung zu einigen den Schuldbegriff betreffenden Grundsatzfragen
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Ob der Begriff der SZM-Schuld gegenwärtig geeignet ist, eine solche limitierende Wirkung zu entfalten, ist mit dieser Aufgabenbestimmung nicht gesagt. Ebensowenig ist bereits die Frage geklärt, ob ein ausschließlich an "rationalem", effektivem Strafen orientiertes Strafverständnis, das den Begriff der Schuld präventiv interpretiert, nicht möglicherweise (ebenfalls) ausreichende rechtsstaatliche Begrenzungen liefert, die den einzelnen Täter hinreichend schützen. Deutlich jedoch soll der Maßstab werden, an dem sich jede Ausfüllung des Begriffs der SZM-Schuld messen lassen muß: Es ist dies die limitierende Funktion des Schuldprinzips. Eine solche, die Strafe - jedenfalls nach oben - begrenzende Funktion der SZM-Schuld ist heute allgemein anerkannt und gilt als verfassungsrechtlich geboten277 . Inwieweit dem Begriff auch eine nach unten limitierende Funktion zukommt, ist streitig und an dieser Stelle noch nicht abschließend zu entscheiden. Fragen dieser Art werden in Teil C näher behandelt278 • Da sich über eine angemessene Ausfüllung der Kategorie SZM -Schuld jedoch nur handeln läßt, wenn die Folgen, die sich aus den unterschiedlichen Auslegungen dieses Begriffes für die SZM letztlich ergeben werden, zumindest erkennbar sind, ist ein gewisser Vorgriff unvermeidlich: bb) Schuldrahmentheorie als Arbeitsgrundlage Das hier verfochtene Verständnis, wonach die Systemkategorie "Schuld" vorrangig die Aufgabe hat, Strafe zu begrenzen, legt eine Parallele zur Schuldrahmentheorie mindestens nahe. Da diese Theorie zugleich die in der Literatur und vor allem der höchstrichterlichen Rechtsprechung herrschende ist, soll sie nachfolgend als eine vorläufige Arbeitsgrundlage für die in Teil B anzustellenden Erwägungen herangezogen werden. Der SZM-Schuld des § 46 Abs. 1 S. 1 kommt nach dieser Theorie die Aufgabe zu, nicht ein exakt fixierbares Schuldquantum zu bestimmen (Punktstrafe), sondern einen gedanklichen Rahmen zu bezeichnen, der von der "schon schuldangemessenen " bis zur "noch schuldangemessenen " Strafe reicht. Innerhalb dieser, zwischen den sehr weiten gesetzlichen Strafrahmen wesentlich engeren, wenn vielleicht auch nicht numerisch angebbaren Grenzen bleibt ein Spielraum für mehrere verschiedene Strathöhen, die allesamt gleichermaßen 277 Vgl. BVerfUE 45,260; 50, 133; 54, 108 sowie die Nachw. bei C.I1.1. 278 Unter C.I1.3. 7 Erhard
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B. Vorstrafenbelastung und Strafzumessungsschuld
als schuldangemessen zu betrachten sind (oder innerhalb derer das angeblich denkbar einzig Schuldangemessene jedenfalls nicht mehr näher bestimmbar erscheint)279. Dieser Spielraum ist durch präventive ElWägungen auszufüllen. Das Verhältnis von Schuld und Prävention ist demnach ein hierarchisches: Gesichtspunkte der Prävention sind ausschließlich innerhalb des vom Schuldbegriff gesteckten Rahmens zulässig: "Prävention im Rahmen der Repression"280. Ob diese verbreitete, in der Literatur aber auch häufig kritisierte Konzeption der Sache nach gerechtfertigt ist, wird sich umfassend in der vorliegenden Arbeit nicht erörtern lassen, auf einige Gesichtspunkte wird jedoch im Teil C der Untersuchung näher einzugehen sein281 . Schon an dieser Stelle ist jedoch zu elWähnen, daß die Auffassung von einer nicht nur nach oben, sondern auch nach unten begrenzenden Funktion des Schuldprinzips, wie sie der Schuldrahmentheorie zugrunde liegt, mit dem soeben skizzierten Verständnis vom Schuldprinzip als einer Magna Charta des Verbrechers keineswegs unvereinbar erscheint. Dem wird zwar teilweise entgegengehalten, daß eine limitierende Wirkung des Schuldprinzips sich nie zu Lasten des Täters auswirken dürfe. Auf dem Boden relativer Strafzwecke habe sich der SZM-Schuldbegriff darauf zu beschränken, die Obergrenze der Strafe zu bezeichnen. Die Schuldrahmentheorie sei demzufolge nur bei Zugrundelegung absoluter Strafzwecktheorien zu rechtfertigen282 . Auffassungen dieser Art velWechseln jedoch m.E. Schuldidee und Begriff der SZM -Schuld283 . Auch wenn die Schuldidee Strafe nicht rechtfertigt, kann es geboten sein, bei der Durchführung des anderweitig gerechtfertigten staatlichen Strafens den Begriff der SZM-Schuld (nicht zuletzt aus rechtsstaatlichen Gründen) als einen die konkrete Strafe im Einzelfall beidseitig begrenzenden Faktor heranzuziehen. Das hier verfochtene StrafverstäDdnis kann deshalb, obwohl es sich nicht als ein absolutes versteht, möglichelWeise durchaus auch eine Begrenzung 279 Nachw. zu dieser Streitfrage bei C.II.4. 280 Grundlegend Zipf 1969, 55-77; Maurach/Zipf 1987 § 7 Rn 11-31, insb. 25, 28; eingehende Nachw. unter C.II.4. Zur Deutung der Schuldrahmentheorie als Hierarchiemodell Hassemer 1977, 244 f. 281 Unter C.II.4. und C.IV.3. 282 Vgl. Roxin MschrKrim 1973, 316 ff; 1977, 467 ff; Schw ZStrR 1987, 372; Schünemann 1984, 162, 187 ff; 1987, 210 f; vgl. auch Stree in Seh/Sch vor § 38 Rn 18a; weitere Naehw. bei C.II.3. 283 Die Notwendigkeit, Institution und Distribution der Strafe zu trennen, akzeptiert und betont auch Baurmann 1987, 6-8.
m. 2. Positionsbestimmung zu einigen den Schuldbegriffbetreffenden Grundsatzfragen
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nach unten gebieten284 . Hat man den Anspruch, Strafbedürfnissen der Gesellschaft in rechtsstaatlich sublimierter Form nachzukommen, so dürfte man (sowohl im Hinblick auf diese Bedürfnisse wie auf das Postulat der Rechtsstaatlichkeit) gezwungen sein, bei staatlichem Strafen Gleiches gleich zu behandeln, - auch dort, wo sich das auch zu Lasten einzelner auswirken kann. Der Schuldbegriff weist insofern nicht nur - in der Literatur immer wieder diskutierte - Parallelen zum Verhältnismäßigkeitsprinzip285, sondern auch zum Gleichheitsprinzip auf. Gerade auf diesen Aspekt relativer Schuldgerechtigkeit286 wird die vorliegende Arbeit häufig bezug zu nehmen haben. Schon angesichts der Schwierigkeiten, Schuld (wie immer man sie inhaltlich verstehen will) in ein konkretes Strafmaß "umzuwerten "287, muß der relative Aspekt von Schuldgerechtigkeit, der nicht in Anspruch nimmt, das absolut angemessene Maß zu bestimmen, aber zumindest verlangt, daß vergleichbare Fälle nicht völlig unterschiedlich behandelt werden, bei dem Bemühen, gesellschaftliche Strafbedürfnisse rechtsstaatlich zu kanalisieren, besondere Bedeutung haben288 . Ein solches Verständnis des Schuldprinzips entspricht der beispielsweise von Zipf vertretenen Grundposition: Gerechtes Schuldstrafen betrifft danach nicht den Zweck des Strafens (Schuldidee), sondern Art und Weise der Durchführung staatlichen Strafens: "Zweckmäßigkeit im Rahmen der Gerechtigkeit"289. Auch wenn man, Zipf und der herrschenden Meinung folgend, die Schuldrahmentheorie als Arbeitsgrundlage verwenden will, bedarf es somit keines Rückgriffs auf absolute Strafzwecktheorien. Da sich auf deren Boden aber erst recht keine anderen Folgerungen für die Aufgabe des SZM-Schuldbegriffs ergäben (eine absolute Straftheorie verlangt 284 Vgl. Zipf 1969, 61; ferner Schöneborn ZStW 92 (1980), 682 ff, 697; der Sache nach ebenso die meisten modemen Anhänger eines Schuldunterschreitungsverbots, vgl. etwa Günter Hirsch in LK vor § 46 Rn 16, 17; nähere Hinweise auf diese Meinungsgruppe unten, C.D.3. 285 Vgl., im Ergebnis zu weitgehend, Ellscheid/Hassemer 1975, 281; mit Recht krit. zu einer Ersetzung des Schuldprinzips durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip dagegen etwa Stratenwerth 1977, 36 ff; Jakobs 1976, 6 f; Arthur Kaufmann Jura 1986, 227 f. 286 Vgl. Streng 1984, 1 ff, 15 m.w.N.; Theune 1985, 207 f; siehe auch (nur zum Teil einschränkender) BGHSt 28, 324. 287 Vgl. Hauser 1985; Montenbruck 1989. 288 Ebenso Bauer 1984, insb. 66-80 und 231 f; siehe zum Aspekt der Vergleichbarkeit - zurückhaltender - auch Bruns 1974, 66; 1985, 26; Lackner 1989 § 46 Anm. V.3. Eine vielschichtige Behandlung, auch der dogmatischen Fragen der SZM-Gleichheit, findet sich zudem bei Pfeiffer/Oswald 1989, vgl. insb. Giehring 1989, 115 ff; Schöch 1989, 132 ff; Krauss 1989, 134 ff; Horstkotte 1989, 281 ff; Hassemer 1989, 297 ff. 289 Zipf 1969,52 (unter Berufung auf Merkel); ebenso Bruns 1985, 92.
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B. Vorstrafenbelastung und StrafLumessungsschuld
erst recht nach - beidseitiger - Begrenzung), brauchen Streitfragen um die Schuldidee hier nicht weiter vertieft zu werden. An der skizzierten Funktionsbestimmung des Schuldbegriffs der SZM ist unabhängig von solchen Streitfragen festzuhalten: Die Kategorie der Schuld hat die Aufgabe, Strafe rechtsstaatlich zu limitieren. An diesem Anspruch muß sich der Versuch, sie inhaltlich auszufiillen, zuvorderst messen lassen. ce) Rechtsgüterschutz als Gegenstand Ein solches, nicht metaphysisch begründetes, sondern am Topos der Rechtsstaatlichkeit orientiertes Strafversländnis legt zum zweiten auch eine bestimmte Sichtweise des vom Strafrecht zu regelnden Gegenstandes nahe: Was Gegenstand staatlicher Bestrafung sein darf, hat sich im pluralistischen Rechtsstaat nicht an Kategorien wie dem "besonders schweren Verstoß gegen ethische Fundamentalnormen" oder dem Begriff des "ethischen Minimums" zu orientieren. Die Aufrechterhaltung bestimmter sittlicher Normen als Selbstzweck ist keine Aufgabe des Strafrechts. Es fehlt insoweit an einer staatlichen Legitimation zur sittlichen Bevormundung des Bürgers290 • Auch wenn Strafrecht, wie hier, als Kanalisierung gesellschaftlicher Strafbedürfnisse verstanden wird, so zählt es doch zu den rechtsstaatlichen Begrenzungen, innerhalb derer solchen Bedürfnissen Rechnung zu tragen ist, daß Strafrecht (jedenfalls im Kern) Reaktion nur auf sozial schädliche Verhaltensweisen sein darf. Diese, in Abgrenzung zu Positionen, wie sie noch dem Entwurf eines StGBs 1962 zugrunde lagen, entwickelte Auffassung, hat sich seit den sechziger Jahren weitgehend durchgesetzt und wird auch vom BVerfG ausdrücklich vertreten291 . Ihr soll auch hier gefolgt werden. Mit der Orientierung am Rechtsgüterschutz als Gegenstand staatlichen Strafens ist in der Sache zwar noch nicht viel gewonnen. Wie der Begriff des Rechtsguts inhaltlich zu fassen ist, ist auch gegenwärtig weitgehend ungek1ärt292 • Die Schwierigkeit seiner Präzisierung zeigt sich daran, daß neben Leben, körperlicher Unversehrtheit, Eigentum und ähnlichem auch Allgemeingüter dem Rechtsgutsbegriff unterfallen, so daß es nicht widersinnig erscheint, auch bestimmte fundamentale Wertvorstellungen als schützens-
2I.JO Vgl. Noll 1966, 221, 229 ff; Roxin, unter anderem in JA 1980, 222 f m.w.N.; Stratenwerth 1981, Rn 51; Rudolphi in SK vor § 1 Rn 5 und 1970, 159 ff, 166; Lenckner in Sch/Sch vor § 13 Rn 10; Ebert 1985, 1; zusammenfassend Hassemer 1981, 23 ff. 291 Vgl. BVert"GE 45,253; 64, 271. Zur Entwicklung Roxin und Hassemer a.a.O. 292 Vgl. Rudolphi in SK vor § 1 Rn 3 ffund 1970, 151 ff; Stratenwerth 1981, Rn 53-63.
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werte Rechtsgüter zu begreifen. Die Unterschiede zur erwähnten Gegenposition scheinen damit zu verschwimmen. Auf die diesbezüglichen Präzisierungsversuche kann hier ebenfalls nicht eingegangen werden. Daß es sich bei dem nachfolgend zugrunde gelegten Topos "Rechtsgüterschutz" jedoch um keine bloße Leerformel handelt, hat sich etwa bei der Auseinandersetzung um die Frage, anband welcher Prämissen das Sexualstrafrecht zu regeln sei, gezeigt293 • Es wird zu prüfen sein, ob er nicht auch die SZM-Diskussion stärker befruchten sollte. Man wird allerdings von der Orientierung am Topos Rechtsgüterschutz nicht zuviel verlangen dürfen. Eine inhaltliche Auseinandersetzung um Rechtfertigung und Grenzen staatlichen Strafens kann und sollte er nicht ersetzen; er vermag jedoch als Leitlinie eine bestimmte Orientierungsrichtung vorzugeben und andere Orientierungsmaßstäbe (etwa den der sittlichen Verwerflichkeit) als Diskussionsgrundlage auszuscheiden.
In diesem Zusammenhang ist es von Bedeutung, daß es sich bei dem nachfolgend verwendeten Rechtsgutsbegriff, Rudolphi folgend294 , letztlich nicht um einen vorrechtlichen, sondern um einen "durch und durch positivrechtlichen Begriff" handelt, der vor allem einen Rekurs auf die übrige Rechts- und insbesondere Verfassungsordnung nahelegt. Aufgabe des Strafrechts ist es, die dort fixierten oder erkennbaren Werte zu schützen, nicht selbst (in Orientierung an nicht näher nachprüfbaren ethischen Kategorien) bestimmte Werte zu kreieren. Der Rechtsgutsbegriff hat sich deshalb an den Vorgaben zu orientieren, die insbesondere von der Verfassung definiert sind und darf sich nicht in Widerspruch zu der übrigen (etwa Zivil-) Rechtsordnung begeben. "Der Kreis der möglichen Schutzgüter strafrechtlicher Normen ist dem Strafgesetzgeber daher vorgegeben. Seine Entscheidung beschränkt sich weitgehend darauf, ob und in welchem Umfang er von der Gesellschaft und vielleicht sogar schon von der übrigen Rechtsordnung als wertvoll anerkannte Güter mit strafrechtlichem Schutz ausstatten will295 • " Die mit solchen Formulierungen zumindest in Umrissen erkennbar gewordene Positionsbestimmung hinsichtlich des Gegenstandes strafrechtlicher Normen ist für das Ob staatlichen Strafens als Richtlinie weitgehend akzeptiert296 • Es hat jedoch den Anschein, als hinke auch hier die Entwicklung im 293 V,I. Roxin a.a.O. 294 Rudolphi in SK vor § 1 Rn 4. 295 Rudolphi a.a.O., Rn 5; vgI. auch Lackner 1989 vor § 13 Anm. 1I.2.a. 296 Zusammenfassend Roxin, Lackner, a.a.O.; Lenckner in Sch/Sch vor § 13 Rn 9 f; Hassemer 1981, 23-26.
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B. Vorstrafenbelastung und StrafLumessungsschuld
SZM-Recht der der übrigen SZM-Dogmatik hinterher. Begriffe, die in der Diskussion um die Strafbegründung kaum noch konsenstähig wären (Verwerflichkeit, Gesinnung u. ä. - kurz all diejenigen Kategorien, die zumindest den Verdacht nahelegen, tendenziell eher auf das vorgeblich "Böse" im Täter, denn auf Rechtsgüterschutz abzuzielen), scheinen sich im Rahmen der SZM, insbesondere in der Praxis der Tatgerichte, weiterhin nicht zu unterschätzender Beliebtheit zu erfreuen. Die nachfolgende Untersuchung geht von der Prämisse aus, daß sich auch die SZM an den für die Strafbegründung fixierten Vorgaben zu orientieren hat. Es wird, trotz der angedeuteten Schwierigkeiten einer Präzisierung des Rechtsgutsbegriffs, von der These ausgegangen, daß auch im Rahmen der SZM Rechtsgüterschutz und nicht die Aufrechterhaltung eines "sozialethischen Minimums" die Aufgabe sei. Dort, wo Orientierung am Rechtsgüterschutz die allgemein akzeptierte Prämisse der Strafbegründung ist, darf es auch Aufgabe der SZM nicht sein, das "Böse im Täter" zu gewichten, oder Verhaltensweisen nur deshalb in besonderem Maße zu ahnden, weil dies einem, im Grunde von der Rechtsordnung gelösten (an Kriterien wie sittlicher Verwerflichkeit oder Boshaftigkeit orientierten), Maßstab ethischer Mißbilligung entspricht. In einem pluralistischen Rechtsstaat wird sich auch die SZM daran zu orientieren haben, daß Gegenstand des Strafrechts nur der Schutz bestimmter Rechtsgüter, der Schutz vor von der Rechtsordnung erkennbar als sozialschädlich bewerteten Verhaltensweisen sein kann. Auf die rechtstheoretischen Erwägungen, die für eine solche Parallele zwischen Strafbegründung und SZM sprechen, wird noch einzugehen sein. Als einer der Topoi, die die nachfolgende Untersuchung prägen, soll die Orientierung am Rechtsgüterschutz auch auf der Ebene der SZM hier jedoch bereits benannt werden.
c) SZM-Schuld als Täterschuld oder Tatschuld? Nachdem somit immerhin zwei Leitlinien bezeichnet sind, an denen sich die Interpretation des SZM-Schuldbegriffs des § 46 Abs. 1 S. 1 nach der hier vertretenen Auffassung orientieren sollte, sind nunmehr die wichtigsten der derzeit vertretenen und im vorliegenden Zusammenhang relevanten Konzeptionen des Schuldbegriffs an diesen Anforderungen zu messen. Der Überblick über den Streitstand bei B. 11. hat gezeigt, daß eine solche Betrachtung zunächst an dem grundlegenden Gegensatz von Täterschuld- und Tatschuldlehren ansetzen muß.
m. 2. Positionsbestimmung zu einigen den Schuldbegriffbetreffenden Grundsatzfragen 103 Fragt man, wie vorherschender Überzeugung zufolge der Begriff der Schuld zu definieren sei, so stößt man zu Beginn allerdings vor allem auf die zentralen Vokabeln "Vorwertbarkeit" und "Andershandelnkönnen" (AHK) , ohne die auch die Täterschuldlehren nicht einzuordnen sind. Nach wie vor wird zur Erläuterung des Schuldbegriffs überwiegend an die bahnbrechende, im zweiten Band der amtlichen Sammlung abgedruckte Entscheidung des Großen Senats des BGHs angeknüpft. Schuld wird dort als ·Vorwertbarkeit" definiert. Den Kern des Vorwurfs sehen der BGH und die ihm überwiegend folgende Lehre darin, daß der Täter sich nicht rechtmäßig verhalten, sich für das Unrecht entschieden habe, "obwohl er sich rechtmäßig verhalten, sich für das Recht hätte entscheiden können"297. Die dem Täter, der urirecht gehandelt hat, qua empirischer Feststellung, normativer Vermutung oder Fiktion unterstellte Fähigkeit, derzufolge er sich auch hätte anders verhalten können, bildet einen Kristallisationspunkt der Auseinandersetzung um den Schuldbegriff. Diese, hier kurz als" AHK" oder "Vermeidemacht" bezeichnete Kategorie spielt nach herrrschendem Verständnis eine zentrale Rolle jedenfalls im Rahmen der Stratbegründungsschuld298 . Sie wird jedoch, wie bereits der Überblick über die zur SZM-Relvanz der Vorstrafenbelastung vertretenen Ansätze gezeigt hat, auch bei den Erörterungen zur SZM-Schuld häufig verwendet299 . Auf die Berechtigung solcher Ansätze, die sich hinsichtlich des Ausmaßes der Schuld vordringlich an überwundenen Hemmungen und angeblichen Graden der Vermeidemacht orientieren, wird später noch detailliert einzugehen sein3OO . Ohne daß schon hier das Verhältnis von Unrecht und Schuld näher beleuchtet werden könnte, ist jedoch bereits zu Beginn der Erörterungen darauf hinzuweisen, daß der Vorhalt, der Täter hätte auch anders handeln können, sich stets nur auf ein bestimmtes, zunächst näher abzugrenzendes Handeln des Täters beziehen kann. Es ist deshalb zunächst die Frage zu stellen, auf welches Handeln, auf welchen Gegenstand sich der die SZM-Schuld begründende Vorwurf beziehen soll. Ist es auch im Rahmen der SZM ausschließlich die Tat oder sind es Lebensführung, Lebensentscheidung, Charakter oder Persönlichkeit des Täters, auf die sich der Vorwurf der SZMSchuld zu erstrecken hat? Dies ist die Frage, auf die Tat- und Täterschuldkonzeptionen eine unterschiedliche Antwort geben. 297 BGHSt 2,200. (Nachw. zur Lehre in der nachfolgenden Fn und unter B.m.2.d.) 298 Vgl. nur Lenckner in Sch/Sch vor § 13 Rn 114; Rudolphi in SK vor § 19 Rn 1; Lackner 1989 vor § 13 Anm. 1II.4.a.; Dreherrrröndie 1988 vor § 13 Rn 28. 299 Vgl. oben B.0.2.f. und g.; weitere Nachw. unten bei B.III.2.d. 300 Unter B.m.2.d.
