Strafrecht im Präventionsstaat 3515107517, 9783515107518

Das Strafrecht hat sich verändert. Das klassische Strafrecht reagierte mit Strafe auf begangene Verletzungen. Heute soll

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German Pages 171 [178] Year 2014

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Table of contents :
EDITORIAL
INHALT
EINFÜHRUNG
„OHNE SICHERHEIT KEINE FREIHEIT“ ODER „UMBAU DES RECHTSSTAATS ZUM PRÄVENTIONSSTAAT“?
A. KRITIK AN DER „PRÄVENTIONSLOGIK“ STAATLICHEN HANDELNS
PRÄVENTION ALS STEUERUNGSPRINZIP DER SPÄTEN MODERNE
LOGIK DER PRÄVENTION
B. KRITIK DER PRÄVENTIONS-KRITIK
SCHULDSTRAFRECHT ODER PRÄVENTIONSSTRAFRECHT?
WAS IST DAS PROBLEM MIT DER PRÄVENTION IM STRAFRECHT?
C. AUSPRÄGUNGEN PRÄVENTIVEN STRAFRECHTS
STRAFBARER UMGANG MIT SOG. HACKING-TOOLS
KRITIK DES FUNKTIONAL-PRÄVENTIVEN STRAFRECHTS
WAS IST GEFÄHRLICHKEIT?
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Strafrecht im Präventionsstaat
 3515107517, 9783515107518

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Beatrice Brunhöber (Hg.)

Strafrecht im Präventionsstaat

27 Staatsdiskurse Franz Steiner Verlag

Beatrice Brunhöber (Hg.) Strafrecht im Präventionsstaat

Staatsdiskurse Herausgegeben von Rüdiger Voigt Band 27

Wissenschaftlicher Beirat: Andreas Anter, Leipzig Paula Diehl, Berlin Manuel Knoll, Istanbul Eun-Jeung Lee, Berlin Marcus Llanque, Augsburg Samuel Salzborn, Göttingen Birgit Sauer, Wien Gary S. Schaal, Hamburg Peter Schröder, London

Beatrice Brunhöber (Hg.)

Strafrecht im Präventionsstaat

Franz Steiner Verlag

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 978-3-515-10751-8 Jede Verwertung des Werkes außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Übersetzung, Nachdruck, Mikroverfilmung oder vergleichbare Verfahren sowie für die Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2014 Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Druck: AZ Druck und Datentechnik, Kempten Printed in Germany

EDITORIAL Der Staat des 21. Jahrhunderts steht in einem Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Freiheit, zwischen Ordnung und Veränderung, zwischen Herrschaft und Demokratie. Er befindet sich zudem in einem Dilemma. Internationale Transaktionen reduzieren seine Souveränität nach außen, gesellschaftliche Partikularinteressen schränken seine Handlungsfähigkeit im Innern ein. Anliegen der Reihe Staatsdiskurse ist es, die Entwicklung des Staates zu beobachten und sein Verhältnis zu Recht, Macht und Politik zu analysieren. Hat der Staat angesichts der mit „Globalisierung“ bezeichneten Phänomene, im Hinblick auf die angestrebte europäische Integration und vor dem Hintergrund einer Parteipolitisierung des Staatsapparates ausgedient? Der Staat ist einerseits „arbeitender Staat“ (Lorenz von Stein), andererseits verkörpert er als „Idee“ (Hegel) die Gemeinschaft eines Staatsvolkes. Ohne ein Mindestmaß an kollektiver Identität lassen sich die Herausforderungen einer entgrenzten Welt nicht bewältigen. Hierzu bedarf es eines Staates, der als „organisierte Entscheidungs- und Wirkeinheit“ (Heller) Freiheit, Solidarität und Demokratie durch seine Rechtsordnung gewährleistet. Gefragt ist darüber hinaus die Republik, bestehend aus selbstbewussten Republikanern, die den Staat zu ihrer eigenen Angelegenheit machen. Der Staat seinerseits ist aufgefordert, seinen Bürgerinnen und Bürgern eine politische Partizipation zu ermöglichen, die den Namen verdient. Dies kann – idealtypisch – in der Form der „deliberativen Politik“ (Habermas), als Einbeziehung der Zivilgesellschaft in den Staat (Gramsci) oder als Gründung der Gemeinschaft auf die Gleichheit zwischen ihren Mitgliedern (Rancière) geschehen. Leitidee der Reihe Staatsdiskurse ist eine integrative Staatswissenschaft, die einem interdisziplinären Selbstverständnis folgt; sie verbindet politikwissenschaftliche, rechtswissenschaftliche, soziologische und philosophische Perspektiven. Dabei geht es um eine Analyse des Staates in allen seinen Facetten und Emanationen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des In- und Auslands sind zu einem offenen Diskurs aufgefordert und zur Veröffentlichung ihrer Ergebnisse in dieser Reihe eingeladen. Rüdiger Voigt

INHALT

EINFÜHRUNG Beatrice Brunhöber „Ohne Sicherheit keine Freiheit“ oder „Umbau des Rechtsstaats zum Präventionsstaat“?....................................................................................................9

A. KRITIK AN DER „PRÄVENTIONSLOGIK“ STAATLICHEN HANDELNS Aldo Legnaro Prävention als Steuerungsprinzip der späten Moderne..........................................19 Tobias Singelnstein Logik der Prävention – Eine kriminologische Perspektive auf das Strafrecht und andere Formen sozialer Kontrolle...................................................................41

B. KRITIK DER PRÄVENTIONS-KRITIK Johannes Kaspar Schuldstrafrecht oder Präventionsstrafrecht? – Anmerkungen aus straftheoretischer und verfassungsrechtlicher Perspektive ....................................61 Boris Burghardt Was ist das Problem mit der Prävention im Strafrecht? ........................................83

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Inhalt

C. AUSPRÄGUNGEN PRÄVENTIVEN STRAFRECHTS Jens Puschke Strafbarer Umgang mit sog. Hacking-Tools – Repression, Prävention oder Intervention? ................................................................................................109 Katrin Gierhake Kritik des funktional-präventiven Strafrechts – Zugleich ein Beitrag zur rechtsstaatlichen Terrorismusprävention .......................................................131 Kirstin Drenkhahn Was ist Gefährlichkeit? – Über eine vielbeschworene Eigenschaft von Straftätern......................................................................................................153

EINFÜHRUNG

„OHNE SICHERHEIT KEINE FREIHEIT“ ODER „UMBAU DES RECHTSSTAATS ZUM PRÄVENTIONSSTAAT“? Beatrice Brunhöber Mit den Debatten über die Bekämpfung des Terrorismus ist das Thema dieses Bandes „Strafrecht im Präventionsstaat“ auch in den Blick der Öffentlichkeit geraten. Dabei ist die Bestandsaufnahme je nach Position äußerst unterschiedlich. Die einen antworten auf die terroristischen Anschläge schon der RAF und dann vom 11. September 2001 mit der Überlegung: „Ohne Sicherheit keine Freiheit.“1 Videoüberwachung, Verwendung von Mautdaten zur Fahndung und Anti-TerrorDateien seien notwendige Mittel, um für alle Bürger sicherzustellen, dass sie ihre Freiheit trotz der terroristischen und anderer krimineller Bedrohungen ausüben können. Die anderen sehen in den durch Anschläge ausgelösten Gesetzesreformen einen „Umbau des Rechtsstaats in einen Präventionsstaat“.2 Der Staat betrachte die Bürger nicht mehr als unverdächtig, sondern kontrolliere sie mit Lauschangriffen, Rasterfahndungen und Vorratsdatenspeicherung als potentiell verdächtig. Dass es bei dieser Debatte um viel mehr geht als um Terrorismusbekämpfung, wird auch und gerade an jüngeren Entwicklungen im deutschen Strafrecht deutlich. Wie auch immer man diese Entwicklungen bewerten mag, sie sind jedenfalls dadurch gekennzeichnet, dass das Strafrecht sein Wesen verändert. Das klassische Strafrecht reagierte auf eine begangene Verletzung mit Strafe. Strafrechtsreformen seit den 1970er Jahren haben dagegen dazu geführt, dass das Strafrecht zunehmend dazu dient, künftigen Verletzungen vorzubeugen. Zum einen wurde die Strafbarkeit weit ins Vorfeld der Verletzung ausgedehnt. Eines der ersten Beispiele ist die von manchen als „Lex RAF“ bezeichnete Kriminalisierung der Bildung einer terroristischen Vereinigung gem. § 129a des Strafgesetzbuches.3 Aus der jüngeren Zeit sind die Kriminalisierung der Ausbildung in einem „Terrorcamp“ und der Anleitung zum Bombenbau zu nennen.4 Die Vorfeldkriminalisierung lässt sich aber nicht nur im Terrorismusstrafrecht beobachten. Exemplarisch dafür ist der 2007 eingeführte „Hackerparagraph“, der die bloße Vorbereitung des Ausspä1 2 3 4

Schäuble 2009. Prantl 2007. § 129a des Strafgesetzbuches wurde mit Gesetz v. 18.8.1976 eingeführt (BGBl. I, 2181). Die Strafbarkeit wurde mit § 129b des Strafgesetzbuches auf Vereinigungen im Ausland erstreckt (Gesetz v. 22.8.2002, BGBl. I, 3390). Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gem. § 89a des Strafgesetzbuches umfasst die Ausbildung in einem Terrorcamp und wurde mit Gesetz v. 30.7.2009 (BGBl. I, 2437) eingeführt. Mit demselben Gesetz wurde das Verbot der Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Tat gem. § 91 des Strafgesetzbuches eingeführt, das die Bombenbau-Anleitung erfasst.

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hens von Daten bestraft.5 Zum anderen sind ähnliche Veränderungen wie im materiellen Strafrecht auch im Strafverfahrensrecht zu beobachten, worauf schon die eingangs erwähnten Überwachungsmaßnahmen hinweisen. Ursprünglich sollte das Strafverfahren eine in der Vergangenheit liegende Tat aufklären. Heute hält es viele Maßnahmen bereit, die dazu dienen, das Risiko erneuter Straftaten zu vermeiden. So darf etwa die Untersuchungshaft seit den 1960er Jahren6 nicht mehr nur verhängt werden, um das Strafverfahren zu sichern (z.B. um die Flucht des Tatverdächtigen zu unterbinden), sondern in gravierenden Fällen auch, um drohende künftige Wiederholungstaten zu verhindern.7 Zudem führt die Kriminalisierung bloßer Vorbereitungshandlungen dazu, dass der Staat die harschen Mittel der Strafverfolgung bereits weit im Vorfeld der eigentlichen Verletzung einsetzen kann. So darf der 1998 eingeführte „Große Lauschangriff“ (akustische Wohnraumüberwachung),8 der angesichts seines tiefen Eingriffs in die Sphäre der Wohnung sehr kontrovers war, nicht nur eingesetzt werden, um schwere Erfolgsdelikte wie einen verübten Terroranschlag aufzuklären. Vielmehr darf auch schon abgehört werden, um wegen bloßer Vorbereitungen, etwa der Bildung einer terroristischen Vereinigung, zu ermitteln.9 Schließlich dürfen im Strafverfahren nun vermehrt vorbeugend Kenntnisse gesammelt werden, die einer möglichen künftigen Verfolgung dienen können, falls der Beschuldigte wieder straffällig wird (sog. Strafverfolgungsvorsorge, z.B. Fingerabdrücke10). Nicht sofort ins Auge springt vielleicht, dass der Wandel von der Reaktion zur Prävention auch unter ganz anderen Vorzeichen Eingang in das Strafrecht fand: Seit den 1970er Jahren setzten progressive Kriminalpolitik und Strafrechtswissenschaft die Idee der Prävention einem als zweckfrei empfundenen, rein repressiven Strafrecht entgegen. Exemplarisch ist die Überlegung, dass Bestrafung nicht nur der Vergeltung der Tat, sondern vor allem der Resozialisierung des Täters dienen soll.11 Es soll künftigen Taten vorgebeugt werden, indem der Verurteilte in ein „normales“ Leben zurückgeführt wird. Andererseits haben die Präventionsüberlegungen aufgezeigt, dass ein repressives, schuldorientiertes Strafrecht nicht auf die etwaige Gefährlichkeit unabhängig von der Schuld eines Menschen reagieren kann. In Deutschland ist dies die Grundlage für die sog. Maßregeln zur Besserung und Sicherung, die es beispielsweise erlauben, jemanden, der eine Straftat im schuldunfähigen Zustand (z.B. wegen einer psychischen Störung) begangen hat, in ein psychiatrisches Krankenhaus einzuweisen, wenn er weiterhin allgemein gefährlich ist.12 5 6 7 8

§ 202c des Strafgesetzbuches, Gesetz v. 7.8.2007 (BGBl. I, 1786). Vgl. insbes. Gesetz v. 19.12.1964 (BGBl. I, 1067); Gesetz v. 7.8.1972 (BGBl. I, 1361f.). § 112a der Strafprozessordnung. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 26.3.1998 (BGBl. I, 610) und § 100c der Strafprozessordnung, eingeführt mit Gesetz v. 24.6.2005 (BGBl. I, 1846). 9 § 100c Abs. 2 Nr. 1b der Strafprozessordnung. 10 § 81b Alt. 2 der Strafprozessordnung. 11 Die Resozialisierung ist das Hauptziel des Strafvollzugs (vgl. § 2 Satz 1 des Strafvollzugsgesetzes in der Fassung v. 16.3.1976, BGBl. I, 581, 2088). 12 § 63 des Strafgesetzbuches.

„Ohne Sicherheit keine Freiheit“ oder „Umbau des Rechtsstaats zum Präventionsstaat“?

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Der Strafrechtsprofessor Winfried Hassemer, der seit den 1960er Jahren für progressive Kriminalpolitik eintrat, hat die Wirkungen der Reformbemühungen vor ein paar Jahren resümiert. In seinem Resümee stellt er die Frage, ob die Idee der Strafe zur Prävention künftiger Taten womöglich „böse Geister“ gerufen hat, die wir heute nicht mehr zu bändigen wissen.13 Diese „bösen Geister“ bezeichnen für ihn das Problem, dass eine Strafe, die Zwecken wie der Besserung oder Abschreckung dient, keine immanenten Schranken hat. Man kann mit dieser Straftheorie ohne weiteres begründen, dass der Bagatelldiebstahl mit Gefängnis geahndet werden muss, um die vielen Ladendiebe abzuschrecken. Und wenn Zweck des Strafrechts ist, Straftaten in der Zukunft zu vermeiden, dann liegt es nahe, gefährliche Täter „für immer wegzusperren“. Dieser Gedanke liegt der kontroversen Sicherungsverwahrung zugrunde, die es erlaubt, besonders gefährliche Täter auch nach verbüßter Strafe einzusperren.14 Dass die Geschichte so verwickelt ist, war vielleicht noch nicht absehbar, als die Strafrechtswissenschaft begann, sich mit den beschriebenen Strafrechtsreformen zu beschäftigen. Eine intensive wissenschaftliche Debatte setzte Mitte der 1980er Jahre ausgerechnet mit einer ihrerseits sehr kontroversen Überlegung von Günther Jakobs ein: Er bezeichnet die Vorfeldkriminalisierungen als „Feindstrafrecht“.15 Man weiß nicht so genau, ob Jakobs dies ablehnend oder befürwortend meinte. Feststellen lässt sich allerdings, dass die überwiegende Strafrechtslehre diese Entwicklungen kritisch sieht. Dieser Band will den Analysen des präventiven Strafrechts einige jüngere Stimmen hinzufügen, die Akzentverschiebungen in der Kritik anregen. Eine tragende Idee war dabei, dass sich die verwickelte Geschichte und die unklaren Fronten besser verstehen lassen, wenn man einen Schritt vom Strafrecht zurücktritt und den Staat und seine Entwicklungen in den Blick nimmt. Dann wird nämlich deutlich, dass die Veränderungen im Strafrecht im Fahrwasser eines Wandels staatlicher Aufgaben erfolgen. Plakativ könnte man diesen Wandel als Ablösung des liberalen Rechtsstaats durch den Präventionsstaat bezeichnen.16 Freilich beugt auch der klassische liberale Staat vor. Dennoch ließ sich früher feststellen, dass Staaten, deren Zweck die freie Entfaltung des Einzelnen war, in engeren Grenzen präventiv tätig wurden als Staaten mit vorrangig überindividuellen Zwecken. Grund dafür ist die liberale Staatsvorstellung. Danach findet die Freiheit des Einzelnen nur eine Schranke in der Freiheit des anderen, und diese Schranke muss konkret übertreten oder unmittelbar gefährdet sein, bevor der Staat reagieren darf. Prävention ist nach diesem liberalen Staatsverständnis keine besondere staatliche Vorgehensweise, mit der gesellschaftliche Entwicklungen in bestimmte Bahnen gelenkt werden sollen. Vielmehr beschränkt sie sich auf die 13 Hassemer 2006: S. 130, 131. 14 Die ursprüngliche Fassung der Sicherungsverwahrung in §§ 66, 66a, 66b des Strafgesetzbuches wurde vom Bundesverfassungsgericht teilweise für verfassungswidrig erklärt (BVerfGE 128, 326). Die Sicherungsverwahrung wurde deshalb mit Gesetz v. 5.12.2012 (BGBl. I, 2425) neu geregelt, aber nicht abgeschafft. 15 Jakobs 1985: S. 751 ff. 16 Zum Folgenden Grimm 1991: S. 197 ff. Vgl. auch Günther 2013: S. 69, 85 ff.

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präventiven Effekte, die von Strafandrohung und Sanktion schwerer Freiheitsverletzungen und von polizeilicher Abwehr konkreter Gefährdungen ausgehen. Sie ist auf Verbrechensbekämpfung und Gefahrenabwehr begrenzt. Allerdings ist seit geraumer Zeit zu bemerken, dass Prävention diese Grenze auch in liberalen Staaten zunehmend verliert und sich verändert. Das beginnt früh mit den wohlfahrtsstaatlichen Vorkehrungen gegen Krankheit oder Arbeitslosigkeit und kulminiert heute in Staatstätigkeiten, die etwa Arbeitsunfälle, Gefahren technischer Anlagen und Umweltverschmutzungen verhüten sollen. Die Folge davon ist, dass Prävention ihre enge Verbindung zur Freiheitsverletzung verliert. Prävention wird vielmehr eingesetzt, um jeder Art von unerwünschten Ereignissen vorzubeugen. Heute sorgt der Staat nicht mehr nur für den Fall individueller Not vor, sondern greift schon vorher lenkend in Wirtschaft und Arbeitsmarkt ein, um diese Not früh zu vermeiden. Unter diesen neuen Vorzeichen erscheint ein reaktives Strafrecht, das ausschließlich auf verübte Freiheitsverletzungen reagiert, notwendig „nur noch als Auffangbecken für missglückte Prävention“, wie der ehemalige Bundesverfassungsrichter Dieter Grimm schreibt.17 Eigentlich müsste der Staat unter diesen Vorzeichen möglichen Freiheitsverletzungen frühzeitig vorbeugen. So hat es den Anschein, als sei der Wandel zum präventiven Strafrecht unabdingbar. An dieser Stelle setzen die Abhandlungen in diesem Band ein. Im ersten Teil (A.) kritisieren Aldo Legnaro und Tobias Singelnstein die gegenwärtige „Präventionslogik“ staatlichen Handelns. Diese Kritik fordert ihrerseits Kritik heraus, die Johannes Kaspar und Boris Burghardt im zweiten Teil (B.) äußern. Und um nicht im Abstrakten stehen zu bleiben, wird der Band im dritten Teil (C.) durch die Analyse einzelner Ausprägungen präventiven Strafrechts abgerundet, nämlich mit Erörterungen über das Verbot des Umgangs mit „Hacking-Tools“ von Jens Puschke, über Terrorismusstrafrecht von Katrin Gierhake und über den Begriff der „Gefährlichkeit“ von Straftätern von Kirstin Drenkhahn. Aldo Legnaro zeigt im ersten Teil (A.) von einem soziologischen Standpunkt aus auf, dass eine ganz spezifische Form der Prävention das politische Steuerungsinstrument der späten Moderne ist: eine Prävention, die die Vorbeugung von Risiken auf den Einzelnen verlagert. Beispielsweise habe sich der Wohlfahrtsstaat des 19. Jahrhunderts, der Risiken wie Krankheit durch solidarische Versicherung abfedert, in den „aktivierenden“ Sozialstaat fortentwickelt, der den Einzelnen etwa durch Bonusprogramme zur Gesundheitsvorsorge anregt. In der Kriminalpolitik ließe sich parallel dazu beobachten, dass die Bewältigung der Alltagskriminalität zunehmend auf den Einzelnen verlagert werde, indem hier mehr Selbstschutzmaßnahmen wie Alarmanlagen verlangt würden. Insgesamt habe dies die paradoxe Folge, dass die gesellschaftliche Kontrolle abweichenden Verhaltens verstärkt werde. Diese Art der individualisierten Prävention diene aus sozialwissenschaftlicher Perspektive dazu, dass der Einzelne seine Freiheiten optimal in der vorgegebenen Weise ausfüllt (z.B. sein Essverhalten am Body-Mass-Index ausrichtet) und dass diejenigen, die dies nicht tun (Dicke, Kriminelle, Verlierer), ausgesondert werden. 17 Grimm 1991: S. 198.

„Ohne Sicherheit keine Freiheit“ oder „Umbau des Rechtsstaats zum Präventionsstaat“?

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Tobias Singelnstein führt die Überlegungen Legnaros aus kriminologischer Perspektive fort: Prävention führe speziell im Strafrecht in den letzten Jahrzehnten neben einer indirekten Vorbeugung von künftigen Straftaten zu einer direkten Intervention in schadensgeneigte Abläufe. Singelnstein legt dar, dass dieser Wandel keine Antwort auf neue Bedrohungslagen wie etwa terroristische Anschläge sei. Er sei vielmehr Folge eines veränderten gesellschaftlichen Umgangs mit Abweichung, der stark vom Präventionsdenken geprägt sei. Bestimmte neuere Interventionen des Strafrechts richteten sich nicht mehr gegen Einzelne oder die Gesamtbevölkerung, sondern auf risikobehaftete Gruppen und Situationen. Beispielsweise erlaube § 81g der Strafprozessordnung, (nur) bei der „Risikogruppe“ der Sexualstraftäter genetische Fingerabdrücke für künftige Strafverfolgung zu speichern. Zudem gehe es weniger darum, auf eine konkrete Tat einer bestimmten Person zu reagieren, sondern darum, in bestimmte Entwicklungen zu intervenieren. So dienten heimliche Ermittlungsmaßnahmen mitunter nicht dazu, Beweise zur Erhärtung eines Tatverdachts zu sammeln, sondern dazu, Strukturen, etwa der „organisierten Kriminalität“, auszuforschen und zu zerstören. Schließlich erfolge die Lenkung häufig nicht mehr nur durch unmittelbare staatliche Aktivität, sondern auch durch den Einzelnen selbst. Beispielhaft seien Compliance-Regeln, mit denen Unternehmen Straftaten ihrer Mitarbeiter vermeiden wollen. Im zweiten Teil (B.) wird die Präventions-Kritik ihrerseits kritisch bewertet. Johannes Kaspar zeigt auf, dass sich die Präventions-Kritik vor allem gegen zwei Ausdehnungstendenzen im Strafrecht richtet: einerseits gegen die Ausweitung der verbotenen Verhaltensweisen (etwa auf Bereiche der Wirtschaft oder des Umweltschutzes) und andererseits gegen die Verschärfung der Strafen (um präventive Wirkungen wie die Abschreckung zu verstärken). Er bezweifelt, dass diese beiden Entwicklungen einer neuen präventiven Ausrichtung des Strafrechts entspringen, denn Strafrecht habe schon immer der Prävention von Verbrechen gedient. Zudem verspreche eine, meist mit der Präventions-Kritik implizierte, Wiederbelebung des klassischen repressiven Schuldstrafrechts keine Abhilfe, weil es diesem an greifbaren Grenzen fehle. Er wendet sich damit auch gegen Vorschläge, wie sie etwa Katrin Gierhake in diesem Band formuliert, das eigentliche Strafrecht auf Schuldausgleich zu beschränken. Er plädiert dagegen dafür, auf der Grundlage einer präventiven Strafrechtskonzeption fassbare, verfassungsrechtliche Grenzen für das Strafrecht zu entwickeln. Mit diesen ließen sich die Ausdehnungstendenzen besser kritisieren als innerhalb einer klassischen, am Schuldausgleich orientierten Konzeption. Beispielsweise könne anhand neuerer kriminologischer Erkenntnisse gezeigt werden, dass schärfere Strafen nicht nachweisbar stärker abschrecken, sie also die intendierte präventive Wirkung gar nicht haben. Boris Burghardt ist ebenso wie Kaspar der Ansicht, dass die Kritik an der Prävention im Strafrecht die falschen Schwerpunkte setze. Kernproblem der auch seiner Ansicht nach kritikwürdigen Ausweitungstendenz des modernen Strafrechts sei nicht, dass der Staat hier präventiv tätig werde. Die wesentliche Frage der Legitimation bleibe, ob der staatliche Eingriff in die Freiheit des Verbotsadressaten verhältnismäßig sei. Für das Strafrecht stelle sich darüber hinaus die Frage, ob es sich bei dem verbotenen Verhalten um strafwürdiges Unrecht handle.

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Die gängige strafrechtliche Diskussion sei hingegen dadurch gekennzeichnet, dass sie stark auf den Zweck fixiert sei. Ob der Staat präventiv oder repressiv tätig werde, sei für die legitimatorischen Kernfragen aber nachrangig. Besonderheit präventiver Strafnormen sei letztlich nur, dass sie vor Rechtsverletzungen schützten, die noch nicht aktuell seien, indem sie aktuell die Freiheit des Verbotsadressaten einschränkten. Präventive Strafvorschriften erwiesen sich insofern zwar als rechtfertigungsbedürftiger als andere Strafvorschriften, nicht aber als grundsätzlich illegitim. Im dritten Teil (C.) werden drei wesentliche Ausprägungen präventiven Strafrechts analysiert. Jens Puschke beschäftigt sich mit präventivem Computerstrafrecht, nämlich der Strafbarkeit des Umgangs mit „Hacking-Tools“. Er zeigt auf, inwiefern beispielsweise der „Hackerparagraph“ gerade der Intervention dienen kann, wie Singelnstein sie beschreibt. Verstehe man den „Hackerparagraphen“ aber als solche Interventionsnorm, würden alle klassischen Beschränkungen des Strafrechts zahnlos. So unterlaufe die Anknüpfung an eine irgendwie gefährliche Verhaltensweise das Gebot, dass die Tat im Gesetz bestimmt beschrieben sein muss, weil es auf eine bestimmte Handlung nicht mehr ankomme, sondern nur darauf, dass die Verhaltensweise irgendwie zu einem riskanten Geschehensablauf beitragen kann. Dies ist nach Puschke beim „Hackerparagraph“ deshalb so problematisch, weil er Verhaltensweisen verbietet, die an sich noch nichts Strafwürdiges aufweisen. Viele Softwareprogramme könnten sowohl für legale Anwendungen als auch für Hacking eingesetzt werden, und der „Hackerparagraph“ verbiete ja schon jeden Umgang mit solchen Softwareprogrammen. Zwar verlange das Gesetz, dass der Nutzer es jedenfalls für möglich halten muss, dass das Programm irgendwann einmal zum Hacking eingesetzt werde. Aber da dies in der Regel der Fall sein werde, reiche diese geringfügige Einschränkung nicht aus, um das Verbot zu legitimieren. Katrin Gierhake befasst sich aus rechtsphilosophischer Sicht mit präventiven Terrorismusdelikten, die nicht an eine terroristische Aktivität (z.B. Bombenbau für einen Anschlag) anknüpfen, sondern an die bloße Bestandssicherung (z.B. Bildung einer terroristischen Vereinigung). Gierhake plädiert dafür, diese Delikte in einem gesonderten Präventionsrecht zu regeln. Auf der Grundlage der kantischen Idee vom Recht als Freiheitsordnung werde nämlich deutlich, dass sie sich kategorial vom eigentlichen Strafrecht unterscheiden. Das eigentliche Strafrecht reagiere auf eine verantwortlich begangene Rechtsverletzung. Präventive Terrorismusdelikte reagierten dagegen auf eine prognostizierte Gefahr künftiger Rechtsverletzungen. § 129a des Strafgesetzbuches kriminalisiere beispielsweise die Förderung von Organisationsstrukturen, in denen es dazu kommen könne, dass Straftaten vorbereitet oder begangen würden. Aus diesem kategorialen Unterschied ergäben sich auch unterschiedliche Hürden für die staatliche Reaktion. Strafe setze Verantwortlichkeit des Täters, also Schuld, voraus. Dagegen setzten präventive Maßnahmen (nur, aber eben auch zumindest) voraus, dass eine konkrete Gefahr vorliege, der Betroffene den Gefahrenverdacht selbst (nicht notwendig schuldhaft) ausgelöst habe und die staatliche Reaktion wie stets verhältnismäßig sei.

„Ohne Sicherheit keine Freiheit“ oder „Umbau des Rechtsstaats zum Präventionsstaat“?

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Ausgangspunkt von Kirstin Drenkhahn ist es, dass die Strafrechtswissenschaft sich beim Thema präventives Strafrecht vor allem mit der Kriminalisierung gefährlicher Verhaltensweisen befasst, nicht jedoch mit der zugehörigen Frage, wie mit als gefährlich eingestuften Menschen umzugehen sei. Diese Frage nehme aber einerseits viel Raum in öffentlichen Debatten ein, wie etwa über den Umgang mit Sexualstraftätern („Wegsperren für immer“). Zum anderen spiele sie eine große Rolle in der Strafrechtspraxis, etwa bei der Anordnung von Maßregeln (wie der Sicherungsverwahrung), der Strafaussetzung zur Bewährung oder der Verhängung besonderer Sicherungsmaßnahmen gegen Strafgefangene (z.B. bei Gefahr von Gewalttätigkeiten). Dabei sei zu beobachten, dass „Gefährlichkeit“ in Wissenschaft und Praxis bis heute mit dem Risiko gleichgesetzt werde, dass der Täter künftig weitere Straftaten begehen könnte. Diese Definition lasse kaum eine kritische Auseinandersetzung mit dem Begriff „Gefährlichkeit“ zu. Drenkhahn setzt ihm daher den Begriff „Kontrolle“ entgegen, der in der Kriminologie in unterschiedlichen Zusammenhängen verwendet wird (Bindungstheorien, Selbstkontrolle, labeling approach). Der Rückgriff auf diese Ansätze erlaube es, sich bei der Frage, was Gefährlichkeit sei, von der allein auf den individuellen Täter bezogenen Perspektive zu lösen. So könne verdeutlicht werden, dass die Beschreibung eines Menschen als „gefährlich“ von weiteren Aspekten abhänge: zum einen von der jeweiligen Sicht des Beschreibenden und zum anderen von den jeweiligen (sich ändernden) Einstellungen, die die Instanzen sozialer Kontrolle und die Gesellschaft mit Blick auf bestimmte Verhaltensweisen und bestimmte gesellschaftliche Gruppen hätten. LITERATUR Günther, Klaus, 2013: Responsibility to Protect and Preventive Justice. In: Ashworth, Andrew u.a. (Hrsg.), Prevention and the Limits of the Criminal Law, S. 69–90. Grimm, Dieter, 1991: Verfassungsrechtliche Anmerkungen zum Thema Prävention. In: ders., Die Zukunft der Verfassung, Frankfurt a.M., S. 198–220. Hassemer, Winfried, 2006: Sicherheit durch Strafrecht, HRRS (2006), S. 130–143. Jakobs, Günther, 1985: Kriminalisierung im Vorfeld einer Rechtsgutsverletzung, Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 97, S. 751–785. Prantl, Heribert, 2007: Der große Rüssel, Süddeutsche Zeitung vom 21./22.4.2007, http://www.sueddeutsche.de/politik/vom-umbau-des-rechtsstaats-in-einen-praeventionsstaatder-grosse-ruessel-1.884547 (abgerufen am 8.12.2013). Schäuble, Wolfgang, 2009: Was ist Freiheit ohne Sicherheit?, Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung „Der internationale Terrorismus als Herausforderung des Rechts“ an der Freien Universität Berlin am 19.10.2009, http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Reden/DE/2009/10/bm_ fu.html;jsessinid=D5A33F90038EF6E2B516C2F8E4D022AA.2_cid364?nn=3314802 (abgerufen am 8.12.2013).

A. KRITIK AN DER „PRÄVENTIONSLOGIK“ STAATLICHEN HANDELNS

PRÄVENTION ALS STEUERUNGSPRINZIP DER SPÄTEN MODERNE Aldo Legnaro I. PRÄVENTION ALS BEARBEITUNG VON UNGEWISSHEIT Prävention ist ein uralter Gedanke. Unabhängig von den definitorischen Ausdifferenzierungen, wie sie im Strafrecht als (positive oder negative) General- und (positive oder negative) Spezialprävention1 und in der Medizin, Caplan (1964) folgend, als Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention vorgenommen worden sind, lässt sie sich allgemein bestimmen als das Bestreben, die Eintrittswahrscheinlichkeit nicht wünschenswerter Ereignisse zu verringern. Das ist an sich nicht spezifisch modern oder gar spätmodern, sondern Bestandteil einer jeglichen zweckmäßigen und deswegen auch auf Vorsorge ausgerichteten Politik, und die Kornspeicher des biblischen Josef in Ägypten bilden dafür geradezu das Modell – ein Urbild von good governance. Prävention, wie sie in den letzten beiden Jahrzehnten immer größere Bedeutung gewonnen hat, tritt hingegen als eine individualisierte Prävention auf, die zwar staatlich befördert und empfohlen, jedoch von den Individuen zum eigenen Nutzen, nach eigenem Gutdünken und in eigener Verantwortung vorgenommen wird.2 Nicht nur der Stellenwert von Prävention und der jeweiligen präventiven Handlungen verändert sich dabei, sondern diese gewinnen auch einen neuartigen gesellschaftlichen Sinn. Dieser neuartige Sinn steht in enger Korrespondenz mit jenen Entwicklungen, die Beck (1986) frühzeitig und hellsichtig unter dem Etikett der Risikogesellschaft abgehandelt hat. Seit damals ist mit einer Vielzahl von Benennungen versucht worden, die Eigenart der sich anbahnenden Entwicklungen zu kennzeichnen; die vielleicht treffendste ist die Formel von der „liquid modernity“, wie sie Bauman (2000) prägte. Eine solche verflüssigte Moderne steht unter der Herrschaft einer umfassenden Ökonomisierung des gesellschaftlichen Lebens (Donzelot 1994), und das fasst Prozesse zusammen, die im Sozialen De-Institutionalisierung, Enttraditionalisierung und Individualisierung, im Ökonomischen Flexibilisierung, Rationalisierung und einen Imperativ der Mobilität, im Politischen DeRegulierung, Privatisierung, Kommerzialisierung und eine abnehmende Legitimation des Sozialstaats mit sich bringen. Dieser wird einerseits in seinen Leistungen beschnitten, bindet aber andererseits mithilfe eines Aktivierungsdiskurses diese 1 2

Vgl. etwa Krey 2008: S. 118 ff. Ebenso knapp wie präzise beschreibt Bröckling (2004) den gesamten Mechanismus von Prävention.

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Aldo Legnaro

Leistungen an Gegenleistungen seiner „Kunden“.3 Diese Entwicklungen stehen im Kontext eines Regierens neoliberaler Marktgesellschaften und postfordistischer Ökonomie,4 dessen wesentliches Kennzeichen die zumindest partielle Verlagerung der Haftung für allgemeine Lebensrisiken von (solidarisch organisierten) Sicherungssystemen auf individuelle und privatwirtschaftlich organisierte Vorsorge bildet.5 Das lässt sich insgesamt als eine Politik der Responsibilisierung bezeichnen, die zugleich auch einhergeht mit Flexibilisierungen in vielen Lebensbereichen, und diese bringen wiederum eine Prekarisierung mit sich, bei der kaum auf erwartbare biographische Verläufe gerechnet werden kann. Nicht zuletzt dies macht für viele Individuen „disembeddedness“ (Giddens 1991) und den „vertigo of late modernity“ (Young 2007) aus – ein Taumel, den vorsorglich zu bekämpfen oder zur Chance zu sublimieren vielerlei Anreize auffordern. Als ein wesentliches Element der Vorstellungen von Eigenverantwortung werden die Individuen dabei sowohl verantwortlich wie haftbar gemacht für das Eintreten angenehmer wie unangenehmer Lebensereignisse. Prävention – von Armut, Erwerbslosigkeit, Krankheit, Opferwerdung – wird dann deswegen so bedeutsam, weil der Eintritt solcher Ereignisse als fehlende Marktanpassung interpretiert und mit sozialer Marginalität sanktioniert werden kann. Das ist einer Politik komplementär, die bei allen Bevölkerungsschichten offensiv auf einen Modus permanenter Aktivierung zielt, der Erwartung und Anforderung gleichermaßen beinhaltet. Um auch zukünftig aktiv sein zu können, ist solcher Aktivierung präventives Handeln bereits eingeschrieben: „der aktivierende [ist] auch ein zur Prävention mobilisierender Sozialstaat […], der Präventivstaat somit als das alter ego der Aktivgesellschaft“6 zu sehen. Das ist keineswegs eine ausschließlich staatliche Programmatik; sie ist vielmehr längst eingesickert in viele gesellschaftliche Milieus und prägt alltägliche Handlungsvollzüge. Die Rationalität des Vorsorgens, die eine liquid modernity von den Gesellschaftsmitgliedern erwartet, steht allerdings in einem teilweise paradoxen Gegensatz zu den sozialen, kulturellen und mentalen Veränderungen, die sie ebenfalls mit sich bringt. Young hat sie unter dem sprechenden Titel „First World Dreams“ tabellarisch zusammengefasst:7

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Vgl. umfassend Lessenich 2008. Einige ausgewählte Titel: Fach 2003; Foucault 1994, deutsche Fassung Bröckling et al. 2000; Garland 1997; Lemke 1997; Dean 1999; Bröckling, Krasmann und Lemke 2000; Krasmann 2003; Rose, O’Malley und Valverde 2006; Bröckling 2007; Miller und Rose 2008. Besonders prägnant beschrieben von Schmidt-Semisch 2000. Lessenich 2008: S. 120 f. Young 2007: S. 66.

Prävention als Steuerungsprinzip der späten Moderne

Postwar Dream

Dream of late modernity

Life goals

Ends taken for granted Material contentment Arriving

Ends questioned Identity Expressivity Finding yourself

Ideals of work

Instrumentality

Meaning

Value orientation

Deferred gratification

Leisure

Taking it easy

Immediacy Lack of boredom Frisson

Desired space

Suburb

The city

The admired

The rich

The celebrity

Politics

Politics of class

Politics of identity

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Dieses anspruchsvolle spätmoderne Programm – bedeutungsvolle Arbeit, selbstverwirklichende Identität(en), spannungsvolles Leben im Getriebe der Metropolen, sofortige Wunscherfüllung – bildet allerdings mehr eine Aufgabe als das tatsächliche Leben ab. Die implizierte Gegenwartsorientierung steht sogar in einem gewissen Widerspruch zu präventivem Denken, das seiner Natur nach vorsorglich, berechnend und auf zukünftige – zu verhindernde oder zu steuernde – Ereignisse hin orientiert ist. Dennoch ist für eine Politik der Identität, die Expressivität betont und Verzögerung und Aufschub mit Gelangweiltheit gleichsetzt, präventives Handeln unabdingbar und wird ultimativ eingefordert: nur so lässt sich erfüllte Gegenwart auch zukünftig weiterhin aufrechterhalten, denn die Wunscherfüllung in der Zukunft verlangt strategisches Handeln im Heute. Prävention ist vor diesem Hintergrund als der Versuch zu sehen, Ungewissheiten individuell zu bearbeiten. Das soll im Folgenden an drei unterschiedlichen Lebens- bzw. Politikfeldern gezeigt werden, der Prävention von Gesundheitsrisiken, den präventiven Anstrengungen im Erwerbsleben und der Kriminalprävention. Abschließend ist dann zu fragen, inwieweit sich an ihnen Prävention als ein Steuerungsprinzip der späten Moderne belegen lässt. II. BEARBEITUNG VON UNGEWISSHEIT I: GESUNDHEIT Die Entwicklungen lassen sich am Beispiel der (staatlichen und individuellen) Gesundheitspolitik besonders prägnant illustrieren, in der Prävention gleichberechtigt neben Akutbehandlung, Rehabilitation und Pflege steht. Es genügt ein Blick auf die Homepage der eigenen Krankenkasse, um mit Angeboten von Präventionsprogrammen und Bonuszahlungen für die Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen überschwemmt zu werden. „Bonusprogramme“, bei Krankenkassen so beliebt wie bei Fluggesellschaften, verraten dabei deutlich, dass es einerseits um

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Lockung, andererseits um Ökonomie geht, was beides ein rational kalkulierendes Individuum voraussetzt, das seinen eigenen Nutzen zu maximieren sucht. Gesundheitsprävention findet allerdings immer unter den Bedingungen von Ungewissheit statt, und die einzige Handlung, die mit Gewissheit zukünftige Krankheiten verhindern könnte, wäre der präventive Suicid … Allerdings geht es vielen Menschen bei ihren Aktivitäten gar nicht primär um Gesundheit, wie sie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in der Ottawa Charta von 1986 als ein „umfassendes körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden“8 definiert hat – in diesem umfassenden Sinne dürften die meisten Menschen die allermeiste Zeit nicht völlig gesund sein. Vor dem Hintergrund der Erlebnis- und Gegenwartsorientierung, wie sie die Befindlichkeit der späten Moderne prägt, geht es denn auch eher um Fitness als um Gesundheit. „Ein fitter Körper ist ein hochempfindliches, fein abgestimmtes Instrument der Lust, und zwar jeglicher Lust, sei sie sexuell, gastronomisch oder aus der puren physischen Fitness-Übung und -Demonstration abgeleitet“.9

Wenn die Arbeit an der Fitness dann „Funktionalität und Ambiente zu einem einzigartigen Lebensgefühl“ vereint,10 wird in dieser Formulierung überaus deutlich, dass hier ein Lifestyle angeboten wird, der sich um eine Form des Körperkults rankt und psycho-physische Optimierung in den Mittelpunkt stellt. Vergleichbar tun dies auch die vielfältigen Lockungen mit Wellness.11 Solches Fitnessbewusstsein bringt allerdings nicht notwendig gesundheitliche Prävention hervor, sondern kann ebenso die Betätigung in Extremsportarten provozieren: „Wo die Vorbeugung zur Pflicht wird, wird das Risiko zum Vergnügen“.12 Dabei geht es denn auch eher um Körpermanagement, wenngleich nicht ausgeschlossen werden kann, dass Gesundheit einen Kollateralnutzen bildet. Was Individuen von sich aus an physischen Aktivitäten treiben, kommt den Bemühungen der Gesundheitspolitik um Kostensenkung also nicht unbedingt entgegen, steht dabei aber ganz funktional im Kontext einer Privatisierung von einschlägigen Angeboten, von Zusatzversicherungen bis zu Nahrungsergänzungsmitteln – was nicht zuletzt den politischen Sinn individueller Präventionsförderung ausmacht.13 Darüber hinaus wirkt das Gesundheitssystem durch seine weitgehende Definitionsmacht über die Abgrenzung von Gesundheit und Krankheit an der

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http://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0006/129534/Ottawa_Charter_G.pdf; abgerufen am 23.10.2013. Bauman 1997: S. 188 f. Aus der Werbung eines exklusiven Sportclubs (www.train-your-body.com/index.html; abgerufen am 23.10.2013. Duttweiler 2005. Schmidt-Semisch 2004: S. 226. Vgl. Dahme und Wohlfahrt 2007.

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Gestaltung von Prävention mit: jede Neudefinition einer Krankheit erfordert neuartige präventive – möglichst kommerziell nutzbare – Anstrengungen.14 Der aktivierende Sozialstaat unterstellt allerdings Gleichheiten, die strukturell nicht existieren. Keineswegs alle Gesellschaftsmitglieder haben von ihren sozialen Voraussetzungen her die Möglichkeit zu präventiven Anstrengungen.15 Präventionsprogramme heben dies keineswegs auf, da sie vorrangig die Verursachung durch Erreger oder genetische Bedingungen und individualisierbare Verhaltensweisen in den Blick nehmen, während die physische Umwelt und gesellschaftliche Verursachungsbedingungen nur wenig berücksichtigt werden.16 Also konzentriert man sich etwa auf das Rauchen, das ja vorgeblich eine Verhaltensweise von Verlierern bildet, bekämpft die Luftverschmutzung durch Verkehr und Industrie dagegen vergleichsweise weniger energisch und lässt die Rezepturen der Lebensmittelindustrie weitgehend unbehelligt. Die Essenz einer solchen Politik ist die vollständige Delegierung von Verantwortung an die Individuen, von denen eine individuelle souci de soi verlangt wird, zu der auch die gesundheitliche Prävention gehört. Gesundheit wird damit zu einer „erwartbaren Biographiearbeit“.17 Nicht zuletzt in Hinsicht auf den letzten Schrei von präventivem Handeln, den Gentest auf die Eintrittswahrscheinlichkeit diverser Krankheiten, entsteht derart „genetische Verantwortung“ (Lemke 2006), nämlich die Verpflichtung, genetische Risiken zu berücksichtigen und sich aktiv um deren präventive Bearbeitung zu bemühen. Zwar wird nicht – jedenfalls noch nicht – unbedingt erwartet, sich nach dem Vorbild einer HollywoodSchauspielerin angesichts eines festgestellten genetischen Risikos vorsorglich die Brüste amputieren zu lassen, doch in der Tendenz führt solche Verantwortung umstandslos von der Gesundheitsförderung zur Gesundheitsforderung und weiter zur Selbstoptimierung.18 Zwar handelt es sich dabei um individuelle, freiwillig unternommene Aktivitäten, aber das bedeutet keineswegs eine völlige Entstaatlichung. Dazu ist in der Bundesrepublik die Bismarck‘sche Sozialstaatstradition zu tief verwurzelt, und zudem ist der Sozialstaat in seiner neuen Ausprägung „in höchstem Maße aktivisch mit der Produktion sozialverantwortlicher Subjekte beschäftigt.“19 So unternimmt auch die Politik Anstrengungen, gesundheitliche Prävention zu fördern. Folgerichtig verabschiedet das Bundeskabinett im März 2013 den Entwurf eines 14 Das lässt sich im Bereich der Psychiatrie, in dem die definitorischen Spielräume groß sind, besonders gut sehen. So zeichnet sich der 2013 erschienene DSM-5, der weltweit maßgebliche Definitionskatalog psychiatrischer Diagnostik der American Psychiatric Association, durch diverse für die Pharma-Industrie lukrative Neuerungen aus. Vgl. zur Kritik Frances 2013. 15 Daher die Forderung nach milieuspezifischen Präventionsstrategien (Bittlingmayer und Bauer 2007) und Überlegungen zu den Beziehungen zwischen Sozialkapital und Prävention (Hartung 2009). 16 Kühn und Rosenbrock 2009. 17 Hanses 2010: S. 90. 18 Schmidt 2007a, 2007b. 19 Lessenich 2008: S. 84.

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„Gesetzes zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention im Gesundheitswesen“. Im Vordergrund stehen dabei finanziell unterfütterte Ziele, die eher planwirtschaftlich anmuten als individualisiert-eigenverantwortlich, und angesichts des höchst umstrittenen Nutzens vieler Vorsorgeuntersuchungen20 könnte man dieses Programm auch für eine Subventionierung der niedergelassenen Ärzteschaft halten. Tatsächlich steht es im Kontext einer Ökonomisierung von Gesundheitspolitik, für die Kostendämpfung21 ein stetig wiederholtes Mantra bildet.22 Doch ist die Reichweite solcher Anstrengungen oft begrenzt, denn mit Präventionsförderung erreicht man vor allem jene Gruppen der Bevölkerung, die schon von sich aus entsprechende Mentalitäten ausgebildet haben, weswegen ein individualistisches Verständnis von Prävention einen strukturellen Mittelschichtbias aufweist.23 Präventionsprogramme können auf diese Weise dazu verhelfen, distinktive Verhaltensweisen zu verstärken – wie Bourdieu (1982) belegt hat, stehen sowohl Vorlieben für bestimmte Ernährungsweisen wie auch die jeweiligen Körperbilder in einem engen Zusammenhang zur sozialen Schichtung24 und sind somit bestens geeignet, Distinktion zu demonstrieren. Neben den politischen Maßnahmen zur Förderung von Prävention stehen Grenzwerte, die ebenfalls eine Lenkungswirkung entfalten. Grenzwerte bieten, das ist ihre augenfälligste Funktion, eine Orientierung an Erwartungen, die sich an das Selbst richten, doch bleiben sie dabei keineswegs unverbindlich, sondern sie mutieren selbst zu einer Erwartung, deren Einhaltung normativ eingefordert werden kann. Damit dienen Grenzwerte letztendlich ebenfalls der VerantwortlichMachung, indem sie es den jeweiligen Adressaten überlassen, ihnen wie auch immer gerecht zu werden. Sie öffnen auf diese Weise den Raum der Selbstverantwortung und Autonomie. Sie schaffen aber auch distinktive und exkludierende Möglichkeiten, denn ein Grenzwert definiert immer zwei Gruppen, nämlich diejenigen, die ihn erfüllen, und diejenigen, die ihn nicht erfüllen – wenngleich in der Realität viele immer wieder zwischen beiden Gruppen hin- und herschwanken werden. Auf diese Weise wirken Grenzwerte als eine normierende Kraft, die klare Grenzen zwischen dem Normalen und dem Pathologischen, dem Konformen und dem Devianten setzt und zumindest die Option eröffnet, diejenigen, die den Grenzwert nicht erfüllen (können oder wollen), als stigmatisierbar oder gar als stigmatisiert zu behandeln.25 Im Kontext gesundheitlicher Prävention trifft das vor allem für den Body-Mass-Index BMI zu (Körpergewicht in Kilogramm durch die Körpergröße in cm zum Quadrat) – Adipositas liegt definitorisch ab einem BMI von 30 vor. Für die Kategorie Übergewicht legte die WHO 1996 einen BMI 20 Vgl. Wild 2007. Eine informative Übersicht, leider ohne Literaturnachweise, bietet Bartens 2008. 21 Diese Kosten steigen zwar absolut, in Relation zum Bruttoinlandsprodukt jedoch keineswegs explosiv (vgl. Reiners 2011). 2011 betrugen sie 11,3 % des BIP, nach 11,5 % 2010 (Statistisches Bundesamt 2013). 22 Gerlinger und Stegmüller 2009. 23 Kühn und Rosenbrock 2009. 24 Vgl. überblicksweise zur gesundheitlichen Ungleichheit Lampert und Kroll 2008. 25 Goffman 1963.

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von 25 als Grenzwert fest. Das hatte in den USA, in denen man vorher Übergewicht etwas großzügiger definiert hatte, einen dramatischen Anstieg der Zahl der Übergewichtigen zur Folge: von einem Tag auf den anderen wurden 35 Millionen US-Amerikaner, die vorher als gesund galten, zu Risikoträgern26 – was eine Fülle therapeutischer und medikamentöser Kommerzialisierungen eröffnete. Grenzwerte ziehen damit auch eine Wir-Sie-Grenze. Übergewicht spielt ja im heutigen Klassen-Diskurs eine – um im Bild zu bleiben – gewichtige Rolle. Die Unterschicht lebt bekanntlich falsch, und das sieht man nicht zuletzt am Bauch. Der liefert ein handliches Abgrenzungskriterium zwischen „uns“ und „denen“ und lässt sich gut dazu verwenden, Klassenlagen als einen selbst gewählten und deswegen auch selbst verantworteten Lebensstil darzustellen, der sich jenseits aller Ökonomie freiwillig etabliert und distinktive Abgrenzungen begründet und herausfordert.27 Grenzwerte sind also keineswegs ausschließlich eine medizinische Bestimmung von Sachverhalten, sondern sie setzen soziale – mittelschichtspezifisch bestimmte – Tatsachen und sind damit, sehr pointiert formuliert, ein Mittel des Klassenkampfs – fitte Körper in einem schlanken Staat. Zusätzlich lässt sich für Politiken der Aktivierung und Responsibilisierung Steuerung auch mit Besteuerung zumindest versuchen. Die Besteuerung von Alkoholika und von Tabak bzw. Zigaretten hat eine lange Tradition, hinzugekommen sind in vielen Ländern steuerliche Verteuerungen von verarbeiteten Nahrungsmitteln, soweit sie Fette, Zucker oder Salz in bestimmten Mengen enthalten.28 Das steht jedoch in dem Dilemma zwischen dem angestrebten steuerlichen Aufkommen und der ebenfalls – jedenfalls proklamatorisch – angestrebten Verringerung des Konsums – was historisch meistens zugunsten des Steueraufkommens aufgelöst wurde. Diesem Dilemma lässt sich entgehen, wenn man, wie in New York, versucht, die Konsummengen zu kontrollieren, indem die maximale Größe der Becher mit Softdrinks vorgeschrieben wird.29 Das sind allerdings definitiv paternalistische Strategien, bei denen man zudem in Konflikt mit zahlreichen Lobbygruppen gerät; dieser Versuch wird deswegen selten unternommen und reflektiert eher spezifische politische Konstellationen. Und wenn Individuen weiterhin vor dem Fernseher sitzen bleiben, gezuckerte und überfettete Fertigprodukte in sich hineinstopfen, Vorsorgeuntersuchungen und Grenzwerte ignorieren, sich öfter betrinken, gar rauchen? Denn sich zu verweigern ist zwar unerwünscht und stigmatisierbar, aber möglich. Dass Samoa Air die Ticketpreise nach dem Körpergewicht der Passagiere berechnet, mag noch als Kuriosum durchgehen.30 Vielleicht muss es einen auch nicht wundern, dass die WHO keine Raucher einstellt – das ist hier ein Teil der corporate identity. Derlei lässt sich von anderen Unternehmen, die Raucherinnen und Raucher nicht einstelSchorb 2008a: S. 62. Vgl. hierzu Schorb 2008b; 2010; zur Kulturgeschichte des Bauches auch Ebbing 2008. Vgl. Schwettmann 2012; Lehnert et al. 2013. Diese Kontrolle – ein Prestigeprojekt von Bürgermeister Bloomberg – ist allerdings gerichtlich verboten worden; momentan lässt sich nicht absehen, ob sie durchzusetzen sein wird. 30 http://www.samoaair.ws/index.php/booking-2/pay-by-weight, abgerufen am 23.10.2013.

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len und ihr Personal Tests auf illegale Drogen unterziehen31 allerdings nicht behaupten. Und die Diskussionen über Leistungseinschränkungen gerade für solche Krankheiten, die als verhaltensbedingt eingestuft werden, haben zwar noch keine durchgreifenden Wirkungen,32 doch das könnte sich schnell ändern, wenn zukünftig Geräte, mit denen man die eigenen physiologischen Kennzahlen permanent erheben (und ggf. an die Krankenkasse übermitteln) kann, den Massenmarkt erobern.33 Dann können Kassen überprüfen, inwieweit man den Anforderungen eines Bonusprogramms gerecht wird. Was heute erst vorsichtig erprobt wird, das lässt sich dann durchsetzen, und die Antwort auf Verweigerungen präventiver Anstrengungen kann einer strikten Marktlogik folgen: jede und jeder ist frei, zu tun und zu lassen, was er oder sie möchte, hat aber dann ggf. auch die stigmatisierenden und partiell exkludierenden Konsequenzen zu tragen.34 III. BEARBEITUNG VON UNGEWISSHEIT II: ARBEIT Wenn es bei der Gesundheitspolitik der Individuen um die Selbstformung des Körpers geht, so geht es im Bereich des Erwerbslebens um die Selbstformung von Mentalitäten. Hier sind die Individuen gehalten, ihre Marktfähigkeit zu beweisen und ständig zu optimieren. Das ist ein grundlegender Effekt jener gravierenden Umgestaltungen von Arbeit, die vor allem auf Kostensenkung und Effizienzsteigerung zielen, wobei Flexibilisierung, Projektarbeit, Eigenverantwortung von Arbeitsgruppen und innerbetriebliche Vertragsbeziehungen die Schlüsselbegriffe sind.35 Die bisherigen „Arbeitnehmer“ (welcher Begriff immer ein durchaus gewolltes Missverständnis von Geben und Nehmen enthalten hat) werden dabei – historisch nicht völlig neu – als „Arbeitskraftunternehmer“ aufgefasst.36 Diese Entwicklungen signalisieren ein neuartiges Arbeitsregime, das die Arbeitenden dazu anleitet, ihr „rohes Arbeitsvermögen“ selbst in konkrete Arbeitsleistung zu transformieren und ein gewissermaßen veredeltes Halbfertigprodukt zu liefern, was zu Prozessen der Selbst-Ökonomisierung, zu einer individuellen Marktökonomie des Anbietens und Verkaufens und zu einer Verbetrieblichung der Lebensführung führt.37 Das eröffnet vielfältige neue Freiräume ebenso wie neue Zwänge, und was für die einen die Erfüllung eines Traums, nämlich eine täglich von 9 bis 17 Uhr dauernde Tretmühle hinter sich zu lassen und die Vorstellung eines „Werk“tags endgültig zu überwinden, ist für die anderen der unerträgliche Schrecken des Zwangs zur Freiheit. Unter diesen Bedingungen gewinnt Arbeit eine sie 31 Vgl. Paul 2010. 32 Vgl. Schmidt-Semisch und Schorb 2011. 33 Die momentanen technischen Möglichkeiten sind umfassend dargestellt bei Grasse/Greiner 2013. 34 Vgl. zur Dekonstruktion der zugrundeliegenden Ideologie Bittlingmayer 2008. 35 Überblicksweise Kühl 2004: S. 67 ff.; s. grundlegend auch Harvey 1989; Lash und Urry 1994. 36 Voß und Pongratz 1998. 37 Voß 2001.

