Strafvollzugsgesetz (StVollzG): Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung vom 16. März 1976 (BGBl. I, 1976, 581). Großkommentar [Reprint 2019 ed.] 9783111711584, 9783110075083


163 13 57MB

German Pages 697 [700] Year 1983

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
Aufteilung der Kommentierung
Verzeichnis der Autoren
Vorwort der Herausgeber
Inhaltsverzeichnis
Zitierweise und Abkürzungen
Erster Abschnitt. Anwendungsbereich
Zweiter Abschnitt. Vollzug der Freiheitsstrafe
Erster Titel. Grundsätze
Zweiter Titel. Planung des Vollzuges
Dritter Titel. Unterbringung und Ernährung des Gefangenen
Vierter Titel. Besuche, Schriftwechsel sowie Urlaub, Ausgang und Ausführung aus besonderem Anlaß
Fünfter Titel. Arbeit, Ausbildung und Weiterbildung
Sechster Titel. Religionsausübung
Siebter Titel. Gesundheitsfürsorge
Achter Titel. Freizeit
Neunter Titel. Soziale Hilfe
Zehnter Titel. Besondere Vorschriften für den Frauenstrafvollzug
Elfter Titel. Sicherheit und Ordnung
Zwölfter Titel. Unmittelbarer Zwang
Dreizehnter Titel. Disziplinarmaßnahmen
Vierzehnter Titel. Rechtsbehelfe
Fünfzehnter Titel. Strafvollstreckung und Untersuchungshaft
Dritter Abschnitt. Besondere Vorschriften über den Vollzug der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung
Vierter Abschnitt. Vollzugsbehörden
Fünfter Abschnitt. Schlußvorschriften
Anhang
Stichwortverzeichnis
Recommend Papers

Strafvollzugsgesetz (StVollzG): Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung vom 16. März 1976 (BGBl. I, 1976, 581). Großkommentar [Reprint 2019 ed.]
 9783111711584, 9783110075083

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

K o m m e n t a r zum Strafvollzugsgesetz Studienausgabe

Strafvollzugsgesetz (StVollzG) Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung vom 16. März 1976 (BGBl. I, 1976, 581) Großkommentar

herausgegeben von

Hans-Dieter Schwind • Alexander Böhm

W G DE

1983

Walter de Gruyter • Berlin • New York

Stand der Bearbeitung: Januar 1983

CIP-Kurztitelaufnahme

der Deutschen Bibliothek

Strafvollzugsgesetz: (StVollzG); Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung vom 16. März 1976 (BGBl. I, 1976, 581); Großkommentar/hrsg. von Hans-Dieter Schwind; Alexander Böhm. — Studienausg. — Berlin; New York: de Gruyter, 1986. ISBN 3-11-010929-8 NE: Schwind, Hans-Dieter [Hrsg.]; StVollzG

Copyright 1983 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung, J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung, Georg Reimer, Karl J. Trübner, Veit & Comp., Berlin 30. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Printed in Germany Satz und Druck: H. Heenemann GmbH & Co, Berlin 42 Bindearbeiten: Lüderitz & Bauer, Buchgewerbe GmbH, Berlin 61

Aufteilung der Kommentierung Best, Peter

§§71-75

Böhm, Alexander

§§ 1 - 4 , 1 7 - 2 0 , 22, 93, 1 0 2 - 1 0 7 , 1 3 9 - 1 4 0 , 1 4 3 - 1 4 4 , 167—177, 201

Großkelwing, Gerd

§§ 37—52, 1 4 8 - 1 5 0 , 190—200

Ittel, Walter

§§ 10, 15, 16, 147

Koepsel, Klaus

§§ 67, 9 4 - 1 0 0 , 1 5 1 - 1 5 3 , 178

Kühling, Paul

§§ 1 1 - 1 4 , 35, 36, 8 1 - 8 7

Mey, Hans-Georg

§ § 5 - 7 , 141

Meyer, Elisabeth

§§ 7 6 - 8 0 , 142

Müller, Johannes Rassow, Peter

§101 §§ 5 3 - 5 5 , 157

Romkopf, Ute

§ § 2 1 , 5 6 - 6 6 , 92, 158

Rotthaus, Karl Peter

§§ 8 - 9 , 1 2 3 - 1 3 8 , 1 5 4 - 1 5 6 , 1 5 9 - 1 6 5

Schuler, Manfred

§§ 1 0 8 - 1 2 2 , 1 7 9 - 1 8 9

Schwind, Hans-Dieter

§§ 2 3 - 3 4 , 6 8 - 7 0 , 8 8 - 9 1 , 1 4 5 - 1 4 6

Steinhilper, Gernot Gesamtredaktion:

§166 Alexander Böhm Hildegard Eckert Hans-Dieter Schwind Gernot Steinhilper unter Mitarbeit von Manfred Winter

Verzeichnis der Autoren Best, Peter

Böhm, Alexander

Großkelwing, Gerd

Ittel, Walter

Koepsel, Klaus

(1944), Dr. rer. pol. (Soz.wiss.), Regierungsdirektor, Referatsleiter im niedersächsischen Ministerium der Justiz, Referatsgruppe „Planung, Forschung, Soziale Dienste", Hannover; zuvor stellvertr. Leiter der Jugendvollzugsanstalt Adelsheim und Staatsanwalt in Mannheim. Arbeitsschwerpunkte und Veröffentlichungen: Strafvollzug, Sozialarbeit in der Justiz (Gerichtshilfe, Bewährungshilfe, Führungsaufsicht), Entlassenenhilfe. (1929), Dr. jur., Professor für Kriminologie, Strafrecht und Strafvollzug an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (seit 1974). Zuvor (seit 1957) im höheren Strafvollzugsdienst des Landes Hessen. Von 1960 bis 1974 Leiter der Jugendstrafanstalt Rockenberg und des H. B. Wagnitzseminars (Ausbildungsstätte für die Bediensteten des hessischen Strafvollzugs), Rockenberg. 1977 bis 1979 Vorsitzender der vom Bundesjustizminister einberufenen Jugendstrafvollzugskommission'. Seit 1974 im Landesbeirat für Kriminologie und Strafvollzug beim rheinland-pfälzischen Ministerium für Justiz. Veröffentlichungen zum Jugendstrafrecht und Strafvollzug. (1936), Dr. jur., Ministerialrat; Referatsleiter in der Abteilung „Strafvollzug" im niedersächsischen Ministerium der Justiz, Hannover; zuvor Jugendrichter und Richter; Mitglied der Jugendstrafvollzugskommission' und des Landesjustizprüfungsamtes in Niedersachsen; Dozent an der Fachhochschule für Rechtspflege in Hildesheim. Arbeitsschwerpunkte und Veröffentlichungen: Jugend- und Frauenstrafvollzug, schulische und berufliche Aus- und Fortbildung der Gefangenen, ihre soziale und seelsorgerische Betreuung, Entlassungsvorbereitung, ehrenamtliche Mitarbeiter, Anstaltsbeiräte, Justizvollzugsbauten. (1939), Jurist, Regierungsdirektor; Leiter der offenen Justizvollzugsanstalt Castrop-Rauxel mit Schwerpunkten Berufsförderung, Ubergangsvollzug und Entlassungsvorbereitung. Zuvor Dienstleistungsaufträge in den Justizvollzugsanstalten Köln und Rheinbach, dem Justizvollzugsamt Hamm und dem nordrhein-westfälischen Justizministerium, Düsseldorf. (1936), Leitender Regierungsdirektor; Leiter der Justizvollzugsschule Nordrhein-Westfalen in Wuppertal, seit 1966 im Strafvollzug tätig: in den Anstalten Münster, Köln, Attendorn, Siegburg, Castrop-Rauxel und Hagen (seit 1968 als Anstaltsleiter), außerdem zwei Jahre als Referent für Aus-

VII

Verzeichnis der Autoren

Kühling, Paul

und Fortbildung der Bediensteten im nordrhein-westfälischen Justizministerium. Arbeitsschwerpunkte und Veröffentlichungen: offener Strafvollzug f ü r erwachsene Männer und Einweisungsverfahren für erwachsene männliche Gefangene. (1929), Dr. jur., Leitender Regierungsdirektor; Leiter der Justizvollzugsanstalten Celle und Salinenmoor, zuvor Leiter der Jugendstrafanstalt Hameln und Oberstaatsanwalt (Vollzugsreferent) beim Generalstaatsanwalt in Celle; Vorstandsmitglied der .Bundesvereinigung der Anstaltsleiter im Strafvollzug e.V.', Mitarbeiter (Resident) des W E I S S E N R I N GES. Veröffentlichungen zu Strafvollzug, Rückfalluntersuchungen.

Mey, Hans-Georg

(1924), Dr. rer. nat., Diplom-Psychologe; Leitender Regierungsdirektor; Dezernent für den Psychologischen Dienst beim Präsidenten des Justizvollzugsamts H a m m ; Leiter der Arbeitsgruppe ,Kriminologischer Dienst' des nordrheinwestfälischen Justizministeriums; Mitglied der Jugendstrafvollzugskommission'; Lehraufträge f ü r Kriminologie, Kriminalpsychologie, angewandte Psychologie an der P H Braunschweig, Fachhochschule Bielefeld, Ruhr-Universität Bochum; Arbeitsschwerpunkte und Veröffentlichungen: Strafvollzugspsychologie, Strafvollzugskunde, Jugendstrafvollzug, Kriminalpsychologie, Kriminologie, Sozialtherapie, Behandlungsforschung im Strafvollzug, Organisationspsychologie im Strafvollzug.

Meyer, Elisabeth

(1926), Dr. phil., Diplom-Psychologin; Regierungsdirektorin; stellvertretende Leiterin der Justizvollzugsanstalt Aichach, Leiterin der Abteilung für weibliche Jugendstrafgefangene. Arbeitsschwerpunkte: Erziehung und Behandlung im Strafvollzug f ü r weibliche Jugendliche und Erwachsene; Drogentäter im Strafvollzug; Personalauswahl für den allgemeinen Vollzugsdienst; Fortbildung f ü r Vollzugsbedienstete; Öffentlichkeitsarbeit f ü r die Straffälligenhilfe (als Mitglied des Vorstands des ,Bundeszusammenschlusses für Straffälligenhilfe' 1972 bis 1975).

Müller, Johannes

(1934), Ministerialrat; Leiter des Referats Organisation, Sicherheit und O r d n u n g in Justizvollzugsanstalten im niedersächsischen Ministerium der Justiz, Hannover. Davor 7 Jahre Leiter der Justizvollzugsanstalt Wolfenbüttel und der Strafvollzugsschule Niedersachsen.

Rassow, Peter

(1928), Pastor; Beauftragter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland f ü r Fragen der Seelsorge in den Justizvollzugsanstalten (seit 1981); Seelsorger an der Justizvollzugsanstalt Celle I (seit 1965); Mitglied des Beirates bzw. Vorstandes, zuletzt Vorsitzender der ,Konferenz der evangelischen Pfarrer an den Justizvollzugsanstalten in der Bundesrepublik Deutschland und in Berlin (West)' (1972 bis 1981). Veröffentlichung zur Seelsorge in den Justizvollzugsanstalten.

VIII

Verzeichnis der Autoren

Romkopf, Ute

Rotthaus, Karl Peter

Schuler, M a n f r e d

Schwind, H a n s - D i e t e r

Steinhilper, G e r n o t

(1930), D r . med., Leitende Regierungsmedizinaldirektorin; medizinische Dezernentin beim Präsidenten des Justizvollzugsamts H a m m , Anstaltsärztin in der Justizvollzugsanstalt Münster, Arbeitsschwerpunkte: Behandlung chronisch kranker G e f a n g e n e r , Drogentherapie bei Strafgefangenen, V e r öffentlichungen: Behandlung D r o g e n a b h ä n g i g e r im Justizvollzug, A n w e n d u n g von P s y c h o p h a r m a k a in deutschen Strafvollzugsanstalten. (1928), D r . jur., Leitender Regierungsdirektor; seit Mai 1981 abgeordnet an das nordrhein-westfälische Justizministerium; zuvor: 1968 Leiter der Strafvollzugsschule N o r d r h e i n - W e s t falen, 1974 Leiter der Justizvollzugsanstalt Gelsenkirchen (Sozialtherapeutische Anstalt), Stellvertretender Schriftleiter der .Zeitschrift f ü r Strafvollzug und Straffälligenhilfe', Mitherausgeber der , N e u e n Zeitschrift f ü r Strafrecht', Mitglied des Fachausschusses I des Bundeszusammenschlusses f ü r Straffälligenhilfe ,Strafrecht und Strafvollzug'. Veröffentlichungen: Sozialtherapie und interdisziplinäre Z u s a m m e n a r beit im Justizvollzug. (1935), Ministerialrat, stellvertretender Abteilungsleiter „Strafvollzug" im Ministerium der Justiz Rheinland-Pfalz, Aufgabengebiet: u. a. G r u n d s a t z f r a g e n im Strafvollzug; vor Ü b e r n a h m e in das Ministerium tätig als Staatsanwalt bei verschiedenen Staatsanwaltschaften und der Generalstaatsanwaltschaft. (1936), D r . jur., Professor f ü r Kriminologie und Strafvollzug an der Ruhr-Universität Bochum (seit 1974), Niedersächsischer Minister der Justiz (1978 bis 1982); 1981 Vorsitzender der K o n f e r e n z der Justizminister und -Senatoren. V e r ö f f e n t lichungen u. a. zu Kriminalpolitik, Dunkelfeldforschung, Kriminalgeographie, Kriminologie der Unterbegabten, Strafvollzug, Entlassenenhilfe, Terrorismus, Strafrecht und Strafprozeßrecht. (1943), D r . jur., Ministerialrat, Leiter der Referatsgruppe „Planung, Forschung, Soziale Dienste" im niedersächsischen Ministerium der Justiz, H a n n o v e r ; zuvor Referent in der kriminalistisch-kriminologischen Forschungsgruppe des Bundeskriminalamtes, Wiesbaden. Arbeitsschwerpunkte und Veröffentlichungen: Kriminalitätsvorbeugung, kriminalistisch-kriminologische Forschung, Arbeitslosigkeit und Kriminalität.

IX

Vorwort der Herausgeber Das Strafvollzugsgesetz (StVollzG) ist vor nunmehr sechs Jahren (am 1.1. 1977) in Kraft getreten. Zahlreiche Verbesserungen der Vollzugssituation sind seither in den Bundesländern erreicht worden. Gleichwohl darf nicht verkannt werden, daß viele Erwartungen enttäuscht worden sind: insbesondere derjenigen, die eine weit raschere Verwirklichung der Reform des Vollzuges vom Verwahrvollzug zum Behandlungsvollzug erhofft hatten. Ein Vollzug, wie ihn das Strafvollzugsgesetz anstrebt, kann aber schon der erforderlichen erheblichen finanziellen Mittel wegen nicht von heute auf morgen erreicht werden. Die beträchtlichen Anstrengungen zur Verwirklichung des Reformgedankens können sich weithin nur deshalb nicht erwartungsgemäß auswirken, weil die Gefangenenzahlen von Jahr zu Jahr steigen und dem Vollzug damit zusätzliche Belastungen bringen. In einer erheblich überbelegten Justizvollzugsanstalt wird der vom Strafvollzugsgesetz postulierte Behandlungsvollzug schon durch die räumliche Enge erschwert. Hinzu treten Personalprobleme. Der Behandlungsvollzug erfordert naturgemäß eine größere Zahl von Mitarbeitern als sie der Verwahrvollzug hatte; notwendig ist vor allem die Verstärkung der Fachdienste (Psychologen, Werkbeamte, Sozialarbeiter usw.), die inzwischen wesentlich vorangetrieben wurde. Allerdings stellen sich nun Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit zwischen dem allgemeinen Vollzugsdienst und den Fachdiensten ein, sie bleiben auch zwischen den erfahrenen älteren und den noch unerfahrenen jüngeren Mitarbeitern nicht aus (Rollenkonflikte, Zielkonflikte, Generationsprobleme usw.). Diese, wie viele andere Schwierigkeiten, die zum Alltag des heutigen Vollzuges gehören, werden oft — insbesondere von Außenstehenden — nicht erkannt. Auch mancher Vollzugswissenschaftler übersieht sie in seiner verständlichen Reformungeduld. Ohne Berücksichtigung derartiger Hintergrundinformationen aus der Vollzugspraxis erscheint indessen eine Kommentierung der Strafvollzugsvorschriften gewagt, da die Gefahr unrealistischer Entscheidungen gegeben ist. Die rechtlichen Probleme des Vollzuges und deren Auswirkungen in der Praxis sind realistisch nur für denjenigen zu ermessen, der im Vollzug oder seiner Verwaltung selbst tätig war oder ist. Ziel dieses Kommentars war die praxisnahe Darstellung durch ein Team von Praktikern, die im Vollzug Verantwortung tragen oder wenigstens für einige Jahre getragen haben. Die Herausgeber stellen mit Zufriedenheit fest, daß es gelungen ist, namhafte Vollzugsexperten für die Bearbeitung zu gewinnen. Unter ihnen befinden sich allein acht amtierende bzw. ehemalige Anstaltsleiter, so daß wohl von einem Praktikerkommentar gesprochen werden darf. Anliegen aller Mitarbeiter des Werkes war es, die Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes vor dem Hintergrund der Realitäten des Vollzuges zu erläutern und auch einschlägige Informationen über die Situation der Praxis in die Erörterungen einzubringen. Diese werden als Allgemeine Hinweise jeweils unter I der eigentlichen Kommentierung (II) vorangestellt. Zur weiteren Förderung des Verständnisses werden am Schluß der Kommentierung zahlreicher zentraler Vorschriften typische Beispiele aus dem Vollzugsalltag angeführt (III). Dabei wurde der Begriff des Beispiels bewußt weit

XI

Vorwort der Herausgeber

gefaßt verstanden, etwa auch zur Vermittlung von Zusatzinformationen über die ärztliche Sprechstunde u. dgl. Jeweils anschließend an den Gesetzestext sind (deutlich durch Kursivdruck hervorgehoben) die Verwaltungsvorschriften ( W ) abgedruckt. Zu Einzelfragen des Strafvollzugsgesetzes gibt es teilweise sehr umfangreiches Schrifttum, das nicht vollständig dokumentiert ist. Um den Kommentar übersichtlich und für den Praktiker gut lesbar und leicht benutzbar zu gestalten, wurden nur grundsätzliche oder praxiserhebliche Veröffentlichungen erfaßt 1 . Unter Gesichtspunkten der Praxis wurde der Kommentierung auch solcher Vorschriften breiter Raum eingeräumt, die in anderen Werken weniger ausführlich behandelt werden, die aber für den modernen Strafvollzug von Bedeutung sind; so etwa die Vorschriften zum ärztlichen Dienst (§§ 21, 56—66, 92, 158, sowie § 101), über die Seelsorge (§§ 53—55), die Entlassenenhilfe (§§ 74, 75) und zur kriminologischen Vollzugsforschung (§ 166), die nicht nur dem Praktiker des Vollzuges, sondern auch dem verantwortlichen Politiker (Ressortminister) die Rückmeldung über Erfolg oder Mißerfolg der investierten Mittel bringen kann. Rechtsprechung und Literatur sind bis einschließlich Januar 1983 berücksichtigt. Hannover/Bochum und Mainz, im Februar 1983 Hans-Dieter Schwind Alexander Böhm

1 Nach den Vorgaben des Verlages wurde das Schrifttum wie folgt zitiert: a) Häufig zitierte Veröffentlichungen (z. B. andere Kommentare) sind bei der Kommentierung in Kurzform angegeben; die vollständigen bibliographischen Angaben finden sich im Abkürzungsverzeichnis (S. X V — X I X ) . b) Literatur, die in der Kommentierung einer Vorschrift mehrfach zitiert wird, ist im Text in Kurzform zitiert; die vollständigen bibliographischen Angaben sind in der der Kommentierung vorangestellten Schrifttums-Ubersicht angeführt. c) Selten zitierte Literatur wird bei der jeweiligen Vorschrift mit vollständigen bibliographischen Angaben angeführt. d) Im Text nicht zitierte, aber gleichwohl im Zusammenhang mit einer. Vorschrift bedeutsame Literatur wurde der jeweiligen Texterläuterung vorangestellt (vgl. z. B. Schrifttum vor SS 37 ff).

XII

Inhaltsverzeichnis Aufteilung der Kommentierung, Verzeichnis der Autoren Vorwort der Herausgeber Zitierweise und Abkürzungen Erster Abschnitt: Anwendungsbereich Zweiter Abschnitt: Vollzug der Freiheitsstrafe Erster Titel. Grundsätze Zweiter Titel. Planung des Vollzuges Dritter Titel. Unterbringung und Ernährung des Gefangenen . . Vierter Titel. Besuche, Schriftwechsel sowie Urlaub, Ausgang und Ausführung aus besonderem Anlaß Fünfter Titel. Arbeit, Ausbildung und Weiterbildung Sechster Titel. Religionsausübung Siebter Titel. Gesundheitsfürsorge Achter Titel. Freizeit Neunter Titel. Soziale Hilfe Zehnter Titel. Besondere Vorschriften für den Frauenstrafvollzug Elfter Titel. Sicherheit und Ordnung Zwölfter Titel. Unmittelbarer Zwang Dreizehnter Titel. Disziplinarmaßnahmen Vierzehnter Titel. Rechtsbehelfe Fünfzehnter Titel. Strafvollstreckung und Untersuchungshaft . . Dritter Abschnitt: Besondere Vorschriften über den Vollzug der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung Erster Titel. Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Anstalt Zweiter Titel. Sicherungsverwahrung Dritter Titel. Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt Vierter Abschnitt: Vollzugsbehörden Erster Titel. Arten und Einrichtungen der Justizvollzugsanstalten Zweiter Titel. Aufsicht über die Justizvollzugsanstalten Dritter Titel. Innerer Aufbau der Justizvollzugsanstalten . . . . Vierter Titel. Anstaltsbeiräte Fünfter Titel. Kriminologische Forschung im Strafvollzug . . . .

V XI XV §

1

1

§§ SS SS SS

2—122 2—4 5—16 17—22

5 5 32 113

SS §§ §§ §§ SS SS

23—36 37—52 53—55 56—66 67—70 71—75

135 188 248 259 301 324

§S 7 6 - 8 0 S S 81—93 SS 94—101 §§ 102—107 §§ 108 —121 S 122

348 360 398 427 446 503

SS 123-138

506

SS 123-128 SS 1 29—135

506 512

§§ 136—138

519

SS 139—166

523

SS 1 3 9 - 1 5 0 SS 151 —153 §§ 154—161 SS 162—165 $166

523 551 566 596 600 XIII

Inhaltsverzeichnis

Fünfter Abschnitt ! Schlußvorschriften Erster Titel. Vollzug des Strafarrestes in Justizvollzugsanstalten Zweiter Titel. Vollzug von Ordnungs-, Sicherungs-, Zwangsund Erzwingungshaft Dritter Titel. Arbeitsentgelt in Jugendstrafanstalten und im Vollzug der Untersuchungshaft Vierter Titel. Unmittelbarer Zwang in Justizvollzugsanstalten . . Fünfter Titel. Anpassung des Bundesrechts Sechster Titel. Sozial-und Arbeitslosenversicherung Siebter Titel. Einschränkung von Grundrechten. Berlin-Klausel. Inkrafttreten

§§ 1 6 7 - 2 0 1 §§ 167—170

609 609

§§ 171 —175

611

§§ § §§ §§

176—177 178 179—189 190—195

614 617 619 627

§§ 1 9 6 - 2 0 1

636

Anhang 1. Dienst- und Sicherheitsvorschriften für den Strafvollzug (DSVollz) 2. Strafvollzugsvergütungsordnung (StVollzVergO)

643 648

Stichwortverzeichnis

651

XIV

Zitierweise und Abkürzungen Paragraphen ohne Gesetzesangaben sind solche des StVollzG; Absätze oder Richtlinien ohne Paragraphenangaben beziehen sich auf den eben erläuterten Paragraphen. Randnummern ohne vorangestellte Paragraphenbezeichnung im Text bezeichnen Randnummern des eben erläuterten Paragraphen. Andere Kommentare werden gleicherweise mit Randnummern zitiert. Gesetzesblätter, Zeitschriften und Entscheidungssammlungen werden grundsätzlich nach Jahrgang und Seite zitiert; dies gilt nur dann nicht, wenn eine andere Zitierweise allgemein üblich ist (z. B. BGHSt). a. A. aaO Abs. AE a. E. a. F. AFG AFKG AK Anm. AnwBl Art. Aufl. AV BAföG BAG Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann BayObLG BayVGH BayWStVollzG Bd. BDSG ber. Beschl. Bew. BewHi BGB BGBl. BGH BGHSt BGHZ BKA BIGefK

anderer Ansicht am angegebenen Ort Absatz Alternativentwurf am Ende alte Fassung Arbeitsförderungsgesetz Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetz Kommentar zum Strafvollzugsgesetz (Reihe Alternativkommentare, hrsg. von Rudolf Wassermann), 2. Aufl., Darmstadt 1982 Anmerkung Anwaltsblatt Artikel Auflage Ausführungsverordnung Bundesausbildungsförderungsgesetz Bundesarbeitsgericht Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung. Kommentar, 41. Aufl., München 1983 Bayerisches Oberstes Landesgericht; auch Entscheidungssammlung des BayObLG in Strafsachen Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Bayerische Verwaltungsvorschriften zum Strafvollzugsgesetz Band Bundesdatenschutzgesetz berichtigt Beschluß Bewährung, auch in Zusammensetzung, z. B. BewHelfer Zeitschrift für „Bewährungshilfe" Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des BGH in Strafsachen Entscheidungen des BGH in Zivilsachen Bundeskriminalamt (Wiesbaden) Blätter für Gefängniskunde

XV

Zitierweise und Abkürzungen BIStV BMJ BochKomm Böhm BR-Drucksache Brunner BRAGO BRRG BSG BSHG BtM(G) BT-Drucksache BVerfG BVerfGE BVerwG BZRG bzw.

Blätter für Strafvollzugskunde (Beilage zum Vollzugsdienst) Bundesjustizministeriura Wertenbruch (Hrsg.), Bochumer Kommentar zum Sozialgesetzbuch — Allgemeiner Teil, Berlin 1979 Böhm, Strafvollzug, Frankfurt 1979 Bundesratsdrucksache Brunner, Jugendgerichtsgesetz. Kommentar, 6. Aufl., Berlin/New York 1981 Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung Beamtenrechtsrahmengesetz Bundesseuchengesetz Bundessozialhilfegesetz Betäubungsmittel(gesetz) Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Bundeszentralregistergesetz beziehungsweise

Calliess Calliess/Müller-Dietz

Calliess, Strafvollzugsrecht, 2. Aufl., München 1981 Calliess/Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetz, 3. Aufl., München 1982

Daliinger-Lackner

Dallinger-Lackner, Jugendgerichtsgesetz, Kommentar, 2. Aufl., München 1966 derselbe das heißt Dienstordnung für das Gesundheitswesen Die Öffentliche Verwaltung Deutsche Richterzeitung Dienst- und Sicherheitsvorschriften für den Strafvollzug Dünkel/Rosner, Die Entwicklung des Strafvollzugs in der Bundesrepublik Deutschland seit 1970 — Materialien und Analysen, 2. Aufl., Freiburg 1982 Durchführungsverordnung Dienst- und Vollzugsordnung der Länder

ders. d. h. DOG DÖV DRiZ DSVollz Dünkel/Rosner DVO DVollzO E EGGVG EGStGB EKD EMRK Eyermann/Fröhler

Entwurf Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch Evangelische Kirche in Deutschland (Europäische) Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten Eyermann/Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 8. Aufl., München 1980

f, ff FH Fn.

folgende (r, s) Fachhochschule Fußnote

GA GBl.

Goltdammer's Archiv für Strafrecht Gesetzblatt

XVI

Zitierweise und Abkürzungen gem. GG ggf. GKG GMV Göhler Grunau/Tiesler GUV GVB1. GVG H. HdbStKirchR

gemäß Grundgesetz gegebenenfalls Gerichtskostengesetz Gefangenenmitverantwortung Göhler, Gesetz über Ordnungswidrigkeiten. Kommentar, 6. Aufl., München 1980 Grunau/Tiesler, Strafvollzugsgesetz, 2. Aufl., Köln u. a. 1982 Gemeindeunfallversicherungsverbände Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz

Hess. Verf. h. M. Hrsg. HS.

Heft Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland (hrsg. von Friesenhahn/Schuner i. V. mit Listl) Hessische Verfassung herrschende Meinung Herausgeber Halbsatz

IAO i. d. F. i. S. i. V.

Internationale Arbeitsorganisation in der Fassung im Sinne in Verbindung

JGG JGH JHG JMB1.

Jugendgerichtsgesetz Jugendgerichtshilfe Jugendhilfegesetz Justizministerialblatt (z. B. N W = für NordrheinWestfalen) Juristische Dissertation Juristische Schulung, München, Frankfurt/M. Juristische Rundschau Justizvollzugsanstalt Verordnung über Kosten im Bereich der Justizverwaltung Jugendwohlfahrtsgesetz Juristenzeitung Jugendstrafvollzugskommission

Jur. Diss. JuS JR JVA JV KostO JWG JZ JStrVK Kaiser/Kerner/Schöch Karlsruher Kommentar KD KE KG Kleinknecht Knopp/Fichtner Kopp

Kaiser/Kerner/Schöch, Strafvollzug. Ein Lehrbuch, 3. Aufl., Heidelberg 1982 Pfeiffer (Hrsg.), Kommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, München 1982 Kriminologischer Dienst Kommissionsentwurf Kammergericht Kleinknecht, Strafprozeßordnung, Gerichtsverfassungsgesetz, Nebengesetze. Kommentar, 35. Aufl., München 1981 Knopp/Fichtner, Bundessozialhilfegesetz. Kommentar, 4. Aufl., München 1979 Kopp, Verwaltungsgerichtsordnung. Kommentar, 5. Aufl., München 1981

XVII

Zitierweise und Abkürzungen Kopp KrimGegfr. KrimJ KVLG KZfSS KZSt. LDSG LG LK LKA LR

LS LT LV Maunz/Diirig/Herzog/Scboiz MdJ MDR Minima

MJ MR MRK MschrKrim Müller-Dietz MuSchG m. w. N. Nds MVollzG NdsRpfl. NDV

Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz. Kommentar, 2. Aufl., München 1980 Kriminologische Gegenwartsfragen Kriminologisches Journal Gesetz über die Krankenversicherung für Landwirte Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie Kriminologische Zentralstelle e.V. (Wiesbaden) Landesdatenschutzgesetz Landgericht Strafgesetzbuch, Leipziger Kommentar, 10. Aufl., Berlin/New York 1978 Landeskriminalamt Löwe-Rosenberg, Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, 23. Aufl., Berlin/New York 1978 Leitsatz Landtag Landesverfassung Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz. Kommentar, München, Stand November 1982 Minister(ium) der Justiz Monatsschrift für Deutsches Recht Mindestgrundsätze für die Behandlung der Gefangenen — Entschließung des Ministerkomitees des Europarates vom 19. 1. 1973 bei der 217. Tagung der Ministerstellvertreter (Entschließung [73] 5) Ministerium der Justiz Mutterschaftsrichtlinien (Europäische) Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform Müller-Dietz, Strafvollzugsrecht, 2. Aufl., Berlin/ New York 1978 Mutterschutzgesetz mit weiteren Nachweisen

NJW Nr. NRW, NW NStZ

Niedersächsisches Maßregelvollzugsgesetz Niedersächsische Rechtspflege Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge Neue Juristische Wochenschrift Nummer Nordrhein-Westfalen Neue Zeitschrift für Strafrecht

OLG OWiG

Oberlandesgericht Ordnungswidrigkeitengesetz

PFA Prot.

Polizeiführungsakademie (Hiltrup) Protokolle der Sitzungen des Bundestags-Sonderausschusses für die Strafrechtsreform (Deutscher Bundestag, 7. Wahlperiode, Stenographischer Dienst) Gesetz über die Hilfe für psychisch Kranke

PsychKG XVIII

Zitierweise und Abkürzungen RBerG Rdn. RdJ RE, RegE Rebmann/Roth/Herrmann

Redeker/von Oertzen RG RGBl. RiStBY RV SA Schellhorn/firasek/Seipp Schüler-Springorum SchlußB Schwind/Blau

SGB SGBI SGB IV SGB X SH StGB StPO StrafV StrVK StVollstrO StVollzFG StVollzG StVollzO StVollzVergO s. u. u. a. UHaft UJ UnterbrG UVollzO

Rechtsberatungsgesetz Randnummer Recht der Jugend und des Bildungswesens Entwurf eines Gesetzes über den Vollzug der Freiheitsstrafe und freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung (Regierungsentwurf) Rebmann/Roth/Herrmann, Gesetz über Ordnungswidrigkeiten. Kommentar, Stuttgart u. a., Stand Mai 1982 Redeker/von Oertzen, Verwaltungsgerichtsordnung. Kommentar, 7. Aufl., Stuttgart u. a. 1981 Reichsgericht; auch Entscheidungen des RG in Strafsachen Reichsgesetzblatt Richtlinien für das Strafverfahren u. d. Bußgeldverfahren Rundverfügung siehe Sonderausschuß (Bericht und Antrag des BundestagsSonderausschusses für die Strafrechtsreform) Schellhorn/Jirasek/Seipp, Das Bundessozialhilfegesetz. Ein Kommentar für Ausbildung, Praxis und Wissenschaft, 9. Aufl., Neuwied/Darmstadt 1977 Schüler-Springorum, Strafvollzug im Ubergang. Studien zum Stand der Vollzugsrechtslehre, Göttingen 1969 Schlußbericht (der JStrVK, hrsg. v. BMJ, 1980) Schwind/Blau (Hrsg.), Strafvollzug in der Praxis. Eine Einführung in die Probleme und Realitäten des Strafvollzugs und der Entlassenenhilfe, Berlin/New York 1976 Sozialgesetzbuch Sozialgesetzbuch, 1. Buch Sozialgesetzbuch, 4. Buch Sozialgesetzbuch, 10. Buch Sonderheft Strafgesetzbuch Strafprozeßordnung Strafverteidiger Strafvollzugskommission Strafvollstreckungsordnung vom 15. 2. 1956 Strafvollzugsfortentwicklungsgesetz Strafvollzugsgesetz Strafvollzugsordnung vom 22. 7. 1940 Strafvollzugsvergütungsordnung siehe unten unter anderem Untersuchungshaft Unsere Jugend, Zeitschrift für Jugendhilfe in Wissenschaft und Praxis Gesetz über die Unterbringung psychisch Kranker und deren Betreuung Untersuchungshaftvollzugsordnung (bundeseinheitlich)

XIX

Zitierweise und Abkürzungen

VwGO VwVfG

Verordnung über die gerichtliche Vertretung des Freistaates Bayern und über das Abhilfeverfahren i. d. F. vom 9. 2. 1973 vergleiche Vollzugsgeschäftsordnung vom 1. 7. 1965 i. d. F. vom 1. 1. 1977 Verordnung Vorbemerkung Verwaltungsvorschriften zum Strafvollzugsgesetz Bundeseinheitliche Verwaltungsvorschriften f ü r den Jugendstrafvollzug Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz

WRV WStG WzM WPKG

Weimarer Reichsverfassung Wehrstrafgesetz Wege zum Menschen Wissenschaft und Praxis in Kirche und Gesellschaft

z. B. Zbl. ZevKR ZfSH ZPO ZfStrVo ZRP ZStW z.T.

zum Beispiel Zentralblatt f ü r Jugendrecht und Jugendwohlfahrt Zeitschrift f ü r evangelisches Kirchenrecht Zeitschrift f ü r Sozialhilfe Zivilprozeßordnung Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe Zeitschrift f ü r Rechtspolitik Zeitschrift f ü r die gesamte Strafrechtswissenschaft zum Teil

VertrV

vgl. VGO VO Vorb. W WJug.

XX

Erster Abschnitt

Anwendungsbereich

§1 Dieses Gesetz regelt den Vollzug der Freiheitsstrafe in Justizvollzugsanstalten und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung. Übersicht Rdn. I. Allgemeine Hinweise Regelungsbereich II. Erläuterungen 1. Freiheitsstrafe i. S. des StVollzG . 2. Geltung des StVollzG f ü r aus dem Jugendstrafvollzug „Herausgenommene" 3. Geltung des StVollzG f ü r Strafarrest und H a f t 4. Keine Geltung des StVollzG f ü r den Vollzug der Untersuchungs-

1 2—9 2

3—4 5

haft und der Jugendstrafe 5. Geltung des StVollzG bei freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung 6. Geltung des Gesetzes n u r in Justizvollzugsanstalten III. Beispiel Abgrenzung des Rechtswegs nach S§ 109 ff StVollzG und SS 23 ff EGGVG

Rdn. 6—7

8—9 10

11

I. Allgemeine Hinweise Die Vorschrift bestimmt positiv, für wen die im StVollzG enthaltenen Regelungen 1 gelten. Das sind nur etwa zwei Drittel der im Justizvollzug befindlichen Personen (31. 3. 1982: 39 745). Für die in Untersuchungshaft befindlichen und die zu Jugendstrafe verurteilten Personen gilt das StVollzG nicht (zu einer wichtigen Ausnahme vgl. Rdn. 3). Das bringt erhebliche praktische Schwierigkeiten mit sich, denn in Justizvollzugsanstalten befinden sich oft neben Insassen, für die das StVollzG gilt, auch andere Gefangene, etwa wenn eine Justizvollzugsanstalt verschiedenen Zwecken dient, z. B. der Durchführung von Untersuchungshaft und der Vollstreckung kurzer Freiheitsstrafen zugleich, oder wenn besondere Einrichtungen für einen Bezirk zentral geschaffen sind (Anstaltskrankenhaus), in die Gefangene aller Art vorübergehend gelangen. O f t wird aber auch in derselben Anstalt im Anschluß an oder in Unterbrechung der Untersuchungshaft Freiheitsstrafe vollzogen oder nach Beendigung der Freiheitsstrafe Abschiebungshaft vollstreckt. Vor allem in Justizvollzugsanstalten für weibliche Gefangene sind meistens alle Frauen eines Bezirks untergebracht, gegen die Freiheitsentzug irgendwelcher Art vollstreckt wird (vgl. auch § 140 Rdn. 4). Für das Verhältnis zur Strafvollstreckungsordnung vgl. § 8 Rdn. 2.

II. Erläuterungen 1. Vollzug der Freiheitsstrafe bedeutet hier Vollzug von Freiheitsstrafe i. S. von § 38 2 StGB. Der Begriff wird im engeren Sinne verwendet (und nicht im weiteren, also Freiheitsstrafe, Jugendstrafe und Strafarrest umfassend-.Lackner StGB, 14. Aufl., Rdn. 1 zu Alexander Böhm

1

§1

1. Abschnitt: Anwendungsbereich

§ 38). Freiheitsstrafe im engeren Sinn ist auch die Ersatzfreiheitsstrafe nach § 43 StGB, also die Freiheitsstrafe, die an den Verurteilten vollzogen wird, die ihre Geldstrafe nicht bezahlen. Wird jemand, der zu einer Freiheitsstrafe i. S. von § 38 StGB verurteilt worden ist, gemäß § 114 JGG in den Jugendstrafvollzug „hineingenommen" und in eine Jugendstrafanstalt verlegt, so bleibt gleichwohl das StVollzG auf ihn anwendbar. Auch die Jugendstrafanstalt ist eine Justizvollzugsanstalt, und aus § 114 JGG ergibt sich nicht, daß besondere Vollzugsbestimmungen gelten sollen (Böhm Einführung in das Jugendstrafrecht, München 1977, 172). Da diese unterschiedliche Gesetzeszuständigkeit in einer Anstalt zu Schwierigkeiten führt, wird in der Praxis von der keineswegs als Ausnahme formulierten Vorschrift des §114 JGG sehr selten Gebrauch gemacht (31. 3. 1982: bei 75 Personen). Die Jugendstrafvollzugskommission schlägt eine Gesetzesänderung vor, wonach für gem. § 114 JGG im Jugendstrafvollzug befindliche zu Freiheitsstrafe nach dem allgemeinen Strafrecht Verurteilte künftig nicht mehr das StVollzG, sondern das noch zu schaffende Jugendstrafvollzugsgesetz gelten soll (Brunwer Rdn. 16 zu §92). 3

2. Gemäß § 92 Abs. 2 Satz 1 JGG braucht an einem zu Jugendstrafe Verurteilten, der das 18. Lebensjahr vollendet hat und sich nicht mehr für den Jugendstrafvollzug eignet, die Strafe nicht in einer Jugendstrafanstalt vollzogen zu werden. Uber diese Ausnahme aus dem Jugendstrafvollzug entscheidet gem. § 92 Abs. 3 JGG der Jugendrichter als Vollstreckungsleiter. Wird dann die Jugendstrafe nicht in der Jugendstrafanstalt vollzogen, so gelten die Vorschriften des Strafvollzugs für Erwachsene (§ 92 Abs. 2 Satz 2 JGG), also das StVollzG (einschl. der Regelungen der §§ 109 ff über die gerichtliche Entscheidung gegen Vollzugsmaßnahmen: BGHSt 29, 33). Durch diese Rechtsfolgenverweisung des § 92 Abs. 2 Satz 2 JGG werden etwa 20% der zu Jugendstrafe Verurteilten, die ihre Strafe auch verbüßen müssen, den Regelungen des StVollzG unterstellt (1460 Verurteilte am 31. 3. 1982). Vgl. deshalb für das Verfahren nach §§ 109 ff Rdn. 4 zu § 109.