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B. Vorstrafenbelastung und Strafzumessungsschuld
Unter den Täterschuldlehren, die keineswegs ein einheitliches Konzept bilden301 , sind zunächst einerseits die Lehren der Lebensführungs- und Lebensentscheidungsschuld, andererseits die Charakterschuldlehren zu unterscheiden.
aa) Zur Lebensführungsschuld Die Theorie der Lebensführungsschuld, die vor allem von Mezger3°2 entwickelt wurde und die der Lebenssentscheidungsschuld (Bockelmann)303 sind häufig dargestellt und kritisiert worden304 . Charakteristisch für beide Konzepte ist, daß auch sie an der soeben erwähnten klassischen Überzeugung festhalten, derzufolge nur solche Umstände schuldrelevant seien, für die der Täter "etwas kann"305. Dieser Vorwurf sei dem Täter jedoch nicht nur in Bezug auf die Tat, sondern unter Umständen auch in Bezug auf Aspekte der Lebensführung zu machen306 . Als Ausdruck vorwertbarer Lebensführung begreift Mezger den schrittweisen "Persönlichkeitsverfall " eines Täters, die "Gewöhnung an den verderbten Lebenswandel "307. Ähnlich formuliert auch Weizei (1942), der sich auf Aristoteles beruft: "Daß man ein solcher geworden ist, daran ist man selbst schuld, indem man sich gehen läßt. "308 Bockelmann (1940) stellt statt auf einen kontinuierlichen Prozeß auf einzelne zurückliegende "Lebensentscheidungen" des Täters ab. "Seine Schuld besteht darin, daß er ... vor den Scheideweg gestellt, die falsche Bahn wählt, sein schlechteres Selbst siegen läßt und dem dunklen Dämon folgt. "309 Schon die moralisierende, eher metapherhafte, denn begrifflich präzise Wortwahl dieser Konzepte weckt Zweifel. Ungerechtfertigt dürfte jedoch der von Kritikern häufig erhobene Vorwurf sein, die Lebensführungsschuldlehren dienten einer nicht zu billigenden
301 Vgl. MaurachIZipf 1987, § 35 Rn 12. 302 Mezger ZStW 57 (1938), 688-690; ZStW 60 (1941), 370-374; 1943,84 f. 303 Bockelmann 1940, 145 ff. 304 Siehe etwa Arthur Kaufmann 1961, 145 ff; Bruns 1967, 474-483; MaurachIZipf 1987 § 35 Rn 10-15 m.w.N.; weitere Hinw. nachfolgend. 305 Explizit Mezger 1943, 84; ZStW 60 (1941),372 f; Bockelmann 1940, 147. 306 Vgl. Mezger a.a.O. 307 Mezger ZStW 57 (1938), 687 f, 690; siehe auch ZStW 60 (1941), 370-374. 308 Welzel ZStW 60 (1941),459. 309 Bockelmann 1940, 153 f, der hier auch auf Shakespeare verweist: "Hier ist der Plan
Richards III. gefaßt: 'Ich bin gewillt, ein Bösewicht zu werden.' Dieser Wille ist es, der die Täterschuld begründet."
m. 2. Positionsbestimmung zu einigen den Schuldbegriffbetreffenden Grundsatzfragen
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umfassenden Gesamtabrechnung mit der Lebensführung des Täters, sie redeten der Einbeziehung von scheinbar verwerflichen Umständen aus der allgemeinen Lebensführung des Straftäters das Wort, die in keinerlei Zusammenhang mit der von ihm begangenen Tat stünden310. Zwar hat es, auch nach dem Nationalsozialismus, einige obergerichtliche Entscheidungen gegeben, die einer solchen Gesamtabrechnung mit der Lebensführung des Täters nahekommen311 . Eine allgemeine Gesamtabrechnung war jedoch nie im Sinne der profiliertesten Vertreter der Lebensführungsschuldtheorie. Mezger selbst hat den Tatbezug der Lebensführungsschuld mehrfach unterstrichen. Er betonte zum einen, daß die Lebensführung stets nur eine Komponente sei, die die Tatschuld nur ergänze und zum anderen, daß auch innerhalb dieser Komponente stets nur die in der Tat zum Ausdruck kommende Lebensführung berücksichtigt werden könne3 12 . Das später von manchen als "Kompromiß " empfohlene Konzept "tatbezogener Lebensführungsschuld"313 ist somit mit demjenigen der ursprünglichen Lebensführungsschuldlehren identisch. Es zeigt sich auch hier, daß die Theorien der Lebensführung und Lebensentscheidung, trotz ihrer weiten Begrifflichkeit, der Sache nach vor allem Versuche waren, mit denen die Relevanz vorangegangener Straftaten für die Schuld gerechtfertigt werden sollte. Auch gegen das Konzept "tatbezogener Lebensführungsschuld" bestehen jedoch schwerwiegende Bedenken. Es kann dabei im wesentlichen den bekannten, häufig geäußerten Einwänden gefolgt werden. Eine ernsthaft durchgeführte Einbeziehung derjenigen Phasen aus dem Leben des Täters, in denen das eingetreten ist, was von den Anhängern dieser Lehren als "Hinwendung zum Schlechten", als "Persönlichkeitsverfall " beschrieben wird, dürfte bereits forensisch kaum zu bewältigen sein314 . Vor allem aber verlangt das Konzept Mezgers, das am AHK festhält, nicht nur die nähere Betrachtung dieser früheren Lebensphasen (die ja auch progno-
310 In diesem Sinne aber Bruns 1967, 479 f; Arthur Kaufmann 1967, 187 ff; Jescheck 1988, 381: Auch Rudolphi, in SK vor § 19 Rn 3, bekämpft letztlich nicht denjenigen Begriff der Lebensfiihrungsschuld, der wirklich umstritten ist. 311 Vgl. die Nachw. bei Bruns 1974, 586-591, etwa BGHSt I, 51. 312 Mezger 1943, 84; ZStW 57 (1938), 688; ebenso Bockelmann 1940, 152, 159-161. 313 Gallas, dokumentiert bei Frosch 1976,64 314 Vgl. Heinitz ZStW 63 (1951), 76; Arthur Kaufmann 1961, 188 ff; Baumann MDR 1963,803; Hanack 1968, 104; Frosch 1976,61.
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B. Vorstrafenbelastung und StrafZumcssungsschuld
stisch von Interesse sein mag), sondern dabei auch eine Unterscheidung zwischen solchen Lebensentwicklungen des Täters, die "verschuldet" und solchen, die als "schicksalshaft empfangen" zu begreifen seien. Es ist jedoch höchst fraglich, ob eine ernstgemeinte Trennung zwischen vorwerfbarer und schicksalshafter Persönlichkeitsentwicklung überhaupt leistbar und rechtsstaatlieh vertretbar wäre3 15 • Zumindest wäre der Tatrichter durch ein solches Konzept überfordert316 • Entgegen der ausdrücklichen Bekundung Mezgers dürften die Lebensführungsschuldlehren deshalb auch stets eher mehr oder minder plausible Denkfiguren zur Erläuterung des bereits feststehenden Verdikts einer beim Wiederholungstäter im Regelfall erhöhten Tatschuld gewesen sein, denn dogmatische Voraussetzungen, deren Vorliegen im Konkreten tatsächlich überprüft werden sollte3 17• Hinzu kommt ein weiteres Bedenken. Auch unabhängig von den forensischen Schwierigkeiten fragt sich, wieso dem Täter neben der Tat auch die Lebensführung (als schuldhaft) vorgeworfen werden darf. Gerade bei Zugrundelegung der oben skizzierten Prämissen, denenzufolge nicht das "Böse des Täters" zu bewerten ist, sondern Strafrecht dem Rechtsgüterschutz zu dienen hat, läßt sich eine diesbezügliche Antwort kaum finden. Lebensführung ist in einem Rechtsstaat dann und soweit vorwerfbar, als sie sich in einer bestimmten - vom StGB möglichst präzise umschriebenen - Tat niedergeschlagen hat. Die über solche Straftaten hinausgehende Lebensführung mag Gegenstand moralischer oder ethischer Bewertungen sein können. Daß es bei ethischer Betrachtung so etwas wie Lebensführungsschuld geben mag318 , soll hier nicht in Zweifel gezogen werden. Zweifelhaft ist jedoch die Berechtigung des Staates, Lebensführung, über deren Sublimierung in bestimmten Rechtsgutsverletzungen hinaus, zum Gegenstand strafrechtlicher Betrachtung zu machen. Eine solche Berechtigung wäre allenfalls dann denkbar, wenn es zulässig wäre, denjenigen, der eine bestimmte Straftat wiederholt begeht, härter als einen entsprechenden Ersttäter zu bestrafen. Würde es dem bereits Vorgewarnten schlechthin leichter fallen, rechtstreu zu handeln, oder gäbe es eine 315 Vgl. Arthur Kaufmann 196\, 190; Bruns 1967, 477; Frosch 1976, 61 m.w.N .. Zu rechtsstaatlichen Bedenken zudem näher unter B.ID.4.b.cc.(2). 316 Es erscheint mir auch zweifelhaft, ob die Angewandte Kriminologie (vgl. Göppinger 1985; Bock NStZ 1990a, 457 fl), (deren Bedeutung als Prognoseinstrumentarium rur Präventionsentscheidungen vorliegend nicht bestritten werden soll) bei dieser schulddogmatischen Frage weiterhelfen könnte. Die diesbezügliche Problematik wird jedoch unten, unter B.III.4.b.cc.(2) nochmals aufgegriffen. 317 Bockelmann hat dies, anders als Mezger , auch ausdrücklich zugestanden. Er begreift Lebensentscheidungsschuld in Anlehnung an Kohlrauschs bekannte Formulierung als "staatsnotwendige Fiktion", 1940, 150 f; weitere Nachw. bei Al1hur Kaufmann 1961,192. 318 So Al1hur Kaufmann 1961, 194 f; Bruns 1967, 480 f.
m. 2. Positionsbestimmung zu einigen den Schuldbegriffbetreffenden Grundsstzfragen 107
Rechtspflicht, kraft derer ein einmal Bestrafter verpflichtet wäre, besonders hart an sich zu arbeiten, um eine erneute Straftat zu vermeiden, oder würde durch die erneute Begehung eine sonstige, zu dem Verbot von Straftaten hinzutretende, weitere Pflicht verletzt, so wäre es zulässig, den Täter nicht nur für jede Tat erneut zu bestrafen, sondern für denjenigen Ausdruck verfehlter Lebensführung, der in der Mißachtung dieser besonderen Pflicht läge, jeweils eine erhöhte Strafe vorzusehen. Das aber gilt es gerade zu beweisen. Ob den Vorverurteilten im Rechtsstaat eine größere Verpflichtung trifft, Straftaten zu vermeiden, ob die von ihm erneut begangene Tat schwerer wiegt als die entsprechende eines Ersttäters, ist gerade fraglich 319 • Das Konzept der Lebensführung kann dazu wenig beitragen. Will man es im Rechtsstaat zugrundelegen, so unterliegt man m.E. einem Zirkelschluß: Es wird behauptet, daß die Tat eines Wiederholungstäters deshalb besonders schuldhaft sei, weil sie auf einer (berücksichtigungsfähigen, tatbezogenen) besonders schuldhaften Lebensführung beruhe. Fragt man, wieso die Lebensführung dieses Täters als besonders schuldhaft zu bewerten sei, so wird dies damit begründet, daß der Täter seinem Leben eine Entwicklung gegeben habe, die dazu geführt habe, daß er nicht nur eine einmalige Tat, sondern sogar Wiederholungstaten begangen habe. Wer aber etwas dafür könne, daß sein Leben einen solchen Verlauf nehme, mache sich besonders schuldig, denn das Begehen von Wiederholungstaten sei (offenbar über die Addition der einzelnen Taten hinaus) besonders verwerflich. Eben dies - die gesteigerte Verwerflichkeit von Wiederholungstaten - ist jedoch die beweisbedürftige Ausgangsthese. Man kann in einem Vorgriff auf eine später noch näher zu rechtfertigende Terminologie diesen Einwand auch wie folgt formulieren: Die sogenannte Theorie der Lebensführungsschuld behauptet im Grunde nicht gesteigerte Lebensführungsschuld, sondern gesteigertes Lebensführungsunrecht320 • Sie versäumt es jedoch darzulegen, wieso die Lebensführung des Täters Gegenstand des strafrechtlich vorwerfbaren Unrechts sein kann321 • Das Fehlen einer diesbezüglichen Erklärung ist auch wenig verwunderlich. Wie dargelegt, war es die vorrangige Absicht deljenigen, die das Konzept der Lebensführungsschuld entwickelten, den am 24.11.1933 in Kraft getretenen § 20a zu rechtfertigen, ohne den Schuldbegriff aufgeben zu müssen322 • Ob dieser Versuch geglückt ist, ist zu bezweifeln. Auch die Anhänger der 319 Darauf hat vor allem Arthur Kaufmann zu recht hingewiesen, 1961, 199 m.w.N.; ferner BaumannlWeber 1985, 360; siehe auch Hanack 1968, 104. 320 So schon Engisch ZStW 61 (1942), 176; siehe zudem Annin Kaufmann 1954,211. 321 Zutreffend Horn in SK § 46 Rn 43: 'Wo Lebensfiihrungsunrecht fehlt, kann es auch keine Lebensfiihrungsschuld geben.· 322 Siehe die vorangegangenen Nachw.; zussmmenfassend Bruns 1967, 476; Lenckner in Sch/Sch vor § 13 Rn 106.
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B. Vorstrafenbelastung und Strafzumessungsschuld
Lebensführungsschuldtheorie haben jedoch stets nur behauptet, daß sich "Schuld" bei Hintanstellung gewisser Bedenken auch als Lebensführungsschuld begreifen lasse. Daß es schon aus Gründen des Schuldbegriffs selbst oder wegen ihm innewohnender Prinzipien zwingend geboten sei, Schuld stets unter Einbeziehung von Lebensführungsschuld zu interpretieren, haben auch die Verfechter dieser Theorie nie behauptet323 . Die Streichungen der §§ 20a und 48 haben deshalb solchen Konzeptionen, auch nach deren eigenem Verständnis, wichtigen Boden entzogen324 • Schließlich ist auf ein drittes Bedenken zu verweisen. Lebensführungsschuld wird stets nur als Ergänzung der Tatschuld begriffen. Die Gewichtung beider Komponenten wird jedoch nicht benannt. Stellen die Aspekte der Lebensführung im Vergleich zur Tatschwere nur eine geringfügige Ergänzung dar, haben sie den gleichen Stellenwert wie die Tatschwere, oder wirken sie sich gar als gewichtiger Multiplikator aus? Auch offene Fragen dieser Art zeigen, daß die Lebensführungsschuldkonzepte mit den hier zugrundegelegten Prämissen nicht zu vereinbaren sind. Dies gilt um so mehr, als mit § 20a und § 48 jede positiv-rechtliche Fixierung des Stellenwerts solcher Erwägungen entfallen ist. Die Theorie der Lebensführungsschuld ist deshalb mit der herrschenden Meinung abzulehnen325 • bb) Zur Charakterschuld Während die Lebensführungsschuldkonzepte darauf beharren, daß als schuldhaft nur vorgeworfen werden könne, wofür der Täter "etwas kann", sind die - im einzelnen ebenfalls unterschiedlichen - Lehren der Charakterschuld durch einen Verzicht auf das Kriterium des AHKs gekennzeichnet. Kristallisationspunkt dieser Auffassungen ist die Überzeugung, daß der Täter für sein "Sosein" zu haften habe, unabhängig davon, aufgrund welcher Faktoren er "so geworden" sei. So heißt es bei Engisch, Heinitz und Eberhard Schmidt übereinstimmend: "Man steht im Leben für das ein, was man ist, 323 Im Gegenteil. Vgl. Bockelmann 1940, 150, 161; aber auch Mezger 1943, 84; ZStW 60 (1941),370; Welzel ZStW 60 (1941), 460. 324 Ebenso Lenckner in Sch/Sch vor § 13 Rn 105; MaurachIZipf 1987 § 35 Rn 14; Jescheck 1988, 381. Frosch 1976,61. 325 Vgl. Baumann MDR 1963,803; Altemativentwurf 1966, § 59; Arthur Kaufmann 1961, 187ff; Bruns 1967, 478 ff; Hanack 1968, 109; Stratenwerth 1972, 5-7; Peter Jürgen Schmidt 1974, 190-224; Frosch 1976, 61; Ebert 1985, 80; BaumannIWeber 1985, 360; MaurachIZipf 1987 § 35 Rn 14; Dreherrrröndle 1988 § 46 Rn 4; Lackner 1989 § 46 Anm. V.1.; Lenckner in Sch/Sch vor § 13 Rn 105; Rudolphi in SK vor § 19 Rn 3.
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ohne Rücksicht darauf, durch welche vielfältigen Gründe man dies geworden ist. "326 Wegen des in diesen Äußerungen zum Ausdruck kommenden Verzichts auf das Kriterium des AHKs sollen die Charakterschuldkonzepte nachfolgend als "Haftungslehren " bezeichnet weiden327 • Diese Lehren weisen zunächst den Vorteil auf, daß sie dem Determinismusstreit, auf den noch zurückzukommen sein wird328 , entgehen. Die Frage, ob der Mensch wirklich "frei" sei, so oder anders zu handeln, stellt sich für diese Ansätze nicht. Die Überwindung des Streits um die Willensfreiheit war deshalb auch das ursprüngliche Anliegen der Charakterschuldlehre Engischs329 • Bedenken begegnet diese Lehre jedoch in besonderem Maße dann, wenn sie nicht nur zur Überwindung dieses Streits, sondern zusätzlich auch dazu herangezogen wird, um qua Haftung für Charakter oder Persönlichkeit die erhöhte Schuld des Vorbestraften oder eines Wiederholungstäters zu rechtfertigen330 • Zwar entgeht die Charakterschuld den forensischen Schwierigkeiten der Lebensführungsschuldkonzepte. Einer kaum leistbaren Trennung zwischen Schuld und Charakter bedarf es ihr zufolge nicht. Auch hier fragt es sich jedoch, wieso es gerechtfertigt sein soll, den Wiederholungstäter für seinen Charakter schärfer haften zu lassen als den Ersttäter . Auch den Anhängern der Charakterschuldlehren erschien die Möglichkeit erhöhter Schuld offenbar als so selbstverständlich, daß sie es versäumten, neben der Skizzierung der Voraussetzungen (charakterliche Verfestigung statt Lebensführung oder bloßer Existenz von Vorverurteilungen) eine wirkliche Begründung zu unternehmen. Zur Überwindung der Aporien des Determinismusstreits würde eine Aussage etwa folgenden Inhalts ausreichen: "Der Täter haftet für seine Tat, unabhängig davon, weshalb er zu dem geworden ist, der diese Tat begangen hat." Die oben erwähnte Formel der Charakterschuldlehre schießt über diese Aussage und damit über das Ziel, das zu ihrer Rechtfertigung ursprünglich angeführt worden ist, hinaus. Wieso der Täter, statt für seine Tat zu haften, weitergehend auch für seinen Charakter zu haften und kraft dessen als Wiederholungstäter Strafschärfungen hinzunehmen hat, hat auch die Charakterschuldlehre nicht darzulegen vermocht.
326 Heinitz ZStW 63 (1951), 74, 76; Engisch ZStW 66 (1954), 359; Ebernard Schmidt ZStW 69 (1957), 387; weitere Nachw. bei Arthur Kaufmann 1961, 190. 327 Vgl., ähnlich, Bmns 1967, 481. 328 B.m.2.d.aa. 329 Vgl. Engisch 1963. 330 Vgl. etwa Engisch 1963,61 f.
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B. Vorstrafenbelastung und Strafmmessungsschuld
Die sogenannten Charakterschuldlehren entpuppen sich somit als Lehren vom Charakterunrecht. Sie versäumen es jedoch ebenfalls, offenzulegen, wieso der Charakter des Straftäters statt oder neben seiner Tat Gegenstand strafrechtlicher Unrechtsbewertung sein darf131 . Die von diesen Lehren vorgenommene Erweiterung erscheint zudem gerade auf dem Boden der hier zugrundegelegtenPrämissen bedenklich. Will man präventive Erwägungen mit Hilfe des Topos "Schuld" limitieren (MagnaCharta-Gedanke), so empfielt es sich, sich nicht allzu weit von dem üblichen, alltagssprachlichen Wortverständnis des als Begrenzung verwendeten Begriffs zu entfernen332 . Von "Schuld" wird man nach alltäglichem Verständnis wohl dann sprechen, wenn einem Menschen vorgehalten wird, eine unrechte Tat begangen zu haben, für die er "etwas konnte". Die "Tat" und das "Dafürkönnen" sind somit die zentralen Anknüpfungspunkte des alltäglichen Schuldverständnisses333 . Wenn man es nun schon für unumgänglich hält, die Frage, ob der Betreffende etwas für sein Tun "konnte", durch einen bloßen Haftungsgrundsatz zu umgehen334 , so stellt dies eine erste Entfernung vom üblichen Wortsinn dar. Ergänzt man diese Betrachtung zweitens durch die These, daß das, wofür zu haften sei, auch nicht die Tat, sondern der "Charakter" oder die ·Persönlichkeit" des Delinquenten selbst seien, so entfernt man sich mit dieser zweiten Erweiterung völlig vom ursprünglichen Wortsinn des Schuldbegriffs. Ein dergestalt amorph erweiterter "Schuld"-Begriff ist zu einer rechtsstaatlich faßbaren Limitierung nicht mehr geeignet. Auch die Charakterschuldlehren sind somit abzulehnen335 . Der bereits bei der historischen Betrachtung erwähnte, auch von anderen Kritikern der Täterschuldkonzepte immer wieder vorgetragene Einwand, daß Lebensführungs- und Charakterschuldlehren eine unzulässige Vermengung von Schuld- und Präventionskriterien darstellten,336 hat sich mithin bestätigt. Wieso die in der Lebensführung zum Ausdruck kommende oder von angeblich charakterlich verfestigten Persönlichkeitszügen determinierte Tatwiederholung schärfer zu bestrafen ist, vermögen beide Konzepte letztlich nicht zu beantworten.
331 V,I. Horn in SK § 46 Rn 43. 332 Ähnlich Bruns 1967, 481 und, aHerdings auf dem Bnden eines pointiert ethischen Verständnisses des Schuldbegriffs, Arthur Kaufmann 1961, 192, 195. 333 Näher dazu unter B.II1.3.b. 334 V,I. Engisch 1963. 335 So auch die h.M., siehe die Nachw. oben, bei der Ablehnung der Täterschuld. 336 V,I. Arthur Kaufmann, Bruns, Stratenwerth, Frosch, Maurach/Zipf, l.enckner a.a.O., wie Fn zuvor.
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2. Positionsbestimmung zu einigen den Schuldbegriffbetreffenden Grundsatzfragen 111
Es erscheint deshalb der Verdacht gerechtfertigt, daß es der Sache nach um nichts anderes als den Versuch geht, neben der Schwere der Tat auch die Gefährlichkeit des Täters mitberücksichtigen zu können337. Schon die von der Lebensführungsschuld- und der Charakterschuldlehre verwendeten Begriffe und Metaphern weisen in diese Richtung: "Persönlichkeitsverfall ", "Lebensentscheidung" ,"schiefe Bahn" und "Charakter" sind Termini, die zwar in der Vergangenheit ansetzen, die in ihrer Blickrichtung aber auf die Zukunft des Täters abzielen. Sie enthalten die stillschweigende Zuschreibung andauernder Gefährlichkeit.
cc) Zur Tätergefährlichkeit als einem Schuld moment Es wäre deshalb wohl ehrlicher, wenn die Anhänger solcher Ansätze, statt sich auf angebliche Lebensführungs- oder Charakterschuld zu berufen, sich ausdrücklich dazu bekennen würden, daß ihnen zufolge ein Stück "Tätergefährlichkeit" bereits als "Schuldmoment"338 berücksichtigt werden soll. Eine solche Konzeption hat den Vorzug größtmöglicher Deutlichkeit für sich. Die vorangegangenen Erwägungen haben jedoch bereits erkennen lassen, daß auch die explizite Auffassung, derzufolge die Tätergefährlichkeit als eine Komponente der Schuld zu berücksichtigen ist, den hier zugrundegelegten Prämissen nicht genügen kann. Sie widerspräche dem Wortsinn des § 46 Absatz 1 Satz 1 und dessen systematischem Verhältnis zu Satz 2339 . Vor allem aber ginge der Anspruch, mit Hilfe des Schuldbegriffs eine rechtsstaatlich faßbare Grenze gegenüber präventiven Bedürfnissen zu errichten (Magna Charta), verloren. Eine solche Begrenzung würde zur Illussion, wenn die zu limitierenden Bedürfnisse selbst als ein Bestandteil der die Grenze absteckenden Kategorie berücksichtigt würden. Ergänzend läßt sich darauf verweisen, daß eine Einbeziehung der Tätergefährlichkeit in den Schuldbegriff auch dem, dem StGB zugrundeliegenden, Prinzip der Zweispurigkeit widerspricht. Dieser Grundsatz, demzufolge entweder die Schuld Anlaß für Strafe oder die Gefährlichkeit Anlaß für eine gegen den Täter gerichtete "Maßnahme" ist, würde durchbrochen340. Bockelmann hat diesen Verstoß gegen das Prinzip der Zweispurigkeit erkannt 337 Nachw. wie Fn zuvor. 338 Vgl. Griinhut Monatsschrift für Krirninalpsychologie und Strafrechtsrefonn XVII (1926), Beiheft I, 87 ff; vgl. zu dieser Paralelle auch Bruns 1967, 479. 339 Siehe oben, B.m.l.b. 340 Zur Bedeutung dieses Grundsatzes oben, B.m.l.c. und B.I.I.