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überhöhende Erzählung, die Selbstverwirklichung und die Lust an der eigenen Kompetenz in den Mittelpunkt stellt.38 Das bringt eine Glorifizierung von Arbeit mit sich, die als ultimative Protestantisierung des Lebens verstanden werden kann, bei der alle für die säkulare Form des eigenen Seelenheils zuständig und verantwortlich sind. Was im Bereich der Gesundheit die Fitness, ist deswegen im beruflichen Bereich die Beschäftigungsfähigkeit (employability) – für die Gesundheit allerdings eine unabdingbare Voraussetzung bildet. Beschäftigungsfähigkeit wird dabei zunehmend zum Substitut von Beschäftigungssicherheit. Eine Vielfalt von Techniken – Motivationstraining, Coaching, Weiterbildung – moduliert die Individuen dabei in betriebsspezifischen Zusammenhängen und macht sie zugleich zu Agenten eines in und durch Arbeit hergestellten schöpferischen Selbstunternehmertums. Solche Technologien des Selbst formen Interessen und Verhaltensweisen und setzen die Beschäftigten in kontraktuelle Beziehungen zur Firma oder ausschließlich zu sich selbst. Exemplarisch lassen sich die Bemühungen um ein erfolgreiches Selbstunternehmertum an betrieblichen Fort- und Weiterbildungen ebenso ersehen wie an den Unterwerfungen unter ein firmeneigenes Qualitätsmanagement. Beides bildet für den Einzelnen eine rationale Strategie, seine Chancen innerhalb der institutionellen Struktur zu optimieren. Die Fremdanforderungen, die auf das sich unternehmerisch inszenierende Individuum abstellen,39 setzen sich somit in eine Freiwilligkeit um, bei der die Individuen aus sich heraus an sie gestellte Erwartungen erfüllen. Das lässt sich als ein Fortschrittsmythos des persönlichen Weiterkommens und der selbstunternehmerischen Vervollkommnung interpretieren. Im Kontext einer solchen unternehmerischen Selbstinszenierung der Beschäftigten steht auch die Konzeption vom „Lebenslangen Lernen“. Das hat sich inzwischen zu einer selbstverständlichen beruflichen Anforderung entwickelt, jedenfalls auf der Ebene des Diskurses. „Employability“ beschreibt dabei den im lebenslangen Lernen bereits angelegten Modus der Vermittlung zwischen Person und Betrieb, der Beschäftigungsfähigkeit als personale Kompetenz ansieht und dazu anhält, planmäßig individuelle Kompetenzprofile zu entwickeln; insgesamt erscheint ein erfolgreiches Berufsleben somit als das Ergebnis effizienten SelbstManagements. „Employability“ forciert dabei eine ständige Neuorientierung, die von einem konkreten Beruf abgekoppelt ist und die Individuen als aktive Marktakteure fordert. Unter diesen Bedingungen erweist lebenslanges Lernen „sich als Technik der Selbstführung mit dem Telos eines umfassenden Wandlungs- und Anpassungsvermögens.“40 Der Terminus Prävention fällt in all diesen Zusammenhängen nicht, ebenso wenig wie der Begriff „Angst“. Doch sind beide in der Konzeption vom Selbstunternehmer eng verbunden:

38 Legnaro 2008. Vgl. auch Boltanski und Chiapello 2003. 39 Vgl. Rose 1996; Bröckling 2000; 2007. 40 Tuschling 2004: S. 157.

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Vorsorgliches und präventives Handeln, wie es als Coaching, Beratung, work-lifebalance-Seminar etc. kommerziell angeboten wird, kann dann als sinnvolle Bearbeitung der eigenen Unsicherheiten erscheinen – trotz des sehr ungewissen Erfolgs. Das gilt ebenso für die in aller Freiheit vorgenommene Unterwerfung unter betriebsspezifische Maßnahmen: Zielvereinbarungen, Personalgespräche, Total Quality Management steuern hier die Einstellungen der Beschäftigten, nicht zuletzt die Einstellungen zu sich selbst. Anpassungen an das Marktgeschehen oder gar die antizipierende Ahnung eines künftigen Marktgeschehens – und auch der Betrieb ist für abhängig Beschäftigte ein Markt – verlangen dabei permanente Anstrengung und ein unaufhörliches Mühen, eine autonome Selbst-Modulation im Hinblick auf heteronome Anforderungen. Prävention bildet somit hier, wie auch im Gesundheitsbereich, unabschließbare Arbeit an sich selbst und am Selbst. Wie man nie auf Dauer fit ist, sondern dies nur durch permanente Arbeit am Körper erreicht, so erreicht man seine eigene employability ebenfalls nur durch ständige Arbeit an den eigenen Kompetenzen und Einstellungen, also durch ständige Fortund Weiterbildung ebenso wie durch mentale Modulationen. Verschärft werden diese Notwendigkeiten durch die Erosion des tradierten Normalarbeitsverhältnisses, das als eine unbefristete Vollzeitstelle zu tarifvertraglich geregelten Bedingungen definiert ist. Die Anzahl solcher Arbeitsplätze verringert sich seit Jahren (IAB 2011), und stattdessen etablieren sich vielfältige Formen prekärer Arbeitsverhältnisse42 (Praktika, befristete Verträge, Leiharbeit, Teilzeitstellen wider Willen, Expansion des Niedriglohnsektors), die alle gemeinsam haben, wenig individuelle Planungssicherheit aufzuweisen und in ihren Entlohnungen oft auch für einen bescheidenen Lebensstil nicht auszureichen. Das ist insgesamt als ein „Regieren mittels Unsicherheit“ bezeichnet worden,43 und Erörterungen über gesellschaftliche Exklusion, von Luhmann (1995) zu einer der möglichen Leitdifferenzen des 21. Jahrhunderts ausgerufen, reichen inzwischen über den engeren sozialwissenschaftlichen Bereich hinaus.44 Die Prozesse von Prekarisierung unterstreichen daher die Notwendigkeiten von Flexibilität, Mobilität und unternehmerischer Mentalität, denn hinter der programmatisch ausgerufenen Selbstverwirklichung lauert ständig die Angst vor dem sozialen Absturz. Das bildet vor allem eine Verängstigung der Mittelschichten, die allerdings vorrangig unter temporärer und wohlstandsnaher Prekarität zu leiden haben, während – in der Bundesrepublik des Jahres 2013 – armutsnahe und zur Verfestigung neigende Prekarität eher ein Phänomen von niedrig Qualifizierten darstellt.45 41 Bröckling 2007: S. 74. 42 Vgl. exemplarisch Götz und Lemberger 2009; Rau 2010; Castel und Dörre 2009; Castel 2011; Hardering 2011. 43 Legnaro und Birenheide 2008. 44 Verwiesen sei nur auf wenige Titel: Kronauer 2002; Bude und Willisch 2008; Klimke 2008b. 45 Kraemer 2009.

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Nimmt man die Feuilletons der letzten Jahre zum Nennwert, so scheint die bundesdeutsche Wirklichkeit vor allem aus den working poor des Niedriglohnsektors einerseits, deren Arbeitseinkünfte so gering sind, dass sie auf den Hartz IVRegelsatz aufgestockt werden müssen,46 aus steuerhinterziehenden Millionären andererseits zu bestehen. Dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter klafft, gehört inzwischen zum Allgemeingut. Die statistischen Fakten widersprechen dem zwar nicht, relativieren es jedoch zugleich. Der Gini-Koeffizient – das Standardmaß für Einkommensungleichheit, das von 0 (völlige Gleichverteilung) bis 1 (völlige Monopolisierung) reicht – ist zwar auch in der Bunderepublik in den letzten Jahren angestiegen und liegt in den „late 2000s“ bei 0,29547, was aber im Vergleich einen eher moderaten Anstieg darstellt. Immerhin wird 2009 die Armutsgefährdungsquote mit 15,6 % beziffert,48 und eine Spreizung der sozialen und ökonomischen Lebensverhältnisse lässt sich nicht übersehen: „Paradox ausgedrückt: Die Armut wächst, aber den Leuten geht es besser.“49 Allerdings sagt die objektive Lebenslage, wie sie sich in Armutsindikatoren spiegelt, nicht notwendig etwas über das Empfinden von Exklusion aus. Inwieweit die Mittelschicht zwischen „oben“ und „unten“ zerrieben wird, ist empirisch auch keineswegs eindeutig. Aber bekanntlich sind Situationen, die als real definiert werden, in ihren Konsequenzen durchaus real. Hinzu kommt die Erfahrung einer europäischen Finanz- und Schuldenkrise, die in der Bundesrepublik zwar (noch und bisher) weitgehend ignoriert werden kann, zukünftig aber auch hier mit großer Wahrscheinlichkeit Prekarisierungsprozesse verschärfen wird.50 Solche Prozesse müssen als die notwendigen Begleiterscheinungen von flexibilisierter Produktion gelten, diese wiederum stellt im globalen Wettlauf zur Verbesserung der Konkurrenzfähigkeit eine Notwendigkeit dar. Ein Konzeptpapier von IBM zeichnet die angestrebte Zukunft, in der eine kleine Kernbelegschaft zur Pflege der Kundenbeziehungen einen festen Arbeitsplatz innehat, während in einer „Talent Cloud“ freiberuflich Tätige in Auktionen um Beschäftigung in (befristeten) Projekten konkurrieren.51 Dann ist Arbeit an Fitness wie employability der Einzelnen erst recht unabdingbar, präventives Handeln eine Strategie, die das soziale Überleben zwar nicht zu garantieren vermag, aber die notwendige Voraussetzung dafür bildet.

46 Faktisch handelt es sich also um eine Subventionierung ihrer Arbeitgeber und demzufolge um Wirtschafts-, nicht um Sozialpolitik. 47 OECD 2001. 48 Statistisches Bundesamt 2012. 49 Bude 2010, S. 38. 50 Legnaro 2013. 51 SPIEGEL 6/2012.

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IV. BEARBEITUNG VON UNGEWISSHEIT III: KRIMINALITÄT Bereits 1995 machte Sack für die Kriminalpolitik „einen strukturell neuen Typus von Prävention“ aus.52 Strukturspezifische Elemente seien die Entdifferenzierung der Prävention, die die Kriminalpolitik zu einer Politik der inneren Sicherheit ausweite und „zu einer Mobilisierung und Aufrüstung von Gesellschaft und Kriminalpolitik im Namen der Sicherheit“ beitrage;53 in diesem Prozess verselbständige sich Prävention funktional zu einem eigenen Subsystem und werde – neben Repression und Gefahrenabwehr als den traditionellen Aufgaben der Polizei – zu einer dritten und relativ autonomen Säule entwickelt. Kennzeichnend seien darüber hinaus die Entpersonalisierung präventiver Strategien, sodass Handlungen der Sicherheitsbehörden weder – wie bisher bindend vorgeschrieben – einen Angeschuldigten noch einen Störer voraussetzten, und eine tendenzielle ReAutonomisierung der Polizei, die sich hieraus zwangsläufig ergebe. Im Ergebnis: „Die neue Prävention transformiert ein reaktives Strafrecht in ein proaktives System strafrechtlicher Sozialkontrolle.“54

Das umschreibt im Wesentlichen sowohl die Charakteristika der kriminalpolitischen Entwicklung der folgenden beiden Jahrzehnte wie auch der kriminologischen Diskussion, die dieser Entwicklung analytisch beizukommen suchte. Die Anzeichen, an denen Sack damals seine Beschreibung festmachte, waren die auf kommunaler Ebene sich etablierenden Präventionsräte, die neuen Formen des community policing, die weniger Kriminalität als social disorder und incivilities in den Blick nahmen, Aktionen wie „Vorsicht! Wachsamer Nachbar“, deren Aufkleber auf den Haustüren prangten, Sicherheitswachten und Bürgerpatrouillen. Gerade Kriminalität – und, vor allem, Kriminalitätsfurcht – sind allerdings stark zyklisch-konjunkturelle Themen, und ihre Bedeutung scheint inzwischen erheblich abgenommen zu haben – was sich allerdings jederzeit ändern kann. Da die wesentlichen Voraussetzungen gesetzlicher wie allgemein-politischer Art aber in der Zwischenzeit etabliert worden sind, kommt es nun auf moral panics55 auch gar nicht mehr an: Sicherheit ist längst zu einem handlungsleitend wirkenden Narrativ geworden.56 Das zeigt sich besonders deutlich an der allgegenwärtigen Vorverlagerung des Verdachts. Wenn der Kammergerichtsrat E.T.A. Hoffmann 1822 (in seinem Märchen „Meister Floh“) den Geheimen Hofrat Knarrpanti behaupten lässt, „daß, sei erst der Verbrecher ausgemittelt, sich das begangene Verbrechen von selbst finde“, so war dies damals in bitterböser satirischer Absicht zu verstehen, die man – nach den Karlsbader Beschlüssen von 1819 und zur Zeit der „Demagogenverfolgung“ – immerhin so ernst nahm, dass diese Passagen von der Zensur verboten wurden. Heute dagegen wirkt dies nahezu als eine bündige Beschreibung strate52 53 54 55 56

Sack 1995, S. 437. Sack 1995, S. 446. Sack 1995, S. 451. Vgl. den Sammelband von Hier 2011. Legnaro 2012.

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gischen Kontrollhandelns: „Gefährder“ lassen sich überall wittern. Sie haben noch keine kriminellen Handlungen unternommen, aber vielleicht beabsichtigen sie das ja – sollte man nicht sicherheitshalber eine Präventivhaft verhängen? 57 Während der traditionelle Rechtsstaat kriminelle Handlungen verfolgte, nachdem sie geschehen waren, geht es hier um die Verhinderung von Taten, an die die potenziellen Täter vielleicht noch gar nicht gedacht haben. Das etabliert einen „Diskurs, der sich nicht mehr allein an konkreten Gefahren, auch nicht länger nur an Gefahrenpotenzialen, sondern an Krisenfiktionen orientiert“58. Es ist eben diese Kraft der Imagination, die möglicherweise zukünftig Geschehendes vorstellbar und – handelt man nur proaktiv – auch vermeidbar macht, und die Sicherheitsbehörden exzellieren deswegen in einer antizipierenden kriminellen Phantasie,59 die die individuelle Unschuldsvermutung durch einen generalisierten Schuld-Verdacht ersetzt. Das führt zu der paradoxen Doppelbödigkeit, dass alle Gesellschaftsmitglieder sowohl als potenzielle Täterinnen und Täter gelten, ebenso aber auch potenzielle Opfer sein können. Wenn Augé die Orte des urbanen Vergnügens und Verkehrs unter anderem dadurch charakterisiert, dass man dort ständig aufgefordert werde, seine Unschuld nachzuweisen,60 so trifft dies nur für den Fall physischer Präsenz zu; die vorsorgliche und anlasslose Speicherung von Strömungsdaten aller Art – Kommunikation, Mobilität, Finanzen – erübrigt diesen Nachweis. Und solche Anlasslosigkeit ist der höchste Triumph eines präventiven Proaktivismus, der sowohl von der Entpersonalisierung polizeilicher Tätigkeit wie auch von deren weitgehender Autonomisierung – weiterhin rechtlich gebunden, aber doch mit erheblich erweiterten Handlungsspielräumen – zeugt. Zugrunde liegt solchen Entwicklungen eine zunehmende Orientierung an abstrakten Gefährdungslagen, die zwingend die stete Vorverlagerung der Verdachtsschwelle mit sich bringt – konkrete Handlungen sind für präventive Eingriffe nicht notwendig,61 und die Sicherheitspolitik agiert hier nicht anders als eine Gesundheitspolitik, die eine Vielzahl von Vorsorgeuntersuchungen empfiehlt, sich dabei aber um die falsch-positiven Befunde wenig schert. Wenngleich „normal accidents“ (Perrow 1984) der Risikogesellschaft inhärent sind und vollständige Sicherheit ein nicht erreichbares Ideal darstellt, hindert dies die Politik keineswegs, Sicherheit (bzw. das, was sich als solche ausgeben lässt) mit allen Mitteln anzustreben und dabei rechtsstaatliche Prinzipien im besten Falle sehr großzügig auszulegen, im schlechtesten Falle auf eine Weise zu umgehen und zu unterminieren, dass sie faktisch außer Kraft gesetzt sind. Tatsächlich kann der Rechtsstaat

57 Vgl. kritisch zur Diskussion Walther 2007. 58 Kretschmann 2012: S. 322, im Original kursiv. 59 Was zugleich zu unverhältnismäßig übertriebenen Vorstellungen über mögliche Geschehnisse führt, wie Mueller und Stewart 2012 anhand einer Untersuchung von 50 US-Fällen zeigen. 60 Augé 1994: S. 120. 61 Eine solche Orientierung auf abstrakte Gefährdungslagen könnte nun sogar im Völkerrecht Einzug halten. Das Tallinn Manual formuliert erstmals Regeln für einen Cyber-Krieg, der auch „Akte der vorbeugenden Selbstverteidigung“ legitimiert. Vgl. eine zusammenfassende Darstellung in SPIEGEL 14/2013.

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unter dem Signum von Sicherheit zu einer Fassade zurückgebaut werden, während seine zentralen Prinzipien und Garantien entkernt sind. Ob man dies, mit Kunz (2008; 2010), ein kontrollorientiertes Präventionsstrafrecht oder, mit Trotha (2003; 2010), eine präventive Sicherheitsordnung nennen will, ist eine Frage der Akzentuierung. Trothas Begrifflichkeit hat jedoch den Vorzug, über den Bereich des Strafrechts hinaus die gesellschaftlichen Kontextuierungen mit einzubeziehen. Politik hat die oben angesprochenen ökonomischen und sozialen Umbrüche einerseits durch De-Regulierungen der Finanz-, Konsumenten- und Arbeitsmärkte ermöglicht und befördert, muss andererseits aber auf sie reagieren. In diesen Reaktionen lässt sich Staatlichkeit auf dem Feld der Sicherheit – in Europa vorrangig der inneren – nach wie vor am wirkungs- und eindrucksvollsten inszenieren. Um allerdings mit einiger Berechtigung von einer „Sicherheitsgesellschaft“ (Legnaro 1997) sprechen zu können, braucht es über staatlich intendierte Norm- und Verfahrensänderungen hinaus eine Programmatik, die die Bevölkerung einbezieht und allgemein zur Vorsicht und zu kriminalpräventiven Handlungen auffordert. Eine solche Programmatik ist – implizit, aber effektiv – in die praktizierten Formen von Kriminalpolitik bereits eingelassen, indem diese primär die Abwehr potenzieller terroristischer Gewalttaten in den Mittelpunkt stellt, während die Formen der Alltagskriminalität eher am Rande berücksichtigt werden. Das entspricht der weithin akzeptierten Unterscheidung von Garland (1996) nach zwei höchst unterschiedlichen Kriminologien, deren eine die Normalisierung kriminellen Handelns beinhalte, während die andere eine „criminology of the alien other“ bilde. Der Ansporn zur individuellen Prävention entspringt faktisch daraus, denn gerade bei ubiquitären Delikten wie Wohnungseinbruchdiebstahl oder dem Diebstahl von Fahrrädern liegt die polizeiliche Aufklärungsquote bekanntermaßen außerordentlich niedrig (15,7 % bzw. 9,7 % im Jahre 2012).62 Präventives Handeln ist also angezeigt, denn Versicherungen wollen den Nachweis eigener Schutzmaßnahmen sehen. Das befördert zwanglos eine Einstellung von Umsicht und Vorsicht, wenn nicht gar Misstrauen. Zwar sind Bürgerpatrouillen in metropolitanen Speckgürteln eine eher seltene Erscheinung,63 doch zeugen sie von eben solchem Misstrauen gegenüber allen, die als „fremd“ gelten können, eine Fremdheit, die von nicht im eigenen Viertel Wohnenden bis zu Migranten reicht (soweit sie nicht in diesem Viertel Dienstleistungen erbringen). Auch die in einigen bayerischen Städten praktizierten Sicherheitswachten64 – Streifengänge von Bürgerinnen und Bürgern in Zusammenarbeit mit der Polizei – erfüllen einen ähnlichen sozialen Sinn. Dass kriminalpräventives Handeln und die (zumindest definitorische) Ausgrenzung des „Anderen“ eng zusammen gehören, wird an solchen Formen der Überwachung besonders deutlich; Sicherheitspolitik ist generell gegen Feinde gerichtet, und hier findet sich die mikrosoziale Anwendung. Deswegen stellt die Instrumentalisierung von sich um Kriminalität rankenden Ängsten, be62 Bundesministerium des Inneren 2013, S. 4. 63 Exemplarisch Birenheide 2009. 64 S. www.polizei.bayern.de/wir/ sicherheitswacht/index.html/309, abgerufen am 26.10.2013.

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sonders in Wahlkämpfen, ein probates Mittel dar, um innere Geschlossenheit zu etablieren und staatliche Handlungsfähigkeit zu demonstrieren, zugleich aber auch – im Rahmen einer proklamierten Stärkung der community – die Verantwortlichkeiten der Individuen zu betonen.65 Beides verschränkt sich ineinander, und das lässt sich als ein outsourcing und als eine Vergesellschaftung ehemals staatlicher Aufgaben begreifen. Im Rückzug des „wohltätigen Staates“ (Wacquant 1997) wird die staatliche Steuerungskompetenz keineswegs aufgegeben, sondern durch Vorgaben auf eine andere und neuartige Weise bestärkt. So lässt sich community, ob gated66 oder nicht, gerade im Hinblick auf grassierende Kriminalitätsfurcht und Kriminalprävention allgemein als zentraler Ort eines neuartigen Regierens auffassen: „Community is not simply the territory within which crime is to be controlled, it is itself a means of government“67. Nach den Befunden von Klimke (2008a) handelt es sich beim Thema der Kriminalitätsfurcht allerdings eher um eine politische Inszenierung als um ein lebensweltliches Problem.68 Doch hat die Programmatik solcher Lenkung von Aufmerksamkeit lebensweltliche Folgen. Die Einzelnen sind mit ihren präventiven Handlungen als ökonomisch kalkulierende Subjekte gefragt, womit sie spiegelbildlich zu den Tätern handeln sollen, die ebenfalls als ökonomisch kalkulierende Subjekte konzipiert sind – deswegen situational crime prevention und target hardening (Clarke 1992), defensible space (Newman 1973), die Berücksichtigung von routine activities (Cohen und Felson 1979) und die Allgegenwart der VideoKameras, die lediglich „Fiktionen der Übersichtlichkeit“ (Legnaro 2000b) schaffen. Ob die zugrundeliegenden Zuschreibungen von Handlungsstrategien – der Kriminelle als homo oeconomicus – empirisch zutreffend sind,69 ist dabei gar nicht entscheidend; wesentlich ist die damit gegebene Prägung der kriminalpolitischen Programmatik, die einerseits in einer Orientierung an Fiktionalitäten und einem generalisierten Verdacht, andererseits in einer Vergesellschaftung von Kriminalprävention kulminiert. V. BEARBEITUNG VON UNGEWISSHEIT: PRÄVENTION ALS STEUERUNGSPRINZIP Als programmatische Handlungsanleitung hat Prävention etwas von einer Allmachtsphantasie an sich, die die Kontrolle des Zukünftigen durch Handlungen der Gegenwart verspricht. Auguste Comtes Motto „Savoir pour prévoir, prévoir pour pouvoir“ („Wissen, um vorherzusehen, vorhersehen, um handeln zu können“) scheint hier Gestalt gewonnen zu haben – eine Vision des fortschritts- und planungseuphorischen 19. Jahrhunderts nun in einer strikt individualisierten Form. 65 66 67 68 69

Legnaro 1998. Vgl. zum speziellen Thema der gated comnunities Wehrheim 2002, s. auch Legnaro 2000a. Rose 2000: S. 329; im Original kursiv; vgl. auch Kreissl 2004. Vgl. auch Lüdemann/Schlepper 2013. Vgl. den großangelegten Überblick bei Albrecht 2013.

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Denn Prävention lässt sich als eine der Operationalisierungen von Freiheit ansehen. Diese Freiheit ist aber nicht in das Belieben der Einzelnen gestellt, sondern es ist die Freiheit des sich rational bewirtschaftenden Subjekts zur Profitmaximierung. Modellierung – Optimierung – Sicherung sind die zentralen Achsen, StatusFigur-Profil die Parameter des Handelns. Prävention erwächst unter solchen Voraussetzungen aus einer Gegenwartsorientierung, die eine ausgeprägte Präferenz für Präsentation und Inszenierung aufweist. Angesichts solcher Aufforderungen zur optimalen Nutzung individueller Freiheit lässt sich Prävention als Kompensation eines fragilen Weltgefühls auffassen. Sie dient zum einen der Beruhigung, nach bestem Vermögen die geforderte Konformitätsarbeit zu leisten: „[T]he precaution principle appears […] as the grand narrative of the socially disempowered, vulnerable individual of postmodernity.“70

Zum anderen dient sie auch der Abgrenzung von jenen, die das nicht tun können oder wollen, wobei das Nicht-Können in aller Regel als ein Nicht-Wollen interpretiert wird. Prävention als gesellschaftliches Prinzip gerät somit zu einer legitimatorischen Denkfigur der Ungleichheit, indem jegliche Lebenslage als Ergebnis eigenen Handelns oder Nicht-Handelns aufgefasst wird. Das etabliert distinktive Unterschiedlichkeit und eine innergesellschaftliche Wir-Sie-Grenze: Dicke, Kriminelle, Verlierer aller Art sind die Andersartigen, auf die herabzusehen dem eigenen Selbstwertgefühl aufhilft. Solche Prozesse von othering stabilisieren die Machtverhältnisse umso wirkungsvoller, als von Macht gar nicht die Rede ist, sondern lediglich von individuellen Verhaltensweisen. In den allgegenwärtigen Aufforderungen zu präventiven Anstrengungen findet somit ein Wandel der gesellschaftlichen Formation seinen Niederschlag, der den Individuen eine „Politik der Lebensführung“ (Giddens 1997) nach rationalen Kalkülen abverlangt. Durch Prävention und die vielfältigen einschlägigen Programme, Rezepturen und Modelle werden sie einerseits angeleitet, ungeachtet aller strukturellen Einbindungen (und damit auch Hindernissen und Barrieren) selbst Verantwortung für das eigene biographische Geschick zu übernehmen, während andererseits das Konzept auch dazu dient, sie im Falle des Scheiterns oder Misslingens dafür haftbar zu machen, da sie ja offensichtlich nicht – oder nicht genug – präventiv aktiv waren. Prävention verwandelt sich damit von einem individuell sinnvollen Handeln, das es bei Einzelnen schon immer gegeben hat, in ein Medium des Regierens, in dem die Individuen sowohl zu Handlungen angeleitet wie auch von Handlungen abgehalten werden sollen. Das ist eine Steuerung der Selbststeuerung; man hat jede Freiheit, sich präventionsfrei (und somit unverantwortlich) zu verhalten, aber man muss sich bewusst sein, dass das soziale Konsequenzen haben könnte. Derart verändert Prävention ihren politischen Charakter von governance als einer rationalen Territorialpolitik des Staates zum Medium des Regierens von Individuen durch deren eigene Handlungen. Eben das macht

70 Lianos 2013, S. 73.

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LOGIK DER PRÄVENTION Eine kriminologische Perspektive auf das Strafrecht und andere Formen sozialer Kontrolle Tobias Singelnstein Prävention ist keine Sache des Staates, jedenfalls nicht alleine oder besonders. Es ist vielmehr ein Prinzip, das sich in vielen gesellschaftlichen Bereichen beobachten lässt – unabhängig von deren Nähe oder Ferne zum Staat. Ebenso wenig ist die Prävention im Bereich sozialer Kontrolle primär eine Sache des Strafrechts. Andere Formen sozialer Kontrolle passen deutlich besser zur Logik der Prävention. So wird etwa der Begriff des Präventionsstaates eher mit Überwachung, verdachtsunabhängigen Kontrollen und Datensammlungen assoziiert als mit Strafe; in den zurückliegenden Jahrzehnten hat sich ein bunter Strauß ganz unterschiedlicher kriminalpräventiver Ansätze außerhalb des Strafrechts entwickelt. Aber auch das Strafrecht kann sich der präventiven Logik nicht entziehen und wird zunehmend durch sie geprägt. Wenn es darum geht auszuloten, wie die Logik der Prävention den Staat im Bereich der Sicherheitsproduktion und des Umgangs mit Abweichung prägt, muss der Blick also ebenso auf das Strafrecht wie auf andere Formen sozialer Kontrolle gerichtet werden.1 I. PRÄVENTION UND SOZIALE KONTROLLE Kurz auf den Punkt gebracht bedeutet Prävention: Eingreifen, bevor etwas passiert; vorbeugen, um unerwünschte Ereignisse zu vermeiden.2 Im Gesundheitswesen sollen Krankheiten vor ihrem Ausbruch verhindert werden, indem diesbezügliche Risikofaktoren identifiziert und reduziert werden; Bildungspolitik soll schon im Kindergarten sicherstellen, dass Bildung und Erziehung zu möglichst guten Chancen auf dem Arbeitsmarkt führen. Diese bestechend sinnvoll erscheinende gedankliche Figur ist bereits Jahrhunderte alt. Ihre Erscheinungsformen und ihre Bedeutung haben sich jedoch im Laufe der Zeit gewandelt. In den zurückliegenden Jahrzehnten hat sich in zahlreichen Lebensbereichen ein Verständnis von Prävention als Prinzip etabliert, das unmittelbar und konkret, umfassend und systematisch die Eintrittswahrscheinlichkeit negativer Ereignisse minimieren soll.3

1 2 3

S. Zedner 2007: S. 262 zur angloamerikanischen Debatte. Dazu Singelnstein 2010. S. Bröckling 2004: S. 210 f.; Pütter 2007: S. 3 ff.

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Auch im Bereich sozialer Kontrolle lässt sich Prävention als Zweck – in einem foucaultschen Sinne könnte man von Logik sprechen4 – bereits lange Zeit finden. So war schon Beccaria 1764 der Auffassung, dass Vorbeugen besser sei als Strafen.5 Franz von Liszt hielt bekanntlich bereits Anfang des 20. Jahrhunderts eine gute Sozialpolitik für die beste Kriminalpolitik. Ebenso kann der so genannte „strafrechtliche Schulenstreit“, in dem die Auseinandersetzung zwischen absoluten und zweckgerichteten Straftheorien seit Ende des 19. Jahrhunderts kulminierte, als Durchsetzung eine solchen Logik interpretiert werden. Infolge dessen setzte sich in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts der Zweckgedanke in der Strafzweckdebatte als maßgeblich durch.6 Während die absoluten Straflegitimationen Vergeltung, Sühne und Negation der Rechtsverletzung in den Hintergrund traten wurde die Vorstellung prägend, dass Strafe in Form von Spezial- und Generalprävention bestimmte Dinge in der Zukunft erreichen soll. Diese Entwicklung – die man mit Foucault als Ausdruck der Disziplinierung verstehen kann, die die Strafe nicht humanisiert, sondern in ihrer Wirkung optimiert7 – erhielt in der Bundesrepublik seit Ende der 1960er einen neuen Schub, der vor allem die Spezialprävention in den Vordergrund stellte.8 Für weitergehende Ansätze der Prävention schien das Strafrecht allerdings zunächst nicht besonders zugänglich. Mit seiner Orientierung auf einen in der Vergangenheit liegenden Geschehensablauf blieben – abgesehen von der Zwecksetzung der Strafe auf Besserung und Abschreckung – die Möglichkeiten begrenzt, eine präventive Wirkung zu erzielen. Insbesondere für das Streben nach unmittelbarer, konkreter Prävention schien kaum Raum zu bestehen. Allerdings entwickelten sich im Laufe des 20. Jahrhunderts neben dem Strafrecht andere Formen sozialer Kontrolle, die der Logik der Prävention folgen. So begann die Polizei bereits in den 1920er Jahren mit Beratung und Aufklärung zum Schutz gegen Diebstahl und Einbruch.9 Ab den 1970er Jahren und vor allem seit den 1990ern haben sich dann in immer stärkerem Maße ganz verschiedene Strategien und Techniken herausgebildet, die abweichendes Verhalten verhindern sollen, bevor es entsteht. Die meisten dieser Techniken firmieren heute unter dem Titel Kriminalprävention. Anders als die überkommenen Präventionsvorstellungen, die vor allem gesellschaftliche Bedingungen oder den Normbefehl des Strafrechts im Blick hatten, zielen diese neueren Techniken im Schwerpunkt auf eine unmittelbarere Beeinflussung von konkreten Situationen oder bestimmten Personen und verfolgen einen systematischen, umfassenden Ansatz.10 Unbeschadet dessen blieb auch das Strafrecht im weiteren Verlauf nicht unbeeinflusst von der Logik der Prävention, die sich dort gerade in den beiden zurückliegenden Jahrzehnten stärker materialisiert hat. 4 5 6 7 8 9 10

Valverde 2012: S. 68 ff. Meier 2010: § 10 Rn. 5. S. Vormbaum 2011: S. 137 ff.; Frommel 2012: S. 152 ff. Foucault 1976. Dazu Hassemer 2006: S. 130 ff.; Kunz 2010: S. 13 f. http://www.polizei-beratung.de/ueber-uns.html (abgerufen am 25.10.2013). Lehne/Schlepper 2007: S. 122.

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Zusammenfassend besehen lässt sich daher konstatieren, dass das Feld sozialer Kontrolle heute wesentlich durch das Prinzip der Prävention geprägt ist, auch wenn es sich nur um eine Logik neben anderen in diesem Feld handelt. Die Gründe für diese Bedeutung, die die neueren Formen der Prävention nicht nur im Bereich sozialer Kontrolle erlangt haben, liegen in dem größer werdenden Bedürfnis nach Sicherheit, danach Bedrohungen und potentielle Schädigungen beherrschbar zu machen11, sowie in einer Tendenz der Effektivierung und Ökonomisierung. Sie stehen somit in Verbindung mit gesellschaftlichen Transformationen in der späten Moderne.12 II. TECHNIKEN DER PRÄVENTION Seit den 1970er Jahren und nochmals verstärkt seit den 1990er Jahren13 hat der Gedanke der Prävention in beeindruckender Breite und Diversität Eingang in den Bereich sozialer Kontrolle gefunden, wie schon alleine ein Blick auf den Wikipedia-Eintrag zur Kriminalprävention zeigt. Nach und neben Formen der tertiären Kriminalprävention, die wie die Strafe an vergangene Geschehensabläufe anknüpfen und auf die konkrete Wiederholungsgefahr abzielen, spielen dabei die Spielarten der primären und vor allem der sekundären Kriminalprävention eine immer stärkere Rolle:14 Techniken der primären Prävention sind eher unspezifisch, anlassunabhängig auf allgemeine Vorbeugung in Form der Beeinflussung angenommener allgemeiner Risikofaktoren fokussiert.15 Sie richten sich also an die Allgemeinheit bzw. bestimmte Kreise der Bevölkerung und suchen Faktoren zu beeinflussen, die auf längere Sicht die Wahrscheinlichkeit abweichenden Verhaltens senken sollen, etwa in den Bereichen Sozialisation, Ausbildung und Lebensbedingungen.16 Sekundäre Kriminalprävention meint demgegenüber die anlassbezogene Intervention bei als risikohaft eingestuften Situationen, Strukturen oder Personen, Täter wie Opfer.17 Auch hier sind die Techniken der Prävention sehr unterschiedlicher Art. Sie reichen von der polizeilichen Beratung, die systematisch in den 1960er Jahren begann,18 über die Vermittlung und den Einsatz von Schutzmitteln, wie Wegfahrsperren und Alarmanlagen, bis hin zur polizeilichen Gefahrenabwehr.19 Innerhalb dieser drei Präventionsformen, deren Übergänge fließend sind, lassen sich ganz unterschiedliche Arten von Techniken finden – sowohl gestaltende 11 S. Zedner 2007: S. 262. 12 Bauman 1998: S. 14 ff.; Singelnstein/Stolle 2012: S. 25 ff.; s. auch den Beitrag von Legnaro in diesem Band. 13 Meier 2010: § 10 Rn. 3; s. auch bereits Albrecht 1986. 14 Zu den Kategorien Pütter 2007: S. 3 ff. 15 Schwind 2011: § 1 Rn. 21 f. 16 Meier 2010: § 10 Rn. 14. 17 Schwind 2011: § 1 Rn. 21 f. 18 http://www.polizei-beratung.de/ueber-uns.html (abgerufen am 25.10.2013). 19 Meier 2010: § 10 Rn. 15.

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als auch überwachende, abschreckende wie anreizende und integrierende, kontrollierende wie ausschließende. Techniken situativer oder struktureller Prävention etwa sollen durch Umweltveränderungen bestimmte Verhaltensweisen – Störungen, Belästigungen, Straftaten – an den jeweiligen Orten erschweren oder unmöglich machen.20 In diese Kategorie gehören stadtplanerische Maßnahmen – wie das Bemalen von weißen Wänden gegen Graffiti, das Entfernen von Sitzbänken aus dem öffentlichen Raum gegen die Ansammlung von (unerwünschten) Personen sowie die räumliche Eingrenzung von Räumen – ebenso wie technische Hilfsmittel, etwa Alarmanlagen und Lenkradschlösser. Auch Formen der präventiven Überwachung betreffen Situationen oder Orte, denen eine gewisse Risikoträchtigkeit zugeschrieben wird. Diesen Risiken soll durch Videoüberwachung, der eine präventive Wirkung beigemessen wird, durch verdachtsunabhängige Kontrollen, die nach vielen Polizeigesetzen an so genannten „gefährlichen Orten“ möglich sind, wie auch durch private Sicherheitsdienste begegnet werden. In den USA arbeitet die Polizei in verschiedenen Städten mit Formen des so genannten Predictive Policing: Hier bestimmen Computer anhand der vielfältigen Daten, mit denen sie gefüttert werden, wie hoch in welchen Gegenden die Wahrscheinlichkeit für abweichendes Verhalten ist. Anhand der Ergebnisse dieser Berechnungen wird der Einsatz der Streifenpolizisten ausgerichtet.21 Eher auf Personen als auf Situationen gerichtet sind Techniken eines präventiven Ausschlusses.22 Dies umfasst unterschiedliche Formen der Freiheitsentziehung, wie den nach einer Vielzahl von Polizeigesetzen mittlerweile möglichen vorbeugenden Gewahrsam oder die neben einer Freiheitsstrafe mögliche Maßregel der Sicherungsverwahrung. Präventiver Ausschluss kann aber auch in der Form der Entziehung von (sonstigen) gesellschaftlichen Partizipationsmöglichkeiten erfolgen, etwa durch polizeirechtliche Aufenthaltsverbote und Platzverweise für bestimmte Personen an bestimmten Orten. Und auch die Terrorlisten bspw. der EU, auf denen Terrorverdächtige festgehalten werden, können für die Betroffenen angesichts der damit verbundenen Folgen – beispielsweise Einfrieren von Bankkonten – gesellschaftlichen Ausschluss bedeuten.23 Eher eine spezifische Organisationsform als eine bestimmte Technik bedeutet die so genannte kommunale Kriminalprävention. Auf kommunaler Ebene haben sich seit Beginn der 1990er Jahre vergleichsweise flächendeckend lokale Präventionsgremien herausgebildet, in denen Vertreter staatlicher und privater Institutionen die Möglichkeiten der Kriminalprävention ausloten und zu verbessern suchen.24 Ein besonderes Ziel dieser Initiativen besteht darin, Bürger zu aktivieren, sie in die Präventionsarbeit einzubinden, was in der Praxis jedoch nur beschränkt zu gelingen scheint.25 20 S. Singelnstein/Stolle 2012: S. 66 ff. 21 S. z.B. http://www.spiegel.de/netzwelt/web/in-santa-cruz-sagen-computer-verbrechen-vorausa-899422.html (abgerufen am 25.10.2013). 22 S. Bauman/Lyon 2013: S. 80 ff.; Singelnstein/Stolle 2012: S. 66 ff. 23 Singelnstein 2010. 24 Dazu Steffen 2004. 25 Lehne/Schlepper 2007: S. 124.

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III. VERÄNDERTER ZUGRIFF SOZIALER KONTROLLE Die zunehmende Bedeutung dieser neueren präventiven Logik führt zu einem in verschiedener Hinsicht veränderten Zugriff sozialer Kontrolle. Zunächst erfordern vorbeugende Maßnahmen, die unmittelbar und systematisch abweichendem Verhalten vorbeugen sollen, Kenntnisse darüber, wo und wie solche Verhaltensweisen auftreten werden. Grundlage präventiver Maßnahmen ist damit eine Prognose, die anhand der Kategorie des Risikos als berechenbarer Größe vorgenommen wird.26 Es wird festgestellt und errechnet, ob bestimmte Situationen, Strukturen oder Personen Risikofaktoren aufweisen, die zukünftiges abweichendes Verhalten statistisch betrachtet wahrscheinlicher machen.27 Das Risiko ist dabei kein Zustand, der konkreten Gefahren oder Schädigungen einfach vorgelagert wäre, sondern eine gänzlich andere Art der Betrachtung. Anders als die Gefahr lässt sich das Risiko vorausberechnen, bleibt jedoch hinsichtlich seiner Schadenstendenz unbestimmt und vage. Es ist eine bestimmte Art und Weise, um Realität erfassbar, berechenbar und damit beeinflussbar zu machen.28 Risiken werden vor allem situations- oder gruppenspezifisch definiert, so dass nicht der Einzelne als Problem angesehen wird, sondern Situationen, Strukturen oder die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe. Für diejenigen, die von der Norm der Mehrheit abweichen und so bestimmte Risikofaktoren aufweisen bedeuten diese Sicherheitsstrategien, die derart mit sozialer Kategorisierung und Klassifizierung arbeiten, Unsicherheit und Verunsicherung.29 Die Berechnung von Risiken erfordert zum einen erhebliches Datenmaterial, um überhaupt errechnen zu können, welche Faktoren als risikohaft eingestuft werden können.30 Wenn solche Faktoren ermittelt sind, müssen diese in der Praxis zum anderen auch identifiziert werden. Es müssen also Informationen über etwaige risikoträchtige Situationen, Orte oder Personen gesammelt, zusammengeführt und ausgewertet werden.31 Hierbei erweist sich erstens als problematisch, dass für die meisten Formen abweichenden Verhaltens gar keine ausreichenden Erklärungsmodelle existieren32, mittels derer sich hinreichend präzise Risikofaktoren extrahieren ließen.33 Das Risiko ist zwar nicht Spekulation, aber eben auch keine exakte Berechnung, sondern eher eine Schätzung.34 Zweitens kehrt sich in dieser Perspektive eine vormalige Grundannahme sozialer Kontrolle um. Es geht nicht mehr darum, einzelne Normabweichungen zu identifizieren und mit diesen umzugehen, sondern bei der Suche nach Risikofaktoren geraten alle Personen, 26 Vgl. Garland 2001: S. 15; Groenemeyer 2003: S. 31 ff.; Frehsee 2003: S. 278 f. 27 Singelnstein/Stolle 2012: S. 34 ff. 28 Vgl. Schmidt-Semisch 2004: S. 222; s. zu den verschiedenen Verwendungen des Konzepts auch Höffler 2012. 29 Bauman/Lyon 2013: S. 134. 30 Pütter 2007: S. 10. 31 Singelnstein 2010. 32 May 2007: S. 94. 33 S. auch Zedner 2012: S. 31 ff. 34 Legnaro 2012: S. 49 f.

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Situationen und Verhaltensweisen als potentiell risikohaft in den Blick – wie die Enthüllungen über die massiven Datensammlungen der NSA in jüngerer Zeit eindrucksvoll vor Augen geführt haben. Die Produktion von Wissen als Grundlage der Risikoprognose kennt insofern keine Grenzen.35 Drittens produziert diese Perspektive mit ihrem Streben nach möglichst genauer Prognose und Erfassung von Risikofaktoren ständig neue Risiken.36 Weiterhin ändert sich der Zeitpunkt des Eingreifens sozialer Kontrolle. Im Zentrum stehen weder unspezifische gesellschaftliche Bedingungen weit im Vorfeld abweichenden Verhaltens, bei denen die Maßnahmen nur selten grundrechtlich geschützte Positionen tangieren, wie dies bei vielen Formen der primären Prävention der Fall ist. Noch stellen bereits eingetretene Normverstöße den Anknüpfungspunkt für Eingriffe dar, wie es bei Formen der tertiären Prävention und klassisch etwa beim Strafrecht der Fall ist. Stattdessen setzen die neueren präventiven Techniken bei als risikohaft identifizierten Personen und Situationen an und greifen damit deutlich früher und breiter ein als Maßnahmen des klassischen Polizei- oder Strafrechts.37 Zu diesem Zweck werden rechtliche Bindungen vor allem für staatliche Akteure zurückgenommen bzw. eingeschränkt, da sie früher und umfassender tätig werden können sollen. So ist heute der gesetzliche Auftrag der Polizei nicht auf die Strafverfolgung und die Abwehr konkreter Gefahren beschränkt. Sie kann auch zur „Gefahrenvorsorge“ und zur „vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten“ tätig werden.38 Paradigmatisch für diese Entwicklung steht das so genannte Intelligence-led Policing, also die proaktive Aufklärung bestimmter gesellschaftlicher Bereiche, um Gefahren und bevorstehende Straftaten zu entdecken, bevor sie sich konkretisieren bzw. begangen werden. In Deutschland manifestiert sich dies in den verschiedenen Zentren, in denen Polizei, Geheimdienste und weitere Sicherheitsbehörden ihre Arbeit koordinieren sowie Informationen austauschen und auswerten. Nach dem Modell des 2004 geschaffenen Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrums (GTAZ) wurden in den folgenden Jahren das Gemeinsame Analyse- und Strategiezentrum illegale Migration (GASIM), das Nationale Cyber-Abwehrzentrum (NCAZ) und das Gemeinsames Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) eingerichtet. Recht büßt in diesem Kontext seine begrenzende Wirkung ein.39 Die Eingriffsschwellen sind nicht nur erheblich herabgesetzt und ins Vorfeld verlagert, wenn statt einer konkreten Gefahr (für Eingriffe der Polizei zur Gefahrenabwehr nach den Polizeigesetzen) oder eines hinreichenden Tatverdachts (für Eingriffe der Strafverfolgungsbehörden nach der Strafprozessordnung) eine abstrakte Risikoeinschätzung ausreichend ist – etwa wenn eine bestimmte Gegend von der Polizei als „gefährlicher Ort“ eingestuft wird und dort verdachtsunabhängige Kontrollen vorgenommen werden. Zugleich sind damit Eingriffsnormen weniger 35 36 37 38 39

Bröckling 2004: S. 211. Vgl. Castel 2005: S. 11 f.; Frehsee 2003: S. 278 f. Singelnstein/Stolle 2012: S. 66 ff. S. Eisenberg 2005: S. 276 ff. May 2007: S. 93 m.w.N.

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bestimmt gefasst, da Risiken eine sehr viel unklarere Eingriffsschwelle bedeuten. Dies führt auch dazu, dass eine gerichtliche Überprüfung exekutiven Handelns weniger wirksam möglich ist.40 Zusammengenommen führt die präventive Ausrichtung sozialer Kontrolle somit nicht nur zu einer Ausweitung von Eingriffen in das Vorfeld konkret gefährlicher oder Rechtsgüter verletzender Verhaltensweisen. Sie räumt zudem auch der Exekutive deutlich umfangreichere Spielräume ein, die flexibel genutzt werden und nur sehr eingeschränkt kontrollierbar sind. Sodann sind neuere präventive Techniken sehr um die Einbeziehung Privater bemüht.41 Kriminalprävention wird – etwa von der Polizei – gar als „gesamtgesellschaftliche Aufgabe“42 verstanden; die Formen kommunaler Kriminalprävention zielen explizit auf eine Einbeziehung von Bürgern in die lokale Präventionsarbeit; Beratungsangebote und Präventionskampagnen sollen die Bürger dazu anregen, in ihrem eigenen Lebensbereich selbst für Prävention zu sorgen. Diese Formen wollen eine Responsibilisierung und Einbeziehung jedes Einzelnen erreichen, sich an der ständigen Prävention von Abweichung zu beteiligen.43 Dies bedeutet nicht nur eine Ausweitung sozialer Kontrolle, die nicht selten einen Verlust an rechtlichen Garantien und Kontrollmöglichkeiten darstellt.44 Es handelt sich auch um eine Form der Aktivierung und Selbstregulierung. Der Einzelne wird dazu angehalten, in seinen eigenen Lebensbereichen präventiv tätig zu sein, für Sicherheit zu sorgen. Diese Delegation vormals staatlicher Aufgaben auf gesellschaftliche und private Akteure stellt indes keine Privatisierung im eigentlichen Sinn dar. Vielmehr meinen diese neueren Sicherheits- und Kontrollarrangements eine andere Form der Steuerung, die als „Regieren aus Distanz“ bezeichnet worden ist. Die Freiheiten, die den Privaten im Bereich der Kriminalprävention eingeräumt sind, um eine gesellschaftliche Eigendynamik anzuregen, sind danach insofern begrenzt, als die Rahmenbedingungen für die delegierten Aufgaben in der Hand des Staates verbleiben, der auf diesem Wege die Aufgabenerfüllung durch die Privaten beeinflussen kann.45 Die diesbezüglichen Vorgaben stellen Leitlinien für eine Selbstführung dar,46 eine implizite Anleitung zur Selbstregelung des eigenen Lebens anstelle einer offensiven Vermittlung normativer Vorgaben, an der sich der Einzelne orientieren soll. Der Schwerpunkt dieser Lenkung liegt nicht auf der Unterdrückung unerwünschter Verhaltensweisen, sondern in der Leitung des Einzelnen hin zu erwünschten Verhaltensweisen, die dieser selbst gestaltet.47

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May 2007: S. 100 ff.; Singelnstein 2010. Kunz 2010: S. 20. http://www.polizei-beratung.de/ueber-uns.html (abgerufen am 25.10.2013). Krasmann 2003: S. 266 ff.; Garland 1996: S. 452 ff.; Singelnstein 2007: S. 123 f.; empirisch skeptisch Schlepper/Peter/Lüdemann 2011, die für Hamburg nur einen geringen Niederschlag in Handlungspraxen der Bevölkerung feststellen konnten. Sieber 2007: S. 42 f. Dazu Krasmann 1999: S. 109 ff. S. dazu auch den Beitrag von Legnaro in diesem Band. Singelnstein/Stolle 2012: S. 76.

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Sicherheitsproduktion in diesem Sinne bedeutet eine „permanente gesellschaftliche Anstrengung, ein Regime des täglichen sozialen Lebens“48. Die präventive Logik hat somit in den zurückliegenden Jahrzehnten diverse Formen einer außerstrafrechtlichen Sozialkontrolle geprägt, die sowohl durch staatliche Instanzen als auch durch Private getragen werden – auch wenn diese Formen in der Praxis noch nicht so bedeutsam geworden sind, wie dies im angloamerikanischen Raum der Fall ist.49 Zwei Entgrenzungen springen dabei besonders ins Auge. Einerseits entledigt sich staatliches Handeln gewisser rechtlicher Bindungen, wenn Eingriffe vorverlagert und Datensammlungen zur Prognose geschaffen werden müssen. Andererseits delegiert der Staat soziale Kontrolle in Teilen an seine Bürger. Dies meint nicht die überkommene soziale Kontrolle im sozialen Nahraum, sondern eine deutlich umfassendere Responsibilisierung, im eigenen Leben für Sicherheit zu sorgen. Es handelt sich hierbei um einen Wandel, der als human und schonend erscheint, wenn auf die geringere Eingriffsintensität einzeln betrachteter präventiver Maßnahmen sowie auf den besseren Opferschutz verwiesen wird. Er steht jedoch ebenso für eine Effektivierung und Ausweitung sozialer Kontrolle.50 Anders als die Disziplinierung, die die Internalisierung von Normen verlangt und Verstöße gegen diese Normen ahndet, überzieht die Prävention die Gesellschaft mit einem Netz von – in Teilen subtilen und manipulativen – Techniken, die Risikofaktoren bestimmen, erkennen und neutralisieren sollen. Dieses Projekt, die Zukunft nach Vorstellungen von heute zu gestalten, hat nicht nur einen systematischen, umfassenden Charakter, sondern ist auch schier endlos. Prävention ist nie ausreichend, kann immer noch weitergehen, ist immer noch früher möglich und findet stets noch weitere Risikofaktoren.51 IV. PRÄVENTION ALS LOGIK IM STRAFRECHT Auch im Strafrecht ist die präventive Idee nicht auf die Strafzwecke beschränkt geblieben, anhand derer die Idee der Nützlichkeit in Form einer eher mittelbar gedachten präventiven Wirkung Eingang in das Strafrecht gefunden hat. Insbesondere seit Beginn der 1990er Jahre sind hier an verschiedenen Punkten Ansätze einer unmittelbaren Prävention zu beobachten, die also darauf gerichtet sind, mehr oder weniger direkt zukünftiges abweichendes Verhalten zu verhindern.52 Das Strafrecht wird für die unmittelbare Lösung konkreter Probleme instrumentalisiert,53 die Sanktionierung eines Normverstoßes zur Erreichung von Konformität in der Zukunft rückt eine Stück weit in den Hintergrund. Auch hier setzt sich damit schrittweise eine polizeiliche Logik durch, die das zuvor prägende Konzept 48 Legnaro 1997: S. 271. 49 Lehne/Schlepper 2007: S. 126 f. 50 Singelnstein 2007: S. 123; Bauman/Lyon 2013: S. 80 ff.; 133 ff. zeigen, welche massiven Auswirkungen präventive Maßnahmen für die Betroffenen haben können. 51 Singelnstein/Stolle 2012: S. 34 ff., 38 ff. 52 Sieber 2007: S. 29. 53 Hassemer 2006: S. 132 f.

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von Schuld und Sühne überlagert und den Blick umkehrt, ihn auf zukünftiges Geschehen richtet.54 Auf der Suche nach präventiven Aspekten im Strafrecht liegt zunächst der Blick auf die Sanktionen nahe. Mit den Maßregeln der Besserung und Sicherung kann das Strafrecht eine ganze Gruppe sehr verschiedener Sanktionen vorweisen, die bereits seit jeher auf die Vorbeugung von Rechtsgutsverletzungen in der Zukunft gerichtet sind. Sie sanktionieren nicht einen zurückliegenden Normverstoß, sondern sind eigentlich Instrumente der Gefahrenabwehr. So knüpft etwa die Sicherungsverwahrung nicht vorrangig an begangenes Unrecht an, sondern an eine gutachterliche Prognose über die Gefährlichkeit in der Zukunft.55 Gleichwohl lässt sich auch an diesen Sanktionen das zunehmende Gewicht der präventiven Logik in der jüngeren Vergangenheit erkennen, namentlich in der Bedeutungszunahme, die etwa Führungsaufsicht und stationäre Maßregeln seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre erfahren haben.56 In der öffentlichen Debatte stand dabei ganz die Sicherungsverwahrung im Vordergrund, die anlässlich einzelner spektakulärer Kriminalfälle seit Ende der 1990er Jahre massiv ausgeweitet worden ist. Dies gilt sowohl für die gesetzlichen Möglichkeiten der Anordnung von Sicherungsverwahrung, als auch für die tatsächliche Anordnungspraxis, die seit Mitte der 1990er Jahre angestiegen ist. Demzufolge ist die Zahl der Sicherungsverwahrten von 183 im Jahr 1995 auf 475 im Jahr 2013 gestiegen.57 Ähnliche Steigerungen zeigen sich bei den anderen freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung, also der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus und in der Entziehungsanstalt, die sehr viel häufiger angeordnet werden als die Sicherungsverwahrung. Für diese hat sich die Zahl der jährlichen Anordnungen zwischen 1995 und 2004 etwa verdoppelt.58 Im materiellen Strafrecht kann vor allem die Vorverlagerung der Strafbarkeit in das Vorfeld der Rechtsgutsverletzung als Ausdruck einer präventiven Logik gelesen werden.59 Neben der zunehmenden Zahl abstrakter Gefährdungsdelikte, die also abstrakt gefährliche Handlungen unter Strafe stellen, ohne dass es auf den Eintritt einer konkreten Gefahr oder gar einen Erfolgseintritt ankäme, nimmt auch die Bedeutung von Vorbereitungsdelikten zu. Die entsprechenden Tatbestände, die sich nicht mehr nur als Ausnahme in einzelnen Deliktsbereichen finden, sollen durch strafrechtliche Intervention im Vorbereitungsstadium Rechtsgutsverletzungen, deren Eintritt bei ungehindertem Fortgang prognostiziert wird, vor ihrem Eintritt verhindern.60 In diesen Fällen geht es also nicht um psychisch vermittelte Prävention weiterer Rechtsgutsschädigungen etwa durch Abschreckung, sondern 54 In diese Richtung Krauß 2011: S. 380; Hassemer 2006: S. 139 ff. benennt sie als Form der Gefahrenabwehr. 55 S. hierzu den Beitrag von Drenkhahn in diesem Band; zur Praxis Eisenberg 2005: § 34 Rn. 57 ff. 56 S. etwa Kunz 2010: S. 17. 57 Statistisches Bundesamt 2010, 2013, jeweils Tab. 1.1. 58 S. Bundesministerium des Inneren/Bundesministerium der Justiz 2006: S. 578 f. 59 Naucke 1993: S. 145; Singelnstein 2011: S. 13. 60 Sieber 2007: S. 27 ff.; zu den Hintergründen Zabel 2011: S. 32 ff.

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um eine konkrete, unmittelbare Intervention.61 So stellen etwa die 2009 eingeführten §§ 89a, 89b des Strafgesetzbuches unter Strafe, sich in einem „Terrorcamp“ ausbilden zu lassen bzw. hierfür Kontakt zu einer entsprechenden Organisation aufzunehmen. Damit pönalisieren sie zwar eine Handlung in der Vergangenheit. Eigentlicher Strafgrund ist aber die Verhinderung von daraus eventuell folgenden Taten in der Zukunft. Auch der Stalking-Straftatbestand des § 238 des Strafgesetzbuches stellt zwar bestimmte Nachstellungshandlungen unter Strafe. Die Begründung hierfür nimmt aber auch Bezug auf schwerere Rechtsgutsverletzungen, die sich als weitere Folge aus solchen sozialen Konstellationen ergeben können. Ebenso hat das präventive Prinzip im Strafprozessrecht Spuren in Form verschiedener Entwicklungen hinterlassen. So nimmt etwa die Bedeutung der so genannten Strafverfolgungsvorsorge zu. Hierunter werden Maßnahmen verstanden, die für eine erst in der Zukunft möglicherweise anstehende Strafverfolgung vorgenommen werden, vor allem Datensammlungen.62 Neben der klassischen erkennungsdienstlichen Behandlung nach § 81b der Strafprozessordnung lassen sich etwa auch die Speicherung von „genetischen Fingerabdrücken“ in der DNAAnalysedatei nach § 81g der Strafprozessordnung sowie sonstige Dateien zur Strafverfolgungsvorsorge (§ 484 der Strafprozessordnung) und die kontrovers diskutierte Vorratsdatenspeicherung in diesen Bereich zählen. Weiterhin wurden in den vergangenen Jahrzehnten die Eingriffsbefugnisse der Strafverfolgungsbehörden erheblich ausgeweitet, vor allem im Bereich heimlicher Ermittlungsmaßnahmen.63 In der Praxis werden diese Befugnisse in bestimmten Deliktsbereichen nicht allein oder vorrangig zur Ermittlung und Beweissicherung für ein Strafverfahren eingesetzt, sondern durchaus auch zur Intervention in einem präventiven Sinne. Entsprechende Eingriffe zielen etwa im Bereich der „Organisierten Kriminalität“ mitunter eher auf eine Ausforschung und Zerstörung von Strukturen, als auf die Sammlung von Beweismitteln für einen konkreten Straftatvorwurf.64 Schließlich kann auch der grundlegende Wandel bei der Verfahrenserledigung im Strafrecht als Ausdruck der Prävention gesehen werden. Die große Masse der Beschuldigten wird heute in entformalisierten Verfahrensweisen bearbeitet, die strafrechtliche Hauptverhandlung ist zur Ausnahme geworden. Etwa die Hälfte der potentiell anklagefähigen Ermittlungsverfahren wird durch die Staatsanwaltschaften im Wege der Opportunitätseinstellung nach den §§ 153, 153a der Strafprozessordnung erledigt, kommt also in der Regel nicht bis zum Gericht, sondern wird schon durch die Staatsanwaltschaft wegen Geringfügigkeit oder gegen Auflagen eingestellt.65 Ein ganz erheblicher Teil der erfassten leichten und mittelschweren Kriminalität wird also gar nicht mit echten Sanktionen geahndet, nicht mehr wirklich strafrechtlich verfolgt. Statt eine materielle Entkriminalisierung bei 61 62 63 64 65

Puschke 2010: S. 25 f. S. etwa BVerwG NVwZ 2012, S. 757, 759 ff. zur Videoüberwachung. Gercke 2012: Vor §§ 94 ff. Rn. 1; Wohlers 2010: Vor §§ 94 ff. Rn. 6. Albrecht 2010: S. 184; Krauß 2011: S. 381. S. zur Empirie Bundesministerium des Inneren/Bundesministerium der Justiz 2006: S. 540 ff.; Albrecht 2010: S. 207 f.