4

Zu Jugendstrafe Verurteilte, die — ohne gem. § 92 Abs. 2 JGG aus dem Jugendstrafvollzug herausgenommen zu sein — zeitweise in einer Justizvollzugsanstalt, die keine Jugendstrafanstalt ist, untergebracht sind, etwa anläßlich eines Transportes, einer Verlegung zur Vorführung, einer Krankenbehandlung oder aus besonderen Sicherheitsgründen, unterliegen nicht den Regelungen des StVollzG, sondern den für den Vollzug der Jugendstrafe geltenden Bestimmungen (§§91, 115 JGG i.V. W J u g . : Böhm Jugendstrafvollzug. Kriminologischer Beitrag, in: Sieverts/Schneider (Hrsg.), Handwörterbuch der Kriminologie, 2. Aufl., Ergänzungsband, Berlin 1979, 522, 523 f)-

5

3. Das StVollzG gilt auch für den Vollzug des Strafarrests, soweit er in den Justizvollzugsanstalten stattfindet, entsprechend (§ 167) mit einigen kleineren Abweichungen (§§ 168 — 170). Zur Begründung § 2 Rdn. 4. Der Vollzug von Ordnungs-, Sicherungs-, Zwangs- und Erzwingungshaft (und zwar unabhängig davon, ob er in Justizvollzugsanstalten oder anderwärts stattfindet) ist ebenfalls im StVollzG geregelt (§§ 171 —175; Einzelheiten bei Rdn. 2 zu §§ 171 — 175). Hier gelten §§ 3—122 — also nicht § 2 — entsprechend, soweit nicht Zweck und Eigenart der Haft entgegenstehen. Für den — in der Praxis häufig im Wege der Amtshilfe in Justizvollzugsanstalten stattfindenden — Vollzug der Abschiebungshaft gem. § 16 des Ausländergesetzes gelten wiederum die Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes über den Vollzug von Ordnungs-, Sicherungs-, Zwangs- und Erzwingungshaft entsprechend (§ 185). 2

Alexander Böhm

1. Abschnitt: Anwendungsbereich

§1

4. Das StVollzG gilt nicht für in Justizvollzugsanstalten untergebrachte

6

a) Untersuchungsgefangene (31. 3. 1982: 16 179). Für diese gelten die Vorschriften der StPO (§ 119) - bei jungen Menschen ergänzend § 93 J G G —, §§ 23 ff E G G V G und die Untersuchungshaftvollzugsordnung (UVollzO) als Verwaltungsvorschrift (vgl. Böhm 201 ff). Aus dem StVollzG gelten für Untersuchungsgefangene § 177 (Arbeitsentgelt, wenn der Untersuchungsgefangene eine ihm zugewiesene Arbeit, Beschäftigung oder Hilfstätigkeit ausübt) und § 178 (unmittelbarer Zwang in den Justizvollzugsanstalten). Die UVollzO bestimmt zwar in Nr. 76, daß in Ergänzung der UVollzO „die Vorschriften über den Strafvollzug" sinngemäß gelten, soweit nicht in der UVollzO etwas anderes bestimmt ist oder Wesen und Zweck der UHaft entgegenstehen. Diese Bestimmung hat aber keine besondere Bedeutung. Die UVollzO enthält eine ziemlich vollständige Regelung der Untersuchungshaft; sie ist im übrigen nur eine Art Vorschlag für den zuständigen Richter, der die Haftbedingungen im Rahmen des § 1 1 9 StPO weitgehend gestalten kann (BVerfGE 15, 288, 293 ff). Die meisten Bestimmungen des StVollzG sind auch nicht mit dem Wesen und dem Zweck der Untersuchungshaft zu vereinbaren (Gruttau Kommentar zur Untersuchungshaftvollzugsordnung, 2. Aufl., Köln u. a. 1972, Nr. 76). b) zu Jugendstrafe Verurteilte, soweit sie nicht aus dem Jugendstrafvollzug gem. 7 § 92 J G G herausgenommen sind — oben Rdn. 2 — (31. 3. 1982: 6497). Für den Vollzug der Jugendstrafe gelten §§ 91, 115 J G G , §§ 23 ff E G G V G , §§ 176, 178 StVollzG (Arbeitsentgelt und unmittelbarer Zwang in Justizvollzugsanstalten). Als Verwaltungsvorschrift gilt die W J u g . Mitunter wird einer entsprechenden Anwendung der Vorschriften des StVollzG das Wort geredet (Calliess/Müller-Dietz Rdn. 8; AK-Feest Rdn. 8). Das entspricht aber nicht der Selbständigkeit des Jugendstrafvollzugs, seiner Zielbestimmung in § 91 J G G und den durch den Schlußbericht der Jugendstrafvollzugskommission angeregten Reformvorstellungen. 5. Von den freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung ist nur

8

a) die Sicherungsverwahrung (§§ 129—135) abschließend im StVollzG geregelt (31. 3. 1982: 185 Verwahrte). Die Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Anstalt (§§ 123—128) ist zwar ebenfalls im StVollzG normiert, sie ist aber als Maßregel der Besserung und Sicherung noch nicht existent. § 65 StGB soll erst am 1. 1. 1985 in Kraft gesetzt werden, ja es sind Bestrebungen im Gang, die Vorschrift ganz zu streichen. Dann bliebe der sozialtherapeutische Vollzug eine Spielart des Vollzugs der Freiheitsstrafe (vgl. hierzu Schwind Zur Zukunft der Sozialtherapeutischen Anstalt, in: NStZ 1981, 121 m. w. Hinweisen). In dieser Form existiert er bereits (31. 3. 1982: 321 Insassen). Diese Maßregeln der Besserung und Sicherung werden nur in Justizvollzugsanstalten vollzogen. b) Die beiden anderen freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Siehe- 9 rung (Entziehungsanstalt, § 64 StGB, am 31. 3. 1980: 632 Insassen und Psychiatrisches Krankenhaus, § 6 3 StGB, am 31. 3. 1980: 2593 Insassen) werden nicht in Justizvollzugsanstalten und nicht durch Justizvollzugsbeamte vollzogen. Die Einrichtungen, in denen diese Verwahrten untergebracht sind, gehören in der Regel nicht zum Justizressort. Es trifft auch nicht zu, daß das StVollzG den Vollzug insoweit regelt (OLG Hamm, 22. 11. 79 — 1 VAs 3/79). Die §§ 136 und 137 enthalten nur eine Beschreibung des Vollzugsziels dieser Maßregeln, und § 138 erklärt, daß sich die Unterbringung nach Landesrecht richtet (bisher nur in Schleswig-Holstein, §§ 33 — 35 des Gesetzes für psychisch Kranke vom 26. 3. 1979, in Bayern, Art. 41 Unterbringungsgesetz vom 20. 4. Alexander Böhm

3

1. Abschnitt: Anwendungsbereich

§1

1982, in Niedersachsen, Maßregelvollzugsgesetz vom 1. 6. 1982 und in Hessen, Maßregelvollzugsgesetz vom 3. 12. 1981, s. Marschner Ein erstes Maßregelvollzugsgesetz! in: MschrKrim 1982, 177; Kneuker/Hübner Das Hessische Maßregelvollzugsgesetz, in: NStZ 1982, 457; Volckart Zur Verrechtlichung der Gnade in Strafvollstreckung und Vollzug, in: NStZ 1982, 496 ff, 501, 502), soweit nicht Bundesgesetze etwas anderes bestimmen. Hierbei ist vor allem an die rechtliche Überprüfung der Vollzugsmaßnahmen durch den Strafsenat des O L G gem. §§ 23 ff EGGVG gedacht (zu weiteren gesetzgeberischen Planungen — Unpfändbarkeit des Überbrückungsgeldes, andere Zuständigkeit für die gerichtliche Überprüfung von Vollzugsmaßnahmen — ZfStrVo 1982, 299). Demnach regelt das StVollzG die Durchführung dieser Maßregeln gerade nicht. Es ist hier auch nicht entsprechend anwendbar (Calliess/Müller-Dietz Rdn. 1 zu $138). 10

6. Der Vollzug der Freiheitsstrafe (Rdn. 2, 3) wird nach dem Wortlaut des § 1 durch das StVollzG nur insoweit geregelt, als er in Justizvollzugsanstalten stattfindet. In Wahrheit enthält das StVollzG aber auch Vorschriften über den Vollzug der Freiheitsstrafe außerhalb der Vollzugsanstalten. Bei Vollzugslockerungen, etwa bei der Gewährung von Urlaub, können dem Strafgefangenen Weisungen erteilt werden (§ 14). Bei der Verlegung nach § 65 Abs. 2 in ein Krankenhaus außerhalb des Vollzugs trifft der Anstaltsleiter mit der Krankenhausleitung Absprachen, die die Sicherheit der Verwahrung des erkrankten Gefangenen, die Belange des Krankenhauses und die erforderliche Krankenbehandlung berücksichtigen (vgl. W zu § 65 und Rdn. 6 zu §65). III. Beispiel

11

Der Senator der Justiz lehnt es „aus Sicherheitsbedenken" ab, dem Drogenberater X eine von ihm beantragte Bescheinigung auszustellen, daß er alle Vollzugsanstalten des Landes Berlin besuchen dürfe. X beantragt hiergegen eine gerichtliche Entscheidung. Der Senator hält die Strafvollstreckungskammer gem. §§ 109 ff für zuständig, da sie „den gesamten gerichtlichen Rechtschutz i. S. des Art. 19 Abs. 4 GG hinsichtlich des Justizvollzugs wahrzunehmen" hätte. Dagegen hat das KG (28. 8. 1981, BIStV 1982, H . 3, S. 3 — LS) zu Recht den Rechtsweg nach §§ 23 ff E G G V G für eröffnet gehalten, denn das Verlangen des Antragstellers „bezieht die Anstalten ein, in denen Untersuchungshaft und Jugendstrafe vollzogen wird. Für deren Vollzug ist aber das StVollzG nicht anzuwenden".

4

Alexander Böhm

Zweiter Abschnitt

Vollzug der Freiheitsstrafe Erster Titel

Grundsätze §2 A u f g a b e n des Vollzuges Im Vollzug d e r Freiheitsstrafe soll d e r G e f a n g e n e fähig w e r d e n , k ü n f t i g in sozialer V e r a n t w o r t u n g ein L e b e n ohne S t r a f t a t e n zu f ü h r e n (Vollzugsziel). D e r Vollzug d e r Freiheitsstrafe dient auch d e m Schutz d e r Allgemeinheit v o r weiteren S t r a f t a t e n .

Schrifttum Bemmann Über das Ziel des Strafvollzugs, in: Kaufmann u. a. (Hrsg.), Festschrift Bockelmann München 1979, 91 ff; Hammermann Vollzugsziel — Vollzugsaufgaben. Widerspruch oder Differenzierung? in: ZfStrVo 1981, 361 ff; Müller-Dietz Strafzwecke und Vollzugsziel. Ein Beitrag zum Verhältnis von Strafrecht und Strafvollzugsrecht, Tübingen 1973; Müller-Dietz (Re-)Sozialisierungsziel und Sicherungsaufgaben des Strafvollzuges — Zur Problematik der Zielkonflikte und ihrer Lösung —, in: Müller-Dietz (Hrsg.), Grundfragen des strafrechtlichen Sanktionensystems, Heidelberg/Hamburg 1979, 107 ff; Schöch Zielkonfliktsfall, in: Kaiser/Schöch (Hrsg.), Kriminologie. Jugendstrafrecht. Strafvollzug, 2. Aufl., München 1982, 184 ff.

Übersicht Rdn. I. Allgemeine Hinweise 1 —9 1. Gerichtliche Strafzumessung und Vollzugsziel 2— 3 2. Rechtseinschränkung und Vollzugsziel 4—5 3. Zielkonflikt zwischen resozialisierender Behandlung und Sicherheit 6—8 a) R a n g o r d n u n g nach Gesetzeswortlaut 6 b) Sicherheit hat V o r r a n g bei Vollzugslockerungen 7 c) R a n g o r d n u n g bei anderen Vollzugsmaßnahmen 8 4. Bedeutung der „Schuldeinsicht" 9 II. Erläuterungen 10—19 1. Vollzugsziel (§ 2 Satz 1) 10-14 a) betroffener Personenkreis . . 11

Rdn. Erreichen des Vollzugsziels durch Freiheitsentzug 12 c) Fähigwerden zu einem Leben ohne Straftaten in sozialer Verantwortung 13 d) Gefangenengruppen, f ü r die das Vollzugsziel nicht bedeutsam ist 14 2. Schutz der Allgemeinheit 15 — 19 a) Bedeutung 15 b) Behinderung des Vollzugsziels durch Gewährleistung von Sicherheit 16—17 c) Lösungsmöglichkeiten f ü r den „Zielkonflikt" 18-19 III. Beispiel Begriff der Behandlung 20

Alexander Böhm

b)

5

§2

2. Abschnitt: Vollzug der Freiheitsstrafe

I. Allgemeine Hinweise 1

Die Vorschrift enthält die gesetzliche Beschreibung (Legaldefinition) des Vollzugsziels (Rdn. 10 ff) und beschäftigt sich mit Aufgaben des Vollzuges. Sie beruht auf der Vorstellung, es sei verständig, angemessen und möglich, die im Strafvollzug zu leistenden Aufgaben von den verfassungsrechtlichen und strafrechtlichen Bedingungen der Verhängung von Freiheitsstrafe zu trennen und die letzteren im Gesetz nicht zu erwähnen. Die Regelung versucht schließlich, die den Vollzug belastenden und erschwerenden „Zielkonflikte" (Rdn. 17 f) wenn nicht zu beheben, so doch zu vermindern.

2

1. Die Freiheitsstrafe ist zu vollziehen, wenn ihr ein rechtskräftiges Strafurteil zugrunde liegt. Das Strafgericht verhängt Freiheitsstrafen nach den Vorschriften des StGB. Danach sind für das „ob" und das „wie lange" einer Freiheitsstrafe die Schwere der vom Täter begangenen Rechtsverletzung — sie führt zu dem verbindlichen gesetzlichen Strafrahmen — und innerhalb des so gefundenen Strafrahmens vornehmlich das Maß der Schuld des Täters (§ 46 StGB) maßgeblich. Erst nach Auffinden eines solchen „Schuldrahmens" werden auch im Bereich der gerichtlichen Strafzumessung Überlegungen spezialpräventiven Inhalts („Folgen der Verurteilung für den Täter", § 46 Abs. 2 StGB, Schutz der Allgemeinheit durch zeitweise Einsperrung des Täters und — § 47 Abs. 1, § 56 Abs. 1 und Abs. 2 StGB — vermuteter Resozialisierungserfolg) wirksam (im einzelnen: Zip/Die Strafzumessung, Heidelberg/Karlsruhe 1977). So müssen im Strafvollzug Freiheitsstrafen an Tätern vollzogen werden, die weder resozialisiert werden müssen noch für die Allgemeinheit gefährlich sind. Zu denken ist dabei an Verurteilte, die in Konfliktsituationen schwere Verbrechen begangen haben und mitunter erst Jahre nach der Tat, inzwischen wohleingegliedert und unauffällig lebend, als Täter ermittelt worden sind. Ahnlich ist es bei Personen, die im Zusammenhang mit ihrem Beruf bestehende Möglichkeiten zu umfangreichen Vermögensstraftaten mißbraucht haben, nach Entdeckung und Entfernung aus der von ihnen kriminell genutzten Position aber in der Lage und meistens auch bereit sind, ihr Brot in dem erlernten Beruf rechtschaffen zu erwerben (eindrucksvolles Beispiel: BGHSt 29, 319). In noch zahlreicheren Fällen ist jedenfalls die Strafhöhe nicht vorrangig nach den Erfordernissen der in § 2 genannten Aufgaben des Strafvollzuges bemessen, sondern — insbesondere bei Gewaltverbrechen — wegen der Schwere der Tat und Größe der Schuld erheblich höher und — auch bei Berücksichtigung einer Entlassung zur Bewährung gemäß § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 StGB — möglicherweise für die Resozialisierung geradezu schädlich (Schock in: Kaiser/Kerner/Schöch 95—97). Von dieser Sachlage geht im übrigen das Strafvollzugsgesetz in § 3 Abs. 2 aus, wonach den schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges entgegengewirkt werden soll (§ 3 Rdn. 11 f). Selbstverständlich sind aber diese im Sinne der Aufgaben des Strafvollzugs nach § 2 unnötigen und schädlichen Freiheitsstrafen rechtens und müssen vollzogen werden. Ihr Vollzug dient dann der Vergeltung des schuldhaft begangenen Unrechts und — generalpräventiv — der Bestätigung der Rechtsordnung. Dies gilt im übrigen auch für jede andere Freiheitsstrafe, deren Verhängung und Bemessung (mehr oder weniger zufällig) auch im Sinne der Aufgaben des Strafvollzugs funktional ist (BVerfG — Beschluß nach § 93 a BVerfGG — 19. 9. 1980, 2 BvR 963/79). Beachte zur Frage der Resozialisierung näher Rdn. 11 ff.

3

Es hätte nichts geschadet, wenn auch im StVollzG diese selbstverständliche und unstreitige Rangfolge und Abhängigkeit der Freiheitsstrafe ausdrücklich formuliert worden wäre. Da das nicht geschehen ist, entstehen bei Verurteilten, Mitarbeitern des Strafvollzugs und in der Öffentlichkeit leicht Fehlvorstellungen über die Bedeutung der Freiheitsstrafen und ihres Vollzugs. Die Freiheitsstrafe ist ein zur Ahndung der schuld6

Alexander Böhm

1. Titel. Grundsätze

§2

haften Straftat dem Verurteilten auferlegtes Strafübel, eine Rechtseinbuße. Jede Verschleierung dieses Sachverhalts ist schädlich und erschwert die Durchführung der „Aufgaben des Vollzuges", ganz besonders die Erreichung des Vollzugsziels. Dem Verurteilten können die ihn durch den Vollzug der Freiheitsstrafe treffenden Beschränkungen und Belastungen niemals allein (oder auch nur überwiegend) aus den Aufgaben des Strafvollzugs und schon gar nicht aus dem Vollzugsziel erklärt werden. Wird ihm der wahre Hintergrund seines Strafleidens verschwiegen oder zerredet, so fühlt er sich letzten Endes betrogen oder für dumm verkauft, denn „wäre die Freiheitsstrafe eben nicht als Strafe unentbehrlich, würde sie kaum als Behandlung eingeführt werden" {H. Mayer nil nocere, in: Busch/Edel (Hrsg.), Erziehung zur Freiheit durch Freiheitsentzug, Neuwied/Berlin 1969, 199, 211). Zu den Rechtsbeschränkungen im Strafvollzug vgl. § 4 Rdn. 3, 12, 25. 2. Eine andere Frage ist es, ob man einer aus bestimmten Gründen verhängten Maß- 4 nähme ausschließlich Aufgaben zuweisen kann, die mit den Gründen ihrer Anordnung nicht oder nur zum Teil übereinstimmen. Die — vergeltende — Rechtseinschränkung ist der Freiheitsentzug als solcher in dem durch das StVollzG gesteckten Rahmen. Das wird verschiedentlich an den Grenzen der „Leistung" deutlich: zugesicherte Besuchszeit von einer Stunde im Monat (§ 24 Abs. 1 Satz 2, viel weniger als in jeder anderen sozialen Einrichtung), Unterbringung, Freizeit etc. Zusätzlich realisiert sich das Maß vergeltender Rechtseinschränkung in der Zuweisung von Mitteln für den Strafvollzug. Hier wird eine Rolle spielen, daß die Lebenshaltung anderer sozial zu unterstützender Gruppen in der Allgemeinheit höher angesehen wird als die Strafgefangener. Die im StVollzG gewährten besseren Bedingungen für Sicherungsverwahrte (§§ 131 — 133) tragen dem Umstand Rechnung, daß diese Verurteilten, die für ihre Straftaten ihnen zugemessene Freiheitsstrafe schon verbüßt haben und nun darüber hinaus nur noch festgehalten werden, weil sie als zu gefährlich für die Allgemeinheit gelten (AKBrandt-Seibert Rdn. 1 zu § 131). Die gegenüber dem Vollzug der Freiheitsstrafe günstigeren Haftbedingungen der Insassen, an denen Strafarrest vollzogen wird, hängen damit zusammen, daß Strafarrest seinem Anlaß nach die weniger einschneidende Strafe ist (Calliess/Müller-Dietz zu § 167). Auch die Untersuchungsgefangenen gewährte bessere Lebenshaltung hat allein diesen Grund (Unschuldsvermutung! BVerfGE 35, 311 ff, 320). Es ist deshalb kaum möglich, aus den Aufgaben des Strafvollzugs die Vergeltungsgesichtspunkte völlig auszuklammern. Das mag bei der Beratung des Gesetzes gewünscht worden sein, es ist aber angesichts der geschilderten Zusammenhänge nicht vollständig zu verwirklichen. Besondere praktische Bedeutung erlangt diese Problematik, wenn bei einer Ent- 5 Scheidung die Vollzugsbehörde einen Spielraum hat. So kann Urlaub gewährt werden, wenn gewisse Mindestzeiten verbüßt sind und die H o f f n u n g begründet ist, daß der Verurteilte den Urlaub nicht dazu mißbraucht, neue Straftaten zu begehen oder sich der weiteren Strafverbüßung zu entziehen. Mehrere Oberlandesgerichte haben gegen die herrschende Lehre in der Literatur (Peters Beurlaubung von zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten, in: JR 1978, 177; Calliess Strafvollzugsrecht, 2. Aufl., München 1981, 21; AK-Feest 17—20; Müller-Dietz Grundfragen des strafrechtlichen Sanktionensystems, Heidelberg/Hamburg 1979, 236) die Auffassung vertreten, im Rahmen dieses Ermessens könnten Vergeltungsfragen (am Rande) berücksichtigt werden. Mit dieser Begründung ist über 70 Jahre alten Verurteilten, die wegen besonders schrecklicher Massenmorde an Juden verurteilt worden sind, Urlaub, den sie nach den Vorschriften an sich erhalten könnten, abgelehnt worden (OLG Karlsruhe ZfStrVo S H 1978, 9; OLG Frankfurt ZfStrVo S H 1979, 28; O L G Frankfurt NStZ 1981, 157; OLG Alexander Böhm

7

§2

2. Abschnitt: Vollzug der Freiheitsstrafe

Hamm N S t Z 1981, 495; O L G Nürnberg ZfStrVo 1980, 122) (§ 13 Rdn. 36). Das O L G Nürnberg stützt seine Auffassung darüber hinaus mit dem Argument, daß Voraussetzung einer Wiedereingliederung gerade bei Tätern von schwersten Verbrechen „eine Schuldverarbeitung" voraussetze, „die erst durch die Verbüßung einer sehr langen Freiheitsstrafe ermöglicht wird" (Rdn. 9). Gerade bei den Gefangenen mit langen Strafen wird in aller Regel freilich aus Gründen der Resozialisierung und um besonderem Schaden durch den Vollzug entgegenzuwirken (§ 3 Rdn. 11 f), die Gewährung von Urlaub wiederum besonders nötig sein. D a gegenüber diesen Aufgaben des Vollzuges Gedanken der Tatvergeltung zweitrangig sind, ist die praktische Bedeutung der geschilderten Sachlage gering. Bei der Ausgestaltung des Haftraums (§ 19 Rdn. 3 ff) oder der Genehmigung von Freizeitbeschäftigungen (§§68 — 70) bestehen ohnehin schon so erhebliche Beschränkungen aus Gründen der Sicherheit, der Mittelbeschränkung und der Organisation der Anstalt, daß zusätzliche Berücksichtigung der gerechten Tatvergeltung im Einzelfall ganz unangemessen wäre. Die Berücksichtigung der Tatvergeltung und generalpräventiver Überlegungen leuchtet noch am ehesten bei der Gewährung von Vollzugslockerungen ein. Mag es doch als unangemessen erscheinen, einen wegen Mordes oder Totschlags bestraften Insassen schon bald nach der Inhaftierung wieder in der durch ihn vielleicht recht schwer geschädigten und beunruhigten Öffentlichkeit „auftreten zu lassen" ( O L G Frankfurt StrafV 1982, 586; O L G Nürnberg ZfStrVo 1982, 308 f). Sicher hängt dieses Empfinden der Unangemessenheit aber auch mit der relativen Neuheit von Vollzugslockerungen zusammen. Denn auf den Gedanken, Versand und Empfang von Post im Strafvollzug je nach Schwere der Verfehlung gestuft zu gestalten, käme heute niemand mehr (obgleich bis 1969 insoweit noch Unterschiede zwischen Zuchthaus- und Gefängnisgefangenen gemacht wurden). Zur Ermessensüberprüfung § 115 Rdn. 19 ff.

6

3 a) Die Zielkonflikte hat das StVollzG nicht beseitigt. Zwar läßt der Wortlaut des § 2 keinen Zweifel, daß das Vollzugsziel (Rdn. 10 ff) den Vorrang genießen soll und die Sicherheit der Allgemeinheit (Rdn. 15 f) vor Straftaten während des Vollzugs nur „auch" — also in zweiter Linie — eine Aufgabe des Vollzuges ist.

7

b) Diese Rangordnung wird aber schon im Gesetz selber nicht eingehalten. So sind die Vollzugslockerungen davon abhängig, daß „nicht zu befürchten ist, daß der Gefangene sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die Lockerungen des Vollzuges zu Straftaten mißbrauchen werde" (§11 Abs. 2). Wenn eine solche Befürchtung besteht, darf auch die zur Resozialisierung notwendigste Lockerung nicht angeordnet werden ( O L G Karlsruhe ZfStrVo 1979, 54). J a wenn die einzige Chance einer Resozialisierung darin bestände, eine riskante Lockerung zu gewähren, so wäre das nach § 11 Abs. 2 verboten (§11 Rdn. 11). Es findet keine Abwägung zwischen der Bedeutung der Lockerung für die Resozialisierung und der Schwere der bei Gewährung der Lockerung befürchteten Straftaten statt. Der Vorrang der Sicherheit ist eindeutig festgeschrieben. Diese Umkehr der Aufgabengewichtung ist bedauerlich. Der Gesetzgeber hätte den Zielkonflikt, der unvermeidlich ist, offener ins Auge fassen müssen und mit mehr Mut zum Risiko eine Abwägung der Aufgaben im Einzelfall unter Angabe von Bewertungsgesichtspunkten strukturieren sollen. In der vollzuglichen Praxis wird man ohnehin in dieser flexiblen Art vorgehen müssen, also die Wichtigkeit der Lockerung für die Resozialisierung in Beziehung zur Schwere der allenfalls drohenden Straftaten setzen und bei herannahendem Entlassungszeitpunkt die Bedeutung der Mißbrauchsgefahr bei Lockerungen geringer veranschlagen müssen. 8

Alexander Böhm

1. Titel. Grundsätze

§2

c) Bei den anderen Vollzugsmaßnahmen hat das Gesetz der Sicherheitsaufgabe des 8 Vollzugs nicht so eindeutig den Vorrang eingeräumt. Innerhalb der Vollzugsanstalt ist die Gefahr, daß ein Insasse Straftaten begehen kann, die die Allgemeinheit gefährden, geringer. Hier kann deshalb auch auf das Vollzugsziel vorrangig Rücksicht genommen werden. Allerdings wird in der Praxis auch hier das Sicherheitsziel besonders stark beachtet. D a s läßt sich an anderen Vorschriften des Gesetzes und — man muß sagen: folgerichtig — in den W und den D S V o l l z nachweisen. Obendrein werden Sachmittel und Personal in erster Linie für die Sicherungsaufgabe eingesetzt. Erst wenn dann noch etwas zur Verfügung steht, wird die Erreichung des Vollzugsziels bedacht. Der übergeordneten Vorstellung des § 2 entsprechend sollte aber auch hier zunehmend die Erreichung des Vollzugsziels eine größere Bedeutung erhalten (vgl. Bundesvorstand des Bundes der Strafvollzugsbediensteten: Bestandsaufnahme im Strafvollzug seit Inkrafttreten des StVollzG, in: BIStV 1982, H . 4 / 5 , S. 1).

4. O b neben den beiden genannten Aufgaben noch weitere Aufgaben des Vollzuges 9 zu berücksichtigen sind, ist für die Tatvergeltung (Rdn. 5) schon angesprochen. Mitunter ist — unter Anknüpfung an die Regelung in Nr. 57 D V o l l z O (der durch die einzelnen Länderjustizminister und -Senatoren gleichlautend in allen Bundesländern und in Berlin 1961 in Kraft gesetzten Verwaltungsanordnung, die bis zum Inkrafttreten des StVollzG maßgebende Gestaltungsrichtlinie des Strafvollzugs war) — der Gesichtspunkt bedacht worden, daß „dem Verurteilten die Einsicht vermittelt werden müsse, für das von ihm verschuldete Unrecht einzustehen". Nun liegt es nahe, auf die in Strafanstalten oft geäußerten Wünsche der Insassen um Erleichterungen und Hilfen, die übertriebenen Beschwerden und mitunter maßlos erscheinenden Forderungen ablehnend mit dem Hinweis darauf zu reagieren, die Fordernden vergäßen ganz, was sie angerichtet hätten, und täten gut daran, sich darauf zu besinnen. S o wichtig es ist, daß die Insassen nicht vergessen, was sie an Unrecht angerichtet haben, so wenig wahrscheinlich ist es, daß sie sich unter dem Eindruck von ihnen als Schikanen erscheinenden weiteren Rechtseinbußen angemessen mit ihrer Schuld auseinandersetzen. Eine Vollzugsmaßnahmen mitgestaltende Aufgabe, dem Insassen Schuldeinsicht zu vermitteln, kann daher nicht bejaht werden (s. auch Schwind Zum Sinn der Strafe und zum Ziel (Zweck) des (Straf-)Vollzugs, in: BewHi 1981, 351). Bedenklich ist deshalb schon die — oben Rdn. 5 — wiedergegebene Vorstellung des O L G Nürnberg (ZfStrVo 1980, 122), daß eine Schuldverarbeitung erst durch die Verbüßung einer sehr langen Freiheitsstrafe ermöglicht werde. Erwägungen dieser Art werden aber auch allgemein angestellt ( O L G München Z f S t r V o S H 1979, 67, 69). Es ist sogar davon gesprochen worden, daß bei der Ausgestaltung des Vollzugs die Abschreckungswirkung zu bedenken sei ( L G Mannheim Z f S t r V o 1978, 248). Was insoweit von Vollzugsbediensteten an Anregungen (etwa sich zu entschuldigen oder Wiedergutmachung zu leisten) oder Hinweisen geschehen soll und muß, gehört zur Verwirklichung des Vollzugsziels und erlaubt nicht zusätzliche Vollzugsbeschränkungen. Schuldeinsicht kann auch als — weitere — Voraussetzung für die Gewährung von Vollzugslockerungen nicht verlangt werden (bedenklich deshalb O L G Bamberg Z f S t r V o 1979, 122), soweit sie nicht im Einzelfall als notwendige Voraussetzung für den Ausschluß einer Mißbrauchsgefahr angesehen wird. Die Bewahrung der Rechtsordnung und der Rechtsgesinnung der Allgemeinheit durch nachdrücklichen Vollzug der Freiheitsstrafe (Generalprävention) geschieht durch den dem StVollzG entsprechenden Vollzug und gibt für die Durchführung im einzelnen — abgesehen von dem Umstand, daß dieser Gedanke dem Strafvollzug eben ohnehin immanent ist (Rdn. 4) — nichts her. Alexander Böhm

9

2. Abschnitt: Vollzug der Freiheitsstrafe

§2

II. Erläuterungen 10

1. Als Vollzugsziel bezeichnet es das Gesetz, daß der Gefangene im Vollzug der Freiheitsstrafe fähig werden soll, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen. Dieses Vollzugsziel gilt natürlich auch f ü r Strafgefangene fremder Nationalität (OLG Frankfurt ZfStrVo 1981, 247).

11

a) Das bedeutet, daß der Gesetzgeber offenbar annimmt, viele Insassen der Strafanstalten seien (noch) nicht fähig, in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen, könnten aber diese Fähigkeiten im Vollzug der Freiheitsstrafe erwerben. Dabei orientiert sich der Gesetzgeber an dem wiederholt rückfälligen Vermögensstraftäter aus ungünstigen sozialen Verhältnissen, emotional gestörten oder unvollständigen Familien mit mangelhaften schulischen Kenntnissen und ohne angemessene berufliche Eingliederung in den Arbeitsprozeß (§ 37 Rdn. 16). In der Tat finden sich bis zu 80% solcher mehr oder weniger benachteiligter Personen in Strafhaft (vgl. Großkelwing Schulische und berufliche Bildung, in: Schwind/Blau 297; Hilkenbacb Schulische und berufliche Bildung im Jugendstrafvollzug, in: ZfStrVo 1979, 83 ff, 87; Böhm Zum Problem des Vollzugs kurzzeitiger Jugendstrafen, in: Grünwald u. a. (Hrsg.), Festschrift für Friedrich Schaffstein, Göttingen 1975, S. 303 ff, 321; Berckhauer/Hasenpusch Legalbewährung nach Strafvollzug, in: Schwind/Steinhilper (Hrsg.), Modelle zur Kriminalitätsvorbeugung und Resozialisierung, Heidelberg 1982, 281 ff, 295—297). Von ihnen kann man sagen, daß sie (noch) nicht fähig sind, in sozialer Verantwortung ohne Straftaten zu leben. Mitunter wird bei diesem großen resozialisierungsbedürftigen Personenkreis angenommen, er sei nur zum Teil resozialisierungsfähig und resozialisierungswillig. Das mag zwar f ü r einzelne zutreffen, (in Grenzen) lernfähig ist aber jeder Mensch bis zu seinem Tode, und die Ablehnung von Resozialisierungsbemühungen durch Gefangene weist kaum je auf mangelnden Willen zur Veränderung hin. Hinter einer solchen Ablehnung kann die Angst stehen, wieder zu versagen. Sie kann Ausdruck von Resignation sein, auf der Verinnerlichung erlernter Ausweich- und Überlebenstechniken beruhen oder auch die richtige Erkenntnis widerspiegeln, daß das konkrete Resozialisierungsangebot unangemessen oder nutzlos ist. Deshalb ist es Teil der Aufgabe, den Insassen für das Vollzugsziel zu motivieren und ihn zu ermuntern, trotz der früheren entmutigenden Erfahrungen sich auf einen neuen, oft f ü r den Insassen mit vielen Unannehmlichkeiten verbundenen Versuch einzulassen (§ 4 Abs. 1 Satz 2; § 4 Rdn. 4 und Rdn. 7). Man wird also grundsätzlich davon ausgehen dürfen, daß die große Mehrzahl der Strafgefangenen mehr oder weniger unfähig zu einer sozial zu tolerierenden Lebensführung ist, diese Unfähigkeit aber jedenfalls vermindern kann und das auch will oder doch zu Anstrengungen in dieser Richtung zu motivieren ist. W e r dieses Vertrauen in eine (wenn auch vielleicht begrenzte) Lernfähigkeit und Lernbereitschaft des bestraften Mitbürgers nicht hat, wessen Menschenbild einem statischen Modell verhaftet ist („Die Katze läßt das Mausen nicht"), kann weder im Strafvollzug vernünftig arbeiten noch das Gesetz im Sinne des Gesetzgebers richtig anwenden (das wird etwa deutlich bei dem der Entscheidung des LG Mannheim ZfStrVo 1979, 250, zugrunde liegenden Fall). Die insoweit starke Skepsis von Grunau/Tiesler (Rdn. 4; s. auch Grünau Zur Auslegung des § 2 des Strafvollzugsgesetzes, in: DRiZ 1977, 309) mahnt deshalb zu besonderer Vorsicht bei der Übernahme der dort vertretenen, oft im übrigen interessanten und lehrreichen Positionen. Zur Mitwirkung des Gefangenen allgemein § 4 Rdn. 2 ff. Richtig ist vielmehr die unterdessen in der Rechtsprechung herrschende Meinung, daß bei Entscheidungen in Vollzugsfragen neben der Persönlichkeitsentwicklung, den 10

Alexander Böhm

1. Titel. Grundsätze

Straftaten und zurückliegenden Auffälligkeiten im Vollzug immer und besonders sorgfältig auf die Entwicklung im Vollzug und neuere Beobachtungen und Einstellungsänderungen des Insassen eingegangen werden muß. Die Ablehnung von Vollzugsmaßnahmen allein mit dem Hinweis auf länger zurückliegende Vorfälle ist grundsätzlich unzulässig (OLG H a m b u r g ZfStrVo S H 1978, 3; O L G München ZfStrVo 1980, 122; O L G Koblenz ZfStrVo 1980, 186 und Beschluß v. 3. 2. 1981 - 2 Vollz. 3/81; O L G Koblenz 15. 1.1981 - 2 Vollz. 51/80; O L G Frankfurt 4. 5. 1981 - 3 W s . 284/81; O L G H a m m 12.6. 1981 — 7 Vollz. 26/81. Zum Strafvollzug als einheitlichem, fortlaufendem Prozeß Vorbem. zu §§ 5 bis 7 Rdn. 1). b) Aber der Gesetzgeber geht auch davon aus, daß der Insasse, der zu einem gesetz- 1 2 mäßigen Leben (noch) nicht fähig ist, diese Fähigkeit im Vollzug der Freiheitsstrafe erwerben könne. Diese H o f f n u n g begleitet den Strafvollzug mindestens seit dem ersten der Resozialisierung dienenden Zuchthaus in Amsterdam (1594; s. hierzu Schwind Kurzer Überblick über die Geschichte des Strafvollzuges, in: Schwind/Blau 1 ff). Sicher sind die Zusammenfassung vieler erheblich straffälliger Personen in einer Anstalt, die künstliche Atmosphäre einer Einrichtung, in der fast alle Lebensbereiche bis ins einzelne geregelt sind, und die Trennung der Insassen von den Menschen und den Fragen, mit denen sie es „draußen" zu tun haben, keine günstigen Voraussetzungen f ü r soziales Lernen. Aber auf der anderen Seite war — wie sich an dem ständigen Rückfall oft mehr als deutlich zeigt — auch die Freiheit f ü r viele Insassen kein guter Lehrmeister. Vielleicht bietet gerade das „Schonklima" des Freiheitsentzugs ein besseres Übungsfeld zum Nachholen versäumter Lernschritte (St. u. E. Quensel Probleme der Behandlung im geschlossenen Vollzug, in: Kaufmann (Hrsg.), Die Strafvollzugsreform, Karlsruhe 1971, 159). Nach ersten Erfolgen wäre die Übung dann im Rahmen gelockerten Vollzugs fortzusetzen. Die in- und ausländischen Untersuchungen über die Wirksamkeit des Freiheitsentzugs hinsichtlich des Vollzugsziels ergeben kein eindeutiges Bild. Die o f t lautstark vertretene Auffassung, der Vollzug der Freiheitsstrafe sei nur schädlich, seine Unfähigkeit, das Vollzugsziel zu fördern, sei nachgewiesen, ist für die Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland weder dargetan noch überhaupt zu vermuten. D a ß etwa 6 0 % der aus Freiheitsstrafvollzug Entlassenen innerhalb von 5 Jahren nach der Entlassung wieder zu Freiheitsstrafe verurteilt werden müssen, hat f ü r sich allein wenig zu bedeuten. Bei der Menge schwer benachteiligter Insassen ist mit einer sehr hohen Erfolgsquote vernünftigerweise nicht zu rechnen. Außerdem erhöht sich die Prozentzahl der „Aussteiger" aus der kriminellen Karriere, wenn man untersucht, wie viele der Entlassenen etwa nach 10 Jahren noch immer „ein Leben mit Straftaten" führen (Ergebnisse von Untersuchungen bei Rotthaus Strafvollzug und Rückfälligkeit, in: ZfStrVo 1978, 1; Klotz Rückfälligkeit von ehemaligen Gefangenen des geschlossenen und offenen Strafvollzugs, in: ZfStrVo 1980, 70; die JVA Straubing betreffend: ZfStrVo 1981, 43; für den Strafvollzug in Niedersachsen: ZfStrVo 1982, 171). Auf der anderen Seite ist nicht gewiß, ob 4 0 % ehemaliger Gefangener gerade wegen, trotz oder ganz unabhängig von der Verbüßung einer Freiheitsstrafe bereits im ersten Jahrfünft nach der Entlassung einigermaßen straffrei leben und sich dieser Prozentsatz später noch erhöht. Untersuchungen — vor allem an aus sozialtherapeutischen Anstalten Entlassenen und vergleichbaren Gefangenengruppen aus dem Normalvollzug — deuten jedenfalls darauf hin, daß ein Vollzug, der sich durch eine besondere Fülle und Dichte resozialisierender Angebote auszeichnet, bessere Erfolge hat als ein „Verwahrvollzug" (Rehn Behandlung im Strafvollzug, in: ZfStrVo S H 1980, 45; Dünkel Abbruch krimineller Karrieren durch sozialtherapeutische Maßnahmen? in: ZfStrVo S H 1980, 70; zusammenfassend Kerner in: Kaiser/Kerner/Schöch 466 ff; Alexander Böhm

11

2. Abschnitt: Vollzug der Freiheitsstrafe

vgl. auch Berckhauer/Hasenpusch aaO 319 ff). So ist die optimistische Haltung des Gesetzgebers auch hinsichtlich der Möglichkeit des Erreichens des Vollzugsziels im Vollzug der Freiheitsstrafe durchaus vertretbar. Sie muß auch die Praxis des Vollzuges und die Interpretation des StVollzG bestimmen. Vgl. auch § 3 Rdn. 12. 13

c) Das Ziel, „ein Leben ohne Straftaten in sozialer Verantwortung" zu führen, bedeutet nicht, daß von dem Gefangenen unangemessene moralische und sittliche Leistungen verlangt werden. „Soziale Verantwortung" bezeichnet die Haltung, in der eben eine straffreie Lebensführung am ehesten erwartet werden kann (zu der Frage, wie eine solche Haltung begünstigt oder unterstützt werden kann: Berckhauer/Hasenpusch aaO 328). Kriminologisch bestünde, ließe man den Satzteil „in sozialer Verantwortung" fort, kaum ein Unterschied (Calliess/Müller-Dietz Rdn. 12; Schöch in: Kaiser/ Kerner/Schöch 87). Der Begriff „in sozialer Verantwortung" läßt sich aber auch dahin deuten, daß das Leben „ohne Straftaten" nicht aus Angst vor Strafe oder aufgrund von Dressur geführt wird, sondern in der richtigen Erkenntnis, daß die rechtlichen Regeln dem gedeihlichen Zusammenleben in der staatlichen Gemeinschaft dienen. Das hat praktische Bedeutung für den Vollzug, weil die Berücksichtigung übertriebener Ordnungsvorstellungen, die früher einmal den „guten Gefangenen" ausgemacht haben, einem solchen Vollzugsziel wesensfremd wären. Selbst das Aufbegehren gegen die Vollzugsordnung, auch soweit es als „schlechte Führung" nicht hingenommen werden kann, darf nicht unbesehen als Anzeichen dafür gewertet werden, daß ein Insasse seinen Urlaub zu Straftaten oder dazu mißbraucht, nicht wieder in die Strafanstalt zurückzukehren (OLG Saarbrücken ZfStrVo 1978, 182). Dazu auch § 13 Rdn. 14. Ein Leben ohne Straftaten ist im Wortsinn kaum zu erwarten. Vergehen, wie Beleidigung, üble Nachrede, Erschleichen der Beförderung in öffentlichen Verkehrsmitteln, Betrügereien — jedenfalls solche kleineren Umfangs — bei Zoll, Steuer etc. begeht (meist unentdeckt) fast jeder Bürger. Ein aus der Strafhaft zur Bewährung entlassener Gefangener, der in der Bewährungszeit ein solches — ja auch unter Umständen ein schwereres — Delikt begeht, wird oft weiter unter Bewährung bleiben und nicht den Widerruf mit der Folge der Verbüßung der Reststrafe riskieren müssen, weil das Begehen einer neuen Straftat nur zum Widerruf führt, wenn es zeigt, daß der Verurteilte die Erwartung, die der Strafaussetzung zur Bewährung zugrunde lag, enttäuscht hat (§ 56 f Abs. 1 StGB). Gemeint ist mit einem „Leben ohne Straftaten" ein solches ohne erhebliche (schwere) Straftaten und ohne ständige Kleinkriminalität.

14

d) Es ist — nimmt man an, daß 80% der Insassen (noch) nicht fähig sind, ein Leben ohne Straftaten in sozialer Verantwortung zu führen (siehe Rdn. 11) — in Anstalten also auch eine (kleinere) Gruppe von Gefangenen anzutreffen, bei denen das Vollzugsziel nicht angestrebt werden muß (ja kann), weil es bereits erreicht ist (Rdn. 2). Dazu mögen einige Insassen kommen, denen der Wille fehlt, sich resozialisierenden Bemühungen zu stellen, die Verbrecher bleiben wollen (wobei ich freilich mit dieser Feststellung sehr zurückhaltend zu sein empfehle, Rdn. 11). Für diese Insassen ist der Vollzug natürlich ebenfalls gesetzmäßig und sinnvoll (Rdn. 2).