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B. Vorstrafenbelastung und StralZumessungsschuld
und ausdrücklich zugestanden, daß die Täterschuldkonzepte der Sache nach "eine dritte Spur" im Strafrecht bildeten341 • Eine solche dritte Spur sieht das StGB jedoch nicht vor. Zusammenfassend ist somit festzuhalten, daß auch der offengelegte Versuch, "Gefährlichkeit als Schuldrnoment" zu verstehen, rechtsstaatlichen Prämissen widerspricht342 . Auch das haben die Anhänger der Täterschuldlehren durchaus erkannt. Ihre erwähnte Absicht war es zwar, den herkömmlichen Schuldbegriff mit Strafverschärfungen wie der des § 20a zu harmonisieren. Daß damit jedoch der Anspruch, die SZM vermittels des Schuldbegriffs rechtsstaatiich-dogmatisch zu begrenzen, aufgegeben werden mußte, wurde zum Teil ausdrücklich zugestanden. Nochmals ist auf Bockelmann (1940) zu verweisen: "Erfolgreich kann der Versuch freilich nur dann sein, wenn keine rechtspolitischen Hemmnisse bestehen, welche den Zugriff auf das menschliche Sein des Täters verbieten. Solche Verbote galten zu liberaler Zeit, als das Sicherheitsbedürfnis des Staatsbürgers die strafrechtliche Haftung streng auf die äußerliche Tat begrenzte. Aber heute sind diese Schranken gefallen. Das beweist das allgemeine politische Bewußtsein unserer Tage. "343 Dem Umstand, daß gerade diejenigen, die um dogmatische Rechtfertigung nationalsozialistischer Rechtsfiguren bemüht waren344 , den Schuldbegriff nicht aufgeben mußten, sondern zunächst vieles mit einem extremen "Täterschuldprinzip" zu rechtfertigen können glaubten, ist mit dem Hinweis, kein Prinzip sei gegen Mißbrauch gefeit, nicht hinreichend Rechnung getragen. Er indiziert vielmehr die mangelnde Limitationskraft dieses Prinzips und unterstreicht die dargelegten dogmatischen Bedenken.
dd) Zwischenergebnis Auch dies bestätigt das aus aa) - cc) gewonnene Resüme: Die dem Begriff der SZM -Schuld vorliegend zugewiesene limitierende Funktion kann allen-
341 Bockelmann 1940, 162. 342 Grünhuts Position wird (demzufolge) auch fast durchweg abgelehnt; sie fand bereits zu ihrer Zeit, in ihrer plakativ offenen Form, wenig Unterstützung; vgl. MaurachIZipf 1987 § 35 Rn 12; § 5 Rn 6; Bruns 1967, 479; zustimmend jedoch Heinitz ZStW 63 (1951), 73 und, für das österreichische SZM-Recht, Pallin 1982, Rn 17,21. 343 Bockelrnann 1940, 162. 344 Als eine solche Rechtsfigur hat man spätestens § 1 ÄndG anzusprechen, den manche Autoren ebenfalls noch mit ähnlichen "Täterschuldlehren " zu rechtfertigen trachteten; siehe dazu Bruns 1967, 143-147.
01. 2. Positionsbestimmung zu einigen den Schuldbegriff betreffenden Grundsatzfragen 113
falls von einem, sich von den Täterschuldlehren systematisch unterscheidenden, engeren Tatschuldbegriff hinreichend erfüllt werden. Mit diesem vorläufigen, vordringlich an den der Untersuchung zugrundeliegenden rechtsstaatlichen Prämissen orientierten Befund können die Erwägungen zu den Täterschuldkonzepten hier zunächst abgeschlossen werden: Der mehrheitlich vertretenen Ablehnung des Täterschuldgedankens in seinen verschiedenen Ausprägungen (Lebensführungsschuld; Charakterschuld; Gefährlichkeit als Schuldrnoment) ist - jedenfalls soweit es um die Rechtfertigung von Strafverschärfungen geht - zu folgen345 . Es mag allerdings auffallen, daß einige, scheinbar zugunsten der Täterschuldkonzepte sprechende Argumente bislang nicht erörtert wurden. Praxisorientierte Dogmatiker mögen der hier verfochtenen Ablehnung entgegenhalten, daß Täterschuldkonzepte, so dogmatisch bedenklich sie sein mögen, dennoch der einzig praktikable Weg seien, zu sachgerechten Ergebnissen zu gelangen346 • Man könnte sich zur Unterstützung dieses Einwands auf die skizzierte geschichtliche Entwicklung und auf ausländische Parallelen berufen347 und zudem den Hinweis anführen, daß es selbst im StGB, wenn auch in anderem Zusammenhang, Anhaltspunkte dafür gebe, daß eine strenge Beschränkung der Betrachtung auf den Tatzeitpunkt nicht durchführbar sei (vgl. § 17)348. In der Tat wird man sich gerade im Bereich der SZM vor dogmatisch griffigen, aber wenig praktikablen Lösungen hüten müssen 349 • Am Ergebnis orientierte Einwände wiegen deshalb schwer. Sie sind jedoch zunächst zurückzustellen und erst im Teil C der Untersuchung aufzugreifen. Auch auf die scheinbare strukturelle Paralelle zwischen Vorverschuldenserwägungen und Lebensführungsschuldkonzepten wird erst später einzugehen sein350 • Es ist zudem zu betonen, daß sich die hier verfochtene Ablehnung der Täterschuldkonzeptionen zunächst nur auf die ihr üblicherweise beigelegte strafschärfende 345 Nachw. wie oben, bei Ablehnung der Lebensfiihrungsschuld. 346 Ein solcher Einwand klingt etwa in den auf die SZM gerichteten Bemerkungen von Rudolphi, in SK vor § 19 Rn 3 und von BaumannIWeber 1985, 360, an. Vgl. auch die bereits oben bei 8.0.2.a. erwähnten Äußerungen von Baldus, Dreher u.a., dokumentiert bei Kürschner 1978, 10,28,30. 347 Zur Geschichte der Zweispurigkeit oben 8.1.1. und Hanack in LK vor § 61 Rn 1-4; dort auch zur Kritik dieses Systems, Rn 13-19. Zu den abweichenden ausländischen Modellen Hanack in LK vor § 61 Rn 14 und § 66 Rn 10. (Eher monistische Systeme finden sich vor allem in England und in einigen osteuropäischen Ländern.) 348 Vgl. diesbezügl. Rudolphi a.a.O.; Jescheck 1988,381; Härtel1973, 79 f. 349 Die von 8runs 1988, 5 ff erneut eindrücklich beschworene Gefahr eines Auseinanderdriftens von SZM-Dogmatik und -Praxis ist nicht gering zu achten. 350 8.I1I.4.b.cc.(3). 8 Erhard
114
B. Vorstrafenbelastung und Stranumessungsschuld
Bedeutung bezieht. Die Relevanz solcher Konzepte dort, wo sie statt zur Strafschärfung dazu dienen könnten, Strafmilderungen auszuschließen, wird ebenfalls erst an anderer Stelle behandelt werden351 •
d) "Andershandelnkönnen" als zentrale Kategorie des üblichen Tatschuldverständnisses Eine dogmatische Auseinandersetzung mit dem herrschenden Verständnis des Schuldbegriffs, demzufolge die Schuld als"Tat-"Schuld zu begreifen ist, fällt demgegenüber schwerer. Dies insbesondere deshalb, weil der Begriff der "Tatschuld" meist ausschließlich negativ, d.h. zur Ausgrenzung des Begriffs der Täterschuld benutzt wird. Wenn die vorherrschende Meinung betont, auf dem Boden des "Tatschuldprinzips" zu stehen, so enthält diese Aussage zwar ein Votum gegen die Täterschuldlehren; wie die Kategorie "Tatschuld" positiv auszufüllen ist, bleibt jedoch häufig unklar. Den meisten Tatschuldkonzeptionen ist jedoch eine starke Betonung des hier bislang mit "AHK" umschriebenen Aspekts gemeinsam352 • Die Diskussion der Frage, ob die SZM-Schuld größer oder kleiner ausfällt, orientiert sich häufig vorrangig, teilweise sogar ausschließlich an der erwähnten Betrachtung, die darauf abstellt, in welchem Maße der Täter hätte anders handeln können bzw. in welchem Ausmaß ihm rechtmäßiges Handeln erschwert oder erleichtert war. Die Bedeutung und das Ausmaß der überwundenen inneren oder äußeren Hemmungen353 , der Grad der Vermeidemacht354 , die Stufen des Dafürkönnens355 werden zum zentralen Betrachtungsgegenstand. Auch das Unrecht gerät, wie später noch zu vertiefen sein wird, meist nur auf diesem mittelbaren Weg in Betracht: Je größer das Unrecht, um so größer die zu unterstellenden Tathemmungen und demzufolge das Dafürkönnen und die Schuld des nters356 • 351 B.UI.4.b.cc.(2). 352 Vgl. BGHSt 2, 200; sowie die Nachw. oben bei B.UI.2.c. ferner Schreiber 1986, 20; eingehend Brauneck GA 1959, 261 ff. 353 Vgl. Stree in Sch/Sch § 46 Rn 16; Bruns 1985, 211; siehe auch Dreherrrröndie 1988 § 46 Rn 18; sowie Jagusch in LK 8. Aufl. (1957) vor § 13 Anm. B.IV.4.a; Darmis 1984, 76; K10se 1989,20,42. 354 Vgl. zum Begriff Schünemann 1984, 190; Frisch ZStW 99 (1987), 765; ihnen im Sprachgebrauch folgend Bruns 1988, 54. 355 Vgl. Hassemer 1981,203. 356 Deutlich findet sich eine solche Position vor allem bei Beling 1908, 62 ff, 64; Dreher 1947, 79 ff, 82; 86 f: "Indizien für das Innen des Täters"; Darmis 1984, 76, 92; Böhm 1985, 175. Siehe auch BGHSt 15,226; BGH StV 1982,335,336 (zu § 17 Abs. 2 JGG); sowie - krit. referierend - Haftke GA 1978, 46 f; Bierbrauer/Haftke 1978, 163; Baurmann 1987, 269 ff;
ID. 2. Positionsbestimmung zu einigen den Schuldbegriffbetreffenden Grundsatzfragen 115
Ob man die heute herrschende Meinung richtig interpretiert, wenn man sie dahingehend deutet, sie fasse die Stufen des Dafürkönnens als das alleinige, übergreifende Kriterium auf, anband dessen das Ausmaß der SZM-Schuld zu bestimmen sei, mag dabei dahinstehen357 • Der systematische Überblick über die gegenwärtig vertretenen Theorien hat deutlich gemacht, daß jedenfalls bei der Diskussion um die Relevanz der Vorstrafenbelastung für die SZM-Schuld diese "Stufen des Dafürkönnens" ganz im Vordergrund stehen. Die eigenen Erwägungen haben sich daher zunächst mit dieser nach herrschender Meinung offenbar zentralen (wenn nicht gar ausschließlichen) Kategorie zu befassen. aa) Zum Determinismusstreit Häufig wird es in Darlegungen, die auf den Begriff des AHKs zurückgreifen, für nötig erachtet, die Problematik der menschlichen Willensfreiheit grundsätzlich zu erörtem358 • Die vorliegende Arbeit erhebt diesen Anspruch nicht. Es geht auch an dieser Stelle nur darum, die auf dem Weg zur eigenen Lösung verwendete Position als Grundlage zu benennen. Das Stichwort Willensfreiheit war bereits mehrfach zu erwähnen. Die in der Literatur vorgetragene Kritik am Schuldbegriff bezieht einen erheblichen Teil ihrer Überzeugungskraft aus dem Argument, daß die Möglichkeit von Schuld die Existenz der menschlichen Willensfreiheit zur Prämisse habe, die Richtigkeit dieser Prämisse aber weder generell noch speziell nachweisbar sei, weil weder die menschliche Willensfreiheit überhaupt noch die Möglichkeit des Andershandelns in einer ganz speziellen Situation exakt beweisbar seien359 •
Oswald GA 1988, 157. Auch das Konzept von Schoreit 1989, 443 ff, 453 beruht auf dieser Prämisse. Dagegen nur im Ergebnis, nicht aber in der Begriindung ähnlich die (nicht näher ausgetührte) Theorie der "abgeleiteten Schuldbewertung" , vgl. Nowakowski Schw ZStrR 1950, 304; vgl. auch Kriimpelmann 1966,63. (Siehe hierzu noch bei B.III.3.b.aa.) 357 Die Interpretation der h.M. fällt auch an dieser Stelle vor allem deshalb schwer, weil die meisten Kommentierungen zwar eine Fülle von Aspekten und Indizien, die tür die SZM-Schuld relevant seien, benennen, es jedoch unterlassen, denjenigen Topos ausdriicklich zu bezeichnen, kraft dessen es erlaubt ist, von solchen Gesichtspunkten auf das Maß der SZM-Schuld zu schließen. Bezeichnend etwa: Günter Hirsch in LK § 46 Rn 5, 12; ferner Dreherrrröndie 1988 § 46 Rn 4, 7 ("Ganzheitsbetrachtung" - anband welcher Kriterien?) Ähnlich Stree in Sch/Sch § 46 Rn 8, 9a; Jescheck 1988, 792, 795, 796 f. 358 Eingehend zuletzt Dreher 1987 mit umfangreichen Nachw. 359 So, fast wörtlich, Schünemann 1984, 160 m.w.N.; vgl. ferner Ellscheid/Hassemer 1975, 266 ff; zusammenfassend Hassemer 1981, 212 ff.
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B. Vorstrafenbelastung und StrafLumessungsschuld
Der Determinismusstreit bildet deshalb auch den Ausgangspunkt etwa der Charakterschuldlehre Engischs360 • Er ist in der Strafrechtsdogmatik der Gegenwart jedoch etwas in den Hintergrund getreten. Ganz überwiegend wird die Frage, ob der Mensch bei seinem Handeln überhaupt die Freiheit genieße, auch anders handeln und damit wählen zu können, oder ob er durch (im einzelnen nicht vollständig aufldärbare, quasi naturwissenschaftliche) Kausalfaktoren völlig determiniert sei, oder ob dem Menschen trotz weitgehender Determinierung durch äußere Kausalfaktoren zumindest noch ein letzter "Rest" an Freiheit verbleibe, die ihn beeinflussenden Kausalfaktoren ·überzudeterminieren·, einer empirischen Überprüfung als nicht zugänglich erachtet. Vielfach wird aber auch eine Lösung der Frage nicht für notwendig gehalten361 • Dieser heute wohl überwiegend vertretenen Ausgrenzung der Diskussion um den Freiheitsbegriff ist im Grundsatz zu folgen. Dabei erscheinen allerdings weniger diejenigen Auffassungen überzeugend, die behaupten, die strafrechtliche Dogmatik sei von Fragen des Determinismus bzw. Indeterminismus schlechthin unabhängig. Überzeugender sind m.E. diejenigen Ansätze, die zwischen der unlösbaren empirischen und der zu entscheidenden normativen Frage trennen und die Auffassung vertreten, daß der Mensch, unabhängig davon ob er frei sei, vom Strafrecht jedenfalls als grundsätzlich frei behandelt werde362 • Dieser Auffassung ist m.E. insbesondere im Hinblick auf Argumente zu folgen, die in jüngerer Zeit etwa Schünemann vorgetragen hat, der in der Postulierung von Willensfreiheit eine im Strafrecht nicht verhandelbare "gesellschaftliche Rekonstruktion von Wirklichkeit" sieht363 . Schünemann legt unter Berufung auf die Humboldt-Whorfsche Sprachtheorie dar, daß unser gesamtes abendländisches Denken, insbesondere die Grammatik unserer Sprache, auf dem Konstrukt von Willensfreiheit aufbaue3 64 . 360 Vgl. Engisch 1963. 361 Vgl. Roxin 1974, 186; 1979, 297 f; Schw ZStrR 1987, 369; Krümpelmann ZStW 88 (1976), 11; GA 1983, 341; Hassemer 1981, 214; Haft 1987, 115 f; Schreiber 1986, 20 f; Lackner 1989 vor § 13 Anm. DIA.b; krit. Dreher 1987, 30 ff. 362 Vgl. vor allem Roxin, unter anderem in MschrKrim 1973, 320; Schw ZStrR 1987,369. 363 Schünemann 1984, 163-167; der Sache nach ähnlich Iescheck 1988,370; Lenckner in Sch/Sch vor § 13 Rn 110. Siehe auch Schöneborn ZStW 88 (1976), 352; Schreiber 1986, 18: (Zumindest) "legislatorisch außer Streit gesetzte Figur". 364 Schünemann a.a.O. Es leuchtet ein, daß bereits die grammatikalische, unserem Denken fundlmental zugrund.: liegende Trennung zwischen handelndem Subjekt und eine Handlung erleidendem Objekt ebenso wie die grammatikalische Unterscheidung des Aktivs vom Passiv dafiir sprechen, daß das Postulat der Willensfreiheit notwendiger Bestandteil unserer Wirklichkeitserfassung ist. (Wer Willensfreiheit bezweifelt, dürfte, so die Position Schünemanns, den grammatikalischen Aktiv nicht benutzen; vgl. Schünemann 1984, 163.)
m. 2. Positionsbestimmung zu einigen den Schuldbegriff betreffenden Grundsatzfragen 117
Auch wenn Willensfreiheit nicht empirisch beweisbar sei, bleibe ihre Bezweiflung gerade im Strafrecht ein realitätsfernes Gedankenspiel, das das Strafrecht aus unserem gesamten sonstigen Verständnis gesellschaftlicher Wirklichkeit herausbrechen würde3 65 • Ein solcher philosophisch motivierter Kahlschlag lag nicht in der Absicht des StGBs. Er kann ihm auch im Nachhinein nicht unterschoben werden. Ohne weitere Vertiefung dieses Problems soll deshalb nachfolgend unterstellt werden, daß menschliches Denken den Menschen als grundsätzlich (wenn auch innerhalb bestimmter Grenzen) frei behandelt. Diese WeItsicht, deren philosophische Berechtigung. hier nicht betrachtet werden soll, liegt auch dem Strafrecht zugrunde. Auch das StGB hat sich kraft normativer Entscheidung für diese Sicht und gegen die theoretische Position eines konsequenten Determinismus entschieden366 • Folgt man dieser normativen Betrachtungs-weise, so ergibt sich, daß auch bei der Frage, ob, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Ausmaß der Täter hätte anders handeln können, mangels empirischer Entscheidbarkeit normative Setzungen unumgänglich sind367 . Zu Recht wird insoweit von "normativ gesetztem AHK" gesprochen368 • bb) Gefahren eines schrankenlos normativen Schuldbegriffs Entscheidende Bedeutung kommt dann jedoch der Frage zu, nach welchen Kriterien diese normative Setzung zu erfolgen hat. Die Behauptung, es gehe insoweit nicht um eine an Seins-Feststellungen, sondern um eine am Sollen orientierte Wertentscheidung369 , ist in diesem Zusammenhang gefährlich. Anlaß für die normative Setzung war, wie dargelegt, der Umstand, daß die prinzipielle Akzeptanz der Möglichkeit, theoretisch auch anders handeln zu können, zwar unserem Denken entspricht, diese Möglichkeit empirisch aber nicht nachweisbar ist. Ist man deshalb gezwungen, eine empirisch offene
365 Schünemann a.a.O.; auch Dreher 1987, 58 f, 396, beruft sich auf subjektive Wirklichkeitserfahrungen (denen er allerdings empirische Beweiskraft einräumt) und gesellschaftliche Notwendigkeit. 366 Auch Göppinger, erkenntnistheoretisch wohl eher den Agnostikern nahestehend, räumt ein, daß das Strafrecht auf einer solchen FestIegung "fußt", vgl. Göppinger 1980,16,237 ff. 367 Nachw. wie viertletzte Fn und Theune StV 1985, 163. 368 Roxin 1979,291; Lenckner in Sch/Sch vor § 13 Rn 118, 109. 369 Lenckner a.a.O.; vgl. auch Theune a.a.O.
