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German Pages 770 [772] Year 2021
Großkommentare der Praxis
Strafgesetzbuch Leipziger Kommentar
Großkommentar 13., neu bearbeitete Auflage herausgegeben von Gabriele Cirener, Henning Radtke, Ruth Rissing-van Saan, Thomas Rönnau, Wilhelm Schluckebier
Neunter Band §§ 146 bis 173
Bearbeiter: §§ 146–152c: Hans Kudlich/Wolfgang Ruß §§ 153–165: Gereon Wolters/Wolfgang Ruß §§ 166–168: Henning Radtke §§ 169–173: Stefan Wiedner Sachregister: Christian Klie
ISBN 978-3-11-048883-8 e-ISBN (PDF) 978-3-11-049010-7 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-048914-9 Library of Congress Control Number: 2021940538 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Datenkonvertierung und Satz: Meta Systems Publishing & Printservices GmbH, Wustermark Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Verzeichnis der Bearbeiter der 13. Auflage Dr. Philipp Ambach, Chief, Victim Participation and Reparations, Section Registry, International Criminal Court Gerhard Altvater, Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof (Abteilungsleiter) a.D., Karlsruhe Elisabeth Baier, LL.M., Rechtsanwältin, Berlin Dr. Christoph Barthe, Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof, Richter am Sondergerichtshof für den Kosovo (Kosovo Specialist Chambers) Dr. Alexander Baur, Juniorprofessor an der Universität Hamburg Dr. Christian Brand, Universität Konstanz Dr. Dominik Brodowski, LL.M. (UPenn), Juniorprofessor an der Universität des Saarlandes Dr. Christoph Burchard, LL.M., Universitätsprofessor an der Goethe-Universität Frankfurt am Main Dr. Jens Bülte, Universitätsprofessor an der Universität Mannheim Dr. Tobias Ceffinato, PD, Staatsanwalt Bayreuth Gabriele Cirener, Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof, Leipzig Dr. Christoph Coen, Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof, Karlsruhe Dr. Dr. h.c. Gerhard Dannecker, Seniorprofessor an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Dr. Tobias Engelstätter, Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof, Karlsruhe Dr. Robert Esser, Universitätsprofessor an der Universität Passau Dr. Julia Gebhard, Legislative Support Officer, OSZE Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte (OSZE/ODIHR) Dr. Oliver Harry Gerson, Universität Passau Dr. Ferdinand Gillmeister, Rechtsanwalt, Freiburg, Honorarprofessor an der Universität Bayreuth Dr. Ingke Goeckenjan, Universitätsprofessorin an der Ruhr-Universität Bochum Dr. Luís Greco, LL.M., Universitätsprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin Anette Greger, Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof, Karlsruhe Dr. Andreas Grube, Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe Dr. Anette Grünewald, Universitätsprofessorin an der Friedrich-Schiller-Universität Jena Dr. Georg-Friedrich Güntge, Leitender Oberstaatsanwalt bei der Generalstaatsanwaltschaft in Schleswig, Honorarprofessor an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Dr. Michael Heghmanns, Universitätsprofessor an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Vorsitzender Richter am Landgericht Münster Gregor Herb, Vorsitzender Richter am Landgericht Berlin Dr. Mayeul Hiéramente, Rechtsanwalt (Fachanwalt für Strafrecht), Hamburg Dr. Dr. Eric Hilgendorf, Universitätsprofessor an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg Dr. Tatjana Hörnle, Direktorin des MPI zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht, Freiburg i.Brsg., Honorarprofessorin an der Humboldt-Universität zu Berlin Dr. Kristian Hohn, Privatdozent an der Bucerius Law School Hamburg Dr. Jutta Hubrach, Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Düsseldorf Dr. Florian Jeßberger, Universitätsprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin Dr. Johannes Koranyi, Richter am Landgericht Bonn Dr. Peter König, Richter am Bundesgerichtshof, Leipzig, Honorarprofessor an der LudwigMaximilians-Universität München Dr. Ralf Krack, Universitätsprofessor an der Universität Osnabrück Juliane Krause, Richterin am Bayerischen Obersten Landesgericht, Bamberg Dr. Matthias Krauß, Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof, Karlsruhe Dr. Christoph Krehl, Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe, Honorarprofessor an der Goethe-Universität Frankfurt am Main Helena Krüger, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Passau V https://doi.org/10.1515/9783110490107-201
Verzeichnis der Bearbeiter der 13. Auflage
Dr. Matthias Krüger, Universitätsprofessor an der Universität München Dr. Dr. h.c. Michael Kubiciel, Universitätsprofessor an der Universität Augsburg Dr. Hans Kudlich, Universitätsprofessor an der Friedrich-Alexander-Universität ErlangenNürnberg Dr. Michael Lindemann, Universitätsprofessor an der Universität Bielefeld Dr. Alexander Linke, Richter am Landgericht Köln Kai Lohse, Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof, Karlsruhe Dr. Manfred Möhrenschlager, Ministerialrat a.D., Bonn Dr. Andreas Mosbacher, Richter am Bundesgerichtshof, Leipzig, Honorarprofessor an der Universität Leipzig Dr. Svenja Münzner, Lehrbeauftragte an der Justus-Liebig-Universität Gießen, Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof, Karlsruhe Dr. Uwe Murmann, Universitätsprofessor an der Georg-August-Universität Göttingen Dr. Nina Nestler, Universitätsprofessorin an der Universität Bayreuth Dr. Jens Peglau, Richter am Oberlandesgericht, Hamm Dr. Andreas Popp, M.A., Universitätsprofessor an der Universität Konstanz Dr. Henning Radtke, Richter des Bundesverfassungsgerichts, Karlsruhe, Honorarprofessor an der Leibniz Universität Hannover Dr. Ruth Rissing-van Saan, Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof a.D., Bochum, Honorarprofessorin an der Ruhr-Universität Bochum Dr. Thomas Rönnau, Universitätsprofessor an der Bucerius Law School Hamburg Dr. Henning Rosenau, Universitätsprofessor an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg Dr. Wolfgang Ruß, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof a.D., Karlsruhe Dr. h.c. Wilhelm Schluckebier, Richter des Bundesverfassungsgerichts a.D., Karlsruhe Dr. Wilhelm Schmidt, Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof a.D., Karlsruhe Dr. Ursula Schneider, Richterin am Bundesgerichtshof, Leipzig Daniel Scholze, Richter am Landgericht Ravensburg Dr. Dres. h.c. Friedrich-Christian Schroeder, em. Universitätsprofessor an der Universität Regensburg Dr. Dr. h.c. mult. Bernd Schünemann, em. Universitätsprofessor an der Ludwig-MaximiliansUniversität München Dr. Jan C. Schuhr, Universitätsprofessor an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Dr. Christoph Sowada, Universitätsprofessor an der Universität Greifswald Dr. Mark Steinsiek, Ministerialrat, Niedersächsisches Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung Dr. Brian Valerius, Universitätsprofessor an der Universität Bayreuth Dr. Torsten Verrel, Universitätsprofessor an der Universität Bonn Dr. Dr. Dr. h.c. Thomas Vormbaum, Universitätsprofessor an der Fern-Universität in Hagen Dr. Tonio Walter, Universitätsprofessor an der Universität Regensburg, Richter am Bayerischen Obersten Landesgericht Dr. Thomas Weigend, em. Universitätsprofessor an der Universität zu Köln Jochen Weingarten, Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof, Karlsruhe Lienhard Weiß, Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof, Karlsruhe Dr. Gerhard Werle, Universitätsprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin Stefan Wiedner, Richter am Oberlandesgericht Koblenz Dr. Gereon Wolters, Universitätsprofessor an der Ruhr-Universität Bochum, Mitglied des Verfassungsgerichtshofes für das Land Nordrhein-Westfalen Dr. Frank Zieschang, Universitätsprofessor an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg Dr. Georg Zimmermann, Vorsitzender Richter am Landgericht Bielefeld Kathrin Zitzelsberger, Universität Passau
VI
Vorwort Der vorliegende Band 9 dieses Großkommentars der Praxis, den der Unterzeichner im Kreis der Herausgeber als Bandredakteur betreut hat, enthält die Kommentierungen von Vorschriften, die in der strafrechtlichen Alltagspraxis zwar nicht im Zentrum der Befassung stehen, die aber immer wieder spezifische Herausforderungen bei der Auslegung und Anwendung bergen und zum Teil, wie etwa die Religionsdelikte, stets aufs Neue Gegenstand bewegter rechtspolitischer Diskussionen sind. Die Vorschriften sind seit dem Erscheinen der Vorauflage zwar nicht grundlegend umgestaltet worden, haben aber doch mehr oder weniger wichtige Veränderungen erfahren. Die zwischenzeitlich ergangene Rechtsprechung und die hinzugekommene Fachliteratur erforderten dringlich eine Überarbeitung. Hans Kudlich hat die Bestimmungen zur Geld- und Wertzeichenfälschung übernommen, die unter anderem von der Reform des Rechts der Vermögensabschöpfung betroffen sind und einige Anpassungen und Aktualisierungen erfordert haben. Gereon Wolters hat die Aussagedelikte überarbeitet und ihnen zeitgerechte Erläuterungen beigegeben. Sie haben bedeutsame Anpassungen an die politische Entwicklung erfahren, vor allem im Blick auf die Anwendbarkeit für die Untersuchungsausschüsse von Gesetzgebungsorganen des Bundes oder eines Landes und ihre Geltung auch für falsche Angaben in einem Verfahren vor einem internationalen Gericht, das durch einen für die Bundesrepublik Deutschland verbindlichen Rechtsakt errichtet worden ist. Da seine Erläuterungen in Teilen Elemente der von Wolfgang Ruß bearbeiteten Vorauflage weiterführen, ist hier eine Ko-Autorenschaft vermerkt. Henning Radtke hat sich der Religionsdelikte angenommen und hier interessante Aspekte aus der rechtspolitischen Diskussion eingebracht. Insbesondere auch nach den vielfältigen Disputen, etwa beim Deutschen Juristentag im Jahr 2014, zu den Herausforderungen des Strafrechts in einer religiös pluralen Gesellschaft und den sich aus der zunehmenden religiösen Vielfalt ergebenden besonderen Sichtweisen kommt diesen Erläuterungen für die weitere Diskussion gewiss wegweisende Bedeutung zu. Das gilt insbesondere für seine Anmerkungen zum Verständnis des Schutzguts der Weltanschauung, das neben dem der Religion steht. Stefan Wiedner verantwortet die Erläuterungen zu den Personenstandsdelikten. Hier sind insbesondere zu erwähnen die Änderungen, die sich aus der Bereinigung des Rechts der Lebenspartner und der Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts ergeben haben. Ausgeschieden aus dem Bearbeiterkreis sind Karlhans Dippel und – abgesehen von der KoAutorenschaft der Erläuterungen zu den §§ 153 bis 165 – Wolfgang Ruß. Ihnen gilt in fortwirkender Verbundenheit ein besonderer Dank. Dieser Dank des Verlages und der Herausgeber ist aber auch den neuen Bearbeitern auszusprechen, die mit großem Engagement das Erscheinen des 9. Bandes, zeitnah eingebettet in die Abfolge der vorangegangenen und der folgenden Bände, ermöglicht haben. Die Erläuterungen sind von dem Anspruch getragen, die Entwicklung und den gegenwärtigen Stand von Rechtsprechung und Literatur widerzuspiegeln und den Nutzern weiterführende Hinweise zu allen Fragen zu geben, die sich bei Auslegung und Anwendung der Bestimmungen stellen können, und hierzu auch Anregungen zu vermitteln. Wie üblich gilt auch hier: Jeder Autor trägt individuell die wissenschaftliche Verantwortung für seine Kommentierungen. Der Band hat durchweg den Bearbeitungsstand vom März 2021. Karlsruhe, im April 2021
VII https://doi.org/10.1515/9783110490107-202
Wilhelm Schluckebier
Inhaltsverzeichnis Verzeichnis der Bearbeiter der 13. Auflage VII Vorwort XI Abkürzungsverzeichnis Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur Strafgesetzbuch BESONDERER TEIL
V
XXXIII
1 1
ACHTER ABSCHNITT 1 Geld- und Wertzeichenfälschung 1 Vorbemerkungen 8 § 146 Geldfälschung 30 § 147 Inverkehrbringen von Falschgeld 34 § 148 Wertzeichenfälschung 43 § 149 Vorbereitung der Fälschung von Geld und Wertzeichen 49 § 150 Einziehung 51 § 151 Wertpapiere 55 § 152 Geld, Wertzeichen und Wertpapiere eines fremden Währungsgebietes § 152a Fälschung von Zahlungskarten, Schecks, Wechseln und anderen körperlichen un57 baren Zahlungsinstrumenten 65 § 152b Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion § 152c Vorbereitung des Diebstahls und der Unterschlagung von Zahlungskarten, Schecks, Wechseln und anderen körperlichen unbaren Zahlungsinstrumen69 ten NEUNTER ABSCHNITT 75 Falsche uneidliche Aussage und Meineid 75 Vorbemerkungen zu den §§ 153 ff 94 § 153 Falsche uneidliche Aussage 103 § 154 Meineid 115 § 155 Eidesgleiche Bekräftigungen 119 § 156 Falsche Versicherung an Eides Statt 133 § 157 Aussagenotstand 141 § 158 Berichtigung einer falschen Aussage 147 § 159 Versuch der Anstiftung zur Falschaussage 150 § 160 Verleitung zur Falschaussage § 161 Fahrlässiger Falscheid; fahrlässige falsche Versicherung an Eides Statt 164 § 162 Internationale Gerichte; nationale Untersuchungsausschüsse 166 § 163 (weggefallen) ZEHNTER ABSCHNITT 167 Falsche Verdächtigung 167 § 164 Falsche Verdächtigung § 165 Bekanntgabe der Verurteilung
IX
192
155
Inhaltsverzeichnis
ELFTER ABSCHNITT 196 Straftaten, welche sich auf Religion und Weltanschauung beziehen 196 Vorbemerkungen zu den §§ 166 ff § 166 Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungs236 vereinigungen 308 § 167 Störung der Religionsausübung 330 § 167a Störung einer Bestattungsfeier 352 § 168 Störung der Totenruhe 417 Vorbemerkungen zu den §§ 169 ff 427 § 169 Personenstandsfälschung ZWÖLFTER ABSCHNITT 483 Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie 483 § 170 Verletzung der Unterhaltspflicht 606 § 171 Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht 648 § 172 Doppelte Ehe; doppelte Lebenspartnerschaft 669 § 173 Beischlaf zwischen Verwandten Sachregister
697
X
Abkürzungsverzeichnis AA aA a. a. O. AbfG AbfVerbrG Abg. AbgO abgedr. Abk. abl. ABl. AblEU AblKR Abs. Abschn. abw. AbwAG AcP AdVermiG AE a. E. AEUV AfP ÄndG ÄndVO a. F. AFG AfP AG AGBG/AGB-Gesetz AHK AIDP AktG AktO allg. allg. M. Alt. aM A&M AMG amtl. Begr. and. Angekl. Anh. AnhRügG Anl. Anm. Annalen AnwBl.
Auswärtiges Amt anderer Ansicht am angegebenen Ort Gesetz über die Vermeidung und Entsorgung von Abfällen (Abfallgesetz) Gesetz über die Überwachung und Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung von Abfällen (Abfallverbringungsgesetz) Abgeordneter Reichsabgabenordnung abgedruckt Abkommen ablehnend Amtsblatt Amtsblatt der Europäischen Union (ab 2003); Ausgabe C: Mitteilungen und Bekanntmachungen; Ausgabe L: Rechtsvorschriften Amtsblatt des Kontrollrats Absatz Abschnitt abweichend Abwasserabgabengesetz Archiv für civilistische Praxis (zit. nach Band u. Seite) Gesetz über die Vermittlung der Annahme als Kind und über das Verbot der Vermittlung von Ersatzmüttern (Adoptionsvermittlungsgesetz) Alternativ-Entwurf eines StGB, 1966 ff. am Ende Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Zeitschrift für das gesamte Medienrecht / Archiv für Presserecht Änderungsgesetz Änderungsverordnung alte Fassung Arbeitsförderungsgesetz Archiv für Presserecht Amtsgericht; in Verbindung mit einem Gesetz: Ausführungsgesetz Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Alliierte Hohe Kommission Association Internationale de Droit Pénal Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien (Aktiengesetz) Anweisung für die Verwaltung des Schriftguts bei den Geschäftsstellen der Gerichte und der Staatsanwaltschaften (Aktenordnung) allgemein allgemeine Meinung Alternative anderer Meinung Arzneimittel und Recht (Zeitschrift für Arzneimittel und Arzneimittelpolitik) Arzneimittelgesetz amtliche Begründung anders Angeklagte(r) Anhang Gesetz über die Rechtsbehelfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Anhörungsrügengesetz) Anlage Anmerkung Annalen des Reichsgerichts Anwaltsblatt
XI https://doi.org/10.1515/9783110490107-203
Abkürzungsverzeichnis
ao AO 1977 AöR AOStrÄndG
Az.
außerordentlich Abgabenordnung Archiv des öffentlichen Rechts Gesetz zur Änderung strafrechtlicher Vorschriften der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze Arbeitsrechtliche Praxis (Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts) Aus Politik und Zeitgeschichte Arztrecht Archiv für Kriminologie Archiv für das Post- und Fernmeldewesen Archiv für Presserecht Archiv für Post und Telekommunikation Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Artikel Allgemeiner Teil des Strafgesetzbuches Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz) Arbeitnehmerüberlassungsgesetz Auffassung aufgehoben Auflage Aufsatz Arbeit und Recht ausdrücklich ausführlich Ausführungsverordnung ausländisch Ausländergesetz Ausnahmeverordnung ausschließlich Allgemeine Verfügung Angestelltenversicherungsgesetz Außenwirtschaftsgesetz Gesetz zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes, des Strafgesetzbuches und anderer Gesetze Aktenzeichen
b. BA BAG BAGE BAK BÄK BÄO BAnz. BauFordSiG BauGB BauR Bay. BayBS BayJagdG BayLSG BayObLG BayObLGSt BayPAG BayVBl.
bei Blutalkohol, Wissenschaftliche Zeitschrift für die medizinische und die juristische Praxis Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (zit. nach Band u. Seite) Blutalkoholkonzentration Bundesärztekammer Bundesärzteordnung Bundesanzeiger Bauforderungssicherungsgesetz Baugesetzbuch Zeitschrift für das gesamte öffentliche und private Baurecht Bayern, bayerisch Bereinigte Sammlung des Bayerischen Landesrechts (1802–1956) Bayerisches Jagdgesetz Bayerisches Landessozialgericht Bayerisches Oberstes Landesgericht Sammlung von Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Strafsachen Bayerisches Polizeiaufgabengesetz Bayerische Verwaltungsblätter
AP APuZ AR ArchKrim. ArchPF ArchPR ArchPT ARSP Art. AT AtG/AtomG AÜG Auff. aufgehob. Aufl. Aufs. AuR ausdrückl. ausführl. AusfVO ausl. AuslG AusnVO ausschl. AV AVG AWG AWG/StÄG
XII
Abkürzungsverzeichnis
BayVerf. BayVerfGHE BayVerwBl. BayVGH BayVGHE
BayZ BB BBG Bbg BBodSchG Bd., Bde BDH BDO BDSG Bearb. BeckRS begl. BegleitG zum TKG Begr., begr. Bek. Berliner AnwBl. Bekl., bekl. Bem. ber. bes. Beschl. Beschw. Bespr. Best. BestechungsVO bestr. betr. BeurkG BewH BezG BFH BFHE BfJG BG BGB BGBl. I, II, III BGE BGH BGHGrS BGHR BGHSt BGHZ BG Pr. BilMoG BImSchG BImSchVO
XIII
Verfassung des Freistaates Bayern s. BayVGHE Bayerische Verwaltungsblätter Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Sammlung von Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs mit Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, des Bayerischen Dienststrafhofs und des Bayerischen Gerichtshofs für Kompetenzkonflikte Zeitschrift für Rechtspflege in Bayern (1905–1934) Betriebs-Berater Bundesbeamtengesetz Brandenburg Gesetz zum Schutz vor schädlichen Bodenveränderungen und zur Sanierung von Altlasten (Bundes-Bodenschutzgesetz) Band, Bände Bundesdisziplinarhof Bundesdisziplinarordnung Bundesdatenschutzgesetz Bearbeitung Beck-Rechtsprechung beglaubigt Begleitgesetz zum Telekommunikationsgesetz Begründung, begründet Bekanntmachung Berliner Anwaltsblatt Beklagter, beklagt Bemerkung berichtigt besonders, besondere(r, s) Beschluss Beschwerde Besprechung Bestimmung Bestechungsverordnung bestritten betreffend Beurkundungsgesetz Bewährungshilfe Bezirksgericht Bundesfinanzhof Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (zit. nach Band u. Seite) Gesetz über die Errichtung des Bundesamtes für Justiz = Art. 1 des Gesetzes zur Errichtung und zur Regelung der Aufgaben des Bundesamtes für Justiz Bundesgericht (Schweiz) Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Teil I, II und III Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts (Amtliche Sammlung) Bundesgerichtshof Bundesgerichtshof, Großer Senat BGH-Rechtsprechung Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Die Praxis des Bundesgerichts (Entscheidungen des schweizerischen Bundesgerichts) Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts Bundes-Immissionsschutzgesetz Bundes-Immissionsschutzverordnung
Abkürzungsverzeichnis
BinnSchiffG/ BinSchG BiRiLiG BJagdG BJM BK BKA BKAG/BKrimAG Bln. Bln.GVBl.Sb. BlStSozArbR Blutalkohol BMI BMJ BNatSchG BNotÄndG BNotO BPolG BR BRAGO BRAK BranntwMG/ BranntwMonG BRAO BRAOÄndG
Gesetz betr. die privatrechtlichen Verhältnisse der Binnenschifffahrt (Binnenschiffahrtsgesetz) Bilanzrichtlinien-Gesetz Bundesjagdgesetz Basler Juristische Mitteilungen Basler Kommentar zum Strafgesetzbuch; auch: Bonner Kommentar zum Grundgesetz Bundeskriminalamt Gesetz über die Einrichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes (Bundeskriminalamtes) Berlin Sammlung des bereinigten Berliner Landesrechts, Sonderband I (1806–1945) und II (1945–1967) Blätter für Steuern, Sozialversicherung und Arbeitsrecht Blutalkohol, Wissenschaftliche Zeitschrift für die medizinische und juristische Praxis Bundesminister(ium) des Inneren Bundesminister(ium) der Justiz Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz) Drittes Gesetz zur Änderung der Bundesnotarordnung und anderer Gesetze Bundesnotarordnung Bundespolizeigesetz Bundesrat Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte Bundesrechtsanwaltskammer Branntweinmonopolgesetz
Bundesrechtsanwaltsordnung Gesetz zur Änderung der Bundesrechtsanwaltsordnung, der Patentrechtsanwaltsordnung und anderer Gesetze BRD Bundesrepublik Deutschland BR-Drs./BRDrucks. Bundesrats-Drucksache BReg. Bundesregierung Brem. Bremen BremPolG Bremisches Polizeigesetz BRJ Bonner Rechtsjournal BRProt. Protokolle des Bundesrates BRRG Beamtenrechtsrahmengesetz BRStenBer. Verhandlungen des Bundesrates, Stenographische Berichte (zit. nach Sitzung u. Seite) BS Sammlung des bereinigten Landesrechts BSeuchG Bundes-Seuchengesetz BSG Bundessozialgericht BSGE Entscheidungen des Bundessozialgerichts (zit. nach Band u. Seite) BSHG Bundessozialhilfegesetz Bsp. Beispiel BStBl. Bundessteuerblatt BT Besonderer Teil des StGB; auch: Bundestag BT-Drs./BTDrucks. Bundestags-Drucksache BtMG Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (Betäubungsmittelgesetz) BTProt. s. BTVerh. BTRAussch. Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags BTStenBer. Verhandlungen des deutschen Bundestages, Stenographische Berichte (zit. nach Wahlperiode u. Seite) BTVerh. Verhandlungen des Deutschen Bundestages Buchst. Buchstabe BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVerfGG Gesetz über das Bundesverfassungsgericht BVerwG Bundesverwaltungsgericht BVerwGE Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts
XIV
Abkürzungsverzeichnis
BVV BVwVfG BW bzgl. BZR BZRG bzw.
Beitragsverfahrensverordnung (Bundes-)Verwaltungsverfahrensgesetz Baden-Württemberg bezüglich Bundeszentralregister Gesetz über das Bundeszentralregister und das Erziehungsregister (Bundeszentralregistergesetz) beziehungsweise
ca. CCZ ChemG CR CJB CWÜAG
circa Corporate Compliance Zeitschrift Gesetz zum Schutz vor gefährlichen Stoffen (Chemikaliengesetz) Computer und Recht Criminal Justice and Behavior AusführungsG zum Chemiewaffenübereinkommen (CWÜ-AG)
DA DÄBl. dagg. DAR DAV DB DDevR DDR DDT-G DepotG ders./dies. dgl. DGVZ d. h. dies. Diff., diff. Diss. DJ djb DJT DJZ DMW DNA-AnalysG DNutzG DÖV DOGE DR DRechtsw. DRiB DRiG DRiZ DRM DRpfl. Drs./Drucks. DRsp. DRZ DSB DStR DStrR DStrZ
Deutschland Archiv Deutsches Ärzteblatt dagegen Deutsches Autorecht Deutscher Anwaltsverein Der Betrieb Deutsche Devisen-Rundschau (1951–1959) Deutsche Demokratische Republik Gesetz über den Verkehr mit DDT (DDT-Gesetz) Gesetz über die Verwahrung und Anschaffung von Wertpapieren (Depotgesetz) derselbe/dieselbe dergleichen Deutsche Gerichtsvollzieher-Zeitung das heißt dieselbe(n) Differenzierung, differenzierend Dissertation Deutsche Justiz, Rechtspflege und Rechtspolitik Deutscher Juristinnenbund Deutscher Juristentag Deutsche Juristenzeitung (1896–1936) Deutsche Medizinische Wochenschrift Gesetz zur Novellierung der forensischen DNA-Analyse Gesetz zur effektiven Nutzung von Dateien im Bereich der Staatsanwaltschaften Die Öffentliche Verwaltung Entscheidungen des Deutschen Obergerichts für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet Deutsches Recht, Wochenausgabe (vereinigt mit Juristische Wochenschrift) (1931–1945) Deutsche Rechtswissenschaft (1936–1943) Deutscher Richterbund Deutsches Richtergesetz Deutsche Richterzeitung Deutsches Recht, Monatsausgabe (vereinigt mit Deutsche Rechtspflege) Deutsche Rechtspflege (1936–1939) Drucksache Deutsche Rechtsprechung, hrsg. von Feuerhake (Loseblattsammlung) Deutsche Rechts-Zeitschrift (1946–1950) Datenschutzberater Deutsches Strafrecht (1934–1944); jetzt: Deutsches Steuerrecht Deutsches Steuerrecht Deutsche Strafrechts-Zeitung (1914–1922)
XV
Abkürzungsverzeichnis
DStZ A dt. DtZ DuD DuR DV DVBl. DVJJ DVO DVollzO DVP DVR DWW DZWIR
Deutsche Steuerzeitung, bis Jg. 67 (1979): Ausgabe A deutsch Deutsch-Deutsche Rechts-Zeitschrift Datenschutz und Datensicherheit Demokratie und Recht Datenverarbeitung Deutsches Verwaltungsblatt Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen e.V. Durchführungsverordnung Dienst- und Vollzugsordnung Deutsche Verwaltungspraxis Datenverarbeitung im Recht (bis 1985, danach vereinigt mit IuR) Deutsche Wohnungswirtschaft Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht
E E 1927
Entwurf; auch: Entscheidung Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches nebst Begründung (Reichstagsvorlage) 1927 E 62 Entwurf eines Strafgesetzbuches mit Begründung 1962 EAO Entwurf einer Abgabenordnung ec electronic cash ebd. ebenda EBM Einheitlicher Bewertungsmaßstab ebso. ebenso ed(s) editor(s) EDV Elektronische Datenverarbeitung EEGOWiG Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten EEGStGB Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB) EFG Entscheidungen der Finanzgerichte EG Einführungsgesetz bzw. Europäische Gemeinschaft(en) bzw. Erinnerungsgabe EGBGB Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch EG-FinanzschutzG/ Gesetz zum Übereinkommen v. 26.8.1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der EGFinSchG Europäischen Gemeinschaften EGGVG Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz EGH/EhrenGHE Ehrengerichtliche Entscheidungen der Ehrengerichtshöfe der Rechtsanwaltschaft des Bundesgebiets und des Landes Berlin EGInsO Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung EGInsOÄndG Gesetz zur Änderung des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung und anderer Gesetze EGKS Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EGOWiG Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten EGStGB Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch EGStPO Einführungsgesetz zur Strafprozeßordnung EGV Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft EheG Ehegesetz ehem. ehemalig Einf. Einführung eingeh. eingehend einschl. einschließlich einschr. einschränkend Einl. Einleitung EJF Entscheidungen aus dem Jugend- und Familienrecht (1951–1969) EKMR Europäische Kommission für Menschenrechte EmmingerVO Verordnung über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege EMRK Europäische Menschenrechtskonvention entgg. entgegen
XVI
Abkürzungsverzeichnis
Entsch. entspr. Entw. Erg. ErgBd. ErgThG Erl. Erw. ESchG EssGespr. EStG etc. Ethik Med. ETS EU EU-ABl EUBestG
EV I bzw. II evtl. EWG EWGV EWIR EWiV EWR EzSt
Entscheidung entsprechend Entwurf Ergebnis bzw. Ergänzung Ergänzungsband Ergotherapeutengesetz Erläuterung Erwiderung Embryonenschutzgesetz Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche Einkommensteuergesetz et cetera Ethik in der Medizin European Treaty Series Europäische Union Amtsblatt der Europäischen Union Gesetz zum Protokoll v. 27.9.1996 zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (EU-Bestechungsgesetz) European Criminal Law Review The European Criminal Law Associations’ Forum Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften – Amtliche Sammlung Europäische Grundrechte-Zeitschrift Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Europäisches Haftbefehlsgesetz – EuHbG) Europarecht Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Europäische Kommission für Menschenrechte europäisch Europol-Gesetz Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertrag Anlage I bzw. II zum EV eventuell Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung Schriftenreihe zum europäischen Weinrecht; auch: Europäischer Wirtschafts-Raum Entscheidungssammlung zum Straf- u. Ordnungswidrigkeitenrecht, hrsg. von Lemke
f., ff. FA FAG FamRZ FAO FAZ FD-StrafR Festschr. FG FGG FGO fin.
folgende, fortfolgende Fachanwalt für Arbeitsrecht Gesetz über Fernmeldeanlagen Ehe und Familie im privaten und öffentlichen Recht, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Fachanwaltsordnung Frankfurter Allgemeine Zeitung Fachdienst Strafrecht Festschrift Finanzgericht; auch: Festgabe Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Finanzgerichtsordnung finanziell
EuCLR eucrim EuGH EuGHE EuGRZ EuHbG
EuR EurGHMR EurKomMR europ. EuropolG EUV EuZW EV
XVII
Abkürzungsverzeichnis
FinDAG FinVerwG/FVG FlaggRG/FlRG
Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz Gesetz über die Finanzverwaltung Gesetz über das Flaggenrecht der Seeschiffe und die Flaggenführung der Binnenschiffe (Flaggenrechtsgesetz) Finanzierung, Leasing, Factoring Flaggenrechtsverordnung Finanzmarktstabilisierungsgesetz Fußnote Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie
FLF FlRV FMStG Fn. Forens Psychiatr Psychol Kriminol Fortschr Neurol Fortschritte der Neurologie. Psychiatrie Psychiat fragl. fraglich FS Festschrift G bzw. Ges. G 10 GA GAA GBA GBG GBl. GbR geänd. GebFra GedS gem. GemeinsameDateien-Gesetz GenG GenStA GerS GeschlKG/ GeschlkrG GeschO gesetzl. GesO GesR GesRZ GewArch GewO GewVerbrG gg. GG ggf. GjS/GjSM GKG GKÖD gl. GmbHG GmbHR/GmbHRdsch GMBl.
Gesetz Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz) Goltdammer’s Archiv für Strafrecht, zit. nach Jahr u. Seite (bis 1933: Archiv für Strafrecht und Strafprozeß, zit. nach Band u. Seite) Geldausgabeautomat Generalbundesanwalt Gesetz über die Beförderung gefährlicher Güter Gesetzblatt Gesellschaft bürgerlichen Rechts geändert Geburtshilfe und Frauenheilkunde Gedächtnisschrift gemäß Gesetz zur Errichtung gemeinsamer Dateien von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften Generalstaatsanwalt Der Gerichtssaal Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten Geschäftsordnung gesetzlich Gesamtvollstreckungsordnung Gesundheitsrecht (Zeitschrift für Arztrecht, Krankenrecht, Apotheken- und Arzneimittelrecht) Der Gesellschafter Gewerbearchiv, Zeitschrift für Gewerbe- und Wirtschaftsverwaltungsrecht Gewerbeordnung Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung gegen Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland gegebenenfalls Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte Gerichtskostengesetz Gesamtkommentar Öffentliches Dienstrecht gleich Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau (vorher: Rundschau für GmbH) Gemeinsames Ministerialblatt
XVIII
Abkürzungsverzeichnis
GnO GOÄ GoB GoBi grdl. grds. GrS GrSSt GRUR GS GSNW GSSchlH GÜG GV GVBl. GVBl. I–III GVG GWB GwG h. A. HaagLKO/HLKO HAG Hamb. HambJVBl HambSOG HannRpfl Hans. HansGZ bzw. HGZ HansJVBl HansOLGSt HansRGZ HansRZ Hdb. HdbStR HeilPrG Hess. HessSOG HESt HFR HGB hins. Hinw. h. L. h. M. HöchstRR HRR HRRS Hrsg. bzw. hrsg. h. Rspr. Hs./Hbs.
XIX
Gnadenordnung (Landesrecht) Gebührenordnung für Ärzte Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung Grundsätze ordnungsmäßiger Bilanzierung grundlegend grundsätzlich Großer Senat Großer Senat in Strafsachen Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Der Gerichtssaal (zit. nach Band u. Seite); auch: Gedächtnisschrift Sammlung des bereinigten Landesrechts Nordrhein-Westfalen (1945–1956) Sammlung des schleswig-holsteinischen Landesrechts, 2 Bde (1963) Gesetz zur Überwachung des Verkehrs mit Grundstoffen, die für die unerlaubte Herstellung von Betäubungsmitteln mißbraucht werden können (Grundstoffüberwachungsgesetz) Gemeinsame Verfügung (mehrerer Ministerien) (auch: Grundlagenvertrag) Gesetz- und Verordnungsblatt Sammlung des bereinigten Hessischen Landesrechts Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Gesetz über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten (Geldwäschegesetz) herrschende Ansicht Haager Abkommen betr. die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs Heimarbeitsgesetz Hamburg Hamburgisches Justizverwaltungsblatt Hamburger Sicherheits- und Ordnungsgesetz Hannoversche Rechtspflege Hanseatisch Hanseatische Gerichtszeitung (1889–1927) Hanseatisches Justizverwaltungsblatt (bis 1946/47) Entscheidungen des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Strafsachen (1879–1932/33) Hanseatische Rechts- und Gerichtszeitschrift (1928–43), vorher: Hanseatische Rechtszeitschrift für Handel, Schiffahrt und Versicherung, Kolonial- und Auslandsbeziehungen sowie für Hansestädtisches Recht (1918–1927) Handbuch Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung (Heilpraktikergesetz) Hessen Hessisches Sicherheits- und Ordnungsgesetz Höchstrichterliche Entscheidungen, Sammlung von Entscheidungen der Oberlandesgerichte und der Obersten Gerichte in Strafsachen (1948–49) Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung Handelsgesetzbuch hinsichtlich Hinweis herrschende Lehre herrschende Meinung Höchstrichterliche Rechtsprechung auf dem Gebiete des Strafrechts, Beilage zur Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (1 zu Bd. 46, 2 zu Bd. 47, 3 zu Bd. 48) Höchstrichterliche Rechtsprechung (1928–1942), bis 1927: Die Rechtsprechung, Beilage zur Zeitschrift Juristische Rundschau Höchstrichterliche Rechtsprechung im Strafrecht Herausgeber bzw. herausgegeben herrschende Rechtsprechung Halbsatz
Abkürzungsverzeichnis
HWiStR
Krekeler/Tiedemann/Ulsenheimer/Weinmann (Hrsg.) Handwörterbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts
i. Allg. i. allg. S. i. d. F. i. d. R. i. d. S. i. E./i. Erg. i. e. S. IGH i. gl. S. i. Grds. IHK i. H. v. ILC ILM IM IMT inl. insb./insbes. insges. InsO IntBestG inzw. IPBPR IPRB i. R. d. i. R. v. i. S. i. S. d. i. S.e. IStGH IStGH-Statut IStR i. S. v. i. techn. S. ITRB i. U. i. Üb. IuKDG IuR iuris iurisPR i. V. m. i. W. i. w. S. i. Z. m.
im Allgemeinen im allgemeinen Sinne in der Fassung in der Regel in diesem Sinne im Ergebnis im engeren Sinne Internationaler Gerichtshof im gleichen Sinne im Grundsatz Industrie- und Handelskammer in Höhe von International Law Commission International Legal Materials Innenminister(ium) International Military Tribunal (Nürnberg) inländisch insbesondere insgesamt Insolvenzordnung Gesetz zur Bekämpfung internationaler Bestechung inzwischen Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte IP-Rechts-Berater, Der Informationsdienst für das Recht des geistigen Eigentums im Rahmen der/des im Rahmen von im Sinne im Sinne der/des im Sinne einer(s) (ständiger) Internationaler Strafgerichtshof (Den Haag) Internationaler Strafgerichtshof – Statut Internationales Strafrecht im Sinne von im technischen Sinne IT-Rechtsberater im Unterschied im Übrigen Gesetz zur Regelung der Rahmenbedingungen für Informations- und Kommunikationsdienste (Informations- und Kommunikationsdienstegesetz) Informatik und Recht Rechtsportal der iuris-GmbH iuris-Praxis-Report (Anmerkungen) in Verbindung mit im Wesentlichen im weiteren Sinne im Zusammenhang mit
JA JahrbÖR JahrbPostw. JA-R JArbSchG JAVollzO
Juristische Arbeitsblätter für Ausbildung und Examen Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Jahrbuch des Postwesens (1937–1941/42) Juristische Arbeitsblätter – Rechtsprechung Gesetz zum Schutze der arbeitenden Jugend (Jugendarbeitsschutzgesetz) Jugendarrestvollzugsordnung
XX
Abkürzungsverzeichnis
JBeitrO JBl. JBlRhPf. JBl Saar JbVerkR jew. JFGErg.
JGG JK JKomG JM jM JMBlNRW/JMBlNW JÖSchG JOR JöR JR JRE JSt JStGH JStGH-Statut 1. JuMoG 2. JuMoG JurA Jura JurBl./JBl. jurisPR-StrafR JurJahrb. JurPC JuS Justiz JuV JVA JVBl. JVKostO JVollz. JW JWG JZ JZ-GD Kap. KastG/KastrG KE KFG Kfz. KG KGJ KindRG KJ KKZ KO
XXI
Justizbeitreibungsordnung Justizblatt; auch: Juristische Blätter (Österreich) Justizblatt Rheinland-Pfalz Justizblatt des Saarlandes Jahrbuch Verkehrsrecht jeweils Entscheidungen des Kammergerichts und des Oberlandesgerichts München in Kosten-, Straf-, Miet- und Pachtschutzsachen (Jahrbuch für Entscheidungen in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit und des Grundbuchrechts, ErgBd.) Jugendgerichtsgesetz Jura-Kartei Gesetz über die Verwendung elektronischer Kommunikationsformen in der Justiz (Justizkommunikationsgesetz) Justizminister(ium) Juristische Monatszeitschrift; juris – Die Monatszeitschrift Justizministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen Gesetz zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit Jahrbuch für Ostrecht Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Juristische Rundschau Jahrbuch für Recht und Ethik Journal für Strafrecht Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien – Statut Erstes Gesetz zur Modernisierung der Justiz (1. Justizmodernisierungsgesetz) Zweites Gesetz zur Modernisierung der Justiz (2. Justizmodernisierungsgesetz) Juristische Analysen Juristische Ausbildung Juristische Blätter juris PraxisReport Strafrecht Juristen-Jahrbuch Internet-Zeitschrift für Rechtsinformatik und Informationsrecht Juristische Schulung, Zeitschrift für Studium und Ausbildung Die Justiz, Amtsblatt des Justizministeriums von Baden-Württemberg Justiz und Verwaltung Justizvollzugsanstalt Justizverwaltungsblatt Gesetz über Kosten im Bereich der Justizverwaltung Jugendstrafvollzugsordnung; s. auch JAVollzO Juristische Wochenschrift Jugendwohlfahrtsgesetz Juristenzeitung Juristenzeitung – Gesetzgebungsdienst Kapitel Gesetz über die freiwillige Kastration Kommissionsentwurf Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen Kraftfahrzeug Kammergericht bzw. Kommanditgesellschaft Jahrbuch für Entscheidungen des Kammergerichts in Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit, in Kosten-, Stempel- und Strafsachen (1881–1922) Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts Kritische Justiz Kommunal-Kassen-Zeitschrift Konkursordnung
Abkürzungsverzeichnis
KOM KorBekG/ KorrBekG/ KorrBG K&R KRABl. KreditwesenG/ KWG KRG KriegswaffKG/ KWKG KrimAbh. KrimGwFr Kriminalistik KrimJournal KriPoZ krit. KritJ/Krit. Justiz KritV/KritVj KrW-/AbfG KTS KunstUrhG/KUrhG KuT KuV/k+v/K+V KWG LegPer. Lfg. LFGB LG lit. Lit. LKRZ LM
(EU-)Kommission Gesetz zur Bekämpfung der Korruption
Kommunikation und Recht s. ABlKR Gesetz über das Kreditwesen Kontrollratsgesetz Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen Kriminalistische Abhandlungen, hrsg. von Exner Kriminologische Gegenwartsfragen (zit. nach Band u. Seite) Kriminalistik, Zeitschrift für die gesamte kriminalistische Wissenschaft und Praxis Kriminologisches Journal Kriminalpolitische Zeitschrift kritisch Kritische Justiz Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtsprechung Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Beseitigung von Abfällen (Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz) Konkurs-, Treuhand- und Schiedsgerichtswesen (jetzt: Zeitschrift für Insolvenzrecht) Kunsturhebergesetz Konkurs-, Treuhand- und Schiedsgerichtswesen Kraftfahrt und Verkehrsrecht, Zeitschrift der Akademie für Verkehrswissenschaft, Hamburg s. KreditwesenG
LPG LPK LRA LRE LS lt. LT Ltd. LuftSiG LuftVG LuftVO/LuftVVO LuftVZO LVerf. LVwG SH LZ
Legislaturperiode Lieferung Lebens- und Futtermittelgesetzbuch Landgericht littera (Buchstabe) Literatur Zeitschrift für Landes- und Kommunalrecht Hessen/Rheinland-Pfalz/Saarland Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, hrsg. v. Lindenmaier/Möhring u. a. (zit. nach Paragraph und Nummer) Gesetz über den Verkehr mit Lebensmitteln, Tabakerzeugnissen, kosmetischen Mitteln und sonstigen Bedarfsgegenständen (Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz) Landespressegesetz Lehr- und Praxiskommentar Landratsamt Sammlung lebensmittelrechtlicher Entscheidungen Leitsatz laut Landtag Limited (Private company limited by shares) Gesetz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben (Luftsicherheitsgesetz) Luftverkehrgesetz Verordnung über den Luftverkehr Luftverkehrs-Zulassungs-Ordnung Landesverfassung Landesverwaltungsgesetz Schleswig-Holstein Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht (1907–1933)
m. m. Anm.
mit mit Anmerkung
LMBG
XXII
Abkürzungsverzeichnis
Mat. m. a. W. m. Bespr. MdB MdL MDR MDStV MedR MedSach MEPolG MfS mit Nachw. MiStra missverst. Mitt. MittIKV MK m. krit. Anm. MLR MMR MMW MoMiG MRG MschrKrim./ MonKrim. MschrKrimBiol/ MonKrimBiol. MschrKrimPsych/ MonKrimPsych. MStGO m. w. N. m. zust./abl. Anm. Nachtr. Nachw. NATO-Truppenstatut/NTS Nds. NdsRpfl./Nds.Rpfl NdsSOG NEhelG NetzDG n. F. Niederschr./ Niederschriften Nieders.GVBl. (Sb. I, II) NJ NJOZ NJW NJW-CoR NJW-RR NK NKrimP
XXIII
Materialien zur Strafrechtsreform (1954). Band I: Gutachten der Strafrechtslehrer. Band II: Rechtsvergleichende Arbeiten mit anderen Worten mit Besprechung Mitglied des Bundestages Mitglied des Landtages Monatsschrift für Deutsches Recht Staatsvertrag über Mediendienste Medizinrecht Der Medizinische Sachverständige Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes Ministerium für Staatssicherheit mit Nachweisen Anordnung über Mitteilungen in Strafsachen missverständlich Mitteilung Mitteilungen der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung (1889–1914; 1926–1933) Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch mit kritischer Anmerkung (von) Marburg Law Review MultiMedia und Recht Münchner Medizinische Wochenschrift Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen Militärregierungsgesetz Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform Monatsschrift für Kriminalbiologie und Strafrechtsreform Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform (1904/05–1936) Militärstrafgerichtsordnung mit weiteren Nachweisen mit zustimmender/ablehnender Anmerkung Nachtrag Nachweis Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags v. 19.6.1951 über die Rechtsstellung ihrer Truppen (NATO-Truppenstatut) Niedersachsen Niedersächsische Rechtspflege Niedersächsisches Sicherheits- und Ordnungsgesetz Gesetz über die Rechtsstellung der nichtehelichen Kinder Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz) neue Fassung Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt, Sonderband I und II, Sammlung des bereinigten niedersächsischen Rechts Neue Justiz Neue Juristische Online-Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift Computerreport der Neuen Juristischen Wochenschrift NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch Neue Kriminalpolitik
Abkürzungsverzeichnis
NPA Nr.(n) NRW NStE NStZ NStZ-RR NuR NVwZ NWB NWVBl NZA NZA-RR NZBau NZG NZI NZM NZS NZV NZWehrr/NZWehrR NZWiSt
Neues Polizei-Archiv Nummer(n) Nordrhein-Westfalen Neue Entscheidungssammlung für Strafrecht, hrsg. von Rebmann, Dahs und Miebach Neue Zeitschrift für Strafrecht NStZ-Rechtsprechungs-Report Strafrecht Natur und Recht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Wirtschaftsbriefe für Steuer- und Wirtschaftsrecht Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht NZA-Rechtsprechungsreport Arbeitsrecht Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für das Recht der Insolvenz und Sanierung Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht Neue Zeitschrift für Sozialrecht Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht Neue Zeitschrift für Wehrrecht Neue Zeitschrift für Wirtschafts-, Steuer- und Unternehmensstrafrecht
o. o. ä. ob. dict. OBGer öffentl. OECD ÖJZ/ÖstJZ Öst OGH
oben oder ähnlich obiter dictum Obergericht (Schweizer Kantone) öffentlich Organisation for Economic Cooperation and Development Österreichische Juristenzeitung Österreichischer Oberster Gerichtshof; ohne Zusatz: Entscheidung des Öst OGH in Strafsachen (zit. nach Band und Seite) oben genannt Oberstes Gericht der DDR Entscheidungen des Obersten Gerichts der DDR Oberster Gerichtshof (Österreich) Oberster Gerichtshof für die Britische Zone Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone in Strafsachen (1949/50) Offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht Entscheidungen der Oberlandesgerichte zum Straf- u. Strafverfahrensrecht (zit. nach Paragraph u. Seite, n. F. nach Paragraph u. Nummer) Obligationenrecht (Schweiz) ohne Rechnung Organisierte Kriminalität Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität Oberverwaltungsgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten
o. g. OG OGDDR OGH OGHBrZ OGHSt OHG OLG OLGSt OR o. R. OrgK OrgKG OrgKVerbG OVG OWiG PartG PartGG PatG PAuswG PersV PflanzenSchG/ PflSchG
Gesetz über die politischen Parteien (Parteiengesetz) Partnerschaftsgesellschaftsgesetz Patentgesetz Gesetz über Personalausweise Die Personalverwaltung Gesetz zum Schutz der Kulturpflanzen (Pflanzenschutzgesetz)
XXIV
Abkürzungsverzeichnis
PharmR PHI PIF PIN PlProt. PolG polit. Polizei PolV/PolVO PostG PostO Pr. PrG PrGS ProdSG Prot. Prot. BT-RA Pr. OT PrOVG PrPVG PrZeugnVerwG PStG PStR psych. PsychThG PTV PVT
PharmaRecht Produkthaftpflicht International Protection des Intérêts Financiers (EU) Personal Identification Number Plenarprotokoll Polizeigesetz politisch Die Polizei (seit 1955: Die Polizei – Polizeipraxis) Polizeiverordnung Gesetz über das Postwesen (Postgesetz) Postordnung Preußen Pressegesetz Preußische Gesetzessammlung (1810–1945) Produktsicherheitsgesetz Protokolle über die Sitzungen des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform Protokolle des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages (zit. nach Nummern) Preußisches Obertribunal Preußisches Oberverwaltungsgericht Preußisches Polizeiverwaltungsgesetz Gesetz über das Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiter von Presse und Rundfunk Personenstandsgesetz Praxis Steuerstrafrecht psychisch Gesetz über die Berufe des psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (Psychotherapeutengesetz) Polizei, Technik, Verkehr Polizei, Verkehr und Technik
qualif.
qualifizierend
R RabgO/RAO RAussch. RBerG RdA RdErl. RdJB RdK
Rechtsprechung des Reichsgerichts in Strafsachen (zit. nach Band u. Seite) Reichsabgabenordnung Rechtsausschuss Gesetz zur Verhütung von Mißbrauch auf dem Gebiet der Rechtsberatung Recht der Arbeit Runderlass Recht der Jugend und des Bildungswesens Das Recht des Kraftfahrers, Unabhängige Monatsschrift des Kraftverkehrsrechts (1926–43, 1949–55) Randnummer Rundschreiben Entscheidungen des Reichsdienststrafhofs (1939–41) Reichsdienststrafordnung Recht der Datenverarbeitung Das Recht, begründet von Soergel (1897–1944) Rechtsmedizin rechtspolitisch Rechtstheorie rechtsvergleichend Referentenentwurf Regierung Regierungsblatt relativ Rundfunkstaatsvertrag Reichsgericht
Rdn. Rdschr./RdSchr. RDStH RDStO RDV Recht RechtsM rechtspol. RechtsTh rechtsvergl. RefE Reg. RegBl. rel. RfStV RG
XXV
Abkürzungsverzeichnis
RGBl., RGBl. I, II RGRspr. RGSt RGZ RHG RHilfeG/RHG RhPf. RiAA RIDP RiJGG RiOWiG RiStBV RiVASt RIW RJagdG RKG/RKnappschG RKGE RMBl. RMG/RMilGE RöntgVO/RöV ROW R&P Rpfleger RpflG RPostG RPSych Rspr. RStGB RStGH RStGH-Statut RT RTDrucks. RTVerh. RuP RVG RVO s. S. s. a. SA SaarPolG SaarRZ SaBremR SächsArch. SächsOLG SächsPolG Sarl SchAZtg ScheckG/SchG SchiedsmZ SchKG SchlH
Reichsgesetzblatt, von 1922–1945 Teil I und Teil II Rechtsprechung des Reichsgerichts in Strafsachen (1879–1888) Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Rechnungshofgesetz Gesetz über die innerdeutsche Rechts- und Amtshilfe in Strafsachen Rheinland-Pfalz Grundsätze des anwaltlichen Standesrechts – Richtlinien gem. § 177 Abs. 2 Satz 2 BRAO Revue internationale de droit pénal Richtlinien der Landesjustizverwaltungen zum Jugendgerichtsgesetz Gemeinsame Anordnung über die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten und über die Zusammenarbeit mit den Verwaltungsbehörden Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren Richtlinien für den Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten Recht der Internationalen Wirtschaft Reichsjagdgesetz Reichsknappschaftsgesetz Entscheidungen des Reichskriegsgerichts Reichsministerialblatt, Zentralblatt für das Deutsche Reich (1923–45) Entscheidungen des Reichsmilitärgerichts (zit. nach Band u. Seite) Röntgenverordnung Recht in Ost und West. Zeitschrift für Rechtsvergleichung und interzonale Rechtsprobleme Recht und Psychiatrie Der Deutsche Rechtspfleger Rechtspflegergesetz Reichspostgesetz Rechtspsychologie, Zeitschrift für Familienrecht, Strafrecht, Kriminologie und Soziale Arbeit Rechtsprechung Reichsstrafgesetzbuch Internationaler Strafgerichtshof für Ruanda Internationaler Strafgerichtshof für Ruanda – Statut Reichstag Drucksachen des Reichstages Verhandlungen des Reichstages Recht und Politik. Vierteljahreshefte für Rechts- und Verwaltungspolitik Rechtsanwaltsvergütungsgesetz Reichsversicherungsordnung siehe Seite oder Satz siehe auch Sonderausschuss für die Strafrechtsreform Saarländisches Polizeigesetz Saarländische Rechts- und Steuerzeitschrift Sammlung des bremischen Rechts (1964) Sächsisches Archiv für Rechtspflege, seit 1924 (bis 1941/42), Archiv für Rechtspflege in Sachsen, Thüringen und Anhalt Annalen des Sächsischen Oberlandesgerichts zu Dresden (1880–1920) Sächsisches Polizeigesetz Societé à responsabilité limitée Schiedsamts-Zeitung Scheckgesetz Schiedsmannszeitung (1926–1945), seit 1950 Der Schiedsmann Gesetz zur Vermeidung und Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten (Schwangerschaftskonfliktgesetz) Schleswig-Holstein
XXVI
Abkürzungsverzeichnis
SchlHA Schriften der MGH SchwangUG SchwarzArbG schweiz. SchwJZ SchwZStr. SeeArbG SeemannsG SeeRÜbk./SRÜ Sen. SeuffBl. SexualdelikteBekG SFHÄndG SFHG
SG/SoldatG SGB I, III, IV, V, VIII, X, XI
SGb. SGG SGV.NW SichVG SJZ SK Slg. s. o. sog. Sonderausschuss SortenSchG SozVers spez. SprengG/ SprengstoffG SpuRT SSt StA StaatsGH StaatsschStrafsG StÄG StAZ StB StenB/StenBer StGB
XXVII
Schleswig-Holsteinische Anzeigen Schriften der Monumenta Germanicae Historica (DDR-)Gesetz über die Unterbrechung der Schwangerschaft Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz schweizerisch Schweizerische Juristen-Zeitung Schweizer Zeitschrift für Strafrecht Seearbeitsgesetz Seemannsgesetz Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen; Vertragsgesetz Senat Seufferts Blätter für Rechtsanwendung (1836–1913) Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten (Sexualdeliktebekämpfungsgesetz) Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz Gesetz zum Schutz des vorgeburtlichen/werdenden Lebens, zur Förderung einer kinderfreundlicheren Gesellschaft, für Hilfen im Schwangerschaftskonflikt und zur Regelung des Schwangerschaftsabbruchs (Schwangeren- und Familienhilfegesetz) Gesetz über die Rechtsstellung der Soldaten I: Sozialgesetzbuch, Allgemeiner Teil III: Sozialgesetzbuch, Arbeitsförderung IV: Sozialgesetzbuch, Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung V: Sozialgesetzbuch, Gesetzliche Krankenversicherung VIII: Sozialgesetzbuch, Kinder- und Jugendhilfe X: Sozialgesetzbuch, Verwaltungsverfahren, Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehung zu Dritten XI: Soziale Pflegeversicherung Sozialgerichtsbarkeit Sozialgerichtsgesetz Sammlung des bereinigten Gesetz- und Verordnungsblatts für das Land Nordrhein-Westfalen (Loseblattsammlung) Gesetz zur Rechtsvereinheitlichung der Sicherungsverwahrung Süddeutsche Juristen-Zeitung (1946–50), dann Juristenzeitung Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch Sammlung der Rechtsprechung des EuGH siehe oben sogenannt(e) Sonderausschuss des Bundestages für die Strafrechtsreform, Niederschriften zitiert nach Wahlperiode und Sitzung Gesetz über den Schutz von Pflanzensorten (Sortenschutzgesetz) Die Sozialversicherung speziell Gesetz über explosionsgefährliche Stoffe (Sprengstoffgesetz) Zeitschrift für Sport und Recht Entscheidungen des österreichischen Obersten Gerichtshofes in Strafsachen und Disziplinarangelegenheiten Staatsanwalt(schaft) Staatsgerichtshof Gesetz zur allgemeinen Einführung eines zweiten Rechtszuges in Staatsschutz-Strafsachen s. StRÄndG Das Standesamt, Zeitschrift für Standesamtswesen, Personenstandsrecht, Ehe- u. Kindschaftsrecht, Staatsangehörigkeitsrecht Der Steuerberater Stenographischer Bericht Strafgesetzbuch
Abkürzungsverzeichnis
StPO str. StrAbh. StRÄndG
StraffreiheitsG/ StrFG StraFo strafr. StrafrAbh. StraßVerkSichG StrEG StREG StrlSchuV/ StrlSchVO StRR StrRG st. Rspr. StS StuR StV/StrVert. StVE StVG StVGÄndG StVj/StVJ StVK StVO StVollstrO StVollzÄndG StVollzG StVollzK 1. StVRG 1. StVRErgG StVZO s. u. SubvG SV TDG TerrorBekG TerrorBekErgG
Strafprozeßordnung streitig, strittig Strafrechtliche Abhandlungen Strafrechtsänderungsgesetz (1. vom 30.8.1951) 18. ~ – Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität 27. ~ – Kinderpornographie 28. ~ – Abgeordnetenbestechung 31. ~ – Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität 37. ~ – §§ 180b, 181 StGB 40. ~ – Gesetz zur Strafbarkeit beharrlicher Nachstellungen 41. ~ – Bekämpfung der Computerkriminalität 42. ~ – Anhebung der Höchstgrenze des Tagessatzes bei Geldstrafen 49. ~ – Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht 50. ~ – Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung 59. ~ – Verbesserung des Persönlichkeitsschutzes bei Bildaufnahmen Gesetz über Straffreiheit Strafverteidigerforum strafrechtlich Strafrechtliche Abhandlungen, hrsg. von Bennecke, dann von Beling, v. Lilienthal und Schoetensack 1. Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs (Straßenverkehrssicherungsgesetz – StraßenVSichG) Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen Gesetz über ergänzende Maßnahmen zum 5. StrRG (Strafrechtsreformergänzungsgesetz) Strahlenschutzverordnung Strafrechtsreport Gesetz zur Reform des Strafrechts (1. ~, 2. ~, … 6. ~) ständige Rechtsprechung Strafsenat Staat und Recht Strafverteidiger Straßenverkehrsentscheidungen, hrsg. von Cramer, Berz, Gontard, Loseblattsammlung (zit. nach Paragraph u. Nummer) Straßenverkehrsgesetz Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze Steuerliche Vierteljahresschrift Strafvollstreckungskammer Straßenverkehrsordnung Strafvollstreckungsordnung Gesetz zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung (Strafvollzugsgesetz) Blätter für Strafvollzugskunde (Beilage zur Zeitschrift „Der Vollzugsdienst“) Erstes Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts Erstes Gesetz zur Ergänzung des 1. StVRG Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung siehe unten Subventionsgesetz Sachverhalt Gesetz über die Nutzung von Telediensten Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus (Terrorismusbekämpfungsgesetz) Gesetz zur Ergänzung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes (Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz)
XXVIII
Abkürzungsverzeichnis
ThürPAG TierschG/ TierschutzG Tit. TKG TPG TV Tz. u. u. a. u. ä. u. a. m. UdG Üb. Übereink./Übk. ÜbergangsAO ü. M. UFITA UG U-Haft UMAG umstr. UmwRG UNO UNTS unv. UPR UrhG UStG usw. UTR u. U. UVNVAG UWG UZwG UZwGBw
v. VAE VAG v. A. w. VBlBW VD VDA bzw. VDB VE VerbrBekG VerbringungsG/ VerbG
XXIX
Thüringisches Polizeiaufgabengesetz Tierschutzgesetz Titel Telekommunikationsgesetz Gesetz über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen (Transplantationsgesetz) Truppenvertrag Textziffer, -zahl unten (auch: und) unter anderem (auch: andere) und ähnliche und anderes mehr Urkundsbeamter der Geschäftsstelle Überblick; Übersicht Übereinkommen Übergangsanordnung überwiegende Meinung Archiv für Urheber-, Film-, Funk- und Theaterrecht Unternehmergesellschaft Untersuchungshaft Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts umstritten Umweltrahmengesetz der DDR United Nations Organization (Vereinte Nationen) United Nations Treaty Series unveröffentlicht Umwelt- und Planungsrecht Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz) Umsatzsteuergesetz und so weiter Umwelt- und Technikrecht, Schriftenreihe des Instituts für Umwelt- und Technikrecht der Universität Trier, hrsg. von Rüdiger Breuer u. a. unter Umständen Ausführungsgesetz v. 23.7.1998 (BGBl. I S. 1882) zu dem Vertrag v. 24.9.1996 über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen – Zustimmungsgesetz Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwanges und die Ausübung besonderer Befugnisse durch Soldaten der Bundeswehr und zivile Wachpersonen von, vom Verkehrsrechtliche Abhandlungen und Entscheidungen Versicherungsaufsichtsgesetz von Amts wegen Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg Verkehrsdienst Vergleichende Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts, Allgemeiner bzw. Besonderer Teil Vorentwurf Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und anderer Gesetze (Verbrechensbekämpfungsgesetz) Gesetz zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsverbote
Abkürzungsverzeichnis
VereinfVO
VereinhG VereinsG VerfGH VerglO Verh. VerjährG
VerkMitt./VM VerkProspektG vermitt. VerpflG VerschG VersG VersR VerwArch. VG VGH vgl. Vhdlgen VJZ VN VN-Satzung VO VOBl. VOR Voraufl. Vorbem. VorE vorgen. VRS VStGB VVDStRL VVG VwBlBW VwGO VwVfG VwVG VwZG WaffG/WaffenG Warn./WarnRspr WBl WDO WehrpflG WeimVerf./WV WeinG
Vereinfachungsverordnung 1. ~ –, VO über Maßnahmen auf dem Gebiet der Gerichtsverfassung und Rechtspflege 2. ~ –, VO zur weiteren Vereinfachung der Strafrechtspflege 3. ~ –, Dritte VO zur Vereinfachung der Strafrechtspflege 4. ~ –, Vierte VO zur Vereinfachung der Strafrechtspflege Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts Gesetz zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts (Vereinsgesetz) Verfassungsgerichtshof Vergleichsordnung Verhandlungen des Deutschen Bundestages (BT), des Deutschen Juristentages (DJT) usw. Gesetz über das Ruhen der Verjährung bei SED-Unrechtstaten 2. VerjährG, Gesetz zur Verlängerung strafrechtlicher Verjährungsfristen vom 27.9.1993 3. VerjährG, Gesetz zur weiteren Verlängerung strafrechtlicher Verjährungsfristen vom 22.12.1997 Verkehrsrechtliche Mitteilungen Wertpapiere-Verkaufsprospektgesetz vermittelnd Gesetz über die förmliche Verpflichtung nichtbeamteter Personen (Verpflichtungsgesetz) i. d. F. v. Art. 42 EGStGB Verschollenheitsgesetz Gesetz über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz) Versicherungsrecht, Juristische Rundschau für die Individualversicherung Verwaltungsarchiv Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof vergleiche s. Verh. Zeitschrift für Vermögems- und Immobilienrecht Vereinte Nationen Satzung der Vereinten Nationen Verordnung Verordnungsblatt Zeitschrift für Verkehrs- und Ordnungswidrigkeitenrecht Vorauflage Vorbemerkung Vorentwurf vorgenannt Verkehrsrechts-Sammlung, Entscheidungen aus allen Gebieten des Verkehrsrechts Völkerstrafgesetzbuch Veröffentlichungen der Vereinigung deutscher Staatsrechtslehrer (zit. nach Heft u. Seite) Gesetz über den Versicherungsvertrag Verwaltungsblätter Baden-Württemberg Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Verwaltungsvollstreckungsgesetz Verwaltungszustellungsgesetz Waffengesetz Sammlung zivilrechtlicher Entscheidungen des RG, hrsg. von Warneyer (zit. nach Jahr und Nummer) Wirtschaftsrechtliche Blätter (Österreich) Wehrdisziplinarordnung Wehrpflichtgesetz Verfassung des Deutschen Reichs (sog. „Weimarer Verfassung“) Weingesetz
XXX
Abkürzungsverzeichnis
weitergeh. WHG WiB 1. WiKG 2. WiKG WissR WiStG wistra WiVerw WK WM w. N. b. WoÜbG WuM WPg WpHG WRP WStG WZG z. (Z) ZAG ZahlVGJG ZAkDR ZaöRV z. B. ZBB ZbernJV/ZBJV ZBl. f. Verk. Med. ZDG ZfB ZfBR Z. f. d. ges. Sachverst.wesen ZFIS ZfJ ZfL ZfRSoz ZfRV ZfS/ZfSch ZfStrVo ZfW ZfWG ZfZ ZG ZGR ZHR Zif./Ziff. ZInsO ZIP ZIS zit.
XXXI
weitergehend Gesetz zur Ordnung des Wasserhaushalts (Wasserhaushaltsgesetz) Wirtschaftsrechtliche Beratung 1. Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität 2. Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität Wissenschaftsrecht Gesetz zur weiteren Vereinfachung des Wirtschaftsstrafrechts (Wirtschaftsstrafgesetz 1954) Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht, dann: Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht Wirtschaft und Verwaltung Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch Wertpapier-Mitteilungen weitere Nachweise bei Gesetz zur Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 3. März 2004 (akustische Wohnraumüberwachung) v. 24.6.2005 Wohnungswirtschaft und Mietrecht Die Wirtschaftsprüfung Gesetz über Wertpapierhandel Wettbewerb in Recht und Praxis Wehrstrafgesetz Warenzeichengesetz zur, zum Entscheidung in Zivilsachen Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz Gesetz über den Zahlungsverkehr mit Gerichten und Justizbehörden Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht (1934–1944) Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zum Beispiel Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins Zentralblatt für Verkehrsmedizin, Verkehrspsychologie, Luft- und Raumfahrtmedizin Gesetz über den Zivildienst der Kriegsdienstverweigerer (Zivildienstgesetz) Zeitschrift für Binnenschifffahrt und Wasserstraßen Zeitschrift für deutsches und internationales Baurecht Zeitschrift für das gesamte Sachverständigenwesen Zeitschrift für innere Sicherheit Zentralblatt für Jugendrecht Zeitschrift für Lebensrecht Zeitschrift für Rechtssoziologie, The German Journal of Law and Society Zeitschrift für Rechtsvergleichung, Internationales Privatrecht und Europarecht Zeitschrift für Schadensrecht Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe Zeitschrift für Wasserrecht Zeitschrift für Wett- und Glücksspielrecht Zeitschrift für Zölle und Verbrauchssteuern Zeitschrift für Gesetzgebung Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht, begr. v. Goldschmidt Ziffer(n) Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik zitiert
Abkürzungsverzeichnis
ZJS ZMR ZNER ZollG ZParl ZPO ZRP ZSchwR ZStW z. T. ZUM zusf. zust. ZustErgG ZustG ZustVO zutr. z. V. b. ZVG ZVS zw. ZWehrR ZWH z. Z. ZZP
Zeitschrift für das Juristische Studium Zeitschrift für Miet- und Raumrecht Zeitschrift für Neues Energierecht Zollgesetz Zeitschrift für Parlamentsfragen Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Schweizerisches Recht Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft zum Teil Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht/Film und Recht zusammenfassend zustimmend Gesetz zur Ergänzung von Zuständigkeiten auf den Gebieten des Bürgerlichen Rechts, des Handelsrechts und des Strafrechts (Zuständigkeitsergänzungsgesetz) Zustimmungsgesetz Verordnung über die Zuständigkeit der Strafgerichte, die Sondergerichte und sonstige strafverfahrensrechtliche Vorschriften zutreffend zur Veröffentlichung bestimmt Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung (Zwangsversteigerungsgesetz) Zeitschrift für Verkehrssicherheit zweifelhaft (auch: zweifelnd) Zeitschrift für Wehrrecht (1936/37–1944) Zeitschrift für Wirtschaftsstrafrecht und Haftung im Unternehmen zur Zeit Zeitschrift für Zivilprozess
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Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur Das Schrifttum zum Kernstrafrecht sowie sämtliche strafrechtlich relevanten Festschriften und vergleichbare Werke finden sich unter 1. Es folgt in alphabetischer Reihenfolge das Schrifttum zum Nebenstrafrecht und zu nichtstrafrechtlichen Gebieten: 2. Betäubungsmittelstrafrecht, 3. Bürgerliches Recht einschließlich Versicherungsrecht, 4. DDR-Strafrecht, 5. Europäisches Recht, 6. Handelsrecht einschließlich Bilanz- und Gesellschaftsrecht, 7. Jugendstrafrecht, 8. Kriminologie, 9. Ordnungswidrigkeitenrecht, 10. Presserecht, 11. Rechtshilfe, 12. Rechtsmedizin und Medizinstrafrecht, 13. Strafprozess- und Strafvollzugsrecht, 14. Straßenverkehrsrecht, 15. Verfassungsrecht und Verwaltungsrecht, 16. Wettbewerbs- und Kartellrecht, 17. Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 18. Zivilprozess- und Insolvenzrecht, 19. Sonstiges (einschließlich Arbeits- und Sozialrecht, Völkerrecht und Waffenrecht).
1. Strafrecht (StGB) und Festschriften Zitier-Abk. AK Ambos AnwK Appel Arzt/Weber/Heinrich/ Hilgendorf BT v. Bar Baumann Baumann/Weber/Mitsch/ Eisele BeckOK
Werk Kommentar zum Strafgesetzbuch – Reihe Alternativkommentare, hrsg. v. Wassermann, Bd. 1 (1990), Bd. 3 (1986) Internationales Strafrecht, 5. Aufl. (2018) AnwaltKommentar StGB, hrsg. v. Leipold/Tsambikakis/Zöller, 3. Aufl. (2020) Verfassung und Strafe (1998) Strafrecht, Besonderer Teil, Lehrbuch, 3. Aufl. (2015) Gesetz und Schuld im Strafrecht, 1. Bd. (1906), 2. Bd. (1907), 3. Bd. (1909) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 7. Aufl. (1975) Strafrecht, Allgemeiner Teil, Lehrbuch, 12. Aufl. (2016)
Beck’scher Online-Kommentar StGB, hrsg. v. Heintschel-Heinegg, 50. Edition (2021) Beling Die Lehre vom Verbrechen (1906) Beulke-Symposion Strafverteidigung – Grundlagen und Stolpersteine, Symposion für Werner Beulke, hrsg. v. Engländer/Fahl/Satzger/Swoboda (2012) Binding, Grundriß Grundriß des Deutschen Strafrechts, Allgemeiner Teil, 8. Aufl. (1913) Binding, Handbuch Handbuch des Strafrechts (1885) Binding, Lehrbuch I, II Lehrbuch des gemeinen Deutschen Strafrechts, Besonderer Teil, 2. Aufl. Bd. 1 (1902), Bd. 2 (1904/05) Binding, Normen Die Normen und ihre Übertretung, 2. Aufl., 4 Bände (1890–1919) BK Basler Kommentar Strafrecht I und II, hrsg. von Niggli/Wiprächtiger, 4. Aufl. (2019) (s. aber auch 15. Verfassungsrecht) Blei I, II Strafrecht I, Allgemeiner Teil, 18. Aufl. (1983); Strafrecht II, Besonderer Teil, 12. Aufl. (1983) Bochumer Erläuterungen Bochumer Erläuterungen zum 6. Strafrechtsreformgesetz, hrsg. v. Schlüchter (1998) Bockelmann BT 1, 2, 3 Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1: Vermögensdelikte, 2. Aufl. (1982); Bd. 2: Delikte gegen die Person (1977); Bd. 3: Ausgewählte Delikte gegen Rechtsgüter der Allgemeinheit (1980) Bockelmann/Volk Strafrecht, Allgemeiner Teil, 4. Aufl. (1987) Bringewat Grundbegriffe des Strafrechts, 3. Aufl. (2018) Bruns, Strafzumessungsrecht Strafzumessungsrecht: Gesamtdarstellung, 2. Aufl. (1974) Bruns, Reflexionen Neues Strafzumessungsrecht? „Reflexionen“ über eine geforderte Umgestaltung (1988) Bruns/Güntge Das Recht der Strafzumessung, 3. Aufl. (2018) Burgstaller Das Fahrlässigkeitsdelikt im Strafrecht (1974) Coimbra-Symposium s. Schünemann/de Figueiredo Dias
XXXIII https://doi.org/10.1515/9783110490107-204
Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur
Dahs Dalcke/Fuhrmann/Schäfer Dölling/Duttge/König/ Rössner Ebert Ebert AT Einführung 6. StrRG Eisele BT 1, BT 2
Erbs/Kohlhaas Erinnerungsgabe Grünhut Eser et al., Rechtfertigung und Entschuldigung I–IV
Festgabe BGH 25 Festgabe BGH 50 Festgabe Festgabe Festgabe Festgabe Festgabe
Frank Graßhoff Kern Paulus Peters
Festgabe RG I–VI Festgabe Schultz Festgabe Schweizer JT Festschrift Achenbach Festschrift Amelung Festschrift Androulakis Festschrift Augsburg Festschrift Baumann Festschrift Bemmann Festschrift Beulke Festschrift BGH 50 Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift
Blau Bockelmann Böhm Böttcher Boujong
Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift
Brauneck Bruns Burgstaller v. Caemmerer Celle I
Handbuch des Strafverteidigers, 8. Aufl. (2015) Strafrecht und Strafverfahren, 37. Aufl. (1961) s. HK-GS Aktuelle Probleme der Strafrechtspflege: Beiträge anläßlich eines Symposiums zum 60. Geburtstag von E.W. Hanack, hrsg. v. Ebert (1991) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 4. Aufl. (2001) Einführung in das 6. Strafrechtsreformgesetz (1998) (bearb. v. Dencker u. a.) Strafrecht – Besonderer Teil I: Straftaten gegen die Person und die Allgemeinheit, 6. Aufl. (2021); Strafrecht – Besonderer Teil II: Eigentumsdelikte und Vermögensdelikte, 6. Aufl. (2021) Strafrechtliche Nebengesetze, Loseblattausgabe, 236 Lfg. (Mai 2021) Erinnerungsgabe für Max Grünhut (1965) Rechtfertigung und Entschuldigung: rechtsvergleichende Perspektiven. Beiträge aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Bd. 1, hrsg. v. Eser/Fletcher (1987); Bd. 2, hrsg. v. Eser/Fletcher (1988); Bd. 3: Deutsch-Italienisch-Portugiesisch-Spanisches Strafrechtskolloquium 1990 in Freiburg, hrsg. v. Eser/Perron (1991); Bd. 4: Ostasiatisch-Deutsches Strafrechtskolloquium 1993 in Tokio, hrsg. v. Eser/Nishihara (1995) 25 Jahre Bundesgerichtshof 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe aus der Wissenschaft, Band IV: Straf- und Strafprozeßrecht (2000) Festgabe für Reinhard von Frank zum 70. Geburtstag, 2 Bde. (1930) Der verfasste Rechtsstaat, Festgabe für Karin Graßhoff (1998) Festgabe für Eduard Kern zum 70. Geburtstag (1957) Festgabe für Rainer Paulus zum 70. Geburtstag (2009) Wahrheit und Gerechtigkeit im Strafverfahren: Festgabe für Karl Peters aus Anlaß seines 80. Geburtstages (1984) Die Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben: Festgabe der juristischen Fakultäten zum 50-jährigen Bestehen des Reichsgerichts (1929) Lebendiges Strafrecht: Festgabe zum 65. Geburtstag von Hans Schultz (1977) Festgabe zum Schweizerichen Juristentag (1963) Festschrift für Hans Achenbach zum 70. Geburtstag (2011) Grundlagen des Straf- und Strafverfahrensrechts: Festschrift für Knut Amelung zum 70. Geburtstag (2009) Festschrift für Nikolaos Androulakis zum 70. Geburtstag (2003) Recht in Europa: Festgabe zum 30-jährigen Bestehen der Juristischen Fakultät Augsburg (2002) Festschrift für Jürgen Baumann zum 70. Geburtstag (1992) Festschrift für Günter Bemmann zum 70. Geburtstag (1997) Ein menschengerechtes Strafrecht als Lebensaufgabe – Festschrift für Werner Beulke zum 70. Geburtstag (2015) Festschrift aus Anlaß des fünfzigjährigen Bestehens von Bundesgerichtshof, Bundesanwaltschaft und Rechtsanwaltschaft beim Bundesgerichtshof (2000) Festschrift für Günter Blau zum 70. Geburtstag (1985) Festschrift für Paul Bockelmann zum 70. Geburtstag (1979) Festschrift für Alexander Böhm zum 70. Geburtstag (1999) Festschrift für Reinhard Böttcher zum. 70 Geburtstag (2007) Verantwortung und Gestaltung: Festschrift für Karlheinz Boujong zum 65. Geburtstag (1996) Ehrengabe für Anne-Eva Brauneck (1999) Festschrift für Hans-Jürgen Bruns zum 70. Geburtstag (1978) Festschrift für Manfred Burgstaller zum 65. Geburtstag (2004) Festschrift für Ernst von Caemmerer zum 70. Geburtstag (1978) Göttinger Festschrift für das Oberlandesgericht Celle: zum 250-jährigen Bestehen des Oberlandesgerichts Celle (1961)
XXXIV
Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur
Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift
Celle II Dahs Dencker Diestelkamp
Festschrift DJT Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift
Dreher Dünnebier Eisenberg Engisch Ermacora
Festschrift Eser Festschrift Europa-Institut Festschrift Fezer Festschrift Fiedler Festschrift Fischer Festschrift Friebertshäuser Festschrift Frisch Festschrift Fuchs Festschrift GA Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift
Gallas von Gamm Gauweiler Geerds
Festschrift Geilen Festschrift Geiß Festschrift Geppert Festschrift Germann Festschrift Gleispach Festschrift Gollwitzer Festschrift Göppinger Festschrift Gössel Festschrift Grünwald Festschrift Grützner
Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift
Hamm Hanack Hanauer Hassemer Heidelberg
Festschrift Heinitz
XXXV
Festschrift zum 275-jährigen Bestehen des Oberlandesgerichts Celle (1986) Festschrift für Hans Dahs zum 70. Geburtstag (2005) Festschrift für Friedrich Dencker zum 70. Geburtstag (2012) Geschichte der Zentraljustiz in Mitteleuropa: Festschrift für Bernhard Diestelkamp zum 65. Geburtstag (1994) Hundert Jahre deutsches Rechtsleben: Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages 1860–1960, 2 Bde. (1960) Festschrift für Eduard Dreher zum 70. Geburtstag (1977) Festschrift für Hans Dünnebier zum 75. Geburtstag (1982, Nachdruck 2014) Festschrift für Ulrich Eisenberg zum 70. Geburtstag (2009) Festschrift für Karl Engisch zum 70. Geburtstag (1969) Fortschritt im Bewußtsein der Grund- und Menschenrechte: Festschrift für Felix Ermacora zum 65. Geburtstag (1988) Menschengerechtes Strafrecht: Festschrift für Albin Eser zum 70. Geburtstag (2005) Europäische Integration und Globalisierung, Festschrift zum 60-jährigen Bestehen des Europa-Instituts (2011) Festschrift für Gerhard Fezer zum 70. Geburtstag (2008) Verfassung – Völkerrecht – Kulturgüterschutz, Festschrift für Wilfried Fiedler zum 70. Geburtstag (2011) Festschrift für Thomas Fischer (2018) Festgabe für den Strafverteidiger Dr. Heino Friebertshäuser (1997) Grundlagen und Dogmatik des gesamten Strafrechtssystems – Festschrift für Wolfgang Frisch zum 70. Geburtstag (2013) Festschrift für Helmut Fuchs zum 65. Geburtstag (2014) 140 Jahre Goltdammer’s Archiv für Strafrecht: eine Würdigung zum 70. Geburtstag von Paul-Günter Pötz (1993) Festschrift für Wilhelm Gallas zum 70. Geburtstag (1973) Festschrift für Otto-Friedrich Frhr. von Gamm (1990) Recht und Politik: Festschrift für Peter Gauweiler zum 60. Geburtstag (2009) Kriminalistik und Strafrecht: Festschrift für Friedrich Geerds zum 70. Geburtstag (1995) Bochumer Beiträge zu aktuellen Strafrechtsthemen: Festschrift für Gerd Geilen zum 70. Geburtstag (2003) Festschrift für Karlmann Geiß zum 65. Geburtstag (2000) Festschrift für Klaus Geppert zum 70. Geburtstag (2011) Rechtsfindung – Beiträge zur juristischen Methodenlehre: Festschrift für Oscar Adolf Germann zum 80. Geburtstag (1969) Gegenwartsfragen der Strafrechtswissenschaft: Festschrift zum 60. Geburtstag von Graf W. Gleispach (1936) (Nachdruck 1995) Weltpolitik, Europagedanke, Regionalismus: Festschrift für Heinz Gollwitzer zum 65. Geburtstag (1982) Kriminalität, Persönlichkeit, Lebensgeschichte und Verhalten: Festschrift für Hans Göppinger zum 70. Geburtstag (1990) Festschrift für Karl Heinz Gössel zum 70. Geburtstag (2002) Festschrift für Gerald Grünwald zum 70. Geburtstag (1999) Aktuelle Probleme des internationalen Strafrechts – Beiträge zur Gestaltung des internationalen und supranationalen Strafrechts: Heinrich Grützner zum 65. Geburtstag (1970) Festschrift für Rainer Hamm zum 65. Geburtstag (2008) Festschrift für Ernst-Walter Hanack zum 70. Geburtstag (1999) Festschrift für Rudolf Hanauer aus Anlass seines 70. Geburtstages (1978) Festschrift für Winfried Hassemer zum 70. Geburtstag (2010) Richterliche Rechtsfortbildung: Festschrift der Juristischen Fakultät zur 600-JahrFeier der Universität Heidelberg (1986) Festschrift für Ernst Heinitz zum 70. Geburtstag (1972)
Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur
Festschrift Heintschel-Heinegg Festschrift Heinz Festschrift Henkel
Kargl Arthur Kaufmann
Festschrift für Wolfgang Heinz zum 70. Geburtstag (2012) Grundfragen der gesamten Strafrechtswissenschaft: Festschrift für Heinrich Henkel zum 70. Geburtstag (1974) Kriminologische Wegzeichen: Festschrift für Hans v. Hentig zum 80. Geburtstag (1967) Strafrecht zwischen System und Telos: Festschrift für Rolf Dietrich Herzberg zum 70. Geburtstag (2008) Staatsrecht und Politik: Festschrift für Roman Herzog zum 75. Geburtstag (2009) Ehrengabe für Bruno Heusinger (1968) Datenübermittlungen und Vorermittlungen: Festgabe für Hans Hilger (2003) Festschrift für Hans Joachim Hirsch zum 70. Geburtstag (1999) Festschrift für Richard M. Honig zum 80. Geburtstag (1970) Jahrbuch für Recht und Ethik: Festschrift für Joachim Hruschka zum 70. Geburtstag (2006) Beiträge zum Schutz der Persönlichkeit und ihrer schöpferischen Leistung: Festschrift für Heinrich Hubmann zum 70. Geburtstag (1985) Festschrift für Heinz Hübner zum 70. Geburtstag (1984) Festschrift für Günther Jakobs zum 70. Geburtstag (2007) Wie würden Sie entscheiden? Festschrift für Gerd Jauch zum 65. Geburtstag (1990) Festschrift für Hans-Heinrich Jescheck zum 70. Geburtstag, 2 Bde. (1985) Festschrift für Heike Jung zum 65. Geburtstag (2007) Festschrift zum 125-jährigen Bestehen der Juristischen Gesellschaft zu Berlin (1984) Internationale Perspektiven in Kriminologie und Strafrecht: Festschrift für Günther Kaiser zum 70. Geburtstag, 2 Bde. (1998) Festschrift für Walter Kargl zum 70. Geburtstag (2015) Jenseits des Funktionalismus: Arthur Kaufmann zum 65. Geburtstag (1989)
Arthur Kaufmann
Strafgerechtigkeit: Festschrift für Arthur Kaufmann zum 70. Geburtstag (1993)
Kern Kerner
Tübinger Festschrift für Eduard Kern (1968) Kriminologie – Kriminalpolitik – Strafrecht, Festschrift für Hans-Jürgen Kerner zum 70. Geburtstag (2013) Festschrift für Christian Kirchberg zum 70. Geburtstag (2017) Strafverfahren im Rechtsstaat: Festschrift für Theodor Kleinknecht zum 75. Geburtstag (1985) Festschrift für Ulrich Klug zum 70. Geburtstag, 2 Bde. (1983) Strafverteidigung und Strafprozeß: Festgabe für Ludwig Koch (1989) Festschrift für Günter Kohlmann zum 70. Geburtstag (2003) Probleme der Strafrechtserneuerung: Eduard Kohlrausch zum 70. Geburtstage dargebracht (1944; Nachdruck 1978) Festschrift der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln (1988) Recht und Kriminalität: Festschrift für Friedrich-Wilhelm Krause zum 70. Geburtstag (1990) Festschrift für Volker Krey zum 70. Geburtstag (2010) Festschrift für Wilfried Küper zum 70. Geburtstag (2007) Festschrift für Hans-Heiner Kühne zum 70. Geburtstag (2013) Festschrift für Karl Lackner zum 70. Geburtstag (1987) Jus humanum: Grundlagen des Rechts und Strafrechts, Festschrift für ErnstJoachim Lampe zum 70. Geburtstag (2003) Festschrift für Richard Lange zum 70. Geburtstag (1976, Nachdruck 2017) Humaniora, Medizin – Recht – Geschichte: Festschrift für Adolf Laufs zum 70. Geburtstag (2006)
Festschrift v. Hentig Festschrift Herzberg Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift
Herzog Heusinger Hilger Hirsch Honig Hruschka
Festschrift Hubmann Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift
Hübner Jakobs Jauch Jescheck Jung JurGes. Berlin
Festschrift Kaiser Festschrift Festschrift (1989) Festschrift (1993) Festschrift Festschrift
Festschrift Kirchberg Festschrift Kleinknecht Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift
Klug Koch Kohlmann Kohlrausch
Festschrift Köln Festschrift Krause Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift
Festschrift für Bernd von Heintschel-Heinegg zum 70. Geburtstag (2015)
Krey Küper Kühne Lackner Lampe
Festschrift Lange Festschrift Laufs
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Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur
Festschrift Leferenz Festschrift Lenckner Festschrift Lüderssen Festschrift Maihofer Festschrift Maiwald Festschrift Mangakis Festschrift Maurach Festschrift H. Mayer Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift
Mehle Meyer-Goßner Mezger Middendorff Miyazawa
Festschrift Festschrift Festschrift (1998) Festschrift (2001) Festschrift
E. Müller (2003) E. Müller (2008) Müller-Dietz Müller-Dietz Nehm
Festschrift Neumann Festschrift Nishihara Festschrift Nobbe Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift
Odersky Oehler Otto Paarhammer Paeffgen
Festschrift Pallin Festschrift Partsch Festschrift Peters Festschrift Ch. Pfeiffer Festschrift Pfeiffer Festschrift Pfenniger Festschrift Platzgummer Festschrift Pötz Festschrift Puppe Festschrift Rasch Festschrift Rebmann
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Kriminologie – Psychiatrie – Strafrecht: Festschrift für Heinz Leferenz zum 70. Geburtstag (1983) Festschrift für Theodor Lenckner zum 70. Geburtstag (1998) Festschrift für Klaus Lüderssen zum 70. Geburtstag (2002) Rechtsstaat und Menschenwürde: Festschrift für Werner Maihofer zum 70. Geburtstag (1988) Festschrift für Manfred Maiwald zum 75. Geburtstag (2011) Strafrecht – Freiheit – Rechtsstaat: Festschrift für Georgios Mangakis (1999) Festschrift für Reinhart Maurach zum 70. Geburtstag (1972) Beiträge zur gesamten Strafrechtswissenschaft: Festschrift für Hellmuth Mayer zum 70. Geburtstag (1966) Festschrift für Volkmar Mehle zum 65. Geburtstag (2009) Festschrift für Lutz Meyer-Goßner zum 65. Geburtstag (2001) Festschrift für Edmund Mezger zum 70. Geburtstag (1954) Festschrift für Wolf Middendorff zum 70. Geburtstag (1986) Festschrift für Koichi Miyazawa: dem Wegbereiter des japanisch-deutschen Strafrechtsdiskurses (1995) Opuscula Honoraria, Egon Müller zum 65. Geburtstag (2003) Festschrift für Egon Müller zum 70. Geburtstag (2008) Das Recht und die schönen Künste: Heinz Müller-Dietz zum 65. Geburtstag (1998) Grundlagen staatlichen Strafens: Festschrift für Heinz-Müller-Dietz zum 70. Geburtstag (2001) Strafrecht und Justizgewährung: Festschrift für Kay Nehm zum 65. Geburtstag (2006) Rechtsstaatliches Strafrecht: Festschrift für Ulfrid Neumann zum 70. Geburtstag (2017) Festschrift für Haruo Nishihara zum 70. Geburtstag (1998) Entwicklungslinien im Bank- und Kapitalmarktrecht: Festschrift für Gerd Nobbe zum 65. Geburtstag (2009) Festschrift für Walter Odersky zum 65. Geburtstag (1996, Nachdruck 2018) Festschrift für Dietrich Oehler zum 70. Geburtstag (1985) Festschrift für Harro Otto zum 70. Geburtstag (2007) In mandatis meditari, Festschrift für Hans Paarhammer zum 65. Geburtstag (2012) Strafe und Prozess im freiheitlichen Rechtsstaat – Festschrift für Hans-Ullrich Paeffgen zum 70. Geburtstag (2015) Strafrecht, Strafprozeßrecht und Kriminologie: Festschrift für Franz Pallin zum 80. Geburtstag (1989) Des Menschen Recht zwischen Freiheit und Verantwortung: Festschrift für Karl Josef Partsch zum 75. Geburtstag (1989) Einheit und Vielfalt des Strafrechts: Festschrift für Karl Peters zum 70. Geburtstag (1974) Kriminologie ist Gesellschaftswissenschaft, Festschrift für Christian Pfeiffer zum 70. Geburtstag (2014) Strafrecht, Unternehmensrecht, Anwaltsrecht: Festschrift für Gerd Pfeiffer zum Abschied aus dem Amt als Präsident des Bundesgerichtshofes (1988) Strafprozeß und Rechtsstaat: Festschrift zum 70. Geburtstag von H. F. Pfenniger (1976) Festschrift für Winfried Platzgummer zum 65. Geburtstag (1995) s. Festschrift GA Strafrechtswissenschaft als Analyse und Konstruktion: Festschrift für Ingeborg Puppe zum 70. Geburtstag (2011) Die Sprache des Verbrechens – Wege zu einer klinischen Kriminologie: Festschrift für Wilfried Rasch (1993) Festschrift für Kurt Rebmann zum 65. Geburtstag (1989)
Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur
Festschrift Reichsgericht
Festschrift Reichsjustizamt Festschrift Rengier Festschrift Richterakademie Festschrift Rieß Festschrift Richter Festschrift Rissing-van Saan Festschrift Rittler Festschrift Rogall Festschrift Rolinski Festschrift Rosenfeld Festschrift Rössner Festschrift Roxin (2001) Festschrift Roxin (2011) Festschrift Imme Roxin Festschrift Rudolphi Festschrift Salger
Festschrift Samson Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift
Sarstedt Sauer G. Schäfer K. Schäfer Schaffstein Schewe
Festschrift Festschrift stein Festschrift Festschrift
W. Schiller Schleswig-HolSchlothauer Schlüchter
Festschrift N. Schmid Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift
R. Schmid Eb. Schmidt Schmidt-Leichner Schmitt Schneider
Festschrift Schöch Festschrift Schreiber Festschrift Schroeder Festschrift Schünemann
Die Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben, Festgabe der juristischen Fakultäten zum 50-jährigen Bestehen des Reichsgerichts, Bd. 5, Strafrecht und Strafprozeß (1929) Vom Reichsjustizamt zum Bundesministerium der Justiz, Festschrift zum 100jährigen Gründungstag des Reichsjustizamtes am 1.1.1877 (1977) Festschrift für Rudolf Rengier zum 70. Geburtstag (2018) Justiz und Recht: Festschrift aus Anlaß des 10-jährigen Bestehens der Deutschen Richterakademie in Trier (1983) Festschrift für Peter Rieß zum 70. Geburtstag (2002) Verstehen und Widerstehen: Festschrift für Christian Richter II zum 65. Geburtstag (2006) Festschrift für Ruth Rissing-van Saan zum 65. Geburtstag (2011) Festschrift für Theodor Rittler zu seinem 80. Geburtstag (1957) Systematik in Strafrechtswissenschaft und Gesetzgebung: Festschrift für Klaus Rogall zum 70. Geburtstag am 10. August 2018 (Schriften zum Strafrecht) (2018) Festschrift für Klaus Rolinski zum 70. Geburtstag (2002) Festschrift für Ernst Heinrich Rosenfeld zu seinem 80. Geburtstag (1949) Über allem: Menschlichkeit – Festschrift für Dieter Rössner zum 70. Geburtstag (2015) Festschrift für Claus Roxin zum 70. Geburtstag (2001) Strafrecht als Scientia Universalis: Festschrift für Claus Roxin zum 80. Geburtstag (2011) Festschrift für Imme Roxin zum 75. Geburtstag (2012) Festschrift für Hans-Joachim Rudolphi zum 70. Geburtstag (2004) Straf- und Strafverfahrensrecht, Recht und Verkehr, Recht und Medizin: Festschrift für Hannskarl Salger zum Abschied aus dem Amt als Vizepräsident des Bundesgerichtshofes (1995) Recht – Wirtschaft – Strafe: Festschrift für Erich Samson zum 70. Geburtstag (2010) Festschrift für Werner Sarstedt zum 70. Geburtstag (1981, Nachdruck 2014) Festschrift für Wilhelm Sauer zu seinem 70. Geburtstag (1949) NJW-Sonderheft für Gerhard Schäfer zum 65. Geburtstag (2002) Festschrift für Karl Schäfer zum 80. Geburtstag (1980, Nachdruck 2019) Festschrift für Friedrich Schaffstein zum 70. Geburtstag (1975) Medizinrecht – Psychopathologie – Rechtsmedizin: diesseits und jenseits der Grenzen von Recht und Medizin, Festschrift für Günter Schewe zum 60. Geburtstag (1991) Festschrift für Wolf Schiller zum 65. Geburtstag (2014) Strafverfolgung und Strafverzicht: Festschrift zum 125-jährigen Bestehen der Staatsanwaltschaft Schleswig-Holstein (1992) Festschrift für Reinhold Schlothauer zum 70. Geburtstag (2018) Freiheit und Verantwortung in schwieriger Zeit: kritische Studien aus vorwiegend straf(prozeß)rechtlicher Sicht zum 60. Geburtstag von Ellen Schlüchter (1998) Wirtschaft und Strafrecht: Festschrift für Niklaus Schmid zum 65. Geburtstag (2001) Recht, Justiz, Kritik: Festschrift für Richard Schmid zum 85. Geburtstag (1985) Festschrift für Eberhard Schmidt zum 70. Geburtstag (1961) Festschrift für Erich Schmidt-Leichner zum 65. Geburtstag (1977) Festschrift für Rudolf Schmitt zum 70. Geburtstag (1992) Kriminologie an der Schwelle zum 21. Jahrhundert: Festschrift für Hans Joachim Schneider zum 70. Geburtstag (1998, Nachdruck 2011) Festschrift für Heinz Schöch zum 70. Geburtstag (2010) Strafrecht, Biorecht, Rechtsphilosophie: Festschrift für Hans-Ludwig Schreiber zum 70. Geburtstag (2003) Festschrift für Friedrich-Christian Schroeder zum 70. Geburtstag (2006) Streitbare Strafrechtswissenschaft: Festschrift für Bernd Schünemann zum 70. Geburtstag (2014)
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Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur
Festschrift Schüler-Springorum Festschrift Schwind Festschrift Schwinge Festschrift Seebode Festschrift Sendler Festschrift Spendel Festschrift Spinellis Festschrift Steinhilper Festschrift Stock Festschrift Stöckel Festschrift Stree/Wessels Festschrift Stutte Festschrift Tiedemann Festschrift Trechsel Festschrift Triffterer Festschrift Tröndle Festschrift Tübingen
Festschrift Venzlaff Festschrift Volk Festschrift Vormbaum Festschrift Waseda Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift
Wassermann v. Weber Weber Welzel Widmaier
Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift
Wolf Wolff Wolter Würtenberger
Festschrift Würtenberger II Festschrift Würzburger Juristenfakultät Festschrift Zeidler Festschrift Zoll
XXXIX
Festschrift für Horst Schüler-Springorum zum 65. Geburtstag (1993) Kriminalpolitik und ihre wissenschaftlichen Grundlagen: Festschrift für Hans-Dieter Schwind zum 70. Geburtstag (2006) Persönlichkeit in der Demokratie: Festschrift für Erich Schwinge zum 70. Geburtstag (1973) Festschrift für Manfred Seebode zum 70. Geburtstag (2008) BürgerRichterStaat: Festschrift für Horst Sendler zum Abschied aus seinem Amt (1991) Festschrift für Günter Spendel zum 70. Geburtstag (1992) Die Strafrechtswissenschaft im 21. Jahrhundert: Festschrift für Dionysios Spinellis, 2 Bde. (2001) Kriminologie und Medizinrecht: Festschrift für Gernot Steinhilper zum 70. Geburtstag (2013) Studien zur Strafrechtswissenschaft: Festschrift für Ulrich Stock zum 70. Geburtstag (1966) Strafrechtspraxis und Reform: Festschrift für Heinz Stöckel zum 70. Geburtstag (2010) Beiträge zur Rechtswissenschaft: Festschrift für Walter Stree und Johannes Wessels zum 70. Geburtstag (1993) Jugendpsychiatrie und Recht: Festschrift für Hermann Stutte zum 70. Geburtstag (1979) Strafrecht und Wirtschaftsstrafrecht: Dogmatik, Rechtsvergleich, Rechtstatsachen; Festschrift für Klaus Tiedemann zum 70. Geburtstag (2008) Strafrecht, Strafprozessrecht und Menschenrechte: Festschrift für Stefan Trechsel zum 65. Geburtstag (2002) Festschrift für Otto Triffterer zum 65. Geburtstag (1996) Festschrift für Herbert Tröndle zum 70. Geburtstag (1989, Nachdruck 2020) Tradition und Fortschritt im Recht: Festschrift gewidmet der Tübinger Juristenfakultät zu ihrem 500-jährigen Bestehen 1977 von ihren gegenwärtigen Mitgliedern (1977) Forensische Psychiatrie – Entwicklungen und Perspektiven: Festschrift für Ulrich Venzlaff zum 85. Geburtstag (2006) In dubio pro libertate: Festschrift für Klaus Volk zum 65. Geburtstag (2009) Strafrecht und Juristische Zeitgeschichte – Symposium anlässlich des 70. Geburtstages von Thomas Vormbaum (2014) Recht in Ost und West: Festschrift zum 30-jährigen Jubiläum des Instituts für Rechtsvergleichung der Waseda-Universität (1988) Festschrift für Rudolf Wassermann zum 60. Geburtstag (1985) Festschrift für Hellmuth von Weber zum 70. Geburtstag (1963) Festschrift für Ulrich Weber zum 70. Geburtstag (2004) Festschrift für Hans Welzel zum 70. Geburtstag (1974) Strafverteidigung, Revision und die gesamten Strafrechtswissenschaften: Festschrift für Gunter Widmaier zum 70. Geburtstag (2008) Mensch und Recht: Festschrift für Erik Wolf zum 70. Geburtstag (1972) Festschrift für E. A. Wolff zum 70. Geburtstag (1998) Festschrift für Jürgen Wolter zum 70. Geburtstag (2013) Kultur, Kriminalität, Strafrecht: Festschrift für Thomas Würtenberger zum 70. Geburtstag (1977) Verfassungsstaatlichkeit im Wandel, Festschrift für Thomas Würtenberger zum 70. Geburtstag (2013) Raum und Recht: Festschrift 600 Jahre Würzburger Juristenfakultät (2002) Festschrift für Wolfgang Zeidler (1987) Rechtsstaat und Strafrecht: Festschrift für Andrzej Zoll zum 70. Geburtstag (2012)
Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur
Festschrift Zweibrücken Fischer Forster/Joachim Frank Freiburg-Symposium Freund/Rostalski AT Frisch, Vorsatz und Risiko Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten Frister Gallas, Beiträge Gedächtnisschrift Delitala Gedächtnisschrift Armin Kaufmann Gedächtnisschrift H. Kaufmann Gedächtnisschrift Keller Gedächtnisschrift Meurer Gedächtnisschrift K. Meyer Gedächtnisschrift Noll Gedächtnisschrift H. Peters Gedächtnisschrift Radbruch Gedächtnisschrift Schlüchter Gedächtnisschrift Schröder Gedächtnisschrift Seebode Gedächtnisschrift Tjong Gedächtnisschrift Vogler Gedächtnisschrift E. Weßlau Gedächtnisschrift Zipf Gimbernat et al.
Gössel I, II
Gössel/Dölling Gropp/Sinn AT Gropp Sonderbeteiligungen Grundfragen Haft AT, BT II Haft/Hilgendorf BT I Hanack-Symposium Hefendehl
Hefendehl Kollektive Rechtsgüter Heghmanns BT Heinrich vHH v. Heintschel-Heinegg Hilgendorf/Kudlich/Valerius
175 Jahre Pfälzisches Oberlandesgericht: 1815 Appellationshof, Oberlandesgericht 1990 (1990) Strafgesetzbuch und Nebengesetze, Kurzkommentar, 68. Aufl. (2021) Alkohol und Schuldfähigkeit (1997) Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich nebst dem Einführungsgesetz, 18. Aufl. (1931) s. Tiedemann Strafrecht, Allgemeiner Teil, 3. Aufl. (2019) (vormals Freund) Vorsatz und Risiko: Grundfragen des tatbestandsmäßigen Verhaltens und des Vorsatzes (1983) Tatbestandsmäßiges Verhalten und Zurechnung des Erfolgs (1988) Strafrecht Allgemeiner Teil, 9. Aufl. (2020) Beiträge zur Verbrechenslehre (1968) Gedächtnisschrift für (Studi in memoria di) Giacomo Delitala, 3 Bde. (1984) Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann (1989) Gedächtnisschrift für Hilde Kaufmann (1986) Gedächtnisschrift für Rolf Keller (2003) Gedächtnisschrift für Dieter Meurer (2002, Nachdruch 2014) Gedächtnisschrift für Karlheinz Meyer (1990, Nachdruck 2019) Gedächtnisschrift für Peter Noll (1984) Gedächtnisschrift für Hans Peters (1967) Gedächtnisschrift für Gustav Radbruch (1968) Gedächtnisschrift für Ellen Schlüchter (2002) Gedächtnisschrift für Horst Schröder (1978) Im Zweifel für die Freiheit: Gedächtnisschrift für Manfred Seebode (2015) Gedächtnisschrift für Zong Uk Tjong (1985) Gedächtnisschrift für Theo Vogler (2004) Gedächtnisschrift für Edda Weßlau (2016) Gedächtnisschrift für Heinz Zipf (1999) Internationale Dogmatik der objektiven Zurechnung und der Unterlassungsdelikte: Spanisch-Deutsches Symposium zu Ehren von Claus Roxin, hrsg. v. Gimbernat et al. (1995) Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1: Delikte gegen immaterielle Rechtsgüter des Individuums, 2. Aufl. (1999); Bd. 2: Straftaten gegen materielle Rechtsgüter des Individuums (1996) Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1: Straftaten gegen Persönlichkeits- und Gemeinschaftswerte, 2. Aufl. (2004) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 5. Auflage (2020) (vormals Gropp) Deliktstypen mit Sonderbeteiligung (1992) Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, hrsg. v. Schünemann (1984) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 9. Aufl. (2004); Besonderer Teil II, 8. Aufl. (2005) Strafrecht, Besonderer Teil I, 9. Aufl. (2009) s. Ebert Empirische Erkenntnisse, dogmatische Fundamente und kriminalpolitischer Impetus. Symposium für Bernd Schünemann zum 60. Geburtstag, hrsg. v. Hefendehl (2005) Kollektive Rechtsgüter im Strafrecht (2002) Strafrecht für alle Semester, Besonderer Teil (2009) Strafrecht AT, 6. Aufl. (2019) Strafgesetzbuch, Kommentar, hrsg. v. von Heintschel-Heinegg, 3. Aufl. (2018) s. vHH Handbuch des Strafrechts, Bd. 4: Strafrecht Besonderer Teil I (2019); Bd. 5: Strafrecht Besonderer Teil II (2020) XL
Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur
v. Hippel I, II HK-GS Hohmann/Sander Hruschka Jäger BT Jakobs AT Jescheck, Beiträge I, II
Jescheck/Weigend Joecks/Jäger Kienapfel/Höpfel/Kert Kienapfel, Urkunden Kindhäuser/Zimmerman Kindhäuser/Schramm Kindhäuser/Böse Kindhäuser/Hilgendorf Kindhäuser, Gefährdung Kindhäuser/Neumann/ Paeffgen Klesczewski AT, BT I/II/III
Klesczewski BT Köhler AT Kohlrausch/Lange Krey/Esser Krey/Hellmann/Heinrich BT 1, 2 Kühl AT Küper/Zopfs BT Küpper/Börner Lackner/Kühl Leipold/Tsambikakis/Zöller Leitner/Rosenau v. Liszt, Aufsätze v. Liszt/Schmidt AT, BT LK
Lutz Madrid-Symposium Manoledakis/Prittwitz Matheus Matt/Renzikowski Maurach AT, BT
XLI
Deutsches Strafrecht, Bd. 1 (1925), Bd. 2 (1930) Dölling/Duttge/König/Rössner, Gesamtes Strafrecht, Handkommentar, 4. Aufl. (2017) Strafrecht Besonderer Teil. BT I: Vermögensdelikte, 3. Aufl. (2011); BT II: Delikte gegen die Person und gegen die Allgemeinheit, 2. Aufl. (2011) Strafrecht nach logisch-analytischer Methode, 2. Aufl. (1988, Nachdruck 2011) Examens-Repetitorium Strafrecht Besonderer Teil, 9. Aufl. (2019) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1993) Strafrecht im Dienste der Gemeinschaft: ausgewählte Beiträge zur Strafrechtsreform, zur Strafrechtsvergleichung, zum internationalen Strafrecht, 1953–1979 (1980) (I); Beiträge zum Strafrecht 1980–1998 (1998) (II), jew. hrsg. v. Vogler Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. (1996) Strafgesetzbuch, Studienkommentar, 13. Aufl. (2021) (vormals Joecks) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 15. Aufl. (2016) (vormals Kienapfel) Urkunden und andere Gewährschaftsträger im Strafrecht (1967) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 9. Aufl. (2019) Strafrecht, Besonderer Teil I: Straftaten gegen Persönlichkeitsrechte, Staat und Gesellschaft, 9. Aufl. (2019) Strafrecht, Besonderer Teil II: Straftaten gegen Vermögensrechte, 11. Aufl. (2020) Strafgesetzbuch, Lehr- und Praxiskommentar, 8. Aufl. (2019) Gefährdung als Straftat (1989) s. NK Strafrecht, Allgemeiner Teil, 3. Aufl. (2017); Besonderer Teil I: Straftaten gegen die Person (2010); Besonderer Teil II: Vermögensdelikte (2011); Besonderer Teil III: Straftaten gegen Kollektivrechtsgüter (2012) Strafrecht Besonderer Teil – Lehrbuch zum Strafrecht der Bundesrepublik Deutschland (2016) Deutsches Strafrecht, Allgemeiner Teil (1997) Strafgesetzbuch mit Erläuterungen und Nebengesetzen, 43. Aufl. (1961, Nachdruck 2019) Deutsches Strafrecht, Allgemeiner Teil, 7. Aufl. (2021) Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1: Besonderer Teil ohne Vermögensdelikte, 17. Aufl. (2021); Bd. 2: Vermögensdelikte, 18. Aufl. (2021) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 8. Aufl. (2017) Strafrecht, Besonderer Teil, 10. Aufl. (2018) Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1: Delikte gegen Rechtsgüter der Person und Gemeinschaft, 4. Aufl. (2017) (vormals Küpper) Strafgesetzbuch mit Erläuterungen, 29. Aufl. (2018) s. AnwK Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, hrsg. v. Leitner/Rosenau (2017) Strafrechtliche Aufsätze und Vorträge, 2 Bde. (1925) Lehrbuch des deutschen Strafrechts, Allgemeiner Teil, 26. Aufl. (1932); Besonderer Teil, 25. Aufl. (1925) Strafgesetzbuch, Leipziger Kommentar, 12. Aufl. hrsg. v. Laufhütte/Rissing-van Saan/Tiedemann (2006 ff.); 13. Aufl. hrsg. v. Radtke/Rissing-van Saan/Rönnau/ Schluckebier (2018 ff.) Strafrecht AT, 15. Aufl. (2021) s. Schünemann/Suárez Strafrechtsprobleme an der Jahrtausendwende: Deutsch-Griechisches Symposium in Rostock 1999, hrsg. v. Manoledakis/Prittwitz (2000) Strafrecht BT 2, Nichtvermögensdelikte, 12 Aufl. (2020) Strafgesetzbuch, Kommentar, 2. Aufl. (2020) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 4. Aufl. (1971); Besonderer Teil, 5. Aufl. (1969) mit Nachträgen von 1970/71
Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur
Maurach/Zipf
Strafrecht, Allgemeiner Teil, Teilbd. 1: Grundlehren des Strafrechts und Aufbau der Straftat, 8. Aufl. (1992) Maurach/Gössel/Zipf Strafrecht, Allgemeiner Teil, Teilbd. 2: Erscheinungsformen des Verbrechens und Rechtsfolgen der Tat, 8. Aufl. (2014) Maurach/Schroeder/Maiwald Strafrecht, Besonderer Teil, Teilbd. 1: Straftaten gegen Persönlichkeits- und I, II Vermögenswerte, 10. Aufl. (2009); Teilbd. 2: Straftaten gegen Gemeinschaftswerte, 10. Aufl. (2013) Maurach/Schroeder/ Strafrecht, Besonderer Teil, Teilbd. 1: Straftaten gegen Persönlichkeits- und Maiwald/Hoyer/Momsen Vermögenswerte, 11. Aufl. (2019) H. Mayer AT Strafrecht, Allgemeiner Teil (1953) H. Mayer, Strafrecht Das Strafrecht des deutschen Volkes (1936) H. Mayer, Studienbuch Strafrecht, Allgemeiner Teil, Studienbuch (1967) Mezger, Strafrecht Strafrecht, Lehrbuch, 3. Aufl. (1949) (ergänzt durch: Moderne Wege der Strafrechtsdogmatik [1950]) Mitsch BT Strafrecht, Besonderer Teil: Vermögensdelikte, 3. Aufl. (2015) MK Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, hrsg. von Joecks/Miebach, 3. Aufl. (2017), 4. Aufl. (2020 ff.) Naucke Strafrecht, Eine Einführung, 11. Aufl. (2008) Niederschriften I–XIV Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, 14 Bde. (1956–1960) Niethammer Lehrbuch des Besonderen Teils des Strafrechts (1950) Niggli/Queloz Strafjustiz und Rechtsstaat: Symposium zum 60. Geburtstag von Franz Riklin und José Hurtado Pozo, hrsg. v. Niggli/Queloz (2003) NK Nomos-Kommentar zum Strafgesetzbuch, hrsg. von Kindhäuser/Neumann/ Paeffgen, 5. Aufl. (2017) NK-WSS Nomos Kommentar zum Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 1. Aufl. (2017) Oehler Internationales Strafrecht, 2. Aufl. (1983) v. Olshausen Kommentar zum Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 12. Aufl. (§§ 1–246) bearb. von Freiesleben u. a. (1942 ff.); sonst 11. Aufl. bearb. von Lorenz u. a. (1927) Otto AT, BT Grundkurs Strafrecht: Allgemeine Strafrechtslehre/Die einzelnen Delikte, jeweils 7. Aufl. (2005) Pfeiffer/Maul/Schulte Strafgesetzbuch, Kommentar an Hand der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (1969) Preisendanz Strafgesetzbuch, Lehrkommentar, 30. Aufl. (1978) Puppe Strafrecht Allgemeiner Teil im Spiegel der Rechtsprechung, 4. Aufl. (2019) Rengier AT, BT 1, 2 Strafrecht, Allgemeiner Teil, 12. Aufl. (2020); Besonderer Teil, Bd. 1: Vermögensdelikte, 23. Aufl. (2021); Bd. 2: Delikte gegen die Person und die Allgemeinheit, 22. Aufl. (2021) Riklin-Hurtado-Symposium s. Niggli/Queloz Rostock-Symposium s. Manoledakis/Prittwitz Roxin/Greco AT I Strafrecht, Allgemeiner Teil, Bd. 1: Grundlagen – Der Aufbau der Verbrechenslehre, 5. Aufl. (2020) (vormals Roxin) Roxin AT II Strafrecht, Allgemeiner Teil, Bd. 2: Besondere Erscheinungsformen der Straftat (2003) Roxin TuT Täterschaft und Tatherrschaft, 10. Aufl. (2019) Roxin/Arzt/Tiedemann Einführung in das Strafrecht und Strafprozessrecht, 6. Aufl. (2014) Roxin-Symposium s. Gimbernat Sack Umweltschutz-Strafrecht, Erläuterung der Straf- und Bußgeldvorschriften, Loseblattausgabe, 45. Aktualisierung (März 2020) Safferling Internationales Strafrecht (2011) Satzger/Schluckebier/ s. SSW Widmaier Sauer AT, BT Allgemeine Strafrechtslehre, 3. Aufl. (1955); System des Strafrechts, Besonderer Teil (1954) Schäfer/v. Dohnanyi Die Strafgesetzgebung der Jahre 1931 bis 1935 (1936) (Nachtrag zur 18. Aufl. von Frank: das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich [1931])
XLII
Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur
Schmidt AT, BT I, BT II Schmidt-Salzer Schmidhäuser Schmidhäuser AT, BT, StuB
Strafrecht, Allgemeiner Teil, Besonderer Teil I und II, jeweils 21. Aufl. (2019) Produkthaftung, Bd. 1: Strafrecht, 2. Aufl. (1988) Einführung in das Strafrecht, 2. Aufl. (1984) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1975); Besonderer Teil, 2. Aufl. (1983); Studienbuch: Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1984) Schöch Wiedergutmachung und Strafrecht: Symposium aus Anlaß des 80. Geburtstages von Friedrich Schaffstein, hrsg. v. Schöch (1987) Schönke/Schröder Strafgesetzbuch, Kommentar, 30. Aufl. (2019) Schramm Internationales Strafrecht, 2. Aufl. (2018) Schroth BT Strafrecht, Besonderer Teil, 5. Aufl. (2010) Schünemann/de Figueiredo Bausteine des Europäischen Strafrechts: Coimbra-Symposium für Claus Roxin, Dias hrsg. v. Schünemann/de Figueiredo Dias (1995) Schünemann/Suárez Bausteine des europäischen Wirtschaftsstrafrechts: Madrid-Symposium für Klaus Tiedemann, hrsg. v. Schünemann/Suárez (1994) Sieber Verantwortlichkeit im Internet (1999) Sieber/Cornils Nationales Strafrecht in rechtsvergleichender Darstellung, hrsg. von Sieber/Cornils (2008 ff.) SK Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch, 9. Aufl. (2017) sLSK Systematischer Leitsatzkommentar zum Sanktionenrecht, hrsg. v. Horn, Loseblattausgabe (1983 ff.) Sonnen Strafrecht Besonderer Teil (2005) SSW Strafgesetzbuch, Kommentar, hrsg. v. Satzger/Schluckebier/Widmaier, 5. Aufl. (2020) Stratenwerth/Kuhlen AT Strafrecht, Allgemeiner Teil – Die Straftat, 6. Aufl. (2011) Tendenzen der Kriminalpoli- Neuere Tendenzen der Kriminalpolitik, Beiträge zu einem deutsch-skandinavischen tik Strafrechtskolloquium, hrsg. v. Cornils/Eser (1987) Tiedemann Wirtschaftsstrafrecht in der Europäischen Union, Rechtsdogmatik – Rechtsvergleich – Rechtspolitik (Freiburg-Syposium), hrsg. v. Tiedemann (2002) Tiedemann, Anfängerübung Die Anfängerübung im Strafrecht, 4. Aufl. (1999) Tiedemann, Tatbestandsfunk- Tatbestandsfunktionen im Nebenstrafrecht (1969) tionen Tiedemann-Symposium s. Schünemann/Suárez Walter Der Kern des Strafrechts (2006) v. Weber Grundriß des deutschen Strafrechts, 2. Aufl. (1948) Welzel, Strafrecht Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl. (1969) Welzel, Strafrechtssystem Das neue Bild des Strafrechtssystems, 4. Aufl. (1961) Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht, Allgemeiner Teil, 50. Aufl. (2020) Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht, Besonderer Teil 1: Straftaten gegen Persönlichkeits- und Gemeinschaftswerte, 44. Aufl. (2020) Wessels/Hillenkamp/Schuhr Strafrecht, Besonderer Teil 2: Straftaten gegen Vermögenswerte, 43. Aufl. (2020) WK Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch – StGB; hrsg. v. Höpfl/Ratz, Loseblatt, 2. Aufl. (1999 ff.) Wohlers Deliktstypen Deliktstypen des Präventionsrechts – Zur Dogmatik „moderner“ Gefährdungsdelikte (2000) Wolters Das Unternehmensdelikt (2001) Zieschang AT Strafrecht, Allgemeiner Teil, 6. Aufl. (2020) Zieschang, GefährdungsdeDie Gefährdungsdelikte (1998) likte
2. Betäubungsmittelstrafrecht Franke/Wienroeder Joachimski/Haumer
XLIII
Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, 3. Aufl. (2007) Betäubungsmittelgesetz (mit ergänzenden Bestimmungen), Kommentar, 7. Aufl. (2015)
Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur
Körner/Patzak/Volkmer Webel Weber
Betäubungsmittelgesetz, Kurzkommentar, 9. Aufl. (2019) Betäubungsmittelstrafrecht (2003) Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, 5. Aufl. (2017)
3. Bürgerliches Recht einschließlich Versicherungsrecht Bruck/Möller Erman Jauernig Larenz/Wolf MK-BGB MK-VVG Neuner Palandt Prütting/Wegen/Weinreich RGRK
HK-BGB
Soergel Staudinger
Großkommentar zum Versicherungsvertragsgesetz, 9. Aufl. (2008 ff.), 10. Aufl. (2021 ff.) Handkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 16. Aufl. (2020) Bürgerliches Gesetzbuch: BGB, 18. Aufl. (2021) s. Wolf/Neuner Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 7. Aufl. (ab 2015) und 8. Aufl. (ab 2018) beide hrsg. von Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg Münchener Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz, hrsg. v. Langheid/ Wandt, 2. Aufl. (2016) Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 12. Aufl. (2020) Bürgerliches Gesetzbuch mit Einführungsgesetz (Auszug), 80. Aufl. (2021) BGB Kommentar, 16. Aufl. (2021) Das Bürgerliche Gesetzbuch, Kommentar, mit besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofes (Reichsgerichtsrätekommentar), hrsg. v. Mitgliedern des Bundesgerichtshofes, 12. Aufl. (1975–1999) Schulze/Dörner/Ebert/Hoeren/Kemper/Saenger/Scheuch/Schreiber/SchulteNölke/Staudinger/Wiese, Bürgerliches Gesetzbuch, Handkommentar, 10. Aufl. (2019) Bürgerliches Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, 13. Aufl. (1999 ff.) J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, 13. Aufl. Bearbeitungen (1993 ff.)
4. DDR-Strafrecht StGB-Komm.-DDR StGB-Lehrb.-DDR AT, BT StGB-Lehrb.-DDR 1988 StPO-Komm.-DDR StPO-Lehrb.-DDR
Strafrecht der Deutschen Demokratischen Republik, Kommentar, 5. Aufl. (1987) Strafrecht der DDR, Lehrbuch: Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1976); Besonderer Teil (1981) Strafrecht der DDR, Lehrbuch, Allgemeiner Teil (1988) Strafprozeßrecht der Deutschen Demokratischen Republik, Kommentar, 3. Aufl. (1989) Strafverfahrensrecht, Lehrbuch, 3. Aufl. (1987)
5. Europäisches Recht Bleckmann Geiger/Khan/Kotzur GKK GKN Grabitz/Hilf/Nettesheim Hailbronner/Klein/Magiera/ Müller-Graff
Europarecht, 6. Aufl. (1997) s. GKK EUV/AEUV, Kommentar, hrsg. v. Geiger/Khan/Kotzur, 6. Aufl. (2017) Das Recht der Europäischen Union, Kommentar, Loseblattausgabe, hrsg. v. Grabitz/Hilf/Nettesheim, 72. Aufl. (2021) s. GKN s. HKMM
XLIV
Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur
HKMM HdEuropR Hecker Hobe/Fremuth IM EG Immenga/Mestmäcker EG Satzger Schwarze Schweitzer/Hummer Sieber/Satzger/v. H.-Heinegg SSvHH Streinz
Handkommentar zum Vertrag über die Europäische Union (EUV/EGV), hrsg. v. Hailbronner/Klein/Magiera/Müller-Graff, Loseblattausgabe (1991 ff.) Handbuch des Europäischen Rechts, Loseblattausgabe, hrsg. v. Ehlermann/Bieber/ Haag, 714. Lfg. (2021) Europäisches Strafrecht, 5. Aufl. (2015) Europarecht, 10. Aufl. (2020) (vormals Fremuth) Wettbewerbsrecht: Band 1. EU, 2 Teilbände., hrsg. v. Immenga/Mestmäcker, 5. Aufl. (2012); Nachtrag zu Teilband 1 (2014); 6. Aufl. (ab 2019) s. IM EG Internationales und Europäisches Strafrecht, 9. Aufl. (2020) EU-Kommentar, hrsg. v. Schwarze/Becker/Hatje/Schoo, 4. Aufl. (2019) Europarecht, 6. Aufl. (2008) s. SSvHH Europäisches Strafrecht, hrsg. v. Sieber/Satzger/v. Heintschel-Heinegg, 2. Aufl. (2014) Europarecht, 11. Aufl. (2019)
6. Handelsrecht einschließlich Bilanz- und Gesellschaftsrecht Baumbach/Hopt Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn Großfeld/Luttermann Habersack/Casper/Löbbe Hachenburg Heymann GK-AktG Hüffer/Koch MK-HGB Schmidt/Lutter Scholz Staub Ulmer/Habersack/Löbbe UHL
Handelsgesetzbuch: HGB mit GmbH & Co., Handelsklauseln, Bank- und Börsenrecht, Transportrecht, 40. Aufl. (2021) Handelsgesetzbuch, 4. Aufl. (2020) Bilanzrecht, 4. Aufl. (2009) GmbHG Großkommentar in 3 Bänden, hrsg. von Habersack/Casper/Löbbe, Band 1: Einleitung, §§ 1–28, 3. Aufl. (2019) GmbHG, Kommentar, 8. Aufl. (1993 bis 1997) HGB, Kommentar, 2. Aufl. (2004), 3. Aufl. (ab 2019) Großkommentar zum Aktiengesetz, 4. Aufl. hrsg. v. Hopt/Wiedemann (1992 ff.); 5. Aufl. hrsg. v. Hirte/Mülbert/Roth (2015 ff.) Aktiengesetz: AktG, Kommentar, 15. Aufl. (2021) Münchener Kommentar zum Handelsgesetzbuch, hrsg. v. K. Schmidt, 4. Aufl. (2016 ff.); 5. Auflage (2021 ff.) AktG Kommentar in 2 Bänden, 4. Aufl. (2020) Kommentar zum GmbH-Gesetz in 3 Bänden, 12. Aufl. (2018 ff.) Großkommentar zum HGB, 6. Aufl. (2021 ff.) s. UHL GmbHG Großkommentar in 2 Bänden, hrsg. v. Ulmer/Habersack/Löbbe, 2. Aufl. (2016)
7. Jugendstrafrecht AK JGG Beulke/Swoboda Brunner Brunner/Dölling Böhm/Feuerhelm Diemer/Schatz/Sonnen Eisenberg/Kölbel JGG
XLV
Kommentar zum Jugendgerichtsgesetz – Reihe Alternativkommentare, hrsg. v. Wassermann (1987) Jugendstrafrecht, 16. Aufl. (2020) (vormals Schaffstein/Beulke/Swoboda) Jugendgerichtsgesetz, Kommentar, 9. Aufl. (1991) Jugendgerichtsgesetz, Kommentar, 13. Aufl. (2017) Einführung in das Jugendstrafrecht, 4. Aufl. (2004) Jugendgerichtsgesetz mit Jugendstrafvollzugsgesetzen, Kommentar, 8. Aufl. (2020) Jugendgerichtsgesetz, Kommentar, 22. Aufl. (2021)
Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur
Laubenthal/Baier/Nestler Ostendorf JGG Streng Walter/Neubacher
Jugendstrafrecht, 3. Aufl. (2015) Jugendgerichtsgesetz, Kommentar, 11. Aufl. (2021) Jugendstrafrecht, 5. Aufl. (2020) Jugendkriminalität: eine systematische Darstellung, 4. Aufl. (2011)
8. Kriminologie Albrecht Dittmann/Jehle Eisenberg/Kölbel Göppinger Göppinger HwbKrim
IntHdbKrim Kaiser/Schöch/Kinzig Kaiser, Einführung Meier Mezger, Kriminologie Schneider Schneider, Kriminologie Schwind
Kriminologie, 4. Aufl. (2010) Kriminologie zwischen Grundlagenwissenschaften und Praxis, hrsg. v. Dittmann/ Jehle (2003) Kriminologie, 7. Aufl. (2017) (vormals Eisenberg) Kriminologie, 4. Aufl. (1980) Kriminologie, hrsg. v. Göppinger/Bock, 6. Aufl. (2008) Handwörterbuch der Kriminologie, hrsg. v. Sieverts/Schneider, Bd. 1–3, Ergänzungsband (4. Bd.), Nachtrags- und Registerband (5. Bd.), 2. Aufl. (1966– 1998) Internationales Handbuch der Kriminologie, hrsg. v. H.-J. Schneider, Bd 1 (2007); Bd 2 (2009) Kriminologie, Jugendstrafrecht, Strafvollzug, hrsg. v. Schöch/Kinzig, 8. Aufl. (2015) Kriminologie: eine Einführung in die Grundlagen, 10. Aufl. (1997) Kriminologie, 6. Aufl. (2021) Kriminologie, Studienbuch (1951) Kriminologie, Lehrbuch, 3. Aufl. (1992) Kriminologie: Ein internationales Handbuch (2014) Kriminologie und Kriminalpolitik, 23. Aufl. (2016)
9. Ordnungswidrigkeitenrecht Bülte Göhler HK-OWiG KK-OWiG Krenberger/Krumm Mitsch, OWiG Rebmann/Roth/Hermann
Ordnungswidrigkeitenrecht, 6. Aufl. (2020) (vormals Bohnert/Bülte) Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, Kurzkommentar, 18. Aufl. (2021) Heidelberger Kommentar zum Ordnungswidrigkeitengesetz, hrsg. v. Lemke u. a., 2. Aufl. (2005) Karlsruher Kommentar zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten: OWiG, hrsg. v. Mitsch, 5. Aufl. (2018) OWiG Ordnungswidrigkeitengesetz, Kommentar, 6. Aufl. (2020) (vormals Bohnert/ Krenberger/Krumm) Recht der Ordnungswidrigkeiten, 2. Aufl. (2005) Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, Kommentar, Loseblattausgabe, 29. Aktualisierung (Oktober 2020)
10. Presserecht Groß Löffler Löffler HdB Ricker/Weberling Soehring/Hoene
Presserecht, 3. Aufl. (1999) Presserecht, Kommentar, 6. Aufl. (2015) s. Ricker/Weberling Handbuch des Presserechts, begr. v. Löffler, hrsg. v. Ricker/Weberling, 7. Aufl. (2021) Presserecht, 6. Aufl. (2019) (vormals Soehring)
XLVI
Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur
11. Rechtshilfe Grützner/Pötz/Kreß/Gazeas Schomburg/Lagodny/Gleß/ Hackner Schomburg/Lagodny Vogler/Wilkitzki
Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, Loseblattausgabe, 51. Aktualisierung (2021) Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Aufl. (2020) Internationale Rechtshilfe in Strafsachen = International Cooperation in Criminal Matters, 6. Aufl. (2020) Gesetz über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG), Kommentar, Loseblattausgabe (1992 ff.) als Sonderausgabe aus Grützner/Pötz, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 2. Aufl. (1980 ff.)
12. Rechtsmedizin und Medizinstrafrecht Forster Forster/Ropohl Frister/Lindemann/Peters HfPsych I, II
Laufs Laufs/Katzenmeier/Lipp Laufs/Kern/Rehborn Rieger Roxin/Schroth Spickhoff Ulsenheimer/Gaede Venzlaff/Foerster/Dreßing/ Habermeyer Wenzel
Praxis der Rechtsmedizin (1986) Rechtsmedizin, 5. Aufl. (1989) Arztstrafrecht (2011) Handbuch der forensischen Psychiatrie, hrsg. v. Kröber/Dölling/Leygraf/Saß, Bd. 1: Strafrechtliche Grundlagen der Gutachtenerstellung im Strafverfahren (2007); Bd. 2: Psychopathologische Grundlagen und Praxis der forensischen Psychiatrie im Strafrecht (2011); Bd. 3: Psychiatrische Kriminalprognose und Kriminaltherapie (2006); Bd. 4: Kriminologie und forensische Psychiatrie (2009); Bd. 5: Forensische Psychiatrie im Privatrecht und Öffentlichen Recht (2009) Fortpflanzungsmedizin und Arztrecht (1992) Arztrecht, hrsg. v. Katzenmeier/Lipp, 8. Aufl. (2021) Handbuch des Arztrechts, hrsg. v. Kern/Rehborn, 5. Aufl. (2019) Lexikon des Arztrechts, hrsg. v. Rieger/Dahm/Steinhilper Loseblatt (2004) Handbuch des Medizinstrafrechts, hrsg. v. Roxin/Schroth, 4. Aufl. (2010) Medizinrecht, hrsg. v. Spickhoff, 3. Aufl. (2018) Arztstrafrecht in der Praxis, 6. Aufl. (2020) (vormals Ulsenheimer) Psychiatrische Begutachtung, hrsg. v. Dreßing/Habermeyer, 7. Aufl. (2020) Medizinrecht, hrsg. v. Wenzel, 4. Aufl. (2019)
13. Strafprozess und Strafvollzugsrecht AK-StPO
AK-StVollzG Arloth/Krä BeckOK-StPO Beulke Beulke/Swoboda Bringewat Calliess/Müller-Dietz Eisenberg Hamm/Pauly HK-StPO Isak/Wagner
XLVII
Kommentar zur Strafprozeßordnung – Reihe Alternativkommentare, hrsg. v. Wassermann, Bd. 1 (1988), Bd. 2 Teilbd. 1 (1992), Bd. 2 Teilbd. 2 (1993), Bd. 3 (1996) Kommentar zum Strafvollzugsgesetz – Reihe Alternativkommentare, hrsg. v. Wassermann, 3. Aufl. (1990) Strafvollzugsgesetze, Kommentar, 4. Aufl. (2017) Beck’scher Online-Kommentar StPO, hrsg. v. Graf, 39. Edition (2021) Strafprozessrecht, 13. Aufl. (2016) Strafprozessrecht, 15. Aufl. (2020) Strafvollstreckungsrecht: Kommentar zu den §§ 449–463d StPO (1993) s. Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel Beweisrecht der StPO, Spezialkommentar, 10. Aufl. (2017) Die Revision in Strafsachen, 8. Aufl. (2020) Heidelberger Kommentar zur Strafprozessordnung, hrsg. v. Gercke/Julius/ Temming/Zöller, 6. Aufl. (2019) s. Röttle/Wagner
Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur
Joecks/Jäger Kamann Kammeier/Pollähne Kissel/Mayer KK Kleinknecht/Meyer-Goßner KMR
Kramer Kühne Laubenthal/Nestler/ Neubacher/Verrel LNNV
LR Marschner/Lesting/ Stahmann Meyer-Goßner/Schmitt Müller Peters Pfeiffer Pohlmann/Jabel/Wolf Putzke/Scheinfeld Röttle/Wagner Roxin/Schünemann Roxin/Arzt/Tiedemann Saage/Göppinger Sarstedt/Hamm Satzger/Schluckebier/ Widmaier Schäfer, Strafverfahren Schäfer/Sander/van Gemmeren Schätzler Eb. Schmidt, Lehrkommentar I–III
Schwind/Böhm/Jehle/ Laubenthal SK-StPO SSW-StPO Ulrich Volckart/Grünebaum Volk/Engländer Walter, Strafvollzug
Studienkommentar StPO, 5. Aufl. (2021) Handbuch für die Strafvollstreckung und den Strafvollzug, 2. Aufl. (2008) Maßregelvollzugsrecht, Kommentar, 4. Aufl. (2018) Gerichtsverfassungsgesetz, 10. Aufl. (2021) Karlsruher Kommentar, Strafprozessordnung – GVG, EGGVG, EMRK, hrsg. v. Hannich, 8. Aufl. (2019) s. Meyer-Goßner/Schmitt Kleinknecht/Müller/Reitberger (Begr.), Kommentar zur Strafprozeßordnung, Loseblattausgabe, 8. Aufl. (1990 ff.), ab 81. Lfg. hrsg. von v. Heintschel-Heinegg/ Bockemühl Grundlagen des Strafverfahrensrechts: Ermittlung und Verfahren, 9. Aufl. (2021) Strafprozessrecht (ehem. Strafprozeßlehre) 9. Aufl. (2015) s. LNNV Strafvollzugsgesetz, Kurzkommentar, hrsg. v. Laubenthal/Nestler/Neubacher/ Verrel, 12. Aufl. (2015) (begr. und bis zur 11. Aufl. fortgeführt von Callies/MüllerDietz) Löwe-Rosenberg, Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz mit Nebengesetzen, Großkommentar, 26. Aufl. (2006 ff.), 27. Aufl. (2016 ff.) Freiheitsentziehung und Unterbringung, 6. Aufl. (2019) (vormals Marschner/ Volckart/Lesting; Saage/Göppinger) Strafprozessordnung mit GVG und Nebengesetzen, Kurzkommentar, 64. Aufl. (2021) (vormals Kleinknecht/Meyer-Goßner) Beiträge zum Strafprozessrecht (2003) Strafprozeß, Ein Lehrbuch, 4. Aufl. (1985) Strafprozeßordnung und Gerichtsverfassungsgesetz, 5. Aufl. (2005) Strafvollstreckungsordnung, Kommentar, 9. Aufl. (2015) Strafprozessrecht, 8. Aufl. (2019) Strafvollstreckung, 8. Aufl. (2009); (vormals Wetterich/Hamann; Isak/Wagner) Strafverfahrensrecht, 29. Aufl. (2017) Strafrecht und Strafprozessrecht, 6. Aufl. (2014) s. Marschner/Volckart s. Hamm s. SSW-StPO Die Praxis des Strafverfahrens, 6. Aufl. (2000), 7. Aufl. (2018) Die Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl. (2017) Handbuch des Gnadenrechts, 2. Aufl. (1992) Strafprozeßordnung, Lehrkommentar, Bd. 1: Die rechtstheoretischen und die rechtspolitischen Grundlagen des Strafverfahrensrechts, 2. Aufl. (1964); Bd. 2: Erläuterungen zur Strafprozeßordnung und zum Einführungsgesetz zur Strafprozeßordnung (1957) (mit Nachtragsband 1 [1967] und 2 [1970]); Bd. 3: Erläuterungen zum Gerichtsverfassungsgesetz und zum Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz (1960) Strafvollzugsgesetze, Kommentar, 7. Auflage (2020) Systematischer Kommentar zur Strafprozessordnung mit GVG und EMRK, hrsg. v. Wolter, Loseblattausgabe (1986 ff., 5. Aufl. 2016 ff.) Strafprozessordnung, Kommentar, hrsg. v. Satzger/Schluckebier/Widmaier, 4. Aufl. (2020) Der gerichtliche Sachverständige, 12. Aufl. (2007), (vormals Jessnitzer/Ulrich) Maßregelvollzug, 8. Aufl. (2015) Grundkurs StPO, 9. Aufl. (2018) Strafvollzug, 2. Aufl. (1999)
XLVIII
Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur
14. Straßenverkehrsrecht Bär/Hauser/Lehmpuhl Beck/Berr/Schäpe Berz/Burmann Burmann/Heß/Hühnermann/ Jahnke Cramer Full/Möhl/Rüth Hentschel/König/Dauer Haus/Krumm/Quarch Hentschel Hentschel/Born Hentschel/Krumm Himmelreich/Hentschel Himmelreich/Staub/Krumm/ Nissen HKD HK-StVR Hentschel/König/Dauer Janker Jagow/Burmann/Heß Jagusch/Hentschel Janiszewski Janiszewski/Jagow/Burmann JBH MK-StVR Müller I–III Rüth/Berr/Berz
Unfallflucht, Kommentar, Loseblattausgabe (1978 ff.) OWi – Sachen im Straßenverkehrsrecht, 7. Aufl. (2017) (vormals Beck/Berr) Handbuch des Straßenverkehrsrechts, hrsg. von Burmann/Heß, Loseblattausgabe, 43. Lfg. (2021) Straßenverkehrsrecht, Kommentar, 26. Aufl. (2020), hrsg. v. Burmann/Heß/ Hühnermann/Jahnke (vormals Jagow/Burmann/Heß) Straßenverkehrsrecht, Bd. 1: StVO, StGB, 2. Aufl. (1977) Straßenverkehrsrecht: Kommentar (1980) mit Nachtrag (1980/81) s. HKD Gesamtes Verkehrsrecht, hrsg. von Haus/Krumm/Quarch, 2. Aufl. (2017) Trunkenheit, Fahrerlaubnisentziehung, Fahrverbot im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht, 10. Aufl. (2006) Trunkenheit im Straßenverkehr, 7. Aufl. (1996) Fahrerlaubnis – Alkohol – Drogen im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht, 7. Aufl. (2018) Fahrverbot, Führerscheinentzug; Bd. 1: Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht, 8. Aufl. (1995) Verkehrsunfallflucht: Verteidigerstrategien im Rahmen des § 142 StGB-mit Auslandsteil, 7. Aufl. (2019) (vormals Himmelreich/Bücken/Krumm) Straßenverkehrsrecht, hrsg. v. Hentschel/König/Dauer, 46. Aufl. (2021) (vormals Jagusch/Hentschel) Heidelberger Kommentar zum Straßenverkehrsrecht, hrsg. v. Griesbaum u. a. (1993) s. HKD Straßenverkehrsdelikte: Ansatzpunkte für die Verteidigung (2002) s. Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke s. HKD Verkehrsstrafrecht, 5. Aufl. (2004) s. Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke s. Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke Münchener Kommentar zum Straßenverkehrsrecht, hrsg. von Bender/König (2016 ff.) Straßenverkehrsrecht, Großkommentar, 22. Aufl., Bd. 1 (1969) mit Nachtrag 1969, Bd. 2 (1969), Bd. 3 (1973) Straßenverkehrsrecht, Kommentar, 2. Aufl. (1988)
15. Verfassungsrecht und Verwaltungsrecht AK-GG Battis BK Clemens/Scheuring/ Steingen/Wiese Dreier I–III Friauf Fuhr/Stahlhacke HdStR I–XIII
Jarass/Pieroth
XLIX
Alternativkommentar Grundgesetz, hrsg. v. Wassermann, 3. Aufl. (2001) Bundesbeamtengesetz, Kommentar, 5. Aufl. (2017) Bonner Kommentar zum Grundgesetz (Bonner Kommentar), Loseblattausgabe, hrsg. v. Kahl/Waldhoff/Walter (211. Lfg. 2021) s. TVöD Grundgesetz, Kommentar, 3. Aufl. (Bd. 1: 2013; Bd. 2: 2015; Bd. 3: 2018) Kommentar zur Gewerbeordnung – GewO, Gewerberechtlicher Teil, Loseblattausgabe, hrsg. v. Friauf (2018) s. Friauf Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. v. Isensee/ Kirchhof, 3. Aufl (Bd. 1: 2003; Bd. 2: 2004; Bd. 3: 2005; Bd. 4: 2006; Bd. 5: 2007; Bd. 6: 2009; Bd. 7: 2009; Bd. 8: 2010; Bd. 9: 2011; Bd. 10: 2012; Bd. 11: 2013; Bd. 12: 2014; Bd. 13: 2015) Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland: Kommentar, 16. Aufl. (2020)
Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur
Kopp/Ramsauer Landmann/Rohmer I, II v. Mangoldt/Klein/Starck Maunz/Dürig Maunz/Schmidt-Bleibtreu/ Klein/Bethge MSBKB
Verwaltungsverfahrensgesetz, 22. Aufl. (2021) Gewerbeordnung und ergänzende Vorschriften, Kommentar, Loseblattausgabe, Bd. 1: Gewerbeordnung; Bd. 2: Ergänzende Vorschriften, jew. 85. Aufl. (2021) Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 1 (Art. 1–19), Bd. 2 (Art. 20–82), Bd. 3 (Art. 83– 146), 7. Aufl. (2018); früherer Titel: Das Bonner Grundgesetz Grundgesetz, Kommentar, Loseblattausgabe, 7. Aufl. (1991 ff.) (bearb. v. Badura u. a.), 94. Aufl. (2021) s. MSBKB
Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Kommentar, Loseblatt, hrsg. v. Maunz/SchmidtBleibtreu/Klein/Bethge, 60. Aufl. (2020) Klein/Ulsamer nunmehr: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge v. Münch/Kunig Grundgesetz, Kommentar, Gesamtwerk in 2 Bänden, 7. Aufl. (2021) Plog/Wiedow Kommentar zum Bundesbeamtengesetz, mit Beamtenversorgungsgesetz. 404. Lfg. (2019) Sachs Grundgesetz-Kommentar, 9. Auflage (2021) Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/ Kommentar zum Grundgesetz, 14. Aufl. (2017) Henneckef Schoch Besonderes Verwaltungsrecht, 15. Aufl. (2013) (vormals Schmid-Aßmann/Schoch) Stern I–V Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. (1984); Bd. 2 (1980); Bd. 3/1 (1988); Bd. 3/2 (1994); Bd. 4 (1997); Bd. 4/2 (2006); Bd. 5 (2000) TVöD Kommentar zum Tarifvertrag öffentlicher Dienst (TVöD), hrsg. v. Clemens/ Scheuring/Steingen/Wiese, Loseblattausgabe, 125. Lfg. (2021) Wolff/Bachof/Stober/Kluth Verwaltungsrecht, Band, 13. Aufl. (2017)
16. Wettbewerbs- und Kartellrecht Baumbach/Hefermehl Dreher/Kulka Emmerich/Lange Emmerich/Lange FK Kartellrecht [GWB]
Fezer/Büscher/Obergfell Immenga/Mestmäcker GWB Köhler/Bornkamm/ Feddersen Köhler/Piper Ohly/Sosnitza Rittner/Dreher
s. Köhler/Bornkamm Wettbewerbs – und Kartellrecht, 11. Aufl. (2021) (vormals Rittner/Dreher/Kulka) Kartellrecht, Studienbuch, 15. Aufl. (2021) (vormals Emmerich) Unlauterer Wettbewerb, 11. Auflage (2019) Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, mit Kommentierung des GWB, des EGKartellrechts und einer Darstellung ausländischer Kartellrechtsordnungen, hrsg. v. Glassen u. a., Loseblattausgabe, 99. Lfg. (2021) bis zur 44. Lfg. unter dem Titel: Frankfurter Kommentar zum Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Lauterkeitsrecht (Kommentar zum UWG) 2 Bände, 3. Aufl. (2016) Wettbewerbsrecht, Kommentar, hrsg. v. Immenga/Mestmäcker, 6. Aufl. (2020 f.) Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb UWG – mit PAngV, UKlaG, DLInfoV39. Aufl. (2021) (vormals Köhler/Bornkamm) s. Ohly/Sosnitza UWG – Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, Kommentar, 7. Aufl. (2016) Europäisches und deutsches Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. (2008)
17. Wirtschafts- und Steuerstrafrecht Achenbach/Ransiek/Rönnau ARR Belke/Oehmichen Bender/Möller/Retemeyer
s. ARR Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, hrsg. v. Achenbach/Ransiek/Rönnau, 5. Aufl. (2019) Wirtschaftskriminalität – aktuelle Fragen des Wirtschaftsstrafrechts in Theorie und Praxis (1983) Steuerstrafrecht – Mit Schwerpunkt Zoll- und Verbrauchssteuerstrafrecht, Loseblattausgabe, 51. Lfg. (2021)
L
Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur
Bittmann Dannecker/Knierim/Smok Eidam Franzen/Gast/Joecks Geilen, Aktienstrafrecht
GJW Graf/Jäger/Wittig Greeve/Leipold Hellmann Hübschmann/Hepp/Spitaler HHS HWiStR Ignor/Mosbacher Joecks/Jäger/Randt JJR Kempf/Lüderssen/Volk Klein Kohlmann Kohlmann GmbH Krekeler/Tiedemann/ Ulsenheimer/ Weinmann Kudlich/Oğlakcıoğlu Kühn/von Wedelstädt KvW MG Müller-Gugenberger Otto, Aktienstrafrecht Park Petri Ransiek Rolletschke C. Schröder Tiedemann, GmbH-Strafrecht
Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht EU Tipke/Kruse Tipke/Lang Wabnitz/Janovsky/Schmitt Weyand/Diversy Wittig Ziouvas
LI
Insolvenzstrafrecht, hrsg. von Bittmann, 2. Aufl. (2017) Insolvenzstrafrecht, 3. Aufl. (2018) (vormals Dannecker/Knierim/Hagemeier) Unternehmen und Strafe, 5. Aufl. (2018) s. JJR Erläuterungen zu §§ 399–405 AktG von Gerd Geilen, Erläuterungen zu § 408 AktG von Wolfgang Zöllner (1984) (Sonderausgabe aus der 1. Aufl. des Kölner Kommentars zum Aktiengesetz) Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, hrsg. v. Graf/Jäger/Wittig, 2. Aufl. (2017) s. GJW Handbuch des Baustrafrechts (2004) Wirtschaftsstrafrecht, 6. Aufl. (2021) (vormals Hellmann/Beckemper) s. HHS Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, Kommentar, Loseblattausgabe, (bearb. v. Söhn et al.) 263. Lfg. (Juli 2021) Handwörterbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Loseblattausgabe (1985– 1990), hrsg. v. Krekeler/Tiedemann u. a. Handbuch Arbeitsstrafrecht, 3. Aufl. (2016) Steuerstrafrecht, 8. Aufl. (2015) Steuerstrafrecht: mit Zoll- und Verbrauchssteuerstrafrecht; Kommentar zu §§ 369– 412 AO; § 32 ZollVG, 8. Aufl. (2015) Die Handlungsfreiheit des Unternehmers, hrsg. v. Kempf/Lüderssen/Volk (2009) AO – Abgabenordnung, Kommentar, 15. Aufl. (2020) Steuerstrafrecht, Kommentar zu den §§ 369–412 AO 1977, Loseblattausgabe, 70. Aktualisierung (2021) Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des GmbH-Geschäftsführers, 1. Aufl. (1990) Handwörterbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, hrsg. von Krekeler/ Tiedemann/Ulsenheimer/Weinmann (1985–1990) Wirtschaftsstrafrecht, 3. Aufl. (2020) s. KvW Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, hrsg. v. von Wedelstädt, 22. Aufl. (2018) Wirtschaftsstrafrecht, hrsg. von Müller-Gugenberger, 7. Aufl. (2020) s. MG Erläuterungen zu den §§ 399–410 AktG (1997, Nachdruck 2012) (Sonderausgabe aus der 4. Aufl. des Großkommentars zum Aktiengesetz) Kapitalmarktstrafrecht, Handkommentar, 5. Aufl. (2019) Arbeitsstrafrecht, 3. Aufl. (2021) Unternehmensstrafrecht (1996) Steuerstrafrecht, 4. Aufl. (2012) Handbuch Kapitalmarktstrafrecht, 4. Aufl. (2020) GmbH-Strafrecht (§§ 82–85 GmbHG und ergänzende Vorschriften), 5. Aufl. (2010) (Sonderausgabe aus der 10. Aufl. des Kommentars zum GmbHG von Scholz, Bd. III 2010) Wirtschaftsstrafrecht, 5. Aufl. (2017) Wirtschaftsstrafrecht in der Europäischen Union. Rechtsdogmatik – Rechtsvergleich – Rechtspolitik (Freiburg-Symposium), hrsg. v. Tiedemann (2002) Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung. Kommentar zur AO und FGO inkl. Steuerstrafrecht, 166. Lfg. (Juni 2021) Steuerrecht, 24. Aufl. (2021) Handbuch des Wirtschafts und Steuerstrafrechts, 5. Aufl. (2020) (vormals Wabnitz/ Janovsky) Insolvenzdelikte, 10. Aufl. (2016) Wirtschaftsstrafrecht, 5. Aufl. (2020) Das neue Kapitalmarktstrafrecht (2006)
Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur
18. Zivilprozessrecht und Insolvenzrecht Baumbach/Lauterbach/ Hartmann/Anders/Gehle BLHAG FK-InsO HK-InsO
s. BLHAG
Zivilprozessordnung, 79. Aufl. (2021) Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, hrsg. v. Wimmer, 10. Aufl. (2021) Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, hrsg. v. Kayser/Thole, 10. Aufl. (2020) Jaeger Insolvenzordnung, Großkommentar, hrsg. v. Henckel/Gerhardt (2004 ff.) KPB InsO – Kommentar zur Insolvenzordnung, hrsg. v. Kübler/Prütting/Bork, Loseblattausgabe, 88. Aktualisierung (Mai 2021) Kübler/Prütting/Bork s. KPB Leonhardt/Smid/Zeuner Insolvenzordnung (InsO) mit Insolvenzrechtlicher Vergütungsverordnung (InsVV), Kommentar, hrsg. v. Leonhardt/Smid/Zeuner, 3. Aufl. (2010) MK-InsO Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, 4. Aufl. (ab 2019) MK-ZPO Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. (2020 f.) Musielak/Voit ZPO – Zivilprozessordnung, Kommentar, 18. Aufl. (2021) Rattunde/Smid/Zeuner Insolvenzordnung (InsO), Kommentar, hrsg. v. Rattunde/Smid/Zeuner, 4. Aufl. (2018) (vormals Leonhard/Smid/Zeuner) Rosenberg/Schwab/Gottwald Zivilprozessrecht, 18. Aufl. (2018) Stein/Jonas Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 23. Aufl. (2014 ff.) Thomas/Putzo ZPO – Zivilprozessordnung, 42. Auflage (2021) Zöller Zivilprozessordnung, Kommentar, 33. Aufl. (2020)
19. Sonstiges (einschließlich Arbeits- und Sozialrecht, Völkerrecht und Waffenrecht) Bieneck Brownlie Corpus Juris
Dahm/Delbrück/Wolfrum Dreier/Schulze Duden ErfK Fuchs/Preis/Brose Gerold/Schmidt Götz/Tolzmann Günther/Taupitz/Kaiser Hanau/Adomeit Hauck/Noftz Herdegen Hoeren/Sieber/Holznagel HwbRW I–VIII
Handbuch des Außenwirtschaftsrechts mit Kriegswaffenkontrollgesetz, hrsg. v. Bieneck, 2. Aufl. (2005) Principles of Public International Law, 9. Aufl. (2019) The implementation of the Corpus Juris in the Member States/La mise en œuvre du Corpus Juris dans les Etats Membres, hrsg. v. Delmas-Marty/Vervaele (2000); Deutsche Version der Entwurfsfassung von 1997: Delmas-Marty (Hrsg.), Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union, Deutsche Übersetzung von Kleinke und Tully, Einführung von Sieber (1998) Völkerrecht, 2. Aufl., Band I/1 (1989), Band I/2 (2002, Nachdruck 2012), Band I/3 (2002, Nachdruck 2012) Urheberrechtsgesetz, Kommentar, hrsg. v. Dreier/Schulze, 6. Aufl. (2018) Deutsches Universalwörterbuch: Das umfassende Bedeutungswörterbuch der deutschen Gegenwartssprache, hrsg. v. Dudenredaktion, 9. Aufl. (2019) Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 21. Aufl. (2021) Sozialversicherungsrecht und SGB II, 3. Aufl. (2020) (vormals Fuchs/Preise) Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 25. Aufl. (2021) Bundeszentralregistergesetz, Kommentar, 4. Aufl. (2000); Nachtrag (2003) Embryonenschutzgesetz, Juristischer Kommentar mit medizinischnaturwissenschaftlichen Grundlagen, 2. Aufl. (2014) Arbeitsrecht, 14. Aufl. (2007) Sozialgesetzbuch – Gesamtkommentar, hrsg. v. Hauck/Noftz, Loseblattausgabe, (2020) Völkerrecht, 20. Aufl. (2021) s. Multimedia-Recht Handwörterbuch der Rechtswissenschaft, hrsg. v. Stier-Somlo u. a., Bd. 1 (1926), Bd. 2 (1927), Bd. 3 (1928), Bd. 4 (1927), Bd. 5 (1928), Bd. 6 (1929), Bd. 7 (1931), Bd. 8 (1937) (unter dem Titel: Die Rechtsentwicklung der Jahre 1933 bis 1935/36)
LII
Schrifttum und abgekürzt zitierte Literatur
Ipsen KassKomm Keller/Günther/Kaiser Kröger/Gimmy Lingens/Korte Lüder/Vormbaum Multimedia-Recht Rebmann/Uhlig Seidl-Hohenveldern Seidl-Hohenveldern/Stein Shaw Steindorf Stein/von Buttlar/Kotzur Strupp/Schlochauer Thüsing Tolzmann Ulsamer LdR Verdross/Simma Vitzthum/Proelß Waltermann Wannagat
Werle/Jeßberger
LIII
Völkerrecht, 7. Aufl. (2018) Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Loseblattausgabe, 114. Lfg. (Mai 2021) Embryonenschutzgesetz, Kommentar (1992) Handbuch zum Internetrecht, 2. Aufl. (2013) Wehrstrafgesetz, Kommentar, 5. Aufl. (2012) (vormals Schölz/Lingens) Materialien zum Völkerstrafgesetzbuch: Dokumentation des Gesetzgebungsverfahrens (2002) Handbuch Multimedia-Recht, hrsg. v. Hoeren/Sieber/Holznagel, Loseblattausgabe, 56. Lfg. (Mai 2021) Bundeszentralregister, Gewerbezentralregister, Verkehrszentralregister und ergänzende Bestimmungen, Kommentar (1985) Lexikon des Rechts – Völkerrecht, 3. Aufl (2001) Völkerrecht, 12. Aufl. (2009) International Law, 8. Aufl. (2017) Waffenrecht, Kurzkommentar, 10. Aufl. (2015) Völkerrecht, 14. Aufl. (2017) Wörterbuch des Völkerrechts, 2. Aufl., Band 1 (1960), Band 2 (1961), Band 3 (1962) AÜG – Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, Kommentar, hrsg. v. Thüsing, 4. Aufl. (2018) Bundeszentralregistergesetz, 5. Aufl. (2015) Lexikon des Rechts: Strafrecht, Strafverfahrensrecht, hrsg. v. Ulsamer, 2. Aufl. (1996) Universelles Völkerrecht, 3. Auflage (2010) Völkerrecht, 8. Aufl. (2019) Sozialrecht, 14. Aufl. (2020) Sozialgesetzbuch I, hrsg. v. Eichenhofer/v. Koppenfels-Spies/Wenner, 2. Aufl. (2018); Sozialgesetzbuch IV, hrsg. v. Eichenhofer/Wenner, 2. Aufl. (2017); Sozialgesetzbuch X, hrsg. v. Eichenhofer/Wenner, 2. Aufl. (2017) Völkerstrafrecht, 5. Aufl. (2020)
Strafgesetzbuch vom 15. Mai 1871 (RGBl. 1871, 127); neugefasst durch Bek. v. 13.11.1998 (BGBl. I 3322); zuletzt geändert durch Gesetz v. 30.3.2021 BGBl. I 448
BESONDERER TEIL ACHTER ABSCHNITT Geld- und Wertzeichenfälschung Vorbemerkungen Schrifttum Altenhain Der strafbare Mißbrauch kartengestützter elektronischer Zahlungssysteme, JZ 1997 752; Bartholme Geld-, Wertzeichenfälschung und verwandte Delikte, JA 1993 197; Bittner, Anwendungsvorausssetzungen der §§ 146 ff und 261 StGB auf neue Zahlungssysteme, BLJ 2017, 63; Dreher/Kanein Der gesetzliche Schutz der Münzen und Medaillen (1975); Dittrich Der Entwurf des Gesetzes zur Einführung des Euro, NJW 1998 1269; ders. Das Dritte Euro-Einführungsgesetz, NJW 2000 487; Döll Geldfälschungsdelikte, NJW 1952 289; Fögen Geld und Währungsrecht (1969); Gerland Die Geldfälschungsdelikte des deutschen Strafgesetzbuches, Diss. Straßburg 1901; Grzywotz, Virtuelle Kryptowährungen und Geldwäsche, 2019; Hefendehl Zur Vorverlagerung des Rechtsgutsschutzes am Beispiel der Geldfälschungstatbestände, JR 1996 353; Husemann Die Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes des bargeldlosen Zahlungsverkehrs durch das 35. Strafrechtsänderungsgesetz, NJW 2004 104; Kienapfel Probleme des strafrechtlichen Geldbegriffs, ÖJZ 1986 423; Kohler Münzverbrechen, VDB III 203; Mann Das Recht des Geldes (1960); Mebesius/ Kreußel Die Bekämpfung der Falschgeldkriminalität, BKA-Schriftenreihe Bd. 48 (1979); Nußbaum Das Geld (1925); Prost Straf- und währungsrechtliche Aspekte des Geldwesens, Festschrift Lange (1976) 419; Schlüchter Zur teleologischen Reduktion im Rahmen des Territorialitätsprinzips, Festschrift Oehler (1985) 307; Schmiedl-Neuburg Die Falschgelddelikte (1968); Chr. Schröder Die Einführung des Euro und die Geldfälschung, NJW 1998 3179; Vogel Strafrechtlicher Schutz des Euro vor Geldfälschung, ZRP 2002 7; Wessels Zur Reform der Geldfälschungsdelikte und zum Inverkehrbringen von Falschgeld, Festschrift Bockelmann (1979) 669; Zielinski Geld- und Wertzeichenfälschung nach dem Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch, JZ 1973 193.