15

2. „Der Vollzug der Freiheitsstrafe dient auch dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten." a) Mit dieser weiteren Aufgabe des Vollzuges wird nicht noch einmal das Vollzugsziel (Rdn. 10 ff) umschrieben. Das könnte man denken, denn ein Verurteilter, der fähig gemacht worden ist, künftig ein Leben ohne Straftaten zu führen, und der diese Fähigkeit dann auch nützt (wovon im Regelfall ausgegangen werden kann), ist der beste Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten. Dazu wäre kein eigener Satz in 12

Alexander Böhm

1. Titel. Grundsätze

§2

§ 2 nötig gewesen. Die Aufgabe, die hier zu erörtern ist, kann auch nicht als Ermunterung zu einem Abschreckungsvollzug verstanden werden etwa der Art, daß harte Vollzugsmaßnahmen den Verurteilten vor neuem Straffälligwerden warnen, zu Straftaten bereite Bürger außerhalb des Strafvollzuges von illegalen Verhaltensweisen abschrekken und die rechtstreue Bevölkerung in ihrer Haltung bestätigen. Wie oben (Rdn. 4, 5) erörtert, werden diese Wirkungen (wenn sie überhaupt erzielt werden können, empirische Nachweise sind sehr schwer zu erbringen!) allein durch den Vollzug der verhängten Strafe entsprechend dem Gesetz herbeigeführt. Zur Ausgestaltung der Vorschriften dürfen sie nicht herangezogen werden. b) So beschränkt sich der Satz auf den Inhalt, daß während der Vollzugszeit durch 16 sichere Verwahrung des Insassen, gute Aufsicht und sorgfältige Strukturierung der Vollzugslockerungen eine Gefährdung der Allgemeinheit durch weitere Straftaten des Gefangenen verhindert werden soll. Das ist unproblematisch, soweit es mit dem Vollzugsziel harmoniert: natürlich soll der Gefangene sein strafbares Tun nicht fortsetzen, dadurch wird er auch nicht fähig, künftig ohne Straftaten zu leben. So entspricht die Kontrolle von Brief- und Besuchsverkehr (§25 Rdn. 10, 11; §28 Rdn. 6), die das Ziel verfolgt, Straftaten des besuchten Gefangenen zu verhindern, dem Vollzugsziel i. S. von § 2 Satz 1: OLG Koblenz ZfStrVo 1979, 250 und SH 1979, 48 (§ 23 Rdn. 2). Kritisch wird es aber dann, wenn Vollzugsziel und weitere Aufgabe des Vollzugs miteinander in Widerspruch stehen, wenn die behandelnde Maßnahme, die die Chance des Verurteilten, künftig ein Leben ohne Straftaten zu führen, erhöht, das Risiko des Mißbrauchs mit sich bringt: zur Resozialisierung ist der enge Kontakt zu der Familie notwendig. Das legt es nahe, Besuche nicht abzuhören und Briefe nicht zu lesen. Es besteht aber die Gefahr, daß der Gefangene mit Hilfe seiner Besuche oder Briefe Kontakte für ein kriminelles Treiben etwa betrügerischer Art fortsetzt. Eine qualifizierte Berufsausbildung nachzuholen, ist ein wichtiger und erfolgversprechender Beitrag des Strafvollzugs zur Verbesserung der Chancen eines Inhaftierten, künftig straffrei zu leben. Aber viele Ausbildungsgänge machen es nötig, Insassen Werkzeuge in die Hand zu geben, mit denen sie auch Straftaten begehen können (vgl. OLG Zweibrücken 11. 10. 1982 — 1 Vollz (Ws) 84/81). Die Kontrolle bei vielen Ausbildungsgängen ist weniger gut möglich als bei Hilfsarbeiten. Teile der Ausbildung können vielleicht nur im Freigang absolviert werden, wobei die Situation der mangelnden Aufsicht zu Straftaten genützt werden kann. Vollzugslockerungen sind zur Erreichung des Vollzugsziels zu gewähren, um die sozialen Beziehungen des Inhaftierten nicht zu gefährden und um die in Richtung auf Erfüllung des Vollzugsziels durchgeführten Maßnahmen außerhalb der geschlossenen Einrichtung auf ihre Nützlichkeit hin zu erproben. Auch hierbei werden Risiken, die Sicherung der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten des Verurteilten betreffend, eingegangen. Wegen der Auswirkungen auf Vollzugslockerungen bei mangelnder Resozialisierungsbereitschaft § 4 Rdn. 9. Wie oben (Rdn. 6—8) schon erwähnt, neigt die Praxis dazu, das in erster Linie 17 zu verfolgende Vollzugsziel durch die nur in zweiter Linie zu beachtende Sicherheitsaufgabe übermäßig einzuengen und zu behindern (vgl. z. B. § 8 Rdn. 11; § 10 Rdn. 9; vor §§ 23 ff Rdn. 3). Neben gesetzlichen Hinweisen (§11 Abs. 2) spielt dabei eine Rolle, daß sich ein Mißerfolg bei der auf die vollzugliche Gegenwart bezogenen Sicherheitsaufgabe sofort deutlich und schmerzlich zeigt (jedenfalls in der Regel, natürlich werden mitunter Straftaten eines pünktlich zurückgekehrten „Urlaubers" erst später entdeckt), während die Erreichung des Vollzugsziels erst in vielen Jahren (vielleicht) erwiesen oder wenigstens wahrscheinlich ist, dann nämlich, wenn der Entlassene Alexander Böhm

13

§2

2. Abschnitt: Vollzug der Freiheitsstrafe

mit seinem Leben in Freiheit besser zurecht kommt und keine Straftaten mehr begeht. Das Risiko einer Vollzugsmaßnahme für die Sicherheit der Allgemeinheit ist also leicht festzustellen und zu belegen. Die Notwendigkeit dieser Vollzugsmaßnahme zur Erreichung des Vollzugsziels im Einzelfall ist dagegen viel unsicherer zu begründen. Außerdem begünstigt der Glaube an die Veränderbarkeit von Einstellungen und Verhaltensweisen, an ein dynamisches Menschenbild, die Bevorzugung des Vollzugsziels, während die Vorstellung, jemand bleibe so (gefährlich), wie er war, die Sicherheitsaufgabe stärker in den Vordergrund rückt. Ist bei einer Vollzugslockerung „etwas passiert", so werden aus den Akten und dem Vorleben des Verurteilten gerne Vorfälle hervorgekramt, die den jetzt geschehenen ähnlich sind. Sie hätten einer Lockerungsentscheidung entgegenstehen müssen, heißt es dann. Daß sich ein Mensch ändern kann und daß gerade diese Idee dem Strafvollzug zugrunde liegt, wird in solchen Fällen leicht übersehen. 18

c) Die Lösung dieses Zielkonflikts (oder doch seine Ordnung) ist eine der wichtigsten und schwierigsten Aufgaben der vollzuglichen Praxis. Im Einzelfall ist es zunächst erforderlich, die Bedeutung der — sicherheitsgefährdenden — Maßnahme für die Erfüllung des Vollzugsziels festzustellen (vgl. OLG Frankfurt ZfStrVo 1981, 188). Statt Mitarbeiter der Fachdienste zu Stellungnahmen zur Mißbrauchsgefahr zu veranlassen, erscheint es sachdienlich zu prüfen, ob die Vollzugsmaßnahme wirklich notwendig ist, ob ein weniger sicherheitsgefährdender Ersatz nicht gleiche oder ähnliche Dienste leistet, ob vorbereitende Maßnahmen nötig sind (vgl. das Beispiel in O L G Hamburg ZfStrVo 1979, 53) und welche Gefahren für die Erreichung des Vollzugsziels drohen, wenn die Maßnahme nicht durchgeführt wird. Ferner ist zu prüfen, welche Folgen für das Vollzugsziel das Scheitern der Maßnahmen wegen Mißbrauchs hat. Zu große Uberforderungen des Verurteilten sind auch für seine Entwicklung schädlich (OLG Frankfurt ZfStrVo 1981, 189). Neue Verurteilungen belasten meist mehr als sie nützen. Mißerfolge beeinträchtigen das Selbstwertgefühl. Sie können freilich mitunter auch nützlich sein, wenn sie dem Verurteilten verdeutlichen, daß er sich überschätzt, ja mitunter ist das Erleben eigenen Versagens Voraussetzung zur Bereitschaft für weitere Mitarbeit (Schöch in: Kaiser/Schöch (Hrsg.), Kriminologie. Jugendstrafrecht. Strafvollzug, 2. Aufl., München 1982, 196). Auf der anderen Seite ist zu prüfen, für welche Rechtsgüter einzelner oder der Allgemeinheit bei Gewährung der Vollzugsmaßnahme Gefahr droht und welchen Grad diese Gefahr erlangt. Gefahr für die Ehre einzelner Bürger, weil der Verurteilte leicht unbeschwert schimpft, hat natürlich einen anderen Stellenwert als Gefahr für Leben und Gesundheit von Menschen. Die Gefahr von Zechprellerei, Ladendiebstahl und Fahren ohne Fahrerlaubnis ist eher hinzunehmen als die Gefahr von Raubüberfällen und Einbruchsdiebstählen. Dann ist zu bedenken, welche Maßnahmen ergriffen werden können, um die Gefahren zu vermindern und doch die Vollzugslockerungen, die Ausbildung oder die besondere Freizeitgestaltung zu gewähren. In Betracht kommen Auflagen und stützende Hilfen. Wichtig ist auch — vor allem bei Lockerungen — die Nähe des voraussichtlichen Entlassungstermins. Je näher der Zeitpunkt rückt, an dem der Verurteilte ohnehin in die . Freiheit gelangt, desto weniger kann die Gefahr des Mißbrauchs Berücksichtigung finden. Schon eine kleine Verbesserung der Chance, nach der Entlassung ein Leben ohne Straftaten zu führen, erlaubt das Risiko einer Gefährdung der Allgemeinheit wenige Wochen vor dem Zeitpunkt, an dem sie ohnehin (und möglicherweise stärker) eintritt (Kerner Behandlungs- und Vollzugsorganisation im neuen Strafvollzugsgesetz, in: ZfStrVo 1977, 74, 83). Ahnlich wie bei der Entscheidung über die Frage der Entlassung zur Bewährung aus Freiheitsstrafvollzug gem. § 57 StGB muß 14

Alexander Böhm

1. Titel. Grundsätze

§2

abgewogen werden, was im Endergebnis für die Gesellschaft besser ist: der Vollzug der Strafe bis zu ihrem Ende oder ihre vorzeitige Aussetzung mit einer begleitenden Übergangsfrist in die volle Freiheit. Falsch und gesetzeswidrig ist jedenfalls die bequeme und oft anzutreffende Meinung, die die Sicherheitsaufgabe überbetont, daß nämlich Hauptsache ist, daß während der Strafzeit nichts passiert, und das, was sich nach der Entlassung ereignet, gleichgültig sei, weil es nicht mehr unmittelbar vom Vollzug verantwortet werden müsse. Für die allgemeine Vollzugspolitik folgt aus § 2, daß der im Augenblick besonders 19 gefährliche Kreis der Insassen, bei denen Sicherheitsaspekte weit überwiegen, wohl getrennt in Anstalten oder Abteilungen von Anstalten unterzubringen ist. Denn es geht nicht an, das Gros der (weniger gefährlichen) Insassen unter Bedingungen im Strafvollzug zu halten, die von einer Minderheit hoch gefährlicher Personen diktiert sind und die Chancen für die Erreichung des Vollzugsziels für die Mehrheit verringern (Behinderung der Freizügigkeit in der Anstalt, des Verwendens von Gegenständen der Fortbildung und Freizeitgestaltung, erschwerter Zugang für Besucher und ehrenamtliche Mitarbeiter). Diese besonders gefährlichen Verurteilten sind terroristische Gewalttäter und Mitglieder krimineller Banden, solange sie sich noch nicht von ihren alten Bezugsgruppen gelöst haben, einzelne besonders gewalttätige und unbeherrschte Übeltäter sowie „erfolgreiche" Wirtschaftsstraftäter, die sich leicht endgültig dem Vollzug entziehen können. Es muß wohl in Kauf genommen werden, daß durch die Absonderung dieses Personenkreises für einige seiner Angehörigen das Erreichen des Vollzugsziels erschwert wird. Das wäre der Preis für die bessere Verwirklichungsmöglichkeit des Vollzugsziels bei der großen Mehrheit der Insassen auch im geschlossenen Vollzug. Wegen der Einrichtung von Anstalten und Abteilungen mit höchstem Sicherheitsgrad § 141 Rdn. 7; vgl. auch § 83 Rdn. 3; § 85 Rdn. 3. III. Beispiel X , wegen Heiratsschwindel zu einer längeren Freiheitsstrafe verurteilt, hat aus der 2 0 Anstalt heraus Kontakt mit mehreren Frauen angeknüpft. Er beantragt für einige dieser Frauen Besuchsgenehmigung und bittet darum, daß der Besuch in gelockerter Form stattfindet, also nicht abgehört wird. Der Anstaltsleiter ordnet an, daß alle Besuche von X streng überwacht werden. Das O L G Koblenz (ZfStrVo S H 1979, 45) hält diese Entscheidung insoweit für gesetzmäßig, als der Verurteilte von Personen besucht wird, bei denen die Gefahr begründet ist, daß er Heiratsschwindeleien begeht, denn „der Begriff der Behandlung i. S. des StVollzG u m f a ß t . . . auch die Maßnahmen allgemeiner Art, die den Gefangenen durch Ausbildung und Unterricht, Beratung bei der Lösung persönlicher und wirtschaftlicher Probleme und der Beteiligung an gemeinschaftlichen Aufgaben der Anstalt in das Sozial- und Wirtschaftsleben einbeziehen und der Behebung krimineller Neigungen dienen. Dementsprechend dürfen aus Behandlungsgründen nach § 27 Abs. 1 StVollzG Besuche überwacht werden, sofern und soweit die Kontrolle zur Behebung krimineller Neigungen erforderlich ist." Zum Begriff der Behandlung § 4 Rdn. 6. Dagegen ist die akustische Überwachung aller Besuche des erneuter Heiratsschwindeleien verdächtigen Gefangenen fehlerhaft. Bei Besuchen solcher Personen, bei denen eine Gefahr des Begehens neuer Straftaten nicht naheliegt, etwa des Bruders, des ehemaligen Arbeitgebers oder einer Vertreterin des Gefangenenfürsorgevereins, darf die akustische Überwachung des Besuchs aus diesen Gründen nicht angeordnet werden. Weitere Ausführungen § 27 Rdn. 8.

Alexander Böhm

15

§3

2. Abschnitt: Vollzug der Freiheitsstrafe

§3 Gestaltung des Vollzuges (1) Das Leben im Vollzug soll den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit als möglich angeglichen werden. (2) Schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges ist entgegenzuwirken. (3) Der Vollzug ist darauf auszurichten, daß er dem Gefangenen hilft, sich in das Leben in Freiheit einzugliedern. Schrifttum Böhm Gedanken zur Rückfallprävention durch Strafvollzug, in: Schwind/Berckhauer/Steinhilper (Hrsg.), Präventive Kriminalpolitik, Heidelberg 1980, 91 ff; Schüler-Springorum Strafvollzug und Strafvollzugsgesetz, in: Kaufmann u.a. (Hrsg.), Festschrift für Bockelmann zum 70. Geburtstag, München 1979, 869 ff. Übersicht Rdn. I. Allgemeine Hinweise Z u r R a n g o r d n u n g der Gestaltungsgrundsätze II. Erläuterungen 1. Angleichungsgrundsatz a) Stellung im Gesetz b) Schwierigkeiten bei der Anwendung c) Nachrangigkeit dieses G r u n d satzes

1—2 3 — 13 3 — 10 3 4—9

Rdn. 2. Gegensteuerungsgrundsatz . . . . 1 1 - 1 2 13 3. Integrationsgrundsatz III. Beispiel Besondere Oberbekleidung f ü r die Freizeit (Auslegung des § 20 Abs. 1 unter Berücksichtigung des Angleichungs- und des Gegensteuerungsgrundsatzes) 14

10

I. Allgemeine Hinweise 1

Der Gesetzgeber hat drei Gestaltungsgrundsätze des Vollzugs aufgestellt, den „Angleichungs-" (Rdn. 3 ff), den „Gegensteuerungs-" (Rdn. 11 f) und den „Integrationsgrundsatz" (Rdn. 13). Die einprägsamen Bezeichnungen stammen von Calliess/ Müller-Dietz (Rdn. 3, 5, 7). Sie sollen einmal den Ausbau und die Organisation des Vollzuges der Freiheitsstrafe insgesamt bestimmen und zweitens stets dann bedacht werden, wenn bei der Entscheidung in einem Einzelfall Raum für die Ausübung von Ermessen bleibt oder ein Beurteilungsspielraum gegeben ist. Einmal wendet sich die Vorschrift an die Aufsichtsbehörden und die Länderparlamente, dann aber auch sind der Anstaltsleiter und jeder Bedienstete des Strafvollzugs angesprochen, die ihr tägliches Handeln an diesen Grundsätzen ausrichten sollen.

2

Es ist aber nötig, das Verhältnis der Gestaltungsgrundsätze zu den in § 2 festgestellten Aufgaben des Vollzuges und zueinander zu bestimmen. Was das Vollzugsziel (näher § 2 Rdn. 10 ff) angeht, so lassen sich ihm alle drei Gestaltungsgrundsätze nutzbar machen. Allerdings genügt ihre Beachtung in der Regel nicht, um das Vollzugsziel zu erreichen. Wenn nach dem Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 35, 235) „dem Gefangenen Fähigkeiten und Willen zu verantwortlicher Lebensführung vermittelt werden" sollen, „er es lernen soll, sich unter den Bedingungen einer freien Gesellschaft ohne Rechtsbruch zu behaupten, ihre Chancen wahrzunehmen und ihre Risiken zu bestehen", dann ist es unmittelbar einleuchtend, daß ein solcher Lernprozeß, der oft eine langfristige Fehlentwicklung des Insassen berücksichtigen und „umkehren" muß, nicht mit Angleichung und Gegensteuerung bestritten werden kann. Dabei sind die Beachtung des Gegensteuerungs- und des Integrationsgrundsatzes notwendig, aber

16

Alexander Böhm

1. Titel. Grundsätze

§3

nicht ausreichend. Der Angleichungsgrundsatz wird zudem nur vorsichtig angewendet werden können. Die in § 2 weiter genannte Aufgabe, die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten des Gefangenen zu schützen (Einzelheiten 5 2 Rdn. 15 ff), kann durch die Gestaltungsgrundsätze nicht erfüllt werden. Zwar ist vor der in der Praxis mitunter anzutreffenden Auffassung zu warnen, daß alles, was die Belange des einzelnen Insassen berücksichtige, die Sicherheit gefährde, aber der Schutz der Allgemeinheit vor Straftaten während des Vollzugs erfolgt eben im wesentlichen durch — notwendigerweise nicht frei von Mißtrauen zu leistende — Beobachtung und Einsperrung. Aber auch der Integrationsgrundsatz kann dem Angleichungsgrundsatz im Einzelfall widersprechen, nämlich dann, wenn der Verurteilte — wie vielleicht sein Scheitern und Straffälligwerden gezeigt haben — den „allgemeinen Lebensverhältnissen" (noch) nicht gewachsen ist und den in der Vollzugsanstalt geschaffenen künstlichen „Schonraum" für erste Lernschritte benötigt. Das wird vor allem bei der Organisation von schulischer und beruflicher Ausbildung zu bedenken sein, die — gerade im Gegensatz zu der den allgemeinen Lebensverhältnissen entsprechenden —, soll sie Erfolg haben, besonders die durch enttäuschende Vorerfahrungen und mangelndes Selbstvertrauen des Insassen entstandene Lage berücksichtigen muß. Nicht ohne Grund hat die Jugendstrafvollzugskommission deshalb den „Angleichungsgrundsatz" in ihren Grundsatzvorstellungen überhaupt nicht erwähnt, sondern auf die Notwendigkeit einer besonderen, in Inhalten und Methoden gerade von der den allgemeinen Lebensverhältnissen entsprechenden Ausbildung abweichenden Vollzugspädagogik hingewiesen (Schlußbericht 1980, S. 15, 28, 30). Auch der Gegensteuerungsgrundsatz macht mitunter ein Abweichen von dem im allgemeinen Leben Üblichen notwendig. Eine unkontrollierte und unbeobachtete Kommunikation der Insassen ist o f t nicht nur aus Sicherheitsgründen, sondern auch deswegen unangebracht, weil der Außenseiter in der Gefangenengruppe gequält oder ausgenützt wird. Der Angleichungsgrundsatz wird also nur dann herangezogen werden dürfen, wenn seine Verwirklichung im allgemeinen oder im Einzelfall weder dem Vollzugsziel noch der Aufgabe, die Allgemeinheit vor Straftaten zu schützen, entgegenläuft und wenn sie sich mit dem Gebot des Gegensteuerungsgrundsatzes vereinbaren läßt. Der Nachrang des „Angleichungsgrundsatzes" folgt schon aus der ihm vom Gesetzgeber gegebenen einschränkenden Formulierung „soll" und „soweit als möglich", Einschränkungen, die sich bei der Bestimmung der anderen Grundsätze nicht finden.

II. Erläuterungen 1 a) Der „Angleichungsgrundsatz" ist zwar in § 3 als erster Grundsatz erwähnt und 3 scheint dadurch besonders hervorgehoben. Schüler-Springorum 879 weist ihm auch entscheidende Bedeutung f ü r die Erreichung des Vollzugsziels zu. Dem ist aber aus den oben (Rdn. 2) erwähnten Gründen nicht ohne weiteres zu folgen. Auch in der Praxis hat der Grundsatz nur geringere Bedeutung erlangt, zu Recht. b) Der Grundsatz ist nicht eindeutig. Offenbar wollte der Gesetzgeber den im Voll- 4 zug der Freiheitsstrafe entwickelten, teilweise aus der Rechtlosigkeit oder doch beschränkten Rechtsstellung des Insassen überkommenen, teilweise aus organisatorischen oder auch aus früheren Vollzugsprinzipien ableitbaren sterilen Eigenheiten des Gefängnislebens Einhalt gebieten. Beispiele dafür sind der „gute Gefangene", der niemals widerspricht und in seinen H a f t r a u m Muster bohnert, oder auch die Ausgabe der Abendkost aus „organisatorischen Gründen" um 11.30 Uhr (LG Hamburg ZfStrVo S H 1978, 22). Auch die anderen Erscheinungsformen der „totalen Organisation" wären Alexander Böhm

17

§3

2. Abschnitt: V o l l z u g der Freiheitsstrafe

demnach zu vermeiden oder zu mildern, etwa die restlos durchorganisierte Versorgung und der extrem aufgegliederte Tagesablauf, in dem für Möglichkeiten individueller Entfaltung des Insassen kein Raum bleibt. Freilich entspricht diese notwendige Veränderung und Entwicklung des Vollzuges auch dem Gegensteuerungsgrundsatz (Rdn. 11 f). Der Angleichungsgrundsatz wäre, legte man ihn so aus, ein Unterfall des gesetzgeberischen Auftrags, schädlichen Einflüssen des Strafvollzugs gegenzusteuern. Der Gesetzgeber könnte auch an die Minima, die Mindestgrundsätze für die Behandlung der Gefangenen — Europäische Fassung von 1973—, gedacht haben, wonach (Nr. 58) „das Vollzugssystem die mit einer solchen Lage" (gemeint ist der Freiheitsentzug) „notwendig verbundenen Leiden nicht vergrößern darf, soweit die Aufrechterhaltung der Disziplin oder eine gerechtfertigte Absonderung dies nicht erfordern", und die Anstaltsordnung darauf ausgerichtet sein soll, daß „zwischen dem Anstaltsleben und dem Leben in der Freiheit bestehende Unterschiede, die dahin wirken, daß die Verantwortlichkeit der Gefangenen oder die Achtung vor ihrer Menschenwürde verringert wird", nach Möglichkeit ausgeglichen werden. Dem so verstandenen Angleichungsgrundsatz würden die Unterbringung in einem Raum, mit zum Wohn- und Schlafteil unabgetrenntem WC, für den zentral das Licht ein- und ausgeschaltet wird, das kleinliche Verbot des Besitzes eigener Sachen (Beispiel etwa OLG Koblenz ZfStrVo SH 1979, 85; OLG Celle BIStV 1982, H. 2, S. 2), die Möglichkeit, jederzeit die Durchsuchung und dabei das Durcheinanderwerfen der eigenen Sachen erdulden zu müssen, und das Fehlen jeder Privatsphäre widersprechen (§19 Rdn. 3 f). Ihm entspräche es, das bei Zulassung eines Rundfunkgerätes mit UKW-Empfangsbereich „verbleibende Sicherheitsrisiko, das sich nur als eine allgemeine Befürchtung darstellt, zugunsten einer den allgemeinen Lebensverhältnissen angeglichenen Informationsmöglichkeit hinzunehmen" (OLG Frankfurt 14. 11. 1979 - 3 Ws. 331/78) (§69 Rdn. 5; § 81 Rdn. 10). 5

Wer die Normalisierung des Vollzugs als Angleichung an die allgemeinen Lebensverhältnisse betrachtet, den Grundsatz also über die in Rdn. 4 dargestellten Bereiche ausdehnt, gerät in Schwierigkeiten.

6

Wer gerade an den allgemeinen Lebensverhältnissen gescheitert, ihrer Bewältigung nicht gewachsen ist, muß schrittweise auf sie vorbereitet werden. Das gilt für die Organisation von schulischer und beruflicher Ausbildung (vgl. hierzu etwa Quensel Zum Pädagogischen Ansatz im Justizvollzug, in: ZfStrVo 1981, 277), von Angeboten, die Freizeit zu gestalten, und von der Gestaltung des Übungsfeldes, den richtigen Umgang mit anderen zu erlernen. So falsch es ist, auf ein weltfremdes Gefängnisleben vorzubereiten, so verhängnisvoll kann es sein, den Insassen immer wieder in ihn überfordernde, zwar den allgemeinen Lebensverhältnissen entsprechende, von ihm aber noch nicht zu bewältigende Situationen zu stellen, in denen er versagt, was ihm zum Vorwurf gemacht wird und der Abstempelung dient, resozialisierungsunfähig oder -unwillig zu sein.

7

Manche Insassen leben in ausgesprochen kriminogenen allgemeinen Lebensverhältnissen. Diese sind etwa gekennzeichnet durch unregelmäßige und unqualifizierte Arbeit, mangelnde Planung der Lebensführung, hemmungslose Ausnützung gutmütiger oder eingeschüchterter Bezugspersonen und von Alkoholkonsum begleitetes sinnloses Freizeitverhalten. Niemand kann verlangen, solche „allgemeinen Lebensverhältnisse" im Vollzug der Freiheitsstrafe vorzufinden (OLG München ZfStrVo SH 1979, 67). 8 Im Vollzug der Freiheitsstrafe — also während der Unfreiheit und in einer unnatürlichen Lebenssituation — können in den „allgemeinen Lebensverhältnissen" übliche 18

Alexander Böhm

1. Titel. Grundsätze

S3

Gewohnheiten und Geschehnisse eine veränderte, ja dem Vollzugsziel zuwider laufende Bedeutung erlangen. So ist das Verbot einer wiederholten Wahl in die Gefangenenvertretung zur „Verhinderung einer durch mehrjährige Tätigkeit immer derselben Personen verursachten schädlichen Einfluß- und Herrschaftsstruktur" für zulässig erachtet worden (LG Koblenz bei Franke NStZ 1981, 249; § 160 Rdn. 10). Freilich gibt es auch „draußen" Vereinssatzungen, die eine Wiederwahl von Vorstandsmitgliedern — freilich aus ganz anderen Gründen — ausschließen. Auch die Gewährung von Akteneinsicht in gleicher Weise wie in der Freiheit mag bedenklich sein (so O L G München, 3. 4. 1979 — 1 Ws. 179/79). Zum Einsichtsrecht in Gefangenenpersonalakten § 108 Rdn. 9; § 115 Rdn. 7; § 120 Rdn. 3; §§ 162 ff Rdn. 5. Auch die Vergleichsgrößen sind unsicher. Abgesehen von dem den allgemeinen 9 Lebensverhältnissen entgegenstehenden und nie aufzuhebenden Umstand, daß der Haftraum im geschlossenen Vollzug über Nacht und oft über viele Stunden des Tages abgeschlossen ist, bleibt unklar, ob er im übrigen einem Hotelzimmer, einem in einem Privathaushalt gemieteten möblierten — oder teilmöblierten — Zimmer, den Zimmern einer Wohngemeinschaft oder gar der eigenen Familie „anzugleichen" ist. Je nachdem könnten mehr oder weniger eigene Gegenstände eingebracht oder Einrichtungsgegenstände anders angeordnet werden (Einzelheiten § 19 Rdn. 3 f). Angesichts der ganz anderen Arbeitsverhältnisse im Strafvollzug (Arbeitspflicht des Gefangenen und Verpflichtung der Vollzugsbehörde, ihn zu beschäftigen) ist es schwierig, Ansatzpunkte für die Anwendung des Angleichungsgrundsatzes bei einschränkender oder ausdehnender Interpretation des § 42 und der dazu ergangenen W zu finden (§ 42 Rdn. 2; vgl. OLG Frankfurt 18. 12. 1980 - 3 Ws. 372/80; OLG Karlsruhe ZfStrVo 1982, 52; OLG Hamm ZfStrVo 1982, 54; LG Regensburg NStZ 1981, 40). c) Die Einschränkung „soweit möglich" und „soll" ist offenbar eingeführt worden, 10 damit Insassen aus dem Grundsatz nicht unmittelbar Rechte herleiten können (BTDrucksache 7/3998, 6). Als Grundsatz, der die Ausübung von Ermessen bei einer Einzelfallentscheidung beeinflußt, muß der Angleichungsgrundsatz aber auch in seiner eingeschränkten Formulierung beachtet werden. Da der Insasse Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung hat (gerichtliche Überprüfung der Ermessensentscheidung §115 Rdn. 19 f), kann er im Ergebnis aus dem Angleichungsgrundsatz ebenso — mittelbar — Rechte herleiten wie aus den anderen Vollzugsgrundsätzen. Auch die Einschränkung „soweit möglich" betrifft alle Vollzugsgrundsätze, und mit dieser Einschränkung sind nicht nur die durch die Sicherheitsaufgabe gezogenen Grenzen gemeint (so offenbar Calliess/Müller-Dietz Rdn. 4) — der Sicherungsaufgabe muß ja sogar das Vollzugsziel Tribut zollen —, sondern auch die finanziellen Möglichkeiten der Vollzugsbehörde. Die gerade für den Angleichungsgrundsatz gewählte vorsichtige Formulierung ^ eist deshalb auf seine Nachrangigkeit hinter den anderen Grundsätzen und auf die dargestellte Schwierigkeit, seine jeweiligen Forderungen verläßlich zu bestimmen, hin. 2. Der Gegensteuerungsgrundsatz ist in der Praxis das wichtigste Prinzip. Er hat 11 auch für die Insassen Bedeutung, für die das Vollzugsziel nicht verwirklicht werden muß oder kann (§ 2 Rdn. 2). „Schädlich" sind Wirkungen des Freiheitsentzugs, die die Erreichung des Vollzugsziels (§ 2 Rdn. 10 ff) behindern, aber auch Wirkungen, die die Lebensmöglichkeiten der bereits zu Beginn der H a f t Eingegliederten verschlechtern. Zu denken ist an das Verlernen beruflicher Fähigkeiten, das beruflich, aber auch das allgemeine kulturelle Geschehen betreffend Nicht-auf-dem-laufenden-Bleiben, Verlust Alexander Böhm

19

§3

2. Abschnitt: Vollzug der Freiheitsstrafe

o d e r L o c k e r u n g menschlicher K o n t a k t e und B e z i e h u n g e n , N i c h t w a h r n e h m u n g von Rechten und Verdienstmöglichkeiten. D e s h a l b ist bei der Z u w e i s u n g von Arbeit und Ausbildung auf Kenntnisse und Fähigkeiten zu achten (§ 37 R d n . 13), sind Weiterbildungsmöglichkeiten zu g e w ä h r e n (§ 37 R d n . 16), sind die K o n t a k t e mit der Außenwelt z u p f l e g e n (z. B. §§ 10 f f ; §§ 23 f f ) und ist der G e f a n g e n e in seinen persönlichen und geschäftlichen Angelegenheiten zu beraten. Z u r K o n k r e t i s i e r u n g der B e r a t u n g vgl. insb. § 74. In allen diesen Punkten überschneidet sich der G e g e n s t e u e r u n g s g r u n d s a t z mit dem Integrationsgrundsatz. 12

A b e r der V o l l z u g der Freiheitsstrafe hat noch g a n z typische G e f a h r e n . Sie werden in der vollzugskundlichen Wissenschaft mit den S c h l a g w o r t e n „Prisonisierung" und (negative) „ S u b k u l t u r " umschrieben. D e r V o r g a n g der Prisonisierung, vor allem an den E i n l i e f e r u n g s p r o z e d u r e n beschrieben, geht mit dem V e r l u s t von Selbstwertgefühl einher: der G e f a n g e n e fühlt sich als O b j e k t , nicht o d e r gering geachtet, weniger wertvoll. D e r Insasse gerät in ein System totaler V e r s o r g u n g ( R d n . 4), in dem ihm keine Eigenbetätigung mehr möglich ist. D i e F o l g e dieser totalen V e r s o r g u n g ist unter anderem das Verlernen, f ü r die eigenen D i n g e V e r a n t w o r t u n g zu tragen. E s entwickelt sich eine S o z i a l h i l f e - E m p f ä n g e r - M e n t a l i t ä t und V e r w ö h n u n g s h a l t u n g . Bei längeren S t r a f e n kann auch eine Illusionsbildung eintreten. E s geht in der g e n a u e n O r d n u n g alles gut. D e r G e f a n g e n e meint, d a r u m w ü r d e n auch draußen wohl keine P r o b l e m e auftreten. D r o h e n d e r Lebensuntüchtigkeit sollte deshalb durch V o l l z u g s l o c k e r u n g e n entgegengewirkt werden O L G H a m m 1 2 . 6 . 1981 — 7 V o l l z . 2 6 / 8 1 ) . G e g e n s t e u e r u n g f o r d e r t eine V o l l z u g s e n t w i c k l u n g , in der der Insasse (oder die Insassengruppe) f ü r V e r s o r g u n g und P f l e g e der P e r s o n und der eigenen S a c h e n verantwortlich ist, w o nicht jeden T a g alles geregelt wird, w o der Insasse selbst bestimmt, w a n n und wie o f t er sich reinigt, seine Kleider pflegt, seine W ä s c h e wechselt und an W o c h e n e n d e n ißt (z. B.) und wie die d a f ü r bereitstehenden Mittel zu verwenden sind. In seinen Angelegenheiten soll er beraten werden, aber in einer Weise, daß er die D i n g e selbst z u erledigen lernt und nicht b e q u e m auf andere abschieben kann. E r muß auch eine R ü c k z u g s m ö g l i c h k e i t haben, dem Einfluß der Insassen darf er nicht ausgeliefert werden. Irrig ist die V o r s t e l lung (AK-Feest R d n . 17), es sei ein Ausfluß des G e g e n w i r k u n g s g r u n d s a t z e s , den G e f a n g e n e n schnell z u entlassen. D e s h a l b sei der G e f a n g e n e auf alle Möglichkeiten, eine H a f t v e r k ü r z u n g herbeizuführen, hinzuweisen. D e n n der Freiheitsentzug (und seine D a u e r ) sind nicht auch zugleich dessen schädliche W i r k u n g . Kritiker der Freiheitsstrafe m ö g e n z w a r ihre A b s c h a f f u n g f o r d e r n und ihre generelle Schädlichkeit behaupten, das S t V o l l z G geht aber ersichtlich d a v o n aus, daß die Freiheitsstrafe z u r E r r e i c h u n g des V o l l z u g s z i e l s geeignet und erforderlich — und damit nicht nur z u m S c h u t z der Allgemeinheit v o r d e m T ä t e r notwendig, sondern auch z u dessen Resozialisierung nützlich — sein kann (§ 2 R d n . 12). D a sie neben solchen nützlichen auch schädliche W i r k u n g e n hat (wie etwa die N e b e n w i r k u n g e n eines M e d i k a m e n t s ) , sind diese z u b e k ä m p f e n , aber eben nicht der Freiheitsstrafvollzug an sich. D a ß im übrigen der Insasse auf alle seine Möglichkeiten, vorzeitig entlassen zu w e r d e n , hingewiesen werden muß, f o l g t aus allgemeinen verwaltungsrechtlichen G r u n d s ä t z e n . K e i n e B e h ö r d e darf die Unkenntnis eines Bürgers über seine Rechte ausnützen. D e r Insasse muß deshalb auch dann auf Möglichkeiten, etwa die S t r a f z e i t durch einen A n t r a g auf nachträgliche G e s a m t s t r a f e n b i l d u n g z u v e r k ü r z e n , hingewiesen w e r d e n , wenn m a n die d a d u r c h erreichte V e r k ü r z u n g der S t r a f z e i t f ü r a u s g e s p r o c h e n schädlich hält.

13

3. D e r Integrationsgrundsatz deckt sich auf der einen Seite mit d e m V o l l z u g s z i e l . E r bedeutet aber d a r ü b e r hinaus, daß auch der bereits Eingegliederte oder der anscheinend nicht Eingliederungswillige der H i l f e n b e d a r f , sich nach der H a f t (und schon 20

Alexander Böhm

§4

1. Titel. Grundsätze

während der Haft) wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Denn der Freiheitsentzug ist notwendigerweise eine „Ausgliederung" auf Zeit, die möglichst reibungslos wieder in die Freiheit übergeleitet werden muß. Es ist deshalb auch nur folgerichtig, daß für jede Freiheitsentziehung die Vollzugsgrundsätze gelten, unabhängig vom Vollzugsziel (Beispiel: Zivilhaft § 171; dort Rdn. 4). III. Beispiel In einer Anstalt bekommen die Strafgefangenen zwei Arbeitsanzüge („Blaumann"), 14 von denen sie einen für die Arbeit, den anderen als Oberbekleidung für die Freizeit verwenden sollen. Nach dem O L G Celle (ZfStrVo S H 1978, 20) widerspricht diese Form der Berücksichtigung des § 20 Abs. 1, wonach der Gefangene für die Freizeit eine besondere Oberbekleidung erhalten soll, dem Angleichungsgrundsatz. Besondere Oberbekleidung sei nicht schlicht eine weitere Garnitur, sondern eine auch im Schnitt und der Art andere Garnitur, weil dies so auch in den allgemeinen Lebensverhältnissen üblich sei. Die Entscheidung ist richtig, wenngleich es den allgemeinen Lebensverhältnissen sicher nicht entspricht, daß sich die Insassen für ihre Freizeit gleichmäßig kleiden. Da sie dies (der Gefangene trägt Anstaltskleidung) tun müssen, könnte man durchaus auch die Auffassung vertreten, es sei nun auch gleichgültig, ob sich die Arbeits- von der Freizeitkleidung unterscheide, wenn sie nur zweckmäßig sei (s. auch Rdn. 2 zu § 20). Die Entscheidung kann auch mit dem Gegensteuerungsgrundsatz (Erhaltung des Selbstwertgefühls des Gefangenen) gerechtfertigt werden (Schöcb Vollzugsrechtsfall Rdn. 18 in: Kaiser/Schöch (Hrsg.), Kriminologie. Jugendstrafrecht. Strafvollzug, 2. Aufl., München 1982).

(1) Der Gefangene wirkt an der Gestaltung seiner Behandlung und an der Erreichung des Vollzugszieles mit. Seine Bereitschaft hierzu ist zu wecken und zu fördern. (2) Der Gefangene unterliegt den in diesem Gesetz vorgesehenen Beschränkungen seiner Freiheit. Soweit das Gesetz eine besondere Regelung nicht enthält, dürfen ihm nur Beschränkungen auferlegt werden, die zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder zur Abwendung einer schwerwiegenden Störung der Ordnung der Anstalt unerläßlich sind. Schrifttum FrankeVom Behandlungsvollzug zum Rechtsvollzug? in: BIStV 1981, H. 1, 1 ff; Müller-Dietz Grundfragen des strafrechtlichen Sanktionensystems, Heidelberg/Hamburg 1979, 130 ff; MüllerDietz Die Rechtsprechung der Strafvollstreckungskammern zur Rechtsgültigkeit der W S t V o l l G , in: N S t Z 1981, 409 ff. Übersicht I. Allgemeine H i n w e i s e Status des G e f a n g e n e n II. E r l ä u t e r u n g e n . 1. Integrationsstatus (Abs. 1) . . . .. a ) Mitwirkungspflicht des G e fangenen nur in dem d u r c h b e s o n d e r e gesetzliche R e g e lung bestimmten U m f a n g . . .

Rdn.

Rdn. b)

2-25 2-11 t) 2-3

Alexander Böhm

Keine weitergehende Mitwirkungspflicht des G e f a n g e n e n . A b e r Pflicht der V o l l z u g s b e h ö r d e zur Motivation des G e fangenen Auswirkungen der Mitwirk u n g s b e r e i t s c h a f t auf VollZugsentscheidungen

- 77 4—

8 — 10

21

2. Abschnitt: V o l l z u g der Freiheitsstrafe Rdn.

2.

Anspruch des Gefangenen auf resozialisierende Behandlung . Abwehrstatus (Abs. 2) a) Rechtsbeschränkungen nur kraft Gesetzes zulässig . . . . b) Keine zusätzlichen Beschränkungen durch W erlaubt. . . aa) Zur Entstehung der W . bb) Einzelfall und Vereinheitlichung cc) Selbstbindung der Verwaltung c) Rechtsbeschränkungen durch die Generalklausel (Abs. 2 Satz 2)

Rdn.

d)

11 12 — 24 13 14 — 18 15 16—17 18

3.

aa) Begriff der „Sicherheit" in Abs. 2 Satz 2 20 bb) Enge Auslegung der Klausel. Subsidiarität. Erfordernis der „Unerläßlichkeit" 21-24 Besonderheiten bei Grundrechtseinschränkungen 25

III. Beispiel Tragen eines Lichtbildausweises an der Jacke kann nicht nach § 4 Abs. 2 Satz 2 angeordnet werden

26

19-24

I. Allgemeine Hinweise 1

Wie das BVerfG wiederholt festgestellt hat, ist auch der Strafgefangene ein Bürger, für den die Rechtsgarantien des Grundgesetzes gelten. Er ist in seinen Grundrechten nur soweit beschränkbar, als dies die Verfassung in der Form und in der Sache erlaubt (BVerfGE 33, 1 ff; 40, 276). Die ihm aufgrund erlittener Benachteiligungen nach dem Sozialstaatsprinzip geschuldete resozialisierende Behandlung (BVerfGE 35, 202, 235) kann zwar auch zur Beschränkung von Rechten führen, ist aber keine „Gehirnwäsche" oder „Zwangsbehandlung", die der Verurteilte in einer Objektstellung zu erdulden hätte, sondern bezieht den Gefangenen als zu informierende, zu beteiligende und zu aktivierende Person positiv ein. Damit sind der „Abwehrstatus" (Rdn. 12 ff) des Gefangenen (Grenzen der Eingriffe in seine Rechte) und der „Integrationsstatus" (Stellung des Insassen im Behandlungsprozeß, Rdn. 2 ff) umschrieben (Würtenberger Kriminalpolitik im sozialen Rechtsstaat, Stuttgart 1970, 223; Calliess/Müller-Dietz Rdn. 1).