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B. Vorstrafenbelastung und StrafLumcssungsschuld
Frage normativ ("axiologisch") zu überbrucken370 , so darf dieser Umstand nicht ohne weiteres Einlaßtor beliebiger präventiver, am Sollen orientierter Wertentscheidungen sein. Wird im Rahmen der Kategorie Schuld "Können" ohne weiteres durch dem "Sollen" zuzurechnende Erwägungen ersetzt (entsprechend der Devise: "Du kannst, denn du sollst"371), so verliert der Schuldbegriff seine limitierende Wirkung gegenüber präventiven Bedürfnissen372 . Das jeweils präventiv Erwünschte als Sollens-Forderung zu formulieren, wird regelmäßig nicht schwer sein. Wenn man hinsichtlich eines Betrunkenen oder eines in seiner Sozialisation schwer Geschädigten nicht darauf abstellt, ob er in der konkreten Situation hätte anders handeln können, sondern darauf, ob er hätte anders handeln sollen, so fällt es leicht, eine, MÖglicherweise kriminalpolitisch erwünschte, Strafbarkeit zu bejahen. Ähnliches gilt auch für den Vorbestraften: Die Schwierigkeiten, diesem vorzuhalten, er hätte leichter als der Ersttäter rechtmäßig handeln können, entfallen, wenn man ihm statt dessen nur vorzuhalten müssen glaubt, er sei in weit stärkerem Maß als der Ersttäter verpflichtet gewesen, nicht - mehr - rechtswidrig zu handeln, die an ihn gestellten SollensAnforderungen seien höhere. Die Berufung auf einen normativen Schuldbegriff befindet sich somit stets in gefährlicher Nähe zu einem Zirkelschluß. Der Begriff der Schuld soll zwar als Magna Charta gegen ungerechtfertigte (präventiv motivierte) Anforderungen an den Täter dienen; da Schuld nicht empirisch faßbar sei, sollen jedoch gleichzeitig Sollens-Anforderungen der Gesellschaft den Inhalt des Schuldbegriffs konstituieren373 . Die Gefahr einer solchen zirkelschlüssigen Entleerung des Schuldbegriffs, die schon beim Schuldbegriff der Strafbegrundung zu bemerken ist, besteht beim SZM-Schuldbegriff in besonderem Maß. Wenn hier die normative Setzung des AHKs am Sollen orientiert wird, liegt die Gefahr nahe, AHK um so eher zu bejahen, je dringlicher die präventive Notwendigkeit erheblicher Strafe zu sein scheint. Da man das Ausmaß des AHKs empirisch nicht zu erfassen können glaubt, beruft man sich auf eine normative Setzung, die sich am Sollen zu orientieren habe. Man unterstellt dem Täter, daß je größer die 370 "Legislatorisch außer Streit" zu setZen, vgl. oben, Schreiber, Schöneborn a.a.O.; siehe auch Lange in LK § 20, 21 Rn 4, 6. 371 Kohlrausch 1910, 1,27; vgl. auch Nowakowski Schw ZStrR 1950, 308. 372 Krit. gegenüber einer "völligen Nonnativierung" der Schuld deshalb Schreiber 1986, 24; Hassemer 1981, 219 ff. Siehe auch Stratenwerth 1971, 31; Peter-A1exis Albrecht GA 1983, 193 ff, 196; Schöneborn ZStW 88 (1976), 349 ff, 362; Bsunnann 1987, 259, 288, 291, 302; Tiemayer ZStW 100 (1988), 552. . 373 Ähnlich verfahren bereits die Anhänger der Lebensffihrungsschuld, vgl. oben B.m.2.c.aa.
m. 2. Positionsbestimmung zu einigen den Schuldbegriffbetreffenden Grundsatzfragen
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Sollens-Anforderungen an ihn sind, desto größer sei auch seine normativ zu bewertende Fähigkeit, anders zu handeln. Preiser hat die Maxime, nach der hier häufig gerade gegenüber Vorbestraften verfahren wird, mit der pointierten Formel kritisiert: "Je weniger sie können, desto mehr sollen sie. "374 Eine gewisse normative Ausformung der Schuldkategorie des AHKs ist somit einerseits zwar unumgänglich. Andererseits wird deutlich, daß die häufig zitierte Gefahr eines "Dammbruchs" im Bereich des Schuldbegriffs durchaus in beide Richtungen hin besteht. Darauf, daß Strafrecht in seiner Aufgabe, Rechtsgüter zu schützen, gefährdet sei, falls die Annahme des "AHKs" mit empirischen Einwänden (etwa bei Affekttätern im Rahmen der Prüfung des § 20, aber auch bei der Berücksichtigung lebensgeschichtlicher Erschwernisse im Rahmen des § 46) in zu starkem Maß bestritten wird, wurde in der Literatur häufig hingewiesen375 • Ein Dammbruch ist jedoch auch in die Gegenrichtung möglich. Der Schuldbegriff ist nicht mehr in der Lage, einen Damm zugunsten des Täters gegen unkontrollierbare präventive Bedürfnisse zu errichten, wenn unter dem Hinweis auf die Normativität des Schuldbegriffs AHK stets dann und insoweit bejaht wird, als dies präventiv nützlich erscheint376 • Dammbruch droht somit nicht nur zu Lasten der vom Staat zu schützenden Rechtsgüter bei übermäßiger Ausweitung von Entschuldigungsmöglichkeiten, sondern auch zu Lasten des Täters, wenn die limitierende Wirkung gegenüber präventiven Bedürfnissen nicht hinreichend gesichert wird. Aufgabe einer angemessenen Strukturierung des Schuldbegriffs muß es deshalb (jedenfalls dann, wenn man meint, den Schuldbegriff gegenüber dem Präventionsbegriff aufrecht erhalten zu müssen) sein, einen Mittelweg auf dem Grat zwischen den nach beiden Richtungen hin möglichen Gefährdungen zu bezeichnen. Für den Begriff der Stratbegründungsschuld (§ 20) liegen hochdifferenzierte Konzepte, die gerade um einen solchen Mittelweg bemüht sind, vor3 77 • Die Ausformung des Begriffs der SZM -Schuld ist hiervon noch wesentlich weiter entfernt. Wo die Grenzen eines normativen SZM-Schuldbegriffs liegen, ist bislang wenig erörtert.
374 Mündliche Äußerung, mitgeteilt von Böhm. 375 Das "Dammbruch-Menetekel" wird vor allem mit Kurt Schneider verbunden; vgl. Stratenwerth 1977, 14 und Krümpelmann ZStW 88 (1976), 27 f, 31. Siehe dazu Stratenwerth und Krümpelmann a.a.O.; Schreiber 1986, 31; Peter-Alexis Albrecht GA 1983, 194; Lackner 1985a, 257-259. 376 Krit. deshalb Stratenwert.h 1977,31; Hassemer 1981, 219 ff, 220; Schreiber 1986, 24; Baurmann 1987,259 ff, 288, 291, 302; siehe auch Rudolphi in SK vor § 19 Rn I, Ib. 377 Vgl. Krümpelmarui ZStW 88 (1976), 6 ff; GA 1983,337 ff; zusammenfassend Lackner 1985a, 245 ff.
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B. Vorstrafenbelastung und Strafzumessungsschuld
M.E. sind zwei im Ansatzpunkt unterschiedliche Sichtweisen denkbar. Beide Sichtweisen waren skizzenhaft bereits bei der Darstellung des gegenwärtigen Streitstands zur Schuldrelevanz der Vorstrafenbelastung zu erkennen378 . Der Unterschied betrifft jedoch eine grundlegende Frage des SZMSchuldverständnisses schlechthin. Er ist deshalb erneut aufzugreifen und nunmehr näher zu betrachten. - Ein ausschließlich normativer Schuldbegriff ist in der Lage, völlig auf den Bezug zur empirischen Wirklichkeit zu verzichten. Seine Definition des AHKs versteht sich als (unwiderlegliche Vermutung oder) Fiktion379 . Aus dem Umstand, daß AHK empirisch nicht beweisbar ist, wird die Notwendigkeit seiner Fiktion postuliert und auf eine Orientierung an einer denkbaren Realität gänzlich verzichtet. Mit der Behauptung, im Widerspruch zur Wirklichkeit zu stehen, muß sich die Fiktion nicht auseinandersetzen. Ein solcher rein normativer Schuldbegriff ist grundsätzlich für jegliche normative Wertungen und damit auch etwa für rein präventiv orientierte Wertentscheidungen offen. Schuld als "staatsnotwendige Fiktion"380 mag zwar auch als eine Fiktion zugunsten des Täters konstruierbar sein381 , sie kann bei anderer normativer Sollens-Ausfüllung jedoch gleichennaßen eine Fiktion zu Lasten des Täters werden. Eine solche rein normative Betrachtungsweise weist Parallelen zu denjenigen Lehren auf, die den Täter für die Tat (oder gar sein Sosein) schlicht "haften" lassen, ohne diese Haftung durch die Frage nach dem AHK zu beschränken. Die Nähe eines ausschließlich normativen Schuldbegriffs etwa zur Charakterschuldlehre Engischs wird erneut deutlich382 . - Etwas beständiger gegenüber beliebigen normativen Setzungen dürfte ein Schuldbegriff sein, der auf einen gewissen Bezug zu einer (vermuteten) empirischen Realität von AHK (bzw. Motivierbarkeit durch die Norm) nicht ganz verzichtet und den diesbezüglichen Schwierigkeiten der Ermittlung nicht gänzlich aus dem Weg geht. Dies gilt für einen Schuldbegriff, der sich als "gesellschaftliche Rekonstruktion von Wirklichkeit"383 oder als "empirischpragmatischer Schuldbegriff"384 versteht. Schuldbegriffe dieser Art beruhen auf der Erkenntnis, daß der Schluß von der mangelnden empirischen Nach378 Oben, B.D.2.f.bb. einerseits, cc. andererseits. 379 Vgl. Kohlrausch 1910,26; zustimmend Haft 1987, 116. 380 Vgl. Kohlrausch a.a.O. 381 So Roxin JuS 1966,384; MschrKrim 1973, 320; krit. dazu Schünemann 1984, 160. 382 Vgl. Engisch 1963. Ablehnend gegenüber einer "rein" nonnativen Betrachtung der Schuld auch Tiemayer ZStW 100 (1988), 527 ff, 552. 383 Schünemann 1984, 163. 384 Schreiber 1986, 21 f; Peter-A1exis Albrecht GA 1983,202 ff.
m. 2. Positionsbestimmung zu einigen den Schuldbegriffbetreffenden Grundsatzfragen 121
weisbarkeit menschlicher Handlungsfreiheit schlechthin auf die Notwendigkeit einer rein normativen, von Realität oder zumindest vom gesellschaftlichen Wirklichkeitsverständnis völlig losgelösten Betrachtung keineswegs zwingend ist. Es ist diesen Ansätzen folgend auch ein Schuldbegriff denkbar, der zwar insoweit eine normative Setzung vornimmt, als er postuliert, daß AHK grundsätzlich möglich ist und der diejenigen Fälle, in denen der Ausschluß oder eine erhebliche Minderung des AHKs näher zu prüfen ist, verbindlich beschreibt (vgl. §§ 20, 21; ferner etwa § 17). Eine solche Normativierung dient der Erleichterung der Arbeit des Richters. Die zu diesem Zweck vorgenommenen normativen Generalisierungen dürfen sich, versteht man einen solchen Schuldbegriff nur als empirisch-pragmatisch und nicht als rein normativ, jedoch nicht in generellen Widerspruch zu als gesichert empfundenen empirischen Erkenntnissen von Wirklichkeit setzen oder sich zu weit von allgemein anerkannten gesellschaftlichen Rekonstruktionen dieser Wirklichkeit entfernen385 . Ein in diesem Sinn empirisch-pragmatischer Begriff des AHKs entscheidet zwar Fragen, die empirisch letztlich nicht völlig klärbar erscheinen, durch eine normative Behauptung (etwa von grundsätzlich bestehender Handlungsfreiheit)386, orientiert sich im übrigen aber an Plausibilität und darf AHK jedenfalls dort nicht mehr postulieren, wo die Steuerungsfähigkeit des Täters aus empirisch-wissenschaftlicher Sicht als ausgeschlossen gilt oder ihre Zuschreibung der allgemein anerkannten gesellschaftlichen Rekonstruktion von Wirklichkeit widerspricht. Ein so verstandener Schuldbegriff muß sich somit dem empirisch-wissenschaftlichen Diskurs stellen. Dieser Diskurs dürfte auch führbar sein. Zwar mag die "letzte" Freiheit des Menschen empirisch unbeweisbar bleiben, denkbar ist jedoch, daß jedenfalls massive Einschränkungen der Freiheit, auch anders handeln zu können - oder aber, wie heute zur Vermeidung der Freiheitsfrage überwiegend formuliert wird: massive Einschränkungen der Fähigkeit, sich durch die Norm motivieren zu lassen -, d.h. Einschränkungen der "Vermeidemacht " , der Steuerungsfähigkeit, empirischer Beurteilung bzw. auf Wirklichkeitsbetrachtung gestützten Plausibilitätserwägungen zugänglich sind387 . 385 Es gibt einen gewissen Stsndard von als. empirisch für wahr erachteten Aussagen. Der Umstsnd, daß die "Wahrheit" auch solcher empirischer Aussagen nicht "letztlich sicher" ist, sondern auf einer gewissen Übereinkunft der am Diskurs Beteiligten beruht (, die man bereits wieder als normativ bezeichnen könnte), rechtfertigt es nicht, empirische Erkenntnis schlechthin zu bestreiten und mangels Erkennbarkeit beliebige normative Setzungen vorzunehmen. 386 Siehe Schöneborn, Schreiber und Lange a.a.O. ("legislatorische Außerstreitsetzung"). 387 Zwar besteht um die empirischen Erkenntnismöglichkeiten in diesem Bereich seit langem ein intensiver Streit, dessen genauer Frontverlauf zudem gegenwärtig schwer
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B. Vorstrafenbelastung und Strafzumessungsschuld
Einen diesen Kenntnisstand (und dessen Grenzen) respektierenden empirisch-pragmatischen Schuldbegriff mag man eher als (widerlegliche und einschränkbare) Vermutung, denn als Fiktion von AHK verstehen388 • Auch der gegenwärtig vermutlich vorherrschende "soziale Schuldbegriff"389 dürfte unter diese zweite Sichtweise einzuordnen sein390 . Bereits die abstrakte Gegenüberstellung des rein normativen Schuldverständnisses einerseits und der empirisch-pragmatischen bzw. sozial-vergleichenden Betrachtungsweise. andererseits läßt erkennen, daß eher letztere Auffassungen geeignet sein dürften, den oben postulierten Ansprüchen zu genügen. Will man präventive Bedürfnisse limitieren und sich dabei vom herkömmlichen Wortverständnis des Schuldbegriffs nicht zu weit lösen, scheint viel für das gewisse Begrenzungsmöglichkeiten zumindest noch erkennenlassende Modell empirisch-pragmatisch verstandener Schuld zu sprechen. Die damit aufscheinenden Bedenken, die gegenüber einer rein normativen Betrachtung zu erbeben sind, sollen nachfolgend noch einmal speziell im Hinblick auf die Schuldrelevanz der Vorstrafenbelastung beleuchtet werden. Das Beispiel der Vorstrafenbelastung ist aber auch geeignet, auf die Schwierigkeiten und Grenzen auch des empirisch-pragmatischen Schuldverständnisses aufmerksam zu machen.
auszumachen ist (vgl. zusammenfassend Göppinger 1980, 237 ff; Lackner 1985a, 245 ff; Dreher 1987,25-59, insb. 43 ff). Die hier skizzierte Position, derzufolge über bestimmte Umstände, die juristisch als schuldrelevante Einschränkungen zu begreifen sind, empirisch-diagnostische Aussagen nicht unmöglich sind, dürfte jedoch der im Strafrecht h.M. entsprechen (vgl. Lackner 1985a, 249 f); sie kann sich sowohl auf psychologische wie auf psychiatrische Stimmen, gerade auch aus jüngerer Zeit, berufen. Vgl., jeweils m.w.N., Tiemayer ZStW 100 (1988), 527 ff; Oswald GA 1988, 147 ff, 159 f; Schreiber 1986,28 ff (mit umfangreichen Hinw. auf Ehrhardt, Undeutsch, Venzlaff und weitere Anhänger der gnostischen Position, die zu beziehen für die hier verfochtene Auffassung allerdings nicht unumgänglich sein dürfte; vgl. nächste Fn.). 388 Zur Vermeidung von Mißverständnissen sei allerdings nochmals betont, daß der hier verwendete Begriff des "AHKs" vor· allem als ein Stichwort zur Kennzeichnung eines bestimmten Problembereichs dient. Er knüpft an den hergebrachten und nach wie vor weit veroreiteten Sprachgebrauch an. In dem hier nur am Rande interessierenden Streit, ob es geboten ist, zur Vermeidung der Freiheitsfrage hinsichtlich dessen, was in normativen Grenzen empirisch-forensischer Betrachtung zugänglich ist, statt auf" AHK" auf die Fähigkeit, sich durch Normen zu rechtmäßigem Tun "motivieren" zu lassen, abzustellen (Lackner 1985a, 249), soll nicht Stellung bezogen werden. Das vorliegend skizzierte Schuld verständnis versteht sich deshalb auch nicht als Festlegung in dem (durch die verschiedenen in gewissem Maß normativierenden oder sozial-vergleichenden Lehren für das Strafrecht wohl als überholt zu bezeichnenden) Streit zwischen Gnostikern und Agnostikern .. 389 Vgl. Krümpelmann GA 1983,337 ff; Schreiber 1986, 21; Lange in LK § 20,21 Rn 6; Lenckner in Sch/Sch vor § 13 Rn 118; Lackner 1989 vor § 13 Anm. III.4.a. 390 Schreiber a.a.O.; vgl. auch Krümpelmann und Lange 8.a.0.
m. 2. Positionsbestimmung zu einigen den Schuldbegriffbetreffenden Grundsatzfragen
123
ce) Mangelnde Erklärungskraft eines empirisch-pragmatischen Schuldbegriffs, der sich ausschließlich an "Stufen des Dafürkönnens" orientiert Die Unterschiede zwischen dem rein normativen und dem eher empirischpragmatischen Schuldverständnis zeigen sich an ihren Auswirkungen auf die hier zu entscheidende Frage der SZM-Schuldrelevanz der Vorstrafenbelastung besonders deutlich. - Eine losgelöst normative Betrachtung des AHKs im Rahmen der SZMSchuld setzt der strafschärfenden Berücksichtigung der Vorstrafenbelastung wenig Hemmnisse entgegen. Augenfällig wird dies etwa bei der erwähnten Äußerung Theunes391 • Aber auch für andere, denen es im Grunde als Selbstverständlichkeit erscheint, daß man vom Vorbestraften mehr zu verlangen habe, dienen Konstrukte wie die Wamformel und das Überwindungsmodell allenfalls der Veranschaulichung, ohne daß der Berechtigung der darin enthaltenen, scheinbar deskriptiven Aussage irgendwelche Bedeutung beigemessen würde392 • Es wurde bereits dargelegt, daß eine solche, ausschließlich an SollensErwägungen orientierte Schuldauffassung dem Urteil des BVerfG widerspricht393 . Ihr kann auch hier nicht gefolgt werden. Auch sie verfällt dem zentralen Vorwurf, der limitierenden Aufgabe des Begriffs der SZM-Schuld nicht gerecht zu werden. Begreift man die im Rahmen der Schuld zu prüfende Vermeidemacht als ein die SZM-Schuld konstituierendes oder doch zum wesentlichen Teil ausfüllendes Kriterium und postuliert man gleichzeitig, daß es zulässig sei, aufgrund der Vorstrafenbelastung normativ höhere Vermeidemacht zu unterstellen, so kann der SZM-Schuldbegriff die ihm hier zugemessene Aufgabe, Strafe anband eigenständiger, nicht beliebig präventiv formulierbarer Kriterien zu begrenzen394 , nicht erfüllen. Die losgelöst normative Betrachtung ist deshalb abzulehnen. - Auffassungen, die sich an einem empirisch-pragmatischen, sich an gesellschaftliche Rekonstruktionen von Wirklichkeit anlehnenden Schuldbegriff orientieren, tun sich mit der Rechtfertigung der schulderhöhenden Wirkung von Vorstrafen dagegen bereits wesentlich schwerer.
391 Vgl. oben, B.U.f.bb.; Theune StV 1985, 163. 392 Einschränkungen, wie sie in der Warnformel und in Formulierungen wie "kriminologischem", "innerem" oder "tatschuldrelevantem Zusammenhang" zum Ausdruck kommen, dienen dann im Grunde weniger der Vereinbarkeit mit dem Schuldprinzip, sondern eher einer Präzisierung der (vermutlich präventiv motivierten) Eingriffskriterien. 393 Oben, B.U.2.f.cc. 394 Vgl. B.U.2.b.aa.
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B. Vorstrafenbelastung und Stratzumessungsschuld
Dies zeigt sich gerade an der Position, die die herrschende Meinung, die sich auf einen solchen Schuldbegriff bezieht, zu der Frage der Wamfunktion der Vorstrafe einnimmt. Mit einem bloßen, von Realität unabhängigen Konstrukt darf sie nicht arbeiten. Ihre Behauptung, Vorstrafen seien (unter gewissen Umständen) geeignet, Hemmimpulse beim Täter auszulösen und so seine Vermeidemacht zu erhöhen, muß sich der gesellschaftlichen Rekonstruktion von Wirklichkeit stellen und empirisch-kriminologische Gegenargumente zur Kenntnis nehmen. Sie muß der Aufgabe gerecht werden, empirisch nachvollziehbare, wenn auch vielleicht generalisierende Maßstäbe dafür anzugeben, wann eine solche durch Hemmimpulse verursachte erhöhte Vermeidemacht vorliegt und wann sie fehlt. Die Schwierigkeiten, denen demzufolge das herrschende wÜberwindungsmodeli in Auseinandersetzung vor allem mit empirisch-kriminologischen Einwänden ausgesetzt ist, sind aber bereits dargestellt worden395 • W
Daß es auf empirische Kriterien dieser Art ankommt, scheint der hier bislang favorisierte empirisch-pragmatische Schuldbegriff nahezulegen. Auch nach Verwerfung der Täterschuldkonzeptionen einerseits und eines losgelöst normativen Schuldverständnisses andererseits, ist jedoch noch keineswegs entschieden, daß sich der Schuldbegriff der SZM ausschließlich an Kriterien wie dem des AHKs zu orientieren hat. Man kann, der üblichen Linie der bisherigen (kriminologischen) Kritiker folgend, die vorangegangene Analyse zum Anlaß nehmen, die gegenwärtige SZM-Praxis gegenüber Vorbestraften zu kritisieren, indem man der herrschenden Dogmatik und Rechtsprechung ihren eigenen empirischen Anspruch vorhält, ist dann jedoch gezwungen, über größeres oder geringeres Können der Vorbestraften zu streiten. Der Verdacht, daß sich Strafschärfungen gegenüber Vorbestraften vernünftigerweise nicht als Generalisierungen gesteigerter Vermeidemacht begreifen lassen, kann jedoch auch zum. Anlaß genommen werden, näher zu betrachten, ob sich der Begriff der SZM-Schuld wirklich ausschließlich in einer Orientierung an generalisierenden Stufen des Dafürkönnens erschöpft. Die vorliegende Arbeit knüpft, entsprechend ihrer bereits früher angedeuteten Konzeption, an letzterem Gesichtspunkt an: Es wäre denkbar, daß zwar dort, wo tatsächlich Fragen des AHKs bzw. der Vermeidemacht in Rede stehen, eine empirisch-pragmatische Betrachtungsweise geboten ist, daß aber dennoch die damit angesprochenen Kategorien, auch auf dem Boden der Tatschuldkonzeption, allein nicht hinreichen, um den SZM -Schuldbegri ff auszufüllen.
395 Oben, B.D.2.f.dd.
m. 2. Positionsbestimmung zu einigen den Schuldbegriffbetreffenden Grundsatzfragen
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Anlaß, auch an demjenigen Modell zu zweifeln, das SZM-Schuld ausschließlich an die Stufen der Vermeidemacht knüpfen will, geben nicht nur die unbefriedigenden Argumentationsfiguren der herrschenden Meinung zur Schuldrelevanz der Vorstrafenbelastung. Auch jenseits der Vorstrafenproblematik sind immer wieder Beispiele angeführt worden, die deutlich machen, daß für die SZM -Schuld allgemeiner Überzeugung zufolge offenbar auch Faktoren von Bedeutung sind, die sich kaum als Stufen des AHKs begreifen lassen396 • Verwiesen wird etwa auf die Relevanz des Erfolgseintritts für die Strafhöhe397 • Daß der Versuch milder bestraft werden kann als das vollendete Delikt, § 23 Abs. 2, läßt sich nicht damit rechtfertigen, daß die Vermeidemacht beim Täter geringer wäre. Ob der abgegebene Schuß trifft oder sein Ziel verfehlt, macht dafür, ob der Täter statt zu schießen dies hätte auch unterlassen können und wie schwer ihm ein solches Unterlassen gefallen wäre, keinen Unterschied. Gleiches gilt für die Relevanz des Erfolgs bei Fahrlässigkeitsdelikten. Die unterschiedlichen Strafrahmen etwa für fahrlässige Tötung oder fahrlässige Körperverletzung bis hin zur grundsätzlichen Straflosigkeit fahrlässiger Körpergefährdungen lassen sich ebenfalls nicht mit Stufen des AHKs erklären, sondern nur damit, daß dem Erfolg offenbar die Bedeutung einer eigenständigen Komponente im Rahmen der SZM zukommt398 • Aber nicht nur der Taterfolg spielt eine mit Stufen der Vermeidemacht nicht erklärbare Rolle. Auch persönliche Eigenschaften wie etwa die, Amtsträger zu sein, können sich strafrahmenverschiebend auswirken, ohne daß sich die Behauptung eines etwa regelmäßig gesteigerten AHKs von Amtsträgern rechtfertigen ließe. Roxin weist als Beleg für seine Kritik am herkömmlichen Schuldbegriff in diesem Zusammenhang insbesondere auf § 35 Abs. 1 S.2 hin399 . Der Umstand, daß von dem dort beschriebenen Personenkreis verlangt wird, eine Notstandssituation hinzunehmen, die für andere entschuldigend wirkt, läßt sich nicht damit erklären, daß es diesem Personenkreis leichter fällt, anders zu handeln, ihn trifft vielmehr ersichtlich eine erhöhte Pflicht: Wenn der Kapitän als letzter das sinkende Schiff zu verlassen hat, so gilt dies nicht wegen einer (empirisch-pragmatischen) Vermutung, ihm falle dies 396 So insb. von den Anhängern einer präventiven Ausdeutung des Schuldbegriffs, vgl. Noll 1966,219 ff; Roxin 1974, 175 ff; 1979,282 ff; Jakobs 1976, 13 ff; Oswald GA 1988, 147 ff, 156 ffsowie eingehend Baunnann 1987, 259 ff. 397 Siehe Bierbrauer/Haftke 1978, 163; Peter Albrecht Schw JZ 1983, 267; Baunnann 1987,269 ff; Oswald GA 1988, 157; vgl. auch NoIl1966, 230; Roxin 1979, 305. 398 Das gilt auch dann, wenn man in der Berücksichtigung des (ausgebliebenen) Erfolgs nur eine Begrenzung der dem Handlungsunrecht angemessenen Strafe sieht. Näher zum Stellenwert des Erfolgsunrechts unten, B.III.3.f.bb. 399 Roxin 1974, 175 ff; 1979,282 ff.