Übersicht I.
Entstehungsgeschichte
II.
Allgemeine Strukturen und wichtige Schritte 2 der jüngeren Gesetzeshistorie 2 Reform durch das EGStGB
1.
1
2. 3. 4. 5. 6.
4 Partielle Herabsetzung des Strafrahmens Vereinheitlichte Strafbarkeit der Wertzeichenfäl6 schung 7 Spezialfall der Urkundenfälschung 8 Weltrechtsprinzip 9 Ergänzende Bestimmungen
I. Entstehungsgeschichte Der achte Abschnitt des Strafgesetzbuchs für das Deutsche Reich vom 15. Mai 1871, der die 1 Überschrift „Münzverbrechen und Münzvergehen“ hatte (die ungenau war, weil er Geldfälschungsstraftaten schlechthin betraf und dem Papiergeld gewisse geldvertretende Wertpapiere gleichgestellt waren), galt fast unverändert bis zum 31. Dezember 1974. Durch Art. 19 Nr. 59 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch vom 2. März 1974 (BGBl. I 469) ist der achte Abschnitt völlig neu gefasst und unter die Überschrift „Geld- und Wertzeichenfälschung“ gestellt worden, die den erweiterten Regelungsbereich kennzeichnet: Zu den Geldfälschungsstraftaten ist in Zu1 https://doi.org/10.1515/9783110490107-001
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Vor § 146 StGB
Vorbemerkungen
sammenfassung verstreuter Bestimmungen die Wertzeichenfälschung unter weitgehender Parallelisierung des tatbestandlichen Aufbaus und der im Vorfeld des Fälschungsaktes liegenden, mit Strafe bedrohten Verhaltensweisen hinzugekommen. Die Vorschriften des früheren Rechts, die für Dogmatik und Praxis von herausragender Bedeutung waren, lauteten: § 146 Falschmünzerei. Münzverfälschung (1) Wer inländisches oder ausländisches Metallgeld oder Papiergeld nachmacht, um das nachgemachte Geld als echtes zu gebrauchen oder sonst in Verkehr zu bringen, oder wer in gleicher Absicht echtem Gelde durch Veränderung an demselben den Schein des höheren Wertes oder verrufenem Gelde durch Veränderung an demselben das Ansehen eines noch geltenden gibt, wird mit Zuchthaus nicht unter zwei Jahren bestraft; auch ist Polizeiaufsicht zulässig. (2) Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe ein. § 147 Verbreitung von Falschgeld Dieselben Strafbestimmungen finden auf denjenigen Anwendung, welcher das von ihm ohne die vorbezeichnete Absicht nachgemachte oder verfälschte Geld als echtes in Verkehr bringt, sowie auf denjenigen, welcher nachgemachtes oder verfälschtes Geld sich verschafft und solches entweder in Verkehr bringt oder zum Zwecke der Verbreitung aus dem Ausland einführt. § 148 Abschiebung von Falschgeld (1) Wer nachgemachtes oder verfälschtes Geld als echtes empfängt und nach erkannter Unechtheit als echtes in Verkehr bringt, wird mit Gefängnis bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. § 149 Fälschung von Wertpapieren Dem Papiergelde werden gleichgestellt die auf den Inhaber lautenden Schuldverschreibungen, Banknoten, Aktien oder deren Stelle vertretende Interimsscheine oder Quittungen, sowie die zu diesen Papieren gehörenden Zins-, Gewinnanteils- oder Erneuerungsscheine, welche von einem Staate oder von einer zur Ausgabe solcher Papiere berechtigten Stelle ausgeschrieben sind. § 150 Münzverringerung (1) Wer echte, zum Umlauf bestimmte Metallgeldstücke durch Beschneiden, Abfeilen oder auf andere Art verringert und als vollgültig in Verkehr bringt, oder wer solche verringerte Münzen gewohnheitsmäßig oder im Einverständnisse mit dem, welcher sie verringert hat, als vollgültig in Verkehr bringt, wird mit Gefängnis bestraft, neben welchem auf Geldstrafe sowie auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden kann. (2) Der Versuch ist strafbar. § 151 Vorbereitungsvergehen Wer Stempel, Siegel, Stiche, Platten oder andere zur Anfertigung von Metallgeld, Papiergeld oder dem letzteren gleichgeachteten Papieren dienliche Formen zum Zwecke eines Münzverbrechens angeschafft oder angefertigt hat, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. § 152 Einziehung Auf die Einziehung des nachgemachten oder verfälschten Geldes sowie der in § 151 bezeichneten Gegenstände ist zu erkennen, auch wenn die Verfolgung oder Verurteilung einer bestimmten Person nicht stattfindet.
Die durch das EGStGB im Jahre 1974 neu gefassten Vorschriften des Abschnitts erfuhren in der Folgezeit weitere, zum Teil erhebliche Änderungen: Durch das 6. StrRG vom 26.1.1998 (BGBl. I 164) wurden in § 146 die bisherigen in Absatz 1 geregelten Tatbestände als Grundtatbestand mit einer auf ein Jahr reduzierten Mindeststrafe beibehalten. In einem neu eingefügten Absatz 2 wurden in einem Qualifikationstatbestand das gewerbsmäßige und das bandenmäßige Handeln geregelt, wofür eine Strafe nicht unter zwei Jahren vorgesehen wurde. Im neuen Absatz 3 haben die minder schweren Fälle (bisher Absatz 2) eine differenzierte Regelung erfahren: Drei Monate bis zu fünf Jahren für die Fälle des Grundtatbestandes und ein Jahr bis zu zehn Jahren für die Fälle des Qualifikationstatbestandes. Schließlich wurden Kudlich/Ruß
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I. Entstehungsgeschichte
StGB Vor § 146
durch das 35. StrÄndG vom 22.12.2003 (BGBl. I 2838) in § 146 Abs. 1 Nr. 2 nach dem Wort „verschafft“ die Wörter „oder feilhält“ eingefügt. – Das Gesetz vom 22. August 2002 (BGBl. I 3387) führte bei § 149 Abs. 1 (neben einer lediglich technischen Änderung in Nummer 2) zur Einfügung des Wortes „Computerprogramme“ in Nummer 1 sowie zur Neueinfügung der Nummer 3. – § 150 i. d. F. des EGStGB regelte nur die Einziehung des Falschgeldes, der falschen oder entwerteten Wertzeichen und der in § 149 bezeichneten Fälschungsmittel. Diese Einziehungsregelung wurde durch das OrgKG vom 15. Juli 1992 (BGBl. I 1302) zum Absatz 2, der Absatz 1 wurde neu aufgenommen. Er brachte in den Fällen der §§ 146, 148 Abs. 1, der Vorbereitung einer Geldfälschung nach § 149 Abs. 1 und des § 152a die Möglichkeit der Verhängung der Vermögensstrafe (§ 43a) und der Anordnung des erweiterten Verfalls (§ 73d), wenn der Täter als Mitglied einer Bande handelte, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hatte; ferner wurde die Anordnung des erweiterten Verfalls bei gewerbsmäßigem Handeln des Täters für zulässig erklärt. Nachdem § 43a durch Urteil des BVerfG vom 20. März 2002 als mit Art. 103 Abs. 2 GG unvereinbar und mit Gesetzeskraft für nichtig erklärt worden ist, wurde § 150 Abs. 1 durch das 35. StrÄndG im Wortlaut angepasst. – Auch die Vorschrift des § 151 erfuhr durch das 35. StrÄndG eine Änderung: Bei der Nummer 5 entfiel die Einschränkung bei den Reiseschecks, wonach diese Papiere schon im Wertpapiervordruck auf eine bestimmte Geldsumme lauten mussten. Die Vorschrift erfasst nunmehr auch Reiseschecks mit nicht vorgedruckten Eintragungen des Geldbetrages. – Bereits durch das Zweite Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität vom 15. Mai 1986 (BGBl. I 721) war § 152a in das StGB eingefügt worden. Mit dieser Vorschrift wurde die Fälschung von Vordrucken für Euroschecks und Euroscheckkarten geregelt. Nach einer lediglich technischen Änderung in Absatz 5 durch das OrgKG wurde die Vorschrift durch das am 1. April 1998 in Kraft getretene 6. StrRG neu gefasst. Eine weitere völlige Neufassung erfuhr die Vorschrift durch das 35. StrÄndG in Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union vom 28. Mai 2001 zur Bekämpfung von Betrug und Fälschung im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln. Zugleich mit dieser Neufassung des § 152a erfolgte parallel dazu die Einfügung des § 152b. Mit dieser Neuregelung soll über den Euroscheckverkehr hinaus der bargeldlose Zahlungsverkehr allgemein, auch soweit er durch andere Zahlungskarten erfolgt, vor Missbräuchen besser geschützt werden. Im Referentenentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/713 vom 17.4.2019 zur Bekämpfung von Betrug und Fälschung im Zusammenhangmit unbaren Zahlungsmitteln (deren Anforderungen des geltende deutsche Strafrecht bereits weitgehend entspricht) sind zum einen kleinere Modifikationen der §§ 152a und 152b StGB (durch eine Ergänzung um ein Auffangmerkmal der „andern körperlichen unbaren Zahlungsinstrumente“, eine Streichung der Euroschecks bzw. Euroscheckvordrucke und eine Präzisierung der Zahlungskarten und anderen körperlichen Zahlungsinstrumente auf „solche, die durch Ausgestaltung oder Codierung besonders gegen Nachahmung gesichert sind“) und des § 263a StGB durch einen Vorbereitungstatbestand in Abs. 3 geplant. Zum anderen soll in einem neuen § 152c StGB die Vorbereitung des Diebstahls oder der Unterschlagung von Zahlungskarten, Schecks, Wechseln und anderen körperlichen unbaren Zahlungsinstrumenten durch das Herstellen, Verschaffen oder Überlassen dafür geeigneter Computerprogramme oder erforderlicher oder anderer Sicherungscodes als eigenständig pönalisierte Vorbereitungshandlung unter Strafe gestellt werden. Mit der Reform des Rechts der Vermögensabschöpfung im Jahre 2017 wurde § 150 Abs. 1 a. F. (der auf § 73d a. F. – erweiterter Verfall – verwiesen hatte) gestrichen;1 auch im Kontext der §§ 146 ff gilt aber nun die erweiterte allgemeine Regel der erweiterten Einziehung von Taterträgen nach § 73a.2 Zuletzt wurde in den §§ 152a, 152b durch das einundsechzigste Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches vom 10.3.2021 (BGBl. I 333) der Schutz auch auf „andere körperliche unbare Zahlungsmittel“ 1 Stein SK vor § 146 Rdn. 3. 2 Vgl. ferner zur Entwicklung der Geldfälschungsdelikte: Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 64 Rdn. 1–6 und § 67 Rdn. 1–3; Erb MK Rdn. 13–20; Stein SK Rdn. 1. 3
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Vor § 146 StGB
Vorbemerkungen
erstreckt, um so in Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/713 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 zur Bekämpfung von Betrug und Fälschung im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2001/413/JI des Rates künftig auch die Nachahmung und Fälschung von Zahlungsinstrumenten zu erfassen, die keine Kartenform haben oder die nicht von einem Kredit- oder Finanzdienstleistungsinstitut herausgegeben worden sind (BTDrucks. 19/25631 21)
II. Allgemeine Strukturen und wichtige Schritte der jüngeren Gesetzeshistorie 1. Reform durch das EGStGB 2 An der Regelung des vor Inkrafttreten des EGStGB geltenden Rechts fiel auf, dass sie ohne erkennbaren sachlichen Grund das zielgerichtete Wollen des Täters (seine „Absicht“) oder den äußeren Tatbestand zum Teil auf das bloße Inverkehrbringen des Falschgeldes beschränkte, zum Teil jedoch ein Inverkehrbringen (Gebrauchen) des Falschgeldes als echt verlangte. Es war daher schon vor Inkrafttreten des EGStGB umstritten, ob auch die Weitergabe des Falschgeldes an einen Eingeweihten tatbestandsmäßig ist, wenn sie der erste Schritt des Inverkehrbringens von falschem Geld als echt ist.3 Die Reform des achten Abschnitts durch das EGStGB hat die Zweifelsfrage nur für die Tatbestände des § 146 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 behoben. Für sie genügt bereits nach dem Wortlaut ein Handeln in der Absicht, das Inverkehrbringen von falschem Geld als echt zu ermöglichen. Für § 146 Abs. 1 Nr. 3 und § 147 blieb die Frage weiterhin offen, ob die Weitergabe an einen Eingeweihten unter der erwähnten Voraussetzung genügt. Auch durch das 2. WiKG, das 6. StrRG und das 35. StrÄndG wurde die Zweifelsfrage nicht ausdrücklich klargestellt.4 3 Der Mangel einer im Wortlaut zum Ausdruck kommenden Entscheidung des Gesetzgebers führte, wie es schon bisher der Fall war, zu kontroversen Antworten.5 Daran änderte auch nichts der erste Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform zum Regierungsentwurf eines EGStGB vom 27. November 1973 (BTDrucks. 7/1261), der (S. 13) den Fall des Abschiebens gutgläubig erlangten Geldes durch einen Mittelsmann erwähnt und ihn § 147 Abs. 1 unterstellt, obgleich diese Vorschrift das Ermöglichen des Inverkehrbringens mit Schweigen übergeht. Die Rechtsprechung hat die Zweifelsfrage dahin entschieden, dass die Weitergabe an eingeweihte Abnehmer auch für § 146 Abs. 1 Nr. 3, § 147 genügt.6
2. Partielle Herabsetzung des Strafrahmens 4 Der Tatbestand der Münzverringerung (§ 150 a. F.) ist mit dem EGStGB entfallen. Das Objekt (die „vollwichtige Münze“) und die Methode (Umschmelzen, Ablaugen, Beschneiden, Abfeilen) gehören vergangenen Epochen an. Im Übrigen sind die Tatbestände der Geldfälschungsdelikte zwar in sich erheblich verändert worden, der Gesamtbereich des erfassten strafbaren Verhaltens hat aber durch das EGStGB kaum Änderungen erfahren. Nach geltendem Recht hebt das zielgerichtete Wollen des Inverkehrbringens von falschem Geld als echt (oder des Ermöglichens solchen Inverkehrbringens) beim Fälschungs- oder Ver3 Vgl. Herdegen LK9 Rdn. 12. 4 Dazu auch Erb MK Rdn. 18. 5 § 146 Rdn. 23; ferner einerseits Erb MK § 146 Rdn. 46 ff; Puppe/Schumann NK § 146 Rdn. 34 ff; Stein SK § 146 Rdn. 18 f; andererseits Fischer § 146 Rdn. 19 f; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben § 146 Rdn. 22 m. w. N.; Lackner/KühlHeger § 146 Rdn. 8. 6 BGHSt 29 311, 313 f; 31 381; 32 78; 35 21, 23; 42 162, 168; BGH NStZ 2002 593; StV 2003 331; OLG Düsseldorf JR 1986 512; NJW 1998 2067; aA noch OLG Stuttgart NJW 1980 2089 m. zust. Anm. Otto JR 1981 82. Kudlich/Ruß
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II. Allgemeine Strukturen und wichtige Schritte der jüngeren Gesetzeshistorie
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schaffungsakt die als Verbrechen eingestuften Verhaltensweisen (§ 146) vom Vergehen (§ 147) ab, während nach altem Recht auch das Inverkehrbringen als solches für die schwerere Unrechtseinstufung ausreichte. Das Abschieben gutgläubig erworbenen Falschgeldes (§ 148 Abs. 1 a. F.) ist im allgemeinen Tatbestand des Inverkehrbringens von Falschgeld (§ 147) aufgegangen. Über diese Änderungen der tatbestandlichen Ausformungen und der Rechtsfolgenseite 5 kann man sehr geteilter Meinung sein. Das Inverkehrbringen von Falschgeld nach bösgläubigem Erwerb verdient wohl eher die Gleichstellung mit den Delikten des § 146 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 als mit dem Fall des Abschiebens nach gutgläubigem Erwerb. Diesem Fall ist, was die Strafdrohung anbelangt, in § 147 eine „Aufwertung“ zuteil geworden, die es angeblich ermöglicht, „eine den Umständen des Einzelfalls angemessene Strafe festzusetzen“ (BTDrucks, 7/550 S. 227 – Begründung des Regierungsentwurfs eines EGStGB). Bemerkenswert ist auch, dass es nach früherem Recht (§ 147 a. F.) zur Deliktsvollendung nicht ausreichte, wenn der Täter in der Absicht des Inverkehrbringens Falschgeld sich verschaffte, ohne dass es zur Absichtsverwirklichung kam. In solchem Tun lag lediglich ein strafbarer Versuch.7 Das geltende Recht straft wegen vollendeter Geldfälschung nach § 146 Abs. 1 Nr. 2 und erfasst infolgedessen als strafbar auch das versuchte Sichverschaffen in der Absicht (der Ermöglichung) des Inverkehrbringens.
3. Vereinheitlichte Strafbarkeit der Wertzeichenfälschung Die Neuregelung der Wertzeichenfälschung und ihrer Vorbereitung (§§ 148, 149) durch das 6 EGStGB fasst den Inhalt einer Reihe von Vorschriften zusammen (vgl. BGHSt 31 380, 381), die im StGB (§§ 275, 276 a. F.) und im Nebenstrafrecht (z. B. § 399 AbgO, § 1432 RVO a. F., § 154 AVG a. F.) verstreut waren. Gegen diese Zusammenfassung lässt sich kaum etwas einwenden. Sie ist ein Beitrag zur Rechtsvereinfachung ohne substantielle Einbußen. Fragwürdig ist die Vereinigung der Wertzeichenfälschung mit den Geldfälschungsdelikten in einem Abschnitt und die fast vollständige tatbestandliche Kongruenz der mit Strafe bedrohten Verhaltensweisen: Wertzeichen haben keine dem Geld vergleichbare Funktion, sondern dienen primär dem Nachweis von Zahlungen. Die Wertzeichenfälschung richtet sich infolgedessen gegen das Allgemeininteresse an der Sicherheit und Funktionsfähigkeit des Rechtsverkehrs mit Wertzeichen.8 Wenn in zum Teil wörtlicher Übereinstimmung mit dieser Umschreibung als geschütztes Rechtsgut der Geldfälschungsdelikte das Allgemeininteresse an der Sicherheit und Funktionsfähigkeit des Geldverkehrs angesehen werden kann,9 so darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass der achte Abschnitt nunmehr im Geld und den gleichgestellten Wertpapieren (§ 151) einerseits und in den Wertzeichen andererseits Tatobjekte in der Vorverlegung des strafrechtlichen Schutzes und seiner Weite auf eine Stufe stellt, die auf Grund des Unterschiedes ihrer Funktion in ihrer Bedeutung für die Allgemeinheit nicht vergleichbar sind.10 Die Methode der „Harmonisierung“ hat für den Bereich der Wertzeichenfälschung eine nicht selbstverständliche Ausdehnung und Verschärfung des Strafschutzes gebracht.11 – Eine weitere „Vervollständigung“ des achten Abschnittes mit Straftatbeständen erfolgte mit der Einfügung der §§ 152a, 152b durch das 2. WiKG in der Neufassung durch das 6. StrRG vom 26. Januar 1998 (Fälschung von Zahlungskarten und 7 RG GA Bd. 58 S. 187; Herdegen LK9 § 147 Rdn. 5. 8 BGHSt 31 380, 381; Fischer § 148 Rdn. 1; Lackner/Kühl-Heger § 148 Rdn. 1; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben § 148 Rdn. 1; Bartholme JA 1993 197; ferner Stein SK § 148 Rdn. 2; Puppe/Schumann NK § 148 Rdn. 4; Zielinski JZ 1973 193; krit. Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 67 Rdn. 5; teilweise abweichend wohl auch Erb MK Rdn. 4. 9 BGH NJW 1954 564; NJW 1995 1844, 1845; BGHSt 42 162, 169; RGSt 67 294, 297; Lackner/Kühl-Heger § 146 Rdn. 1; Fischer Rdn. 2; Puppe/Schumann NK Rdn. 2; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben § 146 Rdn. 1; Erb MK Rdn. 1; Dreher JR 1976 295; Stree JuS 1978 236; Hefendehl JR 1996 353; Bartholme JA 1993 197; Wessels FS Bockelmann (1979) 669, 675; Schmiedl-Neuburg 132; Otto Grundkurs Strafrecht BT § 75 Rdn. 1; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 67 Rdn. 5. 10 Zielinski JZ 1973 193. 11 Stein SK Rdn. 1; krit. Auch Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 67 Rdn. 4. 5
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Vor § 146 StGB
Vorbemerkungen
Vordrucken für Euroschecks) und des 35. StrÄndG vom 22. Dezember 2003. Auch diese Vorschriften, deren Schutzgut in der Sicherheit und Funktionsfähigkeit des bargeldlosen Zahlungsverkehrs liegt,12 haben eine deutliche Vorverlegung des Strafschutzes zum Inhalt.
4. Spezialfall der Urkundenfälschung 7 Die im achten Abschnitt geregelten Fälschungen sind Spezialfälle der Urkundenfälschung. Dieser allgemein anerkannte, in BGHSt 23 229, 231 an Banknoten exemplifizierte Satz ist in seinem Sinn und seiner Bedeutung auch für die Münzfälschung weitgehend klargestellt worden (BGHSt 27 255, 258).13 Zur Beantwortung der Frage, wie die in Münzen verkörperte Gedankenerklärung laute, kann auf die überzeugenden Ausführungen Drehers (JR 1976 295, 297 und JR 1978 45, 48) verwiesen werden. Es dürfte nicht zweifelhaft sein, dass Münzen die für den Begriff des Geldes wesentlichen Erklärungen der Zahlungsmitteleigenschaft und des nominellen Wertes verkörpern (vgl. dazu § 1 MünzG i. V. m. VO [EG] Nr. 975/98) und dass sie infolge dieser Erklärungsverkörperung dazu bestimmt und geeignet sind, die für sie geltende Annahme- und Umtauschverpflichtung (§ 3 MünzG) zu beweisen. Die Gedankenäußerung ihres Ausstellers, mit dem sich BGHSt 27 255 und Dreher (JR 1978 45) näher befassen, reicht aber noch weiter. Vielmehr erklärt der Aussteller außerdem, dass er die Münze in einer dafür bestimmten Münzstätte (vgl. §§ 4, 6 MünzG) und in einem bestimmten Prägezeitraum ausprägen ließ. Diese Erklärung kann ein für den Sammlerwert einer Münze wesentlicher Umstand sein.14 Veränderungen von Prägezeichen und Prägejahr zur Täuschung über den Sammlerwert sind infolgedessen Verfälschungen einer Urkunde. Sie sind aber keine Münzverfälschungen, weil als höherer Wert im Sinne von § 146 Abs. 1 Nr. 1 nur ein höherer nomineller Wert in Frage kommt.15 Auch als ein Nachmachen echter Münzen (Falschmünzerei) können Manipulationen am Prägezeichen oder am Prägejahr nicht angesehen werden, weil sie die in der Münze verkörperte und für den Begriff des Geldes wesentliche Gedankenerklärung unberührt lassen.16
5. Weltrechtsprinzip 8 Das Weltrechtsprinzip (§ 6 Nr. 7) gilt für die Geld- und Wertpapierfälschung und ihre Vorbereitung (§§ 146, 151 und 152) sowie die Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion und Vordrucken für Euroschecks (§ 152b Abs. 1 bis 4) sowie deren Vorbereitung (§§ 149, 151, 152 und 152b Abs. 5), nicht jedoch für Fälle nach § 147 und nicht für die Wertzeichenfälschung und ihre Vorbereitung (§§ 148, 149, 152). Dies bedeutet, dass die Verfolgung in den erstgenannten Fällen unabhängig vom Tatortrecht und von der Staatsangehörigkeit des Täters nach deutschem Strafrecht zu erfolgen hat.17 Diese Regelung entspricht dem Internationalen Abkommen zur Bekämp-
12 BGHSt 46 48, 50 f; 46 146, 151; BTDrucks. 10/5058 S. 26 und 13/8587 S. 29; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben § 152a Rdn. 1; Lackner/Kühl-Heger § 152a Rdn. 1; Stein SK Rdn. 8; Fischer § 152a Rdn. 2; Erb MK Rdn. 3; Otto wistra 1986 150, 153; ders. Grundkurs Strafrecht BT § 75 Rdn. 25; abw. Puppe/Schumann NK Rdn. 3 ff. 13 Ferner OLG Schleswig NJW 1963 1560, 1561; Dreher JR 1976 295, 297; ders. JR 1978 45, 48; Wessels FS Bockelmann (1979) 669, 672; Hafke MDR 1976 278, 279; Schmiedl-Neuburg S. 145; Fischer Rdn. 2; Puppe/Schumann NK Rdn. 1; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben § 146 Rdn. 29; Erb MK § 146 Rdn. 2; Geisler NJW 1978 708; Otto Grundkurs Strafrecht BT § 75 Rdn. 1. 14 Dreher JR 1976 295; Hafke MDR 1976 278, 279. 15 Fischer § 146 Rdn. 8; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben § 146 Rdn. 6; Erb MK § 146 Rdn. 2; Otto Grundkurs Strafrecht BT § 75 Rdn. 7; aA Hafke MDR 1976 278, 279 f. 16 Vgl. § 146 Rdn. 8; Erb MK § 146 Rdn. 2; Stein SK § 146 Rdn. 12; im Erg. ebenso Fischer § 146 Rdn. 8; Lackner/ Kühl-Heger § 146 Rdn. 5; aA Hafke MDR 1976 278, 279. 17 Vgl. Werle/Jeßberger LK § 6 Rdn. 89 ff; Fischer § 6 Rdn. 1. Kudlich/Ruß
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II. Allgemeine Strukturen und wichtige Schritte der jüngeren Gesetzeshistorie
StGB Vor § 146
fung der Falschmünzerei vom 20.4.1929 (vgl. Bekanntmachung über das internationale Abkommen zur Bekämpfung der Falschmünzerei vom 10. November 1933 – RGBl. II 913).18
6. Ergänzende Bestimmungen §§ 127 bis 129 OWiG betreffen u. a. das Herstellen, Verschaffen, Feilhalten, Verwahren, einem 9 anderen Überlassen, Einführen oder Ausführen von Sachen, die zur Herstellung von Geld, diesem gleichstehenden Wertpapieren (§ 151), amtlichen Wertzeichen, Zahlungskarten i. S. des § 152a Abs. 4, Schecks, Wechseln, Zahlungskarten mit Garantiefunktion i. S. des § 152b Abs. 4 oder Vordrucken für Euroschecks verwendet werden können. Nach §§ 11, 12 Abs. 3 MünzG i. d. F. des Dritten EuroEG vom 16.12.1999 (BGBl. I 2402) ist es verboten, außer Kurs gesetzte oder sonst als Zahlungsmittel ungültig gewordene Münzen nachzumachen oder zu verfälschen; ebenso untersagt sind das Vorrätighalten zum Verkauf, das Feilhalten, in den Verkehr bringen oder in das Inland Einführen von solchen nachgemachten oder verfälschten Münzen; schließlich auch das Herstellen, zum Verkauf vorrätig Halten, Feilhalten oder in den Verkehr bringen von Gegenständen, wenn diese den Anschein erwecken, als wären sie früher gültige Münzen gewesen; Verstöße können als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. §§ 35 bis 37 BBankG (= Gesetz über die Deutsche Bundesbank i. d. F. der Bekanntmachung vom 22.10.1992, BGBl. I 1782, geändert durch Gesetz vom 25.6.2004, BGBl. I 1383) stellen die unbefugte Ausgabe oder Verwendung von geldähnlichen Zeichen, die zur Übernahme der Geldfunktion im Zahlungsverkehr geeignet sind, unter Strafe und ermöglichen das Anhalten und Einziehen solcher Zeichen. § 49 Abs. 1 Nr. 9 PostG i. V. m. § 43 Abs. 1 Satz 2 ahndet die bildliche Wiedergabe von in § 43 Abs. 1 genannten Postwertzeichen, wenn sie geeignet ist, Verwechslungen mit dem wiedergegebenen Postwertzeichen hervorzurufen, als Ordnungswidrigkeit. § 138 Abs. 1 Nr. 4 StGB begründet eine Verpflichtung zur Anzeigeerstattung für denjenigen, der von dem Vorhaben oder der Ausführung einer Geld- oder Wertpapierfälschung in den Fällen der §§ 146, 151, 152 oder einer Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion und Vordrucken für Euroschecks in den Fällen des § 152b Abs. 1 bis 3 glaubhaft erfährt; der Entwurf eines strafrechtlichen Verbots des Angebots von Leistungen zur Ermöglichung von Straftaten in § 126a StGB-E (vgl. BR-Drs. 33/19 zum Angebot auf Servern im sog. Darknet) umfasst auch Leistungen zur Ermöglichung von Taten nach §§ 146 ff.
18 Näher zu völker- und europarechtlichen Bezügen Stein SK vor § 146 Rdn. 14. 7
Kudlich/Ruß
§ 146 Geldfälschung (1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer 1. Geld in der Absicht nachmacht, daß es als echt in Verkehr gebracht oder daß ein solches Inverkehrbringen ermöglicht werde, oder Geld in dieser Absicht so verfälscht, daß der Anschein eines höheren Wertes hervorgerufen wird, 2. falsches Geld in dieser Absicht sich verschafft oder feilhält oder 3. falsches Geld, das er unter den Voraussetzungen der Nummern 1 oder 2 nachgemacht, verfälscht oder sich verschafft hat, als echt in Verkehr bringt. (2) Handelt der Täter gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung einer Geldfälschung verbunden hat, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren. (3) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 2 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.
Schrifttum Bartholme Zum Begriff des Falschgeldes in Abgrenzung zum untauglichen Tatmittel, JA 1994 97; Bohne Der Begriff „in Verkehr bringen“ im Bereich der Geldfälschungsdelikte, JZ 1952 205; Döll Geldfälschungsdelikte, NJW 1952 289; Dreher Aktuelle Probleme der Geldfälschung, JR 1978 45; Ensenbach Strafrechtsschutz von Komplementärwährungen, JA 2011 341; Frister Das „Sich-Verschaffen“ von Falschgeld, GA 1994 553; Geisler Der Begriff Geld bei der Geldfälschung, GA 1981 457; Hafke „Systemmünzen“ – Zum Tatbestand des „Nachmachens von Geld“ in § 146 Abs. 1 StGB, MDR 1976 278; Hefendehl Der mißbrauchte Farbkopierer, Jura 1992 374; ders. Zur Vorverlagerung des Rechtsgutsschutzes am Beispiel der Geldfälschungstatbestände, JR 1996 353; Oppe Fälschung von Sammlermünzen, MDR 1973 183; Prittwitz Grenzen der am Rechtsgüterschutz orientierten Konkretisierung der Geldfälschungsdelikte, NStZ 1989 8; Puppe Die neue Rechtsprechung zu den Fälschungsdelikten, JZ 1986 992; JZ 1991 611; JZ 1997 490, 497; Chr. Schröder Die Einführung des Euro und die Geldfälschung, NJW 1998 3179; Sonnen Geldschein mit Werbeaufdruck, JA 1996 95; Stein/Onusseit Das Abschieben von gutgläubig erlangtem Falschgeld – LG Kempten, NJW 1979 225, JuS 1980 104; Stree Veräußerung einer nachgemachten Münze an einen Sammler – BGH, JR 1976 294, JuS 1978 236; Vogel Strafrechtlicher Schutz des Euro vor Geldfälschung, ZRP 2002 7; Wessels Zur Reform der Geldfälschungsdelikte und zum Inverkehrbringen von Falschgeld, Festschrift Bockelmann (1978) S. 669; Westphal Geldfälschung und die Einführung des Euro, NStZ 1998 555. – Weiteres Schrifttum vor § 146.
Übersicht I.
Die Tatbestände des § 146 Abs. 1
II. 1. 2.
4 Geld 4 Begriff Verlust der Geldeigenschaft
III.
Nachmachen oder Verfälschen von echtem Geld 6 (Abs. 1 Nr. 1) Nachmachen von echtem Geld (sog. Falschmün6 zerei) a) Zur Täuschung geeignete Ähnlich6 keit 7 b) Systemnoten und Systemmünzen 9 c) Fälschung von verrufenem Geld 10 d) Karlsruher Münzskandal Verfälschen von echtem Geld (sog. Münzverfäl11 schung)
1.
2.
1
5
Kudlich/Ruß https://doi.org/10.1515/9783110490107-002
3.
4. 5. IV. 1. 2. 3. 4. V. 1.
Absicht des Inverkehrbringens 12 12 a) Inverkehrbringen 14 b) Als echt Inverkehrbringen c) Absicht des Inverkehrbringens 16 Vorsatz 17 Versuch und Vollendung
15
Sichverschaffen oder Feilhalten von falschem 20 Geld (Abs. 1 Nr. 2) 20 Sichverschaffen von falschem Geld 20a Feilhalten von falschem Geld 21 Subj. Tatbestand 22 Versuch und Vollendung Inverkehrbringen des falschen Geldes (Abs. 1 23 Nr. 3) 23 Tatbestand des Inverkehrbringens
8
I. Die Tatbestände des § 146 Abs. 1
2. 3.
Der innere Tatbestand Vollendung und Versuch
25
VI.
Verhältnis der Tatvarianten des Nachmachens (Verfälschens) oder Sichverschaffens zum Inver28 kehrbringen
26
VII. Täterschaft und Teilnahme, Rücktritt 29 1. Mittäterschaft und Beihilfe 30 2. Rücktritt
29
StGB § 146
VIII. Gewerbsmäßiges und bandenmäßiges Handeln 31 (Absatz 2) 32 1. Gewerbsmäßigkeit 33 2. Bandenmäßiges Handeln 34
IX.
Strafe
X.
Konkurrenzfragen
XI.
Recht des Einigungsvertrages
35 36
I. Die Tatbestände des § 146 Abs. 1 § 146 Abs. 1 enthält drei Tatbestände: Die „vorbereitenden“ Delikte des Nachmachens oder Ver- 1 fälschens von Geld in der Absicht des Inverkehrbringens (§ 146 Abs. 1 Nr. 1) und des Sichverschaffens oder Feilhaltens von falschem Geld in dieser Absicht (§ 146 Abs. 1 Nr. 2) sowie den „Volltatbestand“ nach § 146 Abs. 1 Nr. 3,1 bei dem Falschgeld in Verkehr gebracht wird, nachdem der Täter es in Verbreitungsabsicht nachgemacht, verfälscht oder sich verschafft hat. Das Rechtsgut – die Sicherheit und Funktionsfähigkeit des Geldverkehrs (vor § 146 2 Rdn. 6) – kann erst durch den Akt des Inverkehrbringens gefährdet werden. Der Verbreitungstatbestand ist aber bloßes Vergehen (§ 147), wenn er nicht an einer der Vorbereitungshandlungen anknüpft, die in § 146 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 zu selbständig strafbaren Verbrechen erhoben worden sind. Das zielgerichtete Wollen des Inverkehrbringens falschen Geldes im Stadium der Herstellung oder des Sichverschaffens oder Feilhaltens ist infolgedessen das herausragende Unrechtsmerkmal. Es scheidet die Bereiche des Straflosen und des Strafbaren (nach § 146 Abs. 1 macht sich nicht strafbar, wer Banknoten im Malverfahren herstellt, um damit die Wände zu bekleben) und trennt die leichteren von den schwereren Verbreitungshandlungen. Die Verknüpfung des wesentlichen (konstitutiven oder das Verbrechen vom Vergehen schei- 3 denden) Unrechtsgehalts mit der Täterintention im Stadium der Vorbereitung des Angriffs auf das Rechtsgut ermöglicht einerseits den intensiven, im Vorfeld der Rechtsgutsgefährdung mit scharfer Strafdrohung einsetzenden strafrechtlichen Schutz des Geldverkehrs, nimmt aber andererseits dem „Volltatbestand“ (§ 146 Abs. 1 Nr. 3) für die Begründung der Strafbarkeit ein gewisses Maß an eigenständiger Bedeutung.2 Nach dem Wortlaut der Vorschrift kann sich nach der dritten Tatbestandsalternative in der Regel nur strafbar machen, wer sich bereits nach § 146 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 strafbar gemacht hat. Das Inverkehrbringen falschen Geldes (§ 146 Abs. 1 Nr. 3) wird mit den vorausgegangenen, gesondert unter Strafe gestellten Vorbereitungshandlungen des Sichverschaffens oder Verfälschens auch regelmäßig als eine einheitliche Tat angesehen.3 Doch behält die Vorschrift ihre eigenständige Relevanz in den Fällen, in denen der Täter die beim Fälschen oder Sichverschaffen vorhandene Verbreitungsabsicht aufgibt, aber später auf Grund eines neuen Tatentschlusses dennoch verwirklicht. Dasselbe gilt für die Fälle, in denen der Täter nach rechtskräftiger Verurteilung wegen einer Tat nach § 146 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 Falschgeld aus dem alten Bestand in
1 BGH bei Holtz MDR 1982 102; Fischer Rdn. 22; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 67 Rdn. 11; krit. Kienapfel JR 1987 424.
2 Vgl. Lackner/Kühl/Heger Rdn. 9; Puppe/Schumann NK Rdn. 31 f; Kienapfel JR 1987 425. 3 BGHSt 34 108 m. Anm. Kienapfel JR 1987 424; BGHSt 42 162, 168; BGH b. Holtz MDR 1982 101, 102; BGH NJW 1995 1844, 1845; NStZ 1997 80; NStZ-RR 2000 105; RGSt 1 25; Fischer Rdn. 22; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 9, 14; Sch/ Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 26; Erb MK Rdn. 42; Puppe/Schumann NK Rdn. 31, 45; Stree JuS 1978 236, 239; Zielinski JZ 1973 193, 195. 9
Kudlich/Ruß
§ 146 StGB
Geldfälschung
Umlauf setzt.4 Gegen eine Verfolgung kann hier keine entgegenstehende Rechtkraft eingewendet werden, da neues deliktisches Verhalten vorliegt (vgl. ferner Rdn. 28).
II. Geld 1. Begriff 4 Tatobjekt ist das Geld. Darunter ist jedes vom Staat oder einer durch ihn dazu ermächtigten Stelle als Wertträger beglaubigte und zum Umlauf im öffentlichen Verkehr bestimmte Zahlungsmittel (woran es bei sog. Komplementärwährungen etwa privater Wirtschaftsverbände fehlt5), ohne Rücksicht auf einen allgemeinen Annahmezwang zu verstehen.6 Aus welchem Stoff das Geld hergestellt ist, ist ohne Bedeutung. Auch Geld fremder Währungen ist geschützt (§ 152) und zwar selbst dann, wenn es im Inland keinen Kurs hat oder wenn im Inland sein Umlauf verboten ist. Es genügt, dass es irgendwo von Rechts wegen als Wertträger, der seine Beglaubigung und seine Bestimmung als „Erklärungsinhalt“ (vor § 146 Rdn. 7) und den Aussteller ersehen lässt, die Funktion eines Zahlungsmittels hat.7 Fehlen dem Wertträger nach der ausländischen Rechtsordnung wesentliche Voraussetzungen für die Subsumtion unter den Geldbegriff, so mangelt es an der Geldeigenschaft im Sinne der §§ 146 ff, auch wenn die ausländische Rechtsordnung den Wertträger als „Geld“ behandelt.8 Deshalb sind die von der Republik Südafrika ausgegebenen Krügerrand-Goldmünzen kein Geld im Sinne der §§ 146 ff, da es ihnen für diese Qualifikation an der Bestimmung und Eignung zum Umlauf im öffentlichen Zahlungsverkehr fehlt;9 sie stehen qualitativ den sog. Handelsmünzen gleich, die kein Geld i. S. der §§ 146 ff sind.10 Die in der Bundesrepublik seit 1. Januar 1999 geltende Währungseinheit ist der Euro, der dem 4a an Geld i. S. der §§ 146 ff zu stellenden Qualitätsbegriff11 genügt. Er stellt auf Grund der Verordnung (EG) Nr. 974/98 des Rates vom 3. Mai 1998 über die Einführung des Euro – Euro-VO – (ABlEG Nr. L 139 v. 11.5.1998 S. 1 ff) i. V. mit dem Gesetz zur Einführung des Euro v. 9.6.1998 (BGBl. I 1242) seit 1. Januar 1999 die Währung der teilnehmenden Mitgliedstaaten, also auch der Bundesrepublik, dar und tritt seit dem genannten Zeitpunkt zum festgelegten Umrechnungskurs an die Stelle der bis dahin in den Mitgliedstaaten geltenden Währungen. Für den Übergangszeitraum bis zum 31.12.2001 behielten Banknoten und Münzen, die auf Deutsche Mark lauteten, wie bisher die Eigenschaft eines gesetzlichen Zahlungsmittels und wurden auf der Grundlage fester Umrechnungskurse als Untereinheiten des Euro beibehalten (vgl. Art. 9 und Art. 6 Abs. 1 Euro-VO). Ab 1. Januar 2002 setzten die von der Europäischen Zentralbank (EZB) und den Zentralbanken der 4 BGHSt 35 21, 27; 42 162, 168; BTDrucks. 7/1261 S. 13; Lackner/Kühl-Heger Rdn. 9, 14; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 23, 26; Stein SK Rdn. 20; Fischer Rdn. 23; Erb MK Rdn. 42; Puppe/Schumann NK Rdn. 31; Stree JuS 1978 236, 239; aA Zielinski JZ 1973 193, 195, der nur § 147 für anwendbar hält; ebenso Kienapfel JR 1987 425 und Herdegen LK10 Rdn. 3, 24, 27. 5 Instruktiv hierzu Ensenbach, Jura 2011, 341 ff. 6 RGSt 58 255, 256; RG HRR 1937 Nr. 1619; BGHSt 12 344, 345; 23 229, 231; 27 255, 258; 32 198; Fischer Rdn. 2; Lackner/Kühl-Heger Rdn. 2; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 2; Erb MK Rdn. 1; Stein SK Rdn. 1; Prost FS Lange 419; 422 ff; Otto Grundkurs Strafrecht BT § 75 Rdn. 3; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 67 Rdn. 13; ähnl. Wessels/ Hettinger/Engländer BT 1 Rdn. 944; Wessels FS Bockelmann 669, 672; Rengier BT II 39/2; krit. Geisler GA 1981 497, 500, 510 ff; vgl. auch Kienapfel ÖJZ 1986 423 ff. 7 Ähnlich Frank vor § 146 Anm. I; ferner Stein SK Rdn. 2; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 2; Lackner/KühlHeger Rdn. 2; Erb MK Rdn. 1 ff; Fischer Rdn. 2 ff; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 67 Rdn. 13. 8 BGHSt 32 198, 199; Geisler GA 1981 497, 510. 9 BGHSt 32 198, 200 m. zust. Anm. Puppe JZ 1986 992. 10 BGHSt 32 198, 202; Dreher/Kanein S. 70. 11 Stein SK Rdn. 4; Fischer Rdn. 2; Lackner/Kühl-Heger Rdn. 2; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 2; Westphal NStZ 1998 555; Ch. Schröder NJW 1998 3179; Vogel ZRP 2002 7, 9. Kudlich/Ruß
10
II. Geld
StGB § 146
Länder der teilnehmenden Staaten auf Euro lautende Banknoten (Art. 10 Euro-VO) und auf Euro oder Cent lautende Münzen (Art. 11 Euro-VO) in Umlauf. Diese Banknoten und Münzen sind nunmehr in den Mitgliedstaaten die alleinigen gesetzlichen Zahlungsmittel. Dementsprechend ist in Art. 1 § 1 Satz 1 Drittes EuroEG festgelegt, dass die von der Deutschen Bundesbank auf Deutsche Mark lautenden Banknoten und die von der Bundesrepublik Deutschland ausgegebenen auf Deutsche Mark oder Deutsche Pfennige lautenden Münzen (vgl. Voraufl. Rdn. 4) mit Ablauf des 31. Dezember 2001 ihre Eigenschaft als gesetzliche Zahlungsmittel verlieren sollen, jedoch behielten nach Art. 15 Abs. 1 Euro-VO die bisherigen nationalen Zahlungsmittel der beteiligten Staaten ihre Eigenschaft als gesetzliche Zahlungsmittel für weitere sechs Monate, also bis 30. Juni 2002. Außerdem war es den beteiligten Staaten überlassen, die von ihnen vor dem 1.1.2002 ausgegebenen Zahlungsmittel über diesen Zeitpunkt hinaus umzutauschen (Art. 16 Euro-VU). Tatsächlich tauscht die Deutsche Bundesbank im Rahmen dieser Vorschrift die auf Deutsche Mark lautenden Banknoten (und Bundesmünzen) in Euro-Banknoten (und Euro-Münzen) um (vgl. auch Rdn. 5) Bestritten ist, ob man es schon mit Geld zu tun hat, wenn der Akt der Emission noch 4b aussteht. Diese Frage, die für den Euro bereits vor dessen Ausgabe von Bedeutung war,12 wird in der Literatur teilweise verneint, weil erst der öffentlich-rechtliche Akt der Ausgabe maßgebend dafür sein könne, ob die Geldeigenschaft zu bejahen ist.13 Jedoch liegt es im Sinne des umfassenden wirksamen strafrechtlichen Schutzes, den das Gesetz dem Allgemeininteresse an einem funktionierenden Geldverkehr angedeihen lassen will, die bereits zur Ausgabe bestimmten, in ihren Merkmalen bekanntgemachten Noten oder Münzen (vgl. Art. 1 Euro-VO Nr. 975/98 des Rates vom 3. Mai 1998 über die Stückelung und technischen Merkmale der für den Umlauf bestimmten Euro-Münzen) als Geld zu betrachten, dessen Nachahmung oder Verfälschung in der Absicht des Inverkehrbringens den Tatbestand des § 146 Abs. 1 Nr. 1 erfüllt.14 Sondermünzen, die in den Alben von Sammlern verschwinden, fehlt de iure nichts an den 4c Merkmalen des Geldes (BGHSt 27 255, 259).15 Mit welcher Erwartung ihre Ausgabe erfolgt16 und welchen Weg sie nach der Ausgabe tatsächlich nehmen, ist gleichgültig.17 Ihrer Teilnahme am öffentlichen Zahlungsverkehr steht nichts entgegen (vgl. § 2 MünzG i. d. F. des Dritten EuroEG v. 16.12.1999 – BGBl. I S. 2402). Sie sind infolgedessen als Geld anzusehen. Der Unterschied zu den südafrikanischen Krügerrand-Goldmünzen liegt darin, dass diese nie zum Umlauf im öffentlichen Zahlungsverkehr bestimmt waren.18 Ein relativ neues Phänomen stellen virtuelle Kryptowährungen wie insbesondere die sog. 4d Bitcoins dar.19 Diese werden im Allgemeinen als dezentralisierte kryptographische oder auch digitale Währung bezeichnet, die computertechnisch erzeugt und verwaltet wird.20 Zum Erwerb und zur Übertragung von Bitcoins ist die Installation einer Software, eines sog. clients, notwendig, der für jeden frei zugänglich ist. Die Teilnehmer stehen sich alle gleichwertig gegenüber und es gibt keine staatliche Stelle, die für die Verwaltung, Generierung, Überweisung oder Kontrolle von Bitcoins zuständig wäre.21 Generiert werden Bitcoins von Nutzern, den sog. minern in komplizierten Rechenoperationen. Diese werden zur Verifizierung von Transaktionen durchge12 Nach Presseberichten hat die italienische Polizei schon Anfang 1999 auf Sizilien eine Euroblütenwerkstatt ausgehoben. 13 Vgl. Erb MK Rdn. 3; Stein SK Rdn. 4; Prost FS Lange (1976) 419, 422 ff; ferner Fögen S. 21, 22; Mann S. 8 f. 14 Lackner/Kühl-Heger Rdn. 2; Fischer Rdn. 2; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 2; Vogel ZRP 2002 7, 9; Westphal NStZ 1998 555, 556; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 67 Rdn. 14; ferner Geisler GA 1981 497, 514, der – mindestens – eine Ankündigung der Emission verlangt; ebenso Ch. Schröder NJW 1998 3179. 15 Puppe/Schumann NK vor § 146 Rdn. 9; Fischer Rdn. 2; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 2; Erb MK Rdn. 5; Hafke MDR 1976 278, 279; Oppe MDR 1973 183; ferner BGHSt 27 255, 259; differenz. Geisler GA 1981 497, 507. 16 Vgl. dazu Prost Festschrift Lange (1976) 419, 427 f. 17 AA Geisler GA 1981 497, 507 ff. 18 BGHSt 32 198, 200 m. Anm. Puppe JZ 1986 992 f; Stein SK Rdn. 2. 19 Vgl. zu Bitcoins und den Anwendungsvoraussetzungen (u. a.) der §§ 146 ff StGB Bittner BLJ 2017 63. 20 Vgl. Kuhlmann CR 2014 691; Auffenberg NVwZ 2015 1184. 21 Vgl. Spindler/Bille WM 2014 1357, 1358; Auffenberg NVwZ 2015 1184. 11
Kudlich/Ruß
§ 146 StGB
Geldfälschung
führt und mit neuen Bitcoins für den Einsatz von Rechenkapazitäten belohnt.22 Im Hinblick auf die Rechtsnatur der Bitcoins ist vieles umstritten und weitgehend ungeklärt.23 Wirtschaftlich gesehen erfüllen Bitcoins im Ergebnis durchaus Funktionen, die auch Geld im rechtlichen Sinne zukommt.24 Dennoch handelt es sich bei ihnen nicht um Geld im juristischen Sinne.25 Den Geldbegriff der §§ 146 ff zugrunde gelegt, scheitert die rechtliche Zahlungsmitteleigenschaft an der Voraussetzung der staatlichen Beglaubigung als Wertträger.26
2. Verlust der Geldeigenschaft 5 Gegenstände, die durch staatlichen Willensakt gesetzliche Zahlungsmittel geworden sind, behalten die Eigenschaft des Geldes so lange, bis sie außer Kurs gesetzt, d. h. bis sie durch staatlichen Willensakt (nicht nur durch das faktische Verhalten derjenigen, in deren Händen sie sind) aus dem Zahlungsmittelumlauf herausgenommen werden.27 Diese, auch von der Rechtsprechung vertretene Auffassung28 wird von einem Teil der Literatur abgelehnt.29 Soweit es um Geld der Bundesrepublik geht, ergibt sich ihre Richtigkeit aus dem Gesetz (§ 14 Abs. 2 BBankG, § 9 MünzG). Im Übrigen spricht für sie die Notwendigkeit, die Geldeigenschaft und ihre Dauer von eindeutigen Kriterien abhängig zu machen. Solange Banken indes verpflichtet sind, aufgerufene Noten oder Münzen umzutauschen, besteht die Geldeigenschaft fort, weil der Umtauschanspruch die für die Umlaufeignung wesentliche Gültigkeit erhält. Deshalb haben die nach Ausgabe der Euro-Noten und Euro-Münzen ab 1.1.2002 auf DM lautenden Zahlungsmittel den strafrechtlichen Schutz der §§ 146 ff bisher trotz der in Art. 1 § 1 Satz 1 Drittes EuroEG und Art. 15 Abs. 1 EuroVO Nr. 974/98 vom 3.5.1998 festgelegten Fristen nicht verloren; er besteht weiterhin fort bis zum Wegfall der von der Deutschen Bundesbank im Rahmen von Art. 16 Euro-VO eingeräumten Umtauschmöglichkeit.30 5a An der Geldeigenschaft ändert sich nichts dadurch, dass der Gegenstand, der durch staatlichen Willensakt gesetzliches Zahlungsmittel geworden ist, durch das faktische Verhalten derjenigen, in deren Händen er sich befindet, nicht mehr als solches verwendet wird. Der englische Goldsovereign hat daher, obwohl er nicht mehr zum Nennwert als Zahlungsmittel verwendet wird, mangels Vorliegens eines entsprechenden staatlichen Willensaktes die Geldeigenschaft nicht verloren.31 Dass einzelne Geldzeichen ihren Geldcharakter durch Vorgänge rein tatsächlicher Art, wie Beschädigungen, Verschmutzungen, erhebliche Einbuße an Gewicht oder Erkennbarkeit, verlieren können (vgl. Art. 1 §§ 2, 3 Drittes EuroEG; Fögen S. 26, 27), wird nicht in Abrede gestellt.
22 Zu den Details des „Minings“ s. Spindler/Bille WM 2014 1357, 1358; Beck NJW 2015 580, 581. 23 Über den Titel hinausgehend eingehend auch zu den Grundfragen der Einordnung der Bitcoins und vergleichbarer Phänomene Grzywotz Virtuelle Kryptowährungen und Geldwäsche, 2019. 24 Kuhlmann CR 2014 691, 695; Beck NJW 2015 580, 585. 25 Boehm/Pesch MMR 2014 75, 78; Spindler/Bille WM 2014 1357, 1361; Fischer § 146 Rn. 4a. 26 Näher Hilgendorf/Valerius/Kudlich/Kudlich Handbuch des Strafrechts, Bd, V, 2020, § 43 Rn. 57 ff. 27 Vgl. auch BGHSt 31 380, 382; Hafke MDR 1976 278, 279; BeckOK/Weidemann Rdn. 4; Lackner/Kühl-Heger Rdn. 2; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 3; Erb MK Rdn. 7; Stein SK Rdn. 5; Matt/Renzikowski/Maier Rdn. 9; Maurach/ Schroeder/Maiwald BT 2 § 67 Rdn. 15; Fögen S. 27. 28 BGHSt 12 345; 19 357, 359; auch BGHSt 31 380, 382. 29 Stein SK Rdn. 5; Puppe/Schumann NK vor § 146 Rdn. 8; Geisler GA 1981 497, 515 f. 30 Ebenso Erb MK Rdn. 8; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 3; Chr. Schröder NJW 1998 3179, 3180; aA Puppe/ Schumann NK Vor § 146 Rdn. 8; Fischer Rdn. 4; Stein SK Rdn. 5. 31 BGHSt 12 344; 19 357; Lackner/Kühl-Heger Rdn. 2; Puppe/Schumann NK vor § 146 Rdn. 9; Bartholme JA 1993 197, 198; aA OLG Oldenburg NdsRpfl. 1964 19; Stein SK Rdn. 2; Geisler GA 1981 497, 505; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 3. Kudlich/Ruß
12
III. Nachmachen oder Verfälschen von echtem Geld (Abs. 1 Nr. 1)
StGB § 146
III. Nachmachen oder Verfälschen von echtem Geld (Abs. 1 Nr. 1) 1. Nachmachen von echtem Geld (sog. Falschmünzerei) a) Zur Täuschung geeignete Ähnlichkeit ist, wenn es in der Absicht des Inverkehrbringens 6 geschieht, eines der in Absatz 1 Nr. 1 genannten Tatbestandsmerkmale. Nachgemachtes Geld ist unechtes Geld. Unechtes Geld rührt nicht von dem her, der nach den Bestimmungen der Rechtsordnung allein als Aussteller der in den Geldzeichen (im Stückgeld) verkörperten und für den Begriff des Geldes wesentlichen Gedankenerklärungen in Betracht kommt (BGHSt 23 229, 232; 27 255, 258). Nachmachen bedeutet Herstellen falschen Geldes (BGH wistra 2001 18, 19), es heißt, eine Sache derart körperlich behandeln, dass sie mit einer anderen Sache verwechselt werden kann.32 Geld ist nachgemacht, wenn dem Produkt der Anschein echten (gültigen) Geldes so innewohnt, dass die Beschaffenheit des falschen Geldes im gewöhnlichen Zahlungsverkehr den Arglosen täuschen kann (BGHSt 23 229, 231).33 An die zur Täuschung geeignete Ähnlichkeit sind keine allzu hohen Anforderungen zu stellen (BGH NJW 1995 1844, 1845; NStZ 2003 368, 369). „Die Erfahrung lehrt, dass die schlechtesten Fälschungen oft ihren Zweck erfüllen“ (BGH bei Dallinger MDR 1953 596; Döll NJW 1952 289). Dass bei den Fälschungen eine auch nur oberflächliche Prüfung die Unechtheit erweisen würde, steht der Eignung zur Täuschung nicht ohne Weiteres entgegen (BGH NJW 1995 1844, 1845; RGSt 6 142, 143 f). Auch darauf, ob die besonderen Umstände, unter denen der Ahnungslose Verfügungsgewalt über das Falschgeld erlangt, eine Prüfung der Echtheit gestatten, kommt es nicht an (BGH NJW 1952 311, 312). Der Anschein echten Geldes kann auch hervorgerufen werden, wenn – wie bei einem Phantasieprodukt – echtes Geld gleicher oder ähnlicher Art oder gleichen Wertes nicht ausgegeben worden ist oder als Vorbild gedient hat.34 Durch welche Mittel der täuschende Schein hervorgerufen wird, ist gleichgültig. Es genügt, wenn „das Falschstück durch seine stoffliche und sonstige Gestaltung, namentlich durch sein Gepräge in Wort und Bild bestimmt und geeignet ist, den Anschein zu erwecken, als ob es von einer dazu berufenen – inländischen oder ausländischen – Stelle als Geld geprägt, gedruckt oder sonst wie zum Umlauf als Geld beglaubigt und in Umlauf gebracht worden“ ist (RGSt 58 351, 352). Deshalb kann auch die Herstellung eines 40 DM-Scheines (oder erst recht eines 1000 EUR-Scheines) Gegenstand der Falschmünzerei sein.35 Beispielsweise ist falsches Geld angenommen worden in Fällen, in denen bei einer Münze nur eine Seite das Gepräge eines echten Geldstückes trug, während die andere Seite völlig glatt war (vgl. RGSt 6 142 ff; BGH bei Dallinger NJW 1953 596). Auch Papiergeldfälschungen mit gleicher Vorder- und Rückseite können den Arglosen täuschen (BGH NJW 1954 564; ferner OLG Hamm NJW 1958 1504). Voraussetzung ist aber jedenfalls stets, dass eine zur Verwechslung ausreichende Geldähnlichkeit angestrebt und (für eine Vollendungsstrafbarkeit) erreicht wird (BGHSt 30, 71, 72), dass also das Produkt des Nachmachens als echtes „Geld“ angesehen wird (und nicht nur als irgendeine Urkunde oder ein von § 151 nicht erfasstes Wertpapier), was für ausländisches Geld unter Berücksichtigung des jeweiligen ausländischen Rechts zu prüfen ist (BGH NStZ 2020, 155, 157).
32 BGH NJW 1995 1844; RGSt 58 352; 65 204. 33 BGH NStZ 2003 368, 369; 1994 124; NJW 1995 1844, 1845; 1952 311, 312; 1954 564; BGH b. Dallinger MDR 1953 596; RGSt 65 204; OLG Hamm NJW 1958 1504; Bartholme JA 1993 197, 198; Stein SK Rdn. 5b; Sch/Schröder/SternbergLieben Rdn. 5; Erb MK Rdn. 15 ff. 34 BGH NStZ 2020, 155, 156; BGHSt 30 71, 72 m. Anm. Stree JR 1981 427; BGHSt 32 198, 202; BGH NJW 1995 1844, 1845; RGSt 58 351; RG JW 1926 169 Nr. 1; RG HRR 1933 Nr. 347; HRR 1937 Nr. 1619; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4; Sch/ Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 5; Erb MK Rdn. 16; Puppe/Schumann NK Rdn. 3 ff; Fischer Rdn. 3; Bartholme JA 1993 197, 198; einschr. Otto NStZ 1981 479; Otto Grundkurs Strafrecht BT § 75 Rdn. 5; abw. auch Stein SK Rdn. 9. 35 Vgl. Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 5; Erb MK Rdn. 16; krit. zu dem Problem der Phantasieprodukte: Otto NStZ 1981 479; Stein SK Rdn. 9. 13
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Geldfälschung
Eine für eine Täuschung ausreichende Ähnlichkeit36 wurde im Übrigen verneint bei unaufgeschnittenen Druckbogen mit nachgemachten Banknoten, da „derartige Bogen im gewöhnlichen Zahlungsverkehr selbst bei Arglosen auf Zweifel an ihrer Echtheit stoßen“ (BGH NStZ 1994 124).37 Eine Verwechslungsgefahr mit gültigem Geld wurde auch verneint in einem Fall, in dem nachgemachte Banknoten sowohl auf der Vorder- als auch auf der Rückseite einen deutlich ins Auge springenden Werbeaufdruck aufwiesen (BGH NJW 1995 1844);38 jedoch kann in derartigen Fällen Verwechslungsgefahr dann bestehen, wenn der Werbeaufdruck nicht ins Auge springt, von geringer Größe oder durch einfaches Falten der Scheine leicht zu verbergen ist.39 Auf den ersten Blick als plumpe Fälschungen erkennbare Metallstücke, die dazu dienen sollen, Waren aus Automaten zu holen, sind keine Nachahmungen von Geld.40 Mit ihrer Produktion begeht der Täter ein versuchtes Verbrechen nach § 146 Abs. 1 Nr. 1 nur dann, wenn Wollen und Können auseinanderfallen: Der (in der Absicht des Inverkehrbringens handelnde) Täter will oder rechnet damit, dass er Falschgeld herstellt. Was er tatsächlich herstellt, misslingt. Es hat, ohne dass auch nur eine oberflächliche Prüfung erforderlich wäre, nicht den Anschein echten Geldes.41 Dass Falschmünzerei dadurch begangen werden kann, dass bereits umlaufende falsche Münzen „nachbehandelt“ werden und nunmehr erst den Anschein von Geld oder den Anschein eines höheren Wertes erlangen, steht außer Frage.42
7 b) Systemnoten und Systemmünzen43 erfordern eine besondere Betrachtung. Systemnoten (unter ausschließlicher oder teilweiser Verwendung gespaltener echter Banknoten nach einem besonderen System zusammengesetzte Scheine) sind nach der Rechtsprechung Falschgeld,44 weil sie in ihrer zusammengesetzten Form (im Falle deutschen Geldes) nicht von der Bundesbank als Aussteller herrühren (BGHSt 23 229, 232; OLG Schleswig NJW 1963 1560, 1561). Damit wird aber der entscheidende Gesichtspunkt noch nicht getroffen, der das Nachmachen vom Verfälschen unterscheidet. Die für den Begriff des Geldes wesentliche Erklärung der Wertträgerund Zahlungsmitteleigenschaft von Gesetzes wegen (vor § 146 Rdn. 7) wird in der „konkreten und einmaligen Form der individuellen Note“ abgegeben.45 Ihre Zerstörung und die Zusammenfügung der gewonnenen Teile in anderer Form oder mit Teilen anderer Noten (BGHSt 23 229, 230) oder auch mit bloßen „Füllstücken“, etwa in Form von Fotokopien oder bemaltem Papier,46 in einer Weise, dass die Eignung zur Täuschung des Arglosen nicht in Frage gestellt wird, lässt neue Stücke entstehen, deren gesamte für den Charakter wesentliche Gedankenerklärung nicht von demjenigen stammt, der als Aussteller erscheint. In BGHSt 23 229, 232 wird durch den Hin-
36 Nachweise zur Kasuistik auch bei SSW/Wittig Rdn. 11 f. 37 Dazu: Bartholme JA 1994 97 ff; Hefendehl JR 1996 353, 356; Puppe/Schumann NK vor § 146 Rdn. 12; Puppe JZ 1997 490, 497; Stein SK Rdn. 9; vgl. auch ÖstOGH 52 188, 190. 38 Lackner/Kühl-Heger Rdn. 4; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 5; Stein SK Rdn. 9; Fischer Rdn. 6 f; dazu ferner Sonnen JA 1996 95; Hefendehl JR 1996 353, 357; zu einem abw. Erg. vgl. OLG Düsseldorf NJW 1995 1846 m. krit. Anm. Puppe JZ 1997 490, 498. 39 BGH NStZ 2003 368, 369; i. Erg. ebenso Fischer Rdn. 6. 40 BGH NJW 1952 563 m. Anm. Dreher; Puppe/Schumann NK Rdn. 6; Mitsch JuS 1998 307, 309. 41 BGH b. Dallinger MDR 1953 596; RGSt 69 3, 5; Dreher MDR 1952 563, 564; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 67 Rdn. 17. 42 Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 5; Fischer Rdn. 8; Binding Lehrbuch § 178 II 2a; Frank Anm. I 2; Olshausen Anm. 2. 43 BGHSt 23 229; OLG Schleswig NJW 1963 1560; RG JR 1927 2246; JW 1928 660 Nr. 30 m. Anm. Gerland; Hafke MDR 1976 278; Schmiedl-Neuburg S. 85. 44 Ebenso: Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 5; Lackner/Kühl-Heger Rdn. 4; Fischer Rdn. 7; Erb MK Rdn. 13 f; Puppe/Schumann NK Rdn. 8; Stein SK Rdn. 10; Hafke MDR 1976 278, 279. 45 Hafke MDR 1976 278, 280. 46 Schmiedl-Neuburg S. 85. Kudlich/Ruß
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III. Nachmachen oder Verfälschen von echtem Geld (Abs. 1 Nr. 1)
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weis auf die Nummern der Banknoten, die ihre „einmalige Form“ wesentlich mitbestimmen, ein ähnlicher Gedankengang angedeutet. Bei Systemmünzen liegt es anders, wenn die Manipulation lediglich die Gedankenäuße- 8 rung betrifft, die für den Sammlerwert Bedeutung hat. Münzen enthalten die für den Begriff des Geldes wesentlichen Erklärungen nicht in der konkreten und einmaligen Form individueller Geldzeichen. Ihre Veränderung in den für diese Erklärung unwichtigen Teilen ist lediglich eine nach § 146 Abs. 1 Nr. 1 nicht zu erfassende Verfälschung im Sinne von § 267 Abs. 1.47
c) Fälschung von verrufenem Geld. Falschmünzerei kann ferner darin bestehen, dass verru- 9 fenem (außer Kurs gesetztem) Gelde der Anschein von gültigem Gelde gegeben wird (BTDrucks. 7/550 S. 226).48 Werden lediglich ungültige Münzen als solche nachgemacht oder verfälscht, so ist das ein ordnungswidriges, mit Geldbuße bedrohtes Handeln (Art. 2 §§ 11, 12 MünzG i. d. F. des Dritten EuroEG). Selbstverständlich kommen die Nachahmungen ungültiger Münzen ebenso als Tatmittel eines Betrugs in Betracht, wie die nicht gelungenen Nachahmungen echter Geldzeichen. Werden ungültige Münzen zur Täuschung im Rechtsverkehr nachgemacht, ist der Tatbestand der Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 1) nicht deshalb ausgeschlossen, weil die nachgemachten Münzen außer Kurs gesetzt sind.49 Die Gedankenerklärungen, die nicht für den nominellen Wert und für die Zahlungsmitteleigenschaft, wohl aber für den Sammlerwert von Bedeutung sind, verlieren ihre Beweiseignung nicht durch die Aufhebung der Geldeigenschaft. Die Beweisbestimmung gibt ihnen der Fälscher selbst.
d) Karlsruher Münzskandal. Der Fall des Karlsruher Münzskandals, der Gegenstand der 10 Entscheidung BGHSt 27 255 war, warf die Frage auf, ob auch diejenigen nachmachen, die als Bedienstete einer staatlichen Münzstätte mit deren Werkzeugen und in ihren Räumen aus richtig zusammengesetztem Material eigenmächtig gültige Bundesmünzen nachprägen, die sich in nichts von Münzen unterscheiden, die im Auftrag des Bundes geprägt worden sind. Die positive Antwort ergab sich aus der Überlegung, dass die Münzstätte die Münzen nur körperlich fertigt und Urheber der in der Münze verkörperten Gedankenerklärung, Aussteller im Rechtssinne (derjenige, von dem die Erklärung „geistig herrührt“), der Bund ist, für den Bundesregierung und Bundesminister der Finanzen handeln. Fehlt sein Auftrag zur Ausprägung, verkörpert die Münze eine Gedankenerklärung, die nicht von demjenigen herrührt, der nach dem Aufdruck auf der Münze und von Gesetzes wegen als ihr Aussteller erscheint. Die Münze ist unecht.50 2. Verfälschen von echtem Geld (sog. Münzverfälschung) Geld wird verfälscht, wenn ihm durch Veränderung der Schein höheren Wertes gegeben wird. 11 Das Gesetz sagt nichts über die Art und Weise der Veränderung. Es kommen auch Manipulationen in Betracht, die nicht auf Prägung oder Gehalt einwirken (wie Polieren, Überziehen mit 47 Vgl. vor § 146 Rdn. 7; ebenso: Fischer Rdn. 8; Puppe/Schumann NK Rdn. 9; Lackner/Kühl-Heger Rdn. 4; Erb MK Rdn. 13; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 6; Stein SK Rdn. 12; Bartholme JA 1993 197, 199; aA Hafke MDR 1976 278, 279. 48 RGSt 60 316; 59 373; Stein SK Rdn. 11; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 5; Erb MK Rdn. 14; Fischer Rdn. 4; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 67 Rdn. 20; Lackner/Kühl-Heger Rdn. 2; vgl. ferner BGHSt 31 380, 382. 49 So aber Dreher JR 1976 295, 297. 50 BGHSt 27 255, 258 f m. Anm. Geisler NJW 1978 708; Dreher JR 1978 45, 46; Wessels FS Bockelmann 669, 672; Prost FS Lange 419, 427; Fischer Rdn. 7; Stein SK Rdn. 10; Puppe/Schumann NK vor § 146 Rdn. 11; Sch/Schröder/ Sternberg-Lieben Rdn. 5; Lackner/Kühl-Heger Rdn. 4; Bartholme JA 1993 197, 198; Otto Grundkurs Strafrecht BT § 75 Rdn. 6; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 67 Rdn. 20; aA LG Karlsruhe NJW 1977 1301. 15
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Geldfälschung
Quecksilber). Wird der Anschein eines höheren Wertes nicht hervorgerufen, liegt Versuch vor, wenn der Täter wollte oder damit rechnete, dass er den Anschein hervorrufen wird (und in der Absicht des Inverkehrbringens handelte). Infolgedessen scheidet auch der Versuch einer Münzverfälschung aus, wenn der Täter an eine Werterhöhung nicht denkt und Geldstücke nur breitklopft, um sie für den Fernsprecher oder einen Warenautomaten verwenden zu können (RGSt 68 65, 69; vgl. auch BGH MDR 1952 563 m. Anm. Dreher). Bei dem höheren Wert geht es um den nominellen Wert, den Wert, den Geld in seiner Zahlungsmitteleigenschaft hat.51 Der Tatbestand wird nicht erfüllt, wenn eine Münze in den Teilen der von ihr verkörperten Gedankenerklärung verändert wird, die zwar für den Sammlerwert, nicht aber für den nominellen Wert von Bedeutung sind (Rdn. 8 und vor § 146 Rdn. 7).
3. Absicht des Inverkehrbringens 12 a) Inverkehrbringen. Falsches Geld wird in Verkehr gebracht, wenn es so aus dem Gewahrsam entlassen wird, dass ein anderer tatsächlich in die Lage versetzt wird, sich des falschen Geldes zu bemächtigen und nach Belieben damit umzugehen, es insbesondere weiterzuleiten.52 Es ist völlig gleichgültig, was der Erwerber mit dem Falschgeld anzufangen beabsichtigt. Unter dem Gesichtspunkt des Inverkehrbringens kommt es nur darauf an, dass er Verfügungsgewalt erlangt (BGH NJW 1952 311, 312; StV 1998 379). Nach der Rechtsprechung soll auch genügen, dass Nachahmungen gültiger Münzen als Sammelobjekte zu einem den Nennwert mehr oder weniger übersteigenden Preis an den Mann gebracht werden (BGHSt 27 255, 259 f; BGH JR 1976 294, 295).53 13 Der übliche Fall des Inverkehrbringens wird es sein, dass das Falschgeld übergeben wird und so unmittelbar von der Verfügungsgewalt des Täters auf diejenige des Abnehmers überwechselt.54 Ein Inverkehrbringen in diesem Sinne wurde beispielsweise angenommen in Fällen, in denen falsches Geld einer Bank zur Zahlung (OLG Schleswig NJW 1963 1560, 1561), zum Wechseln oder nach Außer-Kurs-Setzung der nachgemachten Geldzeichen zum Umtausch (BGH LM StGB § 146 Nr. 2) übergeben wurde. Es liegt auch vor, wenn falsches Geld verschenkt oder in einen Opferstock oder in einen Automaten eingeworfen wird, um daraus Waren zu erhalten.55 Wer falsches Geld zur Leistung einer Sicherheit verwendet, bringt es auch in Verkehr, wenn in specie zurückzugeben ist.56 Ein Inverkehrbringen setzt jedoch nicht voraus, dass der Täter das Falschgeld unmittelbar an einen Abnehmer übergibt. Es reicht aus, dass ein beliebiger Dritter in die Lage versetzt wird, sich des Geldes zu bemächtigen und es seinerseits weiterzugeben.57 51 Fischer Rdn. 8; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 6; Stein SK Rdn. 12; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 5; Puppe/Schumann NK Rdn. 9; Bartholme JA 1993 197, 199; aA Hafke MDR 1976 278, 279 f.
52 RGSt 67 167, 168; BGHSt 27 255, 259; 35 21, 23; 42 162, 168; BGH NJW 1952 311, 312; MDR 1952 563; JR 1976 294; NStZ 1986 548; NJW 1995 1845, 1846; BGH NStZ 2002 593; BGH NStZ 2003 423; ferner Wessels FS Bockelmann 669, 673 ff; Lackner/Kühl-Heger Rdn. 7; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 21; Erb MK Rdn. 45; Stein SK Rdn. 16; Puppe/ Schumann NK Rdn. 17; Fischer Rdn. 17; krit. Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 67 Rdn. 25. 53 Vgl. auch Stree JuS 1978 236, 237; Fischer Rdn. 17; Lackner/Kühl-Heger Rdn. 7; Puppe/Schumann NK Rdn. 18; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 21; zwf. Blei JA 1976 597; aA mit gewichtigen Argumenten Erb MK Rdn. 45; Frank Anm. II; Dreher/Kanein S. 72; vor allem Dreher JR 1976 294, 296 und JR 1978 45, 47, nach dem unter „Verkehr“ i. S. von §§ 146, 147 nur der Zahlungsverkehr gemeint ist und deshalb ein Inverkehrbringen nicht vorliegt, wenn falsches Geld gleichsam als Handelsware zu einem den Nennwert übersteigenden Preis an einen Sammler verkauft wird. 54 Zur Kasuistik in weniger klaren Fällen auch SSW/Wittig Rdn. 23 f. 55 BGHSt 35 21, 24; BGH NJW 1952 311; MDR 1952 563 m. Anm. Dreher; BGH b. Dallinger MDR 1953 596; Lackner/ Kühl-Heger Rdn. 7; Fischer Rdn. 17; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 21; Erb MK Rdn. 45; Stein SK Rdn. 16; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 67 Rdn. 25; F.-Ch. Schroeder JZ 1987 1133; Sonnen JA 1988 53. 56 Stein SK Rdn. 16; Erb MK Rdn. 45; teilw. abw. Frank Anm. II. 57 Rengier BT II 39/11. Kudlich/Ruß
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III. Nachmachen oder Verfälschen von echtem Geld (Abs. 1 Nr. 1)
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Allerdings wird es sich dann lediglich um eine Versuchstat handeln (vgl. Rdn. 26 f). Dies kann der Fall sein, wenn der Täter das Geld wegwirft und ein Dritter es findet; es wurde in BGHSt 35 21, 25 auch in einem Fall als möglich angesehen, in dem der Täter die Falsifikate in den Abfalleimer einer Autobahnraststätte geworfen hatte.58 Ein Inverkehrbringen scheidet jedoch aus, wenn der Täter das Falsifikat lediglich als Schmuckstück weitergeben will (BGH GA 1967 215) oder das Falschgeld in einem Banksafe deponiert, der ohne seine Mitwirkung nicht geöffnet werden kann (BGH 1 StR 441/77 v. 13.9.1977), oder wenn er es nur vorzeigt, um mit seinem Reichtum zu prahlen oder um seine Kreditwürdigkeit zu belegen.59 In diesen Fällen entlässt der Täter das Geld nicht aus seinem Gewahrsam, um einem Dritten die beliebige Verfügungsmöglichkeit zu vermitteln. Ein Inverkehrbringen liegt auch noch nicht vor, so lange das Falschgeld von einem Boten zu einem Abnahmeinteressenten transportiert wird (BGH 3 StR 336/84 v. 29.8.1984), da während dieser Zeit der Verkäufer nach wie vor Sachherrschaft an dem Geld hat,60 auch dann noch nicht, wenn der Täter das Falschgeld zwar (mündlich) anbietet, es aber nicht in eigener Verfügungsgewalt hat, sondern von ihm erst noch von einem Dritten beschafft werden muss.61 Es scheidet ferner aus, solange das Falschgeld in einem internen Vorgang innerhalb des Kreises der Mittäter unter diesen weitergegeben wird.62 Nur um einen Versuch des Inverkehrbringens handelt es sich, wenn das falsche Geld vor der Übergabe zurückgewiesen (RGSt 67 167) oder vom Automaten sofort wieder ausgeworfen wird.63
b) Als echt Inverkehrbringen. Als echt ist das Falschgeld in Verkehr gebracht, sobald es in 14 die Verfügungsgewalt eines Arglosen gelangt ist. Arglos ist derjenige, der das falsche Geld in der Vorstellung, es als gültiges Zahlungsmittel weitergeben zu können, an sich nimmt, mag er dann alsbald feststellen, dass er unechtes Geld empfangen hat.64 – Die Worte „als echt“ in der Tatbestandsbeschreibung führen zu der Frage, ob die Absicht der Weitergabe an einen Zwischenhändler oder an einen anderen Eingeweihten mit eigener Verfügungsgewalt überhaupt oder wenigstens dann ausreicht, wenn das falsche Geld von da aus seinen Weg zu Gutgläubigen nehmen soll (vgl. auch schon vor § 146 Rdn. 2 f sowie Rdn. 24 und § 147 Rdn. 2 ff). Für § 146 Abs. 1 Nr. 1 (und Nr. 2) ist zwar in der nunmehr geltenden Gesetzesfassung das Ergebnis für Fälle dieser Art klar: Tatbestandsmäßig ist auch die Absicht, das Inverkehrbringen von falschem Geld als echtem Geld zu ermöglichen, sodass genügt, wenn der Täter anstrebt, dass das Falschgeld auf irgendeinem von ihm in Gang gesetzten oder geförderten Weg durch Zwischenhändler oder andere Eingeweihte in die Verfügungsgewalt eines Arglosen gelangt.65 Damit ist aber gerade nicht ausgesagt, dass die Absicht des Ermöglichens auch ein Unterfall der Absicht des Inverkehrbringens als echt ist,66 m. a. W.: Ob das Geld bei Übergabe an einen Bösgläubigen 58 Dazu Hauser NStZ 1988 453 f; abl. Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 67 Rdn. 26; Schroeder JZ 1987 1133; Prittwitz NStZ 1989 8, 10; krit. auch Jakobs JR 1988 121, 122; Erb MK Rdn. 45; Fischer Rdn. 17; krit. Stein SK Rdn. 16.
59 BGH 1 StR 441/77 v. 13.9.1977; Fischer Rdn. 18; Frank Anm. II; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 7, 21; Maurach/ Schroeder/Maiwald BT 2 § 67 Rdn. 25; Erb MK Rdn. 25; Puppe/Schumann NK Rdn. 17; aA RGSt 14 161, 165; vgl. auch BGH wistra 2008 144, 146. 60 Vgl. BGHSt 35 21, 22; BGH StV 1998 379; NStZ-RR 1997 198. 61 BGH NStZ 1986 548; NStZ 2003 423; Erb MK Rdn. 55. 62 BGH NStZ-RR 2002 302; BGH b. Dallinger MDR 1971 16; 3 StR 336/84 v. 29.8.1984; vgl. ferner BGHSt 42 162, 169; Stein SK Rdn. 16; Fischer Rdn. 18; Erb MK Rdn. 45; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 21; Wessels FS Bockelmann S. 669, 679. 63 Wessels FS Bockelmann 669, 676. 64 RGSt 67 167 f; BGHSt 1 143, 144; 27 255, 259. 65 BGH NStZ-RR 2002 302; NStZ 2002 593; BGH 1 StR 156/78 v. 20.6.1978; vgl. ferner BGHSt 29 311, 313 f; 32 68, 78; 35 21, 23; 42 162, 168; Fischer Rdn. 17; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 7; Lackner/Kühl-Heger Rdn. 8; Rengier BT II 39/12; krit. Stein SK Rdn. 18; Puppe JZ 1986 992, 994; krit. Jakobs JR 1988 121; Prittwitz NStZ 1989 8, 9; abl. auch Erb MK Rdn. 24 ff. 66 So aber wohl Vorauflage Rdn. 14; zu diesem Argument zutr. krit. Erb MK Rdn. 48. 17
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Geldfälschung
„als echt“ in den Verkehr gebracht wird, ist in der Tat für § 146 Abs. 1 Nr. 1 (und 2) insoweit unerheblich, als auch die Absicht, dies dem Bösgläubigen zu ermöglichen, tatbestandsmäßig ist – die Frage ist aber durch diese Binnensystematik jedenfalls nicht bejahend beantwortet.
15 c) Absicht des Inverkehrbringens. Der Täter muss in der Absicht handeln, das Falschgeld (als echtes) in den Verkehr gelangen zu lassen. Mit Absicht ist der zielgerichtete Wille gemeint (BGHSt 27 255, 259; 35 21, 22). Es muss dem Täter auf das Inverkehrbringen oder auf die Ermöglichung des Inverkehrbringens von falschem (nachgemachtem oder verfälschtem) Geld als echtem Geld ankommen, ohne dass diese Zielvorstellung Endzweck (Beweggrund) seines Handelns zu sein braucht.67 Die Absicht des Inverkehrbringens fehlt, wenn das Falsifikat als Schmuck veräußert werden soll (BGH GA 1967 215), weil die unechte Münze in der Funktion eines Schmuckstücks keine Geldbedeutung hat. Nicht der Schein echten Geldes soll hervorgerufen werden, sondern allenfalls der Schein eines Schmuckstücks aus echtem Geld.68 Die Absicht des Inverkehrbringens fehlt auch, wenn der Hersteller mit den Falsifikaten nur prahlen oder sie nur vorzeigen will, um als kreditwürdig zu erscheinen (vgl. Rdn. 13) oder wenn nur Probestücke gefertigt werden, die der Täter, auch wenn sie gelingen, nicht aus der Hand geben will (RGSt 69 3, 5).
4. Vorsatz 16 Zur inneren Tatseite gehört außer der Absicht des Inverkehrbringens, dass der Täter die objektiven Tatbestandsmerkmale vorsätzlich verwirklicht. Eventualvorsatz genügt (BGH b. Dallinger MDR 1953 596).69 Der Täter muss also wissen oder damit rechnen, dass er Geld verfälscht oder ein Produkt herstellt (nachmacht), dem der Anschein echten Geldes innewohnt (vgl. Rdn. 6) und er muss für sicher halten oder doch damit rechnen, dass das von ihm hergestellte oder verfälschte Falschgeld geeignet ist, im Verkehr für echt gehalten zu werden, also den Arglosen über die Unechtheit zu täuschen (BGH bei Dallinger MDR 1953 596; wistra 2004 262). Nicht erforderlich ist, dass der Täter davon ausgeht, Geld nachzumachen, das sich in Umlauf befindet; denn auch die Herstellung eines Phantasieproduktes (vgl. Rdn. 6) kann zur Tatbestandserfüllung ausreichen.70 Demnach ist es ein Tatbestandsirrtum, wenn der Täter nicht weiß und nicht damit rechnet, dass er (gültiges) Geld nachmacht und wenn er irrtümlich darauf vertraut, dass das, was er anfertigt, den Arglosen nicht zu täuschen vermag.71
5. Versuch und Vollendung 17 Einen strafbaren Versuch begeht auch schon der Täter, der in der Absicht des Inverkehrbringens nachmacht oder verfälscht und zu Unrecht annimmt, dass das, was er nachmacht oder verfälscht, für echtes Geld gehalten werde, also den Maßstäben genügt, die an Geldfälschungen zu stellen sind. Deshalb könnte in dem Fall der unaufgeschnittenen Druckbogen (BGH NStZ 67 BGH NJW 1952 311, 312; Lackner/Kühl-Heger Rdn. 11; Fischer Rdn. 9, 21; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 7; Stein SK Rdn. 13; Erb MK Rdn. 24; BTDrucks. 7/550 S. 226; aA Puppe/Schumann NK Rdn. 13, wonach unter Absicht nur einfacher Vorsatz zu verstehen sei. 68 Stree JuS 1978 236, 238. 69 BGHSt 35 21, 25; BGH JR 1976 294, 295 unter 2d m. Anm. Dreher S. 297; Fischer Rdn. 9, 21; Lackner/Kühl-Heger Rdn. 10; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 11; Erb MK Rdn. 20; Stein SK Rdn. 13; Puppe/Schumann NK Rdn. 10; Stree JuS 1978 236, 238. 70 Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 9; Erb MK Rdn. 22. 71 Vgl. auch Puppe/Schumann NK Rdn. 12. Kudlich/Ruß
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IV. Sichverschaffen oder Feilhalten von falschem Geld (Abs. 1 Nr. 2)
StGB § 146
1994 124; vgl. Rdn. 6) dann ein Versuch vorliegen, wenn der Fälscher von der Annahme ausgegangen sein sollte, der Rechtsverkehr werde die unaufgeschnittenen Druckbogen für echtes Geld halten.72 Ferner liegt ein Versuch vor, wenn derjenige, dem sein Vorhaben, zur Täuschung geeignete Stücke herzustellen, misslingt, weil seine Produkte Mängel aufweisen, die sie auf den ersten Blick als Fälschung erweisen (BGH b. Dallinger MDR 1953 596). Das Gleiche gilt in den Fällen, in denen es sich bei dem Empfänger um einen verdeckten Ermittler, also um einen in amtlicher Eigenschaft tätigen Polizeibeamten73 oder um eine Person handelt, der es darum geht, das Falschgeld als Beweismittel gegen den Täter zu verwenden.74 Auch wer nicht mehr gültiges Geld für ein gesetzliches Zahlungsmittel hält, kann einen strafbaren untauglichen Versuch begehen.75 Vollendet ist der Tatbestand mit der Herstellung des ersten Stückes, das in der Absicht des 18 Inverkehrbringens nachgemacht oder verfälscht worden ist, wenn sich das Stück dazu eignet, den Arglosen zu täuschen. Ein Rücktritt gemäß § 24 ist danach nicht mehr möglich; denn es ist für § 146 Abs. 1 Nr. 1 gleichgültig, ob das Falschgeld in Verwirklichung der Absicht tatsächlich in Verkehr gebracht wird. Ohne rechtliche Bedeutung ist es daher auch, wenn die beabsichtigte Verbreitung misslingt (RGSt 67 167 f). Ob der Täter selbst sein Produkt, dessen Eignung zur Täuschung er wollte, nach der Fertigstellung für geeignet hält, ist ebenfalls ohne Bedeutung: Der Tatbestand ist verwirklicht, die Tat vollendet, wenn der Täter mit Verbreitungsabsicht und vorsätzlich nachmachte oder verfälschte und den gewollten Erfolg (den Anschein von echtem Geld oder von höherem Wert) auch tatsächlich erreichte (RGSt 69 3, 4). Ob der Tatbestand nur einmal oder mehrmals verwirklicht wird, entscheidet nicht die Zahl der Falschstücke. Das Ergebnis eines Produktionsvorganges erscheint als Resultat einer Tat.76 Mehrere Produktionsvorgänge sind nach Aufgabe der „fortgesetzten Handlung“ durch die Rechtsprechung (vgl. BGHSt 40 138) je nach Fallgestaltung als eine natürliche Handlungseinheit oder als mehrere Handlungen aufzufassen (vgl. BGH wistra 2001 18, 20). Ein Rücktritt vom vollendeten Delikt der Geldfälschung nach § 146 Abs. 1 Nr. 1 kommt, 19 wie der auf Vorbereitungshandlungen nach § 149 Abs. 1 beschränkten Regelung des § 149 Abs. 2 (Abs. 3) zu entnehmen ist, nicht in Betracht.77 Gegen diese punktuelle, den Eindruck des Zufälligen erweckende Regelung wendet sich Zielinski78 mit guten Gründen.79
IV. Sichverschaffen oder Feilhalten von falschem Geld (Abs. 1 Nr. 2) 1. Sichverschaffen von falschem Geld In der Rechtsprechung wurde in einigen Entscheidungen der Eindruck vermittelt, für das Merk- 20 mal des Sichverschaffens komme es allein darauf an, dass der Täter das Falschgeld in seinen Besitz oder in seine Verfügungsgewalt bringt.80 Diese Auffassung hat in BGHSt 44 62 unter Bezugnahme auf frühere Rechtsprechung (vgl. BGHSt 3 154, 156) und die überwiegende Mei-
72 Bartholme JA 1994 97, 99; Lackner/Kühl-Heger Rdn. 12; vgl. auch Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 10 f; Erb MK Rdn. 21; Puppe/Schumann NK Rdn. 12; aA Hefendehl JR 1996 353, 356. 73 BGHSt 34 108, 109; BGH NStZ 1997 80; NStZ 2000 530; NStZ-RR 2002 302; Erb MK Rdn. 45. 74 BGH NStZ-RR 2000 105; Puppe/Schumann NK Rdn. 38; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 25; Erb MK Rdn. 45. 75 BGH JR 1976, 294; BeckOK/Weidemann Rdn. 19. 76 OLG Schleswig NJW 1963 1560, 1561; Puppe/Schumann NK Rdn. 19. 77 Lackner/Kühl-Heger Rdn. 12; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 10; Puppe/Schumann NK Rdn. 19. 78 JZ 1973 193, 197 f. 79 Dazu ferner Erb MK Rdn. 55. 80 Vgl. BGHSt 35 21, 22 m. Anm. Jakobs JR 1988 121; BGH NStZ-RR 1997 198; OLG Düsseldorf JR 1986 512. 19
Kudlich/Ruß
§ 146 StGB
Geldfälschung
nung in der Rechtslehre81 eine berichtigende und klarstellende Ergänzung dahin erfahren, dass die Erlangung der tatsächlichen Verfügungsmöglichkeit allein nicht genügt, Voraussetzung des Sichverschaffens i. S. des § 146 Abs. 1 Nr. 2 vielmehr ist, dass der Täter das Falschgeld mit dem Willen zu eigenständiger Verfügung annimmt.82 Auf diese Weise wird, worauf BGHSt 44 62, 65 f zu Recht hinweist, eine sachgerechte Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme ermöglicht, wie sie insbesondere bei Transport- und Verteilungsgehilfen oder Empfangsboten erforderlich sein kann, die sich nur als Werkzeuge des Täters verstehen (vgl. BGH GA 1984 427; LG Gera NStZ-RR 1996 73). Das Sichverschaffen erfordert keine besonderen Modalitäten: Abgeleiteter und originärer Erwerb kommen in Betracht (RGSt 67 294, 296; RG HRR 1939 Nr. 1376). Es genügt infolgedessen Erwerb durch Fund, Diebstahl, Unterschlagung oder durch ein Entziehen im Sinne von § 133 Abs. 1 (RG JW 1937 3301). Ein Einverständnis mit dem Vorbesitzer ist (im Unterschied zur Hehlerei: BGHSt 42 196) zur Erlangung der Verfügungsgewalt nicht erforderlich.83 Ein Sichverschaffen kann vorliegen, wenn der Täter das Falschgeld zuvor einem anderen zahlungshalber in dessen alleinige Verfügungsgewalt übergeben hat, dann aber zurücknimmt, weil der andere zwischenzeitlich die Fälschung erkannt hat (BGH NJW 1995 1845 m. krit. Anm. Wohlers StV 1996 28) oder weil er das Falschgeld auf andere Weise in Umlauf bringen wollte (BGHSt 42 162, 168 m. Anm. Puppe JZ 1997 490, 499). Eine besondere Aktivität braucht der Täter nicht zu entfalten. Es reicht aus, wenn er ihm angebotenes Falschgeld annimmt.84 Der Täter muss allein oder gemeinsam mit einem Mittäter selbständige (Mit-)Verfügungsgewalt erlangen (BGHSt 44 62).85 Kann er tatsächlich die Verfügungsgewalt selbständig (nach seinem Ermessen und seinem Interesse) ausüben und will er das auch, so erlangt er eigene Verfügungsgewalt selbst dann, wenn er dem bisherigen Gewahrsamsinhaber vorgespiegelt hat, er werde mit dem Falschgeld nur nach dessen Weisungen verfahren (BGHSt 3 154, 156). Wer in der Rolle des bloßen Verwahrungs-, Transport- oder Verteilungsgehilfen nur für einen anderen Gewahrsam ausübt, hat, solange er in dieser Rolle bleibt, keine eigene Verfügungsgewalt und ist infolgedessen nur Gehilfe des „Geschäftsherrn“ (BGHSt 3 154, 156; 44 62, 65).86 Ob in der eigenverantwortlichen Durchführung des Transportes von gefälschtem Geld über eine Staatsgrenze bereits ein Sichverschaffen liegt,87 hängt also davon ab, ob damit eine eigene Verfügungsgewalt des Transportgehilfen erstarkt: Sind die tatsächlichen Umstände so beschaffen, dass der „Geschäftsherr“ die Einwirkungsmöglichkeit verliert und der Gewahrsamsinhaber selbständige Entscheidungen treffen muss und trifft, hängt es insbesondere von seinem Entschluss ab, ob der „Geschäftsherr“ die Sachherrschaft wieder gewinnt, geht die Verfügungsgewalt auf den Gewahrsamsinhaber über (BGH 1 StR 156/78 vom 20.6.1978).
81 Vgl. ferner LG Gera NStZ-RR 1996 73; Sch/ Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 15; Erb MK Rdn. 30; Fischer Rdn. 11; Stein SK Rdn. 14; Lackner/Kühl-Heger Rdn. 6; Puppe/Schumann NK Rdn. 20 ff; Puppe JZ 1997 490, 498 f; NStZ 1998 460; Schroeder JZ 1987 1133; Prittwitz NStZ 1989 8, 9; Wessels/Hettinger/Engländer BT 1 Rdn. 950 f. 82 BGH NStZ 2000 530; StV 2003 331; NStZ 2005 686; wistra 2008 19 f. 83 So aber Puppe/Schumann NK Rdn. 28, die ein kollusives Zusammenwirken mit dem Vortäter für erforderlich halten, sowie Frister GA 1994 553, 559, der einen rechtsgeschäftlichen Erwerb des Falschgeldes verlangt. Wie hier: Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 15; Fischer Rdn. 10; Lackner/Kühl-Heger Rdn. 6; Stein SK Rdn. 14. 84 BGHSt 3 154, 156; BGH 1 StR 156/78 v. 20.6.1978; RG HRR 1939 Nr. 1376. 85 BGHSt 2 116; 3 154, 156; 42 162; BGH GA 1984 427; NJW 1995 1845, 1846; NStZ-RR 1997 198; NStZ 2000 530; StV 2003 331; NStZ 2005 686; wistra 2008 19; NStZ-RR 2008 41; Stein SK Rdn. 14; Lackner/Kühl-Heger Rdn. 6; Fischer Rdn. 11; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 15; Puppe/Schumann NK Rdn. 20; Erb MK Rdn. 33; ferner Wessels/Hettinger/Engländer BT 1 Rdn. 950; Hefendehl Jura 1992 374, 379. 86 So auch BGHSt 35 21, 22; ferner BGH NStZ-RR 1997 198; NStZ 2003 368, 369; 1 StR 610/78 v. 19.12.1978; 1 StR 441/77 v. 13.9.1977; 3 StR 336/84 v. 29.8.1984; LG Gera NStZ-RR 1996 73 m. abl. Anm. S. Cramer NStZ 1997 84; Sch/ Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 15, 27; Erb MK Rdn. 33; Lackner/Kühl-Heger Rdn. 6; Stein SK Rdn. 14; krit. Puppe/ Schumann NK Rdn. 21 f; NStZ 1998 460, 461. 87 Dafür BGH NStZ-RR 1997 198; aA Erb MK Rdn. 32. Kudlich/Ruß
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IV. Sichverschaffen oder Feilhalten von falschem Geld (Abs. 1 Nr. 2)
StGB § 146
2. Feilhalten von falschem Geld Mit der Tatvariante des Feilhaltens, die durch das 35. StrÄndG vom 22.12.2003 (BGBl. I S. 2838) 20a eingefügt wurde, sollte der Schutzbereich des § 146 dem der §§ 152a, 152b angeglichen werden. In der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/1720, 8) wird unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH 2 StR 432/93 v. 1.10.1993, BGHR StGB § 152a Abs. 1 Nr. 1 Feilhalten) darauf verwiesen, dass unter Feilhalten das äußerlich als solches erkennbare Bereitstellen zum Zwecke des Verkaufs zu verstehen sei und mit diesem Merkmal insbesondere die Fälle erfasst werden, in denen die Absicht besteht, dass die Zahlungskarten Bösgläubigen zum Kauf angeboten werden, um diesen die Umsetzung in Geld zu ermöglichen. Die Gesetzeserweiterung ist in der Kommentarliteratur mit guten Gründen auf zum Teil erhebliche Kritik gestoßen.88 Die Gesetzesbegründung lässt völlig unbeachtet, dass ein Feilhalten von Zahlungskarten mit dem von Falschgeld nicht vergleichbar ist. Unter dem Begriff des Feilhaltens ist zwar das äußerlich als solches erkennbare Bereitstellen zum Zwecke des Verkaufs zu verstehen, und zwar des Verkaufs an das Publikum, wie in aller Deutlichkeit der Entscheidung BGHSt 23 286, 288, 290 zu entnehmen ist, einer Entscheidung, auf welche die in der Gesetzesbegründung erwähnte Entscheidung BGHR StGB § 152a I 1 Feilhalten 1 verweist. Hieraus ergibt sich indes unzweifelhaft, dass es nicht genügt, wenn die fraglichen Gegenstände potentiellen Käufern im Rahmen individueller Verkaufsangebote vorgelegt werden, wie es bei Verkauf gefälschten Geldes üblicherweise der Fall ist, vielmehr muss die Verkaufsbereitschaft gegenüber einem unbestimmten Personenkreis bekundet werden.89 Da diese Voraussetzung allenfalls bei Gutgläubigen anzunehmen ist, bei dieser Käuferschicht jedoch kein Interesse an der Ware Falschgeld zu erwarten ist, kann der Annahme, dass die Tatvariante Feilhalten keine praktische Bedeutung erlangen werde90 nur zugestimmt werden.91
3. Subj. Tatbestand Die Absicht (der Ermöglichung) des Inverkehrbringens (Rdn. 12 bis 16) muss (spätestens) in dem 21 Augenblick vorhanden sein, in dem der Täter eigene Verfügungsgewalt erlangt.92 Fasst er den Verbreitungsentschluss erst später, kommt nur § 147 in Betracht.93 Wie bei § 146 Abs. 1 Nr. 1 genügt es, dass der Täter einem anderen ermöglichen will, das Falschgeld als echtes Geld in Verkehr zu bringen.94 Es reicht aus, wenn der objektive Tatbestand mit Eventualvorsatz verwirklicht wird, wenn also der Täter zwar nicht weiß, aber doch damit rechnet, dass er falsches Geld in seine Verfügungsgewalt bringt.95
4. Versuch und Vollendung Versuch (nach § 22 unmittelbares Ansetzen zum Sichverschaffen oder Feilhalten in der Absicht des 22 Inverkehrbringens) beginnt mit der Bestellung beim lieferbereiten Fälscher oder Zwischenhändler oder mit dem Eintritt in Verhandlungen, die nach der Vorstellung des Täters zur sofortigen Über88 89 90 91
Puppe/Schumann NK Rdn. 45, 35; Erb MK Rdn. 38 ff; Fischer Rdn. 14. So zutr. Erb MK Rdn. 40. Erb MK Rdn. 38. Vgl. ferner Fischer Rdn. 14 mit dem Hinweis, dass insoweit die in der Gesetzesbegründung BT-Drs. 15/1720, 8 erwähnte Lücke des Vorfeldschutzes nicht bestanden hat. 92 BGH wistra 2008 19; Fischer Rdn. 12. 93 Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 17; Puppe/Schumann NK Rdn. 29; Stein SK Rdn. 15. 94 Vgl. BGHSt 35 21, 24; 42 162, 168; BGH 1 StR 156/78 v. 20.6.1978; Rdn. 13, 15 f. 95 BGHSt 2 116, 118; 35 21, 25; BGH NJW 1954 564; Fischer Rdn. 12, 9; Lackner/Kühl-Heger Rdn. 10; Sch/Schröder/ Sternberg-Lieben Rdn. 16; Erb MK Rdn. 34; Puppe/Schumann NK Rdn. 29; Stein SK Rdn. 15. 21
Kudlich/Ruß
§ 146 StGB
Geldfälschung
lassung von Falschgeld führen sollen.96 Die Fahrt zum Übergabeort stellt noch keinen Beginn des Sichverschaffens dar (BGH 2 StR 60/85 vom 2.10.1984). Vollendet ist die (in der Absicht des Inverkehrbringens oder der Ermöglichung des Inverkehrbringens begangene) Tat nach § 146 Abs. 1 Nr. 2 mit dem Sichverschaffen. Unterbleibt das Inverkehrbringen, weil die Verbreitung der Falsifikate misslingt oder weil der Täter nach dem Sichverschaffen seine ursprüngliche Absicht aufgibt, so vermag dies an der Tatvollendung nichts zu ändern (BGHSt 34 108; Rdn. 18). Entsprechendes gilt, wenn ein vollendetes Inverkehrbringen deshalb ausscheidet, weil der vermeintliche Abnehmer ein verdeckter Ermittler oder Beamter des Kriminalamtes war.97 Eine mehrfache Tatvollendung liegt vor, wenn derselbe Täter sich dieselben gefälschten Geldscheine mehrfach verschafft und entsprechend der zuvor bereits gefassten Absicht erneut in Verkehr zu bringen sucht (BGHSt 42 162, 168 f; BGH NJW 1995 1845, 1846 m. Anm. Puppe JZ 1997 490, 498 f).
V. Inverkehrbringen des falschen Geldes (Abs. 1 Nr. 3) 1. Tatbestand des Inverkehrbringens 23 Der Tatbestand des Inverkehrbringens von falschem Geld als echt, das der Täter unter den Voraussetzungen der Nummern 1 oder 2 und damit jedenfalls in der Absicht, dass es als echt in Verkehr gebracht oder dass ein solches Inverkehrbringen ermöglicht werde, durch Nachmachen oder Verfälschen gültigen Geldes hergestellt (§ 146 Abs. 1 Nr. 1) oder sich verschafft oder feilgehalten (§ 146 Abs. 1 Nr. 2) hat, setzt schon nach dem Wortlaut die volle Verwirklichung der Vorbereitungstatbestände des Nachmachens (Verfälschens) oder des Sichverschaffens oder des Feilhaltens voraus; insbesondere darf der Täter sich nicht erst bei Weitergabe des Falschgeldes der Unechtheit bewusst sein, sondern es muss bereits im Zeitpunkt der Inbesitznahme des als falsch erkannten Geldes die Absicht bestanden haben, das Geld als echt in Verkehr zu bringen oder dies zu ermöglichen, was prozessual auch nachvollziehbar begründet festgestellt werden muss (OLG Hamm III-1 RVs 10/17 v. 7.2.2017). Einen Qualifikationstatbestand enthält die Vorschrift nicht, an Einzelmerkmalen bietet sie nichts Neues.98 Eine strafbegründende Bedeutung kommt ihr nur in geringem Umfang zu, so in Fällen, in denen der Täter die beim Fälschen oder Sichverschaffen vorhandene Verbreitungsabsicht aufgibt, sie aber später auf Grund eines neuen Entschlusses dennoch verwirklicht oder in Fällen, in denen der Täter nach rechtskräftiger Verurteilung wegen einer Tat nach § 146 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 Falschgeld aus dem alten Bestand in Umlauf setzt (Rdn. 3).99 – Zum Inverkehrbringen im Übrigen ist auf die Erläuterungen unter Rdn. 12 f zu verweisen. Danach wird falsches Geld in Verkehr gebracht, wenn es so aus dem Gewahrsam entlassen wird, dass ein anderer tatsächlich in die Lage versetzt wird, sich des falschen Geldes zu bemächtigen und nach Belieben damit umzugehen, es insbesondere weiterzuleiten (Fn. 23). Was der Erwerber mit dem Falschgeld anzufangen beabsichtigt, ist grundsätzlich unerheblich, sondern entscheidend ist nur, dass er Verfügungsgewalt an dem Falschgeld erlangt (BGH NJW 1952 311, 312; StV 1998 379). Allerdings fehlt es einem Inverkehrbringen (und wohl anders als bei polizeilichen Scheinkäufern sogar an einem Versuch, vgl. dazu unten Rdn. 27), wenn nach Entwertung wieder zusammengesetzte Münzen bei der Bundesbank zur Erstattung des Nennwerts 96 BGH wistra 2008 19; 4 StR 580/86 v. 6.11.1986, NStE Nr. 3 zu § 146. 97 BGHSt 34 108, 109; BGH NStZ 1997 80; NStZ-RR 2000 105; NStZ 2000 530; NStZ-RR 2002 302, NStZ 2005 686. 98 Lackner/Kühl-Heger Rdn. 9; Puppe/Schumann NK Rdn. 33; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 23; auch BGHSt 44 62, 66 f; aA Stein SK Rdn. 21; Erb MK Rdn. 42 f; Stein/Onusseit JuS 1980 104, 106 f, die von einem besonderen persönlichen Merkmal im Sinne von § 28 Abs. 2 ausgehen. 99 BTDrucks. 7/1261 S. 13; BGHSt 34 108, 110; 35 21, 27; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 23; Lackner/Kühl-Heger Rdn. 9; Erb MK Rdn. 42; Stree JuS 1978 236, 239; Wessels/Hettinger/Engländer BT 1 Rdn. 959; aA Puppe/Schumann NK Rdn. 32; Herdegen LK10 Rdn. 3, 23 f; Zielinski JZ 1973 193, 195, der nur § 147 für anwendbar hält; ebenso Kienapfel JR 1987 425. Kudlich/Ruß
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V. Inverkehrbringen des falschen Geldes (Abs. 1 Nr. 3)
StGB § 146
eingereicht werden, denn bei dieser handelt es sich gerade um diejenige Behörde, die beschädigtes Geld zwecks Entwertung und Vernichtung auch selbst aus dem Verkehr zieht, sodass keine Gefahr besteht, dass die Münzen noch an Dritte weitergegeben und wieder in den Zahlungsverkehr gelangen können (BGH NStZ-RR 2013, 74 und BGH NStZ 2013, 465). Die Neufassung der Bestimmung des § 146 durch das EGStGB hat in nachhaltiger Weise die 24 Streitfrage aufleben lassen, ob die Vorschrift ihrem Wortlaut nach die Verwirklichung der Absicht, der nach § 146 Abs. 1 Nr. 1 (und Nr. 2) zwei unterschiedliche Zielvorstellungen zu Grunde liegen können, nur in der Form des Inverkehrbringens des Falschgeldes als echt, nicht aber in der Form des Ermöglichens solchen Inverkehrbringens genügen lässt. Damit wurde unverständlicherweise eine sehr umstrittene Zweifelsfrage des früheren Rechts fortgeschleppt, die auch durch die erneuten Änderungen durch das 6. StrRG und das 35. StrÄndG keine Klarstellung erfahren hat: Ist tatbestandsmäßig auch die Weitergabe des Falschgeldes an einen Zwischenhändler oder an einen anderen „Eingeweihten“/Bösgläubigen, wenn sie der erste Schritt des Inverkehrbringens von falschem Geld als echt ist (Rdn. 14 und vor § 146 Rdn. 2 und 3)? Die Frage ist vor allem für § 147 von Interesse und soll dort erörtert werden (§ 147 Rdn. 2 ff). Hier soll nur als Ergebnis festgehalten werden: Obwohl in den Fällen des § 146 Abs. 1 Nr. 3 nur gleichsam vollzogen wird, was in den Fällen der Nr. 1 und der Nr. 2 dieser Vorschrift die Zielvorstellung ist, und deshalb teleologisch gute Gründe dafür sprechen mögen, auch hier das Inverkehrbringen „als echt“ mit der Ermöglichung dieses Inverkehrbringens gleichzusetzen,100 ist dies doch mit dem Wortlaut sowie der internen Systematik der Nummer 3 nicht zu vereinbaren;101 auch besteht jedenfalls für § 146 Abs. 1 Nr. 3 kein kriminalpolitisches Bedürfnis für eine solche, die Wortlautgrenze zumindest tangierende Auslegung, da hier ohnehin der Tatbestand der Nummer 1 oder 2 vorausgesetzt wird, so dass sich an der Strafe erst einmal nichts ändert.
2. Der innere Tatbestand Der innere Tatbestand erfordert, dass der Täter vorsätzlich Falschgeld als echt in Verkehr bringt. 25 Eventualvorsatz reicht aus.102 Es genügt also, wenn der Täter damit rechnet, dass er durch seinen Verbreitungsakt einem Gutgläubigen eigene Verfügungsgewalt am Falschgeld verschafft (BGHSt 27 255, 260; 35 21, 25 ff). Da sich der (bedingte) Vorsatz auf alle Tatbestandsmerkmale erstrecken muss, muss der Täter auch davon ausgehen, dass die Beschaffenheit des falschen Stückes geeignet ist, im gewöhnlichen Verkehr einen Arglosen zu täuschen. Er muss es also für möglich halten und billigen, dass das Falsifikat im Verkehr für echt gehalten wird (BGH b. Dallinger MDR 1953 596). Nicht ausreichend wäre es daher, wenn sich das Täterverhalten darin erschöpfte, Scheiben zu vertreiben, die in ihrer Form und ihrem Gewicht bei Warenautomaten den Zweck echter Geldmünzen erfüllten, ohne dass ihnen der Schein echten Geldes anhaftet (BGH bei Dallinger MDR 1953 596). Er muss ferner im Bewusstsein handeln, dass er das Falschgeld, das er in Verkehr bringen will, unter den Voraussetzungen der Nummern 1 oder 2 nachgemacht, verfälscht oder sich verschafft hat; nicht notwendig ist freilich, dass er mit dem Inverkehrbringen gerade die Absicht verwirklicht, die der Erfüllung der Nummern 1 oder 2 diente, sondern es genügt, wenn 100 So auch Vorauflage Rdn. 24 sowie etwa BGHSt 29 311, 312 ff; 31 380, 382; 32 68, 78; 35 21, 23; 42 162, 167 f; BGH NStZ-RR 2002 302, 303; NStZ 2002 593; StV 2003 331; BGH bei Holtz MDR 1982 101 f; OLG Düsseldorf JR 1986 512; NJW 1995 1846; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 8 und § 147 Rdn. 2; Fischer § 147 Rdn. 2; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 22; Matt/Renzikowski/Maier Rdn. 23; Stree JuS 1978 236, 239 f; Keller JR 1986 513; Hefendehl Jura 1992 374, 378; Wessels FS Bockelmann S. 669, 676 ff. 101 So auch LG Kempten NJW 1979 225 m. Anm. Otto; OLGStuttgart NJW 1980 2089; Erb MK Rdn. 46 ff; Stein SK Rdn. 19; Puppe/Schumann NK Rdn. 34 ff; Puppe JZ 1986 992, 993 f; 1991 609, 612; 1997 490, 499; Stein/Onusseit JuS 1980 104, 106; Jakobs JR 1988 121 f; Prittwitz NStZ 1989 8, 10; Bartholme JA 1993 197, 200; vgl. auch Maurach/ Schroeder/Maiwald BT 2 § 67 Rdn. 27; HHS/Hübner AO § 369 Rdn. 51. 102 Vgl. Stree JuS 1978 236, 238. 23
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§ 146 StGB
Geldfälschung
die (zunächst aufgegebene) Absicht des Inverkehrbringens nach dem Fälschen oder Sichverschaffen auf Grund eines neuen Entschlusses verwirklicht wurde (Rdn. 3, 23).
3. Vollendung und Versuch 26 Die Tat nach Abs. 1 Nr. 3 ist vollendet, wenn ein Stück des Falschgeldes als echt in die Verfügungsgewalt eines anderen gelangt ist (vgl. BGHNJW 1995 1845, 1846; BGH wistra 2008 19). Die Rechtsprechung, die auch eine Überlassung an Eingeweihte für ausreichend hält, lässt konsequenterweise genügen, wenn der Täter das Falschgeld an seinen Lieferanten zurückgibt (BGH NStZ 2002 593). Wer durch einen Gehilfen verteilt, der eigene Verfügungsgewalt nicht erlangt (Rdn. 20), bringt das Falschgeld selbst in dem Augenblick in Verkehr, in welchem der Absatzgehilfe einem anderen Verfügungsgewalt verschafft. Entgegen BGHSt 35 21, 25 (und auch Sch/ Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 25) ist Tatbestandsvollendung noch nicht gegeben, wenn der Täter das Falschgeld lediglich aus seinem Gewahrsam entlassen hat.103 Der Umstand, dass weggeworfenes Falschgeld dem Zugriff Dritter ohne Weiteres zugänglich ist und Finder in die Lage versetzt, mit ihm nach Belieben zu verfahren, reicht daher für die Vollendung des Tatbestandes nicht aus;104 insoweit kann allenfalls strafbarer Versuch in Betracht kommen (Rdn. 27). 27 Da es sich bei § 146 um ein Verbrechen handelt, ist der Versuch in allen Fallgestaltungen strafbar. Versuch liegt vor, wenn der Täter Handlungen vornimmt, die nach seiner Vorstellung unmittelbar in die Gewahrsamsaufgabe übergehen sollen. Daran fehlt es (auch bei einem wörtlichen Angebot der Lieferung von Falschgeld), wenn er das einem Abnehmer angebotene Falschgeld erst beschaffen muss (BGH NStZ 2003 423; NStZ 1986 546) oder wenn ein falscher Geldschein mitgeführt wird, um diesen zu einem noch nicht festgelegten Zeitpunkt im Zahlungsverkehr einzusetzen (KG StV 2019, 687 [Ls., zu § 147]). Dagegen ist Versuch anzunehmen, wenn der Täter in eigener Verfügungsgewalt befindliches, zur Übergabe bereitgehaltenes Falschgeld dem potentiellen Abnehmer tatsächlich anbietet (BGH 1 StR 376/80 v. 5.8.1980, insoweit in BGHSt 29 311 nicht abgedruckt) und dieser die Abnahme ablehnt (BGH NStZ 1986 548). Versuch liegt ferner vor, wenn die Wirklichkeit hinter der Vorstellung des Täters zurückbleibt. Dies kann beim Inverkehrbringen der Fall sein, wenn derjenige, der über die Echtheit getäuscht werden sollte, das Falschgeld vor der Übergabe zurückweist; Versuch liegt auch vor, wenn ein Automat die falsche Münze sofort wieder auswirft. Strafbarer Versuch wurde auch bejaht in den Fällen des Transportes von Falschgeld durch einen weisungsgebundenen Beauftragten (BGH 3 StR 336/ 84 v. 29.8.1984; vgl. ferner BGH NStE § 146 StGB Nr. 3). Nichts anderes kann gelten im Fall des Wegwerfens der Falsifikate, wenn diese dem Zugriff Dritter preisgegeben werden.105 Geschieht das Wegwerfen gezielt, um einem annahmebereiten Dritten ein gefahrloses Ergreifen zu ermöglichen (Werfen aus dem fahrenden Zug), so beginnt der Versuch mit dem Wegwerfen und führt zur Vollendung mit dem Ergreifen des Objekts durch den Dritten. Wird das Falschgeld an einen Scheinkäufer (verdeckter Ermittler oder V-Mann der Polizei) übergeben, gelangen die Falsifikate unmittelbar in amtlichen Gewahrsam, so dass eine Beeinträchtigung des Geldverkehrs nicht zu besorgen ist und insoweit nur Versuch gegeben ist (Fn. 32a).
VI. Verhältnis der Tatvarianten des Nachmachens (Verfälschens) oder Sichverschaffens zum Inverkehrbringen 28 Gehen die Tatbestandsverwirklichungen des Nachmachens (Verfälschens) von echtem Geld oder des Sichverschaffens von falschem Geld in der Absicht (der Ermöglichung) des Inverkehrbrin103 Erb MK Rdn. 45; Puppe/Schumann NK Rdn. 43. 104 Wessels Festschrift Bockelmann S. 669, 675 f. 105 AA BGHSt 35 21, 25 m. krit. Anm. F.-Ch. Schroeder JZ 1987 1133; Bartholme JA 1993 197, 200; Rdn. 26. Kudlich/Ruß
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VII. Täterschaft und Teilnahme, Rücktritt
StGB § 146
gens in die Verwirklichung der Absicht über, begeht also ein Täter, der sich bereits nach § 146 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 strafbar gemacht hat, auch das Verbrechen nach § 146 Abs. 1 Nr. 3, so stellt das Inverkehrbringen falschen Geldes i. S. von § 146 Abs. Nr. 3 mit den vorausgegangenen strafbaren Handlungen des Verfälschens oder Sichverschaffens regelmäßig einen einheitlichen Verstoß gegen § 146 dar.106 Für das Verhältnis der verschiedenen vom selben Täter begangenen Tatbestandsvarianten gelten dieselben Grundsätze wie zwischen dem Fälschen und Gebrauchmachen bei der Urkundenfälschung. Dies gilt auch dann, wenn der Täter das Falschgeld, das er durch eine Handlung produziert oder sich verschafft hat, in mehreren Einzelakten absetzt;107 wenn sich der Täter dagegen in jeweils selbständigen Erwerbsvorgängen mehrere Falschgeldmengen verschafft (oder dieses in selbständigen Vorgängen herstellt), soll nach BGH NStZRR 2016, 276 und NStZ-RR 2019, 275, 276 Tatmehrheit selbst dann vorliegen, wenn Teilmengen daraus an den gleichen Abnehmer geliefert werden sollen (anders noch Vorauflage Rdn. 28 unter Bezugnahme auf BGH bei Holtz MDR 1982 101, 102), d. h. entscheidend ist die Zahl der zu Grunde liegenden einheitlich zu bewertenden Herstellungs- oder Erwerbsvorgänge.108 In allen diesen Fällen bilden die formell selbständigen Tatbestandshandlungen nach Nr. 1 und Nr. 2 mit dem Inverkehrbringen (Nr. 3) ein einheitliches Verbrechen der Geldfälschung. Nichts Anderes hat zu gelten, wenn das Inverkehrbringen im Versuch stecken geblieben ist.109 Die Verurteilung hat dann wegen eines vollendeten Verbrechens nach § 146 Abs. 1 Nr. 1 (oder Nr. 2) zu erfolgen (vgl. ferner BGHR StGB § 146 I Konkurrenzen 2, 4). Hat dagegen der Täter, der ein Delikt nach § 146 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 begangen hat, die Verbreitungsabsicht aufgegeben, später aber auf Grund eines neuen Entschlusses das Falschgeld doch in Verkehr gebracht, treffen § 146 Abs. 1 Nr. 1 (oder Nr. 2) und § 146 Abs. 1 Nr. 3 tatmehrheitlich zusammen.110 Eine einheitliche strafbare Handlung ist ferner dann nicht anzunehmen, wenn ein Täter sich dieselben gefälschten Geldscheine mehrfach verschafft und sie im Anschluss daran – wie vorgeplant – jeweils erneut in Verkehr bringt;111 in diesem Fall liegt Tatmehrheit vor (Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 26).
VII. Täterschaft und Teilnahme, Rücktritt 1. Mittäterschaft und Beihilfe Werden in einer Vorschrift drei unterschiedliche, selbständige Begehungsformen strafbaren Ver- 29 haltens geregelt, so liegt Mittäterschaft zwar nicht automatisch immer schon dann vor, wenn einer der Täter den zweiten, ein anderer den dritten Tatbestand verwirklicht; denn für die Mittäterschaft ist ein gemeinschaftliches Mitwirken der Täter zur Begehung derselben strafbaren Handlung erforderlich, ein Zusammenwirken, das lediglich auf ein gleichartiges Tun gerichtet ist, genügt nicht. Da allerdings keine der Tatvarianten ein eigenhändiges Delikt ist, ist durchaus eine arbeitsteilige Mittäterschaft möglich, bei welcher auf der Basis eines gemeinschaftlichen 106 BGHSt 35 21, 27; 34 108 m. Anm. Kienapfel JR 1987 424; 42 162, 168; BGH bei Holtz MDR 1982 101, 102; BGHR StGB § 146 I Konkurrenzen 4; BGH NStZ 1997 80; NStZ-RR 2000 105; 5 StR 269/99 v. 12.8.1999; RGSt 1 25; Fischer Rdn. 22; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 9, 14; Stein SK Rdn. 23; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 26; Erb MK Rdn. 56; Stree JuS 1978 236, 239; Zielinski JZ 1973 193, 195; Hefendehl Jura 1992 374, 379; aA Puppe/Schumann NK Rdn. 46 f, die von Tateinheit ausgeht. 107 BGH NStZ 2011 516; NStZ-RR 2000 105; BGHR StGB § 146 I Konkurrenzen 4 m. Anm. Puppe JZ 1997 499; RGSt 1 25. 108 Vgl. auch Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 26; teils abweichend Lackner/Kühl-Heger Rdn. 14 bei einer einheitlichen Lieferung; aA auch Puppe/Schumann NK Rdn. 46, die allerdings von Idealkonkurrenz ausgehen; ebenso Erb MK Rdn. 56. 109 BGHSt 34 108 m. Anm. Kienapfel JR 1987 424; BGH NStZ 1997 80; NStZ-RR 2000 105. 110 BGHSt 35 21, 27 m. krit. Anm. Jakobs JR 1988 121, 122; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 26; Erb MK Rdn. 56; Lackner/Kühl-Heger Rdn. 14; Stein SK Rdn. 23; Fischer Rdn. 23; aA Puppe/Schumann NK Rdn. 46 f (Tateinheit). 111 BGHSt 42 162 m. Anm. Puppe JZ 1997 490, 499; ferner BGH NJW 1995 1845. 25
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§ 146 StGB
Geldfälschung
Tatentschlusses ein Mittäter das Herstellen, einer das Inverkehrbringen besorgt. Mittäterschaft im Falle des Sichverschaffens (§ 146 Abs. 1 Nr. 2) setzt voraus, dass jeder Tatgenosse eigene (Mit-)Verfügungsgewalt erlangt (BGHSt 44 62).112 Mittäter nach § 146 Abs. 1 Nr. 3 kann nur sein, wer bereits Mittäter des Deliktes nach § 146 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 war.113 In Fällen des § 146 Abs. 1 Nr. 2 kann infolgedessen derjenige, der beim Empfang, der Verwahrung oder dem Transport des Falschgeldes mitwirkt, ohne dass er eigene Verfügungsgewalt erlangt, nur wegen Beihilfe zum Sichverschaffen des Falschgeldes bestraft werden (BGHSt 3 154, 155; 44 62, 65; Rdn. 20); wer in Befolgung der Dispositionen des Fälschers (oder desjenigen, der sich das Falschgeld verschafft hat) die Falsifikate als dessen Werkzeug verteilt, begeht Beihilfe zu einem Verbrechen nach § 146 Abs. 1 Nr. 3 (sofern er die strafbegründenden Umstände auf Seiten des Täters kennt oder mit ihnen rechnet114). Da Beihilfe bereits im Vorbereitungsstadium einer Tat geleistet werden kann, kann die Gehilfentätigkeit zu einer Tat nach § 146 Abs. 1 Nr. 3 bereits im Rahmen des Fälschens oder Sichverschaffens erbracht werden, wenn der Gehilfe das Erforderliche über die Absicht des Täters weiß und die Absicht realisiert wird.115 Selbst Täter nach § 146 Abs. 1 Nr. 3 ist (nach Erfüllung der Tatbestände von § 146 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2), wer das Inverkehrbringen durch einen Absatzgehilfen besorgen lässt, der keine (Mit-)Verfügungsgewalt hat (BGH 1 StR 441/77 v. 13.9.1977; Rdn. 26). Misslingt das Inverkehrbringen, sodass es insoweit beim Versuch bleibt, und der Täter wegen eines vollendeten Verbrechens nach § 146 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 zu verurteilen ist (Rdn. 28), liegt bei dem nur am Absetzen beteiligten Gehilfen lediglich Beihilfe zur versuchten Geldfälschung (§ 146 Abs. 1 Nr. 3, §§ 22, 27) vor; Beihilfe am vollendeten Delikt kommt nur dann in Betracht, wenn sich die Gehilfentätigkeit auch auf die vorausgegangene Beschaffungshandlung bezogen hat (BGH NStZ 1997 80; BGH wistra 2008 19). Der (bisherige) Gehilfe beim Inverkehrbringen wird zum Täter, wenn er die Rolle des Transport- oder Verteilungsgehilfen aufgibt, sich eigene Verfügungsgewalt anmaßt und das sich somit verschaffte Falschgeld selbständig in Verkehr bringt (BGHSt 3 154, 156; 44 62, 64; Rdn. 20).
2. Rücktritt 30 Tritt der Täter strafbefreiend von einem Versuch nach § 146 Abs. 1 Nr. 3 zurück, so bleibt er doch nach § 146 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 strafbar. Der strafbefreiende Rücktritt von einem Versuch nach § 146 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 kann den Täter, der sich nach § 30 oder nach § 149 Abs. 1 strafbar gemacht hat, nicht vor einer Bestrafung nach diesen Vorschriften bewahren, wenn nicht auch die Voraussetzungen des Rücktritts nach § 31 oder § 149 Abs. 2 (Abs. 3) gegeben sind.116
VIII. Gewerbsmäßiges und bandenmäßiges Handeln (Absatz 2) 31 Der durch das 6. StrRG neu eingefügte Absatz 2 (vgl. vor § 146 Rdn. 1) enthält eine Qualifikationsregelung (BGH NStZ 2007 638; wistra 2008 19, 20), die eine strengere Bestrafung der in Absatz 1 beschriebenen Geldfälschungsdelikte vorsieht, wenn der Täter gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung einer Geldfälschung verbunden hat; sie ist in den Schuldspruch aufzunehmen.117 112 BGHSt 3 154, 156; 35 21, 22; BGH GA 1984 427; NStZ-RR 1997 198; RGSt 59 79, 82. 113 BGH NJW 2011 792; Matt/Renzikowski/Maier Rdn. 33; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 27. 114 BGH NStZ 2000 530; wistra 2003 229; 1 StR 441/77 v. 13.9.1977; Fischer Rdn. 30; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 27; Zielinski JZ 1973 197; anders BTDrucks. 7/550 S. 227, wonach in einem solchen Fall Täterschaft nach § 147 vorliegen soll; allgem. zur Beihilfe bei Geldfälschungsdelikten: BGH wistra 2004 262. 115 Jescheck/Weigend § 30 III 2, § 64 III 2b. 116 Stein SK Rdn. 24; Erb MK Rdn. 55; Lackner/Kühl-Heger Rdn. 14. 117 Meyer-Goßner § 260 StPO Rdn. 25. Kudlich/Ruß
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VIII. Gewerbsmäßiges und bandenmäßiges Handeln (Absatz 2)
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1. Gewerbsmäßigkeit Bei der Gewerbsmäßigkeit handelt es sich um ein persönliches Merkmal mit strafschärfender 32 Konsequenz, das im Schuldspruch zum Ausdruck kommen muss (BGHR StGB § 146 Abs. 2 Gewerbsmäßig 3); auf Tatbeteiligte ist daher § 28 Abs. 2 anzuwenden, d. h. ein Tatteilnehmer ist nach der Vorschrift des § 146 Abs. 1 zu bestrafen, wenn bei ihm der qualifizierende Grund nicht vorliegt, wenn also nicht auch er seinerseits gewerbsmäßig gehandelt hat. Gewerbsmäßig handelt, wer aus der Wiederholung von Geldfälschungshandlungen der in Absatz 1 beschriebenen Art einen fortgesetzten, auf unbestimmte Zeit vorgesehenen Gewinn erzielen und sich so eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer verschaffen will,118 wobei es nicht darauf ankommt, ob die tatsächlich mit Falschgeld bewirkten Zahlungen (Inverkehrbringen) ansonsten unterblieben oder stattdessen mit gültigen Zahlungsmitteln bewirkt worden wären (BGHR StGB § 146 Abs. 2 Gewerbsmäßig 3). Nicht erforderlich ist, dass der Täter vorhat, aus seinem Tun ein kriminelles Gewerbe zu machen (BGH NStZ 1995 85) oder dass sich die Gewinnerwartung realisiert. Der Täter muss nur mit der entsprechenden Absicht handeln. Dabei reicht es aus, wenn er sich mittelbar geldwerte Vorteile über Dritte aus den Tathandlungen verspricht (BGH NStZ 1998 622). Nicht ausreichend ist es, dass er lediglich seines Vorteils wegen handelt. Es ist andererseits nicht notwendig, dass der Täter zur Gewinnerzielung mehrere selbständige Einzeltaten der jeweils in Rede stehenden Art begangen hat, vielmehr kann schon eine einmalige Tathandlung genügen, wenn er beabsichtigt, sich fürderhin eine Einnahmequelle zu schaffen,119 nicht aber schon, wenn er sich eine Falschgeldmenge in einem Akt verschafft hat und diese Menge dann plangemäß in mehreren Teilakten in Verkehr bringt (BGH NJW 2011 1686), da insoweit dann der Plan eines wiederholten Sich-Verschaffens fehlt.
2. Bandenmäßiges Handeln Der Grund für die höhere Strafwürdigkeit der Bande liegt in der erhöhten Gefahr, die sich aus 33 der Bandenbildung für das geschützte Rechtsgut ergibt. Diese liegt einmal in der abstrakten Gefährlichkeit der Bandenabrede und, insbesondere bei Delikten, bei denen das gleichzeitige Tätigwerden der Bandenmitglieder am Tatort der Tatausführung dient, in der konkreten Gefährlichkeit der Tatbegehung.120 Die abstrakte Gefährlichkeit der Bandenabrede, findet ihren Grund in der engen Bindung, die die Bandenmitglieder eingehen und die einen Anreiz zur Fortsetzung ihrer kriminellen Tätigkeit darstellt (BGH NJW 2005 2629, 2631). Auszugehen ist vom Begriff der Bande, wie er auch beim Bandendiebstahl, der Bandenhehlerei oder beim bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln verwandt wird. Die vom Großen Senat für Strafsachen des BGH (BGH(GS)St 46 321) für den Bandenbegriff beim Diebstahl ausgesprochenen Grundsätze gelten entsprechend auch für die Vorschrift des § 146 Abs. 2 (vgl. BGH StV 2001 407). Danach setzt der Begriff der Bande abweichend von der früheren Rechtsprechung den Zusammenschluss von mindestens drei Personen voraus, die sich zur fortgesetzten Begehung einer Geldfälschung verbunden haben. Das Gesetzesmerkmal „zur fortgesetzten Begehung“ in Absatz 2 ist nicht gleichbedeutend mit dem Begriff der „fortgesetzten Handlung“ im Sinne der früheren Rechtsprechung. Erforderlich ist, dass sich die Bandenmitglieder mit dem Willen verbunden haben, künftig für eine gewisse Dauer mehrere selbständige, im Einzelnen noch ungewisse Straftaten des im Gesetz genannten Deliktstyps, hier also der Geldfälschung, zu begehen. Da sich der Zusammenschluss der Bande auf mehrere rechtlich selbständige Taten beziehen muss, scheidet die Annahme einer Bandenfälschung aus, wenn die Beteiligten lediglich den Willen hatten, sich zur Begehung einer einzelnen Tat zu verbinden (vgl. BGH NStZ 2005 230, 231). Es ist 118 Vgl. Rengier BT II 39/15; BGH NStZ 1994 193; BGHSt 50 347, 350; BGH NStZ 2007 638. 119 BGH NJW 1996 1069; NStZ 2004 265; NJW 2004 2840, 2841; NStZ 2007 638. 120 BGH BGH(GS)St 46 321, 336; BGHSt 47 214, 216; BGHSt 50 160. 27
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Geldfälschung
jedoch nicht erforderlich, dass mehrere Fälschungsdelikte tatsächlich begangen worden sind; es genügt, wenn es im Zeitpunkt des Bandenzusammenschlusses die gemeinsame Absicht war, mehrere im Einzelnen noch nicht konkretisierte Taten zu begehen (BGH NJW 2004 2840, 2842). Eine Bande liegt danach vor, wenn die Bandenmitglieder sich durch eine ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung, die durch schlüssiges Verhalten zu Stande gekommen sein kann (BGH NStZ 2004 398, 399; BGHSt 50 160, 162 ff), zur Begehung mehrerer selbständiger, im Einzelnen noch ungewisser Taten der in Absatz 1 erwähnten Art verbunden haben. Ein gefestigter Bandenwille oder ein Tätigwerden in einem übergeordneten Bandeninteresse ist entgegen der früheren Rechtsprechung (vgl. Voraufl. Rdn. 33) nicht notwendig (BGH NJW 2002 375, 376; NStZ 2005 230, 231). Auch eine gegenseitige Verpflichtung der Mitglieder zur Begehung solcher Delikte oder die Bildung einer festgefügten Organisation ist nicht erforderlich. Die Bandenmitglieder brauchen bei der Tatausführung nicht das Bandeninteresse als Tatziel verfolgen, sie können ihre eigenen Interessen bei der Beute- und Gewinnerzielung im Auge haben (BGH NStZ 2002 375, 376). Wenngleich die allgemeine Verbrechensabrede zwischen den Beteiligten genügt, in Zukunft Geldfälschungsdelikte zu begehen, reicht bloßes mittäterschaftliches Zusammenwirken nicht aus. Die Bande unterscheidet sich von der Mittäterschaft durch das Element der auf eine gewisse Dauer angelegten Verbindung mehrerer Personen zu zukünftiger gemeinsamer Deliktsbegehung. Andererseits ist die Mitgliedschaft in einer Bande allein kein ausreichendes Kriterium für eine Mittäterschaft. Welche Teilnahmeform vorliegt, beurteilt sich auch beim Bandendelikt nach den allgemeinen Grundsätzen über die Abgrenzung zwischen den Beteiligungsformen (BGH NStZ 2002 375, 376). Von der kriminellen Vereinigung unterscheidet die Bande sich dadurch, dass sie keine Organisationsstruktur aufweisen muss und für sie kein verbindlicher Gesamtwille ihrer Mitglieder erforderlich ist (vgl. BGH(GS)St 46 321, 329). Nach dem Wortlaut der Bestimmung ist es auch nicht erforderlich, dass mehrere oder alle Bandenmitglieder bei der konkreten Tatausführung zugegen sind und dabei mitwirken (vgl. BGH 4 StR 595/05 v. 17.1.2006). Von den mehreren Bandenmitgliedern können jeweils verschiedene Tatbestandsvarianten begangen werden. Es reicht aus, wenn ein Bandenmitglied als Täter, ein anderes als Gehilfe mitwirkt, seinen Tatbeitrag beispielsweise durch Auskundschaften oder Fahrdienste erbringt. Ob jemand Mitglied einer Bande ist, richtet sich nicht nach dem Tatbeitrag, sondern nach der Bandenabrede, die die erhöhte abstrakte Gefährlichkeit der Bande begründet (BGHSt 47 214, 216) und die auch für die Gehilfentätigkeit eines Bandenmitgliedes zutrifft (BGH NStZ 2002 375, 376). Für die Auflösung der Bande gelten dieselben Grundsätze wie für ihr Zustandekommen. Sie setzt keine ausdrückliche Erklärung voraus, es genügt wie bei der Bandenabrede eine stillschweigende Übereinkunft, die auch aus dem Zusammenwirken der Beteiligten entnommen werden kann (BGH NJW 2005 2629, 2630).
IX. Strafe 34 Bis zum Inkrafttreten des 6. StrRG vom 26.1.1998 war die Geldfälschung im Regelfall gemäß § 146 Abs. 1 mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bedroht; für minder schwere Fälle war in § 146 Abs. 2 a. F. Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe vorgesehen. Der strengen Strafdrohung für die Regelfälle in Absatz 1 stand ein ausgesprochen milder Strafrahmen in Absatz 2 gegenüber. Die durch das 6. StrRG bei § 146 herbeigeführten Änderungen haben eine Harmonisierung auf der Rechtsfolgenseite zum Ziel (BTDrucks. 13/8587 S. 29): Das Mindestmaß der Strafdrohung für den Regelfall des Grundtatbestandes (Absatz 1) ist auf ein Jahr herabgesetzt, für minder schwere Fälle des Absatzes 1 – etwa bei geringen Falschgeldsummen oder eine besonders ungeschickter Herstellungsweise121 – ist ein Strafrahmen von drei Monaten bis zu fünf Jahren vorgesehen (§ 146 Abs. 3 erste Alternative). Geldstrafe ist für minder schwere Fälle nicht mehr angedroht, sie kann jedoch bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 47 Abs. 2 ver121 BeckOK/Weidemann Rdn. 30. Kudlich/Ruß
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XI. Recht des Einigungsvertrages
StGB § 146
hängt werden; ihr Mindestmaß beträgt dann 90 Tagessätze. Für den neu eingeführten Qualifikationstatbestand (Absatz 2: Gewerbsmäßiges Handeln oder Handeln als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung einer Geldfälschung verbunden hat) sieht die Neufassung als Mindestmaß Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren vor. Für die Fälle der Gewerbsmäßigkeit und das bandenmäßige Handeln beträgt der für minder schwere Fälle vorgesehene Strafrahmen Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren (§ 146 Abs. 3 zweite Alternative). Wird im Rahmen der konkreten Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, dass die „Qualität“ der von ihm erstellten Falsifikate „jedenfalls so gut“ gewesen sei, dass diese „zur Täuschung im alltäglichen Barverkehr geeignet“ gewesen seien, so verstößt dies gegen § 46 Abs. 3 (BGH NStZ-RR 2018 238), da nachgemachtes Geld schon generell voraussetzt, dass es den Anschein gültigen Geldes erweckt, also seiner Beschaffenheit nach geeignet ist, einen arglosen Empfänger im gewöhnlichen Zahlungsverkehr zu täuschen; dagegen kann die ansprechende Qualität ein Grund sein, der gegen einen minderschweren Fall spricht (AG Dortmund 767 Ls 16/ 17 v. 28.4.2017). Zur Strafzumessung im Übrigen vgl. BGH NStZ-RR 2011, 5.
X. Konkurrenzfragen § 146 verdrängt als lex specialis § 267 (BGHSt 23 231; 27 255, 258; vor § 146 Rdn. 7). Tateinheit 35 ist möglich mit Automatendiebstahl (BGH MDR 1952 563 m. Anm. Dreher; BGH bei Dallinger MDR 1953 596) und mit Betrug.122 Das Sichverschaffen kann tateinheitlich mit Straftaten zusammentreffen, die begangen werden, um Verfügungsgewalt an Falschgeld zu erlangen, also z. B. mit Erpressung, Diebstahl, Unterschlagung.123
XI. Recht des Einigungsvertrages Auf die Ausführungen in der 11 Aufl. Rdn. 36 wird verwiesen.
36
122 RGSt 60 316; BGHSt 3 154, 156; 31 380, 381 m. Anm. Kienapfel JR 1984 162; OLG Schleswig NJW 1963 1560, 1561; Fischer Rdn. 33; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 29; Lackner/Kühl-Heger Rdn. 15; aA Stein SK Rdn. 26; Erb MK Rdn. 57; vgl. auch Puppe/Schumann NK Rdn. 48; Stein/Onusseit JuS 1980 104. 123 Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 29. 29
Kudlich/Ruß
§ 147 Inverkehrbringen von Falschgeld (1) Wer, abgesehen von den Fällen des § 146, falsches Geld als echt in Verkehr bringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar.
Schrifttum Siehe die Angaben zu § 146 und vor § 146.
Übersicht I.
Allgemeines
1
II. 1. 2.
2 Objektiver Tatbestand 2 Falsches Geld Inverkehrbringen von falschem Geld als 2 echt
III.
Innerer Tatbestand
IV.
Vollendung und Versuch
V.
Täterschaft und Teilnahme
6 7 8
I. Allgemeines 1 Die Vorschrift entspricht der Fassung, die sie durch Art. 19 Nr. 59 EGStGB erfahren hat. Sie erfasst das vorsätzliche Inverkehrbringen von falschem Geld als echt, wenn § 146 Abs. 1 Nr. 3 aus Rechtsgründen oder weil dessen Tatbestandsmerkmale nicht nachgewiesen werden können, keine Anwendung findet.1 Infolgedessen ist § 147 anzuwenden,2 wenn derjenige, der falsches Geld als echt in Verkehr bringt, weder als (Mit-)Täter einer vollendeten oder versuchten Straftat nach § 146 Abs. 1 Nr. 3 noch als Teilnehmer an einer solchen Straftat angesehen werden kann. Hierunter fallen also die Fälle, in denen der Täter beim Nachmachen (Verfälschen) oder beim bösgläubigen Sichverschaffen nicht die Absicht (der Ermöglichung) des Inverkehrbringens hatte, ferner die Fälle, in denen er das Falschgeld gutgläubig (in der Vorstellung es sei echt) erlangt hatte, sowie die Fälle, in denen der Täter zwar Absatzhilfe zu einer Tat nach § 146 Abs. 1 Nr. 3 geleistet hatte, dabei aber nicht wusste und auch nicht damit rechnete, dass der „Geschäftsherr“ das falsche Geld in der Absicht des Inverkehrbringens hergestellt oder sich verschafft hatte,3 und der Täter auch keine eigene, in Verbreitungsabsicht gewonnene (Mit-)Verfügungsgewalt erlangt hatte (§ 146 Rdn. 29). – Die Vorschrift, die in § 6 Nr. 7 nicht aufgeführt ist, gilt nur für Inlandstaten (vor § 146 Rdn. 8).
II. Objektiver Tatbestand 1. Falsches Geld Insoweit kann auf die Erläuterungen zu § 146 (Rdn. 4 bis 5a) verwiesen werden.
1 Vgl. BGHSt 29 311, 312; ferner Lackner/Kühl-Heger Rdn. 1; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 6 ff; Stein SK Rdn. 2 f; Puppe/Schumann NK Rdn. 2 ff; Erb MK Rdn. 2.
2 Zu den Fallgruppen praktischer Relevanz auch SSW/Wittig Rdn. 4. 3 BGH 1 StR 441/77 v. 13.9.1977; Jescheck/Weigend § 30 III 2. Kudlich/Ruß https://doi.org/10.1515/9783110490107-003
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II. Objektiver Tatbestand
StGB § 147
2. Inverkehrbringen von falschem Geld als echt Zum Inverkehrbringen des Falschgeldes ist zunächst ebenfalls auf die Erläuterungen zu § 146 2 (Rdn. 12 bis 14, 23 f) zu verweisen. Danach wird falsches Geld in Verkehr gebracht, wenn es so aus dem Gewahrsam entlassen wird, dass ein anderer tatsächlich in die Lage versetzt wird, sich des falschen Geldes zu bemächtigen und nach Belieben damit umzugehen, es insbesondere weiterzuleiten (vgl. § 146 Fn. 23). Es ist gleichgültig, was der Erwerber mit dem Falschgeld anzufangen beabsichtigt. Unter dem Gesichtspunkt des Inverkehrbringens kommt es nur darauf an, dass er Verfügungsgewalt an dem Falschgeld erlangt.4 Als echt ist das Falschgeld in Verkehr gebracht, sobald es in die Verfügungsgewalt eines Arglosen gelangt ist. Arglos ist derjenige, der das falsche Geld in der Vorstellung, es als gültiges Zahlungsmittel weitergeben zu können, an sich nimmt, der also über die Echtheit, wenn auch nur im Augenblick der Gewahrsamserlangung, getäuscht wird (RGSt 67 167; BGHSt 1 143, 144; § 146 Rdn. 14). Zur wiederholt berührten Frage (vor § 146 Rdn. 3; § 146 Rdn. 24), ob auch die Weitergabe des Falschgeldes an einen Zwischenhändler oder einen anderen Eingeweihten mit eigener Verfügungsgewalt der Tatbestandsbeschreibung wenigstens dann genügt, wenn das falsche Geld von da aus seinen Weg zu Gutgläubigen nehmen soll, hat der Gesetzgeber für die Absicht in § 146 Abs. 1 Nr. 1 und § 146 Abs. 1 Nr. 2 neben das Inverkehrbringen als echt auch das Ermöglichen eines solchen Inverkehrbringens als echt aufgenommen. Da hiermit aber nur klargestellt wurde, dass § 146 Abs. 1 Nr. 1 und 2 solche Fälle erfassen sollen, Inverkehrbringensabsicht und Ermöglichungsabsicht aber gerade nicht als identisch verstanden werden (da letztere sonst nicht eigens erwähnt werden müsste, vgl. auch § 146 Rdn. 14), ist damit für § 146 Abs. 1 Nr. 3 und des § 147 erst einmal nichts gewonnen. Während die Frage aber bei § 146 Abs. 1 Nr. 1 keine große Relevanz hat (vgl. § 146 Rdn. 24), ist dies bei § 147 (jedenfalls auf den ersten Blick) anders (vgl. sogleich Rdn. 3). Im Ergebnis ist – abweichend von der Vorauflage (§ 147 Rdn. 2 und 3) und entgegen der Rechtsprechung – die Weitergabe von Falschgeld an einen Zwischenhändler oder an einen anderen Eingeweihten (Bösgläubigen) nicht tatbestandsmäßig, auch nicht, wenn der Täter will oder gar nur damit rechnet, dass der Empfänger es unmittelbar oder über Dritte an Gutgläubige gelangen lässt.5 Dies ergibt sich aus dem Wortlaut „als echt“ sowie vor allem aus der innertatbestandlichen Systematik, nachdem § 146 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 die Ermöglichungsabsicht explizit beinhalten, die §§ 147, 146 Abs. 1 Nr. 3 dagegen nicht.6 Gerade wenn es genügen soll, wenn der Täter „mit der weiteren Verbreitung auch nur rechnet“, würde das Merkmal seine Bedeutung weitgehend verlieren, weil eine solche Weitergabe an Gutgläubige selten ausgeschlossen ist. Die Gegenauffassung kann den Einwand des drohenden Verstoßes gegen das Analogie- 3 verbot des Art. 103 Abs. 2 GG auch kaum mit dem Hinweis auf die Entstehungsgeschichte der durch das EGStGB herbeigeführten unterschiedlichen Gesetzesfassung entkräften (anders noch die Vorauflage Rdn. 3):7 Zwar gibt es in den Materialien Hinweise darauf, dass die „Abschiebung von als echt empfangenem Falschgeld (…) unter den Vergehenstatbestand des § 147 fallen“ und nur nicht als Verbrechen geahndet werden soll (vgl. BTDrucks. 7/1261 S. 13). Wenn der Gesetzgeber es im Anschluss hieran allerdings versäumt hat, auch den Wortlaut der §§ 147, 146 Abs. 1 Nr. 3 mit der etwaigen Absicht, die in § 146 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 zum Ausdruck gebrachte 4 BGH NJW 1952 311, 312; BGHSt 44 62 f; BGH NStZ 2003 423; ferner § 146 Rdn. 12 f m.w.Nachw. 5 So aber BGH 1 StR 376/80 v. 5.8.1980; BGHSt 29 311, 313; BeckOK/Weidemann Rdn. 5; Lackner/Kühl-Heger Rdn. 2 und § 146 Rdn. 8; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 5 und § 146 Rdn. 22; Fischer Rdn. 2; Stree JuS 1978 236, 239 f; Keller JR 1986 513; Hefendehl Jura 1992 374, 378; Wessels FS Bockelmann 669, 676 f. 6 Stein SK § 146 Rdn. 18; Puppe/Schumann NK Rdn. 12 und § 146 Rdn. 34 ff; Erb MK Rdn. 5 ff und § 146 Rdn. 46 ff; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 67 Rdn. 27; Wessels/Hettinger/Engländer BT I Rdn. 958; Otto Grundkurs Strafrecht BT § 75 Rdn. 11; ders. NJW 1979 226; JR 1981 82 f; Puppe JZ 1986 992, 993 f; 1991 609, 612; Stein/Onusseit JuS 1980 104; Jakobs JR 1988 121 f; Prittwitz NStZ 1989 8, 10; Bartholme JA 1993 197, 200; HHS/Hübner AO § 369 Rdn. 51. 7 Anders Wessels FS Bockelmann 669, 677 f; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben § 146 Rdn. 22. 31
Kudlich/Ruß
§ 147 StGB
Inverkehrbringen von Falschgeld
Gleichstellung von Inverkehrbringen als echt und dem Ermöglichen eines solchen Inverkehrbringens, in Einklang zu bringen, so muss er sich – das ist ein wesentlicher Teil der Garantie des Art. 103 Abs. 2 GG – an dem Gesetzestext festhalten lassen. Dass dadurch dann der in § 146 Abs. 1 Nr. 1 (und Nr. 2) auf die Absicht der Rechtsgutsgefährdung reduzierte Handlungsunwert (§ 146 Rdn. 1 f) nicht spiegelbildlich in den „Vollzugstatbeständen“ (§ 146 Abs. 1 Nr. 3 und § 147) widerkehrt, soweit in ihren Tathandlungen die Realisierung der Absichtsform der Ermöglichung des Inverkehrbringens von falschem Geld als echt keinen Ausdruck gefunden hat, ist auch das für den fragmentarischen Charakter des Strafrechts nicht untypisch. 4 Beachtlich bleibt freilich ein Einwand der h. M., der auf die Rechtsfolgen abzielt: So könnte man meinen, dass demjenigen, der falsches Geld, das er als echtes empfangen hat, nach Erkennen der Unechtheit an einen Arglosen abschiebt, nach § 147 Abs. 1 ein Strafrahmen von Geldstrafe bis zu Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren droht, während derjenige, der nicht selbst Arglose prellen, sondern das Falschgeld (möglicherweise weniger verwerflich) an Bösgläubige weitergibt, als Teilnehmer (Anstifter oder Gehilfe) am Verbrechen des Absatzvermittlers mit eigener Verfügungsgewalt (§ 146 Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 3) einem Strafrahmen von einem bis fünfzehn Jahren (§§ 146 Abs. 1, 38 Abs. 2, 26) bzw. zumindest von drei Monaten bis zu 11 Jahren und drei Monaten (§§ 146 Abs. 1, 38 Abs. 2, 27 Abs. 2 Satz 2, 49 Abs. 1) unterworfen wäre. Freilich würde sich dieses Problem dann nicht stellen, wenn man das Sich-Verschaffen in § 146 Abs. 1 Nr. 2 dahingehend restriktiv auslegt, dass es einen einvernehmlichen Erwerb von einem selbst nach § 146 strafbaren Vortäter voraussetzt – denn dann läge mangels insoweit tauglichen Vortäters keine taugliche Haupttat und entsprechend auch keine Teilnahme vor.8 Im Übrigen ist dieser Wertungswiderspruch9 aber bei genauem Hinsehen nicht nur nach der hier vertretenen Auffassung zu diskutieren, denn auch nach der von der Rechtsprechung vertretenen Auffassung ist zumindest begründungsbedürftig,10 weshalb die (tatbestandlich ja verwirklichte!) Teilnahme an § 146 trotz der deutlich höheren Strafandrohung hinter die täterschaftliche Begehung von § 147 zurücktritt. Beim hier vertretenen Verständnis lässt sich ein angemessenes Ergebnis über die Annahme einer Sperrwirkung des Strafrahmens des privilegierenden § 147 begründen.11 Für die Praxis bleibt freilich noch einmal zu betonen, dass die Rechtsprechung, die zum 5 früheren Recht unter einem Inverkehrbringen als echt ebenfalls nur die Weitergabe an Gutgläubige verstanden hat (BGHSt 1 143),12 mittlerweile ihre Auffassung geändert hat. Der Bundesgerichtshof hat in BGHSt 29 311 entschieden, dass auch die Weitergabe des Falschgeldes an einen Zwischenhändler oder anderen Eingeweihten jedenfalls dann unter den Tatbestand des § 147 (und des § 146 Abs. 1 Nr. 3) falle, wenn sie den ersten Schritt des Inverkehrbringens von falschem Geld als echt darstelle. Er hebt in dieser Entscheidung zunächst auf den Wortlaut der Vorschrift (§ 147) ab und betont, dass von daher gesehen auch derjenige Geld als echt in Verkehr bringen kann, der sich eines eingeweihten Mittelsmannes bedient. Der unterschiedlichen Regelung in § 146 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 einerseits und in § 146 Abs. 1 Nr. 3, § 147 andererseits misst die Entscheidung unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte durch das EGStGB nicht die Bedeutung bei, die es rechtfertigen könnte, bei der Auslegung den Gegenschluss zu ziehen. Sie hebt insbesondere darauf ab, dass der Gesetzgeber des EGStGB an der Begriffsbestimmung der Rechtsprechung zum früheren Recht,13 wonach unter Inverkehrbringen jeder Vorgang zu verstehen sei, durch den ein Täter das Falschgeld in der Weise aus seinem Gewahrsam entlasse, dass ein anderer tatsächlich in die Lage versetzt werde, sich des falschen Geldes zu bemächtigen und mit ihm nach seinem Belieben umzugehen, nichts habe ändern, insbesondere den Begriff 8 So die Lösung bei Erb MK Rdn. 6. 9 Vgl. auch Matt/Renzikowski/Maier Rdn. 3 i. V. m. § 146 Rdn. 23. 10 Krit. zum denkbaren Aspekt einer Privilegierung Erb MK Rdn. 5, da § 147 der Grundtatbestand sei. 11 Vgl. bereits Kudlich Prüfe Dein Wissen Strafrecht Besonderer Teil II, Fall179. 12 So auch LG Kempten NJW 1979 225 m. Anm. Otto und OLG Stuttgart NJW 1980 2089 m. Anm. Otto für den Rechtszustand nach Inkrafttreten des EGStGB. 13 BGHSt 1 143, 144; 27 255, 259; BGH NJW 1952 311 f; MDR 1952 563; RGSt 67 167, 168. Kudlich/Ruß
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V. Täterschaft und Teilnahme
StGB § 147
nicht habe einschränken wollen, sondern nur aus Gründen der Klarstellung und mit dem Ziel, mögliche Lücken zu schließen, das subjektive Merkmal der Ermöglichung des Inverkehrbringens in den Text des § 146 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 aufgenommen habe. Hieran hat die Rechtsprechung auch in der Folgezeit festgehalten.14 Der Gesetzgeber des 6. StrRG sah sich nicht veranlasst, diese Auffassung der Rechtsprechung und eines Teils des Schrifttums im gegenteiligen Sinn zu ändern oder zu korrigieren.