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den hier vorherrschenden Tatbeständen vorzunehmen, bleiben die Verhaltensweisen gleichwohl pönalisiert und gelangen in den Prozess der Strafverfolgung. Hier dienen sie dann jedoch weniger als Anlass für eine Sanktionierung, sondern eher der Datensammlung für künftige Prognosen sowie insbesondere der Entdeckung und Erfassung von Wiederholungstätern, die sanktioniert oder mit anderen Maßnahmen sozialer Kontrolle bearbeitet werden.66 Somit hat sich die Logik der Prävention auch im Strafrecht in verschiedener Form niedergeschlagen.67 Nachdem bereits in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts die Strafzwecke dem Diktum der Nützlichkeit unterstellt und die Maßregeln der Besserung und Sicherung mit ihrer präventiven Ausrichtung eingeführt worden waren, zeigen sich in den zurückliegenden Jahrzehnten Aspekte einer unmittelbarer wirkenden, umfassenden Prävention. Diese macht sich hier allerdings deutlich anders bemerkbar als im außerstrafrechtlichen Bereich, nachdem sie im Strafrecht auf eine recht festgefügte, lange gewachsene Praxis trifft, die stark reguliert und formalisiert ist. Dies führt dazu, dass Veränderungen sich vergleichsweise langsam und verzögert vollziehen, zumal das Prinzip der Prävention hier auf verschiedene andere Logiken trifft, die ihr in Teilen entgegengesetzt sind, und sich mit diesen verschränkt. So ist das Strafrecht repressiv ausgerichtet und knüpft an Geschehensabläufe in der Vergangenheit an – es ist wenn man so will das Gegenstück zur modernen Kriminalprävention. Ebenso ist das rechtsstaatliche Strafrecht wie es sich in Deutschland herausgebildet hat stark rechtlich reguliert und sieht enge formale Grenzen und Verfahren vor.68 Es soll als ultima ratio so bestimmt wie möglich und entsprechend der verwirklichten Schuld strafen, wenn konkret bestimmte Rechtsgüter verletzt werden. Dies verlangsamt nicht nur Veränderungsprozesse, sondern steht auch im Gegensatz zu den modernen, fluiden, flexiblen Formen neuerer kriminalpräventiver Techniken. Unbeschadet dessen lassen sich bestimmte Entwicklungen, die die Kriminalprävention kennzeichnen, in veränderter Form auch im Strafrecht finden. So zeigen sich auch dort Tendenzen einer rechtlichen Entgrenzung und Entformalisierung. Die strengen, den staatlichen Zugriff begrenzenden Formen des Strafrechts, die dem Beschuldigten eine gewisse Rechtsposition gewähren, werden schrittweise aufgeweicht, wenn ein Großteil der Verfahren in entformalisierten Verfahrensweisen erledigt wird, wenn die Strafbarkeit vorverlagert wird, wenn neu geschaffene Rechtsgüter sehr unkonkret bleiben, wenn Datensammlungen für eine mögliche Strafverfolgung in der Zukunft angelegt und umfassende Ermittlungsbefugnisse zur Intervention genutzt werden. Die Förmlichkeit des Strafverfahrens, das Prinzip der Amtsermittlung und die Unschuldsvermutung sind hierdurch ebenso in Frage gestellt bzw. geschwächt wie der Bestimmtheitsgrundsatz im materiellen Strafrecht.69 Gerade die Unbestimmtheit strafrechtlicher Tatbestände, die sich in der Zunahme von unbestimmten Tatbestandsmerkmalen, Generalklauseln und 66 67 68 69

Singelnstein 2011: S. 12. S. dazu auch Hassemer 2006: S. 135 ff. Gercke/Temming 2012: Einleitung Rn. 4 ff. Kunz 2010: S. 18.

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Blanketttatbeständen zeigt,70 lässt den schützenden und staatliche Eingriffe begrenzenden Charakter, der strafrechtlichen Regelungen auch zukommt, verschwinden.71 V. STRAFRECHT ALS BESTANDTEIL PRÄVENTIVER SOZIALKONTROLLE Wenngleich die Logik der Prävention das Strafrecht somit ein Stück weit kolonisiert hat, bleibt das Strafrecht doch als eigenständiges und besonderes System sozialer Kontrolle erhalten. Private und staatliche Kriminalprävention sowie das Strafrecht können somit als verschiedene Regime sozialer Kontrolle angesehen werden, in denen sich die präventive Logik auf jeweils spezifische Art etabliert hat. Dies verändert zugleich das Verhältnis der verschiedenen Regime untereinander.72 Für das Strafrecht bedeutet die Entwicklung zunächst, dass die ohnehin nur als Vorstellung bestehende Idee einer umfassenden Ahndungspraxis in den Hintergrund tritt. Statt alle strafbaren Verhaltensweisen zu erfassen und zu bearbeiten, soll das Strafrecht gezielter eingesetzt werden. Der klassische strafrechtliche Zugriff mittels Anklage, Hauptverhandlung, Urteil und Sanktion bleibt zunehmend den als schwerwiegend eingestuften Abweichungen und bestimmten Arten von Beschuldigten vorbehalten, wie sich in der Entwicklung der strafrechtlichen Erledigungspraxis, insbesondere den hohen Einstellungsquoten zeigt. Auch der Freiheitsentzug für diese dem Strafrecht zugewiesenen, als gefährlich eingestuften Angeklagten kann dabei als Form der unmittelbaren Prävention angesehen werden. Nachdem sich die Resozialisierung als Strafzweck in der Defensive befindet, wird der negativen Spezialprävention nicht nur in der öffentlichen Debatte eine stärkere Bedeutung beigemessen, tritt die Besserung gegenüber der Unschädlichmachung in den Hintergrund.73 Umgekehrt wird die Masse der leichten und mittleren Kriminalität verstärkt als Bereich angesehen, der der privaten wie auch staatlichen Kriminalprävention überantwortet ist74, die nicht derart engen rechtlichen Grenzen wie das Strafrecht untersteht. Auf diesem Weg steht sozialer Kontrolle ein ausdifferenzierteres System an Techniken für den Umgang mit Abweichung zur Verfügung.75 Über diesen klassischen Bereich hinaus kommt dem Strafrecht aber auch weiterhin eine symbolische, normative Funktion zu. Es stellt die wesentlichen normativen Vorgaben bereit, die auch anderen Formen des Umgangs mit Abweichung als Grundlage dienen, auch wenn sie wie die Techniken der Kriminalprävention Naucke 1999: S. 344. Naucke 1993: S. 158. Singelnstein/Stolle 2012: S. 69 ff. S. Zedner 2007: S. 265 zu Großbritannien: Das Gefängnis weniger als Instrument der Strafe denn der Verwahrung. 74 S. zu dieser Aufgabenteilung auch den Beitrag von Legnaro in diesem Band. 75 Singelnstein/Stolle 2012: S. 70 f. 70 71 72 73

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nicht auf die Verinnerlichung eines Normappells zielen, sondern die Aktivierung und Ausrichtung des eigenen Verhaltens an bestimmten Vorgaben zu erreichen suchen. Auch diese flexiblen, fluiden neueren Formen sozialer Kontrolle, die sich der Beschränkung durch Formalien und rechtliche Regulierung zu entledigen suchen, sind auf diese inhaltliche Orientierung angewiesen. Ein anschauliches Beispiel für diese Entwicklung im Gefüge der verschiedenen Formen sozialer Kontrolle ist der Bereich der Compliance im Wirtschaftsleben, der in den vergangenen Jahren stark an Bedeutung gewonnen hat. Hierunter werden private, unternehmensinterne Strukturen zur Prävention und Aufdeckung von Fehlverhalten, insbesondere von strafbarem Verhalten verstanden, wie etwa besondere Abteilungen oder Beauftragte, unternehmensinterne Regelwerke und Arbeitsabläufe, deren Strukturierung abweichendem Verhalten entgegenwirken soll.76 Gerade im Wirtschaftsstrafrecht sind die Strafverfolgungsbehörden angesichts ihrer eingeschränkten Ressourcen nur zu eher punktuellen Interventionen in der Lage.77 Der massive Auf- und Ausbau von Compliance-Strukturen in den vergangenen Jahren kann somit als Ausdruck einer Vorverlagerung und Privatisierung sozialer Kontrolle im kriminalpräventiven Sinne interpretiert werden.78 Diese Aktivierung und Responsibilisierung Privater steht aber gleichwohl in enger Verbindung mit den normativen Vorgaben des Strafrechts und der hinter diesen stehenden Strafdrohung – zumal auch ungenügende Compliance-Bemühungen unter Umständen eine Strafbarkeit nach sich ziehen können. Es handelt sich also um neuartige, präventiv orientierte Regulierungsregime, die aber in einem „wechselseitigen Arrangement“ (Ralf Kölbel) mit dem Strafrecht verbunden sind. Zwar weisen nicht alle präventiven Formen sozialer Kontrolle eine derart direkte Verbindung zu den Normsetzungen des Strafrechts auf. Diese stellen aber jedenfalls einen grundlegenden Maßstab bereit, aus dem sich auch Ordnungsvorstellungen und Leitlinien der Selbstführung speisen können. Somit verändert sich das Strafrecht als Bestandteil einer präventiv ausgerichteten Sozialkontrolle auf verschiedene Weise. Einerseits wird es an verschiedenen Punkten selbst durch die Logik der Prävention geprägt, die sich als polizeiliche interpretieren lässt, und wandelt sich auf diese Weise. Andererseits verändert sich seine Rolle im Gefüge der verschiedenen Regime sozialer Kontrolle. Der Staat nimmt seinen unmittelbaren, reaktiv ausgerichteten Steuerungsanspruch ein Stück weit zurück und begrenzt ihn auf als schwerwiegend eingeordnete Abweichungen und als gefährlich betrachtete Täter. Auf der anderen Seite gewinnen Formen sozialer Kontrolle an Bedeutung, die vergleichsweise umfassend und systematisch abweichendem Verhalten vorbeugen sollen. Auch wenn diese Formen vielfach über eine Responsibilisierung der Individuen agieren, greifen sie dabei doch auf die normativen Grundlegungen des Strafrechts zurück.

76 Hierzu Hefendehl 2006; aus systemtheoretischer Perspektive Kölbel 2008; Theile 2008. 77 Meier 2010: § 11 Rn. 22 ff. 78 S. schon Singelnstein 2007: S. 123.

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VI. SCHLUSS Die beschriebene Logik der Prävention hat den Bereich sozialer Kontrolle in den zurückliegenden Jahrzehnten in Deutschland erheblich geprägt. Dies gilt nicht nur für das Strafrecht; neben diesem haben sich vielfältige andere präventive Techniken herausgebildet, die allerdings bislang nicht so dominant geworden sind wie in manchen anderen Ländern, bspw. in Großbritannien. Bei dieser Entwicklung handelt es sich um ein wesentliches Element des grundlegenderen Wandels sozialer Kontrolle, der von vielen Seiten diagnostiziert wird. Dieser Wandel gesellschaftlicher Regulierung ist nicht das Ergebnis veränderter Bedrohungslagen, sondern bedeutet ein anderes Verständnis von und einen anderen gesellschaftlichen Umgang mit Abweichung, Gefahren und Risiken, der auf verschiedene Art und Weise auf gesellschaftliche Veränderungen in den westlichen Gesellschaften in der Spätmoderne zurückgeführt wird79. Während längere Zeit die Internalisierung des Normappells und die Sanktionierung von Normverstößen im Zentrum sozialer Kontrolle standen, gewinnt in der jüngeren Vergangenheit ein Umgang mit Abweichung an Bedeutung, der als Verwaltung gesellschaftlicher Normalität beschrieben wird.80 Abweichung soll durch ein systematisches Netz an kontrollierenden Techniken erschwert oder verhindert werden, die nicht den Normverstoß im Blick haben, sondern als risikohaft eingestufte Personen und Situationen verwaltet, um der Realisierung des Risikos entgegenzuwirken. Dies zeigt sich nicht alleine in den diversen Spielarten der Kriminalprävention und der umfangreichen Responsibilisierung des Einzelnen hierfür. Im Strafrecht bedeutet dieser veränderte Umgang wie gezeigt eine Vorverlagerung der Intervention auf verschiedenen Wegen wie auch eine umfangreiche Sammlung von Daten und Informationen, die als Grundlage für Risikoprognosen und damit für den Einsatz anderer Formen sozialer Kontrolle dienen. Im Zuge dessen verändert sich zugleich die Rolle des Strafrechts im Ensemble sozialer Kontrolle. Diese Entwicklung führt zu einer zweifachen Entgrenzung sozialer Kontrolle. Neben der Privatisierung in dem beschriebenen Sinne, die die Verantwortung für Verhaltensregulierung an die Bürger und private Institutionen delegiert, unterliegen die neueren Formen sozialer Kontrolle auch deutlich geringeren rechtlichen Beschränkungen. Was dabei als Abweichung angesehen und wie dem begegnet wird, ist nicht feststehend sondern fließend, ist nicht Ergebnis öffentlicher Debatten in einem Gesetzgebungsverfahren, sondern wird in intransparenten, mehr oder weniger offiziellen Verfahren, Foren und Gremien geprägt, die öffentlich wie juristisch kaum zu kontrollieren sind.81 Dies ist umso bemerkenswerter, als die präventive Perspektive potentiell grenzenlos ist und sich ihre fortgesetzte Notwendigkeit selbst schafft. So wie im Strafrecht schon die Ausrichtung der Strafzwecke auf die General- und Spezialprävention, auf die Steuerung von Gesellschaft für 79 S. etwa Kunz 2010: S. 16 ff.; Singelnstein/Stolle 2012: S. 25 ff. 80 Singelnstein/Stolle 2012: S. 63 f. 81 Pütter 2007: S. 15.

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eine kontinuierliche Ausweitung des strafrechtlichen Zugriffs gesorgt hat,82 erweitert auch diese neuartigere Präventionsorientierung sozialer Kontrolle deren Zugriffsbereich und den damit verbundenen Steuerungsanspruch erheblich.83 LITERATUR Albrecht, Peter-Alexis, 1986: Prävention als problematische Zielbestimmung im Kriminaljustizsystem. In: Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft 1986, S. 55–86. Albrecht, Peter-Alexis, 2010: Kriminologie. Eine Grundlegung zum Strafrecht, 4. Aufl., München. Bauman, Zygmunt, 1998: Vom gesellschaftlichen Nutzen von Law and Order. In: Widersprüche 18, Heft 4, S. 7–21. Bauman, Zygmunt/Lyon, David, 2013: Daten, Drohnen, Disziplin. Ein Gespräch über flüchtige Überwachung. Berlin. Bundesministerium des Inneren/Bundesministerium der Justiz, 2006: Periodischer Sicherheitsbericht, 2. Aufl., Berlin. Bröckling, Ulrich, 2004: Prävention. In: Bröckling, Ulrich/Krasmann, Susanne/Lemke, Thomas (Hrsg.), 2004: Glossar der Gegenwart, Frankfurt a.M., S. 210–215. Castel, Robert, 2005: Die Stärkung des Sozialen. Hamburg. Eisenberg, Ulrich, 2005: Kriminologie, 6. Aufl., München. Frehsee, Detlev, 2003: Der Rechtsstaat verschwindet. Strafrechtliche Kontrolle im gesellschaftlichen Wandel von der Moderne zur Postmoderne. Gesammelte Aufsätze. Berlin. Foucault, Michel, 1976: Überwachen und Strafen: die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt a.M. Frommel, Monika, 2012: Was bedeutet uns heute noch Franz von Liszt? In: Neue Kriminalpolitik 2012, S. 152–160. Garland, David, 1996: The Limits of the Sovereign State. Strategies of Crime Control in Contemporary Society. In: British Journal of Criminology 36, S. 445–471. Garland, David, 2001: The Culture of Control. Crime and Social Order in Contemporary Society. Oxford. Gercke, Björn/Temming, Dieter 2012: Einleitung. In: Gercke, Björn u.a. (Hrsg.), 2012: Heidelberger Kommentar Strafprozessordnung, 5. Aufl., Heidelberg u. a Gercke, Björn 2012: Vor §§ 94 ff. StPO. In: Gercke, Björn u.a. (Hrsg.), 2012: Heidelberger Kommentar Strafprozessordnung, 5. Aufl., Heidelberg u.a. Groenemeyer, Axel, 2003: Soziale Probleme und politische Diskurse – Konstruktion von Kriminalpolitik in sozialen Kontexten. Soziale Probleme, Gesundheit und Sozialpolitik – Materialien und Forschungsberichte Nr. 3, Bielefeld. Hassemer, Winfried, 2006: Sicherheit durch Strafrecht. In: HRRS 2006, S. 130–143. Hefendehl, Roland, 2006: Corporate Governance und Business Ethics: Scheinberuhigung oder Alternativen bei der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität? In: JZ 2006, S. 119–125. Höffler, Katrin, 2012: Risikokriminologie. In: MschrKrim 95, S. 252–268. Kölbel, Ralf, 2008: Wirtschaftskriminalität und unternehmensinterne Strafdurchsetzung. In: MschrKrim 91, S. 22–37. Krasmann, Susanne, 1999: Regieren über Freiheit. In: Kriminologisches Journal 31, S. 107–121. Krasmann, Susanne, 2003: Die Kriminalität der Gesellschaft. Zur Gouvernementalität der Gegenwart, Konstanz. Krauß, Detlef, 2011: Schuld und Sühne. Einige kritische Bemerkungen zum Strafrecht der Gegenwart. In: Heine, Günter/Pieth, Mark/Seelmann, Kurt (Hrsg.), 2011: Wer bekommt Schuld? Wer gibt Schuld? Gesammelte Schriften von Detlef Krauß, Zürich, Berlin, S. 367–382. 82 Vgl. Naucke 2010: S. 132 ff. 83 S. bereits Albrecht 1986.

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B. KRITIK DER PRÄVENTIONS-KRITIK

SCHULDSTRAFRECHT ODER PRÄVENTIONSSTRAFRECHT? Anmerkungen aus straftheoretischer und verfassungsrechtlicher Perspektive Johannes Kaspar I. KRITIK AM PRÄVENTIONSSTRAFRECHT Wenn vom „Präventionsstaat“ und pars pro toto vom „Präventionsstrafrecht“ gesprochen wird, dann geschieht das oft in kritischer Absicht. Der Zusammenhang von Prävention und Strafrecht wird mit einem aus dem Ruder laufenden staatlichen System in Verbindung gebracht, das keine Grenzen kennt und die Rechte seiner Bürger missachtet. Nichts ist diesem Strafrecht heilig, es erscheint als Instrument kühl kalkulierter Verhaltenssteuerung, als „neutrale Technologie“, bei deren Einsatz die präventive Wirksamkeit mehr interessiere als die „ethische oder rechtliche Seite“.1 „Prävention“ erscheint hier als Chiffre für umfassende und sich stetig ausweitende staatliche Kontrolle mit Tendenz zu nichts anderem als staatlichem Terror.2 Das zeigt sich nicht nur im wissenschaftlichen Diskurs, sondern prägt auch die Debatten im Feuilleton. Nur exemplarisch sei auf einen Artikel von Jörg Häntzschel in der Süddeutschen Zeitung hingewiesen.3 Am Beispiel des ScienceFiction-Filmes „Minority Report“ wird vor der Zukunftsvision des „Pre-Crime“ gewarnt. Gemeint ist damit die totale Überwachung der Bürger und die darauf gestützte Bekämpfung respektive Bestrafung bereits der verbrecherischen Absicht, noch bevor diese nach außen tritt oder gar in die Tat umgesetzt wird. All das wird als naheliegende Vorgehensweise eines „Präventionsstaates“4 präsentiert. Hier geht es also, so kann man die Kritik zugespitzt zusammenfassen, um ein per se expansives, prinzipienloses und letztlich auch illegitimes, in einem Wort: „schlechtes“ Strafrecht. Dabei lassen sich zwei Expansionstendenzen unterscheiden, die mit der präventiven Ausrichtung des Strafrechts in Verbindung gebracht und kritisiert werden: Zum einen die Einführung neuer und Ausweitung bestehender strafrechtlicher Verbote, was hier als Verbotsexpansion bezeichnet wird. Gerade die Verlagerung der Zone strafbaren Verhaltens weit in das Vorfeld einer unmittelbaren

1 2 3 4

Walter 2010: S. 7. So die Zielrichtung der Kritik von Roxin 2006: S. 83. Häntzschel 2013. Häntzschel 2013.

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Johannes Kaspar

Verletzung von Gütern sei Kennzeichen (gerade) des Präventionsstrafrechts.5 Als vielzitiertes Beispiel kann etwa auf die 2009 erfolgte Pönalisierung der „Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat“ in § 89a Strafgesetzbuch verwiesen werden. Hier wird u.a. bereits die Ausbildung in einem „Terrorcamp“ als solche, unabhängig von einem konkreten Deliktsplan, unter Strafe gestellt.6 Über diese Vorverlagerungsproblematik hinaus wird außerdem ganz allgemein die Kategorie der abstrakten Gefährdungsdelikte kritisiert.7 Die Verunreinigung eines Gewässers etwa wird in § 324 Strafgesetzbuch bei Strafe verboten, ohne dass es zu einer Schädigung oder auch nur konkreten Gefährdung der Gesundheit von Menschen gekommen sein muss. Davon abgesehen wird eine mit der Präventionsorientierung des Strafrechts einhergehende Verschärfung der angedrohten und verhängten Strafen befürchtet, was hier als Sanktionsexpansion bezeichnet werden soll.8 Insbesondere dem Strafzweck der negativen Generalprävention, also der Abschreckung der Allgemeinheit durch Bestrafung des Täters, wird eine solche Tendenz zugeschrieben.9 Dieser Kritik am Präventionsstrafrecht steht teilweise (zumindest implizit) die Vorstellung eines enger begrenzten, prinzipiengeleiteten und damit wenn schon nicht durch und durch „guten“, dann doch weniger bedenklichen Strafrechts zugrunde. Hier geht es nicht um Prävention, sondern um „Repression“, nicht um die zukünftige Wirkung von Strafe, sondern im Ausgangspunkt allein um den Bezug zur in der Vergangenheit liegenden Tat. Dabei handelt es sich, anders sind die verwendeten Schlagworte kaum zu verstehen, um das Schuldstrafrecht klassischer Prägung,10 bei dem Strafe allein aufgrund der Tatsache der schuldhaften Tatbegehung gerechtfertigt ist und in Art und Höhe durch den Umfang der vom Täter verwirklichten Schuld bestimmt und begrenzt wird. Diese Gegenüberstellung ist etwas holzschnittartig, da der heutige straftheoretische Diskurs von Vereinigungstheorien beherrscht wird, die Schuld- und Präventionsaspekte verbinden.11 Dennoch sollen hier idealtypisch die beiden Modelle, die sogleich noch etwas näher beschrieben werden, gegenübergestellt werden. Denn Fundamentalkritik am Element der Prävention im Präventionsstrafrecht läuft zwangsläufig auf die Forderung nach dessen Eliminierung (man ist geneigt zu sagen: dessen Prävention) hinaus; jedenfalls weckt sie prima facie diesen Eindruck. Subtrahiert man aber die „Prävention“ vom „Präventionsstrafrecht“, so bleibt (sofern man nicht gleich ganz für dessen Abschaffung plädiert) buchstäblich nur noch „Strafrecht“ übrig, das dann eben im Sinne der klassischen Lehre allein vom Schuldgedanken beherrscht würde. Ob das ein Fortschritt wäre, ist Gegenstand dieser Abhandlung. Krit. Naucke 1993: S. 135, 145 ff. S. zur Problematik auch die Beiträge in Hefendehl 2010. Vgl. BT-Drs. 16/12428, 15. Krit. etwa Radtke/Steinsiek 2008: S. 383 ff. Hassemer 1992: S. 378, 381; vgl. allgemein Zieschang 1998. Vgl. nur P.A. Albrecht 1986: S. 55, 70; Art. Kaufmann 1986: S. 225, 229 f. Roxin 2006: S. 83. Vgl. die ausdrückliche Nennung der „abstrakten Strafziele (Vergeltung, Sühne, Schuldausgleich etc.)“ durch P.A. Albrecht 1986: S. 55, 57. 11 Vgl. nur Roxin 2006: S. 83 ff. 5 6 7 8 9 10

Schuldstrafrecht oder Präventionsstrafrecht?

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Dabei ist es meines Erachtens zumindest erklärungsbedürftig, wenn zwischen verschiedenen Formen des „Präventionsstrafrechts“ unterschieden wird und einerseits Spezial- und Generalprävention als klassische, straftheoretisch in gewissen Grenzen etablierte Präventionsformen akzeptiert werden, andererseits aber die beabsichtigte „unmittelbare“ präventive Beeinflussung von Personen und Situationen als problematisch bezeichnet wird.12 Diese Differenzierung ist hinsichtlich ihrer Voraussetzungen und ihrer Reichweite unklar. Denn die spezialpräventiv begründete Strafe ist nichts anderes als eine unmittelbare und präventiv motivierte Einflussnahme auf den als möglicherweise auch in Zukunft rückfallgefährdet erscheinenden Täter. Und auch bei der Generalprävention geht es um die Verhinderung schädlicher Handlungen in der Zukunft, und zwar sowohl im Wege der Androhung von Strafe, die vor einem potenziellen Tatentschluss (und damit doch „unmittelbar“?) Wirkung entfalten soll, als auch im Wege der Verhängung der Strafe, die den Normappell und seine zukünftige Geltung der Allgemeinheit gegenüber bekräftigt. Wer zukunftsorientierte Verhaltenssteuerung als präventives Element kritisiert und als Aufgabe des Strafrechts ablehnt, müsste an sich also auch ein Problem mit einer spezial- und generalpräventiven Funktion von Strafrecht und Strafe haben. Eine weitere Klarstellung ist nötig: Es soll hier keineswegs in Abrede gestellt werden, dass eine Expansion des Strafrechts kritikwürdig ist – das versteht sich aus liberal-rechtsstaatlicher Perspektive von selbst und wird durch die später noch vertieften verfassungsrechtlichen Erwägungen unterstrichen. Es soll vielmehr die gängige Sicht in Frage gestellt werden, dass eine solche Tendenz gerade auf der Präventionsorientierung des Strafrechts beruht und dass eine Rückbesinnung auf die „guten alten Zeiten“ des repressiven Schuldstrafrechts insoweit Besserung brächte. Das wird zunächst im Rahmen einer vergleichenden straftheoretischen Analyse erörtert (unten III.). Eine rein straftheoretische Perspektive wäre aber unbefriedigend. Denn letztlich gelangt man hier unweigerlich zu der grundsätzlichen Frage, welchen Zwecken die Strafe dient bzw. dienen soll. Deren Beantwortung droht zum reinen Bekenntnis zu werden und nichts als verhärtete Fronten zu produzieren,13 solange man keine Maßstäbe formuliert hat, anhand derer die Vorzugswürdigkeit einer Strafkonzeption zu beurteilen ist. Dafür bietet sich ergänzend eine verfassungsrechtliche Perspektive an. Denn es geht im strafrechtlichen Bereich um staatliches Handeln, das sowohl in Gestalt des Verbots eines Verhaltens als auch in Form der Sanktionierung dieses Verhaltens gravierende Grundrechtseingriffe enthält und daher einer gewichtigen Rechtfertigung bedarf. Aus der Verfassung bezieht der Staat die Legitimation seines Handelns, aus ihr erfährt staatliches Handeln seine Begrenzung. Das klingt trivial, und dennoch wurde die Bedeutung verfassungsrechtlicher Prinzipien für das materielle Strafrecht lange Zeit wenig beachtet. In jüngerer Zeit zeichnet sich aber eine Belebung der Debatte

12 Vgl. Singelnstein in diesem Band. Vgl. auch die Differenzierung bei P.A. Albrecht 1986: S. 55 sowie Bäcker 2010: S. 332. 13 Vgl. Lüderssen 2011: S. 377, 378.

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ab,14 die noch andauert und hier aufgegriffen und fortgesetzt werden soll. Untersucht werden soll daher zusätzlich, ob sich aus verfassungsrechtlichen Erwägungen Anhaltspunkte für die Frage legitimer Strafzwecke ergeben und ob das wichtige verfassungsrechtliche Anliegen des Schutzes der Freiheitsgrundrechte der Bürger innerhalb eines präventiv ausgerichteten Strafrechtssystems gewährleistet werden kann (unten IV.). Zuvor muss aber noch eine etwas genauere Analyse des Begriffs des „Präventionsstrafrechts“ und zugleich eine Abgrenzung zum „Schuldstrafrecht“ geleistet werden (sogleich unten II.). Auf dieser Grundlage kann etwas differenzierter auf die oft zu pauschale Kritik am Präventionsstrafrecht eingegangen werden. II. BEGRIFFSBESTIMMUNGEN Unter „Präventionsstrafrecht“ wird hier ein Ansatz verstanden, bei dem sowohl die Androhung als auch die Verhängung staatlicher Strafe dem Ziel der Prävention, also der Verhinderung von Straftaten dienen und dies zur Rechtfertigung des Einsatzes von Strafe auch erforderlich ist. Dabei wird überwiegend zwischen der Einwirkung auf den Täter selbst (Spezialprävention) und der Einwirkung auf die Allgemeinheit (Generalprävention) unterschieden.15 Demgegenüber genügt im „Schuldstrafrecht“ allein die Tatsache der schuldhaften Tatbegehung als Begründung und Rechtfertigung der Strafe – präventive Wirksamkeit wird bestenfalls als positiver Nebeneffekt zur Kenntnis genommen, ist aber keine notwendige Bedingung der Androhung und Verhängung von Strafe. Es genügt die mit Strafe verbundene Vergeltung bzw. (wie heute eher formuliert wird) der dadurch erzielte „Schuldausgleich“. Man spricht insoweit von einer absoluten, also von externen Zwecken wie Prävention, unabhängigen Strafbegründung.16 Das ist das klassische Konzept der Strafe, das auf eine lange Tradition zurückblicken kann und auch heute noch ein wesentlicher Pfeiler der Straftheorie ist. Strafe dient nach einer jedenfalls in der Rechtsprechung ganz herrschenden Ansicht vorrangig dem Schuldausgleich.17 Spezialpräventive und generalpräventive Zwecke kommen (im Sinne einer Vereinigungstheorie)18 hinzu, sind letztlich aber nicht zwingend erforderlich. Das zeigt etwa die Annahme eines Schuldunterschreitungsverbotes im Rahmen der sogenannten „Spielraumtheorie“ des Bundesgerichtshofes.19 Danach darf der Rahmen des Schuldangemessenen auch dann nicht unterschritten werden, wenn im Einzelfall die Strafe keine präventiven Bedürfnisse erfüllt. 14 15 16 17 18 19

S. insbes. die Beiträge in Brunhöber u.a. 2013. Statt vieler Roxin 2006: S. 73 ff. S. (differenzierend) Hörnle 2011: S. 15 ff. Vgl. die Formulierung bei Fischer 2013: § 46 Rn. 5. Roxin 2006: S. 83 f. BGHSt 7, S. 28, 89.

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Nun könnte man argumentieren, dass (vergangenheitsorientierter) Schuldausgleich dem Strafrecht eigen ist, während Prävention aufgrund ihrer Zukunftsorientierung an sich gar nicht zum Strafrecht passt. Daran ist richtig, dass die Strafe ihrem schon begrifflich nicht zu leugnenden (repressiven) Wesen gemäß eine Reaktion auf eine in der Vergangenheit liegende Straftat ist. Das schließt einen präventiven Zukunftsbezug von Strafandrohung und Strafe aber nicht aus.20 Denn es ist (wie auch sonst, wenn es um die Legitimation staatlichen Handelns geht) strikt zwischen dem eingesetzten Mittel und dem damit verfolgten Zweck zu unterscheiden. Schlink hat dies als Verbot „eingriffsnaher Zwecke“ umschrieben.21 So wäre es beispielsweise evident unzulässig und geradezu absurd, einem Bürger mit staatlichem Zwang die Freiheit zu entziehen und dies mit dem Zweck des Entzugs der Freiheit zu „begründen“: Hier würden Inhalt und Zweck der Maßnahme gleichgesetzt und zugleich das Postulat einer rationalen Begründung belastender staatlicher Maßnahmen verfehlt. Prävention lässt sich also ohne weiteres als das mit Strafgesetzen und Strafe angestrebte externe Ziel denken, und daher ist es auch überhaupt kein Widerspruch, Strafe und Prävention begrifflich zu verbinden. Was ist aber nun genau der Ansatz der oben erwähnten Kritik? Möglicherweise die Zielsetzung selbst. Die Kritik am Präventionsstrafrecht führt jedenfalls unübersehbar auch zu einer Desavouierung des Begriffs der „Prävention“ im strafrechtlichen Kontext. Eine negative Konnotation versteht sich aber nicht von selbst. Denn „Prävention“ heißt allgemein nur, dass etwas unternommen wird, um ein als negativ bewertetes Ereignis (hier: eine Straftat) zu verhindern. Die Verhinderung von Straftaten und die damit verbundene Vermeidung einer Verletzung von Gütern und Interessen ist ein Ziel, das als solches zustimmungswürdig ist und legitimerweise vom Staat angestrebt wird. Ein funktionierendes Gemeinwesen ist geradezu darauf angewiesen, dass der Staat sich um das Wohl der Bürger sorgt und Maßnahmen zum Schutz vor Übergriffen Dritter ergreift. Es geht also, so ist als Zwischenfazit festzuhalten, richtigerweise nicht um Prävention als per se kritikwürdige Zielsetzung, sondern um die Frage, mit welchen Mitteln Prävention angestrebt wird und ob zu diesen Mitteln auch die Strafe zählt bzw. zählen soll. III. VERGLEICHENDE STRAFTHEORETISCHE ANALYSE Im Folgenden soll untersucht werden, ob Prävention als Zielsetzung des Strafrechts tatsächlich kritikwürdig ist, weil sie ungebremster Verbots- und Sanktionsexpansion Tür und Tor öffnet. Dabei wird zum Vergleich stets das oben definierte klassische Schuldstrafrecht herangezogen, das, wie sich zeigen wird, gerade nicht besser abschneidet, sondern im Gegenteil insgesamt sogar weniger kritische Potenz aufweist. 20 Zutreffend Pawlik 2004: S. 16, wonach bei Anerkennung des repressiven Wesens der Strafe noch keine Festlegung im Hinblick auf den mit ihr verfolgten bzw. sie legitimierenden Zweck getroffen wird. 21 Schlink 2001: S. 445, 450.

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1. Verbotsexpansion Das Zusammentreffen eines (auch) an Prävention orientierten Strafrechts und einer Ausweitung strafrechtlicher Verbote ist in rein zeitlicher Hinsicht nicht zu bestreiten. Im Laufe der Jahre wurde eine ganze Reihe neuer Verbotsgesetze geschaffen, etwa in den Bereichen des Wirtschafts- und Umweltstrafrechts.22 Das ist in vielerlei Hinsicht kritikwürdig, nicht zuletzt im Hinblick auf die später noch zu thematisierende grundrechtliche Abwehrfunktion, die den Schutz der Bürger vor staatlichen Eingriffen betont. Zu bestreiten ist aber, dass es sich dabei um einen Kausalzusammenhang in dem Sinne handelt, dass es gerade die Präventionsorientierung des Strafrechts war, die als „conditio sine qua non“ zu dieser Ausweitung geführt hat. Dagegen spricht zunächst der Umstand, dass das heutige Strafrecht trotz aller präventiver Einsprengsel im Kern noch immer stark vom Schuldgedanken beherrscht wird. Aber auch wenn man dies beiseitelässt, bleiben Zweifel. Denn Entwicklungen wie die Einführung neuer Verbotsnormen im Wirtschaftsund Umweltstrafrecht sind ersichtlich die Folge gesellschaftlicher und technischer Entwicklungen, die Gefahrenlagen und Risiken geschaffen haben, die es in früheren Zeiten nicht gab und an die bei der Schaffung des Strafgesetzbuches Mitte des 19. Jahrhunderts noch nicht einmal zu denken war. Es mag sein, dass der Gedanke, Rechtsgüter durch ein (auch) präventionsorientiertes Strafrecht zu schützen, mit dazu beigetragen hat, auch in diesen gesellschaftlichen Problembereichen zum Mittel des Strafrechts zu greifen. Beliebigkeit ist hier aber schon deshalb nicht zulässig, weil der Eingriff durch das Verbotsgesetz nur dann gerechtfertigt, insbesondere: verhältnismäßig ist, wenn er tatsächlich sinnvoll zum Schutz wichtiger Güter und Interessen beitragen kann. Mit anderen Worten: Das strafbewehrte Verbot völlig harmloser Verhaltensweisen wäre zwar ein Mittel der Prävention, aber offensichtlich eine unsinnige, durch keinen gewichtigen Zweck gerechtfertigte und damit unverhältnismäßige staatliche Maßnahme. Auch die weite Vorverlagerung strafbarer Verhaltensweisen ins Vorfeld unmittelbarer und greifbarer Verletzungen von Rechtsgütern (man denke an den bereits erwähnten Besuch des „Terrorcamps“) kann und muss unter diesem Gesichtspunkt kritisch überprüft werden. Es ist nicht zu sehen, warum Prävention als Zielsetzung per se alles erlauben sollte23 – hier sind wie auch sonst die später noch genauer erörterten verfassungsrechtlichen Grenzen zu beachten.24

22 Vgl. statt vieler Naucke 1993: S. 135, 145. 23 Vgl. exemplarisch nur die Aussage von Landau 2008: S. 218, wonach ein präventives Strafrechts „die Grenzen des deutschen Rechtsstaates“ verlasse. Das darf es nicht, und wenn eine solche Überschreitung bei einzelnen Entscheidungen des Gesetzgebers oder des Rechtsanwenders geschieht, kann und muss eine Korrektur durch das Bundesverfassungsgericht erfolgen. 24 Ablehnend Naucke 2011: S. 129, 134, der hierin kein ausreichend kritisches Potenzial gegenüber Entwicklungen wie einem „Gesinnungsstrafrecht“ sieht. Dass sich dieses Problem aber auch und erst recht im Rahmen einer klassischen, rein schuldorientierten Konzeption stellt, wird sogleich im Text dargelegt.

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Eine andere Frage ist, ob „Verbotsexpansion“ nicht auch und erst recht im Rahmen des oben definierten Schuldstrafrechts vorstellbar wäre. Das Gegenteil wird oft zumindest stillschweigend unterstellt, vielleicht aufgrund der zeitlichen Koinzidenz von klassischem Schuldstrafrecht und eines in historischer Sicht anfangs eher auf Verletzungsdelikte zugeschnittenen, überschaubareren Kreises von Straftatbeständen. Das unterschlägt zunächst die Tatsache, dass unter der Ägide des Schuldstrafrechts Platz war für die (aus heutiger Sicht illegitime) Bestrafung von Verhaltensweisen wie einvernehmlichen homosexuellen Handlungen (§ 175 Strafgesetzbuch a. F.).25 Und weiter lässt sich fragen, warum in einem Schuldstrafrecht nicht auch abstrakte Gefährdungsdelikte eine große Rolle spielen sollten. Das Verbot der (völlig folgenlosen) Trunkenheit im Verkehr auf einsamer Landstraße (§ 316 Strafgesetzbuch) etwa lässt sich auch unter Schuldaspekten begründen: Der Täter hat vorwerfbar gehandelt, Schuld auf sich geladen und damit Strafe „verdient“. Jedenfalls lässt sich das behaupten, und hier leuchtet das angesichts der generellen Gefährlichkeit der Handlung auch sofort ein (was natürlich zeigt, dass Prävention stets doch irgendwie „mitgedacht“ wird, wenn man über die Legitimation von Straftatbeständen spricht!). Und man kann noch einen Schritt weiter gehen: Auch der Besuch im Terror-Ausbildungslager, so ließe sich von dieser theoretischen Basis aus argumentieren, ist eine vorwerfbare, strafwürdige Handlung, mit der Schuld verwirklicht wird und die dementsprechend eine Schuld vergeltende Strafe verdient. Es zeigt sich also, dass das oft als Bollwerk gegen präventive Expansion gepriesene Schuldprinzip an dieser Stelle geradezu einen blinden Fleck aufweist. Es enthält für sich genommen keine klaren inhaltlichen Anforderungen im Hinblick auf die Qualität einer legitimerweise zu verbietenden Handlung. Gewiss, das Verhalten muss „missbilligenswert“, „sozialethisch verwerflich“, „vorwerfbar“ oder eben „strafwürdig“ sein – aber wer bestimmt anhand welcher Maßstäbe, wann das der Fall ist? In einer Demokratie zunächst der Gesetzgeber, aber auch der kann irren, und gerade aus verfassungsrechtlicher Perspektive müsste externe Kritik auch gegenüber dem Gesetzgeber anhand präziser Kriterien möglich sein. Diese sind aber nicht in Sicht, und es ist kein Zufall, dass bei der Schaffung neuer Strafgesetze nicht ernsthaft darüber diskutiert wird, ob es bei der Vornahme der pönalisierten Handlung überhaupt möglich ist, strafrechtliche „Schuld“ auf sich zu laden. Genau das wäre aber doch nur konsequent, wenn man anschließend mit Strafe die vom Täter verwirklichte Schuld ausgleichen bzw. vergelten will. Man kann das noch weiter zuspitzen: Was ließe sich von diesem theoretischen Ausgangspunkt einer Argumentation entgegenhalten, wonach bereits der böse Gedanke „verwerflich“ ist und allein schon deshalb (soweit man ihn irgendwie nachweisen kann) per Strafe vergolten werden darf? So gesehen entpuppt sich der Komplex „Pre-Crime“ bei genauer Betrachtung (und nur scheinbar paradoxerweise) nicht so sehr als Problem des Präventionsstrafrechts, sondern des Schuldstrafrechts!

25 Vgl. Baurmann 1987: S. 266 f.

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Vor diesem Hintergrund ist es auch kein Wunder, dass man bei der Beurteilung der Legitimation strafrechtlicher Verbote richtigerweise auf die potenzielle Schädlichkeit oder Gefährlichkeit der Handlung für Güter und Interessen abstellt. Damit wird anerkannt, dass es zumindest hier um die Verhinderung solcher Handlungen und damit um nichts anderes als Prävention geht. Da, wie bereits angedeutet, ein (auch verfassungsrechtlich legitimes) Verbot die ausreichende Schädlichkeit der entsprechenden Verhaltensweise voraussetzt, enthält der Präventionsgedanke im Gegensatz zum Schuldgedanken einen rational diskutierbaren und empirisch überprüfbaren Ansatzpunkt für die Begründung aber auch Begrenzung des Einsatzes strafbewehrter Verbote. Hierüber muss man, wie die Debatte um die Rechtsgutstheorie vor allem im Zusammenhang mit dem Inzest-Urteil des Bundesverfassungsgerichts26 gezeigt hat, streiten. Aber man kann eben auch darüber streiten und ist nicht auf die als solche schwer diskutierbare Etikettierung einer Handlung als „zu vergeltend, weil verwerflich“ mit all ihren Unschärfen und Missbrauchsmöglichkeiten angewiesen. 2. Sanktionsexpansion Stimmt nun wenigstens im Bereich der strafrechtlichen Sanktionen die gedankliche kausale Verbindung einer Präventionsorientierung mit einer Tendenz zu Ausuferung und Maßlosigkeit? Auch das ist so nicht überzeugend. Zunächst ist es schon in historischer Hinsicht nicht plausibel, dass die Präventionsorientierung, die im Laufe der Zeit neben die klassische Schuldorientierung der Strafe trat, zu mehr Strafe geführt hat. Betrachtet man die Entwicklung der strafrechtlichen Sanktionen im Laufe des letzten Jahrhunderts, so ist insgesamt eine klare Milderungstendenz zu beobachten.27 Das betrifft nicht nur und nicht in erster Linie die mehr am Resozialisierungsgedanken ausgerichtete Vollzugsgestaltung, die ihren Höhepunkt in der Schaffung des Strafvollzugsgesetzes im Jahre 1976 fand. Gemeint sind vor allem zwei weitere augenfällige Tendenzen: Zum einen der drastische Rückgang der vollzogenen Freiheitsstrafen zu Gunsten von Bewährungsstrafen und vor allem Geldstrafen,28 zum anderen der Siegeszug der Diversion, also der informellen Erledigung eines Strafverfahrens ohne förmliche Verurteilung (s. §§ 153 ff. Strafprozessordnung im allgemeinen Strafrecht sowie §§ 45, 47 Jugendgerichtsgesetz im Jugendstrafrecht).29 Das ist sicher auch justizökonomischen

26 27 28 29

BVerfGE 120, 224. Für die Freiheitsstrafe s. nur Streng 2012: S. 80. Streng 2012: S. 80. Ca. Zwei Drittel der Strafverfahren gegen jugendliche und in das Jugendstrafrecht einbezogene heranwachsende Täter werden informell erledigt, s. Meier/Rössner/Schöch 2013: S. 158 f.

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Gründen geschuldet.30 Aber unbestreitbar ist auch, dass die (vor allem spezial-)präventive Orientierung der Strafe zu dieser Entwicklung beigetragen hat.31 Wenn kriminologische Studien belegen, dass die Rückfallquoten bei einer solchen eher milden Erledigung nicht schlechter sind als bei formeller Verurteilung in vergleichbaren Fällen,32 dann spricht dies dafür, gerade in minderschweren Fällen auf eine förmliche Strafe zu verzichten. Denn der erhoffte Zweck wird auch durch ein milderes, die Freiheitsrechte des Betroffenen schonenderes, Mittel erzielt. Zusätzlich abgesichert wird diese Vorgehensweise durch die gut belegte kriminologische Erkenntnis, dass gerade bei Jugendlichen Delinquenz zumindest im unteren Schwerebereich weit verbreitet ist, dass aber in der Regel (und ganz unabhängig von der Frage, ob man dabei entdeckt und sanktioniert wurde) ab dem Erwachsenenalter die Begehung von Straftaten deutlich rückläufig ist (Normalität und Episodenhaftigkeit von Jugenddelinquenz).33 Nimmt man noch die Erkenntnisse aus allgemeinen Rückfallstudien hinzu, wonach die ambulanten Sanktionen gegenüber der Freiheitsstrafe allesamt besser abschneiden,34 so weckt das Zweifel an einer spezifischen resozialisierenden Wirkung der Strafe. Auf „Besserung“ als Teilaspekt der Spezialprävention kann man eine Sanktionsexpansion also nicht plausibel stützen. Ein üblicher Verdächtiger in dieser Hinsicht ist allerdings die negative Generalprävention (Abschreckung). Je höher die angedrohte und später dann im konkreten Fall verhängte Strafe, desto besser wird die Allgemeinheit von der Begehung der Tat abgeschreckt – so jedenfalls die landläufige Meinung, die in dieser Weise allerdings schlicht falsch ist. Man kann den Forschungsstand zur Generalprävention vielmehr so zusammenfassen,35 dass allein schon die Existenz eines strafrechtlichen Sanktionensystems verhaltenssteuernde Wirkung hat, dass aber die Sanktionshöhe nicht der entscheidende Faktor ist. Vielmehr zeigt sich, dass die Einschätzung der Entdeckungswahrscheinlichkeit sowie die erwarteten informellen Reaktionen im Umfeld deutlich größeren Einfluss auf einen potenziellen Tatentschluss haben.36 Wäre dies anders, müsste die Todesstrafe ungeheuer ab-

30 In der Ökonomisierung der Justiz sieht Albrecht (1986: S. 55, 69) eine Ursache für die „präventive Re-Orientierung“ des Strafrechts. Solange sich dies aber, wie im Bereich der Diversion, tendenziell zu Gunsten der Beschuldigten auswirkt, ist dagegen nichts einzuwenden. Dabei wird nicht verkannt, dass sich hier unter anderem Probleme im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot und die Gleichheit der Rechtsanwendung ergeben können. Aber ist im Vergleich dazu eine flächendeckende formelle Bestrafung die bessere Variante? 31 Zum Zusammenhang von Präventionsorientierung und Diversion s. (kritisch) Naucke 1993: S. 135, 148. 32 Heinz/Storz 1992: S. 59 ff. 33 Vgl. nur Meier/Rössner/Schöch 2013: S. 50 f. 34 Jehle u.a. 2010; natürlich ist bei der Interpretation dieses Befundes die unterschiedliche Zusammensetzung der jeweils sanktionierten Personengruppe zu beachten, s. Streng 2012: S. 161 f. 35 Statt vieler Hörnle 2011: S. 24 m.w.N. 36 Vgl. nur Schöch 1985.

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schreckende Wirkung entfalten, was sich so in empirischen Untersuchungen gerade nicht bestätigen ließ.37 Die genannten Beispiele zeigen, dass es allein die Präventionsorientierung der Strafe erlaubt, empirische kriminologische Forschungsergebnisse sinnvoll in die straftheoretische und kriminalpolitische Diskussion einzubringen.38 Zugleich verhindert die Präventionsorientierung des Strafrechts (weil die Frage der besseren „Wirksamkeit“ durch mildere Mittel eben immer wieder gestellt werden muss) eine Zementierung des jeweiligen Status quo.39 Wer allein in den Kategorien von Schuldausgleich und Vergeltung denkt, wird sich von Studien zur zweifelhaften spezialpräventiven oder generalpräventiven Wirkung der Strafe nicht irritieren lassen, denn diese Wirkung spielt hier ja definitionsgemäß keine Rolle. Und auch die Suche nach Alternativen und Ergänzungen zur klassischen Dichotomie von Geld- und Freiheitsstrafe als kriminalpolitisches Anliegen ist völlig überflüssig. Denn wenn bisher zur „Vergeltung“ einer bestimmten Straftat eine Freiheitsstrafe in Höhe x als erforderlich angesehen wurde, dann wäre erst zu begründen, warum beispielsweise auch Wiedergutmachungsbemühungen, ein Fahrverbot oder gemeinnützige Arbeit, ganz oder teilweise diese Funktion der Freiheitsstrafe erfüllen sollten. Noch schlimmer: Man könnte gesetzliche Änderungen als Eingeständnis interpretieren, dass man bislang die maßgeschneiderte „gerechte Vergeltung“ verfehlt hat! Das muss jeden Reformeifer von vornherein deutlich erschweren. Schon diese gezwungenermaßen nur skizzenhaften straftheoretischen Bemerkungen zeigen ein großes Problem des Schuldstrafrechts: Es ist gegenüber jeder Form von empirischer Überprüfung vollständig immunisiert. Ob und wie eine Freiheitsstrafe von drei Jahren „wirkt“, kann man in spezial- und generalpräventiver Hinsicht (bei allen methodischen Problemen) im Prinzip „messen“. Trotz der Komplexität der Thematik hat die kriminologische Forschung hier auch schon beachtliche Resultate erzielt. Die Annahme einer gewissen „Austauschbarkeit der Sanktionen“40 in spezial- und generalpräventiver Hinsicht etwa hat große Sprengkraft, denn an sich müsste das bedeuten, dass stets zum mildesten, gerade noch geeigneten Mittel gegriffen werden muss. Das würde einen noch weiterreichenden Verzicht auf formelle Strafe und im Bereich mittelschwerer Delinquenz eine weitgehende Beschränkung der Freiheitsstrafe auf Extremfälle nahe legen. Die Anerkennung von Schuldausgleich als legitimer und die Strafe selbständig rechtfertigender Strafzweck konterkariert diese mögliche Konsequenz, denn es bleibt stets der nicht weiter überprüf- und diskutierbare Hinweis auf die Belange des „gerechten Schuldausgleichs“, der angeblich eine bestimmte Strafhöhe zwingend erforderlich macht.41 Nochmals: Mit welchen rationalen Argumenten soll dem 37 38 39 40 41

Vgl. nur Hermann 2010 m.w.N. S. dazu näher Kaspar 2013. Kaspar 2013: S. 103, 115. S. dazu näher Streng 2007. Vgl. etwa die Begründung der Anhebung der Höchststrafe für Heranwachsende bei schweren Straftaten in BT-Drs. 17/9389, S. 1, wonach man nur so „dem Ausmaß der Schuld gerecht“ werden könne.

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(erst recht vor dem Hintergrund einer insgesamt eher punitiven kriminalpolitischen Großwetterlage) widersprochen werden? Wie sieht es nun mit dem Schutz durch das Schuldprinzip aus, mit der berühmten Obergrenze der schuldangemessenen Strafe, die unter keinen Umständen überschritten werden darf? Hier, auf der Ebene der Strafzumessung, kommt man zu einem ähnlich ernüchternden Ergebnis wie oben bei der Frage der legitimen Verbotsnorm: Klare Maßstäbe sind nicht zu sehen. Man wird mit der Behauptung, eine Sanktion sei (noch) schuldunangemessen, konfrontiert, ohne dem viel entgegensetzen zu können. Wenn der Gesetzgeber darlegt, dass der „gerechte Schuldausgleich“ in bestimmten Fällen eine Strafe in bestimmter Höhe gerade fordere, ist damit natürlich (erst recht) gesagt, dass mit dieser Strafe das Maß des „Schuldangemessenen“ nicht überschritten wird. Auch hier drohen also Unschärfen und sehr weite Spielräume, die vom Gesetzgeber und letztlich auch vom Richter als Rechtsanwender ausgefüllt werden können. Dabei garantiert der Ruf nach „Schuldangemessenheit“ bei genauer Betrachtung nur eine Art Stimmigkeit des Gesamtsystems, bietet aber keinen Schutz vor (in sich kohärenter) Strafhärte.42 Wer einen einfachen Diebstahl mit mindestens drei Jahren Freiheitsstrafe, den schweren Diebstahl mit mindestens fünf Jahren und den Raub mit mindestens 10 Jahren Freiheitsstrafe bestraft, kann auf den jeweils unterschiedlich hohen Unrechtsgehalt der Taten verweisen, dem jeweils abgestuft mit „gerechtem Schuldausgleich“ durch Strafe begegnet wird.43 Der Einwand, diese hohen Strafrahmen seien aber doch „schuldunangemessen“, hat demgegenüber (erneut) wenig Durchschlagskraft. IV. VERFASSUNGSRECHTLICHE PERSPEKTIVE Schon theorieimmanent ist also der Vorwurf nicht gerechtfertigt, dass ein Schuldstrafrecht gegenüber den genannten Expansionstendenzen besser schützen würde als ein Präventionsstrafrecht. Vielmehr enthält die letztgenannte Konzeption mehr kritisches Potenzial, jedenfalls dann, wenn empirische kriminologische Erkenntnisse zur Kenntnis genommen werden. Damit ist aber noch kein überzeugendes Argument gegen Schuldausgleich oder Vergeltung als Strafzweck gewonnen. Denn sowohl die Begrenzung des Strafrechts als auch (und erst recht) die Stärkung der Rolle der Kriminologie als Wissenschaft sind Zielsetzungen, deren Eigenwert man natürlich bestreiten kann. Aus einer philosophischen Perspektive könnte man ohne weiteres darauf beharren, dass auf eine bestimmte Straftat allein schon aus Gründen der gerechten Vergeltung stets und ausnahmslos Strafe zu erfolgen habe. Im Folgenden soll daher im Anschluss an das bisher Gesagte gezeigt werden, dass sich aus dem Verfassungsrecht, genauer: aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, ableiten lässt, dass allein Schuldausgleich die Strafe nicht rechtfertigen kann. Dieser strafbegründende Aspekt des „Schuldstrafrechts“ entbehrt nach 42 Vgl. auch Ellscheid/Hassemer 1975: S. 286. 43 Kaspar 2013: S. 103, 112 ff.

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hier vertretener Ansicht nicht nur einer überzeugenden verfassungsrechtlichen Grundlage, sondern verstößt sogar gegen die Verfassung (unten 1.). Im Anschluss daran werden die Konturen eines an „verhältnismäßiger Generalprävention“ orientierten Strafrechts dargelegt (unten 2.). 1. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und Schuldstrafrecht Wenn vom „Schuldprinzip“ als wichtigem Teilelement des „Schuldstrafrechts“ gesprochen wird, sind richtigerweise unterschiedliche Funktionen bzw. Wirkungsebenen zu unterscheiden. Die hier formulierte verfassungsrechtliche Kritik richtet sich nicht pauschal gegen dieses Prinzip und darf daher nicht als Forderung missverstanden werden, es vollständig abzuschaffen. Soweit (etwa in den §§ 19 und 20 Strafgesetzbuch) als Voraussetzung für die Strafbarkeit vorwerfbares Verhalten eines geistig gesunden strafmündigen Bürgers verlangt wird und dies auf Art. 1 Abs. 1 GG gestützt wird,44 handelt es sich (bei allen Problemen der Bestimmtheit bzw. Bestimmbarkeit) um einen aus der Perspektive der Freiheitsgrundrechte wenig problematischen Aspekt. Denn das Schulderfordernis schützt hier vor Bestrafung und dient damit der Freiheitssicherung.45 An diesem elementaren Baustein einer als fair und gerecht akzeptablen Strafrechtsordnung ist auch im Rahmen einer präventiven Strafrechtskonzeption festzuhalten – die Anerkennung von Schuldausgleich als Strafzweck setzt das wohlgemerkt nicht voraus. Letzterer aber ist das Problem. Wenn man mit der Rechtsprechung eine „Schulduntergrenze“ der Strafe unabhängig von präventiven Belangen und damit eine strafbegründende Funktion des Schuldprinzips anerkennt, ist das verfassungsrechtlich eine völlig andere Ausgangslage. Denn dann schützt das Prinzip nicht vor einem Grundrechtseingriff, sondern begründet ihn! Dabei wird nicht immer ausreichend deutlich gemacht, dass diese Funktion des Schuldprinzips keine klare verfassungsrechtliche Grundlage hat. Auf Art. 1 Abs. 1 GG in seiner Abwehrfunktion gegenüber staatlichen Eingriffen lässt sich die Begründung eines staatlichen Eingriffs (als Gegenteil von Eingriffsabwehr) offensichtlich nicht stützen. Warum sollte das Ausbleiben von Strafe in einer bestimmten Höhe ein Verstoß gegen die Menschenwürde sein? Die Würde des Täters selbst kommt dafür offensichtlich nicht in Betracht, und auch gegenüber den Opfern von Straftaten könnte das nur in extremen Ausnahmefällen eine 44 Grundlegend BVerfGE 20, S. 323, 331. 45 Das gilt zumindest, wenn man allein die Rechtsfolge „Strafe“ in den Blick nimmt. Nicht verkannt wird dabei, dass die Feststellung von „Schuldunfähigkeit“ natürlich auch Belastungen mit sich bringen kann, und zwar nicht nur für den Teil der Täter, denen auf dieser Grundlage die stationäre Maßregel der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus gem. § 63 Strafgesetzbuch droht. Denn bereits die Feststellung, nicht schuldfähig (gewesen) zu sein enthält einen Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht, wie zuletzt anhand des Falles „Gustl Mollath“, bei dem eine Fehldiagnose zumindest im Raum stand, richtigerweise thematisiert wurde, vgl. Kasiske 2013: S. 632 f.