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B. Vorstrafenbelastung und StrafLumessungsschuld
leichter, sondern wegen einer für ihn postulierten besonderen Pflicht. Weitere Beispiele, wie etwa die stratbegründende Garantenstellung beim unechten Unterlassungsdelikt, § 13, - ebenfalls eine Pflichtenstellung und kein gesteigertes Können beschreibendes Kriterium - lassen sich anführen. Betrachtet man über diese einzelnen Beispiele hinaus die Unrechtsvertypungen des Besonderen Teils, die ja nicht nur der Abgrenzung gegenüber straflosem Verhalten dienen, sondern vor allem die Voraussetzungen für unterschiedlich hohe Strafrahmen umschreiben, so drängt sich generell der Eindruck auf, daß diese unterschiedlichen Vorgaben für die SZM sich in erster Linie offenbar an anderen Erwägungen als den Stufen des Dafürkönnens orientieren. Zweifel an einer ausschließlichen Orientierbarkeit der SZM an Kriterien des Dafürkönnens ergeben sich ferner nicht nur im Hinblick auf (bei der Stratbegrundung im Rahmen des objektiven Tatbestands relevante) Charakteristika wie den Erfolg oder Pflichtenstellungen des Täters. Ähnliches läßt sich auch im Hinblick auf subjektive, auch im Rahmen der Stratbegründung lange der Schuld zugeschlagene Faktoren, wie etwa der Frage nach Vorsatz oder Fahrlässigkeit vertreten. Ob ein vorsätzlich handelnder Täter stets oder zumindest regelmäßig leichter hätte anders handeln können als der bewußt fahrlässig handelnde Täter, ist zumindest zweifelhaft4OO • Die genannten Beispiele sind zwar dem Bereich der Stratbegrundung oder der Strafrahmenwahl zuzuordnen. Ohne dem Verhältnis von Strafrahmen zu SZM gemäß § 46 Abs. 1 S. 1 hier bereits nachgehen zu können, liegt es jedoch nahe, daß solche Kriterien auch bei der Frage nach dem Wieviel der schuldangemessenen Strafe innerhalb des § 46 Abs. 1 S. 1 nicht völlig außer Betracht bleiben können. Umstände wie die Schadenshöhe oder die Bedeutung einer Amtspflicht oder einer Garantenstellung werden bei der SZM, die 'der Feinbemessung der Strafhöhe innerhalb der vorgegebenen Strafrahmen dient, von Bedeutung bleiben müssen401 • Nachdem sich jedoch gezeigt hat, daß solche Faktoren sich mit einem an Stufen des AHKs orientierten Modell, will man dieses nicht beliebig normativ fmgieren, sondern empirisch-pragmatisch an Wirklichkeit orientiert verstehen, nicht erklären lassen, ist deshalb als Zwischenergebnis festzuhaIten, daß sich der Begriff der SZM-Schuld nicht ausschließlich mit der Komponente des AHKs erklären läßt. Dies gilt jedenfalls de lege lata. Zu fragen ist, welche Konsequenzen aus dieser Analyse zu ziehen sind. 400 Vgl. Baunnann 1987, 278. 401 Näher bei B.Iß.3.e.
m. 2. Positionsbestimmung zu einigen den Schuldbegriffbetreffenden Grundsatzfragen 127 Haffke zieht gerade im Hinblick auf die Schuldrelevanz der Vorstrafenbelastung aus den geschilderten Ungereimtheiten vernichtende Schlußfolgerungen: 402 Der Schuldbegriff der SZM sei typisch für die Jurisprudenz schlechthin, insbesondere für den waskriptiven Umgang der Juristen mit sozialwissenschaftlichen Begriffen. Empirisch formulierte Begriffe wie der des "AHKs" würden zwar verwendet und dabei (beabsichtigt) der Eindruck erweckt, daß es um empirisch faßbare Kategorien gehe; wenn jedoch von seiten der Sozialwissenschaften der Versuch unternommen werde, die empirische Begrifflichkeit einzulösen, so stelle sich - stets - heraus, daß es die Juristen "so nicht gemeint" hätten. Der Dogmatiker nehme trotz verbal gegenteiliger Bekundung empirische Kritik (wozu auch der Versuch zu zählen wäre, empirisch formulierte Begriffe wenigstens auf empirisch-pragmatische Plausibilität zu kontrollieren), letztlich nicht zur Kenntnis. Haffke zieht daraus für den Begriff der SZM-Schuld den Schluß, dieser sei, weil er an empirischen Kategorien (dem AHK) angelehnt sei, deren Einlösung aber verweigert werde, semantisch nicht faßbar403 . Nach Haffkes Auffassung ist diese aus der "Schein-Deskriptivität" herrührende semantische Unfaßbarkeit durchaus beabsichtigt. Die empirische Formulierung des Schuldbegriffs, deren Einlösung gleichzeitig verweigert werde, ermögliche es, die Kategorie je nach Belieben (etwa nach präventiven oder anderen kaum überprütbaren, geschweige denn systematisierbaren) Erwägungen auszufüllen404 • W
Haffke verzichtet jedoch darauf, nach dogmatischen Möglichkeiten zu suchen, die das geschilderte Dilemma überwinden und einen inhaltlich faßbaren Schuldbegriff ermöglichen könnten. Er hat offenbar Zweifel, ob dogmatische Lösungen insoweit überhaupt möglich sind und beschränkt seine Schlußfolgerungen im wesentlichen auf eine kritische Analyse des Verhältnisses von Juristen und Sozialwissenschaftlern405 • Haffkes diesbezügliche Analyse und seine Kritik der bei der Ausfüllung des Schuldbegriffs vorherrschenden Argumentationsmuster sind eindrucksvoll. Sie allein bieten jedoch keinen Weg zur Überwindung des status quo. Absicht der vorliegenden Untersuchung bleibt es, nach einem solchen Weg zu suchen. Es soll zumindest der Versuch unternommen werden, einen Ansatz ausfindig zu machen, der den Einwänden Haffkes entgeht oder doch wenigstens in nennenswert geringerem Umfang ausgesetzt ist als die bislang 402 Haffke 1984, 197 ff. 403 Haffke a.a.O. Die These wird zudem explizit von Baunnann vertreten, vgl. bereits 1980,205,212 ffund 1987,259 ff. 404 Haffke 1984,211. 405 Haffke 1984, 197 ff. Ähnlich auch Oswald GA 1988, 147 ff, 160 ff: Die Frage der Erschwernisse des AHKs sei empirisch von Psychologen beantwortbar, Juristen wichen dem jedoch aus.
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B. VorstrafenbelaslUng und StrafLumessungsscbuld
diskutierte, vorrangig an Stufen des Dafürkönnens orientierte Auffassung. M.E. ist auch noch keineswegs ausgemacht, daß sich ein solcher dogmatisch gangbarer Ansatz tatsächlich nur - wie etwa von Ellscheid/Hassemer oder neuerdings in differenzierter Form von Baurmann vertreten406 - außerhalb des Schuldbegriffs konstruieren ließe. Es spricht m.E. einiges dafür, daß die Chancen, im Wege strukturierter und verfassungskonformer Auslegung Fortschritte zu erzielen, noch nicht hinreichend ausgelotet sind407 . Für diesen Weg einer Konkretisierung und Systematisierung des Vorhandenen soll hier geworben werden. Der Anspruch jedoch, der an eine systemimmanente Lösung zu stellen wäre, ist von Haffke408 zutreffend formuliert worden: Der Schuldbegriff der SZM, der in § 46 Abs. 1 S. 1 verwendet wird, muß semantisch hinreichend faßbar sein. Er darf nicht mit Kriterien arbeiten, die, wie dies bei einer ausschließlichen Orientierung an den Stufen des Dafürkönnens der Fall ist, entweder beliebig ausdeutbar oder inhaltlich nicht einlösbar sind. Das, was die Systemkategorie Schuld inhaltlich ausmacht, muß beschreibbar, intersubjektiv verständlich darstellbar sein. Zweifel sind deshalb auch an solchen Lösungen angebracht, die die Kategorie der SZM-Schuld unmittelbar durch Auflösung in Fallgruppen handhabbar zu machen suchen, ohne sich zuvor um eine Definition des Auszufüllenden bemüht zu haben409 • Wenn Schuld die Grundlage der SZM und damit zugleich eine wichtige rechtsstaatliehe Beschränkung anderweitiger Strafbedürfnisse darstellen soll, so muß sie sich aus den sie ausfüllenden Komponenten oder Elementen abschließend definieren lassen. Wird der Anspruch erhoben, rechtsstaatliehe Grenzen zu setzen, so kann es nicht ausreichen, den hierfür zentral verwendeten Begriff nur anband einzelner, beliebig ergänzbarer Fallgruppen zu illustrieren. Es müssen zunächst die Leitlinien erkennbar sein, die eine Diskussion darüber ermöglichen, ob und wieso es zulässig ist, eine bestimmte Fallgruppe zur Ausfüllung des Schuldbegriffs heranzuziehen. dd) SZM-Schuldjedoch auch kein bloßes Derivat positiver Generalprävention Die oben geschilderten Ungereimtheiten eines ausschließlich am AHK orientierten Schuldbegriffs werden häufig zum Anlaß für die These genommen, 406 ElIscbeid/Hassemer 1975, 266 fT; Baunnann 1987. 407 In diesem Sinn auch Feltes GA 1988,524 fT. 408 Und Baunnann 1987, 259 fT. 409 Nachw. bei B.rn.2.d. und B.rn.3.a.aa.
m. 2. Positionsbestimmung zu einigen den SchuldbegritTbetretTenden Grundsatzfragen
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daß auch die Kategorie der Schuld nur präventiv faßbar sei 4lO • Als Gegenmodelle zu den vielfältigen, bereits begrifflich unklaren Vermengungen von Schuld- und PräventionselWägungen scheinen sich diejenigen Konzepte anzubieten, die offen eine ausschließliche oder zumindest ergänzende Auslegung des SZM-Schuldbegriffs durch präventive Kriterien empfehlen. Solche Ausdeutungen sind im Vordringen begriffen. Dies gilt insbesondere für diejenigen Ansätze, die das herkömmliche Schuldverständnis durch den Topos positiver Generalprävention ersetzen oder ergänzen wollen411 •
Versucht man in Anlehnung an solche Konzepte alle oben genannten, für die Höhe der Strafe relevanten Umstände statt mit verändertem AHK mit Gesichtspunkten der positiven Generalprävention zu erklären, so fällt dies zunächst wesentlich leichter. Dies gilt insbesondere dann, wenn man, vermitteis des Stichworts positive Generalprävention, unmittelbar auf die "Strafbedürfnisse der Gesellschaft" rekurriert. Die oben angeführten Differenzierungen lassen sich nun - schon angesichts der Unbestimmtheit einer solchen Orientierungsgröße - ohne besondere Schwierigkeiten einordnen. Vollendung härter als Versuch, fahrlässige Tötung härter als fahrlässige Körperverletzung, Amtsträger und Garanten härter als andere, aber auch Vorbestrafte härter als Ersttäter zu bestrafen, - all dies dürfte verbreiteten Bewertungen der Bevölkerung entsprechen und ließe sich deshalb als Rücksichtnahme auf generalpräventive Bedürfnisse, die Schaden litten, wenn ihnen nicht hinreichend Rechnung getragen würde, deuten. Es mag daher zunächst viel für die These sprechen, daß auch die Kategorie der SZM-Schuld de facto Elemente enthält, die nur präventiv verstanden werden können. Ein angesichts dieser general präventiven Deutungsmöglichkeiten der SZMSchuld in sich stimmiges Konzept zur inhaltlichen Erfassung deS Begriffs scheint Jakobs anzubieten, der Schuld konsequent als Derivat positiver Generalprävention versteht412 • Seine Position scheint (ähnlich wie bestimmte oben diskutierte Haftungslehren) zumindest den Vorteil begrifflicher Aufrichtigkeit für sich zu haben. Sie wird gerade deshalb gegenwärtig heftig debattiert. Jakobs' zufolge sind die unklaren, mit AHK schwer nachvollziehbar operierenden Kategorien der SZM -Schuld aufzugeben und durch eine strikte, die Rea-
410 Grundlagen bei Noll 1966,219 tTund Roxin 1974,171 tT; 1979,279 tT; am weitesten Jakobs 1976 und 1983, 17 Rn 18-33; vgl. ferner Achenbach 1984, 135 tT; siehe auch schon Hoerster GA 1970,272 tT. 411 Vgl. zusammenfassend Rudolphi in SK vor § 19 Rn la. 412 Jakobs 1976, j2. Sein Lehrer Roxin vertritt eine vorsichtigere, eher vermittelnde Position, siehe dazu zusammenfassend - und krit. bewertend - Rudolphi 8.8.0. 9 Erhard
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B. Vorstrafenbelastung und StrafLumessungsschuld
tität seines Erachtens eher erfassende, Orientierung an positiver Generalprävention zu ersetzen. Das Verständnis des Schuldbegriffs bei Jakobs beruht auf systemtheoretischen Grundlagen, die hier nur mit einigen Stichworten skizziert werden können413 • In Anlehnung an Begrifflichkeiten Luhmanns414 sind auch für Jakobs "enttäuschte Erwartungen" im Rahmen einer an "Funktionieren" orientierten Betrachtung sozialer Kontakte und deren "Organisation" zentrale Begriffe. Notwendige Voraussetzung funktionierenden sozialen Handeins seien Erwartungen der Akteure an ihre soziale Umwelt. Eigenes Handeln sei nur durch Antizipation des Reagierens anderer möglich. Erwartungen dieser Art können Jakobs zufolge sowohl faktischer wie normativer Natur sein. Wenn die Erwartung, die Partner des sozialen Kontakts verhielten sich normgemäß, enttäuscht werde, so löse dies einen Konflikt aus. Ein solcher Konflikt sei zwar grundsätzlich auf mehreren Wegen lösbar. Ebenso wie tatsächliche Erwartungen aufgrund ihrer Enttäuschung für die Zukunft korrigiert werden könnten, sei dies grundsätzlich auch bei normativen Erwartungen, z.B. durch Entkriminalisierung, möglich. Solle aber an der normativen Erwartung (kontrafaktisch) festgehalten werden und sei eine andere Konfliktregelung nicht möglich, so müsse der Täter für seine Tat einstehen. Nur auf diesem Weg der Bestätigung der normativen Erwartung der Gesellschaftsmitglieder die sich auf das rechtmäßige Verhalten ihrer Umwelt verlassen können müßten - durch Normbekräftigung im Wege der Bestrafung des Täters, könne der aufgetretene Konflikt beseitigt werden. Eine generalpräventive Ausrichtung der Strafe an der Bestätigung und Einübung von Rechtsvertrauen sei deshalb geboten415 • Schuld sei somit als eine (funktionale) Zuschreibung zu verstehen, die dann erfolge, wenn Erwartungsenttäuschungen nicht anders lösbar seien, als dadurch, daß man den Täter für die zugefügte Enttäuschung haften lasse416 • Es liegt in der Logik dieser Betrachtungsweise, demzufolge auch die Schuldhöhe an die Intensität der Erwartungsenttäuschung zu knüpfen. Die diesbezügliche Argumentation Jakobs' zur Vorstrafenbelastung ist bereits dargestellt worden417 . Das Verständnis von Schuld als einer funktionalen Zuschreibung, dort, wo dies im Hinblick auf Erwartungsenttäuschungen nötig ist, zeigt, daß sich auch Jakobs' Konzept als "Haftungslehre" bezeichnen läßt. Auch er verzichtet auf 413 Näher Jakobs 1983, I Rn 4-15; 17 Rn 18 ffund nächste Fn. 414 Jakobs verweist auf Luhmann 1972, 40 ff, 53 ff, 106 ff. 415 Jakobs a.a.O. 416 Jakobs 1976, 8 ff; 1983, 17 Rn 18-33. 417 Oben, B.ß.2.b.
m. 2. Positionsbestimmung zu einigen den Schuldbegriff betreffenden Grundsatzfragen
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das Kriterium des AHKs und entgeht damit dem Determinismusstreit4 18 • Damit begegnet seine Lehre jedoch im Ergebnis ähnlichen Bedenken, wie sie oben im Hinblick auf die Charakterhaftungslehren bereits dargelegt wurden419 • Ein pauschaler Rekurs auf generalpräventive Bedürfnisse bzw. auf für das Funktionieren des Systems relevante Erwartungshaltungen der Bevölkerung ist nicht geeignet, die SZM gegenüber dem einzelnen in semantisch faßbare Bahnen zu lenken420 • Als eine schonungslose Zustandsbeschreibung der herrschenden Schuldlehre mag die systemtheoretische Analyse Jakobs' durchaus zutreffend sein. Es spricht einiges für den Verdacht, daß Schuld immer dann zugeschrieben wird, wenn eine andere Konfliktlösung nicht möglich ist. Für § 20 ist dies mehrfach beschrieben worden421 • Man wird jedoch auch Jakobs entgegenhalten müssen, daß er in einer für Systemtheoretiker offenbar typischen Weise nicht (hinreichend) zwischen Analyse und Bewertung trennt422 • Die Frage, wie ein ausschließlich an Generalprävention orientiertes Strafsystem nicht nur unter zweck-, sondern unter wertrationalen Gesichtspunkten zu bewerten ist, stellt sich aus systemtheoretischer Sicht offenbar kaum423 • Ziel ist ausschließlich das Funktionieren des Systems. Der hier als Topos herangezogene Begriff der Rechtsstaatlichkeit wird auf dem Boden einer solchen Betrachtungsweise offenbar allenfalls dann für relevant erachtet, wenn dies für das Funktionieren menschlichen Zusammenlebens notwendig sein sollte. Insoweit wird hier eine abweichende Grundposition vertreten. Der Vorwurf, ein als Derivat der Generalprävention verstandener Schuldbegriff sei zu rechtsstaatlicher Strafbegrenzung nicht in der Lage, wird von Anhängern einer präventiven Durchdringung des Schuldbegriffs zwar immer wieder bestritten. Es wird die These vertreten, daß eine Ausrichtung 418 Vgl. Jakobs 1983, 17 Rn 23-25. 419 Oben, B.II1.2.c. 420 Krit. gegenüber Jakobs vor allem Stratenwerth 1977,23 ff., 31; Schöneborn ZStW 92 (1980), 682 ff; Hassemer 1981, 218 ff; Peter-Alexis Albrecht GA 1983, 195 ff; Schünemann 1984, 168-197; Arthur Kaufmann Jura 1986,225 ff; siehe auch Maurach/Zipf 1987 § 30 Rn 49; Lenckner in Sch/Sch vor § 13 Rn 117; Lackner 1989 vor § 13 Anm. II1.4.a.cc. und, im hier verfochtenen Sinne besonders eindrucksvoll, nunmehr auch die Neukommentierung Rudolphis in SK vor § 19 Rn Ib (1989). 421 Jakobs 1976, 11; Schöneborn ZStW 92 (1980), 687; vgl. zur Problematik auch Krümpelmann ZStW 88 (1976), 6 ff, 30. Auf diesen Befund wird noch zurückzukommen sein, B.II1.4.b.cc. 422 Gegen diesen Vorwurf nunmehr - m.E. aber ohne ihn letztlich ausräumen zu könnenJakobs ZStW 101 (1989),535 f. 423 Vgl. Stratenwerth 1981, Rn 58; Schünemann 1984, 170 ff; siehe auch Arthur Kaufmann Jura 1986, 226.