III. Innerer Tatbestand Der Täter muss vorsätzlich handeln, Eventualvorsatz genügt. Er muss also wissen oder damit 6 rechnen, dass er falsches Geld aus seinem Gewahrsam gibt. Er muss wollen oder damit rechnen, dass ein anderer in der Annahme, es sei echt, Verfügungsgewalt an diesem Falschgeld erlangt – nach hier vertretender Auffassung durch direkte Weiterleitung an ihn, nach der Gegenauffassung alternativ auf dem Umweg über Zwischenhändler oder Absatzhelfer.
IV. Vollendung und Versuch Für Fragen zu Vollendung und Versuch gelten sinngemäß die Erläuterungen zu § 146 Rdn. 26 f, 7 da der Versuch nach Absatz 2 strafbar ist.
V. Täterschaft und Teilnahme Hier gelten grundsätzlich die allgemeinen Regeln. Subsumiert man freilich entgegen der hier 8 vertretenen Auffassung die Fälle der Weitergabe des Falschgeldes an einen Bösgläubigen unter den Tatbestand, liefe der Einstufung des bloßen Inverkehrbringens von Falschgeld als Vergehen zuwider, den Täter auch wegen Teilnahme an dessen Straftat (§ 146 Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 3) zu bestrafen.15 Die Teilnahme an der Tat des bösgläubigen Empfängers müsste daher zurückzutreten.
14 Vgl. BGHSt 29 311, 312 ff; 31 380, 382; 32 68, 78; 35 21, 23; 42 162, 168; BGH bei Holtz MDR 1982 101 f; BGH NStZRR 2002 302, 303; NStZ 2002 593; OLG Düsseldorf JR 1986 512; NJW 1995 1846.
15 BGH bei Holtz MDR 1982 101, 102; BGHSt 29 311, 315; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 12; Lackner/KühlHeger Rdn. 3; Stein SK Rdn. 6; Wessels FS Bockelmann 669, 679 f; Rengier BT II 39/17; Wessels/Hettinger/Engländer BT 1 Rdn. 961 ff; Stree JuS 1978 236, 240; vgl. Puppe/Schumann NK Rdn. 7; konstruktiv kritisch Erb MK Rdn. 5. 33
Kudlich/Ruß
§ 148 Wertzeichenfälschung (1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer 1. amtliche Wertzeichen in der Absicht nachmacht, daß sie als echt verwendet oder in Verkehr gebracht werden oder daß ein solches Verwenden oder Inverkehrbringen ermöglicht werde, oder amtliche Wertzeichen in dieser Absicht so verfälscht, daß der Anschein eines höheren Wertes hervorgerufen wird, 2. falsche amtliche Wertzeichen in dieser Absicht sich verschafft oder 3. falsche amtliche Wertzeichen als echt verwendet, feilhält oder in Verkehr bringt. (2) Wer bereits verwendete amtliche Wertzeichen, an denen das Entwertungszeichen beseitigt worden ist, als gültig verwendet oder in Verkehr bringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. (3) Der Versuch ist strafbar.
Schrifttum Bartholme Geld-, Wertzeichenfälschung und verwandte Delikte, JA 1993 197; Bohnert Briefmarkenfälschung, NJW 1998 2879; Gerold Schmidt Probleme der Wertzeichenfälschung, GA 1966 328; ders. Ist die Fälschung von sog. „Postwertzeichen“ (§ 148 StGB) seit der Postprivatisierung straffrei (Art. 103 Abs. 2 GG)? ZStW 111 (1999) 388; Zielinski Geld- und Wertzeichenfälschung nach dem Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch, JZ 1973 193; – vgl. ferner die Schrifttumsangaben zu § 146 und vor § 146.
Übersicht I. 1. 2.
Allgemeines 1 1 Schutzobjekt Die Parallelisierung von Geld- und Wertzeichen1a fälschung
II. 1. 2. 3.
2 Amtliche Wertzeichen 2 Merkmale Gültige amtliche Wertzeichen Wertzeichen als Urkunde?
III. 1.
5 Die Tathandlungen Nachmachen oder Verfälschen (Abs. 1 5 Nr. 1) 5 a) Nachmachen, Verfälschen 7 b) Absicht c) Innerer Tatbestand im Übrigen, Versuch und Vollendung, Rücktritt, Handlungsein9 heit
2. 3.
5.
Sichverschaffen (Abs. 1 Nr. 2) 10 Verwenden, Feilhalten, Inverkehrbringen (Abs. 1 11 Nr. 3) 11 a) Begehungsformen 11a aa) Verwenden 11a bb) Feilhalten 11a cc) Inverkehrbringen 12 b) als echt Verwenden oder Inverkehrbringen ungültiger 13 Wertzeichen (Abs. 2) 13 a) Tathandlung 14 b) als gültig 15 c) Innerer Tatbestand 16 Versuch (Abs. 3)
IV.
Konkurrenzfragen
V.
Recht des Einigungsvertrages
3 4
4.
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I. Allgemeines 1. Schutzobjekt 1 Schutzobjekt der durch Art. 19 Nr. 59 EGStGB geschaffenen Vorschrift ist das Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit und Funktionsfähigkeit des Rechtsverkehrs mit amtlichen Wertzei-
Kudlich/Ruß https://doi.org/10.1515/9783110490107-004
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II. Amtliche Wertzeichen
StGB § 148
chen (BGHSt 31 380, 381; vor § 146 Rdn. 6).1 Der Absatz 1 der Vorschrift ist der Geldfälschung des § 146 nachgebildet, in Absatz 2 ist die Wiederverwendung oder das Inverkehrbringen amtlicher Wertzeichen nach Beseitigung des Entwertungszeichens geregelt. Der Versuch ist nach Absatz 3 strafbar. Wertzeichen fremder Währungsgebiete werden von § 152 in den Strafschutz einbezogen, doch gilt § 148 nicht für im Ausland begangene Taten (§ 6 Nr. 7).
2. Die Parallelisierung von Geld- und Wertzeichenfälschung § 148 ist das Ergebnis einer Rechtsbereinigung, die Vorschriften zusammenfasste, die im Straf- 1a gesetzbuch (§§ 275, 276 a. F.) und in Nebengesetzen (§ 399 AbgO a. F.; § 1432 RVO a. F.; § 154 AVG a. F.) das Anfertigen von unechten oder das Verfälschen von echten Stempelmarken, Postwertzeichen, Steuerzeichen, Beitragsmarken zur Sozialversicherung und bestimmten anderen Wertzeichen in der Absicht, sie (zu einem höheren Wert) als echt zu verwenden, das Gebrauchmachen von solchen unechten oder verfälschten Wertzeichen und ihre Wiederverwendung unter Strafe stellten. Jede dieser früheren Regelungen war fragmentarisch, auf gewisse Schutzobjekte beschränkt. Die Tathandlungen wiesen Unterschiede auf, die Strafdrohungen differierten. Mit § 148 ist an die Stelle schwerfälliger Aufzählungen (vgl. §§ 275, 276 a. F.) oder spezieller Rechtsgutsobjekte (wie „Steuerzeichen“) der offene Sammelbegriff „amtliches Wertzeichen“ getreten. Mit ihm sind nicht nur alle gegenwärtigen und zukünftigen Gebilde der Bundesrepublik und fremder Währungsgebiete (§ 152), auf die er zutrifft, für die Zeit, in der sie als „gültig“ existieren, zu Schutzobjekten geworden. Er hat es auch ermöglicht, die einer Systematik entbehrenden Einzelregelungen des früheren Rechts in ein elegantes Schema zu bringen: In Akzentuierung seiner Eigenschaft, Verkörperung eines Geldwerts zu sein, ist das amtliche Wertzeichen in seiner strafrechtlichen Rolle zum Quasigeld geworden. Geldfälschung und Wertzeichenfälschung haben in den Tathandlungen und im tatbestandlichen Aufbau (§ 146 Abs. 1, § 147 einerseits, § 148 Abs. 1 andererseits), in der Vorverlegung und der Stufenreihe des strafrechtlichen Schutzes (§ 149 Rdn. 2) und in der Einbeziehung des versuchten Sichverschaffens von Falsifikaten in der Absicht des Inverkehrbringens in den Bereich des Strafbaren (§ 146 Abs. 1 Nr. 2 einerseits, § 148 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. Abs. 3 andererseits) eine Parallelisierung erfahren, die ignoriert, dass Wertzeichen nichts aufweisen, was der überragenden Bedeutung der Umlauffunktion des Geldes, die „Vermögen auf leichteste Weise transferierbar“ macht, auch nur annähernd entspräche“.2
II. Amtliche Wertzeichen 1. Merkmale Amtliche Wertzeichen sind vom Staat, einer Gebietskörperschaft, einer anderen Körperschaft 2 oder einer Anstalt des öffentlichen Rechts ausgegebene Stempel-Wertabdrucke, Marken und ähnliche Zeichen, welche (häufig sich wiederholende) Zahlungen gleicher Art (insbesondere von Gebühren, Steuern, Abgaben und Beiträgen) vereinfachen (formalisieren) oder sicherstellen
1 Fischer Rdn. 1; Lackner/Kühl-Heger Rdn. 1; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 1; Erb MK Rdn. 1; Bartholme JA 1993 197; Otto Grundkurs Strafrecht BT § 76 Rdn. 1; krit. hierzu Puppe/Schumann NK Rdn. 4, 6; Zielinski JZ 1973 193; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 67 Rdn. 5: Geschützt nur Beweisgewähr oder sogar bloße staatliche Vermögensinteressen; diff. ferner Stein SK Rdn. 2 ff. 2 Vor § 146 Rdn. 6; Puppe/Schumann NK Rdn. 1, 6; Erb MK vor § 146 Rdn. 4; Zielinski JZ 1973 193; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 67 Rdn. 4; vgl. auch G. Schmidt GA 1966 328, 330, ferner auch ZStW 111 (1999) 388, 414. 35
Kudlich/Ruß
§ 148 StGB
Wertzeichenfälschung
und kenntlich machen (nachweisen) sollen (BGHSt 32 68, 75 f).3 Es liegt in der Funktion von Wertzeichen, dass sie Verkörperungen eines bestimmten Geldwertes sind (RGSt 24 111, 112; 62 203, 205) und in dem Sinne öffentlichen Glauben genießen, dass sie im Rahmen ihrer bestimmungsgemäßen Verwendung den ihnen zugedachten Beweis für und gegen jedermann erbringen (BGHSt 32 68, 76).4 Beispiele5 für Wertzeichen: Gerichtskostenmarken (RGSt 59 321, 323; BGH LM StGB § 263 Nr. 10); Verwaltungsgebührenmarken (RGSt 63 380, 381; BGHSt 3 289, 292); Steuerzeichen für Tabaksteuer, also z. B. Banderolen an Zigarettenpackungen (RGSt 56 275; 62 203, 204); Zeichen für Wechselsteuer und Börsenumsatzsteuer (HHS/Hübner AO § 369 Rdn. 41); Beitragsmarken zur Sozialversicherung (RGSt 23 339, 340; BGHSt 32 68, 76). Briefmarken, Postkarten mit eingedruckter Marke und Freistempelabdrucke galten vor der Postprivatisierung als amtliche Wertzeichen; sie fallen nach der Postprivatisierung wie andere private Wertzeichen nicht mehr unter den Tatbestand des § 148.6 – Ob ausländische Zeichen der verlangten Qualität entsprechen, ist dabei nach ausländischem Recht zu beurteilen (vgl. BGHSt 32 68, 76; § 152 Rdn. 2).
2. Gültige amtliche Wertzeichen 3 Gültige amtliche Wertzeichen sind das Schutzobjekt des § 148 Abs. 1, nicht private (RGSt 48 278; Erb MK Rdn. 2) oder amtliche, die außer Kurs gesetzt, verfallen oder entwertet sind und damit die Geldwerteigenschaft (Rdn. 2) verloren haben.7 Wie im Falle außer Kurs gesetzten Geldes tritt der Verlust auch bei aus dem Verkehr gezogenen Wertzeichen, die umgetauscht werden können, erst mit dem Ablauf der Umtauschfrist ein.8 Hinsichtlich der nicht mehr unter den Schutz des § 148 fallenden Postwertzeichen ist darauf hinzuweisen, dass nach § 49 Abs. 1 Nr. 9 PostG wohl auch ordnungswidrig handeln kann, wer ein für ungültig erklärtes in- oder ausländisches Postwertzeichen in einer Weise bildlich wiedergibt, die geeignet ist, Verwechslungen mit dem wiedergegebenen Postwertzeichen hervorzurufen. Die Ansicht, dass auch gültige (Post-)Wertzeichen, die nur als Sammelobjekte umgesetzt werden, nicht geschützt sind und dass infolgedessen § 148 Abs. 1 Nr. 1 (od. Nr. 2) den Fall nicht erfasse, das Falsifikate als Ware an Sammler verkauft werden sollen, kann jedenfalls für das geltende Recht nicht überzeugen: Den Tatbestand verwirklicht, wer ein gültiges Postwertzeichen (oder ein anderes gültiges Wertzeichen) in der Absicht nachmacht, die Verwendung oder das Inverkehrbringen als echt zu ermöglichen oder wer in dieser Absicht ein falsches (Post-)Wertzeichen sich verschafft.9 Diese Fassung der Vorschrift zielt nach BTDrucks. 7/550 S. 228 geradezu darauf ab, die Fälschung echter oder das Sichverschaffen falscher Wertzeichen in der Absicht, die Falsifikate an Sammler als echt zu verkaufen, als Straftat nach § 148 Abs. 1 Nr. 1 (od. Nr. 2) zu erfassen, weil auch in diesen Fällen die Gefahr bestehe, dass die vom Täter in Verkehr ge3 RGSt 23 339, 340; 57 286, 287; 59 321, 323; 63 380, 381; Stein SK Rdn. 2 f; Fischer Rdn. 2; Lackner/Kühl-Heger Rdn. 2; Erb MK Rdn. 2; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 2; Puppe/Schumann NK Rdn. 7.
4 Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 2; Fischer Rdn. 2; Lackner/Kühl-Heger Rdn. 2; Puppe/Schumann NK Rdn. 7; Stein SK Rdn. 2; Erb MK Rdn. 2; Bartholme JA 1993 197, 201; Wessels/Hettinger/Engländer BT 1 Rdn. 970; Otto Grundkurs Strafrecht BT § 76 Rdn. 2. 5 Vgl. zur positiven und negativen Kasuistik auch SSW/Wittig Rdn. 4 f. 6 Erb MK Rdn. 2; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn 2; Fischer Rdn. 2; BeckOK/Weidemann Rdn. 3; Bohnert NJW 1998 2879; G. Schmidt ZStW 111 (1999) 388, 403; zw. Lackner/Kühl-Heger Rdn. 2; diff. Puppe/Schumann NK Rdn. 9; aA Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 67 Rdn. 33. 7 BGHSt 31 380, 382 m. Anm. Kienapfel JR 1984 162; RG JW 1925 262 Nr. 6; KG JR 1966 307; Lackner/Kühl-Heger Rdn. 2; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 2; Puppe/Schumann NK Rdn. 9; Erb MK Rdn. 3; Fischer Rdn. 2; Matt/ Renzikowski/Maier Rdn. 4; Bartholme JA 1993 197, 201. 8 RG JW 1925 262 Nr. 6; Erb MK Rdn. 3; Puppe/Schumann NK Rdn. 9; HHS/Hübner AO § 369 Rdn. 41; aA Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 2. 9 Vgl. Fischer Rdn. 3; anders Erb MK Rdn. 10. Kudlich/Ruß
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III. Die Tathandlungen
StGB § 148
brachten Falschstücke nicht nur als Sammelobjekte, „sondern ihrer eigentlichen Bestimmung gemäß weiterverwendet werden“. Diese Begründung gestattet es zwar, den Standpunkt einzunehmen, es sei „Tatfrage“, ob beim Verkauf eines Sammelobjekts die Gefahr bestimmungsgemäßer Weiterverwendung bestehe. Aber nach der Fassung des Gesetzes kommt es auf diese „Tatfrage“ nicht an.10
3. Wertzeichen als Urkunde? Die Frage, ob Wertzeichen Urkunden sind, ist umstritten. Die ablehnende Auffassung11 wur- 4 de und wird mit der Verschiedenheit des Zwecks von Urkunden und Wertzeichen begründet. Während das Wertzeichen zur Vereinfachung der Vornahme und der Kontrolle von häufig sich wiederholenden Zahlungen gleicher Art diene, seinem Wesen nach also ein Zahlungsmittel sei, solle die Urkunde im Rechtsleben das Bestehen von Tatsachen, Rechten oder Rechtsverhältnissen zur Kenntnis anderer bringen. Die Urkunde weise also auf Geschehnisse und Beziehungen hin, die außerhalb ihrer selbst liegen und beweise sie, während das Wertzeichen durch die Art seines Stoffes und seiner Kennzeichnung nur über sich selbst, nämlich seinen Aussteller, seinen Wert und seine Verwendungsmöglichkeit Aufschluss gebe (RGSt 62 203, 205; 18 286, 287). Zutreffend weist Puppe (NK Rdn. 3 ff)12 demgegenüber darauf hin, dass auch Wertzeichen die Merkmale einer Urkunde aufweisen: Wie auch in RGSt 62 203, 205 anerkannt werde, stellten Wertzeichen die Verkörperung gedanklicher Äußerungen eines bestimmten Ausstellers in einem Stoff dar, wodurch der kundzugebende Gedanke für andere erkennbar zum Ausdruck komme. Es sei daher auch nicht richtig, dass die Wertzeichen nur über sich selbst Aufschluss geben (so RGSt 62 203, 205), vielmehr gehöre es zu ihrer Funktion, dass sie einen bestimmten Geldwert verkörpern und in dem Sinne öffentlichen Glauben genießen, dass sie im Rahmen ihrer bestimmungsgemäßen Verwendung den ihnen zugedachten Beweis für und gegen jedermann erbringen.13 Wertzeichen sind daher nicht nur als bloße Kennzeichen oder Augenscheinsobjekte anzusehen, sondern (wie Geldscheine und Geldstücke) als Urkunden i. S. von § 267 zu betrachten, mit der Folge, dass § 148 die Vorschrift des § 267 als lex specialis verdrängt (Rdn. 17).
III. Die Tathandlungen 1. Nachmachen oder Verfälschen (Abs. 1 Nr. 1) a) Nachmachen, Verfälschen. Die Darlegungen zu § 146 Rdn. 6–11 gelten sinngemäß; dies gilt 5 auch für die Ausführungen über das Nachmachen von Geld durch Anfertigen von Systemnoten und Systemmünzen. Die abweichende Auffassung der h. L.14 wird von dieser im Wesentlichen damit begründet, dass die einzelnen Teile der Systemwertzeichen in ihren stofflichen Merkmalen echt seien und eine den Erfordernissen der Urkunde genügende Gedankenerklärung weder vorhanden war noch hervorgerufen werde.15 Folgt man jedoch der auch hier vertretenen Mei-
10 Im Ergebnis ebenso Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 6. 11 RGSt 18 286, 287; 62 203, 205; Herdegen LK10 Rdn. 4; Tröndle LK10 § 267 Rdn. 73; HHS/Hübner AO § 369 Rdn. 41; Bohnert NJW 1998 2879. 12 Puppe (NK Rdn. 3 ff) folgend: Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 1; ebenso Erb MK Rdn. 4. 13 BGHSt 32 68, 76; Puppe NK Rdn. 3. 14 Vgl. RGSt 17 394, 396; 62 203, 206; 62 427, 428; RG LZ 1915 143; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 4; HHS/ Hübner AO § 369 Rdn. 42, 44; Herdegen LK10 Rdn. 5. 15 Herdegen LK10 Rdn. 5. 37
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Wertzeichenfälschung
nung, dass Wertzeichen Urkunden i. S. von § 267 sind, so ergibt sich daraus, dass ihre Herstellung demzufolge ein tatbestandsmäßiges Nachmachen darstellt.16 Das Nachmachen eines echten, aber ungültig gewordenen Wertzeichens ist jedoch keine tatbestandsmäßige Handlung (Rdn. 3).17 6 Das Verfälschen muss dazu führen, dass die für die Geldwertverkörperung maßgebenden Merkmale des Wertzeichens so verändert werden, dass der Anschein hervorgerufen wird, sein Wert sei von Anfang an höher gewesen. Das bloße Unkenntlichmachen der Wertangabe genügt nicht.18 Wer einen Entwertungsvermerk beseitigt oder verändert, um ein Wertzeichen noch einmal verwenden zu können, bereitet zwar ein Vergehen nach § 148 Abs. 2 vor, er stellt aber weder ein unechtes Wertzeichen her noch verfälscht er ein echtes.19 Je nach der Bedeutung des Entwertungsvermerks kann aber ein Urkundendelikt in Betracht kommen.20
7 b) Absicht des Verwendens oder des Inverkehrbringens falscher oder verfälschter Wertzeichen als echt oder der Ermöglichung eines solchen Verwendens oder Inverkehrbringens. Was die Absicht (der Ermöglichung) des Inverkehrbringens als echt anbelangt, so kann auf § 146 Rdn. 12 bis 15 verwiesen werden. Wie für § 146 Abs. 1 Nr. 1 (und Nr. 2) so steht auch für § 148 Abs. 1 Nr. 1 (und Nr. 2) außer Frage, dass es genügt, wenn der Täter die Absicht hat, ein Inverkehrbringen falscher oder verfälschter Wertzeichen als echter Zeichen durch andere (Bösgläubige) in Gang zu setzen.21 Ein Inverkehrbringen als echt liegt auch in der Veräußerung von Falsifikaten gültiger Wertzeichen an gutgläubige Sammler (Rdn. 3). 8 Die Absicht (der Ermöglichung) der Verwendung falscher oder verfälschter Wertzeichen als echt hat der Täter, wenn er sie ihrer Bestimmung gemäß (vgl. RGSt 24 111, 112) gebrauchen will. Erfasst werden sollen die Fälle, in denen auf dem Wege des bestimmungsgemäßen Gebrauchmachens kein anderer Verfügungsgewalt erlangt, das Falsifikat infolgedessen nicht in Verkehr gebracht wird.22 Näheres zum „Verwenden“ Rdn. 13.
9 c) Innerer Tatbestand im Übrigen, Versuch und Vollendung, Rücktritt, Handlungseinheit. Zur inneren Tatseite gehört außer der Absicht, worunter zielgerichtetes Wollen zu verstehen ist,23 dass der Täter die objektiven Tatbestandsmerkmale vorsätzlich verwirklicht. Eventualvorsatz genügt. Der Täter muss wissen oder damit rechnen, dass er gültige Wertzeichen nachmacht oder verfälscht und er muss für sicher halten oder damit rechnen, dass seine Falsifikate geeignet sind, den Arglosen über die Unechtheit zu täuschen. Im Übrigen gilt entsprechend, was in Rdn. 3 zu § 152 über Tatbestands- und Subsumtionsirrtum ausgeführt worden ist. Zu Fragen des Versuchs und der Vollendung, des Rücktritts und der Handlungseinheit darf auf § 146 Rdn. 17 bis 19 hingewiesen werden.
16 Puppe NK Rdn. 12; ebenso Erb MK Rdn. 6. 17 Vgl. BGHSt 31 380, 382; RG JW 1925 262 Nr. 6; KG JR 1966 307; Stein SK Rdn. 4; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 2; Erb MK Rdn. 3; Fischer Rdn. 2; Lackner/Kühl-Heger Rdn. 2. 18 RGSt 57 413, 414; Puppe NK Rdn. 14; Erb MK Rdn. 9; HHS/Hübner AO § 369 Rdn. 45. 19 BTDrucks. 7/550 S. 228; RGSt 17 394, 399; 18 286, 288 f; 59 321, 324; HHS/Hübner AO § 369 Rdn. 43; Sch/Schröder/ Sternberg-Lieben Rdn. 4; Puppe/Schumann NK Rdn. 13; Erb MK Rdn. 9; Fischer Rdn. 3. 20 RGSt 39 370, 371; 59 321, 324; 67 419, 421. 21 § 146 Rdn. 14; HHS/Hübner AO § 369 Rdn. 51; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 6. 22 BTDrucks. 7/550 S. 228; Stein SK Rdn. 5; Puppe/Schumann NK Rdn. 20; Erb MK Rdn. 13; Sch/Schröder/SternbergLieben Rdn. 6; vgl. auch Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 67 Rdn. 36. 23 Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 6; Lackner/Kühl-Heger Rdn. 5 und § 146 Rdn. 11; aA Puppe/Schumann NK Rdn. 16; die unter Absicht hier einfachen Vorsatz versteht. Kudlich/Ruß
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III. Die Tathandlungen
StGB § 148
2. Sichverschaffen (Abs. 1 Nr. 2) Zur Erläuterung des Sichverschaffens kann auf § 146 Rdn. 20 Bezug genommen werden. Für 10 den inneren Tatbestand gilt, was in Rdn. 7 bis 9 und § 146 Rdn. 21 ausgeführt worden ist. Es ist zu betonen, dass es genügt, wenn der objektive Tatbestand mit Eventualvorsatz verwirklicht wird, wenn also der Täter zwar nicht weiß, aber doch damit rechnet, dass er falsches Geld in seine Verfügungsgewalt bringt.
3. Verwenden, Feilhalten, Inverkehrbringen (Abs. 1 Nr. 3) a) Begehungsformen. Der Tatbestand weist drei Begehungsformen auf:
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aa) Verwenden eines falschen Wertzeichens: Rdn. 8, 13. bb) Feilhalten von Falsifikaten. Feilhalten bedeutet im Allgemeinen das „äußerlich als solches erkennbare Bereitstellen der Ware zum Zwecke des Verkaufs an das Publikum“.24 Der Verkäufer muss die in Rede stehenden Gegenstände so bereitstellen, sie unter solchen Umständen dem Publikum zugänglich machen, dass dieses ohne Weiteres auf die Verkaufsabsicht schließen kann (BGHSt 23 286, 288, 290). Dafür würde es nicht ausreichen, wenn das Verkaufsobjekt lediglich in einem den potenziellen Kaufinteressenten nicht zugänglichen Lagerraum vorhanden wäre (vgl. RGSt 35 169, 170) oder wenn der Verkäufer den zu verkaufenden Gegenstand auf Nachfrage eines Interessenten seinerseits erst erwerben und dann verkaufen wollte (vgl. RGSt 63 419, 420). Dass von einem Feilhalten darüberhinaus erst dann gesprochen werden kann, wenn größere Mengen des zu verkaufenden Gegenstandes zum Verkauf in Vorrat gehalten werden,25 ist weder dem Begriff noch dem Tatbestand zu entnehmen.26 Neben dem objektiven Moment des Bereitstellens des Kaufobjekts (hier des Wertzeichens) setzt der Begriff des Feilhaltens daneben ein subjektives Element auf der Seite des Feilhabenden voraus (BGHSt 23 286, 291; RGSt 4 274, 275), das dahin geht, dass er den Verkauf der feilgebotenen Gegenstände in seinen Vorsatz aufgenommen haben muss. Dies wiederum bedeutet für § 148 Abs. 1 Nr. 3: Da für den inneren Tatbestand bedingter Vorsatz ausreicht, muss der feilbietende Täter den Verkauf der Wertzeichen mindestens billigend in Kauf genommen haben (in diesem Sinne BGHSt 23 286, 292).
cc) Inverkehrbringen von Falschstücken: § 146 Rdn. 13 f. Zu betonen ist auch hier, dass ein 11a Inverkehrbringen noch nicht vollzogen ist, wenn und solange die Falsifikate in den Händen desjenigen sind, der als Bote, in der Rolle des Verwahrungs-, Transport- oder Verteilungsgehilfen oder in sonstiger Weise als Handlanger oder Werkzeug für den Täter Gewahrsam ausübt (RGSt 24 111, 113/114; § 146 Rdn. 20, 23, 26 und 29). Keine der Begehungsformen des § 148 Abs. 1 Nr. 3 setzt voraus, dass der Täter die Falsifikate nach § 148 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 erlangt hat (zur andersartigen Rechtslage bei der Geldfälschung vgl. § 146 Rdn. 23).
24 RGSt 4 274, 275; 25 241, 242; 35 169, 170; 40 148, 150; 63 419, 420; Erb MK Rdn. 14; Stein SK Rdn. 5; Sch/Schröder/ Sternberg-Lieben Rdn. 13; Puppe/Schumann NK Rdn. 19.
25 Vgl. Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 13. 26 Wie hier Fischer Rdn. 4. 39
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Wertzeichenfälschung
12 b) als echt. Der Täter muss die falschen Wertzeichen als echt verwenden, feilhalten oder in Verkehr bringen. Es ist im Wortlaut des § 148 Abs. 1 Nr. 3 keine Rede davon, dass tatbestandsmäßig auch das Ermöglichen des Verwendens oder Inverkehrbringens von falschen Wertzeichen als echt strafbar sei. Damit stellt sich erneut die zu § 146 (Rdn. 24) und § 147 (Rdn. 2 bis 5) erörterte Frage, ob die Weitergabe an einen Eingeweihten (Bösgläubigen) zu eigener Verfügung (z. B. an einen Zwischenhändler) genüge, wenn sie der erste Schritt zur Überlassung an Gutgläubige sein soll. Die Frage ist hier nicht anders zu beantworten, als sie richtigerweise zu § 146 Abs. 1 Nr. 3 und § 147 beantwortet worden ist.27 In Konsequenz der Rechtsprechung ist dagegen auch hier erforderlich und genügend, dass der Täter will oder damit rechnet, dass ein anderer die Falsifikate als echt erlangt oder verwendet; dieser andere braucht aber nicht derjenige zu sein, auf den er den Gewahrsam überträgt.
4. Verwenden oder Inverkehrbringen ungültiger Wertzeichen (Abs. 2) 13 a) Tathandlung. Nur bereits verwendete amtliche Wertzeichen, an denen das Entwertungszeichen beseitigt worden ist, sind für den Tatbestand von Interesse. Verwendung ist der bestimmungsgemäße Gebrauch des Wertzeichens, der Gebrauch zu dem Zwecke, dem zu dienen seine funktionelle Aufgabe ist.28 Die Frage, ob zum bestimmungsgemäßen Gebrauch die Entwertung gehöre, eine Frage, die das Reichsgericht für Stempelmarken und Steuerzeichen bejaht, für Invalidenversicherungsmarken aber verneint hat,29 stellt sich für das geltende Recht nicht. Es setzt Beseitigung des Entwertungszeichens voraus mit der Folge, dass nicht entwertete Wertzeichen „tatbestandsuninteressant“ sind.30 Wesentlich ist aber, dass der bestimmungsgemäße Gebrauch eines Wertzeichens stets (aber auch nur dann) anzunehmen ist, wenn es sich um einen Gebrauch handelt, der den Vorschriften über die Art und Weise seiner Verwendung entspricht (RGSt 37 152, 154). Es kommt nicht darauf an, ob eine causa für die Verwendung vorhanden ist oder fehlt (wegfällt), ob also, um ein Beispiel zu bilden, der mit dem Steuerzeichen versehene Wechsel in Umlauf gebracht wird.31 Das Entwertungszeichen ist nicht nur dann beseitigt, wenn es vollständig entfernt worden ist. Es genügt, dass es durch ein neues Entwertungszeichen überstempelt und auf diese Weise unkenntlich gemacht wird32 oder dass das Entwertungsdatum verändert wird (RGSt 59 321, 323). Wer das Entwertungszeichen beseitigt hat und zu welchem Zweck es geschah, ist gleichgültig.33 Auch ein zur Stempelung berechtigter Beamter kann beseitigen oder den gesamten Tatbestand verwirklichen (RG GA Bd. 77 S. 200). Dessen Merkmal ist lediglich – soweit es um die Beseitigung geht – die Tatsache der geschehenen Beseitigung des Entwertungszeichens.34 Die Wiederverwendung versehentlich nicht entwerteter Zeichen unterfällt nicht dem
27 Puppe/Schumann NK Rdn. 18; Erb MK Rdn. 15; aA RGSt 6 387, 394; BGHSt 32 68, 78; Sch/Schröder/SternbergLieben Rdn. 15. Für die Gegenmeinung ist hier noch auf HHS/Hübner AO § 369 Rdn. 51 hinzuweisen. Er meint, es sei unzulässig, die Diskrepanz im Wortlaut von § 148 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 einerseits und § 148 Abs. 1 Nr. 3 andererseits „interpretativ wieder zu löschen“. 28 Vgl. RGSt 6 387, 392; 24 111, 112 f; 30 384, 386; 37 152, 154; RG JW 1938 508 Nr. 12. 29 Stempelmarken, Steuerzeichen: RGSt 30 384, 386; 37 152, 154; RG JW 1938 508 Nr. 12; Invalidenversicherungsmarken: RGSt 39 161, 162; 40 335, 338; 42 131, 132. 30 HHS/Hübner AO § 369 Rdn. 52. 31 RGSt 37 152, 154 f; RG JW 1938 508 Nr. 12; HHS/Hübner AO § 369 Rdn. 52; aA Puppe/Schumann NK Rdn. 24; Erb MK Rdn. 13. 32 RG HRR 1937 Nr. 211; BGHSt 3 289, 290, 292; Stein SK Rdn. 8; Fischer Rdn. 5; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 21; Bartholme JA 1993 197, 201; aA Puppe/Schumann NK Rdn. 22; Erb MK Rdn. 9. 33 Fischer Rdn. 6; Lackner/Kühl-Heger Rdn. 6; Stein SK Rdn. 8; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 21, 25; HHS/ Hübner AO § 369 Rdn. 55. 34 HHS/Hübner AO § 369 Rdn. 55. Kudlich/Ruß
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IV. Konkurrenzfragen
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Tatbestand;35 gleiches soll gelten, wenn ein nur schwer erkennbar entwertetes amtliches Wertzeichen erneut verwendet wird.36
b) als gültig. Tatbestandlich ist nur das Verwenden (Rdn. 13) und das Inverkehrbringen 14 (Rdn. 11) eines bereits verwendeten (aber nicht aus dem Verkehr gezogenen und echten) Wertzeichens, dessen Entwertungsmerkmale beseitigt worden sind, als gültig. Es muss der Anschein hervorgerufen werden, das Wertzeichen werde rechtmäßig erstmalig verwendet oder könne rechtmäßig erstmalig verwendet werden. Unter die zweite Alternative (den Fall des Inverkehrbringens) gehört auch die Weitergabe einer bereits verwendeten Briefmarke als postfrisch an einen Sammler.37 c) Innerer Tatbestand. Eventualvorsatz genügt. Der Täter muss wissen oder damit rechnen, 15 dass er es mit einem amtlichen Wertzeichen zu tun hat (vgl. § 152 Rdn. 3), das bereits verwendet worden ist und an dem das Entwertungszeichen beseitigt wurde. Wie die irrige Annahme des Täters zu bewerten ist, er dürfe das Wertzeichen noch einmal verwenden, ist fraglich. Die h. M. nimmt – vielfach ohne nähere Begründung – einen Verbotsirrtum an.38 Indes dürfte die Frage einer Befugnis zur erneuten Verwendung eine außerstrafrechtliche Rechtsfrage sein, die sich in einem (ungeschriebenen) normativen Tatbestandsmerkmal der „Ungültigkeit des Wertzeichens zur zweiten Verwendung“ niederschlägt, was dann konsequenterweise zu einem Tatbestandsirrtum führen müsste.39
5. Versuch (Abs. 3) Der Versuch ist nach Absatz 3 strafbar. Dies gilt sowohl für die Fälle des Absatzes 1 als auch 16 des Absatzes 2. Auf die Erläuterungen zu § 146 Rdn. 22, 27 wird verwiesen. Der Versuch beginnt erst, wenn der Täter unmittelbar zur Verwirklichung des Tatbestandes ansetzt (§ 22). Dies ist noch nicht der Fall, wenn der Täter vor dem Versenden eines Briefes die Briefmarke mit einer Oberflächenpräparierung versieht, die es ermöglicht, den Stempel nachträglich zu entfernen, so dass das Wertzeichen dann wiederverwendet werden kann, und dann den präparierten Brief verschickt (so aber OLG Koblenz NJW 1983 1625).40 Das Ablösen einer Marke, um sie wiederzuverwenden, ist noch kein Anfang der Ausführung des Tatbestandsmerkmals „verwenden“, sondern nur Vorbereitungshandlung für das Wiederverwenden (RGSt 68 204, 208).
IV. Konkurrenzfragen Da Wertzeichen als Urkunden anzusehen sind (Rdn. 4), verdrängt § 148, soweit es um das Her- 17 stellen und Gebrauchmachen einer unechten Urkunde geht, den § 267 als lex specialis. Mit § 263
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Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 20. Stein SK Rdn. 8. Vgl. Rdn. 3 und 7; ferner Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 22; aA Erb MK Rdn. 15. Vgl. Fischer Rdn. 7; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 23. So Erb MK Rdn. 24; anders aber RGSt 37 152, 156. Zu Recht ablehnend daher Lampe JR 1984 164; Küper NJW 1984 777; Puppe JZ 1986 992, 996; ferner Stein SK Rdn. 11; Fischer Rdn. 8; Lackner/Kühl-Heger Rdn. 6; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 24; Maurach/Schroeder/ Maiwald BT 2 § 67 Rdn. 41; ebenso Erb MK Rdn. 26. 41
Kudlich/Ruß
§ 148 StGB
Wertzeichenfälschung
kann § 148 Abs. 1 Nr. 3 tateinheitlich zusammentreffen (vgl. BGHSt 31 380),41 dagegen geht § 148 Abs. 2 als lex specialis vor, wenn der Täter lediglich einsparen will, was er für ein gültiges Wertzeichen aufwenden müsste (RGSt 68 302, 303).42 Beschaffungsdelikte (Diebstahl, Unterschlagung, Verwahrungsbruch) treffen mit § 148 Abs. 1 Nr. 2 zusammen, wenn der Täter schon bei ihrer Begehung Verwendungsabsicht hat.43 Delikte zur Beschaffung schon verwendeter Wertzeichen und § 148 Abs. 2 stehen zueinander im Verhältnis der Tatmehrheit (RGSt 68 201, 208; BGHSt 3 289, 292/293).44 Zum Verhältnis der Tathandlungen nach Absatz 1 Nr. 1 bis 3 untereinander wird auf § 146 Rdn. 28 verwiesen. Handelte der Täter bei Verwirklichung der verschiedenen Tatbestandsvarianten auf Grund eines einheitlichen Tatentschlusses, so liegt eine einzige Tat vor (vgl. RGSt 63 380, 382).45 Zur Frage des Verhältnisses zu § 149 vgl. § 149 Rdn. 7.
V. Recht des Einigungsvertrages 18 Auf die Ausführungen zu § 146 Rdn. 36 in der Voraufl. wird verwiesen.
41 Lackner/Kühl-Heger Rdn. 7; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 26; Puppe/Schumann NK Rdn. 27; Erb MK Rdn. 27; Fischer Rdn. 10; Kienapfel JR 1984 163; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 67 Rdn. 31; Bartholme JA 1993 197, 201; aA (Gesetzeseinheit) OLG Koblenz NJW 1983 1625; Stein SK Rdn. 12. 42 OLG Koblenz NJW 1983 1625 m. Anm. Lampe JR 1984 164, 165; Lackner/Kühl-Heger Rdn. 7; Stein SK Rdn. 12; Fischer Rdn. 10; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 26; Erb MK Rdn. 27; Kienapfel JR 1984 162; Bartholme JA 1993 197, 201. 43 Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 26. 44 Lackner/Kühl-Heger Rdn. 7; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 26. 45 Fischer Rdn. 10; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7 und § 146 Rdn. 14; Stein SK Rdn. 12; Puppe/Schumann NK Rdn. 25; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 18 und § 146 Rdn. 26; Erb MK Rdn. 27. Kudlich/Ruß
42
§ 149 Vorbereitung der Fälschung von Geld und Wertzeichen (1) Wer eine Fälschung von Geld oder Wertzeichen vorbereitet, indem er 1. Platten, Formen, Drucksätze, Druckstöcke, Negative, Matrizen, Computerprogramme oder ähnliche Vorrichtungen, die ihrer Art nach zur Begehung der Tat geeignet sind, 2. Papier, das einer solchen Papierart gleicht oder zum Verwechseln ähnlich ist, die zur Herstellung von Geld oder amtlichen Wertzeichen bestimmt und gegen Nachahmung besonders gesichert ist, oder 3. Hologramme oder andere Bestandteile, die der Sicherung gegen Fälschung dienen, herstellt, sich oder einem anderen verschafft, feilhält, verwahrt oder einem anderen überlässt, wird, wenn er eine Geldfälschung vorbereitet, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe, sonst mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Nach Absatz 1 wird nicht bestraft, wer freiwillig 1. die Ausführung der vorbereiteten Tat aufgibt und eine von ihm verursachte Gefahr, dass andere die Tat weiter vorbereiten oder sie ausführen, abwendet oder die Vollendung der Tat verhindert und 2. die Fälschungsmittel, soweit sie noch vorhanden und zur Fälschung brauchbar sind, vernichtet, unbrauchbar macht, ihr Vorhandensein einer Behörde anzeigt oder sie dort abliefert. (3) Wird ohne Zutun des Täters die Gefahr, dass andere die Tat weiter vorbereiten oder sie ausführen, abgewendet oder die Vollendung der Tat verhindert, so genügt an Stelle der Voraussetzungen des Absatzes 2 Nr. 1 das freiwillige und ernsthafte Bemühen des Täters, dieses Ziel zu erreichen.
Schrifttum Auf die Angaben vor § 146, § 146 und § 148 wird verwiesen.
Übersicht I.
Bedeutung und Anwendungsbereich des 1 § 149
II. 1.
3 Tatbestand 4 Tatobjekte 4 a) Vorrichtungen 4 b) Papier 4a c) Hologramme 5 Tathandlungen 6 a) Herstellen, 6 b) Verschaffen 6 c) Feilhalte 6 d) Verwahrt 6 e) Überlassen
2.
3.
Innerer Tatbestand
III.
Verhältnis zum Fälschungsdelikt
IV. 1.
8 Tätige Reue Die Eigenart der Regelung und ihre Trag8 weite Voraussetzungen der Straffreiheit nach § 149 9 Abs. 2 Voraussetzungen der Straffreiheit nach § 149 10 Abs. 3
2. 3.
6 7
11
V.
Strafe
VI.
Recht des Einigungsvertrages
12
I. Bedeutung und Anwendungsbereich des § 149 Die durch das EGStGB im Jahre 1974 neu gefasste Vorschrift, die § 151 a. F. ersetzt und Bestim- 1 mungen in Nebengesetzen zusammengefasst hat (BTDrucks. 7/550 S. 228), erhielt durch das Ge43 https://doi.org/10.1515/9783110490107-005
Kudlich/Ruß
§ 149 StGB
Vorbereitung der Fälschung von Geld und Wertzeichen
setz zur Ausführung des Rahmenbeschlusses vom 29.5.2000 über die Verstärkung des mit strafrechtlichen und anderen Sanktionen bewehrten Schutzes gegen Geldfälschung im Hinblick auf die Einführung des Euro (Ges. v. 22.8.2002, BGBl. I 3387) durch Einfügung des Wortes „Computerprogramm“ in Abs. 1 Nr. 1 und der Einfügung der Nr. 3 in Absatz 1 ihre heutige Fassung.1 Die Vorschrift wird durch §§ 127, 128 OWiG ergänzt (Vor § 146 Rdn. 9). Die Tathandlungen und Tatobjekte des § 127 Abs. 1 OWiG und des § 149 Abs. 1 decken sich weitgehend. Das qualifizierende Moment, das den Unrechtsgehalt der Straftat von dem des Geldbußdelikts abhebt, liegt im Subjektiven: In Fällen des § 149 Abs. 1 verwirklicht der Täter den Tatbestand, weil er „eine Fälschung von Geld oder Wertzeichen vorbereitet“. § 149 Abs. 1 erhebt also bestimmte Vorbereitungshandlungen zur selbständigen Straftat und ist insoweit ein abstraktes Gefährdungsdelikt.2 Vom eigentlichen Angriff auf das Rechtsgut her gesehen (§ 146 Abs. 1 Nr. 3, §§ 147, 148 Abs. 1 Nr. 3) handelt es sich um Vorbereitungshandlungen zweiten Grades in der Stufenreihe § 127 Abs. 1 OWiG – § 149 Abs. 1 – § 146 Abs. 1 Nr. 1 und § 148 Abs. 1 Nr. 1 – § 146 Abs. 1 Nr. 3, §§ 147, 148 Abs. 1 Nr. 3.3 Ihre Verselbständigung und tatbestandliche Typisierung schließen es aus, im Einzelfall schon in ihrer Begehung den Versuch eines Verbrechens nach § 146 Abs. 1 Nr. 1 oder eines Vergehens nach § 148 Abs. 1 Nr. 1 (Abs. 3) zu sehen. Ein Fälschungsversuch kommt erst in Betracht, wenn der Bereich des § 149 Abs. 1 überschritten ist (RGSt 65 203, 205; vgl. auch RGSt 69 3, 7). 2 In § 149 Abs. 2 (und Abs. 3) ist eine besondere Rücktrittsregelung geschaffen worden, die vom Täter mehr verlangt als die allgemeine Rücktrittsbestimmung des § 24. Das hat die Konsequenz, dass der Täter im Falle des Rücktritts vom Fälschungsdelikt, das er durch eine tatbestandsmäßige Handlung nach § 149 Abs. 1 vorbereitet hat, wegen des vollendeten Vorbereitungsdelikts strafbar bleibt, wenn nicht auch die Voraussetzungen des Rücktritts nach § 149 Abs. 2 (Abs. 3) gegeben sind.4 § 149 gilt auch für geldähnliche Wertpapiere (siehe § 151) und für Geld, Wertzeichen und 2a geldähnliche Wertpapiere fremder Währungsgebiete (§ 152). Die Vorschrift ist auf Auslandstaten in Fällen der Vorbereitung einer Geld- oder Wertpapierfälschung (§ 146 Abs. 1 Nr. 1, § 151) anzuwenden, nicht jedoch – wie sich aus § 6 Nr. 7 ergibt – in Fällen der Vorbereitung einer Wertzeichenfälschung (§ 148 Abs. 1 Nr. 1).
II. Tatbestand 3 Den Tatbestand verwirklicht, wer eine Fälschung von Geld, dem Geld gleichgestellten Wertpapieren (§ 151) oder von Wertzeichen (also eine Tat nach § 146 Abs. 1 Nr. 1 oder nach § 148 Abs. 1 Nr. 1) durch bestimmte Handlungen, die bestimmte Gegenstände (Vorrichtungen, Papier mit gewissen Eigenschaften) betreffen, vorbereitet.
1. Tatobjekte a) Vorrichtungen. Die Aufzählung der Vorrichtungen in § 149 Abs. 1 Nr. 1 stimmt mit der in § 74d Abs. 1 S. 2 a. F. (wo bis 2017 statt der „Vorrichtungen, die Vorlage für die Vervielfältigung waren oder sein sollten“ der aktuellen Fassung noch exemplifizierend von „Vorrichtungen, wie Platten, Formen, Drucksätze, Druckstöcke, Negative oder Matrizen“ die Rede war) weitgehend überein. Die Ergänzung des Abs. 1 Nr. 1 durch Aufnahme der Computerprogramme durch das 1 2 3 4
Dazu Vogel ZRP 2002 7, 9 f. BeckOK/Weidemann Rdn. 3. Vgl. Zielinski JZ 1973 193. RG JW 1924 1525; Fischer Rdn. 12; Lackner/Kühl-Heger Rdn. 7; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 12; Stein SK Rdn. 10; Erb MK Rdn. 15; krit. Zielinski JZ 1973 193, 197 f. Kudlich/Ruß
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II. Tatbestand
StGB § 149
Gesetz vom 22.8.2002 wurde vorgenommen, weil die Computerprogramme durch den Begriff der „Vorrichtung“ möglicherweise nicht erfasst worden sind.5 Diese Vorrichtungen müssen sich „ihrer Art nach“ zur Geld-, Wertpapier- oder Wertzeichenfälschung eignen. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass nur solche Gegenstände gemeint sind, die sich in spezifischer Weise zur Fälschung verwenden lassen (BTDrucks. 7/550 S. 229). Die den aufgezählten gleichgestellten „ähnlichen“ Vorrichtungen müssen nach Erscheinungsbild und Beschaffenheit den vom Gesetz genannten vergleichbar sein (BTDrucks. 7/550 S. 229). Damit scheiden einfache, unspezifische Werkzeuge wie Hammer und Meißel, Malkasten und Zeichenfeder, aber auch Fotoapparate oder Druckereimaschinen, insbesondere Farbkopierer aus.6 Die Vorrichtungen müssen außerdem „zur Begehung der Tat geeignet“ sein. Das ist der Fall, wenn sie gebrauchsfertig sind7 und mit ihrer Hilfe die Herstellung der Falsifikate unmittelbar ins Werk gesetzt werden kann (RGSt 65 203; RG LZ 1922 163). Nicht ausreichend ist es, wenn das in Rede stehende Gerät nicht unmittelbar der Herstellung von Falsifikaten dient, so bei Kreditkartenlesegeräten, die dazu verwendet werden, auf Kreditkarten gespeicherte Daten in Erfahrung zu bringen, die dann dazu dienen sollen, falsche Zahlungskarten herzustellen (BGH wistra 2004 265, 266); in diesem Fall entspricht das Lesegerät nicht dem Begriff der „Vorrichtung“ i. S. v. Abs. 1 Nr. 1. Die Eignung einer Vorrichtung wird aber nicht dadurch in Frage gestellt, dass zur Nachahmung oder Verfälschung von Geld, gleichgestellten Wertpapieren oder amtlichen Wertzeichen noch andere Fälschungsmittel erforderlich sind, die noch beschafft oder in einen gebrauchsfähigen Zustand gebracht werden müssen.8 „Formen“ enthalten ein Bild von dem, was durch Guss oder Druck als Zeichen oder Figur in Metall, Papier oder einem sonstigen Stoff hervorgebracht werden soll (RGSt 55 46, 47). Als „Negative“ im Sinne der Vorschrift sind nur diejenigen anzusehen, die unmittelbar zur Produktion von Falsifikaten Verwendung finden können.9
b) Papier. § 149 Abs. 1 Nr. 2 nennt als weiteren Tatgegenstand Papier, das einer zur Herstellung 4 von Geld, Wertpapieren des § 151 oder amtlichen Wertzeichen bestimmten und gegen Nachahmung (z. B. durch Wasserzeichen oder Einstreuung besonderer Fasern) in besonderer Weise gesicherten Papierart gleicht oder zum Verwechseln ähnlich ist. Verwechslungsähnlichkeit besteht, wenn das Papier nach seinem Gesamteindruck trotz vorhandener Abweichungen bei einem durchschnittlichen, über besondere Sachkunde nicht verfügenden Betrachter oder Beurteiler, der das Papier einer näheren Prüfung nicht unterzieht, den Eindruck hervorrufen kann, es handle sich um eine besonders gesicherte Papierart.10
c) Hologramme. Die durch das Ges. v. 22.8.2002 (BGBl. I 3387) in Absatz 1 eingefügte Nr. 3 4a (Rdn. 1) umfasst Hologramme oder andere der Sicherung gegen Fälschung dienende Bestandteile. Durch diese tatbestandliche Erweiterung wird der strafrechtliche Schutz deutlich verstärkt, da er nicht mehr allein auf die Verwendung einer bestimmten Papierart abhebt, die beabsichtig-
5 Vogel ZRP 2002 7, 9; Fischer Rdn. 3; Lackner/Kühl-Heger Rdn. 2. 6 Puppe/Schumann NK Rdn. 4; ebenso Lackner/Kühl-Heger Rdn. 2; Fischer Rdn. 3; Stein SK Rdn. 2; Sch/Schröder/ Sternberg-Lieben Rdn. 3; vgl. auch Erb MK Rdn. 4.
7 RGSt 48 161, 165; 55 46 f; 55 283, 284; 65 203; 69 305, 306; RG JW 1933 2143 Nr. 27; Puppe/Schumann NK Rdn. 6; Stein SK Rdn. 2; Erb MK Rdn. 4; Lackner/Kühl-Heger Rdn. 2; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 4.
8 RGSt 48 161, 165; 55 283, 284; 69 305, 306; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 3; Puppe/Schumann NK Rdn. 6; Erb MK Rdn. 4; Fischer Rdn. 2. 9 RGSt 65 203, 204; RG LZ 1922 163; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 3; Erb MK Rdn. 4. 10 BTDrucks. 7/550 S. 229; BGH NStZ 1994 124 m. Bespr. Hefendehl JR 1996 353, 356; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 5; Lackner/Kühl-Heger Rdn. 3; Fischer Rdn. 4; Puppe/Schumann NK Rdn. 5; Stein SK Rdn. 3; vgl. auch Bartholme JA 1994 97 ff. 45
Kudlich/Ruß
§ 149 StGB
Vorbereitung der Fälschung von Geld und Wertzeichen
te Fälschung vielmehr die Einarbeitung weiterer Bestandteile erfordert und dadurch erheblich erschwert.11
2. Tathandlungen 5 Tathandlungen sind das Herstellen, Verschaffen, Feilhalten, Verwahren oder Überlassen eines der in § 149 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 genannten Tatobjekte. Ihr bloßer Versuch ist nicht unter Strafe gestellt (vgl. BGH wistra 2004 265, 266), und umgekehrt begründen sie auch, wenn sie vorliegend, typischerweise keinen Versuch der §§ 146, 148.12 Zur Frage, wie weit das Tun des Täters gediehen sein muss, wird auf Rdn. 6 verwiesen.
a) Herstellen, gleichbedeutend mit Anfertigen im Sinne von § 151 a. F. (BTDrucks. 7/550 S. 229), ist das Fertigstellen einer Sache soweit, dass sie, von unbedeutenden Korrekturen abgesehen, gebrauchsfertig ist (RGSt 48 161, 165). b) Verschaffen ist Erlangung der tatsächlichen Verfügungsgewalt (§ 146 Rdn. 20). Der Täter braucht sie nicht für sich zu gewinnen. Es reicht aus, dass er sie einem anderen verschafft.
c) Feilhalte ist das Bereitstellen zum Verkauf an Interessenten (vgl. BGHSt 23 286, 288; § 148 Rdn. 11).
d) Verwahrt wird ein Tatobjekt von demjenigen, der es in Gewahrsam hat. e) Überlassen an einen anderen wird es, wenn er den Gewahrsam daran zu auch nur vorübergehendem Gebrauch durch Übergabe oder Dulden des Ansichnehmens eingeräumt erhält.13 3. Innerer Tatbestand 6 Der Täter muss vorsätzlich handeln. Eventualvorsatz reicht aus. Der Vorsatz muss die Vorstellung und den Willen umfassen, zu einer Geld- oder Wertzeichenfälschung (oder zur Fälschung eines dem Geld gleichgestellten Wertpapiers), also zu einer Tat nach § 146 Abs. 1 Nr. 1 oder nach § 148 Abs. 1 Nr. 1 einen vorbereitenden Beitrag zu leisten. Dem Täter muss eine konkrete Tat vor Augen stehen, die in ihren Umrissen Gestalt angenommen hat. Es ist aber nicht erforderlich, dass Zeit, Ort und die Einzelheiten der Begehungsweise schon endgültig festgelegt sind.14 Es kann um die Vorbereitung einer Fälschung des Täters oder eines anderen gehen. Ob es dem Täter tatsächlich gelingt, für die geplante Fälschung einen vorbereitenden Beitrag zu leisten, d. h. günstigere Vorbedingungen zu schaffen, ist gleichgültig (Fischer Rdn. 2). Es kommt auch 11 Vgl. Fischer Rdn. 4a. 12 Ebenso SSW/Wittig Rdn. 1. 13 Vgl. Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 6; Puppe/Schumann NK Rdn. 11; Stein SK Rdn. 5; Erb MK Rdn. 10; Lackner/Kühl-Heger Rdn. 4; Fischer Rdn. 4b. 14 Im Ergebnis ebenso: Lackner/Kühl-Heger Rdn. 5; Puppe/Schumann NK Rdn. 3; eine weitergehende Konkretisierung verlangen Stein SK Rdn. 6 sowie Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 7; zw. Fischer Rdn. 5; aA (Konkretisierung nicht erforderlich); Erb MK Rdn. 11; wohl auch Herzberg JR 1977 470. Kudlich/Ruß
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IV. Tätige Reue
StGB § 149
nicht darauf an, dass er die Eignung einer Vorrichtung zur geplanten Fälschung (die er gewollt oder mit der er wenigstens gerechnet haben muss) richtig einschätzt. Es genügt, dass die Vorrichtung tatsächlich zur Anfertigung von Falschstücken verwendet werden kann (RGSt 69 305, 308). Objektiv und subjektiv ist der Tatbestand erfüllt, wenn der Täter Vorrichtungen herstellt, um einen Probeabdruck zu ermöglichen, falls die eigentliche Fälschung bereits geplant ist und die Vorrichtungen zur Gewinnung auch nur eines Falschstückes brauchbar sind,15 mag dieses Stück auch noch weiterer Bearbeitung bedürfen (RGSt 69 305, 307 f).
III. Verhältnis zum Fälschungsdelikt Sobald der Täter nach seiner Vorstellung zum Nachmachen oder Verfälschen unter Verwendung 7 eines Fälschungsmittels, das Gegenstand seiner tatbestandsmäßigen Handlung nach § 149 Abs. 1 war, unmittelbar ansetzt oder sich an der von ihm (mit) vorbereiteten und wenigstens versuchten Fälschungstat eines anderen als Anstifter oder Gehilfe beteiligt, tritt § 149 Abs. 1 hinter § 146 Abs. 1 Nr. 1 oder § 148 Abs. 1 Nr. 1 zurück.16 Der Rücktritt vom Fälschungsversuch nach § 24 lässt die Strafbarkeit nach § 149 Abs. 1 wieder aufleben, wenn der Täter nicht auch den Voraussetzungen der tätigen Reue nach § 149 Abs. 2 (Abs. 3) Rechnung trägt (Rdn. 2).
IV. Tätige Reue 1. Die Eigenart der Regelung und ihre Tragweite Da § 149 Vorbereitungshandlungen unter Strafe stellt, sind die allgemeinen Rücktrittsregeln 8 nicht anwendbar.17 § 149 Abs. 2, der statt dessen zur Anwendung kommen kann, verlangt mehr als § 24. Wer Straffreiheit erlangen will, muss auch dafür sorgen, dass die Fälschungsmittel nicht mehr verwendet werden können, er muss also Handlungsfolgen beseitigen, die lediglich Merkmale eines Geldbußtatbestands (§ 127 Abs. 1 OWiG) wären, wenn man vom aufgegebenen Vorsatz absieht.18 Das sollte genügender Anlass sein, den Rückgriff auf diese Bestimmung zu versagen, wenn der Täter nach § 149 Abs. 2 (od. Abs. 3) Straffreiheit erlangt.19
2. Voraussetzungen der Straffreiheit nach § 149 Abs. 2 9 § 149 Abs. 2 fordert, dass der Täter a) freiwillig die Ausführung der vorbereiteten Tat aufgibt. An dieser Voraussetzung fehlt es z. B., wenn er von Fälschungshandlungen Abstand nimmt, weil er das (objektiv geeignete) Fälschungsmittel nicht für brauchbar hält; b) die von ihm verursachte (nicht auch verschuldete) Gefahr abwendet, dass andere die Tat weiter vorbereiten oder sie ausführen. Er muss die Kausalität seines Tatbeitrags beseitigen. Er tut nicht genug, wenn er die in seinem Beitrag liegende Gefahr nur mindert oder lediglich
15 Lackner/Kühl-Heger Rdn. 5; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 7. 16 RGSt 65 203, 205; 66 217, 218; RG JW 1934 2850 Nr. 14; Erb MK Rdn. 15; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 12; Stein SK Rdn. 10; Lackner/Kühl-Heger Rdn. 7; Matt/Renzikowski-Maier Rdn. 19; Fischer Rdn. 12; aA Puppe/Schumann NK Rdn. 20 („Idealkonkurrenz kraft Erfolgseinheit“). 17 Vgl.auch SSW/Wittig Rdn. 10. 18 Krit. hierzu Zielinski JZ 1973 193, 198; Rdn. 2. 19 Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 20; Erb MK Rdn. 15; Stein SK Rdn. 10; Lackner/Kühl-Heger Rdn. 7; Fischer Rdn. 12. 47
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§ 149 StGB
Vorbereitung der Fälschung von Geld und Wertzeichen
zum Teil in Wegfall bringt, weil er ihren ganzen Umfang nicht erkennt.20 An die Stelle der Abwendung der Gefahr kann die Verhinderung der Vollendung der Tat treten: Der Rücktrittswillige muss durch eigene, auf Erfolgsabwendung zielende Tätigkeit den Erfolg (die Vollendung des Fälschungsaktes) abwenden; c) vorhandene und verwendbare Fälschungsmittel freiwillig dadurch unschädlich macht, dass er sie vernichtet, unbrauchbar macht, ihr Vorhandensein irgendeiner Behörde anzeigt oder sie bei irgendeiner Behörde abliefert. Die Anzeige muss den Zugriff auf die Fälschungsmittel ermöglichen. Mit ihnen sind nur Tatobjekte gemeint, die § 149 Abs. 1 nennt. Der Täter muss sie unschädlich machen, soweit sie Gegenstand seines tatbestandsmäßigen Handelns waren. Übersieht er ein Objekt, fehlt eine Voraussetzung des strafbefreienden Rücktritts.21
3. Voraussetzungen der Straffreiheit nach § 149 Abs. 3 10 Das freiwillige und ernsthafte Bemühen des Täters, die von ihm verursachte Gefahr abzuwenden, dass andere die Tat weiter vorbereiten oder sie ausführen oder sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, die Vollendung der Tat zu verhindern, genügt, wenn ohne sein Zutun die Gefahr abgewendet oder die Vollendung der Tat verhindert wird, an Stelle der Voraussetzungen erfolgreicher Gefahrabwendung oder Vollendungsverhinderung, die § 149 Abs. 2 Nr. 1 nennt. Die Voraussetzungen des § 149 Abs. 2 Nr. 2 muss der Zurücktretende aber auch in Fällen des § 149 Abs. 3 erfüllen. Ein Fälschungsmittel, das schon ohne sein Zutun zerstört worden ist, kann und braucht er nicht unschädlich zu machen. Auf sein Bemühen, es zu tun, kommt es nicht an, da die objektive Lage maßgebend ist.22
V. Strafe 11 Die Vorschrift enthält zwei verschiedene Strafrahmen. Dient das tatbestandsmäßige Tun der Vorbereitung einer Geldfälschung, beträgt der Strafrahmen Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe. Für die entsprechenden Handlungen zur Vorbereitung einer Wertzeichenfälschung ist ein reduzierter Strafrahmen von Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe vorgesehen. In den unterschiedlichen Strafrahmen soll die unterschiedliche Gewichtung der Taten zum Ausdruck gebracht werden. Die Einziehung der in § 149 bezeichneten Fälschungsmittel ist nach § 150 zwingend vorgeschrieben.
VI. Recht des Einigungsvertrages 12 Auf die Ausführungen in der 11. Auflage (Rdn. 12) wird verwiesen.
20 Lackner/Kühl-Heger Rdn. 6; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 15; Stein SK Rdn. 8; Fischer Rdn. 9; Erb MK Rdn. 13; Puppe/Schumann NK Rdn. 15 f.
21 Erb MK Rdn. 13; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 17; ferner Puppe/Schumann NK Rdn. 17; krit. hierzu Zielinski JZ 1973 193, 197 f. 22 Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 19; Stein SK Rdn. 9; Fischer Rdn. 11; aA Erb MK Rdn. 13; Puppe/Schumann NK Rdn. 19, die auch in diesem Fall freiwilliges und ernsthaftes Bemühen des Täters, die Fälschungsmittel zu vernichten, verlangen. Kudlich/Ruß
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§ 150 Einziehung Ist eine Straftat nach diesem Abschnitt begangen worden, so werden das falsche Geld, die falschen oder entwerteten Wertzeichen und die in § 149 bezeichneten Fälschungsmittel eingezogen.
I. Einziehung Die Vorschrift (die den alten Absatz 2 der bis 2017 geltenden Vorgängerregelung abbildet und für alle Straftaten des 8. Abschnitts gilt) schreibt die Einziehung bestimmter producta und instrumenta sceleris zwingend vor, während die allgemeine Bestimmung zur Einziehung von Tatprodukten, Tatmitteln und Tatobjekten (§ 74 Abs. 1 – anders als die Regelung zur Einziehung von Taterträgen in § 73 Abs. 1) sie in das Ermessen des Gerichts stellt. Es handelt sich bei § 150 um eine „besondere Vorschrift“ im Sinne von § 74 Abs. 3 Satz 2.1 Infolgedessen gilt § 74 Abs. 3 Satz 1 entsprechend,2 und die Einziehung ist nur möglich, wenn „die Gegenstände zur Zeit der Entscheidung dem Täter oder Teilnehmer gehören oder zustehen“ (vgl. aber auch Rdn. 4). Eingezogen werden müssen im Einzelnen 1. das falsche Geld (§ 146 Rdn. 6 bis 11) und die Fälschungen (Verfälschungen) von Wertpapieren, die dem Geld gleichstehen (§ 151), wenn Straftaten nach § 146 Abs. 1 oder § 147 begangen worden sind, die falschen Wertzeichen (§ 148 Rdn. 5 ff), die Gegenstand einer Straftat nach § 148 Abs. 1 waren und die entwerteten Wertzeichen (§ 148 Rdn. 13), die zu einer Straftat nach § 148 Abs. 2 verwendet worden sind; in § 152a Abs. 5 und § 152b Abs. 5 ist § 150 Abs. 2 für entsprechend anwendbar erklärt. 2. die in § 149 bezeichneten Fälschungsmittel und zwar nicht nur in Fällen des § 149 Abs. 1, sondern auch in anderen Fällen, in denen eine Straftat des achten Abschnitts verübt worden ist und solche Fälschungsmittel Verwendung fanden, auch wenn eine tatbestandsmäßige Vorbereitungshandlung nach § 149 Abs. 1 nicht vorausgegangen ist. Sachen, die zwar zur Begehung oder Vorbereitung einer Straftat des achten Abschnitts gebraucht worden oder bestimmt gewesen sind, die aber nicht zu den in § 149 Abs. 1 bezeichneten Fälschungsmitteln gehören (vgl. § 149 Rdn. 3) und Sachen, die zwar durch eine solche Straftat hervorgebracht, jedoch nicht geeignet sind, den Arglosen zu täuschen (also nicht als nachgemachtes Geld, Wertzeichen oder Wertpapier in Betracht kommen, wie z. B. halbfertige Falsifikate), kommen lediglich als Gegenstand der im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts stehenden Einziehung in Frage. Die in § 150 vorausgesetzte Straftat des achten Abschnitts muss mindestens bis zu einem mit Strafe bedrohten Versuch gediehen sein. Der – straflose – Versuch einer tatbestandsmäßigen Vorbereitung nach § 149 Abs. 1 reicht infolgedessen als Anknüpfungstat nicht aus.3 Die Maßnahme der Einziehung (§ 11 Abs. 1 Nr. 8) hat in den Fällen des § 150 in aller Regel Sicherungscharakter: Sie erfasst Gegenstände, bei welchen die Gefahr eines strafrechtswidrigen Gebrauchs besteht. Infolgedessen kommt sie nicht nur als sog. tätergerichtete Einziehung (§ 74 Abs. 3 Satz 1), sondern auch und vor allem als sog. unterschiedslose Einziehung (§ 74b Abs. 1) zum Zuge. Kann die Einziehung sowohl nach § 74 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 wie nach § 74b Abs. 1 zulässig sein, sind wegen der unterschiedlichen rechtlichen Konsequenzen (vgl. z. B. § 76a Abs. 2 Satz 2) beide Möglichkeiten zu prüfen. Das Gericht kann beide Rechtsgrundlagen kumulativ heranziehen. Es muss angeben, worauf es seine Einziehungsanordnung gestützt hat.4 Für die Einziehung mit Sicherungscharakter genügt es, dass eine tatbestandsmäßig-rechtswidri1 2 3 4
Ebenso SSW/Wittig Rdn. 2. Lackner/Kühl-/Heger Rdn. 3; Puppe/Schumann NK Rdn. 6. Erb MK Rdn. 3. OLG Saarbrücken NJW 1975 65; Lackner/Kühl/Heger § 74 Rdn. 9; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben § 74 Rdn. 42.
49 https://doi.org/10.1515/9783110490107-006
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§ 150 StGB
Einziehung
ge Tat das Stadium des mit Strafe bedrohten Versuchs erreicht hat. Der Täter braucht nicht schuldfähig gewesen zu sein. Auch das Unrechtsbewusstsein kann gefehlt haben (§ 74b Abs. 1 Nr. 1). Im Ermittlungsverfahren ist aufgrund der in §§ 73 ff vorgesehenen erweiterten Einziehungsmöglichkeiten die Möglichkeit der Sicherstellung nach § 111b ff StPO eröffnet. Ist der Täter unbekannt, kommt eine selbstständige Anordnung der Einziehung nach § 76a in Betracht.5
II. Einzelheiten 5 Die Bestimmung des § 74a, auf die § 150 nicht verweist, ist nicht anwendbar.6 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist als allgemeines, für alle staatlichen Eingriffe geltendes Rechtsprinzip zu beachten, auch wenn § 74f Abs. 1 ihn auf die nicht vorgeschriebene Einziehung zu beschränken scheint.7 Nach § 74f Abs. 1 Satz 2 ist eine Einziehung vorzubehalten und eine weniger einschneidende Maßnahme zu treffen, wenn der Zweck der Einziehung durch sie erreicht werden kann. Es kann z. B. genügen, dass an einem Fälschungsmittel Änderungen vorgenommen werden. Kann wegen einer Straftat, die § 150 voraussetzt, aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen eine bestimmte Person nicht verfolgt oder nicht verurteilt werden (der Täter ist z. B. unbekannt oder flüchtig), ist die Einziehung im objektiven Verfahren (§§ 435, 436 StPO) selbständig anzuordnen, wenn ihre Voraussetzungen im Übrigen vorliegen (§ 76a Abs. 1). Gleiches gilt nach § 76a Abs. 2 Satz 2 in Fällen, in denen die Einziehung Sicherungscharakter hat (§ 74b), wenn die Verfolgung der Straftat verjährt ist.
III. Erweiterte Einziehung von Taterträgen (§ 73a) 6 In § 150 Abs. 1 a. F. waren (seit dem OrgKG vom 15.7.1992) unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit der Verhängung einer Vermögensstrafe sowie die Anordnung des erweiterten Verfalls (§ 73d a. F.) vorgesehen, während der jetzt geltende Normtext den Absatz 2 bildete. § 150 Abs. 1 a. F. gilt nur noch für Fälle, in denen bis zum 1.7.2017 bereits eine erstinstanzliche Entscheidung ergangen ist (vgl. Art. 316g EGStGB).8 Nachdem die Regelung der Verhängung einer Vermögensstrafe durch das Urteil des BVerfG vom 20.3.2002 als mit Art. 103 Abs. 2 GG unvereinbar und mit Gesetzeskraft für nichtig erklärt worden ist und durch das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13.4.2017 (BGBl. I 872) in § 73a die erweiterte Einziehung von Taterträgen auf alle Straftaten erweitert worden ist, wurde § 150 Abs. 1 a. F. zuerst durch das 35. StrÄndG vom 22.12.2003 (BGBl. I 2838) im Wortlaut angepasst und 2017 sodann gestrichen.9 Die frühere Beschränkung des erweiterten Verfalls, der die Wertzeichenfälschung nach § 148 Abs. 2 ebenso wenig erfasste wie die Vorbereitung einer Wertzeichenfälschung nach § 149 Abs. 1 und die Fälle des Inverkehrbringens von Falschgeld oder falscher Wertpapiere nach § 147 ist damit ebenso gegenstandslos wie das frühere Erfordernis einer gewerbs- oder bandenmäßigen Begehung.
5 BeckOK/Wiedemann Rdn. 4. 6 Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 6; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; Fischer Rdn. 3; Erb MK Rdn. 2; Puppe/Schumann NK Rdn. 5.
7 BGH 1 StR 650/78 vom 22.5.1979; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3, § 74b Rdn. 5; Sch/Schröder/Eser § 74b Rdn. 2; vgl. auch BGHSt. 23 267, 269; aA Puppe/Schumann NK Rdn. 5; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 1.
8 Matt/Renzikowski/Maier Rdn. 2. 9 Stein SK Rdn. 1. Kudlich/Ruß
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§ 151 Wertpapiere Dem Geld im Sinne der §§ 146, 147, 149 und 150 stehen folgende Wertpapiere gleich, wenn sie durch Druck und Papierart gegen Nachahmung besonders gesichert sind: 1. Inhaber- sowie solche Orderschuldverschreibungen, die Teile einer Gesamtemission sind, wenn in den Schuldverschreibungen die Zahlung einer bestimmten Geldsumme versprochen wird; 2. Aktien; 3. von Kapitalverwertungsgesellschaften ausgegebene Anteilscheine; 4. Zins-, Gewinnanteil- und Erneuerungsscheine zu Wertpapieren der in den Nummern 1 bis 3 bezeichneten Art sowie Zertifikate über Lieferung solcher Wertpapiere; 5. Reiseschecks.
Übersicht I.
Grund und Umfang des geldgleichen Wertpa1 pierschutzes
II. 1. 2. 3. 4.
2 Der Katalog des Gesetzes 3 Schuldvreschreibungen 3 Aktien 4 Anteilscheine Zins-, Gewinnanteil- und Erneuerungs4 scheine
4
5.
Reiseschecks
III.
Ergänzende Bemerkungen zu den Tathandlun5 gen 6 Anschein 6 Beachtlichkeit wesentlicher Formmängel 7 Vorsätzliches Handeln
1. 2. 3.
I. Grund und Umfang des geldgleichen Wertpapierschutzes § 149 a. F., also vor der Neufassung durch das EGStGB im Jahre 1974, stellte nur bestimmte Inha- 1 berpapiere dem Geld gleich. Die Erweiterung des Strafschutzes, die die Neufassung des achten Abschnitts (vor § 146 Rdn. 1) in § 151 brachte, beruht auf der Überlegung, dass es nicht nur Inhaber-, sondern auch andere Wertpapiere gibt, die im Wirtschaftsverkehr massenhaft vorkommen, auf Grund ihrer dem Papiergeld ähnlichen Ausstattung besonderes Vertrauen genießen, aus beiden Gründen zu einer gewissen Oberflächlichkeit bei der Echtheitsprüfung verleiten und bei Berücksichtigung aller dieser Gesichtspunkte einen strafrechtlichen Schutz erfordern, der durch die Vorschriften über die Urkundenfälschung nicht in ausreichendem Maße erbracht werden kann.1 Deshalb werden dem echten Geld als Rechtsgutsobjekt und dem falschen Geld als tatsächlichem oder ins Auge gefasstem Tatprodukt oder Tatmittel im Sinne der Bestimmungen der §§ 146, 147, 149 und 150 Wertpapiere gleichgestellt, die § 151 in einem Katalog (den § 152 auf Wertpapiere fremder Währungsgebiete erstreckt) abschließend aufzählt, falls es sich dabei um Wertpapiere handelt, die „durch Druck und Papierart gegen Nachahmung besonders gesichert sind“. Diese Voraussetzung kumulativ erforderlicher Vorkehrungen (BGH NJW 1981 1965 m. Anm. Kienapfel JR 1981 472) gegen Nachahmungen zielt darauf ab, dass der erhöhte strafrechtliche Schutz nur Wertpapieren zugute kommt, die schon das Wirtschaftsleben wegen ihrer Bedeutung und Funktion gegen Fälschungen in ihrer Erscheinung und ihrer Ausstattung besonders schützt; sie soll außerdem bewirken, dass der kriminelle Gehalt des Fälschungsakts oder seiner Vorbereitung mit dem der Geldfälschung auf eine Stufe gestellt werden kann.2 Beide Gesichtspunkte geben Anlass zu der Folgerung, dass von einer besonderen Sicherung gegen Nachah1 BTDrucks. 7/550 S. 229; BGH NJW 1981 1965 m. krit. Anm. Otto NStZ 1981 478. 2 BGHSt 30 71, 73 m. Stree JR 1981 427 und krit. Anm. Otto NStZ 1981 478, 479. 51 https://doi.org/10.1515/9783110490107-007
Kudlich/Ruß
§ 151 StGB
Wertpapiere
mung nur die Rede sein kann, wenn sie zumindest in der einen oder anderen Vorkehrung der Sicherung des Papiergeldes nahekommt. Wertpapiere, die in der Gestaltung des Drucks oder in der Papierbeschaffenheit im Bereich der „gewöhnlichen“ Urkunde verbleiben, werden – wie die Wertpapiere, die § 151 nicht nennt – nur wie gewöhnliche Urkunden nach §§ 267 ff geschützt. Eine Papierart kann gegen Nachahmung, z. B. durch Wasserzeichen oder durch Einstreuung besonderer (unsichtbarer) Fasern, besonders gesichert sein. Für die im Börsenverkehr der Bundesrepublik Deutschland gehandelten Wertpapiere sind die Voraussetzungen besonderer und ausreichender Fälschungssicherung im Allgemeinen erfüllt.3
II. Der Katalog des Gesetzes 2 § 151 nennt in seinem abschließenden Katalog4 folgende Wertpapiere:
1. Schuldvreschreibungen Auf einen bestimmten Geldbetrag lautende Inhaberschuldverschreibungen und solche Orderschuldverschreibungen, die Teile einer Gesamtemission sind. Zu den Inhaberschuldverschreibungen (§§ 793 ff BGB), in denen die Zahlung einer bestimmten Geldsumme versprochen wird und nicht nur ein Zinsbetrag aus der Geldsumme (BGH NStZ 1987 504, 505) gehören u. a. Schuldverschreibungen des Bundes, der Länder und der Gemeinden, ferner Hypothekenpfandbriefe. Das Lotterielos verbrieft zwar nach der Ziehung eine Forderung, es lautet aber nicht auf eine bestimmte Geldsumme. Inhaberverpflichtungszeichen (§ 807 BGB) gehören auch dann nicht hierher, wenn sie (wie Rabattsparmarken) auf eine bestimmte Geldsumme lauten.5 Orderschuldverschreibungen, in denen die Zahlung einer bestimmten Geldsumme versprochen wird und die Teile einer Gesamtemission darstellen, hat das geltende Recht in den Kreis der Rechtsgutsobjekte einbezogen, weil sie nur mit staatlicher Genehmigung in den Verkehr gebracht werden durften; das Genehmigungserfordernis ist jedoch zwischenzeitlich aufgehoben worden.6
2. Aktien 3 Aktien und zwar Inhaber- und Namensaktien. Vor der Ausgabe von Aktien erteilte Zwischenscheine und Quittungen, die § 149 a. F. erwähnte, werden in § 151 nicht mehr genannt.
3. Anteilscheine Anteilscheine, die von Kapitalverwaltungsgesellschaften ausgegeben worden sind, sog. Investmentzertifikate.7 Zum Begriff der (an die Stelle der früher im Gesetz genannten Kapitalanlagegesellschaften getretenen) Kapitalverwaltungsgesellschaften vgl. insb. §§ 17 ff Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB).
3 BTDrucks. 7/550 S. 231; Puppe/Schumann NK Rdn. 5; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 2; Stein SK Rdn. 3; Fischer Rdn. 2; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 67 Rdn. 43. 4 Fischer Rdn. 2; Erb MK Rdn. 2; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 2; Stein SK Rdn. 2; Puppe/Schumann NK Rdn. 6. 5 Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 4; Puppe/Schumann NK Rdn. 9. 6 Vgl. dazu Puppe/Schumann NK Rdn. 10. 7 Vgl. Matt/Renzikowski/Maier Rdn. 8. Kudlich/Ruß
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III. Ergänzende Bemerkungen zu den Tathandlungen
StGB § 151
4. Zins-, Gewinnanteil- und Erneuerungsscheine Zins-, Gewinnanteil- und Erneuerungsscheine zu Wertpapieren, die in § 151 Nr. 1 bis 3 genannt sind, und Zertifikate (Schuldverschreibungen) über Lieferung solcher Wertpapiere. Zertifikate haben Bedeutung vor allem dadurch erlangt, dass sie nicht selten an Stelle der Wertpapiere, die sich in Verwahrung befinden, gehandelt werden.8
5. Reiseschecks Die in Nr. 5 der Fassung des EGStGB enthaltene Einschränkung, dass nur solche Schecks erfasst 4 waren, die schon im Wertpapiervordruck auf eine bestimmte Geldsumme lauteten,9 wurde durch das 35. StrÄndG vom 22.12.2003 (BGBl. I S. 2838) gestrichen. Von wem die nunmehr ohne Einschränkung geschützten Papiere ausgegeben worden sind, ist ohne Bedeutung; dies kann von einem Kreditinstitut oder einem Reisebüro geschehen sein. Im Hinblick auf seine frühere Bedeutung im internationalen Geldverkehr war der einst massenhaft vorkommende Reisescheck, der auf Grund von Vereinbarungen einheitlich ausgestaltet und gegen Nachahmungen wirksam gesichert ist, in den erhöhten Strafschutz einbezogen worden, obwohl sein Inhalt und seine rechtliche Ausgestaltung gesetzlich nicht geregelt waren (BTDrucks. 7/550 S. 230). Diese Bedeutung hat im internationalen Zahlungsverkehr mittlerweile stark eingebüßt, nachdem die Reiseschecks durch einen weltweiten Rückgang der zur Einlösung bereiten Stellen und hohe Gebühren bei der Einlösung ihre frühere Attraktivität für Reisende – insbesondere im EuroRaum, aber auch darüber hinaus durch die gestiegene Verbreitung von Kreditkarten – weitestgehend verloren haben.
III. Ergänzende Bemerkungen zu den Tathandlungen Die in Betracht kommenden Tathandlungen, der innere Tatbestand, Fragen der Täterschaft 5 und Teilnahme, des Versuchs und der Vollendung, des Rücktritts und der Konkurrenzlehre werden in den Anmerkungen zu den §§ 146, 147 und 149 erläutert.10 Spezifisch soll aber noch auf folgende Punkte hingewiesen werden:
1. Anschein Den Anschein eines echten Wertpapiers, das – wäre es tatsächlich vorhanden – in den Katalog des § 151 fiele, kann der Täter auch hervorrufen, wenn es für die Fälschung in ihrer äußeren Erscheinung kein wirkliches Vorbild gibt (vgl. § 146 Rdn. 6).11 Das Falsifikat muss den Erfordernissen des Wertpapierdrucks entsprechend, also mit besonderer Ausstattung nach Druck und Papierart, hergestellt sein, d. h. es muss den Anschein erwecken, dass es sich um ein echtes Wertpapier handelt, dass es also den besonderen Sicherungen gegen eine Nachahmung genügt
8 BTDrucks. 7/550 S. 230; vgl. dazu Puppe/Schumann NK Rdn. 13. 9 BGHSt 30 71 m. Anm. Stree JR 1981 427 und Otto NStZ 1981 478; Erb MK Rdn. 4; Fischer Rdn. 7. 10 Zur Geltung dieser Grundsätze auch für § 151 vgl. auch BeckOK/Wiedemann Rdn. 9. 11 BGH NJW 1981 1965 m. Anm. Kienapfel JR 1981 473; BGHSt 30 71, 72 (für Reiseschecks) m. Anm. Stree JR 1981 427; BGH NStZ 1987 504, 505; Puppe/Schumann NK Rdn. 15 und JZ 1986 993; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 9; Stein SK Rdn. 5; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; Fischer Rdn. 2; Erb MK Rdn. 7; krit. Otto NStZ 1981 478. 53
Kudlich/Ruß
§ 151 StGB
Wertpapiere
und von einem Aussteller herrührt, der zur Ausgabe berechtigt ist. Nicht erforderlich ist, dass es sich bei diesem Aussteller um eine tatsächlich existierende Person handelt.12
2. Beachtlichkeit wesentlicher Formmängel 6 Fälschungen mit wesentlichen Formmängeln können den Anschein eines echten, in § 151 genannten Wertpapiers nicht erzeugen.13 Mindesterfordernis der Schriftform der Inhaberschuldverschreibung ist die „im Wege der mechanischen Vervielfältigung hergestellte Namensunterschrift“ (§ 793 Abs. 2 S. 2 BGB). Fehlt sie, kann die Nachahmung eines Inhaberverpflichtungszeichens (§ 807 BGB) entstanden, der Täter wegen Urkundenfälschung strafbar sein (RGSt 51 410, 412). Der äußere Anschein einer formgültig ausgestellten Inhaberschuldverschreibung ist jedoch nicht bewirkt worden. § 151 und die in dieser Vorschrift genannten Bestimmungen sind nicht anwendbar (RGSt 58 412, 413/414). Die Frage, ob es sich um eine Nachahmung handelt, wenn ein Wertpapier in einem für die bestimmungsgemäße Ausgabe erforderlichen Bestandteil (z. B. durch Einsetzen einer Aktiennummer) komplettiert wird, ist in RGSt 48 125, 127 bejaht worden.14 Man wird unterscheiden müssen: Handelt es sich bei der inhaltlichen Ergänzung zugleich um ein wesentliches Formelement, ist in der Tat erst durch die Komplettierung eine Urkunde überhaupt oder eine Urkunde einer bestimmten Kategorie entstanden, die nicht von demjenigen herrührt, der als ihr Aussteller genannt ist. In anderen Fällen kommt höchstens eine Verfälschung in Betracht, die, auch wenn sie ein Wertpapier betrifft, das im Katalog des § 151 genannt ist, nach dieser Vorschrift i. V. m. § 146 Abs. 1 Nr. 1 nur bestraft werden kann, wenn der Anschein eines höheren Wertes hervorgerufen wird.15
3. Vorsätzliches Handeln 7 Vorsätzliches Handeln erfordert, dass der Täter, wenn auch in laienhafter Betrachtung, den rechtlichen Sinn des Wertpapiers, das Angriffsobjekt ist, und seine Funktion im Wirtschaftsleben erfasst hat und davon ausgeht (oder doch damit rechnet), dass es gegen Nachahmung besonders gesichert ist. Wenn der Täter das Wertpapier falsch bezeichnet oder irrtümlich annimmt, es stehe dem Geld nicht gleich, ist das ein bloßer Subsumtionsirrtum, der unter Umständen einen Verbotsirrtum auslösen kann.16
12 Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 9; Erb MK Rdn. 7; Puppe/Schumann NK Rdn. 15; Stein SK Rdn. 5; aA Otto NStZ 1981 478, 479. 13 BGH NJW 1981 1965 m. Anm. Stree JR 1981 428; Fischer Rdn. 2. 14 Ebenso Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 9; Erb MK Rdn. 7. 15 BTDrucks. 7/550 S. 231; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 9; vgl. auch Puppe/Schumann NK Rdn. 16. 16 Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 9; Erb MK Rdn. 6; Fischer Rdn. 8; abw. Puppe/Schumann NK Rdn. 17. Kudlich/Ruß
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§ 152 Geld, Wertzeichen und Wertpapiere eines fremden Währungsgebietes Die §§ 146 bis 151 sind auch auf Geld, Wertzeichen und Wertpapiere eines fremden Währungsgebietes anzuwenden.
I. Zweck der Bestimmung § 152 stellt ausdrücklich klar, dass die Tatbestände der Geld- und Wertzeichenfälschung die 1 Rechtsgutsobjekte ohne Rücksicht darauf schützen, ob es sich um Geld, amtliche Wertzeichen und Wertpapiere bestimmter Art der Bundesrepublik Deutschland oder eines fremden Währungsgebiets handelt.1 Die Verpflichtung zum umfassenden Strafschutz ergibt sich für Geld aus Art. 5 des Internationalen Abkommens zur Bekämpfung der Falschmünzerei vom 20.4.1929 (vgl. Bekanntmachung über das internationale Abkommen zur Bekämpfung der Falschmünzerei vom 10. November 1933 – RGBl. II 913), für Postwertzeichen aus Art. 14 des Weltpostvertrages vom 10.7.1964 (BGBl. II 1705). § 152 beantwortet nur die Frage quid iuris sit, wenn bestimmte Rechtsgutsobjekte betroffen sind. Über den räumlich-persönlichen Geltungsbereich der §§ 146 bis 151 wird in der Vorschrift nichts gesagt. Dieser Bereich wird in den §§ 3, 4, 6 Nr. 7 und in § 7 abgesteckt. Die Einbeziehung ausländischer Wertpapiere in den umfassenden Strafschutz ist schon deshalb gerechtfertigt, weil sie im Wirtschaftsverkehr des Inlandes eine nicht unerhebliche Rolle spielen. Die Erstreckung des unterschiedslosen Strafschutzes auf ausländische amtliche Wertzeichen, die keine Postwertzeichen sind, ist eine Übertreibung. Fälschung mit gefährlicher Auswirkung für das Inland kommt bei dieser Kategorie von Schutzobjekten kaum in Betracht.2 § 152 gilt unabhängig davon, ob die Gegenseitigkeit verbürgt ist und ob diplomatische Beziehungen zu dem Staat bestehen, der ein fremdes Währungsgebiet, um dessen Geld, Wertzeichen oder Wertpapiere es geht, ganz oder teilweise umfasst.3
II. Interpretationsfragen Für die Frage, was als Geld, amtliches Wertzeichen, Inhaberschuldverschreibung usw. eines 2 fremden Währungsgebiets anzusehen ist und ob eine tatbestandsmäßige Handlung (ein Nachmachen, Verfälschen, Inverkehrbringen) begangen wurde, sind die Vorschriften maßgebend, die § 152 nennt, und die Begriffe, die diesen Vorschriften zugrunde liegen (vgl. für Wertpapiere: BGH NStZ 1987 504). Deshalb sind die von der Republik Südafrika ausgegebenen KrügerrandGoldmünzen kein Geld im Sinne der §§ 146 ff, da es ihnen für diese Qualifikation an der Bestimmung und Eignung zum Umlauf im öffentlichen Zahlungsverkehr fehlt.4 Dies gilt auch, wenn der in Frage stehende Wertträger von der ausländischen Rechtsordnung als Geld betrachtet wird.5 Entsprechend hat der englische Goldsovereign, der durch Gesetz zum gesetzlichen Zahlungsmittel bestimmt worden, aber nicht durch einen Willensakt desselben Staates außer Kraft gesetzt worden ist, seine Geldeigenschaft nicht verloren, obwohl er tatsächlich nicht mehr zum Nennwert als Zahlungsmittel verwendet wird.6 Ob die Rechtsgutsobjekte fremder Währungsge1 Vgl. zum Schutz ausländischer Rechtsgüter Lüttger Festschrift Jescheck (1985) 120, 173 ff. 2 Zu Recht insoweit kritisch: Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 1; Puppe/Schumann NK Rdn. 5; Schlüchter JR 1984 517, 521 f in einer Anm. zu BGHSt 32 68; ferner Schlüchter FS Oehler 307, 317 f mit dem Vorschlag, den Anwendungsbereich des § 152 in diesen Fällen durch teleologische Reduktion einzuschränken; G. Schmidt ZStW 111 (1999) 388, 416. 3 Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 1. 4 BGHSt 32 198, 200 m. Anm. Puppe JZ 1986 992; sowie Puppe/Schumann NK Rdn. 3; § 146 Rdn. 4. 5 Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 2. 6 § 146 Rdn. 5a; BGHSt 19 357; aA Stein SK § 146 Rdn. 2; zw. Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2. 55 https://doi.org/10.1515/9783110490107-008
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§ 152 StGB
Geld, Wertzeichen und Wertpapiere eines fremden Währungsgebietes
biete die diesen Begriffen genügenden Qualitäten aufweisen, das freilich ist eine Frage, die nur das jeweilige ausländische Recht beantworten kann.7 Dieses Recht kann auch nicht unberücksichtigt bleiben, soweit es in außerstrafrechtlichen Bestimmungen Formerfordernisse aufstellt, die vom deutschen Recht abweichen. Die Merkmale der Rechtsgutsobjekte, die § 151 erwähnt (sie müssen besondere Sicherungen gegen Nachahmung durch Druck und Papierart aufweisen; Orderschuldverschreibungen müssen Teil einer Gesamtemission sein; auf sie und Inhaberschuldverschreibungen erstreckt sich der besondere strafrechtliche Schutz der §§ 146, 147 und 149 nur, wenn sie das Versprechen der Zahlung einer bestimmten Geldsumme enthalten), müssen auch die entsprechenden ausländischen Wertpapiere aufweisen, wenn § 151 für sie gelten soll. Es geht um „unterschiedslosen“, nicht um einen die ausländischen Wertpapiere bevorzugenden strafrechtlichen Schutz (BGH NStZ 1987 504). Genügen die Falsifikate den an sie zu stellenden Anforderungen, so ist es unerheblich, ob es sich um ein Phantasieprodukt handelt, das im angeblichen Herkunftsland kein Vorbild hat.8
III. Innerer Tatbestand 3 In den Fällen des § 152 müssen sich in der Vorstellung des Täters die Merkmale des Geldes, des Wertzeichens oder des Wertpapiers einer bestimmten Kategorie so widerspiegeln, dass er die gesetzlichen Voraussetzungen der Sache nach trifft (Parallelbeurteilung im Täterbewusstsein). Lässt er Merkmale genügen, die nach den gesetzlichen Erfordernissen nicht ausreichen, ist das ein Irrtum in der Subsumtion, der den Mangel im Vorsatz (das Fehlen zutreffender Parallelwertung) nicht zu ersetzen vermag („Wahndelikt“: Erb MK Rdn. 5). Erfasst der Täter die konstitutiven Merkmale richtig, zieht er aber nicht die Folgerung, dass er es mit Geld usw. zu tun habe, so ist das ein Subsumtionsirrtum, der den Vorsatz unberührt lässt. Er kann Grundlage eines Vorbotsirrtums sein.9 Mit einem Tatbestandsirrtum hat man es zu tun, wenn der Täter irrtümlich annimmt, das ausländische Geld, das er nachmacht, sei außer Kurs gesetzt.10
7 BGHSt 32 68, 75 ff m. Anm. Schlüchter JR 1984 517 ff; BGH NStZ 1987 504. 8 Vgl. BGH NStZ 1987 504, 505; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 2; aA Puppe/Schumann NK Rdn. 9. 9 Herdegen Festschrift BGH 25 (1975) 195, 205. 10 Fischer Rdn. 3; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 3. Kudlich/Ruß
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§ 152a Fälschung von Zahlungskarten, Schecks, Wechseln und anderen körperlichen unbaren Zahlungsinstrumenten (1) Wer zur Täuschung im Rechtsverkehr oder, um eine solche Täuschung zu ermöglichen, 1. inländische oder ausländische Zahlungskarten, Schecks, Wechsel oder andere körperliche unbare Zahlungsinstrumente nachmacht oder verfälscht oder 2. solche falschen Karten, Schecks, Wechsel oder andere körperliche unbare Zahlungsinstrumente sich oder einem anderen verschafft, feilhält, einem anderen überlässt oder gebraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. (3) Handelt der Täter gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Straftaten nach Absatz 1 verbunden hat, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. (4) Zahlungskarten und andere körperliche unbare Zahlungsinstrumente im Sinne des Absatzes 1 sind nur solche, 1. die von einem Kreditinstitut oder Finanzdienstleistungsinstitut herausgegeben wurden und 2. durch Ausgestaltung oder Codierung besonders gegen Nachahmung gesichert sind. (5) § 149, soweit er sich auf die Fälschung von Wertzeichen bezieht, und § 150 gelten entsprechend.
Schrifttum Altenhain Der strafbare Mißbrauch kartengestützter elektronischer Zahlungssysteme, JZ 1997 752; Bachmann/Goeck Strafrechtliche Aspekte des „Skimmings“, JR 2011, 425; Baier Konsequenzen für das Strafrecht bei Abschaffung des Euroscheckverkehrs, ZRP 2001 454; Chiampi Totalfälschung von Kreditkarten (1999); Eisele Fälschung von Zahlungskarten, JA 2001 747; ders. Payment Card Crime: Skimming, CR 2011, 131; Eisele/Fad Strafrechtliche Verantwortlichkeit beim Mißbrauch kartengestützter Zahlungssysteme, Jura 2002 305; Feldmann Strafbarkeit und Strafbarkeitslücken im Zusammenhang mit Skimming und Fälschung von Zahlungskarten, wistra 2015, 41; Hefendehl Strafrechtliche Probleme beim Herstellen, beim Vertrieb und bei der Verwendung von wiederaufladbaren Telefonkartensimulatoren, NStZ 2000 348; Heger Zur Strafbarkeit der Fälschung von Maestro-Karten, wistra 2010, 281; Husemann Die Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes des bargeldlosen Zahlungsverkehrs durch das 35. Strafrechtsänderungsgesetz, NJW 2004 104; Otto Mißbrauch von Scheck und Kreditkarten sowie Fälschung von Vordrucken für Euroschecks und Euroscheckkarten, wistra 1986 150; Schnabel Telefon, Geld, PrepaidKarte und Sparcard, NStZ 2005 18; Schumann Die elektronische Geldbörse auf Chipkartenbasis (2004); Seidl Debit Card Fraud: Stafrechtliche Aspekte des sog. „Skimmings“, ZIS 2012, 415; Weber Probleme der strafrechtlichen Erfassung des Euroscheck und Euroscheckkartenmißbrauchs nach Inkrafttreten des 2. WiKG, JZ 1987 215; – Vgl. im übrigen die Schrifttumsangaben vor § 146 und zu §§ 146, 148.
Übersicht I. 1. 2.
Allgemeines 1 1 Gesetzesfassung Geschütztes Rechtsgut
II. 1. 2.
3 Tatobjekte 4 Zahlungskarten Schecks und Wechsel
3.
Andere körperliche unbare Zahlungsinstru5a mente
III. 1. 2.
6 Tathandlungen 7 Nachmachen, Verfälschen (Abs. 1 Nr. 1) Verschaffen, Feilhalten, Überlassen, Gebrau8 chen (Abs. 1 Nr. 2) 9 Subjektiver Tatbestand
2
5 3.
57 https://doi.org/10.1515/9783110490107-009
Kudlich/Ruß
§ 152a StGB
Fälschung von Zahlungskarten und anderen Zahlungsinstrumenten
IV.
Versuch und Vollendung. Teilnahme und Vorbe10 reitungshandlungen
V.
Rechtsfolgen
VI.
Konkurrenzen
13
12
I. Allgemeines 1. Gesetzesfassung 1 Die Vorschrift des § 152a wurde durch das am 1.8.1986 in Kraft getretene 2. WiKG vom 15.5.1986 (BGBl. I S. 721) in das StGB aufgenommen (vgl. die Fassung der Vorschrift in der Vorauflage Rdn. 1). Ziel der Neuschöpfung war es, neben dem Schutz des Vermögens die Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs mit Euroschecks und Euroscheckkarten schon im Vorfeld missbräuchlicher Verwendung vor Gefahren zu bewahren.1 Durch das am 1.4.1998 in Kraft getretene 6. StrRG vom 26.1.1998 (BGBl. I 164) wurde die Vorschrift neu gefasst. Mit der Neufassung sollte über den Euroscheckverkehr hinaus der bargeldlose Zahlungsverkehr allgemein, auch soweit er durch Zahlungskarten erfolgt, vor Missständen besser geschützt werden (BTDrucks. 13/8587 S. 29). Diese Zielsetzung wurde, soweit sie den Euroscheckverkehr betrifft, durch das Auslaufen der Garantiefunktion des Euroschecks zum 31.12.2001 überholt.2 Durch das 35. StrÄndG zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union vom 28. Mai 2001 zur Bekämpfung von Betrug und Fälschung im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln vom 22.12.2003 (BGBl. I 2838) erhielt § 152a seine heute geltende Struktur; zugleich wurde parallel dazu § 152b in das StGB eingefügt. Durch diese Neufassung werden Zahlungskarten ohne Garantiefunktion, sowie Schecks und Wechsel durch § 152a geschützt, Zahlungskarten mit Garantiefunktion und Vordrucke für Euroschecks, die bisher unter den Tatbestand des § 152a fielen, durch § 152b, der inhaltlich weitgehend § 152a in seiner bisherigen Fassung entspricht.3 Durch das einundsechzigste Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches vom 10.3.2021 (BGBl. I 333) wurde der Schutz auch auf „andere körperliche unbare Zahlungsmittel“ erstreckt, um so in Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/713 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 zur Bekämpfung von Betrug und Fälschung im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2001/413/JI des Rates künftig auch die Nachahmung und Fälschung von Zahlungsinstrumenten zu erfassen, die keine Kartenform haben oder die nicht von einem Kredit- oder Finanzdienstleistungsinstitut herausgegeben worden sind (BTDrucks. 19/25631 S. 21).
2. Geschütztes Rechtsgut 2 Geschütztes Rechtsgut der beiden Vorschriften des § 152a und des § 152b ist, wie bisher, auch nach der Neufassung nach herrschender Auffassung die Sicherheit und Funktionsfähigkeit des bargeldlosen Zahlungsverkehrs.4 Sie richten sich gegen die Fälschung von bestimmten Zahlungskarten, Schecks und Wechseln und stellen auch gewisse Vorbereitungshandlungen unter 1 BTDrucks. 10/5058 S. 26; Otto wistra 1986 150. 2 Husemann NJW 2004 104, 108; Baier ZRP 2001 454, 455; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1. 3 Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1; Fischer Rdn. 1; Puppe/Schumann NK Rdn. 1 f; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 1; Stein SK vor § 146 Rdn. 1 f, 6; Erb MK Rdn. 2; Husemann NJW 2004 104, 105. 4 BTDrucks. 13/8587 S. 29; BGHSt 46 48, 50; BGHSt 46 146, 151; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1; Fischer Rdn. 2; Erb MK Rdn. 1; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 1; Stein SK vor § 146 Rdn. 1, 8; Otto wistra 1986 150, 153; Chiampi S. 133, 146 ff; Husemann NJW 2004 104, 105; abl. Puppe/Schumann NK Rdn. 3 ff; auch Schumann S. 42 (nur Garantiefunktion der Urkunde). Kudlich/Ruß
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II. Tatobjekte
StGB § 152a
Strafe. Die Entwicklung, die der bargeldlose Zahlungsverkehr in den vergangenen Jahren genommen hat, insbesondere die breite Verwendung von Zahlungskarten, die wie im Euroscheckverkehr dem Empfänger einen garantierten Zahlungsanspruch verschaffen und deshalb zu einem geldähnlichen Zahlungsmittel geworden sind, kann in besonderem Maße (BTDrucks. 13/ 8587 S. 29) Anlass zu missbräuchlichem Verhalten in Form von Totalfälschungen geben.5 Im Gegensatz zu den Fällen einer Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion und Vordrucken für Euroschecks sowie deren Vorbereitung gilt in Fällen des § 152a n. F. das Weltrechtsprinzip und die Anzeigeverpflichtung des § 138 Abs. 1 Nr. 4 nicht.6
II. Tatobjekte Die in Absatz 1 Nr. 1 des § 152a genannten Tatobjekte sind inländische und ausländische Zah- 3 lungskarten, sofern sie den Anforderungen des Absatzes 4 genügen, sowie Schecks und Wechsel. An sich unterfallen alle der genannten Zahlungskarten dem Schutz der Vorschrift, jedoch werden Zahlungskarten mit Garantiefunktion seit der Einfügung von § 152b durch das 35. StrÄndG (vgl. Rdn. 1) von dieser Qualifikationsbestimmung erfasst, so dass sich § 152a n. F. als Grundtatbestand nur auf den Schutz von Zahlungskarten ohne Garantiefunktion (sowie von Schecks und Wechseln) bezieht.7 Zurückgehend insbesondere auf die Kommentierung von Puppe in der Erstausgabe des Nomos Kommentar ist teilweise – auch hier in früheren Bearbeitungen – angenommen worden, dass der Verwendung des Plurals im Gesetzestext entsprechend eine Strafbarkeit nur in Betracht kommt, wenn falsche Schecks, Zahlungskarten etc. hergestellt werden,8 sodass in erster Linie professionelle Fälscher erfasst würden. Der 4. Strafsenat des BGH hat bereits im Jahr 2000 mit der wohl überwiegenden Ansicht im Schrifttum zutreffend im gegenteiligen Sinne entschieden.9 Dabei ist freilich weniger entscheidend, dass (wie der BGH argumentiert) auch in anderen Tatbeständen (etwa bei den Brandstiftungsdelikten) im Gesetzestext der Plural verwendet wird, aber die h. M. auch etwa das Inbrandsetzen eines Gebäudes oder Waldes genügen lässt, denn diese Argumentation wäre mehr oder weniger zirkulär. Vielmehr hat die der sprachlichen Vereinfachung geschuldete Verwendung des Plurals in abstrakt-generellen Regeln für das (für Art. 103 Abs. 2 GG wichtige) spontane und intuitive Verständnis der Vorschrift letztlich keine tragende Bedeutung, und ebenso, wie die „Wortlautgrenze“ auch im Übrigen nicht mit „der grammatischen Auslegung“ identisch ist, wird sie allein durch die (und seien sie für sich auch relativ eindeutigen) Regeln der Grammatik gezogen.10
1. Zahlungskarten Vom Tatbestand erfasst werden vor allem Zahlungskarten die von einem inländischen oder 4 ausländischen Finanzinstitut, d. h. Kreditinstitut oder Finanzdienstleistungsinstitut i. S. von § 1 Abs. 1 und Abs. 1a KWG herausgegeben worden sind (Abs. 4 Nr. 1). Die Karten müssen ferner durch Ausgestaltung oder Codierung besonders gegen Nachahmung gesichert sein (Abs. 4 Nr. 2). Sie treten an die Stelle einer Barzahlung desjenigen, der sie verwendet; durch ihren Gebrauch soll es ihm ermöglicht sein, „einen monetären Wert zu übertragen“ (BTDrucks. 15/1720 S. 9). Vom Tatbestand betroffen sind daher beispielsweise Bankkarten, die es dem Bankkunden
5 Erb MK Rdn. 1; Fischer Rdn. 2. 6 Lackner/Kühl/Heger Rdn. 10; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 1. 7 Husemann NJW 2004 104, 105; Rengier BT II 39/27. 8 Vgl. Puppe NK1, § 152a Rdn. 11. 9 Vgl. BGHSt 46, 147, 150 f. 10 Eingehend Kudlich Puppe-FS 123 ff. 59
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§ 152a StGB
Fälschung von Zahlungskarten und anderen Zahlungsinstrumenten
ermöglichen, am hauseigenen Geldautomaten der Bank Geld von seinem Konto abzuheben.11 Nicht erfasst werden reine Leistungskarten, wie sie beispielsweise in Kantinen Verwendung finden, also Karten, die einen bargeldlosen Wareneinkauf ermöglichen (sog. Kundenkarten), auch nicht Telefonkarten oder sog. Telefonkarten – Simulatoren.12
2. Schecks und Wechsel 5 Außer den (inländischen oder ausländischen) Zahlungskarten werden Schecks und Wechsel vom Tatbestand erfasst (Absatz 1). Sie müssen gemäß den Vorschriften des Scheckgesetzes (Art. 1, 2 ScheckG) bzw. Wechselgesetzes (Art. 1, 2 oder Art. 75, 76 WG) ausgefüllt sein. Da auch ausländische Papiere unter den Schutz des Tatbestandes fallen, müssen die dafür geltenden Vorschriften beachtet sein. Nicht vom Tatbestand erfasst, werden bloße Vordrucke von Schecks oder Wechseln, wie sich aus dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift ergibt.13
3. Andere körperliche unbare Zahlungsinstrumente 5a Seit dem einundsechzigsten Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches vom 10.3.2021 (BGBl. I 333) werden als Tatobjekte auch „andere körperliche unbare Zahlungsmittel“ erfasst. Damit sollen in Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/713 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 künftig auch die Nachahmung und Fälschung von Zahlungsinstrumenten zu erfassen, die keine Kartenform haben oder die nicht von einem Kredit- oder Finanzdienstleistungsinstitut herausgegeben worden sind (BTDrucks. 19/25631 S. 21). Nach der Legaldefinition des § 152a Abs. 4 a. F. war § 152a weder auf unbare Zahlungsinstrumente anwendbar, die keine Kartenform haben (wie etwa auf einen auf einem nicht kartenförmigen Gegenstand angebrachten Mikrochip14)m, noch auf Zahlungskarten, deren Herausgeber weder Kreditinstitut noch Finanzdienstleistungsinstitut ist, was mit Blick auf Art. 2 a der Richtlinie (EU) 2019/713 zu eng erscheint. Während ersteres (abweichende Formgebung) schon wegen der Vereinheitlichung der Kartenlesegeräte selten vorkommen dürfte (aber angesichts des Einsatzes von Scannern an vielen Kassen nicht ausgeschlossen ist), sind Karten, die nicht von Kredit- oder Finanzdienstleistungsinstitut herausgegeben werden, Legion. Erfasst sind sie aber auch nach der Neufassung nur, wenn sie Zahlungsinstrumente sind, d. h. wenn ihr Herausgeber einen darin ausgewiesenen Inhaber dazu legitimiert, bargeldlose Zahlungen vorzunehmen oder Bargeld abzuheben. Fraglich ist dies etwa bei Kundenkarten, wenn diese im Zwei-Partner-System (also vom leistungserbringenden Unternehmen selbst) ausgegeben wurden und lediglich zu einem Kauf auf Kredit bei dem herausgebenden Unternehmen berechtigen. Hier ist nämlich – auch nach der Neufassung – fraglich, ob der Karteninhaber damit „bezahlt“ und nicht vielmehr nur einen ihm vom Kartenaussteller eingeräumten Zahlungsaufschub in Anspruch nimmt.15
11 BGHSt 46 146, 148 f; Fischer Rdn. 4 f; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 3. 12 LG Würzburg NStZ 2000 374, 375 m. zust. Anm. Hefendehl NStZ 2000 348, 349; ferner Fischer Rdn. 4b; Lackner/ Kühl/Heger Rdn. 2; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 3; Erb MK Rdn. 4; Puppe/Schumann NK Rdn. 6; Husemann NJW 2004 104, 106; Stein SK Rdn. 5. 13 Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 4; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Erb MK Rdn. 7; zw. Fischer Rdn. 6 f; Stein SK Rdn. 9. 14 Bsp. in BTDrucks. 19/25631 S. 21 unter Verweis auf Stein SK Rdn. 2. 15 Vgl. Stein SK Rdn. 2 einerseits, Fischer Rdn. 4a andererseits. Kudlich/Ruß
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III. Tathandlungen
StGB § 152a
III. Tathandlungen Die Tathandlungen sind denjenigen des § 152a a. F. nachgebildet, die ihrerseits durch das 6. 6 StrRG an den Vorschriften der Geld und Wertzeichenfälschung (§§ 146, 148, 149) angelehnt worden sind. Auf die entsprechenden Erläuterungen zu diesen Tatbeständen kann daher weitgehend verwiesen werden. Im Einzelnen gilt:
1. Nachmachen, Verfälschen (Abs. 1 Nr. 1) Als Tathandlung nennt Abs. 1 Nr. 1 das Nachmachen oder Verfälschen von Zahlungskarten, 7 Schecks oder Wechseln. Nachmachen bedeutet Herstellen einer falschen Zahlungskarte, wozu auch Manipulationen an einem Falsifikat gehören.16 Die Tatobjekte sind nachgemacht und damit falsch, wenn ihr Inhalt nicht von dem Kreditinstitut herrührt, das als ihr Aussteller in ihnen genannt ist oder wenn sie ohne entsprechenden Auftrag des genannten Ausstellers hergestellt worden sind (vgl. die Ausführungen zu § 146 Rdn. 6, 10). Ein Verfälschen liegt vor, wenn der Inhalt des echten Objekts verändert wird, sei es durch Verändern der Gültigkeitsdauer, des aufgebrachten Lichtbildes oder des aufgedruckten Namens des Berechtigten,17 nicht dagegen beim Unterschreiben einer echten Zahlungskarte mit dem Namen des Berechtigten durch einen Dritten (OLG Koblenz StRR 2014, 445). Bei Geldkarten („elektronische Geldbörsen“) reicht eine Erhöhung der elektronischen Werteinheiten aus. Im Übrigen ist das Hervorrufen des Anscheins eines höheren Wertes – im Gegensatz zur Geldfälschung nach § 146 – nicht Voraussetzung für eine tatbestandsmäßige Verfälschung.18
2. Verschaffen, Feilhalten, Überlassen, Gebrauchen (Abs. 1 Nr. 2) In Abs. 1 Nr. 2 sind als Tathandlungen das sich oder einem anderen Verschaffen, das Feilhal- 8 ten, das einem anderen Überlassen und das Gebrauchen von solchen Karten genannt, wie sie in Nr. 1 aufgeführt sind. Ein Gebrauchen ist nicht davon abhängig, dass der Täter die Tatobjekte selbst nachgemacht oder verfälscht hat,19 und kann auch vorliegen, wenn die Fälschung bei gewissenhafter Prüfung durch einen sorgfältigen Händler erkennbar gewesen wäre, ja sogar, wenn der Kartenakzeptant mit dem Nutzer des Falsifikats kollusiv zusammenwirkt (KG NStZRR 2013, 244). Das bloße Verwahren oder Transportieren ist nicht tatbestandsmäßig.20 Die Tathandlung des Gebrauchens entspricht der in § 267 und § 269 beschriebenen Tathandlung.21 Bezüglich der Merkmale des sich oder einem anderen Verschaffens, des Feilhaltens oder einem anderen Überlassens, die dem bisherigen Tatbestand des § 152a entnommen sind, kann auf die Erläuterungen zu § 146 verwiesen werden (BTDrucks. 13/8587 S. 30; § 146 Rdn. 20 und § 149 Rdn. 5). Das sich oder einem anderen Verschaffen bedeutet das Erlangen der tatsächlichen Verfügungsgewalt mit dem Willen zu eigenständiger Verfügung über die falschen Objekte, sei es für den Handelnden selbst oder für einen Dritten (BGHSt 44 62; BGH wistra 2004 180). Feilhalten bedeutet das äußerlich als solches erkennbare Bereitstellen der Falsifikate zum Zwecke des Verkaufs an andere (vgl. BGHSt 23 286). Ein Überlassen an einen anderen liegt vor, wenn er
16 BGHSt 46 146, 152 m. Bespr. Puppe JZ 2001 471. 17 BTDrucks. 13/8587 S. 30; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 5; Erb MK Rdn. 10; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 5; BGHSt 46 146, 152. 18 BTDrucks. 13/8587 S. 30; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 5; Erb MK Rdn. 10; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 5. 19 Fischer Rdn. 13; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 6. 20 Husemann NJW 2004 104, 106. 21 Vgl. Gribbohm LK11 § 267 Rdn. 220 ff. 61
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§ 152a StGB
Fälschung von Zahlungskarten und anderen Zahlungsinstrumenten
den Gewahrsam am Tatobjekt zu auch nur vorübergehendem Gebrauch durch Übergabe oder Dulden des Ansichnehmens eingeräumt erhält.
3. Subjektiver Tatbestand 9 Der subjektive Tatbestand verlangt Vorsatz. Der Täter muss die objektiven Tatbestandsmerkmale mit bedingtem Vorsatz erfüllen. Darüber hinaus muss er zur Täuschung im Rechtsverkehr handeln oder um eine solche Täuschung zu ermöglichen.22 Da die Tatgegenstände nicht wie Geld in Verkehr gebracht, sondern als Zahlungsmittel benutzt werden, aber beim Besitzer verbleiben, wird sich die Absicht des Täters in diesen Fällen auf die Berechtigung beziehen, sie als Zahlungsmittel zu gebrauchen oder diesen Gebrauch zu ermöglichen. Von der Person des Täuschenden oder des Getäuschten braucht der Täter dabei keine Kenntnis zu haben. Ausreichend ist es auch hier, wenn der Täter das Tatobjekt an einen Eingeweihten weitergeben will.23 Nach § 270 steht die fälschliche Beeinflussung einer Datenverarbeitungsanlage der Täuschung im Rechtsverkehr, also der Täuschung dritter Personen, gleich.
IV. Versuch und Vollendung. Teilnahme und Vorbereitungshandlungen 10 Der Versuch ist nach Absatz 2 strafbar. Dies gilt nicht nur für Taten, wie sie in Absatz 1 aufgeführt sind, sondern auch für Taten, die die Voraussetzungen des Absatzes 3 erfüllen.24 Der Umstand, dass die Versuchsstrafbarkeit im Anschluss an Absatz 3 nicht erneut ausgesprochen worden ist, vermag hieran nichts zu ändern. Die große Gefährlichkeit, die den in einer Bande tätigen Tatteilnehmern (§ 146 Rdn. 33) zukommt, kann im Versuchsfall nicht zur Anwendung des Grundtatbestandes (Abs. 1) führen. Der Fall ist nicht anders zu behandeln wie bei Einbruchsdiebstählen, bei denen der Einbruch lediglich versucht, der Diebstahl aber ausgeführt wird. Auch hier steht nach überwiegender Auffassung in Lehre und Rechtsprechung der Bestrafung wegen Versuchs nach § 243 nicht entgegen, dass der Versuch lediglich in § 242 Abs. 2 unter Strafe gestellt ist.25 Ein Versuch liegt vor, wenn der Täter zu einer der in Absatz 1 genannten Tathandlungen angesetzt hat (OLG Thüringen 1 Ws 486/08 v. 17.11.2008, wistra 2009 204); daran fehlt es noch beim bloßen Anbringen einer Spähvorrichtung an einem Geldautomaten zur Weiterleitung der darin erfassten EC-Karten-Daten (sog. „skimming“26) und sogar auch noch beim Auswerten und Systematisieren der Videoaufzeichnungen der PIN-Eingaben sowie dem Erfassen der ausgelesenen Kartendaten der Kunden auf einem Datenträger;27 dagegen kann die Weitergabe der ausgelesenen Daten ein unmittelbares Ansetzen sein, wenn nach dem Plan der Beteiligten die einzelnen Tatbeiträge eng ineinandergreifen und schnell aufeinander folgen.28 Dass eine erfolgreiche Beendigung der Fälschungstätigkeit gegeben ist, ist nicht erforderlich. Geht der Täter davon aus, dass seine Tätigkeit ausreicht, ist die Tat vollendet, auch wenn sie mängelbehaftet ist;29 dasselbe gilt, wenn die Täuschung des Rechtsverkehrs wegen der schlech22 Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7; Fischer Rdn. 15; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 8; Stein Rdn. 14; Maurach/ Schroeder/Maiwald BT 2 § 67 Rdn. 51; aA Erb MK Rdn. 12; Puppe/Schumann NK Rdn. 21 (bedingter Vorsatz); ebenso Schumann S. 142. 23 Fischer Rdn. 15; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 8. 24 aA Lackner/Kühl-Heger Rdn. 8. 25 BGHSt 33 370, 374 ff; Voraufl. § 243 Rdn. 36. 26 Vgl. zum Skimming BGH NStZ-RR 2017 116; BGHSt 56 170, 171 = NJW 2011, 2375 = JR 2011 456; NStZ-RR 2011 367 m. Anm. Kudlich, ZWH 2012 109; StV 2011 533; NStZ 2011 89; vgl. aber Rdn. 11; vgl. hierzu zusammenfassend Bachmann/Goeck JR 2011 425 ff; Eisele CR 201 131 ff; Feldmann wistra 2015 41 ff; Seidl ZiS 2012 415 ff. 27 BGH NJW 2014 1463 = JR 2014 299 m. Anm. Schiemann. 28 BGH NStZ 2011 517 = StV 2012 526 m. Anm. Saliger = ZWH 2011 31 m. Anm. Kudlich. 29 Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 9. Kudlich/Ruß
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VI. Konkurrenzen
StGB § 152a
ten Qualität der Fälschungshandlung misslingt.30 – Im Übrigen wird zu Fragen des Versuchs und der Tatbestandsvollendung auf die Erläuterungen zu § 146 Rdn. 17 f und 26 ff Bezug genommen. Nach Absatz 5 gilt § 149, soweit er sich auf die Fälschung von Wertzeichen bezieht, bei der 11 Fälschung von Zahlungskarten, Schecks und Wechseln entsprechend. Er stellt also bestimmte Modalitäten der Vorbereitung einer geplanten Fälschung von Zahlungskarten, Schecks oder Wechseln durch eine der in § 149 Abs. 1 beschriebenen Handlungen, nämlich Herstellen, sich oder einem anderen Verschaffen, Feilhalten, Verwahren oder einem anderen Überlassen (§ 149 Rdn. 3–5), unter Strafe. Nach BGH NStZ 2016, 338, 339 soll das Einlesen und Speichern von Kundendaten aus einem Geldautomaten auf einem Skimmer jedenfalls eine Strafbarkeit wegen Beihilfe zur Vorbereitung einer Fälschung von Zahlungskarten begründen können; da Beihilfe nach allgemeinen Grundsätzen auch bereits im Vorbereitungsstadium möglich ist, kommt bei entsprechend nachgewiesenen Sachverhalten auch eine Beihilfe zur Fälschung der Karten in Betracht. Eine solche hat BGH NStZ 2014, 81 auch beim Anbringen von manipulierten Türöffnern und Blenden zum Zwecke des Ausspähens fremder Kartendaten angenommen (dagegen die Möglichkeit einer Mittäterschaft für die weit im Vorfeld der eigentlichen Tat liegende Handlung abgelehnt31), während nach BGH ZWH 2012, 360 m. Anm. Oğlakcıoğlu sogar eine Mittäterschaft möglich sein soll, wenn gegen Entlohnung im Auftrag und nach Weisung nicht identifizierter Hintermänner an Geldautomaten Kartenlesegeräte sowie Miniaturkameras zur Erfassung von Kundendaten und Abfilmung von PIN-Nummern angebracht und mit den ausgespähten Daten durch unbekannte Täter Rohlinge gefertigt werden, mit deren Hilfe im Ausland tätige Bandenmitglieder größere Geldbeträge abheben. Die Verweisung in Abs. 5 bezieht sich auf den Strafrahmen von Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren und Geldstrafe und auf die Rücktrittsregelung nach § 149 Abs. 2 und Abs. 3 (§ 149 Rdn. 8–10). Die in Absatz 5 weiter normierte entsprechende Anwendung von § 150 ordnet die Einziehung der in § 149 bezeichneten Fälschungsmittel an.
V. Rechtsfolgen Die Regelstrafe für § 152a Abs. 1 ist Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe. Der gegen- 12 über der früheren Fassung des § 152a reduzierte Strafrahmen trägt der geringeren Strafwürdigkeit und Gefährlichkeit dieser Taten Rechnung (BTDrucks. 15/1720 S. 9). Für die in Absatz 3 enthaltenen gefährlicheren Taten der Gewerbsmäßigkeit (dazu BGH wistra 2005 177) und bandenmäßigen Begehung (BGH wistra 2004 265, 266) ist ein erhöhter Strafrahmen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren vorgesehen. Bezüglich der Merkmale der Gewerbsmäßigkeit und bandenmäßigen Tatbegehung wird auf die Erläuterungen zu § 146 Rdn. 32, 33 verwiesen. Die Strafschärfung des Absatzes 3 ist auch auf Versuchsfälle von Absatz 3 anwendbar.32
VI. Konkurrenzen Vorbereitungstaten nach § 152a Abs. 5 (i.Vbg.m. § 149) sind gegenüber solchen nach Abs. 1 subsi- 13 diär. Dies gilt nicht nur, wenn der Täter der Vorbereitungstat die geplante Fälschung in strafbarer Weise selbst begeht, sondern auch, wenn er sich an der Fälschung beteiligt. Hat der Täter sich gefälschte Zahlungskarten in der Absicht verschafft, sie zu gebrauchen, dann bildet der in der Beschaffung liegende Vorbereitungsakt mit der Ausführungshandlung des Gebrauchens 30 Fischer Rdn. 16. 31 Vgl. ergänzend zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme an §§ 152a, 152b StGB beim skimming auch BGH ZWH 2013 151 m. Anm. Venn. 32 Rdn. 10; zw. Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 12; aA Lackner/Kühl/Heger Rdn. 8. 63
Kudlich/Ruß
§ 152a StGB
Fälschung von Zahlungskarten und anderen Zahlungsinstrumenten
eine einzige Tat (NStZ-RR 2020, 276 [Ls] – auch beim Verschaffen mehrerer gefälschter Karten in einem Vorbereitungsakt), zu welcher der Computerbetrug mittels Verwendung der Karte in Tateinheit steht (BGH wistra 2010 406). Das Verhältnis zwischen den beiden Handlungsformen entspricht dem Verhältnis zwischen einem Sichverschaffen und Inverkehrbringen von Falschgeld im Falle des § 146.33 Tritt im Falle einer versuchten Fälschung der Täter in strafbefreiender Weise vom Versuch zurück, lebt die Strafbarkeit nach Absatz 5 wieder auf. Das Herstellen zahlreicher Zahlungskarten ist nur eine Tat, wenn es jeweils in einem durchgehenden Arbeitsgang im engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang erfolgt (NStZ-RR 2020, 276 [Ls]); werden die Dubletten in der Absicht hergestellt, sie später zu gebrauchen, so gilt auch insoweit, dass das Nachmachen und das Gebrauchen zu einer deliktischen Einheit verbunden werden (BGH NStZ-RR 2013 109 und BGH wistra 2013 310). Zwischen einer Tat nach Absatz 1 und einem durch Gebrauch der Karte begangenen Betrug besteht Tateinheit,34 nicht dagegen mit § 267 durch Vorlage der gefälschten Karte, da § 267 durch das speziellere Delikt des § 152a verdrängt wird.35 Im Verhältnis von § 152a Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 2 wird man unterscheiden müssen, um welche Tathandlungen es geht.36 Hier kann Tateinheit anzunehmen sein, doch ist auch Gesetzeskonkurrenz möglich. Bei Zahlungskarten mit Garantiefunktion tritt § 152a hinter § 152b (BGH NStZ 2005 329), bei Reiseschecks hinter § 151 Nr. 5 zurück.37
33 BGHSt 46 146, 153 f; BGH NStZRR 2001 240; NStZ 2005 329; wistra 2008 220; ebenso Fischer Rdn. 20; Sch/ Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 13; Erb MK Rdn. 17; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 9. 34 BGHSt 46 48 m. Anm. Krack NStZ 2001 139, 140. 35 BGH NStZ 2005 329; BTDrucks. 15/1720 S. 9; Fischer Rdn. 21; Erb MR Rdn. 16 für Fälle des § 267 Abs. 4; ebenso Lackner/Kühl/Heger Rdn. 9. 36 Fischer Rdn. 20. 37 Lackner/Kühl/Heger Rdn. 9; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 13. Kudlich/Ruß
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§ 152b Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion (1) Wer eine der in 152a Abs. 1 bezeichneten Handlungen in Bezug auf Zahlungskarten mit Garantiefunktion begeht, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft. (2) Handelt der Täter gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Straftaten nach Absatz 1 verbunden hat, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren. (3) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 2 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen. (4) Zahlungskarten mit Garantiefunktion im Sinne des Absatzes 1 sind Kreditkarten und sonstige Karten, 1. die es ermöglichen, den Aussteller im Zahlungsverkehr zu einer garantierten Zahlung zu veranlassen, und 2. durch Ausgestaltung oder Codierung besonders gegen Nachahmung gesichert sind. (5) § 149, soweit er sich auf die Fälschung von Geld bezieht, und § 150 gelten entsprechend.
Schrifttum Siehe die Angaben zu § 152a.
Übersicht I.
Allgemeines
1
II. 1. 2.
2 Tatobjekte Zahlungskarten mit Garantiefunktion 3 § 152b a. F.: Euroscheckvordrucke
III. 1.
4 Tathandlungen Objektive Tathandlungen
4
2.
Subjektiver Tatbestand
IV.
Versuch Vorbereitungshandlungen 6 (Abs. 5)
V.
Rechtsfolgen
VI.
Konkurrenzen
3
5
7 9
I. Allgemeines Zur Entstehung und dem Zweck der Regelung wird zunächst auf die Erläuterungen zu § 152a 1 Rdn. 1 und 2 verwiesen. Durch das einundsechzigste Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches vom 10.3.2021 (BGBl. I 333) wurden „Euroscheckkarten“ aus den geschützten Tatobjekten gestrichen, was konsequent ist, da den Euroschecks seit dem 1.1.2002 keine Garantiefunktion mehr zukommtFür die Zahlungskarten gilt wie bei § 152a (dort Rdn. 3), dass trotz des im Tatbestands jeweils verwendeten Plurals auch eine Tat in Bezug auf ein Tatobjekt genügt (wobei dann mit Blick auf die hohe Strafdrohung ein minderschwerer Fall naheliegt). Die Vorschrift entspricht inhaltlich in wichtigen Teilen der Vorschrift des § 152a in seiner früheren (vor Inkrafttreten des 35. StrÄndG) Fassung,1 einschließlich des (hohen) Strafrahmens. Nach BGHSt 46 146, 151 braucht der Täter nicht mehrere Fälschungshandlungen begangen zu haben, um den Tatbestand des Absatzes 1 zu erfüllen; trotz des Wortlauts in § 152a Abs. 1 reicht eine Fälschungshand1 Erb MK Rdn. 1; Fischer Rdn. 1; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 1. 65 https://doi.org/10.1515/9783110490107-010
Kudlich/Ruß
§ 152b StGB
Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion
lung aus.2 – Für Fälschungen von Zahlungskarten mit Garantiefunktion sowie deren Vorbereitung gilt das Weltrechtsprinzip (§ 6 Nr. 7) und (beschränkt auf die Absätze 1–3) die Anzeigepflicht nach § 138 Abs. 1 Nr. 4.
II. Tatobjekte 2 Tatobjekte können nach Absatz 1 Zahlungskarten mit Garantiefunktion sein. Sie müssen den Voraussetzungen des Absatzes 4 genügen.
1. Zahlungskarten mit Garantiefunktion Danach sind Zahlungskarten mit Garantiefunktion im Sinne des Absatzes 1 Kreditkarten und sonstige Karten, die es ermöglichen, den Aussteller im Zahlungsverkehr zu einer garantierten Zahlung zu veranlassen (Abs. 4 Nr. 1), und durch Ausgestaltung oder Codierung besonders gegen Nachahmung gesichert sind (Abs. 4 Nr. 2). Es muss sich also um Karten im „DreiPartnerSystem“ handeln,3 wozu Kreditkarten gehören und auch Maestro-Karten,4 die an die Stelle der (von der seit März 2021 geltenden Fassung nicht mehr umfassten) Euroscheckkarten getreten sind.5 Unter den Begriff der sonstigen Karten mit Garantiefunktion fallen ferner die „elektronischen Geldbörsen“,6 ebenso Prepaid-Kreditkarten (bei denen die Zahlungsgarantie im Valutaverhältnis in gleicher Weise besteht, vgl. BGH NStZ-RR 2019 11, 12 f) sowie Kundenkarten von Unternehmensketten, die gegenüber ihren Mitgliedern im DreiPersonenVerhältnis zur Übernahme einer Zahlung verpflichtet sind,7 etwa bei von den Mitgliedern eines Tankstellenverbundes ausgegebenen Tankkarten (BGH NStZ 2017 155). Denn für die Fälle des § 152b ist nicht erforderlich, dass die Karten von einem Kreditinstitut oder Finanzdienstleistungsinstitut gem. § 1 Abs. 1 und Abs. 1a KWG herausgegeben worden sind. Die Rechtsprechung geht ferner davon aus, dass auch Karten erfasst sind, die nur den äußeren Anschein einer Karte mit Garantiefunktion erwecken, jedoch aus technischen Gründen nur für Transaktionen verwendet werden können, bei denen keine Garantiefunktion des vermeintlichen Kartenausstellers ausgelöst wird (vgl. BGH NStZ-RR 2019 11, 13), und zwar sogar beim (bewussten) Einsatz in Situationen, in denen diese Garantie schon technisch nicht in Anspruch genommen werden kann (vgl. BGH NStZ 2014 265 zum Einkauf während eines Fluges ohne Online-Verbindung);8 dies ist zumindest nicht zweifelsfrei, da der hinter § 152b (und hinter der Differenzierung im Strafrahmen zu § 152a) stehende spezielle Schutzzweck letztlich nicht einschlägig ist9 (vgl. ergänzend auch Rdn. 6). Unstreitig nicht vom Tatbestand erfasst sind Bankkarten, die es nur ermöglichen, bei der ausstellenden Bank Geld abzuheben, sowie Telefonkarten und solche Kundenkarten, die nur den betreffenden Aussteller zu einer Leistung im ZweiPersonenVerhältnis veranlassen sollen.10
2 3 4 5 6
§ 152a Fn. 6; Puppe/Schumann NK Rdn. 5; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2. BTDrucks. 15/1720 S. 9; Erb MK Rdn. 6; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 2; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2. BGHR StGB Abs 4 Karte 1 = BGH NStZ 2012 530. Zu letzteren abweichend Heger wistra 2010 281 ff. Fischer Rdn. 5. Erb MK Rdn. 6; Puppe/Schumann NK Rdn. 11; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 2; Chiampi S. 58 ff; Rengier BT II 39/28; dazu ferner Schumann S. 61 ff. 7 Fischer Rdn. 6; Erb MK Rdn. 6; Stein SK Rdn. 4. 8 Wohl zustimmend Matt/Renzikowski/Maier Rdn. 6. 9 Krit. Zur Rechtsprechung daher auch Erb MK Rdn. 9; ihm folgend Trüg NStZ 2014 265 f; Fischer Rdn. 6a; vgl. ferner SSW/Wittig Rdn. 5 sowie zum Ganzen auch Kudlich ZWH 2014 268. 10 Fischer Rdn. 6 unter Hinweis auf BGHSt 38 281, 283; ebenso Erb MK Rdn. 6; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 2. Kudlich/Ruß
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IV. Versuch Vorbereitungshandlungen (Abs. 5)
StGB § 152b
2. § 152b a. F.: Euroscheckvordrucke Des Weiteren waren in Absatz 1 als Tatobjekt bis März 2021 Euroscheckvordrucke genannt. Da 3 Euroschecks seit 1.1.2002 keine Einlösungsgarantie mehr zukommt,11 war die Vorschrift, soweit sie sich auf Euroscheckvordrucke bezieht, ohnehin nur noch auf vor dem 1.1.2002 begangene Taten anwendbar.12 Da sich der Ablauf der Zeit seit 1.1.2002 freilich der absoluten Verjährung nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 i. V. m. § 78c Abs. 3 annähert, ist die Streichung des Merkmals (die nach § 2 Abs. 3 auch zur Straflosigkeit von Altfällen führt) bald bedeutungslos, jedenfalls aber auch jetzt schon praktisch unschädlich.
III. Tathandlungen 1. Objektive Tathandlungen Die objektiven Tathandlungen entsprechen denen von § 152a, sodass auf die Erläuterungen 4 zu § 152a Rdn. 7 f verwiesen werden kann. Zu bemerken ist lediglich, dass das Merkmal des Gebrauchens bei einer Tat nach § 152b ein Verwenden des Falsifikats in einem Dreipersonenverhältnis voraussetzt, bei dem der Gläubiger gegen den von ihm verschiedenen Aussteller der Karte einen Zahlungsanspruch garantiert erhält. Ist dies nicht der Fall, wird also die Karte in einem Fall verwandt, ohne dass es der Zahlungsgarantie bedarf, ist nur § 152a anwendbar.13
2. Subjektiver Tatbestand Der subjektive Tatbestand entspricht ebenfalls der Regelung des § 152a (§ 152a Rdn. 9); da- 5 nach ist Vorsatz erforderlich. Der Täter muss die objektiven Tatbestandsmerkmale mindestens mit bedingtem Vorsatz erfüllen. Dazu gehört auch, dass die Garantiewirkung vom Vorsatz umfasst wird;14 bei einem Irrtum hierüber kommt § 152a zur Anwendung.15 Außerdem muss der Täter zur Täuschung im Rechtsverkehr handeln oder um eine solche Täuschung zu ermöglichen.16
IV. Versuch Vorbereitungshandlungen (Abs. 5) § 152b ist ein Verbrechen, der Versuch eines Verbrechens stets strafbar (§ 23 Abs. 1). Entspre- 6 chend der Regelung in § 152a Abs. 5 sind auch durch die Verweisung auf § 149 (soweit er sich auf die Fälschung von Geld bezieht) Vorbereitungshandlungen unter Strafe gestellt. Für sie gilt dieselbe Strafdrohung wie die Vorbereitung einer Geldfälschung. Auch die Vorschrift über die tätige Reue (§ 149 Abs. 2 und 3) sowie die Einziehungsvorschrift des § 150 Abs. 2 gelten entsprechend. Auf die Erläuterungen unter § 152a Rdn. 10 f kann daher verwiesen werden.
11 Dazu Baier ZRP 2001 454; Husemann NJW 2004 104, 108. 12 Puppe/Schumann NK Rdn. 3; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 3; Stein SK Rdn. 2; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Matt/Renzikowski/Maier Rdn. 9; Fischer Rdn. 7; Erb MK Rdn. 10; Baier ZRP 2001 454, 455; Husemann NJW 2004 104, 108; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 67 Rdn. 45. 13 Erb MK Rdn. 12; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 4. 14 Erb MK Rdn. 13. 15 Fischer Rdn. 9; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 5. 16 Lackner/Kühl/Heger Rdn. 5; § 152a Rdn. 9. 67
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§ 152b StGB
Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion
V. Rechtsfolgen 7 Die Regelstrafe für § 152b Abs. 1 ist Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren. Zwar ist die Obergrenze gegenüber § 146 Abs. 1 deutlich geringer, gleichwohl ist der Rahmen als hoch zu bezeichnen.17 Rudolphi (SK Rdn. 2 zu § 152a a. F.) weist auch mit Recht darauf hin, dass die durch die Tathandlungen des Absatzes 1 vorbereiteten Delikte der Urkundenfälschung und – in vielen Fällen – des Betrugs mit wesentlich geringeren Strafrahmen (von nur fünf Jahren oder Geldstrafe) in einem nur schwer verständlichen Verhältnis zu dem hohen Strafrahmen des § 152b Abs. 1 stehen, der auf das Bestreben zurückzuführen ist, die Vorschrift dem Geldfälschungstatbestand des § 146 anzugleichen und der Gefährlichkeit der erfassten Tathandlungen für das geschützte Rechtsgut wirksam zu begegnen.18 Die hohe Strafdrohung wird zwar für die weniger gefährlich erscheinenden Fälle dadurch entschärft, dass Absatz 3 für minder schwere Fälle des Absatzes 1 Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren vorsieht. Für das Vorliegen eines minder schweren Falles kann neben dem Umstand des entstandenen Schadens der zeitliche, räumliche und situative Zusammenhang der einzelnen Taten von Bedeutung sein (BGH NJW 2000 3580). Außerdem kann die Anzahl der vorhandenen Fälschungen und die Qualität der Fälschungen und damit der von ihnen ausgehenden Gefahr für die Beurteilung von Bedeutung sein.19 In Absatz 2 ist ein Qualifikationstatbestand normiert, der einen Strafrahmen nicht unter 8 zwei Jahren (bis zu 15 Jahren) vorsieht für Taten, bei denen der Täter gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung von Straftaten nach Absatz 1 verbunden hat (dazu BGH wistra 2005 177; wistra 2004 265, 266). Das gleichzeitige Sichverschaffen mehrerer gefälschter Zahlungskarten in Gebrauchsabsicht und deren anschließender Gebrauch bilden eine Tat der Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion, sodass mangels „Wiederholungselements“ eine gewerbsmäßige Begehung ausscheidet (wenn nicht der Täter wenigstens die Absicht hatte, das betroffene Delikt mehrfach zu begehen).20 Im Übrigen wird bezüglich der Merkmale der Gewerbsmäßigkeit und bandenmäßigen Tatbegehung auf die Erläuterungen zu § 146 Rdn. 32, 33 verwiesen. – In Fällen des § 152b ist nach § 150 Abs. 1 (ebenso wie bei Fällen nach § 152a) der erweiterte Verfall nach § 73d anzuordnen, wenn der Täter gewerbsmäßig oder als Bandenmitglied gehandelt hat. Ferner sind nach § 152b Abs. 5 die Vorschrift des § 149, soweit sie sich auf die Fälschung von Geld bezieht, und die obligatorische Einziehungsvorschrift des § 150 entsprechend anwendbar.
VI. Konkurrenzen 9 Auf die Ausführungen zu § 152a Rdn. 13 wird Bezug genommen. Erwirbt ein Täter eine Zahlungskarte mit Garantiefunktion und gebraucht er sie absichtsgemäß im Anschluss daran, so bildet der in der Beschaffung liegende Vorbereitungsakt mit der Ausführungshandlung des Gebrauchens eine einzige Tat (BGH NStZRR 2001 240). § 152a wird von § 152b als dem spezielleren Delikt verdrängt.21 § 152b ist auch in Fällen des Gebrauchens lex specialis gegenüber § 267.22 Zwischen § 152b und § 263 ist dagegen Tateinheit anzunehmen.23 17 18 19 20 21 22
Zutr. Fischer Rdn. 10. BTDrucks. 13/8587 S. 30; Weber JZ 1987 215, 218; Otto wistra 1986 150, 153. Fischer Rdn. 12. Vgl. BGH NStZ 2005, 329; NStZ 2010, 148; BGH StV 2014, 543. BGH NStZ 2005 329; Puppe/Schumann NK Rdn. 25. BGH NStZ 2005 329; Fischer Rdn. 14; Erb MK Rdn. 16; Puppe/Schumann NK Rdn. 26; aA Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 9; Krack NStZ 2001 140; Weber JZ 1987 215, 218. 23 BGH NStZ 2005 329; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7; Puppe/Schumann NK Rdn. 27; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Rdn. 9; Krack NStZ 2001 139, 140; Weber JZ 1987 215, 218. Kudlich/Ruß
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§ 152c Vorbereitung des Diebstahls und der Unterschlagung von Zahlungskarten, Schecks, Wechseln und anderen körperlichen unbaren Zahlungsinstrumenten (1) Wer eine Straftat nach § 242 oder § 246, die auf die Erlangung inländischer oder ausländischer Zahlungskarten, Schecks, Wechsel oder anderer körperlicher unbarer Zahlungsinstrumente gerichtet ist, vorbereitet, indem er 1. Computerprogramme oder Vorrichtungen, deren Zweck die Begehung einer solchen Tat ist, herstellt, sich oder einem anderen verschafft oder einem anderen überlässt oder 2. Passwörter oder sonstige Sicherungscodes, die zur Begehung einer solchen Tat geeignet sind, herstellt, sich oder einem anderen verschafft oder einem anderen überlässt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) § 149 Absatz 2 und 3 gilt entsprechend. § 152a Absatz 4 ist anwendbar.
Schrifttum Siehe die Angaben zu § 152a.
Übersicht I. 1. 2. 3.
Allgemeines 1 1 Historie Geschütztes Rechtsgut und Deliktsnatur 3 Deliktsnatur und Struktur
II. 1.
2.
4 Tatobjekte Nr. 1: Computerprogramme und Vorrichtungen, deren Zweck die Begehung einer solchen Tat 4 ist 6 Nr. 2: Passwörter oder Sicherungscodes
III. 1. 2.
Tathandlungen 8 Herstellen 9 Verschaffen
7
2
10
3.
Überlassen
IV. 1. 2.
11 Tatsituation 11 Allgemeines und Einordnung Vorbereitung von Diebstahl oder Unterschla12 gung bestimmter Tatobjekte
V.
Subjektiver Tatbestand
VI. 1. 2.
17 Weitere Regelungen Keine Versuchsstrafbarkeit 18 Tätige Reue
16
VII. Rechtsfolgen und Konkurrenz
17
19
I. Allgemeines 1. Historie Die Vorschrift wurde durch das einundsechzigste Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches 1 vom 10.3.2021 (BGBl. I 333) ohne unmittelbare Vorläufervorschrift neu eingeführt und dient der der Richtlinie (EU) 2019/713 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 zur Bekämpfung von Betrug und Fälschung im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2001/413/JI des Rates. Art. 4a und Art. 7 der Richtlinie ordnen an, dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen treffen, um sicherzustellen, dass zum einen der Diebstahl oder eine andere widerrechtliche Aneignung eines körperlichen unbaren Zahlungsinstruments und zum anderen die Herstellung, Beschaffung oder die Bereitstellung von Vorrichtungen, Instrumenten oder Computerdaten unter Strafe gestellt sind, die „eigens dafür konzipiert oder angepasst worden sind“, einen solchen Diebstahl bzw. eine ande69 https://doi.org/10.1515/9783110490107-011
Kudlich/Ruß
§ 152c StGB
Diebstahl und Unterschlagung unbarer Zahlungsinstrumente
re widerrechtliche Aneignung zu begehen. Diebstahl und andere widerrechtliche Aneignung (also insb. die Unterschlagung) körperlicher Gegenstände stehen in §§ 242, 246 seit jeher unter Strafe. Dagegen sind die Beschaffungshandlungen mit Blick auf Diebstahlswerkzeuge (jedenfalls jenseits einer etwaigen Beihilfestrafbarkeit, wenn es zur Tat kommt) als solche nicht unter Strafe gestellt,1 sodass die bisherige Rechtslage teilweise hinter den Vorgaben der Richtlinie zurückblieb.
2. Geschütztes Rechtsgut und Deliktsnatur 2 Da der Tatbestand Handlungen zur Vorbereitung der §§ 242, 246 unter Strafe stellt, liegt auf den ersten Blick nahe, dass er dem Schutz des Eigentums dient und daher systematisch fehlplatziert ist.2 Allerdings gefährden auch Diebstahl und Unterschlagung von unbaren Zahlungsinstrumenten die Sicherheit und die Funktionsfähigkeit des bargeldlosen Zahlungsverkehrs, und die aus der Nutzung der gestohlenen Zahlungsinstrumente entstehenden Schäden oder Unannehmlichkeiten betreffen auch den Eigentümer dieser Instrumente typischerweise stärker als der physische Verlust etwa der Karte. Mit Blick auf diese Schutzrichtung kommt der Vorschrift eine „doppelt vorgelagerte“ Schutzfunktion zu (Vorbereitung eines Diebstahls,3 der wiederum den Missbrauch fremder Zahlungsmittel vorbereitet), die ihre Verortung im achten Abschnitt nicht nur thematisch, sondern auch systematisch rechtfertigt.
3. Deliktsnatur und Struktur 3 Sowohl mit Blick auf den, gleichsam eine Zwischenstufe darstellenden, Eigentumsschutz als auch erst Recht mit Blick auf die Sicherheit des Zahlungsverkehrs handelt es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Strukturell stellt die Vorschrift bestimmte in den Nummern 1 und 2 beschriebene Verhaltensformen unter Strafe, wenn diese einen Diebstahl oder eine Unterschlagung vorbereiten. Diese „Vorbereitung“ ist also keine vom Täter zu erbringende Tathandlung, aber auch nicht nur ein subjektives Merkmal, sondern beschreibt letztlich einen bestimmten situativen Kontext, in welchem die Tat begangen wird (näher § 152c Rdn. 11).
II. Tatobjekte 1. Nr. 1: Computerprogramme und Vorrichtungen, deren Zweck die Begehung einer solchen Tat ist 4 § 152c Abs. 1 Nr. 1 betrifft das Herstellen, Verschaffen etc. (näher § 152c Rdn. 7 ff) von Computerprogrammen und Vorrichtungen, deren Zweck die Begehung einer solchen Tat, d. h. hier also: der Begehung eines Diebstahls oder einer Unterschlagung eines körperlichen unbaren Zahlungsinstruments (vgl. § 152c Rdn. 12 ff) ist. Für das Merkmal der Computerprogramme soll nach dem Willen des Gesetzgebers auf Rechtsprechung und Literatur zu §§ 202c Abs. 1 und 263a Abs. 3 zurückgegriffen werden (vgl. BTDrucks. 19/25631 22), wobei im Einzelfall fraglich ist, inwiefern die etwa zu § 202c typischerweise genannten Passwort-Generatoren, Keylogger) oder Trojanischen
1 § 245a StGB a. F., der den Besitz, den Gewahrsam und das Verwahrenlassen von Diebeswerkzeug unter Strafe stellte, wurde mit dem Ersten Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 25. Juni 1969 (BGBl. I S. 645) zum 1. September 1969 aufgehoben (zur Begründung siehe BTDrucks. IV/650 400). 2 Vgl. auch BeckOK/Weidemann Rdn. 3 („aus systematischer Sicht irreführend“). 3 Zum Charakter als strafbare Vorbereitungshandlung zum Diebstahl auch BeckOK/Weidemann Rdn. 4. Kudlich/Ruß
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III. Tathandlungen
StGB § 152c
Pferde4 geeignet sind, gerade den Diebstahl von unbaren Zahlungsinstrumenten vorzubereiten. Wichtig ist aber – und hier besteht eine deutliche Parallele zu den genannten Vorschriften –, dass die Programme gerade für die Begehung von Straftaten, die auf die Erlangung einschlägiger Zahlungsinstrumente abzielen, konzipiert oder eigens dafür angepasst worden sind (vgl. BTDrucks. 19/25631 23). Andere Vorrichtungen, die ebenfalls gerade der Erlangung der unbaren Zahlungsinstrumente dienen müssen, sind etwa solche, die an Geldautomaten angebracht werden, um auf diese Weise die vom Kunden eingeführte Karte zu stehlen.5 Spezifische „Unterschlagungswerkzeuge“ sind nur schwer denkbar, wegen der zwingenden Vorgaben der Richtlinie aber ebenfalls als Tatobjektive der Nummer 1 benannt. Nicht ausreichend ist die Vorbereitung einer Straftat, die ganz unspezifisch (zwar vielleicht 5 auch, aber eben) nicht vorrangig darauf abzielt, die tatbestandlichen Zahlungsinstrumente zu erlangen. So sind Vorrichtungen für Einbruchdiebstahl, bei dem „alles Stehlenswerte“ einschließlich etwaiger Zahlungsinstrumente entwendet werden soll, ohne konkrete Vorstellung von der Beute nicht tatbestandsmäßig (vgl. BTDrucks. 19/25631 23).
2. Nr. 2: Passwörter oder Sicherungscodes § 152c Abs. 1 Nr. 1 betrifft das Herstellen, Verschaffen etc. (näher § 152c Rdn. 7 ff) von Passwör- 6 tern oder Sicherungscodes, die zur Begehung einer solchen Tat geeignet sind. Passwörter sind vom Benutzer gewählte oder von einem Administrator zugewiesene geheime Kennworte, die sich typischerweise aus Buchstaben und/oder Ziffern und eventuell auch weiteren Zeichen zusammensetzen. (Sonstige) Sicherungscodes bilden den Oberbegriff, der auch Passworte umfasst, und können daneben auch Gerätecodes, PIN-Abfragen, aber auch sonstige Sicherungssysteme wie Code-Karten sein.6 Bei diesen Tatobjektiven ist – anders als bei Nummer 1 – gerade nicht erforderlich, dass sie für bestimmte Zwecke hergestellt oder konzipiert worden sind, sondern es genügt die bloße „Eignung“, die allerdings auch wieder gerade für die Erlangung von einschlägigen Zahlungsinstrumenten vorliegen muss – Passwörter, mit denen etwa Alarmanlagen deaktiviert werden können, erfüllen diese Voraussetzung auch dann nicht, wenn sie im Einzelfall für den Diebstahl von körperlichen unbaren Zahlungsinstrumenten eingesetzt werden können (vgl. BTDrucks. 19/25631 23).
III. Tathandlungen Tathandlungen des Abs. 1 sind – für beide Nummern – übereinstimmend das Herstellen, das 7 Verschaffen für sich oder einen anderen und das Überlassen, welche alle aus anderen Vorschriften bekannt sind und (ggf. an die unkörperlichen Tatobjekte angepasst) der dort entwickelten Auslegung folgen:
1. Herstellen Herstellen ist die Anfertigung des Tatobjekts,7 sowohl in originärer Form als auch – bei den 8 hier tatbestandsmäßigen Programmen und anderen Daten – etwa durch Kopieren auf einen Datenspeicher.8 4 5 6 7 8 71
Vgl. etwa Graf MK, § 202c Rdn. 12. Vgl. BeckOK/Weidemann Rdn. 5. Graf MK, § 202c Rdn. 9. Vgl. Sch/Schröder/Eisele, § 184 Rn. 61. Vgl. Hörnle MK, § 184 Rn. 71. Kudlich/Ruß
§ 152c StGB
Diebstahl und Unterschlagung unbarer Zahlungsinstrumente
2. Verschaffen 9 Ein Verschaffen setzt – schon aus der Systematik des 8. Abschnitts gleichbedeutend wie bei Geldfälschungsdelikten – voraus, dass der Empfänger – also der Täter selbst beim Sichverschaffen bzw. ein Dritter, wenn diesem etwas verschafft wird – das Tatobjekt in seinen Besitz oder in seine Verfügungsgewalt bringt9 und dabei mit dem Willen zu eigenständiger Verfügung annimmt (vgl. § 146 Rdn. 20).
3. Überlassen 10 Ein Überlassen liegt vor, wenn der Täter einem Dritten – uns sei es nur vorübergehend – unmittelbaren Gewahrsam bzw. unmittelbare Verfügungsgewalt am Tatobjekt einräumt.10 Soweit es sich um digitale und leicht vervielfältigbare Tatobjekte handelt (Passwörter, Programme), ist nach dem Schutzzweck der Norm ein Überlassen auch zu bejahen, wenn (etwa auch durch Übersenden) eine Kopie bzw. ein weiteres digitales Exemplar beim Empfänger ankommt, ohne dass der Täter seine Verfügungsbefugnis über das Original verloren haben muss.
IV. Tatsituation 1. Allgemeines und Einordnung 11 Die Tathandlungen des Abs. 1 müssen in einem situativen Kontext dergestalt erfolgen, dass durch sie eine Straftat nach § 242 oder § 246 an Zahlungskarten, Schecks, Wechseln oder an anderen körperlichen Zahlungsinstrumenten vorbereitet wird. Trotz der noch weiter gefassten Formulierung im Normtext („auf die Erlangung … gerichtet ist“), wird man es nicht genügen lassen, dass ein Diebstahl (etwa: eines Safe-Schlüssels) vorbereitet werden soll, durch den dann seinerseits in einer eigenständigen Tat das Zahlungsinstrument (etwa: im Safe hinterlegte Zahlungskarte) erlangt werden soll. Vielmehr muss der durch das Programm, Passwort etc. zu ermöglichende Diebstahl unmittelbar auf das Zahlungsinstrument zum Gegenstand haben. Die weite gesetzgeberische Formulierung ist nur dem Umstand geschuldet, dass eine Vollendung nicht voraussetzt, dass es tatsächlich auch zu einem Diebstahl kommt; die Planung setzt aber einen unmittelbaren Bezug zwischen der Tathandlung und dem Diebstahl des Zahlungsinstruments voraus.