II. Erläuterungen 2

1. Der „Integrationsstatus" des Gefangenen ist in Abs. 1 behandelt. a) Im Strafvollzug befindet sich der Gefangene nicht freiwillig. Es handelt sich um ein Zwangssystem, das den Gefangenen für die Dauer des Freiheitsentzugs in vielerlei Weise in seiner Handlungsfreiheit einengt. Diese Einengungen haben ihre Gründe in der Sicherung des Gewahrsams und des Lebens und der Gesundheit der in der Anstalt befindlichen Menschen (Sicherheit der Anstalt), in der Notwendigkeit, das Zusammenleben in der Anstalt einigermaßen erträglich zu organisieren (Ordnung der Anstalt; § 81 Rdn. 7), in der Verpflichtung, während des Vollzugs der Freiheitsstrafe die Allgemeinheit vor Straftaten des Insassen zu schützen (Aufgabe des Vollzuges nach § 2 Satz 2; § 2 Rdn. 15 ff), aber auch in der Vorstellung, im Vollzug Verhältnisse zu schaffen, die die Erreichung des Vollzugsziels (§ 2 Rdn. 10 ff) ermöglichen.

3

Rechtsbeschränkungen aus diesem zuletzt genannten Grund sind nicht nur zulässig, sondern für einen geordneten Strafvollzug unerläßlich (BVerfGE 40, 276). Er kann „nicht nur Ansprüche des Gefangenen begründen, sondern unter Umständen auch grundrechtsbeschränkende Maßnahmen rechtfertigen, die erforderlich sind, um die inneren Voraussetzungen für eine spätere straffreie Lebensführung des Gefangenen zu fördern" (S. 284, 285) (§ 68 Rdn. 12). Im StVollzG finden sich deshalb an vielen Stellen Hinweise darauf, daß dem Gefangenen Beschränkungen in seinen Rechten auch 22

Alexander Böhm

1. Titel. Grundsätze

§4

auferlegt werden, um das Vollzugsziel nicht zu gefährden oder die Eingliederung der Insassen nicht zu behindern (§ 25 Nr. 2; § 27 Abs. 1; § 28 Abs. 2 Nr. 2; § 29 Abs. 3; § 31 Abs. 1 Nr. 1; § 34 Abs. 1 Nr. 2; §68 Abs. 2 Satz 2; §70 Abs. 2 Nr. 2; vgl. auch Müller-Dietz Grundrechtsbeschränkungen im Strafvollzug, in: JuS 1976, 88, 91). Aus Gründen der Behandlung kann der Anstaltsleiter dem Gefangenen bei der Gewährung von Lockerungen Weisungen erteilen (§ 14). Der Gefangene ist mindestens auch deshalb, weil dies zur Erreichung des Vollzugsziels für notwendig gehalten wird, in der Anstalt zur Arbeit verpflichtet (§ 41). In diesem durch das Gesetz in Einzelbestimmungen gezogenen Umfang trifft den Gefangenen eine Mitwirkungspflicht an seiner Behandlung (Rdn. 6 und § 2 Rdn. 20) in dem Sinne, daß er die im Einzelfall angeordneten Beschränkungen zu dulden, der Arbeitspflicht und den Weisungen nach § 14 nachzukommen hat. Lehnt er sich gegen diese Beschränkungen auf, so handelt er gegen seine Pflichten und setzt sich — schuldhaftes Verhalten vorausgesetzt — disziplinarischer Zurechtweisung aus (§§ 102 ff). Die Befürchtung, daß ein solcher Zwang entgegen dem Ziel des Vollzuges nur einen „guten Gefangenen" schaffe, der für die Freiheit nicht tauge (Calliess/Müller-Dietz Rdn. 3, 4; ganz ablehnend auch AK-Feest Rdn. 17 vor § 2), erscheint nicht begründet. Ist schon der Entzug der Freiheit oft notwendig, um das „Schonklima" (§ 2 Rdn. 12) für die erforderlichen Lernschritte zu schaffen, so ist auch der zwangsweise Ausschluß besonderer Gefährdungen unerläßlich, freilich nicht ausreichend, um das Vollzugsziel zu erreichen (OLG Bamberg 1. 10. 1981 — Ws. 491/81). Auf eine solche zwangsweise Ausgestaltung des Vollzuges könnte nur verzichtet werden, wenn die Gefährdungen durch Gespräche in einem „therapeutischen" Wohngruppenvollzug aufgearbeitet würden. Diese Entwicklung ist anzustreben (vgl. auch Rdn. 2 zu § 102). b) Jenseits der ausdrücklichen Regelungen des Gesetzes, die gewissermaßen den 4 dem Gesetzgeber unverzichtbar erscheinenden Bebandlungsrahmen darstellen, besteht aber für den Gefangenen keine Pflicht, an seiner Behandlung mitzuwirken (Calliess 50). Daß der Gefangene „mitwirkt", ist vielmehr der Wunsch des Gesetzgebers, denn die Mitwirkung ist zur Erreichung des Vollzugsziels notwendig. Wie sich aus Satz 2 ergibt, geht der Gesetzgeber aber — und damit wird eine Erfahrung aus dem Vollzugsalltag berücksichtigt — nicht davon aus, daß der Gefangene vom Beginn des Vollzugs an bereit ist, an der Gestaltung seiner Behandlung (Rdn. 6) und an der Erreichung des Vollzugsziels mitzuwirken. Deshalb muß seine Bereitschaft hierzu geweckt und, ist sie erst einmal in Ansätzen vorhanden, ständig gefördert werden (zur Motivierung auch § 2 Rdn. 11). Das Einsetzen einer resozialisierenden Behandlung ist also nicht von der Mitwirkung oder Zustimmung des Gefangenen abhängig. Der Gefangene hat kein Recht darauf, sich den resozialisierenden Maßnahmen im Vollzug zu entziehen. Das Recht, gegen Absitzen der Strafzeit ein Verbrecher bleiben zu dürfen, in Ruhe gelassen zu werden, neue Kräfte für einen antisozialen Lebenswandel zu sammeln, besteht nicht (Müller-Dietz Grundfragen des strafrechtlichen Sanktionensystems, 149, 155). Deshalb muß die Behandlungsuntersuchung (§ 6) und die Erstellung, Durchführung und Fortschreibung des Vollzugsplans (§ 7) immer stattfinden, und zwar auch bei jenem Gefangenen, der seine Mitwirkung völlig verweigert. Und es ist rechtswidrig, den Gefangenen in eine Arbeit, eine Wohngruppe oder eine Maßnahme der Weiterbildung einzuteilen, die nach der Erkenntnis der Vollzugsbehörde der Erreichung des Vollzugsziels schadet (etwa Gemeinsamkeit mit anderen Insassen, die aufeinander einen schlechten Einfluß haben können), auch und gerade dann, wenn der Gefangene diese Gestaltung seiner Behandlung will. Die Verantwortung für die Erreichung des Vollzugsziels und die Gestaltung der Behandlung liegt bei der Vollzugsbehörde. Sie besteht unabhängig Alexander Böhm

23

§4

2. Abschnitt: Vollzug der Freiheitsstrafe

von der Bereitschaft oder Fähigkeit des Gefangenen, sich zu beteiligen. Vgl. so zur Mitwirkung bei der Behandlungsuntersuchung § 6 Rdn. 12. 5

Es ist auch verfehlt, die modische Idee zu kultivieren, Behandlung sei nur mit Zustimmung des zu Behandelnden auf der Ebene der Freiwilligkeit möglich. Menschen bewähren sich, leben und lernen seit eh und je in Situationen und unter Bedingungen, die sie nicht ausgewählt haben und in die sie unwillentlich geraten (Grunau/Tiesler Rdn. 1). Aber es ist natürlich richtig, daß derjenige am weitesten kommt und am besten lernt, der die Lage als Realität annimmt und den Zielen einer Entwicklung oder Veränderung zustimmt. Dies wird für den Behandlungsprozeß richtigerweise nicht vorausgesetzt, in seinem Verlauf aber angestrebt. Dabei gibt es Behandlungsmaßnahmen, die ohne Zustimmung, ja gegen den Willen des Gefangenen begonnen werden, und andere, die notwendigerweise sein Einverständnis, mindestens eine Art Duldung, voraussetzen. So ist der Einsatz des Gefangenen in der Anstaltsschreinerei, der zur Erreichung des Vollzugsziels sinnvoll erscheint, auch ohne seine Zustimmung zulässig, ja vielleicht geboten (Einzelheiten bei § 41). Das Eingehen eines Ausbildungsverhältnisses in der Schreinerwerkstatt bedarf aber der Zustimmung des Gefangenen, wobei in vielen Fällen die Bereitschaft zur Mitarbeit im Laufe der Zeit entsteht und wächst. Der zunächst widerwillig in der Schreinerei Tätige findet Gefallen an der Arbeit, Sympathie für den Meister und erkennt zugleich, daß ihm der erwünschte und bequeme Job in der Hofkolonne ohnehin konsequent verweigert wird. Weiteres § 37 Rdn. 19.

6

Behandlung bedeutet jede Art von Einflußnahme und Tätigkeit, die mit dem Ziel stattfindet, den Gefangenen auf die Zeit nach der Entlassung aus der H a f t vorzubereiten, die Fähigkeiten, Fertigkeiten und den Willen zu stärken trachtet, ein Leben ohne Straftaten in sozialer Verantwortung zu führen, die den schädlichen Wirkungen des Freiheitsentzuges gegensteuert und hilft, den Insassen in das freie Leben wieder einzugliedern (Calliess/Müller-Dietz Rdn. 6; KK-Feest Rdn. 2—6). S. auch § 2 Rdn. 20. Dazu gehören die Art des Umgangs der Bediensteten mit dem Gefangenen (Lob, Tadel, Gespräche, Hilfsangebote), die Unterbringung, die Arbeit, die Aus- und Weiterbildung, das Freizeitangebot, die Lockerungen, die Förderung der Außenkontakte, die Entlassungsvorbereitungen, aber auch Therapie im engeren Sinne, wie Gesprächstherapie, Gruppentherapie und medizinische Behandlung.

7

Die Fähigkeit und Bereitschaft des Insassen zur Mitwirkung zu wecken und zu fördern, ist eine der wichtigsten Pflichten aller Vollzugsbediensteten. Die Erfahrung lehrt, daß die Bereitschaft des Insassen nicht kontinuierlich wächst, sondern Schwankungen unterliegt, so daß immer wieder von neuem Motivationsarbeit zu leisten ist (§ 2 Rdn. 11). Die Erfahrung lehrt auch, daß es nie zu spät ist, d. h., daß auch bei scheinbar hoffnungslos verstockten Insassen durch geduldige und einfühlsame Beharrlichkeit die Bereitschaft zur Mitwirkung am Vollzugsziel zu erreichen ist. Auch mit den Bezugspersonen des Insassen empfiehlt es sich insoweit zusammenzuarbeiten. Die Motivationsarbeit darf nicht dem Sozialdienst überlassen sein, sie ist Sache aller Bediensteten an allen Stellen, die Hand in Hand arbeiten müssen. Der Umstand, daß es Vollzugsanstalten gibt, bei denen bei durchaus ähnlicher Insassenschaft der Anteil der Insassen, die sich etwa einer dem Vollzugsziel dienlichen Ausbildung unterziehen, extrem unterschiedlich ist, beweist, daß die Fragen der Mitarbeit der Insassen, der Resozialisierungsfähig- und -Willigkeit in erheblichem Maße von der Motivierungsarbeit der Bediensteten und der Art und Weise der gemachten Angebote abhängen. Viel zu rasch wird oft der Versuch eingestellt, die Bereitschaft Gefangener, an ihrer Behandlung mitzuwirken, zu wecken und zu fördern. Viel zu schnell wird der Insasse als „unwillig" und „unfähig" eingeordnet, statt zu bedenken, ob denn das Behandlungsangebot für 24

Alexander Böhm

1. Titel. Grundsätze

§4

den Insassen nach seiner ganzen bisherigen Entwicklung und seiner gegenwärtigen Verfassung zumutbar und brauchbar ist. Es darf auch nicht übersehen werden, daß Behandlungsvorschläge nicht selten mit wirklichen oder vermuteten Nachteilen (weniger Freizeit, geringerer Einkauf, vgl. AK-Feest Rdn. 11) verbunden sind. Dem ist entgegenzuwirken. c) Da eine Rechtspflicht, an der Erreichung des Vollzugsziels mitzuwirken, dem 8 Gefangenen nicht auferlegt worden ist (Rdn. 4), ist es unzulässig, gegen ihn eine Disziplinarmaßnahme anzuordnen, weil er sich weigert, einen für seine Eingliederung nützlichen Fortbildungskurs zu besuchen oder am group counseling teilzunehmen. Das ist unstreitig (Rdn. 9). Schwieriger ist schon die Frage zu beantworten, ob die Mitwirkung an der Erreichung des Vollzugsziels bei anderen Vollzugsentscheidungen eine Rolle spielen darf. Für die Gewährung von Vollzugslockerungen bestimmen W Nr. 6 Abs. 1 Satz 2 zu § 11 ausdrücklich, daß zu berücksichtigen ist, „ob der Gefangene durch sein Verhalten im Vollzug die Bereitschaft gezeigt hat, an der Erreichung des Vollzugszieles mitzuwirken" (§11 Rdn. 20). Die Berücksichtigung dieser Mitarbeit wird von Jung (Das Strafvollzugsgesetz und die „Öffnung des Vollzugs", in: ZfStrVo 1977, 89) gegen Grunau (Uber den Regelurlaub der Gefangenen — § 13 des Strafvollzugsgesetzes, in: DRiZ 1978, 112) richtigerweise für zulässig gehalten. Aber auch bei der Zulassung zu Freizeitgruppen mit begrenzter Teilnahmemöglichkeit und bei der Zuweisung besonders begehrter Arbeitsplätze ist zu bedenken, daß es vielleicht zur Motivationsarbeit gehört, Insassen, die an ihrer Sozialisierung mitwirken, nach Möglichkeit entgegenzukommen (Schöch in: Kaiser/Kerner/Schöch 74, 75; Mtiller-Dietz Grundfragen des strafrechtlichen Sanktionensystems, 140). Berücksichtigt man aber deren Engagement bei den genannten Entscheidungen positiv, so wirkt sich für den (derzeit) Resozialisierungsunwilligen seine mangelnde Bereitschaft negativ aus. Bei der Gewährung von Lockerungen spielt die mangelnde Bereitschaft, an der 9 Resozialisierung (dazu § 2 Rdn. 11 ff) teilzunehmen, insoweit eine Rolle, als sie die Gefahr begründet, der Insasse werde die Lockerung zur Flucht oder zur Begehung neuer Straftaten mißbrauchen. Das ist zwar nicht zwingend, aber in manchen Fällen wohl kaum von der Hand zu weisen: erachtet man zur Erreichung des Ziels, daß der Verurteilte fähig wird, ein Leben ohne Straftaten zu führen, Maßnahmen für erforderlich, an denen mitzuwirken der Verurteilte sich weigert, dann ist im Augenblick das Ziel nicht erreichbar und die Gefahr künftiger Straftaten gegeben. Das macht die Gewährung der Lockerungen riskanter als bei einem an seiner Resozialisierung mitarbeitenden Insassen. Freilich kann, wenn das Mißbrauchsrisiko angesichts besonderer Umstände verantwortbar erscheint, die Lockerung den resozialisierungsunwilligen Gefangenen vielleicht zu einer positiveren Einstellung hinsichtlich der Erreichung des Vollzugszieles veranlassen. Die von den meisten Insassen erstrebte Entlassung zur Bewährung verlangt nach § 57 StGB eine positive Entlassungsprognose (§ 15 Rdn. 2). Auch diese Prognose wird von der Entwicklung, die der Insasse während des Vollzugs genommen hat, entscheidend beeinflußt. Die Vollzugsbehörde ist verpflichtet, in ihrer Stellungnahme wahrheitsgemäß zu berichten, daß der Insasse sich beharrlich geweigert hat, an den Maßnahmen mitzuwirken, die zur Erreichung des Vollzugsziels für erforderlich gehalten worden sind. Aus dieser Mitteilung wird häufig der Schluß gezogen werden müssen, daß eine Entlassung zur Bewährung nicht verantwortet werden kann. So wird auf den Insassen wegen der mittelbaren Wirkungen, die von seiner Weigerung ausgehen, ein starker Druck ausgeübt, an der Erreichung des Vollzugsziels mitzuarbeiten. Dabei handelt es sich nicht um die von Calliess/Müller-Dietz (Rdn. 5) zu Recht für verboten gehaltenen „informellen Sanktionen" worunter wohl Schikanen zu verstehen Alexander Böhm

25

§4

2. Abschnitt: V o l l z u g der Freiheitsstrafe

wären, aber der Zwang mitzuwirken, besteht in starkem Maß. Das gesamte vollstrekkungs- und vollzugsrechtliche System bewertet die Mitwirkung des Gefangenen an der Erreichung des Vollzugsziels. Daß keine Pflicht postuliert ist, beschränkt sich somit darauf, daß gegen den nichtmitwirkungsbereiten Gefangenen keine Disziplinarmaßnahmen verhängt werden und ihm keine unabhängig von seiner Mitwirkungsbereitschaft zustehenden Rechte verkürzt werden (OLG Celle ZfStrVo 1980, 184; vgl. auch Haberstroh Die Mitwirkung des Gefangenen an seiner Behandlung — Sanktionierung und Belohnung, in: ZfStrVo 1982, 259 ff). 10

Calliess/Müller-Dietz (Rdn. 4) meinen, weil der Insasse keine Pflicht habe, an dem Behandlungsziel mitzuwirken (Rdn. 4, 9), dürften auch bei einer Entweichung keine Disziplinarmaßnahmen erfolgen. Hieran ist nur richtig, daß die Pflicht des Gefangenen, die Einsperrung zu dulden, nicht daraus folgt, daß er an seiner Behandlung mitwirkt. Selbst wenn er eine Rechtspflicht hierzu hätte, so könnte es bei einem Konflikttäter durchaus der Fall sein, daß resozialisierende Maßnahmen zur Erreichung des Vollzugsziels nicht erforderlich sind, ja ein künftiges Leben ohne Straftaten desto wahrscheinlicher ist, je eher der Insasse die Anstalt verläßt. Seine Entweichung wäre geradezu im Sinne der Erreichung des Vollzugsziels nötig, aber gleichwohl ein (schwerer) Pflichtverstoß, der eine Disziplinarmaßnahme rechtfertigt (Rdn. 16, 17 zu § 102 u. § 13 Rdn. 15).

11

d) Der Gefangene kann zwar keine bestimmte resozialisierende Behandlung verlangen (KG, 29. 1. 1979 - 2 Ws. 145/78; OLG Nürnberg NStZ 1982, 399; Calliess/Müller-Dietz Rdn. 3). Er hat aber ein Recht darauf, über die zur Erreichung des Vollzugsziels bei ihm für notwendig erachteten Vollzugsmaßnahmen unterrichtet zu werden (Scböch in: Kaiser/Kerner/Schöch 110). Sie sind mit ihm zu erörtern, am besten mit ihm zu erarbeiten (für den Vollzugsplan — ein Anspruch auf Aushändigung einer schriftlichen Ausfertigung besteht freilich nicht — OLG Karlsruhe ZfStrVo 1980, 184) (§ 6 Rdn. 13). Auch wenn er zunächst nicht zur Mitwirkung bereit ist, sind ihm die Gründe verständlich zu machen, warum die eine oder andere Maßnahme ergriffen, ihm gewisse Angebote unterbreitet oder bestimmte von ihm vorgebrachte Wünsche zur Gestaltung seiner Behandlung abgeschlagen werden. Er soll eigene Vorstellungen darüber, wie das Vollzugsziel zu erreichen ist, vortragen und darf erwarten, daß sie ernst genommen, bei Erfolgsaussicht möglichst verwirklicht und mit ihm erörtert werden (D. Franke Rechtsanspruch des Gefangenen auf Maßnahmen der beruflichen Bildung? in: ZfStrVo 1979, 73 zum Anspruch, beruflich gefördert zu werden). Der Gefangene ist auch nicht das Objekt von Manipulationen oder gar von einer Art „Gehirnwäsche" — beides verstieße gegen seine in Art. 1 GG geschützte Menschenwürde und gegen den Resozialisierungsbegriff des StVollzG (Müller-Dietz Grundfragen des strafrechtlichen Sanktionensystems, 138, 139), sondern ein für den notwendigen Lernprozeß zu gewinnender Partner. Vgl. § 6 Rdn. 12 f.

12

2. Der „Abwehrstatus" ist in der Weise verwirklicht, daß die Einschränkungen der Freiheit des Gefangenen im StVollzG im einzelnen genau dargestellt sind. Das bedeutet nicht, daß der Insasse im übrigen unbeschränkte Freiheiten hätte. Er unterliegt vielmehr zahlreichen weiteren Beschränkungen, die in anderen Gesetzen festgelegt sind (AK-Feest Rdn. 13). Aber in seiner Eigenschaft als „Gefangener" treffen ihn darüber hinaus nur die im StVollzG erwähnten Rechtsbeschränkungen. Damit ist der Gesetzgeber von der vom BVerfG (BVerfGE 33, 1 ff) für verfassungswidrig erachteten Figur des „besonderen Gewaltverhältnisses" abgegangen, die die Rechtsstellung des Gefange26

Alexander Böhm

1. Titel. Grundsätze

§4

nen bisher bestimmt hatte und alle Rechts- (auch Grundrechts)beschränkungen gestattete, die zur Erreichung der nach dem StGB vorausgesetzten Strafzwecke (Abschrekkung, Sühne, Vergeltung, Sicherheit, Resozialisierung) erforderlich erschienen (Rdn. 1). Er hat aber auch nicht den für den Jugendstrafvollzug (§§ 91, 92, 115 JGG) und die Untersuchungshaft (§119 StPO) gewählten Weg beschritten, die Rechtsstellung der Insassen durch wenige, etwas spezifizierte Generalklauseln zu kennzeichnen, obwohl dies nach der Rechtssprechung des BVerfG (BVerfGE 57, 170, 177 für die Untersuchungshaft) bisher auch für zulässig erachtet wird. Insoweit wird der Rechtsschutz der Gefangenen durch das StVollzG besonders gut gewährleistet. a) Die Beschränkungen der Freiheit müssen sich aus dem Gesetz ergeben. So darf 13 die Vollzugsbehörde nicht andere, vielleicht sogar weniger belastende Eingriffe in Rechte anordnen als die im Gesetz formulierten. Unzulässig ist die Nichtbeförderung eines Schreibens vor Änderung der irreführenden Absenderangabe durch den Gefangenen, denn hier hätte die Behörde ein, den Sachverhalt aufklärendes Begleitschreiben gem. § 3 1 Abs. 2 beifügen können (OLG Celle ZfStrVo 1982, 127). Näheres zum Begleitschreiben §31 Rdn. 16. Unzulässig ist die im Gesetz nicht vorgesehene Urlaubssperre (OLG Bremen NStZ 1982, 84), die Ausrüstung der Insassen mit Lichtbildausweisen, die offen an der Oberbekleidung zu tragen sind, statt eine Anordnung zu erlassen, Anstaltskleidung nach § 20 Abs. 1 zu tragen (KG NStZ 1981, 77), sowie das generelle Verbot der Benützung von Sportstätten und Freizeiträumen für die in einer besonderen Anstaltsabteilung untergebrachten Arbeitsverweigerer statt der Verhängung entsprechender Disziplinarmaßnahmen in jedem Einzelfall (OLG Nürnberg ZfStrVo 1980, 250). b) Im Gesetz müssen die Freiheitsbeschränkungen geregelt sein. Das bedeutet, daß 14 die zu dem StVollzG erlassenen W nicht weitere Beschränkungen enthalten können (OLG Koblenz ZfStrVo 1981, 246 zu W Nr. 2 Abs. 2 und Nr. 4 zu § 13. Vgl. auch §115 Rdn. 23). Es wird immer wieder der Fehler gemacht, ohne Prüfung des Einzelfalls eine ablehnende Entscheidung mit dem bloßen Hinweis auf in den W enthaltene Beispiele zu begründen (OLG Frankfurt ZfStrVo 1981, 122). Die W versuchen entweder, den Gesetzeswortlaut auszulegen (tatbestandsinterpretierende Auslegungsrichtlinien) oder Hinweise für eine gleichartige Ausübung des Ermessens zu geben (Entscheidungshilfen). Zur Ermessensausübung durch die Behörde §115 Rdn. 20. Hier haben sich in der Praxis erhebliche Schwierigkeiten ergeben (im einzelnen Müller-Dietz NStZ 1981, 409). Sie beruhen auf folgendem: aa) Das StVollzG ist vom deutschen Bundestag beschlossen worden und beruht auf 15 einem im wesentlichen vom Bundesjustizministerium erarbeiteten Regierungsentwurf. Im Gesetzgebungsverfahren war der Bundesrat — und somit mittelbar die Landesjustizverwaltungen, die den Strafvollzug verantwortlich durchführen und gestalten — eingeschaltet, zumal das StVollzG ein Zustimmungsgesetz ist, gegen eine Mehrheit im Bundesrat also nicht erlassen werden konnte. Im Ergebnis haben sich die an der Gesetzgebung beteiligten Instanzen auf einen Kompromiß geeinigt. Die W stammen von den Landesjustizverwaltungen. Bei der Auslegung des StVollzG sind dabei auch Vorstellungen berücksichtigt worden, die im Gesetzgebungsverfahren nicht durchgesetzt werden konnten. Dafür ist die „Reststrafenregelung" beim Urlaub ein gutes Beispiel. Nach der Vorstellung des Bundesrats sollte Urlaub in der Regel erst innerhalb der letzten 18 Monate vor Strafende gewährt werden. Diese Auffassung ließ sich im Gesetzgebungsverfahren nicht durchsetzen. In W Nr. 4 Abs. 2 a zu §13 taucht diese Urlaubsvoraussetzung als „Entscheidungshilfe" wieder auf. Während das O L G FrankAlexander Böhm

27

§4

2. Abschnitt: Vollzug der Freiheitsstrafe

furt ( N J W 1978, 334) diese Regelung für unbeachtlich hält, weil sie dem Gesetz widerspricht (ebenso O L G Koblenz ZfStrVo 1978, 123; O L G Celle J R 1978, 258; Calliess 155; Böhm 120), wird sie überwiegend als Hinweis insoweit für beachtenswert gehalten, als neben anderen Überlegungen hinsichtlich der Geeignetheit eines den Urlaub beantragenden Gefangenen auch die Höhe des noch zu verbüßenden Strafrests berücksichtigt wird (Franke BIStV 1981, H. 1, 1, 3 m. w. N.). Vgl. auch § 13 Rdn. 10. 16

bb) Um das Vollzugsziel zu erreichen, ist es nötig, bei jeder Entscheidung vorrangig den Einzelfall zu bedenken. Deshalb hat das StVollzG die Vollzugsentscheidungen fast durchweg der fachnahen Vollzugsbehörde übertragen und sie in weitem Umfang von Ermessensüberlegungen abhängig gemacht, in die die nach den Vollzugsgrundsätzen jeweils erforderlichen, den Einzelfall betreffenden Vorstellungen eingehen müssen. Die von den Aufsichtsbehörden erlassenen W versuchen demgegenüber eine gewisse Einheitlichkeit der Entscheidungen zu gewährleisten, wobei mehr an äußeren aktenkundigen und formalen Merkmalen festgehalten ist, als an einer Gesamtbewertung des Einzelfalls, bei der jeweils unterschiedliche Merkmale und Geschehnisse ein unterschiedliches Gewicht haben (Franke BIStV 1981, H. 1, S. 1 ff, 3). Durch diese formalen Richtlinien wird ein Druck auf die nachgeordneten Vollzugsbehörden ausgeübt, in jedem Einzelfall der zu prüfenden Formalie besonderes und vorrangiges Gewicht beizumessen. Sie kann und darf die Einzelfallentscheidung nicht ersetzen oder erübrigen, drängt sie aber doch erfahrungsgemäß in eine bestimmte Richtung (Meier NStZ 1981, 406, 407). Der Versuch, Ermessensausübung zu vereinheitlichen, ist nicht von vornherein abzulehnen. Große Anstalten, in denen sich jede Entscheidung schnell herumspricht, geraten in Unordnung und Unruhe, wenn nicht eine gewisse schematische, an Äußerlichkeiten festzumachende „gleiche" Behandlung der Insassen stattfindet. Besondere Experimente im Einzelfall können das gesamte Klima der Anstalt so belasten, daß wieder die Resozialisierung im Einzelfall behindert ist. Insgesamt ist aber eine Vollzugsgestaltung anzustreben, die mehr und mehr auf den Einzelfall zugeschnittene Entscheidungen ermöglicht.

17

Die Gerichte setzen einen stärkeren Schwerpunkt bei dem Einzelfall, wirken also der Dynamik von an allgemeinen Merkmalen ausgerichteten Richtlinien entgegen, ohne die Berechtigung der Aufsichtsbehörden, auf gewisse Vereinheitlichung hinzuwirken, ganz zu leugnen (OLG Koblenz ZfStrVo 1981, 319; Müller-Dietz NStZ 1981, 417). Diese vermittelnde, bei den jeweiligen Bestimmungen im einzelnen dargestellte Haltung, erscheint angemessen (brauchbare Vorschläge für die Vollzugspraxis, wie Entscheidungen demnach zu begründen sind, bei Franke BIStV 1981, H. 1, 1 ff, 4). Zur Bedeutung der W für das Gericht § 115 Rdn. 23.

18

cc) Dort wo die W über den Gesetzeswortlaut hinaus dem Gefangenen Möglichkeiten der Vollzugsgestaltung einräumen, gewähren sie ihm über die Rechtsfigur der „Selbstbindung der Verwaltung" einen durchsetzbaren Anspruch (OLG Karlsruhe NStZ 1981, 456 hinsichtlich W Nr. 2 Buchst, b zu § 42).

19

c) In § 4 Abs. 2 Satz 2 werden noch weitere Rechtseinschränkungen dann gestattet, wenn sie, obwohl für sie in den einzelnen gesetzlichen Bestimmungen keine Grundlage zu finden ist, unerläßlich (Rdn. 3; § 68 Rdn. 12) sind, um die Sicherheit aufrecht zu erhalten oder eine schwerwiegende Störung der Ordnung in der Anstalt ( § 8 1 Rdn. 7) abzuwenden. Ohne daß für die Notwendigkeit einer solchen Einschränkungsermächtigung überzeugende Beispiele vorgebracht worden wären, hat man sich im Gesetzge28

Alexander Böhm

1. Titel. Grundsätze

§4

bungsverfahren auf Drängen des Bundesrats auf diese „Angstklausel" (Calliess/MüllerDietz Rdn. 18) geeinigt. Die Auslegung der Vorschrift bereitet Schwierigkeiten und ist umstritten. aa) Während Calliess/Müller-Dietz (Rdn. 16; ebenso AK-Feest/Seibert Rdn. 17) einen 2 0 zusätzlichen Schutz von „Sicherheit und Ordnung" der Anstalt für beabsichtigt halten, an Sicherheit gegen Entweichung/Ausbruch nach außen (evtl. gewaltsames Eindringen von außen) und gegen Meuterei und Widerstandshandlungen im Innenbereich denken, meint Schöch (in: Kaiser/Kerner/Schöch 90—92 und ders. in: Kaiser/Schöch (Hrsg.), Kriminologie. Jugendstrafrecht. Strafvollzug, 2. Aufl., München 1982, 190; kritisch hierzu Müller-Dietz Grundfragen des strafrechtlichen Sanktionensystems, 1979, 116, 117), daß unter „Sicherheit" hier mehr nämlich auch die Sicherheit der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten des Verurteilten während des Vollzugs (§ 2 Rdn. 15 ff) zu verstehen sei. Dem ist zuzustimmen. Schon der Wortlaut der Vorschrift, die den Begriff Sicherheit von der Anstaltsordnung trennt und nicht in der sonst üblichen Formulierung „Sicherheit oder Ordnung der Anstalt" verwendet, legt dies nahe. Beschränkungen nach § 4 Abs. 2 Satz 2 sind dann etwa denkbar, wenn Tatsachen den nahen Verdacht begründen, daß ein Insasse den ihm gewährten Besuchs- oder Briefverkehr zur Begehung von strafbaren Taten mißbrauchen will. So könnte die Überwachung des Besuchs (im Einzelfall wohl auch ein Verbot des Besuchs) angeordnet werden, wenn zu befürchten steht, daß der Gefangene seinen Besucher angreift und verletzt, ohne daß dies anders verhindert werden könnte, oder ihn betrügt oder zu einer Straftat anstiftet oder — bewußt oder unbewußt — als Kurier zur Übermittlung von Nachrichten verwendet, die strafbare Taten verursachen sollen. § 27 Abs. 1 erlaubt die Überwachung von Besuchen normalerweise nur aus Gründen der Behandlung oder der Sicherheit und Ordnung in der Anstalt. Zwar läßt sich die Meinung vertreten, die Behandlung des Gefangenen lege es nahe, ihn daran zu hindern, während der Strafverbüßung Straftaten zu begehen (OLG Koblenz ZfStrVo S H 1979, 45), und eine Verletzung eines Besuchers würde vielleicht auch die Ordnung der Anstalt gefährden. Daß aber die Achtung der Rechtsgüter Dritter durch die Vollzugsbehörde nur in dieser „mittelbaren" Weise möglich sein soll, erscheint unangemessen, ja peinlich, und es entspricht auch nicht der Bedeutung dieser weiteren Aufgabe des Vollzuges nach § 2 Satz 2. Ein Besuchsverbot gegenüber Angehörigen, die zur Übermittlung von Straftaten veranlassenden Nachrichten mißbraucht werden sollen, wäre, worauf Schöch (in: Kaiser/ Schöch (Hrsg.), Kriminologie. Jugendstrafrecht. Strafvollzug, 2. Aufl., München 1982, 190) zu Recht hinweist, nicht einmal über den Umweg „aus Gründen der Behandlung" möglich. Näheres bei § 27 Rdn. 6, 8. bb) „Soweit das Gesetz eine besondere Regelung nicht enthält" kann nicht so ausge- 21 legt werden, daß dort, wo der Gesetzgeber eine Rechtseinschränkung an irgendwelche Voraussetzungen geknüpft hat, eine ergänzende und erweiternde Einschränkung nach § 4 Abs. 2 Satz 2 nicht in Betracht komme (so aber AK-Feest Rdn. 15). Das ist weder nach dem Wortlaut einleuchtend noch sachdienlich. „Soweit das Gesetz eine besondere Regelung nicht enthält" bedeutet vielmehr folgendes: die Rechtseinschränkung nach § 4 Abs. 2 Satz 2 tritt stets nur subsidiär ein, also nicht dann, wenn den durch § 4 Abs. 2 Satz 2 geschützten Belangen ohnehin durch eine besondere Regelung des Gesetzes Rechnung getragen ist. So wird die Aufrechterhaltung der Ordnung und der Umstand, daß „ein schlechtes Beispiel nicht Schule macht", bei der schuldhaften Arbeitsverweigerung eines Gefangenen durch die Möglichkeit, Disziplinarmaßnahmen anzuordnen, geschützt. Die Vollzugsbehörde kann nicht statt dessen Rechtseinschränkungen auf § 4 Alexander Böhm

29

§4

2. Abschnitt: V o l l z u g der Freiheitsstrafe

Abs. 2 Satz 2 stützen (OLG Nürnberg ZfStrVo betäubungsmittelabhängiger Gefangener Pakete Stellen und nicht direkt von seinen Angehörigen als Einzelausgestaltung des Anspruchs aus § 33 Franke NSlZ 1981, 248; s. auch § 33 Rdn. 9). 22

1980, 250). Die Anordnung, daß ein nur durch Vermittlung verläßlicher zugeschickt erhalten darf, ist bereits Abs. 1 zulässig (OLG München bei

Auch dann ist kein Raum für die Anwendung des § 4 Abs. 2 Satz 2, wenn der Gesetzgeber die zu entscheidende Frage unter offenbarer Abwägung der widerstreitenden Rechte und Interessen abschließend geregelt hat (für die Verwendung einer Trennscheibe bei Verteidigerbesuch — abschließend in § 148 Abs. 2 Satz 3 StPO geregelt — BGHSt 30, 38 gegen O L G München NStZ 1981, 36 mit Anmerkung Höflich 38; O L G Hamm ZfStrVo 1980, 57; O L G Celle NStZ 1981, 116 und O L G Nürnberg ZfStrVo 1981, 186 ff. Zum Verbot des Bezugs von Zeitschriften: § 68 Abs. 2; s. dort Rdn. 4). Das ist aber jeweils genau zu untersuchen. Denn der Umstand, daß eine Rechtseinschränkung unter irgendwelchen Voraussetzungen geregelt ist, kann kein stärkeres Indiz für die „abschließende" Regelung sein als das gänzliche Fehlen einer gesetzlichen Möglichkeit, ein Recht einzuschränken. Auch dann kann der Gesetzgeber nämlich „abschließend" davon ausgegangen sein, daß ein Eingriff in die gewährte Rechtsposition unter allen Umständen unzulässig sein soll. So kann aus § 86, der das Fotografieren eines Gefangenen zur Sicherung des Vollzuges (Fahndung bei einer Entweichung) gestattet, nicht geschlossen werden, daß das Fotografieren zu ganz anderen Zwecken (etwa für einen „Hausausweis", mit dem der Gefangene sich gegenüber kontrollierenden Bediensteten ausweisen muß, womit bei Gewährung von Freizügigkeit in der Anstalt Sicherheit, Ordnung und Übersichtlichkeit gewährt werden können) deswegen ausdrücklich ausgeschlossen sein sollte (Rdn. 26 und § 86 Rdn. 2).

23

Die nach § 4 Abs. 2 Satz 2 zu treffende Rechtseinschränkung muß unerläßlich sein, die Sicherheit aufrechtzuerhalten oder eine schwerwiegende Störung der Ordnung in der Anstalt zu verhindern. Sie ist also auf den äußersten Notfall beschränkt, ultima ratio (OLG Frankfurt ZfStrVo 1979, 58 und ZfStrVo S H 1979, 51; O L G Nürnberg ZfStrVo 1980,250). 24 Außer den o. g. Beispielen (Rdn. 20) käme das Anhalten des Schreibens eines Gefangenen, in dem dieser Mitteilungen macht, die die Sicherheit einer anderen Anstalt als der, aus der er den Brief absendet, gefährdet (Verrat von Schwachstellen der Sicherung, die eine Befreiungsaktion von außen ermöglichen), in Betracht. Das OLG Hamburg (NStZ 1981, 239) hält ein Anhalten des Schreibens gem. § 31 Abs. 1 Nr. 1 in diesem Fall nicht für zulässig, weil diese Vorschrift ersichtlich nur die Anstalt meine, in der sich der Briefschreiber gerade aufhalte (§31 Rdn. 10). Der Gesetzgeber hat den zu entscheidenden Fall offenbar nicht bedacht. Eine abschließende Regelung liegt nicht vor. Unerläßlich wäre ein Anhalten des Briefes freilich nur, wenn mit einer Warnung der Anstalt, deren Sicherheitslücken verraten werden, nicht der gleiche Zweck erfüllt werden könnte (etwa deshalb, weil die Beseitigung des Sicherheitsmangels nicht sofort möglich ist). Das O L G Nürnberg (ZfStrVo 1981, 57) hat die Weisung des Anstaltsleiters an einen Gefangenen, ein mit einem anderen Gefangenen gemeinsam unterhaltenes Bankkonto aufzuheben, als durch § 4 Abs. 2 Satz 2 gedeckt angesehen. Durch die mit einem gemeinsamen Konto möglichen undurchschaubaren Vermögensverschiebungen trete offenbar eine schwerwiegende Störung der Anstaltsordnung (Tätigung unerlaubter Geschäfte) ein. Ob die Störung der Anstaltsordnung „schwerwiegend" ist, erscheint zweifelhaft. Das O L G Koblenz (ZfStrVo S H 1979, 48) hat unter Heranziehung von § 4 Abs. 2 Satz 2 einem Insassen die ausschließliche Verwendung eines Künstlernamens bei seiner 30

Alexander B ö h m

1. Titel. Grundsätze

§4

Korrespondenz untersagt und gegen dies Verbot vorgelegte Schreiben angehalten (§31 Rdn. 9). Da die Vollzugsbehörde befürchtete, der Gefangene könne auf eine Namenstäuschung und betrügerische Handlungen gegenüber seinen Korrespondenten aus sein, würde die Beförderung des Schreibens bereits das „Ziel des Vollzuges" gefährden und damit auf ^ 31 Abs. 1 Nr. 1 gestützt werden können (vgl. aber Rdn. 19). Nach § 31 Abs. 3 Satz 1 muß der Gefangene davon unterrichtet werden, daß ein einoder ausgehendes Schreiben nach § 31 Abs. 1 angehalten worden ist. Es gibt Fälle, in denen möglicherweise gerade diese Mitteilung ein verabredetes Zeichen für einen Befreiungsversuch von außen darstellt. Dann kann die Unterrichtung gem. § 31 Abs. 3 Satz 1 nach § 4 Abs. 2 Satz 2 jedenfalls zunächst unterbleiben (s. auch OLG Frankfurt ZfStrVo S H 1979, 51; vgl. auch § 31 Rdn. 17). Eine schwerwiegende Störung der Ordnung der Anstalt kann entstehen, wenn ein Gefangener geschäftsmäßig für andere Schriftsätze fertigt und dadurch unerwünschte Abhängigkeiten eintreten. Im Einzelfall kann dann das Verbot, für andere Schriftsätze anzufertigen, unerläßlich i. S. von § 4 Abs. 2 Satz 2 sein (OLG Saarbrücken ZfStrVo 1982, 249). 3. Die Grundrechte der Gefangenen sind nur insoweit beschränkt, als das StVollzG 2 5 dies zuläßt. Gem. § 196 schränkt das Gesetz Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und 2, die Grundrechte auf körperliche Unversehrtheit — Anwendung unmittelbaren Zwanges, Schußwaffengebrauch, Zwangsernährung, §§ 94—101 — und der Freiheit der Person, sowie Art. 10 Abs. 1 Briefpost- und Fernmeldegeheimnis, ausdrücklich ein. Damit ist das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG gewahrt. Soweit die Grundrechte auf freie Meinungsäußerung sowie auf Informationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) beschränkt sind, weil die Insassen nicht beliebig Radio hören und fernsehen können und ihnen gem. § 68 Abs. 2 Teile von Zeitungen vorenthalten werden können, wenn sie etwa das Ziel des Vollzugs erheblich gefährden, bedurfte es eines besonderen Hinweises auf die Beschränkung eines Grundrechts nicht. Es steht unter dem Vorbehalt des Gesetzes, und das StVollzG ist ein solches allgemeines Gesetz nach Art. 5 Abs. 2 GG (BVerfG ZfStrVo 1981, 63; s. auch § 68 Rdn. 1). Die Gerichte müssen die Rechtseinschränkungen behutsam und unter Beachtung der Bedeutung dieses Informationsrechts aus Art. 5 GG vornehmen (OLG Hamburg ZfStrVo 1980, 59, 60, 127). Soweit die durch den Freiheitsentzug behinderte Bewegungsfreiheit Voraussetzung zur Wahrnehmung von Grundrechten ist (Versammlungsfreiheit: Art. 8 GG; Freizügigkeit: Art. 11 GG), sind sie als spezifische Ausprägungen des Freiheitsgrundrechts automatisch eingeschränkt (Calliess/Müller-Dietz Rdn. 14). Alle anderen Grundrechte stehen dem Gefangenen zu. Daß ihre Ausübung im Freiheitsentzug erschwert ist, spielt keine Rolle. So kann jeder Gefangene Vereinigungen beitreten (Art. 9 GG), aber eben Versammlungen dieser Vereinigungen nicht besuchen. Der besondere Schutz, den die Verfassung Ehe und Familie gewährt (Art. 6 GG), ist bei der Gestaltung des Vollzugs, etwa bei der Gewährung von Urlauben und der Erlaubnis von Besuchen, zu achten. Aber die gemeinschaftliche Verbüßung der H a f t zweier inhaftierter Eheleute kann nicht verlangt werden: „Denn dadurch, daß ein Strafgefangener die eheliche Gemeinschaft in der Vollzugsanstalt nicht fortsetzen kann, wird er nicht über das in der Strafhaft situationsbedingt typische Ausmaß hinaus belastet" (OLG Schleswig ZfStrVo 1980, 64). Zum Problemkreis des Intimverkehrs s. § 24 Rdn. 12. III. Beispiel In einer großen JVA mit mehreren Unterkunftshäusern erwägt der Anstaltsleiter 2 6 „Lockerungen nach innen". Die Insassen sollen sich innerhalb der Umwehrungsmauer an einigen Stunden des Tages frei bewegen und auch die verschiedenen UnterkunftsgeAlexander Böhm

31

Vor § 5

2. Abschnitt: Vollzug der Freiheitsstrafe

bäude betreten dürfen. Um gleichwohl noch die zur ordnungsgemäßen Überschaubarkeit und Sicherheit notwendige Kontrolle zu gewährleisten, werden die Gefangenen angewiesen, sich fotografieren zu lassen und einen Ausweis mit Namen und Foto sichtbar auf ihrer Jacke zu befestigen, wenn sie ihr Unterkunftshaus verlassen. Diese Maßnahme belaste die Gefangenen weniger, als wenn das nach § 20 ohnehin zulässige Tragen von Anstaltskleidung angeordnet werde. Das Fotografieren der Gefangenen sei nach § 86 Abs. 1 Ziff. 2 gestattet. Gegen diese Anordnung beschweren sich einige Gefangene. Das K G (NStZ 1981, 77, 78) gab ihnen recht: § 86 gestattet das Fotografieren der Gefangenen ersichtlich nur zu dem Zweck, im Falle einer Entweichung zur Einleitung von Fahndungsmaßnahmen ein Lichtbild zur Hand zu haben. § 20 Abs. 1 Satz 1 gestattet die Ersetzung der Gefangenenkleidung durch offenes Tragen eines Lichtbildausweises an der eigenen Jacke nicht: „Denn Beschränkungen der Freiheit des Gefangenen, die das Gesetz nicht vorsieht, dürfen auch dann nicht angeordnet werden, wenn sie andere Maßnahmen entbehrlich machen würden, die das Gesetz zwar erlaubt, die den Gefangenen aber insgesamt stärker belasten würden. Dem steht § 4 Abs. 2 Satz 1 entgegen." Aus § 4 Abs. 2 Satz 2 verneint das K G die Rechtmäßigkeit der Anordnung des Anstaltsleiters, weil das Fotografieren von Gefangenen in § 86 abschließend geregelt sei. Diese Begründung überzeugt nicht (s. oben Rdn. 21). § 4 Abs. 2 Satz 2 kommt aber deshalb nicht zur Anwendung, weil die Maßnahme zur Abwendung einer schwerwiegenden Störung der Ordnung der Anstalt nicht unerläßlich ist. Es können statt dessen die „Lockerungen nach innen" teilweise zurückgenommen werden (vgl. auch Müller-Dietz NStZ 1981, 158, 159).