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B. Vorstrafenbelastung und StrafZumessungsschuld
an positiver Generalprävention nicht nur ehrlicher sei und häufig mit besserer Begründung zu ähnlichen Ergebnissen führe, sondern auch rechtsstaatliche Begrenzungen durchaus ermögliche424 • Dieser Auffassung ist, Hoerster und anderen insoweit folgend, zwar zuzugeben, daß sich Strafbedürfnisse der Gesellschaft und Schuldprinzip der herrschenden Lehre in weitem Umfang decken. Eine Bestrafung Unschuldiger würde jedenfalls regelmäßig gesellschaftlichen Strafbedürfnissen widersprechen und wäre systemtheoretisch disfunktional, da ein Eindruck in der Bevölkerung, man müsse mit Bestrafung auch dann rechnen, wenn man für den eingetretenen Erfolg "nichts könne" (weil man nicht anders handeln konnte), gerade nicht geeignet ist, Normvertrauen zu erhöhen, sondern nur Unsicherheit stiften und mangelndes Normvertrauen hervorrufen würde. Auch ein am Normvertrauen der Bevölkerung orientiertes Strafrechtssystem dürfte deshalb nicht den Eindruck "zufälliger" Bestrafung erwecken und kann sich deswegen kaum völlig vom "Dafürkönnen" lösen. Dieser Umstand ist jedoch eher ein Indiz dafür, daß sich Generalprävention an der Schuld zu orientieren hat, als umgekehrt425 • Gegen eine Verabschiedung des Schuldprinzips zugunsten von Generalprävention spricht systemimmanent bereits die Erwägung, daß die Bekräftigung des Normvertrauens möglicherweise nicht mehr recht funktioniert, wenn diese Absicht zugegeben wird und Bestrafung nicht mehr mit einem (wie immer gearteten) Schuldprinzip, sondern mit der Notwendigkeit des Funktionierens legitimiert wird426 • Zu befürchten ist ferner, daß sich die Strafbedürfnisse der Gesellschaft nicht ausschließlich von Schulderwägungen bestimmen lassen, Generalprävention und Schuld sich also nicht vollständig decken. So sind mehrfach plastische Beispiele dafür gebildet worden, daß es general präventiv zur Bekräftigung der Normtreue der Bevölkerung angebracht sein könnte, beispielsweise auch Unschuldige zu bestrafen oder auf herkömmliche Anforderungen im Beweisrecht (etwa Beweisverwertungsverbote oder die Behandlung von auch geringen, aber nicht ausräumbaren Zweifeln entsprechend des Grundsatzes "in dubio pro reo") im Einzelfall bei besonderer Erregung der Bevölkerung zu verzichten. Allein, daß solche Situationen theoretisch denkbar sind, zeigt (unabhängig von deren - wohl auch nicht ganz gering zu schätzender - empirischer Wahrscheinlichkeit), daß bei der konkreten Straffestsetzung eine Orien424 Vgl. schon Hoerster GA 1970,272 ff; ferner Achenbach 1984, 144 f, 150 f. 425 Lenclmer in Sch/Sch vor § 13 Rn 117. Siehe auch Krümpelmann ZStW 88 (1976), 32 ff; GA 1983,338; Schünemann 1984, 153 ff. 426 Neumann/Schroth 1980, 122 f; (vgl. auch Jakobs 1983, 17 Rn 18 Fn 45: "beachtliche Bedenken") .
m. 2. Positionsbestimmung zu einigen den Schuldbegriff betreffenden Grundsatzfragen 133 tierung an (wie immer inhaltlich zu fassenden) Kategorien von "Gerechtigkeit" bzw. "Schuld" insbesondere im Rahmen der Stratbegcündung und der Schuldfeststellung des Prozeßrechts nicht durch einen funktionalen Rekurs auf Generalprävention ersetzbar ist427 • Gleiches hat jedoch auch für den Begriff der SZM-Schuld zu gelten, wenn man auch diesem, wie hier zugrunde gelegt, rechtsstaatlich begrenzende Funktion zuweist. Es wäre deshalb nicht nur verfehlt, den Begriff der SZM-Schuld im konkreten Einzelfall danach auszurichten, was in diesem Strafrechtsfall angesichts der Erregung der Bevölkerung für generalpräventiv angemessen zu erachten ist. Auch ein Konzept, das versuchen würde, Erwartungen und Stratbedürfnisse der Gesellschaft zu generalisieren und unabhängig vom konkreten Einzelfall zu formulieren, ist dem Einwand ausgesetzt, daß es ebenfalls denkbar wäre, daß sich solche Bedürfnisse in bestimmten Teilbereichen an anderen als rechtsstaatlich angemessenen oder von Verfassung bzw. Strafrechtsordnung vorgezeichneten Kategorien orientieren könnten. Es ist deshalb nicht auszuschließen, daß es Fallgestaltungen gibt, in denen eine Strafverschärfung zwar einem weitverbreiteten Bedürfnis der Gesellschaftsmitglieder entsprechen mag, es aber dennoch geboten ist, solche Forderungen im Wege einer durch Konkretisierung verfassungsrechtlicher oder strafrechtsdogmatischer Vorgaben zu erzielenden Auslegung des SZM -Schuldbegriffs zu limitieren. Gerade mehrfach auffällige Täter könnten ein Personenkreis sein, bei dem sich bei Beachtung rechtsstaatlicher Vorgaben die Notwendigkeit zu vorsichtigen Beschränkungen gegenüber möglicherweise übermäßigen Strafschärfungsbedürfnissen ergibt. Man mag Generalprävention als den entscheidenden Gesichtspunkt im Rahmen philosophischer Rechtfertigung staatlichen Strafens ansehen und deshalb die "Schuldidee" durch die "Idee der Generalprävention" ersetzen. Dies ändert gleichwohl nichts daran, daß auf der dogmatischen Ebene ein ungefilterter Rückgriff auf diese Kategorie zur Begrenzung staatlichen Strafens nicht geeignet ist. Die berechtigte Wandlung in der Diskussion um die "Schuldidee" kann es nicht rechtfertigen, nun auch auf dem Terrain der Dogmatik den Begriff der SZM-Schuld preiszugeben und ihn vorschnell durch den Topos positive Generalprävention zu ersetzen. Dennoch soll auch hier der Zusammenhang zwischen der für die Diskussion um die Rechtfertigung staatlichen Strafens relevanten Größe - der positiven Generalprävention - und dem rechtstechnischen Begriff der SZM-Schuld
427 Vgl. die sieben Fn zuvor genannten, insbesondere Strstenwerth, "assemer, Rudolphi a.a.O. Zu dem gegenüber einem pauschalen Rekurs auf Generslprävention wesentlich komplexeren Rechtfertigungsversuch eines präventiven Maßnahmerechts durch Baurmann 1987 vgl. oben, B.m.l.c.
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B. Vorstrafenbelastung und StrafLumessungsschuld
nicht geleugnet werden. Schuldangemessenes Strafen wird hier als der Versuch rechtsstaatlicher Kanalisierung gesellschaftlicher Strafbedürfnisse verstanden. Diese Bedürfnisse dürfen demzufolge zwar nicht außer acht bleiben; von ihnen unabhängige, handhabbare Kriterien zu ihrer Kanalisierung bleiben gleichwohl notwendig. Die von Jakobs u.a. für unumgänglich erachtete "zweckbestimmt verstandene Schuld "428 kann man deshalb nach der hier zugrunde gelegten Position als zwar nicht "majestätisch zweckfrei"429 aber auch nicht zu jedem (gar aktuellen) Zweck benutzbar umschreiben. Bei der inhaltlichen Ausfüllung des Schuldbegriffs muß es um "rechtsstaatlich kontrollierte Zweckbestimmung" gehen. In Anlehnung an die Terminologie Jakobs' und angesichts der Parallele seines Ansatzes zu denjenigen Erwägungen, die auch hier als Ausgangspunkt zwar nicht der SZM, aber der Rechtfertigung staatlichen Strafens herangezogen (und etwas simplifizierend unter dem Schlagwort "Verhinderung von Privatjustiz" behandelt) wurden430 , läßt sich schuldangemessenes Strafen als die Antwort auf die Enttäuschung rechtsstaatlich legitimer Erwartungen interpretieren: Schuld nicht als unselbständiges oder unbestimmtes Derivat, sondern als rechtsstaatlich gestaltete (gefilterte) Generalprävention. Wie ein solcher, rechtsstaatlich kontrollierter Begriff der SZM-Schuld im einzelnen auszuformen ist, wird auch die vorliegende Arbeit nicht umfassend beantworten können. Das Ziel, dem näher zu kommen zumindest versucht werden soll, hat sich jedoch in Auseinandersetzung mit Jakobs weiter konkre~ tisiert. Es hat sich gezeigt, daß solche Konzeptionen des Schuldbegriffs der SZM-Schuld von besonderem Interesse wären, die einerseits. Komponenten enthalten, deren Parallelität zu gesellschaftlichen Strafbedürfnissen erkennbar ist, ohne daß andererseits auf solche Bedürfnisse ungefiltert verwiesen würde. ee) Zwischenergebnis Als Zwischenbilanz ist folgendes festzuhalten: Zentraler Orientierungsmaßstab für die Auslegung des Schuldbegriffs des § 46 Abs. 1 S. 1 ist nach der hier vertretenen Auffassung dessen Eignung, Strafe zu begrenzen. Dies setzt zunächst semantische Faßbarkeit des Begriffs voraus. Der SZM-Schuldbegriff darf nicht zu einer Leerformel verkommen, die sich je nach (präventivem oder metaphysischem) Belieben ausfüllen läßt. Es kann auch Richt ausreichen, den 428 Jalcobs 1976, 8, 31 f. 429 So noch Maurach 4. Aufl. 1971,77. 430 Oben, B.m.2.b.aa.
m. 2. Posilionsbestimmung zu einigen den Schuldbegriffbelreffenden Grundsatzfragen 135 Begriff nur anband eines Konglomerats einzelner Fallgruppen auszufüllen. Die unter Beteiligung der Rechtsprechung vorgenommene Prärisierung solcher Fallgruppen mag zwar ein· (zweiter) Schritt im Interesse rechtsstaatlicher Vorhersehbarkeit sein. Versteht man Schuld jedoch als limitierende Kategorie, so müssen zunächSt die allgemeinen Kriterien dieser Kategorie angegeben werden, anband derer eine Prüfung möglich ist, ob bestimmte Fallgruppen noch innerhalb der Grenzen des Schuldbegriffs liegen oder für diesen bereits nicht mehr relevant sind. Erst anband solcher, den Schuldbegriff abschließend definierender Kategorien lassen sich einzelne Fallgruppen messen. Nötig ist deshalb vor der Erörterung von Detailfragen wie der Schuldrelevanz der Vorstrafenbelastung zunächst eine inhaltliche Erfassung und Strukturierung des SZM-Schuldbegriffs. Auf der Suche nach solchen, den Schuldbegriff inhaltlich ausfüllenden Kriterien, ist bereits deutlich geworden, daß einigen grundlegenden Vorschlägen nicht gefolgt werden kann. Täterschuldkonzepte wie die Lebensführungsschuldtheorie, aber auch Charakterschuld- und ähnliche Lehren, die die Gefährlichkeit der Täterpersönlichkeit (das WSosein") als Schuld moment begreifen, sind mangels rechtsstaatlicher Begrenzbarkeit abzulehnen. SZM-Schuld ist deshalb zunächst als Tatschuld zu verstehen. Gewisse Normativierungen sind innerhalb eines solchen Tatschuldbegriffs unverzichtbar. Bedenken bestehen jedoch einerseits hinsichtlich eines rein normativen Tatschuldbegriffs, der unter Berufung auf die gebotene Normativität für beliebige Ausfüllungen offen ist (normative Fiktion· des AHKs aus präventiven Erwägungen). Andererseits ist aber auch gegenüber denjenigen Konzeptionen, die vorgeben, die Fähigkeit, anders zu handeln, in Orientierung an der empirischen Wirklichkeit nur normativ zu generalisieren und sich deshalb als empirisch-pragmatische verstehen, Skepsis geboten. Dies gilt jedenfalls dort, wo (generalisiertes) AHK zum alleinigen Maßstab der SZM-Schuld deklariert wird. Sowohl die Praxis der SZM wie dogmatische Erwägungen zeigen, daß sich die für die SZM-Schuld relevanten Faktoren auch bei generalisierender Betrachtung nicht auf Stufen unterschiedlicher Vermeidemacht reduzieren lassen: SZM -Schuld läßt sich nicht allein mit Stufen des Dafürkönnens erklären. Abzulehnen ist ferner der Versuch einer Ersetzung oder Ergänzung des herkömmlichen Schuldversländnisses durch generalpräventive Kategorien. Diese vermögen zwar möglicherweise die gegenwärtige SZM":Praxis plausibel zu erklären, der Anspruch limitierender Wirkung ginge jedoch verloren.
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B. Vorstrafenbelastung und StrafLumessungsschuld
Es ist deshalb nach einer inhaltlichen Ausfüllung des SZM-Schuldbegriffs zu suchen, die die Mängel der vorgenannten Ansätze zu vermeiden trachtet. Aus dem Anspruch semantischer Klarheit und aus der Orientierung an dem alltagssprachlichen Kern des SchuldverstäDdnisses, von dem sich eine Interpretation des § 46 Abs. 1 S. 1, die diese Vorschrift als Begrenzung versteht, nicht ganz lösen sollte, ergiht sich: prospektiv-präventive Bedürfnisse sind aus dem seiner Natur nach retrospektiven Schuldbegriff femzuhalten. Da sich aber auch gezeigt hat, daß der Begriff der SZM-Schuld nicht umhin kann, Aspekte aufzunehmen, die mit der vielfach verwendeten Dimension des AHKs nicht erfaßbar sind, wird es darauf ankommen, ob .es gelingt, diese Aspekte, deren präventive Deutung wiederholt versucht worden ist, zu berücksichtigen, ohne damit ungebremster prospektiver Prävention das Tor zu öffnen. ft) Berücksichtigung von Erschwernissen des AHKs zwar nicht hinreichend, aber ergänzend notwendig Bevor der Versuch unternommen wird, einen an solchen Ansprüchen.orientierten SZM-Schuldbegriff in Anlehnung an Ansätze in der Literatur zu entwickeln, ist zunächst noch zu betrachten, ob das AHK431 als zentrale Kategorie möglicherweise ganz verzichtbar ist. Bislang hat sich ergeben, daß das AHK einerseits als ausschließliches Kriterium zur Ausfüllung der SZM-Schuld nicht geeignet ist, andererseits auch seine Ersetzung durch präventive Kategorien nicht in Betracht kommt. Angesichts dieses Befundes wären zwei unterschiedliche Konsequenzen denkbar: - Verzicht auf das AHK und Ersetzung durch eine andere, aber möglicherweise rechtsstaatlich geeignetere Größe als die der positiven Generalprävention. - Beibehaltung des AHKs als einer, wenn auch nicht ausschließlich, relevanten Kategorie innerhalb des SZM-Begriffs und Ergänzung dieser Kategorie durch weitere, die von ihr nicht hinreichend erklärbaren Faktoren erfassende, Komponenten. Konzeptionen, nach denen auf das Kriterium des AHKs als Anknüpfungspunkt für die SZM ganz zu verzichten sei, sind auch außerhalb der Persönlichkeitshaftungslehren und des generalpräventiven Modells Jakobs' 431 Oder eine vergleichbare Kategorie der Venneidemacht oder Steuerungstähigkeit; die diesbezüglichen Unterschiede sind für die vorliegende Thematik, wie erwähnt und wie sich näher noch zeigen wird, nicht von entscheidender Bedeutung.
m. 2. Positionsbestimrnung zu einigen den SchuldbegritTbetretTenden Grundsatzfragen 137 (und auch jenseits allzu einfacher monistisch spezialpräventiver Maßnabmemodelle) immer wieder vertreten worden. Vorgeschlagen wurde etwa die ausschließliche Orientierung einer der SZM -Schuld vergleichbaren Größe an der Sozialschädlichkeit des Verhaltens432 . Auch die SZM-Schuldkonzeption Stratenwertbs (Tatschuld und Strafzumessung, 1972) ist häufig in diesem Sinn interpretiert worden433 . Stratenwerth kritisiert die herrschende SZM-Lehre, die sich anheischig mache, über den größeren oder geringeren Freiheitsspielraum des einzelnen zu urteilen434 . Er empfiehlt die Ausgreozung der Täterkomponente aus dem Tatschuldbegriff. Wie weit eine solche "Ausklammerung der Persönlichkeitsmomente aus der Tatschuld"435 im einzelnen gehen soll, wird in Stratenwerths Vortrag jedoch nicht ganz deutlich436 . Stratenwerth hält trotz seiner Kritik an dem Versuch, individuelle Freiheitsspielräume zu messen, im Hinblick etwa auf § 21 eine gewisse Berücksichtigung von nach "generalisierten Kategorien faßbaren" Einschränkungen des Freiheitsspielraums fiir auch nach seinem Konzept zulässig437 . Er ist deshalb überwiegend dahingehend verstanden worden, daß persönlichkeitsbezogene schuldrelevante Merkmale nur insoweit berücksichtigt werden dürfen, als es dafiir im Gesetz selbst generalisierende Maßstäbe gibt (§§ 20, 21)438. Der Versuch Stratenwerths, den innerhalb dieser Grenzen liegenden, fiir die SZM nach § 46 Abs. 1 S. 1 relevanten Tatschuldbegriff radikal von täterbezogenen Wertungen zu befreien, ist überwiegend kritisiert worden439 . Die intendierte Reduzierung des Schuldbegriffs fiihre zu einem ungerechtfertigten Taxenstrafrecht440. Eine ausschließliche Orientierung an dem konkreten Verhalten in der Tatsituation, am Unrecht, der Sozialgefährlichkeit oder ähnlichem widerspreche unabweisbaren Postulaten materieller Gerechtigkeit441 . Viele Kritiker haben deshalb den in der Radikalität der Reduzierung des Schuldbegriffs möglicherweise etwas überzeichneten oder zumindest fehldeutbaren Vortrag Stratenwerths zum Anlaß genommen, an der von ihnen seit je432 Vgl. Baunnann: "Schuldlose Dogmatik" 1980, 196 tTund 1987. 433 Vgl. Schöneborn GA 1975, 272 tT; ferner Bruns JZ 1972, 414 f; Rudolphi ZStW 85 (1973),109 f. 434 Stratenwerth 1972, 18. 435 Stratenwerth 1972, 34. 436 Vgl. Rudolphi ZStW 85 (1973), 111. 437 Stratenwerth 1972, 31. 438 Rudolphi a.a.O.; vgl. auch Schöneborn und Bruns a.a.O. 439 Vgl. Rudolphi, Schöneborn und Bruns a.a.O. 440 Rudolphi a.a.O., 112. 441 Schöneborn a.a.O.
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B. VorstraCenbelastung und StrafZumessungsschuld
her für notwendig erachteten "umfassenden" und nicht näher präzisierten Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit im Rahmen der SZM festzuhalten442 . Folgt man dagegen den hier zugrunde gelegten Prämissen443 , so bleibt der Versuch, den SZM-Schuldbegriff zumindest soweit als möglich vor allem von strafschärfenden Merkmalen der Täterpersönlichkeit zu befreien, von besonderem Interesse. Es spricht einiges für die Einschätzung Rudolphis, Stratenwerth sei (auf dem richtigen Weg) lediglich "einen kleinen Schritt zu weit gegangen "444 • Allgemeine Gefahren eines gänzlichen Verzichts auf das Kriterium des AHKs bei der Ausfüllung des für die SZM relevanten Schuldbegriffs sind bereits oben aus systemtheoretischer Sicht erwähnt worden (Aspekt der Verunsicherung)445. Das hier zugrunde gelegte Konzept staatlicher Strafe als rechtsstaatlicher Konkretisierung gesellschaftlicher Strafbedürfnisse legt es nahe, auf das herkömmliche AHK, schon im Hinblick auf dessen Verwurzelung im Alltagsverständnis des Schuldbegriffs, zumindest nicht gänzlich zu verzichten. Dafür, daß die Komponente verminderter Vermeidemacht auch bei der Ausfüllung des Begriffs der SZM-Schuld nicht vollständig außer Betracht bleiben kann, sprechen aber auch Wortlaut und Systematik des Gesetzes. Wenn etwa gemäß § 21 "erhebliche" Verminderungen der Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, zu gravierenden Verschiebungen des Strafrahmens führen, so erschiene es kaum vertretbar, wenn man Einschränkungen dieser Art, dann, wenn sie unterhalb der Erheblichkeitsgrenze des § 21 liegen, keinerlei Bedeutung mehr zumessen wollte. Über die Grenzen der unterhalb der Schwelle des § 21 möglichen Individualisierungen mag man streiten können. Auch wenn "Überindividualisierungen " problematisch erscheinen,446 soll hier jedoch kein Konzept vertreten werden, das die Möglichkeit solcher auch nur groben Differenzierungen unterhalb des § 21 gänzlich leugnet. (Auch dort, wo Trunkenheit die Anwendung des § 21 nicht rechtfertigt, bleibt sie SZM-relevant.)447 Daß ein im Gesetz genanntes Kriterium wie der in § 21 zum Ausdruck kommende Faktor verminderter Fähigkeit zu normgemäßem Handeln auch über die Frage des anzuwendenden Strafrahmens hinaus Bedeutung für die 442 So etwa Bruns •.•.0. und 1985, 146 C. 443 Oben, B.m.2.b. 444 Rudolphi •.a.O., 113 C. 445 Soeben dd. 446 Dazu noch sogleich und näher bei B.m.4.b.ee. sowieB.m.5.b.ee.(I). 447 So die h.M.; vgl. Lenekner in Seh/Seh § 21 Rn 25; BNns 1985, 204; Laekner 1989 § 46 Anrn. IV.2.b.
m. 2. Positionsbestimmung zu einigen den Sehuldbegriffbetreffenden Grundsatzfragen 139
SZM haben muß, zeigt sich im übrigen nicht nur unterhalb der Erheblichkeitsgrenze des § 21, sondern auch dort, wo § 21 angewendet wird. Für die Konkretisierung der SZM-Entscheidung innerhalb des nach § 21 veränderten Strafrahmens kann zwar nicht die Tatsache erheblich verminderter Vermeidemacht selbst herangezogen werden (§ 46 Abs. 3); es ist aber anerkannt, daß das spezifische Ausmaß dieser SZM-Tatsache Berücksichtigung fmden muß 448 • Ähnliches ergibt sich auch aus § 17. Auch hier legt es bereits der Gesetzestext nahe, den Grad der Vermeidbarkeit auch innerhalb des jeweiligen Strafrahmens zu berücksichtigen449 • Eine völlige Außerachtiassung der Komponente geminderter Vermeidemacht im Rahmen der SZM-Schuld verbietet sich somit bereits im Hinblick auf den Gesetzestext. Ein solcher Verzicht würde aber auch außerhalb derjenigen Fallgruppen eingeschränkter Vermeidemacht, die in Vorschriften wie etwa § 17 und §§ 20, 21 ausdrücklich umschrieben sind, auf Bedenken stoßen. Eine Auffassung, derzufolge eingeschränkte Vermeidemacht auch für die SZM nur in solchen Fallgruppen Bedeutung hätte, die vom Gesetz bei strafrahmenbildenden Normen bereits ausdrücklich angesprochen sind, so daß eingeschränkte Vermeidemacht auch bei Anwendung des § 46 Abs. 1 S. 1 im wesentlichen im Umfeld der in §§ 20, 21 umschriebenen sog. ftbiologischen ft Konstellationen zu prüfen wäre450 , kann ebenfalls nicht überzeugen. Sie würde es z.B. verbieten, solche denkbaren Fälle wenigstens im Rahmen der SZM-Schuld zu berücksichtigen, in denen allein aufgrund komplexer lebensgeschichtlicher Umstände die Fähigkeit zu normgemäßem Verhalten deutlich gemindert ist451 . Zwar mag die Behauptung zutreffend sein, daß die gegenwärtige Praxis mögliche Erschwernisse des AHKs, die aus lebensgeschichtlichen Mängellagen resultieren, nur in geringem Umfang berücksichtigt452 • Aus Gleichheitsgesichtspunkten dürfte auch viel dafür sprechen, den Versuch allzu individueller Differenzierungen unterschiedlich großer Freiheitsspielräume zumindest nicht zu weit zu treiben. Erwägungen dieser Art wird noch nachzugehen sein453 • Es liegt jedoch nahe, daß auch eine Beschneidung solcher Dif448 Vgl. BGHSt 26, 311; BGH StV 1987, 530; Laekner 1989 § 49 Anm.5.; Stree in Seh/Seh § 46 Rn 49; Bruns 1985,207 f. 449 Vgl. Lackner 1989 § 17 Anm. 5.b. 450 Auch so könnte man Stratenwerth 1972, 31 ffverstehen. 451 Vgl. Rudolphi a.a.O., 112; Sehönebom a.a.O., 272 ff. 452 Jakobs 1976, 15,25 ff; Oswald GA 1988, 147 ff, 161. 453 Bei B.ID.4.b.ee. und bei B.m.5.b.ee.(l).