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Verletzung der Menschenwürde oder des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts enthalten.46 Schon das weckt Bedenken gegenüber der Anerkennung von „Schuldausgleich“ als Strafzweck, der für sich genommen ausreicht, um die Verhängung von Strafe zu rechtfertigen. Dennoch würde allein das Fehlen einer klaren verfassungsrechtlichen Grundlage kein ausreichendes Argument gegenüber der Anerkennung eines vom Staat verfolgten Zwecks begründen. Denn der Staat benötigt für die Festlegung seiner Zielsetzungen keine ausdrückliche verfassungsrechtliche Ermächtigung; ihm steht ein weiter Spielraum zu, der erst dann überschritten ist, wenn die Zielsetzung gegen die Verfassung verstößt. Genau das ist aber bei Vergeltung bzw. Schuldausgleich der Fall.47 Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als ungeschriebener, aus dem Rechtsstaatsprinzip und dem Wesen der Grundrechte abgeleiteter Verfassungsgrundsatz fordert zur Legitimation eines Eingriffs in Freiheitsgrundrechte, dass der Staat dabei ein legitimes Ziel verfolgt und seine Maßnahme zur Erreichung dieses Ziels geeignet, erforderlich und angemessen ist.48 Die Ebenen der Geeignetheit und Erforderlichkeit sind dabei im Kern empirisch. Es geht um die rationale Begründung tatsächlicher Wirkungszusammenhänge. Das ist als verfassungsrechtlicher Ausgangspunkt soweit ersichtlich unbestritten. Daraus folgt allerdings nach hier vertretener Ansicht auch, dass nur solche Zwecke legitim sein können, bei denen zumindest prinzipiell (unabhängig von den nie ganz zu vermeidenden Problemen einer exakten „Messung“) eine rationale Begründung und empirische Überprüfung möglich ist. Nur auf diese Weise kann die dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz innewohnende Rationalisierungsfunktion Wirkung entfalten, die den Bürger vor willkürlicher und übermäßiger staatlicher Inanspruchnahme schützt. Mit der Anerkennung dieser Funktion des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist zugleich untrennbar verbunden, dass der Staat sich den aus ihr folgenden Begründungsanforderungen nicht durch die Wahl der von ihm verfolgten Zwecke entziehen darf. Er darf den Freiheitsentzug daher, um auf das obige Beispiel zurück zu kommen, nicht mit dem Zweck des Freiheitsentzugs begründen, da dies nur den Inhalt des Eingriffs paraphrasiert, aber keine davon unabhängige Zielsetzung enthält. Und er darf den Grundrechtseingriff durch Strafe nicht mit Vergeltung oder Schuldausgleich begründen, da eine solche rein metaphysische Zielsetzung eine zweckrationale Diskussion von vornherein unterbindet und eine empirische Überprüfung vollständig ausschließt. Nochmals: die „Schuldangemessenheit“ von zehn Jahren Freiheitsstrafe für einen Diebstahl ist eine nicht weiter diskutierbare Behauptung, die einen rationalen Diskurs über die Zweckmäßigkeit gerade dieser Sanktion in dieser Höhe nicht zulässt. Insofern ist es auch nicht weiterführend und stiftet eher Verwirrung, wenn eine „repressive Zielsetzung“ oder ein „repressiver Zweck“ der Strafe anerkannt

46 Dazu Weigend 2010: S. 39 ff. 47 Zum Folgenden näher Kaspar 2013; sowie ders. 2014. 48 Zum Verfassungsrang s. grundlegend BVerfGE 23, S. 127, 133.

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werden und der Prävention gegenübergestellt werden, wie das sehr oft geschieht.49 Denn „Repression“ bedeutet begrifflich zunächst nicht mehr als „Zurückdrängung“. Was aber soll durch die Strafe „zurückgedrängt“ werden? Die Tat selbst ist schon geschehen und kann nicht mehr verhindert werden, das kann also nicht gemeint sein. Soweit es darum geht, negative Folgeerscheinungen der Tat aus der Welt zu schaffen, z. B. das beim Opfer bzw. dritten Personen erschütterte Vertrauen in die Rechtsordnung oder den Anreiz zur Nachahmung vergleichbarer Straftaten, so ist damit der Strafzweck der Generalprävention angesprochen – auch das wäre also keine plausible Inhaltsbeschreibung von Repression, wenn man sie als Gegenbegriff zur Prävention versteht. Ist aber mit Repression nichts anderes gemeint, dass mit Strafe vergangenheitsbezogen auf die vom Täter schuldhaft verwirklichte Tat reagiert wird, ist man wieder bei einer reinen Wesensbeschreibung angelangt, die die Zweckfrage nicht beantwortet. Und diese darf nun einmal nicht offen bleiben. Die soeben skizzierte Inkompatibilität von Schuldvergeltung als Strafzweck mit den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes50 wurde bisher selten gesehen und dann überwiegend nicht weiter problematisiert. Jüngst hat allerdings Frisch in einem Aufsatz einen Vergleich von Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und Schuldprinzip unternommen.51 Er kommt zu dem auch hier erzielten Ergebnis, dass die Ebenen der Geeignetheit und Erforderlichkeit zur klassischen Schuldstrafe nicht passen, zieht daraus aber, anders als hier vertreten, nicht den Schluss, dass dieses herkömmliche Strafverständnis dann jedenfalls im Hinblick auf den rechtfertigenden Zweck überdacht werden muss. Letzteres erscheint mir aber zwingend. Kollidiert eine einfachgesetzlich ausgeformte staatliche Maßnahme mit einem Verfassungsgrundsatz, kann das nur durch eine entsprechende Anpassung der Maßnahme erfolgen und nicht in der Weise, dass man den übergeordneten Verfassungssatz nicht heranzieht. Letzteres wäre nur möglich, wenn man im Bereich des Strafrechts von einem verfassungsrechtlichen Sonderregime ausginge, bei dem von den üblicherweise geltenden Maßstäben der Legitimation von Grundrechtseingriffen abgewichen wird.52 Ausgerechnet bei der staatlichen Strafe als „schärfstem Schwert“ in der Hand des Staates auf Teilelemente des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu verzichten, wäre stark begründungsbedürftig. Und es ist auch nicht so, dass dieser Verzicht völlig folgenlos wäre. Zwar wird oft vertreten, dass die Strafe ja ohnehin am Schuldprinzip in seiner limitierenden Funktion orientiert sei, so dass dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kein zusätzliches kritisches Potenzial zukomme. Aber das ist deshalb nicht zutreffend, weil die Maßstäbe nicht identisch sind. Bei der Prüfung der Schuldangemessenheit wird die Frage der Geeignetheit und Erforderlichkeit im Hinblick auf einen rational begründbaren Zweck schlicht ersatzlos 49 50 51 52

Statt vieler Naucke 1993: S. 135, 145. S. dazu auch Kaspar 2013: S. 115 ff. Frisch 2013: S. 249 ff. Vgl. die entsprechende Deutung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei Frister 1988: S. 15 Fn. 5.

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übersprungen. Es geht dann lediglich um ein irgendwie ausgewogenes Verhältnis von Unrecht bzw. Schuld und Strafe. Erörtert wird hier also eine Anlass-MittelRelation,53 die von der herkömmlichen Betrachtung der Zweck-Mittel-Relation abweicht. Dass ein am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientiertes Präventionsstrafrecht im Ergebnis mehr Potenzial für eine Liberalisierung und Humanisierung aufweist, wird unten abschließend zu zeigen versucht. Festzuhalten ist, dass Vergeltung und Schuldausgleich mit der anerkannten Struktur des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht vereinbar und daher verfassungswidrig sind. Damit ist zugleich die Sollbruchstelle identifiziert, die dazu geführt hat, dass sich das materielle Strafrecht bisher in der Tat, wie Lagodny schreibt, strengeren verfassungsrechtlichen Bindungen „in genialer Weise“ entziehen konnte.54 Es ist die Anerkennung eines vorrangig am Vergeltungszweck orientierten Schuldstrafrechts, bei dem sämtliche zweckrationalen Teilelemente des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes aus dem Prüfungsprogramm eliminiert werden. 2. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und Präventionsstrafrecht Einzig ein am Zweck der Prävention orientiertes Strafrecht und anhand dieses Zwecks auch zu rechtfertigendes Strafrecht passt also zu den inhaltlichen Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Damit ist aber noch nichts darüber ausgesagt, ob es um Generalprävention, Spezialprävention (jeweils in ihren verschiedenen Varianten) oder um beides geht bzw. gehen soll. Dabei ist zwischen den beiden strafrechtlichen „Wirkungsebenen“, also der abstrakt-generellen strafbewehrten Verhaltensnorm sowie der konkreten Sanktionierung zu unterscheiden. a) Die strafbewehrte Verhaltensnorm Für die Ebene der strafbewehrten Verhaltensnorm ist die Antwort einfach: Hier kann es aufgrund ihres gedachten Einsatzes vor dem potenziellen Tatentschluss nur um Generalprävention gehen. Durch die Strafandrohung wird die Entscheidung für eine Strafbarkeit mit möglichen negativen Konsequenzen (die weit über das reine Strafübel hinausgehen) belastet. Es geht hier nicht um Dressur, sondern darum, dem Bürger einen „Klugheitsgrund“ zu liefern, von der Tatbegehung Abstand zu nehmen.55 Eine darüber hinausgehende spezialpräventive, auf den einzelnen Täter abzielende Wirkung der Strafandrohung (die ja vor der Begehung einer konkreten Tat steht) ist dagegen denklogisch ausgeschlossen, es bleibt auf dieser Ebene also bei einer rein generalpräventiven Zielsetzung.

53 Veh 1986: S. 100 f. 54 Lagodny 1996: S. 537. 55 So Greco 2009: S. 359 ff.

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Unabhängig von einfachgesetzlich orientierter Kritik ist die äußere Grenze für strafrechtliche Verbotsnormen der verfassungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Er hat sich zugegebenermaßen praktisch in der Vergangenheit nicht als sonderlich hohe Hürde für materielle Strafnormen erwiesen. Das Bundesverfassungsgericht hat hier stets große Zurückhaltung walten lassen und dem Gesetzgeber große Spielräume zugestanden.56 Dieser „judicial restraint“ ist im Ansatz unter den Aspekten des Demokratie- und Gewaltenteilungsprinzips verständlich. Er darf aber nicht dazu führen, dass herkömmliche Prüfungsmaßstäbe für Eingriffe in Freiheitsgrundrechte ausgerechnet bei Strafgesetzen weniger streng gehandhabt werden als sonst. Die bereits erwähnte Inzestentscheidung57 hat viel berechtigte Kritik erfahren, von der hier nur ein wichtiger Punkt aufgegriffen werden soll: Die Strafnorm, so das Bundesverfassungsgericht, gewinne ihr Gewicht durch die „Absolutheit, mit der sie (…) situationsunabhängige Beachtung“ einfordere.58 Damit wird meines Erachtens die Funktion des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verfehlt, der gerade auch dem abstrakten Handeln des Gesetzgebers entgegengesetzt werden muss, um im Einzelfall übermäßige Eingriffe zu verhindern.59 Wenn also die in Rede stehende Handlung (im konkreten Fall die intime Partnerschaft von Geschwistern, die sich erst als Erwachsene kennen gelernt hatten) ex ante betrachtet keine relevante Gefährdung der sexuellen Selbstbestimmung60 mit sich bringt, ist es verfassungsrechtlich nicht zulässig, die Reichweite der strafbewehrten Verhaltensnorm auch auf solche Verhaltensweisen zu erstrecken. Daher ist die in eher vereinzelt gebliebenen Entscheidungen des Bundesgerichtshofes angedeutete Möglichkeit der teleologischen Reduktion abstrakter Gefährdungsdelikte bei für die geschützten Rechtsgüter offensichtlich völlig harmlosen Taten (konkret: Das Inbrandsetzen einer kleinen und überschaubaren Hütte auf freiem Feld, die mit Sicherheit keinerlei Gefährdung von Menschen mit sich bringt)61 ein richtiger und nach hier vertretener Ansicht verfassungsrechtlich sogar zwingend gebotener Ansatz. Das Verfassungsrecht führt also konsequent angewendet durchaus zu Korrekturen von Strafgesetzen, auch wenn eine Strafnorm selten in toto als unverhältnismäßig und verfassungswidrig zu verwerfen sein wird.

56 S. etwa Swoboda 2010: S. 24, 46. 57 BVerfGE 120, S. 224. 58 BVerfGE 120, S. 224, 251. Scharfe Kritik bei Roxin 2009: S. 544, 549; krit. auch BVerfGE 120, S. 266 f. (Sondervotum Hassemer). 59 So zutreffend Hörnle 2008: S. 2085, 2087. 60 Dabei wird, ohne dass dies vertieft werden könnte, davon ausgegangen, dass allein dieses Rechtsgut überhaupt für eine Legitimation der Norm in Frage kommt. Nicht überzeugend ist der vom BVerfG ebenfalls bemühte Schutz der Familie, erst recht nicht die Verhinderung erbkranken Nachwuchses. 61 Vgl. BGHSt 26, S. 121, 124.

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b) Die Sanktionierung Wendet man den Blick auf die Sanktionierung nach begangener Tat wird die Zweckfrage komplizierter, hier kommen die verschiedenen Ausprägungen von Spezial- und Generalprävention in Betracht. Was die Resozialisierung oder „Besserung“ durch eine spezifische, über die Abschreckungswirkung hinausgehende Einwirkung auf den Täter angeht, halte ich diese für keinen Zweck, der die Strafe legitimieren kann. Zunächst wäre dies nur ein Teilzweck, der zwar für die Freiheitsstrafe, aber kaum für die zahlenmäßig weitaus häufiger verhängte Geldstrafe postuliert werden könnte. Hinzu kommt, dass eine tatsächlich nachhaltig „bessernde“ Wirkung des Strafvollzugs nach den Erkenntnissen der Rückfallforschung zumindest fraglich ist. Jedenfalls müssen die auch schädlichen Auswirkungen dieser Form der Strafe in Rechnung gestellt werden, die zu Ausgrenzung und Stigmatisierung führen kann und in diesem Fall das Bedürfnis nach Re-Sozialisierung bei den Betroffenen erst produziert oder jedenfalls verschärft. Schließlich ist noch zu bedenken, dass therapeutische und in sonstiger Weise „bessernde“ Einwirkungen auf den inhaftierten Täter nicht gegen dessen Willen vorgenommen werden dürfen.62 Er hat zwar einen verfassungsrechtlichen, aus dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleiteten Anspruch auf Resozialisierung,63 der auch entsprechende Angebote im Strafvollzug umfasst und daher als wichtiges Gestaltungsprinzip selbstverständlich erhalten bleiben muss. Genau dieses Allgemeine Persönlichkeitsrecht bewirkt aber auch das Recht des Inhaftierten, seine Mitwirkung an solchen Maßnahmen zu verweigern. Wäre die bessernde Einwirkung nun aber der tragende Zweck der Haft, hätte es der Betroffene in der Hand, diesem Zweck durch seine bloße Weigerung den Boden zu entziehen. Dann wäre der Vollzug der Freiheitsstrafe spätestens ab diesem Zeitpunkt zu beenden, da er zum Zweck der Resozialisierung nicht (mehr) geeignet wäre. Es bleibt also dabei: Wenn der Täter inhaftiert ist, muss man sich intensiv um Resozialisierung bemühen. Dass man ihn inhaftiert, muss aber anders begründet werden. Denkbar wäre nun, auf den negativ-spezialpräventiven Aspekt der Sicherung abzustellen. Und in der Tat kann man nicht leugnen, dass der Sicherungsgedanke ganz evident nicht nur im Bereich der Maßregeln der Besserung und Sicherung, sondern auch bei der Freiheitsstrafe eine Rolle spielt, etwa im Bereich der Regeln zur Aussetzung der Strafe zur Bewährung (vgl. nur §§ 56 Abs. 1, 57 Abs. 1 Nr. 2, 57a Abs. 1 Nr. 3 Strafgesetzbuch). Die Dauer des Vollzugs der Freiheitsstrafe wird hier ganz offen von einem Sicherungseffekt abhängig gemacht, und auch die Strafvollzugsgesetze der Länder nennen den „Schutz der Allgemeinheit“ als Vollzugsziel (vgl. etwa Art. 2 Satz 1 Bayerisches Strafvollzugsgesetz). Dennoch ist Sicherung nach hier vertretener Ansicht kein selbständiger Strafzweck, dem bei der Begründung der Art und Höhe der Strafe eine unmittelbare

62 Vgl. zu diesem Aspekt P.A. Albrecht 1986: S. 55, 73. 63 S. BVerfGE 35, S. 202, 235.

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Bedeutung zukommt. So ist die „Gefährlichkeit“ des Täters,64 anders als bei den Maßregeln der Besserung und Sicherung, schon keine Voraussetzung der Verhängung von Freiheitsstrafe. Gerade die Existenz der „zweiten Spur“ der Maßregeln, die in ihren stationären Formen (§§ 63, 64, 66 Strafgesetzbuch) jedenfalls auch sichernde Funktion haben, zeigt, dass die Freiheitsstrafe grundsätzlich nicht auf der Grundlage der Gefährlichkeit des Täters verhängt werden soll. Konsequenterweise ist dieser Aspekt bei den Strafzumessungskriterien in § 46 Strafgesetzbuch nicht ausdrücklich genannt und darf daher auch die Höhe der Strafe nicht beeinflussen – wobei nicht verkannt wird, dass dies durch die große Bedeutung der Vorstrafenbelastung für die Strafzumessung relativiert wird, was genau deshalb kritikwürdig ist.65 Gegen die Anerkennung des Sicherungszwecks als unmittelbar legitimierenden Zweck der Freiheitsstrafe sprechen prinzipielle, über die lex lata hinausreichende Gründe. So stünde der gravierende Eingriff in Art. 2 Abs. 2 GG durch die u. U. langjährige Freiheitsstrafe stets unter dem Vorbehalt, dass er einen Täter trifft, von dem tatsächlich Straftaten zu erwarten sind. Dass diese Prognose äußerst schwer in valider Weise gestellt werden kann, hat sich im Bereich der Sicherungsverwahrung vielfach gezeigt.66 Würde man nun den zahlenmäßig deutlich bedeutsameren Bereich der Freiheitsstrafe ebenfalls an dieses problematische Kriterium ankoppeln, würde das die Probleme der Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit potenzieren. Zudem wäre eine von der Tat weitgehend abgekoppelte und allein auf die (vermeintliche) Gefährlichkeit bezogene „Sicherheitsstrafe“ weder mit dem herkömmlichen Begriff von Strafe als nach ihrem Wesen vergangenheitsbezogene Reaktion auf eine Straftat vereinbar, noch mit dem Gerechtigkeitsgefühl der Allgemeinheit. Denn dann wäre der Ladendiebstahl des (vermeintlich) schwer Rückfallgefährdeten mit langjähriger Sicherheitshaft zu „bestrafen“; der in einer besonderen Ausnahmekonstellation begangene Mord eines Täters, dem keinerlei zukünftige Gefährlichkeit attestiert wird, müsste dagegen zwingend straflos bleiben. Unabhängig von der Frage der Verfassungswidrigkeit eines solchen Systems könnte man dafür keinerlei gesellschaftliche Akzeptanz erwarten. Wo der Sicherungsgedanke (von der Vollstreckungs- und Vollzugsebene abgesehen) seinen legitimen Platz hat, ist meines Erachtens der Strafzweck der positiven Generalprävention. Die Strafe hat nach hier vertretener Ansicht nicht nur die Aufgabe, die ursprüngliche Androhung zu realisieren, um einen negativgeneralpräventiven Effekt zu sichern. Sie soll auch das durch die Tat erschütterte Vertrauen in die Rechtsordnung, kurz gesagt: den „Rechtsfrieden“, wiederherstellen.67 Insofern ist auch die Wahl (gerade) der Freiheitsstrafe als Sanktionsart kein Zufall. Der mit ihr verbundene Effekt, dass der Täter nicht nur irgendein Übel zu erdulden hat, sondern darüber hinaus vorübergehend vom Rest der Gesellschaft getrennt wird und diese Zeit für Resozialisierungsangebote genutzt werden kann, 64 65 66 67

S. dazu auch Drenkhahn in diesem Band. Vgl. auch Hörnle 1999: S. 1080, 1083 ff. Vgl. nur Feltes/Alex 2010. Kritisch etwa Naucke 2011: S. 133, 138 f.

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ohne dass weitere Straftaten gegenüber der Allgemeinheit drohen, dürfte deutlich zu diesem Befriedungseffekt beitragen. Das gilt aber nur für die Wahl der Sanktionsart, also konkret die Schwelle, ab der von Geld- zu Freiheitsstrafe bzw. von einer zur Bewährung ausgesetzten zur vollstreckten Freiheitsstrafe übergegangen wird. Nicht zufällig wird an diesen Stellen auf den positiv-generalpräventiven Aspekt der „Verteidigung der Rechtsordnung“ Bezug genommen (vgl. § 47 Abs. 1 sowie § 56 Abs. 3 Strafgesetzbuch). Was die Strafhöhe angeht, bewirkt die hier vertretene Anerkennung einer generalpräventiven Strafbemessung keine Sanktionsexpansion, da mehr Freiheitsstrafe eben nicht quasi-linear mehr Abschreckung oder mehr Rechtsfrieden bedeutet. Hier ist vielmehr auf der Basis der oben erwähnten empirischen Erkenntnisse der Generalpräventionsforschung davon auszugehen, dass sehr schnell ein Grenznutzen erreicht ist, dass sich also eine Steigerung des Strafniveaus zwar auf der Mikro-Ebene des Bestraften in gravierender Weise freiheitseinschränkend auswirkt, auf der Makro-Ebene der Gesellschaft aber keinen nennenswerten (zusätzlichen) generalpräventiven Effekt bewirkt. Folgt man der empirisch belegten These, dass es auch im Bereich der Generalprävention in gewissem Umfang eine „Austauschbarkeit der Sanktionen“68 gibt, jedenfalls einen breiten Rahmen an Strafen, die von der Bevölkerung als angemessene Reaktion auf eine Straftat akzeptiert werden, dann folgt daraus aus verfassungsrechtlichen Gründen, dass man sich zwingend am unteren Rand dieses Rahmens halten muss. Denn es würde sich dann um ein milderes, zur Generalprävention aber immer noch ausreichend geeignetes Mittel handeln. Weiterhin würde eine solche empirisch fundierte Sichtweise nahe legen, dass man regional unterschiedliche Strafniveaus in Deutschland, eventuell auch in europäischen Nachbarländern mit vergleichbaren Rechtssystemen, in den Blick nimmt. Der eben erwähnte Verhältnismäßigkeitsgrundsatz legt nahe, eine „Angleichung nach unten“ vorzunehmen, bei der das bei vergleichbaren Taten mildeste, aber zur Aufrechterhaltung und Wiederherstellung des Rechtsfriedens noch ausreichende Strafniveau auch für die bisher punitiveren Regionen maßgeblich sein müsste. Das würde natürlich noch genauere Forschungen über die Strafzumessungspraxis in Deutschland erfordern. Vor allem aber würde es voraussetzen, dass man sich über einen solchen auch empirischen Bezugspunkt der Strafe einigt. Strafe dient nach diesem Verständnis dem Zweck der „verhältnismäßigen Generalprävention“69 und muss anhand dieses Zweckes in ihrer Art und Höhe begründet werden. Im Vergleich zur reinen Schuldmaßoptimierung auf dem Boden eines klassischen Konzepts der Schuldstrafe ginge es um Optimierung von (grundrechtlich geschützter) Freiheit, also um genau das, was auch die Kritiker des Präventionsstrafrechts oft völlig zu Recht als Ziel postulieren.70

68 Streng 2007. 69 Ähnlich Jescheck/Weigend 1996: S. 4 („maßvolle Generalprävention“). 70 Vgl. nur Naucke 1993, S. 135 ff.

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V. FAZIT Zusammenfassend kann man festhalten, dass ein verfassungsrechtlich gebundenes, an „verhältnismäßiger Generalprävention“ orientiertes Strafrecht mehr kritisches Potenzial aufweist als ein notorisch diffuses und ohne tragfähigen, d.h. rational begründbaren Zweck operierendes „Schuldstrafrecht“. Das sachliche Problem, über das diskutiert und gestritten werden muss, ist daher nicht das präventionsorientierte Strafrecht, sondern das expansive Strafrecht. Zu zeigen, dass das eine mit dem anderen (auch im Vergleich zum Schuldstrafrecht klassischer Prägung) nicht notwendigerweise zusammenhängt, war das Ziel dieses Beitrags. LITERATUR Albrecht, Peter Alexis, 1986: Prävention als problematische Zielbestimmung im Kriminaljustizsystem, KritV, S. 55–82. Bäcker, Matthias, 2011: Kriminalpräventives Strafrecht und polizeiliche Kriminalprävention, in: Baumeister, Peter u.a. (Hrsg.), Festschrift für Schenke, Berlin, S. 331–354. Baurmann, Michael, 1987: Zweckrationalität und Strafrecht, Opladen. Brunhöber, Beatrice/Höffler, Katrin/Kaspar, Johannes/Reinbacher, Tobias/Vormbaum, Moritz (Hrsg.), Strafrecht und Verfassung, Baden-Baden, 2012. Ellscheid, Günter/Hassemer, Winfried, 1975: Strafe ohne Vorwurf. In: Lüderssen, Klaus/Sack, Fritz (Hrsg.), Abweichendes Verhalten II, Die gesellschaftliche Reaktion auf Kriminalität 1, Frankfurt am Main, S. 266. Feltes, Thomas/Alex, Michael, 2010: Kriminalpolitische und kriminologische Probleme der Sicherungsverwahrung. In: Dölling, Dieter (Hg.), Festschrift für Schöch, Berlin/New York, S. 733– 754. Frisch, Wolfgang 2013: Schuldgrundsatz und Verhältnismäßigkeit, NStZ, S. 249–256. Frister, Helmut, 1988: Schuldprinzip, Verbot der Verdachtsstrafe und Unschuldsvermutung als materielle Grundprinzipien des Strafrechts, Berlin. Greco, Luis, 2009: Lebendiges und Totes in Feuerbachs Straftheorie: Ein Beitrag zur gegenwärtigen strafrechtlichen Grundlagendiskussion, Berlin. Hassemer, Winfried, 1992: Kennzeichen und Krise des modernen Strafrechts, ZRP, S. 378–383. Häntzschel, Jörg, 2013: Leben im Heuhaufen. In: Süddeutsche Zeitung v. 26.8.2013, S. 9. Hefendehl, Roland (Hrsg.), 2010: Grenzenlose Vorverlagerung des Strafrechts, Berlin. Heinz, Wolfgang/Storz, Renate, 1992: Diversion im Jugendstrafverfahren der Bundesrepublik Deutschland, Bonn. Hermann, Dieter, 2010: Die Abschreckungswirkung der Todesstrafe – ein Artefakt der Forschung?. In: Dölling, Dieter u.a. (Hrsg.), Festschrift für Schöch, Berlin/New York, S. 771– 780. Hörnle, Tatjana, 1999: Das antiquierte Schuldverständnis der traditionellen Strafzumessungsrechtsprechung und -lehre, JZ, S. 1080–1089. Hörnle, Tatjana, 2008: Das Verbot des Geschwisterinzests – Verfassungsgerichtliche Bestätigung und verfassungsrechtliche Kritik, NJW, S. 2085–2088. Hörnle, Tatjana, 2011: Straftheorien, Tübingen. Jehle, Jörg-Martin u.a. (Hrsg), 2010: Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen. Eine bundesweite Rückfalluntersuchung 2004 bis 2007, Berlin. Jescheck, Hans-Heinrich/Weigend, Thomas, 1996: Strafrecht Allgemeiner Teil, Berlin/New York, 5. Aufl. Kasiske, Peter, 2013: Anforderungen an die Begründung von Unterbringungsentscheidungen, NJW-Spezial, S. 632–633.

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WAS IST DAS PROBLEM MIT DER PRÄVENTION IM STRAFRECHT? Boris Burghardt Präventives Strafrecht – der Begriff hat keinen guten Klang in der deutschen Strafrechtswissenschaft. Er rückt das Bezeichnete intuitiv in ein Zwielicht, in dem es als illegitim, mindestens jedoch als besonders begründungsbedürftig erscheint.1 Selbst jene, die in der Prävention grundsätzlich einen Zweck des Strafrechts sehen, scheinen dem Gedanken zu misstrauen und betonen vielfach, dass Begrenzungen erforderlich und die Missbrauchsgefahr groß ist.2 Dieser Befund muss verwundern, wenn er mit der Selbstverständlichkeit verglichen wird, mit der Prävention außerhalb des Strafrechts zum Zweck gesetzgeberischen Handelns erklärt wird. Was im Polizeirecht oder besonderen Verwaltungsrecht rechtlich zulässig ist, erscheint im Strafrecht offenbar als heikel. Wie erklärt sich diese Divergenz? Ist sie Folge der normativen Besonderheit des Strafrechts und daher berechtigt? Und welche Besonderheit wäre dies? Oder lässt sich eine solche Sonderrolle des Strafrechts gar nicht überzeugend begründen? Dann wären zwei Schlussfolgerungen möglich: Am Strafrecht könnte sich besonders eindrücklich zeigen, was an der Prävention bei genauerem Hinsehen auch sonst problematisch ist. Oder aber das Misstrauen, das dem Präventionsgedanken im Strafrecht begegnet, wäre hier so unbegründet wie sonst auch. Die titelgebende Leitfrage des Beitrags lautet also: Was ist das Problem mit der Prävention im Strafrecht? Die einleitenden Bemerkungen umreißen die strukturgebende methodische Prämisse der Ausführungen: Die Antwort auf die Frage lässt sich nicht finden, wenn die Betrachtungen strafrechtsimmanent bleiben. Es muss zunächst geklärt werden, wie Prävention allgemein zu bewerten ist. Erst danach soll untersucht werden, ob für das Strafrecht anderes gilt.

1

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Vgl. nur den paradigmatischen Titel von Albrecht 1986: S. 55: „Prävention als problematische Zielbestimmung im Kriminaljustizsystem“, sowie die alarmistischen Stichworte „Erosionen des rechtsstaatlichen Strafrechts“ (Albrecht 1993: S. 180), „Vernichtung des Rechts“ (Albrecht 2010: S. 5) oder „Gefährdung des Strafrechts“ (Herzog 1991: S. 70). Vgl. z.B. Hassemer/Neumann 2013: Vor § 1 Rn. 344, 347; Roxin 2006: S. 83, 91 f.

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I. PRÄVENTION Der Begriff der Prävention wird in unterschiedlichen Zusammenhängen verwendet. Ganz allgemein bezeichnet er eine Zielorientierung von Verhalten. Ein Verhalten ist präventiv, wenn es darauf abzielt, einen Schaden abzuwenden, bevor er entsteht.3 Prävention hat demnach stets einen inhaltlichen Bezugspunkt: den Schaden. Zu diesem Bezugspunkt verhält sich Prävention intentional kontradiktorisch: der Eintritt des Schadens soll verhindert werden. Der Nichteintritt des Schadens ist das Ziel, Prävention der Zweck. Prävention unterliegt überdies einigen Prämissen über Wirkungszusammenhänge. Es wird davon ausgegangen, dass die Realisierung des Schadens überhaupt verhindert oder doch hinausgezögert bzw. das Ausmaß des Schadens verringert werden kann. Erscheint dies nicht möglich, ist eine präventive Verhaltensorientierung sinnlos. Zum anderen setzt Prävention voraus, dass sich Situationen, Verhaltensweisen oder Personen als Gefahr oder Risiko eines Schadenseintritts rekonstruieren lassen und daher sinnvoll den Anknüpfungspunkt präventiven Verhaltens bilden können. Für die Bewertung des präventiven Handelns folgt aus dem Präventionsgedanken der Maßstab der Zweckrationalität. Zwischen verschiedenen Mitteln der Prävention ist dasjenige zu wählen, das den Präventionszweck am effektivsten erfüllt. Eine Rechtfertigung von Verhalten aus Präventionsgründen scheidet aus, wenn das Verhalten keine Präventionswirkung entfaltet oder der durch das präventive Verhalten bewirkte Schaden größer ist, als der dadurch abgewendete Schaden. Diese allgemeinen Ausführungen zeigen: Das Auffälligste am Präventionsgedanken ist seine Inhaltsleere und seine daraus resultierende Ergänzungsbedürftigkeit. Aus dem Präventionsgedanken ergibt sich nicht, was als Schaden verstanden wird und wie der Schaden zu bemessen ist. Damit entbehrt der Präventionsgedanke eines Maßstabs, mittels dessen die Effektivität der Prävention bestimmt und mithin die Auswahl zwischen verschiedenen Präventionsmitteln getroffen werden kann. Ebenso fehlt ein Maßstab zur Abwägung zwischen Schäden, deren Eintritt verhindert werden soll, und Schäden, die das präventive Verhalten selbst bewirken kann. Der Präventionsgedanke lässt zudem offen, aufgrund welcher Kriterien Situationen, Verhaltensweisen oder Personen als Risiko oder Gefahr eines Schadenseintritts erscheinen. Und: Aus dem Präventionsgedanken folgt nicht, dass die Präventionswirkung den alleinigen Maßstab zur Bewertung eines Verhalten bildet.

3

Regelmäßig wird statt von „Schaden“ von „unerwünschtem Ereignis“ gesprochen, vgl. beispielhaft den Wikipedia-Eintrag zum Stichwort „Prävention“: http://de.wikipedia.org/ wiki/Prävention. In der Sache soll mit „Schaden“ hier nichts anderes gemeint sein.

Was ist das Problem mit der Prävention im Strafrecht?

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II. PRÄVENTION UND RECHT Der Präventionsgedanke kann im Recht in zweifacher Weise seinen Ausdruck finden. Zum einen kann er den Zweck gesetzgeberischen Handelns bilden. Zum anderen kann der Präventionsgedanke den Regelungsgehalt von Rechtsnormen prägen. 1. Präventive Zweckbestimmung Dass Recht grundsätzlich auch präventive Zwecke verfolgen darf, wird nicht bezweifelt. Selbst die libertärste Staatsphilosophie kommt nicht auf den Gedanken, die Abwehr jeder Art von Gefahren den Bürgern selbst zu überlassen.4 Die grundsätzliche Legitimität präventiven staatlichen Handelns ändert freilich nichts an der Rechtfertigungsbedürftigkeit der spezifischen staatlichen Präventionsmaßnahme. Für die rechtliche Beurteilung präventiver Rechtsetzung sind im Wesentlichen drei Aspekte entscheidend: (1) was als Schaden bestimmt wird, den es zu verhindern gilt; (2) was als Gefahr oder Risiko rekonstruiert wird, an der präventive Mittel zur Schadensverhinderung anknüpfen; (3) welche Mittel zum Zweck der Prävention eingesetzt werden. Wie erläutert, ergibt sich die Antwort auf keine dieser Fragen aus dem Präventionsgedanken selbst. Insoweit erweist sich die präventive Zweckbestimmung als rechtlich neutral – ein Befund, der angesichts ihrer inhaltlichen Ergänzungsbedürftigkeit nicht überraschen kann. Diese jenseits einer bestimmten Rechtsordnung formulierten Überlegungen lassen sich für den Kontext des Grundgesetzes konkretisieren: Greift eine staatliche Maßnahme in Grundrechte ein, ist ein solcher Eingriff gerechtfertigt, wenn er in formell und materiell verfassungsgemäßer Weise erfolgt. In materieller Hinsicht bedarf es zunächst eines verfassungslegitimen Zwecks. Ein solcher liegt insbesondere vor, wenn die staatliche Maßnahme den Schutz von Grundrechten oder anderer Verfassungswerte bezweckt. Verfassungsrechtlich relevant ist also nicht, ob die Maßnahme präventiv ist, sondern was geschützt und was verhindert werden soll. Soll der Eintritt von Gesundheitsschäden verhindert werden, ist dies eine legitime präventive Zweckbestimmung. Ist der Zweck der Schutz der Rassereinheit deutschen Blutes, lässt sich der Zweck der Maßnahme nicht mit dem Grundgesetz vereinbaren. Für die verfassungsrechtliche Beurteilung des Präventionszwecks ist der inhaltliche Bezugspunkt der Prävention entscheidend, nicht die präventive Zweckbestimmung an sich. Zugleich folgt aus der Vereinbarkeit des inhaltlichen Bezugspunkts der Prävention mit dem Grundgesetz selbstverständlich noch nicht, dass die konkret vorgesehene präventive Maßnahme verfassungsgemäß ist. Die formellen und materiellen Vorgaben des Verfassungsrechts werden durch die verfassungsgemäße Zweckbestimmung selbstverständlich nicht dispensiert. In materieller Hinsicht muss der Eingriff daher insbesondere das Erfordernis der Verhältnismäßigkeit erfüllen. 4

Vgl. z.B. Nozick 1974: S. 113.

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2. Präventiver Regelungsgehalt Der Präventionsgedanke kann nicht allein die Zweckbestimmung einer Rechtsnorm prägen, sondern bereits ihren Regelungsgehalt und die Ausgestaltung ihrer verfahrensrechtlichen Durchsetzung. Mehr noch: Wenn Prävention den Zweck einer Norm bildet, fordert diese Zweckbestimmung auch bei der inhaltlichen Ausgestaltung der Norm Berücksichtigung. Wenn die Rechtsnorm Schadensverhinderung bezweckt, entspricht es nicht dem Zweck, den Schadenseintritt zum tatbestandlichen Anknüpfungspunkt der Norm zu erheben. Aus der Binnenperspektive der Prävention ist es vielmehr zweckrational, (1) staatliches Eingreifen schon zu einem Zeitpunkt zuzulassen, zu dem der Schadenseintritt noch verhindert werden kann; (2) nicht nur das unmittelbar schadensverursachende Verhalten zu untersagen bzw. unmittelbar schadensverhinderndes Verhalten zu gebieten, sondern Ver- und Gebote bereits auf zeitlich vorgelagertes Verhalten zu erstrecken, das schadensgeneigt bzw. schadensvorbeugend ist; (3) Verstöße gegen präventive Verhaltensnormen zu sanktionieren, um neben der Einsicht in die intrinsische Richtigkeit zusätzliche extrinsische Motive für normgemäßes Verhalten zu schaffen; (4) die Sanktion in Art, Maß, Verhängungs- und Vollstreckungsweise so auszugestalten, dass ein größtmöglicher Präventionseffekt erzielt werden kann. 3. „Präventionslogik“? Das Übergreifen der präventiven Zwecksetzung auf den Regelungsgehalt bildet den Kern grundsätzlicher Bedenken, die gegen den Präventionsgedanken erhoben werden. Die Kritik lässt sich – stark vereinfacht – wie folgt zusammenfassen: Prävention gehorche, wie sich in dem Kalkül der Vorverlagerung von sanktionsbewehrten Verhaltensnormen zeige, einer Logik der Gefahren- und Risikominimierung. Diese Logik sei freiheits-avers und grenzenlos, da stets noch mehr Vorbeugung denkbar sei; sie lasse sich daher rechtlich nicht mehr bändigen. Jedes staatliche Handeln zur Prävention, aber auch die Ausrichtung privater Handlungsmuster am Präventionsgedanken erscheinen aus dieser Perspektive als problematisch und lassen sich in Anknüpfung an Foucault als Teil einer umfassenden Sozialdisziplinierung begreifen.5 Der normative Gehalt des Arguments ist allerdings unklar. Folgt daraus die Illegitimität aller präventiven staatlichen Tätigkeit? Wohl kaum, denn dann mündete der Einwand in eine Aporie. Prävention würde gleichsam aus präventiven Gründen untersagt, nämlich nicht, weil die Beseitigung oder Verringerung einer spezifischen Gefahr oder eines bestimmten Risikos mittels einer bestimmten

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In diesem Sinne z.B. die Beiträge von Legnaro und Singelnstein in diesem Band. Eine bündige Zusammenfassung dieser Kritik liefert Hassemer 2009. Ausführlicher Albrecht 2009: S. 3 ff. Einen umfassenden Überblick über diesen Ansatz bieten Singelnstein/Stolle 2011.

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Maßnahme als unverhältnismäßig erscheint, sondern weil Prävention an sich Freiheit bedroht. Wird der Einwand hingegen als Hinweis auf die Kosten und Risiken der Prävention verstanden, so ist er zweifellos zutreffend, die Rede von der Präventionslogik führt aber nicht weiter. Hilfreicher ist es dann, Präventionsmaßnahmen in ihrer Freiheitsdimension zu begreifen, die rechtlich operationalisierbar ist. Präventionsmaßnahmen beinhalten die Entscheidung, eine Freiheitsausübung oder ein anderes legitimes Interesse vorbeugend auf Kosten einer anderen Freiheitsausübung zu schützen. Innerstädtische Geschwindigkeitsbegrenzungen beschränken aktuell die persönliche Handlungsfreiheit zugunsten eines präventiven Schutzes von Leib und Leben. Werden Grundstückseigentümer gesetzlich zur Wahrung von Abstandsflächen aus Brandschutzgründen verpflichtet, liegt darin die aktuelle Einschränkung des Eigentumsrechts zugunsten des präventiven Schutzes der Rechte auf Leben, körperliche Unversehrtheit und Eigentum. Warum die rechtliche Abwägung und Austarierung zwischen präventiv geschützten subjektiven Rechten und sonstigen legitimen Interessen einerseits und durch Präventionsmaßnahmen aktuell beeinträchtigten Freiheitsausübungen andererseits nicht möglich sein soll, leuchtet nicht ein. Der Präventionsgedanke ändert nichts an dem normativen Problem, dass unterschiedliche verfassungsrechtlich geschützte Interessen in Ausgleich gebracht werden müssen. Dass bei einer solchen Abwägung die subjektiven Rechte und Freiheiten der Wenigen im Interesse einer Majorität bzw. einer rechtlich konstruierten Allgemeinheit marginalisiert zu werden drohen, ist zutreffend, aber kein spezifisches Problem der Prävention. Die normative Besonderheit der Prävention liegt darin, dass der Eingriff erfolgt, bevor die geschützte Freiheitsausübung oder das geschützte sonstige Verfassungsinteresse aktuell beeinträchtigt oder unmittelbar bedroht sind. Diese Besonderheit erhöht die Legitimationslasten für präventive Schutzmaßnahmen mit Eingriffscharakter im Vergleich zu Eingriffen, die sich auf die Verhinderung bzw. Beendigung einer unmittelbar bevorstehenden oder noch andauernden Beeinträchtigung beschränken. Denn ob überhaupt und in welchem Ausmaß die geschützten Rechte und Interessen tatsächlich geschädigt worden wären, steht zu dem Zeitpunkt, zu dem die präventive Maßnahme greift, noch nicht fest. Präventionsmaßnahmen unterbinden bzw. sanktionieren also unweigerlich auch Freiheitsausübungen, die tatsächlich keinen Schaden verursacht hätten. In der üblichen Abwägungsdogmatik lässt sich dieser Umstand aber grundsätzlich durchaus erfassen und verarbeiten. Zu berücksichtigen sind dabei in Anlehnung an die aus dem Polizeirecht geläufigen Gesichtspunkte das Ausmaß und die Irreparabilität des drohenden Schadens, die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts ohne Eingriff, die Möglichkeit schadenshindernder Maßnahmen zu einem späteren Zeitpunkt, die Intensität und Irreparabilität der durch den Eingriff verursachten Schäden, die Wahrscheinlichkeit der Schadensabwendung durch den Eingriff, die Möglichkeit individueller Präventionsmaßnahmen und ihre soziale

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Erwünschtheit und nicht zuletzt die Zurechenbarkeit des Schadensrisikos zum Adressaten der Präventionsmaßnahme.6 Indes überzeugt auch der deskriptive Kern des Einwandes nicht vollständig. Bereichsweise, beispielsweise für die innere Sicherheit, lassen sich zwar Denkmuster erkennen, die mit dem Stichwort „Präventionslogik“ auf einen gemeinsamen Begriff gebracht werden können. Insofern hat die rechtspolitische Stoßrichtung der Kritik ihre Berechtigung. Der Präventionsgedanke verfängt aber nicht ubiquitär, er ist nicht grenzenlos, und er lässt sich auch nicht treffend nur als Freiheitsverlust oder -bedrohung beschreiben. Wenn heute stochastische Aussagen über immer komplexere Zusammenhänge möglich sind und ein sehr viel differenzierteres Instrumentarium der Risikokontrolle und Gefahrenabwehr zur Verfügung steht, so müssen diese Entwicklungen zunächst sowohl auf persönlicher als auch auf politischer Ebene als ein Zuwachs an Freiheit verstanden werden. Sie haben einen neuen und schier unüberschaubaren Raum für Entscheidungen entstehen lassen. Erst durch die Rekonstruktion als beeinflussbare Gefahr- und Risikozusammenhänge statt als Zufall oder Schicksal werden die erfassten Umstände zum Gegenstand einer Entscheidung. Zugleich determiniert die Rekonstruktion als Risiko oder Gefahr nicht schon die normative Auflösung dieses Spielraums individueller und kollektiver Selbstbestimmung. Es muss stets entschieden werden, wo, in welchem Umfang und in welcher Form Prävention gewollt wird. Nicht nur die Entscheidung, Präventionsmaßnahmen zu ergreifen, auch die Entscheidung, auf solche Maßnahmen zu verzichten, enthalten Abwägungen zugunsten und zulasten bestimmter Rechte und Interessen. Dass sich dabei gleichsam unweigerlich das Kalkül präventiven Schutzes durchsetzte, ist nicht zutreffend. Straßenverkehr, Datenschutz, Kontrolle des Finanzmarkts – es lassen sich ohne Schwierigkeiten Beispiele finden, die zeigen, dass Prävention offensichtlich nicht übergreifend und grenzenlos zur Maxime privaten oder politischen Handelns erhoben wird.7 Unter dem Stichwort „Präventionslogik“ verbirgt sich daher letztlich die Kritik an der gesetzgeberischen Prioritätensetzung. Es geht darum, welche Freiheitsausübung zugunsten eines präventiven Schutzes einer anderen Freiheitsausübung beschränkt, wo überhaupt Gefahren und Risiken gesehen, wie dringlich sie eingeschätzt, wie groß die Möglichkeiten der Vorbeugung taxiert und wie hoch die Kosten dafür veranschlagt werden. Hier lassen sich zweifellos bedauerliche kognitive Verzerrungen des tatsächlichen Schadenspotentials und die populistische Instrumentalisierung solcher Risiken und Gefahren beobachten, die sich bequem auf Randgruppen und Minderheiten externalisieren lassen. Das damit knapp umrissene Problem der Risikoallokation ist aber eines der distributiven Gerechtigkeit, das mit dem Schlagwort „Präventionslogik“ nicht akkurat beschrieben wird. Im Gegenteil: Tatsächlich wäre das zweckrationale Kalkül der Prävention durchaus geeignet, die politische Meinungsfindung über die freiheitsinvasive Begrenzung von Risiken und Gefahren zu 6 7

Vgl. zu den ermessensleitenden Kriterien im Polizeirecht überblicksartig Schenke 2013: S. 55 ff., 191 ff. Vgl. dazu unter dem Stichwort „Untersteuerung“ z.B. Albrecht 1988: S. 186, 205.

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entmystifizieren und stärker an empirische Erkenntnisse rückzubinden. Damit dürfte auch der Gedanke der Verteilungsgerechtigkeit zunehmend in den Fokus rücken. Überspitzt lässt sich formulieren: Nicht die rechtliche Begrenzung des Präventionsgedankens ist das Problem, sondern die mangelnde Normativierung der präventiven Zweckrationalität bei der rechtlichen Kontrolle präventiver Maßnahmen.8 Denn für die Prävention wiegt, bildhaft gesprochen, jeder Tote gleich viel, ob er nun durch ernährungsbedingte Fettleibigkeit, Straßenverkehr, Gewaltkriminalität oder Terroranschlag verursacht wird. III. PRÄVENTIVES STRAFRECHT Auch der Begriff des präventiven Strafrechts kann sich entweder auf die allgemeine Zweckbestimmung des Strafrechts beziehen oder auf den Regelungsgehalt strafrechtlicher Rechtsnormen. 1. Prävention als allgemeine Zweckbestimmung des Strafrechts Als allgemeine straftheoretische Zweckbestimmung steht die Prävention idealtypisch der Retribution oder Repression gegenüber.9 Ist Prävention Zweck des Strafrechts, wird die Sequenz aus Kriminalisierung, Strafverfolgung und Bestrafung (i.S. von Auferlegen der Strafe und Strafvollstreckung)10 eines Verhaltens als Mittel der Verhinderung und Vorbeugung zukünftigen strafbaren Verhaltens begriffen.11 Retributive Straftheorien sehen als Zweck des Strafrechts dagegen den Ausgleich und die Aufhebung des Zustands, den ein strafbares Verhalten in der Vergangenheit verursacht hat.12 Den retributiven Straftheorien lassen sich auch Ähnlich z.B. Hassemer 2006a: S. 143. Vgl. auch Albrecht 2010: S. 4 f., der darauf hinweist, dass das aktuelle, „nach-präventive Sicherheitsstrafrecht“ an kriminologischen Erkenntnissen „nicht mehr im Entferntesten interessiert“ sei. 9 Vgl. z.B. Jescheck/Weigend 1996: S. 4; Pawlik 2004: S. 18 ff. Im Folgenden wird nur noch von retributiven Zweckbestimmungen gesprochen. Der Begriff Repression nimmt einseitig auf die „negative“ Retribution gegenüber dem Täter Bezug; vernachlässigt werden die Aspekte „positiver“ Retribution gegenüber Opfer, Allgemeinheit und auch Täter. 10 Obgleich es wichtig ist, die Kriminalisierung, verfahrensrechtliche Ausgestaltung der Strafverfolgung, Bestrafung und Strafvollstreckung im Hinblick auf ihre Eingriffsqualität und Rechtfertigung zu unterscheiden, überzeugt es nicht, die einzelnen Stufen hinsichtlich der Zweckbestimmung auseinanderzureißen und isoliert zu behandeln. Vgl. dazu Hassemer/Neumann 2013: Vor § 1 Rn. 288, 296 m.w.N. 11 In der deutschen Strafrechtswissenschaft wird die präventive Zweckbestimmung zumeist sogleich mit dem inhaltlichen Moment des Rechtsgüterschutzes verbunden, vgl. z.B. Jescheck/Weigend 1996: S. 7; Radtke 2012: Vor §§ 38 ff. Rn. 1; Stree/Kinzig 2010: Vorbem. §§ 38 ff. Rn. 1. Die Frage, was Schutzgegenstand und was Schaden ist, hat aber zunächst nichts mit der Frage zu tun, ob der Zweck präventiv oder retributiv ist. Präventive Zweckbestimmungen lassen sich daher auch ohne Bezug zum Rechtsgüterschutz formulieren. 12 Vgl. z.B. Pawlik 2004: S. 20. 8

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jene Ansätze zuordnen, die mit den Attributen „kommunikativ“ oder „expressiv“ gekennzeichnet werden.13 Denn es geht auch bei diesen Ansätzen „nicht um die Beeinflussung der Straftatenhäufigkeit in der Zukunft, sondern um Interessen, die sich auf den angemessenen Umgang mit vergangenem Verhalten beziehen“.14 Ziel des Strafrechts ist auch hier der Ausgleich des durch die begangene Straftat entstandenen Zustands. Ihre Besonderheit liegt lediglich darin, dass sie im Vergleich zu klassischen, an den Stichworten Vergeltung oder Schuldausgleich orientierten Formulierungen retributiver Straftheorien eine Perspektivenerweiterung vollziehen und den Begriff der Retribution folgerichtig nicht allein auf den Täter, sondern auch auf das Opfer bzw. die durch die Tat betroffene Rechtsgemeinschaft beziehen. 2. Präventiver Regelungsgehalt Jenseits der Frage der allgemeinen Zweckbestimmung wird von einem präventiven Strafrecht in Bezug auf den Regelungsgehalt gesprochen. Dieses präventive Strafrecht wird von einem repressiven oder reaktiven Kernstrafrecht abgegrenzt.15 Entsprechend den verschiedenen Stufen des Strafrechts sind präventive Regelungsgehalte bei strafrechtlichen Verhaltensnormen, strafrechtlichen Sanktionsnormen oder strafprozessualen Regelungen denkbar. Als Beispiele für präventives Strafrecht im Hinblick auf die Ausgestaltung strafrechtlicher Verhaltensnormen werden regelmäßig die abstrakten Gefährdungsdelikte, Organisationsdelikte, selbständig kriminalisierte Vorbereitungshandlungen und der untaugliche Versuch genannt, während Verletzungsdelikte, konkrete Gefährdungsdelikte oder der erfolgstaugliche Versuch als Ausdruck klassischen, reaktiven Strafrechts gelten.16 Gemeinsamkeit präventiver strafrechtlicher Verhaltensnormen ist demnach, dass Verhalten unabhängig von seiner Eignung, konkret und unmittelbar einen Schaden herbeizuführen, kriminalisiert wird.17 Dieser Bestimmungsversuch ist erkennbar vorläufig und bedarf der Präzisierung. Überdies passt er nur auf strafrechtliche Verhaltensnormen, erlaubt aber keine Antwort darauf, was präventive Sanktionsnormen des Strafrechts oder präventive Regelungen des Strafverfahrensrechts sind. Immerhin verdeutlichen die präliminarischen Überlegungen, dass das Begriffspaar präventives versus reaktives Strafrecht jedenfalls insofern missverständlich ist, als auch Verhaltens- und Sanktionsnormen mit präventivem Regelungsgehalt an einem tatbestandlichen Geschehen anknüpfen und daher ebenfalls reaktiv sind. Entscheidend für die Zuordnung zum präventiven Strafrecht ist nicht, dass reaktive Strafnormen auf das Geschehene zurückschauen, präventive Straf13 Vgl. dazu zusammenfassend Hörnle 2011: S. 29 ff. 14 Hörnle 2011: S. 29. 15 Vgl. z.B. Hassemer 1992: S. 383; Naucke 1993: S. 145; Paeffgen 2013: Vor §§ 32 ff. Rn. 223a. 16 Vgl. z.B. Heinrich 2009: S. 115 ff.; Wohlers 2000: S. 30. 17 Ähnlich Bäcker 2011: S. 333; Weißer 2009: S. 136.

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normen hingegen auf zukünftige Folgen blicken. Entscheidend ist, worauf sie zurückblicken, m.a.W.: was ihren Anknüpfungspunkt bildet.18 IV. ZUR LEGITIMITÄT EINES PRÄVENTIVEN STRAFRECHTS Wenn Prävention grundsätzlich legitimer Zweck gesetzgeberischen Handelns und vorgelagerte sanktionsbewehrte Verhaltensgebote und -verbote legitimes Mittel der Prävention sein können, lassen sich kategorische Bedenken gegen die Prävention im Strafrecht nur mit Hinweis auf Besonderheiten des Strafrechts begründen. Tatsächlich bilden solche Überlegungen den Kern der Einwände gegen präventive Regelungsgehalte im Strafrecht. Überraschend ist allerdings, dass gegen die Prävention als Zweckbestimmung des Strafrechts vielfach Bedenken erhoben werden, die genereller Natur sind und daher eigentlich geeignet, die Prävention als Zweckbestimmung für andere Rechtsgebiete in Frage zu stellen. Um diese generellen Einwände soll es zunächst gehen. 1. Einwände gegen die Prävention als allgemeine Zweckbestimmung des Strafrechts a) Funktionalität Gegen Straftheorien, die Prävention zum primären Zweck des Strafrechts bestimmen, wird vorgebracht, ihnen liege ein funktionales oder instrumentelles Verständnis von Strafrecht zugrunde. Dadurch werde das Strafrecht an die Politik ausgeliefert und verliere seine Rolle als – wie es in Wiederholung der berühmten Liszt’schen Formulierung heißt – „unübersteigbare Schranke der Kriminalpolitik“.19 Indes ist die antagonistische Gegenüberstellung von Recht und Politik bei gleichzeitiger Diffamierung des Politischen in einem demokratischen Rechtsstaat nicht überzeugend und wirkte jenseits des Strafrechts geradezu befremdlich.20 Natürlich ist Recht Instrument der Politik. Diese Funktionalisierung ist aber keineswegs negativ zu bewerten. Politik ist kollektive Selbstbestimmung; dass diese in rechtlichen Formen und Verfahren geschieht, ist wünschenswert. Zwar erhebt Recht zugleich den Anspruch, mehr zu sein als nur funktional, nämlich gerecht. Auf diesen Anspruch ist auch der Gesetzgeber verpflichtet.21 Indes hat sich das 18 Ähnlich Pawlik 2004: S. 18; Walther 1999: S. 128. 19 Vgl. in diesem Sinne insbes. Naucke 1982: S. 541, 549, 563; Naucke 1990: S. 249, 254, 259; Naucke 1993: S. 136 f., 154 ff. Ähnlich z.B. Gierhake in diesem Band sowie ausführlicher Gierhake 2013: S. 32 ff.; Hassemer/Neumann 2013: Vor § 1 Rn. 344, 347. 20 Ähnlich Stuckenberg 2011: S. 659 f. 21 Vgl. z.B. Hesse 1994: S. 558 f.

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Bundesverfassungsgericht als institutionalisierte Instanz der Kontrolle von Rechtsakten hinsichtlich der Wahrung dieses Anspruchs aus guten Gründen auf einen bescheidenen, negativen Prüfungsmaßstab zu beschränken. Es geht insoweit eben nicht um die im Sinne der Verfassung beste Lösung, sondern nur um Verfassungsmäßigkeit.22 Kern der Funktionalisierungskritik ist letztlich der Unwillen, diesen weniger anspruchsvollen Maßstab für das Strafrecht zu akzeptieren.23 Denn er beinhaltet die psychologisch schwer hinnehmbare, aber staatsrechtlich wohl bedachte Konsequenz, dass sich im demokratischen Rechtsstaat nicht immer das bessere, der Vernunft gemäße Argument durchsetzt.24 Für unseren Zusammenhang bleibt festzuhalten, dass die Betonung der Funktionalität des Strafrechts kein Nachteil straftheoretischer Zweckbestimmungen ist und daher nicht gegen präventive Straftheorien spricht.25 b) Ergänzungsbedürftigkeit Gegen präventive Strafzweckbestimmungen wird überdies geltend gemacht, dass sich aus dem Präventionsgedanken keine vollständige Straftheorie entwickeln lasse, die auch Fragen der Begründung und Legitimation umfassend beantwortet.26 Diese Feststellung ist an sich zutreffend. Die Leerstellen des Präventionsgedankens und seine inhaltliche Ergänzungsbedürftigkeit wurden bereits in allgemeiner Form erläutert und bedürfen hier lediglich einer auf das Strafrecht bezogenen Reformulierung: Aus dem Präventionsgedanken selbst lässt sich nicht folgern, warum die Verhinderung strafbaren Verhaltens legitimer Zweck ist, welches Verhalten strafbar ist, wie es zu gewichten ist und wer dafür begründeter Weise verantwortlich gemacht werden kann. Präventive Strafzweckbestimmungen sind mithin zweifellos ergänzungsbedürftig. Das kann freilich nicht überraschen. Zweckbestimmungen kennzeichnen den Beweggrund zielgerichteten Handelns, liefern aber keine Begründung des Ziels. Auch retributive Strafzweckbestimmungen sind daher ergänzungsbedürftig. Zwar bedingt der Ausgleichsgedanke, dass Unrecht und strafrechtliche Antwort einander entsprechen sollen. Kriminalisierung und Bestrafung haben daher nach dem Maßstab zu erfolgen, der für die Begründung und Bemessung des Unrechts gilt. Aber der Retribution als Strafzweck ist nur das formale Gebot der Verklammerung zu entnehmen. Der eigentliche Unrechtsbegriff folgt aus dem Retributionsgedanken so wenig wie aus der präventiven Strafzweckbestimmung. Auch retributive Strafzweckbestimmungen bedürfen inhaltlicher Maßstäbe, die erklären, warum Retribution legitimer Zweck ist, und nach denen sich bestimmt, was 22 Vgl. nur BVerfGE 80, S. 244, 255; 90, S. 145, 173; 120, S. 250. 23 Ähnlich Appel 1998: S. 310 f.; Greco 2013: S. 24; Stuckenberg 2011: S. 658 f. 24 Solche Gründe jenseits der Grenze der Verfassungswidrigkeit lassen sich natürlich auch und gerade unter Bezugnahme auf die Verfassung entwickeln, vgl. Hörnle 2005: S. 34 f. 25 Vgl. zur gleichsam spiegelverkehrten Tendenz der Funktionalisierung retributiver Straftheorien Hassemer/Neumann 2013: Vor § 1 Rn. 273. 26 Ähnlich Naucke 1982: S. 535.