Zweiter Titel

Planung des Vollzuges Übersicht 1. 2.

Ziele des A u f n a h m e v e r f a h r e n s (§§ 5 bis 7) E i n g a n g s v o l l z u g als O r i e n t i e r u n g s p h a s e

Rdn. 1 2

3.

Planungsformen

Rdn. 3

Vorbemerkungen 1

1. Die Vorschriften des StVollzG über das Aufnahmeverfahren (§ 5), die Behandlungsuntersuchung (§ 6) und den Vollzugsplan (§ 7) leiten den Titel über die Planung des Vollzuges ein und sollen die Grundlage dafür liefern, daß das Behandlungsziel (§ 2 Rdn. 20; § 4 Rdn. 6) in einem fortlaufend geplanten und kontrollierten Prozeß unter Leistung von geeigneten Hilfen während des Vollzuges erreicht werden kann (§ 6 Rdn. 1). Die §§ 5 und 6 Kommissionsentwurf (Zuständigkeit für Aufnahme; Aufnahmeersuchen; vorläufige Aufnahme) sind vom R E nicht übernommen worden, weil ihr Inhalt bereits durch die Vorschriften zum Vollstreckungsplan (§ 152) und durch weitere verwaltungsrechtliche Vorschriften geregelt ist bzw. geregelt werden kann (BTDrucks. 7/918, 48). Die insoweit ergangenen Verwaltungsvorschriften ( W ) sind jedoch recht spärlich und betreffen zu § 5 nur die Durchführung der ärztlichen Untersuchung und das bis zum Inkrafttreten von § 5 Abs. 1 geltende Verfahren sowie zu § 6 die Frage, von welcher Vollzugsdauer an eine Behandlungsuntersuchung durchzuführen ist. Beachte aber § 6 Rdn. 7, 21. So ist die Ausgestaltung des Aufnahmeverfahrens zum überwiegenden Teil den Vorschriften der einzelnen Landesjustizverwaltungen überlassen geblieben (vgl. Schock in: Kaiser/Kerner/Schöch 127). 32

Hans-Georg Mey

2. Titel. Planung des Vollzuges

§5

2. Die §§ 5 bis 7 regeln insgesamt Vorgänge, die man zusammenfassend als Auf- 2 nähme- oder Anfangsvollzug bezeichnen könnte. Dieser Begriff ist jedoch vom Gesetzgeber wegen seiner historischen Belastung als Kennzeichnung einer mit strengen Einschränkungen verbundenen Haftform, die die Gefangenen zur „Besinnung" führen sollte, bewußt vermieden worden (BT-Drucks. 7/918, 48). Calliess 74 spricht zusammenfassend von der Anfangsphase des Vollzuges, Kerner in: Kaiser/Kerner/Schöch 317 von einer Eingangsphase, die modellhaft als Orientierungsstufe des Vollzuges konzipiert werden könnte. 3. Die vom Gesetz angestrebte Planung des Vollzuges wird u. a. deutlich in den 3 Begriffen Vollstreckungsplan, Vollzugsplan, Behandlungsplan. Während der Vollstrekkungsplan die örtliche und sachliche Zuständigkeit der Vollzugsanstalten regelt (§ 152), werden im Vollzugsplan (§ 7, dort Rdn. 2) Inhalte und Ablauf des Vollzuges für den einzelnen Gefangenen bestimmt. Der Behandlungsplan (§ 7 Rdn. 8) sieht schließlich vor, welche methodischen Behandlungsformen im Einzelfall anzuwenden sind. § 5

Aufnahmeverfahren (1) Beim Aufnahmeverfahren dürfen andere Gefangene nicht zugegen sein.* (2) Der Gefangene wird über seine Rechte und Pflichten unterrichtet. (3) Nach der Aufnahme wird der Gefangene alsbald ärztlich untersucht und dem Leiter der Anstalt oder der Aufnahmeabteilung vorgestellt. *

§ 5 Abs. 1 tritt durch besonderes Bundesgesetz in Kraft (§ 198 Abs. 3). W 1

Durch die ärztliche Untersuchung soll der Gesundheitszustand des Gefangenen einschließlich der Körpergröße, des Körpergewichts und des Zustands des Gebisses festgestellt werden; insbesondere ist zu prüfen, ob der Gefangene vollzugstauglich, ob er ärztlicher Behandlung bedürftig, ob er seines Zustandes wegen anderen gefährlich, ob und in welchem Umfang er arbeitsfähig und zur Teilnahme am Sport tauglich ist und ob gesundheitliche Bedenken gegen die Einzelunterbringung bestehen. Das Ergebnis der Untersuchung ist schriftlich niederzulegen. 2

Bis zum Inkrafttreten des § ß Abs. 1 (1. Januar 1986) gilt folgendes: Während des Aufnahmeverfahrens sollen andere Gefangene nicht zugegen sein. Schrifttum Diepenbruck Rechtsmittel im Strafvollzug, Diss. jur. Göttingen 1981; Informationen zum Strafvollzugsgesetz, Wolfenbüttel o. J.; Weis Zur Subkultur der Strafanstalt, in: Schwind/Blau 243 ff. Übersicht I. Allgemeine Hinweise 1. Rechtliche und behandlungsmäßige Ausgestaltung des A u f n a h m e Verfahrens 2. Inhaltlicher und zeitlicher U m f a n g

Rdn. 1-3

des Aufnahmeverfahrens II. Erläuterungen 1. Abwesenheit anderer Gefangener im Aufnahmeverfahren 2. Information des Gefangenen im Aufnahmeverfahren

Hans-Georg Mey

Rdn. 2-3 4-9 4-6 7

33

§5

2. Abschnitt: Vollzug der Freiheitsstrafe

Rdn. Ärztliche Untersuchung. Vorstellung beim Anstaltsleiter 8-9 III. Beispiele 10-12 1. Unzulässige Anwesenheit anderer 3.

2.

Rdn. Gefangener beim Aufnahmever10 fahren Zulässige Anwesenheit anderer 11-12 Gefangener

I. Allgemeine Hinweise 1

1. Das Aufnahmeverfahren ist im StVollzG im Gegensatz zu KE bzw. AE-StVollzG nicht im einzelnen geregelt. Das StVollzG legt lediglich fest, was für die Rechtsstellung des Gefangenen bzw. f ü r eine behandlungsorientierte Ausgestaltung des Aufnahmeverfahrens wesentlich ist. Zum Behandlungsziel § 2 Rdn. 20; § 4 Rdn. 6. Dem Aufnahmeverfahren wird als erstem Schritt des Gefangenen in den Vollzug eine entscheidende Bedeutung beigemessen. Dies drückt sich z. B. in dem vorgesehenen Schutz der Intimsphäre (§ 5 Abs. 1) durch das Verbot der Anwesenheit anderer Gefangener aus (Kerner in: Kaiser/Kerner/Schöch 314—317). Vgl. auch die Beispiele Rdn. 10—12. Uneinsichtig bleibt allerdings, warum der Gesetzgeber eine solche Sicherung nicht auch f ü r andere Vorgänge des Aufnahmeverfahrens, z. B. f ü r die Behandlungsuntersuchung (§ 6), gelten lassen wollte, in der der Gefangene ebenfalls sehr persönliche Dinge preisgeben muß. Zur praktischen Bedeutung vgl. Rdn. 5 f. Unabhängig davon, ob eine solche Regelung notwendig war oder als gesetzliche Vorschrift zu hoch eingestuft ist (so Grunau/Ttesler Rdn. 1), kommt es entscheidend darauf an, den Gefangenen bei im Aufnahmeverfahren notwendigen Entäußerungen wirksam zu schützen (Rdn. 4 ff).

2

2. Über den Umfang des Abnahmeverfahrens bestehen offenbar unterschiedliche Meinungen. Während Grunau/Ttesler Rdn. 1 hierin nur die Vorgänge von der Z u f ü h rung zur Vollzugsgeschäftsstelle bis zur Umkleidung sieht, dauert nach Calliess/MüllerDietz Rdn. 2 das Aufnahmeverfahren von der Entscheidung über die Aufnahme in die Anstalt bis zur Vorstellung beim Leiter der Anstalt oder der Aufnahmeabteilung. Darin eingeschlossen sind ärztliche Untersuchung und Unterrichtung über Rechte und Pflichten (Rdn. 8).

3

AE-StVollzG geht nicht so weit, f ü r das gesamte Aufnahmeverfahren die Abwesenheit anderer Gefangener zu fordern. Nach AE-StVollzG § 48 Abs. 2 sind lediglich ärztliche Untersuchung und Einkleidung f ü r jeden Gefangenen gesondert durchzuführen. AE-StVollzG legt auf eine Beschleunigung des Ablaufs des Aufnahmeverfahrens wert und setzt Schwerpunkte bei der Durchführung der Behandlungsuntersuchung (§ 6 Rdn. 8 ff) und der Aufstellung des Vollzugsplans (§ 7 Rdn. 2), dort als Behandlungsplan bezeichnet. Kerner in: Kaiser/Kerner/Schöch 316 wertet die Vorschläge des AEStVollzG als ein Modell für einen Aufnahmevollzug neueren Verständnisses, während er das in der DVollzO detailliert beschriebene Aufnahmeverfahren als typisch f ü r den Vorgang eines degradierenden Rollentausches betreffend den Status des Gefangenen ansieht (Kerner a a O 315).

II. Erläuterungen 4

1. Das in § 5 Abs. 1 festgelegte Recht des Gefangenen, das Aufnahmeverfahren ohne die Gegenwart anderer Gefangener zu absolvieren, soll einerseits die Verletzung der Intimsphäre des neu aufgenommenen Gefangenen (Rdn. 10) wie auch andererseits eine unkontrollierte Einflußnahme auf den Neuankömmling durch bereits länger einsitzende Gefangene verhindern, um damit einer unerwünschten raschen Anpassung an die Subkultur (§ 3 Rdn. 12) in der JVA entgegenzuwirken (zur Gefangenensubkultur Weis aaO). Gleichzeitig soll dadurch auch ein möglichst unbeeinflußter Kontakt des 34

Hans-Georg Mey

2. Titel. Planung des Vollzuges

§5

Gefangenen zu den Mitgliedern des Vollzugsstabes hergestellt werden (Calliess/MüllerDietz Rdn. 1). Während der Sonderausschuß Strafrechtsreform davon ausging, daß § 5 Abs. 1 sich nur auf das förmliche Verfahren, nämlich die Befragung des Gefangenen bei der Aufnahme in die Vollzugsgeschäftsstelle beziehe (BT-Drucks. 7/3998, 7), ist es die Absicht des RE, das mit § 5 Abs. 1 angestrebte Ziel für das gesamte Aufnahmeverfahren zu erreichen (BT-Drucks. 7/918, 48). Das ergibt sich auch aus dem Wortlaut der Vorschrift, und man sollte daher schon jetzt versuchen, die Anwesenheit von Mitgefangenen bei allen Einzelakten des Aufnahmeverfahrens dort zu verhindern, wo das notwendig und sinnvoll ist (Rdn. 2, 3). Der Gesetzgeber war allerdings der Meinung, daß ein Aufnahmeverfahren gemäß 5 § 5 Abs. 1 wegen der zur Zeit im Strafvollzug vorliegenden baulichen und personalstrukturellen Bedingungen noch nicht überall durchführbar ist. Daher wurde das Inkrafttreten von § 5 Abs. 1 gemäß § 198 Abs. 2 Nr. 3 zunächst zum 1. 1. 1986 in Aussicht genommen, durch Art. 22 des 2. Haushaltsstrukturgesetzes vom 22.12.1981 (BGBl. I 1523 ff) ist diese Bestimmung jedoch mit Wirkung vom 1.1. 1982 dahingehend geändert worden, daß nunmehr über das Inkrafttreten von § 5 Abs. 1 zum 31. 12. 1985 befunden werden wird. Bis dahin gilt W Nr. 2 zu § 5 Abs. 1 als Sollvorschrift, d. h., es ist dort nach dieser Bestimmung zu verfahren, wo die hierzu notwendigen Voraussetzungen geschaffen werden können (s. Beispiele Rdn. 10—12). Der mit der Vorschrift zu § 5 Abs. 1 angestrebte Schutz der Intimsphäre des Gefan- 6 genen wird in der Praxis auch bei Vorliegen günstigster baulicher, räumlicher und personeller Verhältnisse kaum zu realisieren sein. Mit der vorhandenen Macht der Gefangenengruppe (Weis aaO 251), in der der Neuankömmling nunmehr leben muß, wird versucht, ihn zur Offenbarung seiner persönlichen Verhältnisse zu zwingen. Dem kann nur durch organisatorische Maßnahmen entgegengewirkt werden, die eine unmittelbare und ständige Betreuung der Zugänge in kleinen Gruppen durch Bedienstete garantieren. Auf diese Weise wird auch das natürliche Informationsbedürfnis (Weis aaO 244) des neu eintretenden Gefangenen über offizielle Kontakte befriedigt. Ein der Absicht des § 5 (Schutz vor Zwang zur persönlichen Preisgabe; Information über die neue Situation; Entwicklung von positiven Beziehungen zum Stab) entsprechendes Aufnahmeverfahren erfordert eine äußerst straffe und stets kontrollierte organisatorische Planung, wie sie in den meisten Anstalten noch nicht eingeführt ist. 2. § 5 Abs. 2 formuliert den Anspruch des Gefangenen auf Unterrichtung über seine 7 Rechte und Pflichten. Zur Rechtsstellung der Gefangenen grds. § 4 Rdn. 12 ff. Erst eine zuverlässige und glaubwürdige Information über diese Inhalte vermittelt dem Gefangenen Sicherheit in seinem neuen Status und schließt daher Gefühle der Unsicherheit mit daraus folgender Aggressionsentwicklung aus. Die Pflicht zur Unterrichtung des Gefangenen ist nach anderer Auffassung bereits erfüllt, wenn dem Gefangenen ein Exemplar des Strafvollzugsgesetzes und der Hausordnung ausgehändigt worden ist (Calliess/Müller-Dietz Rdn. 3). Strafvollzugsgesetz und Hausordnung konkurrieren nicht miteinander (s. § 161), da in der Hausordnung nur Teilbereiche des Vollzuges geregelt werden. Wegen der Rechtsnatur der Hausordnung § 161 Rdn. 2, 4. Sicher genügt es nicht, dem Gefangenen die sogenannten „Informationen zum Strafvollzugsgesetz" auszuhändigen. Welche Mängel ihnen anhaften, sagt beispielhaft Diepenbruck aaO 217. Erfahrungsgemäß können jedoch Gefangene mit dem Text des Strafvollzugsgesetzes und der Hausordnung wenig anfangen. Nach Diepenbruck aaO 216 scheint das Bestreben des Gefangenen, in den Besitz des Strafvollzugsgesetzes zu gelangen, auch relativ gering zu sein. Ohne zusätzliche Erläuterungen der Texte Hans-Georg Mey

35

§5

2. Abschnitt: Vollzug der Freiheitsstrafe

kommt es hier bei den Gefangenen durch die Textaushändigung eher zu Mißverständnissen infolge von Sprachbarrieren und damit zu neuen Konflikten und Ängsten, woraus sich wiederum aggressive Einstellungen herleiten können (vgl. auch das Beispiel Rdn. 12). Unter den Rechten und Pflichten, über die der Gefangene nach § 5 Abs. 2 zu unterrichten ist, differenzieren Calliess/Müller-Dietz Rdn. 3 zutreffend zwischen solchen, die die Stellung des Gefangenen in der Binnenstruktur des Vollzuges betreffen, und solchen, die sich aus den Beziehungen zwischen ihm und der übrigen Gesellschaft außerhalb des Vollzuges ergeben. Die Unterrichtung über die letztgenannten Rechte und Pflichten soll durch geeignete Beratung und Hilfe des Vollzugsstabes (Sozialdienst) bei der Aufnahme (§ 72), aber auch während des späteren Vollzuges (§ 73) geschehen. Vgl. dazu auch § 72 Rdn. 5. 8

3. § 5 Abs. 3 legt das Recht des Gefangenen auf ärztliche Untersuchung und auf die Vorstellung beim Anstaltsleiter oder dem Leiter der Aufnahmeabteilung fest. Die ausführlichen W Nr. 1 zu § 5 besagen u. a., daß die Untersuchung durch einen Arzt vorgenommen werden muß. Nach § 101 Abs. 2 kann sie auch zwangsweise durchgeführt werden, allerdings nicht mit Hilfe eines körperlichen Eingriffs (§ 101 Rdn. 32). Zur Durchführung der ärztlichen Untersuchung hatten RE- und AE-StVollzG eine Frist von 24 Stunden vorgeschrieben. Wenn das Gesetz nunmehr lediglich von einer alsbaldigen ärztlichen Untersuchung und Vorstellung beim Leiter der Anstalt oder der Aufnahmeabteilung spricht, so kann dies nur als Aufforderung verstanden werden, das Aufnähmeverfahren so schnell wie möglich abzuwickeln. Eine Frist von drei Tagen sollte auf keinen Fall überschritten werden (Calliess/Müller-Dietz Rdn. 6).

9

Mit der Vorstellung beim Anstaltsleiter soll das Aufnahmeverfahren abgeschlossen werden. Die Einhaltung dieser Reihenfolge ist nicht zwingend. Die Vorstellung sollte keineswegs zu einer lediglich formalen Begrüßung verkümmern, wenn auch das Gesetz mehr als eine Vorstellung ausdrücklich nicht vorsieht. Die sinnvolle Verbindung von gründlicher Information und Diskussion über das Strafvollzugsgesetz innerhalb einer Zugangsgruppe mit der Vorstellung beim Anstaltsleiter (Rdn. 7 f) dürfte für das Einleben des Gefangenen und sein Vertrautwerden mit den Verhältnissen in einer JVA von besonders positiver Bedeutung sein (ähnlich AK-Q«e»ie/Rdn. 6—9). III. Beispiele 1. Unzulässige Anwesenheit anderer Gefangener

10

In der JVA X sind 15 Neuaufnahmen vorzunehmen. Wegen der großen Zahl läßt sich der Leiter der Vollzugsgeschäftsstelle jeweils drei Gefangene zusammen in die Vollzugsgeschäftsstelle vorführen und befragt den einzelnen Gefangenen in Gegenwart der beiden anderen zu Angaben, die zur Anlegung der Gefangenenpersonalakte notwendig sind. Er kann die beiden anderen Gefangenen während der Befragung des dritten deshalb nicht vor der Vollzugsgeschäftsstelle warten lassen, weil ein Beamter des allgemeinen Vollzugsdienstes zur Aufsicht hierfür nicht zur Verfügung steht. Ein solches Verfahren ist unzulässig, weil dadurch der Schutz der Intimsphäre des Gefangenen nicht gewährleistet ist. Er wird gezwungen, sich mit seinen persönlichen Angaben vor anderen Gefangenen zu offenbaren (Rdn. 4, 6).

2. Zulässige Anwesenheit anderer Gefangener Beispiel 1: 11 Wegen Personalmangels kann die JVA Y auf die Mitwirkung eines Gefangenen in der Kammer bei der Umkleidung von Neuzugängen nicht verzichten. Dieser Gefan36

Hans-Georg Mey

2. Titel. Planung des Vollzuges

§6

gene wird in der Kammer jedoch so eingesetzt, daß er vom Kammerbeamten stets überwacht werden und keine unbeobachteten Kontakte mit dem einzukleidenden neuen Gefangenen aufnehmen kann. Hier berührt die Anwesenheit des Gefangenen nur technische Vorgänge. Der Persönlichkeitsbereich des in die Anstalt neu eintretenden Gefangenen wird nicht verletzt. Beispiel 2: Der Leiter der JVA Z hat die Erfahrung gemacht, daß die Neuzugänge der Anstalt 1 2 durch die kommentarlose Aushändigung von StVollzG und Hausordnung bezüglich ihrer Rechte und Pflichten nur ungenügend informiert werden. Sie melden sich danach besonders häufig mit immer wieder gleichen Bitten um Erläuterung vor. Der Anstaltsleiter ordnet deshalb an, daß alle Neuzugänge einer Woche regelmäßig zu einem festen Termin zu einer Diskussionsstunde über das Strafvollzugsgesetz und die Hausordnung zusammengefaßt werden, die er oder sein Vertreter leiten und an der auch andere abkömmliche Bedienstete (z. B. Abteilungsleiter, Arbeitsinspektor, Wirtschaftsinspektor, Sicherheitsinspektor, Vertreter des Sozialdienstes) teilnehmen. In dieser Veranstaltung können alle Gefangene mit ihren Problemen zu Wort kommen. In ihr läßt sich unter Schilderung konkreter Anwendungsfälle zeigen, welchen Sinn diese Vorschriften haben. Gleichzeitig hat jeder neue Gefangene Gelegenheit, in der Diskussionsstunde den Anstaltsleiter, den Abteilungsleiter und andere Mitglieder des Vollzugstabes persönlich kennenzulernen und sie auch in ihrer Funktion zu erleben. Hier ist die Anwesenheit anderer Gefangener zulässig und wird es auch künftig bleiben, da durch eine solche Veranstaltung der Gefangene in der Wahrnehmung seiner persönlichen Belange nicht eingeschränkt, sondern gefördert wird. Dazu auch Rdn. 7.

§6 Behandlungsuntersuchung, Beteiligung des Gefangenen (1) Nach dem Aufnahmeverfahren wird damit begonnen, die Persönlichkeit und die Lebensverhältnisse des Gefangenen zu erforschen. Hiervon kann abgesehen werden, wenn dies mit Rücksicht auf die Vollzugsdauer nicht geboten erscheint. (2) Die Untersuchung erstreckt sich auf die Umstände, deren Kenntnis für eine planvolle Behandlung des Gefangenen im Vollzuge und für die Eingliederung nach seiner Entlassung notwendig ist. (3) Die Planung der Behandlung wird mit dem Gefangenen erörtert. W Bei einer Vollzugsdauer bis zu einem Jahr ist eine Behandlungsuntersuchung Regel nicht geboten.

in der

Schrifttum Brüsten Prozesse der Kriminalisierung — Ergebnisse einer Analyse von Jugendamtsakten, in: Otto/Schneider (Hrsg.), Gesellschaftliche Perspektiven der Sozialarbeit II, Neuwied/Berlin 1973, 85 ff; Bund der Strafvollzugsbediensteten (Hrsg.), Denkschrift zur Errichtung einer Bundesakademie für Strafvollzugsbedienstete, 1964; Dertinger Überlegungen zur Einrichtung einer Akademie für Strafvollzug, in: JVB1. N W 1972, 121 ff; Geiger Klassifizierung und Differenzierung im Strafvollzug in Baden-Württemberg, in: ZfStrVo 1977, 34 ff; Jung/Müller-Dietz VorHans-Georg Mey

37

§6

2. Abschnitt: Vollzug der Freiheitsstrafe

Schläge z u m Entwurf eines Strafvollzugsgesetzes, Schriftenreihe des Bundeszusammenschlusses f ü r Straffälligenhilfe, H e f t 15, 2. Aufl., Bonn-Bad G o d e s b e r g 1974; Justizminister des Landes N o r d r h e i n - W e s t f a l e n (Hrsg.), Z e h n J a h r e Einweisungsverfahren im Erwachsenenvollzug des Landes N o r d r h e i n - W e s t f a l e n , 1981; Keller Das Akteneinsichtsrecht des S t r a f g e f a n g e n e n , in: N S t Z 1982, 17 f f ; Kerner Behandlungs- und Vollzugsorganisation im neuen Strafvollzugsgesetz, in: Z f S t r V o 1977, 74 f f ; Koepsel 10 J a h r e Einweisungsanstalt H a g e n / W e s t f a l e n — Besondere Probleme zentraler Diagnosezentren, in: Z f S t r V o 1982, 195 ff; Mey/Schmidt Die P l a n u n g der Behandlung im Jungendstrafvollzug, in: Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Tagungsberichte Jugendstrafvollzugskommission, VI. Bd., Bonn 1978, 37 f f ; Mey Prognostische Beurteilung des Rechtsbrechers, in: H a n d b u c h der Psychologie, Bd. 11, Berlin 1967, 511 f f ; Müller-Dietz G u t a c h ten „ Z u r rechtlichen Stellung des Anstaltspsychologen" (Veröffentlichung in V o r b e r e i t u n g ) ; Neufeind Einweisungsanstalten und Berufsausbildung in N o r d r h e i n - W e s t f a l e n , in: Z f S t r V o 1979, 78 f f ; Paetow Die Klassifizierung im Erwachsenenstrafvollzug, Stuttgart 1972; Paritätisches Bild u n g s w e r k Landesverband R h e i n l a n d - P f a l z / S a a r l a n d e . V . (Hrsg.), W a h r n e h m e n — Beobachten — Beurteilen, T r a i n i n g s p r o g r a m m z u r Verhaltensbeobachtung f ü r Vollzugsbedienstete, Saarb r ü c k e n 1981; Rüther Selektion und Zuschreibung im Strafvollzug, in: KrimJ 1978, 107 f f ; Stemmer-Lück Die Behandlungsindikation bei Straffälligen (Kriminologische Studien, Bd. 34), Göttingen 1980; Thole Die Klassifizierung der G e f a n g e n e n im Erwachsenenvollzug des Landes N o r d rhein-Westfalen, in: MschrKrim 1975, 261 ff.

Übersicht Rdn. I. Allgemeine Hinweise 1—7 1. Aufgabe der Behandlungsuntersuchung 1—2 2. Klassifizierung und Behandlung . 3 —4 3. Individualisierung und Stigmatisierung 5 —6 4. Fortschreibung der Behandlungsuntersuchung 7 II. Erläuterungen 8 — 21 1. Behandlungsuntersuchung in Einweisungsanstalten 8 —9 2. Dauer der Behandlungsuntersuchung; Unterbringung 10 3. Personal der Behandlungsuntersuchung 11 4. Rechte und Pflichten des Gefangenen in der Behandlungsuntersuchung 12 — 13

Rdn. Auswertung der Ergebnisse der Behandlungsuntersuchung . . . . 1 7 - 1 9 und Schweige9. Schweigerecht 20 pflicht 10. Vollzugsdauer und Behandlungs21 Untersuchung 22-25 1. Erhebungen zur Vorgeschichte 22 (Anamnese) 23 2. Verhaltensbeobachtungen 24 3. 25 4. Exploration 5. Umfang der Behandlungsuntersu14 chung 6. Zusammenarbeit in der Behand15 lungsuntersuchung 7. Methoden der Behandlungsuntersuchung 16 8.

I. Allgemeine Hinweise 1

1. M i t d e r B e h a n d l u n g s u n t e r s u c h u n g b e g i n n t d e r V o r g a n g d e r B e h a n d l u n g ( C a l liess/Müller-Dietz R d n . 2 ; z u m B e h a n d l u n g s b e g r i f f § 2 R d n . 2 0 ; § 4 R d n . 6). Es b e s t e h t ein f u n k t i o n a l e r Z u s a m m e n h a n g z w i s c h e n d e r B e h a n d l u n g s u n t e r s u c h u n g , d e r D i a g n o s e , der P l a n u n g des V o l l z u g e s und der eigentlichen B e h a n d l u n g im V o l l z u g . D i e U n t e r t e i l u n g in A u f n a h m e v e r f a h r e n (§ 5), B e h a n d l u n g s u n t e r s u c h u n g (§ 6 ) , V o l l z u g s p l a n (§ 7) u n d w e i t e r e D u r c h f ü h r u n g d e s V o l l z u g e s ist l e t z t l i c h f o r m a l . E s w ä r e f a l s c h , d i e s e V o r g ä n g e als in sich a b g e s c h l o s s e n e , g e s o n d e r t e L e i s t u n g e n d e s V o l l z u g e s a u f z u f a s s e n . S t r a f v o l l z u g ist e i n g a n z h e i t l i c h e r , f o r t l a u f e n d e r P r o z e ß v o n d e r A u f n a h m e bis z u r E n t l a s s u n g (s. V o r b e m e r k u n g e n z u §§ 5 — 7 R d n . 1). D e m e n t s p r e c h e n d s o l l e n P e r s ö n l i c h k e i t s m o d e l l e , die als A r b e i t s h y p o t h e s e n d e r B e h a n d l u n g s u n t e r s u c h u n g 38

Hans-Georg Mey

2. Titel. Planung des Vollzuges

§6

zugrunde gelegt werden, auch von der Prozeßhaftigkeit in der Entwicklung des Gefangenen und seiner Kriminogenese ausgehen. Mit Böhm 88 und Grunau/Tiesler Rdn. 3 ist deshalb auch der Begriff „Erforschung der Persönlichkeit" abzulehnen, weil er einmal das diagnostische Vorgehen inadäquat beschreibt und zum anderen einer statischen, festschreibenden Querschnittsdiagnose unbewußt Vorschub leistet (Gefahr der „selffulfilling-prophecy", der sich selbst erfüllenden Vorhersage). Inhalt und Methode der Persönlichkeitserforschung werden vom Gesetzgeber nicht 2 näher beschrieben. Im Gegensatz zu § 7 Abs. 3 Satz 2 Kommissionsentwurf hat man darauf verzichtet, die an der Behandlungsuntersuchung zu beteiligenden Fachkräfte zu benennen (BT-Drucks. 7/918, 49). Der Gefangene ist zur Duldung der Behandlungsuntersuchung verpflichtet (BT-Drucks. 7/918, 48), eine Pflicht zur aktiven Mitwirkung besteht für ihn jedoch nicht. Zur Mitwirkungspflicht allgemein § 4 Rdn. 2 ff. 2. Die aus der Behandlungsuntersuchung resultierenden Diagnosen ermöglichen 3 eine Klassifizierung (Rdn. 9) der Gefangenen. Statische Klassifizierungsformen müssen ebenso vermieden werden wie starre Differenzierungssysteme (zur Differenzierung s. §141 Rdn. 1 und § 143 Rdn. 2), weil hierdurch unerwünschte Stigmatisierung eintritt. Klassifizierungssysteme sollten sich durch Flexibilität und Mobilität auszeichnen (Paetow aaO 165), um die Möglichkeiten verwirklichen zu können, die der Gefangene hinsichtlich notwendiger Verhaltensänderung während der Zeit des Vollzuges und der Bewährungszeit besitzt (Müller-Dietz in: ZfStrVo 1977, 22). Schließlich wird man sowohl in den Systemen des Strafvollzuges der einzelnen Bundesländer als auch in den von ihnen eingerichteten Vollzugsgemeinschaften darauf achten müssen, daß die aus individueller Diagnose und Klassifizierung sich ergebenden Behandlungsempfehlungen für den einzelnen Gefangenen durch die Bereitstellung von geeigneten Vollzugseinrichtungen (§§ 141, 143) auch wirklich erfüllbar sind (§ 141 Rdn. 1; § 143 Rdn. 2 und unten Rdn. 9). Schilderung der möglichen Schwierigkeiten mit ihren Folgen bei Neufeind aaO 82, ebenso Rüther aaO 116. Die im Jahre 1981 vorgenommene Reduzierung des Einweisungsverfahrens in Baden-Württemberg geht u. a. darauf zurück, daß neben der Festschreibung einer reinen Legalprognose Empfehlungen für den weiteren Vollzug kaum zu verwirklichen waren, weil Differenzierungsmöglichkeiten (Rdn. 9) fehlten. Die Stellung einer Legalprognose mit der in Prozentwerten ausgedrückten Wahrscheinlichkeit eines Nichtrückfalls/Rückfalls (Geiger a a O 35) ist sinnlos, wenn Empfehlungen, die diesen Zustand ändern sollen, nicht realisiert werden können (Mey aaO 558 ff). Wegen des Rückfalls vgl. auch § 2 Rdn. 12. Wegen fehlender Integration von Klassifizierung und Differenzierung ist in fast allen Bundesländern deutliche Kritik an der Beibehaltung bzw. Erweiterung von Klassifizierungszentren entstanden (Koepsel unveröffentlichter Bericht über den zweiten Tag der 7. Arbeits- und Fortbildungstagung der Bundesvereinigung für Anstaltsleiter am 5. 5. 1981). Lediglich NordrheinWestfalen scheint ein einigermaßen realistisches und flexibles Klassifizierungs-/Differenzierungssystem entwickelt zu haben (RV d. JM N W vom 29. 11. 1976 — 4512 — IV A. 3 - i. d. F. v. 17. 5. 1979; RV d. JM N W v. 26. 11. 1976 - 4512 - IV A. 4 Thole aaO; JM des Landes N W a a O ; § 141 Rdn. 3; § 152 Rdn. 14). Die Behandlungsuntersuchung kann in der Aufnahmeabteilung der nach dem Voll- 4 streckungsplan (§ 152) zuständigen Anstalt oder in Einweisungsanstalten nach § 152 Abs. 2 (Gutachteranstalt nach §§51 ff AE-StVollzG) stattfinden (§ 152 Rdn. 5 ff). Die Durchführung dieser Aufgabe obliegt Gremien (Kommissionen). Einweisungsanstalten findet man lediglich in Baden-Württemberg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen (Rdn. 15). In einigen Bundesländern — meist Stadtstaaten — existieren AuswahlkomHans-Georg Mey

39

2. Abschnitt: Vollzug der Freiheitsstrafe

§6

missionen, die ohne intensive Untersuchung meist lediglich die Eignung für den offenen Vollzug beurteilen. Zur Arbeitsweise in den Einweisungsanstalten Rdn. 15. 5

3. Voraussetzung einer wirksamen Behandlung im Vollzug ist ihre individuelle Anwendung. Calliess 76 ff und Müller-Dietz ZfStrVo 1977, 19 sprechen deshalb vom Individualisierungsprinzip. Es findet in den Untersuchungen und Diagnosen der Einweisungsanstalten dann besonderen Ausdruck, wenn diese nach § 152 Abs. 2 ermächtigt sind, vom Vollstreckungsplan aus Gründen der Behandlung abzuweichen (§ 152 Rdn. 7). Zum Problem Individualisierung und Wohngruppen § 7 Rdn. 10.

6

Diagnosen aus der Behandlungsuntersuchung und aus daran anschließender Klassifizierung haben insofern ambivalente Folgen, als sie einmal zur Sicherung der Behandlung im Strafvollzug notwendig sind, zum anderen aber auch unerwünschte Stigmatisierungsprozesse auslösen können (Rüther aaO 116). Es ist daher problematisch, wenn nicht sogar schädlich, im Rahmen eines Einweisungsverfahrens oder während der Behandlungsuntersuchung in Aufnahmeabteilungen Legalprognosen oder auch nur Sozialprognosen stellen zu wollen (s. auch Rdn. 3). Da das Verhalten des Gefangenen nach seiner Entlassung nicht mehr dem Einfluß des Vollzuges unterliegt, ist die Stellung einer Legal- und Sozialprognose während der Inhaftierung im Grunde ungesichert. Es ist nicht vorauszusehen, welche besonderen oder noch unbekannten und daher auch kaum abschätzbaren Ereignisse auf den Gefangenen nach seiner Entlassung aus der Anstalt einwirken werden. Anstelle einer Legal- oder Sozialprognose sollte daher lediglich eine Behandlungsprognose gestellt werden. Dazu ist die Persönlichkeitserforschung zu Beginn des Strafvollzuges strikt zu individualisieren. Die aus ihr gewonnenen Erkenntnisse sollen zur Empfehlung der Behandlungsmaßnahmen führen, die am ehesten während der H a f t das Verhalten des Gefangenen ändern können. Kaiser in: Kaiser/Kerner/Schöch 211 fordert Behandlungstypologien als Voraussetzung für Behandlungsprognosen, die während des Vollzuges ständig zu überprüfen sind. Ihre wissenschaftliche Entwicklung steckt jedoch noch in den Anfängen (Kaiser aaO 213). Auf die ökonomischen Grenzen der Verwirklichung des Individualisierungsprinzips weist Müller-Dietz ZfStrVo 1977, 19 hin.

7

4. Grunau/Tiesler Rdn. 2 weisen darauf hin, daß es ein Ende der Behandlungsuntersuchung nicht gilt (ebenso Kaiser a a O 209). Die Fortschreibung des Vollzugsplans und seine Abstimmung mit der Entwicklung des Gefangenen werden immer wieder dazu führen, daß erneut untersucht werden muß. Müller-Dietz 91 betont, daß ein flexibles und variables Klassifizierungssystem diagnostisch und therapeutisch geschulte und erfahrene Fachkräfte benötigt. Ebenso muß das System dafür Sorge tragen, daß Diagnose und Behandlungsmöglichkeiten realistisch aufeinander abgestimmt sind. Dies kann durch systematische Rückmeldekontrolle, wie z. B. im Einweisungsverfahren Nordrhein-Westfalen, geschehen (Richtlinien für Einweisungsanstalten, RV d. JM N W vom 29. 11. 1976 - 4512 - I V A . 3 - ) . Vgl. auch Rdn. 1.