2. Vorbereitung von Diebstahl oder Unterschlagung bestimmter Tatobjekte 12 Vorbereitet wird die Tat, wenn diese (durch den Täter der Vorbereitungshandlung oder einen Dritten) bei Begehung der Tathandlung des § 152c bereits geplant ist und durch die hergestellten, verschafften etc. Programme, Kennwörter, Vorrichtungen etc. ermöglicht bzw. erleichtert wird. Vorbereitete Tat muss entweder ein Diebstahl (also eine Wegnahme in Absicht der rechtswidrigen Zueignung) oder eine Unterschlagung (also eine insbesondere auch ohne Gewahrsamsbruch erfolgende Manifestation eines Zueignungswillens) an Zahlungskarten, Schecks, Wechseln oder an anderen körperlichen Zahlungsinstrumenten sein, wobei auch hier jeweils bereits ausreichend ist, wenn der Diebstahl oder die Unterschlagung eines Stücks vorbereitet wird (vgl. auch § 152a Rdn. 3).
9 Zu § 146 BGHSt 35 21, 22 m. Anm. Jakobs JR 1988 121; BGH NStZ-RR 1997 198; OLG Düsseldorf JR 1986 512. 10 Vgl. BeckOK/Ziegler, § 184 Rdn. 5. Kudlich/Ruß
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VII. Rechtsfolgen und Konkurrenz
StGB § 152c
Zahlungskarten (§ 152a Rdn. 4) sind die von einem inländischen oder ausländischen Fi- 13 nanzinstitut herausgegebenem Karten, die durch Ausgestaltung oder Codierung besonders gegen Nachahmung gesichert sind (vgl. § 152c Abs. 2 S. 1 i. V. m. § 152a Abs. 4). Beispiele sind Bankkarten, nicht dagegen reine Leistungskarten wie sog. Kundenkarten. Auch § 152b unterfallende Karten mit Garantiefunktion werden erfasst. Schecks und Wechsel (§ 152a Rdn. 5) müssen gemäß den Vorschriften des Scheckgesetzes 14 (Art. 1, 2 ScheckG) bzw. Wechselgesetzes (Art. 1, 2 oder Art. 75, 76 WG) ausgefüllt sein. Auch ausländische Papiere können unter den Schutz des Tatbestandes fallen, nicht dagegen bloße Vordrucke von Schecks oder Wechseln. Andere körperliche unbare Zahlungsmittel (§ 152a Rdn. 5a) können solche sein, die keine 15 Kartenform haben oder die nicht von einem Kredit- oder Finanzdienstleistungsinstitut herausgegeben worden sind, soweit ihr Herausgeber einen darin ausgewiesenen Inhaber dazu legitimiert, bargeldlose Zahlungen vorzunehmen oder Bargeld abzuheben.
V. Subjektiver Tatbestand Der Täter muss vorsätzlich handeln; bedingter Vorsatz genügt. Der Vorsatz muss sich einerseits 16 auf die Merkmale des jeweiligen Gegenstandes erstrecken und andererseits den Umstand erfassen, dass eine eigene oder eine fremde Tat nach § 242 oder § 246 vorbereitet (also ermöglicht oder gefördert) wird, deren Tatobjekte in- oder ausländische Zahlungskarten, Schecks, Wechsel oder andere körperliche Zahlungsinstrumente sein sollen.
VI. Weitere Regelungen 1. Keine Versuchsstrafbarkeit Für den Versuch ist keine Strafbarkeit angeordnet. Da es sich um ein Vergehen handelt, besteht 17 mithin (völlig zutreffend) bei dieser „doppelte Vorbereitungshandlung“ nicht noch zusätzlich eine Versuchsstrafbarkeit.
2. Tätige Reue Die in § 152c Abs. 2 S. 1 angeordnete entsprechende Anwendbarkeit von § 149 Abs. 2 und 3 StGB 18 folgt konsequent den gleichlautenden Regelungen etwa in §§ 152a Abs. 5, 202c Abs. 2 oder 263a Abs. 4. Die hierin ermöglichte tätige Reue ist vor dem Hintergrund der (doppelten) Vorverlegung der Strafbarkeit durch eine derartige „Vorbereitungs- und Werkzeugnorm“ (vgl. BT-Drs. 19/ 25631 23) gewiss geboten. Zu diesbezüglichen den Anforderungen gelten daher die Ausführungen unter § 149 Rdn. 9 und 10 entsprechend.
VII. Rechtsfolgen und Konkurrenz Die Strafe beträgt Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren, die Verjährungsfrist beträgt 19 entsprechend nach § 78 Abs. 3 Nr. 4 fünf Jahre. Dies ist das Mindestmaß nach der umgesetzten Richtlinie und liegt etwa unterhalb der Strafdrohung für § 265 StGB als Vorbereitungshandlung für einen Versicherungsbetrug. Mit Blick darauf, dass die Strafdrohung bei der einfachen Unterschlagung, um deren Vorbereitung es (u. a.) geht, auch nur bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe reicht, erscheint dies aber stimmig.
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Diebstahl und Unterschlagung unbarer Zahlungsinstrumente
Nach allgemeinen Grundsätzen tritt die Vorbereitungsvorschrift des § 152c Abs. 1 zurück, sobald mit den vorbereiteten Delikten (§§ 242, 246) begonnen worden ist, d. h. ein Eintritt ins strafbare Versuchsstadium erfolgt ist.11 Bei einem Rücktritt vom Diebstahls- bzw. Unterschlagungsversuch lebt theoretisch die subsidiäre Strafbarkeit zwar wieder auf – allerdings werden dann typischerweise auch die Voraussetzungen des § 152c Abs. 2 i. V. m. § 149 Abs. 2 bzw. 3 erfüllt sein, wodurch auch insoweit die Strafbarkeit entfällt.12
11 Vgl. BeckOK/Weidemann Rdn. 13. 12 Vgl. BeckOK/Weidemann Rdn. 14. Kudlich/Ruß
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NEUNTER ABSCHNITT Falsche uneidliche Aussage und Meineid Vorbemerkungen zu den §§ 153 ff Schrifttum Alsberg Zur juristischen Natur der Eidesdelikte, GS Bd. 66 54; Arzt Falschaussage mit bedingtem Vorsatz, Festschrift Jescheck (1985) 391; Badura Erkenntniskritik und Positivismus in der Auslegung des Meineidstatbestandes, GA 1957 397; Bahlmann Der Eideszwang als verfassungsrechtliches Problem, Festschrift Arndt (1969) 37; Bartholme Beihilfe zur Falschaussage durch Unterlassen, JA 1998 204 und JA 1993 220; Beling Die Nichtbeeidigung unglaubwürdiger Zeugenaussagen und die Bestrafung uneidlicher falscher Aussagen, DJZ 1901 326; Bergmann Die Milderung der Strafe nach § 49 Abs. 2 StGB (1988); Bockelmann Zum Problem der Meineidsbeihilfe durch Unterlassen, NJW 1954 697; Boehringer Die Eidesreform in Strafprozess und Strafrecht (1931); Bruns Die Grenzen der eidlichen Wahrheitspflicht des Zeugen, insbesondere bei Tonbandaufnahmen über unwichtige Aussagen im Strafprozeß, GA 1960 161; Busch Zum Verhältnis von uneidlicher Falschaussage und Meineid, GA 1955 257; Clemens Der fahrlässige Falscheid im Rahmen der subjektiven Eidestheorie (1938); Dahs Der Eid – noch ein zeitgemäßes Instrument zur Wahrheitsfindung im Strafprozeß? Festschrift Rebmann (1989) 161; Dedes Die Falschheit der Aussage, JR 1977 441; ders. Die Gefährdung in den Delikten gegen die Rechtspflege, Gedächtnisschrift Schröder (1978) 331; ders. Grenzen der Wahrheitspflicht des Zeugen, JR 1983 99; Deichmann Grenzfälle der Sonderstraftat (1994); Delventhal Die strafprozessualen Vereidigungsverbote unter besonderer Berücksichtigung des offensichtlich falsch aussagenden Zeugen (1989); Ebert Gefahr für die Rechtspflege, DStrR 1936 125; Engisch Die Verletzung der Erkundigungspflicht, ZStW 52 (1932) 661; Fachinger Die Eidesverletzungen im LG-Bezirk Bonn 1905 bis 1939, Untersuchungen zur Kriminalität in Deutschland, Heft 12, 1941; Freund Verurteilung und Freispruch bei Verletzung der Schweigepflicht eines Zeugen, GA 1993 49; Gallas Zum Begriff der Falschheit der eidlichen und uneidlichen Aussage, GA 1957 315; ders. Verleitung zum Falscheid, Festschrift Engisch (1969) 600; Geppert Welche Bedeutung hat die Nichtbeachtung strafprozessualer Vorschriften für die Strafbarkeit nach den §§ 153 ff StGB, Jura 1988 496; ders. Grundfragen der Aussagedelikte, Jura 2002 173; Grünhut Der strafrechtliche Schutz loyaler Prozeßführung, SchwZStr. 51 (1937) 43; Grünwald Zur Problematik des Zeugeneides, Festschrift R. Schmitt (1992) 295; Hall Die Aporie des Eides, Festschrift Peters (1974) 59; Hamm Kein Verteidigungsrecht von Untersuchungsausschüssen, ZRP 2002 11; Heimann-Trosien Zur Beibehaltung und Fassung des Eides, JZ 1973 609; Heinrich Die strafbare Beteiligung des Angeklagten an falschen Zeugenaussagen, JuS 1995 1115; Herrmann Die Reform der Aussagetatbestände (1973); Herzberg Rechtsirrige Annahme einer Straftatbegehung – Versuch oder Wahndelikt? Gedächtnisschrift Schlüchter (2002) 189; Vgl. Hettinger/ Bender JuS 2015, 577; Hilgendorf Der Wahrheitsbegriff im Strafrecht am Beispiel der strafrechtlichen Aussagetheorien (§§ 153 ff), GA 1993 547; Hillmann Die Eidesverletzungen im LG-Bezirk Eisenach 1900 bis 1936, Untersuchungen zur Kriminalität in Deutschland, Heft 3, 1939; Ernst E. Hirsch Über die Gesellschaftsbezogenheit des Eides, Festschrift Heinitz (1972) 139; Hruschka Anstiftung zum Meineid und Verleitung zum Falscheid, JZ 1967 210; Jacobsohn Die Fähigkeit zum Meineid (1920); Kargl Wahrheit und Wirklichkeit im Begriff der „falschen Aussage“ (§§ 153 ff StGB), GA 2003 791; Katzenberger/Pitz „Si tacuisses …“, Eine methodische Darstellung der Aussagedelikte, ZIS 2009 659; Kaufmann Die strafrechtlichen Aussagetheorien auf dem Prüfstand der philosophischen Wahrheitstheorien, Festschrift Baumann (1992) 119; Kehr Dilemma des Zeugen, NStZ 1997 160; Koffka Die Bestrafung der falschen uneidlichen Zeugenaussage, ZStW 48 (1928) 10; Kuttner Die juristische Natur der falschen Beweisaussage (1931); Kohlmann Zur Rechtsstellung der Aussageperson vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, JA 1984 670; Krehl Die Erkundigungspflicht des Zeugen bei fehlender oder beeinträchtigter Erinnerung und mögliche Folgen ihrer Verletzung, NStZ 1991 416; Krischer Die innerprozessuale Teilnahme an der uneidlichen Falschaussage und am Meineid (2000); Mannheim Fahrlässiger Falscheid, Festgabe Frank II (1930) 315; Maurach Meineidsbeihilfe durch Unterlassung, DStrR 1944 1 und SJZ 1949 541; Meinecke Die Auswirkungen von Verfahrensfehlern auf die Strafbarkeit nach den Aussagedelikten (1996); Meister Falsche uneidliche Aussage und Zeugenmeineid, JR 1950 389; Moldenhauer Aussagenotstand auch bei nichtehelichen Lebensgemeinschaften? Festschrift Maiwald (2003) 187; Müller Falsche Zeugenaussage und Beteiligungslehre (2000); Mumm Zum Wesen der Aussagedelikte (1964); Neumann Der fahrlässige Falscheid (1931); Niethammer Über das Wesen des Meineids und die rechtliche Möglichkeit eines fahrlässigen Falscheids, DStrR 1940 161; Ostendorf Strafbare Angriffe auf einzelne Staatsgewalten sowie auf den Bestand staatlicher Maßnahmen, JZ 1987 335, 337 f; 1989 573, 576 f; Otto Die Aussagedelikte, §§ 153–163 StGB, JuS 1984 161; ders. Die falsche Aussage i. S. der §§ 153 ff StGB, Jura 1985 389; Paulus Die „falsche Aussage“ als Zentralbegriff der §§ 153–163 StGB, Gedächtnisschrift Küchenhoff (1987) 435; Peters Zeugenlüge und Prozeßausgang (1939); Prinzing Meineid durch unrichtige Angaben im Offenbarungseidverfahren, NJW 1962 567; Prittwitz Straflose Obstruktion der Rechtspflege durch den Angeklagten? StV 1995 270; Quedenfeld Der Meineid des Eidesunmündigen, JZ 1973 238; Rietzsch Die vorgetäuschte Straftat und die falsche Aussage, DStrR 1943 97; Rixen Die Eidesleistung vor Untersuchungsausschüssen des Deutschen Bundestages, JZ 2002 435; Rogall Das Untersuchungsausschussgesetz des Bundes
75 https://doi.org/10.1515/9783110490107-012
Wolters/Ruß
Vor § 153 StGB
Vorbemerkungen zu den §§ 153 ff
und seine Bedeutung für das Straf- und Strafverfahrensrecht, Gedächtnisschrift Meurer (2002) 449; Roxin Die Abgrenzung von untauglichem Versuch und Wahndelikt, JZ 1996 981; Rudolphi Die Bedeutung von Verfahrensmängeln für die Tatbestandsmäßigkeit einer eidlichen oder uneidlichen Aussage und einer eidesstattlichen Versicherung i. S. der §§ 153– 156 StGB, GA 1969 129; Scheffler Beihilfe zur Falschaussage durch Unterlassen seitens des Angeklagten, GA 1993 341; Schellenberg Zum Regeleid der Zeugen im Strafverfahren, NStZ 1993 372; Schmidhäuser Aussagepflicht und Aussagedelikt, Festschrift Celle I (1961) 207; Schmitz Die Eideskriminalität im LG-Bezirk Duisburg 1906 bis 1936, Untersuchungen zur Kriminalität in Deutschland, Heft 10, 1941; Schneider Die Rechtsprechung des BGH zum Verhältnis der §§ 153, 154 StGB, NJW 1955 1386; ders. Über den Begriff der Aussage in §§ 153, 154 StGB, GA 1956 337; Schröder Unwahrer und unwahrhaftiger Eid (1939); Schröder Der Eid als Beweismittel, ZZP 1951 216; Schulz Probleme der Strafbarkeit des Meineids nach geltendem und künftigem Recht (1970); Schumann Die besondere Handlungsqualität des „Schwörens“ – Zur eigenständigen strafrechtlichen Erfassung des Meineids ZStW 2014 615; Sello Zeugnis und Einzelbekundung, ZStW 21 (1901) 707; Stein Zum Begriff der Falschaussage, Festschrift Rudolphi (2004) 553; Steinke Probleme des Falscheids durch forensische Sachverständige, MDR 1984 272; Teichmann Meineidige und Meineidssituationen (1935); Thudichum Geschichte des Eides (1911); Tenter Beihilfe zur Falschaussage durch Unterlassen, wistra 1994 247; Voigt Die Verleitung zum falschen Eide, GA 1980 222; Vollmann Beihilfe zum Meineid, begangen durch Unterlassung (1965); Vormbaum Versuchte Beteiligung an der Falschaussage – Zum Verhältnis der §§ 30 und 159 StGB –, GA 1986 353; ders. Der strafrechtliche Schutz des Strafurteils (1987); ders. Frühzeitige und rechtzeitige Berichtigung falscher Angaben, JR 1989 133; ders. Eid, Meineid und Falschaussage. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (1990); ders. Reform der Aussagetatbestände §§ 153–163 StGB (1992); ders. Falsche uneidliche Aussagen vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, JZ 2002 166; ders. Zur Strafbarkeit der bekräftigten Falschaussage Festschrift Beulke (2015), 581; Voscherau Die unerhebliche falsche Zeugenaussage (1970); Wagner Uneidliche Falschaussagen vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, GA 1976 257; Welzel Über das Verhältnis der Strafbestimmungen für die uneidliche Falschaussage und den Meineid, JZ 1954 227; Wiefelspütz Der Eid im Untersuchungsausschuss, ZRP 2002 14; G. Wolf Falsche Aussage, Eid und eidesgleiche Beteuerung, JuS 1991 177; G. A. Wolf Parlamentarischer Untersuchungsausschuss und Strafjustiz (2005); Zipf Die Problematik des Meineides innerhalb der Aussagedelikte, Festschrift Maurach (1972) 415.
Entstehungsgeschichte1 Der ursprünglich unter der Überschrift „Meineid“ stehende Abschnitt verdankt seine heutige Bezeichnung der StrafrechtsangleichungsVO vom 29.5.1943 (RGBl. I 339), welche die Bestrafung der falschen uneidlichen Aussage neu einführte. Seine Geschichte ist dadurch gekennzeichnet, dass sich ihre Wandlungen sowohl in den verfahrensrechtlichen Vorschriften über Aussagen vielfältiger Art und ihre eidliche Bekräftigung wie in der Fassung der einschlägigen Straftatbestände niedergeschlagen haben. Durch die Darstellung der Änderungen im Wortlaut des Strafgesetzes allein sind sie hernach nicht in vollem Umfang beschrieben. So hat sich vor allem die Säkularisierung des Begriffs des Eides, der etwa noch von Frank (Vorbem. III) allgemein als Beteuerung der Wahrheit unter Anrufung Gottes bezeichnet wurde, allein aus den Änderungen des Prozessrechts ergeben, die durch das Verbot des Zwangs zur religiösen Eidesform in Art. 136 Abs. 4 WeimVerf. bewirkt und die Übergangsvorschrift in Art. 177 WeimVerf. eingeleitet wurden. Das historisch wichtige Kapitel des „Offenbarungseids“ ist durch das Gesetz vom 27.6.1970 (BGBl. I 911) aus dem Zusammenhang des § 154 gelöst und dem § 156 zugeschlagen worden, ohne dass sich dies auf die formale Fassung der Strafbestimmungen ausgewirkt hätte. Ursache dieser Veränderung war, dass der Bundesrat der im Rechtspflegergesetz vom 5.9.1969 (BGBl. I 2065) vorgesehenen Zweiteilung des vollstreckungsrechtlichen Offenbarungseidsverfahrens, das dem Rechtspfleger mit Ausnahme von Eidesabnahme und Haftanordnung übertragen werden sollte, widersprach und um der Einheitlichkeit des mit Ausnahme der Haftanordnung dem Rechtspfleger ganz zuzuweisenden Verfahrens willen für die Ersetzung des dem Richter in § 4 Abs. 2 Nr. 1 RpflG vorbehaltenen Eids durch die eidesstattliche Versicherung eingetreten war. Um diesem Verlangen zu entsprechen, wurde nun kurzerhand auch für den materiellrechtlichen Offenbarungseid in Fällen der Rechnungslegung und Auskunftserteilung die Umwandlung in eine Versicherung an Eides Statt bewerkstelligt (vgl. dazu die fundierte Kritik von Habscheid NJW 1970 1669). Als das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 11.4.1972 (BVerfGE 33 23) einem evangelischen Geistlichen das Recht zugestand, die Leistung eines Zeugeneides auch in nicht religiöser Form unter Berufung auf Art. 4 Abs. 1 GG
1 Die Kommentierung dieses (neunten) Abschnitts fußt auf der Vorbearbeitung von Wolfgang Ruß in der elften und zwölften Auflage, die inhaltlich wiederum im Wesentlichen auf Günther Willms zurückgeht, der die neunte und zehnte Auflage verantwortet hat. Sie versteht sich als eine Aktualisierung und moderate Ergänzung dieser Darlegungen. Die Bearbeitung ist im Wesentlichen auf dem Stand des Frühjahres 2020, lediglich kleinere Änderungen konnten noch vor Drucklegung vorgenommen werden. Wolters/Ruß
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Übersicht
StGB Vor § 153
zu verweigern,2 veranlasste das den Gesetzgeber, eine dem Eid ausdrücklich gleichgestellte Bekräftigung der Wahrheit der Aussage einzuführen.3 Zugleich wurden mit diesem Gesetz die Vorschriften über die Form der Eidesleistung (§ 66c StPO, § 481 ZPO) mit und ohne religiöse Beteuerung klarer gefasst und die Belehrungspflicht nach § 57 S. 3 StPO und § 480 ZPO um den Hinweis auf die Möglichkeit der Wahl zwischen den beiden Formen des religiösen und nicht religiösen Eides erweitert (vgl. § 155 Entstehungsgeschichte und Rdn. 1). Die genannten Vorschriften über die Form der Eidesleistung und die Belehrungspflicht sind dann durch das erste Justizmodernisierungsgesetz vom 24. August 2004 (BGBl. I 2198) geändert und in §§ 57, 64, 65 StPO, §§ 480, 481 ZPO in die heute geltende Fassung gebracht worden (die spätere Anpassung des § 57 StPO [2009] war allein grammatikalischer Natur, auch das Versehen mit Überschriften [2015] berührte den Gehalt dieser Strafvorschriften nicht). Im neuen § 66 StPO wurde für hör- oder sprachbehinderte Personen eine ergänzende Regelung getroffen. Für die eidesstattliche Versicherung hat der Gesetzgeber auf eine ausweichende, das Wort „Eid“ vermeidende Formulierung verzichtet (vgl. § 27 Abs. 3 VwVfG). Den ersten größeren Eingriff in den bis zum Jahr 1933 von jeder Änderung oder Ergänzung unberührten Text des RStGB brachte die StrafrechtsangleichungsVO vom 29.5.1943 (RGBl. I 339) mit der zweiten DVO vom 20.1.1944 (RGBl. I 41), welche die schon mit einer Initiative der Bundesstaaten im Jahre 1899 (lex Salisch) vorgeschlagene Bestrafung der uneidlichen falschen Aussage des Zeugen oder Sachverständigen einführte und diesen neuen Tatbestand an die Stelle des in seinem ursprünglichen Bestand bereits durch das Gesetz zur Änderung des Verfahrens in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten vom 27.10.1933 (RGBl. I 780) obsolet gewordenen § 153 a. F. setzte. Zugleich wurden weitere Vorschriften des Abschnitts dieser Neuerung angepasst. Das StRÄndG vom 4.8.1953 (BGBl. I 735) beseitigte den gegenstandslos gewordenen Tatbestand des Eidesbruchs in § 162, strich die im Jahre 1944 eingeführte Strafbarkeit des Versuchs in den §§ 153 und 156 und fasste die §§ 159 und 163 Abs. 2 neu. Im Zuge der letzten inhaltlichen Reformen hat das erste StrRG die §§ 157 und 158 den Änderungen im Allgemeinen Teil angepasst und die bisher in § 161 vorgesehenen Folgen des Ehrverlustes und der Eidesunfähigkeit samt dieser Vorschrift gestrichen. Das EGStGB 1974 Art. 19 II Nr. 60–65 und das gleichzeitig in Kraft getretene zweite StrRG Art. 2 brachten mit Ausnahme der Streichung der falschen Versicherung an Eides Statt in § 157 nur redaktionelle Änderungen. Das oben bereits benannte Gesetz vom 20.12.1974 hat den § 155 im Sinne der Einbeziehung der von der Eidesform gelösten Bekräftigungsformel neu gefasst und vereinfacht. Durch das Gesetz zur Regelung des Rechts der Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages (PUAG) vom 19. Juni 2001 (BGBl. I 1142) war in § 153 als Absatz 2 die Bestimmung neu eingeführt worden, dass ein Untersuchungsausschuss eines Gesetzgebungsorgans des Bundes oder eines Landes einer in Absatz 1 genannten Stelle gleichstehe. Diese als Absatz 2 getroffene Regelung wurde durch das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie vom 31. Oktober 2008 (BGBl. I 2149) wieder gestrichen und durch die inhaltsgleiche Regelung des neu eingefügten § 162 ersetzt. Nach dieser Vorschrift sind die §§ 153 bis 161 auch auf falsche Angaben in einem Verfahren vor einem internationalen Gericht, das durch einen für die Bundesrepublik Deutschland verbindlichen Rechtsakt errichtet worden ist, anzuwenden (Absatz 1); nach Absatz 2 dieser neuen Vorschrift sind die §§ 153 und 157 bis 160, soweit sie sich auf falsche uneidliche Angaben beziehen, auch auf Angaben vor einem Untersuchungsausschuss eines Gesetzgebungsorgans des Bundes oder eines Landes anzuwenden. Im Übrigen wurde durch das Gesetz vom 31.10.2008 die bisher in § 163 enthaltene Regelung unverändert in den neuen § 161 übernommen; § 163 wurde aufgehoben. – Zur Entwicklung der Aussagedelikte s. darüber hinaus Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 75 Rdn. 5 ff; Vormbaum Eid, Meineid und Falschaussage (1990); Müller MK Rdn. 2 ff; Fischer Rdn. 1.
Übersicht I.
Überschrift und Stellung des Abschnitts
II. 1.
2 Allgemeines Geschütztes Rechtsgut
1
2. 3.
Keine strikte Beschränkung auf innerdeutsche 3 Rechtspflege 4 Kein Religionsdelikt
2
2 Die Entscheidung führte zu einer regen Auseinandersetzung und gab den Bestrebungen zur Abschaffung des staatlich verordneten Eides neuen Auftrieb. Siehe dazu im Einzelnen die kritische Anmerkung von Peters in JZ 1972 520 und die Aufsätze von Ebert JR 1973 397, Engelmann MDR 1973 365, Heimann-Trosien JZ 1973 609, Lange FS Gallas 427, Nagel JR 1972 413, Schultz MDR 1973 20, Stolleis JuS 1974 770, Woesner NJW 1973 169; sowie ferner Dahs FS Rebmann 161; Herrmann S. 134 ff; Ernst E. Hirsch FS Heinitz 139; H. J. Hirsch ZStW 88 (1976) 761, 764 f; Zipf FS Maurach 415. 3 Gesetz zur Ergänzung des ersten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts vom 20.12.1974 (BGBl. I S. 3686). 77
Wolters/Ruß
Vor § 153 StGB
Vorbemerkungen zu den §§ 153 ff
4. 5.
Auswirkung überholter Vorstellungen 5 Nebenzweck, Bezug zu andern Tatbestän6 den
III.
Keine Sonderstraftaten. Eigenhändige De7 likte
IV.
Begriff des Falschen (objektive und subjektive 8 Theorie)
V.
Begriff der Aussage
VI. 1. 2.
16 Inhalt der Aussage 17 Beim Zeugen Beim Sachverständigen
15
VII. 1. 2. 3.
19 Thema der Aussage 20 Im Zivilprozess 20a Im Strafprozess 21 Zusatzfragen
VIII. Erheblichkeit der Aussage
23
IX.
Ausscheiden von Nebensächlichem, von nicht 25 durch das Thema Erfasstem
X. 1.
29 Vernehmungsmängel Verneinung des Tatbestands in Grenzfäl30 len 31 Bedeutung der Strafzumessung
2. 18
I. Überschrift und Stellung des Abschnitts 1 Die Überschrift des Abschnitts stellt die beiden tragenden Straftatbestände der §§ 153 und 154 heraus. Sie ist ähnlich wie die ursprüngliche, auf das Wort „Meineid“ beschränkte Überschrift als pars pro toto gedacht und nicht, wie BGHSt 1 382 es noch zu verstehen meinte, als Gegenüberstellung heterogener Vorschriften zu deuten; vielmehr kennzeichnet sie gerade umgekehrt den engen, in einem Stufenverhältnis stehenden Zusammenhang der beiden Tatbestände, der sich etwa im Ausschluss des § 153 aus dem Fahrlässigkeitstatbestand des § 161 ausprägt. § 161 andererseits verknüpft den Meineid der §§ 154, 155 mit dem Tatbestand der falschen Versicherung an Eides Statt des § 156, welcher den strafrechtlichen Schutz des wichtigen Mittels der im Vorraum des Beweises stehenden Glaubhaftmachung hinzufügt und damit die Erfassung strafwürdigen Unrechts vervollständigt, das in der Bereitstellung irreführender tatsächlicher Information für in besonderer Weise auf Wahrheitsfindung angewiesene Staatsorgane zu sehen ist. Verstärkt wird dieser Schutz im Vorfeld durch die Tatbestände der §§ 159 und 160, welche der Wahrheitsfindung abträgliche Einwirkungen auf Beweispersonen treffen, während auf der anderen Seite in den §§ 157 und 158 besondere Möglichkeiten der Strafmilderung bis hin zum Absehen von Strafe geboten sind, von denen die eine besonderen Notlagen der vom Staat in Pflicht genommenen Beweisperson gerecht wird, während die andere die Umkehr des Täters auf den Weg der Wahrheit honoriert. Hierin mag man eine durchdachte umfassende Sicherung eines zur Gänze erfassten Sachbereichs erkennen. 1a Die Stellung des Abschnitts im Gefüge des Besonderen Teils folgte der Anordnung des preußischen Strafgesetzes, das den Meineid zwischen die Münzverbrechen und die falsche Anschuldigung einordnete (vgl. auch Vormbaum NK Rdn. 30).
II. Allgemeines 1. Geschütztes Rechtsgut 2 Geschütztes Rechtsgut der im Neunten Abschnitt zusammengefassten Delikte ist die staatliche Rechtspflege, die für ihre Entscheidungen wahrheitsgemäßer tatsächlicher Grundlagen bedarf.4 Neben den nationalen Gerichten sind auch andere zuständige Stellen in den Strafschutz einbezogen. Für internationale Gerichte und die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse ergibt sich 4 BGHSt 8 301, 309; 10 142, 143; 45 16, 24; ferner Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1; Fischer Rdn. 2; Sch/Schröder/Bosch/ Schittenhelm Rdn. 2; SSW/Sinn § 153 Rdn. 2; Zöller SK Rdn. 2 ff; Mumm S. 87; Schultz S. 12; Herrmann S. 131; Dedes JR Wolters/Ruß
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II. Allgemeines
StGB Vor § 153
dies heute aus § 162 (für die frühere gesetzliche Regelung vgl. BGHSt 17 128; ferner Wagner GA 1976 257). Dass dabei die Funktion der angesprochenen staatlichen Einrichtungen, primär der Justiz, im Vordergrund steht, es also gerade auf die Absicherung der diesen Organen obliegenden Tatsachenfeststellung ankommt, wird von Zöller SK Rdn. 5 unter Berufung auf BGHSt 8 301, 309 zutreffend betont.5
2. Keine strikte Beschränkung auf innerdeutsche Rechtspflege Der Schutzbereich der §§ 153 ff ist grundsätzlich auf die innerdeutsche Rechtspflege be- 3 schränkt (Werle/Jeßberger LK vor § 3 Rdn. 301).6 Er erstreckt sich jedoch auch auf Verfahren vor internationalen Gerichtshöfen, die durch einen für die Bundesrepublik Deutschland verbindlichen Rechtsakt errichtet worden sind (§ 162 Abs. 1; vgl. ferner Werle/Jeßberger LK vor § 3 Rdn. 302 ff; Lüttger Festschrift Jescheck 120, 165 ff; ferner § 162 Rdn. 1 f).7 Im Übrigen gilt das deutsche Strafrecht unabhängig vom Recht des Tatorts für im Ausland begangene Aussagedelikte, die sich auf im Inland anhängige Verfahren beziehen (§ 5 Nr. 10), also vor allem für Aussagen, die im Wege der Rechtshilfe vor ausländischen Stellen gemacht werden (Werle/Jeßberger LK § 5 Rdn. 138 ff; Vormbaum NK Rdn. 33 ff; Zöller SK Rdn. 4).
3. Kein Religionsdelikt Das Verständnis der Eidesdelikte als Religionsdelikte gehört der Geschichte an (s. dazu etwa 4 Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 75 Rdn. 5 ff mit Hinweisen auf das römische und altdeutsche Recht).8 Dabei ist bemerkenswert, dass dieser Grundansatz schon in der Carolina nicht mehr ausgeprägt war und dass es in der späteren Partikulargesetzgebung nur selten in jener Weise in den Vordergrund gerückt wurde wie in den preußischen Entwürfen von 1833 und 1836, welche auch den Privateid mit einer Strafsanktion schützen wollten (im Einzelnen VDB III 284, 287). Für das RStGB betonte das Reichsgericht noch in RGSt 10 338, 339, die Bedrohung der Rechtssicherheit sei nicht der einzige legislatorische Grund für die Bestrafung des Meineids, er sei zugleich ein Verbrechen gegen die Religion. Erst RGSt 47 156 rückte hiervon ab und ließ die Delikte des Abschnitts nur noch als,,mittelbar gegen den Staat sich richtende und insbesondere die Rechtspflege gefährdende Verbrechen und Vergehen“, als „Straftaten in Bezug auf die Beweisführung“ gelten. Hieran hat das Reichsgericht, bestärkt durch den Wegfall des Zwangs zur religiösen Eidesform, in der Folge festgehalten (RGSt 70 130, 132, 73 144, 147). Die Einführung der Strafbarkeit uneidlicher falscher Aussagen im Jahre 1943 fällt in eine Zeit, die auch insoweit in rechtlicher Hinsicht keinen Beitrag zu leisten vermag. Indessen gab die unterschiedliche Fassung der Tatbestände in § 153 und § 154 dem Bundesgerichtshof von neuem Anstoß zu einer Deutung, welche den Meineid als delictum sui generis verstehen wollte, dessen spezifischer Un1977 441; Otto JuS 1984 161; Otto Grundkurs Strafrecht BT § 97 Rdn. 1; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 75 Rdn. 9 ff; Wessels/Hettinger/Engländer BT 1 Rdn. 818; Rengier BT 2 § 49 Rdn. 1; weitergeh. Vormbaum NK Rdn. 1 ff, 11; abw. auch Müller MK Rdn. 7 ff. 5 In diesem Sinne auch: Mumm S. 87; Schultz S. 12; Herrmann S. 131; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 2; Vormbaum NK Rdn. 2 ff; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 75 Rdn. 9 ff und 32; Wessels/Hettinger/Engländer BT 1 Rdn. 818; Paulus GedS Küchenhoff 435. 6 Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Zöller SK Rdn. 4; Vormbaum NK Rdn. 31 ff; Fischer Rdn. 2; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 2; Otto JuS 1984 161 Fn. 1. 7 Vormbaum NK Rdn. 32; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Sch/Schröder/Eser/Weißer vor § 3 Rdn. 21; Zöller SK Rdn. 4; Müller MK Rdn. 21 ff; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 69 Rdn. 8 f; Otto JuS 1984 161 Fn. 1; AG Tauberbischofsheim NStZ 1981 221 (LS). 8 Vgl. auch Zöller SK Rdn. 6; Vormbaum NK Rdn. 20 und Schutz des Strafurteils S. 143 ff, 178 ff; Müller MK Rdn. 14; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 2. 79
Wolters/Ruß
Vor § 153 StGB
Vorbemerkungen zu den §§ 153 ff
rechtsgehalt „in der Verletzung der feierlichen Beteuerungsform“ liege.9 Darin äußerte sich dann wieder ein deutlicher Bezug auf das sakrale Element, an dem ja auch die Prozessordnungen durch die Betonung der religiösen Eidesformel als der (scheinbaren) Regel bis vor kurzem festgehalten haben und der sich zudem, worauf Kohlrausch/Lange (vor § 153 Anm. III, 3) und Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm (Rdn. 2) treffend hinweisen, in den stark divergierenden Strafdrohungen der §§ 153 und 160 einerseits und der §§ 154 und 159 andererseits immer noch zeigt. Erst die Entscheidung des Großen Senats in BGHSt 8 301, 309 hat die Dinge dann wieder ins Lot gebracht und die schon vom Reichsgericht gewonnene Erkenntnis bestätigt, dass die sakrale Färbung dem Eide nicht wesentlich ist und die Strafdrohungen aller Aussagedelikte (allein) dem Schutz der Rechtspflege dienen (Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 75 Rdn. 10), indem sie die Beweiskraft der Eidesleistungen und eidesstattlichen Versicherungen verstärken und sichern (s. auch BGHSt 10 142, 143 mit weiteren Rechtsprechungshinweisen). Das Bundesverfassungsgericht hat hier wohl mit seinem Satz den Schlussstrich gezogen, dass „der ohne Anrufung Gottes geleistete Eid nach der Vorstellung des Verfassungsgebers keinen religiösen oder in anderer Weise transzendenten Bezug“ habe (BVerfGE 33 23).
4. Auswirkung überholter Vorstellungen 5 Gegenüber den durch die überholten Vorstellungen mitbestimmten Strafdrohungen hat sich die gerichtliche Praxis zu helfen gewusst, indem sie von der Milderungsmöglichkeit des § 154 Abs. 2 großzügig Gebrauch macht. Jedoch ist mit den bereits von Heimann-Trosien (JZ 1973 609) vorgetragenen Gründen, die sich auf vielfältige Erfahrungen des gerichtlichen Alltags berufen können, die qualitative Unterscheidung zwischen eidlicher und uneidlicher Aussage und eine entsprechende Differenzierung der Strafdrohungen durchaus gerechtfertigt. Sie hängt auch nicht von der gewiss unzutreffenden und mit dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung nicht zu vereinbarenden Prämisse ab, dass der eidlichen Beweisaussage stets ein höherer Beweiswert zukäme.10 Auch das Strafrecht wird nicht dadurch überflüssig, dass es nicht mit Unfehlbarkeit zur Resozialisierung führt. Dagegen ist die von Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm (Rdn. 2) artikulierte Kritik an der niedrigen Strafdrohung des § 160 durchaus hörenswert (vgl. die Ausführungen zur Entstehungsgeschichte bei § 160). Die Beobachtung, dass die Versicherung an Eides Statt nicht der Ermittlung der Tatsachengrundlage für eine gerichtliche Entscheidung dient, sondern der Durchsetzung privater Rechte, zwingt andererseits nicht zu der Konsequenz, diesen Komplex der Aussagedelikte schlechtweg als nicht mehr auf die Rechtspflege bezogen anzusehen. Letztlich entscheidend für diese Zuordnung muss sein, dass hier die Justiz mit einem rechtsförmigen Verfahren zur Feststellung von Tatsachen eingesetzt ist.11
5. Nebenzweck, Bezug zu andern Tatbeständen 6 Ein dem Hauptzweck der Tatbestände des Abschnitts, dem Schutz der Rechtspflege, zugeordneter Nebenzweck wird im Schutz der Rechtspositionen der Personen zu sehen sein, die durch die von einer falschen Aussage beeinflussbaren gerichtlichen Erkenntnisse beeinträchtigt oder durch eine falsche Aussage unmittelbar in ihren Entschlüssen beeinflusst werden können (BGH
9 BGHSt 1 241, 243; 2 233; 4 172, 176; dazu krit. Welzel JZ 1954 227 und Schneider NJW 1955 1386. 10 Vgl. Zöller SK Rdn. 6; Müller MK Rdn. 15; Herrmann S. 136 ff; H. J. Hirsch ZStW 88 (1976) 752, 765; G. Wolf JuS 1991 177, 183 f; Vormbaum Schutz des Strafurteils S. 194 ff, 218 ff; Zipf FS Maurach 415 ff.
11 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 2; Deichmann S. 54 ff; H. J. Hirsch ZStW 88 (1976) 752, 763 f; abweichend Zöller SK Rdn. 7; Müller MK Rdn. 15; Herrmann S. 127 ff, 196 f; Paulus GedS Küchenhoff 435, 451. Wolters/Ruß
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IV. Begriff des Falschen (objektive und subjektive Theorie)
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LM StGB § 3 Nr. 2).12 Das tritt im Bereich der eidesstattlichen Versicherungen besonders hervor. Jedoch kommt es auf eine konkrete Auswirkung der Falschaussage bei keinem der Tatbestände des Abschnitts an. Die Aussagedelikte sind abstrakte Gefährdungsdelikte.13 Zur damit zusammenhängenden Frage der Tatbestandsmäßigkeit unerheblicher Aussagen siehe Rdn. 23.
III. Keine Sonderstraftaten. Eigenhändige Delikte Eine besondere Tätereigenschaft ist zu den Straftaten des Abschnitts nicht erforderlich. Des- 7 halb kann mit RGSt 36 278 (im Gegensatz zur früheren Rechtsprechung des Reichsgerichts in RGSt 4 32 und 28 87 und abweichend von der Vorbemerkung zu § 153 Anm. 4 in der achten Auflage) nicht der Auffassung gefolgt werden, dass eine Person, die das eidesmündige Alter noch nicht erreicht hat, also noch nicht 18 (§ 60 Nr. 1 StPO) bzw. noch nicht 16 Jahre alt ist (§ 393 ZPO), von vornherein für eine Tatbegehung auszuscheiden habe (vgl. dazu jedoch im Einzelnen § 154 Rdn. 10). Die Straftaten des Abschnitts sind auch keine Sonderstraftaten oder Pflichtdelikte im Sinne der Ausführungen Roxins (Täterschaft und Tatherrschaft [2015], S. 394 f; LK11 § 25 Rdn. 37; LK11 § 28 Rdn. 57 ff, 62)14 mit der Folge, dass die dem Täter obliegende prozessuale Wahrheitspflicht als besonderes persönliches Merkmal im Sinne des § 28 Abs. 1 zu behandeln wäre. Die auf rechtsgutsbezogenen Erwägungen beruhende Wahrheitspflicht besteht nur für den Aussagenden selbst. Er allein wird vom Tatbestand erfasst, da er es ist, von dem die Gefahr der Gesetzesverletzung durch die unmittelbare Falschaussage ausgeht. Eine Sonderpflicht wird für den Aussagenden dadurch nicht geschaffen.15 Die Aussagedelikte sind ihrem Wesen nach „eigenhändige“ Straftaten im Sinne von § 25 Abs. 1.16 Für denjenigen, welcher den Aussagenden zur Aussage veranlasst, greift der besondere Tatbestand des § 160 ein (vgl. des Näheren: Gallas Festschrift Engisch 607). Die Tatbestände des Abschnitts verlangen keinen (Außen-) Erfolg, sie sind Tätigkeits- und in Bezug auf das beschriebene Rechtsgut abstrakte Gefährlichkeitsdelikte (s. bereits oben Rdn. 6).
IV. Begriff des Falschen (objektive und subjektive Theorie) Wie der in allen Tatbeständen des Abschnitts vorkommende Begriff des Falschen, also der fal- 8 schen Aussage,17 zu deuten sei, ist umstritten und von der Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet worden.18 Im Kern geht es hier seit jeher um den Gegensatz von objektiver und
12 OLG Düsseldorf NJW 1982 1242, 1243; MDR 1988 695; NStZ-RR 2002 174; OLG Bremen NStZ 1988 39; OLG Hamburg NJW 1970 1561, 1562; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 2; abweichend Vormbaum NK Rdn. 25; krit. auch Zöller SK Rdn. 7; Müller MK Rdn. 10. 13 BGHSt 45 16, 24; Müller MK Rdn. 18; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 2a; Zöller SK Rdn. 11; Fischer Rdn. 2; SSW/Sinn § 153 Rdn. 2; Gallas GA 1957 315, 318; Schmidhäuser FS OLG Celle 207, 237; Otto JuS 1984 161, 166; Maurach/ Schroeder/Maiwald BT § 75 Rdn. 9; vgl. aber Dedes JR 1977 441, 442 und GedS Schröder 331, 333 ff; and. auch Vormbaum NK Rdn. 19 und Schutz des Strafurteils S. 264 f. 14 Dazu ferner Schünemann LK Rdn. 42 ff; § 28 Rdn. 53 ff und Rdn. 60 ff; sowie Zöller SK Rdn. 10; Vormbaum NK § 153 Rdn. 67 ff und Rdn. 111; und Schutz des Strafurteils S. 282 ff; Deichmann S. 59 ff; Herzberg ZStW 88 (1976) 68, 103 und GA 1991 145, 181 ff. 15 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 42; Fischer Rdn. 2; Müller MK Rdn. 19; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7; Otto JuS 1984 161, 166. 16 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 2a; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7; Fischer Rdn. 2; Müller MK Rdn. 16 f; Zöller SK Rdn. 10; Vormbaum NK § 153 Rdn. 111; Wessels/Hettinger/Engländer BT 1 § 17 Rdn. 819; Otto JuS 1984 161, 166; H. J. Hirsch ZStW 88 (1976) 752, 770 f. 17 Zum Begriff der „Aussage“ s. Hettinger/Bender JuS 2015 577, 578 f. 18 S. den Überblick bei Hettinger/Bender JuS 2015 577, 579 f. 81
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subjektiver Theorie der Aussagedelikte,19 der an folgendem Beispiel20 erläutert sein mag: Wenn A, der tatsächlich Aschermittwoch in Köln war, bei seiner Vernehmung als Zeuge bekundet, dass er Rosenmontag in Köln gewesen sei, so ist seine Aussage nach der objektiven Theorie auf jeden Fall falsch, nach der subjektiven mit Sicherheit jedoch nur dann, wenn A bei seiner Aussage wusste, dass er Aschermittwoch in Köln war. Ist er trotz Ausschöpfung aller ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel davon überzeugt, dass er an diesem Tage in Köln gewesen sei, so ist seine Aussage nach der subjektiven Theorie nicht falsch. Die Alternative lautet mit andern Worten, ob bei der Frage nach der Falschheit einer Aussage im Sinne der Tatbestände des Abschnitts von der objektiven Wahrheit ausgegangen werden muss, deren Feststellung allemal das Ziel der Untersuchung ist, oder ob es für die strafrechtliche Beurteilung insoweit auf die Überzeugung der Beweisperson von der Wirklichkeit anzukommen hat. Nach der knappen und treffenden Formulierung Niethammers (Lehrb. S. 65 und DStR 1940 161, 169) geht es darum, ob man dem Begriff des Falschen den Widerspruch zwischen Wort und Wahrheit oder den Widerspruch zwischen Wort und Wissen zugrunde legen soll. Nach ihren sachlichen Prämissen lassen sich die beiden Betrachtungsweisen dahin bestimmen, dass die objektive Theorie bei der Fixierung des äußeren Tatbestandes der Aussagedelikte in der auch sonst allgemein geübten Weise von einer Hereinnahme und Beachtung der Vorstellungswelt des Täters absieht, während es umgekehrt der subjektiven Theorie unerlässlich erscheint, schon im Bereich des äußeren Tatbestandes zu berücksichtigen, dass die Fähigkeit des Menschen, Sinneseindrücke aufzunehmen und sowohl momentan wie über einen längeren Zeitraum festzuhalten, begrenzt und unterschiedlich ausgebildet ist. 9 Ausgangspunkt der Überlegung für die Vertreter der objektiven Theorie21 ist die Tatsache, dass eine Gefährdung des Schutzgutes nur in einer Aussage zu erblicken ist, die der Wirklichkeit widerspricht. Für die Beurteilung, ob eine Aussage falsch ist, kommt es für sie daher allein auf den Vergleich zwischen dem Inhalt der Aussage und der objektiven Sachlage an. Das Vorstellungsbild des Aussagenden, seine Überzeugung davon, wie sich das geschilderte Geschehen abgespielt hat, ist für die Beurteilung der Richtigkeit oder Falschheit ohne Bedeutung. Eine objektiv richtige Aussage stört die Rechtspflege auch nicht, wenn sie subjektiv falsch ist. Demgegenüber stellen die Vertreter der subjektiven Theorie22 auf das Vorstellungsbild des 10 Täters ab. Für sie ist die Diskrepanz zwischen Inhalt der Aussage und Wissen des Aussagenden das Kriterium für die Falschheit: Da jede Aussage letzten Endes immer nur ein von menschlicher Unvollkommenheit im sinnlichen Erfassen und Bewahren beeinflusstes Vorstellungsbild wiedergebe und wiedergeben könne, müsse der Gesetzgeber diesem Umstand Rechnung tragen. Die Aussagedelikte verpflichteten den Einzelnen, sein Wissen und seine Fähigkeit, dieses Wissen mitzuteilen, zur Verfügung zu stellen; mehr könne und dürfe von ihm nicht gefordert werden (Willms LK10 Rdn. 9). Entscheidend ist daher für die Vertreter der subjektiven Theorie, ob Aussageinhalt und Wissen des Aussagenden übereinstimmen (Niethammer DStrR 1940 161 ff, 169). Eine Aussage ist nach dieser Auffassung daher falsch, wenn der Aussagende etwas aussagt, das mit seiner Erinnerung, also mit seinem (aktuellen) Wissen, nicht übereinstimmt, selbst dann 19 S. den Überblick bei Katzenberger/Pitz ZIS 2009 659, 659 f. 20 S. Kohlrausch/Lange Anm. IV 1 vor § 153. 21 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; Fischer § 153 Rdn. 4; SSW/Sinn § 153 Rdn. 8; Kohlrausch/Lange Anm. IV 3; Frank § 153 Anm. III 2; Badura GA 1957 397, 404; Hruschka/Kässer JuS 1972 709, 710; G. Wolf JuS 1991 177, 180 ff; Hilgendorf GA 1993 547, 554; A. Kaufmann FS Baumann 119; vgl. ferner dazu Kargl GA 2003 791, 796 ff; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 75 Rdn. 14, 16 ff; Welzel § 77 Anm. I 1a; v. Liszt/Schmidt BT § 181 Anm. I 1b; Rengier BT 2 § 49 Rdn. 7; krit. Stein FS Rudolphi 553. Weitere Nachweise bei Katzenberger/Pitz ZIS 2009 659, 660. 22 Binding Lehrb. II 1 S. 134; H. Mayer GS Bd. 93 189; Hegler AcP Bd. 104 286; Gerland Lehrbuch S. 371; Niethammer Lehrb. S. 65 und DStrR 1940 161, 171; Olshausen/Freiesleben § 153 Anm. 4; Mannheim FestG Frank II S. 315; Werner LM StGB § 154 Nr. 5; Schröder Unwahrer und unwahrhaftiger Eid S. 33; Gallas GA 1957 315; Willms LK10 Rdn. 9–12; ferner die frühere Rechtsprechung: BGH LM StGB § 3 Nr. 2; BGH LM StGB § 154 Nr. 5; RGSt 65 22; 68 278, 281 ff; OLG Bremen NJW 1960 1827 f. Weitere Nachweise bei Katzenberger/Pitz ZIS 2009, 659, 660. Wolters/Ruß
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nicht, wenn es objektiv wahr ist. Unterschiedliche Auffassungen bestehen darüber, auf welchen Wissensstand bei der Vernehmung abzustellen ist. Nach Gallas (GA 1957 315, 319, 321) kommt es auf das im Zeitpunkt der Vernehmung tatsächlich vorhandene Wissen des Aussagenden an; demgegenüber geht Willms (LK10 Rdn. 10) davon aus, dass das vom Täter erreichbare Wissen den Maßstab für das Falschheitsurteil abgibt. Er verlangt vom Aussagenden daher, dass dieser sich bemüht, sich ein richtiges Erinnerungsbild an den Vorgang zu verschaffen. Ein ähnlicher Standpunkt wird von den Vertretern der sog. Pflichttheorie23 eingenommen. 11 Nach ihr ist eine Aussage falsch, wenn der Aussagende nicht das Wissen wiedergibt, das ihm bei entsprechender und zu verlangender Anstrengung möglich gewesen wäre, er also seine prozessuale Wahrheitspflicht verletzt. Schmidhäuser (Festschrift OLG Celle 207 ff) nennt als Maßstab für die Falschheit einer Aussage das pflichtgemäß reproduzierbare Erlebnisbild des Aussagenden, der seiner prozessualen Wahrheitspflicht allein dann genügt, wenn er das beste ihm erreichbare Erinnerungs- oder Wissensbild wiedergibt (Otto JuS 1984 161, 162 und Jura 1985 389, 390). Außerdem werden noch differenzierende Auffassungen vertreten, die Elemente der ver- 12 schiedenen Theorien verbinden. So findet sich bei Gallas (GA 1957 315) der Vorschlag, den Begriff „falsch“ stets subjektiv auszulegen, in den §§ 160, 163 (jetzt § 161) jedoch objektiv, weil bei einer rein subjektiven Interpretation § 160 nicht brauchbar erklärt werden könnte und auch § 163 (jetzt § 161) bei Zugrundelegung der reinen subjektiven Theorie in seiner Anwendbarkeit nahezu bedeutungslos würde. Zöller (SK § 153 Rdn. 27) stellt für die Falschheit einer Aussage grundsätzlich auf das wirkliche Erlebnisbild des Aussagenden ab (ebenso Vormbaum Schutz des Strafurteils S. 257; NK § 153 Rdn. 56 ff, 79 ff; diff. Müller MK § 153 Rdn. 50 ff „Wahrnehmungstheorie“).24 Dedes (JR 1977 441, 444 f; 1983 99, 102) will dem Umstand Rechnung tragen, dass ein Zeuge häufig zur Wiedergabe der objektiven Richtigkeit nicht in der Lage sein wird und dass andererseits die bloß individuelle Wahrnehmung der Person nicht ausschlaggebend ist. Seiner Meinung nach ist der „soziale“ Maßstab das Wahrheitskriterium und maßgebend das, was eine Person mit den gleichen Fähigkeiten und unter den gleichen Umständen wahrnehmen kann. – Zu den verschiedenen Theorien vgl. Paulus Gedächtnisschrift Küchenhoff 435 ff, 450 ff mit einer differenzierenden Auffassung.25 Es ist zuzugeben, dass keine der Theorien eine reibungsfreie Lösung für die anstehende 13 Frage bietet. Auch kann nicht bestritten werden, dass die absolute Wiedergabe des objektiven Geschehens aus erkenntnistheoretischen Gründen in vielen Fällen zweifelhaft oder nicht möglich sein mag; doch ist andererseits nicht zu verkennen, dass die subjektive Theorie mit dem Gesetz nicht durchweg in Einklang zu bringen ist. Dies wird bei den §§ 160, 161 offensichtlich (vgl. auch SSW/Sinn § 153 Rdn. 9). Eine Anwendung auf § 160 stößt auf unüberwindliche Schwierigkeiten, § 161 würde nur in bedeutungslosem Rahmen Anwendung finden können, was Gallas zu dem Vorschlag veranlasste, auf diese Vorschriften nicht die subjektive, sondern die objektive Theorie anzuwenden (Rdn. 12). Warum im Übrigen eine Aussage deshalb nicht falsch sein soll, weil der Aussagende sie für richtig hält, ist nicht verständlich. Die Wahrhaftigkeit ist etwas anderes als die Wahrheit. Das Unbehagen, dass der Redliche, der Gesetzestreue, möglicherweise eine „falsche“ Aussage macht, kann nicht bewirken, dass nun von einem anderen Begriff der „Falschheit“ ausgegangen werden müsste. Wenn eine „falsche“ Aussage abgegeben wird, ist dies auf diesen Umstand beschränkt, ohne dass dadurch die Frage der Strafbarkeit berührt wird (vgl. dazu G. Wolf JuS 1991 177, 181). G. Wolf ist auch darin zuzustimmen, dass der Gesetzeswortlaut eine „falsche“ Aussage als Voraussetzung für die Strafbarkeit nennt, nicht 23 Schmidhäuser FS Celle 207, 213 ff; Otto Grundkurs Strafrecht BT § 97 Rdn. 7; Otto JuS 1984 161, 162 f; Jura 1985 389, 390; diff. Vormbaum NK § 153 Rdn. 79 ff.
24 Ob man diese Auffassung als Modifizierung der objektiven Theorie betrachtet, wie Zöller selbst es tut, oder als differenzierende Interpretation der subjektiven Theorie (vgl. Willms LK10 Rdn. 12; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 75 Rdn. 20), kann dahinstehen. 25 S. ferner Geppert Jura 2002 173 ff. 83
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eine pflichtwidrige, und dass die Pflichtgemäßheit der Aussage noch nichts darüber besagt, ob sie richtig oder falsch ist (vgl. auch Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6). Im Vergleich zu diesen Ungereimtheiten wird die objektive Theorie der Schutzrichtung der Aussagetatbestände wesentlich besser gerecht. Nach ihr ist nicht nur in einem Teilbereich, sondern in allen Tatbeständen der §§ 153 ff eine Aussage falsch, wenn ein Widerspruch zwischen ihrem Inhalt und dem tatsächlichen Geschehen vorliegt, wobei von dem tatsächlichen Geschehen nicht nur äußere, sondern auch innere Tatsachen erfasst werden. Zu den inneren Tatsachen können Aussagen über ein Wissen oder eine Überzeugung gehören (vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 75 Rdn. 14 ff). 14 Die Judikate sind nicht einheitlich. Schon die Rechtsprechung des Reichsgerichts hat gewechselt. Ursprünglich behauptete die objektive Theorie das Feld,26 später hat die subjektive Auffassung Platz gegriffen.27 Der Bundesgerichtshof hat diese Linie zunächst fortgesetzt. In BGH LM StGB § 3 Nr. 2 ist ausgeführt, die Unrichtigkeit einer Aussage könne darin gefunden werden, dass der Zeuge dem Gericht ein eigenes Wissen vortäusche, dessen er in Wahrheit ermangele, möge auch seine willkürliche Annahme und Aussage im Ergebnis mit dem wirklichen Sachverhalt übereinstimmen (vgl. auch BGH LM StGB § 154 Nr. 5; ferner OLG Bremen NJW 1960 1827 f). Eine deutliche Wendung (zurück) zur objektiven Theorie vollzog sich sodann in den Entscheidungen BGH LM StGB § 153 Nr. 6 und BGHSt 7 147 (vgl. ferner BayObLG NJW 1955 1690, 1691; OLG Koblenz JR 1984 422, 423 m. Anm. Bohnert).
V. Begriff der Aussage 15 Unter Aussage versteht das Gesetz in den §§ 153 ff eine Mitteilung, die eine Person über ihr Wissen macht, wobei an eine Kundgabe dieses Wissens durch das Mittel des gesprochenen, aber ebenso – vor allem im Falle des § 156 und bei tauben oder stummen Personen (§ 186 GVG) – des geschriebenen Wortes gedacht ist.28 Jedoch kann auch in Gesten, sogar in „beredtem Schweigen“ eine Aussage zu finden sein. Die Grenze zwischen Verschweigen und Aussagen ist dabei nicht immer leicht zu bestimmen.29 Freilich kann in bloßem Schweigen keine Aussage liegen, sondern nur in dem „vielsagenden“, auch mit entsprechender Gestik verbundenen Schweigen, das in eine wörtliche Äußerung eingebettet ist, wie dies dann besonders häufig auftritt, wenn die Aussage sich auf (subjektiv) peinliche oder anstößige Dinge bezieht. Ob die Mitteilung in zusammenhängenden und vollständigen Berichten über das eigene Wissen oder nur in knappen Antworten auf bestimmte Fragen besteht, mit denen dieses eigene Wissen hervorgezogen werden soll, ist für den Begriff gleichbedeutend. Doch wird vom Gesetz mit gutem Grund eine vollständige umfassende und selbständige Darstellung des aufklärungsbedürftigen Gegenstandes bevorzugt. Sie verbürgt die größere Echtheit und Verlässlichkeit des Inhalts der Aussage. Den mit Vernehmungen betrauten Organen ist darum vorgeschrieben, die Aussageperson zu veranlassen, das ihr vom Gegenstand der Vernehmung Bekannte im Zusammenhang anzugeben (§ 69 Abs. 1 S. 1 StPO), sie also nicht von vornherein mit Fragen und Vorhalten zu überfallen. Zur Frage, ob und wann bei verfahrensrechtlichen Mängeln eine strafrechtlich relevante Aussage zu verneinen ist, siehe Rdn. 29. Über die Beachtlichkeit schriftlicher Aussagen § 153 Rdn. 4a.
26 RGSt 10 338, 339; 37 395, 398; 39 42; vgl. auch RGSt 76 94, 96. 27 RGSt 65 21, 22; 68 278, 281 ff; RG HRR 1940 Nr. 523. 28 E. Schneider (GA 1956 337) definiert Aussage als „einen Bericht des Vernommenen oder seine Antwort auf bestimmte Fragen über eigene Wahrnehmungen und Empfindungen“. 29 Vgl. Hettinger/Bender JuS 2015, 577, 580. Wolters/Ruß
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VI. Inhalt der Aussage
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VI. Inhalt der Aussage Ihrem Inhalt nach sind Aussagen entweder Mitteilungen über Tatsachen aller Art oder Mittei- 16 lungen über die Bewertung von Tatsachen, die dabei vorausgesetzt werden. Tatsachen werden von Zeugen, Bewertungen von Sachverständigen verlangt, wobei mit solch grundsätzlicher Trennung und Aufteilung freilich nur Grundlinien gekennzeichnet sind (s. zur Unterscheidung zwischen Sachverständigen und Zeugen Dahs LR § 85 StPO Rdn. 3 ff, 11 und zum Unterschied zwischen Tatsachenbehauptung und Werturteil Hilgendorf LK11 § 185 Rdn. 2).
1. Beim Zeugen Vom Zeugen wird stets nur die Mitteilung von Tatsachen oder der Wahrnehmung von Tatsachen 17 erwartet; dabei kann es sich sowohl um äußere Umstände oder Ereignisse handeln als auch um innere Vorgänge, wie Motive oder Gefühle. Nicht zu den Aufgaben eines Zeugen gehört es, Bewertungen abzugeben oder Vermutungen zu äußern (BGH StV 1990 110). Daher liegt auch keine falsche Zeugenaussage vor, wenn der Zeuge die von ihm korrekt geschilderten Umstände falsch bewertet und eine unzutreffende Folgerung daraus zieht und mitteilt (BGH GA 1957 272).30 Indessen dringen im menschlichen und gesellschaftlichen Zusammenhang zwangsläufig Bewertungen in die Welt der Tatsachen ein, die dann ihrerseits in der natürlichen Betrachtung des Lebens für Tatsachen genommen werden. Dies gilt für geläufige Rechtsbegriffe (vgl. BGH NJW 2002 2724, 2727), wie Eigentum, Miete, Kauf, und ganz allgemein für gängige Kennzeichnungen vor allem zwischenmenschlicher Verhältnisse, etwa die Bezeichnung einer persönlichen Beziehung als Freundschaft oder als Liebesverhältnis (OLG Oldenburg NdsRpfl. 1950 163).31 Die hierin steckenden Bewertungen oder Schlussfolgerungen können jedoch nur dann einer Tatsachenbekundung gleichgeachtet werden, wenn es sich um eindeutige und gebräuchliche Erkenntnisse im Alltagsleben handelt, nicht aber, wenn es gerade darum geht, zu klären, ob die Bewertung zutreffend ist (Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 11). Was für die Bewertung geläufiger Rechtsbegriffe oder entsprechender Schlussfolgerungen als Tatsachenbekundungen anerkannt ist, gilt ebenso für den Gebrauch wertender Bezeichnungen wie „schön“ oder „hässlich“, die je nach den Umständen wahr oder falsch sind oder bloß einen ungewöhnlichen oder schlechten Geschmack verraten. Bei der Bekundung einer inneren Tatsache liegt eine Falschaussage nur vor, wenn der innere Vorgang nicht in der dargestellten Form bestanden hat. Erklärt der Zeuge, dass er einen Hergang, zu dessen Verlauf er gehört wird, in einer bestimmten Erinnerung habe, so ist die Aussage – und zwar unabhängig von einem objektiven oder subjektiven Grundverständnis (Rdn. 8) – nur falsch, wenn seine Schilderung von seiner Erinnerung abweicht; ob die tatsächliche Darstellung richtig oder falsch ist, ist unerheblich (BGH bei Holtz MDR 1990 293, 294). Es ist jeweils Sache des Tatgerichts, unabhängig von der sprachlichen Einkleidung der Aus- 17a sage festzustellen, ob und welchen tatsächlichen Gehalt eine Aussage besitzt (vgl. BGH wistra 1999 222, 223; RGSt 24 300, 301), welchen Tatsachenkern (BGHSt 6 159, 161 f) sie enthält. Indessen mag sich auch einmal die Verwandlung bloßer Werturteile in Tatsachen zeigen. Es ist nämlich nicht jedem Menschen gegeben, bei der Wiedergabe seines persönlichen Erlebens – besonders in Fällen starken eigenen Engagements – zwischen Tatsachen und Werturteilen zu trennen, wobei dann auch sachliche Schlussfolgerungen aus solchen Bewertungen in sprachlicher Ungewandtheit als erlebte und beobachtete Tatsachen hingestellt werden können. Wo das Gericht 30 BayObLG NJW 1955 1690; OLG Neustadt GA 1960 222 f; OLG Koblenz StV 1988 531, 532; Zöller SK § 153 Rdn. 6; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 11; Vormbaum NK § 153 Rdn. 35; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4; Müller MK § 153 Rdn. 38; SSW/Sinn § 153 Rdn. 6; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 75 Rdn. 18. 31 Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4; Zöller SK § 153 Rdn. 7; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 11; Fischer § 153 Rdn. 3; Müller MK § 153 Rdn. 39; Vormbaum NK § 153 Rdn. 36; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 75 Rdn. 22. 85
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solche Möglichkeiten nicht sieht und durch geduldige Fragen aufklärt, kann es zu ganz ungerechtfertigten Verurteilungen wegen eines Aussagedelikts kommen (vgl. BGH GA 1957 272; BGH bei Holtz MDR 1990 294; BGH wistra 1999 222). Ein typisches Beispiel dieser Art behandelte die Entscheidung BGH 1 StR 667/58 vom 3.3.1959; in einem Verfahren wegen Transportgefährdung hatte ein Zeuge bekundet: „Als ich dieses Schreiben bekam, dass wir nur noch mit zwei Mann rangieren dürfen, habe ich dagegen protestiert, weshalb man mich dann nicht beförderte und versetzte.“ In Wahrheit traf es nicht zu, dass der Zeuge aus diesem Grunde versetzt und in seinem beruflichen Fortkommen benachteiligt worden war. Er wurde deshalb wegen fahrlässigen Falscheids verurteilt und erst auf seine zweite Revision hin vom Bundesgerichtshof freigesprochen. Bei der die Grundlage der Verurteilung bildenden Äußerung handelte es sich nur um eine beiläufig ausgesprochene Ansicht, die als sachlicher Beitrag zur richterlichen Wahrheitsfindung überhaupt auszuscheiden hatte und vom Zeugeneid nicht erfasst wurde. Vgl. auch § 161 Rdn. 9.
2. Beim Sachverständigen 18 Der Sachverständige ist nicht Zeuge, sondern auf seinem Wissensgebiet sachkundiger Gehilfe des Gerichts. Seine Aufgabe ist es, dem Gericht auf der Grundlage seines Spezialwissens Erfahrungssätze und Folgerungen mitzuteilen, mit deren Hilfe das Gericht Tatsachen festzustellen vermag, die nur vermöge besonderer Sachkunde wahrgenommen und beurteilt werden können. Dabei ist zu sagen, dass es keineswegs nur auf die sachkundige Bewertung ihm gleichsam fertig angelieferter Tatsachen beschränkt zu sein braucht. Seine Aufgabe kann es auch sein, Tatsachen, die nur kraft besonderer Sachkunde erkennbar sind, ans Licht zu bringen. Beispielhaft ist die Feststellung des Blutalkohols zu nennen. Bei derartigem Grundlagenmaterial des Sachverständigen spricht man von Befundtatsachen. Diese sind immer ein Teil seines Gutachtens und unterliegen den für dieses geltenden verfahrensrechtlichen Regeln.32 Hiervon zu unterscheiden sind die sog. Zusatztatsachen, mit deren Bekundung der Sachverständige zum Zeugen wird.33 Zeuge bleibt die Aussageperson aber auch, soweit sie – wie der den Verletzten behandelnde Arzt – ohne dazu von Gerichts wegen berufen worden zu sein, Beobachtungen gemacht hat, die sie kraft ihrer Sachkunde in ihrer Bedeutung innerhalb einer Kausalreihe beurteilen kann und über die sie sich dann als sachverständiger Zeuge äußert.34
VII. Thema der Aussage 19 Wie der Gegenstand oder das Thema der Aussage zu begrenzen sei, lässt sich nicht einheitlich beantworten, sondern hängt von der unterschiedlichen verfahrensrechtlichen Gestaltung der Aussagekonstellationen ab. Die Angaben zur Person (§ 68 StPO, §§ 395, 451 ZPO) werden stets von der Wahrheitspflicht des zu Vernehmenden erfasst.35 Bei den Angaben zur Sache kann im Übrigen die Beweisfrage so klar umschrieben sein, dass es darauf nur ein „Ja“ oder „Nein“ gibt. Solche genaue Bestimmtheit des Beweisthemas bestand generell bei dem Institut des zugeschobenen und zurückgeschobenen Eides nach §§ 445 ff ZPO a. F., der als Wahrheits- und Überzeugungseid geleistet wurde und die Versicherung vorheriger sorgfältiger Prüfung und Erkundigung einschloss. Sie ist in ähnlicher Weise bei der eidesstattlichen Versicherung, insbesondere 32 BGHSt 9 292, 294; 20 164, 165 f; 22 268, 273; BGH NStZ 1995 44; RGSt 69 97, 98. 33 BGHSt 13 1; 13 250; 18 107; 20 164, 166; 22 268, 271; BGH NStZ 1993 245, 246; 1997 95, 96. 34 Vgl. auch Sch/Schröder/Bosch/Schittenehlm Rdn. 13; Zöller SK § 153 Rdn. 10; Vormbaum NK § 153 Rdn. 95; Müller MK § 153 Rdn. 40. 35 Vgl. BGHSt 4 214; BGH AnwBl. 1964 52; RGSt 60 407, 408; Zöller SK Rdn. 13; Schönke/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 14. Wolters/Ruß
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VII. Thema der Aussage
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der nach § 883 Abs. 2 ZPO, gegeben, bei der dem zur Herausgabe einer Sache verpflichteten Schuldner die Versicherung aufgegeben werden kann, „dass er die Sache nicht besitze, auch nicht wisse, wo die Sache sich befinde“.
1. Im Zivilprozess Im Zivilprozess wird der sachliche Aussagegegenstand in bestimmter Form im Beweisbeschluss 20 bezeichnet. Die dort gestellte Beweisfrage bestimmt für denjenigen, an welchen sie sich richtet, den Umfang der Zeugnispflicht. Nur innerhalb dieser Grenzen besteht für den Zeugen (oder die förmlich zu vernehmende Partei) die ihm obliegende Wahrheitspflicht, und hat er auch ohne ausdrückliche Befragung über alles auszusagen, was mit dem bezeichneten Beweisgegenstand in untrennbarem Zusammenhang steht (s. dazu BGH wistra 1999 222, 223). Außerhalb dieses Zusammenhangs mit dem Gegenstand der Beweisfrage liegende Tatsachen werden nicht von der Aussagepflicht erfasst, und zwar auch dann nicht, wenn sie für die Entscheidung des Rechtsstreits bedeutsam sind oder bedeutsam werden könnten.36
2. Im Strafprozess Im Strafprozess ist eine solche Begrenzung unbekannt. Gegenstand der Vernehmung zur Sache 20a ist hier allgemein der „Gegenstand der Untersuchung“, der dem Zeugen samt der Person des Beschuldigten vor seiner Vernehmung zu bezeichnen ist (§ 69 Abs. 1 StPO). Die Aussagepflicht umfasst hier alle Tatsachen, die mit der (prozessualen) Tat im Sinne des § 264 StPO zusammenhängen oder zusammenhängen können.37 Erst wenn mehrere selbständige Taten in jenem Sinne in ein und demselben Verfahren untersucht werden, wird eine vergleichbare Grenzziehung akut; hier kann sich die Aussagepflicht des Zeugen immer nur auf die Tat beziehen, die ihm als Gegenstand der Untersuchung und Vernehmung bezeichnet wird. Könnte er sich auch über Umstände einer ganz anderen im selben Verfahren mitverfolgten Tat auf Grund eigner Wahrnehmung äußern, so trifft ihn insoweit keine Aussagepflicht, wenn seine Vernehmung nicht auf diesen Gegenstand der Beschuldigung erstreckt wird (RG JW 1925 792).
3. Zusatzfragen In gerichtlichen Verfahren kann der Gegenstand der Vernehmung und damit der Aussagepflicht 21 durch zusätzliche Fragen an den Zeugen erweitert werden (§§ 395 Abs. 2 S. 2, 396, 397 ZPO, §§ 68a, 69 Abs. 2, 240 StPO).38 Da die Grenze für die Zulässigkeit von Fragen nicht immer unschwer zu bestimmen ist (vgl. insoweit die einschlägigen Kommentare zu § 397 ZPO und § 241 StPO) und mitunter erst fixiert werden kann, nachdem die Frage zugelassen und (evtl. unwahr)
36 BGHSt 1 22, 24; 3 221, 223; 25 244, 246 = NJW 1974 757 m. Anm. Demuth und Rudolphi JR 1974 293; BGH NStZ 1984, 464; Zöller SK § 153 Rdn. 14; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 14; Vormbaum NK § 153 Rdn. 10; Müller MK § 153 Rdn. 15 ff; Bruns GA 1960 161, 172; Paulus GedS Küchenhoff 435, 452; Geppert Jura 2002 173, 174 f; Maurach/ Schroeder/Maiwald BT 2 § 75 Rdn. 26; krit. Otto JuS 1984 161, 164. 37 KG JR 1978 77 f; Zöller SK § 153 Rdn. 14; Vormbaum NK § 153 Rdn. 11; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 14; Müller MK § 153 Rdn. 21 ff; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 75 Rdn. 26; Otto JuS 1984 161, 164. 38 BGHSt 2 90, 92; 3 322, 324; 25 244, 245; RG HRR 1936 Nr. 1198; KG JR 1978 77, 78 m. Anm. Willms; Bruns GA 1960 161, 173; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 14; Zöller SK § 153 Rdn. 14; Müller MK § 153 Rdn. 17, 19, 22; Vormbaum NK § 153 Rdn. 10; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 75 Rdn. 26. 87
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beantwortet wurde, steht die Anwendung der §§ 153 ff gerade in diesem Bereich unter besonders kritischen Aspekten.39 21a Für die Aussage der Partei im Zivilprozess gem. den §§ 445 ff ZPO gilt das für die Zeugenaussage Ausgeführte entsprechend. Das gilt auch für eine Erweiterung des Beweisthemas durch Fragestellung, wenn die Partei sich darauf einlässt.40 Bei parlamentarischen Untersuchungsausschüssen im Sinne des § 162 Abs. 2 (s. dazu im 22 Ganzen Brocker JZ 2011 716) wird der Gegenstand der Vernehmung durch das im Einsetzungsbeschluss umschriebene Beweisthema begrenzt, das keiner Erweiterung durch den Ausschuss oder seiner Mitglieder zugänglich ist (vgl. BVerfGE 49 70; OLG Koblenz StV 1988 531 f), jedoch sind zusätzliche Fragen und Vorhalte zulässig, sofern sie sich im Rahmen der sachlichen Zuständigkeit des Ausschusses halten (BGH NJW 1979 266, 267).41
VIII. Erheblichkeit der Aussage 23 Die Frage, ob und inwieweit es für die Tatbestände des Abschnitts auf die Erheblichkeit oder die Bedeutung der falschen Aussage ankommt, ist umstritten. Ihre Beantwortung wird durch Unklarheiten und Missverständnisse erschwert, zu denen schon die etwa in RGSt 76 319, 320 und BGHSt 3 221, 223 gebrauchte Formel Anlass gibt, der Zeuge habe alles anzugeben, was erkennbar mit der Beweisfrage in untrennbarem Zusammenhang stehe und für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich sei. Diese Formel ließe sich, wörtlich genommen, dahin verstehen, dass nur solche auf das Beweisthema in einem Zivil- oder Strafprozess bezügliche falsche Aussagen unter den Tatbestand eines Aussagedelikts nach den §§ 153 ff fallen sollen, die im Endergebnis für eine sachliche Entscheidung bedeutsam werden. Eine solche Betrachtungsweise hätte zur Folge, dass unwahre Bekundungen über irrig als entscheidungserheblich angesehene und zum Gegenstand des Beweises gemachte Tatsachen nicht unter die Tatbestände der Aussagedelikte fielen und allenfalls als untauglicher Versuch zu bewerten wären, dass schließlich sogar unwahre Bekundungen über sachlich bedeutsame Tatsachen für eine Erfüllung dieser Tatbestände auszuscheiden hätten, wenn das Verfahren nicht mit einer Sachentscheidung, sondern auf andere Weise (Vergleich, Einstellung wegen eines Prozesshindernisses etc.) zum Abschluss käme. Mit gutem Grund hat die Rechtsprechung solche absurden Ergebnisse ausgeschlossen und stets daran festgehalten, dass es für zum Gegenstand des Beweises gemachte und in diesem Sinne ausdrücklich angesprochene Tatsachen keinen Unterschied bei der Anwendung der Aussagetatbestände machen kann, ob diese Tatsachen für die zu treffende Entscheidung im Endergebnis Bedeutung haben oder nicht. Tatsachen, die der Aussageperson bei ihrer Vernehmung bestimmt bezeichnet und von dieser in ihrer Aussage behandelt worden sind, gehören zum Gegenstand der Vernehmung ohne Rücksicht auf ihre sachliche Erheblichkeit.42 Einen vernünftigen Sinn gewinnt die wiedergegebene Formel erst, wenn man sie im Zusam24 menhang mit den einschlägigen Entscheidungen dahin versteht, dass sie nur auf die Tatsachen gemünzt ist, welche von der Aussagepflicht erfasst werden, obwohl sie nicht ausdrücklich, insbesondere durch Befragung der Aussageperson angesprochen worden sind. Für solche Tatsachen und allein für sie soll eine Aussagepflicht nur unter den genannten Voraussetzungen beste39 Vgl. hierzu insbes. Bruns GA 1960 161, 173 und des Näheren unten Rdn. 27. 40 Vgl. BGH JZ 1968 570. S. auch BGHSt 25, 244, 246. 41 Näher dazu Wagner GA 1976 257, 273; sowie Vormbaum NK § 153 Rdn. 52 f und § 162 Rdn. 5 f, ferner JZ 2002 166; Zöller SK § 153 Rdn. 14; Fischer § 153 Rdn. 9 f; Müller MK § 153 Rdn. 65 ff; Schönke/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 14. 42 BGH bei Dallinger MDR 1972 16; BGH NStZ 1982 464; RG HRR 1936 Nr. 1198; KG JR 1978 77 m. Anm. Willms; Bruns GA 1960 161, 167; Zöller SK § 153 Rdn. 16; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 15; Vormbaum NK § 153 Rdn. 38 und Schutz des Strafurteils S. 262 ff; Müller MK § 153 Rdn. 8, 14 ff; Fischer § 154 Rdn. 7; Otto JuS 1984 161, 164 und Grundkurs Strafrecht BT § 97 Rdn. 20. Wolters/Ruß
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IX. Ausscheiden von Nebensächlichem, von nicht durch das Thema Erfasstem
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hen. Dabei ist Erheblichkeit nicht objektiv im Hinblick auf den nicht voraussehbaren Ausgang des Verfahrens zu beurteilen, sondern unter der vorstehend behandelten Prämisse zu sehen, dass das der Aussageperson bekannte und von ihr ausdrücklich angesprochene Beweisthema auf jeden Fall als erheblich zu betrachten ist, dass es sich mit andern Worten insoweit immer nur um eine potentielle Erheblichkeit im Verhältnis zu den ausdrücklich als Beweisgegenstand angesprochenen Tatsachen handeln kann. Indem es die Rechtspflege in ihrer realen Gegebenheit nimmt, geht das Strafgesetz von einem formalen Begriff der Erheblichkeit aus (Willms JR 1978 78, 79), der all das der Aussage- und Wahrheitspflicht des Zeugen unterwirft, was nach den Gepflogenheiten des jeweiligen Verfahrens zum Gegenstand der Wahrheitsfindung gemacht und um deswillen erheblich wird, mag es auch mitunter ohne sachliche Bedeutung für die im Vorprozess gesuchte Entscheidung gewesen sein. Im Regelfall der positiven Falschaussage kann deshalb vom Tatbestand her die Frage nach der Erheblichkeit überhaupt nicht kritisch werden. Wo sie bei der Tatbegehung durch Verschweigen akut wird, hat sie wegen ihrer ausschließlichen Orientierung an der gestellten Beweisfrage eine andere Qualität. Der Auskunftsperson soll nur dann eine Rechtspflicht zur Bekundung solcher, nicht ausdrücklich angesprochener Tatsachen auferlegt sein, wenn diese mit dem Beweisthema eng verbunden sind und an der diesem beigelegten rechtlichen Relevanz teilnehmen. Wer etwas, was er weiß, nicht aussagt, also verschweigt, den soll nur unter diesen besonderen Voraussetzungen der Vorwurf einer strafbaren Verletzung seiner Aussagepflicht treffen. Das ist seit jeher der Sinn der zum Fall des Verschweigens von Tatsachen geübten Rechtsprechung gewesen.43 Es beruht ersichtlich auf einem die dargestellte Staffelung des Vorgangs verkennenden Missverständnis, wenn gelegentlich als widersprüchlich getadelt wird, dass die Rechtsprechung nur für das Verschweigen und nicht auch für das Aussagen auf die Erheblichkeit abstelle. Dass für die Aussagedelikte von einem formalen Begriff der Erheblichkeit auszugehen sei, hat BGHSt 25 244 besonders deutlich unterstrichen. Hier wurde eine außerhalb des vom Beweisbeschluss erfassten Themas (Mehrverkehr mit einer bestimmten Person) liegende und auch nicht durch zusätzliche Befragung zum Gegenstand der Beweisaufnahme gewordene unwahre Aussage (Mehrverkehr mit weiteren Personen) als nicht tatbestandsmäßig angesehen, obwohl sie sachlich für die Entscheidung bedeutsam war.44 Für die Gegenmeinung45 besteht die prozessuale Wahrheitspflicht als Gegenstand strafrechtlicher Sanktion nicht im Rahmen der Aussagepflicht, sondern soll für den Fall einer positiven unwahren Aussage über diesen Rahmen hinausreichen, wenn es um einen sachlich erheblichen Punkt geht. Unabhängig von dieser Meinungsverschiedenheit ist es wichtig, dass man beständig die 24a Grenzen des Beweisgegenstandes im Auge hat und beachtet, dass für die rechtliche Beurteilung Wesentliches und Unwesentliches sowohl innerhalb wie außerhalb des Beweisthemas liegen kann und dass die vielleicht durchaus zutreffende Meinung, eine Tatsache sei für die im Prozess zu treffende Sachentscheidung unerheblich, den Zeugen zu der irrigen Meinung verleiten kann, sie liege damit auch außerhalb des Beweisthemas; zu diesen Irrtumsfragen siehe § 154 Rdn. 20 und Bruns GA 1960 161, 169 mit weiteren Nachweisen.
IX. Ausscheiden von Nebensächlichem, von nicht durch das Thema Erfasstem Schwierigkeiten können sich auch daraus ergeben, dass die Beweisfrage illustrandi causa mit 25 Nebensächlichkeiten „garniert“ ist,46 die mit der Sache nichts zu tun haben und gar nicht erfragt werden sollen (vgl. Schönke/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 15; Vormbaum NK § 153 43 BGHSt 1 22, 24; 2 90, 92; 3 221, 223 f; 7 127; RGSt 7 321, 322 f; 39 58, 61; 42 103, 104; 57 152 f. 44 KG JR 1978 77 m. Anm. Willms; Demuth NJW 1974 757, 758; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 15. 45 Rudolphi JR 1974 293 f; Zöller SK § 153 Rdn. 17; Lackner/Kühl/Heger § 154 Rdn. 6; Müller MK Rdn. 20; Otto JuS 1984 161, 164. 46 Vgl. OLG München NStZ 2010, 219, 220. 89
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Rdn. 38), wie etwa die jederzeit an Hand eines Kalenders zu berichtigende falsche Datengabe für einen bestimmten Feiertag. So etwas wird nicht dadurch zum Aussagegegenstand, dass es die Auskunftsperson bei ihrer Vernehmung gedankenlos nachspricht (vgl. RG JW 1938 2196, wo es darum ging, ob die Richtigkeit einer bestimmten Datumsangabe zum Gegenstand der Vernehmung gehörte, und RGSt 63 49, wo das strittige Geschäft im Beweissatz mit einem falschen Datum bezeichnet war). Hier kann es keinen Unterschied machen, von welcher Seite solche Nebensächlichkeiten in die Bekundung hineingebracht werden. Sie fließen insbesondere auch bei der Befragung von Zeugen durch Verfahrensbeteiligte ein, die sich etwas davon versprechen oder einfach die Neigung haben, sich über Nebendinge an den eigentlichen Gegenstand ihres Interesses heranzuarbeiten. Sie können auch ohne Einwirkung des Gerichts oder Verfahrensbeteiligter allein dadurch in die Aussage gelangen, dass der Zeuge sich aus falscher Gewissenhaftigkeit oder bloßer Geschwätzigkeit nicht auf die Beantwortung der Beweisfrage zu beschränken weiß (vgl. die von Bruns [GA 1960 161, 165 f] gegebenen Beispiele). 26 Es ist ein wesentlicher Zweck des Wortprotokolls, die in der Sicht des (etwaig durch Fragen erweiterten) Beweisthemas wichtigen Aussagen zu erfassen und ihre belanglosen Anhängsel auszuscheiden. Diese Aufgabe des vernehmenden Richters, die von ihm entgegengenommene Aussage bei der Fassung des Protokolls auf ihren eigentlichen Inhalt zu begrenzen – eine Möglichkeit, die das „Tonbandprotokoll“ verfehlen muss – verbindet sich aufs engste mit seiner Aufgabe, die Ausübung des Fragerechts der Beteiligten zu überwachen und in den Schranken zu halten, die einerseits von der Sache her zu wahren, andererseits mit Rücksicht auf die persönlichen Belange der Auskunftsperson zu beachten sind. Aber das im gekennzeichneten Sinne als nebensächlich Verstandene und deshalb außerhalb des Beweisthemas und der Wahrheitspflicht Liegende bleibt dies auch dann, wenn der vernehmende Richter es nicht aus der Aussage entfernt hat.47 Das Wortprotokoll ist nicht „konstitutiv“. Gegebenenfalls muss der Strafrichter das frühere Versäumnis beachten und verhindern, dass daraus eine Belastung des Beschuldigten erwächst. 27 Wo freilich durch eine missbräuchliche Frage Nebensächliches zum Beweisthema gemacht und damit unabhängig von seiner wirklichen Bedeutung erheblich wurde, ist nach dem Rdn. 23 Gesagten die Möglichkeit abgeschnitten, es als bloßes Beiwerk beiseite zu schieben. Hier konnte nur der Vernehmungsrichter Remedur schaffen, indem er die schon beantwortete Frage nachträglich zurückwies und damit zugleich die vorschnell gegebene oder gestattete Antwort nicht zum Bestandteil der noch unbeendeten Aussage werden ließ.48 Bei Vernehmungen vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen sollte man auch erfragte Nebensächlichkeiten ausscheiden, da hier die besonderen Absicherungen des gerichtlichen Verfahrens fehlen (Wagner GA 1976 257, 274). 28 Die in RGSt 61 429 in auffälliger Weise unerörtert gebliebene Frage, wie spontane Angaben des Zeugen über eine sachlich entscheidungserhebliche, aber außerhalb des Beweisthemas liegende und auch durch Befragung nicht zum Beweisthema gezogene Tatsache zu bewerten sind, ist durch die Rdn. 20 f und 24 behandelte Entscheidung BGHSt 25 244 unmissverständlich beantwortet worden: Sie fallen nicht unter die Wahrheitspflicht49 und können nur Gegenstand eines untauglichen Versuchs sein50 und führen zur vollendeten Tat erst, wenn sie eine Ergän47 Willms JR 1978 78, 79; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 15. 48 Vgl. dazu die bei Dallinger MDR 1953 401 angeführte und dort nicht näher bezeichnete Entscheidung BGH 2 StR 235/52 v. 8.5.1953; KG JR 1978 77, 78 m. Anm. Willms; ferner BGHSt 2 90, 92; BGH wistra 1991 264; RG HRR 1936 Nr. 1198; Zöller SK § 153 Rdn. 37; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 15; Lackner/Kühl/Heger § 154 Rdn. 6. 49 OLG Hamburg NJW 1981 237; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 15; Geppert Jura 2002 173, 175; Paulus GedS Küchenhoff 435, 452; Demuth NJW 1974 757; Wessels/Hettinger/Engländer BT 1 § 17 Rdn. 827; abweichend Lackner/ Kühl/Heger § 154 Rdn. 6; Zöller SK § 153 Rdn. 17 und JR 1974 293; Müller MK § 153 Rdn. 20; Otto Jus 1984 161, 164; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 75 Rdn. 27. 50 Abweichend Demuth NJW 1974 757, 758, der nur ein Wahndelikt annimmt. Vgl. ferner zu der Frage der Abgrenzung von untauglichem Versuch und Wahndelikt in derartigen Fällen: Roxin JZ 1996 981 ff. Wolters/Ruß
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X. Vernehmungsmängel
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zung der Beweisfrage bewirken und daraufhin bestätigt werden (BGH NStZ 1982 464).51 Vgl. auch den aufschlussreichen Fall einer Spontanäußerung in RG HRR 1940 Nr. 383, der dort schon die Qualifikation als Aussage abgesprochen, und die damit auf diesem Wege aus dem Tatbestand ausgeschieden werden konnte.
X. Vernehmungsmängel Eine Verneinung des Tatbestandes über den Begriff der Aussage erscheint auch als Mittel, Män- 29 gel der Vernehmung durchgreifend zu berücksichtigen. Hierfür sind vor allem Schneider (GA 1956 339), Rudolphi (GA 1969 129) und Zöller (SK § 153 Rdn. 32 ff) eingetreten.52 Aussagen, die nach dem Verfahrensrecht nicht verwertet werden dürfen, sollen nicht als tatbestandsmäßig angesehen werden. Eine Rechtspflege, die prozessordnungswidrig Beweise erhebe und verwerte, sei kein Schutzgut der §§ 153 ff. Mit der Rechtsprechung und der herrschenden Lehre ist grundsätzlich daran festzuhalten, 29a dass die Verletzung von Verfahrensvorschriften die Anwendung der Aussagetatbestände nicht ausschließt.53 Dies gilt nicht nur für Aussagen, die – für sich gesehen – korrekt gewonnen worden, bei denen aber Verfahrensvorschriften verletzt worden sind, die mit der Aussage selbst nichts zu tun haben (etwa bei einem Verstoß gegen § 258 Abs. 2 StPO oder bei Teilnahme eines nach § 22 StPO ausgeschlossenen Richters), sondern auch für Verfahrensverletzungen, die die (falsche) Aussage unverwertbar machen. Dies muss vor allem für die Fälle einleuchten, in denen das Gericht nicht sehenden Auges gegen diese Vorschriften verstoßen hat,54 in denen es am Ende gar über verfahrensrechtlich erhebliche, etwa ein Recht zur Verweigerung der Aussage begründende Umstände getäuscht worden ist, oder in denen der Verfahrensfehler bei der Vernehmung noch nicht erkennbar war (vgl. OLG Karlsruhe StV 2003 506 m. Anm. Müller), weil sich beispielsweise der Tatverdacht nach § 60 Nr. 2 StPO erst nach der Vereidigung ergeben hat (vgl. BGHSt 23 30; 27 74, 75 m. Anm. Lenckner JR 1977 74) oder die Eidesunfähigkeit nach § 60 Nr. 1 StPO erst nach der Vernehmung erkennbar geworden ist (vgl. BGHSt 22 266; OLG Frankfurt a. M. NStZ-RR 2001 299). Schutzgut der Aussagetatbestände ist nicht eine Rechtspflege von künstlicher Vollkommenheit, sondern die Rechtspflege in ihrer Realität, die als Menschenwerk naturgemäß nicht von Mängeln frei sein kann (KG JR 1978 77 f m. Anm. Willms; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 23).
1. Verneinung des Tatbestands in Grenzfällen Eine Ausnahme im Sinne der Verneinung des Tatbestandes ist nur für extreme Grenzfälle zu 30 machen, in denen wegen des verfahrensrechtlich falschen Vorgehens der Vernehmungsperson 51 Weitere Nachweise bei Katzenberger/Pitz ZIS 2009, 659, 661 f. 52 Im Ergebnis ebenso: Hruschka/Kässer JuS 1972 709, 711; Geppert Jura 1988 496, 498; 2002 173, 175; Dedes GedS Schröder 335; jedenfalls bei gravierenden Verstößen (§ 69 StPO) auch Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 22 f; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 6 jeweils m. w. N.; Müller MK § 153 Rdn. 27 ff, 30 (Schutzzwecktheorie); ferner Bruns GA 1960 161, 178; einschränkend auf Fälle, in denen das Gericht die Möglichkeit hatte, die Unverwertbarkeit der Aussage zu erkennen: Otto JuS 1984 161, 165 und Grundkurs Strafrecht BT § 97 Rdn. 28 f; Vormbaum Schutz des Strafurteils S. 267 ff, 269 und NK § 153 Rdn. 26 ff, 32 ff; Vormbaum § 153 Rdn. 26 ff; vgl. auch BGH StV 1996 409; 187. Weitere Nachweise bei Katzenberger/Pitz ZIS 2009 659, 662 f. 53 BGHSt 8 186; 10 142, 143; 16 232, 235; 17 128, 133 ff; BGH LM StGB § 154 Nr. 5; NStZ 2005 33; RGSt 36 278, 296; 62 147, 148 f; 70 366; KG JR 1978 77, 78 m. Anm. Willms; OLG Köln NJW 1988 2485, 2486; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1996 137, 138; Fischer § 153 Rdn. 14; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 6; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 23; Maurach/ Schroeder/Maiwald BT 2 § 75 Rdn. 23; Paulus GedS Küchenhoff 435, 453. 54 Vgl. insoweit auch OLG Frankfurt NStZ-RR 2001 299; OLG Karlsruhe StV 2003 506 m. Anm. Müller; Otto JuS 1984 161, 164 und Grundkurs Strafrecht BT § 97 Rdn. 28 f; Vormbaum Schutz des Strafurteils S. 267, 269 und NK § 153 Rdn. 32 ff. 91
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Vorbemerkungen zu den §§ 153 ff
nicht mehr von einer freien Mitteilung eigenen Wissens gesprochen werden kann, wie sie zum Wesen der Aussage gehört (OLG Köln NJW 1988 2485, 2486). Zu denken ist hier einmal an Fälle, in denen gegen § 136a StPO verstoßen worden ist, zum anderen an eine Missachtung der Regeln der §§ 69 StPO, 396 ZPO, die so weit geht, dass es sich nur noch um die widerwillige oder willenlose Hinnahme eines fremden Diktats gehandelt hat, allgemein an Aussagen, die unter offensichtlicher Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze erlangt worden sind (Sch/Schröder/ Bosch/Schittenhelm Rdn. 23).55 Die Grenze ist hier, wie die etwas gequälten Darlegungen in RGSt 65 273 zeigen, im Einzelfall häufig schwer zu ziehen. Die – entgegen der Regelung in § 69 StPO, § 396 ZPO – erfolgte Beschränkung auf eine bloße Bestätigung einer früheren Aussage, die der Aussageperson vorgelesen wird (vgl. BGHSt 16 232), sollte jedenfalls dann noch hingenommen werden, wenn die frühere (verlesene) Aussage in einer korrekten Vernehmung zustande gekommen war oder wenn ein von der Aussageperson selbst zu diesem Zweck verfasstes Schriftstück auf deren ausdrücklichen Wunsch zum Gegenstand der Aussage gemacht worden ist (vgl. § 153 Rdn. 4a). – Zur Frage der Tatbestandserfüllung des § 154, wenn entgegen § 60 Nr. 1 StPO ein Eidesunmündiger vereidigt worden ist, vgl. § 154 Rdn. 10. 30a Auf jeden Fall ist bei verfahrensrechtlich unkorrekten Vernehmungen der inneren Tatseite besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Der Verfahrensverstoß kann die Ursache eines Irrtums geworden sein, der für die Anwendung des sachlichen Rechts bedeutsam ist.
2. Bedeutung der Strafzumessung 31 Lassen verfahrensfehlerhaft zustande gekommene Falschaussagen deren Strafbarkeit – von den in Rdn. 30 erwähnten Ausnahmefällen abgesehen – grundsätzlich unberührt, so ist es in Rechtsprechung und Lehre anerkannt, dass die Strafzumessung nicht an Verfahrensverstößen vorbeigehen darf, zu denen es bei der Vernehmung gekommen ist.56 Sie müssen erörtert und immer dann zu Gunsten des Verurteilten berücksichtigt werden, wenn ihre Einwirkung auf den Tatvorgang nicht auszuschließen ist. Die vom Staat mit der Inpflichtnahme der Aussageperson verlangte Leistung zu Gunsten der Rechtspflege fordert diese „Gegenleistung“. Sie entspricht einem Gebot der Gerechtigkeit (BGHSt 17 128, 136). Eine Berücksichtigung ist nicht angebracht, wenn eine Einwirkung des Verfahrensverstoßes auf den Tatvorgang nicht zu besorgen ist, etwa wenn ein fälschlicherweise nicht über sein Zeugnis- oder Aussageverweigerungsrecht belehrter Zeuge auch bei erfolgter Belehrung so (wie geschehen) ausgesagt hätte.57 Bleibt im Übrigen ein Hindernis für die Vereidigung unbeachtet, so ist dies auch dann zu berücksichtigen, wenn der Vernehmende hiervon keine Kenntnis hatte oder haben konnte (BGHSt 23 30, 32).58 Bei krassen 55 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 23; vgl. ferner Lackner/Kühl/Heger Rdn. 6; Paulus GedS Küchenhoff 435, 453. 56 BGHSt 8 186, 189 f; 17 128, 131, 133 ff; 23 30, 32; 27 74; BGH LM StPO § 52 Nr. 8; BGH bei Dallinger MDR 1953 18, 19; GA 1959 176; BGH bei Holtz MDR 1977 983 im Falle der Nichtbelehrung über ein Weigerungsrecht nach § 384 Nr. 2 ZPO, obwohl die Belehrung hier nur ein nobile officium ist; BGH NStZ 1981 268 f; 1984 134; StV 1982 521; 1986 341; 1987 195, 196; 1988 427; 1995 249; wistra 1987 22, 23; 1993 258; NStZ 1991 280; NJW 1992 1054, 1055; wistra 1999 261; NStZ 2005 34; OLG Hamm MDR 1977 1034; NStZ 1984 551; OLG Stuttgart NJW 1978 711, 712; OLG Hamburg JR 1981 158 m. Anm. Rudolphi; OLG Köln NJW 1988 2485, 2487; OLG Karlsruhe MDR 1993 368, 369; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1996 136, 137; OLG Frankfurt a. M. NStZ-RR 2001 299; OLG Karlsruhe StV 2003 506 m. Anm. Müller; AG Rudolstadt StV 2016, 575; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 24; Fischer § 154 Rdn. 19 und § 153 Rdn. 14; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 6 und § 154 Rdn. 16; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 75 Rdn. 23; vgl. auch Vormbaum NK § 154 Rdn. 54; Zöller SK § 154 Rdn. 12 und JR 1981 160, 162; sowie Müller MK § 154 Rdn. 43 und § 153 Rdn. 115. 57 BGH NJW 1958 1832; JR 1981 248 m. Anm. Bruns; BGH NStZ 1991 280; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 24; Lackner/Kühl/Heger § 154 Rdn. 16. 58 BGHSt 27 74, 75; NStZ 1981 268, 269; 1988 497; StV 1986 341; 1987 195, 196; 1995 249; wistra 1993 258; OLG Hamm MDR 1977 1034; insoweit noch and. BGHSt 19 113; wie hier auch: Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 24; Vormbaum NK § 154 Rdn. 54; Zöller SK § 154 Rdn. 12; Krümpelmann/Hensel JR 1987 39, 40. Wolters/Ruß
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X. Vernehmungsmängel
StGB Vor § 153
Unkorrektheiten wird, vor allem wenn nur eine Fahrlässigkeitstat in Betracht kommt, die Einstellung des Verfahrens nach § 153 StPO naheliegen. Es erscheint als Mangel des geltenden Rechts, dass es das Absehen von Strafe (§ 157) nicht auf diese Fälle ausgedehnt hat. Nach BGHSt 27 74, 75 (auch BGHSt 19 113, 115) soll diese Strafmilderung Anstiftern und Gehilfen ebenso wie in den Fällen des § 157 (vgl. dort Rdn. 3) nicht zugutekommen. Dem ist Lenckner (JR 1977 74, 77) entgegengetreten. Er betont, dass der Verfahrensmangel als rein tatbezogener Milderungsgrund auch dem Teilnehmer zugutekommen müsste und dass nur die Zwangslage, in der sich der Täter befunden hat, als besonderer selbständiger Milderungsgrund anzusehen ist, der nicht zu Gunsten des Teilnehmers wirken kann.59
59 Ebenso Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 24; Krümpelmann/Hensel JR 1987 39, 40; Zöller SK § 154 Rdn. 12. 93
Wolters/Ruß
§ 153 Falsche uneidliche Aussage Wer vor Gericht oder vor einer anderen zur eidlichen Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen zuständigen Stelle als Zeuge oder Sachverständiger uneidlich falsch aussagt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
Schrifttum Siehe vor § 153.
Entstehungsgeschichte Die Strafwürdigkeit der heute anstelle der 1933 hinfällig gewordenen Strafbestimmung über den falschen Parteieid an der Spitze des Abschnitts stehenden falschen uneidlichen Aussage war lange Zeit umstritten. Das RStGB war dem preußischen Vorbild gefolgt, als es im Gegensatz zu der Regelung in anderen deutschen Einzelstaaten auf einen entsprechenden Tatbestand verzichtete. Erst die StrafrechtsangleichungsVO vom 29.5.1943 (RGBl. I 339) nahm die Vorschrift nach dem Vorbild des österreichischen Rechts in das StGB auf (dazu Näheres bei Rietzsch DStR 1943 97, 105). Durch das dritte StRÄndG vom 4.8.1953 (BGBl. I 735) wurde der damals geltende Absatz 2, der eine besondere Strafdrohung für den Versuch enthielt, gestrichen und damit der Versuch (des Vergehens) straflos gestellt. Das EStGB 1974 (Art. 19 II Nr. 60) beseitigte die besondere Mindeststrafdrohung von einem Jahr für schwere Fälle. Die Bedeutung des § 153 für den Strafprozess hat in der Praxis durch die Regelung, die § 59 StPO durch das erste Justizmodernisierungsgesetz vom 24.8.2004 (BGBl. I 2198) erfahren hat (Wegfall der obligatorischen Vereidigung im Strafverfahren und Festlegung der uneidlichen Vernehmung als Regelfall), zugenommen; im Übrigen ist die Vorschrift vor allem für den Zivilprozess bedeutsam (Sch/ Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 1). Erwähnenswert ist noch, dass der Vorschrift im Jahre 2001 ein Absatz 2 angefügt worden ist, wonach „einer der in Absatz 1 genannten Stellen (…) ein Untersuchungsausschuss eines Gesetzgebungsorgans des Bundes oder des Landes gleich“ steht (BGBl. I 1142); diese Regelung ist im Jahre 2008 wieder gestrichen (BGBl. I 2149), ihr Gehalt in den heutigen § 162 Abs. 2 überführt worden (s. dazu Brocker JZ 2011 716, 716 f). Zur geschichtlichen Entwicklung s. die Erläuterungen vor § 153 sowie Vormbaum NK Rdn. 2 und Müller MK Rdn. 3.
Übersicht I.
Verhältnis von § 153 zu § 154
1
II.
Falsche Aussage
III.
Aussage vor Gericht oder einer anderen zur eidlichen Vernehmung von Zeugen oder Sachver5 ständigen zuständigen Stelle
VI.
2
IV.
Aussage als Zeuge oder Sachverständiger
V.
Tatvollendung
Wahlfeststellung
VII. Innerer Tatbestand
9
14 15
16
VIII. Teilnahme 17
IX.
Strafe
X.
Zusammentreffen
18
11
I. Verhältnis von § 153 zu § 154 1 Das Verhältnis der falschen uneidlichen Aussage des § 153 StGB zum nachfolgenden Meineid des § 154 StGB wurde schon in der sechsten bzw. siebten Auflage des LK als das des Grunddelikts in § 153 StGB zum erschwerten (qualifizierten) Falle in § 154 verstanden. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs teilte diese Auffassung lange Zeit nicht.1 Erst der Beschluss des Großen
1 BGHSt 1 241, 243; 1 380, 381; 2 233; 4 244, 247; 5 44; 7 186, 187. Wolters/Ruß https://doi.org/10.1515/9783110490107-013
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II. Falsche Aussage
StGB § 153
Senats vom 24.10.1955 (BGHSt 8 301) schloss sich ihr an. Eine abweichende Meinung wird jetzt nicht mehr vertreten. Vgl. auch vor § 153 Rdn. 1; ferner Fischer § 154 Rdn. 22; Müller MK Rdn. 1.
II. Falsche Aussage Der Grundtatbestand der Vorschrift liegt in den Worten, dass der Täter falsch aussagt. Hierzu kann im Wesentlichen auf das in den Vorbemerkungen (vor § 153 Rdn. 8 ff) Gesagte verwiesen werden.2 Ergänzend sei angefügt: Die Tatbegehung durch Verschweigen dogmatisch im Sinne des unechten Unterlassungsdelikts verstehen zu wollen, wäre verfehlt.3 Auch die durch Verschweigen wesentlicher Punkte unvollständige Aussage ist eben eine falsche Aussage; denn die Offenbarung des Verschwiegenen würde die Bedeutung des Erklärten verändern oder beeinträchtigen (vgl. KG JR 1966 189; Vormbaum NK Rdn. 97 f). Zum Gegenstand der Vernehmung gehörende Tatsachen darf ein Zeuge auch dann nicht verschweigen, wenn er nicht ausdrücklich danach gefragt worden ist. Steht ihm insofern ein Aussageverweigerungsrecht zu, muss er sich darauf berufen;4 tut er es nicht, verletzt er durch Verschweigen seine Wahrheitspflicht (BGHSt 7 127; OLG Zweibrücken wistra 1993 231; Lackner/Kühl/Heger § 154 Rdn. 4; Fischer Rdn. 6). Aussagegegenstand sind beim Zeugen immer auch die Angaben zur Person,5 einschließlich der Angaben über den aktuell ausgeübten Beruf.6 Dagegen soll sich beim Sachverständigen die Auskunftspflicht nicht auf Angaben zur Person erstrecken (RGSt 20 235). Zu den im genannten Sinne wesentlichen Tatsachen, durch deren Nichtangabe der Zeuge seine Wahrheitspflicht verletzt, gehört es ferner, dass die Auskunftsperson die Quellen ihres Wissens aufdeckt, also insbesondere zum Ausdruck bringt, was auf eigener Wahrnehmung und Erinnerung beruht und was nur vom Hörensagen mitgeteilt werden kann (BGH LM StGB § 3 Nr. 2; OLG Bremen NJW 1960 1827). Fremde Wahrnehmungen dürfen nicht als eigene ausgegeben werden. Der Zeuge darf nichts „färben“ oder irreführend qualifizieren.7 Doch muss der Strafrichter sehr darauf achten, ob nicht Unerfahrenheit des Vernommenen und Ungeschick oder Flüchtigkeit des Vernehmenden im Zusammenwirken den Anschein einer Falschaussage zustande gebracht haben (vgl. vor § 153 Rdn. 17 f). Bei der Prüfung, ob ein Verstoß gegen die Offenbarungspflicht durch Verschweigen vorliegt, ist zu beachten, dass der Zeuge nicht verpflichtet ist, die Aussichten des Verfahrens, wie sie vom Standpunkt des erkennenden Richters zu beurteilen sind, in seine Überlegungen einzubeziehen.8 Kein Verschweigen im Sinne der Aussagedelikte ist es ferner, wenn nicht der Eindruck erweckt wird, die Aussage sei vollständig, sondern wenn der Aussagende sich – sei es berechtigt oder unberechtigt – weigert, überhaupt Angaben zu machen oder gestellte Fragen zu beantworten.9 Bei der Frage, ob das Tatbestandsmerkmal „falsch aussagen“ die Abgabe von mündlichen Bekundungen verlangt oder ob auch schriftliche Aussagen tatbestandserfüllend sein können, ist davon auszugehen, dass das Gesetz grundsätzlich eine mündliche Aussage voraussetzt.10 Der Tatbestand des § 153 schließt zwar den Fall ein, dass der Sprachbehinderte sich im Gegenüber 2 S. auch hier Vgl. Hettinger/Bender JuS 2015, 577, 578 f. 3 Zöller SK § 153 Rdn. 35 ff; Mückenberger AnwK Rdn. 15; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4; Fischer Rdn. 10; Müller MK Rdn. 9; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm vor § 153 Rdn. 16; SSW/Sinn Rdn. 6; Vormbaum NK Rdn. 97 f; Schmidhäuser FS OLG Celle 207, 211; Voscherau Unerhebliche falsche Zeugenaussage S. 113 ff. 4 Teilweise abweichend Müller MK Rdn. 57. 5 BGHSt 4 214; RGSt 2 44, 46; 60 407, 408. 6 BGH AnwBl. 1964 52: Ein in der Anwaltsliste gelöschter Rechtsanwalt bezeichnet sich weiter als „Rechtsanwalt“. 7 BGH bei Dallinger MDR 1953 596, 597; BGH JR 1960 382; BGH bei Holtz MDR 1990 294; BGH 4 StR 85/53 v. 14.1.1954. 8 BGH 4 StR 484/56 v. 13.12.1956. 9 OLG Zweibrücken wistra 1993 231, 232; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm vor § 153 Rdn. 17; Zöller SK vor § 153 Rdn. 36; Müller MK Rdn. 9. 10 OLG München MDR 1968 939; Zöller SK Rdn. 4; Vormbaum NK Rdn. 7; Fischer Rdn. 3; Müller MK Rdn. 8; SSW/ Sinn Rdn. 6; Otto JuS 1984 161, 166. 95
Wolters/Ruß
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3
4
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§ 153 StGB
Falsche uneidliche Aussage
zu dem Vernehmenden mit schriftlichen Notizen verständlich macht (§ 186 GVG), er erfasst jedoch nicht den Fall, dass die mündliche Aussage im Ganzen durch eine schriftliche Erklärung ersetzt wird (OLG München MDR 1968 939 für den Fall schriftlicher Begutachtung, obwohl § 411 ZPO eine solche ausdrücklich zulässt). Demgegenüber wird von Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm (vor § 153 Rdn. 22; vgl. auch Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 75 Rdn. 35) die Auffassung vertreten, dass auch eine schriftliche Äußerung dem Tatbestand unterfalle, sofern die Prozessgesetze die Abgabe schriftlicher Erklärungen gestatten.11 Jedoch ist zu beachten, dass der Gesetzgeber, als er den Fall der falschen uneidlichen Aussage unter Strafe stellte, damit an das Tatbild der immer nur im Rahmen einer Vernehmung stattfindenden eidlichen Aussage anknüpfte und nur eine bei der Vernehmung gemachte Aussage erfassen wollte. Nur bei ihr können durch Vorhalte und Rückfragen Missverständnisse und Widersprüche geklärt und nach Möglichkeit ausgeräumt werden. Die persönliche Anwesenheit des Aussagenden vor Gericht bildet die natürliche Voraussetzung für eine sich möglicherweise anschließende Vereidigung. In diesem Rahmen hält es sich auch noch, wenn der Vernehmende in Nichtbeachtung des § 396 ZPO vom Zeugen eine als seine Aussage überreichte schriftliche Erklärung entgegennimmt, die verlesen wird.12 Soweit von der Gegenmeinung noch § 256 StPO und § 377 ZPO angeführt werden, ist außerdem darauf hinzuweisen, dass im Falle des § 256 StPO nicht eine natürliche Person in eigener Verantwortung wie der Zeuge und der Sachverständige, sondern eine öffentliche Behörde als Zeugnisgeber auftritt, und dass § 377 ZPO nur unter eidesstattlicher Versicherung abgegebene schriftliche Erklärungen als Ersatz der mündlichen Aussage gelten lässt.
III. Aussage vor Gericht oder einer anderen zur eidlichen Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen zuständigen Stelle 5 Die falsche Aussage muss, um strafbar zu sein, vor Gericht oder vor einer anderen zur eidlichen Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen zuständigen Stelle gemacht werden. Es genügt also nicht eine falsche Aussage als Zeuge oder Sachverständiger vor einer beliebigen Amtsperson. Gerichte sind alle mit Richtern besetzten Organe der Rechtsprechung im Sinne der Art. 92 ff 5a GG, also insbesondere die Zivil-, Straf- Arbeits- und die allgemeinen und besonderen Verwaltungsgerichte, auch die Dienststrafgerichte, dagegen nicht die privaten Schiedsgerichte nach den §§ 1025 ff ZPO (Rietzsch DStR 1943 97, 108). Aussagen im Rahmen einer von einem Rechtspfleger durchgeführten Vernehmung sind nicht vor einem Gericht im Sinne des § 153 gemacht. Zwar nimmt der Rechtspfleger bei ihm nach §§ 3, 4 RpflG übertragenen Aufgaben richterliche Geschäfte wahr, doch werden von § 153 nur Aussagen erfasst, die vor einer zur eidlichen Vernehmung zuständigen Stelle gemacht werden, und diese Voraussetzung auch bei dem Gericht vorliegen muss, vor dem die Angaben gemacht werden;13 dies ist bei Aussagen vor dem Rechtspfleger nicht der Fall. In welcher Lage sich das Verfahren befindet, ist gleichgültig. Strafbar ist deshalb die in einem strafprozessualen Vorverfahren vor einem Richter gemachte falsche Aussage eines Zeugen oder Sachverständigen ebenso wie im Hauptverfahren, insbesondere der Hauptverhandlung, ferner im Erkenntnisverfahren und im Vollstreckungsverfahren des Zivilprozesses, auch im Prozesskostenhilfeverfahren (OLG Frankfurt NJW 1952 902), schließlich auch im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (vgl. hierzu jedoch Rdn. 10b). 11 Weitergehend H. Wagner GA 1976 257, 272, der die Abgabe einer schriftlichen Erklärung vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen stets für ausreichend ansieht. 12 Vgl. BGHSt 16, 232 mit weiterem Nachweis. 13 Zöller SK Rdn. 40; Vormbaum Schutz des Strafurteils S. 151 und NK Rdn. 46; Fischer Rdn. 8; Ostendorf JZ 1987 335, 337; abweichend OLG Hamburg NJW 1984 935 für eine in einem Verfahren nach § 75 KO vor einem Rechtspfleger gemachte Aussage; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; Müller MK Rdn. 62 f; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 75 Rdn. 32. Wolters/Ruß
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IV. Aussage als Zeuge oder Sachverständiger
StGB § 153
Gleichgestellt ist dem Gericht jede andere zur eidlichen Vernehmung zuständige Stelle. Da- 6 mit scheiden namentlich Polizei und Staatsanwaltschaft als Adressaten unter § 153 fallender Vernehmungen aus, auch alle Amtspersonen, die, wie der zur Eidesabnahme nicht zugelassene Rechtspfleger (§ 4 Abs. 2 Nr. 1 RPflG),14 nur eidesstattliche Versicherungen (§ 156) abnehmen dürfen. Durch OLG Hamburg NJW 1953 476 ist die Qualifikation ausdrücklich für die Spruchausschüsse der Arbeitsämter verneint worden. Dagegen trifft sie zu für Prüfungsstellen des Patentamts (§ 46 PatG); zur Reichweite des § 25 BDG s. OLG Karlsruhe NStZ-RR 2012, 11. Durch § 162 in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie vom 31.10.2008 (BGBl. I 2149) ist klargestellt,15 dass § 153 auch auf falsche Angaben in einem Verfahren vor einem internationalen Gericht bzw. vor einem Untersuchungsausschuss eines Gesetzgebungsorgans des Bundes oder eines Landes anwendbar ist.16 Gerichte fremder Staaten und nach fremdem Recht zur Abnahme von Eiden zuständige 7 Amtsstellen solcher Staaten sollen nach BGH LM StGB § 3 Nr. 2 unter die Vorschrift fallen, wenn ein Deutscher durch die falsche Aussage benachteiligt wird (ebenso OLG Düsseldorf NJW 1982 1242, 1243).17 Dem kann nur gefolgt werden, wenn man als Zweck der Aussagetatbestände auch den Schutz der durch die Falschaussage betroffenen Personen ansieht (vor § 153 Rdn. 6). Steht nur die Rechtspflege als Schutzgegenstand im Auge, so kommen einzig die vor § 153 Rdn. 3 behandelten Fälle in Betracht (Müller MK vor § 153 Rdn. 21 ff; Vormbaum NK vor § 153 Rdn. 31 ff). Außer den von Werle/Jeßberger (LK vor § 3 Rdn. 302 ff) angeführten Einrichtungen wären hier auch die Gerichte der im Inland stationierten verbündeten Truppen zu nennen.18 Für falsche Angaben, die in einem Verfahren vor einem internationalen Gericht gemacht worden sind, gilt § 162 (vgl. dazu die Erläuterungen zu § 162). Wird die Aussage vor einer Person gemacht, die für das Gericht fungiert, ohne Träger richterli- 8 cher Funktionen zu sein, so fehlt es am Tatbestand (RGSt 60 25; 65 206). Dagegen kann es ihn nicht ausschließen, dass der Richter nach prozessualen Vorschriften sein Amt in der betreffenden Sache nicht ausüben durfte (BGHSt 3 235; 10 142). Diese Grundsätze sind entsprechend zu beachten, soweit es um Aussagen vor anderen zur Abnahme von Eiden befugten Stellen geht. Bei parlamentarischen Untersuchungsausschüssen ist es wesentlich, dass die mit der Untersuchung bezweckte Aufklärung allgemein zulässig ist, sich also im Rahmen des Untersuchungsauftrags hält. Tut sie das nicht, so ist der Untersuchungsausschuss keine „zur eidlichen Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen zuständige Stelle“ (H. Wagner GA 1976 257, 271).
IV. Aussage als Zeuge oder Sachverständiger Als Zeuge oder Sachverständiger muss der Täter ausgesagt haben (s. dazu vor § 153 Rdn. 16 ff). 9 Auf Parteivernehmungen nach § 445 ZPO erstreckt sich der Tatbestand nicht. Ob Dolmetscher als Sachverständige anzusehen sind, ist zweifelhaft. Im Schrifttum wird die Frage überwiegend verneint19 und infolgedessen auch eine Anwendung des Tatbestandes auf Dolmetscher abge14 Abweichend für Aussagen, die der Rechtspfleger im Rahmen von ihm übertragenen richterlichen Geschäften entgegennimmt: Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; Müller MK Rdn. 63. 15 Zur davor geltenden Rechtslage s. die Nachweise bei Brocker JZ 2011, 716, 717. 16 BGHSt 17 128; W. Wagner NJW 1960 1936; H. Wagner GA 1976 257, bei dem unter Fn. 12 die einschlägigen Vorschriften der Landesverfassungen zusammengestellt sind; ferner OLG Köln NJW 1988 2485; OLG Koblenz StV 1988 531; Kohlmann JA 1984 670; krit. Vormbaum NK Rdn. 52 sowie JZ 2002 170; ferner Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; Müller MK Rdn. 65 ff. 17 Ablehnend Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 69 Rdn. 9. 18 Nato-Truppenstatut vom 19.6.1951 i. V. m. Zusatzabkommen vom 3.8.1959 (BGBl. 1961 II 1190, 1218); vgl. auch Zöller SK vor § 153 Rdn. 4; Lackner/Kühl/Heger vor § 153 Rdn. 2; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 69 Rdn. 9. 19 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4a; Vormbaum NK Rdn. 3 und Schutz des Strafurteils S. 243 ff; Fischer Rdn. 9; SSW/Sinn Rdn. 14; Meyer-Goßner/Schmitt § 185 GVG Rdn. 7. 97
Wolters/Ruß
§ 153 StGB
Falsche uneidliche Aussage
lehnt. BGHSt 4 154 geht zwar davon aus, dass der vereidigte Dolmetscher, der bewusst unrichtig überträgt, einen Meineid begeht, doch wird auch in dieser Entscheidung der Dolmetscher nicht als Sachverständiger angesehen, sondern lediglich eine Ähnlichkeit in der prozessualen Stellung festgestellt, die es rechtfertige, den Eid des Dolmetschers ebenso wie den des Sachverständigen zu beurteilen. Aus § 191 GVG kann gefolgert werden, dass das Gesetz den Dolmetscher nicht als Sachverständigen ansieht. Er wird lediglich in mancher Beziehung (etwa gebührenrechtlich) wie ein solcher behandelt (vgl. auch OLG Koblenz VRS 47 353, 354); die Vorschriften über Ausschließung und Ablehnung der Sachverständigen sind auf ihn entsprechend anzuwenden (§ 191 GVG). Er ist, wie Meyer-Goßner/Schmitt (§ 185 GVG Rdn. 7) zutreffend bemerkt, ein Beteiligter eigener Art. Die Vorschrift des § 153 kann auf ihn daher keine Anwendung finden; zur Anwendung des § 154 vgl. dort Rdn. 5. – Weder Zeuge noch Sachverständiger sind nach dem Oberlandesgericht Karlsruhe die regierungsamtlichen Berichtspersonen, die in mündlichen Verhandlungen vor dem Bundesverfassungsgericht als Aufklärungshilfe dienen, indem sie dort aus eigener Kenntnis Einzelheiten über die Praxis von Behörden und Parlamenten wiedergeben (OLG Karlsruhe JR 1997 299, 301 mit kritischer Anmerkung Kindhäuser und Anmerkung Kunert NStZ 1996 282; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4a; Fischer Rdn. 9). 9a Auf unverlangte Äußerungen und formlose Informationen erstreckt sich der Tatbestand nicht, sofern diese Angaben vom Vernehmenden nicht nachträglich zum Aussagegegenstand gemacht worden sind (vor § 153 Rdn. 19 ff). Das gilt auch für spontane Zwischenrufe, die ein im Gerichtssaal anwesender Zeuge außerhalb seiner Vernehmung macht (vgl. vor § 153 Rdn. 28; ferner RG HRR 1940 Nr. 383). Werden im Rahmen des Freibeweises Tatsachen erfragt, so kann dies formlos geschehen, ohne dass damit eine Zeugenrolle des Befragten begründet wird (vgl. Willms Festschrift Heusinger 393, 397, 400; Vormbaum NK Rdn. 24). Wenn ein Zeuge eine falsche gutachtliche Äußerung abgibt oder umgekehrt ein Sachverständiger falsche Tatsachen bekundet, so kann dies tatbestandsmäßig sein (RGSt 55 183, 184; Müller MK Rdn. 7), sofern der betreffende Punkt verfahrensrechtlich Gegenstand der Aussage geworden ist (vgl. vor § 153 Rdn. 19 ff). 10 Auf Aussagen eines (Mit-)Beschuldigten ist § 153 nicht anwendbar. Doch schließt die Tatbeteiligung als solche, wie den §§ 55, 60 Nr. 2 StPO zu entnehmen ist, die Zeugenrolle und damit auch die Anwendbarkeit des § 153 nicht aus. Die Entscheidung, ob ein Beteiligter Zeuge sein kann, richtet sich nach dem sog. formellen Beschuldigtenbegriff (BGHSt 38 302, 306). In einem gegen ihn selbst gerichteten Verfahren scheidet die Zeugenrolle für einen Beschuldigten aus, nicht aber in einem von vorneherein oder nach Abtrennung getrennt geführten Verfahren gegen einen Mitbeschuldigten,20 da es dann an der prozessualen Gemeinsamkeit der Verfahren fehlt. Ein dem „beschuldigten“ Zeugen zustehendes Aussageverweigerungsrecht steht dann einer Bestrafung nicht entgegen, wenn er von diesem keinen Gebrauch macht. Die Staatsanwaltschaft als Herrin des Ermittlungsverfahrens kann einen der Tat oder der Teilnahme an ihr Verdächtigen aber nicht willkürlich in die Rolle eines Zeugen drängen, um ihn womöglich sogar dem Eideszwang auszusetzen. In einem solchen Fall tritt der Tatbeteiligte von vorneherein nicht in die Zeugenrolle ein, seine Aussage bleibt die eines Beschuldigten, § 153 ist unanwendbar (BGHSt 10 8, 11).21 Aus diesem Grunde ist es nicht statthaft und beseitigt die Beschuldigtenrolle nicht, wenn bei einem Verfahren gegen mehrere Angeklagte das Verfahren gegen einen von ihnen vorübergehend zu dem Zweck abgetrennt wird, um ihn wegen des zugleich gegen ihn selbst erhobenen Vorwurfs als Zeugen zu vernehmen (BGH JR 1969 148 mit Anmerkung von Gerlach). Umgekehrt bedarf es nach BGH NJW 1964 1034 (Anmerkung von Gerlach NJW 1964 2397) jedoch der Abtrennung, wenn ein Mitangeklagter zu einem nur den anderen Angeklagten, nicht ihn selbst treffenden Anklagevorwurf als Zeuge gehört werden soll. Dem setzt von Gerlach mit Recht entgegen, dass ein Angeklagter in Punkten, deretwegen er nicht angeklagt ist und das Verfahren 20 BGHSt 10 8, 11 f; 10 186, 188; 18 238, 240; 27 139; BGH StV 1984 361 m. krit. Anm. Prittwitz und Montenbruck JZ 1985 976; Zöller SK Rdn. 38; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4a; Müller MK Rdn. 6; Vormbaum NK Rdn. 25; krit. auch Ostendorf JZ 1987 335, 337. 21 Ebenso Zöller SK Rdn. 38; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4a; Vormbaum NK Rdn. 25; Müller MK Rdn. 6. Wolters/Ruß
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V. Tatvollendung
StGB § 153
nicht eröffnet wurde, sich nicht in der Angeklagtenrolle befindet und deshalb insoweit auch ohne Abtrennung seines Verfahrens Zeuge sein könnte. Bei Vernehmung durch parlamentarische Untersuchungsausschüsse hängt es von der dem 10a Ausschuss gestellten Aufgabe ab, welche Rolle der gehörten Person nach dem Gegenstand des Untersuchungsauftrags zukommt (BGHSt 17 128; H. Wagner GA 1976 257, 265 ff; Zöller SK Rdn. 38). Im Übrigen s. § 162 Abs. 2. Beteiligte in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit können nicht als Zeugen behandelt 10b und vernommen werden (BGHSt 12 56; OLG Hamm NStZ 1984 551; Zöller SK Rdn. 38; Müller MK Rdn. 4; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4).
V. Tatvollendung Vollendet ist die Tat mit dem Abschluss der sich unter Umständen über mehrere Termine erstre- 11 ckenden Vernehmung, die ganz verschiedene Tatkomplexe zum Gegenstand haben kann (BGHSt 4 172, 177; 8 301, 314). Dieser tritt ein, wenn der vernehmende Richter, auch der ersuchte Richter (OLG Schleswig GA 1956 394), die Vernehmung im gegenwärtigen Rechtszug des Verfahrens als endgültig abgeschlossen ansieht, in der Regel also wenn eine Beantwortung von Fragen und eine Äußerung auf etwaige Vorhalte von dem Zeugen nicht mehr erwartet wird. Ein Anzeichen hierfür war im Strafprozess vor Inkrafttreten des ersten Justizmodernisierungsgesetzes vom 24.8.2004 vor allem die Vereidigung des Zeugen oder die Beschlussfassung über die Vereidigung. Nachdem durch die Änderung des § 59 StPO durch das genannte Gesetz die uneidliche Vernehmung zum Regelfall und damit eine Beschlussfassung über die Vereidigung in vielen Fällen nicht mehr deutlich erkennbar geworden ist, ist der Abschluss der Vernehmung aus den sonstigen Umständen zu entnehmen, etwa aus einer entsprechenden Erklärung des Vernehmenden oder aus der vorbehaltlosen Entlassung des Zeugen. Zu eng erscheint es jedoch, wenn es als Beendigung angesehen werden sollte, dass der Richter den Zeugen Platz nehmen lässt oder sich einem anderen Zeugen zuwendet, ohne die Möglichkeit einer Fortsetzung der Vernehmung erkennbar zu machen.22 Ob der Zeuge selbst seine Vernehmung als abgeschlossen ansieht, ist gleichgültig.23 Ist die Vernehmung abgeschlossen, wird der Zeuge aber in einem späteren Abschnitt der Hauptverhandlung noch einmal vernommen und nunmehr vereidigt, so umfasst die Vereidigung grundsätzlich die gesamte bisherige Aussage des Zeugen (BGHSt 48 221, 232). Die bisherige uneidliche Falschaussage wird vom Tatbestand des § 154 aufgezehrt (BGH StV 1990 404; Rdn. 13). Berichtigt der Zeuge jedoch vor der nachgeholten Vereidigung seine Aussage, so kann er damit den in der früheren Vernehmung erfüllten Tatbestand des § 153 nicht mehr ausräumen, es bleibt bei der in der abgeschlossenen Vernehmung begangenen uneidlichen Falschaussage. – Zum Abschluss der Vernehmung bei parlamentarischen Untersuchungsausschüssen vgl. § 26 Abs. 2 Untersuchungsausschussgesetz (PUAG) vom 19.6.2001 (BGBl. I 1142) und H. Wagner GA 1976 257, 276. Schließt die Vernehmung mit der Vereidigung ab, so scheidet § 153 aus und greift § 154 ein. 12 Dass BGHSt 4 214 auch dann noch ein Vergehen nach § 153 als möglich ansah, wenn der Zeuge davon ausging, dass sich der Eid auf einen bestimmten Punkt seiner Aussage (im gegebenen Fall das eigene Lebensalter) nicht erstrecke, war ersichtlich noch von der Vorstellung beeinflusst, dass im Eid mehr als bloß eine feierliche Bekräftigung der Aussage zu sehen sei, und beachtet nicht genügend, dass die am Beweisthema orientierte Aussage Gegenstand der Vereidigung ist. Jedenfalls kann der Entscheidung nur für den sehr fein gesponnenen Fall zugestimmt werden, dass im Vorstellungsbild des Zeugen einmal beides auseinanderläuft. Aber welcher Tatrichter möchte sich wohl zu der Überzeugung bekennen, dass der Zeuge etwas als Gegenstand
22 So aber OGHSt 2 161. 23 S. BGH 4 StR 300/55 v. 6.10.1955. 99
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Falsche uneidliche Aussage
seiner Aussagepflicht ansieht, was er nicht zugleich als Gegenstand seiner eidlichen Versicherung betrachtet! 13 Dass bei nachfolgendem Meineid die vorausgehende falsche uneidliche Aussage vom Tatbestand des § 154 aufgezehrt wird, trifft im Übrigen nach BGHSt 8 301, 312 nicht nur dann zu, wenn die Eidesleistung sich unmittelbar an die Vernehmung anschloss und mit dieser einen einheitlichen Vorgang bildete, sondern auch dann, wenn einer schon abgeschlossenen uneidlichen Vernehmung im selben Rechtszug die eidliche Vernehmung nachfolgt (vgl. BGH StV 1990 404; ferner BGHSt 48 221). Dieses Ergebnis wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Zeuge mit seinen falschen Angaben gewechselt hat. Gibt er freilich bei der Vereidigung der Wahrheit die Ehre, nachdem eine abgeschlossene uneidliche Aussage vorausging, so bleibt er nach § 153 strafbar (BGHSt 8 301, 315).24 Im Übrigen kann je nachdem eine Tatmehrheit verschiedener Delikte nach § 153 und § 154 oder eine einheitliche Tat gegeben sein, die dann im Ganzen durch § 154 geprägt ist, wenn dieser Tatbestand auch nur bei einem Teilstück verwirklicht wurde (so schon BGHSt 7 186). In BGHSt 8 301, 312 sind zahlreiche der denkbaren Varianten erörtert. Zum Verbrauch der Strafklage in solchen Fällen OLG München NJW 1967 2219. Im Gegensatz zum Bundesgerichtshof (BGHSt 45 16, 24 f) vertreten Bosch/Schittenhelm und Zöller die Auffassung, dass das Verfahren eines Rechtszuges alle in verschiedenen Terminen gemachten Aussagen immer zu einer Einheit zusammenschließt (rechtliche Handlungseinheit) und dass nur dann eine Zäsur eintritt, wenn eine Falschaussage Grundlage für eine Teilentscheidung wird.25 Die Verbindung wird dadurch hergestellt, dass alle Aussagen des Zeugen insoweit als Grundlage ein- und derselben Entscheidung dienten. Das ist gewiss erwägenswert, weil damit wenigstens in diesem Rahmen Zäsuren vermieden werden, die, wie Bosch/Schittenhelm richtig betonen, weitgehend vom Zufall abhängen,26 sollte aber auf Fälle eines Verfahrens beschränkt werden. Von einer einheitlichen Tat kann schwerlich gesprochen werden, wenn der Zeuge die Falschaussage in einem neuen Verfahren wiederholt. Zu denken ist dabei an solche Fälle, in denen die oder eine falsche Aussage eines Zeugen Anlass zu weiteren Beweiserhebungen gibt, die nicht mehr innerhalb der Unterbrechungsfristen des § 229 StPO durchgeführt werden können, mit der Folge, dass mit der Hauptverhandlung von neuem begonnen werden muss. Wiederholt der Zeuge im neuen Verfahren seine falsche Aussage, fällt es schwer, seine sämtlichen Aussagen, auch diejenigen im vertagten Verfahren, als Grundlage dafür anzusehen, dass nur eine Tat vorliegt.
VI. Wahlfeststellung 14 Hat sich der Zeuge zu demselben Tatsachenkomplex bei zwei verschiedenen Vernehmungen unterschiedlich geäußert und lässt sich nicht feststellen, welche der beiden Aussagen falsch war, so kann Verurteilung auf der Grundlage doppeldeutiger Feststellung (Tatsachenalternativität) in Betracht kommen (BGHSt 2 351; RGSt 72 339, 342 f; OLG Braunschweig NJW 1952 38). Bei Gesetzesalternativität ist Wahlfeststellung für zulässig erachtet worden zwischen uneidlicher Falschaussage und Meineid (BGH NJW 1957 1886; BGHSt 13 70, 72), zwischen Meineid und unbewusst fahrlässigem Falscheid (BGHSt 4 340, 341), zwischen Meineid und falscher Versicherung an Eides Statt (OLG Hamm GA 1974 84), zwischen uneidlicher Falschaussage und falscher Verdächtigung (BGHSt 32 146, 149; BayObLG NStZ 1991 405; OLG Braunschweig NJW 1959 1144 f; vgl. auch BGH 2 StR 479/77 v. 20.1.1978) und zwischen Meineid und falscher Verdächtigung (BayObLG MDR 1977 860). Beim Zusammentreffen von uneidlicher und eidlicher Aussage ist dann wegen Vergehens nach § 153 zu verurteilen, jedoch eine mögliche mildere Bestrafung we24 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 9, 16 f; Fischer Rdn. 11; Müller MK Rdn. 59; abweichend Vormbaum NK Rdn. 41 und JR 1989 133.
25 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 14; Zöller SK Rdn. 56; Müller MK Rdn. 111; abweichend Vormbaum NK Rdn. 123. 26 Dazu Meister JR 1950 389 gegen Lange NJW 1949 492. Wolters/Ruß
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X. Zusammentreffen
StGB § 153
gen Eidesnotstands bei der Alternative des § 154 zu beachten (BGHSt 13 70, 72; Busch in LM StGB § 153 Nr. 17). Zu den sich in diesem Zusammenhang aus § 264 StPO ergebenden Schwierigkeiten vgl. BGHSt 32 146.27
VII. Innerer Tatbestand Der Vorsatz des Täters muss sich darauf erstrecken, dass erstens die Aussage falsch ist, sich 15 also nicht mit dem wirklichen Geschehen deckt (vgl. Rdn. 3 und vor § 153 Rdn. 9), dass sie zweitens einen Gegenstand betrifft, auf den sich seine Aussagepflicht bezieht (vor § 153 Rdn. 19 ff), und dass sie drittens vor einer zuständigen Stelle stattfindet28 (vgl. Rdn. 5 ff). Bedingter Vorsatz genügt, so dass etwa Zweifel des Täters am Umfang seiner Aussagepflicht die Anwendung des Tatbestandes nicht ausschließen. Beim Verschweigen muss der Täter wissen, dass der von ihm ausgelassene Umstand zum Vernehmungsgegenstand gehört, dass der verschwiegene Umstand dem sonst Bekundeten einen verfälschten Sinn verleiht und dass er für die Entscheidung von Bedeutung ist.
VIII. Teilnahme Über Teilnahme, insbesondere Beihilfe durch Nichtverhindern einer falschen Aussage s. § 154 16 Rdn. 14. Da der Tatbestand die uneidliche falsche Aussage des Zeugen oder Sachverständigen ohne Einschränkung erfasst, kann es nicht darauf ankommen, ob die Beweisperson im Einzelfall auch hätte vereidigt werden können und dürfen. Die Vereidigungsverbote des § 60 StPO und des § 393 ZPO berühren den Tatbestand nicht. Täter ist bei Erfüllung der Merkmale des Tatbestands immer auch der, der nicht vereidigt werden durfte (vgl. vor § 153 Rdn. 29; Sch/Schröder/ Bosch/Schittenhelm § 153 Rdn. 10). Die Berücksichtigung dieser Tatsache bei der Strafzumessung steht auf einem anderen Blatt (dazu § 157 und vor § 153 Rdn. 31). Ist der zum Meineid Angestiftete nur uneidlich vernommen worden, so ist wegen Anstiftung 16a zur uneidlichen Falschaussage in Tateinheit mit versuchter Anstiftung zum Meineid zu verurteilen. Eine Anstiftung zu § 153 kann zur tateinheitlich begangenen Beihilfe zum Meineid werden, wenn der Aussagende vereidigt wird (BGH NStZ 1993 489), während umgekehrt eine Beihilfe zur uneidlichen Falschaussage in der Anstiftung zum Meineid aufgeht (BGHSt 4 244).
IX. Strafe Die Strafe ist Freiheitsstrafe nicht unter drei Monaten bis zu fünf Jahren. Ein wesentlicher sach- 17 licher Gesichtspunkt sind Bedeutung und Folgen der Falschaussage (BGH bei Dallinger MDR 1972 16; BGH 2 StR 282/77 v. 22.7.1977). Bei der Vernehmung begangene Verfahrensmängel müssen bei der Strafzumessung Beachtung finden (vgl. vor § 153 Rdn. 31).
X. Zusammentreffen Zusammentreffen mit § 154 vgl. Rdn. 13 und 16. Beim Irrtum des Täters über den Umfang seiner 18 Aussagepflicht können § 153 und § 161 (früher § 163) in Tateinheit zusammentreffen (BGHSt 4 214, 215). Tateinheit ist ferner möglich mit §§ 164, 187, 257, 258 und (Anstiftung zum) Prozessbe27 Vgl. ferner BGH NJW 1957 1886 m. Anm. Schmitt; BGH NStZ 1981 33; OLG Hamm GA 1974 84; Fuchs NJW 1966 1110 f; Dannecker LK Anh. § 1 Rdn. 70, 74; Tröndle JR 1974 135. 28 Vormbaum NK Rdn. 106; Mückenberger AnwK Rdn. 27. 101
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§ 153 StGB
Falsche uneidliche Aussage
trug nach § 263 (vgl. BGHSt 43 317, 319 f; BGH VRS 83 185, 187; BGHR StGB § 52 Abs. 1 Handlung, dieselbe 12, Prozessbetrug und Anstiftung zu § 153).
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§ 154 Meineid (1) Wer vor Gericht oder vor einer anderen zur Abnahme von Eiden zuständigen Stelle falsch schwört, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft. (2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.
Schrifttum Siehe vor § 153.
Entstehungsgeschichte Die jetzige Fassung des Tatbestands des Meineids, der seinem sachlichen Inhalt nach ursprünglich auf den § 153 (Parteieid) und den § 154 (Zeugen- und Sachverständigeneid) verteilt war, beruht auf der DVO vom 20.1.1944 (RGBl. I 41) und trifft alle eidlich bekräftigten falschen Aussagen, die gesetzlich vorkommen können, wobei auch der jetzt auf den Sachverständigen im Zivilprozess (§ 410 ZPO) beschränkte Voreid (sog. promissorischer Eid), der früher durch eine eigene Formulierung alternativ angesprochen war, miterfasst ist (RGSt 70 366). Das EGStGB 1974 brachte in Art. 19 II Nr. 61 nur redaktionelle Angleichungen.
Übersicht I.
Struktur und Regelungsgrund
II. 1. 2. 3. 4. 5.
2 Falsches Schwören 3 Zeugeneid 4 Sachverständigeneid 6 Parteieid Speziell freiwillige Gerichtbarkeit 8 „Offenbarungseid“
III.
Gericht oder zuständige Stelle
IV.
Täter, Eidesfähigkeit
V.
Anstiftung
VI.
Beihilfe
1
VII. Teilnahme durch konkludentes Verhal15 ten VIII. Teilnahme durch Unterlassung IX.
Vorsatz
X.
Notstand
XI.
Versuch
17
20
7
9
9a
12 14
XII. Strafe
21 22 23 24
XIII. Wahlfeststellung XIV. Konkurrenzen
25
I. Struktur und Regelungsgrund Wegen der Beschränkung des § 153 auf die uneidliche falsche Aussage des Zeugen und Sachver- 1 ständigen hat § 154 eine eigenartige Doppelstellung.1 Soweit sich die Vorschrift auf die falsche Aussage des Zeugen oder Sachverständigen bezieht, behandelt sie nur eine erschwerte Form des in § 153 umschriebenen Tatbestandes (vgl. § 153 Rdn. 1). Im Übrigen, nämlich hinsichtlich des Parteieids, zu dem bis zum Gesetz vom 27.6.1970 (BGBl. I 911) als bedeutsame Variante der Offenbarungseid zu rechnen war, bildet sie einen selbständigen Tatbestand. Als Schärfungsgrund wird zumeist angegeben, dass der Täter durch seine Verbürgung2 ein gesteigertes Handlungsunrecht an den Tag legt und aus der besonderen Bedeutung einer eidlichen Aussage ein gewichti1 S. Vormbaum FS Beulke 581. 2 Dazu Schumann ZStW 126 (2014) 615. 103 https://doi.org/10.1515/9783110490107-014
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§ 154 StGB
Meineid
geres Handlungsunrecht folge.3 Beides erscheint bei genauerer Betrachtung wenig überzeugend (zum Ganzen eingehend und kritisch distanziert Vormbaum FS Beulke 581, 584 ff) und lässt an der Legitimation (jedenfalls) der Qualifikationsvorschrift zweifeln (so Vormbaum FS Beulke 581, 587 f).4
II. Falsches Schwören 2 Die Tathandlung besteht bei allen Formen des Meineids im falschen Schwören,5 wobei mit dieser Bezeichnung die Leistung einer Falschaussage in der gesetzlich feierlichen Form zur besonderen Beteuerung ihrer Wahrheit umfasst wird. In diesem Sinne entspricht das „falsch schwört“ in § 154 durchaus dem „falsch aussagt“ in § 153, nur dass noch die feierliche Beteuerung hinzutritt;6 zu diesem der Entscheidung BGHSt 8 301, 309 zugrunde liegenden Verständnis des Tatbestandes siehe insbesondere Busch GA 1955 257 in Auseinandersetzung mit RGSt 54 117, 121, wo die falsche Aussage als eine nur äußere tatsächliche Voraussetzung des Meineids bezeichnet war. Für die feierliche Beteuerungsform ist, wie der Wortlaut der Vorschrift anzeigt, unerlässlich 2a (vgl. jedoch § 155) allein der Gebrauch der Worte „ich schwöre“ (vgl. RGSt 67 331, 333).7 Die für den sachlichen Inhalt der eidlichen Beteuerung die Richtung weisende Eidesnorm 2b wird von den Prozessgesetzen bestimmt.
1. Zeugeneid 3 Der Zeugeneid hat nach § 64 StPO und § 392 ZPO zum Inhalt, dass der Zeuge „nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe“. Er ist Nacheid.8 Dass der Zeuge vorher vorschriftsmäßig zur Wahrheit ermahnt und über seine Aussagepflicht belehrt worden ist, ist vom Tatbestand her nicht erforderlich. (Über den Gegenstand der Zeugenaussage im Einzelnen vgl. Vor § 153 Rdn. 16 ff und § 153 Rdn. 3, 9 f). Ob die unter Eid erstattete Aussage der „reinen Wahrheit“ entspricht, beurteilt sich nach den vor § 153 Rdn. 8 ff entwickelten Grundsätzen. Nach RGSt 55 183, 184 soll der Zeugeneid auch die Erstattung eines sachverständigen Gutachtens decken. Dem wird zuzustimmen sein, soweit es um das Bekunden von Tatsachen geht. Doch kommt es zugleich darauf an, dass eine entsprechende Beweisfrage gestellt ist (dazu Vor § 153 Rdn. 19).
2. Sachverständigeneid 4 Der Sachverständigeneid hat nach § 79 Abs. 2 StPO zum Inhalt, dass der Sachverständige „das Gutachten unparteiisch und nach bestem Wissen und Gewissen erstattet habe“. Auch er ist Nacheid. Nach § 410 Abs. 1 ZPO geht die Eidesnorm gleichfalls dahin, dass der Sachverständige „das von ihm erforderte Gutachten unparteiisch und nach bestem Wissen und Gewissen
3 Nachweise bei Vormbaum FS Beulke 581, 584 ff. 4 Weiterführend in Bezug auf § 153 Vormbaum FS Beulke 581, 588 ff. 5 Zum Begriff „Sprechen“ und zu Sprechakttheoretischem wie Sprachphilosophischem s. eingehend Schumann ZStW 126 (2014) 615, 618 ff. 6 Vormbaum FS Beulke 581, 583. 7 Zum Begriff des „Schwörens“ eingehend Schumann ZStW 126 (2014) 615, 627 ff. 8 Zum Charakter von Vor- und Nacheid unter sprachanalytischen Gesichtspunkten s. Schumann ZStW 126 (2014) 615, 638 ff. Wolters/Ruß
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II. Falsches Schwören
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erstatten werde oder erstattet habe“. Der Eid ist Vor-9 oder Nacheid. Über den Gegenstand der Aussage des Sachverständigen vgl. Vor § 153 Rdn. 18 und § 153 Rdn. 3. Das wesentliche Merkmal des Sachverständigen ist, dass er als Auskunftsperson dem Prozess kraft richterlichen Auftrags mit besonderer Sachkunde dient. Er tut dies, indem er entweder diese Sachkunde in abstracto dem Gericht übermittelt (etwa auf dessen Verlangen ganz allgemein die Symptome einer Krankheit schildert) oder indem er mittels solcher Sachkunde bestimmte Schlussfolgerungen zieht (etwa bei dem Verletzten das Vorliegen einer bestimmten Krankheit diagnostiziert) oder indem er mittels seiner Sachkunde einzelne Tatsachen als solche feststellt (etwa den Untersuchungsbefund einer Beobachtung mit dem Augenspiegel darlegt). In allen diesen Richtungen handelt es sich in der Regel zugleich um das Bekunden von Tatsachen. Jedoch kann sich der Sachverständigeneid nicht auf sog. Zusatztatsachen erstrecken, über welche die als Sachverständiger herangezogene Person als Zeuge zu vernehmen und zu beeiden ist (vgl. BGHSt 13 1, 3; 13 250; Vor § 153 Rdn. 18). Die Frage, ob auch Dolmetscher Sachverständige sind, ist umstritten und wird überwie- 5 gend verneint (vgl. § 153 Rdn. 9). Weitgehend Übereinstimmung herrscht jedoch insoweit, dass Dolmetscher in mancherlei Beziehung wie Sachverständige behandelt werden. Beide sind auf Grund ihrer besonderen Fachkenntnisse Gehilfen des Gerichts bei der Urteilsfindung. Die Vorschriften über Ausschließung und Ablehnung der Sachverständigen sind entsprechend anzuwenden (§ 191 GVG). Dies rechtfertigt es nach BGHSt 4 154, den Eid des Dolmetschers (ein Voreid), der dahin lautet, „dass er treu und gewissenhaft übertragen werde“ (§ 189 Abs. 1 GVG), ebenso wie den des Sachverständigen nach § 154 zu beurteilen (vgl. auch OLG Koblenz VRS 47 353, 354). Da der Tatbestand des § 154 im Unterschied zu § 153 nicht auf Aussagen von Zeugen oder Sachverständigen beschränkt ist, sondern das falsche Schwören vor Gericht oder vor einer anderen zur Abnahme von Eiden zuständigen Stelle erfasst, kann auch ein Verstoß gegen den Dolmetschereid unter die Vorschrift subsumiert werden.10
3. Parteieid Der Parteieid im Zivilprozess folgt der Parteivernehmung, welche auf Antrag des Prozessgeg- 6 ners oder der Partei selbst (§§ 445, 447 ZPO) oder auf Anordnung des Gerichts auch ohne Antrag von Amts wegen (§ 448 ZPO) stattfindet, und wird vom Gericht nach § 452 ZPO angeordnet, falls das Ergebnis der nicht mit einer Strafsanktion abgesicherten unbeeidigten Aussage nicht ausreichend erscheint, das Gericht von der Wahrheit oder Unwahrheit der zu erweisenden Tatsache zu überzeugen. Die Eidesnorm lautet, „dass die Partei nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe“ (§ 452 Abs. 2 ZPO). Sie entspricht also genau derjenigen des Zeugeneides. Es gilt daher alles oben Rdn. 3 Gesagte entsprechend. Parteivernehmung und Parteieid machen die Partei gewissermaßen zum Zeugen in eigener Sache. Aussagegegenstand und Umfang der Aussagepflicht bestimmen sich nach den gleichen Grundsätzen. Das äußert sich sowohl in der Bedeutung von gestellten Fragen11 wie in der Pflicht, im Sinne des Beweisthemas erhebliche Tatsachen auch ohne ausdrückliche Befragung mitzuteilen (BGH JZ 1968 570). Zur Abnahme eines Parteieids durch den Konkursrichter siehe BGHSt 3 309.12 Durch das Gesetz vom 27.6.1970 (BGBl. I 911) wurde der Inventureid des § 125 KO wie auch die 9 Krit. zur Erfassung des Voreides Schumann ZStW 126 (2014) 615, 640. 10 Ebenso Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7; Müller MK Rdn. 18; SSW/Sinn Rdn. 10; Zöller SK Rdn. 3; differenzierend Mückenberger AnwK Rdn. 5; abweichend Fischer Rdn. 9; Vormbaum NK Rdn. 26, 28 und Schutz des Strafurteils S. 246 ff, der den Dolmetscher zwar auch zum Täterkreis des § 154 zählt, eine Anwendung des Tatbestandes aber deshalb ablehnt, weil es sich bei einer Übersetzung nicht um eine Aussage i. S. der Vorschrift handle. 11 Vgl. BGH 5 StR 247/60 v. 26.7.1960. 12 S. auch BGH 4 StR 603/54 vom 7.7.1955. 105
Wolters/Ruß
§ 154 StGB
Meineid
Zulässigkeit einer eidlichen Vernehmung des Gemeinschuldners über sonstige Fragen im Rahmen der Abwicklung des Konkurses durch die Abnahme einer eidesstattlichen Versicherung ersetzt; auch nach Aufhebung der Konkursordnung und Inkrafttreten der Insolvenzordnung vom 5.10.1994 (BGBl. I 2866) am 1.1.1999 hat der Schuldner an Eides Statt zu versichern, dass er die von ihm verlangten Auskünfte nach bestem Wissen und Gewissen richtig und vollständig erteilt habe und dass das auf Grund seiner Angaben erstellte Vermögensverzeichnis vollständig sei (vgl. § 98 Abs. 1, § 153 Abs. 2 InsO).
4. Speziell freiwillige Gerichtbarkeit 7 Nach § 30 Abs. 1 FamFG gelten in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit die zivilprozessualen Vorschriften entsprechend (vgl. Müller MK Rdn. 12).
5. „Offenbarungseid“ 8 Den bis dahin für die Anwendung des § 154 besonders bedeutsamen Offenbarungseid hat das Gesetz vom 27.6.1970 (BGBl. I 911) in allen seinen Formen auf die Stufe der eidesstattlichen Versicherung herabgesetzt. Doch blieben nach altem Recht geleistete Offenbarungsmeineide als solche strafbar.13
III. Gericht oder zuständige Stelle 9 Der Eid muss vor Gericht oder einer zur Abnahme von Eiden zuständigen Stelle geschworen sein (s. dazu § 153 Rdn. 5 ff). Dass die sich aus dem Tatbestand des § 153 ableitende Beschränkung „zur Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen“ in § 154 fehlt, begründet keinen sachlichen Unterschied. Es handelt sich um ein Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes, nicht um eine Bedingung der Strafbarkeit. Entscheidend ist, dass der Eid in einem Verfahren geschworen wird, in dem ein Eid dieser Art gesetzlich überhaupt zugelassen ist (BGHSt 3 248, 5 111, 113 f). An dieser Voraussetzung fehlt es bei Abnahme eines Parteieids von Personen mit parteiähnlicher Stellung in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (vgl. Rdn. 7). Die Nichtbeachtung von Verfahrensvorschriften schließt das Zustandekommen eines falschen Eides nicht ohne Weiteres aus, sofern nur die Eidesleistung selbst den Mindesterfordernissen an Förmlichkeiten genügte (vgl. BGHSt 16 232, 235 f; RGSt 62 147, 149; Rdn. 2). Dass kein Urkundsbeamter mitwirkte, ist unschädlich (RGSt 65 206 f). Im Übrigen vgl. Vor § 153 Rdn. 29.
IV. Täter, Eidesfähigkeit 9a Täter kann, da Mittäterschaft und mittelbare Täterschaft ausgeschlossen sind (Rdn. 7 vor § 153), nur der Schwörende selbst sein (RGSt 37 92, 93; 43 293, 295). Auch wer das eidesmündige Alter von 18 Jahren (§ 60 Nr. 1 StPO) bzw. 16 Jahren (§ 393 ZPO) 10 noch nicht erreicht hat, kann den Tatbestand des § 154 verwirklichen.14 Zu denken ist dabei vor allem an den Fall, dass eine Person, die dieses Alter noch nicht erreicht hat, bei ihrer Vernehmung wahrheitswidrig ein höheres Alter angibt und darauf vereidigt wird. Die gegenteilige, vom Reichsgericht mit der Entscheidung der Vereinigten Strafsenate in RGSt 36 278, 284 aufgegebene 13 BGH 1 StR 68/75 v. 8.4.1975; 4 StR 458/77 v. 24.11.1977; OLG Hamm NJW 1973 67; OLG Frankfurt GA 1973 154. 14 BGHSt 10 142, 144; Fischer Rdn. 14; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Deichmann Grenzfälle S. 109 ff. Weitere Nachweise bei Hettinger/Bender JuS 2015, 577, 581 f. Wolters/Ruß
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V. Anstiftung
StGB § 154
Auffassung, wird heute noch überwiegend im Schrifttum beibehalten.15 Sie haftet mit ihrer Berufung auf das „Wesen“ des Eides noch am Verständnis des Eides als Religionsdelikt und ist, von allen schon früher gegen sie vorgebrachten Argumenten16 abgesehen, deshalb überholt, weil einmal Jugendrecht, insbesondere § 3 JGG eingreift und sinnvolle Lösungen möglich macht, und weil jetzt außerdem auf jeden Fall die uneidliche falsche Aussage strafbar bliebe und nicht einzusehen ist, dass ein Jugendlicher, der die Bedeutung der Wahrheitspflicht vor Gericht begreift, nicht auch sollte begreifen können, dass ein Verstoß gegen diese Pflicht dann schwerere Missbilligung verdient, wenn der Täter die Wahrheit seiner falschen Aussage in besonders feierlicher Form bekräftigt hat. Das insbesondere von Quedenfeld (JZ 1973 238, 239) vorgebrachte Argument, es sei hier dem § 3 JGG vergleichbar verfahrensrechtlich eine besondere Schuldvoraussetzung für den Bereich des § 154 geschaffen worden, ist sicher eindrucksvoll, aber nicht zwingend. Die Meinungsverschiedenheiten, die sich für den zugeschobenen, zurückgeschobenen oder 11 auferlegten Eid (§ 153 a. F.) ergaben, wenn an Stelle der eidespflichtigen Person eine andere unter Täuschung des Gerichts den Eid leistete (s. mit weiteren Angaben Frank § 153 Anm. II), sind jetzt gegenstandslos geworden. Hier liegt immer, und zwar zumindest deshalb Meineid vor, weil nach § 451 i. V. m. § 395 Abs. 2 S. 1 ZPO die Partei ebenso wie der Zeuge zutreffende Angaben über ihre Personalien machen muss und diese Angaben vom Eid mitumfasst werden (vgl. § 153 Rdn. 3).