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Kriminalunrecht ist und wie es sich bemisst, kurz: was den Gegenstand der Retribution bildet.27 Es gibt mithin auch nicht nur einen mit dem Retributionsgedanken vereinbaren Unrechtsbegriff. Die Ergänzungsbedürftigkeit spricht nicht gegen die Prävention als Zweckbestimmung des Strafrechts. Die Frage der inhaltlichen Legitimation der präventiven Regelung ist schlicht eine andere, den Regelungsgehalt betreffende Frage. c) Unvereinbarkeit mit deontologischen Grenzen Der Vorwurf der Ergänzungsbedürftigkeit des Präventionsgedankens wird z.T. derart zugespitzt, dass von einer Unvereinbarkeit mit deontologischen Grenzen des Strafrechts gesprochen wird. Da Prävention das Strafrecht allein einem konsequentialistischen Zweckrationalismus unterordne, widersprächen alle außerhalb dieser Logik liegenden Gesichtspunkte einer präventiv ausgerichteten Straftheorie. Zentrale Garantien des rechtsstaatlichen Strafrechts wie das Schuldprinzip, das Verbot der Todesstrafe oder das Folterverbot, die jedenfalls heute nicht folgenorientiert, sondern eben deontologisch begründet werden, könnten daher allenfalls von außen an ein präventives Strafrecht herangetragen werden.28 Der Einwand ist zunächst aus formal-logischen Gründen zurückzuweisen. Aus der Erkenntnis, dass sich aus dem Präventionsgedanken keine deontologischen Grenzen ergeben, folgt nicht, dass deontologische Grenzen dem Präventionsgedanken widersprechen. Prävention erhebt ebenso wenig wie andere Zweckbestimmungen einen Exklusivitäts- oder Absolutheitsanspruch.29 Bei der Prävention muss es sich weder um den einzigen Zweck des Strafrechts handeln, noch ist ausgeschlossen, dass andere Gesichtspunkte die präventive Zwecksetzung ihrerseits begrenzen. Dass damit ein aus Fairnessgründen zu beachtendes Gebot axiologischer Geschlossenheit und begründungstheoretischer Konsistenz verletzt würde,30 leuchtet nicht ein. Eine Zweckbestimmung impliziert nicht, dass der Zweck um jeden Preis verfolgt werden darf. Für das Polizeirecht erschiene diese Aussage in ihrer Selbstverständlichkeit überflüssig. Warum dies für das Strafrecht betont werden muss, ist nicht recht verständlich. Eine solche eindimensionale Übersteigerung des Präventionsgedankens vernachlässigt auch den dialektischen Kern jeder zweckrationalen Logik. Gerade der Gedanke der Zweckrationalität zwingt zu einer Überwindung der Binnenlogik. Eine präventive Strafzweckbestimmung weiß nicht allein um ihre Ergänzungsbedürftigkeit. Sie beinhaltet vielmehr zugleich die Frage nach den Grenzen der 27 Ebenso Neumann 2007: S. 448. 28 Vgl. z.B. Gierhake in diesem Band sowie ausführlich Gierhake 2013: S. 32 ff.; Kindhäuser 2006: S. 82 f.; Murmann 2010: S. 195 f.; Pawlik 2011: S. 263. Ähnlich auch Hassemer 2006: S. 140 f.; Roxin 2006: S. 76, 83, 91 f. 29 Ebenso Neumann 2007: S. 447; Stratenwerth 1995: S. 19 ff. 30 So Pawlik 2011: S. 263; Pawlik 2012: S. 86 sowie daran anschließend Gierhake in diesem Band.

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Prävention, um als präventive Straftheorie zweckrational zu sein.31 Denn wenn deontologische oder teleologische Grenzen jenseits des Präventionsgedankens bestehen, diese aber bei der Ausgestaltung des Strafrechts nicht berücksichtigt werden, wirkt sich dies nachteilig für die Präventionswirkung aus. Setzt gerechte Strafe beispielsweise voraus, dass das Schuldprinzip gewahrt bleibt oder die Strafe nicht entwürdigend oder unmenschlich ist, so ist dies für die Ausgestaltung der Strafe im Sinne der präventiven Zweckrationalität zu berücksichtigen. Weil Recht seine Geltung durch Drohung und Zwang nie so effektiv garantieren kann wie durch Zustimmung und Befolgung, erzielt ungerechte Strafe zumindest mittelfristig weniger Präventionswirkung als gerechte Strafe. Ob gerechte Strafe freilich das Schuldprinzip voraussetzt und was das Schuldprinzip im Einzelnen bedeutet, ergibt sich – das wurde bereits ausgeführt – nicht aus dem Präventionsgedanken. Erneut erweist sich eine Übertragung des Arguments auf retributive Strafzweckbestimmungen zur Veranschaulichung als hilfreich. Auch aus dem Gedanken der Retribution folgen keine deontologischen Grenzen des Strafrechts. Für das Gesetzlichkeitsprinzip hat dies Carl Schmitt mit seinem maliziösen nullum crimen sine poena hinreichend deutlich gemacht.32 Für das Verbot der Todesstrafe und das Folterverbot ist dies ähnlich offensichtlich.33 Diese für uns so zentralen Grundsätze des Strafrechts wurden historisch nicht zufällig gegen den Vergeltungsgedanken erkämpft.34 Das gilt selbst für den Schuldgrundsatz, der in der strafrechtlichen Diskussion intuitiv mit dem Gedanken der Retribution verbunden wird.35 Dem ist erneut entgegen zu halten: Retribution impliziert nur eine Gleichheit der Maßstäbe, aber eben nicht, welche Maßstäbe dies sind. Ein reines Erfolgsstrafrecht wäre ohne weiteres mit dem Gedanken der Retribution vereinbar, nicht aber mit dem Schuldprinzip, das nach gängigem Verständnis voraussetzt, dass hinsichtlich des zugerechneten Erfolges Vorsatz oder Fahrlässigkeit gegeben sind. Dass Folterverbot, Gesetzlichkeitsprinzip und Schuldgrundsatz nicht aus dem Retributionsgedanken folgen, impliziert aber selbstverständlich nicht seine Unvereinbarkeit mit diesen deontologischen Grenzen. Retributive Strafzweckbestimmungen sind so wenig wie präventive Strafzweckbestimmungen notwendiger Weise exklusiv oder absolut. Strafrechtliche Verhaltens- und Sanktionsnormen oder strafprozessuale Regelungen können ihrem Inhalt nach gegen deontologische Grenzen verstoßen, nicht aber die präventive oder retributive Strafzweckbestimmung.

31 32 33 34 35

Ähnlich Hassemer/Neumann 2013: Vor § 1 Rn. 296. Vgl. Schmitt 1934: S. 713 f. Vgl. z.B. Greco 2009: S. 170 ff. Vgl. zusammenfassend Vormbaum 2011: S. 27 ff. Vgl. z.B. Hassemer 2006: S. 142.

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d) Übergreifen der Zweckbestimmung auf den Regelungsgehalt Schließlich wird aber – gleichsam in Umkehrung des Einwands der Ergänzungsbedürftigkeit – argumentiert, die präventive Zweckbestimmung greife stets auch auf den Regelungsgehalt der Norm über.36 Gegen die Zweckbestimmung spricht dieser Umstand freilich nur, wenn präventive Regelungsgehalte im Strafrecht eo ipso illegitim bzw. – in einer abgeschwächten Form des Arguments – jedenfalls schwierig zu begründen sind. Die Richtigkeit der Prämisse soll sogleich näher erörtert werden. Zur Behauptung, dass die präventive Zweckbestimmung stets auf den Regelungsgehalt übergreift, sind die wesentlichen Eckpunkte bereits ausgeführt worden: Tatsächlich entspricht es der präventiven Zweckrationalität, den Präventionsgedanken auch bei der Ausgestaltung des Regelungsgehalts zu berücksichtigen. Aus der Perspektive des Präventionszwecks ist es z.B. unvernünftig, gänzlich auf die Kriminalisierung von Verhalten zu verzichten, das zwar noch nicht geeignet ist, einen Schaden unmittelbar herbeizuführen, aber bereits die Gefahr einer Schadensherbeiführung begründet. Und ebenso ist es unvernünftig, bei der Ausgestaltung der Sanktion präventive Wirkungen unberücksichtigt zu lassen. Zugleich ist der Einwand zu relativieren: Ein umstandsloser Rückschluss von der präventiven Zweckbestimmung auf eine bestimmte Ausgestaltung der Verhaltens- oder der Sanktionsnorm ist nicht möglich. Erstens reflektiert Prävention auf seine eigenen Grenzen und ist offen für deontologische Beschränkungen. Die präventive Zweckrationalität kann also anderen Gesichtspunkten weichen bzw. sich selbst überholen. Zweitens ist Prävention kein eindimensionaler Wirkungszusammenhang. Zwar lässt sich theoretisch die Ausgestaltung sämtlicher Teilbereiche des Strafrechts nach dem Maßstab der präventiven Zweckrationalität evaluieren. Aber wie die gängige Unterscheidung von positiver und negativer General- und Spezialprävention zeigt, kann Prävention in unterschiedlicher Weise ansetzen. Zugleich sind die unterschiedlichen Präventionsweisen erkennbar nicht gleich-, sondern in gewissem Maß sogar gegenläufig37 und ihre Wirkung überdies schwer nachweisbar.38 Hier besteht also ein weiter Spielraum und Bedarf für die Berücksichtigung zusätzlicher normativer Gesichtspunkte im Sinne eines Kollisionsrechts, für politische Prioritätensetzung, anthropologische Glaubensbekenntnisse und empirische Forschung. Drittens muss das Strafrecht nicht die gesamte Arbeit der Prävention leisten, weil das Recht verschiedene Regelungssysteme ausdifferenziert hat, die der Prävention dienen können. Es ist daher jedenfalls nicht richtig, wenn gefolgert wird, eine präventive Zweckbestimmung führe notwendig zu einer weitestmöglichen Vorverlagerung 36 Vgl. z.B. Naucke 1985. 37 Vgl. zur sog. Antinomie der Strafzwecke zusammenfassend z.B. Hassemer/Neumann 2013: Vor § 1 Rn. 243 ff. 38 Einen Überblick über neuere Untersuchungen geben Bachmann/Goeck 2013: S. 37 ff. Ein sehr pessimistisches Fazit zieht Albrecht 2010b: S. 37.

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und denkbar härtesten Bestrafung.39 Soweit also nicht jeder präventive Regelungsgehalt im Strafrecht stets illegitim ist, spricht das Übergreifen auf den Regelungsgehalt nicht gegen die Prävention als allgemeine Zweckbestimmung des Strafrechts. 2. Einwände gegen präventive Regelungsgehalte im Strafrecht Ausgangspunkt der spezifisch strafrechtlichen Kritik präventiver Regelungsgehalte ist die Annahme, dass Strafrecht begrifflich Reaktion auf geschehenes Unrecht ist. Erfolgt die Kriminalisierung von Verhalten unabhängig von seiner Eignung, konkret und unmittelbar einen Schaden herbeizuführen, so ist zweifelhaft, ob in dem tatbestandsmäßigen Verhalten bereits begangenes Unrecht liegt.40 Ebenso ist es bei strafrechtlichen Sanktionsnormen oder strafprozessualen Regelungen präventiven Gehalts. Der strafrechtliche Charakter der Maßregeln der Besserung und Sicherung wird bezweifelt, weil sie nicht begangenes Unrecht sanktionieren. Und § 112a Strafprozessordnung erscheint als Fremdkörper im Strafverfahrensrecht, weil die Untersuchungshaft insoweit nicht zur Sicherung eines Strafverfahrens und mithin nicht zur Aufklärung und Ahndung begangenen Unrechts verhängt wird. Prämisse der Unterscheidung zwischen einem reaktiven Kernstrafrecht und einem präventiven Strafrecht ist mithin ein materieller Unrechtsbegriff, d.h. ein Unrechtsbegriff, der sich nicht in dem Verweis auf die gesetzgeberische Entscheidung zur Kriminalisierung erschöpft. Ist Kriminalunrecht gesetzespositivistisch das, was der Gesetzgeber dazu erklärt, ist für die Unterscheidung zwischen reaktivem und präventivem Strafrecht kein Platz. Dann konstituierte der Gesetzgeber kraft Normsetzung den Charakter des tatbestandlich erfassten Verhaltens als Kriminalunrecht.41 Nur wenn sich die tatbestandliche Unrechtsbeschreibung des Gesetzgebers mit einem materiellen Unrechtsbegriff jenseits des positiven Gesetzes kontrastieren lässt, kann ggf. festgestellt werden, dass eine Regelung nicht ein geschehenes Unrecht kriminalisiert, sondern lediglich der Gefahr zukünftiger Unrechtsbegehung vorbeugen will. Die Zuordnung einer Regelung zum präventiven Strafrecht gewinnt dann auch normativen Gehalt: Sie impliziert, dass der Gesetzgeber formal ein Verhalten für strafbar erklärt, das materiell nicht die Voraussetzungen von Kriminalunrecht erfüllt. Konsequenter Weise folgt aus dieser Feststellung die Illegitimität der Regelung als Strafrecht.

39 Vgl. z.B. Frisch 2009: S. 391 f. 40 Exemplarisch insoweit die Argumentation von Puschke 2010: S. 26 f. 41 Vgl. als klassischen Vertreter eines solchen formal-normlogischen Verbrechensbegriffs Binding 1922: S. 353 ff.

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a) Materieller Begriff des Kriminalunrechts und Grundgesetz Die Diskussion um den Begriff des Kriminalunrechts, wahlweise auch als materieller Verbrechensbegriff oder materieller Straftatbegriff bezeichnet,42 hat in der deutschen Strafrechtwissenschaft bekanntlich eine lange Tradition. Umstritten ist indes die Vereinbarkeit der dazu in der deutschen Strafrechtswissenschaft traditionell überpositiv angestellten Überlegungen mit dem konkreten Verfassungssystem des Grundgesetzes. Das Problem kann hier selbstverständlich nicht umfassend behandelt werden. Es sollen lediglich einige Grundüberlegungen vorgetragen werden: Unter dem Grundgesetz ist strafbares Kriminalunrecht das, was der Gesetzgeber in verfassungsgemäßer Weise dafür erklärt.43 Ein rein gesetzespositivistischer Unrechtsbegriff ist damit ausgeschlossen. Vielmehr bleibt Platz und Notwendigkeit für einen materiellen Begriff des Kriminalunrechts. Allerdings muss dieser materielle Begriff des Kriminalunrechts verfassungsrechtlich begründet werden, um rechtssystemimmanente Relevanz für die Bewertung deutschen Strafrechts beanspruchen zu können. Ein ohne Bezug zum Grundgesetz entwickelter Begriff des Kriminalunrechts kann nur als systemexterner Gegenentwurf kritisches Potential entfalten. In der strafrechtlichen Diskussion wird bis heute regelmäßig angenommen, dass der materielle Unrechtsbegriff im Vergleich zur üblichen Prüfung der materiellen Verfassungsmäßigkeit zusätzliche Anforderungen stellt.44 Möglich ist demnach, dass eine Regelung zwar grundsätzlich materiell verfassungsgemäß ist, die Voraussetzungen des materiellen Unrechtsbegriffs aber verfehlt. Eine solche Regelung kann zwar unter Umständen in verfassungsgemäßer Weise als Polizeirecht, als besonderes Verwaltungsrecht oder aber als im Einzelnen noch zu konturierendes Präventionsrecht erlassen werden, nicht aber als Strafrecht. Diese Annahme bildet den Kern der sog. Trennungsthese, die dafür votiert, präventive Regelungsgehalte aus dem Strafrecht auszulagern.45 Aus verfassungsrechtlicher Perspektive mutet eine solche strafrechtsspezifische Prüfung der materiellen Verfassungsmäßigkeit zunächst erstaunlich an.46 Die Zuordnung zu einem Rechtsgebiet ist grundsätzlich keine Frage, die den materiellen verfassungsrechtlichen Bewertungsmaßstab beeinflusst, sondern lediglich die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern. Indes ergibt sich die verfassungsrechtliche Sonderrolle des Strafrechts aus dem Grundgesetz selbst. So unterscheidet das Grundgesetz vielfach das Strafrecht von anderen Rechtsgebieten und Vgl. z.B. Roxin 2006: S. 13 ff. Vgl. in diesem Sinne BVerfGE 21, S. 391, 403; 25, S. 269, 286; 50, S. 142, 153. Vgl. z.B. Roxin 2006: S. 92. Aus öffentlich-rechtlicher Perspektive ebenso Wolff 1999: 69 f. Vgl. z.B. Gierhake in diesem Band sowie ausführlich Gierhake 2013: S. 446, 449 ff., die für ein vom Strafrecht getrenntes „Unrechtspräventionsrecht“ votiert; Kindhäuser 2006: S. 94 f. („Sicherheitsrecht“). Ähnlich Hassemer 2006: S. 143; der von einem rechtsstaatlichen Sicherheitsstrafrecht spricht. Eine zumindest verbal radikalisierte Spielart dieser Auffassung stellt Jakobs’ Feindstrafrecht dar, vgl. Jakobs 1985: S. 751 ff.; Jakobs 2004: S. 88 ff. 46 Vgl. aus staatsrechtlicher Perspektive z.B. Appel 1998: S. 315 f.; Bäcker 2011: S. 353.

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Strafe von anderen staatlichen Eingriffen.47 Die grundgesetzlichen Vorschriften zeigen zugleich, dass diese Unterscheidung nicht lediglich kompetenzrechtliche, sondern inhaltliche Bedeutung hat. Für strafrechtliche Eingriffe sind besondere verfassungsrechtliche Eingriffsvoraussetzungen und -beschränkungen vorgesehen, z.B. hinsichtlich der Bestimmtheit und der Rückwirkung.48 Das Grundgesetz selbst erkennt also an, dass die materiellen Voraussetzungen für einen Eingriff durch Strafrecht sich nicht in den materiellen Voraussetzungen erschöpfen, die für jeden anderen Eingriff auch bestehen. Zugleich lässt sich diese Sonderrolle nicht rein verfassungsrechtlich begründen. Das Grundgesetz geht zwar davon aus, dass für strafrechtliche Verhaltensund Sanktionsnormen besondere Grenzen gelten, erklärt aber nicht, warum dies so ist. Aus dem Grundgesetz ergibt sich nicht, was Strafrecht und Strafe als solche kennzeichnen; es regelt nur, was die verfassungsrechtlichen Wirkungen dieser besonderen Qualität sind. Der Begriff der Strafe als reaktive Missbilligung eines in einem rechtlichen Verfahren festgestellten Kriminalunrechts ist im Grundgesetz vorausgesetzt.49 Grundgesetzlich vorausgesetzt ist damit auch der primäre Begriff des Kriminalunrechts. Nicht nur die grundsätzliche Frage nach dem Begriff des Kriminalunrechts ist daher berechtigt. Vielmehr lässt sich verfassungsrechtlich zugleich rechtfertigen, dass die Strafrechtswissenschaft bei ihren Überlegungen zu den Konturen des Begriffs des Kriminalunrechts nicht bei den ausdrücklichen Aussagen des Grundgesetzes stehen bleibt. Es greift daher auch zu kurz, diesen Überlegungen schon deswegen verfassungsrechtliche Relevanz abzusprechen, weil sie sich nicht unmittelbar aus dem Grundgesetz ergeben.50 Eine andere Frage ist es, wie die besonderen Voraussetzungen des Kriminalunrechts verfassungsrechtsdogmatisch in die Prüfung der materiellen Verfassungsmäßigkeit zu integrieren sind.51 b) Materieller Unrechtsbegriff und präventive Regelungsgehalte In der deutschen Strafrechtwissenschaft hat sich trotz lang andauernder Diskussionen kein allgemein konsentierter Begriff des Kriminalunrechts herauskristallisiert. Verhältnismäßig unstrittig und auch durch das Bundesverfassungsgericht anerkannt ist immerhin, dass Kriminalunrecht Schuld voraussetzt.52 Ungeachtet der wiederum höchst umstrittenen Frage, was Schuld ist, lässt sich daher erken47 Vgl. Art. 9 Abs. 2; 11 Abs. 2; 13 Abs. 3, Abs. 5; 16a Abs. 3; 26 Abs. 1; 74 Abs. 1 S. 1; 96 Abs. 5; 102; 103 Abs. 2, Abs. 3; 104 Abs. 3 des Grundgesetzes. 48 Vgl. insbes. Art. 102; 103 Abs. 2, Abs. 3; 104 Abs. 3 des Grundgesetzes. Zusammenfassend dazu Appel 1998: S. 116 ff. 49 Vgl. z.B. Appel 1998: S. 475 ff.; Pawlik 2004: S. 31. 50 So aber BVerfGE 120, S. 224, 241 in Bezug auf die Rechtsgutslehre. Ähnlich Lagodny 1996: S. 143 ff., 162. 51 Vgl. dazu Appel 1998: S. 44 ff. 52 S. nur BVerfGE 9, S. 167, 169; 45, S. 187, 225, 259 f.; 50, S. 205, 214 f.; 80, S. 244, 255; 86, 288, 313; 95, S. 96, 140 f.

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nen, warum Maßregeln der Besserung und Sicherung sich nicht mit dem materiellen Unrechtsbegriff vereinbaren lassen: Sie werden verhängt, ohne dass Schuld vorliegt bzw. über das Maß der Schuld hinaus. Damit erweisen sich die Maßregeln als lediglich formal dem Strafrecht zugeordnete Sanktionsnormen, die sich materiell nicht als Strafrecht legitimieren lassen.53 Aus diesem Argumentationszusammenhang heraus war es konsequent, Maßregeln nicht als Strafe zu verstehen,54 widersprüchlich freilich, sie im StGB zu regeln und ihren Vollzug praktisch der Freiheitsstrafe anzugleichen.55 Ob sich indes das vom Bundesverfassungsgericht56 angemahnte „Abstandsgebot“ überhaupt realisieren lässt, ist zweifelhaft.57 Dagegen bleiben die meisten Konkretisierungsansätze des Unrechtsbegriffs hinsichtlich der Frage, ob das Verhalten unmittelbar verletzungsgeeignet sein muss oder ob eine lediglich abstrakte oder intendierte Gefährlichkeit genügt, recht farblos.58 Bekanntlich kreist die Diskussion der deutschen Strafrechtswissenschaft zum materiellen Unrechtsbegriff vor allem um die Frage, was mit dem Mittel des Strafrechts geschützt werden darf. Diese Frage ist für das Problem der Vereinbarkeit präventiver Regelungsgehalte mit dem Begriff des Kriminalunrechts unergiebig. Aus der Bestimmung, welche Rechte, Interessen oder Güter legitimes Schutzobjekt des Strafrechts sein können, folgt jedenfalls nicht, dass der strafrechtliche Schutz nicht auch durch präventive Verhaltensnormen geschehen kann. Bemühungen, solche Überlegungen in den Begriff des Rechtsguts zu lesen,59 erfolgen – ungeachtet ihrer sachlichen Begründetheit – gleichsam unter falschem Rubrum. Tatsächlich geht es dann nicht mehr um die Frage, was legitimer Schutzgegenstand sein darf, sondern welches Verhalten legitimer Weise kriminalisiert werden kann. Insoweit ist eine naturalistische Betrachtungsweise, die aus dem Ausbleiben eines tatsächlichen Schadens bzw. einer aktuellen Verletzung des Rechtsgutsträgers auf das Fehlen von Unrecht schließt, jedenfalls zu vermeiden.60 Die tatsächliche Verletzung des Rechtsgutsobjekts ist weder notwendige noch hinreichende Bedingung für das Vorliegen von Unrecht. Andernfalls ließe sich die Strafbarkeit von Versuch und konkreten Gefährdungsdelikten ebenso wenig begründen wie die Straflosigkeit bei gerechtfertigten oder schuldlosen Rechtsgutsverletzungen.

53 Ähnlich z.B. Hassemer 2006: S. 132. 54 So z.B. BVerfGE 20, S. 323, 331; BGHSt 24, S. 103, 106; Appel 1998: S. 507. 55 Vgl. dazu bereits Appel 1998: S. 508; Hassemer/Neumann 2013: Vor § 1 Rn. 265. Zu einer Einstufung als Strafe im Sinne der EMRK kam daher bekanntlich EGMR, Urteil v. 17.12.2009, 19359/04, M. ./. Deutschland, paras. 128–131. Vgl. dazu z.B. Kinzig 2010: S. 233 f. 55 BVerfGE 109, S. 133, 166; 128, 326, 374 ff. 56 BVerfGE 109, S. 133, 166; 128, 326, 374 ff. 57 S. dazu Höffler/Kaspar 2012: S. 108 ff. 58 Vgl. z.B. Roxin 2006: S. 35: „nicht unbedenklich“. 59 Vgl. z.B. Hefendehl 2002: S. 147 ff.; von Hirsch/Wohlers 2003: S. 200 ff.; Wohlers 2000: S. 305 ff.; Puschke 2010: S. 28 ff. 60 Vgl. aber in diesem Sinne z.B. Anastasopolou 2005: S. 230.

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Die aktuelle Rechtsgutsverletzung ist allenfalls entscheidend für das RegelAusnahme-Verhältnis von Unrecht bzw. Nicht-Unrecht. Daher leuchtet es auch nicht ein, warum der Unrechtsbegriff kategorisch auf unmittelbar zur Schadensverursachung geeignetes Verhalten beschränkt sein sollte. Wenn beispielsweise der Eingriff in fremde Rechte als objektiver Kern des Unrechtsbegriffs bestimmt wird, so ist anzuerkennen, dass auch schuldhaft gefährliches Verhalten diese Voraussetzung bereits erfüllen kann. Gleiches gilt für auf Schädigung intentional ausgerichtetes Verhalten, selbst wenn es nicht bzw. nicht unmittelbar geeignet ist, den Schaden herbeizuführen. Entscheidend ist dabei die Denkfigur eines hypothetischen vernünftigen Dritten mit Kenntnis der objektiven Umstände und subjektiven Intentionen. Lässt sich begründen, dass ein solcher hypothetischer Dritter in Anbetracht des abstrakt gefährlichen oder intentional auf Schädigung ausgerichteten Verhaltens vernünftiger Weise sein eigenes Verhalten anpassen und selbst Präventionsmaßnahmen treffen würde, ist das gefährliche oder schädigungsintentionale Verhalten freiheitsinvasiv.61 Es ist daher einer Bewertung als Kriminalunrecht prinzipiell zugänglich. Wer weiß, dass ein anderer Verkehrsteilnehmer im Straßenverkehr in fahruntauglichem Zustand ein Fahrzeug führt, wird sein eigenes Verkehrsverhalten anpassen. Mehr noch: Die Rechtsordnung selbst – Stichwort Vertrauensgrundsatz und seine Grenzen – erwartet von uns die Anpassung gegenüber Personen, von denen wir erkennen, dass sie nicht in der Lage sind, die Gefahren des Straßenverkehrs richtig einzuschätzen und sich entsprechend zu verhalten.62 Und diese von der Rechtsordnung gewünschte Anpassung der sich regelgerecht verhaltenden Person ist unabhängig davon, ob aus dem abstrakt gefährlichen Verhalten eine konkrete Gefahr erwachsen ist. Auch schadensintentionales Verhalten kann unabhängig davon, ob es im konkreten Fall ungeeignet ist oder noch im zeitlichen Vorfeld des unmittelbar schadensverursachenden Verhaltens liegt, den Anknüpfungspunkt von Verhaltensanpassungen eines hypothetischen Dritten bilden. Eine Person, die sich in der Herstellung von Sprengvorrichtungen zur Begehung eines Bombenanschlags hat ausbilden lassen, veranlasst andere vernünftigerweise ebenfalls dazu, Präventivmaßnahmen zu ergreifen, auch wenn der genaue Zeitpunkt und die Umstände des Anschlags im Einzelnen noch nicht feststehen mögen. Der soziale Charakter solchen Verhaltens wird nur unvollständig erfasst, wenn es allein als Indiz für die Möglichkeit einer Schadensherbeiführung in der Zukunft verstanden wird. Wir richten unser Verhalten nicht nur mit Blick auf das bereits Geschehene, das Gegenwärtige und das unmittelbar Bevorstehende aus, sondern berücksichtigen auch das Erwartbare, das Wahrscheinliche und manch61 Ähnliche Argumentationen finden sich bei Jakobs 1985: S. 773 ff.; Kindhäuser 1989: S. 280 ff., 354. Allerdings votiert Jakobs für eine Ausscheidung von Regelungen, die solches Unrecht sanktionieren, aus dem Bürgerstrafrecht. Kindhäuser versteht die abstrakt gefährlichen Handlungen dagegen gerade nicht als Freiheitsbeeinträchtigungen anderer, sondern als Beeinträchtigung normativ garantierter Sicherheit. 62 Vgl. in diesem Sinne auch Kindhäuser 1989: S. 292 f.

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mal das lediglich Mögliche in der Zukunft. Und bei dieser zukunftsorientierten Verhaltensanpassung handelt es sich nicht um einen Spleen psychologisch überempfindlicher Naturen, sondern um eine grundsätzlich erwünschte und normativ vielfach eingeforderte Schlüsselkompetenz. Verhaltensweisen, die, lägen sie offen zutage, vernünftiger Weise Schutzmaßnahmen anderer zur Folge hätten, treten aus dem eigenen Rechtskreis heraus. Die tatsächliche Unkenntnis anderer über das Verhalten oder die damit verbundenen Absichten kann indes hier so wenig wie sonst auch die normative Bewertung bestimmen. Es handelt sich daher um Freiheitsbeeinträchtigungen anderer. Warum sollte das Strafrecht gezwungen sein, diesen Aspekt zu ignorieren? Das hieße, stets das gefährliche oder auf Schädigung intentional ausgerichtetes Vorverhalten gegenüber dem die Gefährlichkeit oder die Schädigungsintentionen berücksichtigenden Verhalten zu privilegieren. Selbstverständlich ist die Freiheitsbeeinträchtigung durch eine Schädigung intensiver als die Freiheitsbeeinträchtigung, die darin liegt, dass durch gefährliches oder schadensintentionales Verhalten Vorsichtsmaßnahmen veranlasst werden. Dennoch sollte der Eingriffscharakter solchen Verhaltens nicht heruntergespielt und a limine aus dem Begriff des Kriminalunrechts ausgeschieden werden.63 Überzeugender ist es, insoweit Raum für eine Abwägung zu lassen.64 Damit soll keineswegs einer flächendeckenden Kriminalisierung solchen Verhaltens das Wort geredet werden. Erst mit der Anerkennung als nicht lediglich neutrales, selbstbezogenes oder bloß subjektiv lästig oder unangenehm empfundenes Verhalten stellt sich aber die brisante Frage, in welchen Fällen mit Strafrecht, mit anderen Maßnahmen oder ggf. gar nicht durch den Staat reagiert werden, sondern die Vornahme von Präventivmaßnahmen tatsächlich dem Einzelnen oder gesellschaftlichen Institutionen überlassen bleiben soll. Die für diese Interessenabwägung relevanten Gesichtspunkte wurden bereits als Kriterien genannt, die auch die Prüfung des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes näher strukturieren. Im Ergebnis unterscheiden sich die Anforderungen des materiellen Verbrechensbegriffs damit in diesem Zusammenhang nicht mehr allzu sehr von den Anforderungen der materiellen Verfassungsmäßigkeit.65

63 Im Ergebnis mit unterschiedlicher Akzentuierung ähnlich Jakobs 1995: S. 855 ff.; Kuhlen 1994: S. 367; Schünemann 1995: S. 213 f. 64 Ebenso Stuckenberg 2011: S. 660 f. Vgl. in diesem Sinne differenzierend z.B. Frisch 2003: S. 227 ff.; Hörnle 2005: S. 179; von Hirsch/Wohlers 2003: S. 200 ff.; Puschke 2010: S. 24 ff.; Wohlers 2000: S. 305 ff. Anders z.B. Zieschang 1998: S. 380 ff., der für eine kategorische Ausscheidung von abstrakten Gefährdungsdelikten und Risikodelikten aus dem Strafrecht votiert, wobei freilich nicht ganz klar wird, ob es sich dabei um ein Gebot der Verfassung oder eine rechtpolitische Klugheitsregel handeln soll. 65 Ähnlich Bäcker 2011: S. 354.

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IV. FAZIT Für die rechtliche Bewertung der Prävention ist zwischen der Prävention als Zweckbestimmung und präventiven Regelungsgehalten zu unterscheiden. Prävention kann im Recht allgemein und im Strafrecht im Besonderen legitimer Zweck sein. Entscheidend sind für die Legitimität aber inhaltliche Gesichtspunkte, die sich nicht aus der Zweckbestimmung selbst ergeben: was geschützt wird, was als Gefahr oder Risiko erkannt wird und welche Mittel zur Vorbeugung eingesetzt werden. Problematisch sind präventive Zweckbestimmungen, weil ihre Binnenrationalität ein Übergreifen auf den Regelungsgehalt verlangt. Es scheint allerdings überzogen, deshalb von einer gleichsam unvermeidlichen Präventionslogik zu sprechen. Vielmehr dürfte sich das spezifische Problem präventiver Regelungsgehalte, das darin besteht, dass bestimmte Rechte und Interessen auf Kosten einer aktuellen Einschränkung anderer subjektiver Rechte präventiv geschützt werden, im Rahmen der üblichen Abwägungsdogmatik normativ auffangen lassen. Dies setzt freilich voraus, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Maßstab der Kontrolle wirklich operativ gemacht wird. Die Diskussion um präventive Zweckbestimmungen und präventive Regelungsgehalte im Strafrecht kennzeichnet sich im Vergleich zu der außerstrafrechtlichen Diskussion durch eine eigentümliche „Kopflastigkeit“. Es besteht die Tendenz, Legitimationsprobleme als Probleme der Zweckbestimmung als solcher bzw. der Bestimmung des geschützten Rechtsguts oder Interesses zu diskutieren, statt den Eingriff selbst in den Mittelpunkt der Legitimationsüberlegungen zu stellen. Die Kritik an der Prävention als Zweckbestimmung im Strafrecht zeichnet in Folge dessen oftmals ein Zerrbild: Sie übersteigert die Prävention zu einem exklusiven und absoluten Zweck, der zudem auch den Anspruch erheben soll, Begründungsfragen zu beantworten. Ihre Kritik trifft damit aber vor allem rechtspolitischen Missbrauch, der mit der präventiven Zweckbestimmung getrieben werden kann wie mit jeder anderen Zweckbestimmung auch. Zugleich wird der Begründungsgehalt retributiver Zweckbestimmungen überschätzt. In Vergessenheit droht jeweils zu geraten, dass die Zweckbestimmung nicht den Unrechtsbegriff determiniert. Für die Rechtfertigung präventiver Regelungsgehalte bestehen im Strafrecht besondere Probleme, weil strafrechtliche Normen das Vorliegen von Unrecht als spezifischen Anknüpfungspunkt des Eingriffs voraussetzen. Präventive Regelungsgehalte können nur insofern Gegenstand strafrechtlicher Regelungen sein, als sie begangenes Unrecht kriminalisieren, sanktionieren oder den verfahrensrechtlichen Umgang mit begangenem Unrecht betreffen. Diese Beschränkung legitimer Regelungsgehalte des Strafrechts legt auch das Grundgesetz zugrunde, ohne sie freilich näher zu erklären. Was Kriminalunrecht sein kann, ergibt sich daher nicht abschließend aus den ausdrücklichen verfassungsrechtlichen Sonderregelungen zum Strafrecht. Allerdings ist der Begriff des Unrechts nicht kongruent mit dem Begriff des Schadens oder dem Begriff der Rechtsgutsverletzung. Vielmehr gibt es gute Gründe, Kriminalunrecht nicht kategorisch auf unmittelbar

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zur Schadensherbeiführung geeignetes Verhalten zu beschränken. Auch abstrakt gefährliches Verhalten oder schadensintentionales Vorverhalten können als Unrecht erfasst werden. Übergreifend bleibt zweifelhaft, ob die Kritik an der Prävention im Strafrecht den richtigen Schwerpunkt setzt. Soweit ihr daran gelegen ist, die Legitimität der beständigen Zunahme freiheitsbeeinträchtigender Eingriffe durch das Strafrecht zu hinterfragen, ist ihre rechtspolitische Stoßrichtung zu begrüßen. Nur ist dabei nicht die präventive Ausrichtung der Kern des Problems, sondern die Unverhältnismäßigkeit der Freiheitsbeschränkungen und das Außerachtlassen anderer begrenzender Gesichtspunkte. Zudem kann und sollte die Frage der Gefahren- und Risikoallokation als Problem der Verteilungsgerechtigkeit beschrieben werden. Weder der Warnung vor präventivem Denken als Vehikel neuer Formen sozialer Kontrolle noch der Forderung nach einem präventionsfreien Strafrecht und einem präventiven Interventionsrecht gelingt es, die Aufmerksamkeit auf die damit angesprochenen Fragen zu lenken. Aussichtsreicher erscheint es daher, nach Wegen zu suchen, um den begrenzenden Grundsätzen, also insbesondere dem materiellen Unrechtsbegriff und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, normativen Biss zu verleihen.66 Dies ist eine Aufgabe, zu der sich vor allem und schon längst das Bundesverfassungsgericht berufen fühlen darf. LITERATUR Albrecht: Peter-Alexis, 1986: Prävention als problematische Zielbestimmung im Kriminaljustizsystem. In: KritV, S. 55–82. Albrecht: Peter-Alexis, 1988: Das Strafrecht auf dem Weg vom liberalen Rechtsstaat zum sozialen Interventionsstaat – Entwicklungstendenzen des materiellen Strafrechts. In: KritV, S. 182– 209. Albrecht: Peter-Alexis, 1993: Erosionen des rechtsstaatlichen Strafrechts. In: KritV, S. 163–182. Albrecht: Peter-Alexis, 2010: Vom Präventionsstaat zur Sicherheitsgesellschaft – Wege kontinuierlicher Erosion des Rechts. In: Herzog, Felix/Neumann, Ulfrid (Hrsg.): Festschrift für Winfried Hassemer, Heidelberg, S. 3–18. Anastasopoulou, Ioanna, 2005: Deliktstypen zum Schutz kollektiver Rechtsgüter, München. Appel, Ivo, 1998: Verfassung und Strafe. Zu den verfassungsrechtlichen Grenzen staatlichen Strafens, Berlin. Bachmann, Mario/Goeck, Ferdinand, 2013: Ein Blick in den Abgrund? – Strafrecht auf dem Prüfstand von Verfassung und Kriminologie. In: Brunhöber, Beatrice/Höffler, Katrin/Kaspar, Johannes/Reinbacher, Tobias/Vormbaum, Moritz (Hrsg.): Strafrecht und Verfassung, BadenBaden, S. 37–56. Bäcker, Matthias, 2011: Kriminalpräventives Strafrecht und polizeiliche Kriminalprävention. In: Burmeister, Peter/Roth, Wolfgang/Ruthig, Josef (Hrsg.): Festschrift für Wolf-Rüdiger Schenke, Berlin, S. 333–354. Binding, Karl, 1922: Die Normen und ihre Übertretung. Eine Untersuchung über die rechtmäßige Handlung und die Arten des Delikts, Band 1, Leipzig. Dölling, Dieter, 2003: Zur spezialpräventiven Aufgabe des Strafrechts. In: Dölling, Dieter (Hrsg.): Festschrift für Ernst-Joachim Lampe, Berlin, S. 597–609. 66 Zutreffend daher Bäcker 2011: S. 353, der präventive Straftatbestände als „Herausforderung für das Verfassungsrecht“ bezeichnet, „die bisher nicht hinreichend angenommen wurde“.

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Weißer, Bettina, 2009: Über den Umgang des Strafrechts mit terroristischen Bedrohungslagen. In: ZStW 121, S. 131–161. Wohlers, Wolfgang, 2000: Deliktstypen des Präventionsstrafrechts. Zur Dogmatik „moderner“ Gefährdungsdelikte, Berlin. Wolff, Heinrich Amadeus, 1999: Der Grundsatz „nulla poena sine culpa“ als Verfassungsrechtssatz. In: AöR 124, S. 55–86.

C. AUSPRÄGUNGEN PRÄVENTIVEN STRAFRECHTS

STRAFBARER UMGANG MIT SOG. HACKING-TOOLS Repression, Prävention oder Intervention? Jens Puschke I. EINLEITUNG Computerstrafrecht ist Präventionsstrafrecht. Dieser Satz ist banal, weil nach herrschendem Verständnis das gesamte Strafrecht dem Rechtsgüterschutz, also der Verhinderung von Rechtsgutsbeeinträchtigungen, dienen soll.1 Ist hingegen ein Präventionsstrafrecht besonderer Ausprägung gemeint, wirkt die Aussage auf den ersten Blick vielleicht ein wenig überraschend. Denn der Terminus „Präventionsstrafrecht“ wird häufig verwendet, wenn es um Strafnormen geht, die nicht erst die zurechenbare Verursachung eines Schadens pönalisieren, sondern bereits davor ansetzen.2 Andere, zum Teil synonym verwendete Begriffe sind die Vorverlagerung des Strafrechts, der strafrechtliche Vorfeldschutz oder das Gefährdungsstrafrecht.3 Mit dieser Art von Präventionsstrafrecht verbindet man zunächst Schlagworte, die wenig mit dem Bild von Computer- und Cyberstraftaten und dem dahinter vermuteten „Computernerd“ zu tun haben. Vielmehr kreisen die Gedanken eher um Taten von besonderer Gefährlichkeit für hochwertige Rechtsgüter, wie terroristische Angriffe oder Sexualstraftaten. Man denkt an den als gefährlich beurteilten Menschen, den Feind, den „Anderen“, den es rechtzeitig ausund einzugrenzen gilt. Aber weder werden Computerhacker als Feinde der Gesellschaft wahrgenommen, noch gelten sie als besonders gefährlich. Auch die Rechtsgüter, um deren Schutz es geht, sind in der Regel nicht von derart großer Bedeutung, dass man im Computerstrafrecht einen Bereich zu finden glaubt, bei dem besonders präventiv vorgegangen werden muss. Dennoch enthält gerade das Computerstrafrecht Strafnormen, die besonders früh ansetzen. Konkret sind dies Normen, die den Umgang (beispielsweise das Sich-Verschaffen) mit Mitteln verbieten, die dazu genutzt werden könnten, in informationstechnische Systeme einzudringen. Dabei handelt es sich z.B. um spezielle Computerprogramme, die die Verletzlichkeit von Computersystemen testen und das Eindringen in diese ermöglichen bzw. Instruktionen für ein solches Vorgehen enthalten. Auf diese Weise können die Systeme von außen kontrolliert oder 1 2 3

S. hierzu nur BVerfGE 45, S. 187, 254; 96, S. 10, 25; BGHSt 24, S. 40, 42; Gropp 2005: § 1 Rn. 122; Hefendehl 2002: S. 5; Kaufmann 1983: S. 5; Kindhäuser 2011: § 2 Rn. 6; Roxin 1966: S. 381 ff.; ders. 2006: § 2 Rn. 1; Rudolphi 1984: S. 71. S. hierzu Puschke 2014. Vgl. Beck 1992: S. 21 ff.; Lagodny 1996: S. 1; Sinn 2011: S. 13 ff.; Wohlers 2000: S. 182 ff.

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Daten aus ihnen erlangt werden. Solche Programme sind teilweise zum Herunterladen im Internet verfügbar. Auch Sicherungscodes, z.B. für den Zugang zum Onlineportal eines Bankkontos, stellen solche Mittel dar. Hierfür wird häufig der Begriff „Hacking-Tools“ verwendet, dem jedoch teilweise eine Wertung unterlegt wird, die sich mit den Nutzungsmöglichkeiten der Mittel nur schwer vereinbaren lässt. Während das Wort „Hacking“ meist mit dem unberechtigten Verschaffen eines Zugangs zu einem informationstechnischen System assoziiert wird, werden die entsprechenden Programme auch dazu eingesetzt, Sicherheitslücken in dem System aufzuspüren, um sie zu schließen. Es handelt sich daher regelmäßig um sog. Dual-use-Mittel, die sowohl zu illegalen als auch zu legalen Zwecken verwendet werden können.4 Auf einen zweiten Blick scheint der Umgang mit Computern und Informationstechnologien im Allgemeinen demgegenüber geradezu prädestiniert dafür zu sein, das Strafrecht unter der Fahne der Prävention besonders früh ansetzen zu lassen. Denn strafrechtliche Präventionsbemühungen i.S. einer Vorverlagerung des Strafrechts vor die eigentliche Rechtsgutsschädigung, also die Pönalisierung der Gefährdung, kommen häufig dann zum Einsatz, wenn die Materie neu und unübersichtlich ist. Wenn man nicht weiß oder regulativ nicht fassen kann, wie bestimmte Abläufe genau funktionieren und es nur schwer herauszufinden oder zu beweisen ist, ob wirklich ein Schaden entsteht bzw. wer dahinter steckt, dann erscheint es reizvoll, die verbotenen Verhaltensweisen weit zu fassen, um möglichst alle erdenklichen Handlungen abzudecken und auf diese Weise Gefahren vorzubeugen. Genau zu diesen Kriterien passt der Umgang mit den Informationstechnologien. Es ist eine neue Materie, die wegen ihrer Komplexität nur wenige Experten vollumfänglich erfassen können. Die Wenigsten wissen oder verstehen, auf welchen Wegen in ein informationstechnisches System eingedrungen werden kann und welche Daten wofür genau genutzt werden können. Diese Komplexität und die Vielzahl möglicher Angriffswege führen dazu, dass unklar ist, worin eigentlich ein Schaden solcher Verhaltensweisen zu sehen ist. Ist es das Eindringen in das System selbst, das Manipulieren oder Kopieren der Daten oder liegt ein Schaden doch erst dann vor, wenn die Daten dazu genutzt werden, ein Bankkonto leerzuräumen? Zwar sind die in Rede stehenden Rechtsgüter, etwa die Verfügungsgewalt über Daten oder das Vermögen, nicht die gewichtigsten. Jedoch besteht eine hohe gesellschaftliche Abhängigkeit von Computersystemen, die dazu führt, dass jede Form der Beeinträchtigung als diffuse Bedrohung verschiedener Lebensbereiche (Privatheit, Unternehmen, öffentliche Verwaltung) wahrgenommen wird. Dabei ist das unberechtigte Eindringen in einen fremden Computer oder in ein Smartphone ebenso wie z.B. das Kopieren von Daten kaum bemerkbar und kann grenzüberschreitend über große Entfernungen erfolgen. Und auch wenn der Zugriff bemerkt wird, wird es nur in seltenen Fällen möglich sein, die Verursacher

4

S. hierzu Graf 2012: § 202c Rn. 14; Sieber 2012: C 21 f.

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zu ermitteln.5 Bei der Computerkriminalität handelt es sich ähnlich wie bei der sog. Organisierten Kriminalität um etwas großenteils Verborgenes, Grenzüberschreitendes und Undefinierbares, bei dem aber Handlungsbedarf ausgemacht wird. Die steigende Bedeutung der Datenverarbeitung fällt zudem in eine Zeit, in der sich das Strafrecht gewandelt hat. Ein Wandel, der bis heute anhält und in dessen Zuge Vergeltung zu Gunsten einer Zweckorientierung teilweise zurückgedrängt wird.6 Strafrecht wird verstärkt jedenfalls auch als ein Motor für gewünschte gesellschaftliche Entwicklungen gesehen, als eines von mehreren Mitteln, mit denen ordnend auf bestimmte Abläufe eingewirkt werden kann.7 Eine Ordnungsfunktion kann in der Regel dann am besten ausgefüllt werden, wenn früh angesetzt wird und viele Verhaltensweisen einbezogen sind, die es präventiv zu steuern gilt.8 Ein neuer immer wichtiger werdender Bereich wie derjenige der Informationstechnologie bietet sich für solch eine Steuerung an. Das gilt gerade dann, wenn er durch das Aufkommen des Internets auch grenzüberschreitende Bedeutung erfährt und somit die Harmonisierung mit anderen Rechtsordnungen und Regelungssystemen notwendig wird. Prävention durch Computerstrafrecht ist somit weniger eine Frage von Freund oder Feind, Ausgrenzung des anderen und Bändigung von Großrisiken, sondern vielmehr eine solche von Steuerung und Anpassung. Die Steuerung beginnt dort, wo es erste Anzeichen dafür gibt, dass sich etwas entwickeln könnte, was verhindert werden soll. Für den Bereich des Computerstrafrechts soll dies der Umgang mit sog. Hacking-Tools sein. II. DIE RECHTSLAGE 1. Normengenese Die Anfänge des Computerstrafrechts sind mit der Erkenntnis verbunden, dass mit neuen technischen Möglichkeiten auch neue Formen von als strafwürdig empfundenem Verhalten entstehen, die von den bisherigen Regelungen des Strafrechts nicht hinreichend erfasst werden.9 Lücken wurden insbesondere dort gesehen, wo Computer Vorgänge der „realen“ Welt ersetzten. So werden in Wirtschaft und 5 6

7 8 9

S. Bär 2007: Rn. 30, 55; Fischer 2013: § 263a Rn. 29; Shimada 2009: S. 691; Sieber 2012: C 15, C 36 f.; grundlegend Brunst 2009. Baumann 1968: S. 14 ff.; Klug 1968: S. 36 ff.; s. hierzu auch Schünemann 1984: S. 154 ff.; s. zu neueren Ausprägungen des Konzeptes der Zweckorientierung hin zu einer Risikokontrolle Singelnstein/Stolle 2012: S. 61 ff., zu der gleichzeitigen repressiven Tendenz eines neuen Konservativismus S. 48 ff., 87 ff. Hassemer 2006a: S. 132; Kunz 2005: S. 151 ff.; Wohlers 2000: S. 36 ff. S. auch Singelnstein/Stolle 2012: S. 66 ff. S. BT-Drs. 10/5058, S. 1; vgl. auch Sieber 1980: S. 15 ff.; s. auch Tiedemann/Valerius 2012: § 263 Rn. 2.

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Verwaltung anstelle von Urkunden häufig elektronisch gespeicherte Daten verwendet. Zudem kann Geld an Automaten und nicht nur am Schalter abgehoben werden. Dementsprechend galt es, computerspezifische Pendants zu Urkundenfälschung gem. § 267 des Strafgesetzbuches (StGB) und Betrug gem. § 263 StGB einzuführen. Auch die Daten selbst gewannen zunehmend an Bedeutung, weshalb ihnen ein ähnlicher Schutz wie Sachen bei Sachbeschädigung gem. § 303 StGB zuteilwerden sollte. So wurden durch das Zweite Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (2. WiKG) vom 15. Mai 198610 die Strafbarkeit der Fälschung beweiserheblicher Daten (§ 269 StGB), des Computerbetruges (§ 263a StGB) sowie der Datenveränderung (§ 303a StGB), der Computersabotage (§ 303b StGB) und des Verschaffens von Daten (§ 202a a.F. StGB) eingeführt. Während Computerbetrug und Fälschung beweiserheblicher Daten (§§ 263a, 269 StGB) die Verletzung bzw. abstrakte Gefährdung herkömmlicher Rechtsgüter mittels Informationstechnologie erfassen,11 haben Datenveränderung, Computersabotage und Verschaffen von Daten (§§ 303a, 303b und § 202a StGB) den Schutz neuer, computerspezifischer Rechtsgüter zur Aufgabe.12 Jedoch wurden bereits bei diesen gesetzlichen Neuregelungen ausgemachten Besonderheiten der Informationstechnologie dadurch Rechnung getragen, dass einzelne Tatbestände über ihre Pendants in der „realen Welt“ im Sinne einer weiterreichenden Prävention hinausgingen. So wurde und wird durch Computersabotage (§ 303b StGB) nicht nur die „Sachbeschädigung“ an Daten bestraft, sondern in qualifizierter Form darüber hinaus die Störung der Datenverarbeitung, die für einen fremden Betrieb, ein fremdes Unternehmen oder eine Behörde von wesentlicher Bedeutung ist. Der Schutzzweck erweitert sich dadurch auf mögliche (tatbestandliche nicht vorausgesetzte) Schäden für die Wirtschaft oder Verwaltung.13 Ein entsprechender Tatbestand für Folgen einer herkömmlichen Sachbeschädigung besteht nicht. Er wurde mit der Begründung nicht eingeführt, dass das derzeitige Bedürfnis für die Bildung eines Sondertatbestandes der Computersabotage stärker sei als das für die Einführung eines allgemeinen Sabotagetatbestandes. Angesichts der bei schweren Fällen von Computersabotage leicht vorstellbaren hohen Schäden sei es notwendig, eine Höchststrafe von fünf 10 BGBl. I, S. 721. 11 Insoweit handelt es sich bei § 263a StGB um einen Erfolgstatbestand, der eine Rechtsgutsobjektverletzung in Form eines Vermögensschadens voraussetzt. § 269 StGB dient nach herrschender Meinung demgegenüber dem Schutz (des Vertrauens) der Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechts- und Beweisverkehrs (vgl. nur Cramer/Heine 2010: § 269 Rn. 4; a.A. Hefendehl 2002: S. 247 f., der einen vorverlagerten Individualrechtsgüterschutz annimmt). Da weder eine Verletzung des Rechtsgutes noch dessen konkrete Gefährdung tatbestandlich vorausgesetzt ist, handelt es sich insoweit um einen abstrakten Gefährdungstatbestand, der strukturell mit § 267 StGB vergleichbar ist. 12 Das Rechtsgut der Normen ist nach herrschender Meinung in der Verfügungsgewalt des Berechtigten über die in Datenspeichern enthaltenen Informationen zu sehen (BT-Drs. 10/5058, S. 34; Fischer 2013: § 303a Rn. 2; Hilgendorf 2010: § 202a Rn. 6). Nach a.A. soll das Vermögen geschützt sein (Haft 1987: S. 10). 13 S. auch Fischer 2013: § 303b Rn. 2; Marberth-Kubicki 2010: S. 79.

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Jahren Freiheitsstrafe vorzusehen.14 Dies ist ein erster Hinweis darauf, dass in dem Bereich der Informationstechnologie aus gesetzgeberischer Sicht ein besonderes Präventionsbedürfnis besteht. Mit Beginn des neuen Jahrtausends erschien die „Übersetzung“ bestehender Tatbestände in den Bereich der Informationstechnologie jedoch nicht mehr ausreichend. Zum einen wurde durch das 41. Strafrechtsänderungsgesetz vom 7. August 200715 der Anwendungsbereich des Ausspähens von Daten (§ 202a StGB) vorverlagert, so dass nicht mehr nur das Sich-Verschaffen von Daten tatbestandsmäßig ist, sondern bereits das Zugang-Verschaffen.16 Zudem flankierte der Gesetzgeber alle relevanten Normen des Computerstrafrechts im Strafgesetzbuch mit Ausnahme der schon im Vorfeld ansetzenden §§ 269, 270, 274 StGB durch Vorbereitungstatbestände, die bereits den Umgang mit sog. Hacking-Tools und nicht erst deren Verwendung, um in ein Computersystem einzudringen, unter Strafe stellen. So wurde zunächst die Strafbarkeit für Vorbereitungshandlungen bzgl. eines Computerbetruges (§ 263a Abs. 3 StGB) durch das 35. Strafrechtsänderungsgesetz vom 22. Dezember 200317 eingeführt. Entsprechende Normen für die Datenveränderung und -sabotage sowie das Ausspähen und Abfangen von Daten folgten ebenfalls durch das 41. Strafrechtsänderungsgesetz vom 7. August 2007 in § 202c Abs. 1 StGB bzw. § 303a Abs. 3 und § 303b Abs. 5 StGB. Diese Normen gehen auf internationale bzw. europäische Vorgaben zurück.18 Ihre Notwendigkeit wurde dementsprechend mit der grenzüberschreitenden Computerkriminalität begründet.19 Das Ziel der strafrechtlichen Regelungen ist es, Straftaten zu verhindern. Dabei wird eine hohe Gefährlichkeit der Tathandlungen ins Feld geführt, die sich daraus ergebe, dass Hacking-Tools aus dem Internet weitgehend anonym geladen werden könnten, zudem die Möglichkeit einer weiten Verbreitung und leichten Verfügbarkeit sowie einfachen Anwendung bestünde, die nur dadurch effektiv bekämpft werden könne, dass bereits die Verbreitung solcher an sich gefährlichen Mittel unter Strafe gestellt würde.20 Es handelt sich primär um einen 14 BT-Drs. 10/5058, S. 35. 15 BGBl I, S. 1786, hierdurch wurde ebenfalls die Strafbarkeit des Abfangen von Daten gem. § 202b StGB eingeführt. 16 Insofern kann der neue § 202a StGB als abstrakter Gefährdungstatbestand in Bezug auf die gespeicherten Daten angesehen werden oder nach hier vertretener Ansicht als Tatbestand zum Schutz eines neuen (vorgelagerten) Rechtsgutes in Anlehnung an das vom Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 120, S. 274 ff.) entwickelte Grundrecht der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme (s. auch BT-Drs. 16/3656, S. 9; Puschke 2014; Sieber 2012: C 42, C 84 f.). 17 BGBl. I, S. 2838. 18 Vgl. Rahmenbeschluss des Rates der EU vom 28.5.2001 (2001/413/JI, ABl. EG Nr. L 149, S. 1); Übereinkommen über Computerkriminalität des Europarates vom 23.11.2001 (SEV Nr. 185) (Bereinigte Übersetzung zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz abgestimmte Fassung), http://conventions.coe.int/treaty/ger/treaties/html/185.htm (abgerufen am 31.1.2013); Rahmenbeschluss des Rates der EU vom 24.2.2005 (2005/222/JI, ABl. EU Nr. L 69, S. 67). 19 BT-Drs. 16/3656, S. 1, 7. 20 BT-Drs. 16/3656, S. 12.