II. Erläuterungen 8

1. In § 6 Abs. 1 ist die Behandlungsuntersuchung als Grundlage des Vollzugsplans (§ 7 Rdn. 2) zwingend vorgeschrieben. Bereits Nr. 58 Abs. 1 DVollzO hat diesen Zusammenhang betont. Die Behandlungsuntersuchung schließt sich an das Aufnahmeverfahren an (§ 5 Rdn. 4 ff). Sie wird entweder in Einweisungsanstalten oder -abteilungen (§ 152 Abs. 2) oder in Anstalten durchgeführt, deren Zuständigkeit sich aus dem Vollstreckungsplan nach allgemeinen Merkmalen ergibt (§ 152 Abs. 3). Qualifikation 40

Hans-Georg Mey

2. Titel. Planung des Vollzuges

§ 6

der Mitarbeiter (Rein. 11) und Kompetenz der Institution sprechen f ü r die Durchführung der Persönlichkeitserforschung in Einweisungsanstalten. Wegen des engen Zusammenhangs zwischen

9

Klassifizierung ( = Einteilung der Gefangenen in Gruppen mit gleichen oder ähnlichen Behandlungsbedürfnissen) und Differenzierung ( = Bereitstellung von Anstalten, Abteilungen, Vollzugseinheiten, Wohngruppen mit bestimmten Behandlungsangeboten) wird die Einrichtung von zentralen Klassifizierungszentren (Auswahl- oder Einweisungsanstalten) schon lange gefordert (Paetow a a O ; skeptisch Kaiser a a O 222). Man erwartet, daß mit zunehmender Zentralisierung und Konzentrierung der Behandlungsuntersuchung auf Einweisungsanstalten auch die Qualifizierung des dort tätigen Personals steigt und zunehmend wertvollere Erkenntnisse f ü r die weitere Differenzierung in den Anstalten gewonnen werden können. Auch könnten hier gleichzeitig Aufgaben der auf die Bedürfnisse des Strafvollzugs ausgerichteten kriminologischen Forschung (§ 166) erfüllt werden. Diese Annahmen haben sich jedoch nur zum Teil verwirklicht. Nach den bisherigen Erfahrungen scheint es besonders wichtig zu sein, das in den Einweisungsanstalten tätige Fachpersonal vor Aufnahme seiner Tätigkeit mit genügender Vollzugserfahrung auszustatten und nicht über lange Jahre hinweg ausschließlich mit diagnostischen Aufgaben zu betrauen. Vgl. auch Rdn. 3 und § 152 Rdn. 8. 2. Während der Behandlungsuntersuchung kann nach § 17 Abs. 3 Nr. 2 die gemein- 10 same Unterbringung des Gefangenen während Arbeit und Freizeit eingeschränkt werden (s. auch Rdn. 5 zu § 17). Dies ist für die Dauer von zwei Monaten erlaubt. Daraus folgt, daß dieser Zeitraum auch als die längste Dauer der Behandlungsuntersuchung anzusehen ist (unterscheide dazu Rdn. 21). Diese Zeit wird jedoch selten voll beansprucht. Während Einweisungsanstalten (Rdn. 15) in der Regel sechs bis acht Wochen für die Behandlungsuntersuchung benötigen, zeigen praktische Erfahrungen aus Anstalten, welche die Gefangenen nach den Vorschriften des Vollstreckungsplans (§ 7 Rdn. 2) aufnehmen, daß bei rationeller Organisation von Aufnahmeverfahren, Behandlungsuntersuchung und Vollzugsplankonferenz diese Vollzugsphase in zwei bis drei Wochen nach Eintritt des Gefangenen in die Anstalt abgeschlossen sein kann (ähnlich auch § 53 Abs. 1 AE-StVollzG). Die Einweisungsanstalten begründen ihren höheren Zeitaufwand damit, daß sie auf einen längeren Zeitraum für Verhaltensbeobachtung im Vollzug angewiesen seien. 3. Die Behandlungsuntersuchung sollte und wird in der Regel von einem der Auf- 11 nahmeabteilung fest zugeordneten Mitarbeiterstab durchgeführt, der sich aus den in § 155 Abs. 2 genannten Bedienstetengruppen rekrutiert. Voraussetzung für eine erfolgreiche Mitwirkung in der Behandlungsuntersuchung sind eine gute diagnostische Ausbildung und Befähigung dieser Bediensteten sowie ihre ausreichende Vollzugserfahrung (s. Rdn. 9). Grunau/Tiesler (Rdn. 4) weisen besonders engagiert auf die notwendige Professionalisierung der Durchführung der Behandlungsuntersuchung hin. Die Mitwirkung eines Psychiaters ist allerdings selbst in Einweisungsanstalten selten (dazu Kerner in: Kaiser/Kerner/Schöch 411). Je mehr Bedienstete an der Behandlungsuntersuchung beteiligt sind, um so höhere Anforderungen sind an die Organisation des Ablaufs und an die Kooperation innerhalb des Gremiums zu stellen (vgl. auch § 152 Rdn. 8). Unzureichend ist es sicher, wenn die Behandlungsuntersuchung sich in einer Abfolge von Beratungsgesprächen erschöpft (AK-Qwenie/Rdn. 6). Es ist vielmehr notwendig, zunächst alle verfügbaren Informationen und Befunde zu erheben und zu sammeln, diese gemeinsam mit dem Gefangenen auszuwerten (Exploration) und dann Hans-Georg Mey

41

§6

2. Abschnitt: Vollzug der Freiheitsstrafe

die Ergebnisse mit ihm zu besprechen (insoweit richtig AK-Quensel Rdn. 7). Vgl. auch Rdn. 25. Die Gefahr einer Überdiagnostizierung (Böhm 88) ist in der Praxis selten. Unzureichend gesicherte Diagnosen sind dagegen häufiger anzutreffen. Erst nach der Exploration kann eine Schlußberatung erfolgen, welche die erhobenen Befunde, die Bedürfnisse des Gefangenen und die vorhandenen Angebote des Vollzuges so aufeinander abstimmt, daß mit einem Gutachten und den sich daraus ergebenden Empfehlungen einer sinnvollen Planung der weiteren Behandlung nähergetreten werden kann. Zum Verlauf des Strafvollzuges als einheitlichem Prozeß vgl. Rdn. 1. 12

4. Der Gefangene ist zur Duldung der Behandlungsuntersuchung verpflichtet, jedoch nicht zur aktiven Mitwirkung (Calliess/Müller-Dietz Rdn. 1). Die aktive Mitwirkung des Gefangenen ist jedoch selbstverständliche Voraussetzung dafür, daß die Behandlungsuntersuchung überhaupt verwertbare Ergebnisse erbringt. Da der Gefangene auf diese Weise eine sehr starke Blockademöglichkeit durch sein „Veto" hat, kommt es wie auch später entscheidend darauf an, die Motivation des Gefangenen zur Mitarbeit an der Erreichung des Vollzugsziels zu erhalten und zu fördern (§ 4 Abs. 1 Satz 2). Es ist nicht davon auszugehen, daß die zunächst während der Behandlungsuntersuchung erreichte Motivationsschwelle zur Absolvierung bestimmter Behandlungsmaßnahmen späterhin während des weiteren Vollzuges ständig gleich bleibt (vgl. Rdn. 7 zu § 4). Mit mehr oder minder starken Motivationsschwankungen ist erfahrungsgemäß zu rechnen, auf deren zu erwartendes Ausmaß das Gutachten aus der Behandlungsuntersuchung hinweisen sollte. Grundsätzlich zur Mitwirkungspflicht § 4 Rdn. 4, 9.

13

Gespräche mit dem Gefangenen über den jeweiligen Stand der Behandlungsuntersuchung sind im notwendigen Ausmaß zu führen (vgl. auch Rdn. 25). Wenn AK-QWense/ Rdn. 7 jederzeit die Möglichkeit des Gefangenen zur Akteneinsichtnahme und zur Anforderung von Kopien eines jeden Schriftstücks aus der Behandlungsuntersuchung verlangt, so ist dies unzweckmäßig, weil gerade bei einer noch nicht abgeschlossenen Behandlungsuntersuchung die unkommentierte Bekanntgabe von Teilergebnissen zu zusätzlichen und unnötigen Konflikten führt. Erst das Gespräch nach Abschluß der Untersuchung kann dem Ziel dienen, den Gefangenen über den Gesamtbefund angemessen zu informieren und ihm zu helfen, die für ihn wichtigen Erkenntnisse zu akzeptieren und so die für die Mitwirkung bei der Behandlung notwendigen Aktivitäten zu entwickeln (zur Frage des Rechts auf Einsicht in die Gefangenenpersonalakte s. Rdn. 9 zu § 108; § 115 Rdn. 7; § 120 Rdn. 3; §§ 162 ff Rdn. 5; zur Aushändigung von Unterlagen im Einweisungsverfahren: O L G Celle NStZ 1982, 136).

14

5. Umfang und Methoden der Behandlungsuntersuchung sind sowohl aus ökonomischen als auch aus Gründen, die den Schutz der Intimsphäre betreffen (für das Aufnahmeverfahren § 5 Rdn. 4, 6), auf die Erreichung der für die Aufstellung des Behandlungs- und Vollzugsplans notwendigen Inhalte und Ausmaße zu beschränken (Calliess/ Müller-Dietz Rdn. 6). Schematische Wiederholungen einzelner Methoden und Befragungen früherer Untersuchungen sind zu vermeiden ( B ö h m 87), da sie zwischen Gefangenen und Bediensteten Vertrauen abbauen. Dies kann dadurch vermieden werden, daß die Behandlungsuntersuchung als Längsschnittuntersuchung angelegt wird, in die die Ergebnisse früherer Untersuchungen einzubeziehen sind. Ihre Wiederholung sollte nur bei notwendigen Vergleichen stattfinden (Mey/Schmidt aaO 46 ff).

15

6. In Einweisungsanstalten bzw. Einweisungsabteilungen (z. B. Baden-Württemberg; Niedersachsen; Nordrhein-Westfalen) arbeiten diagnostische Teams interdisziplinär (Rdn. 4). Sie bedürfen allerdings einer sorgfältig abgestimmten Organisation 42

Hans-Georg Mey

2. Titel. Planung des Vollzuges

§6

und sind in diesem Bereich störanfällig. Eine hohe interdisziplinäre Integration darf nicht dazu führen, daß dadurch die Organisation der Behandlungsuntersuchung kompliziert und die Zeit ihrer Durchführung über Gebühr verlängert wird. Auch in Einweisungsanstalten ist anzustreben, die Behandlungsuntersuchung und die Zusammenfassung des Endbefundes mit Erstellung von Empfehlungen innerhalb eines Zeitraumes von weniger als sechs Wochen durchzuführen (s. Rdn. 10). Kompliziertheit und Schwerfälligkeit interdisziplinärer Behandlungsuntersuchungen lassen sich zum Teil dadurch vermeiden, daß für die Erstellung des anschließenden Untersuchungsbefundes bereits bei Beginn der Untersuchung ein sogenannter „Federführer" bestellt wird, dem die Ermittlung und Zusammenfassung aller Informationen und Daten obliegt und der dann von sich aus daran interessiert ist, alle für die Untersuchung notwendigen Daten schnell und vollständig zu erhalten, zu sammeln und auszuwerten. Die interdisziplinären Personalmodelle der Einweisungsanstalten können auch Vorbild für den Personaleinsatz bei der Durchführung der Behandlungsuntersuchung in den nach dem Vollstreckungsplan zuständigen Anstalten sein. Vgl. aber § 152 Rdn. 9, 14 f. 7. Die Behandlungsuntersuchung mit der dabei zu stellenden psychosozialen Dia- 16 gnose (anstelle des wenig glücklichen Begriffs „Persönlichkeitserforschung") sollte sich auf vier Methodengruppen stützen: a) Erhebungen zur Vorgeschichte (Anamnese), b) Verhaltensbeobachtungen, c) Durchführung von standardisierten Untersuchungsverfahren (Tests), d) erörternde und beratende Gespräche zwischen dem Gefangenen und den Bediensteten einschließlich der Stellungnahme des Gefangenen zu den bisher über ihn vorliegenden Befunden und ihren Ergebnissen sowie Erkundung der Vorstellungen, Planungen und Wünsche des Gefangenen hinsichtlich seines weiteren Aufenthaltes im Vollzuge und in der Freiheit (Exploration). Siehe dazu im einzelnen Rdn. 22 bis 25. 8. Der zusammenfassenden Verarbeitung der Ergebnisse der Behandlungsuntersu- 17 chung zu einem Gesamtbefund dürfen keine psychologischen oder kriminologischen Alltagstheorien zugrunde gelegt werden (Calliess/Müller-Dietz Rdn. 3). Eine derartige diagnostische Basis ist nicht selten in Gutachten auch renommierter Psychiater festzustellen, während psychologische Gutachten oft an einer Uberfrachtung mit verschiedensten wissenschaftlichen Theorien leiden, ohne daß eine praktikable Ubersetzung der vertretenen Thesen in die alltäglichen Fragestellungen des Vollzuges erfolgt. Die formale und verbale Gestaltung von Gutachten und gutachtlichen Äußerungen, 1 8 die beispielsweise notwendig werden, um Ergebnisse der Behandlungsuntersuchung an nachfolgende Adressaten weiterzugeben, wird in der Praxis immer wieder beklagt. Dies liegt nicht zuletzt daran, daß die Ausbildung der angehenden Diplom-Psychologen an den Universitäten im Bereich diagnostischer Gutachtengestaltung erheblich vernachlässigt wird. Aber auch bei Pädagogen und Sozialarbeitern sind die Verhältnisse kaum besser. Es empfiehlt sich daher, in den Vollzug eintretende Angehörige von Fachdiensten während der Einführung in ihr Berufsfeld in Seminaren zur Berichts- und Gutachtengestaltung spezifisch auszubilden (Allgemein zur Frage der Einführung von Fachdiensten in das Berufsfeld Strafvollzug s. § 155. Zur Diskussion über die Einrichtung einer Vollzugsakademie: Dertinger aaO 122; Bund der Strafvollzugsbediensteten aaO). Die in der Behandlungsuntersuchung anfallenden Unterlagen werden nicht Teil der 19 Gefangenenpersonalakte. Sie sind gesondert und gegen unbefugte Kenntnisnahme Hans-Georg Mey

43

§6

2. Abschnitt: Vollzug der Freiheitsstrafe

sorgfältig gesichert aufzubewahren (z. B. Regelung in N W durch Richtlinien für das Einweisungsverfahren, danach bleiben Untersuchungsunterlagen als Hausakten bei der Einweisungsanstalt). Zur Gefangenenpersonalakte auch bei § 108 Rdn. 9; § 115 Rdn. 7; § 120 Rdn. 3; §§ 162 ff Rdn. 5. 20

9. Für den Psychologen bestehen außerdem Probleme des Schweigerechts bzw. der Schweigepflicht. Müller-Dietz stellt in einem (bisher nicht veröffentlichten) Gutachten „Zur rechtlichen Stellung des Anstaltspsychologen" zum Thema Schweigepflicht fest, daß die Mitwirkung in Diagnostik und Therapie den Anstaltspsychologen in Kollision mit rechtlichen Bestimmungen über Verschwiegenheit und Schweigepflicht bringen kann. Verschwiegenheitsgebote ergeben sich aus der Pflicht zur Amtsverschwiegenheit. Hier entsteht zwar durch innerbehördliche Weitergabe psychodiagnostischer Befunde keine Interessenkollision. Über die Weitergabe an Dritte entscheidet in diesem Fall durch Erteilung der Aussagegenehmigung der Behördenleiter. Anders ist die Schweigepflicht des Psychologen nach § 203 StGB zu beurteilen. Hier bedarf nach Müller-Dietz die Weitergabe von Befunden stets eines Rechtfertigungsgrundes. Bei diagnostischen Aufgaben, die vom StVollzG gefordert werden, wie z. B. der Behandlungsuntersuchung, die der Gefangene zu dulden hat, liegen Rechtfertigungsgründe vor. Bei Stellungnahmen zu und Uberprüfungen von Vollzugsentscheidungen liegt es im Interesse des Gefangenen, alle überprüfungsfähigen Daten mitzuteilen und weiterzugeben, so daß hier die Einwilligung zur Weitergabe vorausgesetzt werden kann. Insgesamt ergeben sich daher Schwierigkeiten aus den gesetzlichen Bestimmungen zur Schweigepflicht für den Psychologen nur im therapeutischen Bereich, der allerdings dringend einer normativen Regelung bedarf.

21

10. § 6 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit W zu § 6 lassen eine Behandlungsuntersuchung bei einer Vollzugsdauer bis zu einem Jahr in der Regel nicht geboten erscheinen. Wegen der besonderen Bedeutung der Behandlungsuntersuchung als Grundlage des Behandlungsvollzuges sollten ihr jedoch alle Gefangenen unterworfen werden (so auch Fachausschuß I des Bundeszusammenschlusses für Straffälligenhilfe, Jung/Müller-Dietz aaO 17). Behandlung kann auch bei kurzer Vollzugsdauer notwendig sein. Dies stellt sich allerdings in der Regel erst nach der Behandlungsuntersuchung heraus. Ergebnisse einer Behandlungsuntersuchung können für den Gefangenen auch dann von Bedeutung sein, wenn aus zeitlichen Gründen eine Behandlung im Vollzug nicht mehr in Frage kommt, Hilfen im Rahmen der Behandlung nach der Entlassung jedoch geboten erscheinen (Prinzip der Verzahnung des Vollzuges mit nachfolgenden Betreuungsinstanzen, s. auch § 154 Abs. 2). Die Vorschrift § 6 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit W zu § 6 ist daher nicht starr anzuwenden. Zwar ist der Gesetzgeber der Meinung, daß angesichts der schwierigen Personalsituation im Vollzug eine Behandlungsuntersuchung bei kurzen Strafen nur eine unnötige Arbeitsbelastung verursachen würde (BTDrucks. 7/918, 49 und BT-Drucks. 7/3998, 7). Dies berechtigt jedoch nicht zu einer schematischen Anwendung von § 6 Abs. 1 Satz 2. Die Neufassung von § 6 Abs. 1 gegenüber RE in den Beratungen des Sonderausschusses Strafrechtsreform hat vielmehr klarstellen wollen, daß auch bei kurzer Vollzugsdauer eine Erforschung der Persönlichkeit und der Lebensverhältnisse des Gefangenen grundsätzlich erwünscht ist (BT-Drucks. 7/3998, 7). Calliess/Müller-Dietz Rdn. 5 weisen daher darauf hin, daß die Vollzugsdauer nur ein zusätzliches Indiz für das Erfordernis einer Behandlungsuntersuchung sein kann. Lediglich wenn „durch die Untersuchung keine Kenntnisse zu erlangen sind, die für eine planvolle Behandlung des Gefangenen im Vollzuge notwendig sind, weil die Vollzugsdauer zu kurz i s t , . . . ist die Behandlungsuntersuchung im 44

Hans-Georg Mey

2. Titel. Planung des Vollzuges

§6

Sinne des Absatzes 1 Satz 2 nicht geboten" (aaO). Damit bleibt W zu § 6 allerdings unvereinbar mit § 6 Abs. 1 (Müller-Dietz 100). Eine ähnliche Auffassung vertritt Kaiser, der als Ausweg aus dem bestehenden Dilemma die Entwicklung von zwei Modellen der Persönlichkeitserforschung empfiehlt, eines für Langzeit-, das andere für Kurzzeitfälle (Kaiser in: Kaiser/Kerner/Schöch 210 f).

III. Beispiele Eine Behandlungsuntersuchung wird zweckmäßigerweise folgendermaßen gestaltet: 22 1. Erhebungen zur Vorgeschichte (Anamnese) durch den Sozialdienst. Hier sind aktenkundige Daten im Vergleich mit den Angaben des Gefangenen auszuwerten. Aus den Akten übernommene Daten sollten nie als festgeschrieben hingenommen werden (insoweit richtige Kritik Brüsten 118). Übernommene Daten sind vielmehr mit dem Gefangenen zu erörtern und ggf. nach seinen Angaben zu ergänzen bzw. zu korrigieren. Bei der Aufnahme der Vorgeschichte empfiehlt sich die Verwendung standardisierter Anamnesebögen, um einmal die Vollständigkeit der Erhebung, zum anderen ihre eventuell geplante statistische Auswertung zu sichern. Auch in der Erhebung zur Vorgeschichte ist das Verhalten des Gefangenen wie in allen anderen Situationen während der Behandlungsuntersuchung sorgfältig zu beobachten und zu protokollieren. Zur Behandlungsuntersuchung durch qualifiziertes Personal Rdn. 11. Bereits vorliegende wichtige Informationsquellen zur Persönlichkeit des Gefangenen und zu seiner sozialen Situation finden sich für gewöhnlich im Urteil, in den Berichten der Gerichtshilfe und der Bewährungshilfe sowie in Sachverständigengutachten. Für die Stellung einer Verlaufsdiagnose sind die Personalakten aus früheren Aufenthalten in einer JVA heranzuziehen. Ihre Beiziehung und die Anforderung von Sachverständigengutachten werden vielfach aus Bequemlichkeitsgründen gescheut, sind jedoch leicht zu organisieren (nachdrücklich Böhm 87). Im Strafverfahren erstattete Sachverständigengutachten zur Persönlichkeit sollen gemäß § 13 Abs. 2 StVollstrO mit den Vollstreckungsunterlagen an die zuständige Justizvollzugsanstalt übersandt werden. 2. Verhaltensbeobachtungen (alle Dienste). Die Organisationsstruktur der Anstalt 23 muß dafür Sorge tragen, daß ganz allgemein, insbesondere aber zur Durchführung der Behandlungsuntersuchung systematische Verhaltensbeobachtung der Gefangenen möglich ist. Da der allgemeine Vollzugsdienst und der Werkdienst die häufigsten Kontakte mit den Gefangenen hat, wird das hier eingesetzte und der Zugangsabteilung fest zugeordnete Personal für seine Aufgabe besonders ausgebildet werden müssen (anstaltsinterne Ausbildungsmöglichkeiten z. B. nach: Paritätisches Bildungswerk Rheinland-Pfalz/Saarland aaO). Aber auch alle übrigen an der Behandlungsuntersuchung beteiligten Bediensteten sind dazu anzuhalten, den Gefangenen während der Kontakte mit ihnen zu beobachten und die Beobachtungen schriftlich festzuhalten. Das Verhalten des Gefangenen in Gruppen kann während der Informationsveranstaltungen für Zugänge beobachtet werden (vgl. § 5 Rdn. 7). Zwischen dem Verhalten des Gefangenen als einzelnem und als Mitglied einer Gruppe treten oft gravierende Unterschiede auf. Situationen zu intensiver Verhaltensbeobachtung finden sich bei Sport, Spiel und Freizeitbeschäftigung. Auch hier muß systematische Verhaltensbeobachtung nicht nur während der Dauer der Behandlungsuntersuchung, sondern auch während des späteren Vollzuges sichergestellt werden. Hans-Georg Mey

45

§ 7

2. Abschnitt: Vollzug der Freiheitsstrafe

24

3. Standardisierte Untersuchungsverfahren (Tests) zur Erfassung der Persönlichkeit des Gefangenen werden aus rationellen Gründen durch den psychologischen Dienst möglichst in der Gruppe durchgeführt. Es empfiehlt sich daher, diejenigen in der Gruppe durchführbaren Untersuchungsverfahren zu einer Einheit zusammenzufassen, die bei jedem Gefangenen durchgeführt werden müssen (z. B. Intelligenztests, Arbeitsprobe, Persönlichkeitsfragebogen, Schulleistungstests). Darüber hinaus sind Untersuchungsverfahren bereitzuhalten, die bei Bedarf im Einzelfall zusätzlich anwendbar sind und die nach Möglichkeit ebenfalls zur Anwendung in Gruppen geeignet sein sollten. Die Verwendung sogenannter projektiver Testverfahren (z. B. Rorschach-Test; T. A. T.) ist im Methodenverständnis der heutigen Psychologie umstritten. Eine negative Bewertung dieser Verfahren ist allerdings oft weniger eine Frage der Verläßlichkeit und diagnostischen Valenz dieser Tests, sondern eher abhängig von der diagnostischen Ausbildungsbreite des anwendenden Psychologen. Projektive Verfahren können bei genauer Kenntnis ihrer Schwächen und Vorzüge durchaus zu sinnvoll verwertbaren Ergebnissen führen, ein Grundsatz, der für jede Methode psychologischer Diagnostik gilt.

25

4. Das Explorationsgespräch basiert auf der Zusammenfassung der ermittelten Daten und der inzwischen vorliegenden Untersuchungsergebnisse. Ein vorläufiger Gesamtbefund aus Anamnese, Beobachtungen und Tests ist zu Beginn eines solchen Gesprächs vorhanden. Nunmehr erörtern der Gefangene und der mit dem Abschluß der Untersuchung beauftragte Bedienstete („Federführer") diese Befunde, der Gefangene nimmt zu ihnen Stellung, der Bedienstete (z. B. ein Psychologe) zeigt Konsequenzen auf, die sich aus den Befunden ergeben, der Gefangene wird veranlaßt, seine Einstellungen zu seiner Vergangenheit, seiner jetzigen Situation und zu seinen Perspektiven für die Zukunft darzulegen. Schließlich versuchen beide gemeinsam, die sich aus dem Gesamtbefund ergebenden Aussichten und Möglichkeiten zu definieren, sowie Motivation für notwendige Veränderungen zu wecken. Die Behandlungsuntersuchung geht hier mit einer Planungsberatung (§ 6 Abs. 3) bereits konkret in Behandlung über. Beachte auch Rdn. 13.

§7 Vollzugsplan (1) Auf Grund der Behandlungsuntersuchung (§ 6) wird ein Vollzugsplan erstellt. (2) Der Vollzugsplan enthält Angaben mindestens Uber folgende Behandlungsmaßnahmen: 1. die Unterbringung im geschlossenen oder offenen Vollzug, 2. die Zuweisung zu Wohngruppen und Behandlungsgruppen, 3. den Arbeitseinsatz sowie Maßnahmen der beruflichen Ausbildung, Fortbildung oder Umschulung, 4. die Teilnahme an Veranstaltungen der Weiterbildung, 5. besondere Hilfs- und Behandlungsmaßnahmen, 6. Lockerungen des Vollzuges und 7. notwendige Maßnahmen zur Vorbereitung der Entlassung. (3) Der Vollzugsplan ist mit der Entwicklung des Gefangenen und weiteren Ergebnissen der Persönlichkeitserforschung in Einklang zu halten. Hierfür sind im Vollzugsplan angemessene Fristen vorzusehen. 46

Hans-Georg Mey

2. Titel. Planung des Vollzuges

§ 7

Schrifttum Mey/Schmidt Die Planung der Behandlung im Jugendstrafvollzug — Vollzugs- und Behandlungsplan — (Durchführung und Fortschreibung), in: Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Tagungsberichte der Jugendstrafvollzugskommission, Band VI, Bonn 1978, 37; Neufeind „Planvolle Behandlung" als Gegenstand der Behandlungsuntersuchung und des Vollzugsplans (§§ 6, 7 StVollzG), in: JZ 1980, 603 ff; Rehn Sozialtherapie und sozialtherapeutische Anstalt, in: MschrKrim 1975, 69 ff; Schlußbericht Jugendstrafvollzugskommission, 1980; Staiber Kriminalpolitik und Strafvollzug, Berlin 1978; Steller Sozialtherapie statt Strafvollzug, Köln 1977. Übersicht I. Allgemeine Hinweise 1. Wesen des Vollzugsplans 2. Definitorische Abgrenzung . . . . 3. Vollzugsplanung in der Vollzugswirklichkeit II. Erläuterungen 1. Zusammenhang zwischen Behandlungsuntersuchung und Vollzugsplan

Rdn. 1—3 1 2 3 4—13

2. 3. 4. 5. 6.

Rdn. Vollzugsplankonferenz 6 Inhalt des Vollzugsplans 7 Behandlungsplan 8 W o h n g r u p p e n und Behandlungsgruppen 9—11 Persönlichkeitsentwicklung des Gefangenen und Vollzugsplan . . 12—13

4— 5

I. Allgemeine Hinweise 1. Der Vollzugsplan ist das wichtigste Ergebnis des Aufnahmevollzuges (Böhm 85). 1 Hier kommt der Grundsatz des StVollzG zum Ausdruck, durch die Bestimmungen über die Behandlungsuntersuchung (§ 6) und den darauf aufbauenden Vollzugsplan eine individualisierende Behandlung des Gefangenen zu ermöglichen. Vorschriften zur Vollzugsplanung hat es zwar in Nr. 58 (4) DVollzO bereits gegeben, sie sind jedoch im StVollzG eingehender gestaltet und begründen auch erstmalig das Recht des Gefangenen auf eine ihm angemessene Vollzugsplanung. Mit dem Vollzugsplan liegt eine Konkretisierung vor, wie das Vollzugsziel im Einzelfall zu erreichen ist, nämlich in Form eines Rahmenplanes, der eine Orientierungshilfe sowohl für den Gefangenen als auch für alle an der Behandlung beteiligten Mitarbeiter darstellt. Eine solche Planung eröffnet weitere Aspekte aus einer „Verbundzuständigkeit" in der Behandlung (s. § 154 Abs. 2) mit der Zielsetzung, Vollzugsplanung während der Strafhaft unter Einbeziehung der Untersuchungshaft als Unterteil eines Gesamtplanes zur Gegensteuerung gegen abweichendes Verhalten in Form von intensiver oder chronischer Kriminalität aufzufassen (Vorstellungen über einen Gesamtplan Schlußbericht Jugendstrafvollzugskommission 9 und Böhm 85). 2. Zu unterscheiden ist der Vollzugsplan vom Behandlungsplan (Rdn. 8) und vom 2 Vollstreckungsplan. Der Vollstreckungsplan bestimmt, in welche Anstalt der einzelne Gefangene einzuweisen ist (s. Rdn. 2 zu § 152). Der Vollzugsplan legt für jeden Gefangenen fest, was mit ihm während seiner Vollzugszeit geschehen soll (Schöch in: Kaiser/ Kerner/Schöch 128). Aus der Begründung zum RE (BT-Drucks. 7/918, 49) stammt der Begriff des Behandlungsplans. Er stellt einen besonderen Teil des Vollzugsplans dar und wird als Regelung der auf den Gefangenen anzuwendenden therapeutischen Behandlung durch Fachdienste aufgefaßt (Müller-Dietz 100; Kemerin: Kaiser/Kerner/ Schöch 319). 3. Obwohl der Vollzugsplan ein Kernstück des behandlungsorientierten Vollzuges 3 ist, hat sich die Praxis seiner Gestaltung ähnlich wie die der Behandlungsuntersuchung Hans-Georg Mey

47

2. Abschnitt: Vollzug der Freiheitsstrafe

§7

in den Bundesländern und in den einzelnen Anstalten sehr unterschiedlich entwickelt (vgl. zur Behandlungsuntersuchung § 6 Rdn. 14 f). Die Vollzugsplangestaltung reicht von einer schlichten Zuweisung zu einem Arbeitsplatz und der Anordnung der Unterbringung auf einer gerade frei gewordenen Zelle nach Durchführung eines kargen Zugangsgesprächs anstelle einer Behandlungsuntersuchung bis hin zur interdisziplinären Diagnose in einer Einweisungsanstalt (§ 6 Rdn. 15) mit dezidierten Empfehlungen und einem Zeitplan des Vollzuges. Nicht immer verhindern allein die bescheidenen Sach- und Personalausstattungen der Anstalten und der Bundesländer die bestimmungsgemäße Aufstellung des Vollzugsplans. Es bietet sich damit ein vielfältiges Bild organisatorischer Formen der Vollzugsplangestaltung, wobei mitunter nicht einmal der Anschein der Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben gewahrt ist. So stellt z. B. Staiber aaO 6 fest, daß nur in etwa 10% aller Fälle der nach dem Gesetz vorgeschriebene Vollzugsplan erstellt werde. II. Erläuterungen 4

1. Im System des StVollzG ist der Vollzugsplan (Rdn. 8: Abgrenzung zum Behandlungsplan) eine Maßnahme zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiete des Strafvollzuges (§ 109; zur Frage der Rechtsbehelfe s. §§ 108 — 121 und speziell OLG Hamm ZfStrVo 1979, 63; KG 8.6. 1982 - 2 Ws. 69/82; § 109 Rdn. 11). Der Gefangene hat ein Recht auf die Aufstellung des Vollzugsplans (OLG Hamm aaO; O L G Nürnberg ZfStrVo 1982, 308; LG Berlin StrafV 1982, 476) unter der Voraussetzung, daß eine Behandlungsuntersuchung gemäß § 6 durchgeführt worden ist (§ 6 Rdn. 8). Gefangene, bei denen die Durchführung der Behandlungsuntersuchung mit Rücksicht auf die Vollzugsdauer nicht geboten erscheint, haben diesen Anspruch nicht. Diese Konsequenz ist unbefriedigend. Wie bereits in § 6 erörtert (Rdn. 21), kann die Aufstellung eines Vollzugsplans bei Gefangenen mit kürzerer Vollzugsdauer ebenfalls empfehlenswert sein, insbesondere unter Berücksichtigung von Maßnahmen, die über die Entlassung hinaus den Ubergang in die Freiheit positiv steuern können. Die Vollzugsbehörde ist in diesen Fällen an der Aufstellung eines Vollzugsplans nicht gehindert. Seine Ausgestaltung ist dann nach Art und Umfang auf die Kürze der zur Verfügung stehenden Strafzeit abzustellen.

5

Die Durchführung der Behandlungsuntersuchung durch eine Einweisungsanstalt (§6 Rdn. 15) oder durch die Aufnahmeabteilung der jeweils unmittelbar zuständigen Anstalt führt zwingend zur Aufstellung des Vollzugsplans (Calliess/Müller-Dietz Rdn. 1; OLG Hamm ZfStrVo 1979, 63). Beschluß und Empfehlungen der Einweisungsanstalt stellen aber noch nicht den eigentlichen Vollzugsplan dar, sie sollen lediglich seine Aufstellung vorbereiten und ermöglichen (OLG Hamm aaO). Der Gefangene hat zwar einen Rechtsanspruch auf die Einhaltung der Mindestanforderungen, die gemäß § 7 Abs. 2 an den Vollzugsplan zu stellen sind. Dieses Recht kann nicht auf die Empfehlungen der Einweisungsanstalten ausgedehnt werden. Der Rechtsanspruch des Gefangenen auf die Aufstellung des Vollzugsplans ist zu konkretisieren. Der Vollzugsplan muß auf einer Beratung in einer Konferenz nach § 159 beruhen und in schriftlicher Form fixiert werden (OLG Hamm aaO). Das mündliche Gespräch ersetzt nicht die schriftliche Form. Der Gefangene hat jedoch kein Recht zu verlangen, daß bestimmte Behandlungsmaßnahmen in den Vollzugsplan aufgenommen werden (OLG Hamm aaO; O L G Nürnberg aaO: insoweit steht ihm nur ein Anspruch auf fehlerfreie Ausübung des der Vollzugsanstalt zustehenden Ermessens zu.). Vgl. auch § 4 Rdn. 11. Einzelanordnungen allerdings müssen mit den im Vollzugsplan enthaltenen Angaben über Behandlungsmaßnahmen in Einklang stehen (OLG Celle NStZ 1982, 136). Schock 48

H a n s - G e o r g Mey

2. Titel. Planung des Vollzuges

§7

in: Kaiser/Kerner/Schöch 128 bejaht entgegen O L G Karlsruhe ZfStrVo 1980, 184 das Recht des Gefangenen auf Aushändigung einer Abschrift des Vollzugsplans. Er hält die Begründung des O L G Karlsruhe, der Vollzugsplan könne auch geheimzuhaltende Tatsachen aus der Gefangenenpersonalakte enthalten, zu Recht nicht für stichhaltig (vgl. Rdn. 12). Zur Aushändigung von Einweisungsunterlagen an Gefangene § 6 Rdn. 13. 2. Die Entscheidung über den Vollzugsplan muß nach Beratung in einer Konferenz 6 gefällt werden (§ 159). Teilnehmer derartiger Konferenzen sollen die an der Behandlung maßgeblich Beteiligten sein. Da bei der Aufstellung des Vollzugsplans mit der Behandlung bestenfalls begonnen wird, bleibt unklar, wer außer dem Anstaltsleiter an dieser Konferenz teilnehmen soll. Bei größeren Anstalten empfiehlt es sich, die Aufgabe der Konferenzleitung an einen besonders befähigten Abteilungsleiter zu delegieren, zweckmäßigerweise an einen Angehörigen der Fachdienste. Die Vorschrift des §159 kann sinnvollerweise auch immer nur so ausgelegt werden, daß hier nicht alle an der Behandlung innerhalb der Anstalt beteiligten Personen gemeint sind, sondern nur die tatsächlich an der Behandlung des jeweils in Rede stehenden einzelnen Gefangenen maßgeblich Beteiligten (s. Rdn. 3 § 159). Da bei Einberufung der Vollzugsplankonferenz nach § 159 die beabsichtigte Behandlung noch nicht begonnen hat, können ihre Teilnehmer zunächst nur die Beteiligten an der bisher durchgeführten Behandlungsuntersuchung sein. Darüber hinaus sollen die Betreuer während der bisherigen Vollzugszeit (einschließlich Aufsichts- und Werkdienst) und diejenigen Bediensteten hinzugezogen werden, die nach dem in Aussicht genommenen Vollzugsplan für die weitere Durchführung des Vollzuges und der Behandlung zuständig sein werden. Erst bei Konferenzen zur Fortschreibung und weiteren Uberprüfung des Vollzugsplans können die Teilnehmer nach der in § 159 vorliegenden Definition ausgewählt werden (§ 159 Rdn. 5). Die Anwesenheit des Gefangenen bei der Vollzugsplankonferenz ist zweckmäßig. Nach § 6 Absatz 3 ist ohnehin vorgesehen, die Planung der Behandlung mit ihm zu erörtern. Seine Teilnahme an der Vollzugsplankonferenz erleichtert ihm das Verständnis der in Aussicht genommenen Maßnahmen und fördert damit gleichzeitig seine Motivation. Vgl. auch § 6 Rdn. 12; § 159 Rdn. 7. 3. § 7 Absatz 2 regelt ausführlich die Frage des inhaltlichen Mindestumfangs des 7 Vollzugsplans. Der Vollzugsplan darf allerdings nicht nur die nach § 7 Abs. 2 Nr. 1—7 getroffenen einzelnen Entscheidungen aufzählen. Er muß darüber hinaus auch erkennen lassen, daß die Entscheidungen aus dem Ergebnis der Behandlungsuntersuchung abgeleitet worden sind. Zur Gewinnung des Behandlungsergebnisses im einzelnen § 6 Rdn. 22 ff. Die Aufstellung eines Zeitplans für einen sinnvoll abgestimmten Verlauf des Vollzuges ist sowohl aus Behandlungs- wie auch aus organisatorischen Gründen notwendig. Insbesondere bei Gefangenen mit langen Strafen wird es noch nicht möglich sein, zu allen Punkten von § 7 Abs. 2 unmittelbar nach der Behandlungsuntersuchung konkrete Aussagen zu machen. Auch dies muß in den Vollzugsplan aufgenommen werden mit dem gleichzeitigen Hinweis auf die Inaussichtnahme des Zeitpunkts einer späteren Entscheidung (OLG Hamm ZfStrVo 1979, 63). Die Aufzählung über den Inhalt des Vollzugsplans nach § 7 Abs. 2 Nr. 1—7 ist nicht abschließend. So empfiehlt es sich, regelmäßig auch einen Urlaubsplan aufzustellen und das Überbrückungsgeld (s. Rdn. 4 ff zu § 51) festzusetzen. Andere notwendige Entscheidungen oder in Aussicht genommene Behandlungsmaßnahmen sollen — falls notwendig — den Vollzugsplan vervollständigen. Insbesondere für die Planung therapeutischer Maßnahmen läßt § 7 Abs. 2 Raum, da im Gesetz außer in § 37 Abs. 5 besondere therapeutische Maßnahmen nicht erwähnt werden. Ist eine Maßnahme in den Vollzugsplan aufgenommen, muß sie auch durchgeführt werden (Calliess/Müller-Dietz Rdn. 2), es sei denn, sie wird nach § 7 Hans-Georg Mey

49

§7

2. Abschnitt: Vollzug der Freiheitsstrafe

Abs. 3 änderungsbedürftig. § 7 Abs. 3 soll verhindern, daß der Vollzugsplan eine negative Festschreibungsfunktion erhält (Rdn. 13). Stärker als alle anderen behandlungsorientierten Vorschriften des Gesetzes muß der Vollzugsplan flexible Möglichkeiten zur schnellen und wirksamen Anpassung an veränderte Verhältnisse sicherstellen (dazu NeufeindaaO 603 ff und im Bereich des Jugendvollzuges Mey/Schmidt a a O 37 ff). Zum Strafvollzug als einheitlichem Prozeß auch Vorbem. zu §§ 5 bis 7 Rdn. 1. 8

4. Vom Vollzugsplan zu unterscheiden ist der Behandlungsplan. Er ist dem Vollzugsplan untergeordnet und regelt die Konkretisierung einzelner Elemente des Vollzugsplans durch behandelnde Fachkräfte (BT-Drucks. 7/918, 49). Im Gesetz ist der Behandlungsplan nicht besonders geregelt. Die Benutzung der Begriffe Behandlungsuntersuchung (§ 6 Abs. 1; § 7 Abs. 1), Planung der Behandlung (§ 6 Abs. 3), Vollzugsplan (§ 7) und Behandlungsplan führt leicht zu terminologischer Verwirrung. Die Trennung von Vollzugsplan und Behandlungsplan ist darüber hinaus unzweckmäßig, weil mit dem Behandlungsplan therapeutische Maßnahmen von Fachkräften eine zu stark herausgehobene und damit isolierte Bedeutung erhalten. So haben sozialtherapeutische Erfahrungen gezeigt, daß eine Verbesserung der Effizienz des Strafvollzuges weniger durch Einsatz spezifischer psychotherapeutischer Methoden als vielmehr durch ein bis in alle Funktionen abgestimmtes Behandlungsklima zu erreichen ist (beachte jedoch § 9 Rdn. 6). In diesem Sinne sind Rehn und Steller zu verstehen, wenn sie als Sozialtherapie die Behandlung delinquenter Klienten in Institutionen definieren, wobei es darauf ankomme, verschiedene Behandlungsmethoden im weitesten Sinne in einem die gesamte Institution erfassenden Interventionsplan zusammenzuführen (Rehn aaO; Steller aaO 13; vgl. auch § 141 Rdn. 5). Folgt man ihnen, so wäre die Abhängigkeit der Begriffe Vollzugsplan/Behandlungsplan genau umzukehren und der Vollzugsplan als wesentlicher Bestandteil eines gesamten Behandlungsplans anzusehen. Zwar stellt der Gesetzgeber in BT-Drucks. 7/918, 49 fest, daß der Vollzugsplan als Rahmenplan das Zusammenwirken aller Beteiligten im Vollzug besonders anregt. Dennoch verbleibt es trotz dieser Erkenntnis bei der strikten Unterscheidung zwischen Vollzugsplan und Behandlungsplan. Der gesetzlich ungeregelte Begriff des Behandlungsplans hat allerdings den Vorteil, daß dadurch in Verbindung mit den ebenfalls nicht definierten besonderen Hilfs- und Behandlungsmaßnahmen (§ 7 Abs. 2 Nr. 5) die Anwendung und Erprobung unterschiedlicher Behandlungsmethoden möglich ist. Diese Möglichkeit ist auch im Rahmen verschiedener sozialtherapeutischer Konzepte zwischenzeitlich genutzt worden. Leider mangelt es aber an einer gleichzeitig notwendigen wissenschaftlichen Erfolgskontrolle, die die Voraussetzung dafür ist, positiv erprobte Behandlungsmethoden zur allgemeinen Anwendung zu empfehlen.

9

5. Die in § 7 Abs. 2 aufgezählten Mindestregelungen des Vollzugsplans stehen mit anderen Regelungen des Gesetzes in Verbindung: Nr. 1 mit §S 10 f; Nr. 2 mit SS 17 f; Nr. 3 und 4 mit SS 37 ff; Nr. 5 mit SS 9, 56; Nr. 6 mit S 11; Nr. 7 mit S 15. Probleme ergeben sich lediglich aus den Nrn. 2 und 5.