V. Anstiftung Anstiftung begeht, wer einen andern vorsätzlich zu einer wider besseres Wissen erstatteten 12 falschen Aussage veranlasst, wobei der Vorsatz meist die Möglichkeit der Bekräftigung durch den Eid einschließen wird. Wer jedoch die Auskunftsperson nur dazu bereden will, gutgläubig eine in seinem – des Verleitenden – Sinne falsche Aussage zu machen, kann nicht als Anstifter zur vorsätzlichen Falschaussage bestraft werden, auch wenn die Auskunftsperson ihrerseits dann wissentlich die Unwahrheit sagt (RGSt 60 1). In diesem Fall ist vielmehr der Tatbestand des § 160 gegeben, und zwar nicht, wie Fischer Rdn. 15 meint, nur ein Versuch dieses Vergehens (BGHSt 21 116, s. auch bei § 160 Rdn. 2). Wird der Zeuge zur falschen eidlichen Aussage überredet, kommt es dann aber, da das 12a Gericht von einer Vereidigung absieht, nur zu einer falschen uneidlichen Aussage, so liegt Anstiftung zu § 153 in Tateinheit mit erfolgloser Anstiftung (§ 30 Abs. 1) zu § 154 vor (BGHSt 9 131 gegen BGHSt 1 131 und unter Berufung auf BGHSt 1 305). Umgekehrt hat die bloß versuchte Anstiftung zum Meineid nicht die Kraft, eine vollendete Anstiftung zur uneidlichen Falschaussage aufzuzehren; auch in diesem Fall ist also Tateinheit gegeben.17 Wird der zu einer uneidlichen Aussage angestiftete Zeuge wider Erwarten des Anstifters 12b vereidigt, so reichen die Anstiftung zu § 153 und bloßes Schweigen des Anstifters allein nicht aus, um einen Anstiftungsvorsatz zur Leistung des Meineids anzunehmen (vgl. BGH NStZ 1993 489); allerdings soll sich nach dieser Entscheidung der Anstifter (zur uneidlichen Falschaussa-
15 Hruschka/Kässer JuS 1972 709, 711; Quedenfeld JZ 1973 238; Zöller SK Rdn. 8 und GA 1969 129, 133, 140 ff; Sch/ Schröder/Bosch/Schittenhelm vor § 153 Rdn. 25; Vormbaum NK Rdn. 38; Müller MK Rdn. 13, 24; Fischer Rdn. 14; SSW/ Sinn Rdn. 5; Rengier BT 2 § 49 Rdn. 20; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 75 Rdn. 23 a. E.; Otto Grundkurs Strafrecht BT § 97 Rdn. 40; Wessels/Hettinger/Engländer BT 1 § 17 Rdn. 836; Krey/Hellmann/Heinrich BT 1 Rdn. 755; Binding Lehrb. II S. 148; Frank vor § 153 Anm. IV; Mezger LK8 vor § 153 Anm. 4. 16 S. insbes. Landsberg Der Meineid des Eidesunmündigen. 17 BGHSt 9 131, 135; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Vor § 153 Rdn. 34; Vormbaum NK Rdn. 51; Müller MK Rdn. 31 ff. 107
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Meineid
ge) einer tateinheitlich begangenen Beihilfe zum Meineid durch Unterlassen schuldig gemacht haben.18 13 Vollendete Anstiftung bleibt es, wenn der Zeuge mit seiner unwahren Aussage hinter der vom Anstifter gewünschten Falschaussage zurückbleibt, also etwa keine unrichtige Darstellung des beweiserheblichen Vorgangs gibt, sondern nichts mehr von der Sache wissen will, obwohl er sich noch erinnert (BGH LM StGB § 154 Nr. 37). Das trifft jedoch nur dann ohne Weiteres zu, wenn die vom Anstifter gewünschte und die dann erstattete falsche Aussage zueinander im Verhältnis des Mehr oder Weniger stehen wie vor allem in dem Fall, dass der Zeuge nicht zu allen, sondern nur zu einzelnen, jeweils ein anderes Rechtsverhältnis betreffenden Beweispunkten falsch aussagt und angenommen werden kann, dass die so eingeschränkte Falschaussage noch den Vorstellungen des Anstifters gemäß ist und von seinem Willen umfasst wird; andernfalls kann nur § 30 oder § 159 eingreifen (vgl. auch Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Vor § 153 Rdn. 34).
VI. Beihilfe 14 Beihilfe durch positives Tun wird geleistet, wenn der Gehilfe den Täter in seinem schon gefassten Entschluss zur Falschaussage bestärkt oder für ihn äußere Umstände günstiger gestaltet oder Hindernisse aus dem Wege räumt oder fernhält (BGHSt 2 129, 17 321; Müller MK Rdn. 36). Das ist etwa der Fall, wenn eine Person, die sich zur Leistung einer falschen Aussage bereit erklärt, als Zeuge benannt wird (vgl. BGH VRS 83 185, 187), oder wenn einer schon als Zeuge benannten Person zugesichert wird, man werde ihre Falschaussage decken, oder wenn der Prozessbeteiligte anlässlich der Vernehmung des Zeugen Erklärungen abgibt, die darauf abzielen, den Zeugen in seinem Vorhaben einer unwahren Aussage zu bestärken. Nicht ausreichend dürfte es jedoch sein, wenn ein Zeuge lediglich zu einer unklaren Beweislage benannt wird, ohne dass eine vorherige Absprache stattgefunden hat, allein in der Hoffnung, der Zeuge werde eine günstige Aussage machen, und zwar auch dann nicht, wenn der Zeuge eine eindeutige Falschaussage macht (Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Vor § 153 Rdn. 34; vgl. dazu auch Rdn. 15 ff).
VII. Teilnahme durch konkludentes Verhalten 15 Anstiftung und Beihilfe können auch durch konkludentes Verhalten geleistet werden. Die Benennung eines Zeugen für eine falsche Behauptung oder Einlassung wird oft von der Erwartung bestimmt sein, dieser werde durch die ihm mit der Ladung zuteil werdende Kenntnis von dieser Erwartung zu einer falschen Aussage bestimmt oder doch in seinem schon vorhandenen Vorhaben einer solchen Aussage bestärkt werden.19 Die Rechtsprechung20 möchte indessen eine tätige Beihilfe durch Benennung eines Zeugen nur für den Fall gelten lassen, dass diese Benennung auf Grund „geheimen Einvernehmens“ erfolgt sei, und erklärt ausdrücklich, dass die Benennung eines Zeugen für eine unwahre Prozessbehauptung allein den Beihilfevorwurf nicht begründen könne, weil dadurch höchstens die äußere Verfahrenslage für die Vernehmung des Zeugen geschaffen, aber weder auf seinen Tatentschluss eingewirkt noch die Ausführung des Entschlusses selbst in irgendeiner Weise vorbereitet oder sonst gefördert werde. Da Beihilfe durch Unterlassen immer erst zur Erörterung stehen kann, wenn eine Teilnahme durch tätiges Handeln ausscheidet, sollte die Prüfung auf die Ermöglichung oder Förderung falscher Aussagen abzielender Prozesshandlungen durchaus im Vordergrund der Untersuchungen stehen (in
18 Müller MK Rdn. 33; abweichend Vormbaum NK Rdn. 53. 19 In diesem Sinne BGH NJW 1954 1818 unter a), insoweit in BGHSt 6 322 nicht abgedruckt. 20 BGH 4 StR 306/55 vom 27.10.1955. Wolters/Ruß
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VIII. Teilnahme durch Unterlassung
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diesem Sinne BGH NJW 1958 956 = LM StGB § 154 Nr. 53 m. Anm. Martin). Soweit das tätige Handeln in einer Prozesshandlung liegt, sind jedoch differenzierte Bewertungen veranlasst. Für Prozesshandlungen in einem Strafprozess ist zu beachten, dass den Beschuldigten 16 oder Angeklagten keinerlei Pflicht zur Mitwirkung trifft. Er darf schweigen und die ihm zur Last gelegte Tat leugnen. Anders als im Zivilprozess trifft ihn keine Wahrheitspflicht. Wollte man sein Schweigen oder Leugnen im Angesicht eines zu seinen Gunsten falsch aussagenden Zeugen als Beihilfe zu dieser Falschaussage werten, so liefe das darauf hinaus, ihn im Gegensatz zu diesem in § 136 StPO zum Ausdruck kommenden verfahrensrechtlichen Grundsatz unter Strafdrohung zum Bekenntnis der Wahrheit zu verpflichten (BGH NJW 1958 956). Entgegen letzterer Entscheidung (und BGH bei Dallinger MDR 1974 12, 14) kann daher in der bloßen Weigerung eines Angeklagten, sich zu einer (falschen) Aussage eines Zeugen zu äußern, keine Bestärkung des Zeugen in seinem Verhalten und damit keine strafbare Beihilfe erblickt werden. Der Angeklagte hat mit seiner Weigerung zur Stellungnahme lediglich von dem ihm nach § 257 StPO zustehenden Recht Gebrauch gemacht.21 Ebenso wäre es verfehlt, einem leugnenden Angeklagten deshalb den Vorwurf der Beihilfe zu machen, weil ein zur Falschaussage bereiter Zeuge hieraus den Schluss ziehen kann, dass seine Aussage mit der Einlassung des Angeklagten übereinstimmt und deshalb für das Gericht an Wahrscheinlichkeit gewinnt (Sch/Schröder/Bosch/ Schittenhelm Vor § 153 Rdn. 36; Zöller SK § 153 Rdn. 49; Vormbaum NK § 153 Rdn. 112; vgl. auch Müller MK Rdn. 36 a. E.). Für den Zivilprozess ist von Bedeutung, dass Parteien ihre Erklärungen über tatsächliche 16a Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß (§ 138 ZPO) abzugeben haben. Diese ihr obliegende Wahrheitspflicht verletzt eine Partei, wenn sie Tatsachen behauptet, von deren Unrichtigkeit sie sichere Kenntnis hat oder wenn sie davon überzeugt ist, dass die Behauptungen falsch sind. Entsprechendes gilt für das Bestreiten von Behauptungen der Gegenpartei (vgl. RGSt 75 271, 273). Dass in wahrheitswidrigen Parteierklärungen im Zivilprozess für sich allein schon eine Beihilfe durch tätiges Handeln liegen kann, wenn der Vorsatz dahinging, diese Erklärungen sollten auch zur Kenntnis des Zeugen gelangen (etwa durch Mitteilung des Beweisthemas in der Ladung) und ihn im Sinne einer entsprechenden falschen Aussage beeinflussen, ist in dieser Entscheidung zutreffend bemerkt worden (vgl. auch BGH NJW 1954 1818 unter a; ferner Rdn. 14).22 Zutreffend ist aber auch der Hinweis von Zöller (SK § 153 Rdn. 50),23 dass eine Partei dann noch im Rahmen ihrer Wahrheitspflicht bleibt, wenn sie Zeugen für Behauptungen benennt, von deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit sie selbst im Zweifel ist.
VIII. Teilnahme durch Unterlassung Bei konsequenter Beachtung des Grundsatzes, dass die Teilnahme durch tätiges Handeln der 17 Tatbegehung durch Unterlassen vorausliegt und für deren Berücksichtigung keinen Raum lässt, kann die Aktualität der unechten Unterlassung bei den Aussagedelikten nur sehr gering sein. Bezeichnend ist, dass das Reichsgericht sich erst seit 1936 mit der Meineidsbeihilfe durch Unterlassen befasst hat und dass das Problem seit der einschränkenden Entscheidung BGHSt 17 321 aus dem Jahre 1962 in der Rechtsprechung, von einigen wenigen Entscheidungen abgese-
21 Insoweit auch OLG Hamm NStZ 1993 82 mit – aus anderen Gründen – krit. Anmerkungen von Seebode NStZ 1993 82, 83; Scheffler GA 1993 341; Bartholme JA 1993 220; Tenter wistra 1994 247; Brammsen StV 1994 134 (zugleich zu LG Münster StV 1994 134); Prittwitz StV 1995 270; Heinrich JuS 1995 1115. 22 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm vor § 153 Rdn. 37; Müller MK § 153 Rdn. 91; Bockelmann NJW 1954 697, 699; Brammsen StV 1994 134, 138; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 75 Rdn. 82 ff; abweichend Zöller SK Rdn. 51; Vormbaum NK § 153 Rdn. 112 f; Otto JuS 1984 161, 169 und Grundkurs Strafrecht BT § 97 Rdn. 73; Heinrich JuS 1995 1115, 1118 f; Prittwitz StV 1995 270, 272; vgl. auch BGH 4 StR 306/55 v. 27.10.1955. 23 Ebenso Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Vor § 153 Rdn. 36, ferner Müller MK § 153 Rdn. 91 ff. 109
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Meineid
hen,24 kaum von Bedeutung geworden ist (vgl. Rdn. 17a). Bemerkenswert ist ferner, dass, wie schon Bockelmann (NJW 1954 697) in seinem kritischen seinerzeitigen Resümee der Rechtsprechung vermerkte, in einem ganz erheblichen Teil der unter dem Aspekt des unechten Unterlassungsdelikts behandelten Fälle ein tätiges Handeln zu verzeichnen war, das die Annahme einer Beihilfe oder gar einer Anstiftung hätte rechtfertigen können. Dabei kann dem Vorgehen des Reichsgerichts in dieser Hinsicht als Entschuldigung dienen, dass zur Zeit seiner einschlägigen Entscheidungen die uneidliche Aussage noch nicht unter Strafe gestellt war und sich noch die in RGSt 54 117, 121 niedergelegte Auffassung auswirkte, dass die uneidliche Aussage nicht eigentlich zum Tatbestand des Meineids gehöre, sondern nur seine äußere Voraussetzung sei. Beides macht begreiflich, dass eine gewisse Scheu bestand, in einer „bloß“ auf die Aussage mittelbar einwirkenden Tätigkeit schon eine Beihilfe oder gar Anstiftung zum späteren Meineid zu finden, weshalb man dann die Schuld des Täters lieber in der nach solcher Gefahrbegründung unterlassenen Verhinderung des Meineids suchte. Selbst Bockelmann, der das „vorschnelle Ausweichen“ auf die Unterlassung so gründlich kritisiert (NJW 1954 697, 699), spricht dabei immerzu von Beihilfe oder Anstiftung zum Meineid statt zur uneidlichen oder eidlichen Falschaussage, und so mag es verständlich sein, dass auch die Rechtsprechung die Veränderung der Gesetzeslage nur zögernd verarbeitete und zunächst durchaus der Linie folgte, die das Reichsgericht mit seinen vom Meineidstatbestand allein ausgehenden Entscheidungen eingeschlagen hatte.25 Erst nach und nach und keineswegs einheitlich ist es im Anschluss an die von Maurach in DStrR 1944 1 und in SJZ 1949 541 und von Bockelmann NJW 1954 697 geübte Kritik zu einer einschränkenden Rechtsprechung gekommen. 17a BGHSt 3 18 hielt unter Berufung auf RGSt 75 271 eine Prozesspartei im Zivilprozess für verpflichtet, den Meineid eines Zeugen durch Bekenntnis der Wahrheit zu verhindern, den der Prozessgegner auf ihr wahrheitswidriges Bestreiten benannt hatte. In BGH bei Dallinger MDR 1953 272 wurde unter Berufung auf BGHSt 3 18 das Gleiche für die Beteiligten im Strafverfahren einschließlich des Beschuldigten ausgesprochen und dazu erklärt, die Selbstverteidigung des Beschuldigten müsse zurücktreten, wenn die strafrechtlich geschützte Rechtsordnung durch neues Unrecht angegriffen werde; im gleichen Sinn schon OLG Hamm HESt 2 242 und erneut BGHSt 4 217, 218. Doch wurde schon bald recht einhellig betont, dass aus § 138 ZPO für sich allein keine Handlungspflicht der Prozesspartei zur Verhinderung falscher Aussagen von Zeugen oder Sachverständigen zu entnehmen sei (BGHSt 6 322, 323 mit weiteren Hinweisen; LG Göttingen NJW 1954 731). Um weitergehende Einschränkung bemüht waren BGHSt 1 22, 27, wo gefordert wurde, dass sich der Zeuge in einer für die leugnende Partei erkennbaren Zwangslage befinde, ferner BGHSt 2 129, 133, wo bloßes Bestreiten und die Erklärung, die von der Gegenseite benannte Zeugin möge vernommen werden, als nicht ausreichend zur Begründung einer Rechtspflicht zum Handeln erachtet wurden. Im gleichen Sinne betonten die Oberlandesgerichte Köln NJW 1957 34 und Bremen NJW 1957 1246, dass das Bestreiten einer Klagebehauptung, welches die Benennung und Vernehmung des Zeugen auslöst, noch keine unangemessene Steigerung der dem Prozess eigentümlichen Gefahrenlage für den Zeugen und damit keine Pflicht zum Einschreiten für die Prozesspartei auslöse. BGHSt 4 327, 329 machte sich gleicherweise in einem Falle, in dem es um die Frage einer Beihilfe des Prozessbevollmächtigten ging, die Forderung von Maurach (DStrR 1944 1) zu eigen, dass das Vorverhalten des Gehilfen den Zeugen einer prozessunangemessenen (inadäquaten), besonderen Gefahr der Falschaussage ausgesetzt haben müsse. Der vierte Strafsenat des Bundesgerichtshofs gab schließlich in BGHSt 17 321 in diesem Sinne unter Berufung auf BGHSt 2 129 und 14 229 seine in BGHSt 3 18 vertretene Meinung ausdrücklich auf. Dementsprechend sieht das Oberlandesgericht Düsseldorf (NJW 1994 273) das bloße Bestehen einer Liebesbeziehung ohne Hinzutreten weiterer Umstände als nicht 24 Vgl. BGH NStZ 1993 489; OLG Düsseldorf NJW 1994 272; OLG Hamm NStZ 1993 82; OLG Köln NStZ 1990 594; KG JR 1969 27; vgl. dazu Rdn. 17a.
25 Zu nennen sind RGSt 72 20; 74 38 (Anm. Mezger DR 1940 637); 74 283; 75 271; weitere Entscheidungen bei Maurach DStrR 1944 1. Wolters/Ruß
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ausreichend an, um dem Angeklagten eine Handlungspflicht aufzuerlegen. Auch das Oberlandesgericht Köln (NStZ 1990 594) verneint das Vorliegen einer besonderen, prozessinadäquaten Gefahrenlage in einem Fall, in dem der Angeklagte vor der Zeugenvernehmung, bei der er anwesend war, eine schriftliche Sachdarstellung des Zeugen erhalten hat, aus der zu entnehmen war, dass dieser eine falsche Aussage machen werde; das Oberlandesgericht war der zutreffenden Meinung, dass das Verhalten des Angeklagten nicht über den bloßen Verstoß gegen die prozessuale Wahrheitspflicht hinausging. Eine Kehrtwendung zur früheren Auffassung enthält jedoch die Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm (NStZ 1993 82): Sie geht zwar ebenfalls davon aus, dass eine strafbegründende Garantenpflicht aus Ingerenz nur anzunehmen ist, wenn durch das Vorverhalten eine prozessinadäquate, besondere Gefahrenlage geschaffen wurde, erblickt eine solche Situation aber allein in der Benennung eines bislang unbekannten Mittäters als Entlastungszeugen und bejaht eine den Angeklagten treffende Rechtspflicht, die erwartete Falschaussage notfalls durch Bekennen der Wahrheit zu verhindern. Soweit in der Rechtsprechung das Vorliegen einer besonderen prozessunangemessenen Gefahr der Falschaussage verlangt wird, um eine Garantenstellung zu begründen, bleibt indessen in der Begrenzung weitgehend unklar, was als prozessinadäquate, besondere Gefahr zu werten sei. Auf die Frage, ob und unter welchen Umständen verwandtschaftlicher (KG JR 1969 27 mit krit. Anm. Lackner) oder ehelicher Bindung (BGHSt 6 322) eine solche Bedeutung beizumessen sei, welche Rolle nichteheliche Liebesbeziehungen zwischen dem Prozessbeteiligten und dem Zeugen insofern zu spielen haben (BGHSt 14 229, dazu kritisch Bindokat NJW 1960 2318, 2319; OLG Düsseldorf NJW 1994 272, 273), findet man keine umfassenden und überzeugenden Antworten. Doch dürfte Lackner (JR 1969 27, 29 f) darin zuzustimmen sein, dass derartige Verhältnisse und Beziehungen für sich allein immer nur sittliche, aber schwerlich rechtliche Pflichten zur Verhinderung der Falschaussage begründen können. Es blieben dann wohl nur die wenigen Fälle übrig, in denen nachweisbar nur eine begrenzte Anstiftung entweder zur (straflosen) Falschaussage vor der Polizei oder zur uneidlichen Falschaussage vor Gericht gegeben ist und der Anstifter es dann, statt aufklärend einzugreifen, zu der falschen uneidlichen oder eidlichen Aussage vor Gericht kommen lässt26 oder in denen sich eine starke persönliche Abhängigkeit („Hörigkeit“) des ohne besonderes Zutun des etwaigen Gehilfen herangezogenen Zeugen mit einer irgendwie gearteten Verstrickung in das Tatgeschehen verbunden hat.27 Über die besondere Frage der Bedeutung des Rechts zur Verweigerung der Aussage im Zu- 18 sammenhang mit der Beihilfe zur Falschaussage durch pflichtwidriges Unterlassen liegt keine einheitliche Rechtsprechung vor. Das Oberlandesgericht Hamm (NStZ 1983 82, 83) misst dem nach § 55 StPO bestehenden Aussageverweigerungsrecht im Hinblick auf die Garantenpflicht des Gehilfen keine Bedeutung bei. Die Entscheidung BGH NJW 1953 1399 verneinte zutreffend eine Rechtspflicht zum Handeln, wenn der „Gehilfe“ dem Zeugen die Verweigerung der Aussage empfohlen hatte. Im Gegensatz dazu will BGHSt 14 229 die aus dem Bestehen eines Liebesverhältnisses hergeleitete Rechtspflicht zum Eingreifen auch dann noch wirksam sein lassen, wenn ausdrücklich die Verweigerung der Auskunft durch die Ehebruchszeugin abgesprochen war. In gleicher Weise bedenklich erscheint KG JR 1969 27, wo die Pflicht des Vaters zur Verhinderung der Falschaussage bejaht wurde, obwohl dieser seinen als Zeugen vernommenen Sohn aus26 S. BGH 1 StR 379/51 v. 18.9.1951; 2 StR 32/58 v. 19.2.1958. 27 BGH 1 StR 504/60 v. 20.12.1960. Vgl. hierzu auch die teilweise kritischen Ausführungen im Schrifttum: Zöller SK § 153 Rdn. 52 f; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm vor § 153 Rdn. 40; Vormbaum NK § 153 Rdn. 114 f; SSW/Sinn § 153 Rdn. 26; Lackner/Kühl/Heger vor § 153 Rdn. 7; Fischer § 153 Rdn. 15; Müller MK Rdn. 31 ff; § 153 Rdn. 73 ff; Scheffler GA 1993 341, 348; Seebode NStZ 1993 83; Tenter wistra 1994 247; Brammsen StV 1994 135; Prittwitz StV 1995 270; Heinrich JuS 1995 1115; Bartholme JA 1998 204; Geppert Jura 2002 173, 179; Otto Grundkurs Strafrecht BT § 97 Rdn. 76; Krey/Hellmann/Heinrich BT 1 Rdn. 772; Schünemann Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, Bd. 86 der Göttinger Rechtswiss. Studien (1971) S. 199; Vollmann Beihilfe zum Meineid durch Unterlassen, Diss. München 1965; Welp Vorangegangenes Tun als Grundlage einer Handlungsäquivalenz der Unterlassung, Schriften zum Strafrecht Bd. 9 (1968) S. 707 ff. 111
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drücklich um die Aussageverweigerung gebeten hatte; der Kritik Lackners (JR 1969 27, 29), dass hier fälschlich eine sittliche Verpflichtung als Rechtspflicht begriffen worden sei, ist zuzustimmen. 19 Die Frage, ob auch der als Prozessbevollmächtigter oder Verteidiger am Verfahren beteiligte Rechtsanwalt Beihilfe durch Unterlassen zur Falschaussage eines Zeugen begehen kann, haben RGSt 70 82 und BGHSt 4 327 behandelt. RGSt 70 82 wollte eine Rechtspflicht zum Handeln aus § 138 ZPO und dem Standesrecht ableiten. BGHSt 4 327 ist dem mit Recht entgegengetreten, hatte es jedoch nur mit dem Fall zu tun, dass der Rechtsanwalt den Zeugen für eine wahre oder doch von ihm für wahr gehaltene Prozessbehauptung benannt hatte. Immerhin lässt sich der Entscheidung ihrer Tendenz nach entnehmen, dass eine Ingerenz für den Rechtsanwalt auf Grund von ihm vorgenommener Prozesshandlungen auszuscheiden hat. Es wäre, wie Vollmann (Beihilfe zum Meineid durch Unterlassen S. 96) zutreffend betont, mit der prozessualen Stellung des Rechtsanwalts unvereinbar, ihn unter dem Druck der Meineidsstrafe zur Offenbarung und damit zugleich zur Verletzung seiner Treu- und Schweigepflicht zu zwingen. Folgerichtig sieht Vollmann nur dann eine Rechtspflicht des Anwalts zum Eingreifen als vorliegend an, wenn der von der Gegenseite benannte Zeuge zu deren Gunsten falsch aussagt und der Anwalt von der Unwahrheit der Bekundung Kenntnis hat (S. 94).
IX. Vorsatz 20 Der Tatbestand erfordert Vorsatz (vgl. die Ausführungen zu § 153 Rdn. 15). Der Vorsatz des Täters muss sich darauf erstrecken, dass die Aussage falsch ist, sich also nicht mit der Wirklichkeit deckt, dass sie ferner unter den Eid fällt und dass die Stelle, vor der er schwört, eine für die Eidesabnahme zuständige Stelle ist. Eventualvorsatz reicht aus. Beim Auftauchen von Irrtumsproblemen muss davor gewarnt werden, an Hand von Fällen des Offenbarungseids getroffene Entscheidungen wie etwa BGHSt 2 74, 76 einerseits und BGHSt 14 345, 350 andererseits zu verallgemeinern. Beim Offenbarungseid war der Aussagegegenstand gesetzlich fixiert, bei der Zeugenaussage wird er durch das von Fall zu Fall unterschiedliche und durch Fragestellungen im Sinne einer Erweiterung veränderliche Beweisthema bestimmt, was eine ganz andere Ausgangslage schafft. Zum anderen sollte die Eidespflicht immer im engsten Zusammenhang mit der durch das Beweisthema begrenzten Aussagepflicht gesehen werden. Dass ein Zeuge sich hinsichtlich bestimmter Angaben für aussagepflichtig hält, aber zugleich die eidliche Beteuerung nicht auf diese Angaben bezieht, ist kaum vorstellbar (vgl. BGHSt 4 214 und § 153 Rdn. 12). Beispiele für Fälle eines Tatbestandsirrtums werden behandelt in BGHSt 1 148, 150, 3 221, 226 (Irrtum über die Tragweite des Beweisthemas), BGHSt 3 248 (Zuständigkeit des Gerichts zur Abnahme von Eiden), von Verbotsirrtum in BGHSt 5 111, 118 und 10 8, 15 (irrige Annahme der Befugnis zu einer Falschaussage). Wenn in BGHSt 14 345, 350 gesagt wird, die irrige Annahme des Täters, eine von ihm beschworene Falschaussage falle unter die Wahrheitspflicht, sei als Wahnverbrechen anzusehen, so ist dies nur in Bezug auf den dort behandelten Fall des Offenbarungseids zutreffend. Für die Aussage des Zeugen oder der Partei muss unterschieden werden. Glaubt der Zeuge, dass etwas Gegenstand des Beweisthemas und damit seiner Aussagepflicht sei, was in Wahrheit gar nicht von ihm erfragt ist, so liegt darin ein Tatbestandsirrtum, während ein Wahndelikt nur in den Fällen gegeben ist, in denen der Zeuge rechtlich über das Maß seiner Aussagepflicht irrt, indem er etwa glaubt, dass jede auch nur beiläufig von ihm vermerkte Nebensächlichkeit (vgl. Vor § 153 Rdn. 25) vom Tatbestand der Aussagedelikte und insbesondere der Eidespflicht erfasst werde.28
28 Vgl. dazu aber Demuth NJW 1974 757 in der Anm. zu BGHSt 25 246 sowie Roxin JZ 1996 981. Wolters/Ruß
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XIII. Wahlfeststellung
StGB § 154
X. Notstand Ausnahmsweise kann der Meineid durch Notstand nach § 35 StGB entschuldigt sein: BGHSt 5 21 371 (vgl. Zieschang LK12 § 35 Rdn. 27); RGSt 66 98, 222, 397, 67 264.
XI. Versuch Der Versuch setzt beim Voreid den Beginn der Aussage,29 beim Nacheid den Beginn der Eides- 22 leistung (durch das Nachsprechen der Eidesformel) voraus (BGHSt 4 172, 176; RGSt 54 117, 120; OGHSt 2 161), bei hör- oder sprachbehinderten Personen entsprechend den Beginn der in § 66 Abs. 1 StPO u. § 483 ZPO vorgesehenen Förmlichkeiten. Auch der Gebrauch einer nicht gesetzesmäßigen Beteuerungsformel kann Versuch sein (RGSt 67 331, 333). Für den untauglichen Versuch sind die allgemeinen Regeln maßgebend (s. dazu die Rdn. 20 behandelten Fälle des Tatbestandsirrtums). Im Gegensatz zu BGHSt 3 248, 253, RGSt 60 27, 72 80, ist mit OLG Bamberg NJW 1949 876 ein Wahndelikt anzunehmen, wenn der Eid von einer Stelle abgenommen wird, der die Befugnis zur Abnahme von Eiden in keiner Form zusteht, etwa bei Vereidigung durch einen Polizeibeamten (dazu auch Roxin JZ 1996 981). Ist die Stelle an sich zur Abnahme von Eiden zu Beweiszwecken zuständig, war jedoch der abgenommene Eid im Einzelfall nicht statthaft oder unwirksam, da ihn ein dazu nicht befugter Angehöriger der Behörde abnahm, so liegt untauglicher Versuch vor (BGHSt 12 56, 58). Bei Rücktritt vom Versuch bleibt § 153 anwendbar (BGHSt 8 301, 315).
XII. Strafe Die Strafe ist Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr,30 in minder schweren Fällen Freiheitsstrafe 23 von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Die Annahme eines minder schweren Falles wird vor allem in den Vor § 153 Rdn. 29 erörterten Fällen fehlerhafter Vernehmung und Eidesabnahme naheliegen, im Übrigen sind bei Vernehmung und Eidesabnahme begangene Verfahrensverstöße bei der Strafbemessung zu berücksichtigen, und zwar auch dann, wenn den Vernehmenden kein Verschulden trifft (vgl. Vor § 153 Rdn. 31).31 Ob der Eid in religiöser Form geleistet wurde oder nicht, darf für die Strafzumessung keine Rolle spielen.32
XIII. Wahlfeststellung Zur Wahlfeststellung s. § 153 Rdn. 14. Nach BGHSt 4 340, 341 ist die Verurteilung wegen fahr- 24 lässigen Falscheides nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Verdacht einer vorsätzlichen eidlichen Falschaussage fortbesteht. Wahlfeststellung ist nach OLG Hamm GA 1974 84 auch im Verhältnis von § 154 und § 156 möglich. Die Kritik in JA 1974 321 bezweifelt unter Berufung auf den sakralen Hintergrund des Eides, dem von Gesetzes wegen keine Bedeutung mehr zukommen 29 S. Eisele JA 2011 667, 669; Hettinger/Bender JuS 2015, 577, 582. 30 Krit. zur Strafdrohung Vormbaum FS Beulke 581, 583. 31 Vgl. dazu aus der Rechtsprechung: BGHSt 8 186, 189 f; 17 128, 133 ff; 23 30, 32; 27 74; BGH NJW 1992 1054, 1055; NStZ 1981 268 f; 1984 134; 1991 280 (selbständige Bedeutung neben § 157); 2005 33, 34; StV 1982 521; 1986 341; 1987 195, 196; 1988 427; 1995 249; wistra 1987 22, 23; 1993 258; 1999 261; BayObLG NStZ-RR 1999 174; OLG Hamm MDR 1977 1034; NStZ 1984 551; OLG Köln NJW 1988 2485, 2487; OLG Karlsruhe MDR 1993 368, 369; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1996 137; OLG Frankfurt a. M. NStZ-RR 2001 299; aber: BGH NJW 1958 1832; JR 1981 248 m. Anm. Bruns; BGH bei Detter NStZ 1991 475, 478. 32 BGH 1 StR 515/56 v. 1.3.1957. 113
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§ 154 StGB
Meineid
kann, zu Unrecht die rechtsethische und psychologische Vergleichbarkeit. Wahlfeststellung wurde ferner anerkannt zwischen uneidlicher Falschaussage und Meineid (BGHSt 13 70, 72; BGH NJW 1957 1886) und zwischen Meineid und falscher Verdächtigung (BayObLG MDR 1977 860). Vgl dazu Dannecker LK Anh § 1 Rdn. 146.
XIV. Konkurrenzen 25 Über Konkurrenzen siehe § 153 Rdn. 16, 18.
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§ 155 Eidesgleiche Bekräftigungen Dem Eid stehen gleich 1. die den Eid ersetzende Bekräftigung, 2. die Berufung auf einen früheren Eid oder auf eine frühere Bekräftigung.
Schrifttum Siehe vor § 153.
Entstehungsgeschichte Die zuvor zum ursprünglichen Bestand des StGB gehörende Vorschrift ist durch Art. 3 des Gesetzes zur Ergänzung des 1. StVRG vom 20.12.1974 (BGBl. I 3668) gänzlich neu gefasst und den durch das genannte Gesetz veränderten Bestimmungen über die Abnahme von Eiden und ihnen gleichgestellten Bekräftigungen angepasst worden. Sie war vorher in ihrer Nummer 1 gleichermaßen eine Erinnerung an die Zeit der ausschließlichen Geltung des religiösen Eides geblieben, der auch noch nach der Einführung des weltlichen Eides durch die Weimarer Verfassung in den Prozessordnungen eine wenigstens äußerlich vorrangige Stellung behauptete. Nach der Beseitigung auch dieses „Überhangs“ durch das Gesetz vom 20.12.1974 war kein Raum mehr für eine Regelung, die in ihrem Ursprung als Privilegierung bestimmter Religionsgemeinschaften zum Gebrauch ihrer eignen Beteuerungsformeln anstelle des allgemeinen religiösen Eides gedacht war. Dieser Sinngehalt einer Rücksichtnahme auf weltanschaulich begründete Bedenken gegen die allgemein vorgeschriebene Form des Eides ist jedoch bei der neuen Regelung in eigenartiger Verwandlung und Verbreiterung bestehen geblieben. Ging es früher darum, einzelnen religiösen Gruppen wie Mennoniten und Philipponen gerecht zu werden, so wird jetzt eine ganz umfassende Toleranz geübt und im Anschluss an BVerfGE 33 23 sogar solchen Skrupulanten Rechnung getragen, denen selbst der Eid in der weltlichen Form noch zu viel sakrale Färbung besitzt. Wenn es diesen jetzt auf Verlangen gestattet ist, die Frage nach der Bekräftigung der Wahrheit ihres Zeugnisses mit einem schlichten Ja zu beantworten, konnten ihnen nicht zugleich die an Eidesverletzungen geknüpften strafrechtlichen Sanktionen erspart bleiben. Ihr Ja bedurfte strafrechtlich der Gleichstellung mit dem Eid.
Übersicht I.
Kein selbständiger Tatbestand
II.
Zweck der Vorschrift
III.
Verfahrensrechtliche Voraussetzung
1
1. 2.
1a 3.
2a Der Eid des Zeugen Der Eid des Sachverständigen und Dolmet4d schers 4e Diensteid des Beamten
2
I. Kein selbständiger Tatbestand Die Vorschrift enthält keinen selbständigen Tatbestand,1 sondern ersetzt und umschreibt nur 1 ein bestimmtes Tatbestandsmerkmal des § 154 (RG JW 1938 3103). Insoweit wird der Begriff des Schwörens durch Anfügung zusätzlicher Varianten ergänzt.
II. Zweck der Vorschrift In §§ 154, 160 und 161 unmittelbar angesprochen ist die Eidesleistung, für welche die Verfahrens- 1a gesetze jetzt die weltliche und religiöse Form deutlich zur Wahl stellen (§§ 57 S. 3, 64 StPO, §§ 480, 481 ZPO). Dieser Eidesleistung strafrechtlich gleich zu achten ist nach § 155 Nr. 1 die neu einge1 Vgl. zu Fragen des Versuchs Vormbaum JZ 2012, 195 f. 115 https://doi.org/10.1515/9783110490107-015
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§ 155 StGB
Eidesgleiche Bekräftigungen
führte Bekräftigung gem. § 65 StPO, § 484 ZPO, die einer Beweisperson abgenommen wird, welche aus Glaubens- oder Gewissensgründen überhaupt keinen Eid leisten will, die also eine mit den Begriffen des Eides und des Schwörens bezeichnete Bekräftigung auch dort scheut, wo ihr der Gesetzgeber jeden religiös-sakralen Sinn nehmen wollte. In dieser für den Tatbestand des § 154 wie der Tatbestände des § 160 und § 161 bedeutsamen Gleichstellung erschöpft sich der Zweck der Vorschrift. Religiöse Bekräftigungsformeln besonderer Art können jetzt gemäß §§ 64 Abs. 3, 65 Abs. 3 StPO und § 481 Abs. 3, § 484 Abs. 3 ZPO von der Beweisperson nach ihrem Belieben jeder der drei vom Gesetz vorgesehenen Grundformen des Schwurs angefügt werden, ohne dass dies noch eine sachliche Bedeutung für eine Anwendbarkeit der strafrechtlichen Tatbestände haben könnte. Es handelt sich insofern nur noch um ein besonderes Entgegenkommen des Gesetzgebers gegenüber den Beweispersonen und dem vernehmenden Richter, dem damit die Durchsetzung der Bekräftigungspflicht erleichtert sein kann, dass er auf solche Eigenheiten Rücksicht nimmt.
III. Verfahrensrechtliche Voraussetzung 2 Nach den Verfahrensgesetzen kann die Eidesleistung oder Bekräftigung unter bestimmten Voraussetzungen durch die förmliche Berufung auf einen früheren Eid oder auf eine frühere Bekräftigung ersetzt werden. Dem trägt Nummer 2 Rechnung, indem sie die Berufung auf den früheren Eid etc. dem Eide gleichstellt. Die neue knappe Fassung ersetzt und umfasst die zuvor in zwei Ziffern behandelte und mehr ins Einzelne gehende Regelung. Zu unterscheiden sind drei Fallgruppen (vgl. BTDrucks. 7/2526 S. 26):
1. Der Eid des Zeugen 2a a) Im Vordergrund stehen die Fälle, in denen durch die Berufung eine sonst erforderliche zweite Eidesabnahme in ein- und demselben Verfahren ersetzt wird, also die Regelung für Zeugen in § 67 StPO, die nach § 72 StPO entsprechend für den Sachverständigen gilt, und die gleichartige Regelung für den Zeugen in § 398 Abs. 3 ZPO, die nach § 402 ZPO auf Vernehmungen des Sachverständigen und nach § 451 ZPO auf die Parteivernehmung entsprechend anzuwenden ist. 2b In diesem Zusammenhang ist umstritten, ob nur eine solche Berufung die in der Vorschrift bestimmte Gleichstellung mit dem Eid genießt, welche verfahrensrechtlich statthaft ist (so Fischer Rdn. 4; Vormbaum NK Rdn. 7; Müller MK Rdn. 8; Zöller SK Rdn. 4), oder ob es auf die prozessuale Zulässigkeit der Berufung nicht ankommt, sofern nur die Vereidigung in dem Verfahren vorgesehen ist (so Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 5; wohl auch Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3). Die Meinungsverschiedenheit hat ihren Ursprung in der Rechtsprechung des Reichsgerichts, welche durch die frühere Fassung des § 155 Nr. 2 bedingt war, wo ausdrücklich von dem „bereits früher in derselben Angelegenheit geleisteten Eid“ gesprochen wurde. 3 Auch für das heutige Verständnis dürfte demnach von Bedeutung sein, dass das Reichsgericht den Begriff „derselben Angelegenheit‘ als einen eigenen strafrechtlicher Art angesehen und in seiner sachlichen Tragweite nicht nach den entsprechenden (oben angeführten) verfahrensrechtlichen Vorschriften bemessen hat. So hat es für die Berufung auf einen früher geleisteten Eid in Zivilsachen ausgesprochen, dass hier unter derselben Sache stets und allein die durch Klageerhebung rechtshängig gewordene Streitsache, dagegen nicht das Beweisthema zu verstehen sei (RG HRR 1935 395). Der in RGZ 48 384, 386 vertretenen Auffassung, dass § 398 Abs. 3 ZPO nicht anwendbar und demgemäß die Berufung auf den früheren Eid unzulässig und rechtsunwirksam sei, wenn die zweite Vernehmung ein anderes Beweisthema betroffen habe, hat es deshalb für die Anwendung des § 155 Nr. 2 keine Bedeutung zuerkannt. In Strafsachen hat es als „dieselbe Angelegenheit“ einerseits ganz allgemein dasselbe Verfahren, andererseits aber auch unabhängig hiervon „ein und denselben, die gleichen Personen und die gleiche Straftat betreffenden Hergang“ verstanden. Es hat es darum als strafrechtlich irrelevant beurteilt, dass Wolters/Ruß
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III. Verfahrensrechtliche Voraussetzung
StGB § 155
die Eidesleistung in der Hauptverhandlung entgegen der ausdrücklichen Vorschrift des § 67 StPO durch Berufung auf einen im Vorverfahren geleisteten Eid ersetzt wurde (RGSt 17 409) oder dass die Eidesleistung in der Hauptverhandlung durch die Berufung auf einen Eid ersetzt wurde, den der Zeuge in einem schon abgeschlossenen Verfahren gegen einen wegen derselben Tat abgeurteilten Mitangeklagten geleistet hatte (RGSt 30 130, 131). Erst die Entscheidung RGSt 70 199, 200 hat sich unter der Hand von dieser Linie entfernt, indem sie die Frage der prozessrechtlichen Wirksamkeit der ausgesprochenen Berufung nicht auf die Seite schob, sondern den in RGZ 48 386 behandelten sachlichen Gesichtspunkt ausschlaggebend sein ließ. In der Tat kann eine verfahrensrechtlich unzulässige und damit unwirksame Eidesleistung nicht als vollendeter Meineid bewertet werden. Hier kann immer nur, wie es RGSt 67 331, 332 für die im Offenbarungseidsverfahren unstatthafte Berufung auf den früheren Eid dargelegt und RGSt 70 199, 200 für die hier strittigen Fälle angedeutet hat, ein versuchter Meineid gegeben sein (vgl. auch BGH GA 1958 112). Die in der achten Auflage ebenso wie im Schrifttum kritiklos hingenommene Rechtsprechung des Reichsgerichts praktizierte strafrechtliche Autonomie am falschen Platz und war dabei wohl auch vom überholten Verständnis des Meineids als eines Religionsverbrechens beeinflusst. Nachdem der Gesetzgeber die eigene Umschreibung des Gegenstands in § 155 aufgegeben hat, sollte es selbstverständlich sein, dass nur eine solche Berufung dem Eide gleichstehen kann, welche verfahrensrechtlich statthaft war. Hiernach kann in Fällen, in denen die Berufung abgenommen wurde, obwohl sie nach der verfahrensrechtlichen Regelung nicht an die Stelle der Vereidigung treten durfte, nur ein Versuch in Betracht kommen. b) Zur verfahrensrechtlichen Regelung im Einzelnen ist zu sagen: Zwischen Zeugen und Sachverständigen ist streng zu scheiden. Die Berufung des Zeugen auf einen vorher geleisteten Sachverständigeneid ist nicht statthaft, ebenso umgekehrt (OLG Köln MDR 1955 183). In Strafsachen ist die Berufung nur jeweils innerhalb des Vorverfahrens und des Hauptverfahrens zulässig, die Berufung eines im Hauptverfahren vernommenen Zeugen auf einen im Vorverfahren geleisteten Eid also ausgeschlossen (RGSt 64 377, 379). Das Hauptverfahren umfasst die Zeit vom Eröffnungsbeschluss bis zum rechtskräftigen Abschluss, wobei ein Wechsel in der Zuständigkeit nichts verschlägt (BGHSt 23 283, 285; RG GA Bd. 63 S. 439). In Zivilsachen gilt für Zeugen und Parteien, dass die Berufung nur im selben Verfahren und zum selben Beweisthema oder zu mit dem früheren Beweisthema in Verbindung stehenden Fragen, desgleichen zu Fragen, die sich auf persönliche Verhältnisse der Aussageperson beziehen, statthaft ist. Betrifft die neue Vernehmung ein ganz anderes Thema, so kommt eine Berufung nicht in Betracht (RGZ 70 200; 48 386, 391). c) In förmlicher Hinsicht ist zu beachten, dass es nicht genügt, wenn der vernehmende Richter bloß auf den früheren Eid hinweist (BGHSt 4 140). Vielmehr muss der Zeuge etc., wenn auch nicht gerade mit den Worten des Gesetzes, eine ausdrückliche Versicherung unter Bezugnahme auf den früheren Eid abgeben (RGSt 3 100, 102). Es genügt, wenn er die Berufung auf den früheren Eid irgendwie zum Ausdruck bringt (RG JW 1934 2850),2 etwa durch Beantwortung der entsprechenden Frage des vernehmenden Richters mit „Ja“.3
3a
3b
4
4a
4b
4c
2. Der Eid des Sachverständigen und Dolmetschers Die zweite Gruppe betrifft die Fälle, in denen Sachverständige für Gutachten der einschlägigen 4d Art allgemein vereidigt sind (§ 79 Abs. 3 StPO, § 410 Abs. 2 ZPO). Hier ist die Berufung stets 2 Vgl. auch Mückenberger AnwK Rdn. 2. 3 Zu der sich hieraus ergebenden Frage, wann der Versuch beginnt, ob ein unbeendeter Versuch überhaupt Platz greifen kann und wie andere Gestaltungen des Versuchs einzuordnen sind, s. die lesenswerte Glosse von Vormbaum JZ 2012, 195 f. 117
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§ 155 StGB
Eidesgleiche Bekräftigungen
statthaft ohne Rücksicht darauf, um welches Verfahren und um welchen Verfahrensabschnitt es sich handelt. Für den Dolmetscher, dessen Eid wie der Eid eines Sachverständigen zu beurteilen ist (BGHSt. 4 154), obwohl er verfahrensrechtlich eine Sonderstellung hat,4 ist auf § 189 Abs. 2 GVG zu verweisen. Als Berufung genügt, wenn er sich bei der Vernehmung zur Person als „allgemein vereidigter Dolmetscher“ bezeichnet.5
3. Diensteid des Beamten 4e Die dritte Gruppe bilden die Beamten im staatsrechtlichen Sinne (§ 11 Abs. 1 Nr. 2a), die einen Diensteid geleistet haben. Bei ihnen ist in vom Gesetz vorgesehenen Fällen die Berufung auf den Diensteid Eidesersatz. Dieser Fall hat kaum praktische Bedeutung. Bundesrechtlich ist eine Berufung dieser Art nur in § 386 Abs. 2 ZPO vorgesehen. Landesrechtlich ist eine entsprechende Regelung in Disziplinarsachen sowie in Forst- und Feldrügesachen möglich (§ 3 Abs. 3 EGStPO).
4 Vgl. Meyer-Goßner/Schmitt § 185 GVG Rdn. 7. 5 BGH 1 StR 138/74 v. 18.6.1974. Wolters/Ruß
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§ 156 Falsche Versicherung an Eides Statt Wer vor einer zur Abnahme einer Versicherung an Eides Statt zuständigen Behörde eine solche Versicherung falsch abgibt oder unter Berufung auf eine solche Versicherung falsch aussagt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Schrifttum Blomeyer Die falsche eidesstattliche Versicherung im Verfahren des Arrestes und der einstweiligen Verfügung, JR 1976 441; St. Cramer Falsche Versicherung an Eides Statt durch Verschweigen entscheidungserheblicher Tatsachen, Jura 1998 337; D. Dölling Eid und eidesstattliche Versicherung, NZFam 2014 112; Fahl Eidesstattliche Versicherung des Promovenden zur Bekämpfung des Plagiatsunwesens, ZRP 2012 7; Glenk Strafrechtliche Aspekte der eidesstattlichen Versicherung im Verfahren zur Vermögensauskunft nach ZPO und AO, StraFo 2013 413; Goeckenjan „Wissenschaftsbetrug“ als Straftat? JZ 2013 723; H. J. Hirsch Ist die versuchte falsche eidesstattliche Versicherung noch strafbar? JZ 1955 234; Kutsch Form der Abgabe eidesstattlicher Versicherungen in Fällen des § 5 StVG, NZV 2006 237; Leibinger Zur Strafbarkeit der falschen Versicherung an Eides Statt, Festschrift Rebmann (1989) 259; Martens Eidesstattliche Versicherung in der Sozialversicherung, Versorgung und Sozialgerichtsbarkeit, NJW 1957 1663; Michaelis Eidesstattliche Versicherung und Verletzung der Wahrheitspflicht durch Verschweigen, NJW 1960 663; Oswald Die eidesstattliche Versicherung, JR 1953 292; Prinzing Meineid durch unrichtige Angaben im Offenbarungseidsverfahren, NJW 1962 567; Schönke Zur Strafbarkeit falscher eidesstattlicher Versicherungen, SJZ 1948 299; Schubath Zur Strafbarkeit einer wissentlich falschen Versicherung an Eides Statt im Strafverfahren, MDR 1972 744; Weiß Selbstbezichtigungsfreiheit und vollstreckungsrechtliche Vermögensauskunft, NJW 2014 503; Zipfel Die Zuständigkeit zur Abnahme von eidesstattlichen Versicherungen im Sinne des § 156 StGB, NJW 1951 950; Zwiehoff Eidesstattliche Versicherungen im Strafverfahren? Festschrift Bemmann (1997) 652. – S. ferner die Angaben vor § 153.
Entstehungsgeschichte Die Strafvorschrift hat ihr Vorbild in § 129 des preußischen Strafgesetzbuches und stellt eine Besonderheit des deutschen Rechts dar.1 Die Strafbarkeit des Versuchs war – wohl als Reaktion auf die einschränkende Rechtsprechung des Reichsgerichts zum Merkmal der „zuständigen Behörde“ – in der StrafrechtsangleichungsVO von 1943 ausdrücklich angeordnet, ist aber durch das dritte StRÄndG vom 4.8.1953 (BGBl. I 735) wieder beseitigt worden. Die Schwierigkeit der Grenzziehung auf Grund des Merkmals der unzuständigen Behörde ist damit nicht hinfällig geworden, sondern hat im Gegenteil höheres Gewicht erlangt, weil es jetzt nicht mehr bloß um den Übergang zur möglicherweise geringeren Versuchsstrafe, sondern um den Übergang zur Straflosigkeit geht: Das EGStGB strich das Wort „wissentlich“ (Art. 19 Nr. 62), beseitigte die Mindeststrafe von einem Monat (Art. 11) und brachte die wahlweise Androhung der Geldstrafe (Art. 12 Abs. 1). Vgl. im Übrigen die Entstehungsgeschichte vor § 153.
Übersicht I.
Wesen und Bedeutung
1
4.
II.
Form der Versicherung
2
5. 6.
Bei anderen Zweigen der Gerichtsbar13a keit 14 In der öffentlichen Verwaltung Einzelbeispiele aus der Rechtsprechung
III.
Zuständige Behörde. Allgemeine Grund5 sätze
V.
Zur zweiten Modalität des Tatbestands
VI.
Falsche Aussage
IV. 1. 2. 3.
Zur zuständigen Behörde im Besonde10a ren 11 Im Strafverfahren 12 Im Zivilprozess 13 In der freiwilligen Gerichtsbarkeit
15 16
17
VII. Versicherung nach § 802c ZPO
19
1 Dazu im Einzelnen Schönke SJZ 1948 299 und RGSt 19 414 (Vereinigte Strafsenate). 119 https://doi.org/10.1515/9783110490107-016
Wolters/Ruß
§ 156 StGB
Falsche Versicherung an Eides Statt
VIII. Versicherung bei anderen Auskunftspflich24 ten IX.
Innere Tatseite
27
X.
Teilnahme
XI.
Zusammentreffen
28
26
I. Wesen und Bedeutung 1 Die Versicherung an Eides Statt (richtige Rechtschreibung: an Eides statt) ist im Verhältnis zum Eid eine Form der Beteuerung der Wahrheit von minderem Gewicht.2 Sie steht als eigene Beteuerungsform selbständig neben dem Eid. Der Tatbestand behandelt demgemäß keinen Sonderfall des Meineids, sondern betrifft einen selbständigen Gegenstand (RGSt 67 168, 169). Als eigene Beweisform dient die eidesstattliche Versicherung vorzugsweise der Glaubhaftmachung von Tatsachen etwa in der Zwangsvollstreckung (§§ 707, 719, 769, 920, 936 ZPO), dem eigentlichen Beweise nur im Ausnahmefall (BGHSt 5 69, 71). Ein weites Feld der praktischen Anwendung3 ist ihr durch das am 1.7.1970 in Kraft getretene Gesetz vom 27.6.1970 (BGBl. I 911) mit der Ersetzung des Offenbarungseids durch entsprechende eidesstattliche Versicherungen zugeschlagen worden. Im Übrigen hat stets die Tendenz bestanden, den Anwendungsbereich der eidesstattlichen Versicherung auszuweiten. Diese Neigung hat sich vor allem nach dem zweiten Weltkrieg geradezu epidemisch geäußert (vgl. Zipfel NJW 1951 950) und zu einer Entwertung dieser Beweisform geführt, obwohl das Reichsgericht und später der Oberste Gerichtshof für die Britische Zone sowie der Bundesgerichtshof bemüht waren, dem mit ihrer Rechtsprechung zum Tatbestandsmerkmal der „zuständigen Behörde“ entgegenzuwirken. Ihr heute erhebliche Bedeutung zeigt sich insbesondere im Eilverfahren und in der Zwangsvollstreckung (dazu ausführlich Dölling NZFam 2014 112, 115).
II. Form der Versicherung 2 Die Form der Versicherung an Eides Statt ist gesetzlich – insbesondere in der ZPO und dem FamFG – nicht näher ausgestaltet.4 Zunächst muss sie sich objektiv, äußerlich und ihrem Inhalt nach als solche zeigen; sie muss tatsächlich „an Eides Statt ausgestellt, an Eides Statt abgegeben“ sein. Das bloße Erbieten oder gar nur Vorhaben, etwas unter Eid oder an Eides Statt erklären zu wollen, genügt nicht (RGSt 15 126, 130; 70 266, 267). Im Übrigen bestehen keine besonderen Vorschriften über die Form der eidesstattlichen Versicherung als solcher. Die Worte „an Eides Statt“ bilden, wie sich RGSt 15 126, 130 ausdrückt, keine „sakramentale Form“; sie können durch gleichbedeutende Ausdrücke ersetzt werden, sofern nur der Sinn unzweifelhaft bleibt, etwa durch die Worte: „an Stelle des Eides“.5 3 Die eidesstattliche Versicherung kann mündlich oder schriftlich abgegeben werden (RGSt 22 267, 268). Mündlich geschieht dies, indem der Versichernde sie vor der zuständigen Behörde mit deren Einverständnis ausspricht und die Behörde die Versicherung, indem sie sie vor sich aussprechen lässt, entgegennimmt. Muss die Versicherung zu Protokoll der Behörde erklärt werden (vgl. BGH StV 1985 505; BGH NStZ 2008 87), hat dies vor einem Vertreter der zuständigen Behörde zu geschehen, der intern zur Aufnahme ermächtigt ist. Eine schriftliche Abgabe der Versicherung geschieht, indem das die Versicherung enthaltende Schriftstück dem Willen des Versichernden gemäß der Behörde überreicht wird und diese das Schriftstück entgegennimmt, 2 3 4 5
Vgl. Dölling NZFam 2014 112, 115. Dazu Dölling NZFam 2014 112 ff. Dölling NZFam 2014 112, 115. Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4; Zöller SK Rdn. 3; Müller MK Rdn. 8 f; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 5; Vormbaum NK Rdn. 22; SSW/Sinn Rdn. 4. Wolters/Ruß
120
III. Zuständige Behörde. Allgemeine Grundsätze
StGB § 156
so dass sie vom Inhalt Kenntnis erlangen kann (BGHSt 45 16, 24) und zugleich an dem die eidesstattliche Versicherung verkörpernden Gegenstand Besitz ergreift (RGSt 22 267, 268; 32 436); insoweit genügt es für die Verwirklichung des Tatbestandes, dass das Schriftstück der Behörde zugänglich gemacht wird (RGSt 49 47, 49; vgl. auch OLG Stuttgart NStZ-RR 1996 265).6 Ist die eidesstattliche Versicherung in einer privatschriftlichen Urkunde niedergelegt, so ist 4 die Vorlegung in Urschrift erforderlich, eine Ablichtung genügt nicht.7 Reicht ein Rechtsanwalt eine von ihm beglaubigte Abschrift ein, so gibt er damit nur kund, dass ihm eine entsprechende urschriftliche Erklärung vorliegt und er diese einreichen könnte (RGSt 70 130, 133; RG GA Bd. 59 313). Nur eine gerichtlich oder notariell beglaubigte Abschrift oder die Ausfertigung einer gerichtlichen oder notariellen Urkunde kann die Urschrift ersetzen (RGSt 70 130, 133). Die Einreichung durch einen Dritten genügt, muss jedoch mit Wissen und Wollen des Erklärenden stattfinden (RGSt 22 267, 268; 32 436; 67 408). Doch zählt immer nur die Einreichung bei der Behörde, bei der die eidesstattliche Versicherung Beweiswirkung entfalten soll. Vgl. RGSt 47 156, 158 f: Aufnahme einer eidesstattlichen Versicherung durch einen Notar, die dann zur Unterstützung einer Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft eingereicht werden soll; BGH NJW 1953 994: Aufnahme einer eidesstattlichen Versicherung durch das Amtsgericht auf Ersuchen und für Zwecke einer Polizeidienststelle. Notar und Amtsgericht sind hier nur Werkzeuge bei der Abfassung, nicht Adressaten der eidesstattlichen Erklärung (vgl. BGH GA 1971 180, 181; OLG Frankfurt NStZ-RR 1996 294; auch OLG Düsseldorf NStZ 1991 38, 39; Näheres Rdn. 9 a. E.). Zuständig ist aber auch die Behörde, die im Wege der Rechtshilfe auf Ersuchen eines Gerichts oder einer anderen Behörde tätig wird, die selbst originär zur Abnahme eidesstattlicher Versicherungen zuständig ist. Diese wird hier (ebenso wie der Notar in den Fällen des §§ 352 Abs. 3 S. 3, 354 Abs. 1 FamFG, § 2368 BGB kraft Gesetzes) als Organ der originär zuständigen Behörde tätig (zweifelhaft daher BGH LM StGB § 156 Nr. 4, wo es als unerheblich bezeichnet wird, ob der Oberstaatsanwalt als Strafregisterbehörde selbst zur Abnahme einer eidesstattlichen Versicherung zuständig gewesen wäre, um deren Abnahme er ein Amtsgericht im Wege der Rechtshilfe ersucht hatte).8
III. Zuständige Behörde. Allgemeine Grundsätze Die Versicherung muss vor einer zur Abnahme einer Versicherung an Eides Statt zuständi- 5 gen Behörde erfolgen. Hierin liegt ein Merkmal des äußeren Tatbestandes, das vom Vorsatz des Täters umfasst sein muss (BGHSt 24 38).9 Insofern erforderlich ist indes allein eine „Parallelwertung in der Laiensphäre des Täters“ (BGHSt 3 248, 253 ff, 255 entgegen BGHSt 1 13, wo gefordert wurde, dass der Täter sich „Tatsachen vorstelle, die den Inhalt des Begriffs der zuständigen Behörde ausmachen“). Behörde ist eine in die Staatsverwaltung eingefügte beständige Einrichtung von einer ge- 6 wissen Selbständigkeit, die unter öffentlicher Autorität für die Erreichung dem Staat eigener oder vom Staat geförderter Zwecke tätig ist.10 Für § 156 wird es genügen, schlicht von Gerichten 6 S. ferner Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 19; Müller MK Rdn. 12; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 5; Zöller SK Rdn. 4; Vormbaum NK Rdn. 20.
7 Dölling NZFam 2014 112, 115. 8 Zur Einreichung einer eidesstattlichen Versicherung per Telefax: BayObLG JR 1996 292 mit kritischer Anmerkung Vormbaum/Zwiehoff; Zöller SK Rdn. 4; ferner Lackner/Kühl/Heger Rdn. 5; Müller MK Rdn. 12. Vgl. auch Dölling NZFam 2014 112, 115 f. 9 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 6; Zöller SK Rdn. 16; Fischer Rdn. 16; Vormbaum NK Rdn. 23 ff; Müller MK Rdn. 80; SSW/Sinn Rdn. 17; Krey/Hellmann/Heinrich BT 1 Rdn. 776; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 75 Rdn. 70, 63; abweichend Niese NJW 1949 812: Objektive Strafbarkeitsbedingung; Welzel JZ 1952 133, 135: Rechtspflichtmerkmal, das den Regeln über den Verbotsirrtum unterliegt. 10 In diesem Sinne BVerfGE 10 48; BGHZ 25 186 im Anschluss an RGSt 18 246; 54 150; ferner BGH MDR 1964 68, 69; BayObLG NStZ 1993 591, 592; Hilgendorf LK § 11 Rdn. 93. 121
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und anderen mit Staatsaufgaben befassten Einrichtungen zu sprechen, da das nähere Erfordernis der Zuständigkeit mit der darin liegenden Einschränkung die kompliziertere Definition überflüssig macht. 7 Für den Begriff der zuständigen Behörde in § 156 knüpfte das Reichsgericht zunächst an den in § 154 gebrauchten gleichen Begriff an und wollte ihn wie dort im Sinne der allgemeinen Zuständigkeit verstehen (RGSt 7 275, 278). Schon bald hat es weitere Erfordernisse gesehen und die allgemeine Zuständigkeit zur Abnahme eidesstattlicher Versicherungen nicht mehr ohne Weiteres genügen lassen (RGSt 13 161, 163; 58 147, 148). In RGSt 73 144, 145 sind diese zusätzlichen Erfordernisse dahin formuliert, dass „die eidesstattliche Versicherung über den Gegenstand, auf den sie sich bezieht, und in dem Verfahren, um das es sich handelt, der Behörde abgegeben werden darf und rechtlich nicht völlig wirkungslos ist“ (vgl. RGSt 74 125, 126; 75 399, 400). Dem Reichsgericht hat sich grundsätzlich auch der Bundesgerichtshof angeschlossen,11 auch im Schrifttum ist die Formel weitgehend akzeptiert worden.12 Mit der Tendenz, den Anwendungsbereich der eidesstattlichen Versicherung zu begrenzen, dürfte sie Zustimmung verdienen. Indessen ist sie in ihrer ersten Anforderung jedenfalls missverständlich, während beim dritten Erfordernis zweifelhaft sein kann, ob man es mit einem echten Mittel der Einschränkung zu tun hat oder ob hier nicht schlicht an sich schon falsche Ausuferungen in Grenzen gehalten werden sollen. Zum ersten Erfordernis ist zu sagen, dass es überhaupt nicht auf eine allgemeine Zuständigkeit zur Annahme eidesstattlicher Versicherungen ankommen kann und dass es eine solche allgemeine Zuständigkeit auch gar nicht gibt. Vielmehr kann es immer nur um die Frage gehen, ob eine bestimmte Behörde eine eidesstattliche Versicherung über einen bestimmten Sachbereich für ihre Zwecke als Beweismittel annehmen darf. Darin liegt dann zugleich die Antwort auf die von diesem Ausgangspunkt aus für sich genommen rechtlich bedeutungslose Frage, ob sie überhaupt zur Entgegennahme einer eidesstattlichen Versicherung befugt ist. Wollte man im gebräuchlichen Sinne eine allgemeine Zuständigkeit zur Entgegennahme eidesstattlicher Versicherungen für erforderlich halten, so müsste es konsequenterweise dem Gesetzgeber verwehrt sein, einer Behörde für einen ganz bestimmten Sachbereich, also gerade nicht allgemein die Befugnis zur Abnahme von eidesstattlichen Versicherungen zu übertragen. Das wäre ein absurdes Ergebnis. In der Tat ist nie in Zweifel gezogen worden, dass der Gesetzgeber für ein bestimmtes Verfahren in einem bestimmten Sachbereich die Zuständigkeit der betreffenden Behörde zur Abnahme eidesstattlicher Versicherungen begründen kann. Dies sind gerade die eindeutigen Fälle, bei denen niemandem nach einer allgemeinen Zuständigkeit zu fragen einfällt und bei denen auch die abstrakt gemeinte Frage, ob der Erklärung eine rechtliche Wirkung zukommen kann, überhaupt nicht auftaucht. Der Knoten löst sich, wenn man den eigentlichen Ausgangspunkt der Schwierigkeiten erkennt: Er ist darin zu finden, dass sich das Bedürfnis, mit eidesstattlichen Versicherungen zu arbeiten, immer wieder auch in Fällen zeigt, in denen es an einer solchen ausdrücklichen gesetzlichen Zulassung gebricht, und dass es hierfür dann auf begrenzende Kriterien ankommt, wenn man einen die Einrichtung entwertenden uferlosen Gebrauch der eidesstattlichen Versicherung verhindern will (vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 75 Rdn. 62). Hier ist dann zutreffend als wesentlicher Gesichtspunkt angesehen worden, dass die betreffende Behörde überhaupt zu förmlicher Erhebung von Beweisen und nicht bloß, was es, wie bereits betont, allgemein gar nicht gibt, zur Annahme eidesstattlicher Versicherungen befugt ist und dass innerhalb der für diese Behörde geltenden Regeln über die Erhebung
11 BGHSt 1 13, 16; 2 218, 222; 5 69; 7 1; 17 303; BGH NJW 1953 994; JR 1962 464; NJW 1966 1037; GA 1971 180, 181; 1973 109, 110; StV 1985 55; 1985 505; BGHR § 156 StGB Versicherung 1; NStZ 2008 87; vgl. ferner BayObLG NStZ 1990 340; BayObLG JR 1996 292, 294 m. Anm. Vormbaum/Zwiehoff; StV 1999 319 f; wistra 1998 194; OLG Stuttgart NStZ-RR 1996 265; OLG Frankfurt/M. NStZ-RR 1996 294. 12 Schönke SJZ 1948 299; Zipfel NJW 1951 950; Oswald JR 1953 292; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 75 Rdn. 63; Krey/Hellmann/Heinrich BT 1 Rdn. 777; Zöller SK Rdn. 5; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 8/9; Lackner/Kühl/ Heger Rdn. 2; Müller MK Rdn. 41 ff; Vormbaum NK Rdn. 25 ff; Fischer Rdn. 4; SSW/Sinn Rdn. 5. Wolters/Ruß
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von Beweisen der eidesstattlichen Versicherung ein Platz mit rechtlicher Relevanz zukommt (vgl. Mezger SJZ 1949 709). So betrachtet gewinnt auch die Formel von der „nicht völligen rechtlichen Wirkungslosig- 7a keit“ (vgl. RGSt 74 125, 126; 75 399, 400) deutlichere Konturen: Sie zielt auf die Fälle, in denen es nur auf Glaubhaftmachung ankommt und nicht der Eid, sondern die eidesstattliche Versicherung das äußerste Bekräftigungsmittel sein soll, weiter auf die Fälle des Freibeweises, wo beide Bekräftigungsmittel zur Wahl stehen (vgl. Willms Festschrift Heusinger 393, 398). Doch kommt es immer auch darauf an, welche Grenzen nach den Regeln des jeweiligen Verfahrens sonst noch zu beachten sind, ob diese eine bestimmte Art von Verfahrensbeteiligten von der Abgabe eidesstattlicher Versicherungen überhaupt ausschließen (RGSt 57 53, 54) oder ob die Statthaftigkeit der eidesstattlichen Versicherung von ihrer Anforderung durch die zuständige Behörde abhängt.13 Diese letzte Begrenzung ist besonders wichtig, wenn der fatalen Neigung zu spontanen eidesstattlichen Versicherungen wirksam begegnet werden soll (vgl. dazu BayObLG NJW 1998 1577). Sie hängt, was leider zu wenig beachtet wird, nicht einmal von einer ausdrücklichen gesetzlichen Vorschrift ab, sondern kann sich allein schon daraus ergeben, dass das beweiserhebende Organ nach den Grundsätzen des zu beachtenden Verfahrens Herr der Entscheidung darüber sein soll, ob eine ihm vorgetragene Aussage über Tatsachen mit einer besonderen Formel bekräftigt wird. So wie der Richter über die Abnahme des Eides entscheidet und ein ohne oder gegen seinen Willen vor ihm abgeleisteter Eid ein strafrechtlich irrelevanter Privateid bleibt, so kann auch eine eidesstattliche Versicherung ihm nicht ohne oder gegen seinen Willen aufgedrängt werden, sofern sie nicht nach der verfahrensrechtlichen Lage als Mittel der Glaubhaftmachung institutionell (mindestens auch) als spontaner Akt oder Beitrag des Verfahrensbeteiligten möglich ist (vgl. dazu Zöller SK Rdn. 8; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 14). BGH GA 1973 109 will die hier gemachte Unterscheidung zwischen institutionellen und 8 (nicht als tatbestandsmäßig anzusehenden) willkürlichen Spontanerklärungen nicht anerkennen, sondern anscheinend jede Spontanerklärung als tatbestandsmäßig gelten lassen, die das Gericht zu berücksichtigen vermag, sofern sie also für den Zweck tauglich ist, zu dem sie eingereicht wurde. In diesem Sinne wird dann die gebräuchliche Formel von der „nicht völligen rechtlichen Wirkungslosigkeit“ als ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal verstanden, das mit der Zuständigkeitsfrage nichts zu tun hat (Schubath MDR 1972 744). An Bemühungen, die aus dem Merkmal der zuständigen Behörde abgeleiteten Beschrän- 9 kungen überhaupt beiseite zu schieben und die eidesstattliche Versicherung ganz allgemein zu einem Mittel zu machen, mit dem für Behörden Aufklärung verschafft und einer Beweisnot abgeholfen werden kann, hat es nicht gefehlt. In der Rechtsprechung sind sie jedoch vereinzelt geblieben14 und alsbald zurückgewiesen worden.15 Im Schrifttum ist für die Notare eine umfassende Zuständigkeit zur Abnahme, statt bloß zur Beurkundung eidesstattlicher Versicherungen aller Art beansprucht worden.16 Jedoch ist dem § 22 BNotO so wenig wie vorher dem § 24 Abs. 2 RNotO und einschlägigem Landesrecht eine Zuständigkeit des Notars im Sinne des § 156 zu entnehmen.17 Anders verhält es sich kraft ausdrücklicher Vorschrift bei den Erklärungen nach §§ 352 Abs. 3 S. 3, 354 Abs. 1 FamFG, § 2368 BGB (BGH GA 1971 180, 181; RGSt 18 246; 74 175; 76 136, 138; vgl. auch Rdn. 4).
13 BGH StV 1985 505; RGSt 73 349; OLG Hamburg NJW 1960 113; OLG Bremen NJW 1962 2314. 14 OLG Freiburg DRZ 1947 65; OLG Celle NdsRpfl. 1947 66; OLG Nürnberg SJZ 1949 708. 15 OLG Tübingen DRZ 1947 267; OLG Kiel SJZ 1948 327; OLG Kassel NJW 1949 359 m. Anm. Bödicker; OLG Karlsruhe NJW 1951 414; OLG Oldenburg NJW 1951 973; OGHSt 2 186. In einzelnen Gesetzen ist die Zulässigkeit ausdrücklich verneint, z. B. § 19 Abs. 1 WehrpflG. 16 Weber DNotZ 1950 51 und 1954 177; Barnstedt DNotZ 1958 471 und NJW 1960 2303 (Anm.); zur gleichen Frage hinsichtlich der gerichtlichen Beurkundung Koehne JR 1954 455. 17 BGH GA 1971 180, 181; RGSt 74 125, 126; 74 175, 176; 76 138; BayObLG NJW 1998, 1577; OLG Stuttgart NJW 1960 2303; NStZ-RR 1996 265; OLG Frankfurt/M. NStZ-RR 1996 294. 123
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Wie schon betont wurde, ist die Zuständigkeit im oben umschriebenen Sinne abstrakt zu sehen, also zu fragen, ob zu einem bestimmten Aussagekomplex in einem bestimmten Verfahren und in einer bestimmten Verfahrenslage eidesstattliche Versicherungen statthaft sind. Dagegen kommt es nicht darauf an, ob die Abgabe oder Abnahme einer eidesstattlichen Versicherung im Einzelfall sachlich sinnvoll, geboten oder angemessen ist (RGSt 13 161, 164; 14 172; 47 37). Anders verhält es sich auch nicht, wenn die Erforderlichkeit der eidesstattlichen Versicherung in der Weise zu einer Prämisse der Zuständigkeit im Sinne des § 156 gemacht wurde, dass es ihrer ausdrücklichen Anforderung durch die Behörde bedarf und demgemäß die unverlangte (spontane) Abgabe der Versicherung ausgeschlossen ist (vgl. Rdn. 7 a. E.). Denn auch hier kommt es nur auf die Anforderung der Versicherung durch die Behörde als formale Voraussetzung und nicht darauf an, ob diese Anforderung im Einzelfall auch sinnvoll und nach der Sachlage erforderlich war.18
IV. Zur zuständigen Behörde im Besonderen 10a Im Einzelnen ist zu ergänzen:
1. Im Strafverfahren 11 Im Strafverfahren verbietet es die Stellung, welche der Beschuldigte einnimmt, diesen zur Versicherung an Eides Statt zuzulassen, und zwar auch dann, wenn nur Freibeweis über verfahrensrechtlich relevante Tatsachen zu erheben ist (BGH GA 1973 109, 110).19 Das gilt darüber hinaus für alle Verfahren, die an das Modell der Strafprozessordnung anknüpfen.20 Eidesstattliche Versicherungen von Zeugen im Strafverfahren sind auf jeden Fall unstatthaft, soweit sie sich auf für die Sachentscheidung, insbesondere die Schuldfrage bedeutsame Tatsachen beziehen.21 Gleiches gilt auch insoweit für Verfahren, die dem Vorbild der StPO folgen.22 Der entscheidende Grund für diese Begrenzung ist, dass die StPO die eidesstattliche Versicherung hier nicht als mögliche und zulässige Beweisform kennt. Deshalb kann auch der in RGSt 70 266, 268 vertretenen gegenteiligen Auffassung nicht gefolgt werden, welche die Zulässigkeit der eidesstattlichen Versicherung dieser Art daraus ableiten will, dass sie einer anderen Beweisperson vorgehalten werden oder als Unterlage für die Entscheidung dienen kann, ob Ladung und Vernehmung eines damit präsentierten Zeugen erfolgen soll (im letzteren Sinne auch schon RG HRR 1932 Nr. 2324). BGHSt 5 69 hat demgegenüber mit Recht darauf hingewiesen, dass eine einfache schriftliche Erklärung zu beidem ebenso dienlich ist. Man könnte auch daran denken, dass Fehlvorstellungen in Richtung des Freibeweises eine gewisse Rolle gespielt haben. Jedenfalls beschränkt sich der Gebrauch eidesstattlicher Versicherungen im Strafverfahren, soweit Zeugen in Betracht kommen, auf Fälle der Glaubhaftmachung und der Feststellung von Tatsachen als Grundlage von Neben- oder Zwischenentscheidungen wie Aussetzung der Vollstreckung (RGSt 28 8, 11), Aufhebung des Haftbefehls (RGSt 58 147, 148), Eröffnung des Hauptverfahrens,23 vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gem. § 111a StPO (BGH bei Dallin18 Zöller SK Rdn. 5; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 10; Fischer Rdn. 4; Vormbaum NK Rdn. 30; Lackner/ Kühl/Heger Rdn. 2; vgl. ferner Müller MK Rdn. 41 ff. 19 BGHSt 25 89, 92; BGH bei Dallinger MDR 1972 923, 924; RGSt 57 53, 54; BayObLG NStZ 1990 340; anders OLG Hamburg JR 1955 274 m. abl. Anm. Mittelbach und OLG Hamm MDR 1965 843. 20 OLG Hamm NJW 1974 327 für das Bußgeldverfahren. 21 RGSt 28 8; 37 209, 210; BGHSt. 17 303 speziell für den Fall der Zulassung der Wiederaufnahme gegen RG HRR 1934 Nr. 1723 und OLG Hamm NJW 1954 363; ferner BGHSt 24 38; BGH GA 1973 109, 110; BGH bei Dallinger MDR 1972 923, 924; BayObLG NJW 1998 1577. 22 RGSt 47 394, 397; OLG Hamm NJW 1974 327. 23 Müller MK Rdn. 52; Zöller SK Rdn. 7. Wolters/Ruß
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IV. Zur zuständigen Behörde im Besonderen
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ger MDR 1972 923 f und BGH GA 1973 109).24 Indessen ist gerade hier, was das Reichsgericht offenbar nicht beachtet hat, zu unterscheiden, dass die eidesstattliche Versicherung allein in Fällen der Glaubhaftmachung25 als Spontanerklärung zulässig ist, während sie sonst nur angeboten werden kann und es in dem Rdn. 7 am Ende erörterten Sinne Sache des Gerichts bleibt, sich ihrer im Wege des Freibeweises zu bedienen, wenn es das als sinnvoll ansieht.26 Die von Mamroth (JW 1924 1602) beanstandete Divergenz zwischen der Statthaftigkeit einer dem Richter zur Begründung der Aufhebung eines Haftbefehls zugeleiteten eidesstattlichen Versicherung in RGSt 58 147, 148 und der Unzulässigkeit einer dem Staatsanwalt zum gleichen Zweck vorgelegten eidesstattlichen Versicherung nach RGSt 37 209, 47 156 (krit. insoweit Leibinger Festschrift Rebmann 259, 265) verliert ihre Schärfe, wenn man nur die vom Richter abgeforderte eidesstattliche Versicherung gelten lässt, die es praktisch nicht geben wird.
2. Im Zivilprozess Im Zivilprozess hat BGHSt 7 1 auf dem Wege über die Präklusionswirkung des § 295 ZPO eine 12 Bresche geöffnet, die spontanen eidesstattlichen Versicherungen jeder Art zu praktisch unbegrenzter Wirksamkeit verhilft. Der Entscheidung kann nicht beigepflichtet werden (vgl. auch Jescheck GA 1956 97). Man darf die rechtliche Gültigkeit eines Aktes nicht danach bemessen, dass die abstrakte Möglichkeit besteht, etwas rechtlich Unstatthaftes fälschlich als statthaft zu behandeln, und dass aus Gründen verfahrensrechtlicher Ökonomie unterschiedliche Grenzen für die Abstellung und die Rüge von Rechtsfehlern abgesteckt wurden. Eine falsche Bewertung wird niemals dadurch richtig, dass der Fehler nicht mehr aus der Welt geschafft werden kann. Im Übrigen hat die Möglichkeit eines Vorhalts der aufgedrängten eidesstattlichen Versicherung als Vehikel ihrer rechtlichen Wirksamkeit im Zivilprozess so wenig Raum wie im Strafverfahren.27 Soweit jedoch das förmliche Beweisverfahren (§§ 335 ff ZPO) gilt, sind eidesstattliche Versicherungen ausgeschlossen.
3. In der freiwilligen Gerichtsbarkeit In der freiwilligen Gerichtsbarkeit sind – auch spontane – eidesstattliche Versicherungen zum 13 Zwecke der Glaubhaftmachung möglich (§ 31 Abs. 1 FamFG). Soweit das Gericht im Wege ihm obliegender Ermittlungen gemäß § 26 FamFG die ihm geeignet erscheinenden Beweise zu erheben hat, kann es sich dabei auch des Mittels der eidesstattlichen Versicherung bedienen (OLG Celle FamRZ 1959 33). An Beispielen aus der Rechtsprechung sind zu nennen: RGSt 39 225 (Nachlassgericht), RGSt 36 1, 2 (Vormundschaftsgericht).
4. Bei anderen Zweigen der Gerichtsbarkeit In den Verfahren der anderen Zweige der Gerichtsbarkeit, also der Arbeitsgerichte, der allgemei- 13a nen und besonderen Verwaltungsgerichte, der Disziplinar- und Verfassungsgerichte und des Bun-
24 Vgl. BayObLG NJW 1998 1577; OLG Frankfurt NStZ-RR 1998 72; im Ergebnis ebenso Fischer Rdn. 5; Sch/Schröder/ Bosch/Schittenhelm Rdn. 12; Zöller SK Rdn. 7; Vormbaum NK Rdn. 35; SSW/Sinn Rdn. 6; krit. Leibinger FS Rebmann 259, 268 ff; Müller MK Rdn. 48 ff. 25 §§ 26 Abs. 2, 45 Abs. 2, 56 und 74 Abs. 3 StPO. 26 Anders BGH GA 1973 109, wonach es genügen soll, dass der Richter die Erklärung zu berücksichtigen vermag. Dabei soll es stets auf den Zweck ankommen, der mit der Einrichtung verfolgt wird. Vgl. Rdn. 8. 27 BGH JR 1962 464 gegen RGSt 22 267, 70 266, 269 und 73 144. 125
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despatentgerichts zeigt sich die eidesstattliche Versicherung ebenfalls in den beiden Hauptgruppen der Glaubhaftmachung und des Freibeweises.28 Zum Verwaltungsstreitverfahren BGHSt 5 69.
5. In der öffentlichen Verwaltung 14 Im Bereich der öffentlichen Verwaltung setzen das Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) des Bundes vom 25.5.1976 (BGBl. I S. 1253) bzw. die entsprechenden Gesetze der Länder und das SGB X deutliche Maßstäbe. In § 27 Abs. 1 VwVfG, § 23 Abs. 2 SGB X ist bestimmt, dass die Behörde bei der Ermittlung des Sachverhalts eine Versicherung an Eides Statt nur verlangen und abnehmen darf, wenn die Abnahme der Versicherung über den betreffenden Gegenstand und in dem betreffenden Verfahren durch Gesetz oder Rechtsverordnung vorgesehen und die Behörde durch Rechtsvorschrift für zuständig erklärt worden ist (vgl. OLG Stuttgart NStZ-RR 1996 265). Es reicht also in diesen Geltungsbereichen nicht schon, dass bei der Behörde überhaupt ein förmliches Beweisverfahren vorgesehen ist. Doch wird Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 17, 18 darin zu folgen sein, dass dort, wo ausdrücklich Glaubhaftmachung vorgesehen ist, darin zugleich die Ermächtigung zur Abnahme eidesstattlicher Versicherungen liegt.29 Einem Missbrauch der Einrichtung wird auch dadurch vorgebeugt, dass § 27 Abs. 2 VwVfG den Kreis der Amtsträger eingrenzt, die zur Abnahme eidesstattlicher Versicherungen befugt sind. § 27 Abs. 3 VwVfG schreibt für die mündliche Abnahme der Versicherung die Formel vor: „Ich versichere an Eides Statt, dass ich nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe“. Für unaufgefordert abgegebene, also spontane eidesstattliche Versicherungen ist kein Raum, sofern nicht eine spezielle Regelung eingreift, die den § 27 VwVfG zurückdrängt.30 Zu Form und Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung in Fällen des § 5 StVG s. Kutsch NZV 2006 237 ff, zum Einfangen des „Wissenschaftsbetrug“ (Plagiate etc.) über diese Vorschrift s. Goeckenjan JZ 2014 723, 727 f und Fahl ZRP 2012 7, 10.
6. Einzelbeispiele aus der Rechtsprechung 15 An Einzelbeispielen aus der Rechtsprechung sind ergänzend zu nennen: OLG Hamburg NJW 1960 113 Finanzamt, dazu jetzt §§ 90 Abs. 2 S. 3, 95 und § 284 Abs. 3 AO; BGH 2 StR 92/74 v. 17.7.1974 Oberfinanzdirektion im Rückerstattungsverfahren, § 40 Abs. 3 BRüG; RGSt 69 26 Patentamt (nicht zu billigende Hinnahme einer spontanen Versicherung), § 46 PatG; BGH NJW 1966 1037; BGH GA 1967 19 Konsulate, dazu jetzt § 12 Nr. 2, 19 Abs. 2 Nr. 3 KonsG; BGH 1 StR 634/ 53 v. 5.5.1954, Standesamt, jetzt § 9 Abs. 2 PStG; RGSt 75 112 Universität wegen Urheberschaft an Dissertation, bestimmt sich nach dem geltenden Hochschulrecht; BayObLG NJW 1957 33 mit Verweisung auf BGH NJW 1953 994 OLG-Präsident bei Gesuch um Aufnahme in Vorbereitungsdienst (zw.); OLG Düsseldorf NStZ 1982 290 und MDR 1991 272 Sparkassen in Nordrhein-Westfalen, nun § 13 Abs. 2 SparkassenG NRW, Kraftloserklärung von Sparbüchern; keine zuständigen Behörden sind Polizeidienststellen und Staatsanwaltschaften RGSt 37 209; 47 156; BayObLG NJW 1998 1577; kritisch hierzu Leibinger Festschrift Rebmann 259, 263. Siehe auch Sch/Schröder/ Bosch/Schittenhelm Rdn. 18.
28 Dazu detailliert Mückenberger AnwK Rdn. 11. 29 Anders Deichmann Grenzfälle S. 143 f; Vormbaum NK Rdn. 40; Müller MK Rdn. 67. 30 Vgl. für das Verfahren um Zubilligung einer KB-Rente OLG Bremen NJW 1962 2314. Wolters/Ruß
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VI. Falsche Aussage
StGB § 156
V. Zur zweiten Modalität des Tatbestands Die zweite Modalität des Tatbestandes besitzt nur untergeordnete Bedeutung. Sie entspricht 16 der Regelung des § 155 Nr. 2 für den Eid und erfasst demgemäß den Fall der Falschaussage unter Berufung auf eine früher geleistete eidesstattliche Versicherung. Ebenso wie im Falle des § 155 Nr. 2 (vgl. dort Rdn. 4c) genügt es nicht, wenn der Vernehmende bloß auf die früher abgegebene Versicherung an Eides Statt hinweist oder gar, wie in RG DJ 1937 1005 ausgeführt ist, nur der Tatsachengehalt der im Termin verlesenen früheren eidesstattlichen Versicherung zum Inhalt der Aussage gemacht wird. Wann eine Berufung auf die früher abgegebene eidesstattliche Versicherung zulässig und wirksam ist, bestimmt sich ebenso wie im Fall des § 155 Nr. 2 nach dem jeweils geltenden Verfahrensrecht.
VI. Falsche Aussage Ob die eidesstattliche Versicherung eine falsche Aussage bekräftigt, bestimmt sich nach den in 17 den Rdn. 8 ff vor § 153 erörterten Grundsätzen. Für die Grenzen der Aussage- und Wahrheitspflicht gelten die Regeln, die für das Verfahren bestehen, in dem die Versicherung an Eides Statt abgegeben wird (BGH NStZ 1990 123, 124; Rdn. 19 ff vor § 153). Nach ihnen bestimmt sich ebenso wie in den Fällen der uneidlichen und eidlichen Falschaussage auch für den Tatbestand des § 156, wann ein vorwerfbares Verschweigen von Tatsachen gegeben ist (§ 153 Rdn. 3 ff). Indessen ergibt sich hier eine neue Variante, da in der Praxis der eidesstattlichen Versicherung die Fälle häufig sind, in denen diese unverlangt angebracht wird, ohne von vornherein durch Gesetz, Beweisthema oder Fragestellung auf einen bestimmten Tatsachenkomplex fixiert zu sein. Hier kommt es darauf an, welches Beweisthema sich die Spontanäußerung selbst gestellt hat und ob von diesem Thema aus gesehen Tatsachen ausgeklammert und verschwiegen wurden, deren Mitteilung die Bedeutung des Erklärten grundlegend verändert hätte (BGH NStZ 1990 123, 124). Eine solche thematische Begrenzung der Aussagepflicht auch für spontane eidesstattliche Versicherungen ist notwendig, weil sonst die Rdn. 20 vor § 153 und Rdn. 4 zu § 153 behandelten Grenzen der Aussagepflicht überspielt würden.31 Es geht, wie Michaelis (NJW 1960 663) in seiner Kritik zu BGH NJW 1959 1235 (mit zust. Anm. Seydel) richtig bemerkt hat, nicht an, durch Heranziehung des § 138 ZPO einen weiteren Pflichtenkreis zu gewinnen, als ihn der Erklärende selbst mit seiner Äußerung vom Thema her angesprochen hat. Auch die sonst hierzu angeführten Entscheidungen RGSt 63 232; 77 368 und KG JR 1966 189 stoßen zu diesem entscheidenden Punkt nicht vor. Dies bedeutet, dass nicht alles, was der Täter zum Beweisthema erklärt, der Wahrheitspflicht unterliegt, vielmehr haben diejenigen Tatsachenbehauptungen auszuscheiden, die für das konkrete Verfahren ohne jede mögliche Bedeutung sind. Eine Versicherung ist dann falsch, wenn Tatsachen verschwiegen werden, die für das selbst gesetzte Beweisthema wesentlich sind und deren Verschweigen den Aussagegehalt der eidesstattlichen Versicherung zum gewählten Thema entscheidend verändert (BGH NStZ 1990 123, 124; vgl. auch OLG Frankfurt/M. NStZ-RR 1998 72; St. Cramer Jura 1998 337). Blomeyer (JR 1976 441), welcher der hier vertretenen Meinung grundsätzlich zustimmt, will die Tatbestandsmäßigkeit innerhalb des Rahmens, den sich der spontan Erklärende selbst gesetzt hat, noch weiter einengen, indem er nur Tatsachen von „abstrakt“ möglicher rechtlicher Relevanz Bedeutung beilegt und Äußerungen zu anspruchsneutralen Tatsachen ausscheidet. Er tritt in diesem Sinn für eine prozessteleologische Begrenzung des Tatbestands ein. Das entspricht den auch hier vor § 153 Rdn. 25 vertretenen Grundsätzen und der in BGHSt 25 244 verfolgten Linie, auf die er sich ausdrücklich bezieht. 31 OLG Düsseldorf NJW 1985 1848, 1849; OLG Karlsruhe NStZ 1985 412; OLG Stuttgart NStZ-RR 1996 265; OLG Frankfurt NStZ-RR 1998, 72; Zöller SK Rdn. 10; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; Vormbaum NK Rdn. 46; Fischer Rdn. 10 f; Otto Grundkurs Strafrecht BT § 97 Rdn. 56; vgl. auch St. Cramer Jura 1998 337; Leibinger FS Rebmann 259, 271; ferner Blomeyer JR 1976 441 ff; Müller MK Rdn. 21 ff. 127
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§ 156 StGB
Falsche Versicherung an Eides Statt
Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 5 sieht die Dinge anscheinend anders, indem er die hier vertretene Auffassung zur Meinung Blomeyers in Gegensatz bringt, so dass er wohl nur auf dem Umweg über die Annahme eines Tatsachenirrtums (oder auch Rechtsirrtums!) des Erklärenden im Ergebnis zur selben Eingrenzung gelangen kann. 18 Durch Abgabe der Versicherung unter falschem Namen kann der Aussteller seine strafrechtliche Verantwortung für den unrichtigen Inhalt nicht beseitigen. Wird die eidesstattliche Versicherung unter einem fremden Namen abgegeben, so erfüllt sie den Tatbestand ebenso, wie wenn sie der Erklärende unter seinem richtigen Namen abgegeben hätte (RGSt 52 74; RG HRR 1939 Nr. 655). Ist die unter falschem Namen abgegebene eidesstattliche Versicherung sachlich richtig, so scheidet nach RGSt 69 117, 120 eine Anwendung des Tatbestands aus. Anders verhält es sich in dem Fall, dass Angaben zur Person ausnahmsweise für das Beweisthema oder für die Beweiskraft bedeutsam sind (Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 5; ferner Müller MK Rdn. 22; Fischer Rdn. 11).
VII. Versicherung nach § 802c ZPO 19 Besonders eingehend sind in der Rechtsprechung und im Schrifttum32 die gesetzlich bestimmten Aussagepflichten für die eidesstattliche Versicherung des Schuldners zur Offenbarung seines Vermögens nach § 802c ZPO33 behandelt worden.34 Die Grenzen der Aussagepflicht und damit eines tatbestandsmäßigen Verhaltens im Sinne des § 156 werden hier ausdrücklich durch § 802c Abs. 1 und 2 ZPO bestimmt. Die in § 802c Abs. 3 ZPO vorgeschriebene Versicherung des Schuldners, „dass er die Angaben nach den Absätzen 1 und 2 nach bestem Wissen und Gewissen richtig und vollständig gemacht habe“, ist nun ausdrücklich auf den durch Absatz 1 und 2 begrenzten Fragenkreis bezogen.35 Die Verpflichtung bezieht sich nur auf die Angabe der Gegenstände mit greifbarem Vermögenswert, die im Zeitpunkt der Abgabe der Versicherung im Vermögen des Schuldners vorhanden sind. Auf Grund dieser Verpflichtung soll dem Gläubiger eine Grundlage für eine Vollstreckungsmöglichkeit verschafft werden (BGHR § 156 StGB Versicherung 1; BGHSt 14 345, 346; BayObLG JR 2004 167 m. zust. Anm. Vormbaum). Die Verpflichtung betrifft nicht etwaige sonstige aus diesem Rahmen herausfallende Fragen, die dem Schuldner bei der Abnahme der Versicherung gestellt werden oder die er ungefragt in der von ihm vorgelegten schriftlichen Vermögenserklärung beantwortet haben mag (BayObLG wistra 1999 398).36 Der vom OLG Braunschweig (NdsRpfl. 1963 208) vertretenen, aus dem Wortlaut der Eidesformel abgeleiteten Auffassung, dass auf jeden Fall die Antwort auf alle vom Gericht gestellten Fragen vom Tatbestand erfasst werde, ist deshalb nicht beizutreten. Es ist kein sinnvoller Grund zu sehen, weshalb die sonst fehlende Tatbestandsmäßigkeit gerade hergestellt werden sollte, wo fehlerhaftes Vorgehen der die eidesstattliche Versicherung abnehmenden Amtsperson zugrunde liegt. Die Aussagepflicht entfällt nicht dadurch, dass der Täter durch eine wahrheitsgemäße Aussage Umstände offenbaren müsste, die eine von ihm begangene Straftat enthalten (BGHSt 37 340, 342 f;
32 S. den Überblick bei Glenk StraFo 2013 413. 33 Vormals § 807 ZPO; § 802c ZPO einführt m. W. v. 1.1.2013 durch Gesetz vom 29.7.2009, BGBl. 2258; Abs. 1 S. 2 angef., Abs. 3 S. 1 geändert m. W. v. 1.1.2013 durch das Gesetz vom 22.12.2011, BGBl. 3044. 34 Eingehend zur Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift (insbesondere sub specie Selbstbezichtigungsfreiheit) Weiß NJW 2014 503, 504 ff. 35 Noch zu § 807 ZPO aF: BGHSt 8 399; 14 345; 19 126; BGH GA 1958 86; MDR 1964 69; NJW 1968 1388; 2251; BGH bei Holtz MDR 1980 813; RG HRR 1940 Nr. 1145; BayObLG wistra 1999 398; JR 2004 167; OLG Köln StV 1999 319; ferner BayObLG NStZ 2003 665; OLG Zweibrücken NStZ-RR 2008 173. 36 Fischer Rdn. 12 f; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4; Zöller SK Rdn. 14; Vormbaum NK Rdn. 50a; Sch/Schröder/Bosch/ Schittenhelm Rdn. 22; Müller MK Rdn. 24; SSW/Sinn Rdn. 13; Krey/Hellmann/Heinrich BT 1 Rdn. 778. Wolters/Ruß
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VII. Versicherung nach § 802c ZPO
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vgl. auch BGHZ 41 318, 326); doch besteht hinsichtlich dieser Angaben ein strafrechtliches Verwertungsverbot.37 Von der Strafnorm werden nur Angaben erfasst, die sich auf das wirklich vorhandene Ist- 20 vermögen beziehen (BGHSt 2 74). Früheres Vermögen muss nur angegeben werden, soweit es durch die in § 802c Abs. 2 S. 3 Nr. 1 bis 2 ZPO genannten Verfügungen geschmälert worden ist. Aus diesem Grunde hat es BGHSt 14 345 als nicht tatbestandsmäßig angesehen, dass der Schuldner auf Befragen wahrheitswidrig die Vernichtung statt die entgeltliche Veräußerung einer Sache behauptet hatte. Ein wesentlicher Gesichtspunkt bei dieser Grenzziehung ist der Zweck der Offenbarung, dem Gläubiger Kenntnis über ihm nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge etwa möglichen Vollstreckungsmaßnahmen zu vermitteln (vgl. OLG Zweibrücken NStZRR 2008 173). Deshalb sind Gegebenheiten, die für sich ohne greifbaren Vermögenswert sind, wie bloße Erwerbsmöglichkeiten,38 das Betreiben eines Erwerbsgeschäfts an sich,39 das Recht an einem nicht verwertbaren Firmenmantel (RGSt 68 130; 71 300) nicht angabepflichtig. Unter diesem Aspekt ist auch die Frage zu beurteilen, ob und in welchem Umfang Angaben zur Person, insbesondere über den Beruf, unter die Aussagepflicht fallen;40 ebenso ob wertlose Vermögensbestandteile, die für Gläubiger offensichtlich uninteressant sind, der Angabepflicht unterliegen.41 BGHSt 13 345, 346 betont, dass insofern ein strenger Maßstab anzulegen ist. Dabei ist nicht auf das konkrete Interesse des betreibenden Gläubigers, sondern – wie Prinzing NJW 1962 567 in seiner Auseinandersetzung mit OLG Stuttgart NJW 1961 2319 zutreffend betont – auf das Interesse abzustellen, das bei objektiver Betrachtung überhaupt ein Gläubiger haben kann. Es kann nicht Sache des Schuldners sein, dem Gläubiger irgendwelche Wertmaßstäbe unterzuschieben oder gar den Kreis der Gegenstände zu bestimmen, die mit Rücksicht auf seine persönlichen Verhältnisse und Bedürfnisse ausnahmsweise der Zwangsvollstreckung entzogen bleiben sollen. Deshalb sind grundsätzlich auch unpfändbare Gegenstände anzugeben, sofern die Unpfändbarkeit nicht mit Rücksicht auf die Art des Gegenstandes ganz außer Zweifel steht.42 Anzugeben sind auch Forderungen, deren Realisierbarkeit zweifelhaft erscheint (BGH NJW 1953 390 m. Anm. Schmidt-Leichner; RGSt 60 37), die bloße Möglichkeit der Aufrechnung mit einer Gegenforderung beseitigt die Offenbarungspflicht nicht (BGH bei Herlan GA 1958 51). Erfasst sind auch verschleierte Arbeitseinkommen im Sinne des § 850h ZPO (OLG Hamm GA 1975 180); ferner der Pfändung zugängliche künftige Ansprüche,43 z. B. solche aus Dienstverträgen (BGH NJW 1958 427) oder künftige Ansprüche eines Steuerberaters gegen Mandanten oder Honoraransprüche eines Arztes oder eines Maklers auf Maklerlohn (BGHSt 37 340, 341) oder aus einer Tätigkeit als Provisionsvertreter (BGH 4 StR 52/58 v. 8.5.1958), mag ihre Höhe und der Zeitpunkt ihres Entstehens auch noch ganz ungewiss sein, evtl. auch von einer Bedingung abhängen. Entscheidend ist das Bestehen des vertraglichen Verhältnisses, aus dem der Anspruch in der Zukunft erwachsen kann (vgl. OLG Zweibrücken NStZ-RR 2008 173). Die Offenbarungspflicht erstreckt sich weiter auf Anwartschaften,44 desgleichen auf Ansprüche auf Rückübertragung fiduziarisch 37 Noch zu § 807 ZPO aF: BVerfGE 56 37; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 22; Otto Grundkurs Strafrecht BT § 97 Rdn. 64. S. zum Ganzen auch Weiß NJW 2014 503, 504 ff.
38 Noch zu § 807 ZPO aF: BGHSt 8 399, 400; 37 340; BGH GA 1958 86; 1966 243; StV 1990 111; BGH bei Holtz MDR 1980 813; BGHR § 156 StGB Versicherung 1; OLG Frankfurt GA 1973 154; vgl. auch OLG Celle MDR 1995 1056. 39 Noch zu § 807 ZPO aF: BGH GA 1966 117; 1 StR 150/65 v. 15.6.1965; 1 StR 319/65 v. 12.10.1965; 2 StR 431/67 v. 13.9.1967. 40 Noch zu § 807 ZPO aF: BGHSt 11 223; BGH NJW 1968 2251; OLG Hamm GA 1975 180, 181; anders BayObLG NJW 1957 472. 41 Noch zu § 807 ZPO aF: BGHSt 13 345, 348 f; BGH NJW 1952 1023; GA 1958 213; 1966 243; RGSt 60 37; RG JW 1934 2692; BayObLGSt 1992 134; OLG Stuttgart NJW 1961 2318. 42 Noch zu § 807 ZPO aF: BGH NJW 1952 1023; 1956 756; BGH LM ZPO § 807 Nr. 10; RGSt 71 300, 302, KG JR 1985 161, 162. 43 Noch zu § 807 ZPO aF: BGH GA 1966 243; BGH NJW 1968 2251; RGSt 71 300. 44 Noch zu § 807 ZPO aF: BGHSt 15 128; BGH GA 1961 372; BGH LM StGB § 154 Nr. 17; BayObLG wistra 1993 73; OLG Köln NJW 1959 901. 129
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Falsche Versicherung an Eides Statt
übereigneter Sachen oder übertragener Rechte; BGHSt 13 345 gegen die großzügigere Entscheidung BGH GA 1958 213, wo die Offenbarungspflicht bei minderem Wert der zur Sicherheit gegebenen Sache im Verhältnis zur abgesicherten Forderung verneint worden war (vgl. auch BGH NJW 1952 1023 u. GA 1957 53; KG JR 1985 161). Ebenfalls verneint hat das BayObLG MDR 1991 1079 die Offenbarungspflicht in einem Fall, in dem der Schuldner ein Bankguthaben verschwiegen hat, dessen Höhe nur einen Betrag erreichte, der unterhalb desjenigen lag, der zur Beschaffung von Vorräten des täglichen Bedarfs im Sinne des § 811 Nr. 2 ZPO erforderlich war. 21 Die Änderung des § 807 ZPO durch das Gesetz vom 20.8.1953 (BGBl. I S. 952) hat dem Erfordernis der Vollständigkeit das Erfordernis der Richtigkeit der Angaben über das Vermögen hinzugefügt. Das hatte zur Folge, dass von diesem Zeitpunkt an (heute § 802c Abs. 3 S. 1 ZPO) ein strafbarer Verstoß gegen die Offenbarungspflicht auch darin liegen kann, dass der Schuldner fälschlich Vermögenspositionen für sich in Anspruch nimmt, die er in Wahrheit nicht innehat.45 Erfasst wird, wie Badura GA 1957 397, 398 zutreffend betont, nicht jede Unrichtigkeit, also insbesondere nicht eine unrichtige Angabe über angebliche Schulden, sondern nur eine das Aktivvermögen betreffende Unrichtigkeit. Doch können falsche Angaben über Verbindlichkeiten so eng auf bestimmte Teile des Aktivvermögens bezogen sein, dass darin zugleich eine unwahre Mitteilung über einen Gegenstand des Aktivvermögens zu finden ist (BGHSt 10 149). Richtig muss deshalb auch die von dem in § 802c Abs. 2 ZPO geschützten Vollstreckungsinteresse umfasste Auskunft über den Verbleib einer beweglichen Sache sein, mag sie nun dem Schuldner gehören oder mag sie nur Gegenstand einer Anwartschaft des Schuldners sein (BGHSt 15 128). – In Fällen, in denen sich der Schuldner des Eigentums an Vermögensstücken berühmt, die ihm in Wirklichkeit gar nicht gehören, wird dies oft irrig geschehen und nur selten eine verständlich motivierte Täuschung festzustellen sein. 22 Eine Besonderheit der Vermögensoffenbarung liegt darin, dass der Schuldner über Rechtstatsachen Auskunft geben muss. Daraus erwachsen so lange keine besonderen Schwierigkeiten, wie über Eigentum oder Nichteigentum, Bestehen oder Nichtbestehen eines Anspruchs oder Rechtes keine ernsthaften Zweifel bestehen können. Wo es jedoch solche Zweifel gibt und der Schuldner sich dessen bewusst ist, darf er sich nicht für die ihm vorteilhafter oder bequemer erscheinende Alternative entscheiden und nur in diesem Sinne aussagen, sondern muss er den gegebenen Sachverhalt mitsamt diesen Zweifeln offenbaren.46 In BGHSt 7 375, 378 ist gerade auch im Hinblick auf die Neufassung des § 807 ZPO a. F. durch das Gesetz vom 20.8.1953 betont, dass der Schuldner seine Zweifel und ihre Gründe darlegen muss, wenn er sich nicht der Gefahr einer Falschaussage aussetzen will, und dass ihm dies billigerweise zuzumuten ist. Das hat, was BGHSt 7 147 verkennt, mit der Problematik der subjektiven oder objektiven Aussagetheorie nichts zu tun. Vielmehr sind die rechtlichen Zweifel, deren Möglichkeit der Schuldner sieht und die er sich nicht zu eigen gemacht haben braucht, in diesem Fall durchaus ein Teil seines offenbarungspflichtigen Wissens über die Rechtstatsache. Zur Offenbarungspflicht gehört in diesem Sinne also z. B. auch die Auskunft über die Rechtslage hinsichtlich zur Sicherung übereigneter Sachen (BGH GA 1957 53). 23 Die Offenbarungspflicht beschränkt sich nicht auf die bloße Angabe der Vermögensgegenstände, sondern umfasst auch die Umstände, die für die Ermöglichung eines Zugriffs des Gläubigers unerlässlich sind (vgl. BGH GA 1966 243; OLG Hamm GA 1975 180, 181), also den Verwahrungsort von Sachen (RG DRpfl. – Rechtsprechungsbeilage – 1936 71 Nr. 102; BGHZ 7 287, 293), vor allem auch von beiseitegeschafften Sachen (BGH bei Herlan GA 1971 38) oder von Sachen, die erst Gegenstand eines Anwartschaftsrechts sind (BGHSt 15 128, 130). Anzugeben sind Vereinbarungen mit dem Arbeitgeber über die Verwendung des laufenden Verdienstes (BGHSt 10 149), die näheren Umstände einer Sicherungsübereignung, insbesondere die Höhe des Auslösungsbetrages (BGH GA 1957 53), die Valutierung einer Hypothek Nr. 913). Geboten sind Angaben über 45 Noch zu § 807 ZPO aF: BGHSt 7 375; 15 128; OLG Hamm NJW 1961 421. 46 Noch zu § 807 ZPO aF: BGH NJW 1953 390; GA 1966 243; BGH LM StGB § 154 Nr. 2; RGSt 60 37; RG JW 1931 2129; vgl. auch BGH GA 1957 53. Wolters/Ruß
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IX. Innere Tatseite
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den Stand einer Erbauseinandersetzung (BGHSt 10 281, 282). Bei Forderungen ist der Drittschuldner richtig zu bezeichnen (RG HRR 1929 Nr. 972), Grund und Höhe zutreffend anzugeben (RGSt 71 227, 228; BayObLG wistra 2003 355).
VIII. Versicherung bei anderen Auskunftspflichten Als weitere Beispiele der eidesstattlichen Versicherung zur Bekräftigung von Auskünften vermö- 24 gensrechtlicher Art sind zu nennen: Die Versicherung des Schuldners nach § 883 ZPO über den Verbleib einer Sache, „dass er die Sache nicht besitze, auch nicht wisse, wo die Sache sich befinde“, wobei nach Absatz 3 der Vorschrift das Gericht eine der Sachlage entsprechende Änderung des Themas der Versicherung beschließen kann. Die Verneinung der Kenntnis des Wo schließt zugleich die Verneinung der Kenntnis von Anhaltspunkten für das Wo ein. Der Schuldner ist von vornherein verpflichtet, auch ihm bekannte der Auffindung der Sache dienliche Tatsachen mitzuteilen. Er muss dies nach dem Maß seines bereiten Wissens tun; eine besondere Nachforschungspflicht trifft ihn jedoch nicht.47 § 883 ZPO gilt entsprechend für die Forschung nach Verbleib einer Sache (§§ 35 Abs. 4, 95 Abs. 4 FamFG), einer Person gem. (§ 94 FamFG), zur Auffindung einer Sache, deren Einziehung oder Unbrauchbarmachung angeordnet ist (§ 459g Abs. 1 Satz 2 StPO i. V. m. § 6 Abs. 1 Nr. 1, § 7 JBeitrG § 90 Abs. 3 OWiG). Zu erwähnen sind ferner die Versicherungen des Schuldners im Insolvenzverfahren nach §§ 20, 97, 98 InsO; die Auskunftspflicht bezieht sich hier auf alle Angaben des Schuldners, die zur Entscheidung über den Eröffnungsantrag (§ 13 InsO) erforderlich sind, sowie auf alle das Verfahren betreffenden Verhältnisse, selbst wenn es sich dabei um Tatsachen handelt, die geeignet sind, eine Verfolgung wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit herbeizuführen (vgl. zum früheren Recht § 65 VerglO und § 125 KO sowie RG HRR 1938 Nr. 564). Die Versicherung über die vollständige Angabe des Bestandes bei der Erstellung des Ver- 25 zeichnisses über einen Inbegriff von Gegenständen nach § 260 BGB. Die Eidesformel geht hier dahin, dass der Verpflichtete den Bestand nach bestem Wissen so vollständig angegeben habe, als er dazu imstande sei. Sie kann durch einen Gerichtsbeschluss den Umständen entsprechend geändert werden. Nach der entsprechend gefassten Eidesnorm, nicht nach Maßgabe der Offenbarungspflicht bei der Parteivernehmung, bestimmt sich der Umfang der Offenbarungspflicht (vgl. den instruktiven Fall BGH LM StGB § 154 Nr. 2). Im gleichen Sinn zum Sonderfall der Auskunftspflicht des Erbschaftsbesitzers nach § 2027 BGB RG JW 1937 3214 m. Anm. Schaffstein, der sich hier u. a. mit dem beim Abdruck der Entscheidung in RGSt 71 360 aufgestellten Leitsatz befasst, dass die Offenbarungspflicht sich nur auf den Aktivbestand, nicht auch auf die Schulden des Nachlasses beziehe. Zur Auskunftspflicht des Hausgenossen nach § 2028 BGB siehe BGH LM StGB § 154 Nr. 4 mit zustimmender Anmerkung Schrübbers.
IX. Innere Tatseite Zur inneren Tatseite genügt bedingter Vorsatz sowohl hinsichtlich des Inhalts der Versiche- 26 rung wie ihres Gelangens an die zuständige Behörde (RGSt 70 266, 267; RG JW 1926 2177 m. Anm. Mannheim). Hinsichtlich der zuständigen Behörde vgl. oben Rdn. 6. Die in BGHSt 2 74, 76 (untauglicher Versuch) und BGHSt 14 345, 350 (Wahndelikt) behandelte Irrtumsproblematik ist mit dem Wegfall der Strafbarkeit des Versuchs für § 156 bedeutungslos geworden. In welcher Eigenschaft – ob als Partei oder als Zeuge – der Täter die Versicherung abzugeben meint, soll nach RGSt 36 1, 4 gleichgültig sein. Dem ist nur für den Fall zuzustimmen, dass es für die Anwendung des Tatbestandes auf die Unterscheidung nicht ankommt. Wo nach der Gestaltung 47 BGH NJW 1952 711; OLG Braunschweig NdsRpfl. 1950 26. 131
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des Verfahrens nur die eidesstattliche Versicherung des Zeugen statthaft, die der Partei unzulässig wäre, müsste die irrige Annahme des Erklärenden, er sei Partei, den Vorsatz ausschließen.
X. Teilnahme 27 Mittelbare Täterschaft ist auch hier ausgeschlossen, da es sich um ein eigenhändiges Delikt handelt (vgl. vor § 153 Rdn. 7). Nichts anderes hat, wie RGSt 37 92 für den Fall einverständlich von zwei Beschuldigten abgegebener eidesstattlicher Versicherungen gleichen Inhalts dargelegt hat, für Mittäterschaft zu gelten. In einem solchen Fall kann sich die täterschaftliche Begehung der Tat durch die eigene Versicherung allenfalls mit einer Beihilfe zur Tat des anderen verbinden. Auch der Fall, dass ein und dieselbe schriftliche Erklärung von mehreren in einer Urkunde unterzeichnet worden ist, kann nicht anders beurteilt werden; Anstiftung und Beihilfe sind wie sonst möglich. So ist, wer einem Prüfungskandidaten, der die Selbständigkeit der Arbeit eidesstattlich versichert, bei der Arbeit hilft, u. U. wegen Beihilfe strafbar (RGSt 75 112 m. Anm. Bockelmann DR 1941 987).
XI. Zusammentreffen 28 Konkurrenzen. Fortsetzungszusammenhang zwischen mehreren eidesstattlichen Versicherungen kommt nach der Entscheidung des Großen Senats (BGHSt 40 138) nicht mehr in Betracht. Auch der Umstand, dass mehrere falsche eidesstattliche Versicherungen in ein und demselben Verfahren abgegeben werden, vermag in der Regel die dadurch verwirklichten Verstöße gegen § 156 nicht zu einer tatbestandlichen Handlungs- oder Bewertungseinheit zu verbinden. Bei jeder Erklärung handelt es sich um einen selbständigen Angriff auf das geschützte Rechtsgut. Die mehreren Erklärungen sind hinsichtlich des Konkurrenzverhältnisses ebenso zu behandeln wie das Zusammentreffen mehrerer abgeschlossener uneidlicher Falschaussagen im Verfahren eines Rechtszuges, das zur Annahme selbständiger Taten führt (BGHSt 45 16, 24). Die Entscheidung zieht nur dann eine abweichende Bewertung in Betracht, wenn zusätzliche Umstände vorliegen, die die mehreren eidesstattlichen Versicherungen materiell-rechtlich zu einer einheitlichen Tat verklammern, so wenn sie beispielsweise Teile eines einheitlichen versuchten Prozessbetruges sind. – Idealkonkurrenz ist möglich mit § 283 Abs. 1 Nr. 1 (BGHSt 11 145; BGH bei Holtz MDR 1982 969 f), ferner mit Betrug und Urkundenfälschung (RGSt 52 74; 69 117, 119), wobei der Gebrauch des falschen Namens die Urkundenfälschung und der falsche Inhalt die Straftat des § 156 begründen kann, sowie mit versuchter Steuerhinterziehung (BGHSt 38 37, 41). Ist eine eidesstattliche Versicherung teilweise vorsätzlich, teilweise fahrlässig falsch abgegeben, so tritt das Vergehen nach § 161 zurück (RGSt 60 58; 62 154; BGH 1 StR 193/55 v. 21.6.1955 mit weiteren Nachweisen). Zum Verhältnis einer Urkundenfälschung auf der Wahlbenachrichtigungskarte und den mit der nachfolgenden Wahlfälschung begangenen Delikten s. BGH NStZ 2012 147, 148 mit Anm. Müller.
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§ 157 Aussagenotstand (1) Hat ein Zeuge oder Sachverständiger sich eines Meineids oder einer falschen uneidlichen Aussage schuldig gemacht, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) und im Falle uneidlicher Aussage auch ganz von Strafe absehen, wenn der Täter die Unwahrheit gesagt hat, um von einem Angehörigen oder von sich selbst die Gefahr abzuwenden, bestraft oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung unterworfen zu werden. (2) Das Gericht kann auch dann die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder ganz von Strafe absehen, wenn ein noch nicht Eidesmündiger uneidlich falsch ausgesagt hat.
Schrifttum Bemmann Zur Anwendbarkeit des § 157 StGB, Festschrift H. Mayer (1966) 485; Kehr Dilemma des Zeugen, NStZ 1997 160; Hettinger/Bender JuS 2015 577; Montenbruck Tatverdächtiger Zeuge und Aussagenotstand, JZ 1985 976; Seibert Eidesnotstand und Strafzumessung, NJW 1961 1055; Ulsenheimer Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens bei eigener Strafverfolgung, GA 1972 5. Vgl. ferner die Angaben zu § 156 und vor § 153.
Entstehungsgeschichte Die seit jeher als „Aussagenotstand“ bezeichnete Vorschrift berücksichtigte in ihrer ursprünglichen Fassung neben der Gefahr gerichtlicher Bestrafung für den Täter eine entsprechende Gefahr für einen Angehörigen des Täters nicht schlechthin, sondern für eine Person, hinsichtlich derer der Täter die Aussage ablehnen durfte, nur für den Fall, dass er über sein Recht zur Verweigerung der Aussage nicht belehrt worden war. Sie sah als obligatorische Folge die Ermäßigung der an sich verwirkten Strafe auf die Hälfte bis zu einem Viertel, nicht auch das gänzliche Absehen von Strafe vor. Grundlage der Ermäßigung war das Gegebensein der objektiven Konfliktslage. Die Neufassung der Vorschrift auf Grund der VO v. 29.5.1943 (RGBl. I 339) beschränkte sich nicht auf die Einbeziehung des neuen Tatbestandes der uneidlichen Falschaussage. Sie ließ die Milderung nur noch fakultativ eintreten, ging dabei jedoch bis zum Absehen von Strafe. Sie stellte außerdem statt auf die objektive Möglichkeit einer strafrechtlichen Verfolgung auf die Absicht des Aussagenden ab, von einem Angehörigen oder sich selbst eine solche Gefahr abzuwenden. Dass bei Angehörigen keine Belehrung über ein Aussageverweigerungsrecht stattgefunden hatte, war nicht mehr zur Voraussetzung der Strafmilderung gemacht. Schließlich kam der neue Fall des Absatzes 2 hinzu. Das EGStGB (Art. 19 Nr. 63) nahm die falsche Versicherung an Eides Statt aus der Vorschrift heraus, weil § 49 Abs. 2 insofern wegen der ohnehin zum gesetzlichen Mindestmaß gehenden Strafdrohung des § 156 ohne Bedeutung ist. Neu einbezogen wurde die Beachtlichkeit einer drohenden freiheitsentziehenden Maßregel (vgl. auch Vormbaum NK Rdn. 2 f, 7).
Übersicht I.
Milderungsmöglichkeit nur für Zeugen und 1 Sachverständige
II.
Beschränkung auf bestimmte Delikte
III.
Verschuldeter Aussagenotstand
IV.
Teilweises Vorliegen der Notstandsvoraussetzun8 gen
VI.
Strafe
13
VII. Angehöriger
14
4 VIII. Berücksichtigung von Amts wegen
V.
Absicht des Täters
15
5 16
IX.
Strafzumessung
X.
Anwendung auf Eidesunmündigen
17
10
133 https://doi.org/10.1515/9783110490107-017
Wolters/Ruß
§ 157 StGB
Aussagenotstand
I. Milderungsmöglichkeit nur für Zeugen und Sachverständige 1 Der Gesetzgeber hat die Rechtswohltat des § 157 ausdrücklich auf Zeugen und Sachverständige beschränkt. Sie bildet ein Äquivalent dafür, dass der einzelne sich im Interesse der Wahrheitsfindung als Zeuge oder Sachverständiger in gerichtliche Verfahren hineinziehen lassen muss, an denen er nicht in einer Parteirolle beteiligt ist, mit denen er also an sich nichts zu tun hat, und dass er damit einer Pflicht unterworfen ist, die durch Ordnungsstrafen sanktioniert ist und der er unter Berufung auf ein Recht zur Verweigerung der Auskunft nur mit der misslichen Belastung entgehen kann, zur Glaubhaftmachung dieses Rechts verbunden zu sein.1 Wer im öffentlichen Interesse einer solchen persönlichen Beanspruchung unterworfen ist, soll dann, wenn er dadurch in die Zwangslage kommt, sich selbst oder einem Angehörigen mit einer wahrheitsgemäßen Aussage die Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung zuzuziehen, und in dieser Lage falsch aussagt, milder bestraft oder ganz von Strafe freigestellt werden können (BGHSt 7 2, 5; RGSt 73 310, 311; 75 38; BayObLG NStZ-RR 1999 174).2 Aus dieser ratio des Gesetzes folgt, dass ein Aussagenotstand immer von Amts wegen zu beachten ist; im Zweifelsfall ist von seinem Vorliegen auszugehen.3 2 Die Rechtsprechung hat Bestrebungen, den von § 157 begünstigten Personenkreis zu vergrößern, nicht übernommen, sondern stets an der nach dem Wortlaut unmissverständlichen Beschränkung auf Zeugen und Sachverständige festgehalten. So hat sie insbesondere für die Partei im Zivilprozess, die sich nicht in einer vergleichbaren Zwangslage befindet, weil sie sich nach ihrem Belieben der Parteivernehmung und Eidesleistung entziehen kann und dabei nur wirtschaftliche Nachteile in Kauf zu nehmen braucht, eine analoge Anwendung der Vorschrift abgelehnt.4 Das Schrifttum ist ihr darin gefolgt.5 Doch weist Bemmann (Festschrift Mayer 485, 491) zutreffend auf das Widersprüchliche einer Argumentation hin, welche die Berufung auf den Zwang zur Aussage nicht uneingeschränkt gelten lassen will. Er sieht mit anderem Akzent die Zwangslage darin, dass der Täter, mag er zur Aussage verpflichtet sein oder nicht, allein durch eine Falschaussage die Gefahr der Bestrafung abwehren kann. Die sich daraus ergebende praktische Folge einer analogen Anwendung des § 157 zugunsten des (seinerzeitigen) Offenbarungseidsschuldners ist freilich mit der Ersetzung des Offenbarungseids durch die eidesstattliche Versicherung hinfällig geworden. Dass das Motiv, eine Bestrafung abzuwehren, auf jeden Fall als gewöhnlicher Strafmilderungsgrund berücksichtigt werden kann (nicht muss), liegt auf der Hand.6 3 Auch Gehilfen und Anstiftern kann § 157 nicht zugutekommen, da die Vorschrift nur die spezifische Zwangslage der einer Aussagepflicht genügenden Person berücksichtigen will.7 Dabei macht es keinen Unterschied, ob es um eine Vortat ging, die dem Täter allein zur Last fiel, oder um eine Vortat, die der Gehilfe oder Anstifter begangen hatte oder an der er beteiligt war. Das leuchtet vor allem für die Fälle ein, in denen der Gehilfe oder Anstifter zugleich Partei oder Angeklagter in dem Verfahren ist, in dem der Zeuge falsch aussagt. Die Instanzgerichtsbarkeit (LG Dortmund NJW 1956 721) hat § 157 in einem Fall angewandt, in dem ein Zeuge, dem für die 1 Vgl. BGHSt 1 22, 28; BGH bei Holtz MDR 1977 458, 460; OLG Düsseldorf StV 1993 423. 2 Vgl. Hettinger/Bender JuS 2015, 577, 585. 3 BGH GA 1968 304; NStZ 1988 497; NStZ 2005 33; OLG Stuttgart NJW 1978 711; OLG Düsseldorf JR 1991 520 m. Anm. Heusel; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 1.
4 BGHSt 7 2, 5; BGH NJW 1951 809; RGSt 75 37, 40; BGH LM StGB § 157 Nr. 3 m. Anm. Jagusch; OLG Frankfurt NJW 1950 615.
5 Fischer Rdn. 2; Mückenberger AnwK Rdn. 3; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 3; Zöller SK Rdn. 4; Lackner/ Kühl/Heger Rdn. 1; Vormbaum NK Rdn. 11; Müller MK Rdn. 11; SSW/Sinn Rdn. 4; abweichend Bemmann FS H. Mayer 485, 491. 6 S. BGH 5 StR 597/75 vom 25.11.1975. 7 BGHSt 1 22, 28; 3 320; 7 2, 5; BGH NJW 1952 229; OGHSt 2 161, 164; OLG Düsseldorf JMBlNRW 1955 43; Fischer Rdn. 2; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1; Zöller SK Rdn. 4; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4; Vormbaum NK Rdn. 11; Müller MK Rdn. 12; SSW/Sinn Rdn. 4; Geppert Jura 2002 173, 181; Vgl. Hettinger/Bender JuS 2015, 577, 585. Wolters/Ruß
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III. Verschuldeter Aussagenotstand
StGB § 157
eigene Tat der § 157 zugutekam, einen anderen zu einer vorsätzlichen Falschaussage gleichen Inhalts angestiftet hatte; dem ist Lürken in seiner Anmerkung (NJW 1956 721) zutreffend entgegengetreten (vgl. auch die weitere Besprechung von Seibert NJW 1956 1082).
II. Beschränkung auf bestimmte Delikte Enumerativ beschränkt wie der begünstigte Personenkreis ist auch der Kreis der Aussagedelikte, 4 für den die Vorschrift gilt. Für Fahrlässigkeitstaten nach § 163 gilt sie nicht (RGSt 47 332). Im Ausschluss der §§ 159, 160 und entsprechend des § 30 mag man eine zusätzliche Bestätigung der Nichtanwendung auf Gehilfen und Anstifter finden. Andererseits steht der Anwendung des § 157 nicht entgegen, dass der Täter nur einen versuchten Meineid begangen hat (BGHSt 4 172, 175; RGSt 63 174; 65 206, 208).
III. Verschuldeter Aussagenotstand Die Anwendbarkeit des § 157 entfällt nicht, wenn der Zeuge oder Sachverständige die Auskunft 5 verweigern konnte.8 Belehrung über Weigerungsrecht schließt nach BGH bei Holtz MDR 1977 458, 460 die Anwendung nicht aus (vgl. BGH StV 1995 249; BGH NJW 2000 154), weil auf Verlangen die Gründe der Auskunftsverweigerung anzugeben sind. Nicht anders verhält es sich, wenn der Zeuge sich selbst zur Vernehmung angeboten, ja aufgedrängt hat, da damit im entscheidenden Augenblick der Vernehmung gleichwohl die vom Gesetz vorausgesetzte Zwangslage besteht. Auch die Annahme eines minder schweren Falles nach § 154 Abs. 2 kann nicht mit der bloßen Begründung abgelehnt werden, der Zeuge hätte den Meineid durch Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts vermeiden können (BayObLG NStZ-RR 1999 174). Vielmehr ist BGHSt 7 332 im Gegensatz zu BGHSt 5 269 darin uneingeschränkt zu folgen, dass die Anwendbarkeit der Vorschrift nicht dadurch ausgeschlossen wird, dass der Täter den Eidesnotstand selbst verschuldet hat.9 Abweichendes gilt auch nicht, wenn die Vortat in einem im selben Verfahren begangenen Aussagedelikt besteht (BGHSt 2 233, 234; 8 301, 319; OLG Stuttgart NJW 1978 711). Bilden die mehreren Zuwiderhandlungen eine Tat im Rechtssinne, so kann jedoch das bei dem späteren Einzelakt hinzutretende Motiv, der Bestrafung wegen der vorausgehenden Zuwiderhandlung zu entgehen, die Anwendbarkeit des § 157 nicht begründen, und zwar in erster Linie deshalb, weil es sich nur um ein Teilstück einer einheitlichen Handlung handelt (BGHSt 8 301, 318; OLG Stuttgart NJW 1978 711). Das gilt auch dann, wenn mit dem ersten Einzelakt des Aussagedelikts, für den der Täter einer Bestrafung entgehen will, ein weiterer Tatbestand (etwa der Begünstigung oder des Betrugs) verwirklicht worden war (BGHSt 9 121 m. Anm. Kaufmann JZ 1956 605). Ging jedoch ein Einzelakt voraus, der nur den idealkonkurrierenden Tatbestand betraf, wie etwa die unwahre Aussage vor der Polizei als Begünstigung, so ist § 157 wieder anwendbar, wenn der Wille zur Vermeidung einer Strafe hierauf abzielte (BGHSt 9 121, 123; RGSt 75 277, 279).
8 BGH StV 1987 195, 196; 1995 250; NStZ 2005 33, 34; StV 1995 250; NStZ-RR 2008 9; RGSt 59 61, 62; vgl. auch BayObLG NStZ-RR 1999 174; ferner OLG Düsseldorf StV 1993 423; anders aber OLG Düsseldorf JR 1991 520 m. Anm. Heusel. 9 Vgl. auch BGH bei Holtz MDR 1993 1039; StV 1995 250; NStZ-RR 2007 40, 41; NStZ 2005 33, 34; OLG Stuttgart NJW 1978 711; Fischer Rdn. 12; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1; Müller MK Rdn. 25 f; Vormbaum NK Rdn. 27; SSW/Sinn Rdn. 12; abweichend für provozierte Fälle Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 11; auch Zöller SK Rdn. 15, der unter Hinweis auf die Grundsätze der actio libera in causa § 157 dann nicht anwenden will, wenn der Täter den Aussagenotstand vorsätzlich herbeigeführt hat; vgl. auch Bergmann Milderung der Strafe S. 97 ff. 135
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§ 157 StGB
Aussagenotstand
Der Gegenmeinung,10 die eine Anwendung des § 157 in den Fällen ausschließen will, in denen der Täter den Aussagenotstand durch sein Verhalten selbst geschaffen oder geradezu provoziert hat, erscheint durchaus bedenkenswert. Indessen ist zu beachten, dass damit, wie OLG Stuttgart NJW 1978 711 hervorhebt, das Verschulden der Notstandsaussage in einer mit dem Wortlaut der Vorschrift kaum noch zu vereinbarenden Weise überbetont und der Aspekt des neuen Entschlusses zu gering veranschlagt wird. Im Übrigen erweisen die sich daraus ergebenden Konsequenzen als kaum bemerkenswert. Das die Anwendbarkeit des § 157 bejahende Gericht kann nach seinem Ermessen von einer besonderen Strafermäßigung nach dieser Vorschrift absehen und wird dies in der Regel tun, wenn der Angeklagte seine Zwangslage in so spezifischer Weise selbst herbeigeführt hat.11 Zurückhaltung geboten ist jedoch bei Nichtausnutzung des Rechts auf Verweigerung der Auskunft (vgl. BayObLG NStZ-RR 1999 174). Dies darf nur dann zum Nachteil des Angeklagten gewertet werden, wenn er sich darin sicher war, dass sein Schweigen nach vorausgehender Belehrung im Sinne des § 55 StPO kein Anlass für die Strafverfolgungsbehörde sein werde, gegen ihn Ermittlungen einzuleiten,12 was sich kaum einmal feststellen lassen wird. 7 Von vornherein unanwendbar war jedoch § 157 entgegen dem Buchstaben bei spontanen schriftlich abgegebenen eidesstattlichen Versicherungen (etwa zur Unterstützung von Anträgen auf Erlass von einstweiligen Verfügungen), da hier ein Zeugniszwang in keiner Weise zum Tragen kam (BGH bei Dallinger MDR 1968 551; RGSt 36 49).
6
IV. Teilweises Vorliegen der Notstandsvoraussetzungen 8 Liegen die Voraussetzungen des § 157 nur für einen Teil der falschen Angaben ein und derselben Aussage vor, weil zum anderen Teil ein sachlicher Zusammenhang im Sinne einer Abstützung der unwahren Angaben (vgl. Rdn. 9) fehlt, so geht es nicht an, die Vorschrift für diesen Teil anzuwenden, für den anderen jedoch außer Anwendung zu lassen; sie hat in solchen Fällen nach richtiger Auffassung vielmehr ganz auszuscheiden, jedoch kann der Umstand, dass für einen Teil der falschen Angaben das Motiv der Vermeidung einer Strafverfolgung wirksam war, unabhängig davon strafmildernd Berücksichtigung finden.13 Die von Mezger (JW 1931 57) vertretene gegenteilige Auffassung, dass § 157 auch zur Anwendung kommen soll, wenn nur ein Teil der unwahren Angaben einer Vermeidung der Strafverfolgung wegen einer früheren Tat dienlich war, ist vereinzelt geblieben und abzulehnen. Es ist nicht einzusehen, warum ein Täter besser gestellt sein sollte, bei dem zu einer falschen Aussage zum Beweisthema A, für die eine Anwendung von § 157 nicht in Betracht kommen kann, noch eine weitere falsche Aussage zum Beweisthema B hinzukommt, für die bei isolierter Betrachtung § 157 zur Anwendung zu kommen hätte (BGH NJW 2000 154). Verbindet sich beides in einer Tat, so ist nach dem Grundgedanken des § 52 immer der Teil dominant, für den eine Anwendung der Milderungsvorschrift ausscheidet. 9 Welche unwahren Angaben im Einzelnen dem § 157 zuzuordnen sind, ist Tatfrage. Punkte, die für sich genommen nichts Belastendes hätten, können es im Zusammenhang mit anderen gewinnen. Deshalb hat das Reichsgericht für die Frage, ob auch neben einer in deutlicher Weise auf das Leugnen der Vortat gerichteten falschen Angabe zusätzliche falsche Angaben derselben Aussage gleichfalls unter § 157 fallen, zutreffend auf diesen Zusammenhang abgestellt und dies 10 Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 75 Rdn. 106; Bemmann FS H. Mayer 485, 491; Heusel JR 1989 428, 429; Mezger LK8 Anm. 3. 11 Müller MK Rdn. 25; SSW/Sinn Rdn. 12; Zöller SK Rdn. 15. 12 Vgl. BGH 4 StR 424/62 v. 18.1.1963. 13 Vgl. BGH NJW 2000 154; BGH bei Dallinger MDR 1952 658; BGH 2 StR 94/57 v. 10.4.1957 und 5 StR 255/55 v. 19.7.1955; RGSt 27 369, 370; 59 61; 60 56, 57; 61 225; 61 310, 311 f; RG JW 1930 3400 und 1931 57 m. Anm. Mezger; OLG Schleswig HESt 2 253; Zöller SK Rdn. 13; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 5; Vormbaum NK Rdn. 25; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 5; Fischer Rdn. 8; Müller MK Rdn. 19. Wolters/Ruß
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V. Absicht des Täters
StGB § 157
in RG JW 1930 3400 pointiert dahin formuliert, dass es darauf ankomme, ob der Zeuge durch die nach § 157 milder zu beurteilende unwahre Angabe auch zur Entstellung des Sachverhalts in anderen Punkten getrieben wurde. Die hieran anknüpfende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist in ihrer Begründung nicht ganz befriedigend, indem sie es in einer hier wohl übertriebenen Abneigung gegen ein obiter dictum offen ließ, ob § 157 auch bei Beziehbarkeit auf nur einen Teil der falschen Angaben anwendbar sein könne, und weil sie vor allem nicht hinreichend beachtet, dass es seit der Gesetzesänderung nicht mehr auf eine Beurteilung des Zusammenhangs aus der Sicht eines neutralen Beobachters, sondern nur noch darauf ankommen kann, ob der Täter subjektiv alle seine falschen Einzelangaben unter dem Aspekt der Vermeidung einer Strafverfolgung wegen der Vortat gesehen hat.
V. Absicht des Täters Die Absicht des Täters, die Gefahr einer gerichtlichen Bestrafung von einem Angehörigen oder 10 von sich selbst abzuwenden, ist im Sinne motivorientierten Handelns zu verstehen.14 Dabei kommt es in jeder Richtung auf die Vorstellungen an, die den Täter bei seiner Aussage leiteten, mögen diese auch in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht fehlgehen.15 Gerade diese völlige Subjektivierung sollte mit der Gesetzesänderung erreicht werden (Goetzeler ZStW 63 [1951] 83, 98). Relevant in diesem Sinne ist also auch das Wahndelikt, ist die Unkenntnis, dass in einer wahren Aussage zugleich der strafbefreiende Rücktritt (§ 24) von der erst versuchten Vortat liegen würde, auf deren Verdeckung es dem Täter ankommt, desgleichen die Unkenntnis davon, dass die Verfolgungsverjährung schon eingetreten (RG HRR 1927 Nr. 542) oder die Frist zur Stellung des Strafantrags schon abgelaufen ist. Die Gefahr einer gerichtlichen Sanktion kann noch nach rechtskräftigem Freispruch bestehen, wenn eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu befürchten ist (BGH bei Holtz MDR 1983 280). Die Frage der Gefahr ist nicht mehr nach der an objektiven Kriterien orientierten Rechtsprechung des Reichsgerichts auf der Grundlage der ursprünglichen Fassung der Vorschrift zu beurteilen (vgl. auch oben Rdn. 9).16 Bleibt unklar, ob der Angeklagte aus dem Motiv der Gefahrenabwehr gehandelt hat, ist nach dem Zweifelssatz zu verfahren (BGH NStZ 1988 497; OLG Düsseldorf JR 1991 520 m. Anm. Heusel). Die Gefahrabwendung braucht nicht das einzige Motiv des Täters und nicht der Endzweck 11 seines Handelns zu sein (BGH NStZ-RR 2007 40).17 Doch soll die Vergünstigung nach BGH NJW 1954 1416 und NJW 1956, 193 (angef. bei Wagner MDR 1959 807 Fn. 9) dann a limine ausscheiden, wenn die Gefahrabwendung ein Beweggrund von ganz untergeordneter, nebensächlicher Bedeutung ist.18 An dieser Grenzziehung sollte jedoch so wenig festgehalten werden,19 wie an der Ausscheidung der Fälle, in denen nur eine ganz entfernte Möglichkeit strafrechtlicher Verfolgung besteht (RGSt 64 104, 105 im Anschluss an die alte Fassung). Die Einbeziehung der Übertretungen in den Kreis der Vortaten durch die Gesetzesänderung von 1943 zeigt an, dass dem Gesetzgeber feine Abgrenzungen fernlagen und dass er für die Beachtung solcher Gradunterschiede die Möglichkeit genügen lassen wollte, von der Strafminderung geringeren oder keinen Gebrauch zu machen.
14 Vgl. Hettinger/Bender JuS 2015, 577, 585. 15 BGHSt 8 301, 317; BGH NJW 1988 2391; bei Detter NStZ 1990 221, 222; BGH NStZ-RR 2008 9; RGSt 77 219, 222; OLG Hamburg NJW 1952 634; BayObLG NJW 1956 559; OLG Düsseldorf NJW 1986 1822.
16 Vgl. aber Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6. 17 BGHSt 2 379; 8 301, 317; BGH NJW 1953 1479; GA 1959 176; 1968 304; NJW 1988 2391; BGH bei Meyer-Goßner NStZ 1986 103, 105; bei Detter NStZ 1992 477, 479; bei Holtz MDR 1993 1039; StV 1995 250; BGH NStZ 2005 33, 34; BGHR StGB § 157 I Selbstbegünstigung 2. 18 So auch Mückenberger AnwK Rdn. 9; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 10; Zöller SK Rdn. 12. 19 Vgl. Vormbaum NK Rdn. 14; Müller MK Rdn. 17; SSW/Sinn Rdn. 11. 137
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Jedoch rechtfertigt es die Anwendung des § 157 nicht, wenn der Täter keine ihm unmittelbar drohende Strafverfolgung abwenden will, sei es weil er die Gefahr nicht erkennt oder weil er positiv weiß, dass seiner Bestrafung oder Maßregelung ein rechtliches Hindernis entgegensteht; auch nicht, wenn es dem Täter nicht um die Abwendung der bestehenden Gefahr geht, er vielmehr mit seiner falschen Aussage nur die mittelbare Verhinderung eines möglichen Strafverfahrens etwa durch günstige Beeinflussung eines etwaigen Belastungszeugen oder Anzeigeerstatters bezweckt (BGHSt 7 2; RGSt 64 104; 73 310). Gerade die richtige Bekundung über das, was an der Aussage falsch ist, muss nach der Vorstellung des Täters zur Herbeiführung der Strafverfolgung geeignet sein. – Ist ein Strafverfahren wegen der Vortat schon eingeleitet, so bleibt im Sinne des § 157 doch das Bestreben des Täters bedeutsam, eine Förderung dieses Verfahrens mit einem für ihn ungünstigen Ausgang zu vermeiden (RG JW 1935 2960). Ausreichend ist es auch, wenn der Täter mit seiner Falschaussage nur darauf abzielt, die Strafzumessung zu seinen oder des Angehörigen Gunsten zu beeinflussen (BGHSt 29 298, 299).20
VI. Strafe 13 Als Bestrafung ist, was die Alternative der freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung (§§ 63 bis 66) verdeutlicht, allein die Verhängung einer Kriminalstrafe zu verstehen. Die Gefahr der Verfolgung wegen einer Ordnungswidrigkeit ist deshalb für die Anwendung der Vorschrift ohne Bedeutung (BayObLG NJW 1971 630 mit kritischer Anm. Gross NJW 1971 1620). Nichts anderes kann entgegen den überholten Entscheidungen BGH GA 1967 52 und BayObLGSt 1962 9 für Dienstvergehen gelten, weil disziplinarrechtlichen Sanktionen der Strafcharakter fehlt.21
VII. Angehöriger 14 Zum Begriff des Angehörigen ist auf § 11 Abs. 1 Nr. 1 zu verweisen.22 Die Einbeziehung anderer dem Täter nahestehender Personen – genannt werden in diesem Zusammenhang vor allem die Partner nichtehelicher Lebensgemeinschaften – im Wege der Analogie23 kann nicht in Betracht kommen. Der Wortlaut in § 157 weist gegenüber § 35 eine offensichtliche Differenz auf, die vom Gesetzgeber anlässlich der in den vergangenen Jahren vorgenommenen zahlreichen gesetzlichen Änderungen auf dem Gebiet des materiellen Strafrechts nicht behoben worden ist, so dass von einer bewussten Beschränkung des Gesetzes ausgegangen werden muss (so zutr. Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6).
VIII. Berücksichtigung von Amts wegen 15 Ob die Voraussetzungen des § 157 gegeben sind, hat der Tatrichter von sich aus zu prüfen und festzustellen (vgl. BGH NStZ-RR 2007 40) und in Zweifelsfällen zu Gunsten des Täters zu ent20 Ebenso Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 10; Zöller SK Rdn. 6; Fischer Rdn. 5; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Müller MK Rdn. 18. 21 Fischer Rdn. 5; Vormbaum NK Rdn. 17; Müller MK Rdn. 22; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Zöller SK Rdn. 8; Sch/ Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 7; 1. Schriftl. Bericht d. Sonderausschusses des BT zum Entwurf des EGStGB, BTDrucks. 7/1261 S. 13. 22 BayObLG NJW 1986 202; OLG Braunschweig NStZ 1994 344 m. Anm. Hauf NStZ 1995 35; OLG Celle NJW 1997 1084; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 9; Fischer Rdn. 9; krit. Müller MK Rdn. 20. 23 Zöller SK Rdn. 3; Vormbaum NK Rdn. 15; Ostendorf JZ 1987 335, 338; Krümpelmann/Heusel JR 1987 37, 41; Hauf NStZ 1995 35; ferner Geppert Jura 2002 173, 180; Weber GedS Keller 325, 339. Wolters/Ruß
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X. Anwendung auf Eidesunmündigen
StGB § 157
scheiden (Rdn. 1, 10).24 Es kommt also nicht darauf an, ob sich der Täter ausdrücklich auf den Aussagenotstand berufen hat (BGH NStZ 2005 33, 34). Da Furcht vor Strafe nicht der einzige Beweggrund zu sein braucht (Rdn. 11), schließt auch die Angabe eines anderen Grundes durch den Täter die Anwendbarkeit des § 157 nicht unbedingt aus.
IX. Strafzumessung Neben § 157 kann dem Täter zusätzlich § 158 zugutekommen (BGHSt 4 176). Die Vergünstigung 16 des § 157 kann für jede Tat nur einmal zugebilligt werden. Sind jedoch die Voraussetzungen der Vorschrift mehrfach erfüllt (wie beim Schutz mehrerer Angehöriger und des Täters), so kann das für das Ausmaß der Strafmilderung bedeutsam sein.25 Ob das Gericht eine Strafmilderung nach § 49 Abs. 2 vornimmt oder – im Falle einer uneidlichen Falschaussage – ganz von Strafe absieht, unterliegt im Übrigen seinem pflichtgemäßen Ermessen. Dafür maßgebend sind vor allem die Intensität der Zwangslage, in der sich der Täter befunden hat, und auch die Folgen, die durch sein Verhalten hervorgerufen worden sind. Zu weitgehend ist jedoch die Auffassung von Montenbruck (JZ 1985 976, 979 ff), der bei einem offenkundig tatverdächtigen Zeugen eine Ermessensreduzierung auf Null annimmt und stets ein Absehen von Strafe für richtig hält. Von erheblicher Bedeutung für die tatrichterliche Entscheidung werden ferner die Umstände sein, durch welche der Aussagende in die Konfliktsituation geraten ist. Hat er sich durch eigenes Verschulden in die Zwangslage gebracht oder diese gar provoziert, wird nur geringer oder gar kein Anlass für eine Strafmilderung bestehen (vgl. OLG Düsseldorf JR 1991 520 m. Anm. Heusel Rdn. 5, 6; vgl. hierzu ferner Seibert NJW 1961 1055). – Wurde die Konfliktlage zum Anlass genommen für die Annahme eines minder schweren Falles nach § 154 Abs. 2,26 ist eine nochmalige Strafmilderung nach § 157 Abs. 1 nicht mehr zulässig, wie sich aus § 50 ergibt. Waren jedoch andere Gründe für die Annahme des minder schweren Falles maßgebend, kann die Notstandslage zu einer weiteren Milderung des bereits ermäßigten Strafrahmens verwendet werden (vgl. BGH wistra 1999 261). Auf Tatbestände, die mit den Aussagedelikten ideell konkurrieren, findet § 157 keine Anwendung (vgl. dazu § 158 Rdn. 15). – Wurde von Strafe abgesehen, ist dies in der Urteilsformel zum Ausdruck zu bringen (§ 260 Abs. 4 Satz 4 StPO).
X. Anwendung auf Eidesunmündigen Absatz 2 gewährt die Vergünstigung des § 157 ohne weitere Vorbedingungen dem Eidesunmün- 17 digen, also dem noch nicht Achtzehn- (§ 60 Nr. 1 StPO) bzw. noch nicht Sechzehnjährigen (§ 393 ZPO), wenn er uneidlich falsch ausgesagt hat. Die Vorschrift knüpft damit an den Regelfall an, dass bei Eidesunmündigen nach den Verfahrensvorschriften verfahren, also von Vereidigung abgesehen wird. Den Fall, dass gleichwohl eine Vereidigung stattfindet, übergeht das Gesetz. Das bereitet keinerlei dogmatische Schwierigkeiten, wenn man den Eid des Eidesunfähigen als strafrechtlich unbeachtlich ansieht (vgl. § 154 Rdn. 10), da dann die eidliche Aussage praktisch zu einer uneidlichen wird, auf die Absatz 2 seinem Wortlaut nach zutrifft.27 Die Regelung ist aber auch im anderen Fall praktisch bedeutungslos, da Jugendstrafrecht zur Anwendung kommt und die Bestimmung obsolet gemacht hat. Weiterhin von Bedeutung ist sie jedoch im Hinblick auf die übrigen von § 60 Nr. 1 StPO betroffenen Personen, nämlich diejenigen, die we24 BGH GA 1968 304; bei Dallinger MDR 1968 551; NStZ 1988 497; OLG Stuttgart NJW 1978 711; OLG Düsseldorf JR 1991 520 m. Anm. Heusel. 25 BGHSt 5 371, 377 unter Hinweis auf RGSt 64 215, 219; BGH GA 1967 52; OLG Stuttgart NJW 1978 711. 26 S. dazu BGH NStZ 2012 567. 27 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 14; Mückenberger AnwK Rdn. 15; Müller MK Rdn. 35; Zöller SK Rdn. 18; krit. Vormbaum NK Rdn. 32; abweichend Fischer Rdn. 13; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 11. 139
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§ 157 StGB
Aussagenotstand
gen mangelnder Verstandesreife oder wegen einer psychischen oder einer geistigen oder seelischen Behinderung vom Wesen und der Bedeutung des Eides keine genügende Vorstellung haben (entsprechend für § 393 ZPO); auf sie ist die Vorschrift analog anzuwenden (Sch/Schröder/ Bosch/Schittenhelm Rdn. 14; Müller MK Rdn. 34).
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§ 158 Berichtigung einer falschen Aussage (1) Das Gericht kann die Strafe wegen Meineids, falscher Versicherung an Eides Statt oder falscher uneidlicher Aussage nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder von Strafe absehen, wenn der Täter die falsche Angabe rechtzeitig berichtigt. (2) Die Berichtigung ist verspätet, wenn sie bei der Entscheidung nicht mehr verwertet werden kann oder aus der Tat ein Nachteil für einen anderen entstanden ist oder wenn schon gegen den Täter eine Anzeige erstattet oder eine Untersuchung eingeleitet worden ist. (3) Die Berichtigung kann bei der Stelle, der die falsche Angabe gemacht worden ist oder die sie im Verfahren zu prüfen hat, sowie bei einem Gericht, einem Staatsanwalt oder einer Polizeibehörde erfolgen.
Entstehungsgeschichte Die Vorschrift wurde ebenso wie § 157 durch die VO vom 29.5.1943 (RGBl. I 339) neu gefasst. Die Neuerung bestand in der Ausdehnung auf die falsche uneidliche Aussage, in einer genaueren Umschreibung der rechtzeitigen Berichtigung (statt des früheren „Widerrufs“) und in der fakultativen Anwendung bis zur Möglichkeit eines Absehens von Strafe. Das EGStGB 1974 beschränkte sich auf redaktionelle Anpassung.
Übersicht I.
Zweck der Vorschrift
II.
Nicht nur auf Zeugen und Sachverständige be2 schränkt
III. 1.
1
Berichtigung der falschen Angabe 3 Berichtigung
2. 3.
7 Form Berichtigungsadressaten
IV.
Voraussetzungen für die Wirksamkeit der Berich9 tigung
V.
Rechtsfolge
8
3 15
I. Zweck der Vorschrift Die Berichtigung der falschen eidlichen oder uneidlichen Aussage oder der falschen eidesstattli- 1 chen Versicherung eröffnet – weitergehend als § 157 – in sämtlichen Fällen der §§ 153 bis 156 die Möglichkeit, die Strafe zu mildern oder von Strafe abzusehen. Zweck der Vorschrift ist nach den Worten von RGSt 67 81, 82 f, „durch teilweisen oder ganzen Verzicht auf den entstandenen Strafanspruch den Widerruf falscher Angaben zu fördern, hierdurch der Wahrheit zum Siege zu verhelfen und etwaige von der Eidesverletzung (usw.) drohende Nachteile abzuwenden“ (vgl. auch BGH NJW 1951 727; OLG Hamburg JR 1981 383 m. Anm. Rudolphi). Mit Rücksicht auf diesen Zweck räumte die Rechtsprechung des Reichsgerichts diesem Strafmilderungs- und Strafaufhebungsgrund „die umfassendste Geltung ein, die sich überhaupt mit dem Wortlaut vereinigen lässt“. Der Bundesgerichtshof hat im gleichen Sinne geäußert, dass die Vorschrift „dem Täter goldene Brücken bauen will“ (BGH NJW 1962 2164). Die Vorschrift ist mithin sehr weit auszulegen (Hettinger/Bender Jus 2015 577, 585).
II. Nicht nur auf Zeugen und Sachverständige beschränkt Im Unterschied zu § 157 ist die Anwendungsmöglichkeit nicht auf den Zeugen und Sachverständi- 2 gen beschränkt, sondern kommt auch der Partei bei eidlicher Parteivernehmung zugute. So schon 141 https://doi.org/10.1515/9783110490107-018
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§ 158 StGB
Berichtigung einer falschen Aussage
RGSt 16 29, ferner zum Offenbarungseid RG HRR 1938 Nr. 343. Sie gilt auch zu Gunsten von Anstiftern und Gehilfen, sofern sie die falsche Aussage berichtigen. Das Reichsgericht hatte dies früher verneint (RGSt 71 118), in OGHSt 2 161, 165 wurde es summarisch für beide Fälle der Teilnahme anerkannt, der Bundesgerichtshof hat es dann speziell für die Anstiftung in NJW 1951 727 und für die Beihilfe in BGHSt 4 172 bejaht.1 Von der Vorschrift werden nicht nur vollendete Fälle der Falschaussage erfasst, sondern auch solche – lediglich bei § 154 von praktischem Interesse –, die im Stadium des Versuchs stecken geblieben sind. Hier tritt § 158 neben § 24 (BGHSt 4 172, 175), wobei von Bedeutung ist, dass § 158 freiwilliges Handeln nicht zur Voraussetzung hat.
III. Berichtigung der falschen Angabe 1. Berichtigung 3 Berichtigung ist „Richtigstellung“. Damit ist mehr verlangt als beim früheren Widerruf. Es genügt also nicht, dass der Täter bloß erkennbar macht, dass seine Aussage falsch war (vgl. dazu OLG Hamburg JR 1981 383 m. Anm. Rudolphi) oder dass er auf die Frage nach der Richtigkeit seiner bisherigen Aussage die Antwort verweigert (BGHSt 18 348, 349). Umgekehrt kann es auch nicht ausreichen, wenn er nur neuerlich die Wahrheit sagt, ohne dass er damit die Zurücknahme der früheren falschen Aussage verbindet. Vielmehr muss beides geschehen und aufeinander bezogen sein (BGHSt 9 99; 18 348; 21 115; RGSt 64 215, 216). Der Täter muss in allen nicht gänzlich nebensächlichen Punkten die Wahrheit mitteilen. Über die Motive und Anstöße, die ihn zur Falschaussage gebracht haben, braucht er keinen Aufschluss zu geben, doch wird eine freiwillige, entsprechende Mittelung regelmäßig seine Glaubwürdigkeit unterstreichen. 3a Ist der Täter zeugnisverweigerungsberechtigt, so genügt ausnahmsweise seine Erklärung, dass seine frühere Aussage falsch war, wenn er zugleich von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht (vgl. BGH StV 1982 420). Würde auch in diesem Fall die Gewährung der Rechtswohltat davon abhängig gemacht, dass er eine berichtigende (richtige) Aussage macht, so würde er auf diese Weise zu etwas gezwungen, was ihm die Verfahrensgesetze erlauben. Die Inanspruchnahme seines Rechts auf Verweigerung des Zeugnisses enthebt ihn der Verpflichtung durch seine Aussage zur Sachaufklärung beizutragen, gleichgültig ob es um die erste Aussage geht oder nach einer falschen um die berichtigende Aussage (vgl. Rudolphi JR 1981 384, 385). 4 Soweit in der Entscheidung BGHSt 9 99 gefordert wird, der Täter müsse, um sich die Rechtswohltat des § 158 zu verdienen, die Gefahr einer unrichtigen Entscheidung tatsächlich beseitigen, und soweit sie Erklärungen darüber, ob der Täter nach den Umständen und seinen Fähigkeiten imstande war, die von ihm beschworene falsche Aussage in allen Punkten durch die Darstellung der Wahrheit zu ersetzen, generell für überflüssig erachtet, kann ihr nicht beigepflichtet werden. Von dem Täter kann vernünftigerweise und im recht verstandenen Sinn des § 158 nicht mehr an sachlichen Mitteilungen zum Beweisthema erwartet werden, als er von Anfang an zu leisten verbunden war. Darauf, welche Bedeutung seine nunmehr wahre Aussage für die Entscheidung hat, hängt nicht von ihm, sondern vorwiegend von anderen Umständen, vor allem von der Rechtslage ab, für die seine Aussage im einen wie im andern Sinn letztlich unerheblich sein kann. Dass er zuerst die Unwahrheit gesagt hat, kann ihn nicht zu berichtigenden Mitteilungen über das Maß seiner Leistungsfähigkeit hinaus verpflichten. Etwas anderes wäre es allerdings, wenn er im Zusammenhang mit seiner Falschaussage (etwa durch die Vernichtung früherer Aufzeichnungen) Maßnahmen getroffen hat, die es ihm jetzt unmöglich machen, eine wahre Bekundung von gleichbleibender Sicherheit und Qualität zu machen, wie sie ihm im Zeitpunkt seiner Falschaussage noch möglich gewesen wäre. Doch sollte ihm auch in diesem Falle die Rechtswohltat des § 158 nicht a limine versagt werden.