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präventiven Begründungsansatz. Allein die Bezugnahme auf ein „strafwürdiges Unrecht“, das in den Vorbereitungshandlungen gesehen wird und das durch die bereits zuvor mögliche Bestrafung der Vorbereitungshandlung als Beihilfetat bei der Begehung der Haupttat nicht ausreichend berücksichtigt werde,21 deutet auch ein repressives Begründungselement an. Strafbar macht sich seitdem, wer einen Computerbetrug vorbereitet, indem er Computerprogramme, deren Zweck die Begehung einer solchen Tat ist, herstellt, sich oder einem anderen verschafft, feilhält, verwahrt oder einem anderen überlässt (§ 263a Abs. 3 StGB). Ebenso derjenige, der das Ausspähen von Daten (§ 202a), das Abfangen von Daten (§ 202b StGB), die Datenveränderung (§ 303a StGB) oder die Computersabotage (§ 303b StGB) vorbereitet, indem er Passwörter oder sonstige Sicherungscodes, die den Zugang zu Daten ermöglichen, oder Computerprogramme, deren Zweck die Begehung einer solchen Tat ist, herstellt, sich oder einem anderen verschafft, verkauft, einem anderen überlässt, verbreitet oder sonst zugänglich macht (§§ 202c Abs. 1, 303a Abs. 3, 303b Abs. 5 StGB). 2. Dogmatische Verortung Strafrechtsdogmatisch handelt es sich um Tatbestände, die Vorbereitungshandlungen unter Strafe stellen, ohne dass es zur Vollendung oder zum Versuch einer Haupttat kommen muss. Die Einordung von Vorbereitungstatbeständen erfolgt hier in die Gruppe der abstrakten Gefährdungstatbestände, da weder die Schädigung eines Rechtsgutsobjektes noch dessen konkrete Gefährdung im Tatbestand vorausgesetzt wird, die Gefährlichkeit vielmehr vom Gesetzgeber als der Tathandlung immanent definiert wird. Im Unterschied zu anderen abstrakten Gefährdungstatbeständen, die an die objektive Gefährlichkeit einer Handlung anknüpfen, wie beispielsweise Trunkenheit im Verkehr gem. § 316 StGB, bedarf es bei Vorbereitungshandlungen noch weiterer eigener oder fremder deliktischer Taten für die Beeinträchtigung eines Rechtsgutes. So können durch das Sich-Verschaffen eines Computerprogrammes selbst weder das Vermögen eines anderen noch die Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme unmittelbar verletzt werden. Insoweit handelt es sich um eine Vorverlagerung im engeren Sinne und damit um eine besonders ausgeprägte Form von Präventionsstrafrecht, da nicht nur auf die Schädigung des Rechtsgutsobjektes als Voraussetzung für die Strafbarkeit verzichtet wird (so bei § 316 StGB), sondern auch an eine im Vorfeld liegende Handlung angeknüpft wird. Der fehlende unmittelbare objektive Gefährlichkeitsbezug zum Rechtsgut soll durch die Intention des Vorbereitungstäters bzgl. der zukünftigen Begehung einer Haupttat kompensiert werden.

21 BT-Drs. 16/3656, S. 12.

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3. Rechtstatsächliche Bedeutung Entsprechend der Weite der Tatbestände und der bei ihrer Einführung betonten Relevanz des Schutzes vor Computerstraftaten durch die Kriminalisierung von Vorfeldhandlungen läge eine hohe praktische Bedeutung dieser Normen bei der Verfolgung von Computerkriminalität nicht fern. Ein Blick auf die Zahlen der Verfolgungspraxis verrät jedoch, dass sie sich am Rande der Bedeutungslosigkeit befinden, was besonders an den Verurteiltenzahlen erkennbar wird. Im Jahre 2011 wurden zwei Personen wegen Vorbereitens des Ausspähens und Abfangens von Daten (§ 202c StGB) verurteilt.22 Seit der Einführung von § 202c StGB im August 2007 gab es insgesamt zwölf Verurteilungen.23 Bei der Polizei wurden im Jahre 2011 immerhin 557 Fälle bekannt, von denen 43 als aufgeklärt (Ermittlung eines mindestens namentlich bekannten oder auf frischer Tat ergriffenen Tatverdächtigen) galten.24 Lohnt sich bei diesen verschwindend geringen Verurteiltenzahlen überhaupt eine kritische Betrachtung der Strafnormen? Oder handelt es sich nur um Formen einer (rein) symbolischen Gesetzgebung, die keine Auswirkungen hat, niemanden belastet und für die daher auch das Legitimationsbedürfnis gering ist? Das Gegenteil ist der Fall. Das Legitimationsbedürfnis der Norm nimmt nicht mit der geringen Bedeutung einer Strafnorm in der Verfolgungspraxis ab,25 es ist vielmehr besonders hoch. Dies gilt vor allem dann, wenn es um das Verbot alltäglicher Verhaltensweisen geht, wie den Umgang mit vielfältig verwendbaren Computerprogrammen und Sicherungscodes. Wer von der Norm betroffen ist, wird in einem zentralen Bereich seiner Lebensführung berührt.26 Zudem werden auch Personen, die den Tatbestand nicht verwirklichen, durch die Möglichkeit der Strafverfolgung sowie die diesbezüglich bestehende Rechtsunsicherheit beeinträchtigt.27 Aus straftheoretischer Sicht passen rein symbolische Strafnormen nicht in ein Strafrechtskonzept, das sich mit den schärfsten Sanktionen, über die die staatliche Gemeinschaft verfügt,28 gegen die Verletzung elementarer Gemeinschaftsgüter wendet. Die geringe rechtstatsächliche Bedeutung ist somit eher Warnung als Entwarnung.29

22 Statistisches Bundesamt, Fachserie 10 Reihe 3, Tabelle 2.1 (2011). 23 2008: 1, 2009: 5, 2010: 4, 2011: 2 (Statistisches Bundesamt, Fachserie 10 Reihe 3, Tabelle 2.1 [2007–2011]). 24 Bundeskriminalamt, PKS 2011, Tabelle 01 Schlüsselzahl 678030, S. 21. 25 So allerdings wohl BVerfGE 120, S. 224, 252. 26 Vgl. für das Inzestverbot Hassemer: 2008, S. 273. 27 S. zu Begründungen der Verfassungsbeschwerde wegen des Risikos der Strafverfolgung BVerfG ZUM 2009, S. 745, 747 f. 28 BVerfGE 90, S. 145, 172. 29 S. zum symbolischen Strafrecht etwa Hassemer 2001: S. 1001 ff.

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III. ANALYSE UND BEWERTUNG Es stellt sich die Frage, auf welchem Wege das ausgerufene Ziel der Prävention von Computerstraftaten durch die Kriminalisierung des Umgangs mit sog. Hacking-Tools verfolgt werden kann, wie unterschiedliche Ansätze zu bewerten sind und ob die Normen nicht dennoch ein beachtliches repressives Element enthalten können oder vielleicht auch müssen. 1. Repression Eine sog. absolute Begründung für Strafrecht geht von der Prämisse aus, dass die Strafnormen nicht einem konkretisierbaren gesellschaftlichen Zweck dienen müssen und dürfen, sondern dass das Strafrecht seine Legitimation in sich trägt. Unter den unterschiedlichen als absolut bezeichneten Begründungsmodellen30 treten insbesondere solche Ansätze hervor, die einen rein repressiven Gehalt von Strafe im Sinne von Vergeltung postulieren.31 Rechtsgrund für die Strafe ist danach die Herstellung von Gerechtigkeit, die dadurch erreicht werden soll, dass dem Rechtsbrecher für seine Tat ein Übel zugefügt wird.32 Die Gesetzesbegründungen für die Einführung der Strafbarkeit des Umgangs mit sog. Hacking-Tools weisen einen solchen Vergeltungsansatz nicht auf. Nicht einzig die Bestrafung als notwendige Bedingung der Gerechtigkeit, sondern die Verhinderung von Schäden durch Computerdelikte ist primäres Ziel der Normierung. Die Herstellung von Gerechtigkeit durch Vergeltung als monistische Begründung für Strafe widerspricht nach überwiegender Ansicht im Strafrecht zudem dem Grundgesetz, das einen legitimen Zweck im Sinne günstiger Folgen für die Gesellschaft für in Grundrechte eingreifende Maßnahmen verlangt.33 2. Prävention durch Intervention oder durch Kommunikation Die Alternative zur reinen Repression im Sinne der Vergeltung durch Strafe liegt darin, dass Strafrecht einen Zweck erfüllen muss. Dieser Zweck wird von den herrschenden Ansichten in der Prävention von Straftaten gesehen. Mit der Feststellung, dass die Normen zum Umgang mit Hacking-Tools auf eben dieser alternativen Konzeption beruhen, könnte man die Analyse bewenden lassen und sich der kritischen Bewertung des Präventionsparadigmas widmen. Jedoch sind noch keine Aussagen darüber getroffen, wie Prävention durch die Strafbarkeit erreicht werden soll, was jedoch für die Bewertung von entscheidender Bedeutung sein 30 31 32 33

S. zu einem kurzen Überblick Hörnle 2011: S. 16 ff. S. hierzu die zusammenfassende Darstellung von Weber 2003: § 3 Rn. 50 ff. Jescheck/Weigend 1996: S. 70. Vgl. Hassemer 2006b: S. 268, 271; Hörnle 2011: S. 16 ff.; Roxin 1966: S. 381 ff.; ders. 2006: § 3 Rn. 60; Schünemann 1984: S. 158.

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kann. Während für den überkommenen Tatbestandstypus des Verletzungsdeliktes34 im Sinne der Strafzwecktheorien Prävention durch psychische Vermittlung bzw. Kommunikation mit den Normadressaten (General- und Spezialprävention) weitgehend anerkannt ist (kommunikativer Ansatz), kann die Wirkweise bei abstrakten Gefährdungstatbeständen auch auf andere Weise erfolgen. Da der Erfolg in Form einer Rechtsgutsverletzung noch nicht eingetreten sein muss, wenn der Tatbestand erfüllt ist, kann die strafrechtliche Regelung auch als Eingriffsgrundlage fungieren, um die Schädigung zu verhindern, die durch die Tathandlung auf den Weg gebracht zu sein scheint (interventionistischer Ansatz). Beide Präventionsmodelle stehen daher konkurrierend nebeneinander, wenn es um die Legitimation strafrechtlicher Verbote von als gefährlich beurteilten Verhaltensweisen geht. a) Interventionistischer Ansatz Ein interventionistischer Ansatz setzt auf Prävention durch die Möglichkeit eines faktischen Eingriffs in den angelegten Geschehensablauf. Es gilt, den Eintritt des erwarteten Schadens zu verhindern. So soll abgewendet werden, dass die Trunkenheitsfahrt i.S.d. § 316 StGB einen Unfall zur Folge hat, der Besuch eines „Terrorcamps“ (§ 89a Abs. 2 Nr. 1 StGB) in einen Anschlag mündet und der Umgang mit sog. Hacking-Tools (§§ 263a Abs. 3, 202c Abs. 1 StGB) zu einem Computerbetrug oder dem Ausspähen von Daten genutzt werden kann. Das Strafrecht liefert die Legitimation für den Zugriff und verspricht mit seinen Rechts- und Nebenfolgen, nämlich der Möglichkeit der langfristigen Inhaftierung sowie der vorverlagerten Überwachung,35 besondere Wirksamkeit. Gerade in den Bereichen, in denen dem general-/spezialpräventiven, also kommunikativen Strafrecht die Fähigkeit abgesprochen wird, für einen hinreichenden Rechtsgüterschutz zu sorgen,36 gewinnen interventionistische Begründungsansätze an Bedeutung. Weder müsse der Eintritt des (möglicherweise verheerenden) Schadens abgewartet werden, noch sei man auf die fragwürdige Wirkung von Abschreckung und Normenstabilisierung angewiesen. Zudem ermöglicht es die Vorverlagerung, eine Vielzahl von Verhaltensweisen zu prüfen und bei Bedarf im Einzelfall zu entscheiden, ob eine Intervention angezeigt ist. Insofern wirkt ein interventionistisches Modell wie eine konsequente Weiterentwicklung des allgemeinen Präventionsgedankens und wird häufig als ein selbstverständliches Element eines Gefährdungsstrafrechts angesehen.37 Für die Strafbarkeit des Umgangs mit sog. Hacking-Tools weisen die gegebenen Begründungen teilweise in diese Richtung. Es wird die hohe Gefährlichkeit 34 35 36 37

Schröder 1969: S. 7; Weber 2009: § 35 Rn. 6; Wohlers 2000: S. 282. S. Puschke 2010: S. 17; Weißer 2009: S. 153. S. zur Terrorismusgesetzgebung Zöller 2009: S. 503. S. etwa die Begründung für das Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten vom 30.7.2009 (BGBl. I, S. 2437), BT-Drs. 16/12428, S. 12; s. auch Bader 2009: S. 2855; zu entsprechenden Interessen von Regierungen und Sicherheitsbehörden auch Sieber 2007: S. 37 ff., 45 ff.

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der Vorbereitungshandlungen auch wegen der Möglichkeit einer nachfolgenden einfachen Anwendung der Hacking-Tools ins Feld geführt,38 weshalb ein Zuwarten nicht als angemessen angesehen wird. Die Besonderheiten der Legitimation von Gefährdungsstrafrecht als Grundlage für Intervention liegen darin, dass der konkrete Geschehensablauf, den es zu unterbrechen gilt, im Zentrum steht und die strafbare Gefährdungshandlung nur Anknüpfungspunkt, nicht aber Grund für die Strafe ist. Ist die Unterbrechungsmöglichkeit eines konkreten Geschehensablaufs Grund für das Bestehen einer Strafnorm, so führt dies zu einer Bedeutungsverschiebung und einem Bedeutungsverlust der Norm an sich. Während sich die Generalprävention der herrschenden Strafzwecktheorien an die Gesellschaft und deren Mitglieder richtet und somit eben generell wirken soll, beschränkt sich die Bedeutung der Intervention auf die einzelnen Geschehensabläufe. Die Strafnorm dient als Ermächtigungsgrundlage für die Intervention.39 In Anbetracht der besonderen Eingriffstiefe von Strafrecht durch die Androhung von Freiheitsentzug verbunden mit einem sozial-ethischen Unwerturteil,40 die nur bei Einhaltung besonderer verfassungsrechtlicher Grundsätze legitimiert sein kann, erscheint eine generelle Wirkweise als Grundlage für eine Strafnorm vorzugswürdig. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip und speziell der Ultima-ratio-Grundsatz beschränken die Anwendung des Strafrechts auf den Zweck des Schutzes elementarer41 Gemeinschaftsgüter. Nicht einzelne Rechtsgutsobjekte, sondern abstrakt formulierte Rechtsgüter in ihrer Bedeutung für die Gesellschaft sind Schutzgüter des Strafrechts. Dies stellt einen entscheidenden Unterschied von Strafrecht und Gefahrenabwehrrecht dar. Die Einzelfallintervention ist mit weniger einschneidenden Mitteln Sache des Polizeirechts,42 langfristige Überzeugung ist die Aufgabe des Strafrechts43. Zudem führt die Begründung von Strafe als Interventionsmittel dazu, dass das Gesetzlichkeitsprinzip i.S.d. Art. 103 Abs. 2 GG44 seinen straftheoretischen Anknüpfungspunkt verliert.45 Präzise Tatbeschreibungen vor der Tat wären aus strafzwecktheoretischer Sicht überflüssig und könnten allenfalls als äußere Beschränkungen des Strafrechts interpretiert werden. Auch die Inkongruenz zwischen dem formal strafbaren Verhalten (hier der Umgang mit sog. Hacking-Tools) und dem Ziel der Strafe (Verhinderung der nachgelagerten Computerstraftat) führt zu einer Denormativierung von Strafe.46 Die Begründung für Intervention richtet sich ausschließlich nach Effektivitätsgesichtspunkten, weshalb die Qualität des formal strafbaren Verhaltens irrelevant für die Erfüllung der Aufgabe ist. Ausreichend ist die vermutete Gefährlichkeit. 38 39 40 41 42 43 44 45 46

BT-Drs. 16/3656, S. 12. Diese Wirkweise wird teilweise als minimalistischer Ansatz bezeichnet, s. Hörnle 2011: S. 7. S. allerdings zur Kritik an dieser Betrachtungsweise Roxin 2009: S. 602 ff. BVerfGE 27, S. 18, 29; 39, S. 1, 46; 45, S. 187, 253. Puschke 2010: S. 26. S. auch Hassemer 2006a: S. 142. S. zur Herleitung aus dem Prinzip der (negativen) Generalprävention Feuerbach 1812: § 20. S. auch Hörnle 2011: S. 7. S. auch Hassemer 2006b: S. 270.

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Daraus ergibt sich nicht nur eine jeder Form von Prävention grundsätzlich inhärente Maßlosigkeit,47 sondern die Strafe verliert auch den Bezug zur Strafwürdigkeit des Verhaltens und zum Schuldvorwurf gegenüber dem Handelnden,48 weil das Verhalten selbst nicht verhindert werden soll, sondern nur Anlass für die Intervention ist, um die Rechtsgutsverletzung bzw. die Haupttat zu verhindern. Für den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz findet sich daher auch kein Anknüpfungspunkt, um die Vorverlagerung der Strafbarkeit hinreichend kontrollierbar zu machen. Der legitime Zweck ist die Verhinderung eines Schadenseintritts bzw. der Haupttat und entspricht somit dem Zweck der nachgelagerten Strafnorm, konkret etwa dem Computerbetrug gem. § 263a Abs. 1 StGB oder dem Ausspähen von Daten gem. § 202a Abs. 1 StGB. Erforderlichkeit und Angemessenheit der Vorverlagerung können stets mit ihrer größeren Effektivität behauptet werden. Je weiter die Vorverlagerung, desto größer ist die Möglichkeit, als gefährlich beurteilte Geschehensabläufe abbrechen zu können. Ein Argumentationsmuster, nach dem das Strafrecht nicht früh genug ansetzen kann.49 Eine derartige Zweckbestimmung bleibt nicht ohne Folgen für die Ausgestaltung der Strafnorm, was auch bei den Normen zum Umgang mit sog. HackingTools deutlich wird. Ist die Strafnorm in erster Linie Ermächtigung für Intervention, spielt – wie beschrieben – die Tathandlung keine besondere Rolle. Entscheidend ist vielmehr die gemutmaßte Gefährlichkeit, die für den Bereich der Vorbereitungstatbestände über die Intention des Täters konstruiert wird. Dementsprechend sind sowohl die in §§ 202c Abs. 1, 263a Abs. 3 StGB beschriebenen Mittel (Sicherungscodes, die den Zugang zu Daten ermöglichen, und Computerprogramme, deren Zweck die Begehung der entsprechenden Computerstraftat ist) als auch der inkriminierte Umgang mit ihnen (Herstellen, Verschaffen etc.) objektiv weitgehend neutral.50 Die Neutralität ergibt sich aus einem Zusammenspiel von der Subjektivierung des Gefährlichkeitszusammenhangs und der Entfernung der Tathandlung von einer Rechtsgutsverletzung durch Vorverlagerung. Die Tendenz vom Tatstrafrecht zum Täter-51 und Gesinnungsstrafrecht ist dabei erkennbar. Reste eines Unrechtsbezugs werden allenfalls noch, diesbezüglich jedoch unbestimmt, durch die auch objektiv vorhandene Verknüpfung mit der Haupttat erhalten. Insoweit muss der objektive Zweck der Computerprogramme die Begehung der Haupttat sein, um den Anwendungsbereich der Norm zu reduzieren und „Überkriminalisierung“ zu vermeiden.52 Zudem ist der Tatbestand so zu interpretieren, dass durch die Tathandlung die Haupttat objektiv vorbereitet werden

47 S. hierzu unter III.2.b). 48 S. zum Schuldprinzip im Präventionsstrafrecht eingehend Schünemann 1984: S. 153 ff. 49 S. zu einer entsprechenden Kritik Jakobs 1985: S. 752 ff., die allerdings am Rechtsgüterschutz als Aufgabe des Strafrechts im Allgemeinen festgemacht wird und sich nicht wie hier primär auf die Art und Weise, durch die Rechtsgüterschutz erreicht werden soll, bezieht. 50 S. auch Hilgendorf 2010: § 202c Rn. 1, 4. 51 Vgl. hierzu Gropp 2011: S. 99 ff. 52 BR-Drs. 676/06, S. 18; s. auch Popp 2008: S. 379.

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muss.53 Diese Unrechtsanbindung der objektiven Tathandlung ist jedoch nur das transparente Feigenblatt einer entgrenzten Norm.54 Dementsprechend versucht auch das Bundesverfassungsgericht den objektiven Tatbestand des Vorbereitens des Ausspähens und Abfangens von Daten (§ 202c Abs. 1 StGB) weiter zu präzisieren, indem es für die objektive illegale Zweckbestimmung Kriterien wie die dahingehende Absicht des Programmentwicklers und eine objektive Manifestation dieser Absicht verlangt.55 Auch dieser Einschränkungsversuch führt jedoch nicht dazu, dass § 202c Abs. 1 StGB objektives Unrecht i.S. eines Tatstrafrechts hinreichend erfasst.56 Der objektive Zweck, der einem an sich unspezifischen Mittel erst unterlegt werden muss, ist stets von höchst vager Gestalt und für sich allein ungeeignet für eine tatbestandliche Beschränkung. Erforderlich ist es vielmehr, der Tat des Handelnden einen objektiven Unrechtssinn zu geben. Die Bezugnahme auf ein einfaches Herstellen oder Sich-Verschaffen reicht hierzu nicht aus.57 Hinzu kommt, dass auch der subjektive Bezug zur Rechtsgutsschädigung und zur Haupttat nach herrschender Ansicht nur vage sein muss. So reiche bedingter Vorsatz bzgl. einer nicht näher konkretisierten Haupttat aus.58 Bezogen auf einen fiktiven Einzelfall bedeutet dies, dass sich derjenige strafbar macht, der Dual-useSoftware, die auch für illegale Zwecke programmiert wurde, erwirbt, um Schutzlücken auf seinem Computersystem aufzuspüren und sich dabei vorstellt, dass er dieses Programm möglicherweise irgendwann einsetzen könnte, um sich unberechtigt Zugang zu Daten, etwa seiner Ex-Freundin, i.S.d. § 202a Abs. 1 StGB zu verschaffen.59 Da fällt es mangels konkreter Vorstellung sogar schwer, noch von Gesinnungsstrafrecht zu sprechen. Zusammenfassend betrachtet führt ein interventionistischer Begründungsansatz zu Verwerfungen des Strafrechts mit seinen verfassungsrechtlich abgesicherten Grundsätzen. Konkrete Folgen einer solchen Entwicklung lassen sich an den Normen zum Umgang mit sog. Hacking-Tools ablesen. Der Zweck einer Norm des Gefährdungsstrafrechts kann nach diesen Befunden nicht darin liegen, Eingriffsgrundlage dafür zu sein, dass konkrete als gefährlich beurteilte Geschehensabläufe mit den Mitteln des Strafrechts unterbrochen werden können.

53 Hilgendorf/Valerius 2012: Rn. 532; Tiedemann/Valerius 2012: § 263a Rn. 86; a.A. Fischer 2013: § 202c Rn. 7, § 149 Rn. 2. 54 Der Tatbestand des § 202c StGB sei „weitgehend verkümmert“, Hefendehl 2010: S. 92. 55 BVerfG ZUM 2009, S. 745, 750. 56 Sieber 2012: C 44. 57 S. auch Puschke 2014, mit dem Vorschlag einer Begrenzung auf bestimmte Formen gewerbsmäßigen Handelns. 58 Altenhain 2013: § 202c Rn. 5; Fischer 2013: § 202c Rn. 8; Hilgendorf/Valerius 2012: Rn. 586; Kindhäuser 2013: § 263a Rn. 44; a.A. Goeckenjan 2009: S. 54; Popp 2008: S. 391 f. 59 Ebenso können auch Systemadministratoren, die Sicherungscodes festlegen, der Strafverfolgung ausgesetzt sein, vgl. Hilgendorf 2010: § 202c Rn. 9.

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b) Kommunikativer Ansatz Die Verhinderung von Straftaten mittels Kommunikation soll durch die Existenz der Strafnorm selbst und die Wirkung des nachfolgenden Urteils erzielt werden. Diese Wirkung soll nach überwiegender Ansicht, wenngleich mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung und abweichenden Begründungen, im Wege der General- und der Spezialprävention erzielt werden.60 Negativ-generalpräventiv soll schon durch das Bestehen der Strafnorm mit der angekündigten Sanktionsfolge sowie der vorgesehenen strafgerichtlichen Verurteilung von Straftaten abgehalten werden. Positiv-generalpräventiv geht es um die Stärkung des Normvertrauens und die Anerkennung der (straf-)rechtlichen Untersagung des Verhaltens. Normadressaten sind bei der negativen Generalprävention die tatgeneigten Personen; bei der positiven Generalprävention sollen zudem diejenigen angesprochen werden, die sich ohnehin normkonform verhalten.61 Die spezialpräventive Wirkung richtet sich an den konkreten Straftäter und soll durch die Sicherung der Allgemeinheit durch Freiheitsentzug des Täters sowie durch Abschrecken des Täters (negative Spezialprävention) und durch seine Besserung (positive Spezialprävention) erzielt werden.62 Für die Beurteilung der Strafnorm inklusive der Strafandrohung ist mangels eines konkreten Täters, auf den eingewirkt werden könnte, die Generalprävention entscheidend,63 weshalb diese im Zentrum der Betrachtung stehen soll. Die nachgelagerte Spezialprävention fügt sich folgerichtig in die notwendige Konsequenz der Androhungsgeneralprävention, die Verhängung der Kriminalstrafe,64 ein.65 Auch für eine generalpräventive Wirkweise lassen sich Hinweise in den Normenbegründungen für das Verbot des Vorbereitens des Ausspähens und Abfangens von Daten (§ 202c Abs. 1 StGB) und des Vorbereitens eines Computerbetruges (§ 263a Abs. 3 StGB) finden. So sollen die Normen gegen Betrugs- und Fälschungshandlungen im bargeldlosen Zahlungsverkehr, inklusive deren Vorbereitung, worunter auch § 263a Abs. 3 StGB fällt, entsprechend den europäischen Vorgaben wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen vorsehen.66 Wird die generalpräventive Wirkweise auf das Gefährdungsstrafrecht projiziert, ergeben sich Parallelen und Unterschiede zu einem interventionistischen Ansatz. Zwar wird die inkriminierte Handlung in gleicher Weise vorverlagert, jedoch geschieht dies nicht, um das prognostizierte, mit einer Rechtsgutsverletzung verbundene Ende eines konkreten Geschehensablaufs unterbrechen zu können, sondern damit solche Geschehensabläufe in ihrer Gesamtheit gar nicht erst in Gang gesetzt werden. Der Grund für die Vorverlagerung speist sich somit ebenso wie bei einer interventionistischen Begründung aus dem Ziel der Verhinderung 60 61 62 63 64 65 66

S. nur Roxin 2006: § 3 Rn. 11 ff. Hörnle 2011: S. 25. Von Liszt 1905: S. 164. Gropp 2005: § 1 Rn. 117; Roxin 2006: § 3 Rn. 42; Roxin 2009: S. 611; Rudolphi 1984: S. 71. Feuerbach 1812: § 16; Hörnle 2011: S. 24. Roxin 1966: S. 381. BT-Drs. 15/1720, S. 1, 7; BR-Drs. 564/03, S. 6.

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der Haupttat, das Mittel hierzu ist aber die Verhinderung bereits der Gefährdungstat. Hieraus ergeben sich Legitimationskriterien für den vorverlagerten Anknüpfungspunkt. Soll das gefährdende Verhalten selbst verhindert werden, rückt dessen Qualität und Strafwürdigkeit wieder in das Zentrum des Interesses, was dem Tatstrafrecht Geltung verschafft. Die Anforderungen an die tatbestandliche Ausgestaltung des Verbots i.S.d. Gesetzlichkeitsprinzips des Art. 103 Abs. 2 GG haben theorieimmanente Bedeutung. Bestimmtheitsgebot und Rückwirkungsverbot sind Grundvoraussetzungen für eine generalpräventive Wirkung der Norm. Zudem kann die Kommunikation mit den Normadressaten ebenso wie der Zwang, dem die Rechtssubjekte unterworfen werden, nur dann hinreichendes Wirkpotenzial haben, wenn die Normierung anhand gerechter und rationaler Kriterien vorgenommen wird.67 Strafe ist nur ein Anreizelement innerhalb komplexer psychischer Vorgänge.68 Passt sich die Verhaltensanweisung nicht in den erlernten Wertekanon ein, so wird ihre Anreiz- und Überzeugungsfunktion geringer ausfallen. Ein Verbot sozial üblicher oder gar positiv besetzter Verhaltensweisen entwickelt nur begrenzt präventive Wirkung.69 Anders als bei einer interventionistischen Begründung kann die Erforderlichkeit als Element der Verhältnismäßigkeitsprüfung zumindest theoretisch beschränkend wirken. Die Vorverlagerung des Strafrechts kann nur dann legitimiert werden, wenn sie gegenüber der Pönalisierung durch einen Verletzungstatbestand einen höheren Schutz bietet. Während die immer weitere Vorverlagerung bei interventionistischer Betrachtung stets ein immer höheres Schutzniveau verspricht, kann dies für eine generalpräventive Wirkweise nicht per se angenommen werden. Das Verbot von Gefährdungshandlungen neben dem Verbot der Rechtsgutsverletzung selbst wird in der Regel den strafrechtlichen Schutz nicht verbessern. Sowohl eine abschreckende Wirkung als auch die Stärkung des Normenvertrauens werden primär durch die Hauptnorm erreicht, deren Wirkung sich zumeist auch auf die Gefährdungskonstellation erstreckt. Beispielhaft: Derjenige, der sich von dem Verbot des Computerbetruges gem. § 263a Abs. 1 StGB beeindrucken lässt, wird in der Regel auch von den Vorbereitungshandlungen für die Begehung einer solchen Tat hierdurch abgehalten. Obwohl sich der kommunikative Ansatz besser in die verfassungsrechtlichen Vorgaben einpasst und die Prüfung eines vorverlagerten Strafrechts ermöglicht, bietet er keine hinreichenden Kriterien für eine Begrenzung strafrechtlicher Präventionsbemühungen. Letztlich wird einem Strafrecht, das früher ansetzt, immer die Möglichkeit eines zusätzlichen präventiven Effekts zugesprochen werden, der seinen Einsatz lohnend erscheinen lässt. Hiermit ist das grundsätzliche Problem der Maßlosigkeit von Prävention angesprochen.70 Allein die Prognose, ob eine zukünftige Schädigung oder Straftat verhindert werden kann, entscheidet. Diese 67 68 69 70

Hassemer 2006b: S. 273; Müller-Dietz 1985: S. 823 m.w.N. Hörnle 2011: S. 12; Greco 2009: S. 106 f. Vgl. Kunz 1998: S. 832. Hassemer 2006a: S. 140; ders. 2006b: S. 270; Roxin 2006: § 3 Rn. 16, 32.

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inhärente Maßlosigkeit führt auch dazu, dass Elemente der Verhältnismäßigkeitsprüfung verwässert werden.71 Steht die Verminderung einer Gefährdung im Raum, werden Argumente, die die Erforderlichkeit einer weiteren vorverlagerten Strafnorm in Zweifel ziehen, nicht mehr gehört. Insbesondere Subjektivierungstendenzen finden in einem kommunikativen Ansatz keine Beschränkung. Wird wie bei Vorbereitungsdelikten die Intention, eine Straftat zu begehen, als Kern der Gefährlichkeit ausgemacht, steht gerade die kommunikative Wirkweise in der Gefahr, mit allen Mitteln auf diese Gesinnung einzuwirken und diese als schlecht zu markieren. Dementsprechend kann mit den beschriebenen Argumenten darauf verwiesen werden, dass etwa das Herstellen von sog. Hacking-Tools jedenfalls solange eine sozialadäquate Handlung darstellt, wie diese auch zu legalen Zwecken eingesetzt werden können. In der Folge ist davon auszugehen, dass die Strafbarkeit dieser Verhaltensweise allenfalls zu Rechtsunsicherheit führt, nicht aber das Vertrauen in Normen zur Sicherheit von Computersystemen stärkt. Auch der geforderte bedingte Vorsatz, mit den hergestellten Mitteln eine Straftat zu begehen, führt zu keinem anderen Ergebnis. Welcher Programmierer hält es nicht für möglich und nimmt es letztlich nicht auch billigend in Kauf, dass die von ihm hergestellte Sicherheitssoftware zu deliktischen Zwecken missbraucht werden könnte? Solche Gedanken machen das Herstellen von Dual-use-Software jedoch nicht zu einem Verhalten, das aus gesellschaftlicher Sicht unterdrückt werden müsste. Der kommunikative Ansatz ist die bessere Wahl, um Prävention durch Strafrecht zu legitimieren. Er passt in die verfassungsrechtlichen Vorgaben und bietet Kontrollmöglichkeiten für ein vorverlagertes Strafrecht. Dennoch enthält er keinen Ansatz für eine effektive Begrenzung der Prävention und bleibt somit dem Einwand der Maßlosigkeit ausgesetzt. 3. Prävention durch Repression Mit Blick auf die Defizite eines Präventionsstrafrechts stellt sich die Frage nach Alternativen. Die Tür zur Rückkehr zu einem rein repressiven Vergeltungsstrafrecht ist nach überwiegender Ansicht von Verfassung wegen verschlossen. Der vollständige Verzicht auf ein präventives Strafrecht in Form eines vor die Rechtsgutsschädigung vorgelagerten Anknüpfungspunktes für Strafe erscheint wegen sich verändernder Gefahrenzusammenhänge nur schwer durchsetzbar und öffnet zudem Räume für außerhalb eines bürgerlichen Strafrechts liegende Eingriffsmodelle, die sich aus allgemeinen Sicherheitserwägungen speisen.72 Die Stärkung eines begrenzenden repressiven Moments innerhalb eines Präventionsstrafrechts 71 Hassemer 2006b: S. 270 f. 72 Vgl. auch Hassemer 2006a: S. 136; Schünemann 1995: S. 213 f.; Stratenwerth 1993: S. 87 ff.; s. zu einem solchen Modell des „Feindstrafrechts“ Jakobs 1985: S. 783 f.; ders. 2006: S. 289 ff.; zur demokratietheoretischen Kritik des „Feindstrafrechts“ mit Blick auf ein übergewichtiges Recht auf Sicherheit Brunhöber 2012: S. 174 ff.

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ist demgegenüber möglich und notwendig.73 Es ist nicht zu bezweifeln, dass ein präventives Strafrecht repressiv sein kann. Im Gegenteil: die auch heute mehrheitlich vertretenen Strafzwecktheorien setzen auf die Verbindung einer in die Zukunft gerichteten Wirkung durch Repression, im hier verstandenen Sinne also durch eine Reaktion, eine Antwort auf Vergangenes.74 „Prävention durch Repression“ ist der weitgehend anerkannte Zweck von Strafe.75 Das repressive Element der Strafe ergibt sich nicht nur aus der Bedeutung des Begriffs „Strafe“,76 sondern ist als Schuldgrundsatz verfassungsrechtlich anerkannt77 und einfachgesetzlich in § 46 StGB vorausgesetzt. Dies gilt nicht erst auf der Ebene der Verhängung der Kriminalstrafe, sondern bereits für die Strafandrohung, die sich auf eine Unrechtstat beziehen muss, auf die, bei Zuwiderhandlung gegen den Norminhalt, zu reagieren ist. Diese Verbindung der Legitimationsvoraussetzungen muss in gleicher Weise wie für ein Verletzungsstrafrecht auch für ein Gefährdungsstrafrecht gelten. Auf diese Weise werden Sanktionsankündigung, begangenes Unrecht und Schuld verknüpft und das Maß der Reaktion auf das Maß von Schuld und Tatunrecht beschränkt. Dabei ist das Repressive nicht automatisch in der Logik der Prävention enthalten, sondern muss als begrenzendes Element eigenständig etabliert werden.78 Oder andersherum: Auch das Gefährdungsstrafrecht darf den repressiven Kern nicht verlieren, der das Strafrecht vom Gefahrenabwehrrecht unterscheidet, will es nicht nur strafrechtlicher Mantel für einen polizeirechtlichen Inhalt sein.79 Gerade hier besteht jedoch die größte Gefahr, dass Repression und Prävention nicht als Einheit gesehen werden, sondern die Präventionsbestrebungen dominieren. Für die präventiv ausgerichteten Normen zum Umgang mit sog. HackingTools stellt sich die Frage, ob hierin ein beschränkender repressiver Kern enthalten ist. Schaut man auf das, was den Kern des Verbots ausmacht, ist es objektiv die Tathandlung des Sich-Verschaffens, Verkaufens etc. von Sicherungscodes und Computerprogrammen und subjektiv neben dem diesbezüglichen Vorsatz die Intention, eine Straftat vorzubereiten. Formal kann daher die Frage nach einem repressiven Gehalt der Norm damit beantwortet werden, dass mit einer Strafverhängung genau an dieses, in der Vergangenheit liegende Verhalten angeknüpft werden soll. Die Normbegründung für das Verbot des Vorbereitens des Ausspähens und Abfangens von Daten (§ 202c StGB) spricht darüber hinaus material vom 73 S. Hassemer 2006a: S. 143; ders. 2006b: S. 272; s. grundsätzlich zur Begrenzung des strafrechtlichen Eingriffs durch das Schuldprinzip Roxin 2006: § 3 Rn. 51 ff. 74 S. zu den diesbezüglichen Begrifflichkeiten Hassemer 2006b: S. 267 f. in Replik auf Schroeder 1992: S. 39. 75 Von Liszt 1905: S. 176; Hassemer 2006b: S. 268, wenngleich sprachlich nicht auf Repression sondern auf Vergeltung bezogen; Roxin 2006: § 3 Rn. 60. 76 S. Schmidhäuser 1963: S. 30 f. 77 Vgl. BVerfGE 20, S. 323, 331 ff. 78 S. für die Schuld Schünemann 1984: S. 159 f., nach dem der Schuldgedanke ein Fremdkörper im modernen Präventionsstrafrecht sei. S. für eine Ableitung aus dem Strafzweck der Generalprävention insbes. Jakobs 1991: S. 480 ff.; hierzu einschränkend Rudolphi 1984: S. 69 ff. 79 Hassemer 2006a: S. 136.

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strafwürdigen Unrecht des Verhaltens.80 Worin dieses Unrecht liegen soll und in welchem Verhältnis es zum präventiven Ziel der Normen, der Verhinderung von Computerstraftaten, steht, bleibt jedoch unklar. Zwar widerspricht es weder einem repressiven Charakter von Strafe noch einer (general-)präventiven Zwecksetzung grundsätzlich, wenn ein Verhalten mit dem Ziel verboten wird, auch ein anderes Verhalten dadurch zu verhindern. Vergleichbare Erwägungen können auch für Teilnahmehandlungen angestellt werden, die selbst in der Regel nicht rechtsgutsschädigend sind, gleichwohl als Angriff auf ein Rechtsgut angesehen werden. Jedoch setzt ein nicht nur formal-repressives Element voraus, dass die Handlung, die verboten wird, selbst materiales Unrecht darstellt. Für die Teilnahme an einer Haupttat kann dies zum Teil akzessorisch aus dem Unrecht der Haupttat abgeleitet werden, die begangen (zumindest versucht) werden muss.81 Anderes gilt für die Strafbarkeit von Vorbereitungshandlungen oder sonstigen abstrakten Gefährdungsdelikten. Im Zusammenhang mit dem herrschenden Präventionsparadigma und dem Rechtsgüterschutz als Aufgabe des Strafrechts mag eine (gesetzgeberische) Neigung dazu bestehen, das Unrecht des Verhaltens nur aus seiner behaupteten Gefährlichkeit für Rechtsgüter abzuleiten. Dies wäre freilich zu kurz gegriffen, da sich Repression im Sinne von Reaktion auf (Gefährdungs-)Unrecht dann in der Prävention von zukünftigem (Verletzungs-)Unrecht erschöpfen würde. Geht man dennoch davon aus, dass sich das Gefährdungsunrecht aus dem Verletzungsunrecht ableitet,82 muss die Rolle des Angriffswegs und des angegriffenen Rechtsgutes bei der Unrechtsbestimmung stärker hervorgehoben werden. Das Rechtsgut ist nicht nur Schutzgut i.S.d. Aufgabenbestimmung des Strafrechts, sondern dient in einer Doppelfunktion zudem der Unrechtsbestimmung. Der repressive Kern einer präventiven Strafnorm muss daher einen engen Rechtsgutsbezug aufweisen, aus dem das Unrecht der Tat ableitbar ist. Dafür reicht es nicht aus, dass die inkriminierte Handlung ein irgendwie geartetes Gefahrenpotenzial für das Rechtsgut besitzt. Ohne einen Erfolg in Form einer Rechtsgutsverletzung oder konkreten Gefährdung können Handlungen nur dann als strafwürdig angesehen werden, wenn sie abstrakt gefährlich sind. Dies setzt jedoch voraus, dass sie typischerweise eine Rechtsgutsschädigung zur Folge haben oder eine solche vorbereiten.83 Nur jemand, der vorsätzlich eine Handlung vornimmt, von der er weiß, dass ihr eine Gefahr innewohnt bzw. – bezogen auf Vorbereitungsdelikte – von der er weiß, dass sie typischerweise eine Straftat vorbereitet, und er diese Straftat auch will, begeht eine strafwürdige Gefährdungstat. Es bedarf einer hinreichenden Manifestierung der Gefahr in der Tathandlung. Nur dann kann von einem Tatstrafrecht gesprochen werden, bei dem die (bewusste) Tat Grund und Grenze für die Strafe ist und nicht die tatunabhängige Gefahr den Anknüpfungspunkt darstellt.

80 81 82 83

BT-Drs. 16/3656, S. 12. Vgl. hierzu Roxin 2003: § 26 Rn. 11 ff. A.A. Kindhäuser 1989: S. 277 ff. Vgl. Graßhof 1994: S. 205; Weber 2009: § 35 Rn. 44; s. hierzu auch Neuhaus 1993: S. 109 ff.

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Jedoch wäre es verfehlt, die Besinnung auf ein repressives Element im Gefährdungsstrafrecht als Heilsbringer zur Vermeidung von Maßlosigkeit anzusehen.84 Auch die Bestimmung des Unrechtsgehaltes einer Tat ist konstruiert, unterliegt dem Wandel und kann zum Einsatz von Strafrecht an Stellen führen, an denen es aus anderen Perspektiven unangebracht oder überzogen erscheint. Soll der Einsatz von Strafe die Ausnahme, die ultima ratio bleiben oder – besser – wieder werden, erscheint nur eine Kombination der beschränkenden Elemente von Grund, Aufgabe und Zweck des Strafrechts sowie weiteren verfassungsrechtlichen Vorgaben sinnvoll. Dazu zählt neben dem Gesetzlichkeitsgebot, dem Verhältnismäßigkeitsprinzip und dem Schuldgrundsatz insbesondere für das Gefährdungsstrafrecht der Schutz eines Kernbereichs privater Lebensgestaltung.85 Dieser darf auch bei Vorliegen einer typischen Gefährdungshandlung, der durch die kommunikative Wirkung von Strafe entgegengewirkt werden könnte, nicht ausgehöhlt werden.86 Das größte Potenzial für ein eingehegtes und an der Verfassung orientiertes Strafrecht bietet somit die theoretische Fundierung von Grund und Zweck des Strafrechts unter Einbeziehung unmittelbar strafrechtsbezogener und strafrechtsexterner verfassungsrechtlicher Vorgaben. Dabei müssen begründende und begrenzende Elemente Anschlussstellen finden und dürfen nicht verbindungslos oder sich widersprechend gegenüberstehen. Eine solche Verbindungslinie besteht für das Gefährdungsstrafrecht zwischen dem Erfordernis eines repressiven Kerns einer Strafnorm und der Generalprävention, die auf einen kommunizierbaren Inhalt angewiesen ist. Die Spezialprävention passt sich in dieses System ein, indem sie die Verhängung der Kriminalstrafe als notwendige Konsequenz aus der Wirkweise der Generalprävention mit Inhalt und Sinn füllt. Demgegenüber kann Intervention in Geschehensabläufe nicht Zweck der Strafnorm sein. Eine solche Wirkung im Einzelfall ist lediglich als Reflex eines Gefährdungsstrafrechts anzuerkennen. Die Analyse der Straftatbestände der Vorbereitung des Ausspähens und Abfangens von Daten gem. § 202c Abs. 1 StGB und der Vorbereitung eines Computerbetrugs gem. § 263a Abs. 3 StGB unter der Prämisse eines Präventionsstrafrechts mit repressivem Kern fällt vernichtend aus, was sich bereits bei der Analyse der Normen im Hinblick auf einen interventionistischen Ansatz zeigte.87 Die neutralen Verhaltensweisen des Umgangs mit Computerprogrammen und Sicherungscodes können ihre objektive Typizität als Vorbereitungshandlungen und damit ihren Unrechtsgehalt nicht dadurch gewinnen, dass dem Programm ein objektiver Zweck zur Straftatenbegehung unterlegt wird. Ein solcher Zweck ist nicht hinreichend bestimmt feststellbar, auch nicht unter Zuhilfenahme der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Ebenso etabliert der für ausreichend erachtete 84 Überzeugt von der limitierenden Funktion Hassemer 2006a: S. 140. 85 S. zur grundsätzlichen Relevanz auch für die Begrenzung des materiellen Strafrechts BVerfGE 120, S. 224, 243; vgl. ferner Greco 2008: S. 237 f.; Hefendehl 2002: S. 106; Jakobs 1985: S. 755 ff.; Lagodny 1996: S. 230 f. 86 Puschke 2010: S. 36 f. 87 S. oben III. 2.a).

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dolus eventualis bzgl. der zukünftigen Begehung einer Computerstraftat keinen für die Unrechtsbegründung hinreichenden Bezug zur Haupttat. In der Folge sind die Normen entgrenzt. Normenstabilisierende oder abschreckende Effekte sind kaum erwartbar. Die Normen erweisen sich daher als Fremdkörper in einem präventiven Strafrechtssystem mit repressivem Kern und können in dieser Form nicht als Gefährdungsstrafrecht legitimiert werden. IV. ZUSAMMENFASSUNG Die Strafbarkeit des Umgangs mit sog. Hacking-Tools ist Präventionsstrafrecht moderner Prägung. Es handelt sich um ein Gefährdungsstrafrecht, das dem überkommenen Verletzungsstrafrecht vorgelagert ist. Die weit vor einer Rechtsgutschädigung ansetzenden Normen sollen in Bereichen, in denen Informationstechnologie zum Einsatz kommt, Ordnungsfunktion übernehmen und Risiken beherrschbar machen. Der Zweck der Normen ist es, Computerstraftaten, wie den Computerbetrug oder das Ausspähen von Daten, zu verhindern. Die Wirkweise trägt dabei Züge eines Interventionsstrafrechts. Nicht die Verhinderung der inkriminierten Vorfeldtat steht im Mittelpunkt; die Strafbarkeit der Vorfeldtat dient vielmehr als Ermächtigungsgrundlage, um (bei Bedarf) in einen Geschehensablauf eingreifen zu können, von dem vermutet wird, dass er zu einer Computerstraftat führt. Eine solche (Teil-)Begründung für eine Strafnorm hat Folgen für die Ausgestaltung der Tatbestände. Diese sind mit Blick auf den objektiven Tatbestand von Vagheit geprägt und weisen auf der Seite der subjektiven Voraussetzungen nur einen lockeren Bezug zur unrechtsbegründenden Haupttat auf. Soll das Strafrecht als solches ernst genommen werden und nicht zu einem Gefahrenabwehrrecht mit den eingriffsintensivsten Mitteln, die der Staat zu bieten hat, mutieren, muss gerade im Gefährdungsstrafrecht eine Besinnung auf strafrechtliche Grundsätze und Begrenzungen stattfinden. Diese können auf die Kurzformel Prävention durch Repression gebracht werden, womit zum Ausdruck kommen soll, dass eine Strafnorm, auch diejenige, die eine Gefährdung zum Gegenstand hat, stets Unrecht verbieten muss und der Staat für den Fall des Zuwiderhandelns mit Strafe antworten darf. Strafrecht, das nur der Unrechtsverhinderung dient, ist demgegenüber illegitim. Die Besinnung auf Repression korrespondiert mit einer präventiven Zwecksetzung, die auf Kommunikation mit den Normadressaten i.S. der General- und nachgelagert der Spezialprävention setzt. Intervention in konkrete Geschehensabläufe ist keine Legitimationsgrundlage für Strafe. Weitere, teilweise eng hiermit verbundene Beschränkungen ergeben sich aus dem Grundgesetz, wobei insbesondere für die Beurteilung von Gefährdungsstrafrecht der Kernbereich privater Lebensgestaltung zu beachten ist. Die Strafnormen zum Umgang mit sog. Hacking-Tools werden den Begrenzungen eines präventiven Strafrechts durch Repression nicht gerecht. Es besteht Reformbedarf.

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KRITIK DES FUNKTIONAL-PRÄVENTIVEN STRAFRECHTS Zugleich ein Beitrag zur rechtsstaatlichen Terrorismusprävention Katrin Gierhake Der Prozess der fortschreitenden Wandlung des auf Schuldausgleich gerichteten „klassischen“ Strafrechts1 in ein „modernes Präventionsstrafrecht“2 wird seit Ende der 1980er Jahre als deutlich zu beobachtender Trend der Straf- und Strafverfahrensgesetzgebung wahrgenommen.3 Als besonders augenfällig wird er im Einflussbereich europäischer Strafgesetzgebung,4 im Wirtschafts- und Umweltstrafrecht sowie im Bereich der Terrorismusbekämpfung beschrieben.5 Insbesondere im zuletzt genannten Regelungsbereich der Terrorismusbekämpfung wurden strafrechtliche Normen gezielt um der Prävention willen und ohne jede Rücksicht auf ihren materiellen Kriminalunrechtscharakter geschaffen bzw. in ihrem Anwendungsbereich ausgeweitet, zum Teil aufgrund europäischer „Vorgaben“.6 1

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Vgl. zur Terminologie etwa Hassemer 1992: S. 379f.; Naucke 1993: S. 143; Wohlers 2000: S. 33. Zur Bedeutsamkeit des strafrechtlichen Schuldprinzips aus verfassungsrechtlicher Sicht, Schmidt-Aßmann 2013: Art. 103 Abs. 2 Rn. 163–165 und Radtke 2011: S. 640 ff. m.w.N. S. dazu etwa Hefendehl 2002: S. 2; Wohlers 2000: S. 30. Vgl. dazu auch Albrecht 1988: S. 182 ff.; Baldus 2005: S. 366 ff.; Dencker 1988: S. 262 ff.; Hassemer 2006a: S. 143; ders. 2006b: S. 271, 272; Heinrich 2009: S. 94 ff.; Kahlo 2010: S. 387, Fn 21; Lammer 2007: S. 318 ff.; Lisken 1994a: S. 49 ff.; ders. 1994b: S. 268; Naucke 1999: S. 342; Pawlik 2012: S. 82f.; Sander 2007: S. 257, 258. S. zu „gegenläufigen Entwicklungen des schuldorientierten und des gefährlichkeitsorientierten Strafrechts“ auch Frisch 2009: S. 394 ff. S. dazu kritisch Murmann 2010: S. 199; ders. 2004: S. 83 ff. Eine Auflistung strafrechtlicher „Bekämpfungsgesetzgebung“ findet sich bei Götz 2006: § 85 Rn. 14, Fn 47 (u.a.: Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität v. 15.5.1986, Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus v. 19.12.1986, Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Formen der Organisierten Kriminalität v. 15.7.1992, Terrorismusbekämpfungsgesetz v. 9.1.2002). Vgl. dazu auch Wohlers 2000: S. 30. Er nennt als typische Beispiele für die Regelungsmaterie dieses „neuen Strafrechtstyps“ strafrechtliche Normen im Umwelt-, Wirtschafts- und Betäubungsmittelrecht sowie in der Terrorismusbekämpfung. S. zudem Hefendehl 2002: S. 2. Zum Wirtschaftsstrafrecht im Europäischen Umfeld s. Murmann 2010: S. 197; zur Tendenz im Strafverfahren s. Naucke 1993: S. 145. Vgl. zunächst Gierhake 2013: S. 180 ff. Im Einzelnen: Zu den §§ 89a, 89b und 91 n.F. StGB: Gesetzentwurf und Gesetzesbegründung zum Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten vom 25.3.2009 (BT-Drs. 16/12428), die bei der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Rechtsausschusses vom 26.5.2009 (BT-Drs. 16/13145) mit nur redaktionellen Änderungen versehen wurden, inhaltlich aber

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I. ZUM „FUNKTIONAL-PRÄVENTIVEN STRAFRECHT“ Wird das Strafrecht diesem Trend entsprechend als ein Instrument der Verbrechensbekämpfung und -verhütung verstanden, so stellt es eine besonders ausgeprägte und auf ein bestimmtes Ziel ausgerichtete Gestalt eines funktional verstandenen Strafrechts dar. „Funktional“ bedeutet insofern tauglich zur Erfüllung eines bestimmten Zwecks bzw. bestimmter Aufgaben. Die Zwecke können variieren, die gedankliche Struktur des Mittel-Zweck-Zusammenhangs bleibt dagegen stets dieselbe. 1. Zu den funktional-präventiven Straftheorien Als Zweck der Strafe kann beispielsweise die „Garantie der normativen Identität“ der Gesellschaft gesetzt werden, wie es mit der Straftheorie Günther Jakobs’ geschieht.7 Das „Mittel“, die Strafe, wird in diesem Konzept so eingesetzt, dass es die durch das Unrecht verletzte normative Identität der Gesellschaft bekräftigt, indem dem (Straf-)Unrecht widersprochen und damit die Normgeltung bestätigt wird.

7

unverändert geblieben sind. Dort heißt es zur Zielsetzung: „Die mit der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten verbundenen erheblichen Gefahren erfordern ein möglichst frühzeitiges Eingreifen auch des Strafrechts. (…) Auch und vor allem unter Sicherheitsaspekten ist somit eine Vorverlagerung des Strafrechtsschutzes geboten. (…) Ziel des Entwurfes ist es daher, bestimmte Fälle im Bereich der Vorbereitungshandlungen von organisatorisch nicht gebundenen Gewalttätern zu erfassen, die bislang strafrechtlich nicht verfolgt werden können. Zugleich soll das von Deutschland gezeichnete und am 1. Juli 2007 in Kraft getretene Übereinkommen des Europarats zur Verhütung des Terrorismus umgesetzt werden.“ Vgl. zudem den Rahmenbeschluss des Rates der Europäischen Union vom 28.11.2008 (2008/919/JI, ABl. L 330/21), dazu Paeffgen 2013: § 89a Rn. 4. S. ferner Backes 2008: S. 654 ff.; Deckers/Heusel 2008: S. 169 ff.; Fischer 2012: § 89a Rn. 8f.; Gazeas/GrosseWilde/Kießling 2009: 593 ff.; Gierhake 2008: S. 243 ff. Kindhäuser 2013: § 89a Rn. 2; Paeffgen 2013: § 89a Rn. 1 ff.; Radtke/Steinsiek 2008: S. 383 ff.; Sieber 2009: S. 353 ff.; Walter 2008: S. 443 ff.; Zöller 2010: S. 614 ff. Zu den §§ 129a, 129b: Zur Historie s. die Nachweise bei Fischer 2012: § 129a Rn. 1 und § 129b Rn. 1. Vgl. ferner Fürst 1989: S. 280; Hawickhorst 2011: insbes. S. 153 ff., 179 ff., 255 ff.; Klesczewski 2008: S. 109 ff.; Nehring 2007: S. 420–426; Ostendorf 2013: § 129 Rn. 1–5 und 9; Pawlik 2008: S. 26–32. Jakobs 1995: S. 843 ff. Jakobs schreibt: „Strafrechtlicher Funktionalismus wird hier als die Lehre begriffen, das Strafrecht sei auf die Garantie der normativen Identität, auf die Garantie der Verfassung, der Gesellschaft ausgerichtet. (…) Funktionen sind Leistungen, die (…) ein System erhalten. (…) Die Leistung des Strafrechts besteht darin, dem Widerspruch gegen identitätsbestimmende Normen der Gesellschaft seinerseits zu widersprechen. Das Strafrecht bestätigt also gesellschaftliche Identität; (…).“ (ebd., S. 843, 844). S. auch dens. 1976: S. 3: „(…); vorausgesetzt wird, dass der Zweck (des Strafrechts, Anm. d. Verf.) die Stabilisierung einer bestimmten Ordnung ist, vorausgesetzt wird ferner, dass trotz auch schwerer Mängel dieser Zweck zur Zeit noch insgesamt erreicht wird, und vorausgesetzt wird schließlich, dass die tatsächlich geübte Anknüpfung der Strafe an Schuld dafür Bedingung ist.“

Kritik des funktional-präventiven Strafrechts

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In eine ähnliche Richtung argumentieren Vertreter der wohl herrschenden Meinung in der Strafrechtswissenschaft mit ihrem Bekenntnis zur sog. positiven Generalprävention als Zweck der Strafe.8 Winfried Hassemer etwa sieht in der positiven Generalprävention eine Weiterentwicklung der Lehre von der Integrationsprävention, nach der das Strafrecht ein Teilbereich sozialer Kontrolle sei, dabei auf Einsicht und Autonomie setze und den Zweck der Normeinübung (Rechtstreue) verfolge.9 Urs Kindhäuser vertritt eine „Theorie der Generalprävention, die auf den vorpositiven Stabilitätsfaktor gerechter Normen (…) reflektiert“: Strafe sei Tadel, der zweierlei ausdrücke: „Primär: Es ist richtig, Normen um der Gerechtigkeit willen zu befolgen (integrativer Effekt). Sekundär: Es zahlt sich nicht aus, Normen zu brechen (abschreckender Effekt).“10

Aus der Tradition der Strafzweckdiskussion stellen ferner der negativgeneralpräventive Ansatz,11 etwa in der Form wie Anselm Ritter von Feuerbach ihn begründet hat,12 und die Theorie der Spezialprävention im Ausgang von Franz von Liszt13 Ausprägungen eines funktional-präventiv verstandenen Strafrechts dar: Nach der psychologischen Zwangstheorie v. Feuerbachs soll die Bestrafung des Unrechtstäters der Realisierung der durch den Straftatbestand angedrohten, abschreckend wirkenden Sanktion für einen Rechtsbruch und damit der Verbrechensverhütung dienen.14 Und auch der Strafzweckgedanke v. Liszts richtet sich auf Verbrechensverhütung, wobei er die Strafe als Mittel der Besserung, Abschreckung oder Unschädlichmachung des Täters begreift – je nach Erforderlichkeit im konkreten Fall.15 Diese „relativen“ Straftheorien in ihren Formen der Spezial- und Generalprävention ordnen also die Strafe ein als ein besonderes Instrument des Staates zur Gefahren- bzw. Unrechtsabwehr, als „Präventionsinstrument“ im Hinblick auf die Verhinderung von Straftaten.16

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Vgl. für einen Überblick zur Lehre von der positiven Generalprävention in ihren verschiedenen Ausprägungen und Akzenten Pawlik 2004: S. 35 m.w.N. S. ferner Hassemer/Neumann 2013: Vor § 1 Rn. 288 ff. m.w.N.; Kalous 2000. S. zudem zu einer empirischen Variante der positiven Generalprävention Baurmann 1994: S. 735 ff. Hassemer 1990: S. 324–329. Vgl. auch dens. 1998: S. 29 ff. Kritisch Frisch 1996: S. 133– 139. Kindhäuser 1989: S. 503, 504; vgl. auch dens. 1990: S. 29 ff. Schmidhäuser 1998: S. 443; Hoerster 1970: S. 272 ff. v. Feuerbach 1799: S. 49; ders. 1801: §§ 13 ff. v. Liszt 1883: S. 33; Frisch 1982: S. 565 ff. S. v. Feuerbach 1799: S. 49. Vgl. dazu etwa die Darstellung bei Neumann/Schroth 1980: S. 35 ff. und Roxin 2006: § 3 Rn. 22 ff. m.w.N. S. ferner Greco 2009: insbes. S. 40–49. S. v. Liszt 1883: S. 33. Dazu Jescheck/Weigend 1996: S. 73f. und Roxin 2006: § 3 Rn. 11 ff. jeweils m.w.N. Vgl. Hassemer/Neumann 2013: Vor § 1 Rn. 274; Pawlik 2004: S. 21 ff.; Jescheck/Weigend 1996: S. 71.