10

S 7 Abs. 2 Nr. 2 schreibt die Zuweisung zu Wohngruppen zwingend vor und sieht darin eine Behandlungsmaßnahme (Calliess/Müller-Dietz Rdn. 4). In Verbindung mit S 143 Abs. 2 ergibt sich daraus, den sogenannten Wohngruppenvollzug in allen Anstalten zur Regel zu machen. Ob die Zuweisung zu einer Wohngruppe bereits Behandlung ist und insbesondere das Individualisierungsprinzip der Behandlung (S 6 Rdn. 5) erfüllt, mag dahingestellt bleiben. Die Unterbringung der Gefangenen in Wohngruppen ist jedoch Voraussetzung dafür, das Leben in der Anstalt zu einem natürlichen sozialen 50

Hans-Georg Mey

2. Titel. Planung des Vollzuges

§7

Trainingsfeld zu gestalten und das Klima der gesamten Anstalt dem einer problemlösenden Gemeinschaft anzunähern. Nicht zu verkennen ist dabei allerdings auch, daß durch den unmittelbaren Kontakt des in den Gruppen arbeitenden Personals mit den Gefangenen eine besondere Belastung auftritt. Jeder Bedienstete muß im Wohngruppenvollzug das Verhältnis von Distanz und Nähe zum Gefangenen besonders sorgfältig austarieren. Aus diesem Grunde ergibt sich zwingend die Notwendigkeit der Praxisberatung von Bediensteten, die im Wohngruppenvollzug tätig sind. Vgl. auch § 143 Rdn. 4. Von der Wohngruppe zu unterscheiden ist die Behandlungsgruppe (vgl. auch § 143 11 Rdn. 5). Die hier zusammengefaßten Gefangenen gehören meist zu verschiedenen Wohngruppen. Die Gruppe wird gebildet zum Zweck der Durchführung besonderer Behandlungsmaßnahmen, von denen allerdings die Maßnahmen nach § 7 Abs. 2 Nr. 5 zu unterscheiden sind. Denkbar wäre allerdings, daß Methoden wie „group counselling" oder soziales Training (§ 74 Rdn. 12) auch in geschlossenen Wohngruppen als Behandlungsgruppen durchzuführen sind (hierzu Kemer in: Kaiser/Kerner/Schöch 394). Maßnahmen nach § 7 Abs. 2 Nr. 5 sind dagegen ganz spezielle und methodisch ausgerichtete Therapieformen oder Trainingsabläufe. Unter diese Kategorie fallen auch gezielte Einzelhilfsmaßnahmen. Dazu § 72 Rdn. 5. 6. Zweckmäßigerweise wird dem Gefangenen das Ergebnis der Vollzugsplankonfe- 12 renz eröffnet ohne Rücksicht darauf, daß mit ihm die Planung des Vollzuges bereits gem. § 6 Abs. 3 erörtert worden ist (Rdn. 6). Der Gefangene hat zwar das Recht auf Aushändigung einer Abschrift des Vollzugsplans (s. Rdn. 5), dies berechtigt ihn jedoch nicht zur Einsichtnahme in die dem Vollzugsplan zugrundeliegenden Unterlagen. Vgl. auch § 6 Rdn. 13 und § 152 Rdn. 12. Nach § 7 Abs. 3 ist der Vollzugsplan mit der Entwicklung des Gefangenen und den 13 weiteren Ergebnissen der Persönlichkeitserforschung in Einklang zu halten, wobei bereits im Vollzugsplan angemessene Fristen zur Überprüfung festzulegen sind. Daraus ergeben sich Folgerungen. Einmal wirkt sich auch hier wiederum die Gesamtkonzeption des Gesetzes aus, die sowohl die Persönlichkeit des Gefangenen als auch den Vollzug als in einem fortlaufenden Prozeß befindlich ansieht (Vorbem. zu §§ 5 bis 7 Rdn. 1). § 7 Abs. 3 begegnet so der Gefahr, daß der Gefangene mit der Beschreibung seines Zustandes zur Zeit der Behandlungsuntersuchung abgestempelt bleibt (Rdn. 7). Zum zweiten enthält diese Vorschrift eine Anweisung zur organisatorischen Gestaltung des Vollzuges. Die Überprüfung des Vollzugsplans, die gemäß § 159 wiederum unter Beteiligung einer Konferenz zu geschehen hat, muß sich nach den Notwendigkeiten des Einzelfalls ausrichten. Dies betrifft insbesondere die festzulegenden Fristen. Es erscheint sinnvoll, in der Organisationsstruktur einzelner Vollzugseinheiten dafür grundsätzlich feste zeitliche Abstände zu bestimmen, von denen dann mit Einzelverfügung abgewichen worden kann (z. B. wegen der Gesamtstrafdauer oder wegen einer konstanten Gesamtentwicklung des Gefangenen). Mindestfristen, wie sie bei Calliess/ Müller-Dietz Rdn. 6 gefordert werden, sind in der Praxis allerdings nicht einzuhalten.

Hans-Georg Mey

51

2. Abschnitt: V o l l z u g der Freiheitsstrafe

§8

§8 Verlegung. Uberstellung (1) Der Gefangene kann abweichend vom Vollstreckungsplan in eine andere für den Vollzug der Freiheitsstrafe zuständige Anstalt verlegt werden, 1. wenn die Behandlung des Gefangenen oder seine Eingliederung nach der Entlassung hierdurch gefördert wird oder 2. wenn dies aus Gründen der Vollzugsorganisation oder aus anderen wichtigen Gründen erforderlich ist. (2) Der Gefangene darf aus wichtigem Grund in eine andere Vollzugsanstalt überstellt werden. W 1

(1) Wichtige Gründe für eine Überstellung sind namentlich a) Besuchszusammenführung, wenn ein Besuch in der zuständigen Anstalt nicht oder nur mit erheblichen Schwierigkeiten möglich ist; b) Ausführung und Ausgang am Ort oder in Ortsnähe einer anderen Anstalt; c) Vorführung und Ausantwortung am Ort oder in Ortsnähe einer anderen Anstalt; d) Begutachtung und ärztliche Untersuchungen. (2) Uberstellungen sind nur im Einvernehmen mit der aufnehmenden Anstalt zulässig. Dies gilt nicht bei Vorführungen und Ausantwortungen. 2

Auf begründeten Antrag darf der Gefangene einer Polizeibehörde befristet ausgeantwortet werden. Übersicht I. Allgemeine H i n w e i s e 1. V e r l e g u n g hier n i c h t a b s c h l i e ß e n d geregelt 2.

3. 4.

2—3

V e r l e g u n g in eine f ü r d e n W o h n ort zuständige Anstalt

4

II. E r l ä u t e r u n g e n 1. Begriff d e r V e r l e g u n g

a)

1

Vollstreckungsplan und Möglichkeit d e r m e h r f a c h e n V e r l e g u n g w ä h r e n d des S t r a f v o l l z u g e s . . . .

Anstaltswechsel a) A r t d e r D u r c h f ü h r u n g . . . . b) B e s c h r ä n k u n g d e r V e r l e g u n gen auf d a s unumgänglich notwendige Maß

Rdn.

Rdn. 1—7

5—7 6

7 8 — 16 8 — 14

2. 3.

A n s p r u c h auf f e h l e r f r e i e E r messensentscheidung b) V e r l e g u n g n u r in eine f ü r d e n Vollzug von Freiheitsstrafe dienende Anstalt c) V e r l e g u n g auf A n t r a g des G e fangenen d) V e r f a h r e n s m ä ß i g e Behandlung des V e r l e g u n g s a n t r a g e s . e) A n t r a g auf g e r i c h t l i c h e E n t scheidung f) E r f o r d e r l i c h k e i t d e r Verlegung aus Gründen der Vollzugsorganisation Die Überstellung Die A u s a n t w o r t u n g

9

10 11 12 13

14 15 16

I. Allgemeine Hinweise 1

1. Die Überschrift Verlegung, Uberstellung erweckt die irrige Vorstellung, als sei hier die Verlegung abschließend oder wenigstens in der Mehrzahl ihrer Fälle geregelt. Beides trifft indessen nicht zu. Im Gesetz verstreut finden sich zahlreiche weitere die 52

Karl Peter Rotthaus

2. Titel. Planung des Vollzuges

§8

Verlegung betreffende Vorschriften: § 9 Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt, § 10 in den offenen Vollzug, § 15 Abs. 2 Verlegung zur Entlassungsvorbereitung, § 65 zur besseren Krankenbehandlung, § 76 Abs. 3 zur Entbindung, § 85 zur sicheren Unterbringung, § 152 Abs. 2 zur Vorbereitung der Einweisungsentscheidung. Alle diese Spezialvorschriften gehen der allgemeinen Vorschrift des § 8 vor. Zahlenmäßig fallen besonders Verlegungen im Zuge der Entwicklung des Gefangenen im Vollzug (Progression) ins Gewicht (Rdn. 3 und 10). Für die Vorschrift des § 8 wäre deshalb die Überschrift „Abweichung vom Vollstreckungsplan" treffender gewesen. 2. Der Vollstreckungsplan (5 152), der von den Landesjustizverwaltungen für ein 2 Bundesland — oder im Falle einer Vollzugsgemeinschaft (§ 150) für mehrere Länder — im Wege der Verwaltungsanordnung aufgestellt wird, bestimmt, in welcher Vollzugsanstalt ein Verurteilter seine Freiheitsstrafe zu verbüßen hat. In diese Anstalt gelangt der Verurteilte, wenn er entweder der Ladung der Vollstreckungsbehörde, der Staatsanwaltschaft, zum Strafantritt folgt, oder aber auf deren Ersuchen — z. B. aus der Untersuchungshaftanstalt — nach dort transportiert wird. Die Tätigkeit der Vollstreckungsbehörde richtet sich nach der StVollstrO, einer Verwaltungsvorschrift. Mit der Aufnahme in die Vollzugsanstalt als Selbststeller oder mit dem Übertritt von der Untersuchungshaft in den Vollzug der Freiheitsstrafe wird der Verurteilte Strafgefangener, tritt er in den Geltungsbereich des Strafvollzugsgesetzes. Die Vorschriften des Gesetzes gehen dann den Regelungen der StVollstrO vor (LG Wiesbaden ZfStrVo S H 1978, 42). Zum Anwendungsbereich des StVollzG § 1 Rdn. 1 ff. Im Laufe des Vollzuges kann eine andere Vollzugsanstalt zuständig i. S. d. Gesetzes 3 werden. So kann ein Gefangener zunächst in eine Einweisungsanstalt (§ 6 Rdn. 15) aufgenommen und auf Grund einer Einweisungsuntersuchung zum weiteren Vollzug nach Gesichtspunkten der Behandlung und Eingliederung in die dafür ausgewählte Vollzugsanstalt verlegt werden (OLG Celle ZfStrVo 1980, 250; § 152 Rdn. 3; § 6 Rdn. 4). Weiterhin kann eine andere Vollzugsanstalt zuständig werden, wenn der zunächst in eine geschlossene Anstalt eingewiesene Gefangene später den besonderen Anforderungen des offenen Vollzuges genügt (§10 Abs. 1. Dort Rdn. 6). Entsprechendes gilt, wenn der Gefangene im offenen Vollzug versagt und deshalb in eine geschlossene Anstalt verlegt werden muß (§10 Abs. 2 Satz 2. Dort Rdn. 11 f) oder wenn ein Gefangener für eine besondere Behandlungsmaßnahme (z. B. der beruflichen oder schulischen Förderung) in eine andere Anstalt übernommen wird, bei der eine entsprechende Sonderzuständigkeit (z. B. Berufsförderungsstätte, Pädagogisches Zentrum) begründet ist. Zur beruflichen Förderung § 37 Rdn. 16 ff. So kann ein Gefangener im Laufe eines längeren Strafvollzugs eine Vielzahl von Vollzugsanstalten kennenlernen, sich aber stets in der für ihn zuständigen Anstalt befinden mit der Folge, daß es sich bei all diesen Verlegungen nicht um Anwendungsfälle des § 8 handelt. Vgl. auch § 152 Rdn. 3. 3. Verlegung in eine für den Wohnort zuständige Anstalt. Im Zeitpunkt des Über- 4 tritts in den Strafvollzug haben § 24 Abs. 1 Satz 3 und 4 StVollstrO große praktische Bedeutung für Gefangene, die in einer nicht für ihren Wohnort zuständigen Anstalt untergebracht sind: Wird eine Strafe mit einer Vollzugsdauer von mehr als sechs Monaten in einer für den Aufenthaltsort zuständigen Anstalt vollzogen, so ist der Verurteilte in die für den Wohnort zuständige Anstalt zu verlegen, wenn er es binnen zwei Wochen nach Vollzugsbeginn bei der Vollzugsanstalt beantragt. Die Vollzugsanstalt weist ihn bei Vollzugsbeginn auf diese Möglichkeit hin.

Auf diese Weise kann ein Gefangener, der in einem von seiner Heimat entfernten Bundesland verurteilt wurde, auf einfache Weise erreichen, zur Verbüßung seiner Karl Peter Rotthaus

53

2. Abschnitt: Vollzug der Freiheitsstrafe

§8

Strafe in eine Anstalt verlegt zu werden, die seinem Lebenskreis näher liegt. Auch das ist kein Fall des § 8 dieses Gesetzes. 5

4. Der Anstaltswechsel ist ein tiefer Eingriff in das Leben des Gefangenen. Er kann ein Wechsel zum Guten oder aber zum Schlechteren sein. Zum Schlechteren, wenn der Gefangene einen guten Arbeitsplatz hatte, gute Kontakte zum Personal der Anstalt und zu Angehörigen und Freunden in der Nähe der Anstalt. Zum Guten, wenn ein schwieriger Gefangener in der neuen Anstalt einen neuen Anfang schafft, bessere Bedingungen innerhalb der Anstalt vorfindet und günstigere Kontaktmöglichkeiten nach draußen (z. B. für Besuch oder Ausgang) gewinnt. Andererseits ist ein geordneter Vollzug nur möglich, wenn die Gefangenen in der Regel in der nach dem Vollstrekkungsplan zuständigen Anstalt untergebracht sind. Doch müssen der Vollzugsbehörde Verlegungen auch aus organisatorischen Gründen möglich sein, wenn Anstalten vorübergehend überbelegt oder unterbelegt sind oder anderweitig genutzt werden sollen. Das Gesetz hat sich um einen Interessenausgleich bemüht. Zum Konflikt zwischen Vollzugsziel und Aufgaben des Vollzugs vgl. auch § 2 Rdn. 16.

6

a) Wichtig für den betroffenen Gefangenen ist auch die Art der Durchführung von Verlegungen. Es besteht die Gefahr, daß der Gefangene wie ein Objekt, wie ein Transportgut behandelt wird (§ 4 Rdn. 1). Das OLG München (ZfStrVo S H 1979, 87) hat in diesem Zusammenhang mit Recht daran erinnert, daß vor einer den Gefangenen beschwerenden Maßnahme das rechtliche Gehör gewährt werden muß: „Gegen die Verlegung eines Gefangenen ohne dessen vorherige Anhörung bestehen deshalb Bedenken" (§115 Rdn. 6). Auch der tatsächliche Ablauf der Verlegung muß menschenwürdig gestaltet werden. So muß dem Gefangenen der Verlegungszeitpunkt rechtzeitig bekanntgegeben werden, damit er seine Habe in Ruhe packen und sich — wenn er das will — auch von Beamten und Mitgefangenen verabschieden kann.

7

b) Diejenigen, die über Verlegungen zu entscheiden haben (s. u. Rdn. 12), müssen sich darüber im klaren sein, wie belastend Verlegungen sein können und welche Unruhe und Angst sie bei den betroffenen Gefangenen oftmals auslösen. Verlegungen sind deshalb, soweit sie nicht dem Wunsch des Gefangenen entsprechen, auf das unbedingt notwendige Maß zu beschränken. II. Erläuterungen

8

1. Verlegung ist der auf Dauer berechnete Anstaltswechsel, bei dem die Beziehungen des Gefangenen zu der abgebenden Anstalt völlig abgebrochen werden. Eine wichtige Auswirkung ist die Änderung der Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer, die dann eintritt, wenn der Gefangene in einen anderen Landgerichtsbezirk verlegt wird. Vgl. insb. § 110 Rdn. 6. Das soll auch dann gelten, wenn die Verlegung während des gerichtlichen Verfahrens über eine Vollzugslockerung stattfindet (OLG Celle NStZ 1982, 324).

9

a) Anspruch auf fehlerfreie Ermessensentscheidung Wie so viele Regelungen des StVollzG ist auch diese Bestimmung als „Kannvorschrift" gefaßt. Das bedeutet jedoch nicht, daß die Ablehnung des Verlegungsantrags eines Gefangenen oder die Anordnung seiner Verlegung aus organisatorischen Gründen in das Belieben der Vollzugsbehörde gestellt wäre. Der Gesetzgeber wollte nach der Entstehungsgeschichte des Gesetzes das Ermessen der Vollzugsverwaltung an bestimmte Richtlinien binden. Die Rechtsprechung hat in zahlreichen Entscheidungen 54

Karl Peter Rotthaus

2. Titel. Planung des Vollzuges

§8

herausgestellt, daß der Gefangene Anspruch auf eine gründliche sachliche Prüfung seines Verlegungsantrags und auf fehlerfreie Ausübung des Ermessens hat. Entsprechendes gilt auch für die aus organisatorischen Gründen von der Vollzugsbehörde veranlaßten Verlegungen (LG Wiesbaden ZfStrVo S H 1977, 45; LG Wiesbaden ZfStrVo SH 1978, 42; OLG Koblenz ZfStrVo S H 1979, 86; LG Wiesbaden ZfStrVo S H 1979, 89). Vgl. auch § 152 Rdn. 12. Eine Schwierigkeit für den Gefangenen ist allerdings, daß die Voraussetzungen der Verlegung — die Grenzen des Ermessens also — nur sehr allgemein umschrieben sind, sich gesetzlich auch wohl nicht näher konkretisieren lassen. Das zwingt die Vollzugsverwaltung dazu, eine Art „ständige Praxis" dafür zu entwikkeln, was sie als Verlegungsgründe gehen läßt. Der Außenstehende kann von diesen Verwaltungsbräuchen nur gelegentlich durch Gerichtsentscheidungen erfahren oder aber durch Auskünfte der Vollzugsbehörden, denen gegenüber gerade Gefangene meist mißtrauisch sind. Zur gerichtlichen Uberprüfung von Ermessensentscheidungen § 115 Rdn. 19 ff. b) Die Verlegung darf nur in eine für den Vollzug von Freiheitsstrafe dienende 10 Anstalt erfolgen, nicht also in Anstalten, die nur dem Vollzug von Jugendstrafe, von Untersuchungshaft (vgl. § 152 Rdn. 10) oder Sicherungsverwahrung dienen, und — nach dieser Vorschrift — auch nicht in eine psychiatrische Klinik oder eine andere Einrichtung, in der die Behandlung mit Freiheitsentzug verbunden ist (dazu auch § 1 Rdn. 2). Der Behandlungsvollzug ist ein dynamischer Prozeß, dessen planmäßiger Verlauf den Gefangenen je nach seinem Entwicklungsstand und nach den erforderlichen Behandlungsmaßnahmen mehrere jeweils nach Vollzugsform und Behandlungsaufgabe unterschiedliche, aber für ihn zuständige Anstalten durchlaufen läßt (Progression). Alle Verlegungen im Verlauf der Behandlung aber fallen nicht unter Abs. 1 Nr. 1 dieser Vorschrift (vgl. Rdn. 3; vgl. dazu auch Vorbem. zu §§ 5 bis 7 Rdn. 1). c) Verlegung auf Antrag des Gefangenen 11 In der Praxis begründen Gefangene ihre Verlegungsanträge meist mit der Erwartung, daß ihre Behandlung oder ihre Eingliederung nach der Entlassung in einer anderen als der an sich zuständigen Anstalt besser gefördert werden könne (Abs. 1 Nr. 1). Am häufigsten beantragen sie die Verlegung zur Erleichterung des Kontaktes zu ihren Angehörigen und Freunden an einen Ort, der deren Wohnsitz näher gelegen ist. Ob dieser Grund ausreicht, ist streitig. Die Rechtsprechung ist hier (im Gegensatz zu Calliess/Müller-Dietz Rdn. 3; AK-Quensel Rdn. 9) eher zurückhaltend: „Beschwernisse, welche die Besuche durch Anreise, Aufbringung von Reisekosten und Bindung an Besuchszeiten mit sich bringen, müssen die Besucher zur Durchführung eines geordneten Vollzuges und im Hinblick auf die Beachtung der nötigen Sicherheitsvorkehrungen hinnehmen" (LG Wiesbaden ZfStrVo S H 1977, 45; LG Karlsruhe ZfStrVo S H 1977, 44; OLG Koblenz ZfStrVo S H 1979, 86; § 152 Rdn. 7, 12). Diese „Beschwernisse" sind der Preis für die Differenzierung (§ 141) der Vollzugsanstalten, die der wirksamen Behandlung dienen soll. Es müssen also im Einzelfall besondere, vom Durchschnittsfall abweichende Erschwerungen des Kontaktes zu den Angehörigen vorliegen, um einen Verlegungsantrag ausreichend zu begründen. Weitere Beispiele sind die Verlegung in eine andere Anstalt zur beruflichen oder schulischen Förderung, wenn bei der anderen Anstalt zwar keine besondere Zuständigkeit begründet ist für eine solche Maßnahme, diese Einzelmaßnahme (berufsnaher Einsatz als Schlosser, Besuch einer Abendschule im Wege des Freigangs) dort aber aus tatsächlichen Gründen leichter durchführbar ist. Zum Konflikt zwischen Vollzugsziel und Sicherheitsaufgaben allgemein § 2 Rdn. 17 f. Karl Peter Rotthaus

55

§8 12

2. Abschnitt: V o l l z u g der Freiheitsstrafe

d) Verfahrensmäßige Behandlung des Verlegungsantrags Ein Gefangener, der in eine an sich nicht zuständige Anstalt verlegt werden möchte, steht vor erheblichen Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben, daß bei der Verlegungsentscheidung mehrere Vollzugsbehörden zusammenwirken müssen. In der Regel sind das wenigstens drei: die abgebende Anstalt, die aufnehmende Anstalt und die gemeinsame Aufsichtsbehörde, deren Zustimmung es für eine Abweichung vom Vollstreckungsplan bedarf. Häufig behält sich die Landesjustizverwaltung die Entscheidung vor (§ 153; LG Wiesbaden ZfStrVo S H 1977, 45 f), wobei sie ihre Entscheidung auf die Stellungnahmen der beteiligten Anstalten stützt. Uberträgt sie die Entscheidung, was nach § 153 möglich ist, einer zentralen Stelle (§ 153 Rdn. 3), so wird sie gleichzeitig für diese Verwaltungsvorschriften erlassen. Diese Vorschriften lassen zwar das Gesetz unberührt, enthalten aber die „Spielregeln" für den Verwaltungsablauf (Näheres bei § 4 Rdn. 14 ff; § 115 Rdn. 23). Wer sachgemäße Anträge stellen und diese möglichst zügig entschieden haben will, muß sich nach diesen Vorschriften erkundigen, sich also von der Verwaltung beraten lassen. Besonders umständlich wird das Verfahren, wenn ein Gefangener von einem Bundesland in ein anderes Bundesland verlegt werden möchte. Gesetzliche Vorschriften zur Regelung des Verfahrens fehlen (Calliess/MüllerDietz Rdn. 2 zu § 153). Die beteiligten Landesjustizverwaltungen müssen sich einigen (§ 26 Abs. 1 Satz 4 StVollstrO). Die so gefundene Entscheidung muß § 8 entsprechen und ist daraufhin gerichtlich nachprüfbar, doch wird der Weg zur Entscheidung oft langwierig sein. Widerstand gegen den Verlegungsantrag ist eher von der Anstalt und der Landesjustizverwaltung zu erwarten, die den Gefangenen aufnehmen soll, als von der an sich zuständigen Anstalt und ihrer Aufsichtsbehörde. Deshalb kann es in zweifelhaften Fällen zweckmäßig sein, sich zunächst an diese Landesjustizverwaltung mit der Bitte um Aufnahme zu wenden.

13

e) Antrag auf gerichtliche Entscheidung Die komplizierten Zuständigkeitsregelungen für Verlegungsentscheidungen wirken sich besonders dann aus, wenn der Gefangene seinen abgelehnten Verlegungsantrag mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung weiterverfolgen will. Soll die Verlegung innerhalb eines Bundeslandes erfolgen, so ist die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer am Sitz der obersten Landesbehörde oder der zentralen Stelle nach § 153 gegeben. Sind dagegen zwei Landesjustizverwaltungen beteiligt, so kann der Gefangene gezwungen sein, die ablehnenden Entscheidungen in zwei Verfahren vor zwei verschiedenen Gerichten anzufechten, da es im Verfahren nach § 109 ff keine Beiladung gibt. Weil der Widerstand gegen den Antrag in erster Linie bei dem Land zu erwarten ist, das den Gefangenen aufnehmen soll, kann es sich empfehlen, zunächst dessen Bescheid anzufechten (OLG Stuttgart ZfStrVo S H 1977, 59; LG Wiesbaden ZfStrVo S H 1979, 88; OLG Hamm ZfStrVo S H 1979, 91; § 153 Rdn. 2). In Nordrhein-Westfalen gelten besondere Zuständigkeitsregeln, weil es dort zwei Mittelbehörden und zwei Einweisungsanstalten gibt. § 151 Rdn. 7; § 152 Rdn. 14. Zuständiges Gericht nach erfolgter Verlegung § 110 Rdn. 6; bei Anfechtung von Rückverlegungen § 110 Rdn. 2.

14

f) Die Verlegung eines Gefangenen aus Gründen der Vollzugsorganisation (Abs. 1 Nr. 2) oder aus anderen wichtigen Gründen muß erforderlich sein. Die Vollzugsbehörde muß also zunächst alle ihr zu Gebote stehenden anderen Mittel ausschöpfen, bevor sie Verlegungen anordnet. Organisatorische Gründe ergeben sich in Zeiten der Uberfüllung der Vollzugsanstalten allerdings oft genug. Die Verwaltung hat meist kein 56

Karl Peter Rotthaus

2. Titel. Planung des Vollzuges

§8

anderes Mittel zur Verfügung als den „Belegungsausgleich" durch Verlegung von Gefangenen aus überbelegten in weniger stark genutzte Anstalten (s. auch OLG Frankfurt ZfStrVo 1982, 189). Grobe Disziplinwidrigkeiten sind ein Beispiel für andere wichtige Gründe. So muß z. B. „ein Gefangener, der in der Vollzugsanstalt im Besitz von Betäubungsmitteln ist, . . . schnellstens von seinen Bezugsquellen getrennt werden" (LG Stuttgart NStZ 1981, 405; § 103 Rdn. 5). Ein wichtiger Grund kann auch in ungewöhnlichen Verhaltensauffälligkeiten des Gefangenen bestehen. Doch ist hier Zurückhaltung angebracht (Calliess/Müller-Dietz Rdn. 4). O f t bereitet der Gefangene in der neuen Anstalt nach kurzer Frist dieselben Schwierigkeiten wie in der, die ihn verlegte; dann ist nichts gewonnen. Allerdings kommt es auch nicht selten vor, daß es dem Gefangenen in anderer Umgebung gelingt, einen neuen Anfang zu machen. Die Auffassung (Calliess/Müller-Dietz Rdn. 4), Abs. 1 Nr. 2 habe nur solche Verlegungsgründe im Auge, „die nicht auf das individuelle Verhalten des Gefangenen oder seine persönliche Situation bezogen sind, sondern organisatorische oder andere wichtige Belange des Gesamtvollzuges betreffen", hat jedoch keine Stütze im Wortlaut des Gesetzes. Schließlich sei noch der Fall erwähnt, daß ein Gefangener zu seiner eigenen Sicherheit verlegt werden muß, um ihn z. B. vor der Gefahr von Racheakten anderer Gefangener zu schützen; denn § 85 gilt nur für die Fälle, in denen die Gefahr von dem zu verlegenden Gefangenen, nicht von anderen ausgeht. Natürlich kann der gefährdete Gefangene in diesem Fall auch selbst den Antrag auf Verlegung stellen. Er braucht nicht abzuwarten, ob die Vollzugsbehörde von sich aus tätig wird. 2. Die Überstellung ist die befristete Überführung eines Gefangenen in eine andere 15 Justizvollzugsanstalt (Nr. 7 VGO). Sie darf nur aus wichtigem Grund durchgeführt werden, um den Gefangenen nicht ohne Not aus den sozialen Bezügen seiner „Heimatanstalt" zu lösen. W Nr. 1 gibt Beispiele für wichtige Gründe. Die ersten beiden Beispiele, Besuchszusammenführung und Erleichterung von Ausführung und Ausgang, dienen den Interessen des Gefangenen, so daß dieser keine Einwendungen gegen die Überstellung erheben wird. Die Vollzugsbehörde aber wird auch in diesem Fall, besonders aber, wenn die Überstellung aus organisatorischen Gründen (Beispiel W Nr. 1 Buchst, c) und d)) erfolgt, prüfen müssen, ob sich nicht andere Wege finden lassen. So muß ein längerer Reiseweg für eine Ausführung in Kauf genommen werden, wenn dadurch eine mehrtägige Abwesenheit vom Arbeits- oder Ausbildungsplatz vermieden werden kann. Im Einzelfall kann unklar sein, ob eine Überstellung oder eine Verlegung anzunehmen ist. Die Frage hat Bedeutung z. B. für die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer (§110 Rdn. 2). Wird aber ein Gefangener „zur Teilnahme an einer längeren Berufsausbildung (hier: ca. 1 V* Jahre) in eine andere Vollzugsanstalt überführt, so handelt es sich um eine Verlegung i. S. des § 8 Abs. 1" (OLG Celle ZfStrVo S H 1979, 86). Calliess/Müller-Dietz Rdn. 3 halten wiederholte kurzfristige Überstellungen zur Erleichterung des Besuchsverkehrs mit Angehörigen mit dem Regelungszweck der Vorschrift für nicht vereinbar, in derartigen Fällen sei eine Verlegung geboten (gegen OLG Koblenz ZfStrVo S H 1979, 86). Der Auffassung kann in dieser Allgemeinheit nicht gefolgt werden. Der Gefangene kann ein Interesse daran haben, seine Strafe in einer vom Wohnort seiner Angehörigen entfernten Anstalt zu verbüßen, weil er dort im offenen Vollzug untergebracht ist oder an einer beruflichen oder schulischen Bildungsmaßnahme teilnimmt. Die hier abgelehnte Auffassung würde ihn vor die Alternative stellen, entweder auf den Kontakt zu seinen Angehörigen oder auf die sachgemäße Behandlungsmaßnahme zu verzichten. Dazu auch § 141 Rdn. 5. Karl Peter Rotthaus

57

§9 16

2. Abschnitt: Vollzug der Freiheitsstrafe

3. Für die Ausantwortung fehlt eine gesetzliche Grundlage. Die Verwaltungstradition kennt die Ubergabe eines Strafgefangenen an die Polizeibehörde zu längeren Vernehmungen, Gegenüberstellungen oder zur Durchführung von Ortsterminen. W Nr. 2 ist für eine so einschneidende Maßnahme eine wenig tragfähige Basis. Es besteht hier eine Gesetzeslücke. Ein Bedürfnis für solche Ausantwortungen ist anzuerkennen. Solange eine gesetzliche Grundlage fehlt, ist jedenfalls ein zurückhaltender Umgang mit dem Institut der Ausantwortung ratsam. A K - Q u e n s e i Rdn. 14, empfiehlt, auf die Freiwilligkeit des Gefangenen abzustellen.

§ 9 Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt (1) Ein Gefangener kann in eine sozialtherapeutische Anstalt verlegt werden, wenn die besonderen therapeutischen Mittel und sozialen Hilfen einer solchen Anstalt zu seiner Resozialisierung angezeigt sind. E r kann wieder zurückverlegt werden, wenn mit diesen Mitteln und Hilfen dort kein Erfolg erzielt werden kann. (2) Zu einer Untersuchung, ob die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 vorliegen, kann der Gefangene bis zu drei Monaten in eine sozialtherapeutische Anstalt oder eine sozialtherapeutische Beobachtungsstelle verlegt werden. (3) Die Verlegung bedarf der Zustimmung des Leiters der sozialtherapeutischen Anstalt. Übersicht I. Allgemeine Hinweise 1. Erprobungsanstalten 2. Bedarf an Behandlungsplätzen . . 3. Vorteile einer „Vollzugslösung" II. Erläuterungen 1. Voraussetzungen für die Aufnahme in eine sozialtherapeutische

Rdn. 1—4 2 3 4 5 — 10

2. 3. 4.

Anstalt Rückverlegung Probeweise Aufnahme Zustimmungserfordernis des Leiters der sozialtherapeutischen Anstalt

Rdn. 6 7-8 9

10

I. Allgemeine Hinweise 1

Als gesetzliche Grundlage für die sozialtherapeutische Anstalt, die ein wesentlicher Bestandteil der Strafrechtsreform werden sollte, hat das Zweite Gesetz zur Reform des Strafrechts den § 65 in das Strafgesetzbuch eingefügt. Danach sollte die auf den Schutz der Allgemeinheit hin orientierte Sicherungsverwahrung ein behandlungsorientiertes Gegenstück erhalten, eine zeitlich unbestimmte Verwahrung zum Zwecke therapeutischer Behandlung (Maßregellösung). Durch mehrere Verschiebegesetze wurde der Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Bestimmung mehrfach, zuletzt bis zum Beginn des Jahres 1985 hinausgeschoben (§ 1 Rdn. 8). Eine Beschreibung der sozialtherapeutischen Anstalt findet sich jedoch auch in § 65 S t G B nicht, der sich — trotz seines Umfangs von mehr als einer Druckseite — darauf beschränkt, die Gruppen der einzuweisenden Verurteilten unter rechtsstaatlichen (Vorstrafen, Vorverbüßungen) und unter Behandlungsgesichtspunkten (schwere Persönlichkeitsstörung, Sexualdelikt, Gefahr der Entwicklung zum Hangtäter) abzugrenzen (vgl. hierzu die ausführliche Kommentierung von Hanack im L K zu § 65 StGB). 58

Karl Peter Rotthaus

2. Titel. Planung des Vollzuges

§9

Die sozialtherapeutische Anstalt — ein wesentlicher Bestandteil der Strafrechtsreform — hat ihre Grundlage in den Materialien zum Strafvollzugsgesetz. Dort tritt das Wesen der Sozialtherapie deutlicher hervor. Manch beschreibt sie (Tagungsberichte der Strafvollzugskommission, VIII, 103) als „eine Kombination medizinisch-psychologischer Verfahren, die auf Nachreifung, Umstrukturierung, Symptombeseitigung und Verhaltensänderung abzielt in Verbindung mit Führung, Lebensberatung, Erziehung, fürsorgerischer Betreuung"; ihr Kernstück sei Psychotherapie. 1. Unmittelbar nach Verkündung des Zweiten Strafrechtsreformgesetzes haben die 2 meisten Bundesländer Erprobungsanstalten eingerichtet (Bundeszusammenschluß für Straffälligenhilfe (Hrsg.), Sozialtherapeutische Anstalten — Konzepte und Erfahrungen — ein Bericht des Fachausschusses V, 2. Auflage, Bonn 1977; ZfStrVo SH 1980, „Sozialtherapie und Behandlungsforschung"; Bundeszusammenschluß für Straffälligenhilfe (Hrsg.): Sozialtherapie als kriminalpolitische Aufgabe. Empfehlungen zur zukünftigen rechtlichen und tatsächlichen Ausgestaltung der Sozjaltherapie im Strafvollzug, Bonn 1981). Einige Anstalten dieser Art arbeiten inzwischen mehr als 10 Jahre, und erste wissenschaftliche Untersuchungen deuten an, daß sie auch erfolgreich sind (so z. B. Baumann Die Sozialtherapie hat sich bewährt! in: MschrKrim 1979, 317 ff; Dünkel Legalbewährung nach sozialtherapeutischer Behandlung. Eine empirische vergleichende Untersuchung, Berlin 1980; Rehn Behandlung im Strafvollzug. Ergebnisse einer vergleichenden Untersuchung der Rückfallquote bei entlassenen Strafgefangenen, Weinheim/Basel 1979; über Schwierigkeiten sozialtherapeutischer Arbeit aber Driebold Sozialtherapie im Strafvollzug, Weinheim/Basel 1981; Egg Sozialtherapie und Strafvollzug. Eine empirische Vergleichsstudie zur Evaluation sozialtherapeutischer Maßnahmen, Frankfurt 1979; Schmitt Sozialtherapie — Eine Gratwanderung im Strafvollzug, Frankfurt 1980. Kritisch auch Schwind Zur Zukunft der Sozialtherapeutischen Anstalt, in: NStZ 1981, 121 ff. Zu den Methoden der Sozialtherapie s. Försterling Methoden sozialtherapeutischer Behandlung im Strafvollzug und die Mitwirkungspflicht des Gefangenen, Bochum 1981; Kury (Hrsg.), Methodenprobleme der Behandlungsforschung, insbesondere in der Sozialtherapie, Köln u. a. 1982). 2. Für den Bedarf an Behandlungsplätzen in sozialtherapeutischen Anstalten gibt es 3 nur unsichere Schätzungen, die zwischen 5% und 20% der Gesamtzahl der Strafgefangenen schwanken. Jedenfalls hat noch kein Bundesland Anstalten gebaut, deren Aufnahmefähigkeit an diesem Bedarf orientiert wäre. Ein Hauptgrund für dies Versäumnis ist der hohe Kostenaufwand, der mit Sozialtherapie verbunden ist. Außerdem zeigte sich, daß die Arbeit der sozialtherapeutischen Anstalten schwieriger ist, als man zunächst erwartet hatte. In fast allen Einrichtungen kam es irgendwann einmal zu Krisen (vgl. für die sozialtherapeutische Anstalt Düren: Rasch (Hrsg.), Forensische Sozialtherapie — Erfahrungen in Düren, Heidelberg 1977). Außerdem ist der Glaube an die ethische Rechtfertigung und die praktische Zweckmäßigkeit der zeitlich unbestimmten Verwahrung zum Zwecke therapeutischer Behandlung geschwunden (Kaiser Kriminologie, 4. Aufl., Heidelberg 1979, 68, 122). Schließlich hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß § 65 StGB keine brauchbare gesetzliche Grundlage bietet. Die — aus Gründen der Verhältnismäßigkeit und der Rechtsstaatlichkeit berechtigten — strengen Anforderungen an Vorstrafen und Vorverbüßungen bewirken, daß Sozialtherapie als Maßnahme zu spät angeordnet würde, zu einem Zeitpunkt, in dem der Verurteilte auf der kriminellen Karriere weit fortgeschritten und durch langdauernde Aufenthalte in Vollzugseinrichtungen nachhaltig geschädigt ist (Für Beibehaltung des §65 StGB: Karl Peter Rotthaus

59

§9

2. Abschnitt: V o l l z u g der Freiheitsstrafe

Schöch u. a. Rettet die sozialtherapeutische Anstalt als Maßregel der Besserung und Sicherung! in: Z R P 1982, 207). Auch sind die zur Behandlung vorgesehenen Gruppen von Verurteilten eher nach gesetzestechnischen als nach Behandlungsgesichtspunkten geschaffen. Ihre Abgrenzung würde große Schwierigkeiten bereiten. 4

3. Nach allem wird dem Gesetzgeber keine andere Wahl bleiben, als § 65 StGB endgültig aufzuheben (Rdn. 1), wie das von der Justizministerkonferenz im Herbst 1981 vorgeschlagen wurde. Das muß und darf jedoch nicht das Ende der Sozialtherapie bedeuten. Es besteht kein Anlaß, dem Vorschlag von AK-Brandt/Huchting (Rdn. 25 vor § 123) zu folgen, „daß von dem bisher noch verfolgten Konzept der sozialtherapeutischen Anstalten im Bereich des Justizvollzuges — sei es aufgrund § 9 oder aufgrund § 65 StGB — ganz Abschied genommen wird". Die sozialtherapeutischen Anstalten sind als eine Sonderform des Strafvollzugs fortzuentwickeln, das Angebot an Behandlungsplätzen ist zu erweitern, damit behandlungsbedürftige Gefangene die notwendige Therapie erhalten, aber auch um weiterhin ein Erprobungsfeld f ü r neue Behandlungsmethoden zu haben. Die Bedeutung des § 9 wird dadurch zunehmen, weil er auch künftig der einzige Zugang zu dieser Intensivbehandlung im Strafvollzug bleiben wird (Vollzugslösung; so auch Schwind aaO). Mit einer bloßen Bestandsgarantie ist es jedoch nicht getan. Ergänzende Vorschriften müssen Mindestanforderungen bezüglich der Personalausstattung und der Behandlungsangebote festlegen, damit nicht jede beliebige Reformanstalt im Regelvollzug mit dem Etikett „Sozialtherapie" versehen werden kann. Außerdem sollte der Gesetzgeber bestimmen, daß ein Mindestanteil von Haftplätzen in sozialtherapeutischen Anstalten bereitstehen muß, damit diese Anstalten nicht wirkungslose Randerscheinungen des Justizvollzugs sind (§ 140 Rdn. 3; s. auch Kaiser/Dünkel/Ortmann Die sozialtherapeutische Anstalt — das Ende einer Reform? in: Z R P 1982, 198). Dann kann „aus der sozialtherapeutischen Anstalt der Vorreiter des Behandlungsvollzuges im Rahmen des Regelvollzuges werden" {Schwind Zur Zukunft der Sozialtherapeutischen Anstalt, in: NStZ 1981, 121 (125)). II. Erläuterungen

5

Entgegen der von Grunau in der ersten Auflage Rdn. 1 und in der Praxis gelegentlich vertretenen Auffassung, die Vorschrift sei „nicht aktuell", hat das O L G Celle (NStZ 1981, 196 mit insoweit zustimmender Anm. von Henze) festgestellt, daß § 9 schon vor Inkrafttreten des § 6 5 geltendes Recht ist (ebenso Calliess/Müller-Dietz Rdn. 2; AK- Q uensel Rdn. 6; vgl. auch Grunau/Tiesler Rdn. 2). Die von Calliess/Müller-Dietz Rdn. 1 ausführlich erörterten verfassungsrechtlichen, materiellrechtlichen und verfahrensrechtlichen Bedenken dagegen, „daß ein auf Freiheitsstrafe lautendes richterliches Urteil durch schlichte Verwaltungsanordnung unterlaufen und nachträglich in eine Maßregel umgewandelt werden kann", sind — solange § 65 StGB nicht in Kraft getreten ist — gegenstandslos. Nach dem oben Gesagten werden sie keine Bedeutung erlangen, weil die Maßregellösung nicht Wirklichkeit werden wird.