1 Bestätigt durch BGH JuS 2018 81 m. Anm. Eisele. Wolters/Ruß
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III. Berichtigung der falschen Angabe
StGB § 158
Nach Maßgabe dieser Leistungsfähigkeit der Beweisperson muss die Berichtigung umfas- 5 send sein; sie darf keinen wesentlichen Punkt aussparen (BGHSt 9 99). Ein Beispiel für die eine Anwendung des § 158 nicht ausschließende Übergehung eines ganz unwesentlichen Punktes gibt BGH NJW 1962 2164. Ist das Gericht weder davon überzeugt, dass der seine Falschaussage berichtigende Täter sein 6 Erinnerungsbild nunmehr zutreffend wiedergibt, noch davon, dass er eine Unwahrheit ganz oder teilweise durch eine andere ersetzt hat, so tritt die Frage auf, ob auch hier § 158 eingreifen kann. Zwei Fallgestaltungen sind zu unterscheiden: Zum ersten der Fall, dass die ursprüngliche Aussage als falsch erwiesen ist. Zum zweiten der Fall, dass die Unrichtigkeit der früheren Aussage nicht feststeht, dies aber deshalb nicht zum Freispruch führen kann, weil die zweifelhafte Berichtigung Gegenstand einer zweiten Aussage vor Gericht gewesen ist, so dass eine wahldeutige Verurteilung stattzufinden hat (vgl. § 153 Rdn. 14). Hier hat das BayObLG (NJW 1976 860) im Anschluss an Stree (In dubio pro reo S. 29) entschieden, dass unter Anwendung dieses Grundsatzes von der Wahrheit der berichtigenden Aussage auszugehen und § 158 anzuwenden sei.2 Zum selben Ergebnis gelangt man hier, wenn man, wie Blei JA 1976 166 und Küper NJW 1976 1828 dargelegt haben, nur konsequent den für die wahldeutige Verurteilung geltenden Grundsatz zur Anwendung bringt, dass die Strafe auf jeden Fall dem mildesten Gesetz zu entnehmen ist (vgl. Dannecker LK Anh. § 1 Rdn. 160): Das ist hier § 153 in Verbindung mit § 158. Die Frage, ob man des Grundsatzes in dubio pro reo bedarf,3 stellt sich unter diesen Umständen mit voller Schärfe nur im ersten Fall. Hier wird man seine Anwendung und damit auch die Anwendung des § 158 nicht ausschließen können, wenn man nicht in Widerspruch zur Lösung im zweiten Fall geraten will. In diesem Sinne auch Stree JR 1976 470, der die Notwendigkeit der Berufung auf den Grundsatz in dubio pro reo schon für eine Variante des Falles zwei nachweist.
2. Form Eine bestimmte Form ist für die Berichtigung nicht vorgeschrieben (BGHSt 18 348). Sie kann 7 durch mündliche oder schriftliche Erklärung erfolgen. Dass sie durch konkludentes Schweigen geschieht, ist bei einfachen Beweisfragen nicht ganz undenkbar.4 Auch die Abgabe der Erklärung durch Vermittlung eines Dritten, insbesondere eines Rechtsanwalts, ist möglich (RGSt 28 162).
3. Berichtigungsadressaten Der Kreis der Berichtigungsadressaten ist im Gesetz (Absatz 3) weit gezogen. Die Berichtigung 8 kann erfolgen nicht nur bei der Stelle, der die falsche Angabe gemacht worden ist oder die sie in dem betreffenden Verfahren zu prüfen hat, sondern bei jedem Gericht, jedem Staatsanwalt und jeder Polizeibehörde. Im Falle der Vermögensauskunft gem. § 802c ZPO kann als Stelle, der die Angabe gemacht worden ist, im umfassenden Sinn auch der zuständige Gerichtsvollzieher als Organ der Zwangsvollstreckung gelten (LG Berlin JR 1956 432). Das Risiko rechtzeitigen Eingangs der Berichtigung trägt freilich der Täter (näher Rdn. 10). 8a Es genügt aber der Eingang bei der Behörde, Kenntnisnahme durch den zuständigen Beamten ist nicht nötig (RGSt 61 123, 125, 67 81, 87). 2 Vgl. auch Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 5; Fischer Rdn. 5; Müller MK Rdn. 12 f; SSW/Sinn Rdn. 5; Vormbaum NK Rdn. 34; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2. 3 Die These, dass Wahlfeststellung und in dubio pro reo ihren jeweils eigenen Anwendungsbereich haben, ist vor allem von Otto FS Peters 273 näher begründet worden. 4 Vgl. BGHSt 18 348 und dazu die Anm. Geier LM StGB § 158 Nr. 7; RGSt 58 380, 381; Im gleichen Sinne Zöller SK Rdn. 4; wohl auch Stree In dubio pro reo S. 29. 143
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§ 158 StGB
Berichtigung einer falschen Aussage
IV. Voraussetzungen für die Wirksamkeit der Berichtigung 9 An eine dreifache Voraussetzung ist die Wirksamkeit der Berichtigung im Sinne der Vorschrift geknüpft. Das Gesetz drückt sich dahin aus, die Berichtigung müsse rechtzeitig erfolgen und schließt diese Rechtzeitigkeit in drei Fällen aus, in denen die Berichtigung als verspätet bezeichnet ist (Absatz 2). Diese Voraussetzungen wirken nach herrschender Meinung rein objektiv: Unkenntnis des Täters schadet nichts, irrtümliche Annahme ersetzt sie nicht.5 Eine hiervon abweichende differenzierende Auffassung vertreten Bosch/Schittenhelm (Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 7) unter Verweisung auf Schröder Festschrift H. Mayer 384, der die zu anderen Rücktrittsvorschriften, insbesondere zu § 24 und § 31 entwickelten Grundsätze analog hierher übertragen will und deshalb § 158 nur dann als ausgeschlossen ansieht, wenn der Täter die gegen ihn eingeleitete Maßnahme kennt.6 Dies entspricht auch der in § 442 Abs. 3 E 1962 vorgesehenen Regelung, wonach die Berichtigung nur dann verspätet sein soll, „wenn der Beteiligte zuvor erfahren hat, dass gegen ihn eine Anzeige erstattet oder eine Untersuchung eingeleitet worden ist“. Die amtliche Begründung betont dazu mit Recht, dass dies mehr dem Zweck der Vorschrift, die Wahrheitsfindung zu fördern, entspricht. Für die Durchsetzung dieses Gedankens bereits im geltenden Recht spricht zweifellos auch die Verwandlung des § 158 in eine Kann-Vorschrift. 9a Zu den drei Voraussetzungen, die allesamt gegeben sein müssen, damit die Rechtswohltat anwendbar ist (RGSt 9 280, 282), ist im Einzelnen folgendes zu sagen: 10 1. Es darf gegen den Täter noch keine Anzeige erstattet und noch keine Untersuchung eingeleitet sein. „Anzeige“ ist nur als Strafanzeige zu verstehen, bei der die Tat in ihrer strafrechtlichen Bedeutung erkannt ist (RGSt 62 303, 305). Eine Selbstanzeige genügt nicht (RGSt 67 81, 88). Denn die Berichtigung schließt stets eine Selbstanzeige ein und kann demgemäß auch von einer Selbstanzeige eingeleitet werden. „Untersuchung“ ist das Einschreiten einer zuständigen Behörde, das in der äußerlich erkennbaren Absicht erfolgt, ein Strafverfahren herbeizuführen (RGSt 62 303, 306). Diese Eigenschaft kommt auch einem Einschreiten des Zivilrichters nach § 183 GVG zu (RGSt 73 335, 336). Die Untersuchung muss wegen der falschen Bekundung gegen den Verdächtigen erfolgen (RGSt 64 215, 217). Auch Handlungen von Behörden und Beamten des Polizei- und Sicherheitsdienstes aus eigener Initiative (§ 163 StPO), nicht nur solche auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft, zählen hierher (RGSt 67 81, 89). Dagegen nicht die Protokollierung der verdächtigen Aussage in der Hauptverhandlung auf Antrag des Staatsanwalts (RGSt 7 154, 155 f). Sie dient bloß der Erleichterung einer etwaigen Untersuchung. 11 2. Es darf aus der Tat noch kein Nachteil für einen anderen entstanden sein. Das Reichsgericht hat dieses Erfordernis ersichtlich unter dem Eindruck der ursprünglich zwingenden Herabsetzung des Strafrahmens weit ausgelegt. Es ging dabei davon aus, dass der Begriff des Nachteils (damals noch „Rechtsnachteil“) jede Beeinträchtigung umfasst, die der Betroffene in einem ihm zustehenden Rechte oder in seiner Rechtsstellung erfährt (RGSt 45 301, 302 unter Hinweis auf RGSt 17 307, 308). Immerhin hat schon das Reichsgericht dazu übergeleitet, eine bloße Gefährdung hier nicht als Nachteil gelten zu lassen (RGSt 36 240, 241), wo jedenfalls die mehr oder weniger entfernte Gefährdung ausgeschlossen wurde. Von vornherein hat die sich aus jeder Falschaussage ergebende Verschlechterung der Beweislage als Nachteil auszuscheiden BGH NJW 1962 2164. Auf der gleichen Linie liegt es, dass eine ideelle Beeinträchtigung auszuscheiden hat; denn eine solche Beeinträchtigung liegt regelmäßig darin, dass mit der Falschaussage einer anderen wahrheitsgemäßen Darstellung das Odium der Lügenhaftigkeit angeheftet wird. Jedoch ist ein Vermögensnachteil nicht erforderlich (RGSt 39 225, 228). Enger ist die Auffassung von Vormbaum (NK Rdn. 24); nach ihm sollen nur Nachteile in Betracht kommen, die sich außerhalb des betreffenden Verfahrens auswirken. Im Einzelnen sind als Nachteil angesehen worden: Erlass eines ungünstigen Straf- oder Zivilurteils, Erhebung der öffentlichen 5 Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 75 Rdn. 1222. 6 Im gleichen Sinne Zöller SK Rdn. 7; wohl auch Stree In dubio pro reo 29; Vormbaum NK Rdn. 29; diff. Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 7. Wolters/Ruß
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V. Rechtsfolge
StGB § 158
Klage (dazu RGSt 17 307, 308), Erlass einer einstweiligen Verfügung, Erteilung eines Erbscheins (RGSt 39 225), Einstellung der Zwangsvollstreckung. Vor einer kleinlichen Anwendung sollte man sich hüten; wo die Berichtigung unmittelbar einer Wiederbeseitigung des eingetretenen Zustandes dienen kann, da ist der Nachteil noch nicht wirklich „entstanden“. Die Notwendigkeit für den Gläubiger, das Verfahren nach § 802c ZPO erneut zu betreiben und wieder Kosten aufzuwenden, wird deshalb für sich allein als Nachteil im Sinne der Vorschrift nicht genügen. Die Kosten müssen wirklich erwachsen und aufgewandt sein (vgl. RGSt 70 142, 144). Zu weitgehend in diesem Sinne wohl auch RG JW 1934 559, wo ein Nachteil schon in einer durch die Falschaussage verursachten, vor dem Widerruf erfolgten weiteren Beweiserhebung gesehen wurde (ebenso Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 9); vgl. im Übrigen die bei BGH NJW 1962 2164 angeführten weiteren Beispiele. „Aus“ der Tat muss der Nachteil entstanden sein (RGSt 16 29, 32). Zwischen der falschen 12 Aussage und dem Nachteil muss Kausalzusammenhang bestehen. Dies wurde auch in einem Fall angenommen, in welchem auf Grund der falschen Zeugenaussage im ersten Rechtszug verurteilt worden war, ohne Rücksicht darauf, dass bei geänderter Zeugenaussage auch im Berufungsrechtszug verurteilt wurde (RGSt 29 303). Ebenso in einem Falle, in welchem die Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung die Einleitung eines Hypotheken-Aufgebotsverfahrens zur Folge hatte, wobei ein Rechtsnachteil schon um deswillen als eingetreten erachtet wurde, weil sich der Gläubiger in die Notwendigkeit versetzt sah, sein Recht bei Vermeidung der Ausschließung geltend zu machen, also Zeit und u. U. Geld aufzuwenden, um die Erhaltung seines Rechts zu sichern (RGSt 45 301, 302). Ursächlicher Zusammenhang besteht nur dann, wenn sich die falsche Aussage nicht wegdenken lässt, ohne dass der Nachteil notwendigerweise mit ihr wegfiele. Nur mögliches Wegfallen genügt nicht, wohl aber die Tatsache, dass die falsche Aussage eine der Ursachen war (RGSt 60 159, 160; RG HRR 1928 Nr. 2236). „Für einen anderen“ muss der Nachteil entstanden sein. Hierfür kommen nach h. M. die 13 Organe der Strafverfolgung nicht in Betracht.7 Dem ist gegen RG DR 1939 1309 zuzustimmen. Dort wurde unter Bezugnahme auf RG JW 1932 1742 auch der Staat als Träger der Strafgewalt als „ein anderer“ im Sinne der Vorschrift angesehen und ein Rechtsnachteil schon in der Einleitung und Durchführung eines Wiederaufnahmeverfahrens und im Aufschub oder in der Unterbrechung der Strafvollstreckung als einer Schmälerung des staatlichen Strafanspruchs gesehen. 3. Bei der Entscheidung noch verwertbar muss die Berichtigung sein. Entscheidung in 14 diesem Sinne ist nur eine den Rechtszug abschließende Entscheidung, die nicht rechtskräftig zu sein braucht (BGH JZ 1954 171; OLG Hamm HESt 2 256). Nachdem ein Urteil auf Grund der falschen Aussage ergangen war, kann eine Berichtigung im zweiten Rechtszug die Anwendung des § 158 nicht mehr möglich machen.8 Beweisbeschlüsse und ähnliche bloß vorbereitende Entscheidungen können die Wirksamkeit der Berichtigung nicht ausschließen.
V. Rechtsfolge Die Anwendung der Vorschrift ist fakultativ. Zur Anwendung des § 49 Abs. 2 s. dort, zum Urteils- 15 spruch im Falle des Absehens von Strafe s. § 260 Abs. 4 Satz 4 StPO. Über das Verhältnis zu § 157 s. dort Rdn. 16. Steht mit einem Aussagedelikt eine andere Straftat in Idealkonkurrenz, so wird § 158 dadurch nicht unanwendbar. Jedoch darf die für die ideell konkurrierende Tat angedrohte Mindeststrafe nicht unterschritten werden (OLG Celle JZ 1959 541 mit Anm. Klug; OLG Hamm JMBlNRW 1980 65). Über Ausnahmen von der Sperrfunktion siehe die Anmerkung von Klug und die dort behandelte Entscheidung des LG Göttingen (NdsRpfl. 1951 40), ferner Sch/ Schröder/Bosch/Schittenhelm (Rdn. 11), wo die Erstreckung der Wirkungen des § 158 auf (wie die 7 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 9; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 5; Mückenberger AnwK Rdn. 10; Zöller SK Rdn. 8; Vormbaum NK Rdn. 26; Müller MK Rdn. 21; SSW/Sinn Rdn. 8; abw. Fischer Rdn. 9.
8 OLG Hamm NJW 1950 358, 359. 145
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§ 158 StGB
Berichtigung einer falschen Aussage
Begünstigung) in der gleichen Angriffsrichtung liegende, gegenüber dem Eidesdelikt nicht ins Gewicht fallende Delikte befürwortet wird; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 11 will die Vergünstigung des § 158 auch auf in Tatmehrheit mit dem Aussagedelikt begangene Straftaten nach §§ 30, 159, die der Vorbereitung des Aussagedelikts dienten oder mit ihm in einer Linie liegen, übertragen. Man wird ihm darin kaum folgen können, da eine solche Vergünstigung im Vergleich zu dem Täter, der nur den § 159 verwirklicht hat, aber zum eigenen Aussagedelikt noch nicht fortgeschritten ist, kaum verantwortet werden kann (ebenso Zöller SK Rdn. 11; Müller MK Rdn. 29; vgl. auch Vormbaum NK Rdn. 37). Das hartnäckige Beharren auf der falschen Aussage kann strafschärfend berücksichtigt werden; eine solche Berücksichtigung verstößt nicht gegen das Doppelverwertungsverbot (OLG Hamm NStZ-RR 2009 368).
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§ 159 Versuch der Anstiftung zur Falschaussage Für den Versuch der Anstiftung zu einer falschen uneidlichen Aussage (§ 153) und einer falschen Versicherung an Eides Statt (§ 156) gelten § 30 Abs. 1 und § 31 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 entsprechend.
Schrifttum Sickor Die Strafbarkeit der Teilnahme an der versuchten Anstiftung zur uneidlichen Falschaussage (§ 159 StGB) ZStW 123 (2011) 284.
Entstehungsgeschichte Ursprünglich traf § 159 mit unterschiedlichen Strafdrohungen das Unternehmen, einen anderen zur Begehung eines Meineids oder zur wissentlichen Abgabe einer falschen Versicherung an Eides Statt zu verleiten. Die StrafrechtsangleichungsVO vom 29.5.1943 (RGBl. I 339) mit der 2. DVO vom 20.1.1944 (RGBl. I 41) beseitigte diesen selbständigen Unternehmenstatbestand. Die ihn ersetzende neue Vorschrift bestimmte, dass die Regelung über die Bestrafung der erfolglosen Anstiftung und anderer Vorbereitungshandlungen bei Verbrechen (§ 30 Abs. 1) entsprechend für alle Fälle der falschen uneidlichen Aussage, des Meineids und der wissentlichen Abgabe einer falschen Versicherung an Eides Statt zu gelten habe. Das 3. StRÄndG vom 4.8.1953 (BGBl. I 735) strich den Meineid, weil er Verbrechen ist und daher schon unmittelbar unter § 30 Abs. 1 fiel. Es hat im Übrigen die entsprechende Anwendung des § 30 Abs. 1 auf die beiden Vergehenstatbestände insoweit beschränkt, als jetzt nur noch die erfolglose Anstiftung erfasst wurde. Art. 19 II Nr. 65 EGStGB 1974 hat die Vorschrift ohne Veränderung ihres sachlichen Inhalts in Anpassung an die veränderten Bestimmungen des Allgemeinen Teils vollständig neu gefasst.1
Übersicht I.
Zweck der Vorschrift
II.
Innerer Tatbestand
1 3
III.
Versuch und Teilnahme
IV.
Strafbefreiender Rücktritt
4 5
I. Zweck der Vorschrift Ist die versuchte Anstiftung zu einem versuchten Meineid durch § 30 Abs. 1 allgemein geregelt, 1 weil § 154 ein Verbrechen ist, bei dem der Versuch immer strafbar ist, bereitet die für § 153 und § 156 in § 159 vorgesehene entsprechende Regelung Schwierigkeiten, wenn es nicht zur Vollendung dieser Taten kommt.2 Da der Versuch der uneidlichen Falschaussage und der falschen Versicherung an Eides Statt nicht strafbar ist, ist auch die (erfolgreiche) Anstiftung, die zu dem straflosen versuchten Vergehen geführt hat, straffrei. § 159 führt nun zu dem seltsam erscheinenden Ergebnis, dass im Gegensatz dazu die erfolglose Anstiftung zu Taten nach § 153 oder § 156 entsprechend der Regelung in § 30 Abs. 1 zu behandeln, also strafbar ist. Eine zusätzliche Merkwürdigkeit steckt in der weiteren Konsequenz, dass der erfolglose Anstifter zu einer Versuchstat nach § 153 oder § 156 nach § 159 strafbar, der Versuchstäter selbst aber, da es sich um versuchte Vergehen handelt, straffrei sein soll.3 Diese Ungereimtheiten sind, wie Maurach/ Schroeder/Maiwald (BT 2 § 75 Rdn. 89) mit Recht bemerkt, mit Mitteln der Auslegung nicht mehr
1 Ein Überblick der Motive zeigt Sickor ZStW 123 (2011) 284, 285 f. 2 Zum Regelungsgehalt s. den Überblick bei Sickor ZStW 123 (2011) 284 ff. 3 Vgl. Sickor ZStW 123 (2011) 284 (285). 147 https://doi.org/10.1515/9783110490107-019
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§ 159 StGB
Versuch der Anstiftung zur Falschaussage
befriedigend aufzulösen. Der Bundesgerichtshof (BGHSt 24 38) und ein Teil der Lehre4 erblicken die Lösung darin, dass sie § 159 nur dann als erfüllt ansehen, wenn die Tat, die der Verleitete begehen soll, alle Merkmale aufweist, welche der Tatbestand des § 153 oder des § 156 erfordert; denn nur eine Tat, mit der der Angestiftete, wenn er sie im Sinne der Vorstellung des Anstifters vollbrächte, den Tatbestand eines der beiden Vergehen in tauglicher Weise verwirkliche, könne auch den Tatbestand des § 159 erfüllen. Was vom Tatbestand der Vergehen nach §§ 153 und 156 her für den Täter straflos ist, könne nicht für den Anstifter und erst recht nicht für den erfolglosen Anstifter strafbar sein (so Willms LK10 Rdn. 1). Demgegenüber hebt die Gegenmeinung5 auf den Wortlaut des § 159 ab, der die versuchte Anstiftung zu § 153 oder § 156 einschränkungslos unter Strafe stellt, gleichgültig ob es sich um einen tauglichen oder untauglichen Versuch handelt.6 Der Gegenmeinung ist zuzustimmen. Willms (LK10 Rdn. 1) betont zwar zutreffend, dass 1a § 159 nur eine entsprechende Anwendung des § 30 vorschreibt und eine solche nicht eine schematische Gleichbehandlung bedeutet, sondern Beachtung der im gegebenen Zusammenhang erheblichen Besonderheiten des gesetzlichen Tatbestandes. Die zu beachtenden Besonderheiten liegen hier aber offensichtlich darin, dass eine für Verbrechen übliche Vorschrift ausnahmsweise auf Vergehen angewandt werden soll, nicht aber darin, dass die unterschiedliche Behandlung einer Rechtsfigur wie der Versuch in den Blick kommen soll, je nachdem, ob es sich um tauglichen oder untauglichen Versuch handelt. Im Übrigen ist zu bemerken, dass sich die Streitfrage am Sachverhalt der Entscheidung BGHSt 24 38 entzündet hat, wo es sich deshalb um einen untauglichen Versuch handelte, weil der Angestiftete eine Aussage vor einer unzuständigen Stelle abgeben sollte, also in einem Fall, der so auch mit anderen Beteiligten niemals zur Vollendung hatte gelangen können. Es gibt nun allerdings auch andere Fallgestaltungen, bei denen die Untauglichkeit auf den konkreten Fall oder Täter beschränkt ist, so dass der Gesichtspunkt der vom Täter ausgehenden Gefahr an Gewicht gewinnt. Deshalb erscheint es vorzugswürdig,7 dass für eine teleologische Reduktion zur Lösung des Problems hier kein Anlass besteht, weil es im Interesse eines wirksamen Rechtsgüterschutzes geboten ist, jeden Versuch einer Zeugenbeeinflussung von vorneherein zu unterbinden.8 Zur Erläuterung der Vorschrift im Übrigen soll hier nur noch bemerkt werden: Von § 159 2 werden alle Anstiftungshandlungen erfasst, die nicht zu einer vollendeten falschen uneidlichen Aussage oder falschen Versicherung an Eides Statt geführt haben. Dies trifft auch zu, wenn der Angestiftete gar nicht mehr zur Tat überredet zu werden braucht, sondern schon dazu entschlossen ist (RGSt 74 303, 304). Es ist im Übrigen gleichgültig, aus welchem Grunde es nicht zu der erstrebten Falschaussage kommt. Als Beispiele sind zu nennen, dass der Zeuge entgegen dem Wunsch des Anstifters bei der Wahrheit bleibt (RGSt 64 223, 224), dass die Aufforderung des Anstifters ihn erst verspätet, nämlich nach der Vernehmung (RGSt 59 272) oder gar nicht erreicht (BGHSt 8 261, 262; RGSt 59 370, 372), dass der Zeuge nur fahrlässig falsch (RGSt 64 223, 225) oder entgegen der Annahme des Anstifters gutgläubig falsch aussagt (OLG Karlsruhe Die Justiz 1982 141).
4 Blei JA 1971 304, 445; Wessels BT 1 21. Aufl. Rdn. 760; Krey/Hellmann/Heinrich BT 1 Rdn. 785; Maurach/Schroeder/ Maiwald BT 2 § 75 Rdn. 89; Willms LK10 Rdn. 1; weitergehend noch Vormbaum NK Rdn. 20 und GA 1986 353, 369, nach dem die Anstiftung zum Versuch generell straflos sein soll. 5 Dreher JZ 1953 421, 425; MDR 1971 410; Schröder JZ 1971 563; Otto JuS 1984 161, 170 und Grundkurs Strafrecht BT § 97 Rdn. 79; ferner Zöller SK Rdn. 3; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; Fischer Rdn. 5; SSW/Sinn Rdn. 4; Müller MK Rdn. 9; krit. auch Vormbaum NK Rdn. 20 f; GA 1986 353, 367; Heinrich JuS 1995 1117; Tröndle GA 1973 321, 337; sowie die frühere Rechtsprechung: BGHSt 17 303; RGSt 72 80, 81; 73 312, 313. 6 Eingehend Sickor ZStW 123 (2011) 284, 287 ff. 7 Ebenso etwa Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4 a.E; Mückenberger AnwK Rdn. 1. 8 Beachtliche Gegenargumente bei Sickor ZStW 123 (2011) 284, 292 ff. Wolters/Ruß
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IV. Strafbefreiender Rücktritt
StGB § 159
II. Innerer Tatbestand Der Vorsatz des Anstifters muss darauf gerichtet sein, dass der Angestiftete den Tatbestand des 3 § 153 oder des § 156 nach der äußeren und inneren Tatseite verwirklicht (BGHSt 9 370, 379). Bedingter Vorsatz genügt. Der innere Tatbestand des § 159 ist daher auch erfüllt, wenn der Zeuge von seiner im Sinne des Anstifters gemachten Aussage überzeugt ist, während ihn der Anstifter für bösgläubig hält (OLG Karlsruhe Die Justiz 1982 141).9 Ist umgekehrt der Anstifter von der Gutgläubigkeit der Beweisperson überzeugt, so greift § 160 ein, auch wenn die Beweisperson in Wahrheit bösgläubig ist (vgl. § 160 Rdn. 2 und 8). Unzurechnungsfähigkeit des Angestifteten hindert die Anwendung des § 159 ebenfalls nicht (RGSt 64 223, 225).
III. Versuch und Teilnahme Ein Versuch nach § 159 ist nach allgemeinen Regeln nicht möglich. Teilnahme kann in Form 4 der Anstiftung geleistet werden. Verleitung mehrerer Personen kann durch eine Handlung geschehen (RG GA 1902 264). Umgekehrt können in der wiederholten versuchten Anstiftung einer Person mehrere selbständige Handlungen zu finden sein (RG GA 1896 261). Entgegen der Vorauflage ist dem Bundesgerichtshof10 darin zu folgen, dass eine Beihilfe zur versuchten Anstiftung straflos bleiben muss, da weder § 159 noch § 3011 als eigenständige Tatbestände verstanden werden können, sodass unter Anwendung der allgemeinen Teilnahmereglungen eine Beihilfe mangels teilnahmefähiger Haupttat ausscheidet.12
IV. Strafbefreiender Rücktritt Für den strafbefreienden Rücktritt gelten die Grundsätze des § 31 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2.
9 Vgl. dazu die teilw. diff. Auffassungen: Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4, 6; Zöller SK Rdn. 3; Müller MK Rdn. 15, 18; Fischer § 160 Rdn. 7; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 75 Rdn. 93 ff; Gallas FS Engisch 620; Bockelmann GA 1954 193, 199; Sax MDR 1954 69; Hruschka JZ 1967 210; Hruschka/Kässer JuS 1972 709, 713; Eschenbach Jura 1993 407, 411; Heinrich JuS 1995 1115, 1118; Geppert Jura 2002 173, 179. 10 BGHSt 14 156, 157; BGH NStZ 1982, 244. 11 Dazu ausführlich Schünemann LK § 30 Rdn. 48. 12 Wie hier Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 7; Zöller SK Rdn. 8; Vormbaum NK Rdn. 7; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 5; Mückeberger AnwK Rdn. 8; Müller MK Rdn. 21; abweichend Dreher GA 1954 11, 18 und NJW 1960 1163. 149
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§ 160 Verleitung zur Falschaussage (1) Wer einen anderen zur Ableistung eines falschen Eides verleitet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft; wer einen anderen zur Ableistung einer falschen Versicherung an Eides Statt oder einer falschen uneidlichen Aussage verleitet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu einhundertachtzig Tagessätzen bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar.
Schrifttum Eschenbach Verleiten im Sinne des § 160 StGB, Jura 1993 407; Gallas Verleitung zum Falscheid, Festschrift Engisch (1969) 600; Hruschka Anstiftung zum Meineid und Verleitung zum Falscheid, JZ 1967 210; Kudlich/Henn Täterschaft und Teilnahme bei den Aussagedelikten, JA 2008 510; Küper Die Verleitung zur Falschaussage zwischen Anstiftung, mittelbarer Täterschaft und Urheberschaft, Probleme einer extravaganten Beteiligungsform, JZ 2012 992; vgl. ferner die Schrifttumsangaben zu § 156 und vor § 153.
Entstehungsgeschichte Durch die Verordnung vom 29.5.1943 (RGBl. I 339) wurde die falsche uneidliche Aussage in den Tatbestand einbezogen. Der Inhalt der Vorschrift ist mithin aus den §§ 153 bis 156 zu ergänzen. Art. 12 EGStGB brachte die wahlweise Androhung der Geldstrafe in die Vorschrift. Im Übrigen entspricht der Tatbestand der ursprünglichen Fassung. Eine genauere Kenntnis der Entstehungsgeschichte des Paragraphen muss davor warnen, ihm eine allzu weitgehende Bedeutung, insbesondere für grundsätzliche Fragen wie den Begriff der Falschaussage und seine objektive oder subjektive Orientierung (vgl. Rdn. 8 ff, 15 ff vor § 153), beizulegen. Im Ursprung ist er erst das Ergebnis der 3. Lesung des Strafgesetzentwurfs im Reichstag. Das preuß. StGB von 1851 kannte in seinem § 130 nur eine dem § 159 a. F. entsprechende Vorschrift. Vorschläge im Sinne des jetzigen § 160 waren zwar schon zu den Entwürfen des preuß. StGB aufgetaucht, damals aber verworfen worden (Schütze Lehrb. deut. Strafr. [1871] S. 313 Anm. 21). Den Weg für die neue Vorschrift im Sinne des „si quis deduxerit alium in perjurium ignorantem“ der deutschen Rechtsbücher bereitete vor allem die Schrift von A. S. Schultze (Die Verleitung zum falschen Eide als selbständiges Verbrechen), die 1870 erschienen war. Hier war allerdings statt der schon bald als widersinnig kritisierten Privilegierung im Strafmaß, wie sie die vom Reichstag angenommene Regelung brachte, strenge Bestrafung befürwortet. Näheres zur Entstehung etwa bei Gallas Festschrift Englisch 601.
Übersicht I.
Zweck der Vorschrift
1
II.
Gutgläubigkeit des Verleiteten
III.
Falsche Aussage
IV.
Verleiten
2
4
7
V.
Versuch
VI.
Innere Tatseite
VII. Tenorierung
8 9
5
I. Zweck der Vorschrift 1 Die Vorschrift betrifft die Verleitung zum Falscheid, zur Ableistung einer falschen Versicherung an Eides Statt und zur falschen uneidlichen Aussage. Sie füllt die Lücke, die sich daraus ergibt, dass es sich bei den §§ 153 bis 156 um eigenhändige Delikte handelt, die nicht in mittelba-
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II. Gutgläubigkeit des Verleiteten
StGB § 160
rer Täterschaft begangen werden können (vgl. Rdn. 7 vor § 153).1 Während in den Fällen der Anstiftung zu den genannten Delikten und im Falle des § 159 der Wille des Verleiters dahin geht, dass die Aussageperson wissentlich falsch aussagt, ist dieser Wille hier darauf gerichtet, dass der zu Verleitende gutgläubig, wenn auch vielleicht fahrlässig, im Sinne des Verleiters falsch aussagt. Der Verleiter weiß und will, dass der zu Verleitende eine Aussage macht, die nach seiner – des Verleiters – Vorstellung unwahr ist, er weiß aber auch zugleich oder nimmt doch an, dass der Verleitete an die Wahrheit seiner Aussage glaubt (RGSt 61 217, 221). „Der Schwörende weiß nicht und der Wissende schwört nicht“ (zit. nach Frank Anm. I). Das „Gegebene“ wäre, den Verleiter als „mittelbaren Täter“ eines Meineids usw. zu bestrafen, weil er sich des anderen als gutgläubigen Werkzeugs bedient. Durch eine ausdrückliche Vorschrift dieses Inhalts hätte der Gesetzgeber das dogmatische Hemmnis der Eigenhändigkeit beiseiteschieben und in diesem Sinne „gleichziehen“ können. Dass er es nicht getan hat und einen eigenständigen, nur äußerlich an den §§ 153 bis 156 orientierten Tatbestand mit milderer – vielleicht allzu milder – Strafdrohung schuf, erklärt Gallas S. 607 mit dem Ausscheiden der Komponente des besonderen personalen Unrechts auf der Seite des gutgläubigen Verleiteten (vgl. dazu Sch/ Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 3/4). Die in diesem Sinne tatbestandsmäßig erhebliche Gutgläubigkeit des Verleiteten in Bezug 1a auf die Wahrheit seiner Aussage wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Verleitete den Tatbestand des § 161 verwirklicht haben kann oder sogar bestimmt verwirklicht hat.2
II. Gutgläubigkeit des Verleiteten Die Gutgläubigkeit des Verleiteten als wesentliches Element des Tatbestandes ist in verschie- 2 denen Beziehungen in Zweifel gezogen worden. Das zeigte sich einmal bei der Behandlung der Frage, ob in dem Fall, dass der Verleitete wider Erwarten bewusst falsch aussagt, eine bloß versuchte oder eine vollendete Tat nach § 160 gegeben ist (eingehend zum Ganzen Küper JZ 2012 992, 999 ff).3 Im Gegensatz zum Reichsgericht, das hier einen Versuch als gegeben ansah4 und damit im Schrifttum auf Widerspruch stieß,5 hat der Bundesgerichtshof (BGHSt 21 116) ein vollendetes Vergehen nach § 160 angenommen, weil es allein darauf anzukommen habe, dass der die Rechtspflege gefährdende äußere Erfolg der Tat eingetreten sei und es für dieses Ergebnis keine Bedeutung habe, ob eine bewusst oder unbewusst falsche Aussage des Verleiteten vorlag (s. dazu Küper JZ 2012 992, 998 f). Mit der sich in diesem Zusammenhang ergebenden dogmatischen Problematik haben sich Hruschka (JZ 1967 210) und Gallas (Festschrift Engisch 600) kritisch auseinandergesetzt.6 Hruschka kam dabei über die Zustimmung zur Entscheidung BGHSt 21 116 in ihrem Ergebnis zu einem ganz neuen Verständnis des § 160 und des Verhältnisses zwischen diesem Tatbestand einerseits und den §§ 48, 49a a. F., den früheren Teilnahmevorschriften, in Verbindung mit den §§ 153 bis 156 und § 159 andererseits. Diese Tatbestände sollen sich nicht mehr, wie zuvor allgemein angenommen, gegenseitig ausschließen, weil § 160 streng auf den Fall der gutgläubig falsch aussagenden Auskunftsperson beschränkt ist, sondern sie sollen sich unter Aufgabe dieses Kriteriums in dem Sinne überdecken, dass § 160 als Grundtatbestand alle Fälle der Veranlassung einer falschen Aussage durch einen Hintermann erfasst (vgl. auch Hruschka/Kässer JuS 1972 709, 713; ebenso Vormbaum Schutz des Strafurteils [1987] 300), jedoch kraft Gesetzeskonkurrenz zurücktritt, wo mit der Anstiftung zu bösgläubiger 1 Vgl. Gallas FS Engisch 606; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 1; Vormbaum NK Rdn. 5; Zöller SK Rdn. 1; Müller MK Rdn. 2; Heinrich JuS 1995 1115, 1118. RGSt 25 213; 64 223; 68 278; 70 266, 267. S. auch die didaktische Aufarbeitung bei Kudlich/Henn JA 2008 510. RGSt 11 418; RG GA 1917 369; RG JW 1934 1175. Frank Anm. IV; Kohlrausch/Lange Anm. III; Mezger LK8 Anm. 2. Vgl. Küper JZ 2012 992, 999.
2 3 4 5 6
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Wolters/Ruß
§ 160 StGB
Verleitung zur Falschaussage
Falschaussage ein rechtlich qualifizierter, einer höheren Strafdrohung unterliegender Fall der Verleitung gegeben ist. Gallas, der sich sowohl mit Hruschkas These wie mit der Einschätzung des § 160 als eines privilegierten Falles der Anstiftung zum Meineid durch Roxin (Täterschaft und Tatherrschaft [2015] 394 f) auseinandersetzt, hält demgegenüber daran fest, dass § 160 „nicht nur eine scheinbare, sondern eine tatsächlich bestehende Strafbarkeitslücke geschlossen hat und seinem sachlichen Grund nach nur als ein Sonderfall strafbarer Urheberschaft verstanden werden kann“. Auf dieser Grundlage redet er weiterhin der Rechtsprechung des Reichsgerichts das Wort: Wo der Verleiterwille auf Leistung einer gutgläubigen Aussage gerichtet ist, nimmt die Aussageperson, die statt dessen nach dem Erkennen der bösen Absicht des Verleiters sein Ansinnen nicht zurückweist, sondern es durch eine bewusst unwahre Aussage übertrumpft, dem „Verleiter in freiem Entschluss den rechtsgutgefährdenden Erfolg aus der Hand und macht ihn zu ihrem eigenen Werk“. Damit bleibt es beim Versuch. – Allerdings lag es dem Bundesgerichtshof durchaus fern, mit seiner Entscheidung an dem bisherigen Verständnis des Tatbestands zu rütteln. Ihn bestimmte, wie schon die früheren Kritiker der Rechtsprechung des Reichsgerichts, der Gedanke, dass das Verhalten des Verleiters durch diesen Umstand nicht weniger strafwürdig werden kann, weil es sich um eine Art „maius“ und nicht geradezu um ein „aliud“ handelt.7 Vgl. dazu eingehend Küper JZ 2012 992, 999; s. zur Struktur des § 160 ferner Eschenbach Jura 1993 407. 3 Ähnlich zwiespältig waren die Auffassungen zu der Frage, ob § 160 auch dann Platz greift, wenn der Anstifter zu einer falschen Aussage im Sinne der §§ 153 bis 156 weiß, dass der Angestiftete unzurechnungsfähig ist und deshalb zwar vorsätzlich, aber ohne strafrechtliche Schuld handeln wird. Gallas (Festschrift Engisch 600, 606) machte gegenüber der Auffassung, die in diesem Fall § 160 anwenden wollte, mit Recht auf den sachlichen Unterschied aufmerksam, der zwischen den Fällen, in denen die Rechtspflege nur durch Herbeiführung einer unwahren Aussage gefährdet wird, und den anderen Fällen besteht, in denen eine (wenn auch schuldlose) Pflichtverletzung der Aussageperson als Gegenstand der Verleitung hinzutritt. Heute dürfte Übereinstimmung dahin bestehen, dass es unerheblich ist, ob die Beweisperson schuldhaft oder schuldlos handelt.8
III. Falsche Aussage 4 Zum Begriff der falschen Aussage vgl. Vor § 153 Rdn. 8 ff. Die Divergenz zwischen objektiver und subjektiver Theorie ist im Falle des § 160 von geringer praktischer Tragweite. Sie zeigt sich nur in dem kaum vorkommenden Fall, dass die vom Verleiter für unwahr angesehene Tatsache in Wirklichkeit wahr ist. Hier wäre nach der subjektiven Theorie weiterhin ein vollendetes, nach der objektiven nur ein versuchtes Vergehen nach § 160 gegeben. Die im Sinne des § 160 relevante Gutgläubigkeit der Aussageperson kann in Fällen dieser Art darin bestehen, dass sie sich als Zeuge in der Rolle eines Eideshelfers sieht, der einen Überzeugungseid zu leisten hat. Auf die Pflicht des vernehmenden Richters, solche Unklarheiten auszuräumen, kann nicht nachhaltig genug hingewiesen werden.
7 Im Sinne von BGHSt 21 116 (vollendeter § 160): Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 9; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4; SSW/Sinn Rdn. 5; Zöller SK Rdn. 4; Preisendanz Anm. 4a; Hruschka JZ 1967 210; Hruschka/Kässer JuS 1972 709, 712; Heinrich JuS 1995 1115, 1118; abweichend (nur Versuch); Müller MK Rdn. 16 f; Vormbaum NK Rdn. 19; Gallas FS Engisch 619; Eschenbach Jura 1993 407; Wessels/Hettinger/Engländer BT 1 § 17 Rdn. 866; Krey BT 1 Rdn. 765; Otto Grundkurs Strafrecht BT § 97 Rdn. 92; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 75 Rdn. 101 f. 8 Vgl. Gallas FS Engisch 606 f; Zöller SK Rdn. 6; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 2; Müller MK Rdn. 22; Fischer Rdn. 2; Heinrich JuS 1995 1115, 1118. Wolters/Ruß
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VI. Innere Tatseite
StGB § 160
IV. Verleiten Verleiten bezeichnet auch hier die zu einer selbständigen Straftat erhobene Anstiftung, die 5 Einwirkung auf den Willen eines anderen, welche diesen bestimmt, die vom Verleiter gewollte Tat zu verwirklichen.9 Der Verleiter kann dabei entweder in der Weise tätig werden, dass er den schon im Irrtum über die Richtigkeit seiner Aussage befindlichen Zeugen bestimmt, diese unrichtige, vom Zeugen für richtig gehaltene Aussage zu leisten und gegebenenfalls zu beeiden, oder in der Weise, dass er das Wissen des Zeugen diesem unbewusst in falsche Bahnen lenkt und veranlasst, dass der so in Irrtum versetzte Zeuge im Sinne des Verleiters unwahr aussagt (Zöller SK Rdn. 5; abweichend Müller MK Rdn. 22). Wille und Vorstellung des Verleiters müssen darauf gerichtet sein, dass die Beweisperson in seinem Sinne eine Aussage macht, einen Eid leistet, ohne dass sie sich der Unrichtigkeit ihrer Aussage bewusst ist. Sie ist auch gutgläubig, wenn sie die Unrichtigkeit ihrer Aussage fahrlässig nicht erkennt. Eine Verleitung zur Abgabe einer falschen Versicherung an Eides Statt liegt nach RGSt 34 298 daher auch vor, wenn der Unterzeichner einer entsprechenden schriftlichen Erklärung über deren wahren Inhalt getäuscht wird und infolgedessen gar nicht weiß, dass er eine eidesstattliche Versicherung unterschreibt (RGSt 70 266, 267; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 7). Selbstverständlich kann das Verleiten auch durch Einschaltung eines (gutgläubigen) Mit- 6 telsmannes geschehen. Allerdings reicht – im Gegensatz zu § 159 – die bloße Einwirkung auf einen Dritten mit dem Ziel, ihn entsprechend der zweiten Alternative des § 30 (Kettenanstiftung) als Verleiter zu gewinnen, nicht aus; dies wäre nur als (straflose) Vorbereitungshandlung anzusehen (Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 10). Erst wenn der Mittelsmann zum Einwirken auf die Aussageperson ansetzt, ist bei § 160 das Stadium des Versuchs erreicht (RGSt 59 370, 371).
V. Versuch Der Versuch ist, wie sich aus Absatz 2 ergibt, strafbar.10 Die Regelung gilt für alle Fälle, auch 7 für Fälle eines untauglichen Versuchs. Willms (LK10 Rdn. 7) will die von BGHSt 24 38 für § 159 ausgesprochenen Erkenntnisse auf § 160 übertragen und demgemäß nur die Verleitung zu einer Aussage als tatbestandsmäßig gelten lassen, mit welcher die Aussageperson alle äußeren Merkmale eines der einbezogenen Tatbestände tauglich verwirklicht oder verwirklichen würde. Dem kann angesichts der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung nicht zugestimmt werden. Im Übrigen wird auf die Ausführungen zu der vergleichbaren Problematik bei § 159 verwiesen (dort Rdn. 1 f).11 Versuch ist danach z. B. gegeben, wenn entweder die Bemühung des Täters zur Beeinflussung der Aussageperson scheitert oder wenn die Aussageperson zwar gewonnen wird, die Aussage dann aber aus anderen Gründen nicht zustande kommt oder wenn die Aussage wahr ist (RGSt 15 148). In der erfolglosen Aufforderung eines Dritten, die Aussageperson im Sinne des Tatbestan- 7a des zu beeinflussen, liegt noch kein Versuch (RGSt 45 282; vgl. Rdn. 6).
VI. Innere Tatseite Die innere Tatseite verlangt ein vorsätzliches Verhalten, wobei Eventualvorsatz genügt. Doch 8 bleibt zu beachten, dass stets die Vorstellung des Verleiters, der Verleitete halte, wenn auch 9 RGSt 15 148, 149; RG GA 1905 245; OLG Köln NJW 1957 553; OLG Karlsruhe Die Justiz 1982 141. 10 Abweichend Hirsch JZ 1955 233, 234. 11 Im gleichen Sinne Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 10; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; Mückenberger AnwK Rdn. 7; abweichend auch Vormbaum Schutz des Strafurteils (1987) 302 und NK Rdn. 22; Müller MK Rdn. 27. 153
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§ 160 StGB
Verleitung zur Falschaussage
fahrlässig, seine Aussage für wahr, wesentlich ist. Sieht der Verleiter es als möglich an, dass der Verleitete im Sinne seiner eigenen – des Verleiters – Vorstellung vorsätzlich unwahr aussagt, so scheidet § 160 aus, wenn diese Erkenntnis von Anfang an bestand oder sich bis zum Ende der als Verleitung zu beurteilenden Einwirkung auf die Beweisperson einstellte. Das gilt auch dann, wenn der Verleiter sich mit dieser Annahme irrt und die Beweisperson in Wahrheit gutgläubig ist und bleibt. Hruschka (JZ 1967 210, 212) möchte aus seinem Verständnis des § 160 in diesem Fall ein Vergehen nach § 160 in Tateinheit mit erfolgloser Anstiftung nach §§ 154, 30 oder § 159 als gegeben ansehen. Dagegen will Preisendanz (Anm. 4) nur § 160 anwenden.
VII. Tenorierung 9 Abweichend von § 260 Abs. 4 S. 2 StPO, der lediglich eine Sollvorschrift darstellt, erscheint es angesichts der vielen in Bezug genommenen Tatbestände angezeigt, dergestalt schuldig zu sprechen, wie das Geschehen materiell zu würdigen ist, also etwa wegen „Verleitung zur falschen Versicherung an Eides Statt“ (BGH NStZ 2012 147, 148).
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§ 161 Fahrlässiger Falscheid; fahrlässige falsche Versicherung an Eides Statt (1) Wenn eine der in den §§ 154 bis 156 bezeichneten Handlungen aus Fahrlässigkeit begangen worden ist, so tritt Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe ein. (2) Straflosigkeit tritt ein, wenn der Täter die falsche Angabe rechtzeitig berichtigt. Die Vorschriften des § 158 Abs. 2 und 3 gelten entsprechend.
Schrifttum Dedes Grenzen der Wahrheitspflicht des Zeugen, JR 1983 99; Engisch Die Verletzung der Erkundigungspflicht, ZStW 52 (1932) 661; Krehl Die Erkundigungspflicht des Zeugen bei fehlender oder beeinträchtigter Erinnerung und mögliche Folgen ihrer Verletzung, NStZ 1991 416; Liepmann Der fahrlässige Falscheid des Zeugen, Festgabe Hänel (1907) 339; Mannheim Fahrlässiger Falscheid, Festgabe Frank II (1930) 315; Neumann Der fahrlässige Falscheid (1937); Nöldeke Polizeibeamte als Zeugen vor Gericht, NJW 1979 1644; Sipmann Der fahrlässige Falscheid als Tatbestand des Strafrechts, Diss. Leipzig 1936. Vgl. ferner die Angaben vor § 153 und zu §§ 156, 160.
Entstehungsgeschichte Die den fahrlässigen Falscheid und die fahrlässige Versicherung an Eides Statt behandelnde Vorschrift war bisher in § 163 geregelt. Sie wurde auf Grund des Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie vom 31.10.2008 (BGBl. I 2149) mit gleichem Wortlaut nach § 161 übertragen, der durch das 1. StrRG vom 25.6.1969 (BGBl. I 645) gestrichen worden war. Die frühere zum ursprünglichen Bestand des StGB gehörende Vorschrift des § 163 (heute: § 161) hat bisher nur geringe Änderungen erfahren. Der Tatbestand der falschen uneidlichen Aussage ist bewusst nicht in den Kreis der bei fahrlässiger Begehung strafbaren Handlungen des Abschnitts einbezogen worden (Art. 1 Nr. 6 der 2. DurchführungsVO zur StrafrechtsangleichungsVO vom 20.1.1944 – RGBl. I 41). Absatz 2 wurde durch Art. 2 Nr. 28 des 3. StrRÄndG neu gefasst: Geldstrafe statt Freiheitsstrafe wurde nach Art. 12 Abs. 1 EGStGB möglich.
Übersicht I.
Sinn der Regelung
II.
Äußerer Tatbestand
III.
Innerer Tatbestand
IV.
Verpflichtung zur Vorbereitung auf die Aus5 sage 6 Vorbereitungspflicht des Zeugen Vorbereitungspflicht des Zeugen in amtlicher Ei7 genschaft 8 Vorbereitungspflicht der Prozesspartei 9 Keine Ermittlungspflicht
1. 2. 3. 4.
1 2 3
V.
Gegenstand des fahrlässigen Verhaltens
VI.
Falschaussage des Sachverständigen
10 16
VII. Vorbereitungspflicht bei der Vermögensauskunft 17 des Schuldners VIII. Vorbereitungspflicht bei schriftlichen eidesstatt18 lichen Versicherungen IX.
Rechtzeitige Berichtigung
X.
Zusammentreffen
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21
I. Sinn der Regelung Die Vorschrift behandelt den fahrlässigen Falscheid in Anknüpfung an die §§ 154, 155 und die 1 fahrlässige Versicherung an Eides Statt in Anknüpfung an § 156. Die unzutreffende Bezeichnung „fahrlässiger Meineid“ (Binding Lehrbuch BT II/1 § 151 IV B) ist schon vom Reichsgericht (RGSt 32 118) abgelehnt worden und ganz außer Gebrauch gekommen. Der Tatbestand war von Anfang an umstritten. Mit besonderer Entschiedenheit wandte sich John (Entwurf mit Motiven zu einem StGB für den Norddeutschen Bund [1868] 377) gegen die Pönalisierung „fahrlässiger Unwissenheit“. Später hat Mannheim (Festgabe Frank II 318) die wohl schärfste Kritik geübt: „Der Tatbe155 https://doi.org/10.1515/9783110490107-021
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§ 161 StGB
Fahrlässiger Falscheid; fahrlässige falsche Versicherung an Eides Statt
stand des fahrlässigen Falscheides ist an sich,konstruierbar‘, und es mag auch gelegentlich ein Bedürfnis bestehen, den Täter zu bestrafen. Aber es hat sich – auch in den letzten Jahrzehnten – gezeigt, dass die Handhabung des Fahrlässigkeitsbegriffs gerade auf diesem Gebiet zu schwierig ist, als dass sie mit den unserer heutigen Rechtspflege zur Verfügung stehenden Mitteln bewältigt werden könnte. Man spricht von einer unvermeidlichen Betriebsgefahr bei der Ausübung der Rechtspflege. Aber wo diese Betriebsgefahr so stark ist, dass das öffentliche Interesse an der Fortführung des Betriebes hinter ihr gar zu sehr zurücktritt, da muss der Betrieb geschlossen werden. Der Betrieb des § 163 StGB ist augenblicklich für eine Schließung reif.“ Mannheims Erwartung, der E 1930 werde mit der Streichung und Ersetzung der Vorschrift durch eine Strafbestimmung über die Verletzung der Erkundigungspflicht bald Gesetz werden, erfüllte sich freilich nicht, und schließlich hat der E 1962 nicht mehr auf den Tatbestand verzichten wollen, sondern sich mit dem Vorschlag begnügt, dem Übel durch die Beschränkung auf eine fahrlässige Begehung im Grade der Leichtfertigkeit beizukommen. Jedenfalls kann gesagt werden, dass auch spätere Erfahrungen das Verdikt von 1930 nicht entkräften konnten. Vorerst bleibt nichts übrig, als dem Gericht äußerste Zurückhaltung bei der Anwendung der Vorschrift zu empfehlen und die Heranziehung des § 153 StPO überall anzuraten, wo Unzulänglichkeiten der Vernehmung im Spiel gewesen sein können (zust. Vormbaum NK Rdn. 12; Müller MK Rdn. 5).
II. Äußerer Tatbestand 2 Der äußere Tatbestand ist zunächst durch die §§ 154 (155), 156 bestimmt. Demnach ist erforderlich, dass jemand „vor Gericht oder vor einer anderen zur Abnahme von Eiden zuständigen Stelle falsch schwört“ oder „vor einer zur Abnahme einer Versicherung an Eides Statt zuständigen Behörde eine solche Versicherung falsch abgibt oder unter Berufung auf eine solche Versicherung falsch aussagt“. Was in diesem umfassenden Sinne „falsch aussagen“ bedeutet, ist vor § 153 Rdn. 8 ff, 13 f näher dargelegt worden. Wie bei den vom Tatbestand erfassten Delikten liegt eine Falschaussage vor, wenn sie der Wirklichkeit nicht entspricht (anders Willms LK10 § 163 Rdn. 2, der von der subjektiven Aussagetheorie ausgeht).
III. Innerer Tatbestand 3 Die Handlung des § 161 muss aus Fahrlässigkeit begangen sein. Die Unkenntnis des Umstandes, welcher die Anwendung eines der in Bezug genommenen Tatbestände vorsätzlicher Tatbegehung ausschließt, muss auf Fahrlässigkeit beruhen. Ein bestimmter Grad des fahrlässigen Verschuldens wird nicht gefordert. Grundlage der Fahrlässigkeit bildet ein pflichtwidriges Unterlassen, das an die der Beweisperson auferlegte Wahrheitspflicht anknüpft, mit der sich je nachdem eine Pflicht zur Vorbereitung der Aussage verbinden kann. In der Begründung der Vorwerfbarkeit des Irrtums im Einzelfall liegt die Crux des Tatbestandes. Diese Vorwerfbarkeit hängt einmal wie auch sonst ab von den besonderen persönlichen Verhältnissen der beschuldigten Beweisperson, ihrer geistigen Spannkraft und Intelligenz, ihrem geistigen und körperlichen Zustand im Augenblick der Vernehmung. Sie kann darin liegen, dass der Aussagende sich der Unwahrheit seiner Aussage gar nicht bewusst ist oder er glaubt, seine Angaben gehörten nicht zum Beweisthema, würden also nicht von der Wahrheitspflicht erfasst. Hierher ist auch der in RGSt 34 298 entschiedene Fall zu rechnen, wo der Unterzeichner einer schriftlichen Erklärung, deren Inhalt falsch war, nicht erkannte, dass es sich um eine eidesstattliche Versicherung handelte (vgl. § 160 Rdn. 5). Schließlich kann die Fahrlässigkeit in dem in der Praxis nicht gerade häufigen Umstand begründet sein, dass der Täter die Stelle, vor der er aussagt oder vor der er eine eidesstattliche Erklärung abgibt, für nicht zuständig hält (s. auch Rdn. 15). Da die an den Aussagenden zu stellenden Anforderungen verschieden sein können, je nachdem in welcher prozessualen Situation er sich befindet (Zeugenvernehmung oder Parteivernehmung oder AbgaWolters/Ruß
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IV. Verpflichtung zur Vorbereitung auf die Aussage
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be einer möglicherweise spontanen Versicherung an Eides Statt), muss bei der Bewertung seines Verhaltens hierauf Bedacht genommen werden (vgl. Rdn. 5ff). Mit den Eigenheiten des Fahrlässigkeitserfordernisses im Falle des § 161 hat sich insbeson- 4 dere Boldt (ZStW 55 [1936] 44, 65 ff) befasst, der diesen Tatbestand vor allem mit dem der früheren §§ 240 KO und 21 RPresseG in Vergleich setzt und zu einer Gruppe von dogmatischer Gleichartigkeit verbinden möchte. Darin spricht sich immer noch die Vorstellung aus, welche die Aussage und den sie bekräftigenden Eid nicht als Ganzes nimmt und den Schwerpunkt des Vorsatz-Tatbestandes nicht in der (feierlich bekräftigten) unwahren Aussage, sondern in der Eidesleistung als solcher findet. Von daher muss es dann (mit den Worten Boldts) als merkwürdige Anomalie empfunden werden, dass, wenn man als den von der Fahrlässigkeit umfassten Erfolg „statt“ des Eides die falsche Aussage nimmt, es nicht wie sonst bei anderen Fahrlässigkeitstatbeständen der gleiche körperliche Akt, nur unterschieden nach der subjektiven Willensrichtung, ist, der die Zurechnung einmal zu Vorsatz, das andere Mal zur Fahrlässigkeit begründet. Eine weitere Merkwürdigkeit besteht darin, wie verschieden in Bezug auf § 161 die Bedeutung bewusster oder unbewusster Fahrlässigkeit eingeschätzt worden ist. Während Mezger (Anm. zu RG JW 1929 778) betont, dass jede Feststellung dieser Schuldform eine bewusste „Kenntnis“ des Täters von greifbaren Anhaltspunkten voraussetze, die seine Pflichtverletzung zu einer bewussten Pflichtverletzung mache und ihn die Bedeutung der verletzten Pflicht erkennen lasse, hat der BGH in GA 1973 376 betont, dass bewusste Fahrlässigkeit beim fahrlässigen Falscheid so gut wie unmöglich sei; denn sie würde den Zweifel des Täters an der Richtigkeit seiner Aussage voraussetzen, und die Nichtoffenbarung des Zweifels müsste die Beurteilung als vorsätzliche Falschaussage begründen.
IV. Verpflichtung zur Vorbereitung auf die Aussage Der wichtigste und zugleich besonders problematische Fall des § 161 ist der fahrlässige Falsch- 5 eid des Zeugen und der Prozesspartei, der darin gefunden wird, dass die Aussage hinter der für die Beweisperson erreichbaren Kenntnis von dem zum Gegenstand ihrer Vernehmung gemachten Vorgang zurückbleibt. Hier ergibt sich eine wichtige Unterscheidung unter dem Aspekt der Frage, ob und in welchem Umfang die Beweisperson zu einer Vorbereitung auf ihre Aussage verpflichtet ist und inwieweit dem entsprechend eine Fahrlässigkeit darin gefunden werden kann, dass eine solche Vorbereitung unterblieben ist. Dagegen kann von vornherein kein Vorwurf daraus abgeleitet werden, dass die Beweisperson das Vorkommnis, über das sie aussagen soll, seinerzeit nicht genau genug beobachtet oder dabei nicht aufmerksam genug zugehört habe (RG DJ 1935 966; vgl. jedoch. Rdn. 8).
1. Vorbereitungspflicht des Zeugen Der Zeuge ist sowohl im Zivil- wie im Strafprozess grundsätzlich nicht verpflichtet, sich auf 6 seine Vernehmung vorzubereiten. Seine Rechtspflicht, sein Wissen und seine Erinnerung hervorzuholen und getreulich zu reproduzieren, beginnt erst mit der Aussage selbst.1 Eine Erweiterung der Zeugnispflicht durch eine Pflicht zur Vorbereitung besteht auch nicht für den sachverständigen Zeugen (BayObLG NJW 1956 601) oder (mit der anschließend zu erörternden
1 BGH bei Dallinger MDR 1953 596; 1 StR 366/57 v. 15.10. 1957; RGSt 37 395, 399; 62 126; 65 22, 28; OLG Köln NJW 1966 1420; OLG Koblenz NStZ 1984, 551; JR 1984 422, 424 m. Anm. Bohnert; vgl. auch BGH GA 1973 376, 377; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 3; Zöller SK Rdn. 5; Mückenberger AnwK Rdn. 4; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Vormbaum NK Rdn. 26; Müller MK Rdn. 14; Fischer Rdn. 6; SSW/Sinn Rdn. 6; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 75 Rdn. 75; Bohnert JR 1984 425, 426; Krehl NStZ 1991 416; vgl. auch Dedes JR 1983 100. 157
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Ausnahme) für Personen, die kraft einer öffentlich-rechtlichen Funktion oder Aufgabe mit den Dingen befasst waren, die Gegenstand des Beweises sind.
2. Vorbereitungspflicht des Zeugen in amtlicher Eigenschaft 7 Eine der Vernehmung vorausgehende Vorbereitungspflicht ist jedoch grundsätzlich für Zeugen zu bejahen, die in amtlicher Eigenschaft, sei es als Polizeibeamte im Rahmen der §§ 161, 163 StPO, als Staatsanwälte, Ermittlungs- und Untersuchungsrichter in der Sache tätig gewesen sind und über die von ihnen hierbei gewonnenen Erkenntnisse vernommen werden sollen. Sie haben, soweit ihnen die bei dieser Tätigkeit angefallenen schriftlichen Unterlagen ohne weiteres zugänglich sind, sich dieser zur Auffrischung ihres Gedächtnisses zu bedienen.2 Wesentlich ist die Vorbereitung außerdem für Zeugen, welche Wahrnehmungen, über die sie zu vernehmen sind, erst machen oder vertiefen sollen, die also als Zeugen über Erkenntnisse berichten, die sie von vornherein ausschließlich im Hinblick auf ihre Zeugenrolle gewonnen oder erweitert haben. Hierher gehören die Fälle, in denen ein Augenschein durch die Aussage eines Zeugen ersetzt wird, der die Örtlichkeit zu diesem Zweck besichtigt hat (vgl. BGHSt 22 347).3
3. Vorbereitungspflicht der Prozesspartei 8 Eine Vorbereitungspflicht trifft auch die Prozesspartei, soweit sie sich, was in ihrem Belieben steht, zur eidlichen Parteivernehmung bereitfindet. Dieser von der Rechtsprechung des Reichsgerichts vertretenen und vom Bundesgerichtshof übernommenen Auffassung4 ist die Lehre weitgehend beigetreten,5 wobei sie gleicherweise auf die Stellung der Partei im Verfahren abhebt. Wenn der Partei verstattet wird, dass sie aus freien Stücken einen Beitrag von zeugenschaftlichem Gewicht zur Tatsachenfeststellung leistet, so muss dieser Beitrag umfassend und gründlich sein und im Rahmen des schon vorgegebenen Prozessverhältnisses erbracht werden.
4. Keine Ermittlungspflicht 9 Soweit eine Vorbereitungspflicht für Parteien und Zeugen zu bejahen ist, zielt dies in der Regel nur darauf ab, dass die Beweisperson ihr ursprüngliches Wissen einschließlich etwaiger für die kritische Bewertung ihrer Sinneseindrücke bedeutsamen Umstände auffrischt. Es hat also – von dem Rdn. 7 a. E. behandelten Fall des „Zeugen kraft Auftrags“ abgesehen – nicht den Sinn, dass die Beweisperson weiterreichende Ermittlungen betreiben und Dinge aufklären müsste, die sich ihrer ursprünglichen Erkenntnis entzogen haben. In diesem Sinne muss davor gewarnt werden, das vom OLG Celle NJW 1957 1609 für den Fall einer spontanen eidesstattlichen Versicherung Gesagte auf die mündliche Zeugenaussage vor Gericht zu übertragen. Wesentlich bleibt immer, dass die Beweisperson Art und Grenzen der Quellen ihres Wissens deutlich erkennbar macht und dass der Vernehmende in diesem Sinne auf sie einwirkt und bloße Mutmaßungen und 2 Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 3; Zöller SK Rdn. 5; Fischer Rdn. 6; Müller MK Rdn. 15; SSW/Sinn Rdn. 7; abweichend mit beachtlichen Gründen Krehl NStZ 1991 416 und Nöldeke NJW 1979 1644; ebenfalls Vormbaum NK Rdn. 28. 3 Zöller SK Rdn. 5; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 3; Mückenberger AnwK Rdn. 6; Müller MK Rdn. 15; einschr. auf Fälle, die eine besondere Sachkunde erfordern Vormbaum NK Rdn. 34. 4 Vgl. BGH 4 StR 158/57 v. 23.5.1957; RG HRR 1938 Nr. 631; 1941 Nr. 1019. 5 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 10; Fischer Rdn. 6 a. E.; Müller MK Rdn. 26; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; SSW/Sinn Rdn. 9; Zöller SK Rdn. 10; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 75 Rdn. 74; abweichend Vormbaum NK Rdn. 35. Wolters/Ruß
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V. Gegenstand des fahrlässigen Verhaltens
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Schlussfolgerungen auszuscheiden weiß. Wo der vernehmende Richter dies versäumt hat, darf ihm der Strafrichter keine Gefolgschaft leisten, indem er (vgl. BGHSt 6 373, 375) eine falsche Schlussfolgerung der Partei für eine Bekundung nimmt, welche die Partei bei Erfüllung ihrer Aufklärungs- und Sorgfaltspflicht vermieden hätte. Im gleichen Sinne abwegig ist es, wenn das OLG Bremen NJW 1960 1827, 1828 es als tatbestandsmäßig im Sinne des § 161 ansah, dass eine (siebzigjährige!) Zeugin, die vom Hörensagen eine Schilderung ihres Neffen von dem beweisbedürftigen Vorgang zutreffend wiedergab, zugleich ihre Überzeugung von der Wahrheit dieser Darstellung zum Ausdruck brachte und es unterließ, auf mögliche Zweifel an deren Richtigkeit hinzuweisen. Vgl. auch Rdn. 17 vor § 153 und BayObLG NJW 1955 1690.
V. Gegenstand des fahrlässigen Verhaltens Die Fahrlässigkeit des Zeugen oder der Prozesspartei kann bei der eidlichen Falschaussage hin- 10 sichtlich des Aussageinhalts entweder darin liegen, dass die Beweisperson ihr Erinnerungsbild aus Nachlässigkeit nicht so wiedergibt, wie es in ihrem Gedächtnis noch vorhanden ist, oder darin, dass sie es in vorwerfbarer Weise verabsäumt, das in ihrem Bewusstsein vorhandene Erinnerungsbild zu prüfen und auf diese Weise ein besseres Erinnerungsbild zu gewinnen oder zum mindesten die Fragwürdigkeit des vorhandenen zu erkennen.6 1. Hauptbeispiel für die erste Modalität: Die Beweisperson sagt aufs Geratewohl aus und be- 11 kundet aus diesem Grunde etwas Falsches; sie wäre sich ohne weiteres der Wahrheit bewusst geworden, wenn sie nur nachgedacht und sich die Sache überlegt hätte (RGSt 42 236, 237). Weitere Beispiele: Die Beweisperson sagt unvollständig aus, indem sie etwas zum Beweisthema Gehöriges, was ihr vorschwebt und was sie an sich auch bekunden will, schließlich zu sagen vergisst (RGSt 57 152). Sie gibt etwas als sicheres Wissen aus, obwohl sie sich darüber klar sein müsste, dass ihr das sichere Wissen fehlt (BGH bei Dallinger MDR 1953 596, 597). Sie erkennt unter der Vernehmung, dass sie etwas Unrichtiges gesagt hat und versäumt dann entgegen ihrem Vorhaben, es zu berichtigen (RGSt 45 151). In der Entscheidung wird auf den vergleichbaren Fall verwiesen, der der Entscheidung RGSt 30 53 zu Grunde lag; bedenklich ist allerdings die dort erkennbare Meinung, der Zeuge müsse bei der Vereidigung noch einmal alles Gesagte gedanklich rekapitulieren und handle nicht vorsätzlich, sondern nur fahrlässig, wenn er dabei etwas vorher mit vollem Bewusstsein falsch Bekundetes nicht mit einbeziehe. Weiter noch: Die Beweisperson kombiniert zwei zeitlich weit auseinander liegende Vorgänge und begründet durch die Art der Verknüpfung eine falsche zeitliche Orientierung (RG JW 1928 721). Sie gibt nicht acht bei der Verlesung der Niederschrift mit der Folge der Nichtbereinigung eines Missverständnisses des Vernehmenden oder eines eigenen Irrtums (RG JW 1932 3073 mit Anm. Mezger). Unaufmerksamkeit beim Diktieren des Protokolls durch den Richter wäre ihr noch nicht anzulasten (BGH NJW 1959 1834). Mangelhafte Konzentration kann auch in der Weise zur Verwirklichung des Tatbestands des § 161 führen, dass die Beweisperson sich verspricht oder sich missverständlich ausdrückt. Doch sollte gerade in solchen Fällen die Psychologie der Alltagserfahrung besonders beachtet werden, die Engisch (ZStW 52 [1932] 667) trefflich, wie folgt, formuliert hat: „Sorgloses Drauflosreden und Sich-Versprechen bedeuten nicht immer Leichtsinn, sondern häufig nur unkritische Harmlosigkeit oder Ungeschicklichkeit; innere Anstrengung des Gedächtnisses, Überlegung, Nachdenken taugen auch in Verbindung mit Stirnrunzeln nicht immer zur Produktion des,besten‘ Wissens, sie taugen besonders wenig, wenn es sich um Auskünfte handelt, die ein abwartend dasitzender, mehr oder weniger einschüchternder Richter soeben im Termin verlangt.“ Zutreffend bemerkt Welzel (§ 77 VI 1c), dass willentliche Konzentration die Reproduktion der Vorstellungen in unkontrollierbarer Weise stören kann. 6 BGH bei Dallinger MDR 1953 596, 597; GA 1967 215; BayObLG NJW 1956 601; OLG Karlsruhe GA 1971 59, 60; OLG Köln MDR 1980 421; OLG Koblenz NStZ 1984 551 m. Anm. Bohnert JR 1984 425; Zöller SK Rdn. 7; Sch/Schröder/ Bosch/Schittenhelm Rdn. 4; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Fischer Rdn. 5; SSW/Sinn Rdn. 4; vgl. ferner Vormbaum NK Rdn. 18 ff; Müller MK Rdn. 9 ff. 159
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2. An der Spitze der zweiten Modalität, die kraft des Grundsatzes in dubio pro reo oft an die Stelle der ersten rückt, steht die immer wieder betonte, aber auch immer wieder unbeachtete Erkenntnis, dass ein unrichtiges Erinnerungsbild sich so fest einprägen kann, dass es durch bloße Anspannung des Gedächtnisses nicht zu korrigieren ist. Willensanstrengung allein ist nicht imstande, im Gedächtnis die Erkenntnis des Wahren zu wecken.7 Dass ein in dieser Weise verfestigtes Erinnerungsbild vorhanden war, wird angesichts der für ein Erkennen innerer Zustände und Vorgänge gegebenen Grenzen oft nicht auszuschließen sein; es kann auch vorliegen, wenn die Beweisperson bei der Wiedergabe ihres Wissens den Eindruck der Saloppheit hervorgerufen hat. Jedenfalls lässt sich aus solchem äußeren Verhalten nicht ohne weiteres darauf schließen, dass die Beweisperson ein in ihrem Bewusstsein noch gegenwärtiges besseres Erinnerungsbild durch mangelnde Überlegung und Sorgfalt entstellt wiedergegeben habe. 13 Wo ein fixiertes Erinnerungsbild besteht oder nicht auszuschließen ist, kann ein Unterbleiben der Berichtigung des Bildes der Beweisperson nur dann als ein Verstoß gegen ihre Pflicht zur wahren Aussage vorgeworfen werden, wenn sie Anhaltspunkte oder Hilfsmittel, die ihr die Möglichkeit geben, sich von der Unrichtigkeit ihres Erinnerungsbildes zu überzeugen oder doch wenigstens Zweifel an dessen Verlässlichkeit zu gewinnen, nicht benutzt, obwohl sie sich ihr anbieten.8 Ob solche Hilfsmittel durch die Vernehmungsperson im Wege des Vorhalts an den Zeugen herangetragen werden oder diesem aus eigenem Wissen gegenwärtig sind, bleibt sich gleich, und die Wahrheitspflicht kann es gebieten, dass der Zeuge von sich aus auf Möglichkeiten hinweist, die – wie etwa das Vorhandensein von Tagebuchnotizen – der Vernehmungsperson bis dahin nicht bekannt sind. Jedoch kommt es immer entscheidend auf die weitere Frage an, ob die vorwerfbare Vernachlässigung der Pflicht zur Überprüfung der in der eigenen Erinnerung bestehenden Vorstellungen zum Beweisthema für die unrichtige Aussage oder ihr Fortbestehen ursächlich gewesen ist (RGSt 62 126, 129). Der Strafrichter muss mit anderen Worten die Überzeugung gewinnen, dass eine gewissenhafte Benutzung des Hilfsmittels für den Zeugen mindestens bis dahin bestehende Zweifel an seinem Erinnerungsbild gemildert oder solche Zweifel verstärkt hätte. Die einschlägige Rechtsprechung hat diesem Punkt zu geringe Aufmerksamkeit geschenkt. In RG HRR 1941 Nr. 1019 ist er ebenso wie in BGH GA 1967 215 nicht angesprochen. RG JW 1936 260 geht zu weit, wenn dort gesagt wird, die Hilfsmittel hätten den Zeugen zu einer objektiv richtigen Aussage führen müssen. Unrichtig auch BGHSt 8 301, wenn es dort im umgekehrten Sinn heißt, dass bei wahrheitsgemäß bekundeter Unsicherheit des Erinnerungsbildes auch dann eine Anwendung des § 161 auszuscheiden habe, wenn der darin liegende Irrtum auf schuldhafter Vernachlässigung der Pflicht zur Gedächtniserforschung beruhte. Das Richtige trifft RG HRR 1938 Nr. 631 mit der Formel, dass es darauf ankomme, ob das außer Acht gelassene Hilfsmittel den Zeugen bestimmt haben würde, seine falschen Vorstellungen zu berichtigen. 14 Darüber, nach welchen Kriterien solche Anhaltspunkte zu bestimmen sind, sind keine Regeln entwickelt worden. RGSt 25 122, 124 hat Trunkenheit und Erregung des Zeugen bei dem beweisbedürftigen Vorgang, also mögliche Teile des Erinnerungsbildes, als Anhaltspunkte betrachtet. Auch den Ablauf einer längeren Zeitspanne seit dem in Frage stehenden Vorgang und das Vorliegen und Vorhalten gegenteiliger Behauptungen und Aussagen hat die Rechtsprechung nicht als Anhaltspunkte zur Erschütterung eines verfestigten Erinnerungsbildes gelten lassen (RGSt 63 370). Umge12
7 Diese Erkenntnis wird einhellig in vielen Entscheidungen bekräftigt. Genannt seien: BGH bei Dallinger MDR 1953 596, 597; GA 1954 118; 1967 215; 1973 376; RGSt 57 234; 63 370; RG JW 1929 778 m. Anm. Mezger; RG HRR 1941 Nr. 1019; BayObLG NJW 1956 601; OLG Köln MDR 1980 421; OLG Koblenz NStZ 1984 551 m. Anm. Bohnert JR 1984 425; vgl. ferner Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Zöller SK Rdn. 7; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4; Fischer Rdn. 6; SSW/Sinn Rdn. 6; vgl. auch Vormbaum NK Rdn. 24; Müller MK Rdn. 20. 8 Siehe u. a. BGH GA 1954 118; 1967 215; 1973 376, 377; RGSt 57 234; RG HRR 1938 Nr. 631; 1939 Nr. 393; OLG Karlsruhe GA 1971 59, 60; OLG Köln MDR 1980 421; OLG Koblenz NStZ 1984 551 m. Anm. Bohnert JR 1984 425; Krehl NStZ 1991 416; Zöller SK Rdn. 7; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Fischer Rdn. 6; Müller MK Rdn. 20. Wolters/Ruß
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VII. Vorbereitungspflicht bei der Vermögensauskunft des Schuldners
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kehrt ist zu beachten, dass es auch im entgegengesetzten Sinne wirksame Anhaltspunkte geben kann, die geeignet sind, das Erinnerungsbild in seiner Verfestigung zu erhalten.9 3. Eine Verwirklichung des Tatbestandes erscheint schließlich möglich in den Fällen, in denen 15 der Täter vorsätzlich Unwahres bekundet hat, aber hinsichtlich anderer wesentlicher Tatumstände in einem Irrtum befangen war. Das kann zutreffen für einen Irrtum über den Umfang der Aussage- und Eidespflicht10 und für einen Irrtum über die Zuständigkeit der Behörde oder Stelle zur Entgegennahme des Eides oder der eidesstattlichen Versicherung; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 75 Rdn. 78 führt als Beispiel die Verwechslung der Kammer für Handelssachen mit einem privaten Schiedsgericht an. Schwierigkeit bereitet hier die Ableitung des Verschuldens, da die Vorwerfbarkeit jedenfalls nicht unmittelbar aus der Verletzung der Wahrheits- und Eidespflicht begründet ist; denn diese Pflicht besteht gerade nicht gegenüber einer unzuständigen Stelle oder für Fragen außerhalb des Beweisthemas. Doch wird man sagen können, dass die wissentlich falsche Aussage in einem förmlichen, der Rechtsfindung dienenden Verfahren etwas ist, was für sich allein schon eine erhöhte Aufmerksamkeit in jenen Richtungen auferlegt und dazu nötigt, Anstößen zur Überprüfung der (irrigen) Auffassung nachzugeben. Als einen solchen Anstoß sieht RG JW 1925 794 mit Recht bereits den Umstand an, dass der Gerichtsvorsitzende die Frage zuließ und selbst aufgriff. Zum Irrtum über angebliche Notstandslage RGSt 66 222, 227.
VI. Falschaussage des Sachverständigen Die eidliche Aussage des Sachverständigen ist fahrlässig falsch, wenn der Sachverständige bei 16 der ihm zugänglichen Kenntnis der tatsächlichen Unterlagen und bei der ihm eigenen Sachkunde zu einer anderen Überzeugung hätte kommen müssen, als er kundgetan hat (vgl. Fischer Rdn. 9 m. w. N.). Dass der Sachverständige sein Gutachten vor der Vernehmung vorzubereiten hat und dass ein Verstoß gegen diese Pflicht den Vorwurf der Fahrlässigkeit für seine Falschaussage begründen kann, ist weitgehend anerkannt.11
VII. Vorbereitungspflicht bei der Vermögensauskunft des Schuldners Bei der Vermögensauskunft des Schuldners gem. § 802c ZPO besteht eine umfassende Vorbe- 17 reitungs- und Aufklärungspflicht des Schuldners (vgl. § 156 Rdn. 19), deren Verletzung den Fahrlässigkeitsvorwurf begründen kann.12 Dass der Schuldner erst nach Verhaftung und Vorführung durch einen Gerichtsvollzieher zur Abgabe der Vermögensauskunft bereit ist, ändert daran nichts (RG LZ 1925 779). Die Erkundigungspflicht des Schuldners erstreckt sich auch auf zweifelhafte Rechtsfragen (BGH NJW 1955 638, 639; RGSt 27 267; Rdn. 22 bei § 156). Auch die Versicherung nach § 883 Abs. 2 ZPO kann falsch abgegeben werden. Die Fahrlässigkeit kann hier darin liegen, dass der Schwörende bei pflichtgemäßer Sorgfalt seine Verpflichtung erkennen konnte, alles, was er über den Verbleib der Sache wusste, anzugeben, und dass der Irrtum, eine solche Verpflichtung bestehe nicht, vorwerfbar ist (RGSt 39 42; 46 140; BGH NJW 1952 711). Der Erklärende ist nicht verpflichtet, Erkundigungen nach dem Verbleib der Sa9 Das betonen RG HRR 1938 Nr. 631; 1939 Nr. 393; RG JW 1939 87. 10 BGHSt 3 235; 4 214; RGSt 60 407; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 7; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3 f; ferner Müller MK Rdn. 9, 11. 11 Zöller SK Rdn. 11; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 8; Vormbaum NK Rdn. 31; SSW/Sinn Rdn. 8; Fischer Rdn. 9; Müller MK Rdn. 24; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Otto JuS 1984 161, 169; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 75 Rdn. 74; abweichend Frank § 163 Anm. I. 12 BGH LM § 163 Nr. 1; RGSt 27 267; RG HRR 1938 Nr. 1077; BayObLG NJW 2003, 2181 = JR 2004 167 m. Anm. Vormbaum; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 10; Zöller SK Rdn. 12; Vormbaum NK Rdn. 36; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Fischer Rdn. 9; SSW/Sinn Rdn. 10; Müller MK Rdn. 30; Otto JuS 1984 161, 169. 161
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Fahrlässiger Falscheid; fahrlässige falsche Versicherung an Eides Statt
che anzustellen, muss aber alle Anhaltspunkte angeben, die zur Auffindung dienen können (RG LZ 1925 1225). Zum schuldhaften Irrtum über den Umfang der Offenbarungspflicht RG HRR 1939 Nr. 345.
VIII. Vorbereitungspflicht bei schriftlichen eidesstattlichen Versicherungen 18 Bei in schriftlicher Form abgegebenen eidesstattlichen Versicherungen zeugenschaftlichen Inhalts besteht Vorbereitungs- und Aufklärungspflicht (KG JR 1966 189, 191), wie dies in Rdn. 9 für die eidliche Parteivernehmung näher dargelegt worden ist. Übernimmt es der Erklärende, sich eines bestimmten Wissens zu berühmen, das er bis dahin noch gar nicht oder doch nicht in diesem Umfange besitzt, so setzt eine solche Erklärung die vorherige Aneignung entsprechenden Wissens, also mehr als bloße Auffrischung der Erinnerung, voraus (OLG Celle NJW 1957 1609; OLG Karlsruhe GA 1971 59). Freilich ist auch hier streng zwischen der Wiedergabe von Wissen aus unmittelbarer eigener Wahrnehmung, der Wiedergabe des angeblichen Wissens Dritter vom Hörensagen und bloßen Folgerungen und Meinungen zu unterscheiden, die nach außen hin wie die Wiedergabe von echten sinnlichen Erkenntnissen erscheinen mögen und sachlich allenfalls insoweit bedeutsam sind, als sie über den Grad der Parteilichkeit des Zeugen Aufschluss geben können (vgl. Rdn. 9). Die angeführte Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle lässt eine entsprechende Prüfung der den Gegenstand der Verurteilung nach § 163 (heute: § 161) bildenden Erklärung, „die vor 27 Jahren angelegte Wasserleitung habe den Bedürfnissen des Hofes immer in vollem Umfang genügt“, vermissen und kann deshalb nur distanziert als Beleg für die bei der Abgabe schriftlicher eidesstattlicher Versicherungen bestehende Erkundigungspflicht angeführt werden. 19 Im Übrigen ist die Anwendung des Tatbestandes in den Fällen unproblematisch, in denen die Beweisperson ein ihr schon fertig geliefertes Schriftstück mit einer eidesstattlichen Versicherung unterzeichnet hat, ohne seinen Inhalt geprüft zu haben (RGSt 70 266, 267; 34 298), oder in denen sie gar eine Blankounterschrift für eine eidesstattliche Erklärung hergibt, die erst später von einer anderen Person nach Absprache eingefügt werden soll (RG GA 1910 396). Zum Tatbestand wird es jedoch in solchen Fällen immer gehören müssen, dass der Täter mindestens mit der Möglichkeit rechnet, seine Unterschrift für eine eidesstattliche Versicherung zu geben, so wie er auch immer weiß, dass er nach der mündlichen Vernehmung einen Eid leistet oder die Richtigkeit des Erklärten an Eides Statt versichert. Hat er überhaupt keine Vorstellung, zu welcher Art von Schriftstück er seine Unterschrift leistet, etwa weil ihm mit Erfolg eine andersartige Urkunde vorgetäuscht wird, so ist in Übereinstimmung mit RGSt 15 148, 150 und gegen RGSt 21 198 und 34 298 schon der äußere Tatbestand zu verneinen und bleibt auf jeden Fall dunkel, wie der spezifische Fahrlässigkeitsvorwurf des § 161 begründet werden könnte. Dagegen kann § 161 zutreffen, wenn der Unterzeichner nicht weiß, dass seine eidesstattliche Versicherung bei einer Behörde abgegeben werden soll (RG LZ 1915 913).
IX. Rechtzeitige Berichtigung 20 Der Absatz 2 ist dem § 158 angepasst, auf dessen Erläuterungen verwiesen wird. Im Gegensatz zu der Kann-Vorschrift des § 158 ist aber hier die Straflosigkeit zwingend vorgeschrieben.
X. Zusammentreffen 21 Fahrlässige Eidesverletzung geht in der vorsätzlichen auf (RGSt 60 56, 58). Zwischen vorsätzlicher uneidlicher Falschaussage (§ 153) und fahrlässigem Falscheid kann Tateinheit gegeben sein (BGHSt 4 214, 215). Die Verurteilung auf doppeldeutiger Grundlage (Wahlfeststellung) nach Wolters/Ruß
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X. Zusammentreffen
StGB § 161
§§ 154 oder 156 einerseits und dem heutigen § 161 andererseits hat BGHSt 4 340, 341 f gebilligt; indessen geht es hier nicht um einen Fall der sog. Wahlfeststellung, sondern um eine Verurteilung wegen fahrlässigen Handelns auf Grund eines Stufenverhältnisses (vgl. Dannecker LK Anh § 1 Rdn. 81 f).
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§ 162 Internationale Gerichte; nationale Untersuchungsausschüsse (1) Die §§ 153 bis 161 sind auch auf falsche Angaben in einem Verfahren vor einem internationalen Gericht, das durch einen für die Bundesrepublik Deutschland verbindlichen Rechtsakt errichtet worden ist, anzuwenden. (2) Die §§ 153 und 157 bis 160, soweit sie sich auf falsche uneidliche Aussagen beziehen, sind auch auf falsche Angaben vor einem Untersuchungsausschuss eines Gesetzgebungsorgans des Bundes oder eines Landes anzuwenden.
Schrifttum Brocker Uneidliche Falschaussage und Meineid vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss, JZ 2001 716.
Entstehungsgeschichte Die Vorschrift wurde durch das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie vom 31. Oktober 2008 (BGBl. I 2149) in das StGB aufgenommen. Durch sie soll klargestellt werden, dass auch falsche Angaben geahndet werden können, die vor einem internationalen Gericht oder vor einem Untersuchungsausschuss eines Gesetzgebungsorgans des Bundes oder eines Landes gemacht worden sind. Zur weiteren Geschichte s. Brocker JZ 2001 716.
I. Absatz 1 1 Die Vorschrift dient der Erfüllung der sich aus Art. 70 Abs. 4 Buchstabe a in Verbindung mit dem Absatz 1 Buchstabe a des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (BGBl. 2000 II 1393) ergebenden Verpflichtung, Strafvorschriften zum Schutz der Rechtspflege, also auch Aussagedelikte, auf vorsätzliche Falschaussagen auszudehnen, die in einem beim Internationalen Gerichtshof anhängigen Verfahren im Inland oder von einem Angehörigen des Vertragsstaates im Ausland gemacht werden (BTDrucks. 16/3439 S. 7). Die Notwendigkeit dieser Ausdehnung ist darin zu erblicken, dass nach herrschender Auffassung die nach deutschem Recht strafbaren Aussagedelikte grundsätzlich nur die innerstaatliche Rechtspflege schützen und auf Falschaussagen vor ausländischen oder internationalen Gerichten nur anwendbar sind, wenn dies in einem Gesetz oder in einem ratifizierten völkerrechtlichen Vertrag ausdrücklich vorgesehen ist. Diesem Erfordernis trägt § 162 Abs. 1 in der jetzigen Fassung Rechnung, indem er die §§ 153 bis 161 und damit die falsche uneidliche Aussage, den Meineid und die falsche Versicherung an Eides statt auf solche falsche Angaben für anwendbar erklärt, die in einem Verfahren vor einem internationalen Gericht, das durch einen für die Bundesrepublik Deutschland verbindlichen Rechtsakt errichtet worden ist, gemacht worden sind. Danach gilt die Ausdehnung nicht nur für den Internationalen Strafgerichtshof, sie bezieht auch andere internationale Gerichte ein, sofern sie durch einen für die Bundesrepublik verbindlichen Rechtsakt geschaffen worden sind. Hiervon werden beispielsweise außer dem Internationalen Strafgerichtshof der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften erfasst. Als Gerichte, die auf einem sonstigen für die Bundesrepublik verbindlichen Rechtsakt beruhen, kommen Gerichtshöfe in Betracht, die vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen errichtet worden sind.
II. Absatz 2 2 Die Regelung in Absatz 2 ersetzt die bisherige Regelung des § 153 Abs. 2, die gestrichen worden ist, und stellt klar, dass die §§ 153 und 157 bis 161, soweit sie sich auf falsche uneidliche Aussagen beziehen, auch auf falsche Angaben vor einem Untersuchungsausschuss eines GesetzgeWolters/Ruß https://doi.org/10.1515/9783110490107-022
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II. Absatz 2
StGB § 162
bungsorgans des Bundes oder eines Landes anzuwenden sind (eingehend Brocker JZ 2011 716). Die Regelung bezieht sich allein auf Ausschüsse der Parlamente im Sinne von Art. 44 GG oder entsprechender Vorschriften in Landesverfassungen (vgl. Fischer § 153 Rdn. 4 m. w. N.; ferner allgem. krit. hierzu Vormbaum JZ 2002 166 und NK § 153 Rdn. 52 ff). Absatz 2 entfaltet im Hinblick auf § 154 Sperrwirkung (Brocker JZ 2011 716, 721; Fischer Rdn. 7).
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§ 163 (weggefallen)
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ZEHNTER ABSCHNITT Falsche Verdächtigung § 164 Falsche Verdächtigung (1) Wer einen anderen bei einer Behörde oder einem zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Amtsträger oder militärischen Vorgesetzten oder öffentlich wider besseres Wissen einer rechtswidrigen Tat oder der Verletzung einer Dienstpflicht in der Absicht verdächtigt, ein behördliches Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen gegen ihn herbeizuführen oder fortdauern zu lassen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer in gleicher Absicht bei einer der in Absatz 1 bezeichneten Stellen oder öffentlich über einen anderen wider besseres Wissen eine sonstige Behauptung tatsächlicher Art aufstellt, die geeignet ist, ein behördliches Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen gegen ihn herbeizuführen oder fortdauern zu lassen. (3) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer die falsche Verdächtigung begeht, um eine Strafmilderung oder ein Absehen von Strafe nach § 46b dieses Gesetzes oder § 31 des Betäubungsmittelgesetzes zu erlangen. In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.
Schrifttum Becker Rechtsgutsbestimmung und Anwendungsbereich der Beteiligtentäuschung gem. § 145d Abs. 2 Nr. 1 StGB, Diss. Gießen 1992; Bernhard Falsche Verdächtigung (§§ 164, 165 StGB) und Vortäuschen einer Straftat (§ 145d StGB) (2003); Bienko Nochmals: Zur Strafbarkeit einer verabredeten Falschverdächtigung im Anschluß an Verkehrsunfälle, NZV 1993 98; Blei Falschverdächtigung durch Beweismittelfiktion, GA 1957 139; Bockelmann Zur Auslegung des § 164 Abs. 5 StGB, NJW 1959 1849; Britsch Die falsche Verdächtigung, JZ 1973 351; Dehne-Niemann Die Strafbarkeit der aktiv selbstbegünstigenden Falschverdächtigung (§ 164 StGB) durch einen Beschuldigten NStZ 2015 677; Deutscher Falsche Verdächtigung eines Schuldigen durch falsche Beweismittel, BGH NJW 1988, 81, JuS 1988 526; ders. Grundfragen der falschen Straftatverdächtigung (§ 164 Abs. 1 StGB) (1995); Evers Sprengung an der Celler Gefängnismauer: Darf der Verfassungsschutz andere Behörden und die Öffentlichkeit täuschen? NJW 1987 153; Evers Sprengung an der Celler Gefängnismauer: Darf der Verfassungsschutz andere Behörden und die Öffentlichkeit täuschen? NJW 1987 153; Exner Ehrenbeleidigung durch falsche Anschuldigung (1907); Fahrenhorst Grenzen strafloser Selbstbegünstigung, JuS 1987 707; Fezer Hat der Beschuldigte ein „Recht auf Lüge“? Festschrift Stree/Wessels (1993) 663; Geerds Kriminelle Irreführung der Strafrechtspflege, Jura 1985 617; Geilen Grundfragen der falschen Verdächtigung (§ 164 StGB), Jura 1984 251 und 300; Greiner Reformbedürftige Lücke im Tatbestand der falschen Verdächtigung? NZV 2017 314; Heilborn Falsche Anschuldigung, VDB III 105; Hirsch Literaturbericht zu Langer: Die falsche Verdächtigung, ZStW 89 (1977) 930; ders. Zur Rechtsnatur der falschen Verdächtigung, Gedächtnisschrift Schröder (1978) 307; Köchel/Wilhelm Zu den Möglichkeiten echter Wahlfeststellung zwischen Strafvereitelung und falscher Verdächtigung ZJS 2014 269; Köhler Die falsche Verdächtigung, GS 111 289; Krell Keine falsche Verdächtigung bei nicht verfolgbaren Taten? NStZ 2011 671; ders. Gedanken zur Straflosigkeit von Beschuldigtenlügen bei den §§ 145d, 164 StGB HRRS 2015, 483; Kühne Forum: Die sog. „Celler Aktion“ und das deutsche Strafrecht, JuS 1987 188; Küper Verdächtigung und Beweismittelfiktion, GA 2018, 359; Langer Die falsche Verdächtigung (1973); ders. Aktuelle Probleme der falschen Verdächtigung, GA 1987 289; ders. Zur falschen Verdächtigung eines Zeugen durch den Angeklagten, JZ 1987 804; ders. Verdachtsgrundlage und Verdachtsurteil – Zum Begriff des „Verdächtigens“ gemäß § 164 StGB, Festschrift Lackner (1987) 541; ders. Zur Falschheit des Verdächtigens gemäß § 164 Abs. 1 StGB, Festschrift Tröndle (1989) 265; ders. Geklärte und offene Fragen zur falschen Verdächtigung (§ 164 StGB), Gedächtnisschrift Schlüchter (2002) 361; Milzer Ist die falsche Verdächtigung mit einem Privatklagedelikt immer von Amts wegen zu verfolgen? MDR 1990 20; Mitsch Bußgeldvereitelung durch Selbstbezichtigung gegenüber der Verkehrsbehörde NZV 2016 564; Müller Anklagen wegen falscher Anschuldigung, DRiZ 1957 262; Niehaus Strafbare Veranlassung der unwahren Selbstbezichtigung im Ordnungswidrigkeitenverfahren? DAR 2015 720; Oehler Neue strafrechtliche Probleme des Absichtsbegriffs, NJW 1966 1633; Otto Die Beteiligung des Betroffenen an der falschen Verdächtigung, Jura 1985 443; ders. Falsch Verdächtigen – Zur Bedeutung des geschützten Rechtsguts für die Auslegung der einzelnen Merkmale eines Tatbestandes, Jura 2000 217; Schilling Die falsche Verdächtigung nach § 164 StGB, GA 1984 345; 167 https://doi.org/10.1515/9783110490107-024
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§ 164 StGB
Falsche Verdächtigung
ders. Zur Auslegung des § 164 StGB, Gedächtnisschrift Armin Kaufmann (1989) 595; Schmitt Zur Problematik der „Auklärungsanzeige“, NJW 1960 569; Schneider Zur Strafbarkeit einer verabredeten Falschverdächtigung im Anschluß an Verkehrsunfälle, NZV 1992 471; Schröder Zur Rechtsnatur der falschen Anschuldigung, NJW 1965 1888; Simon Das Wesen der falschen Anschuldigung, Diss. Berlin 1939; Tiedemann Strafanzeigen durch Behörden und Rehabilitierung Verdächtiger, JR 1964 5; Ulsenheimer Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens bei Gefahr eigener Strafverfolgung, GA 1972 1, 21; Velten Nicht nur ein Loch in der Mauer – rechtliche Überlegungen zum Sprengstoffanschlag des Verfassungsschutzes in Celle, StV 1987 544; Vormbaum Der strafrechtliche Schutz des Strafurteils (1987); ders. Verdächtig: Der Tatbestand der falschen Verdächtigung (§ 164 StGB) und seine Auslegung, Festschrift Dencker (2012), 359; Welp Der praktische Fall: Die Falle, JuS 1967 507.
Entstehungsgeschichte1 § 164 gehört zu den „unruhigen“ Vorschriften. Zunächst richtete sich seine Strafdrohung nur gegen den, der bei einer Behörde durch eine Anzeige einen anderen wider besseres Wissen einer strafbaren Handlung oder der Verletzung einer Amtspflicht beschuldigte. Das Gesetz zur Änderung strafrechtlicher Vorschriften vom 26.5.1933 (RGBl. I 295) machte diesem einfachen Tatbestand ein Ende. Die Beschränkung auf Beschuldigungen durch „Anzeigen“ (aus eigenem Antrieb, ohne behördliche Veranlassung gemachte Mitteilungen) entfiel. Die Tathandlungen erhielten in den Absätzen 1 und 2 der Bestimmung die im Wesentlichen noch heute geltenden Umschreibungen. In Absatz 3 wurde die in Vorteilabsicht begangene Tat mit erhöhter Mindeststrafe bedroht, in Absatz 5 auch die mit dolus eventualis oder leichtfertig verübte falsche Anschuldigung unter Strafe gestellt. Das 1. StrRG vom 25.6.1969 (BGBl. I 645) hat den Qualifikationsgrund und die Strafbarkeit der nur vorsätzlich oder leichtfertig begangenen falschen Anschuldigung wieder beseitigt. Das EGStGB vom 2. März 1974 (BGBl. I 469) leistete einen Beitrag, der im Wesentlichen nur redaktioneller Art sein sollte: In Absatz 1 trat der „Amtsträger“ an die Stelle des „Beamten“, die „rechtswidrige Tat“ ersetzte die „strafbare Handlung“, die Verletzung einer „Amts- oder Dienstpflicht“ wurde auf die Verletzung einer „Dienstpflicht“ reduziert und die verfahrensrechtliche Regelung, die § 164 i. d. F. des 1. StrRG in Absatz 3 enthielt, bekam ihren Platz in der StPO (vgl. Rdn. 35 und 36). Mit der Ersetzung der „strafbaren Handlung“ durch die „rechtswidrige Tat“ hat der Gesetzgeber aus terminologischen Harmonisierungsbemühungen (Hirsch ZStW 89 [1977] 930, 931) einen unbedachten Eingriff vorgenommen, der nur dann unbedenklich ist, wenn in ihm lediglich eine Klarstellung gesehen wird, die besagt, dass im Rahmen des § 164 Abs. 1 neben Dienstpflichtverletzungen nur strafrechtswidrige Handlungen als Gegenstand einer Beschuldigung in Betracht kommen (Vormbaum NK Rdn. 42). Wer die Formel „rechtswidrige Tat“ jedoch wörtlich nimmt (s. etwa Rogall SK Rdn. 24), findet in ihr allerdings eine Einschränkung des § 164 Abs. 1: Die Vorschrift kann nicht mehr jene Fälle erfassen, in welchen der Denunziant einen anderen mit wahren Angaben einer den Unrechtstatbestand eines Strafgesetzes verwirklichenden Handlung verdächtigt und dabei Umstände verschweigt, aus welchen sich ohne weiteres und eindeutig ergäbe, dass die tatbestandsmäßige Handlung aus materiell- oder verfahrensrechtlichen Gründen keine strafrechtlichen Folgen haben kann (vgl. dazu Rdn. 15). Mit dem 43. StrÄndG vom 29.7.2009 (BGBl. I 2288) wurde § 164 Abs. 3 eingefügt, um nach der Intention des Gesetzesgebers den durch § 46b eröffneten Missbrauchsgefahren (Falschbelastung zur Erlangung der Strafmilderung nach § 46b oder § 31 BtMG) begegnen zu können (BT-Drucks. 16/6268, 15).2 – Zur Entstehungsgeschichte vgl. ferner Vormbaum FS Dencker 359, 360 ff; Bernhard S. 136 ff.
Übersicht I. 1. 2. 3.
Schutzzwecke 1 1 Ansichten 2 Alternativität der Schutzzwecke Falschverdächtigung und Ehrverletzung
II.
Tathandlung des § 164 Abs. 1
1.
3
4a Verdächtigen 5 a) Beweismittelfiktion b) Formen des Verdächtigens, Leug6 nen
4
1 Die Kommentierung dieses (zehnten) Abschnitts fußt auf der Vorbearbeitung von Wolfgang Ruß in der elften und zwölften Auflage, die inhaltlich wiederum im Wesentlichen auf Gerhard Herdegen zurückgeht, der die neunte und zehnte Auflage verantwortet hat. Sie versteht sich als eine Aktualisierung und moderate Ergänzung dieser Darlegungen. Die Bearbeitung ist im Wesentlichen auf dem Stand des Frühjahres 2020, lediglich kleinere Änderungen konnten noch vor Drucklegung vorgenommen werden. 2 Kritisch Vormbaum FS Dencker 359, 362. Wolters/Ruß
168
StGB § 164
I. Schutzzwecke
c)
2. 3.
26 Amtsträger Öffentliche Verdächtigung
V.
Vorgänge im Behördenbereich
VI. 1. 2.
27a Innerer Tatbestand 28 Wider besseres Wissen 31 Absicht
3.
Tatsächliches Vorbringen, Folgerun7 gen 9 d) Unwahrheit e) Wesentlicher Inhalt einer Verdächtigung, 11 Übertreibung, Entstellung 13 f) Aufklärungszweck 14 g) Verdächtigen durch Unterlassen 14a Tathandlung des § 163 Abs. 2 15 a) Rechtswidrige Tat 17 b) Dienstpflichtvergehen 19 c) Alternative Feststellung 20 Verdächtigung eines anderen
III. 1. 2. 3.
20a Tathandlung des § 164 Abs. 2 20a Tatsachenbehauptungen Behördliche Verfahren und Maßnahmen 22a Unwahrheit der Behauptung
IX.
Wahrnehmung berechtigter Interessen, Petiti33 onsrecht und Einwilligung
X.
IV. 1.
22b Adressaten der Verdächtigung 23 Behörde 24 a) Einzelfragen b) Ausländische Behörde, Zugehen, Widerruf 24a der Verdächtigung
Konkurrenzfragen, Wahlfeststellung zwischen Falschverdächtigung und Falschaussage sowie 34 Strafzumessung
XI.
Verfahrensrechtliches
2.
26a
VII. Erschleichungsabsicht (Absatz 3) VIII. Tatvollendung und Täterschaft
27
31a 32
22
35
I. Schutzzwecke 1. Ansichten Die Frage nach Schutzzweck und Schutzobjekt des § 164 ist noch nicht eindeutig beantwortet 1 (eingehend zur Diskussion Vormbaum FS Dencker 359, 362 ff). Man spricht von einer „Doppelnatur“ und meint damit, dass die Vorschrift einerseits die staatliche Rechtspflege vor ungerechtfertigter Inanspruchnahme, andererseits aber auch den einzelnen vor ungerechtfertigten Verfahren und anderen Maßnahmen irregeführter Behörden bewahren wolle. Das Verhältnis dieser Zwecke zueinander und ihre Bedeutung für die Grenzen des Tatbestands sind aber nach wie vor umstritten.3 Das Reichsgericht nahm an, dass die falsche Anschuldigung wenn nicht ausschließlich,4 1a so doch vorrangig5 als Delikt gegen die Rechtspflege aufzufassen sei. Der Bundesgerichtshof hat jedoch in NJW 1952 1385 die Auffassung vertreten, dass § 164 nicht nur und nicht einmal in erster Linie dem Schutz der Behörden gegen Irreführung diene. Weit wichtiger sei der Schutz des Menschen gegen Missgriffe irregeführter Behörden. Zwischen dieser und der Akzentuierung des Reichsgerichts bewegen sich die späteren Entscheidungen des Bundesgerichtshofes und auch der Oberlandesgerichte.6 Mit der von der Rechtsprechung vertretenen Auffassung steht ein Teil der Literatur auf dem Standpunkt, dass die Falschverdächtigung ein Delikt gegen die Rechtspflege sei, sich daneben aber auch gegen schutzwürdige Individualinteressen richte. 3 Rogall SK Rdn. 1 ff; Zopfs MK Rdn. 2 ff; Vormbaum NK Rdn. 7 ff; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 1a f; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 1; Fischer Rdn. 2; SSW/Geneuss Rdn. 3 f; Rahmlow AnwK Rdn. 1 f; Langer GedS Schlüchter 361, 363 ff; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 99 Rdn. 5. 4 RGSt 32 77, 78; 46 85, 87. 5 RGSt 23 371, 373; 29 54, 56; 59 34, 35; 60 317. 6 BGHSt 5 66, 68; 9 240, 244; 18 333; BGH LM BGB § 823 (Be) Nr. 3; GA 1962 24; JR 1965 306; BGHR StGB § 344 Abs. 1 Konkurrenzen 1; OLG Köln NJW 1952 117; JR 1955 273; OLG Düsseldorf NJW 1962 1263 f; KG JR 1963 351; OLG Karlsruhe Die Justiz 1966 158, 159; 1974 343; vgl. auch BayObLG NJW 1986 441, 442. 169
Wolters/Ruß
§ 164 StGB
Falsche Verdächtigung
Durch die Vorschrift solle sowohl die ungerechtfertigte Beanspruchung und Irreführung der mit der Verfolgung von Straftaten befassten Behörden verhindert, als auch der einzelne gegen Missgriffe irregeleiteter Behörden geschützt werden.7 Nicht notwendig ist es dabei, dass beide Schutzzwecke zugleich berührt sind,8 vielmehr genügt die Verletzung eines von ihnen, um den Tatbestand zu erfüllen (sog. Alternativitätstheorie).9 Es wird aber auch die Auffassung vertreten, Schutzgut des § 164 sei nur die staatliche Rechtspflege („Rechtspflegetheorie“), verstanden als derjenige Teil staatlicher Organisation und Funktion, der sich mit der Anwendung des Rechts in einem rechtlich geregelten Verfahren befasse.10 Dem Individualrechtsgut komme bei Auslegung des § 164 keine eigenständige Bedeutung zu; für den einzelnen bewirke § 164 in Form eines „Schutzreflexes“ lediglich einen mittelbaren Schutz. Die umgekehrte Ansicht, dass die falsche Verdächtigung sich nur gegen Individualinteressen („Individualgutstheorie“) richte und lediglich eine Reflexwirkung für Gemeinschaftsinteressen anzunehmen sei, begründet sich hingegen in der Überlegung, dass von der Vorschrift nicht alle behördlichen Verfahren und Maßnahmen erfasst sind und ihr zugleich neben dem Ehrverletzungs- ein Nötigungs- sowie Freiheits- bzw. Vermögensgefährdungselement zukommt, weil sich der falsch Verdächtigte dem Verfahren unterwerfen muss.11
2. Alternativität der Schutzzwecke 2 Nimmt man an, dass § 164 sowohl die inländische staatliche Rechtspflege als Gemeinschaftsgut wie auch Individualinteressen zugleich schütze und dass im konkreten Falle die Verletzung eines Schutzobjekts zur Verwirklichung des Tatbestands ausreiche – eine Vorstellung, die weder gegen die Denkgesetze verstößt noch dogmatisch unmöglich ist – dann ist die Frage des Vorrangs ohne Interesse. Ein solches Verständnis, nach welchem § 164 auch als Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB anzuerkennen ist (BGH JR 1953 181; vgl. auch BGHZ 107 359, 366), ermöglicht es einerseits, unter dem Aspekt des Gemeinschaftsguts den Rechtsschutz auf Behörden der inländischen Staatsgewalt zu beschränken (BGH JR 1965 306, 307; RGSt 60 317) und gestattet es andererseits im Individualinteresse, Verdächtigungen gegenüber einer nicht in das Gefüge der deutschen Staatsgewalt eingegliederten (ausländischen oder supranationalen) Behörde allgemein12 oder jedenfalls unter der Voraussetzung, dass sie im Inland staatliche Befugnisse ausübt,13 als tatbestandsmäßig anzusehen. Verstünde man die Schutzzwecke des § 164 in dem Sinne, dass „in jedem Einzelfalle die Doppelseitigkeit zum Ausdruck kommen muss“ (Frank Anm. I), würde man also eine Schutzgutskumulation verlangen, dann käme die Verdächtigung bei ausländischen Behörden als tatbestandsmäßige Handlung nicht in Betracht. Tatbestandsmäßiges Handeln entfiele aber auch dann, wenn der Verdächtigte nicht schutzwürdig ist, 7 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 1a; Fischer Rdn. 2; SSW/Geneuss Rdn. 3; Rahmlow AnwK Rdn. 2; Lackner/ Kühl/Kühl Rdn. 1; Frank Anm. I; Kohlrausch/Lange vor § 164 Anm. I; Schröder NJW 1965 1888; Geilen Jura 1984 251 und 300; Krey/Hellmann/Heinrich BT 1 Rdn. 789 f; Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf BT § 48 Rdn. 1; Wessels/Hettinger/ Engländer BT 1 Rdn. 762 ff. 8 So aber Frank Anm. I. 9 Schröder NJW 1965 1888. 10 Rogall SK Rdn. 1 f; Zopfs MK Rdn. 4; Langer Verdächtigung 64; GA 1987 289, 295; FS Tröndle 265, 286; GedS Schlüchter 361, 364 ff; Deutscher Straftatverdächtigung 22 ff, vgl. ferner JuS 1988 526, 528; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 99 Rdn. 5; Otto Grundkurs Strafrecht BT § 95 Rdn. 1. 11 Hirsch GS Schröder 307, 316 und ZStW 89 (1977) 930, 940 f; Vormbaum Schutz des Strafurteils 450, 458 sowie NK Rdn. 10 (vgl. auch Bottke JA 1980 93, 98; Heinrich ZJS 2018 129 f). 12 BGHSt 18 333; BGH NJW 1952 1385; LM BGB § 823 (Be) Nr. 3; JR 1965 306, 307; 3 StR 1034/51 v. 22.1.1953; OLG Köln NJW 1952 117; vgl. auch OLG Düsseldorf JR 1983 75, 76 m. Anm. Bottke; Kohlrausch/Lange Anm. IV; Fischer Rdn. 8; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 3; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 25; ferner Vormbaum NK Rdn. 32. 13 BGH NJW 1952 1385; OLG Celle HESt 1 42, 45; vgl. auch OLG Köln NJW 1952 117; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 99 Rdn. 11; vgl. ferner Rogall SK Rdn. 32. Wolters/Ruß
170
II. Tathandlung des § 164 Abs. 1
StGB § 164
weil er in die Verdächtigung eingewilligt hat, eine Konsequenz, die bisher nahezu ausschließlich verneint worden ist.14 Die Unmaßgeblichkeit der Einwilligung des Verdächtigten lässt sich überzeugend nur begründen, wenn die Gefährdung auch nur eines Schutzobjekts als ausreichend angesehen wird (Theorie der sog. Alternativität der Schutzzwecke und Schutzobjekte) oder wenn man die Ansicht vertritt, Rechtsgut sei allein die Funktionsfähigkeit der staatlichen Rechtspflege, der Schutz des von einer Falschverdächtigung Betroffenen sei nur eine „Komplementärerscheinung“ (Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 99 Rdn. 5, 10), eine „Reflexwirkung“ (vgl. Rogall SK Rdn. 1). Auf der Grundlage jeder Auffassung erlangt die Einwilligung allerdings Bedeutung, wenn Adressat der Falschverdächtigung eine nicht zu den Angriffsobjekten zählende Behörde ist: In diesem Falle steht die Einwilligung einer Bestrafung nach § 164 entgegen (Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 25), da ein Schutzinteresse nicht besteht.15
3. Falschverdächtigung und Ehrverletzung Die Doppelnatur der Falschverdächtigung, ihres Schutzzwecks und ihres Schutzguts, die sich 3 einerseits aus der Stellung des § 164 im Besonderen Teil des Strafgesetzbuchs (RGSt 23 371, 373; 29 54, 56), andererseits aus § 165 ableiten lässt (in § 165 wird der Betroffene ausdrücklich als Verletzter bezeichnet), sollte nicht mit der Erwägung angezweifelt werden, dass der Betroffene durch die Beleidigungsvorschriften geschützt sei. Schröder (NJW 1965 1888, 1890), dessen Auffassung über die Rechtsnatur der falschen Verdächtigung hier zugrunde gelegt worden ist, weist mit Recht darauf hin, dass nach § 164 tatbestandsmäßige Handlungen nicht notwendig den „Charakter einer Ehrverletzung“ haben,16 und dass es auch dort, wo ihnen dieser Charakter nicht fehlt, nicht um den Schutz der Ehre, sondern darum geht, den Betroffenen vor ungerechtfertigten behördlichen Maßnahmen zu bewahren (vgl. BGHSt 35 50, 54). Der Schutz der Ehre ist in der Tat, wie bei Maurach/Schroeder/Maiwald (BT 2 § 99 Rdn. 5) bemerkt, nur „reine (wenn auch häufige) Komplementärerscheinung“.
II. Tathandlung des § 164 Abs. 1 § 164 umschreibt in den Absätzen 1 und 2 unterschiedliche Tathandlungen. Absatz 2 hat 4 eine ergänzende Funktion. Er stellt Behauptungen bestimmter Art unter Strafe, die nicht den Vorwurf einer „rechtswidrigen Tat“ (vgl. Rdn. 15) oder einer Dienstpflichtverletzung (vgl. Rdn. 17) zum Gegenstand haben (RGSt 69 173, 174). Ist das der Fall, kommt nur die Anwendung des Absatzes 1 in Betracht. Kann, wenn ein anderer einer „rechtswidrigen Tat“ oder einer Dienstpflichtverletzung verdächtigt worden ist, nach § 164 Abs. 1 nicht bestraft werden, entfällt eine Bestrafung nach § 164 überhaupt, auch wenn der Täter eine Verdachtstatsache erfunden und behauptet hatte.17
14 BGHSt 5 66, 68; RGSt 59 34, 35; OLG Düsseldorf NJW 1962 1263; OLG Hamm VRS 35 425, 427; Fischer Rdn. 14; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 11; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 23; Rogall SK Rdn. 50; Zopfs MK Rdn. 4f, 48; SSW/ Geneuss Rdn. 3; Schröder NJW 1965 1888, 1889; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 99 Rdn. 6; abweichend in Konsequenz ihrer Auffassung als Vertreter der Individualgutstheorie Hirsch GedS Schröder 307, 318; Vormbaum NK Rdn. 66; Mitsch Jura 1988 203, 204. 15 Zur Auswirkung auf die Antragsbefugnis im Rahmen des § 165 vgl. dort Rdn. 4. 16 RGSt 21 101, 102; RG HRR 1939 Nr. 190; 1940 Nr. 1324. 17 BayObLGSt 1930 78, 79; OLG Frankfurt HESt 2 258; OLG Köln NJW 1952 117, 118; OLG Hamm VRS 35 425, 426; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 3, 5 ff; Rogall SK Rdn. 8; Zopfs MK Rdn. 10; Rengier BT II § 50 Rdn. 21; Wessels/Hettinger/Engländer BT 1 Rdn. 766. 171
Wolters/Ruß
§ 164 StGB
Falsche Verdächtigung
1. Verdächtigen 4a Verdächtigen im Sinne von § 164 Abs. 1 ist das Hervorrufen (Hinlenken), Umlenken oder Verstärken eines Verdachts (vgl. BGHSt 14 240, 246; 60 198, 201).18
5 a) Beweismittelfiktion. Durch das „Verdächtigen“ wird kein auf bestimmte Handlungsmodalitäten beschränktes Äußerungsdelikt beschrieben. Eine Auslegung, die aus dem Wortlaut19 des Absatzes 2 („… eine sonstige Behauptung tatsächlicher Art …“) den zwingenden Schluss zöge,20 dass auch in Fällen des Absatzes 1 stets in Form von Tatsachenbehauptungen verdächtigt werden müsse, würde Handlungen eliminieren, durch die ein anderer mit Hilfe fingierter Indizien, insbesondere durch gegenständliche Sachverhaltshinweise, in Verdacht gebracht wird. Diese sog. isolierte Beweismittelfiktion (Blei GA 1957 139; Welp JuS 1967 507, 510) kann für den Denunzierten besonders gefährlich sein, wenn gegen ihn, „sicherer und zuverlässiger als der subjektive Aussagebeweis“, der „objektive Charakter“ des Sachbeweises (Peters Strafprozess § 45 I) seine Wirkung entfaltet. Die ratio legis gebietet es,21 die der „kommunikativen Vermittlung eines Gedankeninhalts“ (Welp JuS 1967 507, 510) nicht bedürftige Beweismittelfiktion als taugliche Tathandlung anzusehen; der Wortlaut gestattet es, die Gesetzeshistorie gibt zahlreiche Stützen.22 In § 164 Abs. 1 ist lediglich von „Verdächtigen“ die Rede. Das ist ein umfassender Begriff, dessen Einschränkung nicht deshalb geboten ist, weil § 164 Abs. 2 in irreführender Anknüpfung an einen Teilbereich des begrifflichen Inhalts von „sonstigen Behauptungen“ spricht.23 Schon in der Zeit, in welcher § 164 sich darauf beschränkte, denjenigen mit Strafe zu bedrohen, der einen anderen in einer Anzeige wider besseres Wissen einer strafbaren Handlung oder der Verletzung einer Amtspflicht beschuldigte, stellte das Reichsgericht fest, dass die „Art und Weise, in welcher die falsche Anschuldigung gemacht ist, gleichgültig erscheint“ (RGSt 7 47, 49). Das Reichsgericht (RGSt 69 173, 175; RG HRR 1939 Nr. 464) und der Bundesgerichtshof (BGHSt 9 240, 241; vgl. auch BGHSt 18 204) haben an dieser Auffassung festgehalten. Sie wird auch von der im Schrifttum herrschenden Meinung geteilt.24 Infolgedessen verwirklicht auch derjenige den objektiven Tatbestand, der unter dem Namen des Verdächtigten dem Staatsanwalt einen Brief schreibt, in welchem der angebliche Verfasser sich selbst bezichtigt (RGSt 7 47, 49) oder derjenige, welcher der Polizei nicht unterzeichnete Schriftstücke zuspielt, die auf einen bestimmten anderen als Verfasser hindeuten und die den scheinbaren Urheber durch ihren Inhalt gewisser Straftaten verdächtig erscheinen lassen (RG HRR 1939 Nr. 464), genauso derjenige, der eine „falsche“ Privatklage erhebt (Vormbaum NK Rdn. 18). Der Täter kann, um den Verdacht auf einen bestimmten anderen zu lenken, bei einem Einbruch dessen Schuhe anziehen und damit deutliche Spuren verursachen, er kann ihm präparierte Fangbriefe zuspielen, damit er sich an den Händen „indiziell beflecke“ (vgl. BGHSt 9 240, 241) oder er kann, was er gestohlen 18 Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 4; Fischer Rdn. 3; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 5; Rogall SK Rdn. 10 ff; Vormbaum NK Rdn. 12 f; SSW/Geneuss Rdn. 6; Rahmlow AnwK Rdn. 7; Geilen Jura 1984 251, 252; Otto Grundkurs Strafrecht BT § 95 Rdn. 4; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 99 Rdn. 13; Wessels/Hettinger/Engländer BT 1 Rdn. 769; Heinrich ZJS 2018 129, 130. 19 Eingehend zum Wortsinn Küper GA 2018 359, 371 ff. 20 So Vormbaum FS Dencker 359, 366. 21 Eingehend Küper GA 2018 359, 372 f. 22 Nachweise bei Küper GA 2018 359, 367 ff. 23 Vgl. Küper GA 2018 359, 373 f. 24 Fischer Rdn. 3; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 8; Rogall SK Rdn. 12; Zopfs MK Rdn. 21 f; SSW/Geneuss Rdn. 9 f; Rahmlow AnwK Rdn. 9; Frank Anm. II 1; Geilen Jura 1984 251, 252; Blei GA 1957 139; Welp JuS 1967 507, 510; Otto Grundkurs Strafrecht BT § 95 Rdn. 4; Krey/Hellmann/Heinrich BT 1 Rdn. 792; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 99 Rdn. 14; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 4; abweichend Vormbaum NK Rdn. 20, 21; Langer Verdächtigung 15; GA 1987 289, 298; JZ 1987 804, 807; FS Lackner 541, 542, 544; FS Tröndle 265, 267; GedS Schlüchter 361, 366 ff; Geerds Jura 1985 617, 618 Fn. 12; Wessels/Hettinger/Engländer BT 1 Rdn. 769 f. Wolters/Ruß
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II. Tathandlung des § 164 Abs. 1
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hat, just vor der polizeilichen Durchsuchung in der Wohnung desjenigen verbergen, der, obgleich unschuldig, in Verdacht geraten ist. Zum Ganzen überaus lehrreich Küper GA 2018 359, 361.
b) Formen des Verdächtigens, Leugnen. Die Verdächtigung kann ausdrücklich oder in 6 versteckter Weise (vgl. BGHSt 18 204, 206; RGSt 69 173, 175), auch in Form einer (mit Tatsachen motivierten) Vermutung (RG GA 1909 85) erfolgen; geht es einem Anzeigeerstatter demgegenüber nur darum, einen zweifelhaften Sachverhalt zu klären und die Schuld oder Unschuld eines anderen feststellen zu lassen, ist der Tatbestand dann nicht erfüllt, wenn Zweifel und Ungewissheit mitschwingen (OLG Thüringen StV 2018, 443). Der Täter kann offen hervortreten, anonym bleiben (vgl. RG HRR 1939 Nr. 464) oder unter falschem Namen handeln (vgl. RGSt 69 173, 174). Die falsche Verdächtigung verlangt – anders als die Verleumdung – kein Erkennbarwerden des Verdächtigenden (Welp JuS 1967 507, 511). Gleichgültig ist, ob der Täter aus eigenem Antrieb verdächtigt. Es genügt, dass er es im Verlaufe einer von ihm nicht veranlassten Vernehmung (als Zeuge oder Beschuldigter) oder bei seiner Ergreifung, spontan oder auf Befragen tut.25 Die Verdächtigung braucht infolgedessen weder Strafanzeige noch Privatklage oder Begründung eines Strafantrags zu sein. Mit Recht wendet sich daher Keller in seiner Anmerkung (JR 1986 30, 31) zu der Entscheidung des BayObLG (NJW 1986 441) gegen dessen Auffassung,26 wonach ein tatbestandsmäßiges Verhalten offenbar erst anzunehmen sein soll, wenn der Täter einen Antrag auf Strafverfolgung stellt oder eine förmliche Strafanzeige im Sinne des § 158 Abs. 1 StPO erstattet.27 Wer einen bei den Strafverfolgungsorganen bereits bestehenden Verdacht, dass eine Straftat begangen worden sei, auf einen anderen richtet und damit in der Frage der Täterschaft konkretisiert oder vertieft, verdächtigt trotz entlastender Angaben (OLG Hamm VRS 35 425, 426). Ob er mit der vom Gesetz geforderten Absicht handelt, ist eine andere Frage. Steht nach der Sachlage fest, dass einer von zwei Verdächtigen eine bestimmte Straftat begangen hat, darf auch derjenige, welcher der Täter ist, durch Leugnen seine Täterschaft abstreiten. Damit hält er sich im Rahmen strafloser Selbstbegünstigung.28 Dies hat auch dann zu gelten, wenn der Beschuldigte in einem solchen Fall über das bloße Bestreiten hinaus die (einzig) andere als Täter in Betracht kommende Person ausdrücklich der Tat bezichtigt (OLG Frankfurt DAR 1999 225; OLG Düsseldorf NJW 1992 1119 m. krit. Anm. Mitsch JZ 1992 979; OLG Celle NJW 1964 733; weitere Nachweise der obergerichtlichen Rechtsprechung und der Literatur in BGHSt 60 198, 203).29 Der gegenteiligen Auffassung (OLG Hamm NJW 1965 62; VRS 32 441, 442), wonach diese Bezichtigung ein unzulässiges, den Tatbestand verwirklichendes „Mehr“ sein soll,30 kann nicht zugestimmt werden. Wird die logische Folge des bloßen Leugnens durch ausdrückliche Beschuldigung eines anderen nicht verändert, kann weder von einem Hinlenken noch von einem Ver-
25 BGHSt 13 219, 221; 18 204, 206; RGSt 69 173, 175; BayObLGSt 1960 192; Rogall SK Rdn. 11; Zopfs MK Rdn. 20; Vormbaum NK Rdn. 17 ff; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 8; Fischer Rdn. 4; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 4; dazu auch BGH NStZ 2007 463. 26 Ihm zustimmend Rogall SK Rdn. 16; Wessels/Hettinger/Engländer BT 1 Rdn. 769 ff; Langer JZ 1987 804, 807 f; Langer FS Lackner 541, 568. 27 Vgl. Krell HRRS 2015 483, 485 f. 28 OLG Düsseldorf NJW 1992 1119 m. Anm. Mitsch JZ 1992 979; BayObLG NJW 1986 441, 442 m. Anm. Keller JR 1986 30; OLG Hamm NJW 1965 62; VRS 32 441 f; OLG Celle NJW 1964 733; vgl. auch BGH NStZ 2007 463; Geilen Jura 1984 251, 255; Kuhlen JuS 1990 396, 399; Rogall SK Rdn. 14; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 4; Sch/Schröder/Bosch/ Schittenhelm Rdn. 5; Vormbaum NK Rdn. 25; Zopfs MK Rdn. 25 f; SSW/Geneuss Rdn. 10; Heinrich ZJS 2018 129, 134 f; diff. Fischer Rdn. 3a; abweichend Bockelmann BT III 41. 29 Zum Ganzen Krell HRRS 2015 483, 484 f. Im Ergebnis abweichend Dehne-Niemann NStZ 2015 677, 682 f. 30 So Langer FS Lackner 541, 562 f; GedS Schlüchter 361, 369 ff; Schneider NZV 1992 471, 472; Deutscher Straftatverdächtigung 127 ff. 173
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stärken des Verdachts die Rede sein.31 Etwas anderes ist es allerdings, wenn der eine Tatverdächtige die Beweislage zum Nachteil des anderen verfälscht oder wenn er zusätzlich irreführende auf die Täterschaft des Zeugen hinweisende Tatsachen behauptet.32 In diesen Fällen ist ein den Tatbestand verwirklichendes „Mehr“ gegeben.33 Eine verfahrensrechtlich statthafte Selbstbegünstigung34 kann daher auch dann nicht mehr anerkannt werden, wenn der Täter sich nicht mehr verteidigungsweise mit bloßem Leugnen unter Benennen des anderen als Täter begnügt, sondern wenn er angriffsweise den Verdacht gegen den anderen dadurch verstärkt oder untermauert, dass er ihn mit wahrheitswidrigen Behauptungen positiv einer Falschaussage bezichtigt.35 Vergleichbares gilt, wenn der Verdacht auf eine Person gelenkt wird, für deren Tatbegehung oder -beteiligung zuvor keine Anhaltspunkte bestanden (BGHSt 60, 198, 203);36 hier entspricht das Verdächtigen materiell nämlich gerade nicht dem Leugnen, da die Behörden erst durch die Bezichtigung überhaupt zu Ermittlungstätigkeiten veranlasst werden.37 Dies zeigt sich systematisch auch darin, dass § 164 kein generelles Selbstbegünstigungsprivileg (wie es sich in § 258 Abs. 5 findet)38 kennt,39 was eine weitere (historische [BT-Drucks. 16/6268 S. 15]) Stütze im heutigen Absatz 3 erhalten hat (BGHSt 60, 198, 204).40 Insoweit ist die Selbstbelastungsfreiheit hinreichend durch das Schweigerecht gewahrt (BGHSt 60, 198, 205).
7 c) Tatsächliches Vorbringen, Folgerungen. Für behördliche Verfahren und andere behördliche Maßnahmen genügen keine Vermutungen, Werturteile oder Schlussfolgerungen. Nur „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte“ können ein strafprozessuales Ermittlungsverfahren auslösen (§ 152 Abs. 2 StPO), nur „Tatsachen“ den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen. Eine Verdächtigung im Sinne von § 164 Abs. 1 liegt also nur vor, wenn das gesamte tatsächliche Vorbringen des Täters nicht nur nach seiner persönlichen Auffassung, sondern nach objektiv-richtiger Würdigung (RGSt 71 167, 170) einen Verdacht hervorruft oder verstärkt (OLG Karlsruhe NStZ-RR 1997 37, 38). Besteht Anlass zu der Annahme, dass der Verdächtige möglicherweise noch nicht strafmündig war, kann es erforderlich sein, dass sein Alter mitgeteilt wird (OLG Hamm NStZ-RR 2002 167). Werturteile und (tatsächliche oder rechtliche) Folgerungen als solche, mögen sie auf richtige oder falsche Tatsachenbehauptungen gestützt sein, eignen sich nicht zur Verdächtigung.41 Als Ausdruck subjektiver Vorgänge in der Gedankenwelt des Ver31 Ebenso: Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 5; Rogall SK Rdn. 15; Zopfs MK Rdn. 26; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 4; Vormbaum NK Rdn. 27; Geilen Jura 1984 251, 255; Keller JR 1986 30; Wessels/Hettinger/Engländer BT 1 Rdn. 773 f; Fahrenhorst JuS 1987 707, 708; Kuhlen JuS 1990 396, 399; Fezer FS Stree/Wessels 663, 674 ff; Bienko NZV 1993 98 abweichend Fischer Rdn. 3a; Langer FS Lackner 541, 563; GedS Schlüchter 361, 368. 32 Vgl. dazu OLG Düsseldorf NJW 1992 1119 m. Anm. Mitsch JZ 1992 979; OLG Hamm VRS 32 441, 442; OLG Celle NJW 1964 733, 734; ferner Rogall SK Rdn. 15; Fischer Rdn. 3b; Zopfs MK Rdn. 26; Vormbaum NK Rdn. 25 f, 28; Sch/ Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 5; SSW/Geneuss Rdn. 11; Kuhlen JuS 1990 396, 399; Geilen Jura 1984 251, 255; Wessels/Hettinger/Engländer BT 1 Rdn. 773 f. 33 Eingehend Krell HRRS 2015 483, 486 f. 34 Insgesamt krit. distanziert Dehne-Niemann NStZ 2015 677, 678 ff. 35 Vgl. dazu BayObLG NJW 1986 441, 442 m. Anm. Keller JR 1986 30, 31; OLG Düsseldorf NJW 1992 1119 m. Anm. Mitsch JZ 1992 979; Fischer Rdn. 3b; Rogall SK Rdn. 15 f; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 5; Lackner/Kühl/ Kühl Rdn. 4; Vormbaum NK Rdn. 27; Zopfs MK Rdn. 26; Wessels/Hettinger/Engländer BT 1 Rdn. 773 f; ferner auch Langer JZ 1987 804, 807 f und FS Lackner 541, 567 ff. 36 Vgl. Krell HRRS 2015 483, 485. 37 Vgl. OLG Hamm NStZ-RR 2013 276. 38 Eingehend Krell HRRS 2015 483, 489. 39 Löffelmann JR 2015 492; vgl. aber Krell HRRS 2015 483, 486 ff. 40 Löffelmann JR 2015 492. 41 RGSt 71 167, 170; BayObLGSt 1957 142; OLG Köln MDR 1961 618; OLG Neustadt GA 1961 184; KG JR 1963 351; OLG Celle NdsRpfl. 1965 260; OLG Frankfurt MDR 1966 1017; OLG Rostock NStZ 2005 335; Sch/Schröder/Bosch/ Schittenhelm Rdn. 6/7; Rogall SK Rdn. 11; Fischer Rdn. 3; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 4; Vormbaum NK 38; Langer FS Lackner 541, 557 ff; Müller DRiZ 1957 262; Schmitt NJW 1960 569. Wolters/Ruß
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dächtigenden können sie Verdachtstatsachen nicht ersetzen oder komplettieren (RGSt 71 167, 170). Natürlich können einfache Rechtsbegriffe deskriptiv verwendet werden, in die Form von Werturteilen gekleidete Äußerungen („X ist ein Dieb“) Tatsachenbehauptungen sein, wenn sie in äußerlich erkennbarer Weise zu „greifbaren, des Beweises fähigen Tatsachen“ in Beziehung gesetzt werden (RGSt 41 193, 194; 68 120, 122). Unter dem Gesichtspunkt des Verdächtigens sind allein diese Tatsachen (die ausdrücklich genannten und diejenigen, auf welche in äußerlich erkennbarer Weise angespielt wird) von Interesse. Die auf Tatsachen gestützte Verdächtigung muss dem Denunzierten ein bestimmtes, durch 8 individuelle Merkmale konkretisiertes Verhalten, eine „rechtswidrige Tat“ oder eine Dienstpflichtverletzung (vgl. Rdn. 15 und 17), zur Last legen, auf dessen juristisch-technische Benennung durch den Täter es nicht ankommt (BayObLGSt 1930 78, 79). Das bedeutet nicht, dass der Denunziant alle äußeren und inneren Merkmale eines strafgesetzlichen Tatbestands oder einer Handlung, die disziplinarisch geahndet werden kann, als verwirklicht darzulegen hat. Es genügt, wenn er ein Geschehen schildert oder im Wege der Beweismittelfiktion andeutet (Rdn. 5), das zu einem „Einschreiten“ (§ 152 Abs. 2), zu einer „Aufklärung des Sachverhalts“ Anlass geben kann (RGSt 41 59, 60). Ist aus den Tatsachenbehauptungen des Verdächtigenden ohne weiteres zu ersehen, dass eine den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllende Handlung, also eine Handlung, welche die Merkmale der Verbotsmaterie aufweist (vgl. Jescheck/Weigend § 25 I 2)42 oder eine Handlung, die disziplinarisch geahndet werden kann, nicht in Betracht kommt, fehlt es an der äußeren Tatseite des § 164 Abs. 1; hierzu gehört auch das Erfordernis eines Strafantrags (OLG Stuttgart NStZ-RR 2014 276). Auf die Meinung des Täters, er lege dem Denunzierten eine mit Strafe bedrohte Handlung oder eine Dienstpflichtverletzung zur Last, kommt es nicht an. Der Versuch der Falschverdächtigung ist nicht mit Strafe bedroht.43 An der Rechtslage ändert sich nichts, wenn die Staatsanwaltschaft einer Anzeige ohne „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte“ für eine Straftat auf Grund unzutreffender rechtlicher Überlegungen Folge gibt (RG Recht 1911 1844; Rdn. 15).
d) Unwahrheit. Die Verdächtigung muss in ihrem wesentlichen Inhalt (Rdn. 11) objektiv un- 9 wahr sein. Das ist eine Binsenwahrheit, die aus dem Erfordernis des Handelns wider besseren Wissens abgeleitet (Frank Anm. II 4) und nicht in Abrede gestellt wird.44 Gewonnen ist mit dieser Aussage jedoch nichts, weil sie offenlässt, welcher Teil einer Verdächtigung im Gegensatz zur Wirklichkeit stehen muss. Die Frage ist, ob über „wahr“ und „unwahr“ die Berechtigung des Vorwurfs, also das Ergebnis des Beweisverfahrens über die dem Verdächtigten zur Last gelegte Tat, entscheidet oder ob die vorgetragenen Tatsachen für die Beurteilung der Tatbestandsmäßigkeit maßgebend sind. Die Rechtsprechung (BGHSt 35 50)45 und ein Teil des Schrifttums46 stehen auf dem Standpunkt, dass das Ergebnis des Beweisverfahrens über die dem Verdächtigten zur Last gelegte Tat entscheidet. Maßgebend nach dieser Auffassung ist daher nicht, was der Täter an Fakten verbal oder auf andere Weise unterbreitet hat, um einen anderen zu beschuldigen, sondern ob die Verdächtigung als solche nach dem Ergebnis des Beweisverfahrens 42 Vgl. Heinrich ZJS 2018 129, 131 f. 43 BayObLGSt 1930 78, 79; 1957 142; OLG Köln MDR 1961 618; KG JR 1963 351; OLG Hamm NStZ-RR 2002 167, 168; OLG Rostock NStZ 2005 335; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 10; Fischer Rdn. 5b; ferner Rogall SK Rdn. 23; Vormbaum NK Rdn. 42 ff; Zopfs MK Rdn. 29 ff; Langer FS Tröndle 265, 268 f. 44 Aus Judikatur und Rechtsprechung vgl. nur: BGH bei Dallinger MDR 1956 270; RGSt 71 167, 169; OLG Köln NJW 1952 117; OLG Celle MDR 1961 618, 619; Frank Anm. II 4; Kohlrausch/Lange Anm. VIII; Fischer Rdn. 6; Lackner/ Kühl/Kühl Rdn. 7; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 15; Rogall SK Rdn. 25; Zopfs MK Rdn. 33 ff; Vormbaum NK Rdn. 49; Wessels/Hettinger/Engländer BT 1 Rdn. 775. 45 S. auch BGH 1 StR 601/53 v. 24.11.1953. 46 RGSt 16 37, 39; 39 58, 59; OLG Frankfurt HESt 2 258; OLG Köln NJW 1952 117; OLG Düsseldorf StraFo 1999 64 f; OLG Rostock NStZ 2005 335; Fischer Rdn. 6; Rahmlow AnwK Rdn. 16; Schilling GA 1984 345 und GedS Armin Kaufmann 595 ff; Krey/Hellmann/Heinrich BT 1 Rdn. 796. 175
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über die dem Verdächtigten vorgeworfene rechtswidrige Tat (oder Dienstpflichtverletzung) als widerlegt angesehen werden kann. Unabhängig von der Richtigkeit der behaupteten Bezichtigung kommt es nach dieser Auffassung darauf an, ob der Verdächtigte beispielsweise das Haus in Brand gesetzt hat (RGSt 16 37, 38), am Postraub beteiligt war (RG HRR 1938 Nr. 1568) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat (OLG Köln NJW 1952 117). Nur die eindeutige Feststellung, dass der Verdächtigte „unschuldig“ sei, gestatte es, die Bezichtigung als objektiv falsch zu bewerten (vgl. auch BGH NStZ 2007 463). Ein auch nur geringer Zweifel an der „Unschuld“ des Denunzierten kommt danach dem Denunzianten zugute, auch wenn er zur Begründung des nicht erwiesenermaßen falschen Verdachts gelogen oder in raffinierter Weise Beweisanzeichen fingiert hat; er ist nur strafbar, wenn seine Verdächtigung erweislich unwahr ist. Hält der Täter den Verdächtigten aus subjektiven Gründen für (möglicherweise) schuldig, muss danach ein Handeln wider besseres Wissen entfallen (vgl. RG HRR 1938 Nr. 1568; OLG Frankfurt HESt 2 258). 10 Mit der überwiegenden Lehre47 ist der Gegenmeinung zu folgen, die eine ex-post-Betrachtung bei der Bewertung der Richtigkeit der Verdächtigung ablehnt. Sie geht davon aus, dass die Frage, ob die Verdächtigung objektiv wahr oder unwahr ist, der Verdachtsmaterie gegenüber erhoben werden muss, mit der Folge, dass es gleichgültig ist, ob der Täter im Ergebnis (unter dem Gesichtspunkt der Berechtigung des Vorwurfs) nicht nachweisbar falsch verdächtigt hat und ob seine Annahme, der Denunzierte sei (möglicherweise) schuldig, mehr oder weniger autistischem Denken entspringt. Die Auffassung, dass es nur um die Richtigkeit der Verdachtstatsachen gehe, hat die tatbestandsimmanente Logik für sich: Auf Grund tatsächlicher Anhaltspunkte werden behördliche Maßnahmen eingeleitet (fortgeführt). Um sie geht es bei den tatbestandsrelevanten (Beweis-)Behauptungen, die der Täter äußert oder bei den Beweislagen, die er schafft (Rdn. 5 und 7). Die Wahrheit oder Unwahrheit der vom Täter vorgebrachten Fakten ist infolgedessen das allein Ausschlaggebende. Gegen diese Auffassung spricht auch nicht das Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG. Die Entscheidung BGHSt 35 50, 53 geht ebenfalls davon aus, dass der Wortlaut der Vorschrift diese Auslegung nicht ausschließt. Auch die von Krey/ Hellmann/Heinrich (BT 1 Rdn. 796 ff) in dieser Richtung geäußerten Bedenken erscheinen nicht begründet; denn auch derjenige, welcher weiß, dass der Verdächtigte eine bestimmte Straftat begangen hat, bezichtigt falsch im Sinne des § 164 Abs. 1, wenn er versucht, durch seine Falschdarstellung dessen Verurteilung zu erreichen, die auf ein mit rechtsstaatlichen Erfordernissen nicht zu vereinbarendes Ermittlungsverfahren zurückzuführen ist (vgl. Deutscher JuS 1988 526, 528). Auch der Hinweis auf § 164 Abs. 2 (vgl. Geilen Jura 1984 300, 303; Sch/Schröder/Bosch/ Schittenhelm Rdn. 16) zur Stützung ihrer Auffassung, dass die Mitteilung unrichtiger Anhaltspunkte unabhängig vom Vorliegen einer rechtswidrigen Handlung tatbestandsmäßig auch in Fällen des Absatzes 1 ist, kann nicht damit beiseite geschoben werden, dass es sich bei § 164 Abs. 2 um einen anderen Fall handle (vgl. BGHSt 35 50, 54); denn dies ändert nichts daran, dass aus der Fassung des Absatzes 2 ein für die Auslegung des Absatzes 1 geeignetes Kriterium entnommen werden kann (zutr. Deutscher JuS 1988 526, 528). Daraus folgt für den subjektiven Tatbestand, dass der Täter wider besseres Wissen handelt, wenn er weiß, dass seine Behauptungen der Wirklichkeit nicht entsprechen, die von ihm beigebrachten Indizien bloße Fiktionen sind. Im Übrigen ist es die Konsequenz dieser Auffassung, dass sie auch den Verdächtigten und den Schuldigen schützt, wenn und solange er nach verfahrensrechtlichen Grundsätzen mangels „zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte“ nicht in ein Verfahren verstrickt werden darf und dass sie den Denunzianten nicht schon deshalb vor Strafe bewahrt, weil er (möglicherweise) nicht wider die eigene Überzeugung in der Schuldfrage handelt, wenn er wissentlich lügt oder 47 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 16; Rogall SK Rdn. 26; Zopfs MK Rdn. 34; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 7; Vormbaum NK Rdn. 50 ff; SSW/Geneuss Rdn. 13; Geilen Jura 1984 300, 303; Langer GA 1987 289, 302; FS Tröndle 265, 278 ff; GedS Schlüchter 361, 363 ff, 373 ff; Deutscher JuS 1988 526; Fezer NStZ 1988 177; Otto Jura 2000 217, 218; Grundkurs Strafrecht BT § 95 Rdn. 6; Rengier BT II § 50 Rdn. 12; vgl. auch BGH 1 StR 509/84 vom 4.9.1984; RGSt 71 167, 169 f; OLG Frankfurt MDR 1966 1017; OLG Karlsruhe Die Justiz 1966 158; OLG Hamburg StV 1986 343, 344. Wolters/Ruß
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II. Tathandlung des § 164 Abs. 1
StGB § 164
Beweismittel fälscht. Andererseits gilt: Wer (aus Irrtum oder auch wider bessere Einsicht) einen nach der Verdachtsmaterie haltlosen („falschen“) Vorwurf erhebt, kann nicht auf Grund dieses Vorwurfs ohne Tatsachenbasis tatbestandsmäßig handeln.48
e) Wesentlicher Inhalt einer Verdächtigung, Übertreibung, Entstellung. Wahrheit oder 11 Unwahrheit der Verdächtigung sind nur von Interesse, soweit es um den zur Begründung (Verstärkung) eines Verdachts wesentlichen Inhalt geht. Er muss im Gegensatz zur Wirklichkeit stehen. Was (nach rechtlichem Maßstab) für die Beurteilung (Qualifizierung) unwesentlich ist, fällt auch unter dem Aspekt der Wahrheitsfrage nicht ins Gewicht. Übertreibungen, Entstellungen (die auch durch Verschweigen von Tatsachen zustande kommen können [dazu BVerfG NJW 2008 570]) und andere Unrichtigkeiten, die den auf der Grundlage des wahren Tatsachenvorbringens sich ergebenden Charakter des strafrechtswidrigen Verhaltens nicht zum Nachteil des Verdächtigten verändern, sondern „nur“ für das Maß der Schuld und für die Strafzumessung Bedeutung gewinnen können, sind unerheblich.49 Zur Falschverdächtigung werden sie, wenn dadurch die dem Denunzierten zur Last gelegte Handlung erst zu einer mit Strafe bedrohten Tat oder zu einer schwereren Verfehlung wird,50 oder wenn das Geschehen, das sich aus den unwahren Fakten ergibt, zum wirklichen Geschehen in einem solchen Missverhältnis steht, dass die Verdächtigung „der Hauptsache nach“ falsch ist (BGH bei Dallinger MDR 1956 270; RGSt 27 229, 230). Tatbestandsrelevant sind Übertreibungen, Entstellungen und andere Unrichtigkeiten auch dann, wenn dadurch der wahre Sachverhalt so verändert wird, dass der Anschein entsteht, der Verdächtigte habe weitere selbständige Straftaten (§ 53) begangen oder habe durch seine Handlung mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrmals (§ 52) verletzt.51 Es ist kein Grund ersichtlich, der dafür spräche, für die rechtliche Handlungseinheit etwas anderes anzunehmen; dasselbe musste gelten für die – früheren (vgl. BGHSt 40 138) – Fälle einer fortgesetzten Handlung. Im Falle des Vorwurfs eines Meineids (fahrlässigen Falscheids), einer uneidlichen Falsch- 12 aussage oder einer falschen Verdächtigung ergeben sich aus der Auffassung, dass Übertreibungen, Entstellungen und andere Unrichtigkeiten in der Regel nur dann tatbestandsmäßig sind, wenn sie die strafrechtliche Qualifizierung der Tat zum Nachteil des Verdächtigten beeinflussen,52 folgende Konsequenzen: Alle Bekundungen (Anschuldigungen), die im Falle ihrer Unrichtigkeit für die rechtliche Beurteilung eine Einheit bilden würden (einen Meineid, eine uneidliche Falschaussage, ein Vergehen nach § 164), bilden diese Einheit auch, wenn sie Gegenstand einer Verdächtigung im Sinne von § 164 Abs. 1 sind. Trifft die Verdächtigung in einem Punkt (möglicherweise) zu, wird sie nicht deshalb zur falschen Verdächtigung, weil sie in anderen Punkten auf unwahre Tatsachen gestützt ist.53 Tatbestandsmäßig ist sie aber dann, wenn der mit wahren Tatsachenangaben zutreffend als falsch beanstandete Punkt von völlig untergeordneter Bedeutung gegenüber den Punkten ist, die der Denunziant mit unwahren Fakten angreift (RGSt 28 390, 394; BayObLGSt 1952 274, 275), wenn die Verdächtigung infolgedessen „der Hauptsache nach“ unrichtig ist (BGH bei Dallinger MDR 1956 270; RGSt 27 229, 230). – Für
48 BGH 1 StR 509/84 v. 4.9.1984; OLG Köln MDR 1961 618; KG JR 1963 351; Rdn. 7. 49 BGH JR 1953 181; BGH bei Dallinger MDR 1956 270; RGSt 13 12, 13; 15 391, 395; 27 229; 28 390, 393; 41 59, 60 f; BayObLGSt 1930 228, 229; 1952 274; 1955 225, 226 f; OLG Karlsruhe Die Justiz 1986 195, 196; Rogall SK Rdn. 28; Vormbaum NK Rdn. 55; Zopfs MK Rdn. 35 f; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 17; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 7; SSW/Geneuss Rdn. 14; Wessels/Hettinger/Engländer BT 1 Rdn. 776; Rengier BT II § 50 Rdn. 10. 50 BGH bei Dallinger MDR 1956 270; RGSt 15 391, 395; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 7; Rogall SK Rdn. 28; Zopfs MK Rdn. 36; Vormbaum NK Rdn. 54. 51 Vgl. OLG München NStZ 2010 219; BGH bei Dallinger MDR 1956 270; RG GA 1896 136; GA 1907 422. 52 BGH bei Dallinger MDR 1956 270; RGSt 13 12, 13; 28 390, 393; BayObLGSt 1955 225. 53 RGSt 28 390, 393; BayObLGSt 1930 228, 229 f; 1952 274; 1955 225, 227; OLG Karlsruhe Die Justiz 1986 195, 196; Rogall SK Rdn. 28; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 17. 177
Wolters/Ruß
§ 164 StGB
Falsche Verdächtigung
Dienstpflichtverletzungen gelten entsprechende Erwägungen: Tatbestandsmäßig sind Übertreibungen, Entstellungen und andere Unrichtigkeiten, wenn dadurch das dem Denunzierten vorgeworfene Fehlverhalten erst zu einer Dienstpflichtverletzung wird, wenn dadurch eine tatsächlich begangene Dienstpflichtverletzung eine wesentlich andere „Qualität“ erhält (vgl. BayObLGSt 1930 228, 230) oder wenn dadurch weitere Dienstvergehen fingiert werden (vgl. BayObLGSt 1955 225, 226).
13 f) Aufklärungszweck. Die Verdächtigung, die nur Aufklärung bezweckt, den Sachverhalt, der dem Verdächtigenden bekannt ist, richtig und vollständig wiedergibt und Zweifel oder Ungewissheiten nicht verschweigt, ist entweder wahr oder zwar in einzelnen Punkten unwahr, aber nicht wider besseres Wissen geäußert. Aus dem einen oder anderen Grunde entfällt § 164 Abs. 1.54 Auf die Schlussfolgerungen des Verdächtigenden kommt es, wie schon dargelegt (Rdn. 7), nicht an. Beruht sein Wissen auf Informationen eines anderen und gibt er unter Benennung des anderen das wieder, was er von ihm erfuhr, sagt er nichts Falsches (Schmitt NJW 1960 569). Das bloße Weiterleiten einer fremden Verdächtigung (vgl. BGHSt 14 240, 245; Langer Festschrift Lackner 541, 548) ist in der Regel kein Verdächtigen. Dies gilt vor allem für das Weiterleiten innerhalb eines behördlichen Dienstbetriebes an den zuständigen Sachbearbeiter.55 Weiß derjenige, der weiterleitet, dass das, was er erfahren hat, (ganz oder in wesentlichen Punkten) unrichtig ist, handelt er tatbestandsmäßig, wenn er die Information weitergibt, sein Wissen aber verschweigt (BGHSt 14 240, 246).56 Denn mit der Weitergabe der fremden Behauptungen erklärt er konkludent, dass er sie für (möglicherweise) wahr hält, weil sie für ihn nur unter dieser Voraussetzung Anlass zu dem von ihm erstrebten behördlichen Einschreiten sein können (vgl. Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 19; Rogall SK Rdn. 13). Nach BGHSt 14 240, 246 macht derjenige, der so handelt oder bei der Weitergabe wesentliche Tatsachen entstellt, unterdrückt oder hinzudichtet, die fremde Verdächtigung zu seiner eigenen. Im Ergebnis ist das kein Unterschied.
14 g) Verdächtigen durch Unterlassen. Verdächtigt werden kann bei Bestehen einer Garantenpflicht auch durch Unterlassen, solange das in Gang gesetzte Verfahren fortdauert: In Betracht kommt vor allem eine Rechtspflicht zum Handeln auf Grund vorangegangenen gefährdenden Tuns: Wer unter Berufung auf unwahre Tatsachen, wenn auch nicht wider besseres Wissen, die Strafverfolgungsbehörde veranlasst hat, gegen einen anderen einzuschreiten, hat den objektiven Unrechtstatbestand des § 164 Abs. 1 verwirklicht. Das dürfte genügender Anlass sein von ihm zu verlangen, dass er sein Vorbringen korrigiert oder ergänzt, sobald er Kenntnis vom wahren Sachverhalt erlangt (vgl. BGHSt 14 240, 246).57 Sicher ist nicht zu bestreiten, dass der Unrechtserfolg der Herbeiführung eines Verfahrens im Zeitpunkt der Kenntniserlangung bereits eingetreten war. Aber das ist kein durchschlagendes Argument. Das Gesetz verbietet auch, dass man (durch Tun oder Unterlassen) ein Verfahren fortdauern lässt. In der Fortdauer und einem auf unwahren Fakten beruhenden Ergebnis des Verfahrens können die viel gravierenderen Unrechtserfolge liegen.
54 OLG Frankfurt MDR 1966 1017; OLG Karlsruhe NStE § 164 StGB Nr. 2; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 18; Rogall SK Rdn. 27; vgl. ferner Bockelmann NJW 1959 1849, 1851; Schmitt NJW 1960 569.