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B. Vorstrafenbel.stung und StrafLumessungsschuld
ferenzierungen nicht über ihr Ziel hinausschießen darf. Vor allem Rudolphi und Schöneborn haben überzeugend dargelegt, daß eine kompromißlose Entleerung des Schuldbegriffs von täterbezogenen Gesichtspunkten veränderter Vermeidemacht zu wenig tragbaren Konsequenzen führen und sich in doch nicht unerheblichem Maße zum Nachteil gerade der persönlichkeitsgeschädigten, aber noch voll zurechnungsfähigen Täter auswirken würde454 . Es dürfte deshalb zu weit gehen, wenn jegliche Erschwernisse des AHKs, auch gravierende und solche, die unzweifelhaft455 "unverschuldet" erworben wurden, von vornherein als Faktoren, die die persönliche Schuld des Täters mindern könnten, eliminiert würden. Auch wenn erhebliche Bedenken gegenüber der gegenwärtig zu beobachtenden Überfrachtung des Kriteriums des AHKs bestehen, so wäre es somit voreilig und sowohl angesichts der Systematik des StGBs als auch im Hinblick auf plausible Ansprüche materieller Gerechtigkeit unangemessen, das Kriterium im Rahmen des Versuchs einer inhaltlichen Ausfüllung des SZMSchuldbegriffs von vornherein ganz außer Betracht zu lassen. Es deutet sich an, daß sich insbesondere die schuldmindernde Bedeutung dieser Kategorie nicht gänzlich wird leugnen lassen. gg) Schlußfolgerung: Die Notwendigkeit eines strukturierten, mehrgliedrigen Modells der SZM-Schuld Damit ist deutlich geworden, daß sich eine inhaltliche Erfassung des Begriffs der SZM-Schuld nicht wird in einer Komponente erschöpfen lassen. Auf eine zumindest innerhalb gewisser Grenzen korrigierende Berücksichtigung des AHKs kann nicht verzichtet werden. Da dieses Kriterium andererseits zur hinreichenden Erfassung aller notwendig im Rahmen der SZM zu berücksichtigenden Faktoren nicht in der Lage ist, muß es durch zumindest eine weitere Komponente ergänzt werden. Zur inhaltlichen Ausfüllung des SZM-Schuldbegriffs wird also auf offenbar mehrere Komponenten zurückgegriffen werden müssen. Auch in der Literatur und Rechtsprechung wird häufig kumulativ auf mehrere Kriterien verwiesen, die im Rahmen des § 46 Abs. 1 S. 1 zu berücksichtigen seien ("Tat/ Täter"; "TatlTätermotivelTäterpersönlichkeit"; "Unrecht/Schuld" etc. )456. Entsprechend dem oben formulierten Anspruch rechtsstaatlicher Präzisierung
454 Rudolphi und Schönebom •.•. 0. 455 D. h. selbst bei Einbeziehung der Lebensführung. Siehe dazu näher bei B.rn.4.b.cc.(2) 456 Siehe d.zu sogleich, B.rn.3 .•.••.
m. 3. Die Struktur der StralZumessungsschuld
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wird es sich vorliegend jedoch als notwendig elWeisen, die in Betracht kommenden Komponenten und ihr Verhältnis zueinander abschließend zu bestimmen. Zu suchen ist daher nach einer inhaltlichen Erfassung des SZM-Schuldbegriffs, die mehrere Komponenten benennt, diese jedoch nicht als eine möglicheIWeise ergänzbare und im Verhältnis zueinander ungeklärte Aufzählung begreift, sondern die verschiedenen Komponenten in ein präzisiertes Verhältnis zueinander setzt. Im folgenden Abschnitt ist deshalb die Struktur der SZM -Schuld zu untersuchen. 3. Die Struktur der SZM-Schuld a) Derzeitiger Wissensstand aa) Die Unterscheidung von Tat- und Täterkomponenten bei Bruns Die oben dargelegte Auffassung, daß es geboten sei, den grundlegenden Begriff der SZM-Schuld näher zu strukturieren, ein möglichst geschlossenes System seiner Komponenten zu entwerfen, entspricht bislang keineswegs allgemeiner Auffassung. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß während auf der Ebene der Strafbegründung (dem "Ob") differenzierte Systeme vorliegen und in den Grundzügen weithin anerkannt 8ind457 , entsprechende Systematisierungen, die über die Erörterung des Verhältnisses von Schuld und Prävention hinausgehen und den Schuldbegriff näher strukturieren, im Bereich der SZM-Schuld offenbar übelWiegend nicht für nötig gehalten werden 458 • Kennzeichnend für diese Situation ist selbst das in der SZM-Dogmatik unumstritten führende Werk von Bruns459 • Bruns hat den Gesamtstoff des SZMRechts in seinem Lehrbuch strukturiert und handhabbar gemacht. Dabei legt er die auf Spendel zurückgehende Dreiteilung in finale, reale und logische SZM-ElWägungen zugrunde460 . Bruns beschäftigt sich eingehend mit dem
457 So die Unterscheidung in Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld; aber auch die materielle Differenzierung innerhalb des aus Tatbestand und Rechtswidrigkeit gebildeten Unrechts nach Handlungs- und Erfolgsunrecht. 458 Auf vereinzelt vorhandene Systematisierungsansätze wird später, unter B.m.3.d. noch eingegangen. 459 Zuletzt Bruns 1985. Siehe aber auch die Hinweise auf Günter Hirsch, Dreherrrröndle, Stree und Jescheck in Fn III bei B.m.2.d. und ausdrücklich Bruns 1988,45. 460 VgI. Spendel1954, 191 ff; Bruns 1974, 52 ff; 1985,6.
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B. Vorstrafenbelastung und StrafLumes8ungsschuld
Verhältnis von Schuld und Prävention461 . Er bekennt sich zum - zwischenzeitlich auch in § 46 Abs. 1 S. 1 gesetzlich zum Ausdruck gekommenenVorrang des Schuldprinzips462. Ausdrücklich vertritt auch er (nunmehr) das Hierarchiekonzept von Schuld und Prävention, das mit dem Stichwort "Prävention im Rahmen der Repression" umschrieben wird463 . Auf diesem fruchtbaren Boden wäre zu erwarten, daß auch die "systematische Einteilung der SZM-Tatsachen"464 zunächst zwischen repressionsrelevanten und präventionsrelevanten SZM-Tatsachen unterscheidet und anschließend sowohl für den Bereich der Repression, also die Kategorie der SZMSchuld, wie für den Bereich der Prävention eine Strukturierung vorangestellt würde, in die sich die einzelnen SZM-Faktoren einzupassen haben. Diesen Weg geht Bruns jedoch nicht. Bruns läßt sich von dem Beispielskatalog des § 46 Abs. 2 leiten465 und verzichtet, trotz der gedanklichen Vorarbeit, ebenso wie dieser Katalog bei der Behandlung der Einzelprobleme auf eine durchgängige Trennung von Schuld- und Präventionsrelevanz. (So fehlt bei Bruns, worauf neuerdings Frisch hingewiesen hat, etwa ein eigenes Kapitel, in dem präventionsrelevante Faktoren - inclusive deren Möglichkeiten und Grenzendiskutiert werden. )466 Bruns strukturiert seine, überwiegend schuld-, teilweise aber auch präventionsbezogenen Ausführungen statt dessen in "zwei Hauptgruppen": SZMTatsachen, die die Tat und solche, die den Täter charakterisieren467 . Sowohl tat- wie täterbezogene Umstände kommen demzufolge als schuldrelevant in Betracht. Dem SZM-Schuldbegriff Brunst liegen somit offenbar zwei Komponenten zugrunde: die Tat als verschuldetes Unrecht und die Täterpersönlichkeit, soweit sie schuldrelevant ist468. Eine allgemeine Erörterung dazu, anhand welcher Kriterien sich entscheiden ließe, unter welchen Umständen die Täterpersönlichkeit schuldrelevant und wann sie allenfalls präventionsrelevant sein soll, fehlt jedoch weitgehend. Bruns unternimmt nicht etwa den Versuch, den Inhalt des Schuldbegriffs zunächst durch eine umfassende Definition zu umreißen, um anband eines sol461 Bruns 1985, 81 ff; ausführlich 1974, 196 ff. 462 Bruns 1985, 89 ff. 463 Bruns 1985, 92, 105-109; ausführlich 1974,263-283. 464 So der Titel des 2. Kapitels im 4. Hauptteil, 1985, 144. 465 Vgl. Bruns 1985, 144; ausdrücklich auch 1974, 383. 466 Frisch ZStW 99 (1987), 317. Bruns gesteht die Berechtigung dieses Einwands in seiner Erwiderung 1988, 21 f, 41-43, ausdrücklich zu. 467 Bruns 1985, 144; vgl. auch 1974,384 ff, 388; Bruns 1988, 53 spricht diesbezüglich von zwei "Grundpfeilern" der SZM. Ebenso K10se 1989,23 ff. 468 Vgl. Bruns 1985, 144 ff, 191 ff; 1974,383 ff, 388, 478.
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chen Obersatzes die Leitlinien dafür, wann tat- und täterbezogene Umstände Schuldrelevanz genießen können, zu gewinnen. Statt dessen wendet er sich, anband der Zweiteilung TatlTäter in Anlehnung an die Auflistung des § 46 Abs. 2, unmittelbar den jeweiligen Einzelproblemen zu und erörtert nur im jeweiligen Einzelfall, welche Umstände er für schuldbedeutsam und welche Umstände er für unbedeutsam hält. In der Sache läßt sich erkennen, daß Bruns täterbezogene Umstände insgesamt in recht weitem Umfang in den Schuldbegriff einbeziehen möchte. Bruns verkennt nicht, daß eine bereits im Rahmen der Schuld erfolgende Berücksichtigung der Täterpersönlichkeit Einwänden ausgesetzt ist. Er hält jedoch eine "Ganzheitsbetrachtung von Tatgeschehen und Täterpersönlichkeit" für notwendig469 • Dem Vorwurf, damit der Sache nach auf Lebensführungsschuld- oder Charakterschuldkonzepte zurückzugreifen, meint er mit der mehrfach unterstrichenen Forderung begegnen zu können, daß die Würdigung der Täterpersönlichkeit zwar umfassend aber stets "tatbezogen" zu erfolgen habe470 •
Auf die Schwierigkeiten einer solchen Differenzierung wurde bereits hingewiesen471 • Auch bei Bruns fiillt es schwer, präzise Kriterien dafür zu finden, wann eine solche "Ganzheitsbetrachtung" noch "tatbezogen" ist und wann der Tatbezug entfiillt. Auch das Bruns'sche Konzept verleitet somit zu dem Eindruck, daß sich all diejenigen Umstände aus der Täterpersönlichkeit für die SZM-Schuld verwenden lassen, die eine irgendwie geartete Gemeinsamkeit, irgendeinen inhaltlichen "Bezug" zur vorliegenden Tat aufweisen. Mit der Frage jedoch, wieso "tatbezogene" Persönlichkeitsfaktoren für die Tatschuld relevant sein sollen, setzt Bruns sich nicht grundsätzlich auseinander472 • Deren regelmäßige Berücksichtigungslahigkeit hält er, in Übereinstimmung mit der gefestigten Rechtsprechungspraxis, offenbar für weitgehend selbstverständlich473 • 469 Bruns 1985, 191; aufrechterhalten 1988,49 f, 53-55. 470 Bruns 1985, 192; 1988, 53. Vgl. auch Bruns 1974, 388: es gehe um ein ·richtig verstandenes· tatbezogenes Täterprinzip. Ähnlich argumentieren auch Günter Hirsch, Dreherrrröndle, Stree und Jescheck a.a.O. (Fn 111 bei B.m.2.d.). 471 Oben, bei B.ß.2.e. und B.m.2.c.cc. 472 Vgl. Bruns 1985, 191 tT; siehe auch Bruns 1974,478 tT. 473 Bei dieser Vorgehensweise verblüffi es nicht, daß das hier diskutierte Problem, ob die Vorstrafenbelastung überhaupt Relevanz für die SZM-Schuld habe und haben dürfe, bei Bruns, trotz einer umfangreichen Behandlung des Verhaltens vor der Tat, kaum in den Blick gerät. (Den A'Jsgangspunkt der diesbezüglichen Erörterungen bildet bei Bruns die Erwähnung dieses Merkmals in § 46 Abs.2. Daß das Vorleben auch SZM-schuld- und nicht etwa nur präventionsrelevant sein muß, erscheint ihm - auch insoweit dem common sense der Strafrechtspraxis entsprechend - wenig zweifelhaft. Bruns beschränkt sich bei der Erörterung der Schuld relevanz des Vorlebens vor allem auf den Nachweis, daß dessen Berücksichtigung nicht nur auf
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B. Vorstrafenbelastung und Strafzumcssungsschuld
Somit bleibt unklar, wo genau die dogmatischen Grenzen gegenüber einer präventiven Durchdringung des Schuldverständnisses - Bruns zufolge - zu verlaufen haben. Solange man eine "Gesamtschau"474 der Täterpersönlichkeit bereits im Hinblick auf die Schuld verlangt, liegt stets zumindest die Gefahr nahe, daß die Täterpersönlichkeit vermittels einer solchen "Ganzheitsbetrachtung"475 auch bei Betonung des Tatbezugs strukturell zu einer eigenen umfassenden Komponente gerät, die neben der Komponente der verschuldeten Tat, wenn auch nur soweit auf diese bezogen, strafschärfend und strafmildernd eigenes Gewicht erlangt. Eine solche Konzeption begegnet dann jedoch faktisch den gleichen Einwänden, wie sie oben im Hinblick auf die Charakterschuldlehren dargelegt wurden. Wie dort gezeigt, impliziert die Ablehnung der Lebensführungs- und Charakterschuldlehren eben nicht nur die Absage an eine - auch von diesen kaum propagierte - moralisierende Gesamtabrechnung mit dem Täter. Auch eine die Würdigung der Tat ergänzende Berücksichtigung der Tätergefiihrlichkeit (in zudem kaum präzisierbarer Gewichtung) begegnet durchgreifenden Bedenken476 . I
Die von Bruns vorgenommene Einteilung der SZM-relevanten Faktoren in tatbezogene und täterbezogene ist jedoch, seinem eigenen Verständnis zufolge, wohl auch eher als eine pragmatische Aufteilung der Stoffülle SZMrechtlicher Probleme zu verstehen. Bruns selbst erhebt gar nicht den Anspruch, mit dieser Differenzierung abschließend und dogmatisch eingrenzbar Komponenten zu bezeichnen, die den Begriff der SZM-Schuld inhaltlich definieren könnten.
der Basis der Lcbensführungsschuld denkbar sei. Er stützt sich dabei auf die von ihm maßgeblich vertretene "Indizkonstruktion" , vgl. dazu oben, B.l1.2.d. Die Frage, für welche Aspekte der Schuld Indizien aus dem Vorleben Bedeutung haben können, behandelt er jedoch nur knapp. Bruns verweist recht pauschal auf die im Rahmen der Schuld unvermeidbare Berücksichtigung tatbezogener Komponenten der Täterpersönlichkeit. "Betrachtet wird in all diesen Fällen nur die Tat, die Strafe aber angepaßt an die Tätcrpersönlichkeit", Bruns 1985, 222. Es sind dementsprechend nicht die hier erörterten Grundfragen, sondern, auf dem Boden einer grundsätzlichen Bejahung der Schuldrelevanz der Vorstrafenbelastung, wichtige Dctailfragen - Einschlägigkeit der Vorstrafen, Zeitspanne zwischen Vorverurteilung und Rückfalltat, Berücksichtigung getilgter, amnestierter, verjährter oder nicht abgeurteilter Vortaten etc. -, denen Bruns' besondere Aufmerksamkeit gilt, vgl. Bruns 1985,219-229; siehe auch 1974, 562-591.) 474 Bruns 1985, 144, 191. 475 Bruns, wie Fn zuvor; K10se 1989,21 fm.w.N. 476 Vgl. oben, B.m.2.c. Die Ausführungen von Bruns lassen dagegen erkennen, daß auch er im Grunde offenbar eine sehr starke Harmonisierung mit präventiven Zwecken anstrebt (obwohl dies die von ihm zuvor befürwortete Trennung nach dem Prinzip "Prävention im Rahmen der Repression" fast überflüssig erscheinen läßt); vgl. Bruns 1985, 191, 144 f; 1974,396,384 ff.
m. 3. Die Struktur der Strafzumessungsschuld
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Die weitverbreitete Unterscheidung zwischen tat- und täterbezogenen Umständen ist auch deshalb als Grundlage des hier zu unternehmenden Strukturierungsversuchs nicht geeignet477 • bb) Tatunrecht und AHK als wesentliche Anknüpfungspunkte der herrschenden Meinung Für den vorliegenden Ansatz hilfreich ist dagegen der auch von Bruns verwendete Begriff des "verschuldeten Unrechts "478. Bruns bezeichnet damit einen von offenbar mehreren seiner Auffassung nach berücksichtigungsfähigen Komplexen479 • Daß das "Unrecht" der Tat eine Größe darstellt, die auch bei der SZM zu berücksichtigen ist, wurde im Verlauf der vorangegangenen Darlegungen zwar bereits mehrfach erwähnt, bislang aber weitgehend vernachlässigt, da bei vielen Konzeptionen - gerade bei denjenigen, die im Rahmen der Erörterungen der Vorstrafenbelastung herangezogen werden - die Kategorie des AHKs ganz im Vordergrund steht. Trotz dieser häufig zu beobachtenden Dominanz von am AHK orientierten Ausführungen entspricht es jedoch allgemeiner Auffassung, daß (auch) das Tatunrecht für die SZM eine erhebliche (wie auch immer dogmatisch zu präzisierende) Rolle spielt480 • Dafür, daß dieser SZM-Faktor der Sache nach weitgehende Akzeptanz genießt, läßt sich vor allem der Umstand anführen, daß allgemein anerkannt ist, daß etwa die
477 Vgl. Bruns 1974, 383, 388 und nun ausdrücklich Bruns 1988, 45, 7-9, 67 f. Bruns selbst beschreibt a.a.O. in einer Erwiderung auf Frisch die Unterschiede der ihm eigenen phänomenologischen, induktiven Vorgehensweise gegenüber der von Frisch praktizierten deduktiven Analyse. Auch wenn hier - insoweit Frisch folgend - eine eher deduktive Betrachtung für sachgerecht erachtet wird, sind die von Bruns a.a.O. herausgearbeiteten Gefahren einer solchen, zunächst an Strukturfragen orientierten Analyse nicht zu vernachlässigen. In einer Diss. muß es jedoch erlaubt sind, zunächst den deduktiven Weg zu wählen. Auf die Frage praktischer Umsetzbarkeit soll im Teil C.IV. eingegangen werden. 478 Bruns 1974, 392 f; 1985, 145; 1988,26,47. 479 Siehe den Abschnitt zuvor. 480 Vgl. neben Bruns a.a.O. Zipf in M/G/Z § 63 Rn 19-21, 24 fT; Günter Hirsch in LK § 46 Rn 9 f; Horn in SK § 46 Rn 41 fT; DreherlTfÖndle 1988 § 46 Rn 31; Lackner 1989 § 46 Anm. m.l.; BaumannlWeber 1985, 626 f; Jescheck 1988, 792; ferner Nowakowski Schw ZStrR 1950, 304 fT; Horstkotte JZ 1970, 125; Hertz 1973, 54; Hettinger 1982, 119; Burgstaller ZStW 94 (1982), 134 (m.w.N. für Österreich); Theune StV 1985, 162; Walter GA 1985, 197 fT, 203; Frisch ZStW 99 (1987), 380 fT; Günther 1990, 453 fT; sowie drei Fn später und die Hinw. auf Beling, Dreher, Darmis u.a., oben, Fn 111 bei B.III.2.d. Aus der Rspr.: BGHSt 20, 266; BGH NStZ 1987,405. 10 Erhard
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B. Vorstrafenbelastung und StrafZumessungsschuld
"Schwere der Tat" ein wichtiges SZM-Kriterium bildet und insbesondere die Höhe des Schadens nicht außer Betracht bleiben kann481 • Nachdem aber bereits im Rahmen der vorangegangenen Erwägungen dargelegt wurde, daß sich Umstände wie der Taterfolg und die Schadenshöhe nicht als Subkriterien des AHKs verstehen lassen, deuten sich mit dem "Unrecht" der Tat, zu dem Umstände wie etwa Taterfolg und Schadenshöhe zu zählen wären und dem auf dieses bezogenen AHK zwei eigene Komponenten der SZM an, die eine eingehendere Betrachtung verdienen. Bedenkt man, daß oben482 nicht nur für den Taterfolg, sondern noch für eine ganze Reihe weiterer Merkmale in Zweifel gezogen wurde, daß diese sich als Kriterien des Dafürkönnens einordnen lassen, so liegt die Vermutung nahe, daß es sich auch bei diesen Umständen möglicherweise eher um SZM-relevante Modifikationen des "Unrechts", denn um solche des "AHKs" handelt. Dieser Vermutung soll hier näher nachgegangen werden: Es ist denkbar, daß das "Tatunrecht" und das (darauf bezogene) "AHK" als die beiden zentralen Strukturkomponenten der SZM-Schuld zu begreifen sind. Eine solche Auffassung kann sich zunächst auf eine Fülle von Hinweisen in Literatur und Rechtsprechung berufen. Häufig findet sich die Formulierung, grundlegend für die SZM seien sowohl das Ausmaß des Unrechts wie das Ausmaß der "persönlichen Schuld" des Täters, wobei letzterer Schuldbegriff überwiegend an den üblichen Kategorien von Vorwerfbarkeit und Dafürkönnen orientiert wird483 .
481 Vgl. etwa Bruns 1985, 153; Zipf, Günler Hirsch, lescheck a.a.O. Spendel 1954,202 ff; Frisch a.&.O., 751. 482 Unter B.m.2.d.cc. 483 Vgl. aus der Rspr. der Strafgerichte: BGHSt 20, 266; BGH NStZ .987, 405 = MDR 1987, 859; OLG Karlsruhe NStZ 1983, 75. Ebenso Günter Hirsch in LK § 46 Rn 9; lescheck 1988, 792; Dreherrrröndie 1988, § 46 Rn 4; Ebert 1985, 222; 8ockeimannNoik 1987, 56 f; Böhm 1988, 129; siehe auch Bruns 1985, 145 f; Zipf in M/G/Z § 63 Rn 21; ferner No1l1966, 231; Müller-Dietz 1967, 80 f; Mir Puig ZStW 86 (1974), 175 ff; Hettinger 1982, 119; Walter GA 1985, 203; Theune StV 1985, 162; Revel 1989, 40 f; Klose 1989, 21, 39; Günther lZ 1989, 1027, 1028 und 1990,453 ff, 454; Montenbruck 1989,68 ff, 76; Grasnick lA 1990,86. Auch das BVerfG betont in ständiger Rspr., daß die verhängte Strafe in einem gerechten Verhältnis zur "Schwere der Tat und zum Maß der Schuld des Täters" stehen müsse, BVerfGE 6, 439; 25, 286; 27, 29; 45, 228, 260; 50, 12; 50, 133. In BVerfGE 50, 12 (lebenslange Freiheitsstrafe für einen erheblich vermindert schuldfähigen Mörder) wird sogar ausdrücklich betont, daß es "verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (ist), wenn daß Maß der Schuld nicht ausschließlich an der Schuldflihigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB ausgerichtet wird".
ID. 3. Die Struktur der StrafLumessungsschuld
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b) Kritik verbreiteter, mit Unrecht und Schuld arbeitender Auffassungen Aber auch gegenüber vielen deljenigen, die im Kontext der SZM mit den Begriffen Unrecht und Schuld arbeiten, bleiben drei eng zusammenhängende Einwände offen, die für den hier vertretenen Ansatz prägende Bedeutung haben. aa) Das unklare Verhältnis der Begriffe Unrecht und Schuld im Rahmen der SZM Als wichtigster Einwand ist zunächst auf die unklare Verwendung der Begriffe Unrecht und Schuld zu verweisen, an der die SZM-Diskussion vielfach leidet. Im Rahmen der das Ob der Strafbarkeit betreffenden Verbrechenslehre werden die Begriffe Unrecht und Schuld überwiegend als zwei sich gegenseitig ausschließende (wenn auch aufeinander bezogene) Kategorien verstanden. Das Unrecht ist dort als eine eigenständige Systemkategorie anerkannt. Daß das Unrecht eine Kategorie mit selbständiger systematischer Bedeutung ist, ergibt sich für die Verbrechenslehre bereits aus der Systematik des StGBs. Die Einzeldelikte des Besonderen Teils lassen sich nur als Typisierung unterschiedlichen Unrechts verstehen. Dementsprechend wird im Rahmen der Systemkategorie Unrecht zunächst eigenständig geprüft, ob und nach welchen Vorschriften sich der Täter strafbar gemacht haben könnte (Tatbestand und Rechtswidrigkeit). Erst im Anschluß hieran wird im Rahmen einer zweiten (bzw. dritten) Stufe die auf dieses Unrecht bezogene Schuld als zusätzliche Voraussetzung der Strafbarkeit geprüft. Es ergeben sich hier etwa die Fragen der §§ 19, 20, 17, 33, 35484 • Betrachtet man nun den Bereich der SZM, so zeigt sich, daß zwar auch dort das Unrecht überwiegend für relevant erachtet wird. Es wird die Auffassung vertreten, daß sich die Bedeutung des Unrechts nicht in dem Ob der Strafbarkeit und in der Festlegung des gesetzlichen Strafrahmens erschöpfe. Auch innerhalb dieses Rahmens, bei der SZM, müßten konkrete Modifizierungen des Unrechts (etwa die konkrete Höhe des Schadens) berücksichtigt werden485 • Diese Meinung gerät jedoch in gewisse, meist nicht ausgesprochene Schwierigkeiten angesichts des Wortlauts des § 46 Abs. 1 S. 1. In Anlehnung an die beiden Systemkategorien der Strafbegründung hätte es, insbesondere 484 Vgl. exemplarisch Jescheck 1988, 382 f; Ebert 1985, 23 ff; Wesseis 1989, 110 f; Haft 1987, 11 f; näher bei B.ID.3.f. 485 Vgl. vorletzte Fn.