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2. Zum funktionalen Verständnis des Strafrechts als Mittel zur Zweckerreichung „Funktionalität“ kann darüber hinaus aber auch im Sinne von „Dienlichkeit der strafrechtlichen Instrumente für politische Zweckverfolgung“17 überhaupt verstanden werden, wobei die Inhalte der politischen Zweckverfolgung ganz unterschiedlich ausgestaltet sein können. Sehr deutlich wird dieses instrumentelle Verständnis des Strafrechts als Mittel politischer Zielerreichung in einer Entscheidung des EuGH aus dem Jahre 2005: Die Befugnis des „Gemeinschaftsgesetzgebers“, die Mitgliedstaaten per Rahmenbeschluss zum Einsatz von Strafrecht zum Zwecke des Umweltschutzes zu verpflichten, begründet der EuGH – trotz damals grundsätzlich fehlender Zuständigkeit der Gemeinschaft im Bereich des Straf- und Strafprozessrechts – allein mit der Zweckrationalität eines solchen Einsatzes: Der Rahmenbeschluss enthalte in seinem Artikel 2 eine Aufzählung besonders schwerwiegender Handlungen zum Nachteil der Umwelt, die die Mitgliedstaaten strafrechtlich ahnden müssten. Der Gemeinschaftsgesetzgeber dürfe Maßnahmen in Bezug auf das Strafrecht der Mitgliedstaaten ergreifen, solange sie erforderlich sind, um die volle Wirksamkeit der von ihm zum Schutz der Umwelt erlassenen Rechtsnormen zu gewährleisten, wenn die Anwendung wirksamer, verhältnismäßiger und abschreckender Sanktionen durch die zuständigen nationalen Behörden eine zur Bekämpfung schwerer Beeinträchtigungen der Umwelt unerlässliche Maßnahme darstelle.18 Der hier gut sichtbare gedankliche Dreischritt – erstens Zielbestimmung (Umweltschutz), zweitens Mittelauswahl (Strafrecht) und drittens Erforderlichkeitsprüfung (Unerlässlichkeit der Maßnahme zur Zielerreichung) – ist die typische Erscheinungsform funktionalen Rechtsdenkens. Er lässt sich nicht nur in der Rechtsprechung des EuGH, sondern auch in aktuellen, strafrechtlich relevanten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nachweisen: Beispielsweise in der sog. „Inzest“-Entscheidung rechtfertigt das BVerfG den Einsatz des Strafrechts damit, dass der Gesetzgeber bei der Pönalisierung geschwisterlichen Beischlafs Zwecke verfolge, die verfassungsmäßig nicht zu beanstanden seien (Schutz von Ehe und Familie, Schutz der sexuellen Selbstbestimmung, eugenische Gesichtspunkte) und das strafbewehrte Verbot ein geeignetes, erforderliches und verhältnismäßiges Mittel sei, diese Zwecke zu verfolgen.19 Das zentrale Kriterium für die Rechtfertigung des Strafrechts ist innerhalb des instrumentellen Denkens also immer seine Funktionalität im Hinblick auf den gesetzten Zweck, womit zwingend die jeweilige Zwecksetzung selbst außerhalb des Rechtfertigungszusammenhangs bleibt.

17 Formulierung von Hassemer/Neumann 2013: Vor § 1 Rn. 342. 18 EuGH Große Kammer, Urt. v. 13.9.2005 – C-176/03 (Kommission u.a./Rat u.a.). Fundstellen, u.a.: ZIS 4/2006, S. 179 ff. Rn. 47, 48; HRRS 2005 Nr. 712 Rn. 64, 65; NVwZ 2005, 1289, 1291. 19 S. BVerfG Beschl. v. 26.2.2008 – 2 BvR 392/07, BVerfGE 120, 224, 249 ff. Grundsatzkritik zu dieser Vorgehensweise schon bei Noltenius 2009: S. 19f.

Kritik des funktional-präventiven Strafrechts

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3. Zur Entwicklung eines „präventiven Strafrechts“ und ersten Zweifeln an seiner Überzeugungskraft Dass diese funktionale Betrachtung des Strafrechts keineswegs eine Entwicklung jüngerer Zeit ist, die etwa erst mit den Herausforderungen des europäischen Rechtsraums, komplexer werdenden wirtschaftlicher Verflechtungen oder der wachsenden Internationalisierung terroristischer Strukturen Eingang in das Rechtsdenken gefunden hätte, zeigt sich deutlich an der schon skizzierten Hinwendung zu den instrumentellen Straftheorien im 19. Jahrhundert etwa durch v. Feuerbach oder v. Liszt20 und ihrer Neubelebung in den 1970er Jahren durch weite Teile der Strafrechtswissenschaft.21 Mit diesen Entwicklungen war das funktionale Strafrechtsdenken eingeleitet, Prävention als Strafzweck anerkannt, und Zweckbestimmungen wurden wie selbstverständlich als Legitimationsgrund akzeptiert: Die Zulässigkeit staatlicher Strafe wurde damit davon abhängig gemacht, ob durch sie „günstige Folgen“ (insbesondere die Verhinderung von Kriminalunrecht in der Zukunft) bewirkt werden konnten.22 Die Grundunterscheidung zwischen Unrechtsverhinderung (= Prävention) und Wiederherstellung des Rechts nach begangenem Unrecht (durch Strafe) war mit diesem Verständnis aufgehoben;23 sie wirkt also nicht nur aktuell „unmodern“24, rückwärtsgewandt, gar veraltet, sondern scheint schon seit dem vermeintlichen „Siegeszug“ der funktionalen Straftheorien endgültig entkräftet.25 Der im vorliegenden Band thematisierte aktuelle Wandel des klassischen Schuldstrafrechts in ein Präventionsrecht stellt deswegen keineswegs einen Bruch mit dem vorherrschenden funktionalen Strafrechtsverständnis, sondern im Gegenteil seine konsequente, wenn auch ins Extrem getriebene und deshalb als maßlos empfundene Fortführung dar.26 Die Wucht der Konsequenzen aus diesem Denken, nämlich die Auslieferung des „Mittels“ Strafrecht an die Zweckbestimmungen der (Kriminal-)Politik27 und die wegen der Zweck-Mittel-Relation notwendig nur äußerlich an diesen Zusammenhang herangetragene Frage nach Freiheitsverträglichkeit und Legitimation, scheint aber ein gewisses Unbehagen auszulösen. So finden sich auch von Vertretern präventiver Straftheorien Sätze wie:

20 S. dazu auch Greco 2009: S. 230–232. Zur Entwicklung des Polizeigedankens im 19. und 20. Jahrhundert s. auch Naucke 1986: S. 179 ff. 21 Vgl. Orgorek 2007: S. 213; Naucke 1999: S. 336 ff.; Frisch 1996: S. 125–128. 22 Vgl. Hassemer/Neumann 2013: Vor § 1 Rn. 273. 23 Vgl. zur Notwendigkeit der normativen Unterscheidung zwischen Prävention und Repression in der praktischen Polizeiarbeit Denninger 2007: Rn. 192 f., 204; ähnl. Schoch 2008: 2. Kapitel Rn. 9 ff.; Paeffgen 1995: S. 20. 24 So (mit kritischer Intention) Fischer 2012: Einleitung Rn. 12. 25 In diesem Sinne auch Naucke 1993: S. 146, 147 mit Fn 40. 26 Vgl. dazu auch Naucke 1993: S. 144, 145. 27 S. dazu auch Murmann 2010: S. 207, 208; Pawlik 2012: S. 83. S. zudem Naucke 1993: S. 138, 154 ff.

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„Je bereitwilliger das Strafrecht innenpolitische Wünsche nach Problemlösungen bedient und sich präventiven Interessen verschreibt, desto eher werden die traditionellen Voraussetzungen der Strafbarkeit und die Prinzipien der Formalisierung (…) zu lästigen Hindernissen flexibler Antworten auf wechselnde Problemlagen; (…). Ein funktionales Strafrecht ist in Gefahr, die Garantien formalisierter Konfliktverarbeitung gering zu achten, weil sie politische Zweckverfolgung hemmen und stören kann.“28 „Zur Prävention als Zielbestimmung des Strafrechts scheint es derzeit keine Alternative zu geben. Man muss aber über Alternativen nachdenken – zu gefährlich sind die Folgen, die sich mit der Erwartung verbinden, das Strafrecht sei dazu da, Sicherheit zu bieten.“29 „(…) (Z)ur Verhinderung von Mutationen (sei) an der klaren Aufgabenstellung von Straf- und Polizeirecht festzuhalten.“30

Die Massivität der Funktionalisierung des aktuellen Strafrechts sorgt dafür, dass die immanenten Legitimationsschwächen sichtbar, ja unübersehbar werden und Funktionalisten sich an Goethes Zauberlehrling erinnert fühlen müssten: „Die ich rief, die Geister,/Werd’ ich nun nicht los.“ 4. Zum sog. „Feindstrafrecht“ Ein mit seinen Prämissen übereinstimmender Umgang mit den neueren im Strafrecht angesiedelten „Bekämpfungsstrategien“ ist allerdings das von Günther Jakobs ersonnene Konzept des sog. „Feindstrafrechts“.31 Ganz zu recht weist er darauf hin, dass der typische Gegenstand der modernen „Bekämpfungsgesetzgebung“ die Beseitigung von Gefahren ist;32 exakter könnte man sagen: Die Verhinderung schwerer Straftaten in der Zukunft. Diese Gefahrenbeseitigung setzt er sprachlich durch die Formulierung „Feindstrafrecht“ ab von einem auf Normgeltungsbestätigung gerichteten „Bürgerstrafrecht“.33 Die unterschiedliche Benennung ist Produkt seiner präzisen Beobachtung differierender Inhalte positiviert-vorfindlicher Strafrechtsnormen. Jakobs teilt nun aber bei der Beobachtung dieser von ihm als „Feindstrafrecht“ betitelten Strafgesetze das oben skizzierte Legitimationsunbehagen anderer Positiv-Generalpräventionalisten nicht, sondern hält das „Feindstrafrecht“ nur für einen dem „Bürgerstrafrecht“ entgegenzuhaltenden „Pol“ ein

28 Hassemer/Neumann 2013: Vor § 1 Rn. 344 und 347. 29 Hassemer 2006a: S. 132; s. auch S. 138: „Freiheitsrechte und strafrechtliche Traditionen schonender Eingriffe werden in Bedrohungsszenarien zerrieben. Instrumente, die der inneren Sicherheit dienen sollen, haben Überzeugungskraft und setzen sich gegen strafrechtliche Garantien mühelos durch.“ 30 Kindhäuser 2006: S. 94, 95. 31 Vgl. dazu Jakobs 2000: S. 47 ff.; ders. 2003: S. 41 ff.; ders. 2004: S. 40 ff.; ders. 2005: S. 839 ff.; ders. 2006: S. 289 ff.; ders. 2010: S. 167 ff. 32 Als Beispiele nennt er konkrete Gesetze aus den Bereichen Wirtschaftskriminalität, Terrorismus, organisierte Kriminalität und Sexualdelikte Jakobs 2003: S. 51. 33 Jakobs 2003: S. 51.

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und desselben Strafrechts.34 Insofern plädiert er für ein „Nebeneinander“ beider Strafrechtsformen, allerdings unter sauberer sprachlicher Differenzierung: „(…) (W)er dem Bürgerstrafrecht seine rechtsstaatlichen Eigenschaften – Bändigung der Affekte; Reaktion nur auf externalisierte Taten, nicht auf bloße Vorbereitungen; Achtung der Personalität des Verbrechers im Strafverfahren u.a.M. –, (…) nicht nehmen will, sollte das, was man gegen Terroristen tun muß, wenn man nicht untergehen will, anders nennen, eben Feindstrafrecht, gebändigten Krieg.“35

Vom funktionalen Standpunkt aus ist das insofern konsequent, als beide „Pole“ durchaus funktional im Hinblick auf ihre jeweilige Zielrichtung (Ausgleich von Normgeltungsschäden bei „Bürgern“, Gefahrbannung bei „Feinden“) sind.36 Lassen sich also „notwendige“37 Präventionsmaßnahmen (oder „Bekämpfungsstrategien“) wegen rechtsstaatlicher Mängel im „Bürgerstrafrecht“ nicht halten, so müssen sie nicht etwa unterlassen, sondern in einen Bereich ausgegliedert werden, in dem Legitimationskriterien keine Geltung haben: ins „Feindstrafrecht“. Innerhalb des funktionalen Denkens ist die Sorge um Legitimation nicht konsequent zu verorten, weswegen ein funktionales Strafrecht durchaus einen rechtsstaatlich unbedenklichen und einen mit dem Rechtsstaat unvereinbaren Pol in sich vereinigen kann: Es könne „nicht darum gehen, zwei isolierte Strafrechtssphären gegenüberzustellen, sondern zwei Pole einer Welt zu beschreiben oder zwei gegenläufige Tendenzen in einem Zusammenhang des Strafrechts aufzuzeigen, wobei sich diese Tendenzen durchaus überlagern können, scil. solche zur Behandlung des Täters als Person oder andere zu seiner Behandlung als Gefahrenquelle.“38

Der Gedanke der Prävention ist im Bereich des von Jakobs als „Bürgerstrafrecht“ betitelten Rechts also in vermittelt-positiver Form (Normstabilisierung durch Bestrafung des für den Normbruch Zuständigen) und im Bereich des „Feindstrafrechts“ unmittelbar-negativ (Verhinderung von Unrecht durch Ausschaltung der „Gefahrenquelle“ Feind) zugegen.

34 „Das Strafrecht kennt also zwei Pole oder Tendenzen seiner Regelungen, scil., einmal den Umgang mit dem Bürger, wobei gewartet wird, bis dieser seine Tat externalisiert, und sodann reagiert wird, um die normative Gestalt der Gesellschaft zu bestätigen, und zum anderen den Umgang mit dem Feind, der weit im Vorfeld abgefangen und seiner Gefährlichkeit wegen bekämpft wird.“ (Jakobs 2003: S. 53). 35 Jakobs 2003: S. 53 (Fn weggelassen, Herv.i.O.). 36 Nach der von Jakobs eingenommenen funktionalen Perspektive kommt es nur auf die „Selbsterhaltungskraft“ der Gesellschaft an, und zwar unabhängig von ihrer inhaltlichen Ausgestaltung (vgl. Jakobs 1995: S. 853). 37 Die „Notwendigkeit“ besteht nach Jakobs dann, wenn ohne solche Maßnahmen der Kampf gegen den Terrorismus zu scheitern und dadurch ein „Untergehen“ droht. Was darunter zu verstehen ist, macht Jakobs an anderer Stelle deutlich: Es geht ihm um nichts weniger als die Gewährleistung des Bestandes des Staates als Rechtsstaat in der Wirklichkeit. Es werden also dem einzelnen „Feind“ Rechte genommen, „um weiterhin die Wirklichkeit des Rechts wenigstens einer um den Feind dezimierten Gesellschaft zu ermöglichen.“ Jakobs 2004: S. 44. Vgl. dazu auch Brunhöber 2012: S. 168 ff. 38 Jakobs 2003: S. 41.

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5. Zur Unvereinbarkeit präventiven Strafrechts mit dem Schuldprinzip Dass sich auch das „Feindstrafrecht“ mit seinen von Jakobs gnadenlos aufgezeigten rechtsstaatsbedrohenden Konsequenzen39 schlüssig in ein funktionales Strafrechtskonzept (mit dem Ziel der Verhinderung von Unrecht) einpassen lässt, macht im Umkehrschluss deutlich, dass der Verlust von Rechtsstaatlichkeit nicht mit dem Rüstzeug des Funktionalismus verhindert werden kann.40 So sind es von außen, gänzlich „unfunktional“ an das funktionale Denken herangetragene „Garantien“, wie beispielsweise die auch verfassungsrechtlich gebotene Geltung des Schuldprinzips im Strafrecht,41 die einem präventionsrechtlichen Strafrecht seine Rechtsstaatlichkeit zu sichern suchen – freilich nicht unter konsequenter Einordnung dieser „Garantien“ in das funktionale Denkmuster, sondern nur unter seiner systemwidrigen Erweiterung.42 39 Individuen, die sich zuvor als für diese Bedrohung zuständige „Feinde“ herausgestellt haben, dürfen beispielsweise im Vorfeld (d. h. vor Begehung der eigentlichen Straftat) bestraft, sie dürfen durch Untersuchungshaft und Strafhaft für lange Zeit „kaltgestellt“, sie dürfen außerhalb der Grenzen des § 136a StPO verhört werden und im Umgang mit ihnen gibt es, solange sich die Maßnahmen gegen sie überhaupt nur im Rahmen des Erforderlichen halten, keine Tabus mehr (so Jakobs 2005: S. 840, 848, 850). Wen der Vorwurf trifft, Feind des Staates zu sein, könne partiell, aber eben auch ganz „entpersonalisiert“ werden, er sei aus der Gemeinschaft der Personen exkludiert und der Umgang mit ihm sei Krieg (so Jakobs 2004: S. 40 ff.). 40 Treffend dazu Murmann 2010: S. 197: „Freilich kann eine wohlmeinende Politik in guten Zeiten einem funktionalen Strafrecht ein freundliches Gesicht geben. Aber das ist nicht mehr als ein Glücksfall für die Rechtsunterworfenen. Im Ernstfall kann sich ein Bürger nicht mehr auf die Ungerechtigkeit, sondern lediglich auf die Zweckwidrigkeit staatlicher Maßnahmen berufen – eine denkbar schwache Position.“ 41 Vgl. dazu etwa BVerfGE 105, 135, 153 = Urteil des Zweiten Senats vom 20.3.2002 – 2 BvR 794/95; H. A. Wolff 1999: S. 55 ff. 42 Vgl. Kindhäuser 2006: S. 82, 83; Murmann 2010: S. 195, 196. Ein Beispiel für eine solche, systemwidrige Elemente integrierende Straftheorie findet sich u.a. bei Claus Roxin: Er hält nur eine „präventive Vereinigungstheorie“ mit spezial- und generalpräventiven Versatzstücken und gleichzeitiger Beschränkung durch das Schuldprinzip für legitimierbar: „Dem Mangel, der allen präventiven Theorien eigen ist, dass nämlich ihr Ansatz die rechtsstaatlich notwendigen Schranken der Strafgewalt nicht in sich erhält, lässt sich am besten durch ein Schuldüberschreitungsverbot abhelfen.“ (Roxin 2006: § 3 Rn. 37 ff., 51, 59); s. auch dens. 1966: S. 387; vgl. zu Roxin auch Greco 2009: S. 247 ff. Hörnle 2011: S. 60 hält eine „axiologische Geschlossenheit“ (Terminologie von Pawlik 2004: S. 53) der Straftheorie unter Beibehaltung ihrer Überzeugungskraft für unerreichbar: „Kombinationen unterschiedlicher Begründungsansätze sind unvermeidbar, um der Heterogenität der Verhaltensweisen, die als Straftat markiert werden, den unterschiedlichen Zeitperspektiven (proaktiv bei den Strafnormen, retroaktiv bei der Strafverhängung) und der Heterogenität unterschiedlicher, aber legitimer gesellschaftlicher wie individueller Interessen bei der Reaktion auf Straftaten soweit wie möglich gerecht zu werden.“ Ähnlich sieht das Greco 2009: S. 252, der sich für eine „materiell zweigeteilte Straftheorie“ ausspricht: „Unter den Bedingungen der legitimen Strafe gibt es sowohl solche, die zweckmäßigkeitsbezogen bzw. konsequentialistisch sind, als auch solche, die gerechtigkeitsbezogen bzw. deontologisch sind. Die ersten nennen wir Strafzwecke, die zweiten deontologische Schranken der Strafe (…). Strafzwecke sind also Zustände, deren Förderung einen guten Grund zum Strafen liefert. Deontologische Schranken der Strafe

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Dass gerade das Schuldprinzip mit keiner der präventiven Straftheorien systematisch bruchlos in Einklang zu bringen ist,43 hat kürzlich Pawlik in überzeugender Weise erinnert „(…), Gegenstand des (…) Schuldvorwurfs ist nach herkömmlicher Diktion das vom Täter verübte Unrecht. Die so verstandene Schuld hat ihren Bezugspunkt mithin in der Vergangenheit: dem Beschuldigten wird bescheinigt, für die von ihm begangenen Taten im strafrechtlichen Sinne verantwortlich zu sein. Die allein zukunftsgewandte Prävention leidet indes an einer ‚strukturbedingten Blindheit (…) für die begangene Tat’. Einem konsequenten Präventionsdenken ist (…) der Blick zurück fremd; ihm geht es allein darum, künftige Gefahren zu bannen. An die Stelle der im herkömmlichen Sinne verstandenen Schuld tritt deshalb die Kategorie der Gefährlichkeit.“44

Die prinzipielle Inkompatibilität des Schuldprinzips mit den drei Grundformen der relativen Straftheorien wird sodann im Einzelnen aufgezeigt;45 Pawlik schließt den Gedankengang mit einem das funktionale Strafrechtsdenken ruinierenden Urteil: „Das Strafrecht ist um seiner disziplinären Identität willen gut beraten, wenn es auf Distanz zu diesem Denkmuster geht.“46

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sind unbedingte ausnahmslose Regeln, an deren Respektierung jedes legitime Strafen gebunden ist.“ (ebd., Herv.i.O., Fn weggelassen). Die Suche nach einer in sich schlüssigen, aus einem Prinzip konsequent hergeleiteten Straftheorie hält Greco (wie auch Hörnle, a.a.O.) für überflüssig: Es seien nichts weiter als „ästhetische Erwägungen eines pyramidalen Aufbaus“ der Maßstäbe für die Richtigkeit der Theorie, die „für ihre Schönheit“ zwangsläufig den Preis zahlen müssen, alle „relevanten Erwägungen auf einen gemeinsamen Nenner reduzieren zu müssen“. Nach Greco, in der Folge von Roxin, eigne sich „Modellreinheit“ zwar für „schablonisierende Doktrinäre“, werde aber der „Komplexität der Phänomene niemals gerecht“ (ebd., S. 252, mit Verweis auf Roxin 1966: S. 387). Es zeigt sich hier ein Kategorienfehler im Denken, der auch nicht dadurch verschwindet, dass aus der Not eine Tugend gemacht wird. Wird die eigene „Theorie“ nur unter Hinzunahme theorie-externer Versatzstücke für gültig erklärt, so wird dadurch Inkonsequenz zum Prinzip gemacht. Schon auf der Ebene theoretischer Erkenntnis wäre ein solches Vorgehen höchst fragwürdig, zeichnet sich eine Theorie doch gerade dadurch aus, dass sie, anders als die vielgestaltige Praxis, in sich schlüssig und dadurch dem konsequenten Denken zugänglich sein muss. Auf der Ebene praktischvernünftiger Rechtsargumentation kommt hinzu, dass Konsequenz im Denken nicht nur theoretisch gefordert, sondern notwendig zur Erklärung von Verbindlichkeit gegenüber der Rechtsvernunft eines jeden einzelnen Subjekts ist. Es geht also keinesfalls um die „Schönheit“ des Gedankengebäudes, sondern um die konsequente Rechtfertigung realer Freiheitseingriffe. Zutreffend bemerkt auch Pawlik in diesem Zusammenhang, dass die „Preisgabe axiologischer Geschlossenheit“ der Theorie mehr ist als ein bloß ästhetischer Schönheitsfehler: „Die Forderung nach begründungstheoretischer Konsistenz einer Straftheorie entspringt nicht den ästhetischen Luxusbedürfnissen weltflüchtiger Theoretiker, sondern dem Respekt gegenüber den von der Verhängung einer Strafe betroffenen Delinquenten.“ (Pawlik 2012: S. 86, Fn 448). S. zur Notwendigkeit, das Recht von Grund auf mit seiner Basis in personaler Freiheit zu bestimmen und zur Untauglichkeit bloß funktionaler Rechtskonzepte auch Kelker 2007: S. 384, 385. Es sei denn, man versteht die Schuld selbst als am Zweck der positiven Generalprävention ausgerichtet, als „funktionale oder zweckhaft bestimmte Schuld“ (so Jakobs 1976). Pawlik 2012: S. 83 (Fn weggelassen, Herv.i.O.). Zur negativen Generalprävention Pawlik 2012: S. 83, 84; zur Spezialprävention: S. 84; zur positiven Generalprävention: S. 84 ff. Pawlik 2012: S. 86.

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II. ZUR ÜBERWINDUNG DES FUNKTIONALEN DENKENS: PRÄVENTION UND STRAFE AM BEISPIEL DES STAATLICHEN UMGANGS MIT TERRORISTISCHER GEWALT Tatsächlich kann eine rechtsstaatliche Lösung des Präventions- und Strafproblems in gedanklich-konsequenter Weise nur gelingen, wenn das funktionale Denken überwunden wird.47 Es gilt deshalb, einen Weg zu finden, wie rechtsstaatliche Unrechtsprävention auf der einen und konsequent-freiheitliches Strafrecht auf der anderen Seite systematisch-schlüssig gedacht werden können, ohne dass dabei die Realität drohenden bzw. begangenen Unrechts unterschätzt würde. 1. Zur Unterscheidung von vorbeugender und wiederherstellenden Rechtspflege Ein Ansatz dafür findet sich schon in der polizeirechtlichen Literatur des 19. Jahrhunderts. Mit seiner Differenzierung zwischen vorbeugender und wiederherstellenden Rechtspflege hat Robert von Mohl (1799–1875) zwei wesentliche Momente der dem Staat aufgegebenen Rechtssicherung unterschieden: Der Staat müsse erstens beabsichtigten Rechtsstörungen zuvorkommen (vorbeugende Rechtspflege, Präventiv-Justiz) und im Falle des Misslingens dieser Tätigkeit müsse er zweitens für die Wiederherstellung des gestörten Rechts sorgen (bürgerliche und peinliche Rechtspflege).48 Der Bereich der Vorbeugung ist danach mit dem des Strafrechts nicht zu identifizieren, denn „die Zufügung einer Strafe wegen einer begangenen Rechtsstörung (ist) zunächst und wesentlich die Wiederausgleichung des gestörten Rechtsstandes, namentlich auch die Wiedergutmachung des durch ein gelungenes Verbrechen zugefügten idealen Schadens (…). Dieß aber ist nicht Vorbeugung, sondern Wiederherstellung. Und wenn die mittelbare und zufällige Folge der Strafe Abhaltung des Gestraften oder Anderer von neuen Verletzungen ist, so verliert dadurch jene Rechtshandlung ihren hauptsächlichen und wesentlichen Charakter nicht.“49

47 So auch Murmann 2010: S. 208: „Die Kritik an einzelnen Auswüchsen eines funktionalen Strafrechts bleibt (…) kraftlos und ist letztlich selbstwidersprüchlich, wenn sie sich nicht auch gegen das herrschende Präventionsstrafrecht wendet. Beharrt die Strafrechtswissenschaft auf einer Legitimation von Strafe, die in der Rechtsperson ihren Grund und ihr Ziel hat, so muss freilich der skizzierte Begründungsaufwand betrieben werden. Es gilt als modern, die darin liegende Verkomplizierung als Zumutung zu verstehen, die auf dem Markt der konkurrierenden Strafrechtsmodelle einen Wettbewerbsnachteil bringen. Diese Überlegung ist ebenso richtig wie belanglos.“ (Fn weggelassen). Ähnlich auch Kahlo 2010: S. 421: „Die auch von Winfried Hassemer gerade im Hinblick auf die neuere Zeit vermerkten und dabei deutlich kritisierten Ausuferungen der staatlichen Ermittlungszwangsbefugnisse und Strafgewalt liegen jedenfalls durchweg in der ,Logik der Prävention‘. Ist dies aber zutreffend, spricht wenig dafür, dass diese Logik als Leitfaden zu einem rationaleren, gerechteren und eben dadurch kultivierten Strafrecht taugt. Dies gilt auch für die Straffolgenseite.“ 48 v. Mohl 1866: S. 5, 13. 49 v. Mohl 1866: S. 48, 49.

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Von Mohl hat damit die Grundunterscheidung zwischen Unrechtsverhinderung und Unrechtsaufhebung gültig umschrieben.50 Es wird deutlich, dass die Konfusion von Präventions- und Schuldausgleichsmomenten innerhalb der „relativen“ Straftheorien dadurch vermieden werden können, dass als Grund der Strafe allein der bewirkte Rechtsbruch in Ansatz gebracht wird: Strafe ist dann schon im ersten Zugang Wiederherstellung der durch eine schuldhafte Kriminalunrechtstat bewirkten Rechts(verhältnis)verletzung,51 Prävention ist auf Verhinderung einer solchen Rechts(verhältnis)verletzung gerichteter Zwang.52 Da eine Vermengung beider Gesichtspunkte nach Art der „präventiven Straftheorien“ zwingend zu unlösbaren Legitimationsproblemen führt,53 müssen im Rechtsstaat Kriminalunrecht und Strafe ausgehend von einem freiheitlichen Rechtsbegriff schlüssig bestimmt und von präventiven Zwangsmaßnahmen, die ihrerseits eigenen Legitimationsregeln unterliegen, gültig geschieden werden. Das macht es – erstens erforderlich, Unrechtsverhinderungsmaßnahmen aus dem Prinzip staatlichen Rechtszwangs abzuleiten und für die jeweils gesondert zu regelnden, unterschiedlichen Bereiche berechtigter Präventionstätigkeiten zu konkretisieren.54 – Zweitens ist ein materiell bestimmter Kriminalunrechtsbegriff zu entwickeln, der die Notwendigkeit der Aufhebung durch Strafe schon begrifflich enthält.55 Strafe muss ihren Grund im (schuldhaft begangenen) Verbrechen haben, anders ausgedrückt: Verbrechen und Strafe müssen gedanklich zwingend aufeinander bezogen sein. Nur bei Vorliegen einer diesen Kriterien entsprechenden Unrechtstat, d. h. einem Verbrechen, dem die Notwendigkeit seiner Aufhebung inhärent ist,56 ist Strafe das legitime Reaktionsmittel des Staates. 50 Ähnl. v. Feuerbach 1799: S. 19 ff., der aber die strikte Trennung von präventiven Eingriffen und reagierender Strafe mit seiner eigenen Straftheorie nicht konsequent durchgehalten hat. 51 Vgl. Köhler 1997: S. 37: „Rechtsgrund der Strafe ist die notwendige ausgleichende Wiederherstellung des durch die Tat in seiner Allgemeingültigkeit verletzten Rechtsverhältnisses in schlüssiger Negation/Aufhebung des Verbrechens (…).“ Ders. 1986: insbes. S. 50 ff.; ders. 1987: S. 11 ff.; Seelmann 1993: S. 230; Schild 1984: S. 71 ff. 52 Zur genaueren Herleitung vgl. Gierhake 2013: S. 342 ff. 53 Grundlegend in diesem Sinne schon E. A. Wolff 1985: S. 786 ff. 54 Vgl. dazu schon v. Mohl 1866. Zu einem ausgearbeiteten Begründungszusammenhang ausgehend von der Zwangsbegründung bei Kant und Hegel bis hin zu konkreten Folgerungen für eine rechtsstaatliche Unrechtsprävention s. Gierhake 2013: S. 342–390. 55 Köhler definiert auf der Basis des auf der Freiheit des Subjekts beruhenden Rechts- und Unrechtsbegriffs das Verbrechen als „subjektiv-objektiv handelnde Verletzung des Rechts in seiner besonderen und allgemeingesetzlichen Geltung (…) in einem Maße, das die rechtliche Selbständigkeit der betroffenen Person oder Gemeinschaft grundlegend beeinträchtigt.“ (Köhler 1997: S. 22). Zur Herleitung eines solchen Verbrechensbegriffs Gierhake 2013: S. 247 ff. 56 Grundlegend dazu Hegel 1821: §§ 90–103 (S. 178–198). Dazu Seelmann 1979: insbes. S. 690: „Ist das Verbrechen die Störung einer Anerkennungsbeziehung zweier Selbstbewußtseine, so kann die Verletzung nur dadurch ‚vernichtet‘ werden, dass die Beziehung der Anerkennung wiederhergestellt wird, womit freilich qua Wiederherstellung nicht (nur) der ursprüngliche Zustand, sondern zugleich dessen Bewährung – Hegels ‚Wirklichkeit des Rechts‘ – entsteht.“

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2. Rechtszwang und Rechtsstrafe Sowohl der legitime staatliche (Präventions-)Zwang als auch die legitime staatliche Strafe setzen in ihrer Basis eine freiheitliche, d. h. auf der Autonomie ihrer Konstituenten gründenden Rechtsordnung voraus, die durch die jeweiligen Institute erhalten bzw. wiederhergestellt werden soll. Unrecht wendet sich gegen den Bestand solcher rechtlichen Verhältnisse, sei es im Interpersonalverhältnis, sei es im staatlichen Gesamtrechtsverhältnis. Aus diesem Grund ist die zwangsweise Verhinderung von Unrecht eine freiheitliche Rechtverhältnisse im Ergebnis bewahrende und schützende Aktion;57 Strafe ist die nach begangenem Unrecht erforderliche Restitution solcher Verhältnisse. Beide Rechtsinstitute lassen sich damit vor der Vernunft des jeweils betroffenen Subjekts als freiheitserhaltend ausweisen und sind dadurch mit seiner Autonomie vereinbar. Beim präventiven Rechtszwang geht es damit um die Verhinderung eines bevorstehenden, den Gegenzwang auslösenden Ereignisses, dem Unrecht. Zwang wird diesem Unrecht entgegengesetzt. Auf diese Weise besteht zwischen der Zwangsanwendung und dem Unrecht eine enge, inhaltliche Beziehung, die sich entscheidend auch auf das legitime Maß der Zwangsmaßnahmen auswirkt. Je gravierender und wahrscheinlicher das bevorstehende Unrecht ist, desto schwerer dürfen auch entgegensteuernde Zwangsanwendungen des Staates sein (Prinzip der Verhältnismäßigkeit bei der Maßbestimmung von Präventionsmaßnahmen).58 Die Anwendung von (präventivem) Zwang ist also im Grundsatz dadurch und insofern legitimiert, dass durch sie bevorstehende Unrechtshandlungen unmöglich gemacht werden. Das impliziert, dass sich jeder rechtliche Verhinderungs-Zwang auf konkretes Unrecht beziehen muss, weil er sich erst aus diesem Bezug begründen lässt. Eine allgemeine Unrechtsneigung oder -stimmung allein kann deshalb (vorweggenommene, freiheitsrelevante) Zwangsmaßnahmen nicht rechtfertigen, denn ohne die Existenz bestimmbaren Unrechts wird kein Widerspruch zum Recht begründet, der durch den Gegenzwang aufgehoben werden müsste. Zur Unrechtsverhinderung sind dann im Grundsatz solche Zwangsmittel zulässig, die das bevorstehende Unrecht (auch) durch Beschränkung der persönlichen (äußeren) Freiheit des potentiellen Unrechtstäters unmöglich machen. Von der Unrechtsvorbeugung ist die Bestrafung von Kriminalunrecht deutlich zu unterscheiden. Kriminalunrecht hat ganz bestimmten Kriterien zu genügen, um die Sanktion „Strafe“ zu rechtfertigen.59 Das entscheidende Charakteristikum strafwürdigen Unrechts liegt darin, dass der Täter verantwortlich das rechtliche (also auf Freiheit und Gleichheit beruhende) Verhältnis zwischen ihm selbst, dem

57 Vgl. zu diesem Grundgedanken Kant 1797: Rechtslehre, Einleitung, § D, AB 35 (Ak.-Ausg., Band VI, S. 231); dazu Höffe 1982: S. 352 ff.; ders. 1999: S. 55 ff. 58 S. zu diesem Punkt schon v. Mohl 1866: S. 39. 59 Durch die genaue Herausarbeitung dieser Kriterien ist eine Abgrenzung zu anderen Unrechtsformen möglich (s. E. A. Wolff 1987: S. 162 ff.; Köhler 1997: S. 22).

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Opfer und der Allgemeinheit in gravierender Weise verletzt hat.60 In der konkreten Verletzung dieses gegenseitigen Rechtsverhältnisses liegt zugleich eine bewusste und gewollte Negation der Geltung freiheitlichen Rechts durch ein vernünftiges Subjekt.61 Eine solche Geltungsnegation setzt den bewussten Entschluss zum Unrecht voraus: Nur der von einem vernünftigen Subjekt gewollte Angriff auf das von ihm selbst mitbegründete Recht kann einen Vernunftwiderspruch der Art begründen, dass die Geltung des Rechts damit in Frage gestellt ist und durch Strafe restituiert werden muss.62 Strafe ist also Wiederherstellung des Rechts, Negation des im Kriminalunrecht liegenden Widerspruchs zur Rechtsgeltung.63 Für die Rechtfertigung von Zwang zur Unrechtsverhinderung ist im Gegensatz zur Rechtfertigung von Strafe kein „verständiger Wille“ des (potentiellen) Unrechtstäters erforderlich, mit anderen Worten: Kein bewusst-unrechtlicher Wille, keine Schuld.64 Ob der das Unrecht Planende schuldfähig ist, aktuelle Unrechtseinsicht besitzt und sich bewusst in einen Widerspruch zum Recht setzen will, ist nämlich für die Frage unerheblich, ob er an der Begehung des Unrechts gehindert werden darf – das Prinzip der Prävention ist nicht Schuldausgleich, sondern Vorbeugung von Rechtsstörungen. Die Strafe als Restitution des Rechts nach bewusster Negation durch den Verbrecher setzt dagegen die Schuld des Täters voraus. 3. Zur Terrorismus„bekämpfung“ Ein Musterbeispiel der Konfusion dieser beiden grundverschiedenen Regelungsbereiche findet sich in den jüngeren staatlichen Reaktionen auf terroristische Anschläge mit islamistischem Hintergrund. Im (berechtigten) Bemühen um den Schutz der Bevölkerung vor terroristischer Gewalt sind materielle Straftatbestände im Bereich des Terrorismusstrafrechts (insbesondere §§ 129a, 129b, 89a, 89b und 91 n.F. StGB) eingeführt bzw. erweitert worden,65 die ihrerseits durch Aufnahme in die entsprechenden Kataloge strafprozessualer Befugnisnormen Ermittlungsund Überwachungsmaßnahmen im Rahmen der Straftatverfolgung gestatten.66 60 Eine ausführliche Herleitung dieses Unrechtsbegriffs findet sich bei Gierhake 2013: S. 247 ff. Zum Begriff der Freiheit als Ausgangspunkt für die Strafrechtsbegründung vgl. nochmals E. A. Wolff 1987: S. 162 ff.; ders. 1985: S. 786 ff., insbes. 805. 61 So auch Köhler 1997: S. 53. 62 Zur Herleitung dieses Unrechts- und Schuldverständnisses vgl. Gierhake 2005: S. 119 ff., 135 ff., 139 ff. Grundlegend Köhler 1986; ders. 1987: S. 11 ff.; Zaczyk 2000: S. 103 ff. 63 Grundlegend Hegel a.a.O. (Fn 56). 64 So auch Kitzinger 1913: S. 138. 65 S. dazu die Angaben in Fn 6. 66 S. etwa § 98a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO i.V.m. § 120 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 Nr. 2 GVG (Rasterfahndung), § 100a Abs. 2 Nr. 1a) und d) (Telekommunikationsüberwachung), § 100c Abs. 2 Nr. 1a) und b) (akustische Wohnraumüberwachung), §§ 100f Abs. 1, 100i Abs. 1, 103 Abs. 1, 110a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO und § 112a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO (Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr). Die Vermutung liegt nahe, dass die materiellen Straftatbestände der „Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“ (§ 89a StGB), der

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Bestraft wird gemäß § 129 StGB, wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Straftaten zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, für sie um Mitglieder oder Unterstützer wirbt oder sie unterstützt. § 129a konkretisiert in seinem Absatz 1 den Katalog der durch die Vereinigung angestrebten Straftaten auf bestimmte, schwere Delikte67 und verlangt im Absatz 2 zusätzlich eine terroristische Zielsetzung bei Begehung der aufgezählten (zukünftigen) Straftaten und deren Eignung zur Gefährdung der Funktionsfähigkeit eines Staates oder einer internationalen Organisation.68 Die §§ 129 ff. StGB kriminalisieren damit Verhaltensweisen, die primär den Bestand der kriminellen bzw. terroristischen Vereinigung selbst betreffen. Eine Aktivität, die über diese „Bestandssicherung“ hinaus geht, etwa die Vorbereitung oder sonstige Mitwirkung an einer von dieser Vereinigung verübten Straftat wird nicht gefordert. Bei den §§ 129 ff. StGB geht es also nicht um die Ahndung von Aktivitäten im „Frühstadium“ bestimmbarer Rechtsgutsverletzungen.69 Es wird zwar „eine generelle Vorverlagerung des Strafrechtsschutzes in das Vorbereitungsstadium bezweckt“70, aber bestraft wird ganz unabhängig davon, ob es überhaupt zu einer Vorbereitung eines Delikts kommt und ob der Betroffene an ihr Teil hat. Bestraft wird, weil es wegen der vom Täter (auf beliebige Weise) unterstützten Organisationsstruktur leichter zu Vorbereitungen und Begehungen von Straftaten kommen könnte. Eine ähnlich fragwürdige Unrechtsbegründung lässt sich für die mit Gesetz vom 4.8.2009 neu eingeführten Straftaten der Vorbereitung schwerer staatsgefährdender Gewalttaten (§§ 89a, 89b und 91 StGB) konstatieren.71 Mit der Ein-

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„Aufnahme von Beziehungen zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“ (§ 89b StGB) und der „Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“ (§ 91 StGB) gerade im Hinblick auf die durch sie eröffneten strafprozessualen Befugnisse geschaffen wurden. So auch Backes 2008: S. 660; Deckers/Heusel 2008: S. 172; Fischer 2012: § 89a Rn. 9; Paeffgen 2013: § 89a Rn. 1, 3 m.w.N; Radtke/Steinsiek 2008: S. 394; vgl. zudem die mündliche Stellungnahme der Verf. bei der öffentlichen Anhörung vor dem Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags vom 22.4.2009 (16. Wahlperiode, Protokoll Nr. 137, Satz 1). Vgl. für § 129a StGB zudem Hawickhorst 2011: S. 122–145 und S. 256. Mord, Totschlag, Verbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch, Straftaten gegen die persönliche Freiheit gem. § 239a oder § 239b StGB. Vgl. Rudolphi/Stein 2013: § 129a Rn. 6. Also nicht um „Vorfeldkriminalität“ im eigentlichen Wortsinn, denn die Tatsache, dass ein Verhalten, welches weit im Vorfeld einer messbaren und konkretisierbaren Gutsbeeinträchtigung liegt, kriminalisiert wird, ist laut Beck das entscheidende Definitionsmerkmal einer jeden Vorfeldstrafbarkeit, vgl. Beck 1992: S. 21, 22. BGHSt 28, S. 116. Vgl. dazu und zum Folgenden schon die kritischen Überlegungen der Verf. 2008: S. 243 ff. und ihre Stellungnahme für den Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages vom 22.4.2009 unter http://webarchiv.bundestag.de/cgi/show.php?fileToLoad=1251&id=1134 (Archiv der öffentlichen Anhörungen, abgerufen am 4.11.2013). S. ferner ebenfalls kritisch Backes 2008: S. 654 ff.; Deckers/Heusel 2008: S. 169ff; Fischer 2012: § 89a Rn. 8 f.; Gazeas/GrosseWilde/Kießling 2009: 593 ff.; Kindhäuser 2013: § 89a Rn. 2; Paeffgen 2013: § 89a Rn. 1 ff.; Radtke/Steinsiek 2008: S. 383 ff.; Sieber 2009: S. 353 ff.; Walter 2008: S. 443 ff.; Zöller 2010: S. 614 ff.

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führung dieser Straftatbestände in das Strafgesetzbuch sollte das bestehende strafrechtliche Instrumentarium zur Bekämpfung terroristisch motivierter Straftaten ergänzt werden: Die §§ 129 ff. StGB erfassten nur die Gefährlichkeit, die von einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung ausgeht, während terroristisch motivierte Vorbereitungshandlungen von Tätern ohne feste Einbindung in eine hierarchisch aufgebaute Gruppe bis dahin nicht strafbar waren.72 Die von Einzeltätern durch Vorbereitungshandlungen ausgehenden Gefahren könnten aber – so die Gesetzesbegründung73 – ebenso „erheblich und deshalb strafwürdig“ sein, wie die Gefahren, die von einer terroristischen Vereinigung ausgehen. Grund für die Strafbarkeit nach §§ 129 ff. und §§ 89a, 89b und 91 StGB ist demgemäß die von den beschriebenen Verhaltensweisen ausgehende Gefahr zukünftiger Deliktsbegehung.74 Damit ist Gegenstand der genannten Straftatbestände keine begangene schuldhafte Rechtsverhältnisverletzung, also kein Kriminalunrecht;75 ihr Zweck liegt vielmehr in der Verhinderung zukünftiger Unrechtsstaaten. Der Unterschied zwischen begangenem, Strafe rechtfertigenden Unrecht und zu verhinderndem zukünftigen Unrecht wird auf diese Weise faktisch aufgehoben. Damit geht nicht nur der im Begriff des Verbrechens liegende Zusammenhang zwischen Tat und Straffolge verloren, sondern überhaupt jegliches materielles Kriterium für die sog. „fragmentarische Natur des Strafrechts“:76 Es wird in Frage gestellt, dass es überhaupt eine materielle Unterscheidung zwischen dem Recht der Prävention und dem Strafrecht gibt, die grundsätzlich am Begriff und der Qualität des Unrechts anzusetzen hat.77 Eine Folge dieser Begriffsaufweichung ist das von Cancio Meliá treffend formulierte Problem, dass für die Bestrafung plötz-

72 Vgl. den Gesetzentwurf und die Gesetzesbegründung vom 25.3.2009 (BT-Drs. 16/12428), die bei der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Rechtsausschusses vom 26.5.2009 (BTDrs. 16/13145) mit nur redaktionellen Änderungen versehen wurden, inhaltlich aber unverändert geblieben sind. 73 S. Pressemitteilung des Bundesministeriums der Justiz vom 21.4.2008, zugänglich über die Pressestelle des BMJ. 74 Vgl. für §§ 129 ff. dazu Rudolphi/Stein 2013: § 129 Rn. 3: „Der Unrechtsgehalt besteht in der Schaffung oder Verstärkung des Gefahrenpotenzials, das in der Existenz und in den tatsächlichen Aktionsmöglichkeiten krimineller Vereinigungen liegt.“ Zustimmend Ostendorf 2013: § 129 Rn. 5. 75 Zur ausführlichen Begründung vgl. Gierhake 2013: Teil 4. 76 Vgl. dazu Roxin 2006: S. 45f. Vgl. zur fragmentarischen Qualität des Strafrechts ferner Zaczyk 2011: S. 691 ff. 77 S. dazu auch Dencker 1988: S. 263f., der deutlich herausarbeitet, wie sich das auf einer „Tat“ beruhende Straf- und Strafverfahrensrecht (welches wesentlich durch das Schuldprinzip charakterisiert ist) von einem „Gefährlichkeitsstrafrecht“ unterscheidet, bei dem der Mensch in erster Linie als Gefahrenquelle erscheint und behandelt wird. Bei ihm heißt es: „Das (der neueren Terrorgesetzgebung, Anm. der Verf.) zugrunde liegende Strafrechtsverständnis ist ‚feindstrafrechtlich‘; nicht die gerechte Aburteilung einer an sich schädlichen Tat steht im Vordergrund, sondern das Strafrecht wird zum (materiell) polizeilichen Mittel, um der vermuteten Gefährlichkeit von Personen oder Gruppen zu begegnen.“ (S. 265). Kritisch zu einem solchen „Interventionsstrafrecht“ auch Puschke 2010: S. 23 ff.

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lich schon „ein irgendwie ‚Dabeisein‘, ‚Dazugehören‘, ‚Einer-von-denen-sein‘ ausreicht, auch wenn es nur im Geiste ist“78. 4. Rechtsstaatliche Unrechts- bzw. Terrorismusprävention Der Vermengung von Straf- und Präventionsrecht, die sich in den Terrorismusstraftatbeständen zeigt, stehen rechtsprinzipielle Gründe entgegen.79 Zwischen der Prävention künftigen, nicht zwingend schuldhaften Unrechts einerseits und der Bestrafung schuldhaft begangenen Kriminalunrechts andererseits ist bei der Normierung von Sicherheitsgesetzen sorgfältig zu unterscheiden. Ein Sicherheitsstrafrecht im Sinne eines reinen Präventionsstrafrechts ist nicht legitimierbar, das Präventionsrecht hat umgekehrt keinen Strafcharakter. Soll dementsprechend die Prävention (terroristisch motivierten) Unrechts unabhängig vom Strafrecht rechtsstaatlich ausgestaltet werden, so ergeben sich eigene, präventionsspezifische Legitimationsanforderungen. Staatliches Einschreiten kann in diesem Bereich wegen seines Bezugs zu einer erst zukünftigen potentiellen Unrechtstat stets nur auf unbestimmter Tatsachen- und Rechtsbasis erfolgen; das Handeln aufgrund einer Gefährlichkeitsprognose bzw. einer Wahrscheinlichkeitseinschätzung ist notwendig mit Unsicherheit und begrifflicher Unschärfe verbunden. Dieses Faktum bringt eine erhöhte Schwierigkeit für die Legitimation von präventiven freiheitsbeschränkenden Maßnahmen mit sich. Für den Ausweis als Rechtsinstitut darf es bei solchen Maßnahmen nämlich nicht allein auf ihre Nützlichkeit (den „effet utile“) zur Unrechtsverhinderung ankommen. Vielmehr müssen sie sich, wie alle Rechtshandlungen, auch vom betroffenen Subjekt selbst (also von dem einer zukünftigen Unrechtstat Verdächtigen, selbst einem mutmaßlichen Terroristen) als praktisch-vernünftig einsehen lassen. Dementsprechend darf der einer bevorstehenden Straftat Verdächtige nicht als bloße „Gefahrenquelle“ verstanden werden.80 78 Cancio Meliá 2005: S. 287. Vgl. auch Hefendehl 2010: S. 89, 95, der darauf hinweist dass das heutige Strafrecht immer „weniger an Handlungen und Ergebnisse anknüpft, als vielmehr die als Feind ausgemachte Person und deren Intention ins Visier nimmt.“ 79 Vgl. zum Folgenden die Herleitung und vertiefte Begründung der Gierhake 2013: S. 342– 390. 80 Diese Differenzierung wird im geltenden Polizeirecht noch nicht ausreichend berücksichtigt. Vgl. etwa Denninger 2007: Rn. 170, der zwar deutlich zwischen präventivem und repressivem Polizeihandeln unterscheidet, innerhalb der Prävention aber zu einseitig nur auf die Gefahrenabwehr (i.e.S.) abstellt: „Geht es beim (präventiven Polizeihandeln) um eine primär ereignisbezogene, prognostisch fundierte, möglichst effektive und flexible Reaktion auf eine Schadenswahrscheinlichkeit, bei welcher der ‚Täter‘ = Störer als Person, moralisches Wesen, völlig uninteressant ist und deshalb als ‚black box‘ behandelt werden kann, so ist im Gegensatz hierzu die repressive Tätigkeit als Bestandteil eines tat- und täterbezogenen, vergangenheitsfundierten, an der Einzelfallgerechtigkeit orientierten Verfahrens zu sehen, bei welchem die individuelle Persönlichkeit des Täters, seine ‚Schuld‘, im Hinblick auf die Findung eines ‚gerechten‘ Urteils eine entscheidende Rolle zu spielen hat; deshalb ist die Stellung des Be-

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Nach dem bisher Gesagten sind unrechtshindernde Zwangsmaßnahmen gegenüber dem betroffenen Subjekt grundsätzlich dann gerechtfertigt, wenn es tatsächlich zum entsprechenden Unrecht ansetzt bzw. wenn sicher feststeht, dass es das Unrecht begehen wird. Die Unrechtsverhinderung hat sich dabei nach Art und Maß am drohenden Unrecht zu orientieren. Bei bloßer Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung – die in der Praxis die Regel darstellen wird – ist die Befugnis zum zwangsweisen Eingriff in die Freiheitssphäre eines Subjekts nicht mehr so gewiss, denn das Subjekt müsste dann freiheitsbeeinträchtigende Maßnahmen unter Umständen auch dann als legitim hinnehmen, wenn es in Wahrheit kein Unrecht begehen wird bzw. will. Eine entsprechende Zwangsbegründung hat deshalb die empirische Schwierigkeit unsicherer Prognosen mit zu berücksichtigen: Selbst die einem „unschuldigen“ Subjekt aufgebürdete Freiheitsbeeinträchtigung muss von ihm selbst noch als rechtliche Maßnahme verstanden werden können. Dies wird aber nur unter folgenden Bedingungen der Fall sein: Erstens muss das Subjekt selbst durch sein Verhalten, seine Äußerungen, o. ä. den Verdacht ihm gegenüber (mit)begründet haben. Nur dann ist es selbst zumindest mitverantwortlich für die staatliche Freiheitsbeeinträchtigung, nur dann liegt ein nachvollziehbarer Grund gerade seiner Duldungspflicht vor. Zweitens muss das Recht im Übrigen „freiheitsoptimal“ ausgestaltet sein. Das bedeutet u.a.: Der Verdacht muss die Schwelle bloßer Möglichkeit überschritten haben und ausreichend konkretisiert sein (eine bloße Unrechtsneigung genügt insofern nicht); zudem muss die strikte Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gewährleistet sein und das beinhaltet eine Entsprechung der Qualität des potentiell drohenden Unrechts und des Grades der Wahrscheinlichkeit seines Eintritts mit der Qualität des den Einzelnen treffenden Freiheitseingriffs. Hinzukommen muss drittens, dass die Anforderungen an die Feststellung der Wahrscheinlichkeit sorgfältig ausgearbeitet und eingehalten werden; ferner, dass es für das Subjekt ein Verfahren der Überprüfbarkeit der Freiheitsbeeinträchtigung gibt (Rechtsschutzgarantie) und dass der Freiheitseingriff selbst überschaubar, d. h. quantitativ und qualitativ umgrenzt, gesetzlich festgelegt und justitiabel ist. 5. Fazit Anhand dieser Kriterien ist ein Präventionsrecht als selbständiges Rechtsgebiet zu normieren. Für die Terrorismusstraftatbestände bedeutet das, dass der größte Teil ihrer Regelungsmaterie aus dem Strafrecht ausgegliedert werden muss; nur Handlungen, die tatsächlich Strafunrechtscharakter aufweisen, dürfen auch Strafe als Sanktion nach sich ziehen. Der Trend zum „präventiven Strafrecht“ stellt insofern eine Fehlform der Strafrechtsentwicklung dar.

schuldigten/Angeklagten in ‚seinem‘ (Straf-)Verfahren eine ganz andere als die des bloßen ‚Störers‘.“ (Herv.i.O., Fn weggelassen).