6

1. Auch hier hat der Gefangene nach der „Kannvorschrift" Anspruch auf eine fehlerfreie Ermessensausübung. Gerichtliche Ermessensüberprüfung §115 Rdn. 19 ff. Voraussetzung für die Aufnahme ist zunächst, daß in dem betreffenden Bundesland eine sozialtherapeutische Anstalt mit einem freien Behandlungsplatz zur Verfügung steht. Außerdem müssen in dieser Anstalt für den Gefangenen geeignete Behandlungsmöglichkeiten bestehen (OLG H a m b u r g 11.12.1974 — VAs 52/72). Dabei unterscheidet sich das Behandlungsziel der Resozialisierung qualitativ nicht von dem Vollzugsziel 60

Karl Peter Rotthaus

2. Titel. Planung des Vollzuges

§9

des § 2 des Gesetzes (§ 2 Rdn. 10 ff). Würde das Angebot an Behandlungsplätzen i. S. der obigen Forderungen (Rdn. 4) erweitert, so wird der Anspruch des Gefangenen auf fehlerfreie Ermessensausübung f ü r die Gefangenen mit längerer Strafe zu einem Anspruch auf Behandlung in der sozialtherapeutischen Anstalt erstarken (anders bisher: § 4 Rdn. 11). Voraussetzung f ü r die Verlegung (§ 8 Rdn. 8) ist, daß die „besonderen therapeutischen Mittel und sozialen Hilfen" (§ 7 Rdn. 8 ff) zur Verfügung stehen. Sie machen das Wesen der Sozialtherapie aus und lassen sich durch die breit angelegten Vorarbeiten der Erprobungsanstalten heute deutlicher und anschaulicher beschreiben, als das noch in der Begründung zu diesem Gesetz (vgl. Rdn. 1) möglich war. Zwar weisen die Konzepte der verschiedenen sozialtherapeutischen Anstalten erhebliche Unterschiede auf. Es herrscht jedoch Ubereinstimmung, daß folgende Grundsätze beachtet werden sollten: Sozialtherapeutische Anstalten sollten als kleine Einrichtungen von nicht mehr als 80 Plätzen — möglichst als selbständige Anstalten — angelegt werden. Die vom Gesetz an anderer Stelle festgelegte Höchstgrenze von 200 Plätzen (§ 143 Abs. 3) ist zu hoch angesetzt. Für die Behandlung muß ausreichend Personal, Fachdienste (Ärzte, Pädagogen, Psychologen, Sozialarbeiter) und Mitarbeiter des allgemeinen Vollzugsdienstes, zur Verfügung stehen. Die Forderungen des § 164 AE-StVollzG, nach dem „jeder Wohngruppe ( § 7 Rdn. 10; § 1 4 3 Rdn. 4) mindestens drei Sozialassistenten und ein Sozialarbeiter" und je zwei Wohngruppen ein Psychologe angehören sollen, sind nach den Erfahrungen begründet. Eine Verhältniszahl von 1:1 für das Verhältnis von Personal zu Gefangenen wird noch nicht ausreichen. Besonders die Arbeit auf den kleinen Wohngruppen, die durchschnittlich nicht mehr als 10 Mitglieder haben dürfen, ist sehr personalintensiv. Bei der schwierigen und kriminell stark gefährdeten Klientel muß das Wohngruppenleben, solange die Haftraumtüren offenstehen, vom Personal gewissermaßen durchtränkt werden. Anders würde sich eine negative Subkultur bilden, die zur Unterdrückung schwächerer Gruppenglieder führt und die kriminelle Ansteckung begünstigt. Innerhalb der Wohngruppe ist eine beständige von Fachkräften geleitete Wohngruppenarbeit sicherzustellen, an der jeder Gefangene teilnehmen muß. Diese Wohngruppenarbeit schafft die Grundlage für die „problemlösende Gemeinschaft". Demgegenüber sollte für die Beteiligung an den sonstigen Behandlungsmaßnahmen ein Höchstmaß von Freiwilligkeit sichergestellt werden. Das gilt in besonderer Weise für die Psychotherapie, die nach den gewonnenen Erfahrungen nicht das Kernstück der sozialtherapeutischen Behandlung zu sein braucht, es aber auch heute im Einzelfall sein kann (beachte aber § 7 Rdn. 8). Weitere Behandlungsangebote sind die schulische und die berufliche Weiterbildung, die gründliche Entlassungsvorbereitung, zu der auch ein Außentraining mit Vollzugslockerungen gehört, und die Nachbetreuung (Zur Frage der Freiwilligkeit und zum Aufnahmeverfahren Rotthaus Erfahrungen in der praktischen Sozialtherapie, in: Kriminologische Gegenwartsfragen Bd. 15, Stuttgart 1981, 79 ff). — Zur Behandlungsindikation („angezeigt sind") gehört aber auch, daß die Behandlungsangebote zur Behandlung gerade dieses individuellen Gefangenen geeignet sind und Erfolg versprechen. Zum Individualisierungsprinzip § 6 Rdn. 5. 2. Die Rückverlegung aus der sozialtherapeutischen Anstalt (Abs. 1 Satz 2) in den 7 konventionellen, Vollzug wirft Probleme auf. Einerseits gibt es Fehldiagnosen, bei denen sich die Schwierigkeiten des Gefangenen als nicht behandelbar erweisen. Zum anderen gibt es Fälle, in denen die Behandlung zunächst erfolgreich verlaufen ist, der Klient aber mit einem Teilerfolg der Behandlung zufrieden ist. In beiden Fällen ist es nicht sinnvoll, den Gefangenen weiter in der sozialtherapeutischen Anstalt zu belassen, wo er einen der wenigen kostbaren Behandlungsplätze besetzt hält. Der Gefangene Karl Peter Rotthaus

61

§9

2. Abschnitt: Vollzug der Freiheitsstrafe

muß also verlegt werden. Doch kann sich der Ruf nach Verlegung bei Personal und bei Mitgefangenen auch aus ganz anderen Gründen erheben. Immerhin ist zu bedenken, daß es im Zuge fast jeder therapeutischen Behandlung Krisen und Rückschläge gibt. Das Personal kann bei solchen Gelegenheiten in die Gefahr geraten, Störungen der Zusammenarbeit auf einzelne Gefangene zu projizieren und die Verlegung dann in der H o f f n u n g betreiben, auf diese Weise die eigenen Schwierigkeiten zu bewältigen. Vor der Verlegungsentscheidung sind deshalb die Auswirkungen der Verlegung f ü r den Gefangenen und für die Anstalt sorgfältig abzuwägen. Manchmal ist es besser, von der Verlegung abzusehen und die Therapieziele bescheidener zu formulieren. Das gilt besonders, wenn der Zeitpunkt der Entlassung absehbar ist. Dann wird die sozialtherapeutische Anstalt immerhin noch eine sorgfältigere Entlassungsvorbereitung durchführen können als die meisten personell weniger gut besetzten Vollzugsanstalten. Wird in einem solchen Fall die Verlegung vermieden, erspart man dem Gefangenen u. U. ein weiteres Erlebnis, verlassen zu werden und die mögliche weitere Stigmatisierung, selbst in der Sozialtherapie versagt zu haben. Zur Motivierung vgl. § 2 Rdn. 11; § 4 Rdn. 4, 7. 8

Die Verlegung aus der sozialtherapeutischen Anstalt zurück in den Regelvollzug hat bereits die Rechtsprechung beschäftigt. So hat das O L G Celle (NStZ 1981, 196; § 85 Rdn. 2) festgestellt, daß eine solche Rückverlegung im Falle des Inkrafttretens von § 65 StGB nur nach Abs. 1 Satz 2 bei Erfolglosigkeit der therapeutischen Bemühungen, nicht aber aus anderen Gründen (§§ 8, 85) erfolgen dürfe. Doch hat das Gericht bis zum Inkrafttreten des § 65 StGB für eine Zwischenphase die Rückverlegung zu erleichterten Bedingungen zugelassen: „Hiernach können die Justizverwaltungen einstweilen Gefangene, die nach ihrer Auffassung ein erhebliches Sicherheitsrisiko darstellen, trotz besonderer Therapiebedürftigkeit ausnehmen." Im konkreten Fall aber wurde die Rückverlegungsentscheidung aufgehoben, weil nicht ersichtlich sei, „daß eine Gefährdung erheblich gewesen wäre".

9

3. Probeweise Aufnahme: Aus dem Dilemma, daß die Behandlungsindikation schwer abzuklären (§ 6 Rdn. 6 f) und die Rückverlegung eines (endgültig) aufgenommenen Gefangenen problematisch ist (Rdn. 7), scheint Abs. 2 den Ausweg zu weisen. Danach kann der Gefangene zur Klärung der Indikation „bis zu drei Monaten in eine sozialtherapeutische Anstalt oder eine sozialtherapeutische Beobachtungsstelle verlegt werden". Tatsächlich findet sich der probeweise aufgenommene Gefangene aber in einer äußerst schwierigen Lage. Im Regelfall wird er — der etwas günstigeren Lebensbedingungen in der sozialtherapeutischen Anstalt wegen — dort bleiben wollen. Wie soll er sich aber verhalten, damit er endgültig angenommen wird? Ordnet er sich äußerlich gut ein, werden ihm die Behandler vielleicht vorwerfen, daß er verschlossen und deshalb nicht behandelbar sei. Läßt er sich jedoch gehen und deckt alle seine Schwierigkeiten auf, so erscheint er als „zu schwieriger Fall", der mit den begrenzten Mitteln der Anstalt nicht erfolgreich angegangen werden kann. Aber selbst wenn die Rückverlegung zu einem frühen Zeitpunkt — vor Ablauf von drei Monaten — erfolgt, wird sie regelmäßig die oben (Rdn. 7) beschriebenen nachteiligen Folgen haben. Das gilt umso mehr, als der Gefangene notgedrungen Objekt der Auswahl ist. Für ihn gibt es meist keine wirklichen Alternativen zur Sozialtherapie. Etwas anderes gilt nur dann, wenn er die Möglichkeit hat, statt Sozialtherapie sich f ü r eine schulische oder berufliche Bildungsmaßnahme oder wenigstens für den offenen Vollzug zu entscheiden. Nach allem empfiehlt es sich, auf die probeweise Aufnahme zu verzichten und die Aufnahmeentscheidung nach gründlicher Prüfung, am besten nach einem eingehenden Gespräch mit dem Bewerber in seiner Verbüßungsanstalt, endgültig zu treffen. 62

Karl Peter Rotthaus

2. Titel. Planung des Vollzuges

4. Das Erfordernis der Zustimmung des Leiters der sozialtherapeutischen Anstalt 10 (Abs. 3) zur Aufnahme gilt ebenso auch für die entgegengesetzte Entscheidung, die Rückverlegung. Durch die Vorschrift soll sichergestellt werden, daß die Fachkunde des Leiters diese Entscheidungen bestimmt. Es soll damit auch verhindert werden, daß Gefangene, die nach Auffassung anderer Anstalten behandlungsbedürftig sind, der sozialtherapeutischen Anstalt zugeschoben werden. Möglich ist jedoch, daß die Entscheidung des Anstaltsleiters durch die Entscheidung der Aufsichtsbehörde oder der zentralen Stelle (§ 153) ersetzt wird (Calliess/Müller-Dietz Rdn. 7). Für manche Bundesländer gelten Verwaltungsvorschriften, die das vorsehen. Doch berücksichtigen die danach zur Entscheidung berufenen Stellen die gutachtliche Äußerung der sozialtherapeutischen Anstalt. Ebensowenig wie § 65 StGB verlangt § 9 die Zustimmung des Gefangenen zu seiner Aufnahme in die sozialtherapeutische Anstalt. Zu den gesicherten Erfahrungen der Erprobungsanstalten gehört jedoch, daß eine Behandlung ohne ein möglichst hohes Maß an Freiwilligkeit nicht erfolgreich sein kann. Die Verwaltungsvorschriften der Länder verlangen deshalb allgemein die Zustimmung des Gefangenen und bestimmen die Rückverlegung, wenn der Gefangene das nachdrücklich — also nicht nur aus einer augenblicklichen Verärgerung oder Enttäuschung heraus — verlangt. Vgl. dazu Rdn. 7. Wenn in Absatz 3 ausdrücklich der Anstaltsleiter genannt wird, so bedeutet das nicht, daß die Aufnahmeentscheidung sein „einsamer Entschluß" sein müßte. Zu den Grundelementen sozialtherapeutischer Arbeit gehört im Gegenteil, daß alle wichtigen Entscheidungen in Konferenzen getroffen werden. Das gilt besonders für die schwerwiegenden Entscheidungen über Aufnahme und Verlegung. Gerade hier ist der Anstaltsleiter auf einen möglichst hohen Konsens unter den Mitarbeitern angewiesen. Die Behandlung wird kaum erfolgreich anlaufen können, wenn die Mehrzahl der Mitarbeiter der Aufnahme des Gefangenen ablehnend gegenübersteht. Umgekehrt wird der Abbruch der sozialtherapeutischen Behandlung gegen den Willen der Mitarbeiter zu Spannungen und zu Krisen im Team führen, weil durch die Verlegungsentscheidung Beziehungen der Mitarbeiter zum Klienten zerschnitten wurden.

§ 10 Offener und geschlossener Vollzug (1) Ein Gefangener soll mit seiner Zustimmung in einer Anstalt oder Abteilung des offenen Vollzuges untergebracht werden, wenn er den besonderen Anforderungen des offenen Vollzuges genügt und namentlich nicht zu befürchten ist, daß er sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die Möglichkeiten des offenen Vollzuges zu Straftaten mißbrauchen werde. (2) Im übrigen sind die Gefangenen im geschlossenen Vollzug unterzubringen. Ein Gefangener kann auch dann im geschlossenen Vollzug untergebracht oder dorthin zurückverlegt werden, wenn dies zu seiner Behandlung notwendig ist. W 1 (1) Vom offenen Vollzug ausgeschlossen sind Gefangene, Walter Ittel

63

2. Abschnitt: Vollzug der Freiheitsstrafe

a) gegen die während des laufenden Freiheitsentzuges eine Strafe vollzogen wurde oder zu vollziehen ist, welche gemäß § 74 a GVG von der Strafkammer oder gemäß § 120 GVG vom Oberlandesgericht im ersten Rechtszug verhängt worden ist, b) gegen die Untersuchungs-, Auslieferungs- oder Abschiebungshaft angeordnet ist, c) gegen die eine vollziehbare Ausweisungsverfügung für den Geltungsbereich des Strafvollzugsgesetzes besteht, d) gegen die eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung oder eine sonstige Unterbringung gerichtlich angeordnet und noch nicht vollzogen ist. (2) In den Fällen des Abs. 1 Buchstaben a, c und d sind Ausnahmen mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde zulässig. In den Fällen des Buchstabens a ist die Vollstreckungsbehörde, des Buchstabens d das zuständige Gericht zu hören; in den Fällen des Buchstabens c bedürfen Ausnahmen des Einvernehmens mit der zuständigen Ausländerbehörde. 2

(1) Für die Unterbringung im offenen Vollzug ungeeignet sind in der Regel namentlich Gefangene, a) die erheblich suchtgefährdet sind, b) die während des laufenden Freiheitsentzuges entwichen sind, eine Flucht versucht, einen Ausbruch unternommen oder sich an einer Gefangenenmeuterei beteiligt haben, c) die aus dem letzten Urlaub oder Ausgang nicht freiwillig zurückgekehrt sind oder bei denen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür gegeben sind, daß sie während des letzten Urlaubs oder Ausgangs eine strafbare Handlung begangen haben, d) gegen die ein Ausweisungs-, Auslieferungs-, Ermittlungs- oder Strafverfahren anhängig ist, e) bei denen zu befürchten ist, daß sie einen negativen Einfluß ausüben, insbesondere die Erreichung des Vollzugszieles bei anderen Gefangenen gefährden würden. (2) Ausnahmen von Absatz 1 können zugelassen werden, wenn besondere Umstände vorliegen; die Gründe hierfür sind aktenkundig zu machen. In den Fällen des Buchst, d ist die zuständige Behörde zu hören. (3) Bei Gefangenen, gegen die während des laufenden Freiheitsentzuges eine Strafe wegen grober Gewalttätigkeiten gegen Personen, wegen einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung oder wegen Handels mit Stoffen im Sinne des Gesetzes über den Verkehr mit Betäubungsmitteln vollzogen wurde oder zu vollziehen ist oder die im Vollzug in den begründeten Verdacht des Handels mit diesen Stoffen gekommen sind, bedarf die Frage, ob eine Unterbringung im offenen Vollzug zu verantworten ist, besonders gründlicher Prüfung. 3

(1) Ein Gefangener, der sich im offenen Vollzug befindet, ist in den geschlossenen Vollzug zurückzuverlegen, wenn a) er seine Zustimmung zur Unterbringung im offenen Vollzug zurücknimmt, b) er sich für den offenen Vollzug als nicht geeignet erweist, c) Umstände bekannt werden, die nach Nummer 1 einer Unterbringung im offenen Vollzug entgegengestanden hätten. (2) Dem Gefangenen ist Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Die Gründe für die Verlegung sind aktenkundig zu machen und dem Gefangenen bekanntzugeben. (3) Die Verlegung in den geschlossenen Vollzug schließt eine erneute Unterbringung im offenen Vollzug nicht aus. 64

Walter Ittel

2. Titel. P l a n u n g des V o l l z u g e s

§ 10

4

(1) Uber die Verlegung in den offenen Vollzug sowie die (Rück-)Verlegung in den geschlossenen Vollzug entscheidet die von der Landesjustizverwaltung bestimmte Stelle. (2) Die Entscheidung über die Unterbringung eines zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Gefangenen ist in einer Konferenz nach §159 StVollzG vorzubereiten. Über die Konferenz ist eine Niederschrift zu fertigen; gutachtliche Äußerungen sind aktenkundig zu machen. Die Unterbringung bedarf der Zustimmung der Aufsichtsbehörde. Übersicht Rdn. I. Allgemeine Hinweise Bedeutung des offenen Vollzugs . . . II. Erläuterungen 1. Unterbringung im offenen Vollzug a) Zustimmung des Gefangenen . b) Eignung des Gefangenen . . . aa) vom offenen Vollzug ausgeschlossene Gefangene . bb) grundsätzlich ungeeignete Gefangene

1—3 4—13 4 — 10 5 6—10

2.

7

3.

cc) Rücksichtnahme auf die Öffentlichkeit 9 dd) Anforderungen an den Insassen der offenen Anstalt 10 Unterbringung im geschlossenen Vollzug 11-12 a) Eignung liegt noch nicht vor . 11 b) Rückverlegung 12 Zuständigkeit für die Entscheidung nach § 1 0 13

8

I. Allgemeine Hinweise Das vorrangige Ziel des Vollzuges ist die Wiedereingliederung des Täters in die 1 Rechtsgemeinschaft (§2 Rdn. 10 ff). Dieses Ziel läßt sich nur erreichen, wenn der Vollzug dem Gefangenen ein Übungsfeld sozialen Verhaltens zur Verfügung stellt und ihn zu Selbständigkeit, Eigenverantwortlichkeit und Aktivität befähigt. Zur Motivierung § 2 Rdn. 11; § 4 Rdn. 4,7. Ein besonders geeignetes Trainingsfeld für die Bewährung in der Freiheit stellt der offene Vollzug (§141 Rdn. 8) dar. Er bietet dem Gefangenen die Möglichkeit, am freien Leben zumindest tagsüber regelmäßig teilzunehmen (Freigang, Ausgang), die Verbindungen zu Angehörigen und sonstigen nahestehenden Personen erst gar nicht abreißen zu lassen bzw. sie neu zu knüpfen und zu pflegen (oftmalige Beurlaubungen gem. §§ 13, 15 Abs. 4, häufige Besuche, Besuchsausgang, nicht überwachter Brief- und Telefonverkehr pp.) sowie sich innerhalb der Anstalt bzw. Abteilung frei zu bewegen und zu entfalten (vgl. dazu § 141 Abs. 2 sowie W Nr. 2 zu § 141). Vgl. auch die drei Gestaltungsgrundsätze des Strafvollzuges § 3 Rdn. 1. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll die Unterbringung im offenen Vollzug die 2 Regel, die Unterbringung im geschlossenen Vollzug (§ 141 Rdn. 8) die Ausnahme sein. Eine Unterbringung oder ein Verbleib im geschlossenen Vollzug soll nur dann zulässig sein, wenn die Voraussetzungen für die Einweisung oder die Verlegung des Gefangenen in eine Anstalt oder Abteilung des offenen Vollzuges nicht vorliegen. Die Unterbringung des Gefangenen in einer geschlossenen Anstalt bringt eine Anzahl von gewöhnlich belastenden Nebenfolgen des Freiheitsentzuges mit sich. Das Leben in einer geschlossenen Anstalt ist notwendigerweise stark reglementiert, die Möglichkeit des eigenverantwortlichen Handelns ist gering. Insbesondere bei längerer Strafverbüßung können sich diese Einschränkungen auf die Persönlichkeit und das Verhalten des Gefangenen negativ auswirken. Reglementierung, geringe Entfaltungsmöglichkeit und Isolation begründen zu einem großen Teil die lebensfremde Situation im Vollzug und stehen damit dem in § 3 genannten Grundsatz entgegen, das Leben in der Anstalt mögW a l t e r Ittel

65

§ 10

2. Abschnitt: V o l l z u g der Freiheitsstrafe

liehst den allgemeinen Lebensverhältnissen anzugleichen. Zur Problematik des Angleichungsgrundsatzes vgl. § 3 Rdn. 3 ff. 3

§ 10 strebt deshalb an, den Gefangenen möglichst vom Beginn seiner Strafhaft an in einer Anstalt oder Abteilung des offenen Vollzuges unterbringen zu lassen. Der V o r schrift liegt das Prinzip der Vollzugszielbestimmung des § 2 zugrunde: soviel Entzug der Freiheit wie nötig, soviel normale Lebensumstände und Kontakt mit der übrigen Gesellschaft wie möglich zu verwirklichen (Calliess/Müller-Dietz Rdn. 1; § 2 Rdn. 12). Die Unterbringung im offenen Vollzug stellt eine der wichtigsten Behandlungsmaßnahmen dar. § 7 Abs. 2 N r . 1 schreibt deshalb vor, daß der Vollzugsplan sich über die Unterbringung im geschlossenen oder offenen Vollzug äußern muß. Die Anzahl der in den einzelnen Bundesländern zur Verfügung stehenden Plätze in Einrichtungen des offenen Vollzuges ist unterschiedlich (vgl. dazu Rdn. 2 zu § 147). Zu den Prozentzahlen der im offenen Vollzug Untergebrachten § 141 Rdn. 4, 10. II. Erläuterungen

4

1. Unterbringung im offenen Vollzug Gemäß Absatz 1 soll ein Gefangener mit seiner Zustimmung im offenen Vollzug untergebracht werden, wenn er sich hierfür eignet. Abs. 1 ist als Sollvorschrift gestaltet. Der Gefangene hat somit keinen Rechtsanspruch auf Unterbringung im offenen Vollzug, sondern lediglich ein Recht auf fehlerfreien Ermessensgebrauch ( § 4 Rdn. 11). Dabei können auch die Verteidigung der Rechtsordnung und die Frage des Schuldausgleiches bei Gewaltverbrechen Berücksichtigung finden ( O L G Frankfurt StrafV 1982, 584; vgl. auch § 2 Rdn. 5). Zudem dürfen Gefangene vorläufig ausschließlich im geschlossenen Vollzug untergebracht werden, sofern die räumlichen, personellen oder organisatorischen Anstaltsverhältnisse dies erfordern (§ 201 Rdn. 1). Individuelle Voraussetzungen f ü r die Unterbringung eines Gefangenen im offenen Vollzug sind:

5

a) Der Gefangene muß der Maßnahme zustimmen. Das Erfordernis der Zustimmung zur Unterbringung im offenen Vollzug sichert dem Gefangenen ein gewisses Maß an Selbstbestimmung (BT-Drucks. 7/918, 52). Verweigert der Gefangene seine Zustimmung oder widerruft er sie, ist das zugrundeliegende Motiv für die Frage der Wirksamkeit der Willenserklärung ohne Bedeutung. Der Wunsch des Gefangenen, die Strafzeit in einer geschlossenen Anstalt zu verbringen, kann z. B. anerkennenswert sein, wenn der Gefangene vermeiden will, im Zustand der Gefangenschaft den Blicken Außenstehender ausgeliefert zu sein. Besteht sein Motiv jedoch darin, daß er eine Erprobungssituation vermeiden möchte, gehört es gem. § 4 Abs. 1 Satz 2 zur Aufgabe der Vollzugsbehörde, die Bereitschaft des Gefangenen zu wecken, seine Zustimmung zu einer Unterbringung im offenen Vollzug zu geben oder aufrechtzuerhalten (BTDrucks. a a O ; § 4 Rdn. 7).

6

b) Der Gefangene muß sich f ü r eine Unterbringung im offenen Vollzug eignen. Dazu auch § 141 Rdn. 10 f. Eine Eignung ist dann zu bejahen, wenn davon ausgegangen werden kann, daß der Gefangene den besonderen Anforderungen des offenen Vollzuges genügen wird; namentlich darf nicht zu befürchten sein, daß sich der Gefangene dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die Möglichkeiten des offenen Vollzuges zu Straftaten mißbrauchen würde (Abs. 1, 2. Halbsatz; § 2 Rdn. 15 ff). Die im Gesetz genannten Kriterien f ü r die Eignung des Gefangenen f ü r den offenen Vollzug sind unbestimmte Rechtsbegriffe, die einer Uberprüfung durch das Gericht unter66

Walter Ittel

2. Titel. Planung des Vollzuges

liegen (OLG Hamburg ZfStrVo 1980, 185; zum Umfang der Kontrolle s. § 1 1 Rdn. 12). Die Anforderungen, welche an die Bewertung der Mißbrauchsgefahr zu richten sind, sind nicht so streng wie diejenigen, die an die Erfüllung der günstigen Sozialprognose im Sinne des § 57 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu stellen sind. § 10 Abs. 1 gestattet dementsprechend die Unterbringung auch solcher Gefangener im offenen Vollzug, denen eine Aussetzung des Strafrestes aus prognostischen Gründen nicht bewilligt werden kann (OLG Koblenz ZfStrVo 1981, 319). Worin die besonderen Anforderungen, die der offene Vollzug an den Gefangenen stellt, im einzelnen bestehen, sagt der Gesetzgeber nicht. In Betracht kommen die charakterliche Befähigung zu korrekter Führung unter geringerer Beaufsichtigung als im geschlossenen Vollzug, die Aufgeschlossenheit gegenüber den gesteigerten Bemühungen des offenen Vollzuges in sozialpädagogischer Hinsicht, die Bereitschaft zur uneingeschränkten und loyalen Mitarbeit, ein bestimmtes Maß an Fähigkeiten und Bereitschaft zur Einordnung in die Gemeinschaft sowie die Rücksichtnahme auf Mitbewohner (OLG Koblenz aaO). Um dennoch eine möglichst sachgerechte und einheitliche Ausführung des Gesetzes zu gewährleisten, haben die Landesjustizverwaltungen auf Grund ihrer Anordnungs- und Regelungskompetenz mittels Verwaltungsvorschriften Ermessensrichtlinien erlassen und insoweit Ausschlußklauseln ( W Nr. 1) sowie Regelvermutungen mangelnder Eignung ( W Nr. 2) festgelegt (vgl. zu der dadurch aufgeworfenen Problematik MüllerDietz Die Rechtsprechung der Strafvollstreckungskammern zur Rechtsgültigkeit der W StVollzG, in: NStZ 1981, 409 ff, OLG Koblenz ZfStrVo 1978, 123, 124 sowie Rdn. 12 zu § 11 und Rdn. 9 zu § 13). Zu den W allgemein § 115 Rdn. 23. aa) Die in W Nr. 1 Abs. 1 bezeichneten Gefangenen sind von der Unterbringung 7 im offenen Vollzug ausgeschlossen. Es sind jedoch Ausnahmen mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde zulässig ( W Nr. 1 Abs. 2 Satz 1). In den Fällen des Buchstabens a) ist die Vollstreckungsbehörde, des Buchstabens d) die Strafvollstreckungskammer zu hören; in den Fällen des Buchstabens c) bedürfen Ausnahmen des Einvernehmens mit der zuständigen Ausländerbehörde (VV Nr. 1 Abs. 2 Satz 2). Bei Gefangenen, gegen die Untersuchungs-, Auslieferungs- oder Abschiebungshaft angeordnet ist ( W Nr. 1 Abs. 1 Buchstabe b), sind Ausnahmen nicht zulässig. bb) In W Nr. 2 Abs. 1 sind die Fälle aufgeführt, in denen ein Gefangener in der 8 Regel für eine Unterbringung im offenen Vollzug ungeeignet ist. Ausnahmen von der Regel können zugelassen werden, wenn besondere Umstände vorliegen; die Gründe hierfür sind aktenkundig zu machen ( W Nr. 2 Abs. 2 Satz 1); in den Fällen der W Nr. 2 Abs. 1 Buchstabe d muß jedoch zuvor die zuständige Behörde gehört werden ( W Nr. 2 Abs. 2 Satz 2). Besondere Sorgfalt bei der Eignungsprüfung ist zudem geboten bei Gefangenen, gegen die während des laufenden Freiheitsentzuges eine Strafe wegen grober Gewalttätigkeiten gegen Personen, wegen einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung oder wegen Handelns mit Stoffen im Sinne des Gesetzes über den Verkehr mit Betäubungsmitteln vollzogen wurde oder zu vollziehen ist oder die im Vollzug in den begründeten Verdacht des Handelns mit diesen Stoffen gekommen sind ( W Nr. 2 Abs. 3). cc) In den genannten Fällen muß die Frage der Eignung des Gefangenen schon des- 9 halb besonders sorgfältig geprüft werden, weil die breite Öffentlichkeit der Notwendigkeit von Vollzugslockerungen nur geringes Verständnis entgegenbringt. Eine offene Anstalt kann jedoch nur dann einigermaßen erfolgversprechend arbeiten, wenn man Walter Ittel

67

§ 10

2. Abschnitt: Vollzug der Freiheitsstrafe

die von ihr angeordneten Vollzugslockerungen nicht fortwährend daraufhin kontrolliert, ob sie auch in keinem Fall mißbraucht werden. Ein Selbständigkeitstraining bereits im geschlossenen Vollzug, bei dem Reglementierung und Versorgung durch das Anstaltspersonal systematisch zurückgenommen werden oder dem Gefangenen das Erlernen von Verhaltensalternativen angeboten wird (AK-Quensel Rdn. 13), kann zur Vermeidung des Mißbrauchs von Vollzugslockerungen im übrigen ebenso hilfreich sein wie die stufenweise Heranführung des Gefangenen an einen offenen Vollzug, der in der letzten Phase vor dem Ubergang in die völlige Freiheit alle Lockerungsmöglichkeiten als Übungsfeld sozialen Verhaltens einsetzt. Bei einer derartigen Verfahrensweise dürften die sozialschädlichen Folgen des offenen Vollzuges erträglich bleiben (so betrug nach einer Erhebung des Justizministeriums N W im Jahr 1981 der Anteil der Gefangenen, die verdächtigt werden, während ihrer Abwesenheit von der Anstalt infolge Urlaubs, Freigangs, Ausgangs oder Entweichung erneut Straftaten begangen zu haben, lediglich 0,2%). Geringfügige Pannen, UnZuverlässigkeiten oder Regelverstöße sollten im Vollzug möglichst nicht anders bewertet werden, als im alltäglichen Leben auch (AK-QuenselRdn. 12). Zu diesem „Zielkonflikt" vgl. auch § 2 Rdn. 17 ff. 10

dd) Besondere Anforderungen an den Gefangenen stellt der offene Vollzug auch innerhalb der Anstalt bzw. Abteilung, da hier das Leben im Vollzug den allgemeinen Lebensverhältnissen in großem Umfang angeglichen werden kann (vgl. Ittel/Erzhöfer Erfahrungen mit dem offenen Vollzug, in: ZfStrVo 1980, 135 ff; Grunau/Itesler Rdn. 6). Zu den Bedenken § 3 Rdn. 5 ff. Es ist deshalb notwendig, daß der Gefangene die Bereitschaft und Fähigkeit zur freiwilligen Einordnung mitbringt und willens ist, sich in ein System einbeziehen zu lassen, das auf der Selbstdisziplin und dem Verantwortungsbewußtsein des Gefangenen beruht (BT-Drucks. 7/918, 51). Ein Gefangener, bei dem zu befürchten ist, daß er einen negativen Einfluß ausüben, insbesondere die Erreichung des Vollzugszieles bei anderen Gefangenen gefährden würde, ist deshalb in der Regel für eine Unterbringung im offenen Vollzug nicht geeignet ( W Nr. 2 Abs. 1 Buchstabe e).

11

2. Unterbringung im geschlossenen Vollzug a) Gemäß Absatz 2 ist derjenige Gefangene im geschlossenen Vollzug unterzubringen, der zum Zeitpunkt der Eignungsprüfung den besonderen Anforderungen des offenen Vollzuges noch nicht genügt (Rdn. 6 ff). Erweist sich der Gefangene bei der ersten Prüfung für eine Unterbringung im offenen Vollzug als noch nicht geeignet, wird die Prüfung nach Ablauf einer angemessenen Frist, spätestens nach 6 Monaten, zu wiederholen sein. Ein Gefangener kann im übrigen dann im geschlossenen Vollzug untergebracht oder dorthin zurückverlegt werden, wenn dies zu seiner Behandlung notwendig ist (Abs. 2 Satz 2). Das ist der Fall, wenn der Aufenthalt im offenen Vollzug der Erreichung des Vollzugszieles (§ 2 Rdn. 10 ff) entgegensteht. Deshalb reichen Zweckmäßigkeitserwägungen nicht aus (BT-Drucks. 7/918, 52). Behandlungsmaßnahmen, die eine Unterbringung im geschlossenen Vollzug rechtfertigen, können z. B. Maßnahmen der Aus- und Weiterbildung, schulische Maßnahmen mit Vollzeitunterricht oder therapeutische Maßnahmen sein. Befindet sich der Gefangene bereits im offenen Vollzug, kommen aus Behandlungsgründen für eine Rückverlegung befristete Maßnahmen (z. B. zwecks Krisenintervention oder zum Schutz des Betroffenen) in Betracht (AK-Q uensel Rdn. 14). 68

Walter Ittel

2. Titel. Planung des Vollzuges

§11

b) W Nr. 3 Abs. 1 konkretisiert, wann ein Gefangener, der sich im offenen Voll- 1 2 zug befindet, in den geschlossenen Vollzug zurückverlegt werden muß. Die Verhaltensweisen, die zur Feststellung der Nichteignung führen, sind vielfältig. Insbesondere geben das Begehen von Straftaten, Mißbrauch des Freigangs, Nichtrückkehr von Urlaub und Ausgang sowie Entweichung und Alkoholmißbrauch zur Herausnahme aus dem offenen Vollzug Anlaß. Das Fehlverhalten, das zur Nichteignung führt, wird in der Regel Sachverhalte betreffen, die in W Nr. 2 beschrieben sind. Der Anstaltsleiter hat insoweit bei der Entscheidung der Frage, ob ein Gefangener als f ü r den offenen Vollzug ungeeignet in die geschlossene Anstalt zurückzuverlegen ist oder nicht, einen relativ großen Ermessensspielraum ( W Nr. 3 Abs. 1 Buchstabe b). Werden jedoch Umstände bekannt, die in W Nr. 1 beschrieben sind, muß der Anstaltsleiter den betroffenen Gefangenen in den geschlossenen Vollzug zurückverlegen ( W Nr. 3 Abs. 1 Buchstabe c). Zur Verlegung allgemein § 8 Rdn. 1, 8. Dem Gefangenen muß vor der Verlegungsentscheidung Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden. Die Gründe f ü r die Verlegung sind aktenkundig zu machen und dem Gefangenen bekanntzugeben ( W Nr. 3 Abs. 2). W Nr. 3 Abs. 3 stellt klar, daß die Verlegung in den geschlossenen Vollzug eine erneute Unterbringung im offenen Vollzug nicht ausschließt. Die Prüfung einer erneuten Eignung des Gefangenen wird nach Ablauf einer angemessenen Frist, spätestens nach 6 Monaten, zu erfolgen haben. 3. Uber die Verlegung in den offenen Vollzug entscheidet in aller Regel der Leiter 1 3 der abgebenden Anstalt, wenn der offene Vollzug in einer besonderen Anstalt durchgeführt wird. Die Unterbringung eines zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Gefangenen im offenen Vollzug bedarf jedoch der Zustimmung der Aufsichtsbehörde ( W Nr. 4 Abs. 2 Satz 3; §153). Uber die Herausnahme aus dem offenen Vollzug und die Rückverlegung eines Gefangenen in den geschlossenen Vollzug wegen Nichteignung entscheidet der Leiter der offenen Anstalt (§ 153).

SU Lockerungen des Vollzuges (1) Als Lockerung des Vollzuges kann namentlich angeordnet werden, daß der Gefangene 1. außerhalb der Anstalt regelmäßig einer Beschäftigung unter Aufsicht (Außenbeschäftigung) oder ohne Aufsicht eines Vollzugsbediensteten (Freigang) nachgehen darf oder 2. für eine bestimmte Tageszeit die Anstalt unter Aufsicht (Ausführung) oder ohne Aufsicht eines Vollzugsbediensteten (Ausgang) verlassen darf. (2) Diese Lockerungen dürfen mit Zustimmung des Gefangenen angeordnet werden, wenn nicht zu befürchten ist, daß der Gefangene sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die Lockerungen des Vollzuges zu Straftaten mißbrauchen werde. W 1 Bei der Außenbeschäftigung wird der Gefangene entweder ständig und unmittelbar oder ständig oder in unregelmäßigen Zeitabständen durch einen Vollzugsbediensteten beaufsichtigt. Paul Kühling

69

§11

2. Abschnitt: V o l l z u g der Freiheitsstrafe

2

(1) Freigang kann auch in der Weise angeordnet werden, daß ein Dritter schriftlich verpflichtet wird, die Anstalt unverzüglich zu benachrichtigen, wenn der Gefangene an der Beschäftigungsstelle nicht rechtzeitig erscheint, sich ohne Erlaubnis entfernt oder sonst ein besonderer Anlaß (z. B. Erkrankung, Trunkenheit) hierzu besteht. (2) Die Anstalt überprüft das Verhalten des Gefangenen während des Freiganges in unregelmäßigen Abständen. 3 (1) Der Anstaltsleiter überträgt die Ausführung des Gefangenen besonders geeigneten Bediensteten. (2) Vor der Außenbeschäftigung und der Ausführung erteilt er den Bediensteten die nach Lage des Falles erforderlichen Weisungen. 4 (1) Die Entscheidung über Lockerungen im Vollzug der lebenslangen Freiheitsstrafe ist in einer Konferenz nach § 159 StVollzG vorzubereiten. Über die Konferenz ist eine Niederschrift zu fertigen; gutachtliche Äußerungen sind aktenkundig zu machen. Lockerungen sind in diesen Fällen in der Regel nur unter den Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 StVollzG zulässig. Sie bedürfen der Zustimmung der Aufsichtsbehörde. (2) Absatz 1 gilt nicht für die Ausführung und die Außenbeschäftigung unter ständiger und unmittelbarer Aufsicht. 5 (1) Außenbeschäftigung, Freigang und Ausgang sind ausgeschlossen bei Gefangenen, a) gegen die während des laufenden Freiheitsentzuges eine Strafe vollzogen wurde oder zu vollziehen ist, welche gemäß § 74 a GVG von der Strafkammer oder gemäß §120 GVG vom Oberlandesgericht im ersten Rechtszug verhängt worden ist, b) gegen die Untersuchungs-, Auslieferungs- oder Abschiebungshaft angeordnet ist, c) gegen die eine vollziehbare Ausweisungsverfügung für den Geltungsbereich des Strafvollzugsgesetzes besteht, d) gegen die eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung oder eine sonstige Unterbringung gerichtlich angeordnet und noch nicht vollzogen ist. (2) In den Fällen des Abs. 1 Buchstaben a, c und d sind Ausnahmen mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde zulässig. In den Fällen des Buchstabens a ist die Vollstreckungsbehörde, des Buchstabens d das zuständige Gericht zu hören; in den Fällen des Buchstabens c bedürfen Ausnahmen des Einvernehmens mit der zuständigen Ausländerbehörde. 6 (1) Außenbeschäftigung, Freigang und Ausgang sind nur zulässig, wenn der Gefangene für diese Maßnahmen geeignet ist, insbesondere ein Mißbrauch nicht zu befürchten ist. Bei der Entscheidung ist zu berücksichtigen, ob der Gefangene durch sein Verhalten im Vollzug die Bereitschaft gezeigt hat, an der Erreichung des Vollzugszieles mitzuwirken. (2) Ungeeignet für eine Lockerung nach Absatz 1 sind in der Regel namentlich Gefangene, a) die erheblich suchtgefährdet sind, b) die während des laufenden Freiheitsentzuges entwichen sind, eine Flucht versucht, einen Ausbruch unternommen oder sich an einer Gefangenenmeuterei beteiligt haben, 70

Paul Kühling

2. Titel. Planung des Vollzuges

S U

c) die aus dem letzten Urlaub oder Ausgang nicht freiwillig zurückgekehrt sind oder bei denen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür gegeben sind, daß sie während ihres letzten Urlaubs oder Ausgangs eine strafbare Handlung begangen haben, d) gegen die ein Ausweisungs-, Auslieferungs-, Ermittlungs- oder Strafverfahren anhängig ist, e) bei denen zu befürchten ist, daß sie einen negativen Einfluß ausüben, insbesondere die Erreichung des Vollzugszieles bei anderen Gefangenen gefährden würden. (3) Ausnahmen von Absatz 2 können zugelassen werden, wenn besondere Umstände vorliegen; die Gründe hierfür sind aktenkundig zu machen. In den Fällen des Buchstabens d ist die zuständige Behörde zu hören. (4) Bei Gefangenen, gegen die während des laufenden Freiheitsentzuges eine Strafe wegen grober Gewalttätigkeiten gegen Personen, wegen einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung oder wegen Handels mit Stoffen im Sinne des Gesetzes über den Verkehr mit Betäubungsmitteln vollzogen wurde oder zu vollziehen ist oder die im Vollzug in den begründeten Verdacht des Handels mit diesen Stoffen gekommen sind, bedarf die Frage, ob eine Lockerung des Vollzuges zu verantworten ist, besonders gründlicher Prüfung.

7 Die Anordnung einer Lockerung ist aufzuheben, wenn der Gefangene seine Zustimmung zu dieser Maßnahme zurücknimmt. S c h r i f t t u m zu § § 11 — 1 4 Dünkel Die Öffnung des Vollzugs — Anspruch und Wirklichkeit, in: ZStW 94. Band 1982, 671 ff; Joester/Q uenseUHoffmann/Feest Lockerungen des Vollzugs. Versuch einer sozialwissenschaftlich angeleiteten Kommentierung des § 11 Strafvollzugsgesetz und einer Auseinandersetzung mit den dazu ergangenen Verwaltungsvorschriften, in: ZfStrVo 1977, 93 ff; Kühling Lockerungen des Vollzugs, in: Schwind/Blau 383 ff; Meier Die Entscheidung über Ausgang und Urlaub aus der Haft, Freiburg 1982; Mertens Die Ausführungen von Gefangenen zur Behandlung und Betreuung, in: ZfStrVo 1978, 203 ff; Nesselrodt Der Strafurlaub im Progressionssystem des Freiheitsentzuges. Funktion und Wirkung der Beurlaubung Gefangener hessischer Vollzugsanstalten, Diss. jur. Marburg 1979; Peters Beurlaubung von zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten, in: JR 1978, 177 ff; Schalt Der Freigang im Jugendstrafvollzug. Dargestellt am Beispiel der Fliedner-Häuser des Landes Hessen, Heidelberg 1977; Stilz Zum Urlaub aus der Haft, in: ZfStrVo 1979, 67 ff.

Rdn. I. Allgemeine Hinweise 1—2 II. Erläuterungen 3—20 1. Einzelne Lockerungen (S 11 Abs. 1) 3-9 a) Ausführung 3 b) Außenbeschäftigung 4 c) Ausgang 5 d) Freigang 6—8 e) sonstige Lockerungen 9 2. Voraussetzungen (§ 11 Abs. 2) . . 10—14 a) Zustimmung 10 b) Prüfung der Mißbrauchsgefahr 11-14 Paul Kühling

Rdn. aa) allgemein 11 bb) unbestimmter Rechtsbegriff 12 cc) Fluchtgefahr 13 dd) Gefahr neuer Straftaten . 14 3. Besonderheiten gem. W 15—20 a) Lockerungen bei lebenslanger Strafe 15 b) Ausschluß und Nichteignung . 16—18 c) Mitwirkung anderer Behörden 19 d) Bereitschaft zur Mitarbeit am Vollzugsziel 20

71

2. Abschnitt:

§ 1 1

V o l l z u g

der

Freiheitsstrafe

fA o — LA ON N — —

—« O cA »A

Je rt rt e

so — cA N lA — N©

«A oo tA NO

«•> . ».5 3w

rs nO — ON

oo i n ffv ca ca TJ- N ON ^

— sO •-I U» IT)

N N



0 ffv — GO O N OO I S

0N NO ^ ON ON M f t (N

N oo oo — rs. N — —

rA O — s© 00 CN| ift N

N u i r N fO N i a oo o

o in N — f — vO ut oo

N o O x -« cA fA O

(N X (N »n os CA nO ^

oo oo o r s rs. oo

0N — O fs. 00 cA r s oo xn

-H o

On (A O ON ON N N N cA

O — O — O O ^ OO O

cA rs. — rs. r o no N N -

^ 00 ON cA tA

OO ON cA n© cA

sO — nO — r-> rs.

— —' N 00 00 c a \0 cA

N NO — 0n O 0n tA tA

^ O O

cA OO rs n CA OO

on rs. \0 f s NO "A

lA lA sO — rs —

OO vO rs. tA f s o

N CA N N

OO ON lA — — o CA ^ m oo

— •«*• N OO O N N »

r s oo no o o m r s »a n

ON OO ON O cA

ON fA N O CA cA

On fA rs. o fs. N

rs. oo rs. so o

oo ON >o \0 o oo m o N

c

V • P 3 ess 5 « « «*5

I

c £

00 lA »A — lA J

j

o o ON ON r s •