55 Vgl. OLG München NStZ 1985 549; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 19 f; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 4; Rogall SK Rdn. 13; vgl. auch Vormbaum NK Rdn. 36 sowie Rahmlow AnwK Rdn. 12; SSW/Geneuss Rdn. 7. 56 Abweichend Langer Festschrift Lackner 541, 549. 57 Fischer Rdn. 4; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 21; Rengier BT II § 50 Rdn. 14; Geilen Jura 1984 251, 256; abweichend Rogall SK Rdn. 24; Zopfs MK Rdn. 27; Vormbaum NK Rdn. 22; Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf BT § 48 Rdn. 10. Wolters/Ruß
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II. Tathandlung des § 164 Abs. 1
StGB § 164
2. Tathandlung des § 163 Abs. 2 Einer „rechtswidrigen Tat“ oder der Verletzung einer Dienstpflicht muss ein anderer in Fäl- 14a len des § 164 Abs. 1 verdächtigt werden.
a) Rechtswidrige Tat. Einer „rechtswidrigen Tat“ wird ein anderer nicht nur und nicht stets 15 dann bezichtigt, wenn ihm eine Handlung, die den Unrechtstatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 5), zur Last gelegt wird. Das Merkmal „rechtswidrige Tat“ ist aus terminologischen Harmonisierungsbestrebungen an die Stelle des Merkmals „strafbare Handlung“ gesetzt worden (vgl. Entstehungsgeschichte vor Rdn. 1).58 Der unbedachte Eingriff in die Verbotsmaterie gewinnt einen akzeptablen Sinn, wenn man in ihm nichts anderes als eine „Klarstellung“ findet, die besagt, dass im Rahmen des § 164 Abs. 1 neben Dienstpflichtverletzungen nur strafrechtswidrige Handlungen als Gegenstand einer Beschuldigung in Betracht kommen,59 nicht also Ordnungswidrigkeiten (vgl. BGHSt 28 93, 94 f; BGH bei Holtz MDR 1978 623; BayObLG NJW 1981 772). An eine substantielle Aushöhlung der Vorschrift hat bei der Änderung ihres Wortlauts niemand gedacht. Er steht einer Interpretation nicht entgegen, die in Übereinstimmung mit der Auslegung des früheren § 164 Abs. 1 maßgebliche Gesichtspunkte aus dem Zweck der Bestimmung gewinnt: Sie will verhindern, dass auf falscher Tatsachengrundlage Verfahren in Gang gesetzt oder fortgeführt werden, bei denen es um die Frage geht, ob gegen den, der einer „rechtswidrigen Tat“ verdächtigt worden ist, strafrechtliche Sanktionen in Betracht kommen. Lässt schon die Verdächtigung ohne weiteres und eindeutig erkennen,60 dass jedwede strafrechtliche Sanktion (auch eine Verurteilung nach § 323a, ein Schuldspruch unter Absehen von Strafe, die selbständige Anordnung einer Maßregel nach § 71 oder der Einziehung eines Gegenstands nach §§ 73 f) entfällt, etwa deshalb, weil die Antragsfrist abgelaufen, die Strafverfolgung verjährt,61 der Verdächtigte strafunmündig oder wegen eines zu seinen Gunsten eingreifenden Strafausschließungsgrundes nicht strafbar ist,62 aber auch deshalb, weil der Denunzierte sich offensichtlich nur gegen einen rechtswidrigen Angriff verteidigte oder weil er freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgab, so ist die Verdächtigung ungeeignet, ein Verfahren auszulösen oder fortdauern zu lassen. Im Falle ihrer objektiv-richtigen Behandlung (eine falsche Behandlung kann nicht zu Lasten des Verdächtigenden gehen)63 ist eine Rechtsgutsgefährdung ausgeschlossen. Infolgedessen entfällt der objektive Tatbestand.64 Diese auf die ratio legis gestützten Überlegungen, die sich für § 164 Abs. 2 erübrigen, weil diese Vorschrift ausdrücklich verlangt, dass die verdächtigenden Behauptungen geeignet sind, behördliche Maßnahmen herbeizuführen oder fortdauern zu lassen, haben eine Kehrseite: Die objektiv-teleologische Interpretation muss § 164 Abs. 1 auf Fälle erstrecken, in welchen der Täter einen anderen mit wahren Angaben einer den Unrechtstatbestand eines Strafgesetzes verwirklichenden Handlung verdächtigt, aber dabei Umstände verschweigt, aus welchen sich ohne weiteres und eindeutig ergäbe, dass die tatbestandsmäßige Handlung aus materiell- oder verfahrensrechtlichen Gründen 58 S. dazu den Überblick bei Heinrich ZJS 2018 129, 130 ff. 59 Hilgendorf LK § 11 Rdn. 78; Sch/Schröder/Hecker § 11 Rdn. 39 ff; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 10; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 5; Fischer Rdn. 5; Vormbaum NK Rdn. 42; Zopfs MK Rdn. 29 ff; Rogall SK Rdn. 19 ff; SSW/Geneuss Rdn. 15; Rengier BT II § 50 Rdn. 8; Wessels/Hettinger/Engländer BT 1 Rdn. 695. 60 Vgl. RGSt 21 101, 103; OLG Köln JR 1955 273; OLG Karlsruhe NStZ-RR 1997 37, 38; OLG Hamm NStZ-RR 2002 167, 168; BGHR § 164 I Verdächtigung 2. 61 S. dazu Krell NStZ 2011 671, 672 f. 62 S. dazu Krell NStZ 2011 671, 673 f. 63 RGSt 21 101, 104; RG Recht 1911 1844; OLG Köln JR 1955 273. 64 BGHR § 164 I Verdächtigung 2; RGSt 21 101, 103; OLG Köln JR 1955 273; OLG Karlsruhe NStZ-RR 1997 37, 38; OLG Brandenburg NJW 1997 141, 142; OLG Hamm NStZ-RR 2002 167, 168; Blei BT 108 I 2b; Frank Anm. I 3; Kohlrausch/ Lange Anm. VII; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 5; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 10; Rogall SK Rdn 19; Fischer Rdn. 5b; Zopfs MK Rdn. 29 ff; Vormbaum NK Rdn. 42 f; Hirsch ZStW 89 (1977) 930, 932. 179
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§ 164 StGB
Falsche Verdächtigung
keine strafrechtlichen Folgen haben kann.65 In Fällen, in denen der Täter behauptet, ein anderer habe zu seinem Nachteil eine als Straftat zu ahndende üble Nachrede begangen, gehört zu diesen Umständen die Wahrheit dessen, was dem Denunzianten nachgeredet worden ist. Die Annahme, es sei nicht beweisbar, gestattet es ihm nicht, wenn er durch Falschverdächtigung zum Angriff übergeht, das Beweisrisiko des „Nachredenden“ in der Weise zu seinen Gunsten auszuschlachten, dass er die Wahrheit unterdrückt (RGSt 7 207, 209; 19 386, 389). 16 Entscheidend ist die Rechtslage im Zeitpunkt der Verdächtigung. Entfällt durch eine Gesetzesänderung die Strafbarkeit derjenigen Handlung, der ein anderer mit unwahren Angaben und wider besseres Wissen verdächtigt worden ist, so entfällt nicht die Strafbarkeit des Verdächtigenden.66 Zwischen dem Unrechts- und Schuldgehalt seines Tuns und dem Wechsel in der Bewertung der von ihm aus verwerflicher Absicht fingierten Tat besteht keine „innere Abhängigkeit“ (vgl. dazu BGHSt 14 156, 158).
17 b) Dienstpflichtvergehen. Dienstpflichtverletzungen (vgl. § 77 BBG; § 23 SoldatenG) sind Handlungen (Dienstvergehen), die bestimmte Merkmale aufweisen (Rdn. 18) und mit Disziplinarmaßnahmen geahndet werden können (vgl. §§ 2, 5 BDG § 15 Abs. 1 WDO). Auch ein Verhalten außerhalb des Dienstes (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG; § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtenStG; §§ 17, 23 SoldatenG) kann ein Dienstvergehen sein (RGSt 33 29, 31). Was lediglich als Dienstvergehen gilt (vgl. § 77 Abs. 2 BBG; § 47 Abs. 2 BeamtenStG § 23 Abs. 2 SoldatenG), kommt als Dienstpflichtverletzung im Sinne von § 164 Abs. 1 nicht in Betracht (vgl. RGSt 35 99, 100). Wer einem anderen wider besseres Wissen ein als Dienstvergehen geltendes Verhalten nachsagt, kann sich aber nach § 164 Abs. 2 strafbar machen.67 Ein Dienstvergehen liegt im schuldhaften Verstoß gegen eine Dienstpflicht oder gegen 18 mehrere Dienstpflichten. Mangelnde Eignung oder Bewährung sind keine Dienstvergehen. Dienstpflichten ergeben sich nur aus öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnissen. Standespflichten können nicht als „Dienstpflichten“ angesehen werden. § 164 Abs. 1 a. F. sprach von „Amtsoder Dienstpflicht“. Dieser Wortgebrauch ließ es als vertretbar erscheinen, Pflichtverletzungen von Rechtsanwälten oder Ärzten als „Amtspflichtverletzungen“ einzubeziehen (vgl. RG JW 1936 1604 Nr. 10). Mit der Begrenzung des Gegenstands der Verdächtigung auf Dienstpflichtverletzungen ist die Möglichkeit der Einbeziehung im Wege der Interpretation entfallen. Wer einem Arzt oder einem Rechtsanwalt mit unwahren Behauptungen eine Verletzung seiner Berufspflichten vorwirft, kann sich aber nach § 164 Abs. 2 strafbar machen (OLG Karlsruhe NStE § 164 StGB Nr. 2).68
19 c) Alternative Feststellung. Der Täter braucht nicht zu sagen, ob er das Verhalten, das er einem anderen zur Last legt, als „rechtswidrige Tat“ oder als Dienstpflichtverletzung beurteilt und verfolgt wissen möchte. Es genügt, dass die Verfolgung so oder so in Betracht kommt und gewollt wird. Eine Verurteilung mit der Feststellung, dass der Angeklagte wider besseres Wissen 65 BGH bei Dallinger MDR 1956 270; BGHSt 14 240, 246; RGSt 7 207, 209; 19 386, 387; 21 101, 103; 23 371, 373; OLG Brandenburg NJW 1997 141; OLG Karlsruhe NStZ-RR 1997 37; Geilen Jura 1984 300, 301; Frank Anm. II 4; Kohlrausch/ Lange Anm. VIII; Fischer Rdn. 5b; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 5; diff. Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 10 nur für Fälle, in denen die fraglichen Umstände materiellrechtlicher Art sind (nicht bei prozessualen Umständen); abweichend Rogall SK Rdn. 24; Zopfs MK Rdn. 31. 66 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 10; Rogall SK Rdn. 20; Fischer Rdn. 5; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 99 Rdn. 12; abweichend BayObLGSt 1974 34 m. abl. Anm. K. Meyer JR 1975 69, 70; ebenso Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 5; Vormbaum NK Rdn. 44; Zopfs MK Rdn. 29. 67 OLG Karlsruhe Beschl. v. 2.12.1988 - 1 Ws 239/88 (juris); Vormbaum NK Rdn. 45; Zopfs MK Rdn. 32; Rogall SK Rdn. 22; abweichend Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 5. 68 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 11; Rogall SK Rdn. 22; Zopfs MK Rdn. 32; Vormbaum NK Rdn. 45, 75; Rahmlow AnwK Rdn. 6; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 5 f. Wolters/Ruß
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III. Tathandlung des § 164 Abs. 2
StGB § 164
einem anderen entweder eine mit Strafe bedrohte Handlung oder ein Dienstvergehen vorgeworfen hat, ist möglich (vgl. auch RGSt 20 268, 269; BayObLGSt 1955 225, 226). Kommt es dem Verdächtigenden jedoch nur auf Strafverfolgung an und ist seine Verdächtigung insoweit nicht als eine den Tatbestand erfüllende Handlung anzusehen, darf nicht geprüft werden, ob seine Behauptungen den unwahren Vorwurf eines Dienstvergehens enthalten (BayObLGSt 1930 78, 79).
3. Verdächtigung eines anderen „Ein anderer“ muss verdächtigt werden. Das bedeutet, dass eine bestimmte, vorhandene und 20 erkennbare, also verfolgbare Person beschuldigt werden muss.69 Es reicht nicht aus, dass der Täter sich selbst oder eine nicht existierende Person bezichtigt (schulmäßig auslegend OLG Stuttgart NJW 2018 1110, 1111 ff m. zust. Anm. Mitsch [„beeindruckende Entscheidungsbegründung“]).70 Solche Bezichtigungen wie auch die mit unwahren Tatsachenangaben begründete Anzeige ohne Benennung eines Beschuldigten sind Tathandlungen für § 145d. Eine falsche Verdächtigung im Sinne von § 164 Abs. 1 ist es jedoch, wenn derjenige, der eine Straftat erfunden und angezeigt hat, auf Befragen der Polizei einen bestimmten anderen als Täter „nachliefert“ (RGSt 42 18). Nicht erforderlich ist es, dass der Verdächtigte genau und richtig bezeichnet wird. Es reicht aus, dass er so weit erkennbar gemacht ist, dass er als der vom Verdächtigenden Gemeinte unschwer ermittelt werden kann.71 Der notwendige Grad der Konkretisierung ist erreicht, wenn der Denunziant zum Ausdruck bringt, dass der Verdächtigte einem abgegrenzten kleinen Personenkreis angehört, jeder aus diesem Kreise der Tat fähig sei und infolgedessen als verdächtig zu gelten habe.72 Dagegen genügt es nicht, wenn der Verdächtigende sich darauf beschränken will und beschränkt, der Behörde einen Hinweis zu geben, in welchem Personenkreis sie den Schuldigen zu suchen habe und ihr das Weitere überlässt (RG JW 1930 3554 Nr. 13). Gerät ein anderer als derjenige, den der Denunziant verdächtigen wollte, in Verdacht, so ist das eine durchaus beachtliche Abweichung vom erstrebten Geschehensablauf (vgl. Rdn. 30a).
III. Tathandlung des § 164 Abs. 2 1. Tatsachenbehauptungen Die Tathandlung des § 164 Abs. 2 unterscheidet sich von der des § 164 Abs. 1 zweifach: a) Der Denunziant stellt eine „sonstige“ Behauptung tatsächlicher Art auf, d. h. er verdächtigt einen anderen nicht einer „rechtswidrigen Tat“ oder einer Dienstpflichtverletzung.73 Wenn er das tut, kommt nur § 164 Abs. 1 in Betracht (Rdn. 4). b) Der Denunziant stellt eine „Behauptung“ auf, er äußert mithin Verdachtstatsachen, bringt sie in Form der Kundgabe eines gedanklichen Inhalts vor. Die nichtkommunikative Erzeugung eines Verdachts durch gegenständliche Sachverhaltshinweise (Rdn. 5) scheidet für § 164 Abs. 2 als Tathandlung aus. Die Bestimmung bringt im Übrigen exakt zum Ausdruck, was für § 164 Abs. 1 erst im Wege der Interpretation klargestellt werden musste: Nur Behauptungen „tatsächlicher Art“ kommen als tatbestandsmäßige Handlung in Frage. Werturteile und Folgerungen ohne Tatsachengrund69 70 71 72
BGHSt 13 219, 220; RGSt 46 85, 87; 70 367, 368. S. auch Greiner NZV 2017 314 315 f. RGSt 53 206, 207; RG GA 1900 287; OLG Brandenburg NJW 1997 141, 142; Geilen Jura 1984 300, 305. RG JW 1930 3554 Nr. 13; Geilen Jura 1984 300, 306 f; Rogall SK Rdn. 29; Vormbaum NK Rdn. 39 f; Lackner/Kühl/ Kühl Rdn. 2; Fischer Rdn. 7; Zopfs MK Rdn. 16; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 22; SSW/Geneuss Rdn. 6. 73 Vgl. OLG Koblenz NStZ-RR 2013 44. 181
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20a 20b
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Falsche Verdächtigung
lage besagen nur etwas über Vorgänge im Kopfe des Denunzianten (Rdn. 7). Auch Behauptungen tatsächlicher Art sind für den Tatbestand ohne Interesse, wenn sie sich nicht dazu eignen, ein behördliches Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen herbeizuführen oder fortdauern zu lassen (vgl. Rdn. 15).
2. Behördliche Verfahren und Maßnahmen 22 Zu den in § 164 Abs. 2 gemeinten behördlichen Verfahren oder anderen behördlichen Maßnahmen gehören das Verfahren nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz, das etwa durch eine wissentlich unrichtige Unfallschilderung ausgelöst werden kann (BGH bei Holtz MDR 1978 623), Ehrengerichtsverfahren gegen Ärzte und Rechtsanwälte (OLG Karlsruhe NStE Nr. 2 zu § 164 StGB; ferner Rdn. 18), Verfahren zur Entziehung der Fahrerlaubnis, die Entziehung von Konzessionen, Approbationen oder akademischen Graden, die Einstellung von Sozialhilfe, die nicht auf eine Straftat gestützte Ausweisung oder Abschiebung eines Ausländers. Zivilprozessuale Verfahren und Entscheidungen sind für § 164 Abs. 2 ohne Bedeutung,74 jedoch sind Entscheidungen über Maßnahmen, die wegen Gefährdung des Kindeswohls gem. §§ 1666, 1671 BGB zur Regelung der Personen- oder Vermögenssorge erforderlich werden, nach den Entscheidungskriterien als behördliche Maßnahmen im Sinne von § 164 Abs. 2 anzusehen (BayObLG NJW 1958 1103).75
3. Unwahrheit der Behauptung 22a Die Tatsachenbehauptung muss wider besseres Wissen aufgestellt werden. Das bedeutet aus der Sicht des äußeren Tatbestands, dass sie objektiv unwahr sein muss (vgl. Rdn. 9 und 10).
IV. Adressaten der Verdächtigung 22b Als Adressaten der Verdächtigung nach Absatz 1 oder der Behauptung nach Absatz 2 kommen Behörden und bestimmte Amtsträger oder militärische Vorgesetzte in Betracht. Tatbestandsmäßig ist es auch, wenn öffentlich verdächtigt (behauptet) wird.
1. Behörde 23 Den Begriff der Behörde hat die Rechtsprechung einheitlich im staats- und verwaltungsrechtlichen Sinne entwickelt (BGHZ 3 110, 122). Behörde ist ein in seiner organisatorischen Stellung auf öffentlichem Recht beruhendes, in das Gesamtgefüge der Staatsverwaltung eingegliedertes, nach außen wirkendes Vertretungsorgan der Staatsgewalt, das eine vom Wechsel oder Wegfall physischer Personen unabhängige institutionelle Einheit bildet und dazu berufen ist, mit einer gewissen Selbständigkeit unter öffentlicher Autorität für die Erreichung der Zwecke des Staates oder der von ihm geförderten Zwecke tätig zu sein.76 Diese Definition wird inhaltlich auch vom
74 Fischer Rdn. 11; Vormbaum NK Rdn. 78; Rogall SK Rdn. 38; SSW/Geneuss Rdn. 17. 75 Vgl. ferner Vormbaum NK Rdn. 77 f; Rogall SK Rdn. 38; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 13; Fischer Rdn. 11, Zopfs MK Rdn. 38; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 6. 76 BVerfGE 10 20, 48; BGH MDR 1964 68, 69; BGHZ 3 110, 116 f; 25 185, 188 f; BGH NJW 1957 1673; GA 1968 84; BayObLG NStZ 1993 591, 592; OLG Frankfurt NJW 1964 1682; ferner RGSt 18 246, 250; 33 383, 385; 39 391, 392; 40 161; 47 49; 47 394, 395; 52 198; 54 149, 150. Wolters/Ruß
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IV. Adressaten der Verdächtigung
StGB § 164
Schrifttum weitgehend anerkannt.77 Auf die Art der übertragenen Aufgaben und die rechtlichen Formen ihrer Erledigung kommt es nicht entscheidend an. Die Behördeneigenschaft einer Stelle darf nicht schon deshalb verneint werden, weil sie keine hoheitlichen Rechte ausübt oder weil ihre Tätigkeit sich in privatrechtlichen Formen vollzieht (BGHZ 3 110, 118; 25 186, 189). Für den Behördenbegriff ist es auch gleichgültig, ob eine Dienststelle kollegial oder monokratisch organisiert ist, ob nur eine physische Person die Befugnisse wahrnimmt oder ob das mehrere – wenn auch im Rahmen eines monokratischen Systems – tun. Die von den zuständigen Trägern der Organisationsgewalt bei den juristischen Personen (Gebiets- oder Personalkörperschaften, Anstalten und Stiftungen) des öffentlichen Rechts gebildeten organisatorischen Einheiten sind Behörden, wenn die für sie geltende Kompetenzzuweisung öffentliche Aufgaben umfasst, die in den Bereich der staatlichen oder vom Staat geförderten Zwecke fallen, es sei denn, dass die maßgebliche gesetzliche Regelung der Subsumtion unter den Behördenbegriff entgegensteht (BGHZ 25 186, 194, 197). Die Organe privatrechtlich organisierter Gebilde können nur bei ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung Behörden gleichgestellt werden (BGHZ 3 110, 118, 121; 25 186, 192). Da die Gleichstellung nur in gewisser Beziehung erfolgt, spielt sie für § 164 keine Rolle.
a) Einzelfragen. Gemeinden und Gemeindeverbände nehmen nicht nur im Rahmen der staatli- 24 chen Auftragsangelegenheiten, sondern auch im Bereich der Selbstverwaltung an sich staatliche Aufgaben wahr. Ihre Organe sind jedenfalls dann Behörden, wenn sie vertretungsberechtigt sind und unmittelbare Verwaltungstätigkeit nach außen ausüben (OLG Frankfurt NJW 1964 1682).78 Das Schöffengericht ist schon in RGSt 19 260 als (Gerichts-)Behörde angesehen worden. Diese Auffassung stieß nicht deshalb auf Bedenken, weil Gerichte Akte der Rechtsanwendung setzen. Gerichte sind in das Gesamtgefüge der Träger der öffentlichen Gewalt eingegliederte Organe des Staates (vgl. Art. 20 Abs. 2 GG). Die Wahrnehmung von Funktionen der Rechtsprechung ist ebenso wie die Wahrnehmung von Verwaltungsfunktionen eine behördliche Aufgabe. § 11 Abs. 1 Nr. 7 stellt die Behördeneigenschaft von Gerichten ausdrücklich klar.79 Sie kommt den Gerichtseinheiten und ihren vertretungsberechtigten Organen, aber auch dem einzelnen Spruchkörper zu. Auch die Behördeneigenschaft der Staatsanwaltschaften ist nicht zu bezweifeln. Die Rechtsprechung hat die Behördeneigenschaft der Präsidenten der Rechtsanwaltskammern und der Ehrengerichte für Rechtsanwälte (RGSt 47 394), der selbständigen Strafvollzugsanstalten (BGH GA 1968 84), der Industrie- und Handelskammern (vgl. RGSt 52 198), der Handwerkskammern (LG Tübingen MDR 1960 780), der Fakultäten und Fachbereiche der Universitäten (RGSt 17 208, 210; 75 112, 114), der Vertretungsorgane der öffentlichen Sparkassen (RGSt 6 247; 39 391; BGHSt 19 19, 21), der deutschen Bundespost, auch in ihrem Teilbereich „Deutsche Bundespost Postbank“ (BayObLG NStZ 1993 591), der Gerichtskasse (RGSt 10 23), der Bundesdruckerei (vgl. RGSt 19 264) bejaht. Polizeireviere sind als Unterabteilungen einer Behörde angesehen worden (RGSt 39 358, 359). Mit Recht werden kirchliche Dienststellen nicht als Behörden betrachtet (RGSt 47 49; vgl. auch RGSt 56 399). In BGHZ 25 186, 194, 197 ist auf Grund der Terminologie der maßgeblichen Gesetze die Behördeneigenschaft der Krankenkassen, Berufsgenossenschaften, Knappschaften und ihrer Organe verneint worden.80 Die Entscheidung zeigt, dass es nicht stets genügt, nur danach zu fragen, ob die Merkmale des allgemeinen Behördenbegriffs gegeben sind. 77 Hilgendorf LK § 11 Rdn. 93 f; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 25 f; Rogall SK Rdn. 32; Fischer Rdn. 8; § 11 Rdn. 29; Lackner/Kühl/Kühl § 11 Rdn. 20; Zopfs MK Rdn. 11; Vormbaum NK Rdn. 32 f; SSW/Geneuss Rdn. 16.
78 Vgl. auch RGSt 40 161; RG GA 1889 425; LG Köln JZ 1969 80, 83. 79 Rogall SK Rdn. 31; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 25; Sch/Schröder/Hecker § 11 Rdn. 57; Hilgendorf LK § 11 Rdn. 95; Fischer § 11 Rdn. 29; Lackner/Kühl/Kühl § 11 Rdn. 20; Vormbaum NK Rdn. 33.
80 Rogall SK Rdn. 31; Vormbaum NK Rdn. 33; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 26; abweichend RGSt 74 268, 270; 76 105, 106; 76 209, 211; Martens NJW 1964 852; Haueisen NJW 1964 867. 183
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§ 164 StGB
Falsche Verdächtigung
24a b) Ausländische Behörde, Zugehen, Widerruf der Verdächtigung. Adressat einer Verdächtigung im Sinne von Absatz 1 oder einer Behauptung im Sinne von Absatz 2 kann auch eine ausländische Behörde sein.81 Diese Möglichkeit folgt aus der Alternativität der Schutzzwecke und der Schutzobjekte des § 164 (Rdn. 2). Es kommt nicht darauf an, ob die Behörde, der gegenüber verdächtigt wird, selbst ein 25 Verfahren einleiten oder Maßnahmen treffen kann. Es ist auch unerheblich, ob sie verpflichtet ist, eine Verdächtigung an die zuständige Behörde weiterzugeben (RGSt 71 265, 267).82 Die Verdächtigung gegenüber einem untergeordneten Beamten, der selbst zur Entgegennahme von Anzeigen nicht zuständig ist, wird zur Verdächtigung „bei einer Behörde“, wenn und sobald der Beamte an sie weiterleitet, was ihm mitgeteilt worden ist und der Denunziant (in dem Bestreben, ein Verfahren gegen den Denunzierten herbeizuführen oder fortdauern zu lassen) die Weiterleitung gewollt oder auch nur erwartet hat.83 Entsprechendes gilt, wenn eine Privatperson die Verdächtigung der Behörde unterbreiten soll und das auch tut (BGH GA 1968 84; RG GA 1894 236). Bis die Verdächtigung an die Behörde gelangt, kann sie zurückgenommen (fallen gelassen, widerrufen) werden (Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 35; Rogall SK Rdn. 30; Zopfs MK Rdn. 49; Fischer Rdn. 9; Vormbaum NK Rdn. 70). Wenn das geschieht, kommt sie als Tathandlung selbst dann nicht mehr in Betracht, wenn derjenige, dem gegenüber die Verdächtigung vorgebracht wurde, trotz des Widerrufs dienstlich verpflichtet ist, sie weiterzuleiten (RG GA 1905 246; OLG Hamm JMBlNRW 1964 129). Die Vollendung der Tat wird auch dann verhindert, wenn Anzeige (Verdächtigung) und Widerruf zusammentreffen (OLG Hamm JMBlNRW 1964 129; Fischer Rdn. 9; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 10), oder wenn der durch Angaben bei einer Vernehmung gegen einen anderen hervorgerufene Verdacht durch berichtigende Erklärungen vor dem Abschluss der Vernehmung entkräftet wird. Denn solange eine Vernehmung noch andauert, sind die Angaben des Vernommenen noch nicht als endgültige und abgeschlossene Bekundungen anzusehen. Solange fehlt es also an einer in sich abgeschlossenen definitiven Behauptung von Verdachtsgründen (OLG Hamm JMBlNRW 1964 129; OLG Düsseldorf NJW 2000 3582, 3583). 25a Sobald die Behörde von einer Verdächtigung Kenntnis erlangt, die nicht durch Zurücknahme (Widerruf) ihre tatbestandsmäßige Bedeutung verloren hat, ist der äußere Tatbestand vollendet (Rogall SK Rdn. 44; Zopfs MK Rdn. 14; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 10; Sch/Schröder/Bosch/ Schittenhelm Rdn. 35; Vormbaum NK Rdn. 68). Der Denunziant kann die Vollendung auch nicht dadurch aus der Welt schaffen, dass er den zur Verfolgung des Verdächtigten erforderlichen Strafantrag zurücknimmt (RGSt 1 245, 246).
2. Amtsträger 26 Zur Entgegennahme von Anzeigen zuständige Amtsträger (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 2) sind etwa die Beamten der Staatsanwaltschaft und des Polizeidienstes (§ 158 Abs. 1 StPO) sowie Dienstvorgesetzte für Anzeigen von Dienstvergehen.
81 BGHSt 18 333; BGH NJW 1952 1385; JR 1965 306, 307; OLG Celle HESt 1 42, 45; OLG Köln NJW 1952 117; Kohlrausch/Lange Anm. IV; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 3; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 25; Fischer Rdn. 8; Vormbaum NK Rdn. 32; SSW/Geneuss Rdn. 16; Schröder NJW 1965 1888; H. J. Hirsch GedS Schröder 307, 312, 316; abweichend Rogall SK Rdn. 32; Zopfs MK Rdn. 11; Langer Verdächtigung 65 ff; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 99 Rdn. 10. 82 Anders Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 24; Rogall SK Rdn. 33; Zopfs MK Rdn. 13 ff; Fischer Rdn. 8; Vormbaum NK Rdn. 34. 83 RGSt 8 5, 9; 27 51; 33 383, 385; 34 203, 205; RG GA 1905 246; BGH GA 1968 84; Rogall SK Rdn. 44; Zopfs MK Rdn. 43; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 24; Vormbaum NK Rdn. 68 f. Wolters/Ruß
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VI. Innerer Tatbestand
StGB § 164
3. Öffentliche Verdächtigung Öffentlich wird verdächtigt, wenn die Beschuldigung für einen nach Zahl und Individualität 26a unbestimmten Kreis oder für einen nicht durch persönliche Beziehungen verbundenen größeren, wenn auch bestimmten Kreis von Personen wahrnehmbar ist. Es kommt auf die Öffentlichkeit des Kreises, nicht des Ortes an (BGHSt 11 282, 284; OLG Celle MDR 1966 347; vgl. ferner Hilgendorf LK11 § 186 Rdn. 13 f; v. Bubnoff LK11 § 111 Rdn. 13 ff).
V. Vorgänge im Behördenbereich Vorgänge im Behördenbereich bieten keine Besonderheiten. Die schlichte Abgabe einer Anzei- 27 ge an die zuständige Behörde ist nichts weiter als ein Übersendungsvorgang ohne tatbestandliche Bedeutung (BGHSt 14 240, 244 ff; vgl. auch OLG München NStZ 1985 549, 550).84 Macht das Gesetz unabhängig von einer Anzeige die Abgabe an die Staatsanwaltschaft unter gewissen Voraussetzungen zur Pflicht (§ 41 Abs. 1 OWiG), bezweckt die Abgabe die weitere Aufklärung des aus den Akten erkennbaren Sachverhalts durch die zuständige Behörde. Mehr als die Erklärung, dass die Akten das bisherige Ermittlungsergebnis wiedergeben, ist der Abgabe nicht zu entnehmen. Diese Behauptung ist, wenn die Akten vollständig sind, wahr. Auf die – für die Staatsanwaltschaft unverbindliche (vgl. § 41 Abs. 2 OWiG) – Folgerung, es seien Anhaltspunkte für eine Straftat vorhanden, kommt es nicht an. Erhebt der Sachbearbeiter einer Behörde eine Anschuldigung auf Grund eigener Wahrnehmungen oder Feststellungen, gelten die allgemeinen Grundsätze (RGSt 72 96, 97; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 20; Rogall SK Rdn. 13).
VI. Innerer Tatbestand Die innere Tatseite erfordert, dass der Täter wider besseres Wissen in bestimmter Absicht ver- 27a dächtigt.
1. Wider besseres Wissen Wider besseres Wissen handelt, wer im Zeitpunkt der Verdächtigung (BayObLGSt 1963 218) die 28 Unrichtigkeit der Verdachtstatsachen kennt oder für sicher hält (von der Unrichtigkeit überzeugt ist).85 Eventualvorsatz (Rechnen mit der Möglichkeit der Unrichtigkeit der Verdachtstatsachen und Verdächtigen auch für diesen Fall) genügt nicht.86 Dolus eventualis reicht aber für alle Merkmale aus, die außer den Verdachtstatsachen zum äußeren Tatbestand gehören, etwa für das Erfordernis der Eignung der behaupteten Fakten oder der gegenständlichen Sachverhaltshinweise zur Herbeiführung eines Verfahrens (vgl. Rdn. 7, 15 und 21), für die Sachlage, die der
84 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 20; Rogall SK Rdn. 13; Vormbaum NK Rdn. 36; Zopfs MK Rdn. 28; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 4; krit. Langer FS Lackner 541, 548 ff; Tiedemann JR 1964 5, 7.
85 BGH bei Dallinger MDR 1956 270; RGSt 18 88; 71 34, 36 f; RG JW 1935 864 Nr. 14; RG HRR 1939 Nr. 1437; BayObLGSt 1930 78, 80; OLG Karlsruhe NStZ-RR 1997 37, 38 f; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1996 198; OLG Brandenburg NJW 1997 141, 142; Fischer Rdn. 12; Vormbaum NK Rdn. 57: Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 8; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 30; Rogall SK Rdn. 41 ff; Zopfs MK Rdn. 40; SSW/Geneuss, Rdn. 18. 86 BVerfG NJW 1991 1285; RGSt 32 302, 303; 71 34, 37; BayObLGSt 1930 78, 81; 1963 218; Fischer Rdn. 12; Sch/ Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 30; Rogall SK Rdn. 42; Zopfs MK Rdn. 41; Vormbaum NK Rdn. 57; Lackner/Kühl/ Kühl Rdn. 8. 185
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Falsche Verdächtigung
Begriff „öffentlich“ voraussetzt oder für die Adressateneigenschaft desjenigen, dem die Verdächtigung mitgeteilt wird.87 29 Die (in Rdn. 12) für den äußeren Tatbestand erörterte Rechtslage im Falle des Vorwurfs eines Meineids (fahrlässigen Falscheids), einer uneidlichen Falschaussage oder einer falschen Verdächtigung hat für den inneren Tatbestand die Konsequenz, dass der Täter nicht wider besseres Wissen gehandelt hat, wenn er eine der als falsch bezeichneten Bekundungen (eine der als falsch bezeichneten Anschuldigungen) für (möglicherweise) unwahr hielt und nicht mit falschem Tatsachenvorbringen dagegen anging (RGSt 28 390, 393; BayObLG NJW 1953 353, 354; NJW 1956 273, 274). Eine andere Beurteilung ist allerdings am Platze, wenn in der Vorstellung des Täters der Aussagepunkt, den er für falsch hielt, von völlig untergeordneter Bedeutung (für das Beweisthema unwesentlich) war und seine (wenn auch laienhafte) Betrachtung der Sach- und Rechtslage entspricht (vgl. RGSt 27 229, 230; 28 390, 394; BGH bei Dallinger MDR 1956 270; BayObLG NJW 1953 353, 354). Wer einen anderen der üblen Nachrede verdächtigt, handelt wider besseres Wissen, wenn er die Richtigkeit der nachgeredeten Tatsachen kennt. Seine Vorstellung über die Erweislichkeit dieser Tatsachen ist ohne Bedeutung (RGSt 7 207, 209; 19 386, 389; Rdn. 15). 30 Handeln wider besseres Wissen wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Täter annimmt, der Verdächtigte sei schuldig (vgl. Rdn. 9 und 10). Das Bezugsmoment des inneren Tatbestands sind die Verdachtstatsachen. Glaubt der Täter, er dürfe mit allen Mitteln, auch um den Preis der Wahrheit, auf die Überführung eines anderen hinwirken, den er für schuldig hält, handelt er allerdings im Verbotsirrtum.88 Weicht der Geschehensablauf von der Vorstellung des Täters ab und trifft der Verdacht einen 30a anderen als den, den der Täter in Verdacht geraten lassen wollte, so soll dies nach BGHSt 9 240, 242 im Hinblick auf die Alternativität der Schutzzwecke des § 164 eine unwesentliche Abweichung vom Kausalverlauf darstellen, mit der Folge, dass Tatvollendung anzunehmen ist. Dieser Auffassung folgt auch die überwiegende Meinung.89 Hierbei bleibt jedoch unbeachtet, dass derjenige, gegen den der Denunziant ein Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen erstrebt, auch derjenige sein muss, der bei einer Behörde oder bei einem zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Amtsträger verdächtigt wird. Nach dem Gesetzeswortlaut muss der Täter einen anderen in der Absicht verdächtigen, ein behördliches Verfahren (oder andere behördliche Maßnahmen) gegen ihn, also den Verdächtigten, herbeizuführen. Es muss Identität bestehen zwischen dem tatsächlich Verdächtigten und demjenigen, auf den sich die Absicht bezieht.90 Trifft die Verdächtigung, die einen tauglichen Adressaten erreicht (vgl. Rdn. 23, 25 und 26), nicht denjenigen, auf den es der Täter abgesehen hat, sondern einen Dritten, so ist in Bezug auf den, der gemeint war, die Tat nicht vollendet worden, der Versuch (weil nicht mit Strafe bedroht) unter dem Gesichtspunkt des § 164 ohne Bedeutung. In Bezug auf den Dritten hat der Denunziant zwar den äußeren Tatbestand verwirklicht. Aber diese Verwirklichung geschah absichtslos.
2. Absicht 31 In der Absicht, ein behördliches Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen gegen ihn, den Verdächtigten (Rdn. 30), herbeizuführen oder fortdauern zu lassen, muss der Denunziant einen anderen verdächtigen. Ob „Absicht“ in dem Sinne zu verstehen ist, dass es dem Täter auf 87 RGSt 18 88; OLG Köln NJW 1953 1843; OLG Braunschweig NJW 1955 1935; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 31; Vormbaum NK Rdn. 57; Rogall SK Rdn. 43; Zopfs MK Rdn. 42; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 8; Fischer Rdn. 12; SSW/Geneuss Rdn. 18; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 99 Rdn. 20. 88 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 30; Rogall SK Rdn. 42; Zopfs MK Rdn. 41. 89 Rogall SK Rdn. 43; Zopfs MK Rdn. 42; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 31; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 8; Fischer Rdn. 12; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 99 Rdn. 20; Prittwitz GA 1983 110, 131. 90 Herzberg ZStW 85 (1973) 867, 891 f; Roxin JZ 1991 680, 681; Krey/Hellmann/Heinrich BT 1 Rdn. 793 ff; Rengier BT II Rdn. 25. Wolters/Ruß
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VII. Erschleichungsabsicht (Absatz 3)
StGB § 164
den Erfolg ankommen, er ihn (wenn auch nicht als Endzweck) erstreben muss oder ob es genügt, dass der Täter weiß oder für sicher hält, dass der Erfolg (als notwendige Folge oder unvermeidliche Nebenwirkung seines Tuns) eintreten wird, kann dem Sprachgebrauch des Gesetzes nicht ohne weiteres entnommen werden. Die Auslegung muss sich am Sinn und Zweck der Vorschrift orientieren, die den Absichtsbegriff gebraucht (Oehler NJW 1966 1633, 1637). § 164 kann sich nicht damit begnügen, nur das Erstreben des vom Gesetz genannten Erfolgs zu pönalisieren. Die Bestimmung kann ihre Schutzzwecke nur dann wirksam verfechten, wenn auch die untere Stufe des dolus directus, der aus der GewissheitsvorstelIung folgende unbedingte Verwirklichungswille (Lackner/Kühl/Kühl § 15 Rdn. 21; Oehler NJW 1966 1633), in den Absichtsbegriff einbezogen wird. Es genügt daher, dass der Täter weiß oder für sicher hält, seine Falschverdächtigung werde ein behördliches Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen (notwendig oder unvermeidlich) zur Folge haben oder fortdauern lassen (BGHSt 13 219, 222).91 Kommt es dem Denunzianten auf diesen Erfolg an, erstrebt er ihn (handelt er also absichtlich im Sinne der oberen Stufe des dolus directus), braucht er die Erfolgsverwirklichung nicht als sicher anzusehen. Es genügt, dass er den Erfolgseintritt für möglich hält. Und wenn der Täter weiß (oder für sicher hält), dass der Erfolg eintreten wird, braucht er ihn nicht zu erstreben. Er kann ihm innerlich gleichgültig oder sogar ablehnend gegenüberstehen (BGHSt 18 246, 248). Infolgedessen wird absichtliches Handeln im Sinne der unteren Stufe des dolus directus nicht dadurch ausgeschlossen, dass es dem Täter darum geht, den Verdacht von sich abzuwenden.92 Wer die Personalien eines anderen angibt, handelt nicht ohne weiteres mit direktem Vorsatz in der einen oder anderen Form. Er fehlt etwa, wenn der Täter annimmt, sein wirklicher Name werde zwar unbekannt bleiben, aber er, nicht derjenige, dem die Personalien zukommen, werde (unter den angegebenen Personalien) verurteilt (BGHSt 18 204, 206). Für absichtliches Handeln des Verdächtigenden genügt es, wenn er die Einleitung eines behördlichen Verfahrens gegen den Beschuldigten erstrebt oder für sicher hält (vgl. OLG Düsseldorf NStZ-RR 1996 198; NJW 2000 3582, 3583; OLG Brandenburg NJW 1997 141, 142). An einen Erfolg (etwa an eine Bestrafung) braucht er nicht zu glauben (RG HRR 1938 Nr. 1206; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 32; Rogall SK Rdn. 45; Zopfs MK Rdn. 43). Eine spezifische Absicht ist mithin auch dann gegeben, wenn sich der Täter zur Selbstbegünstigung mit dem Ziel eines (existierenden, nicht fiktiven [vgl. OLG Stuttgart NJW 2018 1110]) fremden Namens bedient, dass gegen die benannte Person ein Verfahren ausgelöst wird, mag er auch an die Durchführung nicht glauben (OLG Hamm NStZ-RR 2013 276).
VII. Erschleichungsabsicht (Absatz 3) Durch das 43. StrÄG vom 29.7.2009 (BGBl. I 2288) ist Absatz 3 mit dem Ziel in die Strafvorschrift 31a eingefügt worden, einen Missbrauch im Bereich der im Allgemeinen Teil (§ 46b) und im Betäubungsmittelrecht (§ 31 BtMG) vorgesehenen – hier nicht zu bewertenden (s. dazu Schneider LK § 46b Rdn. 1 ff) – Privilegierung von „Kronzeugen“ angemessen (sprich: schärfer) ahnden zu
91 Ferner: BGHSt 18 204, 206; 18 246, 248; BayObLGSt 1960 192, 193; OLG Hamm NJW 1965 62; VRS 35 425, 427; BayObLG NJW 1986 441, 442; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1996 198; NJW 2000 3582, 3583; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 9; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 32; Rogall SK Rdn. 44; Zopfs MK Rdn. 43; Fischer Rdn. 13; SSW/Geneuss Rdn. 19; Rahmlow AnwK Rdn. 19; Deutscher Straftatverdächtigung 83, 87 ff; Saal NZV 1998 217, 218; Geilen Jura 1984 251, 252; Miehe JuS 1996 1000, 1007; abweichend Langer GA 1987 289, 302; JZ 1987 804, 808 f; Vormbaum NK Rdn. 62, 64. 92 RGSt 69 173, 175; BayObLGSt 1960 192, 193; OLG Hamm NJW 1965 62; VRS 35 425, 427; BayObLG NJW 1986 441, 442 m. Anm. Keller JR 1986 30, 31; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1996 198; NJW 2000 3582, 3583; Rogall SK Rdn. 44; Zopfs MK Rdn. 43; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 32; Miehe JuS 1996 1000, 1007; abweichend Vormbaum NK Rdn. 64; Langer GA 1987 289, 306. 187
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Falsche Verdächtigung
können,93 da hier besondere Gefahren festzustellen seien (BT-Drucks. 16/6288 S. 15). Die Regelung ist – nach ihrer formalen Stellung – als echte Qualifikation der beiden ersten Absätze ausgestaltet.94 Praktisch wird es aber – der Natur der Bezugsnormen folgend – ausnahmslos um Bezichtigungen gehen, die von Absatz 1 erfasst werden; im Übrigen ist eine restriktive Anwendung vorzunehmen, welche den Absatz 3 auf Fälle der Kataloge des § 46b sowie des § 31 BtMG beschränkt.95 Die Vorschrift ist aus ganz unterschiedlichen Gründen Bedenken ausgesetzt: Schon vordergründig dürfte die in Frage kommende Zielgruppe kaum durch eine schärfere Strafdrohung erreicht werden, so dass Abschreckungseffekte ausscheiden dürften.96 Hinzu kommt, dass die vom Gesetzgeber beschriebenen Missbrauchsgefahren überhaupt erst durch die von ihm erkorenen entsprechenden Strafzumessungswohltaten geschaffen werden, er also den Tatanreiz selbst begründet hat,97 es sich mithin – nicht zuletzt im Lichte der Diskussion um staatliche Tatprovokationen – nicht von selbst versteht, dass diese Handlungen mit Selbstbegünstigungstendenz deutlich schwerer bestraft werden98 als die „einfache“ Falschbezichtigung.99 Insoweit dürfte auch in handwerklicher Hinsicht zu bemängeln sein, dass nach dem Wortlaut auch solche Bezichtigungen erfasst werden, welche Straftaten betreffen, die der Kronzeugenregelung gar nicht zugänglich sind, so dies nur in der Vorstellung geschieht, sich die Wohltat der Strafzumessungsprivilegierung zu „verdienen“;100 hier wird die Regelung dergestalt restriktiv auszulegen sein, dass Tendenzen, die sich materiell als Wahndelikt zeigen, tatbestandlich nicht erfasst sind.101
VIII. Tatvollendung und Täterschaft 32 Die Tat ist vollendet, wenn die Verdächtigung der Behörde oder einem zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Amtsträger oder militärischen Vorgesetzten zugegangen ist. Nicht erforderlich ist, dass der Adressat Verdacht geschöpft hat.102 Wird ein anderer im Rahmen einer behördlichen Vernehmung bezichtigt, ist die Tat nicht vollendet, solange die Vernehmung nicht abgeschlossen ist. Zur Vollendung kommt es nicht, wenn vor Zugang der Verdächtigung oder gleichzeitig mit ihr eine Zurücknahme oder Widerrufserklärung eingeht oder wenn vor Vernehmungsabschluss berichtigt wird (RG GA 1905 246; OLG Düsseldorf NJW 2000 3582, 3583; vgl. Rdn. 25). Auf die Berichtigung nach Tatvollendung soll nach Auffassung verschiedener Autoren103 die Regelung des § 158 analog Anwendung finden. Zwar mögen Falschaussage und Falschverdächtigung unter dem Aspekt der von dieser Vorschrift verfolgten Zwecke vergleichbar erscheinen, doch weist Rogall (SK Rdn. 49) mit Recht darauf hin, dass der Gesetzgeber trotz Kenntnis des Problems anlässlich der durch das EGStGB erfolgten Neufassung des § 164, wie übrigens auch anlässlich der durch das 6. StrRG vorgenommenen zahlreichen Änderungen (die Harmonisierung der Strafrahmen war mit ein erklärtes Anliegen des 6. StrRG), eine entsprechende Regelung gerade nicht getroffen hat. Da er weder eine Regelung für eine „tätige Reue“, noch eine solche nach § 158 oder § 258 Abs. 5 und Abs. 6 für angebracht gehalten hat, muss von einer 93 94 95 96
Zu abweichenden Überlegungen im Gesetzgebungsverfahren s. Zopfs ZIS 2011 669, 670 f. Zopfs MK Rdn. 45; Vormbaum NK Rdn. 79, Fischer Rdn. 15. Zopfs MK Rdn. 45; abweichend Rahmlow AnwK Rdn. 21. Zopfs ZIS 2011 669 f; ders. MK Rdn. 44; Vormbaum NK Rdn. 44; Fischer § 145d Rdn. 14; König NJW 2009 2481, 2483. Anders Peglau wistra 2009 409, 413. Mit verfassungsrechtlichen Bedenken Rahmlow AnwK Rdn. 21 m. w. N. 97 Vormbaum FS Dencker 359, 370; ders. NK Rdn. 79. 98 Zu dieser allgemeinen Tendenz s. Vormbaum FS Dencker 359, 371. 99 Eingehend Zopfs ZIS 2011 669, 671 f; ders. MK Rdn. 44. 100 Eingehend Zopfs ZIS 2011 669, 672 f; ders. MK Rdn. 44; Vormbaum NK Rdn. 79. 101 Zopfs MK Rdn. 45. 102 Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 10; Vormbaum NK Rdn. 68; Zopfs MK Rdn. 49; Langer JZ 1987 807; GA 1987 289, 300. 103 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 35; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 10; Vormbaum NK Rdn. 73; Otto Grundkurs Strafrecht BT § 95 Rdn. 10; Rengier BT II § 50 Rdn. 26. Wolters/Ruß
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IX. Wahrnehmung berechtigter Interessen, Petitionsrecht und Einwilligung
StGB § 164
bewussten Entscheidung ausgegangen werden, gegen die eine Analogie im vorgeschlagenen Sinne verstoßen würde (ebenso Zopfs MK Rdn. 50; Fischer Rdn. 9).104 Die materiell unzutreffende Bezichtigung, die Tat selbst begangen zu haben, ist straflos 32a („einen anderen“).105 Hiermit ist noch nicht zwingend gesagt, ob Entsprechendes auch für den (wahren) Täter gilt, der sich dadurch begünstigen möchte, dass er einen anderen – wider dessen Wissen – dazu veranlasst, sich (straflos) selbst zu bezichtigen. Angesichts der Straflosigkeit des Vordermannes scheidet Anstiftung in Ermangelung einer teilnahmefähigen Haupttat aus, kommt also von vornherein nur mittelbare Täterschaft unter dem Gesichtspunkt „normativer Tatherrschaft“ – vergleichbar der Konstellation eines qualifikationslosen dolosen „Werkzeugs“ – in Betracht (so OLG Stuttgart [2. Senat] NStZ 2016 155, 156106). Zwar kann nicht übersehen werden, dass in besagtem Fall das geschützte Rechtsgut (Rdn. 1) beeinträchtigt wird, mithin der hieraus etwaig erwachsende Wunsch, dem strafrechtlich Rechnung zu tragen, teleologisch nachvollzogen werden mag; da der Weg zu diesem Ergebnis aber dogmatisch über die Beteiligungsformenlehre führen muss, ist de lege lata107 hinzunehmen, dass der Hintermann das eigentliche Tatgeschehen eben nur genau so (wenig) in den Händen hält wie ein Anstifter (Mitsch NZV 2016 564, 567; Böse ZJS 2018 189, 191). Wer einen Bösgläubigen dazu bringt, sich selbst zu belasten, verdächtigt keinen anderen. Es handelt sich damit lediglich um eine straflose Anstiftung zu einer straflosen Haupttat (so auch OLG Stuttgart [1. Senat] NJW 2017 1971, 1972).108 Etwas andere gilt aber dann, wenn der Veranlassende den anderen darüber täuscht, die Tat etc. selbst begangen zu haben („Ich erinnere mich genau, Du bist seinerzeit gefahren“): Hier beherrscht nämlich allein der Veranlassende das Geschehen, das sich materiell in gleicher Weise zeigt wie die Fremdbezichtigung, nur über einen Gutgläubigen vermittelt wird.
IX. Wahrnehmung berechtigter Interessen, Petitionsrecht und Einwilligung Eine Rechtfertigung der Falschverdächtigung nach § 193 („Wahrnehmung berechtigter Interes- 33 sen“) kommt nicht in Betracht.109 Freilich ist es für den inneren Tatbestand von indizieller Bedeutung und für die Strafzumessung nicht gleichgültig, welche Interessen der Verdächtigende verfolgt hat (RGSt 71 167, 171). Das Petitionsrecht (Art. 17 GG) gibt keinen Freibrief zu unrichtigen Bezichtigungen im Rahmen von Bitten und Beschwerden an die zuständigen Stellen oder an die Volksvertretung.110 Die Einwilligung des Betroffenen lässt die Strafbarkeit entfallen, wenn Adressat der Falschverdächtigung eine nicht zu den Angriffsobjekten zählende Behörde ist (Rdn. 2). Sie kann in diesem Sinne auch Bedeutung erlangen in sog. Selbsttäuschungsfällen des Staates bei verdeckten Ermittlungen (vgl. die Sprengung an der Außenmauer der Justizvollzugsanstalt Celle durch Beamte einer Sondereinsatzgruppe des Bundesgrenzschutzes),111 bei denen es an der Tatbestandsmäßigkeit fehlt, soweit die staatliche Rechtspflege als Schutzobjekt in Betracht kommt, und die in Verdacht gebrachten Personen mit den Maßnahmen einverstanden sind (Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 33).112 In den Regelfällen der falschen Verdächtigung führt die Einwilligung des Verdächtigten jedoch im Hinblick auf das Schutzgut des § 164, 104 105 106 107 108 109
Vgl. auch Deutscher Straftatverdächtigung 174 f. Zum Ganzen s. Neuhaus DAR 2015 720; Mitsch NZV 2016 564; Hecker NJW 2017 1973; Böse ZJS 2018 189. Dazu Hecker NJW 2017 1973: „Erfindung einer neuen Variante der mittelbaren Täterschaft“. Vgl. Neuhaus DAR 2015 720, 721. Eingehend und weiterführend Böse ZJS 2018 189, 191 ff. RGSt 10 274, 275; 71 34, 37; 71 167, 171; 72 96, 98; Fischer Rdn. 14; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 11; Sch/Schröder/ Bosch/Schittenhelm Rdn. 33; Rogall SK Rdn. 50; Zopfs MK Rdn. 48; Vormbaum NK Rdn. 67. 110 Vgl. BVerfGE 2 225, 229; BGH bei Herlan GA 1959 338 f; OLG München NJW 1957 793, 794 m. Anm. Hamann; Fischer Rdn. 14; Rogall SK Rdn. 50; Zopfs MK Rdn. 48; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 33; Vormbaum NK Rdn. 67. 111 Vgl. zu diesem Fall Evers NJW 1987 153. 112 Vgl. Evers NJW 1987 153, 154 f; Kühne JuS 1987 188, 190 ff; krit. hierzu Velten StV 1987 544, 550. 189
Wolters/Ruß
§ 164 StGB
Falsche Verdächtigung
die staatliche Rechtspflege vor ungerechtfertigter Beanspruchung zu schützen, nicht zur Straflosigkeit (BGHSt 5 66, 68; OLG Düsseldorf NJW 1962 1263).113
X. Konkurrenzfragen, Wahlfeststellung zwischen Falschverdächtigung und Falschaussage sowie Strafzumessung 34 Mehrere falsche Verdächtigungen einer Person in einem Schriftstück oder bei einer Vernehmung sind eine Tat im materiellen Sinne (RG HRR 1939 Nr. 190). Eine Tat wird auch anzunehmen sein, wenn eine bereits erfolgte Verdächtigung (zur Herbeiführung oder Aufrechterhaltung eines Verfahrens) bei derselben Stelle wiederholt wird (OLG Düsseldorf NStZ-RR 2000 169). Werden mehrere Verdächtigungen bei verschiedenen Stellen angebracht, wird in der Regel Tatmehrheit gegeben sein. Handelt es sich jedoch inhaltlich um dieselbe Verdächtigung, für die durch Weiterleitung ein Adressat zur Behandlung zuständig ist, ist von einer Tat auszugehen.114 Werden mehrere Personen in einem Schreiben oder bei einer Vernehmung verdächtigt, treffen die Beschuldigungen tateinheitlich zusammen (BGH GA 1962 24). 34a Tateinheit kommt etwa in Betracht mit den Aussagedelikten (§§ 153 ff); mit Verleumdung (RGSt 21 101, 102; 53 206, 208; RG HRR 1940 Nr. 1324); mit Beleidigung (§ 185), soweit abfällige Werturteile (Folgerungen) nicht Bestandteil verleumderischer Behauptungen sind; mit übler Nachrede (§ 186), wenn in einer Verdachtsäußerung wider besseres Wissen gemachte unwahre und mit dolus eventualis gemachte unwahre oder nicht erweislich wahre, ehrenrührige Behauptungen aufgestellt werden (vgl. OLG Koblenz NStZ-RR 2011 178); mit Freiheitsberaubung (§ 239) in mittelbarer Täterschaft (RG HRR 1939 Nr. 464); mit Begünstigung (§ 257) und Strafvereitelung (§ 258); mit (versuchtem) Betrug (RGSt 53 206, 208); mit Urkundenfälschung (§ 267). – Wegen des gleichgerichteten Schutzzweckes liegt Gesetzeskonkurrenz vor bei einem Zusammentreffen mit § 344 (BGHR StGB § 344 I Konkurrenzen 1; OLG Oldenburg MDR 1990 1135). 34b Wahlfeststellung115 zwischen falscher Verdächtigung und Falschaussage (oder Meineid) ist zulässig (BGHSt 32 146, 149; BayObLG NJW 1991 3163; zum Ganzen Köchel/Wilhelm ZJS 2014 269, 271 f),116 wobei der Formel von der rechtsethischen und psychologischen Vergleichbarkeit untergeordnete Bedeutung zukommen dürfte.117 § 164 und §§ 153, 154 stimmen im Rechtsgüterschutz weitgehend überein; im Kern des von ihnen erfassten Handlungsunwertes (der Missachtung der Wahrheit) sind sie identisch. Die zwischen den Vorschriften bestehenden Unterschiede sind nicht von zentraler Bedeutung. 34c Strafzumessung: Zur Strafzumessungsrelevanz der Falschbezichtigung in Selbstbegünstigungstendenz unter Berücksichtigung des (zulässigen) Verteidigungsverhaltens s. BGHSt 60 198, 204 f sowie Löffelmann JR 2015 492 ff.
113 Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 11; Fischer Rdn. 2; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 33; ebenso (vom Boden der Rechtspflegetheorie) Rogall SK Rdn. 50; Zopfs MK Rdn. 48; anders jedoch Vormbaum NK Rdn. 66; Hirsch GedS Schröder 307, 318; Mitsch Jura 1988 203, 204 f in Konsequenz ihrer Auffassung, dass von § 164 allein Individualinteressen geschützt werden und deshalb die Einwilligung stets rechtfertigende Wirkung habe. 114 Vgl. ferner Zopfs MK Rdn. 51; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 37; Rogall SK Rdn. 53; abweichend OLG Düsseldorf NStZ-RR 2000 169. 115 Zur jüngeren Kritik s. den Überblick bei Kudlich JA 2017 788, 789. 116 Ferner BayObLGSt 1977 35, 36 m. krit. Anm. Hruschka JR 1978 26; OLG Braunschweig NJW 1959 1144; OLG Karlsruhe JR 1989 82 m. Bespr. Schlüchter JR 1989 48; vgl. auch BGH 2 StR 479/77 v. 20.1.1978; ebenso Fischer Rdn. 17; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 13; Dannecker LK Anh § 1 Rdn. 146; abweichend Vormbaum NK Rdn. 87; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 38; Rogall SK Rdn. 54; SSW/Geneuss Rdn. 26; Zopfs MK Rdn. 53 jeweils m. w. N. 117 Dazu eingehend Köchel/Wilhelm ZJS 2014 269, 271 f. Wolters/Ruß
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XI. Verfahrensrechtliches
StGB § 164
XI. Verfahrensrechtliches Der frühere § 164 enthielt in Absatz 3 eine Bestimmung prozessualer Natur, die besagte, dass „mit dem Verfahren und mit der Entscheidung über die falsche Anschuldigung innegehalten werden soll, solange ein infolge der gemachten Anzeige eingeleitetes Verfahren anhängig ist“. Die verfahrensrechtliche Regelung ist nunmehr in § 154e StPO zu finden. Die durch Art. 21 Nr. 52 EGStGB eingefügte Vorschrift bestimmt, dass von der Erhebung der öffentlichen Klage wegen Falschverdächtigung abgesehen werden soll, solange wegen der angezeigten oder behaupteten Handlung ein Straf- oder Disziplinarverfahren anhängig ist (Absatz 1) und dass, wenn die Staatsanwaltschaft bereits öffentliche Klage wegen falscher Verdächtigung erhoben hat, das Verfahren bis zum Abschluss des Straf- oder Disziplinarverfahrens einzustellen ist (Absatz 2). Die Vorschrift ordnet außerdem an, dass bis zu diesem Abschluss die Verjährung der Verfolgung der Falschverdächtigung ruht (Absatz 3). Wegen einer ausführlichen Erläuterung der Bestimmung des § 154e StPO wird auf die strafprozessualen Erläuterungswerke verwiesen (dazu ferner Milzer MDR 1990 20). Hier soll lediglich Folgendes bemerkt werden: § 164 Abs. 3 a. F. wurde trotz seines Wortlauts von der Rechtsprechung als eine zwingende Vorschrift angesehen mit der Folge, dass die Anhängigkeit des infolge einer falschen Anschuldigung eingeleiteten Verfahrens ein Prozesshindernis bildete, das in jeder Prozesslage von Amts wegen beachtet werden musste (BGHSt 8 133 bis 137; 8 151, 154; BayObLGSt 1961 80). Das galt nur dann nicht, wenn das durch die Falschverdächtigung ausgelöste Verfahren erst anhängig wurde, nachdem die Tatsacheninstanz im Verfahren gegen den Denunzianten bereits entschieden hatte (RGSt 26 365, 366). § 154e StPO differenziert: Die Staatsanwaltschaft ist nicht gehindert, ein Ermittlungsverfahren wegen falscher Verdächtigung einzuleiten, zu betreiben und durch Einstellungsverfügung oder durch Erhebung der öffentlichen Klage abzuschließen, auch wenn wegen der vom Denunzianten angezeigten oder behaupteten Handlung ein Straf- oder ein Disziplinarverfahren anhängig ist (vgl. Meyer-Goßner § 154e StPO Rdn. 5 ff; Zopfs MK Rdn. 54; Fischer Rdn. 18). Wenn für diese Sachbehandlung keine besonderen Gründe sprechen, wird die Staatsanwaltschaft dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung aber eher dadurch gerecht, dass sie ein Nebeneinander von Verfahren, die es mit ein und derselben quaestio facti zu tun haben und in denen diese Frage nicht einmal so und einmal anders beantwortet werden soll, dadurch vermeidet, dass sie alsbald das Ermittlungsverfahren wegen falscher Verdächtigung bis zum Abschluss des Strafoder Disziplinarverfahrens gegen den Verdächtigten vorübergehend einstellt. Nach Erhebung der öffentlichen Klage wegen falscher Verdächtigung ist die Anhängigkeit des anderen Verfahrens ein echtes, bis zum Abschluss dieses Verfahrens bestehendes Prozesshindernis (ebenso Zopfs MK Rdn. 54). Ihm wird, auch wenn es erst in der Hauptverhandlung Beachtung findet, durch Innehaltungsbeschluss (Einstellung des Verfahrens gegen den Denunzianten „bis zum Abschluss des Straf- oder Disziplinarverfahrens“ – § 154e Abs. 2 StPO) Rechnung getragen. In Fällen der Einstellung des ursprünglichen Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft und Verweisung auf den Privatklageweg ist § 154e StPO analog anzuwenden (StA Mosbach NStE StPO § 154e Nr. 1 sowie Milzer MDR 1990 20; Rogall SK Rdn. 55; zw.). Ein Innehaltungsbeschluss erübrigt eine neue Anklage nach Wegfall des Hindernisses (BGHSt 8 133, 136). Stellt das Revisionsgericht im Verfahren wegen falscher Verdächtigung fest, dass § 154e Abs. 2 StPO unbeachtet blieb, hebt es das angefochtene Urteil mit den Feststellungen auf und verweist die Sache an das Tatgericht zurück (BGHSt 8 151, 154; BayObLGSt 1961 80).
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§ 165 Bekanntgabe der Verurteilung (1) Ist die Tat nach § 164 öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) begangen und wird ihretwegen auf Strafe erkannt, so ist auf Antrag des Verletzten anzuordnen, dass die Verurteilung wegen falscher Verdächtigung auf Verlangen öffentlich bekanntgemacht wird. Stirbt der Verletzte, so geht das Antragsrecht auf die in § 77 Abs. 2 bezeichneten Angehörigen über. § 77 Abs. 2 bis 4 gilt entsprechend. (2) Für die Art der Bekanntmachung gilt § 200 Abs. 2 entsprechend.
Entstehungsgeschichte Durch das EGStGB vom 2. März 1974 (BGBl. I 469) sind die Vorschriften im StGB und im Nebenstrafrecht über die öffentliche Urteilsbekanntmachung einander angepasst worden. Während das frühere Recht dem Verletzten lediglich die Befugnis zusprach, die Verurteilung auf Kosten des Schuldigen öffentlich bekanntzumachen (vgl. § 165 Abs. 1 a. F. und § 200 Abs. 1 a. F.), es also ihm überlassen blieb, „sich sein Recht gewissermaßen selbst zu holen“ (BT-Drs. 7/550 S. 235), ordnet nunmehr das Gericht auf Antrag die öffentliche Bekanntmachung einer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften begangenen falschen Verdächtigung an, die bei Verlangen des Antragstellers von Amts wegen vollzogen wird (§ 463c Abs. 2 bis 4 StPO).
Übersicht I.
Nebenfolge
1
II.
Voraussetzungen der Bekanntgabe
III. 2
1. 2.
Die Anordnung der Bekanntgabe und ihr Voll5 zug 6 Art und Umfang der Bekanntmachung 7 Vollzug
I. Nebenfolge 1 Die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung (vgl. dazu die kritischen Ausführungen von Schomburg ZRP 1986 65 f) wird vor allem von der Rspr. (BGHSt 10 306, 310)1 als Nebenstrafe aufgefasst, wobei die Literatur mit Recht darauf hinweist, dass es nicht die Aufgabe eines Strafübels sein kann, einen Täter bloßzustellen, die Bekanntgabe der Verurteilung vielmehr nur in der Genugtuungsfunktion für den Verletzten ihre innere Rechtfertigung finden kann und daher als bloße Nebenfolge aufzufassen ist.2 Sie kommt gegenüber Jugendlichen und bei Anwendung von Jugendstrafrecht auch gegenüber Heranwachsenden nicht in Betracht (§ 6 Abs. 1 Satz 2, § 105 Abs. 1 JGG).
II. Voraussetzungen der Bekanntgabe 2 Die falsche Verdächtigung muss auf bestimmte Weise, nämlich öffentlich (vgl. § 164 Rdn. 26a) oder durch Verbreiten von Schriften begangen worden sein. § 165 Abs. 1 verweist auf § 11 Abs. 3, infolgedessen stehen den Schriften Ton- und Bildträger, Abbildungen und andere Darstellungen gleich (zur Erläuterung dieser Begriffe vgl. Hilgendorf LK § 11 Rdn. 116 bis 126). Eine Schrift wird verbreitet, wenn sie der Substanz nach (körperlich) einem größeren, nicht notwendig unbestimm-
1 RGSt 73 24; BayObLGSt 1954 71; 1961 141, 142; OLG Nürnberg NJW 1951 124; i. Erg. ebenso Vormbaum NK Rdn. 1, 4; Zaczyk NK § 200 Rdn. 1; Zopfs MK Rdn. 1; Rahmlow AnwK Rdn. 2, der jedoch dieser Vorschrift insgesamt rechtspolitische Bedenken entgegenstellt. 2 Ebenso Grube LK vor § 38 Rdn. 46; Rogall SK Rdn. 1; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 1; Fischer § 200 Rdn. 1; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 1 und § 200 Rdn. 1 („strafähnliche Nebenfolge“). Wolters/Ruß https://doi.org/10.1515/9783110490107-025
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III. Die Anordnung der Bekanntgabe und ihr Vollzug
StGB § 165
ten Personenkreis zugänglich gemacht wird, der für den Verbreitenden nicht kontrollierbar ist.3 Die Aushändigung an eine Person genügt, wenn damit zu rechnen ist, dass sie die Schrift ihrerseits weiteren Personen zugänglich machen werde (BGHSt 19 63, 71) oder wenn die Aushändigung nur Teilakt einer Betätigung ist, die einen größeren, nicht kontrollierbaren Personenkreis umfasst. Wegen der auf bestimmte Weise begangenen falschen Verdächtigung (Rdn. 2) muss auf 3 Strafe erkannt worden sein. Setzt das Gericht die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, so steht das der Anordnung der Bekanntgabe nicht entgegen, da auch in diesem Fall eine Verurteilung erfolgte. Dagegen wird eine Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59) die Anordnung der Bekanntgabe nicht rechtfertigen können.4 Zwar ist nicht zu verkennen, dass auch in diesem Fall ein Bedürfnis vorhanden ist, dem Verletzten die in der Bekanntgabe der Verurteilung liegende Genugtuung zu gewähren,5 doch steht der Gesetzeswortlaut des § 59 („Verurteilung … vorbehalten“) einer Auslegung in dieser Richtung entgegen. Erfolgt in der Bewährungszeit keine Verurteilung zu der vorbehaltenen Strafe, ist festzustellen, dass es bei der bloßen Verwarnung sein Bewenden hat (§ 59b Abs. 2). Hinzu tritt, dass bei den in § 59 Abs. 3 neben einer Verwarnung möglichen Maßnahmen die Bekanntgabe der Verurteilung nicht aufgeführt ist. Dies spricht für eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers dahin, dass eine Verurteilung zu einer Verwarnung mit Strafvorbehalt für die Anordnung der Bekanntgabe nicht ausreicht. – Bei Tateinheit kommt es nach § 52 Abs. 4 nicht darauf an, ob die Strafe dem § 164 zu entnehmen ist (BGHSt 10 306, 311; RGSt 73 148, 151). Der Verletzte muss die Anordnung der öffentlichen Bekanntgabe der Verurteilung beantra- 4 gen. Verletzt ist lediglich der falsch Verdächtigte (BGHSt 5 66, 69) nicht aber die beteiligten Organe der Rechtspflege (OLG Brandenburg, Beschl. v. 16.11.2009, 1 Ws 179/09). Verletzter ist der Denunzierte nur, wenn er nicht in die Tat eingewilligt hat (BGHSt 5 66, 69).6 Ausgeschlossen ist die Anordnung der Bekanntgabe, wenn der Verletzte in seine falsche Verdächtigung eingewilligt hatte.7 Das Antragsrecht geht im Falle des Todes des Verletzten auf die in § 77 Abs. 2 bezeichneten Angehörigen über. § 77 Abs. 2 bis 4 gilt entsprechend. In der Rechtsmittelinstanz kann der Antrag nicht mehr wirksam nachgeholt werden, wenn das Rechtsmittel vom Angeklagten oder zu seinen Gunsten eingelegt worden ist, denn die Nichtanordnung der Urteilsbekanntmachung unterliegt als eine dem Angeklagten günstige Rechtsfolge dem Verbot der reformatio in peius (RG HRR 1933 Nr. 87; BayObLGSt 1954 71). § 77d Abs. 1 Satz 2 gilt entsprechend: Der Antrag kann bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zurückgenommen werden.8
III. Die Anordnung der Bekanntgabe und ihr Vollzug Wenn die gesetzlichen Voraussetzungen gegeben sind, muss im Urteil (oder Strafbefehl – § 407 5 Abs. 2 Nr. 1 StPO) die öffentliche Bekanntmachung einer Verurteilung wegen Falschverdächtigung angeordnet werden. Bleibt der Antrag des Verletzten aus Versehen oder wegen rechtsfehlerhafter Behandlung unberücksichtigt, besteht insoweit ein Anfechtungsgrund. Das Revisionsgericht kann die Anordnung selbst nachholen, wenn es die den Denunzianten am wenigsten beschwerende Form wählt.9 Nach dem Wortlaut wird nur die Verurteilung wegen falscher Verdächtigung bekanntgemacht, sodass in der Konsequenz im Falle der Tateinheit des § 164 mit 3 BGHSt 13 257, 258; 18 63, 64; Zopfs MK Rdn. 4; Vormbaum NK Rdn. 5. 4 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4; Rogall SK Rdn. 2; Zopfs MK Rdn. 5; Vormbaum NK Rdn. 6; Rahmlow AnwK Rdn. 4; Schomburg ZRP 1986 65. 5 Herdegen LK10 Rdn. 3; vgl. auch Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4; Heinrich ZJS 2018 129, 137. 6 OLG Düsseldorf NJW 1962 1263; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 5; Rogall SK Rdn. 2; Zopfs MK Rdn. 6; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 99 Rdn. 6. 7 BGHSt 5, 69; Rogall SK Rdn. 2; Rahmlow AnwK Rdn. 3. 8 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 5; Lackner/Kühl/Kühl § 200 Rdn. 3; Vormbaum NK Rdn. 7; Zopfs MK Rdn. 6. 9 BGHSt 3 73, 76; Rogall SK Rdn. 9; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6; einschr. Zopfs MK Rdn. 7. 193
Wolters/Ruß
§ 165 StGB
Bekanntgabe der Verurteilung
einem anderen Strafgesetz, dieses nicht genannt werden darf, es sei denn, auch die Verletzung dieses Gesetzes kann auf der Grundlage einer anderen Vorschrift bekanntgemacht werden. Das schließt jedoch nicht jene Bekanntgabe aus, die lediglich die Tateinheit als solche benennt. Auch die (nach § 52 gebildete) Strafe ist anzugeben (BGHSt 10 306, 312).10 In Fällen der Tatmehrheit ist die Bekanntgabe auf die Verurteilung wegen Falschverdächtigung und die dafür verhängte (Einzel-)Strafe zu beschränken.11
1. Art und Umfang der Bekanntmachung 6 Die Art der Bekanntmachung wird im Urteil bestimmt (Absatz 2 i. V. m. § 200 Abs. 2 S. 1). Das Gericht trifft die Bestimmung über das Wie; in Betracht kommen z. B. die Bekanntgabe in einer Tageszeitung oder der Aushang am Schwarzen Brett einer Strafanstalt (RG HRR 1939 Nr. 657) und über den Umfang der Bekanntmachung nach seinem pflichtgemäßen Ermessen. Sie braucht sich nicht auf den Urteilseingang und den Urteilsspruch – unter Nennung des Namen des Verletzten, vgl. Nr. 231 RiStBV – zu beschränken, sondern kann sich, wenn es das Genugtuungsinteresse des Verletzten erfordert, auf die Urteilsgründe erstrecken (RGSt 20 1).12 Ist die Falschverdächtigung durch Veröffentlichung in einer Zeitung oder Zeitschrift begangen worden, so ist auch die Bekanntgabe der Verurteilung durch eine Zeitung oder Zeitschrift vorzunehmen (§ 200 Abs. 2 S. 2). Nach Möglichkeit soll Publikationsorgan die Zeitung (Zeitschrift) sein, in der die Falschverdächtigung stand. Die Bekanntmachung auch auf andere Weise oder in einer weiteren Zeitung (Zeitschrift) wird dadurch nicht ausgeschlossen (RGSt 20 1; OLG Stuttgart NJW 1972 2320). Bei Falschverdächtigung durch Veröffentlichung im Rundfunk gilt Entsprechendes (Absatz 2 i. V. m. § 200 Abs. 2 S. 2). Angesichts des Wortsinns fallen Veröffentlichungen im Internet nicht unter den Begriff des Rundfunks.13 Bei mehreren Verletzten ist die Bekanntgabe nach Art und Umfang für jeden von ihnen unter dem Aspekt seines Genugtuungsinteresses festzusetzen (BayObLGSt 1961 141, 142; OLG Hamm NJW 1974 466, 467). Das Gericht muss Art und Umfang der Bekanntmachung so konkretisieren, dass für die Vollziehung keine der Klärung bedürftigen Fragen offenbleiben. Ist die Verurteilung in eine Zeitung oder Zeitschrift aufzunehmen, so muss das Gericht (auch im Hinblick auf § 463c Abs. 3 StPO) die Zeitung oder Zeitschrift bestimmen (BGH GA 1968 84; BayObLGSt 1954 71). Hält das Gericht es für angebracht, dass die Bekanntmachung in dem Teil der Zeitung (Zeitschrift) und mit derselben Schrift wie der Abdruck der Falschverdächtigung erfolgt (vgl. § 200 Abs. 2 a. F.), so muss es auch dazu das Erforderliche sagen.
2. Vollzug 7 Ist die Bekanntmachung einer Verurteilung wegen falscher Verdächtigung angeordnet worden, so wird die Entscheidung dem „Berechtigten“ (dem Antragsteller oder demjenigen, auf den das Antragsrecht übergegangen ist, vgl. § 77) förmlich zugestellt. Nur wenn er innerhalb eines Monats nach Zustellung der rechtskräftigen Entscheidung die Bekanntgabe verlangt, wird ihre Anordnung vollzogen (§ 463c Abs. 2 StPO). Zur Durchsetzung einer die Bekanntmachung in einem Druckwerk oder im Rundfunk bestimmenden Anordnung sieht das Gesetz Zwangsgeld oder 10 Lackner/Kühl/Kühl § 200 Rdn. 4; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 7; Fischer § 200 Rdn. 4; teilw. anders (ohne Angabe des Strafmaßes bei Tateinheit): Rogall SK Rdn. 3 ff; Vorbaum NK Rdn. 8 f; Zopfs MK Rdn. 8.
11 BayObLGSt 1960 192, 193 f; 1961 141, 142; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 7; Rogall SK Rdn. 4; Zopfs MK Rdn. 8; zw. Vormbaum NK Rdn. 8. 12 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 9; Fischer § 200 Rdn. 4; Rogall SK Rdn. 6; Zopfs MK Rdn. 9. 13 Zaczyk NK § 200 Rdn. 8; abweichend Heinrich ZJS 2018 129, 138. Zu Veröffentlichungen im „Streaming-MediaVerfahren“ vgl. die Überlegungen bei Rahmlow AnwK Rdn. 6. Wolters/Ruß
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III. Die Anordnung der Bekanntgabe und ihr Vollzug
StGB § 165
Zwangshaft vor (§ 463c Abs. 3 und 4 StPO; ferner dazu Schomburg ZRP 1986 65, 66) – insoweit ist die Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) eingeschränkt.
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Wolters/Ruß
ELFTER ABSCHNITT Straftaten, welche sich auf Religion und Weltanschauung beziehen Vorbemerkungen zu den §§ 166 ff Schrifttum Abel Inhalt und Grenzen der Religionsfreiheit in Bezug auf die „Neuen Jugendreligionen“ (1981) – zit.: Abel Religionsfreiheit; ders. Zeugen Jehovas, keine Körperschaft des öffentlichen Rechts, NJW 1977 2372; Albrecht, A. Koordination von Staat und Kirche in der Demokratie (1965) – zit.: A. Albrecht Staat; ders. Die Verleihung der Körperschaftsrechte an islamische Vereinigungen, KuR 1 (1/1995) 25; Anke Die Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge des Ecclesiasticum, Beiträge zum evangelischen Kirchenrecht und Staatskirchenrecht Bd. 62 (2000); Anschütz Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919, 14. Aufl. (1933, Nachdruck 1960); Antes Wie hältst Du’s mit der Religion? Religions- und Alternativunterricht in Deutschland, in Klinkhammer/Frick (Hrsg.) 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Radtke https://doi.org/10.1515/9783110490107-026
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Schrifttum
StGB Vor §§ 166
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Grundlagen des Staatskirchenrechts, HdbStR VI S. 471; Hölscheidt/Mund Religionen und Kirchen im europäischen Verfassungsverbund, EuR 38 (2003) 1083; Holstein Die Religionsvergehen im Strafgesetzbuch (1966); Holzgräber Die Gotteslästerung (1921); Höner Die Religionsdelikte im geltenden und künftigen Recht (1935); Horanyi Das Schächtverbot zwischen Tierschutz und Religionsfreiheit, Basler Studien zur Rechtswissenschaft Reihe B: Öffentliches Recht Bd. 70 (2004); Hörnle Grob anstößiges Verhalten, Juristische Abhandlungen Bd. 46 (2005) – zit.: Hörnle Verhalten; dies. Strafrechtliche Verbotsnormen zum Schutz von kulturellen Identitäten, in Dreier/Hilgendorf (Hrsg.) Kulturelle Identität als Grund und Grenze des Rechts, ARSP 94 (2008) Beiheft 113 S. 315; dies. Kultur, Religion, Strafrecht – Neue Herausforderungen in einer pluralistischen Gesellschaft, Gutachten C zum 70. Deutschen Juristentag 2014, Verhandlungen des 70. DJT Band I, 2014; dies. Bekenntnisbeschimpfung (§ 166 StGB): Aufheben oder Ausweiten?, JZ 2015, 293; Huber W. Ende der Atemlosigkeit, ZZ 6 (11/2005) 49; ders. Kirche und Verfassungsordnung, Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche Bd. 42 (2008) 7; Hugendubel Die Religionsverbrechen nach §§ 215, 216 des Entwurfs von 1919 verglichen mit dem geltenden Recht (1926); Huster Körperschaftsstatus unter Loyalitätsvorbehalt? JuS 1978 117; ders. Die religiösweltanschauliche Neutralität des Staates, in Brugger/Huster (Hrsg.) Der Streit um das Kreuz in der Schule, Interdisziplinäre Studien zu Recht und Staat Bd. 7 (1989) 69; ders. Der Grundsatz der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates – Gehalt und Grenzen, Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft zu Berlin Heft 176 (2004) – zit.: Huster Grundsatz; ders. Toleranz als politisches Problem in der pluralistischen Gesellschaft, ARSP 91 (2005) 20; Hüttemann Gotteslästerung und Beschimpfung religiöser Gemeinschaften, ihrer Einrichtungen und Gebräuche im geltenden und kommenden Strafrecht (1964); Ipsen Glaubensfreiheit als Beeinflussungsfreiheit? Staatsphilosophie und Rechtspolitik: Festschrift für Martin Kriele zum 65. Geburtstag (1997) 301; ders. Karlsruhe locuta, causa non finita – Das BVerfG im so genannten „Kopftuch-Streit“, NVwZ 2003 1210; Isensee Bildersturm durch Grundrechtsinterpretation, ZRP 1996 10; ders. Die Zukunftsfähigkeit des deutschen Staatskirchenrechts, Dem Staate, was des Staates – der Kirche, was der Kirche ist: Festschrift für Josef Listl zum 70. Geburtstag (1999) 67; ders. Res sacrae unter kirchlichem Denkmalschutz, KuR 5 (1999) 117; ders. Kirche und Staat am Anfang des 21. Jahrhunderts, öarr 53 (2006) 21; ders. Blasphemie im Koordinatensystem des säkularen Staates, in Isensee (Hrsg.) 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Vorbemerkungen zu den §§ 166 ff
sonderer Teil Bd. 3 (1906) 1 – zit.: Kahl VDB; ders. Störung des religiösen Friedens und der Totenruhe, Festschrift für Heinrich Brunner (1914) 230; ders. Strafrechtsreform und Religionsschutz, Festgabe für Reinhard v. Frank zum 70. Geburtstag, Bd. 2 (1930) 287; Kaiser Religion, Verbrechen und Verbrechenskontrolle, Festschrift für Wolf Middendorff zum 70. Geburtstag (1986) 143; Kämper Dem Gemeinwesen keinen guten Dienst erwiesen – Stellungnahme zum sogenannten „Kruzifix-Beschluß“, KuR 1 (3/1995) 55; Kästner Das Grundrecht auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit in der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung, AöR 1998 408; ders. Hypertrophie des Grundrechts auf Religionsfreiheit? JZ 1998 974; ders. Religiös akzentuierte Kleidung des Lehrpersonals staatlicher Schulen, Festschrift für Martin Heckel zum siebzigsten Geburtstag (1999) 359; ders. Das tierschutzrechtliche Verbot des Schächtens aus der Sicht des Bundesverfassungsgerichts, JZ 2002 491; Kaufmann E. 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Schrifttum
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Vorbemerkungen zu den §§ 166 ff
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Die „Kopftuch-Entscheidung“ des BVerwG, NJW 2003 1020; Morlok/Rossner Kirche und Staat – Juristisch, in Heun/Honecker/Morlok/Wieland (Hrsg.) Evangelisches Staatslexikon (Neuausgabe 2006) 1144; Moser Religion und Strafrecht – insbesondere: Die Gotteslästerung, StrafrAbh. 110 (1909); Muckel Muslimische Gemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, DÖV 1995 311; ders. Über kreuz mit dem Kreuz – Bemerkungen zum „Kruzifix-Beschluß“ des BVerfG – KuR 2 (1996) 65; ders. Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, Staatskirchenrechtliche Abhandlungen Bd. 29 (1997) – zit.: Muckel Freiheit; ders. Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, Staat 38 (1999) 569; ders. Religionsfreiheit für Muslime in Deutschland, Dem Staat, was des Staates – der Kirche, was der Kirche ist: Festschrift für Josef Listl zum 70. Geburtstag (1999) 239; ders. Körperschaftsrechte für die Zeugen Jehovas? Jura 2001 456; ders. Der Islam im Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland, in Kreß (Hrsg.) Religionsfreiheit als Leitbild, Ethik interdisziplinär Bd. 5 (2004) 119; Mückl Trennung und Kooperation – das gegenwärtige Staat-Kirchen-Verhältnis in der Bundesrepublik Deutschland, Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche Bd. 40 (2007) 41 (zit.: Mückl EssGespr.); Mühlbayer Die Religionsvergehen in ihrer Beziehung zum Staatskirchenrecht unter Berücksichtigung des französischen Rechts (1951); Müller Jochen Religion und Strafrecht (2008); Müller-Dietz Zur Problematik verfassungsrechtlicher Pönalisierungsgebote, in Jung/Müller-Dietz (Hrsg.) § 218 StGB – Dimension einer Reform, R. v. Decker’s rechts- und sozialwissenschaftliche Abhandlungen Bd. 22 (1983) 77; Müller-Volbehr Staatskirchenrecht im Umbruch, ZRP 1991 345; ders. Das Grundrecht der Religionsfreiheit und seine Schranken, DÖV 1995 301; ders. Religionsfreiheit und Tierschutz: Zur Zulässigkeit religiös motivierten Schächtens – BVerwG, NVwZ 1996 61, JuS 1997 223; ders. Rechtstreue und Staatsloyalität: Voraussetzungen für die Verleihung des Körperschaftsstatus an Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften? NJW 1997 3358; ders. Staatskirchenrecht an der Jahrtausendwende – Bestandsaufnahme und Ausblick, ZevKR 44 (1999) 385; Nagel W. H. Religion, in Sieverts/Schneider (Hrsg.) Handwörterbuch der Kriminologie, Bd. 3 2. Aufl. (1975) 30; Neder Das Kirchenstrafensystem des Codex Iuris Canonici (1932); Nehlsen Der Grabfrevel in den germanischen Rechtsaufzeichnungen – zugleich ein Beitrag zur Diskussion um Todesstrafe und Friedlosigkeit bei den Germanen, in Jankuhn/Nehlsen/Roth (Hrsg.) Zum Grabfrevel in vor- und frühgeschichtlicher Zeit, Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen Philologisch-historische Klasse Dritte Folge Nr. 113 (1978) 107; Nelson Der Drang zum Spirituellen (1991); Neumann E. Die Gotteslästerung mit besonderer Berücksichtigung der Entwürfe (1929); Neureither Recht und Freiheit im Staatskirchenrecht, Staatskirchenrechtliche Abhandlungen Bd. 37 (2002); Obermayer Staatskirchenrecht im Wandel, DÖV 1967 9; ders. Staat und Religion, Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft e.V. Berlin Heft 53 (1977) – zit.: Obermayer Staat; Oebbecke Reichweite und Voraussetzungen der grundgesetzlichen Garantie des Religionsunterrichts, DVBl. 1996 336; ders. Islamisches Schlachten und Tierschutz, NVwZ 2002 302; Ofterdinger Religionsvergehen, insbesondere Gotteslästerung im kommenden Strafrecht (1937); Ostendorf Zeitkritische Literatur – (straf-)justitielle Behinderungen und grundgesetzlich gewährte Literaturfreiheit, in Dankert/ Zechlin (Hrsg.) Literatur vor dem Richter (1988) 271; Ott Christliche Aspekte unserer Rechtsordnung (1968) – zit.: Ott Aspekte; ders. Literatur und Religionsdelikte, in Dankert/Zechlin (Hrsg.) Literatur vor dem Richter (1988) 283; Pache Tierschutz oder Schächten? Jura 1995 150; Pabel Der Grundrechtsschutz für das Schächten, EuGRZ 29 (2002) 220; Pagels Die Zuerkennung der Rechte einer öffentlichrechtlichen Körperschaft an eine Religionsgemeinschaft – OVG Berlin NVwZ 1996, 478, JuS 1996 790; Pawlik Der strafrechtliche Schutz des Heiligen, in Isensee (Hrsg.) Religionsbeschimpfung, Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte Bd. 42 (2007) 31; ders. Der Strafgrund der Bekenntnisbeschimpfung, Festschrift Küper (2007) 411; Peters H. Die Gegenwartslage des Staatskirchenrechts, Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Heft 11 (1954) 177; Peters K. Glaube und Strafrecht, in Heinitz/Würtenberger/Peters (Hrsg.) 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StGB Vor §§ 166
fessionelle Religionsunterricht, in Biesinger/Hänle (Hrsg.) Gott – Mehr als Ethik, Quaestiones Disputatae 167 (1997) 147; Quaritsch Kirchen und Staat, Staat 1 (1962) 175, 289; ders. Neues und Altes über das Verhältnis von Kirchen und Staat, Staat 5 (1966) 451; ders. Kirchenvertrag und Staatsgesetz, Hamburger Festschrift für Friedrich Schack (1966) 125; Quentel Religiöses Empfinden und Strafgesetz (1914); Radtke A./Radtke H. „Kirchenasyl“ und die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Mitgliedern des Kirchenvorstandes, ZevKR 42 (1997) 23; Radtke H. Überlegungen zum Verhältnis von „zivilem Ungehorsam“ zur Gewissenstat, GA 2000, 19; ders. Referat zum 70. Deutschen Juristentag 2014, Verhandlungen des 70. DJT Band II/1, 2014, L 27; ders. Der Schutz von Religion und Kirchen im Strafrecht, in Pirson/ Rüfner/Germann/Muckel (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 3 3. Aufl. (2020) § 75; Ratzinger Christliche Orientierung in der pluralistischen Demokratie? in Lobkowitz (Hrsg.) Das europäische Erbe und seine christliche Zukunft, Veröffentlichungen der Hanns Martin Schleyer-Stiftung Bd. 16 (1985) 20; Rees Die Strafgewalt der Kirche, Kanonische Studien und Texte Bd. 41 (1993) – zit.: Rees Strafgewalt; ders. Der Religionsunterricht und die katechistische Unterweisung in der kirchlichen und staatlichen Rechtsordnung (1996) – zit.: Rees Religionsunterricht; ders. Religionsunterricht in der Schule, KuR 2 (1996) 99; Renck Zum rechtlichen Gehalt der Kruzifix – Debatte, ZRP 1996 16; ders. Religionsunterricht in Brandenburg, LKV 7 (1997) 81; ders. Bekenntnisunterricht und Ethikunterricht, NVwZ 1999 713; ders. Der Name der Kirche, NVwZ 2001 859; ders. LER-Verfahren gegen das Brandenburgische Schulgesetz beendet, LKV 13 (2003) 153; ders. Ethik und staatlicher Bekenntnisunterricht in Berlin, LKV 16 (2006) 210; Rendtorff Kleider machen Leute? Der Kopftuchstreit oder: Sind wir auf dem Weg in eine laizistische Republik? ZEE 43 (1999) 212; Rengier Religionsdelikte, in Görresgesellschaft (Hrsg.) Staatslexikon Recht – Wirtschaft – Gesellschaft, Bd. 4 7. Aufl. (1995) 819; Renzikowski Toleranz und die Grenzen des Strafrechts, Gedächtnisschrift für Dieter Meurer (2002) 179; Reupke Die Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts in der Wertordnung des Grundgesetzes, KuR 3 (1997) 91; Richter L. Religion – Begriff und Wesen der Religion Rechtsphilosophisch, in Galling (Hrsg.) Die Religion in Geschichte und Gegenwart, Handwörterbuch für Theologie und Rechtswissenschaft Bd. 5 (1961) 962, 968; Robbers Die Fortentwicklung des Europarechts und seine Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland, Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 27 (1993) 81; ders. Das Verhältnis von Staat und Kirche in rechtsvergleichender Sicht, in Brugger/Huster (Hrsg.) Der Streit um das Kreuz in der Schule, Interdisziplinäre Studien zu Recht und Staat Bd. 7 (1998) 59; ders. Strafpflichten aus der Verfassung, in Lüderssen (Hrsg.) Aufgeklärte Kriminalpolitik oder der Kampf gegen das Böse? Bd. I: Legitimationen (1998) 147; ders. Sinn und Zweck des Körperschaftsstatus im Staatskirchenrecht, Festschrift für Martin Heckel zum siebzigsten Geburtstag (1999) 411; ders. Das Schächten in Deutschland, in Potz/Schirkele/Wieshaider (Hrsg.) Schächten – Religionsfreiheit und Tierschutz, Religionsrechtliche Studien Bd. 2 (2002) 142; Rode Die Gotteslästerung (1911); Roellecke Die Entkoppelung von Recht und Religion, JZ 2004 105; ders. Religion – Recht – Kultur und die Eigenwilligkeit der Systeme, Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft zu Berlin Heft 184 (2007) – zit.: Roellecke Religion; Röger Die Aberkennung des Körperschaftsstatus von Religionsgesellschaften im Lichte der Schutzpflichtlehre, Kirche und Religion im sozialen Rechtsstaat: Festschrift für Wolfgang Rüfner zum 70. Geburtstag (2003) 749; v. Rohland Historische Wandlungen der Religionsverbrechen, Freiburger Festschrift der Albrecht-Ludwigs-Universität zum fünfzigjährigen Regierungsjubiläum des Großherzogs Friedrich (1902) 119; Rüfner Staatskirchenrecht und gesellschaftlicher Wandel – Aktuelle Konfliktfelder zwischen Staat und Kirche, KuR 5 (1999) 73; Rox Schutz religiöser Gefühle im freiheitlichen Verfassungsstaat?, 2012; Sagmeister Das neue kirchliche Strafrecht und der Schutz des Lebens, Recht im Dienste des Menschen – Eine Festgabe: Hugo Schwendenwein zum 60. Geburtstag (1987) 493; Sailer Die Staatliche Finanzierung der Kirchen und das Grundgesetz, ZRP 2001 80; Sauer Kriminologie als reine und angewandte Wissenschaft (1950) – zit.: Sauer Kriminologie; Schauf Einführung in das kirchliche Strafrecht (1952); Scheffler Staat und Kirche, Varia Juris Publici Bd. 42a (1973); Scheilke Religions- und Ethikunterricht – neue Diskussionen, neue Entwicklungen, RdJB 49 (2001) 314; Scheuermann Der strafrechtliche Schutz kirchlicher Ritualvorschriften, Liturgie, Gestalt und Vollzug: Joseph Pascher zur Vollendung seines 70. Lebensjahres von seinen Schülern und Freunden gewidmet (1963) 272; Scheuner Auflösung des Staatskirchenrechts? ZevKR 2 (1952/53) 53; ders. Kirche und Staat, in Galling (Hrsg.) Die Religion in Geschichte und Gegenwart, Handwörterbuch für Theologie und Rechtswissenschaft Bd. 3 3. Aufl. (1959) 1327; ders. Kirche und Staat in der neueren Entwicklung, ZevKR 7 (1959/60) 225; Schieder Das prekäre Verhältnis von Politik und Religion, in Brugger/Huster (Hrsg.) Der Streit um das Kreuz in der Schule, Interdisziplinäre Studien zu Recht und Staat Bd. 7 (1998) 221; Schilling Gotteslästerung strafbar? (1966); Schlaich Der Öffentlichkeitsauftrag der Kirchen, in Listl/Pirson (Hrsg.) Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2 2. Aufl. (1995) 131; Schlief Die Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Kirche und seine Ausgestaltung im Bonner Grundgesetz (1961); ders. Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Kirche in den neuen Bundesländern, KuR 7 (2001) 1; Schlitt Die Religionsvergehen, insbesondere die Gotteslästerung und die Beschimpfung von Religionsgesellschaften im Entwurf eines Allgemeinen deutschen Strafgesetzbuches von 1927 im Vergleich mit dem geltenden Recht (1928); Schluckebier Referat zum 70. Deutschen Juristentag (DJT), 2014, Verhandlungen des 70. DJT, Band II/1, 214. L 13; Schmied „Du sollst den Namen Gottes nicht verunehren“, Blasphemie und anderer Mißbrauch der Religion in der modernen Gesellschaft, in Schmied/
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Vorbemerkungen zu den §§ 166 ff
Wunden (Hrsg.) Gotteslästerung? Vom Umgang mit Blasphemien heute, Mainzer Perspektiven Orientierungen 3 (1996) 11; Schmidt H.C. Grundrechte als verfassungsunmittelbare Strafbefreiungsgründe, 2007; Schmitt Glaeser Meinungsfreiheit, Ehrenschutz und Toleranzgebot, NJW 1996 873; Schmitz Straftaten gegen Religion und Weltanschauung §§ 166– 168 StGB (1982); Schneemelcher Religion, in Heun/Honecker/Morlok/Wieland (Hrsg.) Evangelisches Staatslexikon (Neuausgabe 2006) 1995; Schnieders Der strafrechtliche Schutz des öffentlichen Friedens im weltanschaulich-religiösen Bereich nach dem Ersten Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 25. Juni 1969 (1971); Schnorr Öffentliches Vereinsrecht (1965); Schoen Der Staat und die Religionsgesellschaften in der Gegenwart, VerwArch. 29 (1922) 1; Schoeps Religionen, Wesen und Geschichte (1961); Scholler Die staatliche Warnung vor religiösen Bewegungen und die Garantie der Freiheit der Religion, in Staatsphilosophie und Rechtspolitik: Festschrift für Martin Kriele zum 65. Geburtstag (1997) 321; Schöllgen Soziologie und Ethik des religiösen Ärgernisses mit besonderer Berücksichtigung des § 166 RStGB und der Strafrechtsreform, Abhandlungen aus Ethik und Moral Bd. 11 (1931); Schrag Gefühlszustände als Rechtsgüter im Strafrecht (1936); Schumacher Der strafrechtliche Schutz der Religion in geschichtlicher und rechtvergleichender Darstellung unter besonderer Berücksichtigung der neueren Entwürfe von 1925 und 1927 (1927); Schütze Hans Der Status der kleineren Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts in Deutschland (1953); Schwander Von den Religionsdelikten, Freiburger Veröffentlichungen aus dem Gebiete von Kirche und Staat Bd. 12 (1955); Schwarz K.-A. Das Spannungsverhältnis von Religionsfreiheit und Tierschutz am Beispiel des rituellen Schächtens, Studien und Materialien zur Verfassungsgerichtsbarkeit Bd. 94 (2003) – zit.: K.-A. Schwarz Spannungsverhältnis; Schwerhoff Zungen wie Schwerter, Konflikte und Kultur – Historische Perspektiven Bd. 12 (2005); Sebott Religionsfreiheit und Verhältnis von Kirche und Staat, Analecta Gregoriana Bd. 206 (1977); Seelig/Bellavic´ Lehrbuch der Kriminologie, 3. Aufl. (1963); Seifert/Hömig Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 5. Aufl. (1995); Sendler Auf jede Stimme kommt es an! NJW 2002 2611; ders. Glaubensgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, DVBl. 2004 8; Simon H. Zur strafrechtlichen Regelung der Religionsdelikte, KiZt. 20 (1965) 24; ders. Freie Kirche im demokratischen Staat, ZevKR 42 (1997) 153; Skriver Gotteslästerung? Das aktuelle Thema Bd. 11 (1962); Smend Staat und Kirche nach dem Bonner Grundgesetz, ZevKR 1 (1951) 4; Sonnen Kriminalität und Strafgewalt (1978); Sperling Kirchliche Friedhöfe zwischen Bekenntnisfreiheit und Schrankenvorbehalt, DÖV 1993 197; Splett Religion, in Görres-Gesellschaft (Hrsg.) Staatslexikon Recht – Wissenschaft – Gesellschaft Bd. 4 7. Aufl. (1995) 792; Spranger Die Figur der „Schutzbereichsverstärkung“, NJW 2002 2074; Steiger Religion und Religionsfreiheit im neutralen Staat, Staatsphilosophie und Rechtspolitik: Festschrift für Martin Kriele zum 65. Geburtstag (1997) 105; Stein A. Zum Stand der Grundlagendiskussion im deutschen evangelischen Kirchenrecht, NJW 1983 2527; Steinbach Die Beschimpfung von Religionsgesellschaften gemäß § 166 StGB – eine Würdigung des Karikaturenstreits nach deutschem Strafrecht, JR 2006 495; Steinberg Verfassungsrechtlicher Umweltschutz durch Grundrechte und Staatszielbestimmung, NJW 1996 1985; Steppacher Der § 166 R.St.G.B. und die Reform (1911); Sternberg-Lieben Rechtsgut, Verhältnismäßigkeit und die Freiheit des Strafgesetzgebers, in Hefendehl/v. Hirsch/Wohlers (Hrsg.) Die Rechtsgutstheorie (2003) 65; v. Stieglitz Rettung des Christentums? Anthroposophie und Christengemeinschaft (1965); Stock Islamunterricht an öffentlichen Schulen in Nordrhein-Westfalen, NWVBl. 19 2005 285; Streinz Auswirkungen des Europarechts auf das deutsche Staatskirchenrecht, Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 31 (1997) 53; Stuck Die Religionsvergehen im Reichsstrafgesetzbuch unter besonderer Berücksichtigung des Vorentwurfs zu einem deutschen Strafgesetzbuch (1912); Sturm Die Änderungen des Besonderen Teils des StGB zum 1. September 1969, NJW 1969 1606; ders. Die Strafrechtsreform, JZ 1970 81; Sutor Der Öffentlichkeitsauftrag der Kirche, StZt. 126 (2001) 161; v. Tempski Die Religionsvergehen (1908); Tettinger Anmerkungen zu aktuellen Akzentuierungen staatlichen Rechtsschutzes in kirchlichen Angelegenheiten, Kirche und Religion im sozialen Rechtsstaat: Festschrift für Wolfgang Rüfner zum 70. Geburtstag (2003) 887; Thomä Gotteslästerung und Glaubensschutz (1932); Thümmel Der Religionsschutz durch das Strafrecht – § 166 des Strafgesetzbuches, 2. Aufl. (1927) – zit.: Thümmel Religionsschutz; ders. Das neue Strafgesetzbuch und die Religionsvergehen, Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart Bd. 53 (1927) – zit.: Thümmel Religionsvergehen; Thüsing Kirchenautonomie und Staatsloyalität, DÖV 1998 25; ders. Ist Scientology eine Religionsgemeinschaft? ZevKR 45 (2000) 592; ders. Vom Kopftuch als Angriff auf die Vertragsfreiheit, NJW 2003 405; Tiedemann Verfassungsrecht und Strafrecht, Schriftenreihe der Juristischen Studiengesellschaft Karlsruhe Heft 196 (1991); Tillmanns Zur Verleihung des Körperschaftsstatus an Religionsgemeinschaften, DÖV 1999 441; Timm Symbolverschleiß, in Brugger/Huster (Hrsg.) Der Streit um das Kreuz in der Schule, Interdisziplinäre Studien zu Recht und Staat Bd. 7 (1998) 179; Towfigh Religionsunterricht an staatlichen Schulen, NWVBl. 20 (2006) 131; Traulsen Betäubungsloses Schlachten nach islamischem Ritus in Deutschland, ZevKR 48 (2003) 198; Triebel Kopftuch und staatliche Neutralität, BayVBl. 133 (2002) 624; ders. Das Kopftuch allein tut’s freilich nicht … Gesichtspunkte in der Debatte um ein Kopftuchverbot, ThB 35 (2004) 285; ders. Das europäische Religionsrecht – Religionsrecht in Europa, KuR 11 (2005) 161; Troll Nach dem Kopftuchurteil, StZt. 129 (2004) 1; Trute Das Schächten von Tieren im Spannungsfeld von Tierschutz und Religionsausübungsfreiheit, Jura 1996 462; Türcke Blasphemie, Merkur 60 (2006) 471; Turowski Staatskirchenrecht in der Europäischen Union, KuR 1 (1/1995) 13, (3/1995) 13; ders. Staat und Kirche in neuzeitlicher Perspektive, KuR 12 (2006) 16; Uhle Das brandenburgische Lehrfach „Lebensge-
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staltung – Ethik – Religionskunde“ – ein verfassungskonformes Substitut für den Religionsunterricht? KuR 2 (1/1996) 15; ders. Staat – Kirche – Kultur, Staatskirchenrechtliche Abhandlungen Bd. 43 (2004) – zit.: Uhle Staat; Vaas Die Evolution der Religiosität, Universitas 61 (2006) 1117; Valerius Übungsklausur – Strafrecht: Der Untergang Babylons (Offenbarung 18) – Grundrechte als Rechtfertigungsgrund, JuS 2007 1105; ders. Kultur und Strafrecht. Die Berücksichtigung kultureller Wertvorstellungen in der deutschen Strafrechtsdogmatik, 2011; ders. Tatbestände zum Schutz religiöser Einrichtungen, ZStW 129 (2017) 529; Vater Die Schranken der Religionsfreiheit nach Artikel 4 des Bonner Grundgesetzes und Artikel 9 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (1964); Villinger Die Religionsdelikte in historisch-dogmatischer Darstellung mit Berücksichtigung des schweizerischen Rechts (1894); Villnow Vergehen, welche sich auf die Religion beziehen, GerS 31 (1879) 508, 578; Vulpius Aktuelle Fragen des Verhältnisses von Kirche und Staat, KuR 1 (3/1995) 1; Wach Die Beschimpfung von Religionsgesellschaften, DZKR 2 (1892) 161; Wagner F. Was ist Religion? Studien zu ihrem Begriff und Thema in Geschichte und Gegenwart (1986); Waldhoff Die Zukunft des Staatskirchenrechts, Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche Bd. 42 (2008) 55 (zit.: Waldhoff EssGespr.); deWall Zum Verfassungsstreit um den Religionsunterricht in Brandenburg, ZevKR 42 (1997) 353; ders. Europäisches Staatskirchenrecht, ZevKR 45 (2000) 57; ders. Neue Juristische Bewegungen, in Heun/ Honecker/Morlok/Wieland (Hrsg.) Evangelisches Staatslexikon, Neuausgabe (2006) 1987; Walter C. Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht, in Grote/Marauhn (Hrsg.) Religionsfreiheit zwischen individueller Selbstbestimmung, Minderheitenschutz und Staatskirchenrecht – Völker- und verfassungsrechtliche Perspektiven (2001) 215; ders. Religionsverfassungsrecht in vergleichender und internationaler Perspektive (2006) – zit. C. Walter Religionsverfassungsrecht; Wassermann Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Reihe Alternativkommentare 2. Aufl. (1984), 3. Aufl. Loseblattausgabe (2001) – zit.: Bearbeiter AK-GG; Weber Herm. Die Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts im System des Grundgesetzes, Schriften zum Öffentlichen Recht Bd. 32 (1966) – zit.: Herm. Weber Religionsgemeinschaften; ders. Gelöste und ungelöste Probleme des Staatskirchenrechts, NJW 1983 2541; ders. Die Verleihung der Körperschaftsrechte an Religionsgemeinschaften, ZevKR 34 (1989) 337; ders. Grundrechtsbindung der Kirchen und Religionsgemeinschaften, in Listl/Pirson (Hrsg.) Handbuch des Staatskirchenrechts für die Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1 2. Aufl. (1994) 573; ders. Staat und Kirche – Juristisch, in Fahlbusch/ Lochmann/Mbiti/Pelikan/Vischer (Hrsg.) Evangelisches Kirchenlexikon, Bd. 4 3. Aufl. (1996) 449; ders. Körperschaftsstatus für die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in Deutschland? ZevKR 41 (1996) 172; ders. Der Thüringer Evangelische Kirchenvertrag, Staatsphilosophie und Rechtspolitik: Festschrift für Martin Kriele zum 65. Geburtstag (1997) 1009; ders. Die Religionsfreiheit im nationalen und internationalen Verständnis, ZevKR 45 (2000) 109; ders. Die „Anerkennung“ von Religionsgemeinschaften durch die Verleihung von Körperschaftsrechten in Deutschland, Kirche und Religion im sozialen Rechtsstaat: Festschrift für Wolfgang Rüfner zum 70. Geburtstag (2003) 959; Weber W. Die staatskirchenrechtliche Entwicklung des nationalsozialistischen Regimes in zeitgenössischer Betrachtung, Rechtsprobleme in Staat und Kirche: Festschrift für Rudolf Smend zum 70. Geburtstag 15. Januar 1952 (1952) 365; ders. Die Gegenwartslage des Staatskirchenrechts, Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Heft 11 (1954) 153 – zit.: W. Weber Gegenwartslage; ders. Die kleinen Religionsgesellschaften im Staatskirchenrecht des nationalsozialistischen Regimes, Forschungen und Berichte aus dem öffentlichen Recht: Gedächtnisschrift für Walter Jellinek 12. Juli 1885–9. Juni 1955 (1955) 101; Webersinn Die geschichtliche Entwicklung des Gotteslästerungsdelikts (1928); Weider Der strafrechtliche Schutz der Religion (1916); Weiß Störung des religiösen Friedens und der Totenruhe (1927); Wilda Geschichte des deutschen Strafrechts, Bd. 1: Das Strafrecht der Germanen (1842, Neudruck 1960); Wilden Vergehen, welche sich auf die Religion beziehen, in geschichtlicher Entwicklung und rechtsvergleichender Darstellung des außerdeutschen europäischen Strafrechts unter Berücksichtigung der deutschen Strafgesetzentwürfe (1933); Wili Religion und Strafrecht, Kriminalistik 18 (1964) 175; Wilms Selbstverständnistheorie und Definitionsmacht bei Grundrechten, dargestellt am Beispiel der Glaubensfreiheit, Staatsphilosophie und Rechtspolitik: Festschrift für Martin Kriele zum 65. Geburtstag (1997) 341; ders. Glaubensgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, NJW 2003 1083; Winter Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland (2001) – zit.: Winter Staatskirchenrecht; ders. Die Religionsgemeinschaften des öffentlichen Rechts im deutschen Staatskirchenrecht, öarr 47 (2000) 203; ders. Das Verhältnis von Staat und Kirche als Ausdruck der kulturellen Identität der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, Verfassung-Philosophie-Kirche: Festschrift für Alexander Hollerbach zum 70. Geburtstag (2001) 893; Wittreck Religionsfreiheit als Rationalisierungsverbot, Staat 42 (2003) 519; Wolf E. Die Neuordnung der Religionsvergehen im kommenden deutschen Strafrecht, AEKR 1 (1937) 13; Worms Die Bekenntnisbeschimpfung im Sinne des § 166 Abs. 1 StGB und die Lehre vom Rechtsgut, Frankfurter kriminalwissenschaftliche Studien Bd. 11 (1984); Wulffen Vergehen in Beziehung auf die Ausübung der Religion, Verbrechen und Vergehen gegen die Ordnung der Ehe und des Personenstandes und gegen die Sittlichkeit, in Aschrott/v.Liszt Die Reform des Reichsstrafgesetzbuchs – Kritische Besprechung des Vorentwurfs zu einem Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich unter vergleichender Berücksichtigung des österreichischen und schweizerischen Vorentwurfs, Bd. 2 Besonderer Teil (1910) 119; Wullschleger Religion und Kriminalität, in Schneider (Hrsg.) Kindlers Psychologie des zwanzigsten Jahrhunderts, Bd. 2: Kriminalität und abweichendes Ver-
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Vorbemerkungen zu den §§ 166 ff
halten (1983) 18; Wunden Blasphemie: Ärgernisse als Herausforderung der Christen, in Schmied/Wunden (Hrsg.) Gotteslästerung? Vom Umgang mit Blasphemien heute, Mainzer Perspektiven Orientierungen 3 (1996) 83; Würtenberger Das System der Rechtsgüterordnung in der deutschen Strafgesetzgebung seit 1532, StrafrAbh. 305 (1933) – zit.: Würtenberger Rechtsgüterordnung; Zacharias Verfassungsrechtliche Voraussetzungen für die Verleihung der Körperschaftsrechte, KuR 7 (2001) 33; dies. Der Streit um das Kopftuch, KuR 8 (2002) 115; dies. Das deutsche Staatskirchenrecht vor den Herausforderungen der Gegenwart, KuR 11 (2005) 101; Zipf Die Delikte gegen den öffentlichen Frieden im religiösweltanschaulichen Bereich, NJW 1969 1944; ders. Kriminalpolitik, 2. Aufl. (1980) – zit.: Zipf Kriminalpolitik; Zippelius Kirche und Staat und die Einheit der Staatsgewalt, ZevKR 9 (1962) 42; ders. Recht und Gerechtigkeit in der offenen Gesellschaft, Schriften zur Rechtstheorie Heft 163 2. Aufl. (1996) – zit.: Zippelius Recht; Zweig Ein Gewissen gegen die Gewalt (1954). Siehe zudem die Angaben zu § 166, § 167, § 167a und § 168.
Im allgemeinen Abkürzungsverzeichnis nicht aufgeführte Abkürzungen AA – Archäologia Atlantica; ÄBlBW – Ärzteblatt Baden-Württemberg; ÄBIRP – Ärzteblatt Rheinlandpfalz; AEKR – Archiv für evangelisches Kirchenrecht; AiK – Der Arzt im Krankenhaus und im Gesundheitswesen; ains – AnästesiologieIntensivmedizin-Notfallmedizin; AKKR – Archiv für katholisches Kirchenrecht; AKlChir. – Langenbecks Archiv für klinische Chirurgie; AktNephr. – Fresenius Wissenschaftliche Informationen Aktuelle Nephrologie; ALR – Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794; ÄM – Ärztliche Mitteilungen (seit 1964 Deutsches Ärzteblatt); Anaesth. – Der Anaesthesist; AnInt. – Anästhesiologie und Intensivmedizin; AnIntP – Anästhesiologische und intensivmedizinische Praxis; Anstöße – Anstöße aus der Arbeit der Evangelischen Akademie Hofgeismar; ÄP – Ärztliche Praxis; ARSP – Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie; AuC – Arzt und Christ (ab 5/1992 Zeitschrift für medizinische Ethik); AuK – Arzt und Krankenhaus; AuU – Arzt und Umwelt (ab 1999 Umwelt-Medizin-Gesellschaft); ÄZ – Ärztezeitung; BayÄBl. – Bayerisches Ärzteblatt; BayVBl. – Bayerische Verwaltungsblätter; BerlÄ – Berliner Ärzte (bis 1987 Berliner Ärztekammer); BerlÄBl. – Berliner Ärzteblatt; BerlÄK – Berliner Ärztekammer (ab 1988 Berliner Ärzte); BerlM – Berliner Medizin; BerlThZ – Berliner theologische Zeitschrift; BestG – Das Bestattungsgewerbe; BestK – Bestattungskultur; BfemTP – Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis; BgerMed. – Beiträge zur gerichtlichen Medizin; BGesBl. – Bundesgesundheitsblatt; BKK – Die Betriebskrankenkasse; BPath. – Beiträge zur Pathologie (ab 1972 Pathology Research and Practice); BSt. – Der Bürger im Staat; BTP – Betreuungsrechtliche Praxis; BuB – Buch und Bibliothek; BWNZ – Zeitschrift für das Notariat in Baden-Württemberg; Caritas – Jahrbuch des Deutschen Caritasverbandes; Chir. – Der Chirurg; Civitas – Jahrbuch für christliche Gesellschaftsordnung; Concepte – Magazin für Sozialethik und Sozialhygiene; Concilium – Internationale Zeitschrift für Theologie; curare – Zeitschrift für Ethnomedizin und transkulturelle Psychiatrie; DAVorm. – Der Amtsvormund (ab 2001 Das Jugendamt); DAZ – Deutsche Apotheker Zeitung; DdA – Der deutsche Arzt; DdG – Das deutsche Gesundheitswesen (ab 1985 Zeitschrift für klinische Medizin); DFK – Deutsche Friedhofskultur (ab 1997 Friedhofskultur); DGW – Das Gesundheitswesen (bis 1991 Das öffentliche Gesundheitswesen); DiA – Der informierte Arzt; DKA – Der Kinderarzt (ab 1999 Kinder- und Jugendarzt); DKZ – Deutsche Krankenpflege Zeitschrift (ab 1994 Pflege Zeitschrift); DMJ – Deutsches Medizinisches Journal; DML – Deutsche Monatsschrift für das gesamte Leben der Gegenwart; DnA – Der niedergelassene Arzt; DnL – Die niedersächsische Landgemeinde; DnO – Die neue Ordnung; DöG – Das öffentliche Gesundheitswesen (bis 1966 Der öffentliche Gesundheitsdienst, ab 1992 Das Gesundheitswesen); DOK – Die Ortskrankenkasse; DUD – Deutschland-Union-Dienst; DZgerM – Deutsche Zeitschrift für die gesamte gerichtliche Medizin (ab 1970 Zeitschrift für Rechtsmedizin); DZKR – Deutsche Zeitschrift für Kirchenrecht; EAF – Familienpolitische Informationen; EEGEMG – Zeitschrift für Elektroenzephalographie Elektromyographie und verwandte Gebiete; EFG – Entscheidungen der Finanzgerichte; ESVGH – Entscheidungen des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg; Ethica – Wissenschaft und Verantwortung; EthM – Ethik in der Medizin; EuAORL – European Archives of Oto-Rhino-Laryngologie; EuS – Ethik und Sozialwissenschaften (ab 2002 Erwägen Wissen Ethik); EvK – Evangelische Kommentare (bis 1967 Evangelischer Literaturbeobachter, ab 2000 Zeitzeichen); EvL – Evangelischer Literaturbeobachter (bis 1949 Kirche in der Zeit); EWE – Erwägen Wissen Ethik (bis 2001 Ethik und Sozialwissenschaften); FA – Der Frauenarzt; FamD – Familiendynamik; FamK – Familienrecht kompakt; FamRB – Der FamilienRechts-Berater; FE – Forum Erziehungshilfen; FF – Forum Familien- und Erbrecht; FK – Friedhofskultur (bis 1996 Deutsche Friedhofskultur); FKTh. – Forum Katholische Theologie; FM – Fortschritte der Medizin; FNP – Fortschritte der Neurologie-Psychiatrie und ihrer Grenzgebiete; FR – Film und Recht; FuR – Familie und Recht; GH – Die gelben Hefte; GP – Gesundheitspolitik; HambÄBl. – Hamburger Ärzteblatt; HessÄbl. – Hessisches Ärzteblatt; HessBlVk. – Hessische Blätter für Volkskunde; HK – Herder Korrespondenz; HZ – Historische Zeitschrift; Imago – Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Natur- und Geisteswissenschaften; INM – Intensivmedizin und Notfallmedizin; Int. – Der Internist; IPRax – Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts; JAMA – Journal of the American Medical Association; JAmt – Das Jugendamt (bis 2000 Der Amtsvormund); JBl. – Juristische Blätter; JPH – Journal of Public Health (bis 9/2003 Zeitschrift für Gesundheitswissenschaften); JSch – Jugendschutz (ab 1991 Kind Jugend Gesellschaft); JWE – Jahrbuch für Radtke
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Im allgemeinen Abkürzungsverzeichnis nicht aufgeführte Abkürzungen
StGB Vor §§ 166
Wissenschaft und Ethik; KA – Der Kassenarzt; KÄP – Kinderärztliche Praxis; KD – Der Krankendienst; KFW – Kriminalistik und forensische Wissenschaften; KH – Das Krankenhaus; KHA – Krankenhausarzt; KirchE – Entscheidungen in Kirchensachen seit 1946; KiZt. – Kirche in der Zeit (ab 1950 Evangelischer Literaturbeobachter); KJA – Kinder- und Jugendarzt (bis 1998 Der Kinderarzt); KJG – Kind Jugend Gesellschaft (bis 1990 Jugendschutz); KlA – Klinikarzt; KlBl. – Klerusblatt; KlW – Klinische Wochenschrift; KMV – Kindesmisshandlung und Vernachlässigung; KölnZ – Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie; Kompaß – Zeitschrift für Sozialversicherung im Bergbau; KorrBl. – Korrespondenzblatt der diakonischen Gemeinschaften von Neuendettelsau; KrimM – Kriminalistische Monatshefte; KrimP – Die Kriminalpolizei; KRP – Kindschaftsrechtliche Praxis (ab 2006 Zeitschrit für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe); KrV – Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft; KuR – Kirche und Recht; LA – Der Landarzt (ab 1969 Zeitschrift für Allgemeinmedizin); LegM – International Journal of Legal Medicine (bis 1989 Zeitschrift für Rechtsmedizin); LEH – Landesarbeitsgemeinschaft für Erziehungsberatung in Hessen; Leviathan – Berliner Zeitschrift für Sozialwissenschaft; LF – LebensForum; LKV – Landes- und Kommunalverwaltung; LM – Lutherische Monatshefte (ab 1998 Die Zeichen der Zeit, 2002 aufgegangen in Zeitzeichen); LVM – Lebensversicherungsmedizin; MÄA Münchner Ärztliche Anzeigen; Mabuse – Dr. med. Mabuse; MD – Materialdienst des Konfessionskundlichen Instituts Bensheim; Merkur – Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken; MHJ – Medizin-Historisches Journal; MIC – Minimal Invasive Chirurgie; MitA – Die Mitarbeit; MKH – Monatsschrift für Kinderheilkunde; MKl. – Medizinische Klinik; MMG – Medizin Mensch Gesellschaft; MMN – Materia Medica Nordmark; MMP – Medizinische Monatsschrift für Pharmazeuten; MMW – Münchener Medizinische Wochenschrift; MMWF – Fortschritte der Medizin (ab 2000 Fortsetzung von Münchener Medizinische Wochenschrift und Fortschritte der Medizin); Monat – Der Monat; MSV – Der medizinische Sachverständige; MW – Die Medizinische Welt; NDH – Neue Deutsche Hefte; NdsÄBl. – Niedersächsisches Ärzteblatt; NDV – Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge; NervA – Der Nervenarzt; NordÖR – Zeitschrift für öffentliches Recht in Norddeutschland; NotA – Der Notarzt; np – neue praxis; NuR – Natur und Recht; ÖAKR – Österreichisches Archiv für Kirchenrecht; öarr – österreichisches Archiv für recht & religion; ÖÄZ Österreichische Ärztezeitung; ÖGZ – Österreichische Gemeindezeitung; ÖNZ – Österreichische Notariatszeitung; ÖRiZ – Österreichische Richterzeitung; PädE – Päd. Extra Sozialarbeit (ab 1996 PÄD Forum); PädF – PÄD Forum (ab 2003 PÄD Forum: unterrichten erziehen); Paragrana – Internationale Zeitschrift für Historische Anthropologie; Path. – Der Pathologe; PdR – Praxis der Rechtspsychologie; PflA – Pflege Aktuell; Pflege – Die wissenschaftliche Zeitschrift für Pflegeberufe; PflZ – Pflegezeitschrift (bis 1993 Deutsche Krankenpflege Zeitschrift); PF:ue – PÄD Forum: unterrichten erziehen (bis 2002 PÄDForum und unterrichten erziehen); PKK – Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie; PKR – Pflege- und Krankenhausrecht; PNW – Psychiatrisch-Neurologische Wochenschrift; Prisma – Neues aus Wissenschaft und Forschung; PRP – Pathology, Researche and Practise (bis 1971 Beiträge zur Pathologie); PrPfA – Preußisches Pfarrarchiv; PrZ – Prähistorische Zeitschrift; PSt. – Politische Studien; Psyche – Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen; PTh. – Pastoral Theologie; PuZ – Aus Politik und Zeitgeschehen (Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament); RdM – Recht der Medizin; RGesBl. – Reichsgesundheitsblatt; RhÄBl. – Rheinisches Ärzteblatt; RpflSt. – Rechtspfleger Studienhefte; RPS – Revue Pénale Suisse; RsDE – Beiträge zum Recht der sozialen Dienste und Einrichtungen; RSJ – Revue Suisse de Jurisprudence; RuZ – Raum & Zeit; RVBl. – Reichsverwaltungsblatt; Scheidewege – Jahresschrift für skeptisches Denken; SchwAVK – Schweizerisches Archiv für Volkskunde; SchwÄZ – Schweizerische Ärztezeitung; SchwMW – Schweizerische Medizinische Wochenschrift; SchwRM – Schweizerische Rundschau für Medizin; SdW – Spektrum der Wissenschaft; SeuffA – Seufferts Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte; SKG – Spuren in Kunst und Gesellschaft; SozE – Sozial extra; SozM – Sozialmagazin; SozR – Soziologische Revue; SozW – Soziale Welt; Staat – Der Staat; Standpunkte – Das evangelische Magazin; StG – Studium Generale; Streit – Feministische Rechtszeitschrift; StZt. – Stimmen der Zeit; SuS – Staat und Selbstverwaltung (ab 1955 Staats- und Kommunalverwaltung, seit 1977 Verwaltungsrundschau); SZ – Senioren Zeitschrift; ThB – Theologische Beiträge; TherW – Therapiewoche; ThGA – Theologie der Gegenwart in Auswahl; ThPrQ – Theologisch Praktische Quartalsschrift; ThR – Theologische Rundschau; TrThZ – Trierer Theologische Zeitschrift; UA – Unser Auftrag; ue – unterrichten erziehen (ab 2003 PÄD Forum: unterrichten erziehen); UMG – Umwelt – Medizin – Gesellschaft (bis 1988 Arzt und Umwelt); Umschau – Umschau in Wissenschaft und Technik; Universitas – Orientierung in der Wissenswelt; VirchA – Virchow’s Archiv für pathologische Anatomie und Physiologie und für klinische Medizin; VM – Versicherungsmedizin (bis 1987 Lebensversicherungsmedizin); Vorgänge – Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik; VR – Verwaltungsrundschau; WestfÄBl. – Westfälisches Ärzteblatt; WKW – Wiener klinische Wochenschrift; WMW – Wiener Medizinische Wochenschrift; WW – Wechselwirkung; WzM – Wege zum Menschen; WzS – Wege zur Sozialversicherung; ZÄF – Zeitschrift für ärztliche Fortbildung; ZÄK – Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft; ZAM – Zeitschrift für Allgemeinmedizin (bis 1968 Der Landarzt); ZAR – Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik; ZBR – Zeitschrift für Beamtenrecht; ZChir. – Zentralblatt für Chirurgie; ZEE – Zeitschrift für Evangelische Ethik; ZEG – Zeitschrift für Elektroenzephalographie Elektromyographie und verwandte Gebiete; ZevKR – Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht; ZFE – Zeitschrift für Familien- und Erbrecht; ZFF – Zeitschrift für Familienforschung; ZfL – Zeitschrift für Lebensrecht; ZG – Zeitschrift für Gesetzgebung; ZGW – Zeitschrift
207
Radtke
Vor §§ 166 StGB
Vorbemerkungen zu den §§ 166 ff
für Gesundheitswissenschaften (ab 10/2003 Journal of Public Health); ZgS – Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft (seit 1986 Journal of institutional and theoretical economics); ZIS Zeitschrift für Internationale Strafdogmatik; ZKJ – Zeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe; ZKJP – Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychologie; ZklM – Zeitschrift für klinische Medizin (bis 1984 Das deutsche Gesundheitswesen); ZME – Zeitschrift für medizinische Ethik (bis 4/1992 Arzt und Christ); ZPath. – Zentralblatt für allgemeine Pathologie und Pathologische Anatomie; ZPhil. – Zeitschrift für Deutsche Philologie; ZPhilF – Zeitschrift für philosophische Forschung; ZPsych. – Zeitschrift für Psychologie mit Zeitschrift für angewandte Psychologie und Sprache & Kognition; ZRGGermA – Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte Germanistische Abteilung; ZRM – Zeitschrift für Rechtsmedizin (bis 1969 Deutsche Zeitschrift für die gesamte gerichtliche Medizin, ab 1990 International Journal of Legal Medicin); ZSoz. – Zeitschrift für Soziologie; ZThK – Zeitschrift für Theologie und Kirche; ZTM – Zeitschrift für Transplantationsmedizin; ZvglR – Zeitschrift für vergleichende Rechts-Wissenschaft; ZVK – Zeitschrift für Volkskunde; ZZ – Zeitzeichen (bis 1999 Evangelische Kommentare).
Entstehungsgeschichte Das Reichsstrafgesetzbuch enthielt unter der Abschnittsüberschrift „Vergehen, welche sich auf die Religion beziehen“, drei Tatbestände: Die Religionsbeschimpfung (§ 166), die Hinderung am Gottesdienst (§ 167) und den Unfug an Leichen und Gräbern (§ 168). Sie blieben über 80 Jahre unverändert. Erst das Dritte Strafrechtsänderungsgesetz änderte § 166 redaktionell, § 168 auch sachlich. Das Erste Gesetz zur Reform des Strafrechts gestaltete die §§ 166, 167 teils durch Einschränkung, teils durch Erweiterung des Strafschutzes um und fügte § 167a ein; die Abschnittsüberschrift erhielt die Fassung „Vergehen, welche sich auf Religion und Weltanschauung beziehen“. Das Vierte Gesetz zur Reform des Strafrechts und das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch (EGStGB) änderten § 166 redaktionell; das EGStGB ersetzte in der Abschnittsüberschrift „Vergehen“ durch „Straftaten“. Das Vierundzwanzigste Strafrechtsänderungsgesetz erweiterte den Strafschutz des § 168. Durch das Sechste Gesetz zur Reform des Strafrechts wurde § 168 ein Absatz 2 angefügt, der den Strafschutz erneut ausdehnte; der – nunmehr – Abs. 1 erfuhr eine inhaltliche Änderung.
Aus den Gesetzesmaterialien Niederschr. Bd. 5 S. 828; 12 S. 552, 600 f; E 62 S. 43 f, 264, 342 ff; AE S. 7, 76 ff; BTDrucks. I/3713; IV/650; V/32; V/2285; V/4094; 10/3758; 10/6568; 13/3468; 13/7164; 13/8587; Prot. V/121 S. 2421 ff, 2456a ff; V/134 S. 2806 ff, 2818; BTProt. V/ 230 S. 12782 ff; 10/156 S. 11760; 10/253 S. 19758; BRDrucks. 164/97.
Übersicht 2.
I.
Der Begriff Religionsdelikte
II.
Religionsschutz und Staatsrecht
III. 1.
3 Staatskirchenrecht 3 Entstehung und Kodifizierung a) Vom Staatskirchentum zur Trennung von 4 Staat und Kirche 4 b) Erste Kodifizerungsversuche c) Der Verfassungskompromiss von Wei5 mar d) Die Verlegenheitslösung des Grundgeset6 zes Die Entwicklung eines besonderen partnerschaftlichen kirchlichen und staatlichen Mitei7 nanders Zusammenfassende Umschreibung der derzeiti8 gen staatskirchenrechtlichen Ordnung
2.
3.
IV. 1.
1 2
Entwicklungsgeschichte und Reform der Religi9 onsdelikte Prägung aller Strafbarkeit durch die Gottesläste10 rung
Radtke
3. 4. 5. 6. 7. V.
1. 2. VI. 1. 2.
Abkehr von der metaphysischen Rechtferti10 gung 11 Neuere Reformbemühungen Die Regelung des Ersten Strafrechtsreformgeset12 zes Der bayerische Gesetzesantrag der zehnten 14 Wahlperiode Die Gesetzentwürfe der dreizehnten und vier14 zehnten Wahlperiode 15 Initiativen der sechzehnten Wahlperiode Die Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit als Grundlage strafrechtlichen Schut16 zes 17 Die zentrale Bedeutung der Vorschrift 17 Abwehrrecht und Pönalisierungsgebot Zur verfassungsrechtlichen Legitimität von Reli18 gionsdelikten Die Rechtfertigung der Religionsdelikte gegen19 über dem Gedankengut der Aufklärung Fortdauer der Kritik an einer eigenständigen Re19 gelung 208
I. Der Begriff Religionsdelikte
3.
Pragmatische Gründe für eine Beibehaltung des 20 Strafschutzes
21 VII. Systematik 1. Einordnung der Religionsdelikte in einen größe22 ren Zusammenhang 22 2. Das System der Religionsdelikte selbst 3. Mit den Religionsdelikten in einem weiteren Zu23 sammenhang stehender Strafschutz
IX. 1.
2. 3.
X. VIII. Die Schutzgüter (Überblick)
StGB Vor §§ 166
25 Kriminologie Mangelnde Erforschung des kriminologischen Beziehungsgeflechts zwischen Religion und Ver25 brechen Die Schwierigkeiten zu definieren, was Religion 26 ist Weitere Ursachen des kriminologischen For27 schungsdefizits Kriminalpolitische Bedeutung
28
24
I. Der Begriff Religionsdelikte Der Begriff Religionsdelikte stammt aus dem weltlichen Strafrecht und bezeichnet dort die Straf- 1 tatbestände, die sich auf Religion und Weltanschauung beziehen. Dem Kirchenrecht ist er unbekannt. Im Strafrechtssystem der römisch-katholischen Kirche finden sich Kirchenstrafen.1 Die evangelische Kirche kennt überhaupt nur einzelne Maßnahmen, etwa Kirchenzucht und Kirchenbann. Seine ursprüngliche Bedeutung, die daran anknüpfte, dass Religiöses unmittelbares Schutzgut strafrechtlicher Tatbestände war (vgl. Rdn. 9), hatte der Begriff bereits verloren, bevor das Verfassungsprinzip der religiösen und weltanschaulichen Neutralität des Staates2 eine solche Betrachtung endgültig ausschloss (dazu Rdn. 10). Unter den Begriff lassen sich deshalb lediglich solche Straftatbestände fassen, die unmittelbar dem Schutz von Religion und Kirche dienen.3 Dazu gehören von den Tatbeständen des Elften Abschnitts allein die §§ 166, 167, die die Beschimpfung von Bekenntnissen und von Religionsgesellschaften sowie die Störung des Gottesdienstes und die Verübung von beschimpfendem Unfug an einem dem Gottesdienst geweihten Ort unter Strafe stellen, nicht dagegen die §§ 167a, 168, die der großen Gruppe der 1 Geregelt im Codex Juris Canonici in der Fassung der grossen Codexrevision vom 25.1.1983 (Fundstellen bei Rees Strafgewalt S. 363 Fn. 1); zum Begriff der Kirchenstrafe Neder S. 10 f; zur Geschichte des kirchlichen Strafrechts Rees Strafgewalt S. 116 f; ein Vergleich mit dem staatlichen Strafrecht findet sich bei Eser FS Mikat S. 493 ff; s. auch schon Dordett FS Schmitz S. 427 ff; Sagmeister FestG Schwendenwein S. 994 ff; Schauf S. 1 ff; Scheuermann FS Pascher S. 272 ff. 2 Der Grundsatz, auf dem Boden einer sehr langen und leidvollen historischen Erfahrung gewachsen (vgl. Halfmann NVwZ 2000 865), leitet sich aus der Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG), der Trennung von Staat und Kirche (Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 1 WRV) und dem Benachteiligungs- oder Bevorzugungsverbot aus religiösen Gründen (Art. 3 Abs. 3, Art. 33 Abs. 3 GG) her. Näher zum Ganzen z. B.: Badura in Listl/Pirson/Badura S. 223; Badura/Rauscher/Schutz S. 58 ff; Listl/Pirson/v. Campenhausen S. 77; v. Campenhausen/deWall S. 370 f; Czermak ZRP 2001 565; Dietrich ARSP 90 (2004) 1 f; Emenet Religionskunde S. 245 ff; NWVBl. 18 (2004) 217 f; Fülbier S. 94 f; J. Heinemann S. 70 ff; Herms Staat 40 (2001) 327 ff; Hillgruber DVBl. 1999 1173 ff; W. Huber EssGespr. S. 16 ff; Brugger/ Huster/Huster S. 70 ff; Grundsatz S. 5 ff; Jarass/Pieroth/Jarass Art. 4 Rdn. 4a; Jeand’Heur/Korioth Rdn. 166 ff; Körper KuR 11 (2005) 3; Link in Klinkhammer/Frick/Link S. 33 ff; Listl/Schmitz/Listl S. 1251; Religionsfreiheit S. 15 f; Listl/ Hollerbach in Listl/Schmitz/Listl/Hollerbach S. 1274 ff; Morgenthaler S. 328; Muckel Freiheit S. 71 ff; Mückl Ess.Gespr. S. 56 f; v. Münch/Kunig/Mager Art. 4 Rdn. 3; Obermayer Staat S. 9; Dankert/Zechlin/Ott S. 287; Roellecke Religion S. 15 ff; Sachs/Kokott Art. 4 Rdn. 4 f; Triebel BayVBl. 133 (2002) 624; Waldhoff EssGespr. S. 76 ff; Herm. Weber NJW 1983 2543; Winter Staatskirchenrecht S. 51 f; Zippelius Recht S. 292 ff; Zacharias KuR 11 (2007) 110 ff. Zu den unterschiedlichen Aspekten des Gebots Benda/Maihofer/Vogel/Mikat Rdn. 7 ff; aus neuerer Sicht M. Brenner Staat S. 270 ff; ferner Janz/Rademacher mit der Fragestellung, ob angesichts fortschreitender Säkularisierung es notwendig werde, die Formel der weltanschaulichen und religiösen Neutralität restriktiver als bisher auszulegen (NVwZ 1999 706 ff); vgl. auch Ladeur/Augsburg, die Re-Politisierung der Religion eine Neudimensionierung des herkömmlichen Neutralitätsverständnisses für erforderlich halten (JZ 2007 12 ff). Zum Begriff der religiösen Neutralität: BVerfGE 18 385, 386; 19 206, 216; 24 236, 246; 32 98, 106; 42 312, 334, 336 f; 46 73, 85. 3 Burghard S. 1; Pirson/Rüfner/Germann/Muckel/Radtke § 75 Rn. 8. 209
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Vor §§ 166 StGB
Vorbemerkungen zu den §§ 166 ff
mittelbar dem Schutz des religiösen Friedens dienenden Tatbestände angehören (dazu im Einzelnen Rdn. 22 bis 24).4 Sie sind dem Elften Abschnitt wegen der geschichtlichen Verbindung ihrer Schutzgüter mit der Religion zugeordnet (vgl. Rdn. 22, § 167a Rdn. 5, § 168 Rdn. 2).
II. Religionsschutz und Staatsrecht 2 Ob ein Staat strafrechtlichen Schutz von Religion und Weltanschauung gewährt, hängt innerhalb des durch die Verfassung gesetzten Rechtsrahmens von seiner Haltung zu Religion und Weltanschauung sowie seinem Verhältnis zu den Trägern der religiösen und weltanschaulichen Werte ab.5 Im Großen sind bei der Ausgestaltung des Schutzes von Religionen durch Strafrecht drei Gruppen zu erkennen.6 Identifiziert sich der Staat mit der herrschenden religiösen Bekenntnisform,7 so werden Angriffe gegen diese Religion zugleich zu Verbrechen gegen den Staat (vgl. Rdn. 9). Der Strafschutz reicht weit. Die Strafandrohungen waren bw. sind schwer (näher Rdn. 9). Religiöse und weltanschauliche Bekenntnisse außerhalb der Staatskirche genießen keinen oder nur dürftigen Schutz. Das Gegenstück ist die strenge Trennung von Kirche und Staat, bei der die Religionen aus dem öffentlichen Leben zurückgedrängt, bestenfalls geduldet werden.8 Damit geht das Fehlen von dem Schutz von Religion oder Weltanschauung dienenden Straftaten einher. Identifiziert sich das Staatsdogma mit einer bestimmten weltanschaulichen Auffassung, werden, umgekehrt zur Rechtslage bei Identifikation des Staates mit der herrschenden religiösen Bekenntnisform, Angriffe auf die das politische System tragende Weltanschauung zu Straftaten gegen die staatliche Ordnung und Religionsausübung zur Straftat (vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald II 2012 § 61 Rdn. 8 mit Beispielen). In der dritten Gruppe sind Kirche und Staat rechtlich zwar getrennt, ihre Beziehungen aber von gegenseitiger Achtung und Anerkennung geprägt.9 Mit einem solchen Verhältnis autonomer Partnerschaft kann in gewissen Grenzen der Schutz der Kirchen durch den Staat – auch mit den Mitteln des Strafrechts – einhergehen. Die Legitimation dazu ergibt sich aus dem Staatskirchenrecht,10 das als Teil des Staatsrechts die Rechtsbeziehungen zwischen dem Staat und den Kirchen einschließlich der sonstigen Religionsgemeinschaften auf der Ebene der Verfassung regelt, zugleich aber auch Grundlage 4 Pirson/Rüfner/Germann/Muckel/Radtke § 75 Rn. 8. 5 Bruns S. 2 f; Hardwig GA 1962 257; Kahl VDB S. 6 f, 82 f; FS Brunner S. 254, 256; Kesel S. 1; Lenz S. 166; Ofterdinger S. 6; Quentel S. 6 ff; Schwander S. 35; vgl. auch Dreier/Morlok Art. 140 Rdn. 1; krit. Manck S. 123 ff. Zum Verhältnis zwischen Staat und Kirche allgemein Listl/Schmitz/Listl S. 1239 ff; Listl/Schmitz/List/Hollerbach S. 1271 ff; Bettermann/Nipperdey/Scheuner/Mikat S. 124 ff; Müller-Volbehr ZevKR 44 (1999) 385; Schilling S. 149 ff; Schlief S. 6 ff; Schnorr § 2 Rdn. 36; Schwander S. 35; Herm. Weber in Fahlbusch/Lochmann/Mbiti/Pelikan/Vischer/Herm. Weber S. 450 ff. 6 v. Campenhausen/P. Kirchhof S. 148 f; Klotz S. 149 f; Brugger/Huster/Robbers S. 59 ff; Sturm Prot. V/121 S. 2423; vgl. auch Dreier/Hilgendorf/K. Gabriel S. 60. 7 So in der Antike, im Judentum, ganz allgemein vom Mittelalter bis zur Neuzeit, heute noch in zahlreichen islamischen Ländern. 8 Modell einer feindlichen Trennung (Fahlbusch/Lochmann/Mbiti/Pelikan/Vischer/Herm. Weber S. 452), wie es, in unterschiedlicher Intensität, in den Staaten Ost- und Südosteuropas herrschend war, so unter marxistisch-leninistischen Vorzeichen, verbunden mit exzessiver weltanschauungsstaatlich begründeter Staatskirchenhoheit auch in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik. Ausführlich zur Rechtsstellung der Religionsgemeinschaften im totalen Staat Luchterhand ZevKR 24 (1979) 111 ff; vgl. auch Kotzur GedS Blumenwitz S. 143; Marré KuR 2 (1996) 197 f. 9 Modell einer freundschaftlichen Trennung (Jeand’Heur/Korioth Rdn. 30) im Sinne möglicher Verbindungen von Staat und Kirche, verwirklicht durch die Weimarer Reichsverfassung und das Grundgesetz. 10 Ursprünglich Kirchenstaatsrecht genannt; doch hat sich im Verlaufe des 19. Jahrhunderts der Begriff Staatskirchenrecht durchgesetzt (Jetzkowitz S. 160; Listl/Pirson/Pirson S. 11 mit Fn. 18; vgl. auch Scheuner ZevKR 2 [1952/53] 383), obwohl die Bezeichnung Kirchenstaatsrecht die genauere ist (Hilgendorf FS Albert S. 362 Fn. 14). Definiert wird Staatskirchenrecht als die Gesamtheit der vom Staat gesetzten oder verantworteten Rechtsnormen, deren Gegenstand die Rechtsstellung von Religionsgemeinschaften oder die Rechtsstellung des Einzelnen im Hinblick auf die Radtke
210
III. Staatskirchenrecht
StGB Vor §§ 166
des Vertragsstaatskirchenrechts, der zweiten Ebene des Staatskirchenrechts (vgl. dazu Rdn. 7), ist. Die das Verhältnis von Staat und Kirche betreffenden Bestimmungen des Grundgesetzes, insbesondere Art. 140 GG i. V. m. Art 137 Abs. 1–3 WRV, legen eine Zuordnung der Bundesrepublik Deutschland zur dritten Gruppe nahe.
III. Staatskirchenrecht 1. Entstehung und Kodifizierung Das heutige deutsche Staatskirchenrecht ist das Ergebnis einer langen Entwicklung.
3
a) Vom Staatskirchentum zur Trennung von Staat und Kirche. Diese begann mit dem ottonischen Reichskirchentum des hohen Mittelalters und führte über den durch gegenseitige Bindungen und Einflussnahmen geprägten Dualismus zwischen weltlicher Herrschaft und Kirche bis zur Trennung von Kirche und Staat mit völliger Verweltlichung des Staates auf der einen und der Verwirklichung moderner Religionsfreiheit auf der anderen Seite.11 Getragen wurde dieser Prozess von der Säkularisation. Anfangs lediglich als terminus technicus für die Einziehung oder Nutzung kirchlichen Besitzes durch weltliche Amtsträger verwendet,12 wurde er im Reichsdeputationshauptschluß von 1803 auf die Überführung auch von Regentenfunktionen in weltliche Hände erweitert. Mittlerweile bezeichnet Säkularisation (auch) die Loslösung des
Religion ist (Listl/Pirson/Pirson S. 3 f; Hollerbach HdbStR VI Rdn. 1 ff; Obermayer Staat S. 8; Kreß/Muckel S. 119; krit. AK-GG/Preuss Art. 140/Art. 136–139, 141 WRV Rdn. 1). Dem Vorschlag, den Begriff Staatskirchenrecht durch die Bezeichnung „Religionsverfassungsrecht“ zu ersetzen (Czermak NVwZ 1999 743; 2000 896; Häberle DöV 1976 73 f), wird mit Recht widersprochen (Belafi StZt. 133 [2008] 165; v. Campenhausen/deWall S. 39 f; Isensee öarr 53 [2006] 31; v. Campenhausen/P. Kirchhof S. 152 f; Grote/Marauhn/C. Walter S. 216 f; Winter Staatskirchenrecht S. 9; vgl. auch W. Huber EssGespr. S. 9, 24 f; Körper KuR 11 [2005] 2, 9; Waldhoff EssGespr. S. 80 ff). Dasselbe gilt für die Bezeichnung „Religionsrecht“, die Abel für richtiger hält (NJW 1997 2370) oder „Religions- und Weltanschauungsrecht“, für die Hilgendorf sich ausspricht (in Brugger/Neumann/Kirste S. 128). 11 Insgesamt zur Geschichte des Verhältnisses von Staat und Kirche: Braun S. 9 ff; Ebers S. 2 ff; Hillgruber DVBl. 1999 1144 ff; Scheffler S. 3 ff; Galling/Scheuner S. 1327 ff; ZevKR 7 (1959/60) 231 ff, 247 f; Schlief S. 6 ff; Fahlbusch/ Lochmann/Mbiti/Pelikan/Vischer/Herm. Weber S. 450 ff; Winter Staatskichenrecht S. 13 ff; zur Entwicklung in Deutschland ausführlich Braun S. 29 ff; v. Campenhausen/deWall S. 6 ff; Heckel ZevKR 12 (1966/67) 1 ff; 44 (1999) 363 ff; 45 (2000) 173 ff; J. Heinemann S. 42 ff, 61 ff; Hillgruber DVBl. 1999 1166 ff; Isensee öarr 53 (2006) 34 f; Jeand’Heur/Korioth Rdn. 5 ff; W. Huber EssGespr. S. 10 ff; Jetzkowitz S. 163 ff; Kokott Staat 44 (2005) 344 ff; Kippenberg/Schuppert/Korioth S. 111 ff; Listl Civitas 6 (1967) 118 f; H. Maier KuR 6 (2000) 1 ff; Heun/Honecker/Morlok/Wiegand/Morlok/Rossner Sp. 1148 ff; Listl/Pirson/Pirson S. 3 ff, 12 f; AK-GG/Preuss Art. 140/Art. 136–139, 141 WRV Rdn. 2 ff; Uhle Staat S. 65 ff; W. Weber FS Smend S. 383 ff; ferner: OVG Berlin ZevKR 3 (1953/54) 201, 203 ff; Anschütz Art. 137 Anm. 1; Listl/Pirson/Badura S. 218 ff; Brauburger KuR 1 (4/1995) 1 ff; v. Campenhausen HdbStR VI Rdn. 6 ff; ZevKR 42 (1997) 169 f; E. Fischer Trennung S. 23 f; Heckel FS Kriele S. 282 ff; Hollerbach HdbStR VI Rdn. 6 ff; Link FS Thieme S. 100 ff; Mahrenholz Kirchen S. 12 ff; v. Mangoldt/Klein/Starck/Starck Art. 4 Abs. 1, 2 Rdn. 1; Scheuner ZevKR 2 (1952/53) 383 ff; Schilling Gotteslästerung S. 149 ff; Smend ZevKR 1 (1951) 4 ff; Sutor StZt. 126 (2001) 162; W. Weber GedS Jellinek S. 101 f; vgl. auch Dreier I Art. 4 Rdn. 1 ff; Bettermann/Nipperdey/Scheuner/Hamel S. 37, 39 ff; Muckel Freiheit S. 41 ff; AK-GG/Preuss Art. 4 Abs. 1, 2 Rdn. 1 ff; Roellecke JZ 2004 105 ff; Sebott S. 246 ff; Waldhoff EssGespr. S. 159 f; Zippelius Recht S. 286 ff. Einen Vergleich der unterschiedlichen staatskirchenrechtlichen Systeme der Mitgliedstaaten der Europäischen Union bieten die Beiträge bei Robbers Staat und Kirche in der Europäischen Union (1995); dazu auch v. Campenhausen/M. Brenner S. 55 ff; Triebel KuR 11 (2005) 161 ff. 12 In diesem speziellen Sinne erstmals von dem französischen Gesandten bei den Vorverhandlungen zum Westfälischen Frieden 1646 gebraucht, fußend freilich auf der weit älteren, bis in die Zeit der Karolinger zurückreichenden Vorstellung von staatlicher Oberhoheit über kirchlichen Grundbesitz. 211
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Vor §§ 166 StGB
Vorbemerkungen zu den §§ 166 ff
Einzelnen, des Staates und gesellschaftlicher Gruppen aus den Bindungen an die Kirchen.13 Systemtheoretisch hat Fateh-Mogadham Säkularisierung jüngst als Prozess einer funktionalen Ausdifferenzierung von Religion, Politik und Recht gedeutet14 und daraus plausibel die Neutralität des Rechts als Begründungsneutralität abgeleitet,15 was – für die verfassungsrechtliche Legitimität der Religionsdelikte von Bedeutung (Rn. 18 ff) – zu der Forderung führt, Straftatbestände lediglich dann als verfassungskonform anzuerkennen, wenn ihre Schaffung auf Gründen beruht, denen im Grundsatz jedermann unabhängig von Religion und Weltanschauung zustimmen kann.16 Die Bedeutung der Säkularisierung ist nicht nur ungebrochen, sondern angesichts der Vielfalt der sich in Deutschland mittlerweile etablierenden Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften eher noch im Wachsen begriffen. Mit der auch in religiöser Hinsicht pluralen Gesellschaft gehen neue Herausforderungen einher, die sich auf die Frage der Legitimität der Religionsdelikte (Rdn. 1) erstrecken.17 Die gerade vor dem Hintergrund einer zunehmend religiös pluralen Gesellschaft erhobene Forderung – wie etwa von Hörnle in ihrem Gutachten für die Strafrechtliche Abteilung des 70. DJT 2014 zum dem Thema „Kultur, Religion, Strafrecht – Neue Herausforderungen in einer pluralistischen Gesellschaft?18 – nach einer Abschaffung von § 166 lehnte die Strafrechtliche Abteilung allerdings mit großer Mehrheit ab;19 die Gesetzgebung hat derartige Vorschläge in jüngerer Zeit auch nicht aufgegriffen (näher Rdn. 15).