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Katrin Gierhake

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WAS IST GEFÄHRLICHKEIT? Über eine vielbeschworene Eigenschaft von Straftätern Kirstin Drenkhahn I. EINLEITUNG Im materiellen Strafrecht wird die Entwicklung weg von einem repressiven, hin zu einem präventiven Strafrecht daran festgemacht, dass in zunehmendem Maße Verhalten unter Strafe gestellt wird, das zwar gefährlich scheint, aber nicht unmittelbar zu einem Schaden führt. Es handelt sich dann häufig um eine Verlagerung der Strafbarkeit auf Vorbereitungshandlungen, die zum Teil nur sehr lose mit einer in der Zukunft liegenden Verwirklichung eines klassischen Erfolgsdelikts verknüpft sind, wie z.B. die Ausbildung in einem „Terrorcamp“ (§ 89a Strafgesetzbuch). Zu dieser gesteigerten Bedeutung der Gefährlichkeit von Verhalten, die zunächst noch kein Urteil über die handelnde Person enthält, kommt der Diskurs über die Gefährlichkeit von Menschen. Eine Verknüpfung dieser beiden Arten von Gefährlichkeit bildet z.B. § 89a Strafgesetzbuch. Ein „Terrorcamp“ besuchen Terroristen bzw. solche, die es werden wollen, und aus den Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung (§ 66 Abs. 1 Nr. 1a Strafgesetzbuch) ergibt sich, dass sich diese Personen durch den Besuch nicht nur gefährlich verhalten, sondern möglicherweise selbst im strafrechtlichen Sinne „gefährlich“ sind. Obwohl es diese Verknüpfung gibt, wird die Gefährlichkeit von Menschen in der Rechtswissenschaft offen allenfalls im Sanktionenrecht, nicht aber im materiellen Strafrecht diskutiert, denn hier geht es nicht um die Beschreibung einzelner Handlungen, sondern um eine Zuschreibung in Bezug auf die Person. Das Sanktionenrecht ist jedoch, wenn man nach dem Publikationsaufkommen geht, im Vergleich zum materiellen Strafrecht deutlich untertheoretisiert. Der Diskurs über gefährliche Menschen ist nicht neu. In Deutschland hat er durch die Debatte um die Ausweitung der Sicherungsverwahrung ab Ende der 1990er Jahre und die erneute Einschränkung im Zuge der Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ab Dezember 2009 in Sicherungsverwahrungsfällen1 in der Kriminalpolitik viel Raum eingenommen. Damit ist das Pro1

Bis Anfang Oktober 2013: EGMR v. 17.12.2009 – 19359/04 (M.); v. 21.10.2010 – 24478/03 (Grosskopf); v. 13.1.2011 – 27360/04, 42225/07 (Schummer); 20008/07 (Mautes); 17792/07 (Kallweit); 6587/04 (Haidn); v. 14.4.2011 – 30060/04 (Jendrowiak); v. 9.6.2011 – 30493/04 (Schmitz); 31047/04, 43386/08 (Mork); v. 24.11.2011 – 4646/08 (O. H.); 48038/06 (Schönbrod); v. 19.1.2012 – 28527/08 (Reiner); 21906/09 (Kronfeldner); v. 22.3.2012 –

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blem, dem sich dieser Beitrag widmen soll, auch schon benannt: Gefährlichkeit als Eigenschaft von Menschen wird vor allem kriminalpolitisch verwendet, aber kaum wissenschaftlich ausgedeutet.2 Dieser Befund gilt übrigens nicht nur für Deutschland. Auch im europäischen Ausland werden die „Gefährlichen“ als kriminalpolitisches Problem wahrgenommen, doch auch dort gibt es kein theoretisch fundiertes Konzept der Gefährlichkeit als Eigenschaft von Menschen.3 Dieser Beitrag soll deshalb ein Versuch sein, ein solches Konzept zu umreißen. II. SCHULD VERSUS GEFÄHRLICHKEIT Ausgangspunkt der Überlegung soll der im deutschen Strafrecht aufgebaute Gegensatz zwischen Schuld und Gefährlichkeit sein. Dieser Gegensatz ermöglicht es trotz des aus dem Grundgesetz abgeleiteten Schuldprinzips,4 ein zweispuriges Sanktionensystem mit schuldbezogenen Strafen und gefährlichkeitsbezogenen Maßregeln bereitzuhalten. Während Schuld und Strafen sich auf Verhalten in der Vergangenheit des Täters beziehen, sind die Gefährlichkeit und die Maßregeln auf zukünftiges Verhalten gerichtet bzw. auf die Vermeidung zukünftiger Straftaten (s. dazu unten 5.).5 Schuldzuschreibung und die Ahndung schuldhaften Verhaltens sind in der Logik des Strafgesetzbuchs der Normalfall, während Gefährlichkeit, die die Schuld übersteigt, die Ausnahme sein soll. Daher ist Schuld nach wie vor ein zentraler Begriff des Strafrechts, wenn nicht gar der wichtigste,6 und es gibt eine Vielzahl von Deutungen in der Entwicklung des Strafrechts, die auch abgeleitete Begriffe wie die Schuldfähigkeit umfassen.7 Die Diskussion um den freien Willen, der als Grundlage der Schuldzuschreibung gilt, soll hier jedoch ausgeblendet werden. Nach heutigem Verständnis8 beschreibt die Kategorie „Schuld“, ob und in welchem Maße einer Person strafbewehrtes Verhalten vorgeworfen werden kann. Dieser Schuldvorwurf ist damit ein abgeleitetes Urteil, dessen Voraussetzung immer eine entsprechende Tat ist.9 Zudem wird dieses Urteil immer retrospektiv

2 3

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36035/04 (Ostermünchner); 5123/07 (Rangelov); v. 19.4.2012 – 61272/09 (B.); v. 7.6.2012 – 61827/09 (K.); 65210/09 (G.); v. 28.6.2012 – 3300/10 (S.); v. 19.9.2013 – 17167/11 (H.W.). Vgl. auch Brenneis 2010: S. 40 f.; Kammeier 2010: A9-10. Der Europarat – European Committee on Crime Problems – hat eine Ad hoc Drafting Group on Dangerous Offenders eingerichtet, die eine neue Empfehlung über gefährliche Straftäter entwerfen soll, Terms of reference of the Ad hoc Drafting Group on Dangerous Offenders (PC-GR-DD), http://www.coe.int/t/dghl/standardsetting/cdpc/PC_GR_DD_en.asp (3.10.2013). BVerfGE 20, S. 323. Vgl. auch MüKo-Radtke 2012: Vor §§ 38 ff. Rn. 14. Vgl. Maurach/Zipf 1992: § 30 Rn. 1. S. nur die Literaturübersicht bei MüKo-Freund 2011: Vorbemerkung zu den §§ 13 ff. Rn. 237. Zur Entwicklung des Schuldbegriffs: Jescheck/Weigend 1996: S. 419 ff.; Maurach/Zipf 1992: § 30 Rn. 15 ff.; Roxin 2006: § 19 Rn. 10 ff.; Schöch 2007: S. 94 ff. Vgl. Maurach/Zipf 1992: § 30 Rn. 4.

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gefällt, nachdem das Geschehen abgeschlossen ist. Dieser normative Schuldbegriff geht auf Frank (1907) zurück und wurde vom BGH 1952 aufgegriffen: „Mit dem Unwerturteil der Schuld wird dem Täter vorgeworfen, dass er sich nicht rechtmäßig verhalte, dass er sich für das Unrecht entschieden hat, obwohl er sich rechtmäßig verhalten, sich für das Recht hätte entscheiden können.“10

In dieser Formel des BGH steckt bereits eine Erweiterung, da der normative Schuldbegriff selbst noch nichts darüber aussagt, was eigentlich der Inhalt des Vorwurfs ist,11 denn dieser Vorwurf geht über die Feststellung hinaus, dass der Täter ein Verhalten an den Tag gelegt hat, das den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt. Roxin nennt die folgenden Erklärungsansätze für die „inhaltlichen Voraussetzungen“ der Vorwerfbarkeit:12 – Schuld als „Andershandelnkönnen“: Voraussetzung ist hier die Willensfreiheit, um die nach wie vor gestritten wird, so dass sich hier ein Beweisproblem stellt. Ein weiteres Beweisproblem ergibt sich aus dem zeitlichen Auseinanderfallen von Tat und Beurteilung: Ob der Täter tatsächlich hätte anders handeln können, kann im Nachhinein empirisch nicht positiv festgestellt werden.13 – Schuld als rechtlich missbilligte Gesinnung: Diese auf Gallas zurückgehende Auffassung sieht in der „Gesinnung“ kein stabiles Präferenzmuster, sondern meint die aktuelle Haltung, die in der Tat zum Ausdruck gekommen ist.14 Was als rechtlich missbilligte Gesinnung gelten soll, hängt allerdings von gesetzgeberischen Entscheidungen ab, also von der aktuellen konkreten Gesetzeslage, so dass eine davon losgelöste Bestimmung nicht möglich ist.15 Man darf zudem bezweifeln, dass mit dieser Beschreibung erreicht wird, was erreicht werden sollte, nämlich eine Differenzierung zwischen Unrecht und Schuld16 – was über die im Gesetz zum Ausdruck kommende rechtliche Missbilligung hinaus die Gesinnung ausmacht, bleibt unklar. – Schuld als Einstehenmüssen für den eigenen Charakter: Das Problem, was „Gesinnung“ im Gegensatz zum subjektiven Unrechtselement ausmacht, umgeht dieser Lösungsansatz, indem hier auf relativ stabile Eigenschaften und Präferenzmuster abgestellt wird, die jemanden zu einer Tat veranlasst haben und auf die sich der Vorwurf bezieht. Diese Beschreibung von Schuld birgt daher einen inneren Widerspruch, denn es geht auch hier darum, dass der Täter für seine Tat „etwas kann“ (oder eben auch nicht). Für das, was man im weitesten Sinne als „Charakter“ bezeichnen kann, kann man aber nichts oder

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BGHSt 2, S. 194, 200. S. Roxin 2006: § 19 Rn. 19. Roxin 2006: § 19 Rn. 20 ff. Vgl. Roxin 2006: § 19 Rn. 20–22 m.w.N. S. auch die Kritik bei Gallas 1955: S. 44 f. sowie Hirsch 1994: S. 750. 14 Gallas 1955: S. 45. 15 Vgl. Roxin 2006: § 19 Rn. 23–26 m.w.N. 16 Gallas 1955: S. 45.

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doch nur wenig,17 denn es ist kaum eine Frage bewusster Entscheidungen, wie man sein will, viel hängt hingegen vom Zusammenspiel von Anlage und Umwelt in der frühen Kindheit ab.18 – den funktionalen Schuldbegriff, der von Jakobs im Rahmen der Theorie der positiven Generalprävention entwickelt wurde und den Inhalt der Schuld über ihre Funktion bestimmt.19 Die Zuschreibung von Schuld und die Bestrafung des Täters dienen danach der Stabilisierung des Vertrauens der Normunterworfenen in die Geltung der strafrechtlichen Normen, das durch die Tat gestört wurde; Schuldfeststellung und Bestrafung müssen diese Funktion nicht erfüllen, wenn dieses Vertrauen auch durch eine andere Verarbeitung des Geschehens bekräftigt werden kann. Dieser Schuldbegriff ist der Kritik ausgesetzt, der sich eine rein positiv-generalpräventive Begründung des Strafrechts insgesamt ausgesetzt sieht: Er löst sich von der individuellen Zuschreibung von Verantwortung und damit von der strafbarkeitsbegrenzenden Funktion des Schuldprinzips, da er auf die Präventionsbedürfnisse der anderen ausgerichtet ist.20 – den auch von Roxin selbst vertretenen Ansatz der Schuld als unrechtes Handeln trotz normativer Ansprechbarkeit:21 Hier wird versucht, die Probleme der Schuld als „Andershandelnkönnen“ zu umgehen, indem das, was im Nachhinein nicht beweisbar ist, nämlich die Freiheit im Handeln im Einzelfall, angenommen wird – es sei denn, es ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass der Täter im konkreten Fall unfrei war. Gegen diese „normative Setzung“ richtet sich denn auch die Kritik an dieser Auffassung.22 Dieser kurze, keineswegs erschöpfende Überblick zeigt, dass um den Schuldbegriff nach wie vor gestritten wird und es hier auch darum geht, eine Definition zu finden, die die Diskussion über den Schuldbegriff in anderen Wissenschaften nicht ausblendet.23 Anders sieht es für den Begriff „Gefährlichkeit“ aus, soweit er zur Beschreibung eines Menschen dient. Gefährlichkeit wird im Gegensatz zur Schuld in der Regel nur pragmatisch umschrieben, und zwar im Sanktionenrecht als Risiko der zukünftigen Begehung von Straftaten.24 Dabei wird durchaus auf Definitionsprobleme hingewiesen.25 Eine eigene Definition, die sich von der unmittelbaren VerVgl. Roxin 2006: § 19 Rn. 27–32 m.w.N. S. nur Lösel/Bliesener 2003. Dazu Jakobs 1991: S. 17/18 ff. Vgl. Roxin 2006: § 19 Rn. 33–35 m.w.N.; sowie Hirsch 1994: S. 753 f. Vgl. Roxin 2006: § 19 Rn. 36–50 m.w.N.; ähnlich auch Jescheck/Weigend 1996: S. 410 f. Vgl. die Auseinandersetzung mit seinen Kritikern bei Roxin 2006: § 19 Rn. 38 ff. m.w.N. S. auch Hirsch 1994: S. 754. Aktuelle Beispiele: MüKo-van Gemmeren 2012: § 61 Rn. 1; § 63 Rn. 48; MüKoUllenbruch/Drenkhahn/Morgenstern 2012: § 66 Rn. 114; Volckart/Grünebaum 2009: S. 10. NK-Pollähne 2013: § 61 Rn. 43 stellt unter dem Stichwort „kriminalpolitische Minimalforderungen“ eine kurze Definition vor, die zwar in der Formulierung differenzierter und um Präzision bemüht ist, aber letztlich auch das Risiko zukünftiger Straftaten meint. 25 Brenneis 2010: S. 40 f.; Dessecker 2004: S. 181; Hinz 1987: S. 9; Kammeier 2010: A9-10; M. C. Schneider 1998: S. 25.

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wendbarkeit im Maßregelrecht löst und zu einem abstrakten Begriff findet, wird jedoch in der Regel nicht versucht.26 Volckart/Grünebaum haben den Ausdruck „Gefährlichkeit“ in älteren Auflagen des „Maßregelvollzugs“ sogar vermieden, sehen sich aber in der aktuellen Auflage (2009) aufgrund der weiten Verbreitung des Begriffs gewissermaßen genötigt, ihn doch zu verwenden, jedoch „ausschließlich im Sinne der oben genannten kriminalprognostischen Wahrscheinlichkeitsaussage […] und keinesfalls [als] (statische) Eigenschaft eines Menschen“.27

Das ist im Sinne einer Vermeidung von negativen, sich perpetuierenden Zuschreibungen nachvollziehbar, löst aber das von den Autoren aufgezeigte Problem nicht, dass der Begriff „gefährlich“ als Eigenschaft von Menschen unkritisch und undifferenziert benutzt wird und damit selbst gefährlich ist.28 Der Versuch einer Begriffsbildung, die die Ambivalenz dieser Zuschreibung berücksichtigt, findet sich bei Hinz (1987). Er präsentierte einige Definitionen von Gefährlichkeit, die aber fast alle auf die Wahrscheinlichkeit der zukünftigen Begehung von Straftaten bzw. allgemeiner auf die Verursachung von Schäden hinauslaufen. Aber er weist auch mit Bezug auf Scott (1977) darauf hin, dass für eine Definition nicht nur die beschriebene Person, sondern auch der Zuschreibende eine Rolle spielt.29 Insofern sei eine gefährliche Person „simply one who engenders too much anxiety“30. Es ginge dabei nicht um bloß einmalige Regelverstöße, die Besorgnis werde vielmehr dadurch ausgelöst, dass der Regelverletzer nicht auf die Gegenmaßnahmen der Gesellschaft reagiere.31 Hier klingt die Bedeutung von – misslingender – Kontrolle für die Beschreibung als gefährlich an, auf die später noch zurückzukommen sein wird (siehe unten IV.). Einen Hinweis, der in eine ähnliche Richtung geht, gibt Hans-Jörg Albrecht (2006) in Bezug auf die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 Strafgesetzbuch: „Anknüpfungspunkt für die Gefährlichkeit ist hier die Vorstellung, dass geisteskranke Straftäter wegen eines (unfreiwilligen) Verlusts der Selbstkontrolle ein erhöhtes Risiko vor allem der Begehung von Gewaltdelikten aufweisen.“32

Er bezieht sich dabei auf eine Untersuchung von Böker/Häfner von 1973,33 führt diesen Ansatz aber nicht weiter aus und verallgemeinert ihn nicht. Diese Idee soll jedoch in diesem Beitrag später (IV.) wieder aufgegriffen werden.

26 Ausführlich zum Gefahrbegriff in der Theorie des Maßregelrechts Dessecker 2004: S. 162– 181. 27 Volckart/Grünebaum 2009: S. 10. 28 Scott 1977: S. 127 mit Verweis auf Shaw, The Dangerousness of Dangerousness, Medicine, Science & the Law 1973 (13): S. 269–271. 29 Hinz 1987: S. 8 f. 30 Scott 1977: S. 127. 31 Scott 1977: S. 127. 32 H.-J. Albrecht 2006: S. 194.

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III. ANDERE „GEFÄHRLICHKEITEN“ UND „GEFÄHRLICHE ANDERE“ Die Gefährlichkeit spielt nicht nur für die Anordnung von Maßregeln eine rechtliche Rolle, denn innerhalb des Strafrechtssystems werden Personen auch in anderen Zusammenhängen als „gefährlich“ bezeichnet. Diese Zuschreibung ist insbesondere im Strafvollzug von erheblicher Bedeutung, da die Feststellung bestimmter Gefahren wie der Fluchtgefahr oder der Gefahr für die Sicherheit und Ordnung der Anstalt, die sich im Verhalten oder Zustand eines Gefangenen äußert, die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen gegen solche Gefangene rechtfertigt (z. B. § 85 Bundesstrafvollzugsgesetz). In § 88 Abs. 1 Bundesstrafvollzugsgesetz wird zwischen verschiedenen von Gefangenen ausgehenden Gefahren differenziert. Besondere Sicherungsmaßnahmen im Sinne des § 88 Abs. 2 Bundesstrafvollzugsgesetz sind danach zulässig, wenn nach dem Verhalten eines Gefangenen oder auf Grund seines seelischen Zustandes in erhöhtem Maß Fluchtgefahr34 oder die Gefahr von Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen oder die Gefahr des Suizides oder der Selbstverletzung besteht. Diese Differenzierung findet sich auch in den relevanten Empfehlungen des Europarats, den allgemeinen European Prison Rules, Rec (2006)2, sowie der speziellen Empfehlung über die Behandlung der zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten und anderen Langzeitgefangenen durch die Strafvollzugsverwaltungen, Rec (2003)23: Beide Empfehlungen unterscheiden zwischen security und safety, was sich am besten mit externer und interner Sicherheit übersetzen lässt (Nr. 6, 13 Rec (2003)23).35 Die externe Sicherheit ist betroffen bei Gefangenen, bei denen Fluchtgefahr besteht oder im Falle einer Flucht das Risiko von Straftaten außerhalb des Vollzugs (Regel 51.3 der European Prison Rules), die interne Sicherheit umfasst die Sicherheitsrisiken, die von einem Gefangenen für andere Gefangene, Mitarbeiter oder andere Personen in der Anstalt (Besucher, externe Mitarbeiter) ausgehen sowie die Gefahr von Selbstverletzungen (Regel 52.1 der European Prison Rules). Das bedeutet, dass Gefangene mit vornotierter Sicherungsverwahrung, denen das Strafgericht im Urteil Gefährlichkeit attestiert hat, nicht automatisch „gefährliche“ Gefangene im Sinne des Strafvollzugsrechts sind. Eine etwas andere Beschreibung verschiedener Formen von Gefährlichkeit bei Gefangenen findet sich in dem Werk von Laurens/Pedron (2007) über die Auswirkungen der Einführung einer Mindestverbüßungsdauer bei der lebenslangen Freiheitsstrafe in Frankreich auf die Vollzugsgestaltung für Langstrafer. Zwar überschneiden sich diese Gefährlichkeiten zum Teil mit den obengenannten, es 33 Böker/Häfner 1973: S. 1 selbst definieren Gefährlichkeit bei psychisch gestörten Menschen nicht so, sondern berichten diese Beschreibung als eines von drei Kriterien, die nach den Ergebnissen mehrerer soziologischer Untersuchungen von psychiatrischen Laien vornehmlich für die Beurteilung als „geisteskrank“ herangezogen werden. Gefährlichkeit wird hier als „relative Wahrscheinlichkeit, eine Gewalttat zu begehen“ definiert, Böker/Häfner 1973: S. 234. 34 Es sei angemerkt, dass diese Zuschreibung nicht für Untersuchungsgefangene gilt, bei denen die Haft wegen Fluchtgefahr angeordnet wurde – hier ist Fluchtgefahr gewissermaßen der Normalzustand und bedarf keiner herausgehobenen Etikettierung. 35 Vgl. auch van Zyl Smit/Snacken 2009: S. 268 ff.

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handelt sich hier jedoch in erster Linie um bestimmte Formen der Rebellion und damit der Verweigerung der Anpassung an den Strafvollzug: – Soziale (sociale) Gefährlichkeit wird Gefangenen zugeschrieben, die den Vollzug dauerhaft durch Regelverstöße stören. – Vollzugliche (pénitentiaire) Gefährlichkeit soll Gefangene beschreiben, die ständig auf eine Flucht hinarbeiten. – Psychiatrische (psychiatrique) Gefährlichkeit bezieht sich auf psychisch gestörte Gefangene, die aufgrund der Störung gegenüber Mitgefangenen oder Personal aggressiv werden. – Militante (militante) Gefährlichkeit wird Gefangenen zugeschrieben, die sich selbst auch als politische Gefangene beschreiben würden. – Prozedurale (procédurière) Gefährlichkeit wird Gefangenen attribuiert, die ihre Beschwerdemöglichkeiten soweit wie möglich ausschöpfen.36 Gemeinsam ist diesen Formen von Gefährlichkeit anders als in den Europaratsinstrumenten, dass es sich allein um nach außen, gegen andere Personen oder die Institution an sich gerichtetes Verhalten handelt, das im Fall der prozeduralen Gefährlichkeit im Übrigen nicht rechtswidrig ist, sondern vielmehr in der Wahrnehmung der eigenen Rechte besteht – allerdings in einem Maße, das von den Institutionen als zu hoch und damit erwartungswidrig und störend angesehen wird. Im kriminologischen Diskurs spielt seit einiger Zeit die Figur des gefährlichen Anderen eine wichtige Rolle. Garland beschrieb damit in „The Culture of Control“ (2001) eine kriminologische Strömung, die in den 1990er Jahren aufkam und im Wesentlichen darauf aus sei, Straftaten als unnormal und als Symptom des Werteverlusts in der modernen Gesellschaft zu brandmarken und Straftäter auszugrenzen. Es ginge dieser criminology of the other darum, Ordnung und Autorität aufrechtzuerhalten, absolute moralische Regeln zu bekräftigen sowie sich zu Tradition und gesundem Menschenverstand zu bekennen.37 Die Konstruktion des gefährlichen Anderen läuft über die Annahme, dass jedenfalls einige Straftäter in ihrem Wesen anders als die übrigen Mitglieder der Gesellschaft sind und zwar einfach böse. Als einzig sinnvoller Umgang mit diesen Anderen werde eine Art soziale Verteidigung38 propagiert; allerdings sei diese dann aller Besserungsversuche entkleidet, da das Böse und damit auch böse Menschen rational nicht erfassbar oder kriminologisch erklärbar seien.39 Diese criminology of the other ist damit letztlich nicht nur illiberal, sondern auch anti-wissenschaftlich – man muss die Grundannahmen einfach glauben. Die Beispiele aus der wissenschaftlichen

36 Laurens/Pedron 2007: S. 120 ff. 37 Garland 2001: S. 184. 38 Nicht zu verwechseln mit der europäischen Défense sociale von Anfang des 20. Jahrhunderts und mit der neuen Sozialverteidigung der Nachkriegszeit, deren Vertreter zwar auch auf die Gefährlichkeit von Verhalten abstellten, aber Straftäter gewissermaßen als Opfer der Gesellschaft ansahen und den Umgang mit ihnen auf Besserung ausrichten wollten, Ancel 1954; Internationale Gesellschaft für soziale Verteidigung 1954; Prins 1910. 39 Garland 2001: S. 184.

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Literatur und der Presse, die Garland hierzu nennt,40 stammen aus den USA, da er in seinem Buch die Entwicklung in den USA und im Vereinigten Königreich untersucht. Allerdings fanden sich zu jener Zeit (und finden sich heute immer noch) zumindest in öffentlichen Äußerungen von Politikern und in einigen Medien auch bei uns Bezüge zu diesem auf Ausschließung ausgerichteten Gedankengebäude. IV. GEFÄHRLICHKEIT UND KONTROLLE 1. Gefahr und Kontrolle Wie soll man der Gefährlichkeit nun beikommen? Es erscheint nutzbringend, sich in Erinnerung zu rufen, wie der Begriff „Gefahr“ zur Beschreibung einer Situation im Recht verstanden wird. Im materiellen Strafrecht spielt er bei den Gefährdungsdelikten, genauer: bei den konkreten Gefährdungsdelikten eine wesentliche Rolle, da der Eintritt einer Gefahr hier objektives Tatbestandsmerkmal ist. Kurz gesagt, besteht eine konkrete Gefahr in einem Zustand, in dem die Verletzung eines Rechtsguts wahrscheinlich ist und das Ausbleiben der Rechtsgutsverletzung vom Zufall abhängt, also von Umständen, auf die der Täter nicht vertrauen durfte.41 Der Begriff der konkreten Gefahr hat nicht nur im Strafrecht, sondern auch und gerade im Polizei- und Ordnungsrecht, dem eigentlichen Gefahrenabwehrrecht, eine wichtige Stellung. Konkrete Gefahr ist im Polizeirecht eine Lage, bei der im konkreten Fall die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass bei ungehindertem Geschehensablauf in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung eintreten wird.42 Dieser Begriff ist hinsichtlich der Schutzgüter umfassender als der strafrechtliche, da er über die öffentliche Sicherheit und Ordnung die gesamte Rechtsordnung erfasst und nicht nur bloß strafrechtlich geschützte Rechtsgüter. Im Kern geht es jedoch um das Gleiche, ein Geschehen, das, wenn man es so laufen ließe, bald zu einem Schaden führte. Wenn aber bei einem solchen Zustand Gegenmaßnahmen ergriffen werden, verringert sich die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts bzw. der Rechtsgutsverletzung je nach der Wirksamkeit der Maßnahmen. Diese Gegenmaßnahmen kann man auch als Kontrollversuche oder – bei Gelingen – als Kontrolle der Situation bezeichnen. Ein wesentliches Merkmal der Gefahr ist also die Unkontrolliertheit der Situation, sei es nun, weil keine Kontrolle im Hinblick auf den Schutz 40 Garland verweist z.B. auf D. Anderson (Hg.), 1995: This Will Hurt. The Restoration of Virtue and Civic Order, London; W. Bennet u.a., 1996: Body Count, New York; N. Dennis, 1993: Rising Crime and the Dismembered Family, London; J. Q. Wilson, 1983: Thinking About Crime, New York; sowie einen Artikel von J. J. DiIulio im Wall Street Journal vom 26.1.1994 mit dem Titel „Let’em Rot“. 41 Zum Begriff der konkreten Gefahr lässt sich natürlich noch erheblich mehr sagen, vgl. dazu nur MüKo-Radtke 2006: Vor §§ 306 ff. Rn. 7; MüKo-Barnickel 2006: § 315 Rn. 53; NKKargl 2013: Vor §§ 306 ff. Rn. 21 f.; Sch/Sch-Heine 2010: Vor §§ 306 ff. Rn. 5/6, jeweils m.w.N. 42 Heun 2011: S. 378 m.w.N.; Drews u.a. 1986: S. 220.

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von Rechtsgütern ausgeübt wird oder die Kontrollversuche misslingen. Wird eine Situation in diesem Sinne kontrolliert, besteht keine Gefahr (mehr). Auf die Beschreibung eines Menschen als gefährlich lassen sich die materiellrechtlichen Gefahrbegriffe aus dem Strafrecht und dem Polizeirecht nicht übertragen, wenn es darum geht, einen von der konkreten Anwendung abgesetzten Gefährlichkeitsbegriff zu entwickeln. Wenn von einem Menschen die Wahrscheinlichkeit einer Rechtsgutsverletzung ausgeht, dann ist das gewiss etwas allgemeiner als das Risiko weiterer Straftaten, erweitert aber letztlich nur den Kreis der möglichen Verletzungen z. B. um solche, die in der rechtswidrigen Verweigerung behördlicher Genehmigungen bestehen. Was aber auch bei der Beschreibung von Menschen als gefährlich wichtig sein könnte, ist der Gegenbegriff zur Gefahr, die Kontrolle. 2. Selbstkontrolle und soziale Kontrolle In der Kriminologie spielt dieser Begriff auf mehreren Ebenen eine Rolle. Zum einen wurden rund um die Kontrolle auf der Ebene des Individuums Theorien zur Erklärung abweichenden Verhaltens entwickelt wie die Bindungstheorie von Hirschi und Theorie der Selbstkontrolle von Gottfredson/Hirschi, aber auch der labeling approach, der auf die Attribuierung als „kriminell“ durch offizielle Instanzen der Sozialkontrolle abhebt,43 zum anderen ist Kontrolle ein zentraler Begriff bei der Analyse von Zusammenhängen und Entwicklungen beim Umgang mit abweichendem Verhalten auf der Ebene der Gesellschaft.44 „Kontrolle“ hat also aus kriminologischer Sicht viele verschiedene Facetten. Das bedeutet, dass zwar immer erklärt werden muss, welche „Kontrolle“ gerade gemeint ist, gleichzeitig wird so aber auch an die jeweils gerade nicht gemeinten Aspekte erinnert. Bei der Gefährlichkeit als Attribut von Menschen liegt es nahe, die Brauchbarkeit des Begriffs „Kontrolle“ zunächst im Sinne der ätiologischen Bindungs- und Kontrolltheorien zu überprüfen. In diese Richtung geht auch der Erklärungsversuch von Scott (1977), obwohl er keine Bezüge zu den kriminologischen Ansätzen herstellt: „Similarly, in social animals, much dangerousness depends upon disturbing the often precarious adjustment of other individuals, especially within a group; hence the importance of behavioural conventions or what are now called good manners, which in effect announce the individual’s self-control and his concern for the feelings of others.“45

43 Hirschi 1969; Gottfredson/Hirschi 1990; Lemert 1951; Matza 1964; Quensel 1970; Sack 1972. 44 Foucault 1977; Garland 2001; S. Cohen 1985. 45 Scott 1977: S. 127. „Ebenso hängt bei geselligen Wesen viel Gefährlichkeit von der Störung der häufig gerade dafür anfälligen Anpassung anderer Individuen ab, insbesondere in einer Gruppe; daher die Bedeutung von Verhaltensnormen oder was heute gute Manieren genannt wird, die faktisch die Selbstkontrolle des Individuums und seine Sorge um die Gefühle anderer aufzeigen.“ (eigene Übersetzung).

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Hier werden beide in den Bindungs- und Kontrolltheorien beschriebenen Aspekte von Kontrolle aufgegriffen: die soziale Kontrolle im Sinne einer Bindung an gesellschaftliche Normen, Konventionen, „gute Manieren“ sowie die Selbstkontrolle, ohne dass Scott Hirschis „Causes of Delinquency“ (1969) erwähnt, obwohl dieses Buch sich sehr schnell zum Klassiker entwickelte. Dies liegt an dem nur begrenzten Austausch zwischen der forensischen Psychiatrie und der Kriminologie, insbesondere derjenigen mit soziologischer Ausrichtung, trotz der sich überschneidenden Gegenstände der Disziplinen. Diese Bindung an die Gesellschaft, also Konformität, weist nach Hirschi vier Elemente auf, deren Ausprägung mit der Wahrscheinlichkeit kriminellen Verhaltens zusammenhängen soll. Sind die Merkmale stark ausgeprägt, so ist diese Wahrscheinlichkeit geringer als bei einer schwachen Ausprägung. Es handelt sich dabei um attachment (emotionale Bindung an bestimmte andere Personen, deren Urteil dann wichtig erscheint), commitment (die rationale Befürchtung, aufgrund krimineller Aktivitäten Besitzstände zu verlieren, in deren Erwerb investiert wurde), involvement (die Einbindung in konventionelle Aktivitäten, so dass sich wenig Gelegenheiten für kriminelles Verhalten ergeben) und belief (die Billigung des Werte- und Normensystems der Gesellschaft).46 Die Elemente von Selbstkontrolle werden von Gottfredson/Hirschi als Beschreibung von Personen mit geringer Selbstkontrolle geliefert: Verortung im Hier und Jetzt mit geringer Fähigkeit zum Belohnungsaufschub, geringes Durchhaltevermögen in der Verfolgung von Zielen, abenteuerlustig, selbstbezogen und wenig interessiert an den Bedürfnissen anderer.47 Als wesentlich für die Ausbildung von Selbstkontrolle wird die Erziehung bereits in der frühen Kindheit in der Familie, aber auch in Institutionen wie der Schule angesehen.48 Diese Theorie ist immer wieder kritisiert und überprüft worden,49 insbesondere auch weil Gottfredson/Hirschi die Selbstkontrolle als relativ stabil ansehen, so dass Einflüsse nach der Kindheit viel weniger intensiv wirkten und es daher sehr schwierig sei, geringe Selbstkontrolle später zu erhöhen.50 Allerdings hat sich mangelhaft ausgebildete Selbstkontrolle – ob nun längerfristig veränderbar oder nicht – in der weiteren Forschung als wichtiger Faktor für abweichendes Verhalten herausgestellt.51 3. Schuldfähigkeit und Kontrolle Um Kontrolle und Gefährlichkeit zusammenzubringen, soll ein Umweg über die Schuldfähigkeit genommen werden. Zwar soll die Schuld nichts mit der Gefähr46 47 48 49 50 51

Dazu Hirschi 1969: S. 16 ff. Gottfredson/Hirschi 1990: S. 89 f. Gottfredson/Hirschi 1990: S. 97 ff. S. den Überblick bei Piquero/Jennings/Farrington 2010: S. 804. Gottfredson/Hirschi 1990: S. 107 f. Vgl. Piquero/Jennings/Farrington 2010: S. 804. S. auch das Modell der Kumulation biopsycho-sozialer Risikofaktoren der Dissozialität von Lösel/Bliesener 2003, in dem die Komponenten von Selbstkontrolle vorkommen.

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lichkeit zu tun haben,52 die Schuldfähigkeit kann es aber durchaus: Die, was die Zahl der Untergebrachten angeht,53 bedeutendste stationäre Maßregel der Besserung und Sicherung, die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 Strafgesetzbuch, setzt voraus, dass die Schuldfähigkeit zumindest erheblich herabgesetzt ist und dass die Gefährlichkeit auf demselben Befund beruht wie die Verminderung bzw. der Ausschluss der Schuldfähigkeit. Die Schuldfähigkeit ist nach § 20 Strafgesetzbuch dann ausgeschlossen, wenn die Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen (Einsichtsfähigkeit) oder nach dieser Einsicht zu handeln (Steuerungsfähigkeit) zum Zeitpunkt der Tat aufgrund eines der in § 20 Strafgesetzbuch genannten Zustände nicht bestand bzw. wenn dies später im Strafverfahren rekonstruiert wird.54 Wenn eine Person zwar über die Strafbarkeit von Verhaltensalternativen, die in einer bestimmten Situation zur Verfügung stehen, informiert ist und die Informationen auch versteht, aber nicht in der Lage ist, ein normkonformes Verhalten auszuführen, kann man diesen Umstand auch als Mangel an Kontrolle über das eigene Verhalten beschreiben. Diese mangelhafte „Selbstkontrolle“ geht allerdings nicht notwendig mit den von Gottfredson/Hirschi unter diesen Begriff gefassten Merkmalen einher.55 Kann eine Person nicht erkennen, dass eine oder mehrere Verhaltensalternativen gegen Strafgesetze verstoßen, fehlt ihr also die Einsichtsfähigkeit, dann hängt es vom Zufall ab, ob sie sich für eine normkonforme Variante entscheidet. Auch in diesem Fall fehlt es an Kontrolle über das Verhalten. Auch dies lässt sich als eine Form mangelhafter Selbstkontrolle beschreiben. In beiden Fällen muss dieser Befund nicht im Sinne von Gottfredson/Hirschi stabil sein, aber zunächst einmal andauernd, um eine strafrechtliche Zuschreibung als „gefährlich“ zur Konsequenz zu haben. Bei schuldfähigen Personen helfen diese Überlegungen nicht weiter, obwohl die ätiologischen Theorien, die auf die Selbstkontrolle bzw. ihre Bestandteile rekurrieren, auch und gerade das Verhalten schuldfähiger Personen erklären wollen, denn Schuldfähige handeln – jedenfalls im normativen Sinne – kontrolliert. Hier kommt jedoch die soziale Kontrolle der konformen Gesellschaft ins Spiel, der sich Personen, die sich strafbar verhalten, jedenfalls situationsgebunden entziehen. Dass die von Hirschi beschriebenen Bindungen bei vielen Personen, die als kriminell registriert werden, nicht gut ausgebildet sind, ist mittlerweile kriminologisches Allgemeinwissen, auch wenn diese Merkmale heute noch stärker auf die Ebene des Individuums verlagert werden. So sind als besonders wichtig angesehene Resozialisierungsmaßnahmen im Strafvollzug die Pflege des Kontakts mit der Familie und mit weiteren wichtigen Bezugspersonen außerhalb der Anstalt (attachment) sowie Arbeit, Ausbildung und Freizeitgestaltung (involvement). Commitment – vorhandene gesellschaftlich anerkannte Besitzstände und Status – 52 Vgl. nur MüKo-van Gemmeren 2012: § 61 Rn. 1. 53 Am 31.3.2012 waren nach § 63 StGB insgesamt 6.750 Personen untergebracht, nach § 64 StGB 3.526 und in der Sicherungsverwahrung 445, Statistisches Bundesamt 2013a; 2013b. 54 Vgl. Schöch 2007: S. 98. 55 S. zu den von § 20 StGB erfassten Störungsbildern und ihren typischen Auswirkungen auf Einsichts- und Steuerungsfähigkeit MüKo-Streng 2011: § 20 Rn. 31 ff.; Rn. 68 ff.

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sowie belief – Billigung des konventionellen Normen- und Wertesystems – sind Aspekte, die im Strafvollzug in der Regel nicht direkt angegangen werden. Sie sind aber, ebenso wie attachment und involvement, in negativer Ausprägung unter den acht zentralen kriminogenen Faktoren zu finden, die Andrews/Bonta/Wormith56 beschrieben haben. Dabei handelt es sich um eine Vorgeschichte antisozialen Verhaltens, ein antisoziales Persönlichkeitsmuster, antisoziale Kognition, antisoziale Freunde, Probleme in der Familie, in der Schule oder bei der Arbeit, ein unstrukturiertes Freizeitverhalten und Substanzmissbrauch. Die Faktoren sind insofern in der „Psychology of Criminal Conduct“ nach Andrews/Bonta (2010) zentral, als einerseits starke Ausprägungen für ein hohes Risiko weiterer Straftaten sprechen und andererseits Straftäterbehandlung in erster Linie an diesen Faktoren ansetzen soll, soweit sie veränderbar sind (also jedenfalls nicht die Vorgeschichte antisozialen Verhaltens). 4. Gefährlichkeit und Kontrolle Bei der Debatte, die zurzeit über den Umgang mit gefährlichen Straftätern geführt wird, ist noch einmal auf die Bedeutung von Zuschreibungen hinzuweisen: Als gefährlich bezeichnet wird – unabhängig von der Schuldfähigkeit – nur jemand, dessen Verhalten als abweichend wahrgenommen wird sowie offiziell registriert und verfolgt wird, wobei das Verhalten eine bestimmte Qualität aufweisen muss bzw. so beschrieben werden muss. Neben den Befund, dass die innere oder äußere Kontrolle nicht ausreichte, um ein inkriminiertes Verhalten zu vermeiden, tritt also die Verarbeitung durch die Instanzen der Sozialkontrolle. Die Qualität des Verhaltens ist dabei nichts absolutes, sondern das jeweils aktuelle Ergebnis eines gesellschaftlichen Aushandlungsprozesses. Als Beispiel sei hier die frühere Konzentration der Sicherungsverwahrung auf Eigentums- und Vermögenstäter genannt, die der aktuellen Konzentration auf Sexual- und Gewalttäter gewichen ist. Aber sogar dann, wenn ein Verhalten grundsätzlich diese bestimmte Qualität aufweist, sind die Wahrnehmung als abweichend und die Bereitschaft der Kontrollorgane zur Registrierung und Verfolgung wesentliche Voraussetzungen, dass eine Person mit dem Merkmal „gefährlich“ versehen wird. Als Beispiel sei hier die öffentliche Verarbeitung von Sexualstraftaten gegen Kinder bzw. der Umgang mit den Tätern genannt: auf der einen Seite die in den vergangenen Jahren bekanntgewordenen Fälle sexuellen Missbrauchs von Kindern in kirchlichen Einrichtungen und Schulen und auf der anderen Seite die Fälle ehemaliger Sicherungsverwahrter, die wegen Sexualstraftaten verurteilt worden waren. Das Maß und die Art des gesellschaftlichen Ausschlusses sind doch erstaunlich unterschiedlich. Während ehemalige Sicherungsverwahrte häufig bei ihrer Rückkehr in die freie Gesellschaft mit einem hohen Maß an Feindseligkeit konfrontiert werden, war z. B. in Bezug auf die Geschehnisse in der Odenwald-Schule etwas zu beobachten, dass man als spiral of denial beschreiben kann. Dieser Begriff 56 S. Andrews/Bonta/Wormith 2006: S. 11; dazu auch Drenkhahn 2007.

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wurde von Stanley Cohen für den Umgang mit Staatsverbrechen geprägt. Gemeint ist damit folgendes: Zunächst wird abgestritten, dass es geschehen ist. Wenn das nicht mehr hilft, wird behauptet, dass es nicht das war, wonach es aussieht, sondern etwas ganz anderes (liebevolle Erziehung). Wenn dies auch erfolgreich widerlegt wird, wird behauptet, dass das Geschehen übergeordneten Interessen diente und daher gerechtfertigt gewesen sei (Reformpädagogik, Elitenbildung).57 Ein anderer Bereich abweichenden Verhaltens, der sich als Beispiel aufdrängt, betrifft das Wirtschaftsleben. Abweichendes Verhalten im Wirtschaftsleben wird in der Kriminologie seit Sutherland als white collar crime58 untersucht. Diese besondere Bezeichnung deutet darauf hin, dass dieses Problemfeld von der ätiologischen Forschung häufig nicht in den Blick genommen wird: Man kann dieses Phänomen nämlich nicht an – über die Schule leicht zugänglichen – Jugendlichen untersuchen, sondern muss gut ausgebildete, viel beschäftigte Erwachsene in den Blick nehmen, die in der Lage sind, unangenehme Fragen abzuwehren, und die häufig gesellschaftlich angesehen sind. Das zu erforschende Verhalten kann durchaus auch im Einklang mit dem Wertesystem der konformen Gesellschaft stehen. So sind riskante Geschäfte bei börsennotierten Unternehmen durchaus erwünscht, können aber zu Schäden kaum vorstellbaren Ausmaßes führen. Darüber hinaus stellen Fälle von abweichendem Verhalten im Wirtschaftsleben, die ein gewisses Ausmaß, eine gewisse Komplexität und Verantwortungsebene erreichen, die offiziellen Instanzen der Sozialkontrolle vor erhebliche Probleme bei der Verarbeitung (Beweise, rechtliche Probleme, Beschwerdemacht der Verfolgten).59 Andere Straftaten im Wirtschaftsleben sind hingegen leicht verfolgbar, wenn sie denn erst einmal registriert sind, wie z. B. Steuerhinterziehung und Betrug durch einzelne schwarz arbeitende Handwerker. Vielleicht nicht ganz so offensichtlich, aber doch relevant ist hier auch die Gewaltkriminalität. Die Unterschiede beginnen ebenfalls bereits auf der Ebene der Wahrnehmung als abweichend. Im Bereich der Alltagskriminalität spielt hier der Ort der Gewaltausübung eine Rolle: Während im öffentlichen Raum ausgeübte Gewalt in der Regel als abweichendes und strafwürdiges Verhalten identifiziert wurde und wird, ist diese Zuschreibung bei Gewalt im privaten Raum – auch: häusliche Gewalt – noch verhältnismäßig neu. Aber auch die Person des Gewaltausübenden spielt eine Rolle. So lassen sich Staatsverbrechen auch als schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen oder häufig auch als Gewalttaten beschreiben. Ob es zu dieser Zuschreibung aber auch tatsächlich kommt und ob daraus Konsequenzen folgen, ist damit noch nicht gesagt (s. o. spiral of denial), unter anderem weil die Verantwortlichen in den Instanzen der Sozialkontrolle zu suchen sind oder diese Instanzen ihrerseits kontrollieren.60 57 58 59 60

Vgl. S. Cohen 1993: S. 103 f. Sutherland 1940. S. dazu z.B. Rönnau 2007: S. 887 ff. Dass es hier mittlerweile mit dem Internationalen Strafgerichtshof eine internationale strafrechtliche Kontrollinstanz gibt, löst das Zuschreibungsproblem nicht, sondern verschiebt es auf die Ebene der Staaten und der internationalen Organisationen.

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5. Zukunftsbezogenheit der Gefährlichkeit Für die Unterscheidung zwischen schuldvergeltenden Strafen und gefährlichkeitsbezogenen Maßregeln wird darauf hingewiesen, dass Strafen sich auf vergangenes Verhalten beziehen und Maßregeln auf zukünftiges.61 Die Zuschreibung „gefährlich“ setzt also voraus, dass der Mangel an innerer und äußerer Kontrolle als relativ dauerhaft wahrgenommen wird. Damit ist man beim Prognoseproblem angelangt. Es ist das Kernproblem des Maßregelrechts, denn es geht hier um nichts anderes als die – einigermaßen sichere – Voraussage der Zukunft. Ob das gelingen kann, wie man dabei vorgeht und welche Fehler dabei gemacht werden, ist Gegenstand unzähliger Untersuchungen und Fachbeiträge;62 eine Lösung dieses Problems ist nicht in Sicht. In der Strafrechtspraxis stellt sich die Frage nach zukünftiger Straffälligkeit nicht nur bei der Entscheidung über die Anordnung von Maßregeln, sondern z. B. auch bei der Aussetzung der Strafe oder des Strafrests zur Bewährung. Allerdings geht es dann in der Regel nicht um die explizite Zuschreibung als gefährlich, sondern z. B. bei der Strafrestaussetzung darum, ob „dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann“ (§ 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Strafgesetzbuch). Dafür ist eine „Kriminalprognose“63, „Legalprognose“64 oder einfach nur eine „günstige Prognose“65 zu stellen, aber jedenfalls keine Gefährlichkeitsprognose. Zudem wird über die Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56 Strafgesetzbuch in der Regel intuitiv entschieden, d. h. aus der Lebenserfahrung der Strafrichterin oder des Strafrichters und ohne wissenschaftlich fundierte Methoden.66 Auch bei der Strafrestaussetzung ist nur für die in § 454 Abs. 2 Strafprozessordnung genannten Fälle ein Sachverständigengutachten erforderlich, das sich übrigens ausdrücklich zur Frage äußern soll, „ob bei dem Verurteilten keine Gefahr mehr besteht, dass dessen durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbesteht.“ Bei diesen besonderen Fällen handelt es sich um zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilte sowie Personen, die zu zeitiger Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren wegen einer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 Strafgesetzbuch (Verbrechen nach § 66 Abs. 1 Satz1 Nr. 1a oder b, weitere Sexualstraftaten, gefährliche Körperverletzung und Misshandlung Schutzbefohlener) genannten Straftaten verurteilt sind und bei denen nicht auszuschließen ist, dass „Gründe der öffentlichen Sicherheit einer vorzeitigen Entlassung des Verurteilten entgegenstehen“. Diese Verknüpfung mit der Sicherungsverwahrung bekräftigt für die zweite Gruppe die Bedeutung der Gefährlichkeit.

61 Vgl. nur MüKo-Radtke 2012: Vor §§ 38 ff. Rn. 69; Streng 2012: Rn. 336 f.; NK-Villmow 2013: Vor §§ 38 ff. Rn. 6. 62 Überblick bei NK-Pollähne 2013: § 61 Rn. 52 ff.; ausführlich LK-Schöch 2011: Vor § 61 Rn. 114–175. 63 MüKo-Groß 2012: § 57 Rn. 14. 64 Sch/Sch-Stree/Kinzig 2010: § 57 Rn. 9. 65 NK-Dünkel 2013: § 57 Rn. 14. 66 Vgl. NK-Ostendorf 2013: § 56 Rn. 19; Sch/Sch-Stree/Kinzig 2010: § 56 Rn. 15a.

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Diese Unwissenschaftlichkeit im Alltagsgeschäft löst zwar das Prognoseproblem nicht, sorgt aber zusammen mit dem Verzicht auf das Etikett „gefährlich“ für den Großteil der Verurteilten für eine Entdramatisierung. Zudem bleibt das Etikett nur für eine kleine Zahl von Personen reserviert. Ginge es in erster Linie um die Rückfallgefahr, ließen sich deutlich mehr Verurteilte so beschreiben: Nach der allgemeinen Rückfallstatistik wurden innerhalb eines Risikozeitraums von drei Jahren nach einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung 48,1% erneut formell sanktioniert.67 Die Kombination aus mangelhafter innerer oder äußerer Kontrolle, Zukunftsbezogenheit und der Zuschreibung einer gewissen Qualität des Anlassverhaltens macht also letztlich die Beschreibung als gefährlich aus. V. FAZIT Die Verschiebung der Perspektive von der bloßen Anwendungsbezogenheit auf den Aspekt der Kontrolle führt noch nicht zu einer neuen Definition von Gefährlichkeit, bringt aber zumindest einen anderen Akzent in die Diskussion. Indem sich der Blick von der so beschriebenen Person löst und auch den Beschreibenden zuwendet, wird der komplexe Etikettierungsprozess deutlicher als bei der Reduzierung des Gefährlichkeitsproblems auf das Prognoseproblem. Der Begriff wird dadurch geöffnet für die gesellschaftliche Dimension der Debatte. Denn Gefährlichkeit ist nicht nur eine Frage der Kontrolle auf der individuellen Ebene im Sinne von Selbstkontrolle und unmittelbarer Wirkung sozialer Bindungen, sondern auch auf der gesellschaftlichen Ebene. LITERATUR Albrecht, Hans-Jörg, 2006: Antworten auf Gefährlichkeit. Sicherungsverwahrung und unbestimmter Freiheitsentzug. In: Feltes, Thomas/Pfeiffer, Christian/Steinhilper, Monika (Hrsg.), 2006: Kriminalpolitik und ihre wissenschaftlichen Grundlagen. Festschrift für Prof. Dr. Hans-Dieter Schwind zum 70. Geburtstag, Heidelberg, S. 191–210. Ancel, Marcel, 1954: La défense sociale nouvelle, Paris. Andrews, Donald A./Bonta, James, 2010: The Psychology of Criminal Conduct, 5. Aufl., New Providence. Andrews, Donald A./Bonta, James/Wormith, J. Steven, 2006: The Recent Past and Near Future of Risk and/or Need Assessment, Crime & Delinquency 52: S. 7–24. Böker, Wolfgang/Häfner, Heinz, 1973: Gewalttaten Geistesgestörter. Eine psychiatrischepidemiologische Untersuchung in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin. Brenneis, Verena Maria, 2010: Rechtspolitische Implikationen von Gefährlichkeitsprognosen im Vollzug von Maßregeln nach § 63 StGB. Zum Subjektstatus von Eingewiesenen, Frankfurt am Main. Cohen, Stanley, 1985: Visions of Social Control, Cambridge. Cohen, Stanley, 1993: Human Rights and Crimes of the State. The Culture of Denial, Australian & New Zealand Journal of Criminology 26: S. 97–115.

67 Jehle u.a. 2010: S. 63.

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AUTORINNEN UND AUTOREN Beatrice Brunhöber, Dr. iur., wissenschaftliche Mitarbeiterin und Habilitandin bei Prof. Dr. Tatjana Hörnle an der Humboldt-Universität zu Berlin. Forschungsinteressen: Strafrecht, insbes. Allgemeiner Teil, Bezüge zum Verfassungsrecht und Medizinstrafrecht sowie Strafverfahrensrecht mit europäischen Bezügen, Rechtsphilosophie und Rechtsvergleichung. Boris Burghardt, Dr. iur., wissenschaftlicher Mitarbeiter und Habilitand bei Prof. Dr. Gerhard Werle an der Humboldt-Universität zu Berlin. Forschungsinteressen: Strafrecht Allgemeiner Teil, Völkerstrafrecht, Rechtsphilosophie, Juristische Zeitgeschichte und Rechtsvergleichung. Kirstin Drenkhahn, Dr. iur., Juniorprofessorin für Strafrecht und Kriminologie an der Freien Universität Berlin. Arbeitsschwerpunkte: Sanktionenrecht und Strafvollzugsforschung mit internationalen und menschenrechtlichen Bezügen, theoretische Grundlagen der Straftäterbehandlung. Katrin Gierhake, Prof. Dr. iur., LL.M. (Nottingham), Professorin für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Regensburg. Letzte Buchveröffentlichung: Der Zusammenhang von Freiheit, Sicherheit und Strafe im Recht. Eine Untersuchung zu den Grundlagen und Kriterien legitimer Terrorismusprävention, 2013. Johannes Kaspar, Prof. Dr. iur., Inhaber eines Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht, Kriminologie und Sanktionenrecht an der Universität Augsburg. Forschungsschwerpunkte: Materielles Strafrecht einschließlich Wirtschaftsstrafrecht, Verfassungsrecht und Strafrecht, Strafrechtliche Sanktionen. Aldo Legnaro, Dr. rer. pol., freier Sozialwissenschaftler. Arbeitsschwerpunkt der letzten zehn Jahre: Theorie der Kontrollgesellschaft. Letzte Veröffentlichung: Hrsg. mit Daniela Klimke, Politische Ökonomie und Sicherheit, Weinheim, Basel, 2013. Jens Puschke, Dr. iur., LL.M. (London), Habilitand bei Prof. Dr. Roland Hefendehl am Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Forschungsinteressen: Strafrecht (insbes. Allgemeiner Teil, Vermögens- und Computerstrafrecht), Strafprozessrecht (inbes. Zwangsmaßnahmen), Kriminologie, Jugendstrafrecht, Strafvollzug. Tobias Singelnstein, Dr. iur., Juniorprofessor für Strafrecht und Strafverfahrensrecht an der Freien Universität Berlin, Mitherausgeber der Zeitschrift „Neue Kriminalpolitik“. Arbeitsschwerpunkte im Straf- und Strafverfahrensrecht (u.a. Amtsdelikte, Ermittlungsmaßnahmen und Beweisrecht, Datenverarbeitung im Strafverfahren) sowie in der Kriminologie (u.a. Wandel sozialer Kontrolle, Polizei und Justiz, Wirtschaftskriminologie).

s ta at s d i s k u r s e Herausgegeben von Rüdiger Voigt. Wissenschaftlicher Beirat: Andreas Anter, Paula Diehl, Manuel Knoll, Eun-Jeung Lee, Marcus Llanque, Samuel Salzborn, Birgit Sauer, Gary S. Schaal, Peter Schröder. Franz Steiner Verlag

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ISSN 1865–2581

Michael Hirsch Die zwei Seiten der Entpolitisierung Zur politischen Theorie der Gegenwart 2007. 214 S., kt. ISBN 978-3-515-09089-6 Rüdiger Voigt Krieg ohne Raum Asymmetrische Konflikte in einer entgrenzten Welt 2008. 215 S. mit 42 Schaubildn., kt. ISBN 978-3-515-09135-0 Rüdiger Voigt (Hg.) Großraum-Denken Carl Schmitts Kategorie der Großraumordnung 2008. 265 S., kt. ISBN 978-3-515-09186-2 Michael Hirsch / Rüdiger Voigt (Hg.) Der Staat in der Postdemokratie Staat, Politik, Demokratie und Recht im neueren französischen Denken 2009. 229 S., kt. ISBN 978-3-515-09308-8 Rüdiger Voigt Der Januskopf des Staates Warum wir auf den Staat nicht verzichten können 2009. 231 S., kt. ISBN 978-3-515-09309-5 Georg Pfeiffer Privatisierung des Krieges? Zur Rolle von privaten Sicherheitsund Militärfirmen in bewaffneten Konflikten 2009. 172 S., kt. ISBN 978-3-515-09365-1 Rüdiger Voigt (Hg.) Der Hobbes-Kristall Carl Schmitts Hobbes-Interpretation in der Diskussion 2009. 204 S., kt. ISBN 978-3-515-09398-9 Andreas Wagner Recht – Macht – Öffentlichkeit Elemente demokratischer Staatlichkeit bei Jürgen Habermas und Claude Lefort

2010. 178 S., kt. ISBN 978-3-515-09704-8 9. Reinhard Dorn Verfassungssoziologie Zum Staats- und Verfassungsverständnis von Ernst Fraenkel 2010. 193 S., kt. ISBN 978-3-515-09793-2 10. Samuel Salzborn / Rüdiger Voigt (Hg.) Souveränität Theoretische und ideengeschichtliche Reflexionen 2010. 200 S., kt. ISBN 978-3-515-09735-2 11. Manuel Knoll / Stefano Saracino (Hg.) Niccolò Machiavelli Die Geburt des Staates 2010. 235 S., kt. ISBN 978-3-515-09797-0 12. Rüdiger Voigt Staatskrise Muss sich die Regierung ein anderes Volk wählen? 2010. 206 S., kt. ISBN 978-3-515-09800-7 13. Salzborn Samuel (Hg.) Staat und Nation Die Theorien der Nationalismusforschung in der Diskussion 2011. 241 S., kt. ISBN 978-3-515-09806-9 14. Oliver Eberl (Hg.) Transnationalisierung der Volkssouveränität Radikale Demokratie diesseits und jenseits des Staates 2011. 354 S., kt. ISBN 978-3-515-09830-4 15. Rüdiger Voigt (Hg.) Freund-Feind-Denken Carl Schmitts Kategorie des Politischen 2011. 231 S., kt. ISBN 978-3-515-09877-9 16. Tobias ten Brink (Hg.) Globale Rivalitäten Staat und Staatensystem im globalen

Kapitalismus 2011. 225 S. mit 2 Tab., kt. ISBN 978-3-515-09905-9 17. Andreas Herberg-Rothe / Jan Willem Honig / Daniel Moran (Hg.) Clausewitz The State and War 2011. 163 S., kt. ISBN 978-3-515-09912-7 18. Frauke Höntzsch (Hg.) John Stuart Mill und der sozialliberale Staatsbegriff 2011. 219 S., kt. ISBN 978-3-515-09923-3 19. Jochen Kleinschmidt / Falko Schmid / Bernhard Schreyer / Ralf Walkenhaus (Hg.) Der terrorisierte Staat Entgrenzungsphänomene politischer Gewalt 2012. 242 S., kt. ISBN 978-3-515-10117-2 20. Matthias Lemke (Hg.) Die gerechte Stadt Politische Gestaltbarkeit verdichteter Räume 2012. 208 S., kt. ISBN 978-3-515-10148-6 21. Stefan Krammer / Wolfgang Straub / Sabine Zelger (Hg.)

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Tropen des Staates Literatur – Film – Staatstheorie 1918–1938 2012. 208 S. mit 11 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10170-7 Tobias Bevc / Matthias Oppermann (Hg.) Der souveräne Nationalstaat Das politische Denken Raymond Arons 2012. 228 S., kt. ISBN 978-3-515-10179-0 Gisela Riescher / Beate Rosenzweig (Hg.) Partizipation und Staatlichkeit Ideengeschichtliche und aktuelle Theoriediskurse 2012. 267 S. mit 1 Abb. und 2 Tab., kt. ISBN 978-3-515-10281-0 Rüdiger Voigt Alternativlose Politik? Zukunft des Staates – Zukunft der Demokratie 2013. 247 S., kt. ISBN 978-3-515-10326-8 Pedro Hermílio Villas Bôas Castelo Branco Die unvollendete Säkularisierung Politik und Recht im Denken Carl Schmitts 2013. 267 S., kt. ISBN 978-3-515-10342-8 Bernd Belina (Hg.) Staat und Raum 2013. 188 S., kt. ISBN 978-3-515-10346-6

Das Strafrecht hat sich verändert. Das klassische Strafrecht reagierte mit Strafe auf begangene Verletzungen. Heute soll Strafrecht auch schon Vorkehrungen gegen Bedrohungen etwa durch Terrorismus oder Cybercrime treffen. Dazu greift es immer weiter vor der eigentlichen Verletzung ein. Das beginnt in der Bundesrepublik damit, dass als Antwort auf die RAF schon die Bildung einer terroristischen Vereinigung kriminalisiert wird, auch wenn es nicht zu einem Anschlag kommt. Gegenwärtiges Beispiel ist das Verbot jeglichen Umgangs mit Hackingtools, auch wenn es nicht zum Hacking kommt. Der

moderne Staat soll nicht mehr nur klassisch liberal einen Rahmen für die Freiheitsausübung bereitstellen. Er soll auch unerwünschten Ereignissen frühzeitig vorbeugen: von der Umweltzerstörung bis hin zum Terroranschlag. Da scheint ein reaktives Strafrecht immer schon zu spät zu kommen. In dem Band wird aus soziologischer, kriminologischer, rechtsphilosophischer und rechtswissenschaftlicher Sicht diskutiert, ob und inwiefern dies so ist, ob und inwiefern der Wandel des Strafrechts zu kritisieren ist sowie ob und inwiefern einem präventiven Strafrecht Grenzen zu setzen sind.

www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag

ISBN 978-3-515-10751-8