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B. Vorstrafenbelastung und StrafLumessungsschuld
wenn man die SZM als Konkretisierung der beim Ob der Strafbarkeit zu behandelnden Wertentscheidungen begreift, nahegelegen, als Grundlage der SZM in § 46 Abs. 1 S. 1 Unrecht und Schuld zu bezeichnen. § 46 Abs. 1 S. 1 erwähnt jedoch das Unrecht nicht, sondern spricht nur von der "Schuld" als Grundlage der SZM. Wenn Rechtsprechung und Literatur dennoch häufig Unrecht und Schuld als die entscheidenden Kategorien der SZM bezeichnen, so scheint hier zunächst ein Widerspruch vorzuliegen. Dieser (scheinbare) Widerspruch wird allerdings nur selten thematisiert486 • Zu seiner Auflösung bieten sich mehrere Lösungswege an: Man könnte zunächst die Auffassung vertreten wollen, daß das Unrecht zwar nicht Gegenstand der Systemkategorie Schuld, sondern ein aliud sei, daß es sich aber dennoch quasi von selbst verstehe, daß im Rahmen des § 46 Abs. 1 S. 1 neben der Schuldhöhe auch die konkrete Unrechtshöhe mitberücksichtigt werden müsse487 • Eine solche Auffassung wäre jedoch angesichts des deutlichen Wortlauts dieser Vorschrift, die ausdrücklich nur die "Schuld" als "Grundlage" der SZM apostrophiert, sehr bedenklich. Gegen sie spräche zudem, daß in § 46 Abs. 2 zur Ausfüllung des Abs. 1, mithin gerade zur Ausfüllung der "Schuld", ausdrücklich auf die verschuldeten" Auswirkungen der Tat", Kategorien also, die nach dem bisher Gesagten eher dem Unrecht und nicht allein dem AHK zuzuordnen wären, verwiesen wird. In Literatur und Rechtsprechung zu SZM-Fragen wird deshalb in aller Regel auch dann, wenn der Begriff des Unrechts verwendet wird, der Versuch unternommen, dieses "Unrecht" als schuldrelevant in den Schuldbegriff des § 46 Abs. 1 S. 1 mit einzubeziehen.
Dies geschieht etwa mit Hilfe der erwähnten Formulierungen, wonach das Dafürkönnen für um so größer erachtet wird, je größer das Unrecht sei 488 • Dem liegt die oben dargelegte Vorstellung zugrunde, daß die (angeblich die Schuld ausmachenden) Tathemmungen des Menschen um so stärker ausgeprägt seien, je gravierender das in Betracht kommende Unrecht ist. Weil die dem Menschen innewohnende Tötungshemmung größer als die Hemmung gegenüber einer Sachbeschädigung sei, wiege auch seine Schuld schwerer489 • Auch in diesem Zusammenhang wird von einigen versucht, die empirischen Schwierigkeiten einer solchen Betrachtungsweise mit dem Hinweis auf die
486 Siehe aber Muller-Dietz 1967, 80. 487 So offenbar Arthur Kaufmann 1961,255-258. 488 Vgl. die Hinweise auf Beling, Dreher, Böhm u.a., oben bei B.III.2.d. 489 Vgl. ausdriicklich Beling 1908, 64.
m. 3. Die Struktur der Strat'zumessungsschuld
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"Normativität" des Schuldbegriffs ZU überwinden490 . Die Problematik einer solchen Betrachtungsweise ist aber bereits erläutert worden491 • Häufig wird allerdings auch von denen, die den Terminus Unrecht bei der Betrachtung der SZM-Schuld verwenden, eine explizite Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Unrecht und Schuld bei der SZM vermieden. Man begnügt sich meist mit der etwas allgemeineren Bemerkung, daß die Schuld stets auf das Unrecht "bezogen" sei, das Unrecht demzufolge für die Höhe der Schuld "mittelbare" Bedeutung haben müsse492 . Gerade in jüngerer Zeit ist in der SZM-Dogmatik einerseits ein gewisses Vordringen von unterschiedlichen, das Unrecht als Kategorie der SZM stärker betonenden Ansätzen zu bemerken, andererseits dauert die verbreitete, gleichwohl selten offengelegte Unsicherheit bezüglich des dogmatischen Weges an, auf dem eine solche Einbeziehung zu erfolgen habe. Kennzeichnend für die verstärkte, aber eher unbestimmte Betonung des Unrechtsbezugs ist die Formulierung Lackners, der neuerdings betont, das Unrecht sei der "Anknüpfungspunkt" der SZM-Schuld493 • Für eine solche Einbeziehung des Unrechts in die SZM-Schuld des § 46 Abs. 1 S. 1 mag, wie sich später noch zeigen wird, in der Sache viel sprechen. Es ist jedoch zunächst geboten, sich Klarheit über den dogmatischen Weg zu verschaffen, der diese Einbeziehung ermöglichen könnte. Die erwähnte, weitverbreitete allgemeine Behauptung, das Unrecht sei auch in der SZM von Bedeutung, weil Schuld stets auf Unrecht "bezogen" sei, kann dabei nicht ausreichen. Ihr ist folgendes entgegenzuhalten:
490 Vgl. dazu Haft1ce 1984,205 Fn 24. 491 Oben, B.m.2.d. 492 So die meisten der oben, neun Fn zuvor Genannten, insb. BGH NStZ 1987,405; Bruns 1974,392 f; 1985, 145 f; Jescheck 1988, 792; Günter Hirsch in LK § 46 Rn 9 f; K10se 1989, 21,39. Im übrigen ist auch hier auf die bereits früher, bei Fn 111 zu B.m.2.d., beschriebene, insb. in den Kommentierungen zu § 46 zu beobachtende Vermeidungshaltung zu verweisen: Eine ausdrückliche Definition des Begriffs der SZM-Schuld (die gerade auch zu dem Verhältnis von Unrecht und Schuld Stellung zu nehmen hätte) wird durchweg vennieden. Häufig werden die Schwierigkeiten vor allem dadurch überdeckt, daß man Schuld im Sinne von § 46 Abs. 1 S. 1 ebenso als "Vorwerfbarkeit" definiert, wie Schuld im Sinne der §§ 20, 21. Dadurch wird (möglicherweise unbewußt) kaschiert, daß man der Sache nach unter "Vorwerfbarkeit" hier häufig etwas anderes versteht als dort; siehe etwa Günter Hirsch in LK § 46 Rn 5. 493 Lackner, erstmals 1989, § 46 Anm. m.l.; vgl. auch Wesseis 1989, 113, der zudem a.a.O. ebenfalls eine das Unrecht gegenüber der Gesinnung stärker akzentuierende KlarsteIlung unternommen hat (die noch in 1988, 112 fehlte). Ferner Revel 1989, 40 ff; Günther JZ 1989, 1027, 1028 sowie die Nachw. in der vorangegangenen Fn, insb. BGH a.a.O. Eine nachdrückliche Betonung des Unrechts als Kategorie der SZM (wenn auch keine Erörterung von Einzelheiten) enthält zudem ein jüngst erschienener Beitrag von Günther 1990, 453 ff.
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B. Vorstrafenbelastung und StrafLumessungsschuld
Es liegt die Vermutung nahe, daß in dem Moment, in dem Unrecht und Schuld nicht mehr, wie in der Verbrechenslehre üblich, als zwei verschiedene Stufen betrachtet werden (die zwar aufeinander bezogen sind, jedoch begrifflich einen Gegensatz darstellen), sondern das Unrecht, auf welchem Weg auch immer, in den Schuldbegriff integriert wird, dieser seine Natur ändert. Ein Schuldbegriff, der sich als Ergänzung zum Unrecht versteht, muß einen anderen Inhalt haben als ein Schuldbegriff, der als übergreifende Kategorie das Unrecht bereits mit einschließt494 . Es ist daher eine begriffliche Differenzierung geboten: Der Schuldbegriff, der im Rahmen der Verbrechenslehre verwendet wird und der sich zentral am AHK orientiert, ist nicht die einzige Voraussetzung für das Ob der Strafbarkeit, sondern stellt, wie erwähnt, nur eine nachrangige Prüfungsstufe dar. Die Frage, ob der Täter hätte anders handeln können, gibt nur einen Sinn in bezug auf bereits vorliegendes Unrecht. Im Rahmen der Verbrechenslehre wird das Unrecht jedoch wie erwähnt nicht in die Schuldprüfung gemischt, sondern zunächst als eigenständige Kategorie untersucht. Es ist Gegenstand der Tatbestands- und Rechtswidrigkeitsprüfung. Zwar gilt auch bei der StrafbegrüDdung, daß die Schuld stets auf das Unrecht bezogen sein muß; die Prüfung der Schuld ist bei fehlendem Unrecht nicht möglich495 . Wenn Unrecht und auf dieses bezogene Schuld gemeinsam betrachtet werden, spricht man jedoch üblicherweise von "Strafbarkeit": Das Ergebnis der Prüfung von Unrecht plus Schuld ist, daß der Täter sich (gemäß einer bestimmten Strafvorschrift) "strafbar" gemacht hat496 . Allerdings wird in der strafrechtlichen Judikatur und noch mehr im allgemeinen Sprachgebrauch zur Kennzeichnung des Produkts von Unrechts- und Schuldprüfung statt "Strafbarkeit" häufig auch die übergreifende Formulierung gebraucht, der Täter sei dieses Vergehens "schuldig"497. Dieser verbreitete Sprachgebrauch läßt bereits erkennen, daß auch im Rahmen der Strafbegründung in Wirklichkeit zwei gedanklich zu trennende Schuldbegriffe verwendet werden: Schuld kann einmal die zum Unrecht hinzutretende dritte Stufe der Strafbarkeitsprüfung bezeichnen (Schuld und Unrecht als Gegensätze); Schuld kann aber auch alle drei Stufen als Gesamturteil über die Strafbarkeit des Täters einbeziehen (Schuld unter Einschluß des Unrechts). Dieser Unterschied wird in der allgemeinen Verbrechenslehre nur selten ausdrücklich betont, offenbar deshalb, weil die zugrunde liegende Differenzierung auf der Ebene der Strafbegründung angesichts der anerkannten streng 494 So auch BockelmannNolk 1987, 56 f, 238; Achenbach 1974, 13; 1984, 137 Fn 6. 495 Vgl. Haft 1987, 12; WesseIs 1989, 20; Rudolphi in SK vor § 19 Rn 2. 496 Vgl. Ebert 1985, 10 f; WesseIs 1989,3 f; Rudolphi in SK vor § 1 Rn 83. 497 Vgl. Naucke 1987, 226.
m. 3. Die Struktur der StrafLumessungsschuld
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stufenförmigen Prüfung als nahezu selbstverständlich erscheint. Immerhin weisen einige Autoren auf diesen Unterschied ausdrücklich hin. Naucke etwa unterscheidet den engen Schuldbegriff der Straftatensystematik von dem weiteren "prozessualen Schuldbegriff"; letzterer stehe dem Alltagssprachgebrauch näher498 • Nachfolgend soll in Anlehnung an Formulierungen Stratenwerths - schon in bezug auf die Stratbegründung - zur KlarsteIlung von "Schuld im engeren Sinn" als der dritten Stufe des Verbrechensaufbaus und damit als der zum Unrecht hinzutretenden Kategorie (Schuld im Sinne von §§ 20, 17 etc.) sowie von "Schuld im weiteren Sinn", d.h. im Sinne von Strafbarkeit als Summe von Unrecht und darauf bezogener Schuld im engeren Sinn, gesprochen werden499 . Diese begrifflichen Vorüberlegungen lassen sich nun auf die SZM übertragen: Betrachtet man die oben erWähnten Formulierungen, mit denen es unternommen wird, die Kategorie Unrecht in den Schuldbegriff zu integrieren, etwa die Aussagen der Rechtsprechung, für die SZM seien sowohl das Unrecht wie die Schuld von Bedeutung, so liegt es nahe, den in § 46 Abs. 1 S. 1 als Generalnenner verwendeten Schuldbegriff dogmatisch als Schuld i.w.S. zu begreifen. Ob eine solche Betrachtungsweise, die Schuld im Sinne des § 46 Abs. 1 S. 1 parallel zur Stratbegründung als Schuld i.w.S. interpretiert, zwingend ist, wird noch zu erörtern sein. Es läßt sich jedoch bereits erkennen, daß es mit Hilfe der Trennung in Schuld i.w.S. und i.e.S. zumindest denkmöglich ist, das Unrecht als eigenständige Komponente in den Schuldbegriff zu integrieren. Während die übrigen Versuche, die Einbeziehung des Unrechts in die SZM mit § 46 Abs. 1 S. 1 zu vereinbaren, sich entweder als bedenklich oder als unklar erwiesen haben, zeigt sich hier möglicherweise ein zumindest strukturell vertretbarer und mit dem Wortlaut - betrachtet man den allgemeinen Sprachgebrauch bei der Stratbegründung - vereinbarer Weg5OO • Unabhängig von der Sachgerechtheit eines solchen Verständnisses des § 46 Abs. 1 S. 1 ist zudem immerhin deutlich geworden, daß das bislang überwiegend zu beobachtende Fehlen einer gedanklich exakten Differenzierung zwischen einem das Unrecht einschließenden und einem das bereits geprüfte Unrecht voraussetzenden Schuldbegriff einen Mangel der bisherigen Diskussion
498 Naucke 1987,226,233. 499 Vgl. Stratenwerth 1975, 184 (im Anschluß an eine Bemerkung Armin Kaufmanns 1974, 394); ausführlich Stratenwerth Schw ZStrR 1963, 253 ff; ebenso Gallas 1979, 164; Woller 1981, 124 und 118 Fn 227 m.w.N.; Baurmann 1987, 265. Vgl. auch die Unterscheidung Jeschecks 1988, 422 und Roxin 1974, 171 f. 500 Zu einem hier noch außer Betracht gelassenen, systematischen Einwand siehe sogleich.
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B. Vorstrafenbelastung und StrafLumessungsschuld
um die Ausfüllung des SZM -Schuldbegriffs darstellen dürfte. Oft wird versucht, das Ausmaß der SZM-Schuld im Sinne von § 46 Abs. 1 S. 1 mit Kategorien zu begründen, die auf der Ebene der Stratbegründung nicht der Schuld i.w.S. sondern der Schuld i.e.S. entlehnt sind. Das gilt insbesondere für die oben dargelegte möglicherweise überwertige Betonung des AHKs501. Für die Schuld i.e.S. macht die Orientierung des Schuldbegriffs am AHK durchaus Sinn. Nachdem die Kategorie des Unrechts bereits behandelt ist, ist es sinnvoll, zusätzlich zu fragen, ob der Täter anders als unrecht hätte handeln können, und es ist sinnvoll, wesentliche Erschwernisse solchen AHKs trotz bestehenden Unrechts zu berücksichtigen. Die Kategorie des AHKs muß jedoch scheitern, wenn sie zur einzig maßgeblichen erklärt wird. Macht man sich dieses Verhältnis von Unrecht und Schuld i.e.S. deutlich, so werden die oben unter B.II.2.d.cc. geschilderten Probleme verständlich. Es spricht viel für die Vermutung, daß Kategorien, die in Wahrheit dem SZM-Unrecht zugehören ("Sollen"), häufig mit Erwägungen zu erklären versucht wurden (und nicht erklärt werden konnten), die der Schuld i.e.S. ("Können") und nicht der das Unrecht als eigenständige Kategorie einbeziehenden Schuld i.w.S. entlehnt sind. Dieser Verdacht ist nicht nur gegenüber solchen Argumentationen anzumelden, die im Rahmen der SZM ausdrücklich mit Stufen des Dafürkönnens operieren. Auch die vielfältige Betonung von Motiven, Gesinnungen, krimineller Energie und Hemmschwellen im Rahmen der SZM könnte dafür sprechen, daß man - eventuell unnötigerweise - versucht, Umstände, die in Wirklichkeit sich als Unrechtsdifferenzierungen darstellen und die als solche im Rahmen einer Schuld i.w.S. durchaus berücksichtigungsfähig wären, unter Kategorien zu pressen, die nur im Rahmen der Schuld i.e.S. üblich sind. Aber auch bei denjenigen, die bei Erörterungen zur SZM zwischen dem Regelungsbereich des Unrechts und dem des AHKs unterscheiden und die deshalb dem hier verfochtenen Verständnis der SZM-Schuld als Schuld i.w.S. nahezukommen scheinen, wirkt sich die skizzierte unklare Begrifflichkeit negativ aus. Auch bei dieser Meinungsgruppe, die das Unrecht nicht nur als Indiz für gesteigertes "Dafürkönnen", sondern als eine eigenständige Komponente innerhalb der SZM-Schuld begreift, beschränkt sich die Schuldbetrachtung selten auf diese beiden Faktoren. Häufig stellt auch hier das Unrecht, neben den dem Bereich des AHKs zuzuordnenden Aspekten, nur einen von mehreren, additiv zu betrachtenden Gesichtspunkten im Rahmen einer umfassenden Schuldprüfung dar. So mag sich SZM-Schuld solchen Ansätzen zu-
501 Oben, B.III.2.d.
DI. 3. Die Struktur der Strafzumessungsschuld
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folge etwa aus Tatunrecht, tatschuldrelevanten Persönlichkeitsaspekten und (damit zusammenhängenden) Gesichtspunkten des AHKs zusammensetzenSOl. Einen solchen, breit verstandenen Schuldbegriff könnte man mit der hier verfochtenen sprachlichen Differenzierung zwar als Schuld i.w.S. verstehen, weil er (unter anderem) auch das Unrecht mit einschließt. In der Sache wäre damit allerdings nicht allzuviel gewonnen. Ein so verstandener SZM-Schuldbegriff "im weiteren Sinn" hätte strukturell letztlich auch wenig mit dem Schuldbegriff i.w.S. der Stratbegründung gemein. Schuld in diesem Sinne würde das Unrecht zwar einschließen, wäre jedoch, anders als bei der Stratbegründung, keineswegs vom Umecht determiniert. Das Unrecht stellte vielmehr nur einen von vielen, kaum stufenförmig trennbaren Umständen dar, die im Rahmen einer umfassenden Würdigung der "persönlichen Schuld" des Täters zu berücksichtigen wären. Welches das übergreifende Auslegungskriterium der SZM-Schuld "im weiteren Sinn" wäre, dem sich die Einzelaspekte unterzuordnen hätten, bliebe weiterhin unklar. Aus den vorangegangenen Darlegungen ergibt sich, daß eine solche "Gesamtschau"S03, die neben dem Unrecht insbesondere Persönlichkeitsaspekte in kaum näher präzisierbarem Umfang einbezieht und die Gewichtung der verschiedenen Faktoren zueinander nicht klarlegen kann, erheblichen Bedenken ausgesetzt istS04 . Diesen Bedenken würde von den Anhängern der vorherrschenden Praxis zwar vermutlich entgegengehalten, daß eine solche "Gesamtschau ", möge sie auch strukturell unklar sein, bei der SZM von der Sache her zwingend geboten sei SOS • Es erscheint mir jedoch zweifelhaft, ob es wirklich unvermeidlich ist, sich mit dieser, als unbefriedigend erkannten Situation abzufinden. Greift man das hier verfochtene gedankliche Verständnis der SZM-Schuld als Schuld i.w.S. auf, so ließe sich möglicherweise ein Ansatzpunkt finden, um die bedenklich unverbindliche "Gesamtschau" zu vermeiden: Zieht man die Parallele zur Stratbegründungsschuld, so liegt es nahe, diese nicht nur zur Integration des Unrechts heranzuziehen, sondern nun auch den 502 Vgl. die vorangegangenen Nachw., insb. Dreherrrröndle 1988 § 46 Rn 4 sowie die erwähnte Einordnung des Unrechts als einem bloßem" Anknüpfungspunkt" bei Lackner 1989 § 46 Anm. DI.1.; WesseIs 1989, 113; siehe zudem Stree in Sch/Sch § 46 Rn 8-9a; Günter Hirsch in LK § 46 Rn 6. 503 Bruns 1985, 144, 191. 504 Oben, B.DI.2.c.cc. SOS Vgl. Bruns 1985, 27, 144 ff, 191 fund 1988, insb. 49 f. Dieser Meinung scheinen viele Strafrechtsdogmatiker anzuhängen. Daß die meisten von ihnen SZM-Probleme ausklammern, dürfte auch daran liegen, daß man offenbar der Überzeugung ist, daß der SZM-Schuldbegriff ähnlicher struktureller Präzision wie der der Strafbegründung nicht zugänglich ist (vgl. etwa die Bemerkungen Krümpelmanns 1966,99, 108).
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B. Vorstrafenbelastung und StralZumessungsschuld
Begriff der SZM-Schuld auf die gleichen Komponenten zu beschränken, die auch bei der Strafbegründung den Schuldbegriff i.w.S. ausschließlich ausmachen: Unrecht plus Schuld i.e.S. "Schuld" im Sinne des § 46 Abs. 1 S. 1 könnte dementsprechend zu definieren sein als SZM-Schuld i.w.S., die sich ausschließlich zusammensetzt aus SZM-Unrecht zuzüglich SZM-Schuld i.e.S. Der von Bruns verwendete Begriff des "verschuldeten Unrechts" würde bei einer solchen Betrachtungsweise nicht, wie Bruns meint, (neben der schuldrelevanten Täterpecsönlichkeit und möglicherweise anderem) einen von mehreren Aspekten der SZM -Schuld bilden; er wäre vielmehr, zerlegt in die Komponenten Unrecht und darauf bezogene Schuld i.e.S., möglicherweise zur abschließenden Umschreibung der SZM-Schuld geeignet: SZM-Schuld als verschuldetes SZM-Unrecht. Dieses Konzept - SZM-Schuld als verschuldetes SZM-Unrecht - wird die nachfolgende Untersuchung prägen. Gegen eine solche Ausdeutung des Begriffs der Schuld im Sinne von § 46 scheint sich allerdings bereits zu Beginn ein wichtiger Einwand aufzudrängen. Man könnte ihr entgegenhalten, daß die Auslegung der Schuld im Sinne von § 46 als Schuld i.w.S. dazu zwinge, denselben Begriff - "Schuld" - in demselben Gesetz an verschiedenen Stellen unterschiedlich zu interpretieren. In der Tat meint das StGB, wenn es anderenorts von "Schuld" spricht, durchweg die Schuld i.e.S. Dies gilt etwa für die §§ 19, 20, 21, 17, 35. Die hier zur Diskussion gestellte Auffassung ist somit wirklich gezwungen, denselben Begriff in § 46 anders auszulegen als in den meisten übrigen Vorschriften des StGBs. (Allenfalls die "Schuld" im Sinne von § 29 wird man ebenfalls noch als Schuld i.w.S. anzusprechen haben.5