4 b) Erste Kodifizerungsversuche. In Deutschland als dem klassischen Land des Staats- und Landeskirchentums ist ein modernes Staatskirchenrecht recht spät kodifiziert worden.20 Den ersten Versuch, die Trennung von Staat und Kirche verfassungsrechtlich zu verankern, unternahm die Frankfurter Nationalversammlung. Ihr Verfassungsentwurf von 1849 sah die Abschaffung des Staatskirchentums vor. Nach dem Scheitern des Entwurfs21 trat das Vorhaben wieder in den Hintergrund. Weder die Verfassung des Norddeutschen Bundes von 1867 noch die sie erweiternde Reichsverfassung von 1871 nahmen sich der Materie an. Anders allerdings die Einzelstaaten, auf die nach dem Scheitern der Paulskirchenverfassung das Schwergewicht der grundrechtlichen Entwicklung überging, beispielsweise Preußen in der revidierten Verfassungsurkunde vom 31.1.1850.22 Erst mit der Weimarer Reichsverfassung von 1919 (Rdn. 5) gelang es, die Religionsfreiheit und die institutionelle Ausgestaltung des Staatskirchenrechts verbindlich zu regeln.23 13 Näher, auch zu Ambivalenzen des Begriffs: W. Huber ZZ 6 (11/2005) 49; EssGespr. S. 8 f; ferner Becker/Christ/ Gestrich/Kolmer/W. Becker S. 466 ff; Bielefeldt/Heitmeyer/Bielefeldt S. 474 ff; Isensee öarr 53 (2006) 23 f, 41 ff; Klinkhammer/Frick/Klinkhammer S. 182; Mückl EssGespr. S. 73 ff; Waldhoff EssGespr. S. 66 f. 14 Fateh-Moghadam S. 20 ff. 15 Fateh-Moghadam S. 127 ff, 158 ff. 16 Fateh-Moghadam S. 162. 17 Dazu etwa Hörnle Gutachten C für den 70. DJT, 2014, Band I, C 22 ff; Fateh-Moghadam S. 20 ff, 167 ff passim. 18 Hörnle Gutachten C für den 70. DJT, 2014, Band I, C 37–42; im Ergebnis zustimmend Fateh-Moghadam S. 248. 19 Verhandlungen des 70. DJT, Band II/2, L 56 und 57. 20 Früheste verfassungsrechtliche Regelung der Beziehung von Staat und Kirche überhaupt ist die „Einrichtungsklausel“ des ersten Zusatzartikels zur Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika aus dem Jahr 1791. 21 Eingehend dazu Braun S. 51 ff; ferner: Listl/Pirson/v. Campenhausen S. 64 f; Fülbier S. 68 ff; Heinig Religionsgesellschaften S. 83 f; Hillgruber DVBl. 1999 1167 f; Listl Civitas 6 (1967) 142 ff; Heun/Honecker/Morlok/Wieland/Morlok/Rossner Sp. 1444. 22 Näher v. Campenhausen/deWall S. 32; Fülbier S. 70 ff; Jean d’Heur/Korioth Rdn. 29; Kippenberg/Schuppert/Korioth S. 117 ff. Eine Wiedergabe der entsprechenden Artikel der preußischen Verfassung findet sich bei v. Mangoldt/ Klein/Starck/Unruh Art. 140 unter „Vergleichbare Normen“. 23 Zur Entstehung der staatskirchenrechtlichen Regelungen der Weimarer Reichsverfassung ausführlich: Listl/Pirson/Badura S. 229 ff; Brauburger KuR 1 (4/1995) 3 ff; Braun S. 63 ff; v. Campenhausen ZevKR 46 (2001) 166 ff; Dreier III Art. 140 Rdn. 10 f; Ebers S. 108 ff; Fülbier S. 82 ff; Giese AöR 1924 1 ff; Heinig Religionsgesellschaften S. 94 ff; Hillgruber DVBl. 1999 1168 ff; Kippenberg/Schuppert/Korioth S. 122 ff; GedS Jean d’Heur S. 226 ff; Mahrenholz ZevKR Radtke
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III. Staatskirchenrecht
StGB Vor §§ 166
c) Der Verfassungskompromiss von Weimar. Die Kirchenartikel der Weimarer Reichsver- 5 fassung vereinigen Momente der Trennung, so das Prinzip der Nichtidentifikation, die grundlegende Absage an eine inhaltliche Festlegung des Staates auf konfessionelle oder weltanschauliche Sätze24durch das Verbot der Staatskirche (Art. 137 Abs. 1 WRV)25 und die Garantie des kirchlichen Selbstordnungsrechts (Art. 137 Abs. 3 WRV) mit solchen öffentlichrechtlicher Privilegierung und Anbindung, wie dem Besteuerungsrecht (Art. 137 Abs. 6 WRV) und gewissen staatlichen Mitwirkungsbefugnissen.26 Im Grunde war damit das alte System der Staatskirchenhoheit überholt.27 Dennoch setzte sich in den Verfassungsberatungen die sogenannte Korrelatentheorie durch, die davon ausgeht, dass die öffentlichrechtliche Stellung der Kirchen als Gegenstück (Korrelat) die Fortsetzung der Staatsaufsicht bedinge.28 So blieb vor allem durch das staatskirchenrechtliche Kernstück der Regelung, die Beibehaltung der Privilegierung der Kirchen und anderen Religionsgesellschaften (Art. 137 Abs. 5 WRV; näher § 166 Rdn. 68, 69), vorkonstitutionelles Gedankengut insofern erhalten, als sich mit der Einfügung von Religionsgesellschaften in das öffentlichrechtliche Ordnungssystem, in dem der Staat die übergeordnete Verantwortung hat, ein Fortbestehen der Aufsicht über sie verband. Den Materialien29 kann entnommen werden, dass der Verfassungsgeber mit den Kirchenartikeln eine „Friedensordnung“ hat schaffen wollen.30 Im Ergebnis war eine von liberaler Freiheit geprägte Ordnung entstanden, die zwar einerseits eine gewisse Distanz zwischen Kirche und Staat vorgab,31 andererseits aber den Kirchen einen von staatlicher Einflussnahme freien Raum zur Entfaltung ihres wesentlichen Berufs sicherte.32 Das kennzeichnet das Grundverhältnis zwischen Staat und Kirchen bis heute. In diesem Rahmen entfaltete und entfaltet sich noch immer das Vertragsstaatskirchenrecht,33 realisiert in den (evangelischen) Kirchenverträgen und den (katholischen) Konkordaten.34
20 (1975) 54 ff; v. Mangoldt/Klein/Starck/Unruh Art. 140 Rdn. 2 ff; Jochen Müller S. 73 ff; Scheffler S. 77 ff; vgl. auch v. Campenhausen/deWall S. 40; Heun/Honecker/Morlok/Wieland/Morlok/Rossner Sp. 1152 f; Winter Staatskirchenrecht S. 20 ff. 24 v. Campenhausen/deWall S. 370. 25 Zum Ausschluß jeglichen Staatskirchentums auch in Österreich Klecatsky EuGRZ 9 (1982) 444. 26 Mückl EssGespr. S. 60 ff; Galling/Scheuner Sp. 1334 f; Listl/Pirson/Herm. Weber S. 577; in Fahlbusch/Lochmann/ Mbiti/Pelikan/Vischer/Herm. Weber Sp. 454. 27 vgl. F. X. Kaufmann Religion S. 124, 134; H. Peters S. 188. 28 v. Campenhausen/deWall S. 32 f mit Fn. 16; Klostermann S. 21 f; Korioth GedS Jeand’Heur S. 228; Neureither S. 48 ff. 29 Verhandlungen der Verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Aktenstück Nr. 391, Anlage zu den Stenographischen Berichten Bd. 336 S. 191 ff. 30 Mahrenholz ZevKR 20 (1975) 57 mit Auszügen aus dem Verhandlungsprotokoll (Fn. 29) S. 55 f. 31 Smend charakterisiert diese Seite als „innere Fremdheit“, weil die Berührung zwischen Staat und Kirche nur noch an der Peripherie, ohne Beteiligung des Wesenskerns des einen oder des anderen Partners, stattfinde (ZevKR 1 [1951] 7); vgl. auch Schilling S. 153. 32 Link FS Thieme S. 98; Listl/Pirson/Pirson S. 10; Schilling S. 153; Listl/Pirson/Herm. Weber S. 575 f, 579. Den die staatskirchenrechtlichen Regelungen der Weimarer Reichsverfassung, namentlich die des Art. 137 Abs. 5, abwertenden Stimmen (vgl. die Zitate bei Pagels JuS 1996 792), ist überzeugend widersprochen worden (z. B. Friesenhahn ZSchwR 94 [1975] 20; Mahrenholz ZevKR 20 [1975] 57). 33 Zur allgemeinen Zulässigkeit von Staatskirchenverträgen ausführlich v. Campenhausen/deWall S. 33 f; ferner: Anke S. 25 ff; E. Fischer Volkskirche S. 161 ff; Ehlers ZevKR 46 (2001) 308 f; J. Heinemann S. 76 ff; Klinkhammer/Frick/ Link S. 40; Vulpius KuR 1 (3/1995) 1 ff; Herm. Weber FS Kriele S. 1009 ff; Winter Staatskirchenrecht S. 208 f. 34 Eingehend zu den vielfältigen Vertragswerken, auch denen der Weimarer Zeit und ihrer Fortgeltung: v. Campenhausen/deWall S. 45 ff; ferner: z. B. C. Fuchs S. 10 ff; Heinig Religionsgesellschaften S. 244 f; Listl/Pirson/Hollerbach S. 557 ff; KuR 1 (1/1995) 1; Klostermann S. 13 ff; Baadte/Rauscher/Listl S. 93 ff; Mückl EssGespr. S. 60 f; Listl/Pirson/ Schlaich S. 135 ff; Schlief KuR 7 (2001) 4 ff; Turowski KuR 12 (2006) 13 ff. Zu den Staatskirchenverträgen der neuen Bundesländer ist bemerkenswert, dass sie alle, den Erfahrungen aus der kirchenfeindlichen Zeit der DDR geschuldet, den Wunsch ausdrücken, ungeachtet der gegenseitigen Unabhängigkeit von Staat und Kirche in Anknüpfung an das geschichtlich gewachsene Grundverhältnis zu einem förderlichen Miteinander zu gelangen. Beispielhaft 213
Radtke
Vor §§ 166 StGB
Vorbemerkungen zu den §§ 166 ff
6 d) Die Verlegenheitslösung des Grundgesetzes. Die staatskirchenrechtliche Konzeption des Grundgesetzes erschöpft sich letztlich in der Wiederherstellung des Rechtszustandes, wie er bis 1933 nach den staatskirchenrechtlichen Artikeln der Weimarer Reichsverfassung bestanden hatte. Das geschah zunächst durch Restaurierung des älteren Landeskirchenrechts unter Beseitigung der reichskirchenrechtlichen Eingriffe der Zeit nach 1933 (Scheuner ZevKR 2 [1952/ 53] 387).35 Allerdings war in der Zeit des nationalsozialistischen Staates mehr zerbrochen als das tradierte System der abgeschwächten Staatskirchenhoheit.36 Die Religionsfeindlichkeit des Nationalsozialismus (Entpolitisierung der Kirchen, Entkonfessionalisierung des öffentlichen Lebens) mit zielgerichteten Verletzungen der Religionsfreiheit in vielfachen Ausprägungen hatten am Ende den Frieden zwischen dem Staat und den Kirchen zerstört.37 Das zwang die Kirchen, sich auf ihr letztes Wesen zu besinnen mit endgültiger grundlegender Wirkung für ihr künftiges Verhältnis zum Staat.38 Diese Rückbesinnung fußte auf dem starken politischen Geltungsanspruch, mit dem die Kirchen aus dem Zusammenbruch des Dritten Reiches hervorgegangen waren, dazu als einzige Kraft mit intakt gebliebener Organisation.39 Es gelang indessen nicht, das Konzept einer neuen staatskirchenrechtlichen Regelung zu entwickeln, die der Phase, in die das Verhältnis von Staat und Kirche durch die Abwehr des Totalitätsanspruchs des nationalsozialistischen Regimes eingetreten war, gerecht geworden wäre. Ohne eine überzeugende Vorgabe vermochte dies aber auch der Parlamentarische Rat nicht zu leisten.40 So gelangte das Grundgesetz zu der Verlegenheitslösung,41 ebenfalls nur zum Stand von vor 1933 zurückzukehren,42 indem es die Bestimmungen der Art. 136, 137, 138, 139 und 141 WRV zu seinen Bestandtei-
dafür ist der Vertrag zwischen dem Land Mecklenburg-Vorpommern und der (damaligen) Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs und der (damaligen) Pommerschen Landeskirche vom 20.1.1994 (GVBl. S. 559), in dem es u. a. heißt, dass die Trennung von Staat und Kirche gleichermaßen Distanz und Kooperation gebiete (näher zum Ganzen v. Campenhausen/deWall S. 48 f). 35 Das Kontrollratsgesetz Nr. 49 vom 20.3.1947 hatte das Staatskirchenrecht als domaine réservé des deutschen Volkes bestätigt. 36 Vgl. Obermayer BK (Vorbearbeitung) Art. 140 Rdn. 31. 37 Ausführlich dazu Becker/Christ/Gestrich/Kolmer/W. Becker S. 528 ff; Bihlmeyer/Tüchle S. 514 ff; v. Campenhausen/deWall S. 34 ff; Fülbier S. 78 ff; Jeand’Heur/Korioth Rdn. 42; Klostermann S. 27 ff, 133 ff; Listl Civitas 6 (1997) 191 ff; Scheffler S. 82 ff; W. Weber FS Smend S. 365 ff; ferner Friesenhahn ZSchwR 94 (1975) 11, 17; Hollerbach HdbStR VI Rdn. 17; Köttgen DVBl. 1952 487; Link FS Thieme S. 109 mit Angaben zur Literatur über den Kirchenkampf; Mikat Kirche S. 9 f; AK-GG/Preuss Art. 140/Art. 136–139, 141 WRV Rdn. 8; Quaritsch Staat 1 (1962) 181; Scheuner ZevKR 7 (1959/60) 250; A. Stein NJW 1983 2528; W. Weber Gegenwartslage S. 155 f; GedS Jellinek S. 101 ff. 38 Hesse ZevKR 3 (1953/54) 191; Klostermann S. 30; Smend ZevKR 1 (1951) 8; A. Stein NJW 1983 2527, 2528 ff; vgl. auch Fuss DÖV 1961 734; Schilling S. 153, 155. 39 v. Campenhausen/deWall S. 38; Pieroth/D. Ehlers S. 93; Hilgendorf FS Albert S. 370; Klostermann S. 23 f; Korioth GedS Jeand’Heur S. 231; Manck S. 126; Heun/Honecker/Morlok/Wieland/Morlok/Rössner Sp. 1153 f; Jochen Müller S. 38 ff; Müller-Volbehr ZevKR 44 (1999) 390; Waldhoff EssGespr. S. 63; Quaritsch Staat 5 (1966) 455; Zippelius ZevKR 9 (1962) 42. Ein ähnliches Bewußtsein bewirkte später die Leistung der Kirchen, als letzte gesellschaftliche Gruppe den Anspruch auf Selbstbestimmung gegenüber dem Regime der DDR behauptet zu haben (vgl. Anke S. 32; Heun/ Honecker/Morlok/Wieland/Morlok/Rossner Sp. 1154). 40 Näher Heinig Religionsgesellschaften S. 113 ff; Hollerbach HdbStR VI Rdn. 22 ff; Köttgen DVBl. 1952 486; Scheffler S. 95 ff; vgl. auch Meyer-Teschendorf AöR 103 (1978) 290 ff; Quaritsch Staat 5 (1966) 451, 456. 41 Die als Fortführung des Weimarer Verfassungskompromisses eigentlich eine doppelte Verlegenheitslösung war (Kippenberg/Schuppert/Korioth S. 126; GedS Jeand’Heur S. 229; ähnlich Listl/Pirson/v. Campenhausen S. 34; Fuss DÖV 1961 736; Listl Civitas 6 [1967] 164 f; Bettermann/Nipperdey/Scheuner/Mikat S. 124; Kirche S. 1; Smend ZevKR 1 [1951] 11; W. Weber Gegenwartslage S. 157; vgl. dagegen H. Peters S. 186; diff. auch Heckel ZevKR 44 [1999] 350; Hollerbach HdbStR VI Rdn. 28; Link FS Thieme S. 108). Zur Entstehungsgeschichte des Art. 140 GG; ferner Listl/ Pirson/Badura S. 215 f, 236 ff; Braun S. 74 ff; v. Doemming/Füsslein/Matz JahrbÖR 1 (1951) 899 ff; E. Fischer Volkskirche S. 156 f; Friesenhahn ZSchwR 94 (1975) 11 ff; Listl Religionsfreiheit S. 23 f; Mahrenholz Kirchen S. 99 ff; MayerScheu S. 63 ff; Wilms NJW 2003 1084 f. 42 Was von kirchlicher Seite entsprechend zwiespältig empfunden wurde. Beispielhaft dafür ist die Mahnung von Smend, dies nicht als „Siegesgewinn“ zu verstehen, sondern den eigentlichen, wesensmäßigen Anspruch der KirRadtke
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III. Staatskirchenrecht
StGB Vor §§ 166
len erklärte (Art. 140 GG).43 Diese Normen sind vollgültiges Verfassungsrecht und stehen gegenüber anderen Artikeln des Grundgesetzes nicht auf einer Stufe minderen Ranges.44 Sie bestätigen eine gegenüber der Weimarer Republik unveränderte Verfassungsrechtslage,45 mithin auch deren Interpretation vom Fortbestehen der Staatsaufsicht über die Religionsgemeinschaften auf der Grundlage einer rechtlichen Überordnung des Staates (vgl. Rdn. 5).
2. Die Entwicklung eines besonderen partnerschaftlichen kirchlichen und staatlichen Miteinanders Ungeachtet der Festschreibung der Weimarer Regelung im Grundgesetz ist der staatskirchen- 7 rechtlichen Lehre46 die Entwicklung eines besonderen partnerschaftlichen kirchlichen und staatlichen Miteinanders gelungen. Es setzte sich die allgemeine Überzeugung durch, dass die im Grundgesetz an sich angelegte besondere Staatsaufsicht dem im Wandel begriffenen Verhältnis von Staat und Kirchen nicht gerecht wurde. Theoretische Grundlage einer Veränderung der staatskirchenrechtlichen Auffassung war die von Smend eingeführte (ZevKR 1 [1951] 4, 11) und von Hesse ausführlich begründete (Rechtsschutz S. 28 ff; vgl. auch schon ZevKR 3 [1953/54] 190; JahrbÖR 10 [1961] 23 ff) These, dass die inkorporierten staatskirchenrechtlichen Artikel der Weimarer Reichsverfassung im Rahmen des Grundgesetzes eine andere Bedeutung erlangt hätten, als sie sie im Zusammenhang der Weimarer Reichsverfassung hatten, und sie daher primär aus ihrer Einbettung in das gesamte Wertesystem des Grundgesetzes heraus unter Berücksichtigung des tiefgreifenden Wandels des Verhältnisses zwischen Staat und Kirchen seit 1933 auszulegen seien. Sie führte zur Überwindung der Korrelatentheorie (Rdn. 5), an deren Stelle das Interpretationsmodell einer gleichgeordneten Kooperation von Staat und Kirche trat.47 Ob darin tatsächlich ein Bedeutungswandel liegt, der zu einer in der Tiefe neuen Ordnung geführt haben würde, oder es sich eher nur um eine Vertiefung des Verständnisses der Weimarer Artikel, die besser als Interpretationswandel bezeichnet werden sollte, handelt,48 oder ein solcher Vorgang
chen auf Zulassung ihres Dienstes an der Öffentlichkeit in den Vordergrund zu stellen (ZevKR 1 [1951] 10; dazu Listl/ Pirson/v. Campenhausen S. 55 f; vgl. auch Scheuner ZevKR 2 [1952/53] 382 f). 43 Darin liegt zugleich der Verzicht auf einen verfassungsrechtlich homogenen Normenkomplex. Zwar regeln die inkorporierten Artikel der Weimarer Reichsverfassung im Wesentlichen die Rechtsbeziehungen von Staat und Kirche zueinander. Doch gehört zum Staatskirchenrecht auch die Grundnorm der Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG), ferner das Neutralitätsgebot (, das beide Normenkomplexe überlagert (vgl. dazu Fülbier S. 91 f; J. Heinemann S. 41). 44 BVerfGE 19 206, 219; 53 366, 400; 66 1, 22; 70 138, 167; Badura Schutz S. 14; Brauburger KuR 1 (4/1995) 6; v. Campenhausen HdbStR VI Rdn. 35; v. Campenhausen/deWall S. 41; Hollerbach HdbStR VI Rdn. 29; Morgenthaler S. 327; Neureither S. 126 f; Herm. Weber NJW 1983 2543; Sachs/Ehlers Art. 140 Rdn. 2; C. Walter Religionsverfassungsrecht S. 547. 45 Krüger DÖV 1961 727. 46 Und zwar ausschließlich ihr (Hesse JahrbÖR 10 [1961] 22; vgl. auch Häberle DÖV 1976 74 mit Fn. 13). 47 Diese Sicht fand breite Zustimmung. So schon BVerfGE 6 309, 343; ferner: BGHZ 34 372, 373 f; OVG Berlin ZevKR 3 (1953/54) 201, 204 f mit Bespr. Hesse ZevKR 3 (1953/54) 188 ff; VG Düsseldorf ZevKR 11 (1964/65) 314, 315 f; VG Hannover AKKR 132 (1963) 276, 278; Badura Schutz S. 14; v. Campenhausen/deWall S. 41; E. Fischer Trennung S. 159 ff; Fuss DÖV 1961 736; Hollerbach HdbStR VI Rdn. 19 ff; Listl Civitas 6 (1967) 165; v. Mangoldt/Klein/Starck/ Starck Art. 4 Abs. 1, 2 Rdn. 8; Marré DVBl. 1966 10 ff; Meyer-Scheu S. 63 ff; Mikat Kirche S. 10 ff; Ott Staat S. 110; H. Peters S. 177, 191; Sperling DÖV 1993 197; Sutor StZt. 126 (2001) 161; W. Weber GedS Jellinek S. 157 ff, 173; vgl. auch Di Fabio S. 129; Häberle DÖV 1976 73; Neureither S. 31 f, 52 ff, 129 f; Zippelius ZevKR 9 (1962) 67; ausführlich auch Jeand’Heur/Korioth Rdn. 44 ff. 48 Obermayer DÖV 1967 10 Fn. 11; im Ansatz ebenso Heckel ZevKR 12 (1966/67) 32; 34 (1999) 348 ff; vgl. auch die Bemerkung von Scheuner, dass die Weimarer Kirchenartikel auf dem Boden einer gewandelten Lage verstanden und interpretiert werden müssten (ZevKR 7 [1959/60] 252); ferner E. Fischer Trennung S. 162; Friesenhahn ZevKR 94 (1975) 17. 215
Radtke
Vor §§ 166 StGB
Vorbemerkungen zu den §§ 166 ff
überhaupt zu verneinen ist,49 ist letztlich bedeutungslos. Es besteht Einigkeit insofern, als auch die staatskirchenrechtlichen Regelungen bei einem Wandel der sie prägenden Grundanschauungen Sinnesänderungen unterliegen, die dem Verfassungsstand entsprechend verfassungskonform interpretiert werden müssen.50 Gegenüber dem Interpretationsmodell einer gleichgeordneten Kooperation von Staat und Kirche, von Tillmann treffend als „System virtueller Kooperation in Freiheit“ bezeichnet (DÖV 1999 443),51 hat sich später die Auffassung durchgesetzt, es sei mit der Souveränität des Verfassungsstaats nicht vereinbar, mit der Folge, dass, ebenso wie die privatrechtlichen Religionsgemeinschaften, auch die kirchlichen Korporationen getrennt vom Staat dem Bereich der Gesellschaft zugewiesen werden müssten.52 Im Ergebnis ist es aber letztlich auf der Ebene des nationalen Verfassungsrechts bei der Koordinationslehre der Verschiebung der Verhältnisordnung von Staat und Kirche durch Einräumung größerer Freiheiten der Kirchen geblieben. Dadurch ist den Kirchen unter dem Grundgesetz ein Freiheitsraum entstanden, wie er ihnen in diesem Umfang in früherer Zeit effektiv niemals zu Gebote gestanden hat,53 und dies ohne gleichzeitig die auch Kirchen und Religionen gegenüber bestehende Ordnungsfunktion des Staates zu gefährden (Herm. Weber NJW 1983 2554; vgl. aber auch MeyerTeschendorf Staat S. 6 ff). Welche Veränderungen dieses Staat-Kirche-Verhältnisses in Deutschland sich durch den Einfluss des Unionsrechts ergeben können,54 bedarf keiner näheren Erörterungen. Unmittelbarer Einfluss auf die Religionsdelikte des nationalen Strafrechts ist jedenfalls nicht ersichtlich.
3. Zusammenfassende Umschreibung der derzeitigen staatskirchenrechtlichen Ordnung 8 Zusammenfassend lässt sich die derzeitige staatskirchenrechtliche Ordnung dahin umschreiben,55 dass sie auf der Grundlage einer institutionellen und organisatorischen Trennung von Staat und Kirche den Kirchen umfassende individuelle und korporative Religionsfreiheit sowie völlige Betätigung gewährt,56 die ihren Ausdruck in einer selbständig, aber nicht unverbunden, neben den Grundrechten der Religionsfreiheit und der religiösen Vereinigungsfreiheit stehenden korporativen Kooperation57 zwischen Staat und Kirchen findet (Preuss AK-GG Art. 140/ Art. 136–139, 41 WRV Rdn. 22)58 mit entsprechender Geltung für sämtliche übrigen Religionsund Weltanschauungsgemeinschaften. Besonders deutlicher Ausdruck dieser Ordnung ist der 49 50 51 52 53
Krüger DÖV 1961 727; Quaritsch Staat 1 [1962] 195; Herm. Weber Religionsgemeinschaften S. 29 f. Vgl. Müller-Volbehr ZRP 1991 349 Fn. 17. In Anlehnung an Listl/Schmitz/Listl/Hollerbach S. 1273 („freiheitliches Kooperationssystem“). Näher Kippenberg/Schuppert/Korioth S. 128 ff; GedS Jeand’Heur S. 230 f. Listl/Schmitz/Listl/Hollerbach S. 1272; Scheuner ZevKR 7 [1959/60] 273; Brugger/Huster/Schieder S. 233; vgl. auch Jeand’Heur/Korioth Rdn. 31. 54 Über Perspektiven des deutschen Staatskirchenrechts im EU-Gemeinschaftsrecht v. Campenhausen/P. Kirchhof S. 147 ff; vgl. dazu auch: v. Campenhausen EssGespr. S. 140 f; v. Campenhausen/deWall S. 357 ff; Heinig ZEE 43 (1999) 294 ff; Hollerbach ZevKR 35 (1990) 250 ff; Hölscheidt/Mund EuR 38 (2003) 1083 ff; Kreß/Leinemann S. 95 ff; Link ZevKR 42 (1997) 130 ff; Marré FS Hollerbach S. 879 ff; Robbers EssGespr. S. 85 ff; Streinz EssGespr. S. 53 ff; Turowski KuR 1 (1/1995) 13 ff, (3/1995) 13 ff; deWall ZevKR 45 (2000) 157 ff; Winter FS Hollerbach S. 893 ff. 55 v. Campenhausen/deWall verzichten unter Hinweis auf die damit verbundenen großen Schwierigkeiten auf den Versuch einer abschließenden formelhaften Zusammenfassung (S. 368, 372). 56 Listl/Schmitz/Listl/Hollerbach S. 1272. 57 Vgl. auch die Bezeichnung „verständige Kooperation“ (BVerfGE 42 312, 331). 58 Nicht zu Unrecht sieht Preuss sich mit dieser Kennzeichnung in der Nähe von v. Mahrenholz, das deutsche Staatskirchenrecht sei ein System mit zwei Wurzeln, indem es zum einen in seinem klassischen Bestand auf den durch die Verfassung gewährleisteten Rechten mit Einbettung auch der kirchlichen Freiheiten in die grundrechtliche Sphäre, zum anderen auf der Ausbildung eines spezifischen staatlichen Verbandsrechts, das allgemeine Verbandspositionen umfasse, beruhe (ZevKR 20 [1975] 54). Radtke
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IV. Entwicklungsgeschichte und Reform der Religionsdelikte
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durch die Verfassung selbst begründete Körperschaftsstatus der altkorporierten Religionsgemeinschaften (Art. 135 Abs. 5 Satz 1 WRV), der anderen Religionsgemeinschaften verliehen werden kann (Art. 135 Abs. 5 Satz 2 WRV).59 Im Übrigen zeigt sie sich in vielfältigen Formen einer staatlich-kirchlichen Kooperation. Ihre „institutionelle Gewährleistung“ (BVerfGE 46 266, 267) umfasst namentlich die aus dem Zusammenhang von Neutralität (Rdn. 3) und Nichtidentifikation sich ergebende Pflicht des Staates zur Förderung der Kirchen und übrigen Religionsgemeinschaften;60 zu weiteren erfassten Bereichen 11. Aufl. Rdn. 8. Dies beruht auf einem Verständnis des Prinzips der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates, das nicht als auf eine distanzierende Neutralität im Sinne einer strikten Trennung von Staat und Kirche, sondern als eine offene und übergreifende, die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen fördernde Neutralität zu verstehen ist (vgl. BVerfGE 108 282, 300).
IV. Entwicklungsgeschichte und Reform der Religionsdelikte Die historische Entwicklung der Religionsdelikte61 ist geprägt durch die Auseinandersetzun- 9 gen über ihre Rechtfertigung.62
1. Prägung aller Strafbarkeit durch die Gotteslästerung Beherrschender Tatbestand war lange Zeit die Gotteslästerung.63 In ihr liegt nicht nur der Ursprung einer Strafbarkeit von Handlungen, die sich gegen Religion, religiöse Anschauungen und die Betätigung des kultischen Lebens richten; vielmehr hat die Gotteslästerung stets auch die Ausgestaltung anderer Religionsdelikte maßgeblich beeinflusst. Der Gedanke einer weltlichen Bestrafung der Blasphemie stammt aus dem Judentum.64 In Athen wurde 434 v. Chr. eine Strafe für Gottesleugner eingeführt, was bereits bestehendem ungeschriebenem Priesterrecht 59 Zur Entstehung des staatskirchenrechtlichen Begriffs der Körperschaft des öffentlichen Rechts § 166 Rdn. 74; zur rechtlichen und praktischen Bedeutung des Körperschaftsstatus § 166 Rdn. 75 bis 77; zu den Voraussetzungen seiner Verleihung § 166 Rdn. 78, 79, dazu Rdn. 13 zu dem besonderen Kriterium der Staatsloyalität § 166 Rdn. 75 und 78. 60 v. Campenhausen ZevKR 42 (1997) 170 f; Heckel ZThK 103 (2006) 116; v. Campenhausen/P. Kirchhof S. 148, 162; Baadtke/Rauscher/Listl S. 100 f; Listl/Schmitz/Listl/Hollerbach S. 1272; Marré KuR 2 (1996) 201 f; Mückl EssGespr. S. 69 f; v. Münch/Kunig/Mager Art. 4 Rdn. 40; Oebbecke DVBl. 1996 339 f; krit. Czermak ZRP 2001 566 ff. 61 Der das Schrifttum stets seine besondere Aufmerksamkeit gewidmet hat, z. B.: Abel Religionsfreiheit S. 58 ff; Galling/Barion Sp. 407 f; Binding Lehrbuch I § 42 I; Reinsdorf/Reinsdorf/Budich S. 11 ff; Cabantous S. 7 ff; Listl/Pirson/Eser S. 1042; Heun/Honecker/Morlok/Wieland/Fabricius Sp. 88; Hamel ZgS 109 (1953) 54 ff; Hesse Rechtsschutz S. 6 ff; Hinschius S. 790 ff; His Geschichte S. 106 ff; Holstein S. 10 ff; Hörnle MK § 166 Rdn. 3; Verhalten S. 340 f, 353; Jauck ZStW 24 (1904) 349 ff; Erler/Kaufmann/E. Kaufmann Sp. 880 ff; Kesel S. 4 ff; Manck S. 55 ff; Mey S. 5 ff; Middendorff ZStW 76 (1964) 74 ff; Mommsen S. 567 ff, 595 ff, 760 ff; Moser S. 4 ff; Jochen Müller S. 73 ff; Sieverts/Schneider/ W.H. Nagel S. 31 ff; Ofterdinger S. 9 ff; Ott Aspekte S. 63 ff; Isensee/Pawlik S. 31 ff; FS Küper S. 411 ff; v. Rohland FS Großherzog Friedrich S. 119 ff; Schilling S. 83 ff; Schmitz S. 4 ff; Schnieders S. 3 ff; Skriver S. 15 ff; Schwerhoff insb. S. 115 ff; Webersinn S. 1 ff; Welzel Strafrecht Vorbemerkung zu § 65; Wilda S. 973 ff; Worms S. 89 ff; Schmied/Wunden/ Wunden S. 87 f; dazu die historischen Überblicke Prot. V/121 S. 2421, 2423 f; rechtsvergleichend Hüttemann S. 94 ff; Kahl VDB S. 27 ff; Klotz S. 149 ff. 62 Siehe dazu Hörnle, Gutachten C für den 70. DJT, 2014, Band 1, C 37 ff sowie Fateh-Moghadam S. 127 ff. 158 ff. 63 Synonym mit dem aus dem Griechischen stammenden Ausdruck Blasphemie („Schmähung“), obwohl die Begriffe sich insofern unterscheiden, als „Gotteslästerung“ die Auffassung der Religion als Verehrung eines Gottes impliziert, während „Blasphemie“ ein Objekt der herabsetzenden Äußerung nicht bezeichnet. 64 v. Liszt/Schmidt BT § 117 I 1; ebenso Bruns S. 24; Kahl VDB S. 9; vgl. auch Heun/Honecker/Morlok/Wieland/ Fabricius Sp. 88; Schmied/Wunden/Schmied S. 20 f; Thümmel Religionsschutz S. 10; Webersinn S. 9 f; and. Moser S. 4. Belegt ist die Verurteilung des Israeliten Naboth zur Steinigung wegen Lästerung Gottes (1. Könige Kap. 21, 9. Jahrh. v. Chr.). 217
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Vorbemerkungen zu den §§ 166 ff
entsprach.65 Rom sah einen Wechsel der Auffassungen. Während noch Tacitus konstatierte: deorum iniurias dis curae (Ann. I 73/4),66 zählte das spätrömische Recht, nun bereits unter dem Einfluss christlicher Anschauungen, die Gotteslästerung zu den schwersten und strafwürdigsten Verbrechen (crimen laesae majestatis), bedroht mit dem Tode.67 Ebenso streng gestaltete die Lex Visigothorum den Tatbestand.68 Dem älteren deutschen Recht waren weltliche Strafen wegen kirchlicher Delikte, auch dem der Gotteslästerung, zunächst fremd.69 Seit dem 11. Jahrhundert jedoch forderte die Kirche mehr und mehr Unterstützung durch die weltliche Gewalt, namentlich gegenüber allen Vorstellungen und Handlungen des Aberglaubens. Das Ergebnis waren gesetzliche Strafdrohungen gegen Ketzerei, Zauberei, Meineid, Leichenraub70 und, nunmehr deutlich auf anthropomorphischer Grundlage, gegen Gotteslästerung. Deren reichseinheitliche Regelung, eingeleitet durch die „Satzung von den Gotteslästern“, dem Anfang des Wormser Reichsabschieds von 1495, verwirklicht dann durch die Bambergensis von 1507 (Art. 127), die Carolina von 1532 (Art. 106) und die Reichspolizeiordnungen von 1530, 1548 und 1577, geht unmittelbar auf die Novella 77 Justinians zurück.71 Die Besorgnis vor dem Zorn Gottes war so groß, dass sogar die Unterlassung der Anzeige einer Gotteslästerung schwer bestraft wurde, beispielsweise nach den Reichspolizeiordnungen.72 Insgesamt bewirkten die Religionsdelikte, dass, wie schon im spätrömischen Recht, eine selbst nur geringfügige Abweichung von der Glaubenslehre der Kirche ein Religionsverbrechen war.73 Die Reformation änderte daran nichts.74 Zumindest in Sittlichkeitsdelikten wirkte sie sich eher strafverschärfend aus.75 Allerdings belebte die evangelische Theologie den alten Gedanken, wonach der Glaube non vi sed verbo seine Macht entfalte, neu.76 Den Verzicht der evangelischen Kirchen auf weltliche Strafgewalt glich allerdings das landesherrliche Kirchenregiment vollständig aus. Es entwickelte Kirchenordnungen (Agenden), die im Geiste des Absolutismus das gesamte Leben der Untertanen unter dem Blickwinkel „guter Sitten“ zu regeln suchten und in ihrem Charakter allgemeinen Polizeiordnungen völlig entsprachen.77 Bis tief in das 18. Jahrhundert hinein hat die Novella 77 Justinians das deutsche Recht beeinflusst. Blasphemie galt weiterhin als das abscheulichste und größte Verbrechen.78 Noch für Friedrich Wilhelm I. von Preußen war dieses Verbrechen Kränkung Gottes, der durch die
65 Skriver S. 16; vgl. auch Heun/Honecker/Morlok/Wieland/Fabricius Sp. 88; Moser S. 7 f; Webersinn S. 4 ff. 66 Vgl. Heller S. 72. 67 Die 538 dem Codex Justinianeus I 9 hinzugefügte Novella 77 gab dafür die Begründung: propter talia enim delicta et fames et terrae motus et pestilentiae fiunt. 68 Schilling S. 86. 69 Ettinger S. 25; Erler/Kaufmann/E. Kaufmann S. 882; Mühlbayer S. 14; vgl. dazu auch Reinsdorf/Reinsdorf/Budich S. 12; Webersinn S. 16 ff. 70 Eine Ausformung der Störung der Totenruhe, eines ebenfalls uralten, schon dem römischen Recht bekannten Tatbestandes (v. Hippel I § 88 II 2 Fn. 9; Welzel Strafrecht § 65 IV). Nach der Lex Salica (tit. 55,2) und der Lex Ribuaria (tit. 85,2) hatte der Grabräuber ebenso wie bei der Tötung eines Freien zu büßen (Stefenelli/B. Kretschmer S. 843); ausführlich zum Grabfrevel in den germanischen Rechtsaufzeichnungen Jahnkuhn/Nehlsen/Roth/Nehlsen S. 107 ff. 71 v. Hippel I § 14 VI 1; Dankert/Zechlin/Ott S. 285 f; Isensee/Pawlik S. 31 f; Welzel Strafrecht Vorbemerkung zu § 65; and. Webersinn S. 77. 72 v. Hippel I § 14 XI 2 mit Fn. 1; Webersinn S. 34 ff. 73 Ettinger S. 29; Hinschius S. 791; Kahl VDB S. 11; Schmitz S. 9; vgl. auch E. Fischer Trennung S. 31; Wili bemerkt hierzu, dass es im Wesen der Theokratie, also des Staates, nicht der Religion, lag, die Sünde zum Verbrechen zu stempeln (Kriminalistik 18 (1964) 175). 74 E. Fischer Trennung S. 24, 31; vgl. auch Webersinn S. 39 ff. 75 Middendorff Kriminalistik 17 [1963] 578. 76 Heckel NJW 1983 1521, 1522. 77 Erler/Kaufmann/E. Kaufmann S. 883 f mit Beispielen; vgl. auch Heckel NJW 1983 2521, 2524, 2526; Galling/Scheuner Sp. 1329 f. 78 Bruns S. 24 f unter Hinweis auf ein Gutachten der theologischen und juristischen Fakultät der Universität Tübingen aus dem Jahre 1708; Forrer S. 41; Lüderssen FS Trechsel S. 631. Radtke
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Strafe versöhnt werden müsse, damit nicht sein Zorn über das Land komme.79 Vor diesem Hintergrund scheint kaum überzogen, wenn Schmied feststellt, dass die Geschichte des Christentums eine Geschichte der Auseinandersetzung mit der Blasphemie ist (in Schmied/Wunden [Hrsg.] S. 21).
2. Abkehr von der metaphysischen Rechtfertigung Die Abkehr von der metaphysischen Rechtfertigung des Religionsstrafrechts vollzog sich 10 endgültig erst im 20. Jahrhundert. Bis dahin wurde es von der, meist in sich widersprüchlichen, Doppelwertigkeit beherrscht, die sich einerseits aus seiner Rechtfertigung durch das Göttliche, Religiöse, Übermenschliche, Übersinnliche, andererseits aus dem notwendigen Bezug auf irdisch spürbare Rechtsgutsverletzungen ergab.80 In der Zeit der Aufklärung trat diese Ambivalenz vorübergehend zurück.81 Deren Vorstellungen von einem säkularen Staat in der ursprünglichen Bedeutung des Begriffs (vgl. Rdn. 2) schloss die Begründung von Strafrecht aus dem Göttlichen aus.82 Die Gesetze, führend das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 (ALR; Teil II Tit. 20 §§ 214 bis 228) und der Code pénal von 1810 (Art. 201 bis 206), wandten sich dem Zweck zu, das religiöse Gefühl und die Freiheit der Religionsausübung zu schützen.83 Der Aberglaube verlor jede rechtliche Relevanz. Häresie wurde von der Glaubensfreiheit verdrängt. Meineid, ein Religionsdelikt im engeren Sinne auch in neuerer Zeit,84 reduzierte sich auf ein ordnungspolitisches Instrument des Strafprozesses.85 Die Gotteslästerung, ihrer anthropomorphischen Grundlage bar, wandelte ihren Charakter von der Beleidigung Gottes zur Verletzung des religiösen Empfindens von Religionsgemeinschaften und wurde zum Teil überhaupt nur bestraft, wenn jemand an ihr Ärgernis nahm (ALR II 20 § 217). Noch liberaler war die Regelung des unter dem Einfluss von v. Feuerbachs entstandenen Bayerischen Strafgesetzbuchs von 1813, das auf den Tatbestand der Gotteslästerung völlig verzichtete und nur noch die Störung des Religionsfriedens durch Tätlichkeiten (Art. 336) oder in verbaler Form (Art. 424) unter Strafe stellte.86 Das Strafgesetzbuch vermied einen durchgreifenden grundsätzlichen Gesichtspunkt; es verhielt sich möglichst wertungsfrei, was schon die unbestimmte, aber umfas-
79 Forrer S. 42 ff; Schilling S. 85; Skriver S. 18, 23; vgl. auch Hinschius S. 793 Fn. 3; Schmied/Wunden/Schmied S. 17 f; Thümmel Religionsschutz S. 11; Webersinn S. 7 ff.
80 Villauri/Dilcher/Hassemer S. 1312. 81 Zur Wirkung des kanonischen Rechts als „vorweggenommene Aufklärung“ Liermann ZevKR 6 (1957/58) 40 f. 82 Maßgebend de Montesquieu, der jedes Gesetz in Religionssachen für schädlich hielt (De l’esprit des lois von 1748 XII. Buch Kapitel 4; dazu Reinsdorf/Reinsdorf/Budich S. 14 f; Webersinn S. 49 f). Bahnbrechend für die deutsche Aufklärung Thomasius (1655 bis 1728) mit seinem großen Naturrechtswerk, nach dessen Abschluß er sich Reformabhandlungen auf allen Gebieten der Rechtswissenschaft zuwandte, die als „Dissertationes“ gesammelt sind (1773 bis 1780). Seine Kritik an den Religionsdelikten und ihrer Praxis findet sich in De Crimine Bigamiae (1685), Problema Juridicum An Haeresis sit Crimen? (1697), De Jure Principis circa Haereticos (1697) und De Crimine Magiae (1701). Die vorchristliche römische Überzeugung, die Gottheit bedürfe keines weltlichen Strafschutzes (vgl. Rdn. 18), erneuerte v. Feuerbach mit der überzeugenden Feststellung: „Daß die Gottheit injuriert werde, ist unmöglich; daß sie wegen Ehrenbeleidigung sich an Menschen räche, undenkbar; daß sie durch Strafe ihrer Beleidiger versöhnt werden müsse, Torheit“ (Lehrbuch § 303). Zur gleichwohl noch immer verbreiteten Vorstellung, Gott könne beleidigt werden, A. Keller unter Hinweis auf den Katechismus der katholischen Kirche von 1993, der ausdrücklich feststellt, die Sünde sei eine Beleidigung Gottes (StZt. 217 [1999] 577 f). 83 Der Entwicklung in Preußen hat die berühmte Marginalie Friedrichs II. vom 22.6.1740 den Weg gezeigt: „Die Religionen Müsen alle Tolleriret werden, und Mus der fiskal nuhr das auge darauf haben das Keine der andern abruch Tuhe; den hier mus ein jeder nach Seiner Fasson Selich werden.“ Zu Preußen als „Schrittmacher der Religionsfreiheit“ E. Fischer Trennung S. 25; vgl. auch Braun S. 39; Waldhoff EssGespr. S. 62. 84 Ott Aspekte S. 78 ff. 85 Erler/Kaufmann/E. Kaufmann Sp. 884. 86 Näher Isensee/Pawlik S. 35 f; Webersinn S. 53 f. 219
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sende Abschnittsüberschrift „Vergehen, welche sich auf die Religion beziehen,“87 erkennen lässt, aber auch dadurch zum Ausdruck kommt, dass das durch § 166 geschützte Rechtsgut ganz überwiegend nur noch im religiösen Empfinden Betroffener lokalisiert wurde und damit theologisch neutralisiert worden war.88 Dessen ungeachtet lag der Strafdrohung aber unverkennbar noch immer die Vorstellung zugrunde, Gott könne durch lästerliche Handlungen verletzt werden.89
3. Neuere Reformbemühungen 11 Die Reformbemühungen seit der Wende zum 20. Jahrhundert brachten zwar zahlreiche Gesetzentwürfe hervor; doch verzeichneten sie im Bereich der „Vergehen, welche sich auf die Religion beziehen“ kaum wesentliche Neuerungen, sieht man von einer Hinwendung zu der Auffassung ab, in den pönalisierten Handlungen liege eine Störungen des religiösen Friedens.90 Erst mit dem E 62 und dem AE-StGB bahnte sich eine tiefer greifende Reform an. Allerdings hielt der E 62 grundsätzlich an der überkommenen Regelung fest, weil die Stellung des Strafgesetzbuchs zum Schutz der religiösen Überzeugungen durch das Grundgesetz vorgezeichnet worden sei, indem es in Art. 4 Abs. 1 die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses als unverletzlich erklärt und durch Art. 4 Abs. 2 die ungestörte Religionsausübung gewährleistet habe, eine Vorgabe, der die früheren §§ 166 bis 168 weitgehend entsprächen (Begr. S. 342). Doch brach er mit der Begünstigung der christlichen Kirchen und anderen Religionsgesellschaften91 des öffentlichen Rechts zugunsten aller im Inland bestehenden Religionsgesellschaften (§ 188) und ersetzte beim Strafzweck die Verteidigung Gottes durch den Schutz des religiösen Empfindens, des allgemeinen bei der Gotteslästerung (§ 187), des der Angehörigen einer Religionsgesellschaft bei deren Beschimpfung (§ 188). Sich gänzlich von der Tradition der Ambivalenz zwischen dem Übersinnlichen und der irdisch spürbaren Rechtsgutsverletzung zu lösen, vermochte er nicht.92 Er war, insgesamt betrachtet, „mehr Ernte aus den vergangenen Jahrzehnten als neuer Weg“ (Güde BTProt. V/ 230 S. 1217). Anders der AE-StGB. Er fühlte sich dem Gedankengut der Aufklärung und ihrer Idee einer säkularisierten, pluralistisch verfassten Gesellschaft verpflichtet, der eigenständige Religionsdelikte fremd sein müssen.93 Von dem Grundgedanken ausgehend, nicht alles, was das Grundgesetz schütze, müsse auch durch Strafandrohungen garantiert werden, schlug er vor, die auf den Kern greifbarer Rechtsgutsverletzungen reduzierten Tatbestände in anderem 87 Die Überschrift geht auf das Preußische Strafgesetzbuch von 1851 zurück, das sich mit dieser Kennzeichnung von den übrigen Partikularstrafgesetzbüchern, die noch von „Vergehen gegen die Religion“ sprachen, absetzte, nach v. Mellin (S. 27) eine Nachwirkung des Geistes Friedrichs II. 88 Dreier/Hilgendorf/Gutmann S. 301 unter Hinweis auf maßgebliche Meinungen in der Literatur vor dem Ersten Gesetz zur Reform des Strafrechts Schönke/Schröder11 § 166 Rdn. 2, 4; K.-A. Schwarz S. 15; vor allem aber Welzel9, der unter Berufung auf RGZ 64 121 die Einengung des Schutzes auf die Gottesvorstellungen der in Deutschland anerkannten Religionsgemeinschaften, besonders den christlichen Gottesbegriff, also die Trinität, vertrat (§ 65 I, 404 f). 89 Villauri/Dilcher/Hassemer S. 1312. 90 So in allen Entwürfen seit 1913, worin jedoch kaum mehr als die Rückkehr zur Charakterisierung der Religionsdelikte als „Beleidigung der Religionsgesellschaften“ durch das Allgemeine Landrecht für die Preussischen Staaten von 1794 lag (v. Hippel I § 88 I). Zum Inhalt der Reformbestrebungen seit der Wende zum 20. Jahrhundert im Einzelnen Leutenbauer S. 272 ff; Schmitz S. 32 ff. 91 Zur geschichtlichen Entwicklung des Begriffs Religionsgesellschaft und seiner unterschiedlichen Bedeutung im kirchlichen und staatskirchenrechtlichen Sprachgebrauch § 166 Rdn. 68a und 69. 92 Villauri/Dilcher/Hassemer S. 1313; vgl. auch E 62 Begr. S. 342. 93 In jüngerer Zeit sachlich daran anknüpfend Hörnle Gutachten C zum 70. DJT, Verhandlungen des 70. DJT, Band I, 2014, C 37–42; ähnlich Fateh-Moghadam S. 206 ff, der ausgehend von seinem Grundgedanken der als Begründungsneutralität des Staates gedeuteten Neutralitätspflicht des Staates § 166 StGB nicht für verfassungsrechtRadtke
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Zusammenhang einzuordnen, die Störung von Andachten in umschlossenen Räumen beim Hausfriedensbruch (S. 81 f) und die Entnahme von Leichen oder Leichenteilen in einem neuen Titel über Verletzungen des Pietätsempfindens oder einem solchen über den Schutz der Intimsphäre (S. 84 f), wie dies zuvor schon vielfach in ähnlicher Weise gefordert worden war,94 selbst von Seiten der Kirche.95
4. Die Regelung des Ersten Strafrechtsreformgesetzes Das Erste Gesetz zur Reform des Strafrechts fand bei seiner Neugestaltung der Religionsdelikte 12 einen Kompromiss zwischen dem E 62 und dem AE-StGB.96 Mit dem Verzicht auf Streichung von § 166 (vgl. Prot. V/134 S. 2818; BTProt. V/230 S. 12782 f) verblieb es zwar bei eigenständigen Delikten, die sich auf Religion und Weltanschauung beziehen, doch wurden sie, namentlich durch den Verzicht auf einen besonderen Tatbestand der Gotteslästerung97 und die Einbeziehung der Weltanschauungsvereinigungen sowie der religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisse Einzelner,98 in Richtung eines säkularisierten, pluralistischen Rechtsverständnisses weiterentwickelt. Die Einbeziehung der weltanschaulichen Bekenntnisse (dazu § 166 Rdn. 26) bedeutete eine aus Sicht des Gesetzgebers Art. 4 Abs. 1 und 2 GG sowie Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 7 WRV geschuldete erhebliche Erweiterung des Strafschutzes (näher § 166 Rdn. 1). So betrachtete der Sonderausschuss vor allem § 166 in seiner neuen Fassung schließlich „als eine Art Ausführungsgesetz zu Art. 4 GG“.99 Mit Blick auf die historische Last der Strafbarkeit der Gotteslästerung liegt die besondere Bedeutung der Reform insoweit in der eindeutigen Durchsetzung des Gedankens, dass nicht Gott selbst, auch nicht das religiöse Gefühl des Einzel-
lich legitim hält (S. 248); zwingend erscheint das selbst nach dem eigenen Ansatz des Autors nicht, weil der Tatbestand allein solche Bedingungen garantiert, derer es zur Ausübung der (positiven und negativen) Glaubens- und Religionsfreiheit bedarf. 94 Beispielhaft Henkel mit den Vorschlägen, den Tatbestand der Gotteslästerung aufzugeben, die Beschimpfung von Religionsgesellschaften als Angriff auf die Kollektivehre dem Beleidigungstatbestand zuzuweisen und die übrigen Tatbestände den für sie je nach ihrem Schutzobjekt in Frage kommenden Deliktsgruppen anzugliedern (ZStW 51 [1931] 916 ff, insb. 951); ähnlich: Binding Lehrbuch I § 42 I; Ettinger S. 111; Feder FS v. Liszt S. 71 f; Glaser S. 826 ff; Hugendubel S. 18, 27; Hüttemann S. 90; Kahl VDB S. 101; FestG v. Frank S. 309; Manck S. 123 ff, S. 143 f; Mey S. 203; Ofterdinger S. 6 f, 54 f; ferner (für Absatz 1 oder Absatz 2 des § 166 a. F.) Bott S. 48; Bruns S. 32; Buch S. 12 f; Gustavus PrPfArch. 15 (1927) 100; Kohlrausch S. 1, 102; Mühlbayer S. 78; Neumann S. 71 ff; Schlitt S. 36 f; Steppacher S. 49, 52. 95 Z. B. J. B. Beckmann KiZt. 18 (1963) 491; vgl. auch Fuld GA 39 146 f; Listl StZt. 179 (1967) 258; Reinisch/Maihofer S. 186; H. Simon KiZt. 20 (1965) 26; ferner die auszugsweise zusammengefassten Stellungnahmen Prot. V/121 S. 2456a ff. Diese kirchliche Meinungsbildung hat ebenfalls Geschichte; sie geht zumindest bis auf die Zeit um die vorige Jahrhundertwende zurück. Freilich waren dabei nicht zuletzt einseitige konfessionelle Gründe maßgebend, so etwa bei Rissom DZKR 15 (1905) S. 458; Rode S. 41 ff; Schöllgen S. 106 ff; Thümmel Religionsschutz S. 41 ff, 59 ff, ebenso schon in der 1. Aufl. (1906). Wach berichtet, dass im Anschluss an die „Thümmelschen Prozesse“ aus protestantischen Kreisen schwere Kla geführt und eine von vielen Tausenden unterzeichnete Petition an den Reichstag eingebracht worden seien, deren Inhalt drastisches Zeugnis des ungesunden Rechtszustandes gegeben hätten verbunden mit der Forderung, den Strafschutz der Religionsdelikte zu tilgen (DZKR 2 [1892] 162). Weitere Hinweise bei Schilling S. 101 ff; Skriver S. 58 ff; Stuck S. 59 f; Webersinn S. 64. 96 Von Barton als „Mittelkurs“ bezeichnet (BTRAusschProt. 14/91 S. 24, Stellungnahmen S. 60). 97 Womit auch die Schwierigkeiten entfallen sind, die sich in subjektiver Hinsicht bei einem Täter ergaben, der nicht an die Existenz Gottes glaubt, und die ohnehin nur in der Erwägung zu überwinden gewesen waren, dass er durch Missachtung der gläubigen Überzeugung anderer den Frieden innerhalb einer gemischten Gesellschaft gestört hatte (Heinitz/Würtenberger/Peters/K. Peters S. 49). 98 Insofern ist die Gotteslästerung als Beschimpfung des religiösen Bekenntnisses anderer erhalten geblieben. Näher dazu § 166 Rdn. 2 und 5. 99 Prot. V/134 S. 2807; Muckel BTRAusschProt. 14/91, Gutachten S. 93, 94. 221
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nen, zu schützen sind, sondern das friedliche Zusammenleben der Menschen verschiedener Bekenntnisse oder Anschauungen untereinander.100 13 Neben den wenigen seit der Neugestaltung der Religionsdelikte durch das Erste Gesetz zur Reform des Strafrechts zustande gekommenen Gesetzesänderungen (vgl. die Angaben zur Entstehungsgeschichte) gab und gibt es eine Reihe von Gesetzesinitiativen, die nicht zu Veränderungen der Religionsdelikte geführt haben.
5. Der bayerische Gesetzesantrag der zehnten Wahlperiode Bereits in der Zehnten Wahlperiode des Deutschen Bundestages brachte Bayern einen Gesetzentwurf ein, der das Ziel verfolgte, durch Streichung des den Tatbestand einschränkenden Merkmals der Geeignetheit der Beschimpfung, den öffentlichen Frieden zu stören, die (grobe) Verletzung des Toleranzgebotes bei der Erörterung religiöser und weltanschaulicher Angelegenheiten unter Strafe zu stellen und mittelbar auch das religiöse Empfinden zu schützen (BRDrucks. 367/ 86).101 In der Begründung heißt es, die auf zahlreiche Strafanzeigen ergangenen Entscheidungen von Staatsanwaltschaften und Gerichten, durch die eine Strafverfolgung abgelehnt werde, weil der öffentliche Friede nicht gestört sei, stoße bei den Betroffenen zunehmend auf Unverständnis, weil ihnen zugemutet werde, zu friedensstörenden Mitteln zu greifen, um Schutz vor gröbsten Verletzungen ihrer religiösen Gefühle zu genießen (S. 4). Eine der gemeinten Entscheidungen dürfte der Beschluss des Oberlandesgerichts München FR 28 (1984) 595 sein, der die Strafbarkeit einer Aufführung des Spielfilms „Das Gespenst“102 nach § 166 letztlich wegen fehlender Eignung der Handlung, den öffentlichen Frieden zu stören (zu den Anforderungen daran näher § 166 Rdn. 54 bis 56), verneint hat. Das in der Entwurfsbegründung genannte „Unverständnis“ scheint nicht allgemein empfungen worden zu sein. Für manche christliche Zuschauer war die blasphemische Darstellung im Film ein „kathartischen Akt“, was für die Filmkommission der Evangelischen Kirche in Deutschland mit ein Grund gewesen sein mag, ihm „Antriebskräfte für eine heilsame Selbstbefragung“ zu bescheinigen (vgl. Wunden in Schmied/ Wunden [Hrsg.] S. 92, 95). Vor diesem Hintergrund fand der Gesetzentwurf im Bundesrat keine Mehrheit (BRProt. 568/496, 497; BRRAussch. 574. und 575. Sitzung).
6. Die Gesetzentwürfe der dreizehnten und vierzehnten Wahlperiode 14 Die Dreizehnte und Vierzehnte Wahlperiode sahen mehrere Initiativen. Zunächst legten der Abgeordnete Beck und die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen einen Gesetzesantrag vor, der mit einer dem AE-StGB (S. 77; vgl. auch schon Rdn. 11) entlehnten Begründung die ersatzlose Aufhebung des § 166 erstrebte (BTDrucks. 13/2087). Schon für die Einbringung des Antrags fand sich keine Mehrheit. In die entgegengesetzte Richtung zielte der Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes des Abgeordneten Geis und anderer, der den Gedanken einer Streichung der Friedensschutz-Klausel des § 166 mit einem neuen Absatz 2 verband, wonach die Tat nur auf Antrag verfolgt werden sollte (BTDrucks. 13/10666). In der Begründung heißt es, Angriffe insbesondere auf christliche Kirchen hätten an Schärfe und Intensität zugenommen, so dass viele Bürger und kirchliche Stellen sich vermehrt mit Strafanzeigen, Eingaben und Beschwerden an verantwortliche Stellen wenden würden, währenddessen die 100 Von Zipf treffend auf die Formulierung gebracht, der Strafschutz beziehe sich nicht mehr auf die Wertgröße „Gott“ an sich, sondern auf ihre Spiegelung im einzelnen Menschen (NJW 1969 1944). 101 Zu den Hintergründen Schulz Bericht aus Bonn, ZRP 1986 295, 296 f; zust. Listl/Pirson/Eser S. 1025, 1043; Th. Fischer NStZ 1988 159, 164; Katholnigg NStZ 1986 555 (Bespr. von OLG Karlsruhe NStZ 1986 363); vgl. auch Dankert/Zechlin/Ott S. 285; NStZ 1986 365 f. 102 Zum Inhalt (mit den Worten aus einem Rundfunkkommentar) Schmied/Wunden/Schmied S. 44. Radtke
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IV. Entwicklungsgeschichte und Reform der Religionsdelikte
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Rechtsprechung die Friedensklausel zu einem Instrument für die Beseitigung des Tatbestandes entwickelt habe, indem sie die Eignung zur Friedensstörung wegen fehlender Krawalle und geringen Anzeigeverhaltens verneine (Begr. S. 4). Über den Gesetzesantrag wurde in der Dreizehnten Wahlperiode nicht mehr entschieden. Nahezu zeitgleich nahm auch der Freistaat Bayern das Anliegen einer Streichung der Friedensschutz-Klausel wieder auf, allerdings mit einer gegenüber der Initiative der Zehnten Wahlperiode (vgl. Rdn. 13) reduzierten Begründung (BRDrucks. 460/98). Der Antrag scheiterte bereits im Bundesrat, der auf Empfehlung seines Rechtsausschusses beschloss, ihn nicht beim Deutschen Bundestag einzubringen (BRProt. 726 S. 275 C, 272 S. 312 C). Mit Ausnahme des Vorschlags, § 166 als Antragsdelikt einzustufen, brachten der Abgeordnete Geis und andere ihren in der Dreizehnten Wahlperiode der Diskontinuität verfallenen Gesetzentwurf in der Vierzehnten Wahlperiode mit sonst unveränderter Begründung neu ein (BTDrucks. 14/4558). Nach kontroverser erster Lesung verwies der Bundestag den Antrag an die Ausschüsse (BTProt. 14/149 S. 14654 ff, 14662). In der Anhörung vor dem Rechtsausschuss sprach sich die Mehrzahl der Sachverständigen gegen die Streichung der Friedensschutzklausel aus (BTRAusschProt. 14/91 S. 1 ff, Zusammenstellung der schriftlichen Stellungnahmen S. 47 ff). Allgemeine Meinung war, dass das geltende Recht keineswegs uneingeschränkt gutzuheißen sei, es vielmehr bei der Auslegung des Begriffs des öffentlichen Friedens und des Merkmals der Eignung von Handlungen, die diesen Frieden stören können, große praktische Schwierigkeiten gebe (so beispielsweise Lüderssen BTRAusschProt. 14/91 Stellungnahmen S. 91).103 Überdies blieben die empirischen Grundlagen des Antrags zweifelhaft. Soweit die Entwurfsbegründung darlegte, ungeachtet einer Zunahme von Beschimpfungen christlicher Bekenntnisse sei ein spürbarer Rückgang der Verurteilungen zu verzeichnen, wurde dies zweifelsfrei durch die Strafverfolgungsstatistiken widerlegt.104 Dementsprechend empfahl der Rechtsausschuss mit Zustimmung aller mitberatenden Ausschüsse die Ablehnung des Gesetzesantrags (Bericht BTDrucks. 14/233 S. 23229 ff). Dem folgte der Bundestag nach erneuter Aussprache mehrheitlich (BTProt. 14/233 S. 23229 ff).
7. Initiativen der sechzehnten Wahlperiode Die Sechzehnte Wahlperiode stand unter dem Eindruck des aufsehenerregenden Streits um 15 die Publikation von Mohammed-Karikaturen in der dänischen Zeitschrift „Jyllands-Posten“105 und der Entscheidung der Deutschen Oper Berlin, eine Mozart-Inszenierung aus Angst vor islamischen Bedrohungen vom Spielplan abzusetzen.106 Beide Vorgänge veranlassten die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu der Kleinen Anfrage „Gotteslästerungsparagraf (§ 166 Strafgesetzbuch) im Verhältnis zur Kunst- und Meinungsfreiheit“ (BTDrucks. 16/3407), mit der sie die Vorschrift erneut in Frage stellte. In ihrer Antwort (BTDrucks. 16/3579; wiedergegeben auch in den Nachrichten KuR 13 [2007] 121 ff) erklärte die Bundesregierung, dass sie keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf sehe. Gleichwohl und ungeachtet der gründlichen parlamentarischen Behandlung des Gesetzentwurfs BTDrucks. 14/4558 (vgl. Rdn. 14) legte der Freistaat Bayern abermals einen Gesetzesantrag vor, der zwar das Erfordernis der Eignung zur Friedensstörung 103 Vgl. auch die weitere Einschätzung, dass gegenwärtig besonders abstoßende Formen des Umgangs mit religiösen Gefühlen in Gestalt mannigfacher Produktionen zu beklagen seien (Lüderssen FS Trechsel S. 362; s. dazu die Beispiele bei Schmied/Wunden/Schmied S. 41 ff). 104 Ausführliche Angaben bei Barton BTRAusschProt. 14/91 Stellungnahmen S. 55 f, 60 f und in BTDrucks. 16/3579 S. 2 ff. 105 Dazu Dreier/Hilgendorf/Dreier S. 24 f; Enders KuR 13 (2007) 40; Isensee/Isensee S. 107, 135; öarr 53 (2006) 53; Isensee/v. Arnauld de la Perrière S. 63 f; Steinbach JR 2006 495 ff; Türcke Merkur 60 (2006) 479 f. 106 Eine bedenkliche Bereitschaft zur Selbstaufgabe der Kunst- und Meinungsfreiheit, die nicht etwa dem Schutz der Anhänger muslimischen Glaubens vor einer bestimmten Operninszenierung dient, sondern derjenigen, die sich diese anhören wollen, vor potentiellen Störern (Dreier/Hilgendorf/Dreier S. 25; vgl. auch Isensee/Isensee S. 114, 134). 223
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in § 166 beibehalten, dessen spezifische Bedeutung im Kontext der Strafvorschrift aber verdeutlichen möchte. Dazu sollen die Überschrift zum Elften Abschnitt des Strafgesetzbuchs und die amtliche Bezeichnung des § 166 die Fassung „Herabwürdigen von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen“ erhalten,107 in § 166 Abs. 1 und 2 anstelle des Wortes „beschimpft“ jeweils die Wörter „herabwürdigt oder verspottet“ treten und in einem neuen Absatz 3 eine Auslegungshilfe festgeschrieben werden, wonach die Tat bereits bei der Besorgnis, der Angriff werde das Vertrauen in die Fortdauer des Friedenszustandes erschüttern, als zur Störung des öffentlichen Friedens geeignet anzusehen sei, dies bei Eignung der Tat, das Vertrauen der Betroffenen in die Achtung ihrer religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung zu beeinträchtigen oder bei Dritten die Bereitschaft zu Intoleranz gegenüber dem Bekenntnis, der Religionsgesellschaft oder der Weltanschauungsvereinigung zu fördern, aber auch angenommen werden müsse (BRDrucks. 683/07). Vor allem die Auslegungshilfe zum Begriff der Eignung zur Friedensstörung macht deutlich, dass das Ziel des Gesetzesantrags sich im Ergebnis von dem einer Streichung der Klausel kaum unterscheidet.108 Der Gesetzesentwurf wurde in der 921. Sitzung des Bundesrates vom 11. April 2014 für erledigt erklärt.
V. Die Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit als Grundlage strafrechtlichen Schutzes 16 Die für den strafrechtlichen Schutz im Bereich von Religion und Weltanschauung wichtigste staatskirchenrechtliche Grundnorm ist die Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG).109
1. Die zentrale Bedeutung der Vorschrift Ihre große Bedeutung für den Einzelnen erklärt sich daraus, dass Religion und Religiosität Urphänomene menschlicher Existenz sind,110 die das Grundbedürfnis entstehen lassen, Aussagen zur Deutung der Welt zu entwickeln.111 Dementsprechend gehört die Unverletzlichkeit der Freiheit des Glaubens, des Gewissens und der Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses (Art. 4 Abs. 1 GG) zum menschenrechtlichen Grundbestand der neuzeitlichen Grundrechtserklärungen.112 Die weitere Bestimmung, dass die ungestörte Religionsaus-
107 Wobei die neue Abschnittsüberschrift schon mit § 167 kaum in Einklang zu bringen sein dürfte, keinesfalls aber einen auch nur entfernten sachlichen Bezug zu den §§ 167a, 168 hat. 108 Vgl. Hörnle, die den erneuten Vorstoß der bayerischen Staatsregierung für eine Verschärfung des § 166 in einem Zusammenhang mit der vermehrten Aufmerksamkeit sieht, die rechtlichen Abhandlungen auf die Begriffe „Identität“ und „kulturelle Identität“ zu richten (in Dreier/Hilgendorf S. 321). 109 Vgl. Pirson/Rüfner/Germann/Muckel/Radtke § 75 Rn. 3. 110 Hollerbach HdbStR VI Rdn. 6. 111 Borowski S. 393; v. Campenhausen/P. Kirchhof S. 150; vgl. auch Habermas S. 268; Hilgendorf FS Albert S. 361. 112 Braun S. 7; v. Campenhausen/deWall S. 78; Mahlmann ARSP 91 (2005) 1; v. Mangoldt/Klein/Starck/Starck Art. 4 Abs. 1, 2 Rdn. 6; v. Münch/Kunig/Mager Art. 4 Rdn. 1; Listl/Pirson/Pirson S. 39; ferner Belafi StZt. 133 (2008) 162; v. Campenhausen ZevKR 42 (1997) 169; Emenet Religionskunde S. 270; Lepsius Leviathan 34 (2006) 321 f, 341 f; Waldhoff EssGespr. S. 68 ff; Zacharias KuR 11 (2005) 104 ff; vgl. auch den Konziltext des 2. Vatikanums (1962–1965) „Dignitatis humanae“, der im letzten Abschnitt die Beziehung der Religionsfreiheit zum globalen Aufeinandertreffen der Religionen herstellt (näher Dreier/Hilgendorf/K. Gabriel S. 66). Zu den einzelnen Stufen der Entwicklung des Grundrechts in Deutschland seit der konstantinischen Wende v. Campenhausen ZevKR 47 (2002) 303 ff; Heckel FS Kriele S. 290 ff; Herm. Weber ZevKR 45 (2000) 114 ff. Zur Entwicklung der Religionsfreiheit als universelles MenRadtke
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V. Die Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit
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übung113 gewährleistet wird (Art. 4 Abs. 2 GG),114 unterstreicht dies umso mehr, als der Begriff im Hinblick auf die Bedeutsamkeit, die Religionsausübung für jeden Glauben und jedes Bekenntnis gegenüber seinem historischen Inhalt hat, extensiv ausgelegt werden muss.115 Ein spezifischer Sinn der Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit liegt in ihrer Ausstrahlung in die gesamte übrige Rechtsordnung.116 Auch Verwaltungs- und Strafgesetze können ihm nur als Ergebnis einer Güterabwägung nach Maßgabe der grundgesetzlichen Werteordnung und unter Berücksichtigung der Einheit dieses grundlegenden Wertesystems Grenzen ziehen.117 Ergibt sich, dass der Religionsfreiheit ein höherer Rang zukommt, führt die Ausstrahlungswirkung dieses Grundrechts zu einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung, die einen rechtsoder gar sittenwidrigen Vorbehalt ausschließt (vgl. BVerfGE 24 236, 251 f), etwa wenn der Täter sich in einer konkreten Situation durch seine Glaubensüberzeugung zu einem Tun oder Unterlassen bestimmen lässt (BVerfGE 32 98, 108 f).118 Selbst in Fällen, bei denen die durch ernste innere Auseinandersetzung gewonnene Entscheidung nicht in einer konkreten Situation stattfindet, sondern, wie etwa bei Zeugen Jehovas im Falle der – vor Aussetzung der Wehrpflicht relevanten – Dienstflucht (§ 53 ZDG), auf einem von vornherein für allemal gefassten Entschluss beruht, wirkt sich das Grundrecht der Gewissensfreiheit als „allgemeines Wohlwollensgebot“ jedenfalls strafmildernd aus.119 Ob darüber hinaus auf das Grundrecht auch unmittelbar eine Rechtfertigung gestützt werden kann, ist (das Widerstandsrecht nach Art. 20 Abs. 4 GG ausgenommen) streitig.120 Die rechtswissenschaftliche Literatur lehnt eine generelle Rechtfertigungswirkung von Grundrechten im Hinblick auf ihre Unbestimmtheit sowie in der Erwägung, die Fachgerichte würden durch einen unmittelbaren Rückgriff auf die Verfassung die grundrechtskonkretisierende Leistung des Gesetzgebers ignorieren und gegen das verfas-
schenrecht ausführlich Kotzur GedS Blumenwitz S. 145 ff Schlaich betrachtet das Grundrecht unter dem Blickwinkel des Öffentlichkeitsauftrags der Kirchen (in Listl/Pirson S. 168 ff). 113 Das Grundgesetz verwendet an keiner Stelle den Begriff Religionsfreiheit, Standardbezeichnung vor allem im Schrifttum, sieht man von der Einbeziehung des Art. 136 WRV (dort Absatz 1) durch Art. 140 GG ab. Als „Gesamtgrundrecht“ (v. Campenhausen HdbStR VI Rdn. 74; Listl/Pirson/Listl S. 454) schließt es, durchaus im Sinne der Tradition des deutschen Staats- und Religionsrechts, ebenso die Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit, wie auch das Recht der freien und ungestörten Religionsausübung in allen individualrechtlichen, gemeinschaftlichen und korporativ-institutionellen Erscheinungsformen und Bezügen ein (Listl/Pirson/Listl S. 499; vgl. auch Listl/Pirson/v. Campenhausen S. 59; Klinkhammer/Fricke/Link S. 36 f; Listl/Schmitz/Listl/Hollerbach S. 1274 ff; Winter Staatskirchenrecht S. 62 ff). Mit der Aufzählung einzelner Ausprägungen der Religionsfreiheit statt der einfachen Verwendung dieses Begriffs sollte, auch aus der Abwehrhaltung gegenüber den Störungen der Religionsausübung unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, Versuchen gewehrt werden, bei formaler Anerkennung der Religionsfreiheit einzelne ihrer Erscheinungsformen zu unterbinden (v. Campenhausen HdbStR VI Rdn. 36). 114 Wofür die individuelle Behauptung eines religiösen Selbstverständnisses freilich nur dann genügt, wenn es von einer Religionsgemeinschaft anerkannt wurde (BVerfGE 24 236, 246 ff; 83 341, 353 = BVerfG NJW 1991 2623, 2624 mit Bespr. Schockenhoff NJW 1992 1013; Lepsius Leviathan 34 [2006] 326 ff; Pieroth/Görisch JuS 2002 938; Heun/Honecker/Morlok/Wieland/deWall Sp. 1988; Winter ZevKR 42 [1997] 374; öarr 47 [2000] 205; vgl. auch Classen S. 76 f). 115 BVerfGE 24 236, 246 („Aktion Rumpelkammer“); Badura Schutz S. 90; v. Campenhausen HdbStR VI Rdn. 42; v. Campenhausen/deWall S. 74; Listl/Pirson/Listl S. 449 f. 116 Müller-Volbehr ZevKR 44 [1999] 395; ähnlich auch Heckel ZevKR 44 [1999] 380; Scholler FS Kriele S. 328 f. 117 BVerfGE 32 98, 108 = NJW 1972 327 mit Anm. Händel = NJW 1972 814 mit Anm. Deubner = JR 1972 342 mit Anm. Dreher = JZ 1972 83 mit Anm. Peters; ferner VerfGH München BayVBl. 53 (2007) 462. 118 Näher zu möglichen Auswirkungen der Straftatbegehung aufgrund der eigenen Glaubensüberzeugung Radtke GA 2000 19, 28 ff A. Radtke/H. Radtke ZevKR 42 (1997) 22, 49 ff; siehe auch H.C. Schmidt 62 ff sowie 167 ff (zu Art. 4 GG). 119 BVerfGE 23 127, 134; BayObLGSt 1980 15, 16; OLG Düsseldorf MDR 1996 409, 410; OLG Hamm NJW 1980 2425; OLG Stuttgart NJW 1992 3251. 120 Ausführlich H. C. Schmidt, 62 ff sowie 167 ff; einführend auch Radtke GA 2000 19, 29 ff. 225
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sungsrechtliche Kompetenzgefüge verstoßen, größtenteils ab.121 Die Rechtsprechung schließt einen unmittelbaren Rückgriff zwar nicht ausdrücklich aus, ist in der Bewertung aber meist zurückhaltend.122
2. Abwehrrecht und Pönalisierungsgebot 17 Für den Schutz von Religion und Weltanschauung durch Strafrecht123 liegt die besondere Bedeutung des Grundrechts darin, dass es ein aus der „negativen Religionsfreiheit“ resultierendes Abwehrrecht gegen vom Staat ausgehende Störungen gewährt, sich aber, wie schon Art. 135 Satz 2 WRV,124 nicht auf die klassische Funktion eines Abwehrrechts beschränkt, sondern dem Staat auch die Pflicht auferlegt, den Einzelnen und religiöse Gemeinschaften vor von Anhängern anderer Glaubensrichtungen oder konkurrierender Religionsgruppen ausgehenden Angriffen zu schützen, also drohende Störungen zu verhindern und noch anhaltende Störungen zu unterbinden.125 Er muss die dazu erforderlichen Gesetze schaffen, soweit die allgemeinen gesetzlichen Regelungen zur Gefahrenabwehr und zur eventuellen Ahndung von Rechtsbrüchen nicht ausreichen, wovon auszugehen ist, wenn die öffentliche Gewalt in diesem Bereich Schutzvorkehrungen überhaupt nicht getroffen hat oder die getroffenen Regelungen und Maßnahmen entweder gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind.126 Die Bestimmungen des Elften
121 Z. B. Böse ZStW 113 (2001) 42, 62; Sch/Schröder/Hecker Vorbem § 1 Rdn. 29 f; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben Vorbem §§ 32 ff Rdn. 118 ff; Tiedemann S. 36 f; vgl. auch Appel S. 67 f; Scholler FS Kriele S. 328 ff; and., mit ausführlicher Begründung, Rönnau LK Vor § 32 Rdn. 60, 138 f; ferner Valerius JuS 2007 1108. 122 BGHSt 19 311, 315; 20 342, 362 ff; 44 34, 41 f; OLG Hamm NJW 1968 212, 214; LG Dortmund NStZ-RR 1998 139, 141; AG Balingen NJW 1982 1006, 1007 (allerdings im Rahmen einer fälschlich angenommenen rechtfertigenden Pflichtenkollision); vgl. auch AG Tiergarten NStZ 2000 144, 145 (Einschränkung unter Hinweis auf Art. 5 Abs. 1 GG); uneingeschränkt and. OLG Jena NJW 2006 1006, 1007. 123 Näher Pirson/Rüfner/Germann/Muckel/Radtke § 75 Rn. 7 ff. 124 Dessen Wortlaut, die ungestörte Religionsausübung werde durch die Verfassung gewährleistet und stehe unter staatlichem Schutz, das Gebot eher deutlicher ausdrückt. Zur Auslegung Anschütz Art. 135 Anm. 5 mit Hinweis auf die einschlägigen Strafgesetze; ferner Ebers S. 211 ff. 125 BVerfGE 93 1, 16; 102 370, 393; BVerfG NVwZ 2001 908; v. Mangoldt/Klein/Starck/Starck Art. 4 Abs. 1, 2 Rdn. 12, 17, 19, 121; ferner: A. Albrecht Staat S. 144 f; Listl/Pirson/Badura S. 211 ff; Staatsrecht S. 140; in Bader/Rauscher S. 55, 57; Borowski S. 623 ff; v. Campenhausen ZevKR 46 (2001) 178; v. Campenhausen/deWall S. 66; Emenet Religionskunde S. 269; Hefendehl/v. Hirsch/Wohlers/Hassemer S. 59, 62; Isensee in Isensee/Isensee S. 109 f, 118 f; Jarass/Pieroth/ Jarass Art. 4 Rdn. 14; Jurina FS Rüfner S. 395 f; Kästner FS Heckel S. 363; v. Campenhausen/P. Kirchhof S. 151; Listl Religionsfreiheit S. 293 f; Muckel BTRAusschProt. 14/91 S. 93, 94; Jochen Müller S. 88; v. Münch/Kunig/Mager Art. 4 Rdn. 39, 61 (unter Berufung auf die Verwendung der Begriffe „ungestört“ und „gewährleistet“ in Art. 4 Abs. 2 GG); Röger FS Rüfner S. 765; Sachs/Kokott Art. 4 Rdn. 68; Steinberg NJW 1996 1986 f; Wilms FS Kriele S. 341; vgl. auch: BVerfGE 41 29, 49; BVerwG NJW 1999 304 mit Anm. Hufen JuS 1999 911; OVG Münster NVwZ 1991 176 mit Anm. Sachs JuS 1991 687; Badura Schutz S. 87 f; Listl/Pirson/v. Campenhausen S. 60; Hollerbach HdbStR VI Rdn. 109; Klinkhammer/Frick/Link S. 38; Listl Religionsfreiheit S. 15 f; Benda/Maihofer/Vogel/Mikat Rdn. 15; Sachs/Kokott Art. 4 Rdn. 65; and. Maunz/Dürig/Herzog (Voraufl.), der Staat habe nur die Verpflichtung, Eingriffe in das Grundrecht der freien Religionsausübung zu unterlassen, sei aber nicht gehalten, dem Einzelnen oder auch religiösen Vereinigungen die faktischen Möglichkeiten der Religionsausübung zu verschaffen (Art. 4 Rdn. 86, 108); ebenso Seifert/Hömig/Bergmann Art. 4 Rdn. 10. 126 BVerfGE 56 54, 80 f; 79 134, 202; 96 56, 64; BVerfG NVwZ 2001 908. Eine Verletzung dieser grundrechtlichen Schutzpflicht liegt beispielsweise nicht schon darin, dass der Gesetzgeber ungeachtet konkreter Beeinträchtigungen der Religionsausübung anderer Religionsgemeinschaften durch kritische Stellungnahmen der Kirchen und ihrer Sektenbeauftragten keine Regelungen zur Einschränkung oder Anerkennung der Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts vorgesehen hat, weil zur Unterbindung derartiger Anfeindungen auf Unterlassung und gegebenenfalls auf Widerruf geklagt werden kann (BVerfG NVwZ 2001 908). Radtke
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VI. Zur verfassungsrechtlichen Legitimität von Religionsdelikten
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Abschnitts des Strafgesetzbuchs sind eine Konkretisierung dieser Pflicht.127 Ihre Ausgestaltung ist durch den Interpretationswandel, der sich bei den im Grundgesetz inkorporierten Kirchenartikeln der Weimarer Reichsverfassung vollzogen hat (vgl. Rdn. 7), nachhaltig beeinflusst worden.128 Ob Art. 4 Abs. 1 und 2 GG eine darüber hinausgehende Sanktionspflicht129 innewohnt, ist streitig aber im Ergebnis zu verneinen.130 Außerhalb des verfassungsunmittelbaren Pönalisierungsgebots aus Art. 26 Abs. 1 GG131 hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Abtreibungsregelung des Fünften Gesetzes zur Reform des Strafrechts zur Realisierung der Schutzpflicht des Art. 2 Satz 1 GG ein relatives, nämlich wenn anders ein effektiver Lebensschutz nicht zu erreichen sei, Pönalisierungsgebot anerkannt (BVerfGE 39 1, 46; bestätigt durch BVerfGE 88 204, 257 f). Auf andere verfassungsrechtliche Sachlagen können diese Erwägungen kaum ausgedehnt werden.132
VI. Zur verfassungsrechtlichen Legitimität von Religionsdelikten Die verfassungsrechtliche Legitimität von Delikten zum Schutz von Religion und Kirchen 18 wurde und wird ebenso in Zweifel gezogen wie die Notwendigkeit solcher Straftatbestände.
1. Die Rechtfertigung der Religionsdelikte gegenüber dem Gedankengut der Aufklärung Einer besonderen Rechtfertigung bedurfte die grundsätzliche Beibehaltung der Religionsdelikte, seit die vom Gedankengut der Aufklärung geprägten Vorstellungen von einem säkularen Staat die Begründung von Strafrecht aus dem Göttlichen (vgl. Rdn. 10) ausschloss.133 Dabei trifft die Frage nach ihrer Legitimität nicht sämtliche im Elften Abschnitt eingestellten Straftatbestände in gleicher Weise. Angesichts der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Verfassungsstaates des Grundgesetzes (vgl. BVerfGE 102 370, 393 f) stellt sie sich besonders dringlich für §§ 166, 167, die – in welcher Weise auch immer – den Schutz von Kirche und Religion sowie
127 v. Mangoldt/Klein/Starck/Starck Art. 4 Abs. 1, 2 Rdn. 12, 19; v. Münch/Kunig/Mager Art. 4 Rdn. 19, 39 (für § 166), Rdn. 61 (für § 167); Borowski S. 624 f; v. Campenhausen/deWall S. 66; Sachs/Kokott Art. 4 Rdn. 67; ferner E 62 Begr. S. 342; Prot. V/134 S. 2807 (dazu Rdn. 21); vgl. auch BVerfGE 39 1, 44 ff (Einsatz des Strafrechts zur Realisierung der Schutzpflicht des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG); Badura in Bader/Rauscher (Hrsg.) S. 55, 57; Rengier in Görresgesellschaft (Hrsg.) S. 820; Sachs/Kokott Art. 68 mit Hinweis auf § 166; and. Hörnle Verhalten S. 53 f. 128 Auch im Zivilrecht ist der Schutz der Religionsfreiheit verankert. Die ungestörte Religionsausübung (Art. 4 Abs. 2 GG) ist ein sonstiges Recht im Sinne der §§ 823, 1004 BGB (Borowski S. 626; v. Mangoldt/Klein/Starck/Starck Art. 4 Abs. 1, 2 Rdn. 121; Sachs/Kokott Art. 4 Rdn. 68). 129 Zur Unterscheidung verfassungsrechtlicher Verbots- und Sanktionsnormen Lagodny Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte (1996) S. 77 ff; siehe auch Radtke MK Vor § 38 Rdn. 1 f zu den unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Legitimitätsanforderungen an Verhaltensnormen einerseits und Sanktionsnormen andererseits. 130 Pirson/Rüfner/Germann/Muckel/Radtke § 75 Rn. 3. 131 Gelegentlich wird eine entsprechende Pflicht der Gesetzgebung auch Art. 20a GG (Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und der Tiere) entnommen (zweifelhaft) dazu Steinberg NJW 1996 1990 ff; zur Bedeutung von Art. 20a GG siehe nunmehr BVerfG NJW 2021 1723, 1727 ff (zur Veröffentlichung in BVerfGE vorgesehen). 132 Pirson/Rüfner/Germann/Muckel/Radtke § 75 Rdn. 3; ausführlich zum Ganzen Müller-Dietz Pönalisierungsgebote S. 80 ff; ferner Appel S. 67 ff; vgl. auch: Hefendehl/v. Hirsch/Wohlers/Hassemer S. 62; Kühl GA 1977 364 f; Lüderssen FS Trechsel S. 633 f; Lüderssen/Robbers S. 147 ff; Radtke MK Vor § 38 Rn. 7; Sch/Schröder/Hecker Vorbem § 1 Rdn. 29; Sonnen S. 21 ff; Hefendehl/v. Hirsch/Wohlers/Sternberg-Lieben S. 78 f; Tiedemann S. 50 ff; Zipf Kriminalpolitik S. 104 f. Zur bayerischen Verfassung vgl. BayVerfGHE 49 153, 159; BayVerfGH NVwZ 1999 759. 133 So auch Prittwitz mit der Wertung, dass Straftaten, die sich auf Religion beziehen, im Strafrecht eines säkularen Staates Fremdkörper sind (BTRAusschProt. 14/91 S. 7). 227
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Weltanschauungen gewährleisten sollen.134 Dagegen „beziehen“ sich die §§ 167a, 168 nicht auf die Religion; gegenwärtige (unmittelbar) religiöse Bezüge sind nicht erkennbar (vgl. § 167a Rdn. 5; siehe auch § 168 Rdn. 7). Über Legitimität und Notwendigkeit beider Strafvorschriften gab es nie ernsthafte Zweifel. Störung der Totenruhe gehört zu den wohl nicht allzu zahlreichen Straftatbeständen, deren Strafgrund universelle Akzeptanz genießt. B. Kretschmer gelangt in seiner umfassenden Historiogenese des Toten- und Leichenrechts135 zu dem Ergebnis, dass in allen vergangenen und gegenwärtigen Rechtsordnungen dieser Welt Grab- und Leichenfrevel als strafwürdige Missetaten136 erachtet werden,137 wobei er eine geradezu anthropologische Konstante in den Beweggründen sieht, die den Menschen antreiben, statt Grab und Leichnam den Umtrieben Einzelner zu überlassen, durch Strafdrohungen die gesellschaftlich gewollte Verhaltensweise abzusichern.
2. Fortdauer der Kritik an einer eigenständigen Regelung 19 Für die eigentlichen Religionsdelikte §§ 166, 167 (Rdn. 1) fiel und fällt die Begründung ihrer verfassungsrechtlichen Legitimität schwerer. Zum einen wird ein gewisses Spannungsverhältnis zwischen der Gebot der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates und einem Schutz religiöser oder weltanschaulicher Bekenntnisse vor Beschimpfung gesehen.138 Zum anderen genügt die Gewährleistung der Religionsfreiheit durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG allein als schlechthin die Aufstellung strafbewehrter Verhaltensnormen legitimierender Grund schon angesichts des lediglich subsidiären Rechtsgüterschutzes durch Strafrecht kaum.139 Die herkömmliche Lehre stützte die Notwendigkeit der eigentlichen Religionsdelikte im Wesentlichen auf zwei Gesichtspunkte.140 Der eine gründete sich – im Ansatz zutreffend (Rdn. 20) – auf die Überzeugung, dass der religiöse Friede wie auch die Kultusfreiheit nur durch besondere Straftatbestände geschützt werden könnten (z. B.).141 Im anderen artikulierte sich die Befürchtung, dass ihr Fehlen im Strafgesetzbuch die Bedeutung eines der wichtigsten und höchsten Kulturgüter des Volkes schmälern und leicht den Bestand und die Vertiefung gesunder Volksmoral gefährden würde.142 Gerade angesichts des einen tragfähigen Rechtsgutsbezug weitgehend entbehrenden zweiten Aspekts verwundert kaum, dass die Kritik an eigenständigen Religionsdelikten trotz mehrfacher Reformen (vgl. Rdn. 12) nicht verstummt ist. Sie stützt sie sich auf höchst unterschiedliche Gesichtspunkte. So plädiert Barton für die Streichung, weil unter der Geltung des Grundgesetzes es weder ein Zurück zum alten Gotteslästerungsparagraphen geben könne, noch der Schutz von „richtigen“ Religionsinhalten möglich sei, die verfassungsrechtlichen Vorgaben der Meinungsund Kunstfreiheit dem strafrechtlichen Zugriff enge Grenzen setze und die Beibehaltung des „Mittelkurses“ zwischen dem E 62 und dem AE-StGB (vgl. Rdn. 12) das Strafrecht überfordere (BTRAusschProt. 14/91 Anhörung S. 24, Stellungnahmen S. 60). Beisel, um rechtliche Argumentation kaum bemüht, meint, der Fortbestand des § 166 beruhe heute nur noch auf dem Lobbyismus von Religionsgesellschaften und konservativen Kreisen, weshalb er ersatzlos zu streichen 134 Zur Diskussion aus neuerer Zeit etwa Hörnle JZ 2015 293, 294 ff; Pawlik FS Küper 411 ff; Sternberg-Lieben FS Paeffgen 31, 41 ff; Stübinger FS Kargl 573 ff; siehe auch Pirson/Rüfner/Germann/Muckel/Radtke § 75 Rdn. 3. 135 Grabfrevel S. 51 f; speziell zum germanischen Rechtskreis von der schriftlosen Kultur über das Mittelalter und die frühe Neuzeit bis hin zu den Kodifikationen der Neuzeit S. 152 ff. 136 Meist als Delikt gegen die öffentliche Ordnung ausgestaltet (Grabfrevel S. 211 unter Hinweis auf Klotz S. 150 ff, 163 ff). 137 Sozialistische Staaten, die aufgrund ihrer materialistischen Philosophie Grab- und Leichenfrevel nicht gesondert als strafwürdiges Unrecht begreifen, ausgenommen (Grabfrevel S. 212). 138 Fateh-Moghadam S. 207; Stübinger NK § 166 Rdn. 207. 139 Pirson/Rüfner/Germann/Muckel/Radtke § 75 Rdn. 3. 140 Vgl. auch Jochen Müller der von fünf Argumentationslinien ausgeht (S. 89 f). 141 Bruns S. 16 ff, insb. S. 20. 142 Z. B. Kahl VDB S. 82; FG v. Frank S. 303; ähnlich Niethammer I. Hauptstück Vorbem. zu H. Radtke
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VI. Zur verfassungsrechtlichen Legitimität von Religionsdelikten
StGB Vor §§ 166
sei (S. 360). Fateh-Mogadham verneint die Legitimität von § 166 StGB mit der Erwägung, die Gewährleistung von Toleranz in einer Gesellschaft sei kein legitimes strafrechtliches Rechtsgut, denn Toleranz sei lediglich eine rechtlich nicht erzwingbare Bürgertugend.143 Th. Fischer spricht dem öffentlichen Frieden die Qualität eines selbständigen Rechtsguts mit der Folgerung ab, dass der Tatbestand des § 166, wenn sein einziges Rechtsgut der öffentliche Friede sei, im Strafgesetzbuch keinen Platz habe (NStZ 1988 162 ff; GA 1989 456 ff).144 Hefendehl hält Straftaten in Beziehung auf Religion und Weltanschauung allenfalls als Verhaltensdelikte für legitimierbar, aber auch als solche für entbehrlich, weil ihre Abschaffung angesichts einer denkbar geringen kriminalstatistischen Bedeutung mit hoher Wahrscheinlichkeit gesellschaftlich weitgehend konsentierte Verhaltensüberzeugungen nicht so intensiv verletzen könnte, dass diese kriminalpolitische Entscheidung zu Konflikten führen würde (Rechtsgüter S. 297 f). Hörnle bestreitet, dass sich die Notwendigkeit des § 166 auf Art. 4 GG oder auf ein Rechtsgut „öffentlicher Friede“ stützen lasse; vielmehr seien hinter diesen Begründungen Vorstellungen, deren Wurzeln in Traditionen und nicht mehr hinterfragten Konzepten des Moral- und Gefühlsschutzes lägen, verborgen (Verhalten S. 356 f).145 Schnieders schließlich formuliert gegenüber der Regelung des § 166 Abs. 1 verfassungsrechtliche, an den Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG anknüpfende Bedenken (S. 143).
3. Pragmatische Gründe für eine Beibehaltung des Strafschutzes Ungeachtet der Kritik erweisen sich Religionsdelikte als verfassungsrechtlich legitim und es 20 bestehen weiterhin starke Gründe für ihre Beibehaltung. Die im Ergebnis auf das Fehlen eines schutzbedürftigen Rechtsguts zielende Hauptstoßrichtung der Kritik146 greift nicht durch. Die eigentlichen Religionsdelikte, insbesondere § 166, bezwecken den Schutz des öffentlichen Friedens durch Gewährleistung des Maßes an wechselseitiger Toleranz, das benötigt wird, um in der (auch) religiös pluralen Gesellschaft jedem Einzelnen zu ermöglichen, nach seinem Glauben (oder seiner Weltanschauung) zu leben, ohne deswegen Anfeindungen ausgesetzt zu sein (§ 166 Rn. 2 und 4).147 Friedensschutzdelikte mit einem solchen Zuschnitt, wie sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu dem rechtsgutsbezogen parallel zu § 166 StGB konstruierten § 130 StGB ergibt,148 sind verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Intendiert ist ein vorgelagerter Rechtsgüterschutz,149 der die Bedingungen für das friedliche Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher religiöser Überzeugungen und sonstiger Anschauungen schafft und gewährleistet.150 Bei einer solchen Schutzrichtung sind die Religionsdelikte auch nicht entbehrlich. Anders als die allgemeinen Delikte zum Schutz von Individualrechtsgütern werden so die wesentlichen überindividuellen Zusammenhänge und Bindungen berücksichtigt, wie dies etwa der besondere Schutz von Personen des öffentlichen Lebens und der Verfassung selbst neben dem privaten Ehrenschutz erfordert.151 Trotz mancher Überschneidungen mit § 130 bleibt für § 166 genügend Eigenständigkeit, um die Notwendigkeit der Vorschrift zu begründen. Es sind zahlreiche Verhaltensweisen denkbar, die vielfach lediglich im (insoweit nicht strafbaren) Vorfeldbe143 144 145 146
S. 248. Siehe auch bereits Th. Fischer Öffentlicher Friede S. 635 ff. Näher auch Hörnle Gutachten C für den 70. DJT, 2014, Band I, C 37 ff. Etwa Th. Fischer NStZ 1988 159, 165; Lombardi/Dilcher/Hassemer S. 1309, 1325; Hörnle JZ 2015 293, 297; Rox JZ 2013 30, 34. 147 Dippel LK12 § 166 Rdn. 8; Pirson/Rüfner/Germann/Muckel/Radtke § 75 Rdn. 14; siehe auch Valerius ZStW 129 (2011) S. 368 ff. 148 Vgl. BVerfGE 124 300, 324. 149 Vgl. BVerfGE 124 300, 324; Sternberg-Lieben FS Paeffgen 31, 45 f. 150 Schluckebier in Verhandlungen des 70. DJT, 2014, Band II/1 L 19; siehe auch Valerius ZStW 129 (2011) S. 368 ff; Pirson/Rüfner/Germann/Muckel/Radtke § 75 Rn. 12. 151 Vgl. Evangelische Studiengemeinschaft ZEE 10 [1966] 178. 229
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Vor §§ 166 StGB
Vorbemerkungen zu den §§ 166 ff
reich des § 130 liegen, von § 166 aber erfasst werden. So gilt, dass auch in einem säkularen Staat es durchaus im allgemeinen Interesse liegt, religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen um ihres in menschlicher Persönlichkeitsentfaltung zum Ausdruck kommenden Sozialwertes willen einen besonderen Schutz zuzugestehen.152 Hinzu kommt die pragmatische Erwägung, dass angesichts der wachsenden Vielfalt soziokulturell meist völlig unterschiedlich geprägter religiöser und weltanschaulicher Vereinigungen im Allgemeinen und der starken Zunahme des muslimischen Bevölkerungsanteils im Besonderen auf § 166 als flankierender Faktor zur Erhaltung des religiösen und weltanschaulichen Friedens zwischen ihnen kaum verzichtet werden kann.153 Das hier zugrunde gelegte Rechtsgutsverständnis ist mit Gebot religiös-weltanschaulicher Neutralität des Staates vereinbar, weil – was schwerlich legitimierbar wäre154 – weder unmittelbar noch mittelbar, der Inhalt eines religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses geschützt wird, sondern lediglich die Bedingungen für die Inanspruchnahme der (positiven und negativen) Religions- und Weltanschauungsfreiheit gewährleistet werden.
VII. Systematik 21 Die Systematik der Religionsdelikte ist weder im Grundsätzlichen noch im Einzelnen eingängig.
1. Einordnung der Religionsdelikte in einen größeren Zusammenhang In der Strafrechtswissenschaft sind die Delikte des Elften Abschnitts häufig in einen größeren Zusammenhang mit weiteren Deliktsgruppen (vor allem §§ 169 bis 170, §§ 174 ff; § 323c) gestellt und unter verschiedenen Bezeichnungen (etwa „Verbrechen gegen die sittlichen Grundlagen des sozialen Lebens“, Welzel Strafrecht Drittes Buch Zweiter Abschnitt) zusammengefasst worden.155 Es handelt sich um Straftaten, die Grundsätze der Sittenordnung oder des sittlichen Empfindens der Allgemeinheit oder des Einzelnen verletzen, wobei die Handlung selbst sich unmittelbar gegen Einrichtungen der Gemeinschaft, wie etwa die Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen (§ 166) und die Störung der Religionsausübung (§ 167) oder aber, wie vor allem die Straftaten gegen die „Sittlichkeit“ (sexuelle Selbstbestimmung), gegen den einzelnen Menschen richten kann (E 62 S. 341). Für die Auslegung und Anwendung der erfassten Straftatbestände ergeben aus dieser Systematisierung keine ersichtlichen Konsequenzen.
2. Das System der Religionsdelikte selbst 22 Was das System der Religionsdelikte selbst betrifft,156 so dienen die Begriffe Religion und Weltanschauung nur als Anknüpfungspunkte der Einordnung. Ohne diesen Bezug gäbe es keinen allen vier Tatbeständen gemeinsamen rechtlichen Berührungspunkt. Bei rechtsgutsbezogener Betrachtung kämen ohnehin andere Zuordnungen in Betracht; so müsste der – verkürzt 152 Listl/Pirson/Eser S. 1045 ebenso in der Sache Pirson/Rüfner/Germann/Muckel/Radtke § 75 Rdn. 17 f; vgl. auch: Dombois KiZt. 18 (1963) 247 f; Hilgendorf FS Albert S. 366; Klecatsky ÖAKR 21 (1970) 55; Knies S. 267; Listl StZt. 179 (1967) 258; Jochen Müller S. 91, 95; Prittwitz BTRAusschProt. 14/91 S. 5; Rengier in Görresgesellschaft (Hrsg.) Sp. 820; Schwander S. 17. 153 Jochen Müller S. 216; siehe auch Schluckebier in Verhandlungen des 70. DJT, 2014, Band II/1 L 19. 154 Vgl. Fateh-Moghadam S 207. 155 Näher Dippel LK12 Rdn. 22 m. w. N. 156 Dazu allgemein Ettinger Religionsvergehen S. 42, 57; Jauck S. 357; Kahl VDB S. 27 ff; Kesel S. 17 ff; in rechtsvergleichender Sicht Klotz S. 150 ff. Radtke
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VII. Systematik
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formuliert – dem öffentlichen Frieden dienende § 166 (§ 166 Rdn. 2 bis 4) im Siebenten Abschnitt des Strafgesetzbuchs (Straftaten gegen die öffentliche Ordnung) eingestellt werden.157 §§ 167a, 168 dagegen fehlt ein unmittelbarer Bezug auf Religion und Weltanschauung;158 da sie aber jedenfalls mittelbar dem Schutz des religiösen Friedens dienen (näher § 167a Rdn. 6) und bei ihnen die geschichtliche Verbindung mit der Religion nachwirkt, ist die Einordnung in den Elften Abschnitt letztlich akzeptabel.
3. Mit den Religionsdelikten in einem weiteren Zusammenhang stehender Strafschutz Einige Vorschriften außerhalb des Elften Abschnitts weisen ebenfalls Bezüge zu Religion 23 sowie Weltanschauung auf und dienen dem Schutz der freien Religionsausübung und damit mittelbar dem religiösen Frieden.159 Dabei wirkt der Bezug zur Religion teils unrechtsbegründend, teils unrechtssteigernd, teils aber auch lediglich das Ausmaß der Strafzumessungsschuld steigernd (soweit Schuldsteigerung ohne entsprechende Unrechtssteigerung für denkbar gehalten wird). Beispiele für derartige Straftatbestände sind etwa die schwere Brandstiftung an einer Kirche oder einem anderen der Religionsausübung dienenden Gebäude (§ 306a Abs. 1 Nr. 2)160 oder die Wegnahme einer dem Gottesdienst gewidmeten oder der religiösen Verehrung dienenden Sache aus einer Kirche oder einem anderen der Religionsausübung dienenden Gebäude erscheint als besonders schwerer Fall des Diebstahls (§ 243 Abs. 1 Nr. 4).161 In die hier betrachtete Gruppe gehört auch der Völkermord (§ 6 VStGB) soweit sich die in § 6 Abs. 1 VStGB erfassten tatbestandlichen Handlungen auf eine „religiöse Gruppe“ beziehen. Dagegen sind dieser Deliktsgruppe die Zerstörung, Beschädigung, Unbrauchbarmachung oder Entziehung von Gegenständen, die sich in amtlicher Verwahrung einer Kirche oder anderen Religionsgesellschaft des öffentlichen Rechts befinden (§ 133 Abs. 2) und der Missbrauch von Amtsbezeichnungen, Titeln, Würden, Amtskleidungen und Amtsabzeichen dieser Institutionen (§ 132a Abs. 3) nicht zuzuordnen.162 Beide Tatbestände dienen nicht dem Schutz der freien Religionsausübung. Rechtsgut des § 133 ist ausschließlich der amtliche Verwahrungsbesitz (BGHSt 38 381, 385), während § 132a in erster Linie den Schutz der Allgemeinheit vor dem Auftreten von Personen, die sich durch den unbefugten Gebrauch falscher Bezeichnungen den Schein besonderer Funktionen, Fähigkeiten und Vertrauenswürdigkeit geben, bezweckt (BVerfG ZevKR 31 [1986] 90, 91 mit Anm. Quarch; BGHSt 31 61, 62; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben § 132a Rdn. 3).163
157 158 159 160 161
Vgl. Muckel BTRAusschProt. 14/91; Gutachten, S. 93. Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Vorbem §§ 166 ff Rdn. 2. Vgl. Pirson/Rüfner/Germann/Muckel/Radtke § 75 Rdn. 7. Zum kontrovers beurteilten Rechtsgut näher Radtke MK § 306a Rdn. 4 f. Das Regelbeispiel erfasst, was zu bestimmen vermutlich vergessen worden ist, nicht den Diebstahl vergleichbarer Kultgegenstände von Weltanschauungsvereinigungen; doch ist die Annahme eines unbenannten besonders schweren Falles im Wege der Analogie möglich (BTProt. V/122 S. 2471; Corvers JZ 1970 158; Kindhäuser NK § 243 Rdn. 39; Lackner/Kühl/Kühl § 243 Rdn. 19; Sch/Schröder/Bosch § 243 Rdn. 34; s. auch Fischer § 46 Rdn. 93; and. Arzt JuS 1972 515, 516). 162 Näher Dippel LK12 Rn. 23 m. w. N. 163 Den Schutz der freien Religionsausübung bezweckte ferner das Verbot der gewohnheitsmäßigen Gewerbsunzucht in der Nähe von Kirchen des früheren § 316 Nr. 6a. Der E 62 wollte den Übertretungstatbestand als Vergehen einstufen (§ 223 Nr. 1, Begr. S. 386 f). Das Vierte Gesetz zur Reform des Strafrechts hob ihn auf, weil es zumindest zweifelhaft sei, ob die Religionsausübung wirklich durch derartige Verhaltensweisen beeinträchtigt werden könne, und ob sie eines so weitgehenden strafrechtlichen Schutzes gegen die Möglichkeit negativer äußerer Eindrücke bedürfe (vgl. BTDrucks. V/4094 S. 49 [Zweiter Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses zu den Entwürfen eines Strafgesetzbuches BTDrucks. V/32 und V/2285]). 231
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Vorbemerkungen zu den §§ 166 ff
VIII. Die Schutzgüter (Überblick) 24 Die Schutzgüter der Vorschriften des Elften Abschnitts sind vielfältig (Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Vorbem §§ 166 Rdn. 2). Nur vereinzelt wird die Auffassung vertreten, es liege ihnen ein einheitliches Rechtsgut zugrunde.164 Die Abschnittsüberschrift „Straftaten, welche sich auf Religion und Weltanschauung beziehen“, macht deutlich, dass, ebenso wenig wie das religiöse Gefühl (Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Vorbem §§ 166 Rdn. 2),165 Religion und Weltanschauung selbst als Rechtsgüter nicht in Erscheinung treten sollen (Maurach/Schroeder/Maiwald II § 61 Rdn. 1). Die Bestimmungen des Elften Abschnitts schützen primär aber auch nicht das sich aus Art 4 GG ergebende Gebot, die religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisse Dritter zu achten. Die §§ 167a, 168 jedenfalls können damit nicht erklärt werden. Auf sie trifft nicht einmal die Abschnittsüberschrift zu.166 Schutzgut des § 166 ist der öffentliche Friede (§ 166 Rdn. 2 bis 4). Er trägt aber auch den Schutzzweck des § 167, obwohl sein Wortlaut dies nicht ausdrückt; freilich tritt die ungestörte Ausübung von Religion und Weltanschauung als weiterer Schutzzweck hinzu. Beim Schutzgut der §§ 167a und 168 sind gegenwärtige religiöse oder weltanschauliche Bezüge nicht erkennbar. Auch hat der Gedanke des Friedensschutzes hier lediglich mittelbare Bedeutung. Geschützt werden vielmehr die Ehrfurcht vor dem Tode und das Pietätsempfinden, aber auch die Nachwirkungen des Persönlichkeitsrechts des Menschen, der noch nach seinem Tod Achtung verdient; im Einzelnen dazu § 167a Rdn. 2 bis 6, § 168 Rdn. 4 bis 7.
IX. Kriminologie 1. Mangelnde Erforschung des kriminologischen Beziehungsgeflechts zwischen Religion und Verbrechen 25 Eine Erforschung des kriminologischen Beziehungsgeflechts zwischen Religion und Verbrechen hat bislang kaum stattgefunden.167 In den kriminologischen Lehr- und Handbüchern wird es, wenn überhaupt, meist nur am Rande (beispielhaft Göppinger/Bock/Böhm § 50 Rdn. 4; vgl. auch Wullschleger S. 23 Anm. 2) behandelt. Selbst das religionssoziologische Schrifttum schweigt zu dieser Frage.168 Allerdings finden sich zahlreiche Statistiken, meist älteren Datums, zum Anteil einzelner Konfessionen an der Kriminalität entsprechend der Zugehörigkeit Straffälliger.169 Ihre Aussagekraft ist gering, weil sie von der äußeren Mitgliedschaft ausgehen, damit gleichermaßen auch diejenigen berücksichtigen, die nur nominell einer Konfession angehören.170 Freilich dürfte bei Befragungen, die zwischen Religionszugehörigkeit und Religiosität unterscheiden, der 164 So Otto, das geschützte Rechtsgut der §§ 166 bis 168 sei der öffentliche Friede durch das Gebot, das Pietätsempfinden anderer zu achten (BT § 64 Rdn. 1); ähnlich Arzt/Weber, die §§ 166 ff beträfen den Schutz des öffentlichen Friedens, insbesondere des religiösen Friedens (BT § 44 Rdn. 51). 165 Vgl. aber v. Mangoldt/Klein/Starck/Starck, im Hinblick auf die Kunstfreiheit sei § 166 dahin auszulegen, dass nicht die Religion als objektiviertes Institut, sondern das religiöse Empfinden des Menschen vor groben Verletzungen geschützt werde (Art. 5 Abs. 3 Rdn. 311). Der hierzu jeweils angeführten Entscheidung BGH UFITA 1962 181, 183 kann dies so freilich nicht entnommen werden. 166 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Vorbem §§ 166 Rdn. 2. 167 Ähnlich liegt es bei dem Zusammenhang zwischen dem Inzesttabu und der Inzestbestrafung (vgl. § 173 Rdn. 5 Fn. 26). Mangelhafte Berücksichtigung in der deutschsprachigen Kriminologie wird auch für die politische Kriminalität beklagt (z. B. Laubenthal GedS Blumenwitz S. 625). 168 Kaiser FS Middendorff S. 144 Fn. 3; vgl. auch Middendorff ZStW 76 (1964) 70; StZt. 174 (1964) 122. 169 Ausführliche Darstellungen bei Middendorff MschrKrim. 1956 34 ff; ZStW 76 (1964) 84; vgl. auch Mezger Kriminologie, S. 221; Seelig/Bellavić S. 232 f. 170 Eisenberg/Kölbel § 50 Rdn. 9, 11; Mergen S. 305; Middendorff StZt. 174 (1964) 123. Eine bemerkenswerte Ausnahme von der nicht differenzierenden Methode der Statistiken ist die Untersuchung zur Religiosität delinquenter Jugendlicher von Koervers. Radtke
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IX. Kriminologie
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Aussagewert kaum wesentlich höher ausfallen. Sie könnten das psychologische Element der Religionszugehörigkeit nicht erfassen, weil diese weder ein anthropologisches noch ein biologisches Merkmal ist und auch nicht als ein solches behandelt werden kann (Mergen S. 305). Ein so komplexes Phänomen wie Religiosität gestattet daher bestenfalls eine Annäherung.171 Sonst wird im kriminologischen Schrifttum noch das Verhältnis von Kriminalitätsbelastung und Religion angesprochen. So findet sich bei Hellmer der Hinweis auf einen Zusammenhang zwischen Religionszugehörigkeit und Bevölkerungsdichte, und damit auch Religionszugehörigkeit und Kriminalität, verbunden mit der Vermutung, dass die Religionszugehörigkeit auch für sich, das heißt ohne Rücksicht auf die Bevölkerungsdichte, Bedeutung für die Kriminalität habe, und zwar insofern, als die Katholiken, die nach früheren Untersuchungen meist stärker belastet gewesen seien, weil sie wirtschaftlich schwächeren Kreisen angehörten, nun, in Zeiten der Wohlstandskriminalität, ihre Rolle mit den Protestanten vertauscht hätten (S. 79). Im Übrigen wird das Kriterium Religiosität gänzlich unverbindlich berührt, wobei es, widersprüchlich genug, ebenso als deliktshemmend (Exner S. 88; zw. Mannheim S. 687), wie als deliktsfördernd (W. H. Nagel in Sieverts/Schneider [Hrsg.] S. 34; Wullschleger in Schneider [Hrsg.] S. 20), aber auch als für die Kriminalität bedeutungslos172 eingeschätzt wird.173 Freilich darf nicht außer Acht bleiben, dass Täter von Straftaten in der Befolgung von den allgemein geltenden Strafgesetzen widersprechenden Geboten einzelner Religionen und Sekten, wie sie beispielsweise der Scientology-Church (näher § 166 Rdn. 88) und dem Opus Dei nachgesagt werden,174 die zweite Hauptform der Gewissenstäter neben den politischen, denen sie an Fanatismus oft überlegen sind, bilden.175 Sie blieben, als Konsequenz der wechselseitigen Akkomodierung von Staat und (christlicher) Religion (Preuß Blasphemie S. 162) lange Zeit die Ausnahme.176 Das hat sich mit dem Terrorismus unserer Tage geändert. Den ihm eigenen Selbstmordattentaten liegen auch und vor allem religiöse Überzeugungen zugrunde.177 Spätestens mit dem Anschlag auf das World Trade Center ist die enge Verbindung von Religion und Gewalt wieder in das öffentliche Bewusstsein getreten (Hilgendorf GedS Blumenwitz S. 165).
2. Die Schwierigkeiten zu definieren, was Religion ist Bei der Frage, worauf das Defizit der Kriminologie in der Erforschung der Beziehung zwischen 26 Religion und Kriminalität beruht, fällt der Blick zunächst auf ein grundsätzliches definitorisches Problem. Über das Verhältnis von Kriminalität und Religion kann nämlich kaum gesprochen werden, ohne zu wissen, was Religion ist. Dieses Wissen lässt die Vielfalt der Erklärungsmöglichkeiten von Religion indessen nicht zu. Der frühere Begriff „Religion“, der biblischen Literatur noch unbekannt, geht auf das lateinische „religio“ zurück, das bereits etymologisch unklar ist, weil es, jeweils mit gleicher Berechtigung, sowohl von relegere (sorgfältig wahrneh171 In dieser Erkenntnis geht auch Koervers davon aus, dass die Untersuchung keinesfalls beansprucht, Religiosität – theoretisch wie empirisch – festlegen zu können (S. 113 Fn. 1).
172 Middendorff MschrKrim. 1956 46; StimZt. 174 (1964) 126, andererseits ZStW 76 (1964) 101 f; Sauer Kriminologie S. 205; Seelig/Bellavić S. 231, 233. 173 Vgl. zum Ganzen die Hinweise bei Kaiser FS Middendorff S. 148; ferner Eisenberg/Kölbel § 50 Rdn. 11. 174 Mergen S. 305; vgl. auch Exner S. 33; Kaiser Kriminologie § 28 Rdn. 15, 33; FS Middendorff S. 159. 175 Sauer Kriminologie, S. 204 f; ferner Gödan S. 124 ff; Brugger/Neumann/Kirste/Hilgendorf S. 128; Vater S. 56 ff. Zur rechtfertigenden oder strafmildernden Auswirkung des Grundrechts der Glaubens- und Gewissensfreiheit bei Gewissenstätern Rdn. 16. 176 Ein kulturhistorisches Beispiel verbrechensfördernder Auswirkung religiöser Ideen, bei dem der Täter durch Ermordung einer beliebigen Person den Hinrichtungstod erstrebte, teilt Exner mit (S. 25 Fn. 1). Auch der „Kinderraub im göttlichen Auftrag“ durch ein Mitglied der „Nature-Karta“-Sekte in Israel 1961 (Vater S. 122 f) dürfte ein Fall dieser Art sein. 177 Zur Frage, warum es möglich ist, dass tief empfundene Religiosität monströse Handlungen hervorbringt, Preuß Blasphemie S. 138 ff. 233
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Vorbemerkungen zu den §§ 166 ff
men), als auch von religare (zurückbinden) mit entsprechend unterschiedlichen Deutungen hergeleitet werden kann, übereinstimmend letztlich nur darin, dass beides sich auf den als Seinskonzept des römischen Staates zentralen und notwendigen bürgerlichen Kult bezieht (dazu ausführlich Hildebrandt S. 42 ff). Der von Anfang an vielfältige religionsphilosophische und religionswissenschaftliche Zusammenhang von Religion spiegelt sich inzwischen in einer kaum noch überschaubaren Zahl von Definitionsversuchen wider.178 Umschreibungen, wie „… jede Vorstellung von Sinn und Bewältigung menschlichen Daseins, das in Kultformen seine Bezeugung findet“ (Obermayer Staat S. 7), „… erlebnishafte Begegnung mit heiliger Wirklichkeit und als antwortendes Handeln des vom Heiligen existentiell bestimmten Menschen“ (Mensching in Galling [Hrsg.] Sp. 961) oder „… eine mit der Person des Menschen verbundene Gewissheit über bestimmte Aussagen zum Weltganzen sowie zur Herkunft und zum Ziel des menschlichen Lebens“ (BVerwGE 90 112, 115), beantworten die Frage, was Religion ist, nicht, weil für eine Wesensbestimmung von Religion bloß formal-logische und objektive Kriterien nicht genügen (L. Richter in Galling [Hrsg.] Sp. 970), es aber offenbar ein fast unlösbares Problem bedeutet, statt solcher Einzelaspekte den vielschichtigen Bedeutungszusammenhang von Religion in den Mittelpunkt zu stellen.179 Resignativ konstatiert Hilgendorf, dass, solange eine allseits überzeugende Definition fehle, die praktische Jurisprudenz vor der Aufgabe stehe, ausgehend vom traditionellen Begriffsverständnis und der dazu ergangenen Rechtsprechung, das Religionskonzept des Art. 4 GG unter Berücksichtigung der neuen Formen von Religiosität vorsichtig zu erweitern (ARSP 94 [2008] Beiheft 113 S. 175 f). Für die Kriminologie freilich ist der Umgang mit dem definitorischen Problem umso schwieriger, als ihr mitunter schon die Bestimmung von Kriminalität, ihres Zweckes also, schwer fällt (W. H. Nagel in Sieverts/Schneider [Hrsg.] S. 30).
3. Weitere Ursachen des kriminologischen Forschungsdefizits 27 Von dem definitorischen Problem abgesehen, sind die Ursachen des kriminologischen Forschungsdefizits komplexer Natur. Vordergründig erklärt sich der Mangel daraus, dass infolge der unterschiedlichen Arbeitsweisen von Strafrechtlern und Kriminologen, auf der einen Seite hermeneutisches und dogmatisches Vorgehen, auf der anderen Seite empirisch sozialwissenschaftliches Forschen, trotz des weitgehend identischen Forschungsgegenstandes der Wissenschaften von Verbrechen und Strafe sich Staatsrechtswissenschaft und Kriminologie weit voneinander entfernt haben (C. Kühl FreundesG Kreuzer S. 41). Im Übrigen dürfte neben dem Umstand, dass die Religiosität eines Menschen sich der Einordnung in statistische Begriffsnormen entzieht, ein Grund in der rechts- und kulturgeschichtlich gewachsenen völligen Abkehr von einer Auffassung liegen, die eine Verletzung religiöser Vorschriften mit kriminellem Verhalten gleichsetzt (Middendorff MschrKrim. 1956 34; vgl. auch Kaiser FS Middendorff S. 144). Der Kriminologie darüber hinaus anzulasten, überhaupt außerstande zu sein, die Zusammenhänge zwischen Religion und Kriminalität zu erfassen und darzustellen, wäre merkwürdig genug angesichts dessen, dass vielen Begriffen und Vorstellungen in der Strafjustiz religiöse, auch in einem säkularisierten System noch zur Geltung kommende Merkmale innewohnen und zahlreiche zen178 Vgl. dazu nur die von verschiedenen gesellschaftswissenschaftlichen Aspekten ausgehenden Erklärungsansätze bei Hildebrandt in Schieder (Hrsg.) (S. 45), Nelson (S. 30 ff) und Pohlmann (Scheidewege 37 [2007/08] 224 ff) sowie die Zusammenstellung von zwanzig (Brockmöller S. 17 f) und gar achtundvierzig (Leuba A Psychological Study of Religion, S. 399 ff, zit. nach Borowski S. 389 Fn. 162 und Feil EuS 6 [1995] 442) verschiedener philosophischer und sozialwissenschaftlicher Definitionen (zu ihren Antinomien W. Bock AöR 123 [1998] 454 ff). 179 Dazu auch: Anwander S. 446; Barth KuR 93 (1996) 540 ff; Borowski S. 389 ff; v. Campenhausen/deWall S. 55 f; Classen S. 21 f; Feil EuS 6 (1995) 447; Hübner EWE 14 (2003) 30 f; F. X. Kaufmann Religion S. 121 f; Lübbe FS Kriele S. 983; Roellecke Religion S. 22 ff; Heun/Honecker/Morlok/Wiegand/Schneemelcher S. 1995 ff; Brugger/Huster/Schieder S. 223; Splett in Görresgesellschaft (Hrsg.) Sp. 792 f; Thüsing ZevKR 45 (2000) 593, 601 mit Fn. 41; Vaas Universitas 61 (2006) 1118 f; Wagner S. 12 ff. Radtke
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X. Kriminalpolitische Bedeutung
StGB Vor §§ 166
trale theologische Symbole in kriminologischen Sachverhalten verankert sind.180 So steht zu hoffen, dass trotz aller methodischen, definitorischen und interdisziplinären181 Schwierigkeiten die Kriminologie sich der Behandlung der Beziehung zwischen Religion und Verbrechen deutlicher zuwenden wird. Wenn es für die Kriminalitätsanalyse auf Wert, Wertorientierung und Wertewandel ankommt, können, weil vor und neben dem Recht die Religion die Wertorientierung am verbindlichsten formuliert, Konfession und religiöse Bindung auch kriminologisch nicht ignoriert werden (Kaiser Kriminologie § 28 Rdn. 16; vgl. auch Mannheim S. 42, 46).
X. Kriminalpolitische Bedeutung Die kriminalpolitische Bedeutung der Religionsdelikte kennzeichnet ein großer Wandel ihres 28 Gewichts. Die früher überragende praktische Bedeutsamkeit der Tatbestände entsprach einer Rechtsauffassung, die sie zu den schwersten und strafwürdigsten Verbrechen mit den entsprechend hohen Strafdrohungen zählte (vgl. Rdn. 9),182 andererseits aber auch harmlosesten Handlungsweisen bei noch so entferntem religiösem Bezug bereits mit drakonischen Sanktionen begegnete.183 Mit deren Wandel ging die Bedeutung der Verfahren wegen Straftaten, die sich auf Religion und Weltanschauung beziehen, zunehmend zurück.184 Schon in der Zeit vor dem Ersten Gesetz zur Reform des Strafrechts fielen sie, wie die älteren Statistiken belegen, gegenüber der allgemeinen Kriminalität kaum noch ins Gewicht; hieran hat sich nach der Reform nichts geändert.185
180 Schneider/Wullschleger S. 19 unter Hinweis (Anm. 4) u. a. auf Geerds Gnade S. 6 ff und Galling/Joest S. 1630. 181 Praktische Vorschläge zur Verbesserung des Grundverhältnisses von Kriminologen und Strafrechtlern bei C. Kühl FreundesG Kreuzer S. 44 f.
182 Z. B. Feuertod für Ketzerei nach dem Sachsenspiegel (Art. 2, 13, 7) und der Bambergensis (Art. 130), Strafe „an leib, leben oder gliedern“ nach der Carolina (Art. 106). Teilweise ordnete das Gesetz selbst erschreckend genau an, wie der Delinquent zu Tode gebracht werden musste. So heißt es in der Peinlichen Landgerichtsordnung Ferdinand III. für Österreich unter der Enns vom 30.12.1656: „Reißen mit glühenden Zangen, dann Riemenschneiden aus der Haut des Verurteilten, Schleifen desselben auf die Richtstatt, Abhauen der Hände, Ausschneiden der Zunge, soweit sie aus dem Hals zu bringen ist, endlich Verbrennen des also misshandelten“ (vgl. Reinsdorf/Reinsdorf/ Budich S. 11). 183 Vgl. die Beispiele bei Middendorf Kriminalistik 17 (1963) 576 aus den Genfer Ratsprotokollen nach Zweig S. 76 f. 184 Dazu: Hardwig GA 1962 257; Kesel S. 30; Listl Religionsfreiheit S. 295; Rengier in Görresgesellschaft (Hrsg.) S. 820; Schmitz S. 118 f; Zipf NJW 1969 1944. 185 Siehe exemplarisch die § 167a Rdn. 1 sowie die Angaben in BTDrucks. 16/3579 S. 2 ff, übernommen in die Nachrichten KuR 13 (2007) 122, sowie bei Hefendehl Rechtsgüter S. 298 Fn. 300 und Renzikowski GedS Meurer S. 180 Fn. 3. 235
Radtke
§ 166 Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen (1) Wer öffentlich oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer öffentlich oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) eine im Inland bestehende Kirche oder andere Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung, ihre Einrichtungen oder Gebräuche in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.
Schrifttum Abel Die Entwicklung der Rechtsprechung zu neueren Glaubensgemeinschaften, NJW 1996 91; ders. Die aktuelle Entwicklung der Rechtsprechung zu neueren Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften, NJW 1999 331, 2001 410; ders. Die Entwicklung der Rechtsprechung zu neueren Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften, NJW 2003 264; ders. Sekten, Psychogruppen, neue Heilskonzerne – Religionsrecht als Mittel zum Zweck, in Kreß (Hrsg.) Religionsfreiheit als Leitbild, Ethik interdisziplinär Bd. 5 (2004) 141; ders. Die Entwicklung der Rechtsprechung zu neuen Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften in den Jahren 2003 und 2004, NJW 2005 114; Alberts Das Verbot von Weltanschauungs- und Religionsgemeinschaften, ZRP 1996 60; Albrecht A. Religionspolitische Aufgaben angesichts der Präsenz des Islam in der Bundesrepublik Deutschland, Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche Bd. 20 (1986) 82; Altenhain Die strafrechtliche Verantwortung für die Verbreitung missbilligter Inhalte in Computernetzen, CR 13 (1997) 485; Amelung Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft (1972); Arndt Die Kunst im Recht, NJW 1966 25; Bär EDV-Beweissicherung im Strafverfahren bei Computer, Handy, Internet, DRiZ 2007 218; Baumann C. P. Baha’i, in Tworuschka/Tworuschka (Hrsg.) Religionen der Welt in Geschichte und Gegenwart (2000) 401; Bechthold Beschimpfung der evangelischen und katholischen Kirche? Geschichte einer viermal vor Gericht erschienenen Predigt über das heilige Sakrament der Ehe (1982); v. Becker „Gegen Grosz und Genossen“ – Der Gotteslästerungsprozess gegen George Grosz, NJW 2005 559; Behnk Das „Universelle Leben“ (UL) der Gabriele Wittek, in Hauth (Hrsg.) … neben den Kirchen – Gemeinschaften, die ihren Glauben auf besondere Weise leben wollen, 10. Aufl. (1995) 373; ders. Die Beschimpfung von Religionsgesellschaften, religiösen Einrichtungen und Gebräuchen, und die Reformbedürftigkeit des § 166 StGB, Festgabe für Felix Dahn zu seinem fünfzigjährigen Doktorjubiläum, III. Teil (1905) 1; Beling Beschimpfung von Religionsgesellschaften (1912) (zit.: Beling Beschimpfung); Benz E. Neue Religionen (1971) (zit.: E. Benz Religionen); Berg Konkurrenzen schrankendivergenter Freiheitsrechte im Grundrechtsabschnitt des Grundgesetzes, Schriften zum öffentlichen Recht und zur Verwaltungslehre Bd. 6 (1968); Berz Formelle Tatbestandsverwirklichung und materialer Rechtsgüterschutz (1986); Beulke/Meininghaus Der Staatsanwalt als Datenreisender – Heimliche Online-Durchsuchung, Fernzugriff und Mailbox-Überwachung, Strafverteidigung, Revision und die gesamten Strafrechtswissenschaften: Festschrift Widmaier (2008) 63; Biener Gralsbewegung, in Baer/ Gasper/Müller/Sinabell (Hrsg.) Lexikon neureligiöser Gruppen, Szenen und Weltanschauungen (2005) 506; Bopp Der Anspruch der Religionsgesellschaften auf Verleihung der Rechtsstellung einer öffentlichen Körperschaft nach Art. 137 WRV i.Verb.m. Art. 140 BGG, DÖV 1952 516; ders. Zur Gewährung der Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts an Religionsgemeinschaften gemäß Art. 137 WRV, ZevKR 3 (1953/54) 184; Borgmann Kann Pornographie Kunst sein? JuS 1992 916; Bottke Religionsfreiheit und Rechtsgüterschutz, ZEE 42 (1998) 95; Breunung/Nocke Die Kunst als Rechtsbegriff oder wer definiert die Kunst? In Dankert/Zechlin (Hrsg.) Literatur vor dem Richter (1988) 235; Britz G. Strafrecht, Religion und Blasphemie. Wie viel Strafrecht brauchen wir? jM 2017, 343; Brockelmann § 130 StGB und antisemitische Schriften, DRiZ 1976 213; Bussen Scientology, in Baer/ Gasper/Müller/Sinabell (Hrsg.) Lexikon neureligiöser Gruppem, Szenen und Weltanschauungen (2005) 1181; v. Campenhausen Neue Religionen im Abendland, ZevKR 25 (1980) 135; ders. Körperschaftsstatus der Kirchen und Religionsgemeinschaften, ZevKR 46 (2001) 165; Collardin Straftaten im Internet, CR 11 (1995) 618; Conradi/Schlömer Die Strafbarkeit der Internet-Provider, NStZ 1996 366, 472; Cornils Gefühlsschutz, negative Informationsfreiheit oder staatliche Toleranzpflege: Blasphemieverbote in rechtlicher Begründungsnot AfP 2013, 199; Dehn Baha’i, in Baer/Gasper/Müller/Sinabell (Hrsg.) Lexikon neureligiöser Gruppen, Szenen und Weltanschauungen (2005) 116; Denninger Freiheit der Kunst, HdbStR VI S. 847; Derksen Strafrechtliche Verantwortung für in internationalen Computernetzen verbreitete Daten mit strafbarem Inhalt, NJW 1997 1878; Dickel Religionsgesellschaften, in Brunotte/Weber (Hrsg.) Evangelisches Staatslexikon, Bd. 3 2. Aufl. (1959) 588; Dippel K. Die Stellung des Radtke https://doi.org/10.1515/9783110490107-027
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Schrifttum
StGB § 166
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Radtke
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StGB § 166
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Müller Freiheit; ders. Strafrecht, Jugendschutz und Freiheit der Kunst, JZ 1970 87; Müller Konrad Die Gewährung der Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts an Religionsgesellschaften gemäß Art. 137 Abs. V Satz 2 WRV, ZevKR 2 (1952/53) 139; Müller-Dietz Instrumentelle vs. sozialethische Funktionen des Strafrechts – am Beispiel der Pönalisierung von Verhaltensweisen, Jenseits des Funktionalismus: Arthur Kaufmann zum 65. Geburtstag (1989) 95; Müller-Münch Die „Vereinigungskirche“ des Sun Myung Mun, in Baumann u. a. „Jugendsekten“ und neue Religiosität, 2. Aufl. (1984) 105; Müller-Volbehr Neue Minderheitenreligionen – aktuelle verfassungsrechtliche Probleme, JZ 1981 41; Naarmann Der Schutz von Religionen und Religionsgemeinschaften in Deutschland, England, Indien und Pakistan (2015); Neugebauer/Gräfin von der Schulenburg George Grosz: Macht und Ohnmacht satirischer Kunst (1993); Neumann J. Rechts- oder Glaubensstaat? ZRP 1995 381; Noll Tatbestand und Rechtswidrigkeit: Die Wertabwägung als Prinzip der Rechtfertigung, ZStW 77 (1965) 1; Obst Siebenten-Tags-Adventisten, in Baer/Gasper/Müller/Sinabell (Hrsg.) Lexikon neureligiöser Gruppen, Szenen und Weltanschauungen (2005) 1209; Oebbecke Deutsche Religionsverfassung und Islam, Recht Religion und Politik Loccumer Protokolle 17/05 (2007) 261; Oettinger Zum Sachverstand des Kunstsachverständigen, JZ 1974 285; Ott Die strafrechtliche Beurteilung von Werken der Kunst, NJW 1963 617; ders. Ist die Strafbarkeit der Religionsbeschimpfung mit dem Grundgesetz vereinbar? NJW 1966 639; ders. Kunst und Staat (1968) – zit.: Ott Kunst; ders. Versammlungsfreiheit contra Kunstfreiheit? NJW 1981 2397; Otto H. Strafrechtlicher Ehrenschutz und Kunstfreiheit in der Literatur, NJW 1986 1206; ders. Ehrenschutz und Meinungsfreiheit, Jura 1997 139; Pape/Albrecht Zeugen Jehovas, in Baer/Gasper/Müller/Sinabell (Hrsg.) Lexikon neureligiöser Gruppen, Szenen und Weltanschauungen (2005) 1411; Park Die Strafbarkeit von Internet-Providern wegen rechtswidriger Internet-Inhalte, GA 2001 23; Pelz Die Strafbarkeit von Online-Anbietern, wistra 17 (1999) 53; Petschull Der Meister, der vom Himmel fiel, in Nannen (Hrsg.) Die himmlischen Verführer (1979) 171; Pichler Haftung des Host Providers für Persönlichkeitsverletzungen vor und nach dem TDG, MMR 1 (1998) 79; Popp Die strafrechtliche Verantwortung von Internet-Providern, StrafrAbh. 143 (2002); Preisendanz Zur Korrelation zwischen Satirischem und Komischem, in Preisendanz/Warning (Hrsg.) Das Komische (1976) 412; v. Preuschen Beiträge zu dem Verbrechen der Blasphemie, durch Rechtsfälle erläutert, ArchKrim. 1841 292; 1842 188; Preuss Verspottung fremder Religionen im Alten Testament (1971); Radtke A./Radtke H. „Kirchenasyl“ und die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Mitgliedern des Kirchenvorstandes ZevKR 42 (1997), 33; Radtke H. Überlegungen zum Verhältnis von „zivilem Ungehorsam“ zur „Gewissenstat“ GA 2000, 19; ders. Der Schutz von Religion und Kirchen im Strafrecht, in Pirson/Rüfner/ Germann/Muckel (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band 3, 3. Aufl. (2020), § 75; Redtenbacher, Scientology in Baumann u.a. (Hrsg.) „Jugendsekten“ und neue Religiosität, 2. Aufl. (1984) 32; Reimer Die Pfingstbewegung, in Hauth (Hrsg.) … neben den Kirchen – Gemeinschaften, die ihren Glauben auf besondere Weise leben wollen, 10. Aufl. (1995) 114; Rigl Heiligungsbewegung, in Baer/Gasper/ Müller/Sinabell (Hrsg.) Lexikon neureligiöser Gruppen, Szenen und Weltanschauungen (2005) 539; Rink Themen zur Arbeitsgruppe Scientology – Gefahr für die Demokratie, in Fritsch/Oppermann (Hrsg.) Der Geist und die Geister, Loccumer Protokolle 56/97 (1998) 113; ders. Wandel und Interpretation, in Klinkhammer/Frick (Hrsg.) Religionen und Recht, Religionswissenschaftliche Reihe Bd. 17 (2002) 151; Rittig Anmerkungen zu Satire und Justiz, in Dankert/Zechlin (Hrsg.) Literatur vor dem Richter (1988) 203; Röben Religionsgemeinschaften und wirtschaftliche Tätigkeiten, in Grothe/Marauhn (Hrsg.) Religionsfreiheit zwischen individueller Selbstbestimmung, Minderheitenschutz und Staatskirchenrecht – Völker- und verfassungsrechtliche Perspektiven, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht Bd. 146 (2001) 547; Roggemann Von Bären, Löwen und Adlern – zur Reichweite der §§ 90a und b StGB, JZ 1992 934; de Roo Godslastering, Rechtsvergelijkende studie over blasfemie en andere religiedelicten (1970); Rossen-Stadtfeld Darf der Islam verspottet werden? Merkur 60 (2006) 1173; Rothe Gegen den Gotteslästerungsparagraphen (1906) 214; Rox Schutz religiöser Gefühle im freiheitlichen Verfassungsstaat, 2012; dies. Vom Wert der freien Rede – Zur Strafwürdigkeit der Blasphemie JZ 2013, 30; Rudolphi Notwendigkeit und Grenzen einer Vorverlagerung des Strafrechtsschutzes im Kampf gegen den Terrorismus, ZRP 1979 214; Ruppel Die Behandlung der Religionsgesellschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts in der Gesetzgebung, AEKR 5 (1941) 1; ders. Körperschaft des öffentlichen Rechts, in Brunotte/
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§ 166 StGB
Beschimpfung wegen Religion und Weltanschauung
Weber (Hrsg.) Evangelisches Kirchenlexikon Bd. 2 (1958) 951; Schaefer Das Recht der Religionsgemeinschaft der Baha’i, KuR 7 (2001) 197; Schafheutle Das Sechste Strafrechtsänderungsgesetz, JZ 1960 470; Schick Kunstwerkgarantie und Strafrecht, dargestellt am Beispiel der Gotteslästerung und Religionsbeschimpfung (1968); Schilberg Staat, Kirche, Öffentlichkeit, KuR 8 (2002) 1; Schmid/Schmid Kirchen, Sekten, Religionen, 7. Aufl. (2003); Schmidt H. C. Grundrechte als verfassungsunmittelbare Strafbefreiungsgrpnde, 2008; Schmieder Kunst als Störung privater Rechte, NJW 1982 628; Schöch Scientology ante portas? Das Recht und die schönen Künste: Festschrift Müller-Dietz II (2001) 803; Schockenhoff Vereinsautonomie und Autonomie kirchlicher Vereine, NJW 1992 1013; Schöll Handbuch der Jugendreligionen, 2. Aufl. (1985); Schröder Abstrakt-konkrete Gefährdungsdelikte? JZ 1967 22; ders. Die Gefährdungsdelikte im Strafrecht, ZStW 81 (1979) 7; Schroeder Die Zusammenrechnung im Rahmen von Quantitätsbegriffen bei Fortsetzungstat und Mittäterschaft, GA 1964 225; ders. Die Straftaten gegen das Strafrecht, Schriftenreihe der Juristischen Studiengesellschaft zu Berlin Heft 96 (1985) (zit.: Schroeder Straftaten); ders. Pornographie, Jugendschutz und Kunstfreiheit, Schriftenreihe der Juristischen Studiengesellschaft Karlsruhe Heft 205 (1992) (zit.: Schroeder Pornographie); Schubert Die Kampagne gegen die „Jugendsekten“ – ein Überblick, in Baumann u. a. „Jugendsekten und neue Religiosität, 2. Aufl. (1984) 8; Schünemann Das Strafrecht im Zeichen der Globalisierung, GA 2003 299; ders. Das Rechtsgüterschutzprinzip als Fluchtpunkt der verfassungsrechtlichen Grenzen der Straftatbestände und ihrer Interpretation, in Hefendehl/v. Hirsch/Wohlers (Hrsg.) Die Rechtsschutztheorie (2003) 133; Schütze Hans Der Status der kleineren Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts in Deutschland (1953); Sebott Freimaurer, in Baer/Gasper/Müller/Sinabell (Hrsg.) Lexikon neureligiöser Gruppen, Szenen und Weltanschauungen (2005) 406; Seher Prinzipiengestützte Strafnormlegitimation und der Rechtsgutsbegriff, in Hefendehl/v. Hirsch/Wohlers (Hrsg.) Die Rechtsgutstheorie (2003) 39; Seidel Handbuch der Grund- und Menschenrechte auf staatlicher, europäischer und universeller Ebene (1966); Sellenthien Die Fragwürdigkeit der Kunst, in Sellenthien (Hrsg.) Kunst in den Grenzen der Freiheit (1967) 5; Sieber Strafrechtliche Verantwortlichkeit für den Datenverkehr in internationalen Computernetzen, JZ 1996 429, 494; ders. Strafrechtliche Verantwortung für den Datenverkehr in internationalen Computernetzen, DUD 50 (1996) 550; Singer/Fragner Universelles Leben, in Baer/Gasper/Müller/Sinabell (Hrsg.) Lexikon neureligiöser Gruppen, Szenen und Weltanschauungen (2005) 1331; Smend Zur Gewährung der Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts an Religionsgesellschaften gemäß Art. 137 WRV, ZevKR 2 (1952/53) 374; ders. Glaubensfreiheit als innerkirchliches Grundrecht, ZevKR 3 (1953/54) 113; Söhngen Neue religiöse Bewegungen – Gemeinsamkeiten, in Baumann u. a. „Jugendsekten“ und neue Religiosität, 2. Aufl. (1984) 25; Stange Pornographie im Internet, CR 12 (1996) 424; Stefen Jugendschutz und Kunstfreiheit, in Seim/Spiegel (Hrsg.) „Ab 18“ – zensiert, diskutiert, unterschlagen: Beispiele aus der Kulturgeschichte der Bundesrepublik Deutschland, 3. Aufl. (1995) 236; Steffen F. A. Strafrecht in einer multikulturellen Gesellschaft, 2015; Steffen E. Politische Karikatur und politische Satire im Spannungsfeld von Kunstfreiheitsgarantie und Persönlichkeitsschutz, Ein Richter, ein Bürger, ein Christ: Festschrift für Helmut Simon (1987) 359; Stern Der Strafgrund der Bekenntnisbeschimpfung (2011); SternbergLieben Die Sinnhaftigkeit eines gesetzgebungskritischen Rechtsgutsbegriffs – exemplifiziert am Beispiel der Beschimpfung religiöser Bekenntnisse, in Festschrift für Hans-Ulrich Paeffgen (2015), 31; Stolleis Kirchliches Glockenläuten und staatliche Gerichte, ZevKR 17 (1972) 151; ders. Eideszwang und Glaubensfreiheit, JuS 1974 770; Stratenwerth Zum Begriff des „Rechtsgutes“, Festschrift Lenckner (1998) 377; Stree Strafrechtsschutz im Vorfeld von Gewalttaten, NJW 1976 1177; Streng Das Unrecht der Volksverhetzung, Festschrift Lackner (1987) 501; Stübinger Der Tatbestand der Bekenntnisbeschimpfung (§ 166 StGB) als Herausforderung der Rechtsgutslehre, Festschrift Kargl (2015), 573; Stumpf Bekenntnisschutz im deutschen Strafrecht, GA 2004 104; Thiede Scientologie und Grundgesetz, LM 23 (6/1993) 29; ders. Problemfall Scientologie, Ethica 1 (1993) 339; ders. Kinder und Jugendliche in sogenannten Sekten, KJA 36 (2005) 797; Thüsing Ist Scientologie eine Religionsgemeinschaft? ZevKR 45 (2000) 592; Traumann Zeitung und kirchliche Zensur (1936); Triffterer/Schmoller Die Freiheit der Kunst und die Grenzen des Strafrechts, ÖJZ 43 (1993) 547, 573; Tucholsky Was darf die Satire? In Gerold-Tucholsky (Hrsg.) Panter, Tiger & Co. (1954) 177; Usarski Die Stigmatisierung neuer spiritueller Bewegungen in der Bundesrepublik Deutschland, Kölner Veröffentlichungen zur Religionsgeschichte Bd. 15 (1988); Valerius Kultur und Strafrecht. Die Berücksichtigung kultureller Wertvorstellungen in der deutschen Strafrechtsdogmati (2011); ders. Tatbestände zum Schutz religiöser Einrichtungen, ZStW 129 (2017) 529; Vassilaki Computer- und internetspezifische Entscheidungen der Strafgerichte, MMR 1 (1998) 247; dies. Strafrechtliche Verantwortlichkeit durch Einrichtung und Aufrechterhaltung von elektronischen Verweisen (Hyperlinks), CR 15 (1999) 85; dies. Kommunikationsrechtliche, computer- und internetspezifische Entscheidungen der Strafgerichte, MMR 2 (1999) 525; Veelken Das Verbot von Weltanschauungs- und Religionsgemeinschaften (1999); Vogel C. Kunst und Pornographie, Spuren 21 (1987) 15; Vonschrott Die Beschimpfung der christlichen Kirchen und das deutsche Strafrecht, AKKR 86 (1906) 379; Voss Freikirchen, in Baer/Gasper/Müller/Sinabell (Hrsg.) Lexikon neureligiöser Gruppen, Szenen und Weltanschauungen (2005) 401; Walther Zur Anwendbarkeit der Vorschriften des strafrechtlichen Jugendme-
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Aus den Gesetzesmaterialien
StGB § 166
dienschutzes auf im Bildschirmtext verbreitete Mitteilungen, NStZ 1990 523; H. Weber Körperschaft des öffentlichen Rechts, in Fahlbusch/Lochmann/Mbiti/Pelikan/Vischer (Hrsg.) Evangelisches Kirchenlexikon, Bd. 2 3. Aufl. (1989) 1453; ders. Körperschaftsstatus bzw. Rechtsfähigkeit von Religionsgesellschaften kraft Regierungsakts der ehemaligen DDR, NJW 1998 197; W. Weber Religionsgesellschaften, in Galling (Hrsg.) Religion in Geschichte und Gegenwart, Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft Bd. 5 3. Aufl. (1961) 994; Wehinger Kollektivbeleidigung – Volksverhetzung, Nomos Universitätsschriften Bd. 149 (1994); Weigend Strafrechtliche Pornographieverbote in Europa, ZUM 38 (1994) 133; Weiss Störung des religiösen Friedens und der Totenruhe (1927); Weitzel Kinder- und Jugendschutz bei Internet-Angeboten, DRiZ 1997 424; Werner R. Scientology im Spiegel des Rechts, Neue Kriminologische Studien Bd. 24 (2002); Werner/Schöch Analyse der Primärliteratur – Juristische Bewertung, in Küfner/Nedopil/Schöch (Hrsg.) Gesundheitliche und rechtliche Risiken bei Scientology (2002) 169, 367; Wesenberg Der strafrechtliche Schutz der geheiligten Gegenstände, StrafrAbh. 158 (1912); Westrich Die Ideologie der Scientology-Organisation (2007); Wetz Die Würde des Menschen, in v. Hagens/Whalley (Hrsg.) Körperwelten: Die Faszination des Echten (2003) 236; Wichert Zum Problem der Kunstfreiheitsgarantie (1973); Wießner Yezidi, in Tworuschka/Tworuschka (Hrsg.) Religionen der Welt in Geschichte und Gegenwart (2000) 416; Willms Scientology (2005); Winter Scientology und neue Religionsgemeinschaften, ZevKR 42 (1997) 372; Wohlers Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Gefährdungsdelikte, StrafrAbh. 126 (2000); Wolf U. Spötter vor Gericht, Frankfurter öffentlich-rechtliche Studien 6 (1996); Wolfrum Die Kunstfreiheitsgarantie des Grundgesetzes, SchlHA 231 (1984) 2; Würkner „Was darf die Satire?“ JA 1988 183; ders. Wie frei ist die Kunst, NJW 1988 317; ders. Das Bundesverfassungsgericht und die Freiheit der Kunst (1994) – zit.: Würkner Freiheit; Würtenberger Vom strafrechtlichen Kunstbegriff, Festschrift Dreher (1977) 79; ders. Kunst, Kunstfreiheit und Staatsverunglimpfung (§ 90a StGB), JR 1979 309; ders. Karikatur und Satire aus strafrechtlicher Sicht, NJW 1982 610; ders. Satire und Karikatur in der Rechtsprechung, NJW 1983 1144; Zacharias Islamisches und deutsches Bestattungsrecht im Widerstreit, ZevKR 48 (2003) 149; Zaczyk Der verschuldete Verbotsirrtum – BayObLG, NJW 1989 1744, JuS 1990 889; Zechlin Gerichtliche Verbote zeitkritischer Kunst, KritJ 15 (1982) 248; ders. Kunstfreiheit, Strafrecht und Satire, NJW 1984 1091; Zieschang Die Gefährdungsdelikte, Kölner Kriminalwissenschaftliche Schriften Bd. 27 (1998); Zöbeley Zur Garantie der Kunstfreiheit in der gerichtlichen Praxis, NJW 1985 254; ders. Warum läßt sich Kunst nicht definieren? NJW 1998 1372. Im Übrigen wird auf die Angaben Vor § 166 verwiesen.
Entstehungsgeschichte In seiner ursprünglichen Fassung enthielt § 166 drei Tatbestände: Die Gotteslästerung, die Beschimpfung einer der christlichen Kirchen oder einer anderen mit Korporationsrechten innerhalb des Bundesgebietes bestehenden Religionsgesellschaft oder ihrer Einrichtungen oder Gebräuche sowie die Verübung beschimpfenden Unfugs in einer Kirche oder an einem anderen zu religiösen Versammlungen bestimmten Ort. Das Dritte Strafrechtsänderungsgesetz brachte eine Veränderung im zweiten Tatbestand durch die Fassung „einer anderen im Staate bestehende Religionsgesellschaft des öffentlichen Rechts“. Eine neue Ausgestaltung erhielt die Vorschrift durch das Erste Gesetz zur Reform des Strafrechts. Der Tatbestand der eigentlichen Gotteslästerung fiel ersatzlos fort. Die Verübung beschimpfenden Unfugs wurde in § 167 eingestellt. In § 166 verblieb, nun allerdings unter Einbeziehung auch der weltanschaulichen Bekenntnisse, lediglich der Tatbestand der Beschimpfung im engeren Sinne. Das Vierte Gesetz zur Reform des Strafrechts fügte den Schriften, Tonträgern, Abbildungen und Darstellungen als Verbreitungsmittel für die Beschimpfung die Bildträger hinzu. Vom Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch schließlich wurde, dem neuen Sprachgebrauch des Zweiten Gesetzes zur Reform des Strafrechts entsprechend, die Aufzählung der Verbreitungsmittel durch die Verweisung auf § 11 Abs. 3 ersetzt, der durch das Sechszigste Gesetz zur Änderung des Strafrechts vom 30. November 20201 mit Jahresbeginn 2021 allerdings nicht mehr an den Begriff der „Schriften“,2 sondern an das Verbreiten eines „Inhalts“ (näher Rdn. 41 ff) anknüpft (zu den Gründen BTDrucks. 19/19859 S. 1 ff, 16 ff). Das hat die entsprechende Folgeänderung in § 166 mit sich gebracht. Näher zur Entstehungsgeschichte auch Vor § 166 Rdn. 9 ff sowie unten Rdn. 2
Aus den Gesetzesmaterialien Niederschr. Bd. 12 S. 552, 600; E 62 S. 43, 264, 343 f; AE S. 7, 78 f; BTDrucks. V/32; V/2285; V/4094; Prot. V/121 S. 2421 ff, 2426 ff, 2456a ff; V/134 S. 2806 ff, 2818; BTProt. V/230 S. 12782 ff; BTDrucks. 19/19859; 19/23179.
1 BGBl. I 2600. 2 Dazu ausführlich Radtke MK § 11 Rdn. 166 ff. 241
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§ 166 StGB
Beschimpfung wegen Religion und Weltanschauung
Übersicht I. 1. 2.
3.
4.
II. 1.
2.
Allgemeine Bemerkungen 1 Veränderte Systematik und gewandelte Zielrich1 tung 2 Rechtsgut a) Festschreibung des öffentlichen Frie3 dens 4 aa) Gesetzgebungsverfahren 5 bb) Alleiniges Rechtsgut cc) Umfassende Bedeutung des Merk6 mals 7 b) Kritik am Rechtsgut 8 aa) Lehre vom Rechtsgut 9 bb) Kritik im Einzelnen 10 cc) Keine durchgreifende Kritik 11 Deliktstyp 12 a) Eignungsdelikt 13 b) Eignung zur Schädigung Abgrenzung von verwandten Tatbestän14 den 15 a) Volksverhetzung 16 b) Beleidigung 17 Der objektive Tatbestand von Absatz 1 18 Angriffsgegenstand 18 a) Bekenntnis b) Schutz des Inhalts des Bekenntnis20 ses 21 aa) Einschränkung 22 bb) Erweiterung c) Religiöses oder weltanschauliches Bekennt23 nis aa) Die Begriffe Religion und Weltan24 schauung bb) Kein staatliches Definitionsver24 bot 25 cc) Religiöses Bekenntnis dd) Weltanschauliches Bekennt26 nis 27 ee) Unterscheidungen 28 d) Bekenntnis anderer 28a aa) Individuelle Überzeugungen bb) Beschimpfung des eigenen Bekennt29 nisses 30 Die Tathandlung 31 a) Beschimpfen 31 aa) Normativer Begriff 32 bb) Kein kritikfreier Raum 33 cc) Verächtlichmachen 34 dd) Restriktive Auslegung 35 ee) Objektiver Aussagegehalt 36 ff) Schweregrad der Äußerung gg) Aussagegehalt eines Kunst37 werks 38 (1) Definition von Kunst
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(2)
b)
c)
d) e)
III. 1.
Schutzumfang von Art. 5 Abs. 3 39 GG 40 (3) Grundrechtsträger 41 (4) Grundrechtsschranken (5) Verhältnis z. Religionsfrei42 heit (6) Begrenzende Wirkung von 43 § 166 44 (7) Abwägung (8) Sonderfall Karikatur und Sa45 tire 46 Öffentliches Beschimpfen 47 aa) Begriff öffentlich bb) Äußerungen in einer Versamm48 lung cc) Möglichkeit der Kenntnisnahme Drit49 ter Verbreiten von Inhalten (§ 11 50 Abs. 3) 51 aa) Reformziel bb) Verbreiten mittels Informations- und 52 Kommunikationstechnik 53 cc) Schriften 54 dd) Verbreiten 55 (1) Begriff 56 (2) Formen des Verbreitens (3) Verbreiten des Inhalts 57 selbst Verantwortlichkeit von Diensteanbie58 tern 59 Eignung zur Friedensstörung 60 aa) öffentlicher Friede 61 bb) Anforderungen 62 (1) Keine konkrete Gefahr 63 (2) Konkrete Eignung (3) Feststellung im Einzel65 fall cc) Darlegung im tatgerichtlichen Ur66 teil
67 Der objektive Tatbestand von Absatz 2 67 Angriffsgegenstände a) Kirchen und andere Religionsgemeinschaf68 ten 68a aa) Kirchen 69 bb) Begriff Religionsgesellschaft 70 cc) Bestimmendes Merkmal 71 dd) Formelle Voraussetzungen 72 ee) Wirtschaftliche Betätigung ff) Politische u. gesellschaftliche Betäti73 gung gg) Körperschaften d. öffentlichen 74 Rechts
242
I. Allgemeine Bemerkungen
(1)
b)
c)
Staatskirchenrechtlicher Be74a griff 75 (2) Verfassungsrang (3) Öffentlichrechtliche Befug76 nisse hh) Verleihung der Körperschafts77 rechte (1) Geschriebene Voraussetzun77a gen (2) Ungeschriebene Vorausset78 zung 79 ii) Parität jj) Anerkannte Religionsgesellschaf80 ten 81 (1) Kirchen 82 (2) Freikirchen 83 (3) Sekten 84 (4) Sondergemeinschaften (5) Alte nichtchristliche Kir85 chen (6) Synkretistische Neureligio86 nen (7) Missionierende Religionen des 87 Ostens 88 kk) Keine Religionsgesellschaften (1) Verfolgung anderer als religiöser 88a Zwecke (2) Verfolgung von religiösen Einzel89 zwecken 90 Weltanschauungsvereinigungen 90a aa) Inhaltliche Bestimmung 91 bb) Beispiele 92 Einrichtungen und Gebräuche 92a aa) Umfang des Strafschutzes
StGB § 166
93 Begriff Einrichtungen 94 Anerkannte Einrichtungen 95 Beispiele Nicht anerkannte Einrichtun96 gen 97 ff) Begriff Gebräuche 98 gg) Anerkannte Gebräuche 99 Inland 100 aa) Funktioneller Begriff bb) Ausländische Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereini100 gung 101 Tathandlung 102 Beschimpfen 103 Mittelbare Beschimpfung aa) Beschimpfen der Vereinigung als sol104 che 105 bb) Reformversuche Fälle unmittelbarer Kirchenbeschimp106 fung Konkrete Eignung z. Friedensstö107 rung bb) cc) dd) ee)
d)
2.
Die a) b)
c) d)
IV.
Der subjektive Tatbestand
V.
Rechtswidrigkeit
VI.
Verjährung
VII. Konkurrenzen
108
109 110 111
112 VIII. Prozessuales 112 1. Verletzteneigenschaft 2. Darlegungen im tatgerichtlichen Urteil
113
I. Allgemeine Bemerkungen 1. Veränderte Systematik und gewandelte Zielrichtung Die Systematik der Vorschrift ist in ihrer jetzigen Fassung klarer als frühere Fassungen. Sie 1 erfasst in zwei sich teilweise überschneidenden Tatbeständen3 die Beschimpfung eines religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses und die Beschimpfung von Religionsgesellschaften oder Weltanschauungsgemeinschaften und ihrer Einrichtungen oder Gebräuche.4 Die Herausnahme des Tatbestandes der Verübung beschimpfenden Unfugs aus der Vorschrift und dessen Zusammenfassung mit dem Tatbestand der Gottesdienststörung in § 167 (siehe Entstehungsgeschichte) ist systematisch sachgerecht. Mit dieser Reform hat sich die Zielrichtung der §§ 166, 167 gewandelt. § 166 a. F. bezweckte ausschließlich den Schutz der überwältigenden Mehrheit gegen nicht tolerable Provokationen einer Minderheit; die Neufassung bezieht auch Minoritäten
3 Vgl. Herzog NK4 Rdn. 25. 4 Anfangs wurden vereinzelt in der Vorschrift drei verschiedene Tatbestände gesehen (z. B. Sch/Schröder/Lenkkner18 Rdn. 1). 243
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§ 166 StGB
Beschimpfung wegen Religion und Weltanschauung
in den Schutz ein.5 Das gleichwertige Einbeziehen weltanschaulicher Bekenntnisse in den Strafschutz ist das Ergebnis des Bemühens um Verifizierung religiöser und weltanschaulicher Neutralität des Staates in der pluralistischen Gesellschaft (zu den Herausforderungen einer religiös pluralen Gesellschaft siehe Vor § 166 Rdn. 20 und Hörnle Gutachten C für den 72. DJT, Verhandlungen des 70. DJT 2014, Band I, C 10 ff).6 Durch die Erweiterung ist der Strafschutz erheblich ausgedehnt worden.7 Faktische Veränderungen ergeben sich aus dem Anwachsen von Religionsgesellschaften anderer Kulturkreise. Dadurch müssen die §§ 166, 167 zunehmend unterschiedliche Empfindlichkeiten8 auffangen.9 Die Diskussionen der strafrechtlichen Abteilung des 72. DJT (2014) in Hannover zu den Herausforderungen des Strafrechts in einer religiös pluralen Gesellschaft haben allerdings gezeigt, dass die große Mehrheit der Teilnehmenden aus allen Religionsgemeinschaften sich gerade wegen der zunehmenden religiösen Vielfalt für eine Beibehaltung des § 166 ausgesprochen hat.10 Für eine Beibehaltung sprechen sich auch zahlreiche Stimmen in der Literatur aus.11
2. Rechtsgut 2 Als Rechtsgut liegt nach vorzugswürdiger Ansicht12 § 166 der öffentliche Friede zugrunde. Öffentlicher Frieden als Rechtsgut meint – wie in anderen Friedensschutzdelikten (etwa § 130 StGB) auch – einen Zustand, dessen es bedarf, um die Möglichkeit der Entfaltung der jedem Einzelnen zustehenden Freiheitsrechte in Abgrenzung zu den Freiheitsrechten anderer zu eröffnen.13 Bezogen auf die Bekenntnisbeschimpfung bezweckt dies, über die Gewährleistung öffentlichen Friedens als tatbestandlich geschütztem Rechtsgut hinaus das Maß wechselseitiger Toleranz zu sichern, dessen es gerade in der religiös pluralistischen Gesellschaft bedarf, um dem Einzelnen zu ermöglichen, nach seinem Glauben oder seiner Weltanschauung zu leben, ohne deswegen Anfeindungen ausgesetzt zu sein (siehe auch Rdn. 4).14 Insoweit gewährleistet § 166 StGB die Religionsausübungsfreiheit selbst.15 Damit bewirkt die Vorschrift, in dieser Hinsicht nicht anders als § 130, einen vorgelagerten Rechtsgüterschutz, indem sie Gefährdungen eines friedlichen Miteinanders in einer religiös und weltanschaulich pluralistischen Gesellschaft entgegenwirkt.16 Ein solches Rechtsgutverständnis, das sich an den Schutzzweckerwägungen des
5 Arzt/Weber BT2 § 44 Rdn. 51. 6 So auch Sch/Schröder/Lenckner27 Vorbem § 166 Rdn. 1. Einschr. Otto, der die Gleichstellung des religiösen mit dem weltanschaulichen Bekenntnis als „recht dubios“ ansieht, weil das religiöse Bekenntnis andersartigen und auch in andere Dimensionen weisenden Angriffen ausgesetzt sei als ein weltanschauliches, und zwar aufgrund seines metaphysischen Bezugs (vgl. u. Rdn. 18 und 25) sowie der anderen als den Gläubigen nicht nachvollziehbaren Verbindung des Einzelnen mit Gott im Glaubensakt (BT § 64 Rdn. 4). Allgemein zur Bedeutung der Gleichstellung von Religion und Weltanschauung insb. Reinisch/Maihofer S. 187. 7 Dazu bereits H. Simon KiZt. 20 (1965) S. 25. 8 Zu Beispielen für solche Empfindlichkeiten siehe Vor § 166 Rdn. 13 („Das Gespenst“) und 15 (Mohammed-Karikaturen). 9 Zutreffend Arzt/Weber BT2 § 44 Rdn. 53. 10 Siehe Schluckebier in Verhandlungen des 70. DJT, Band II/1 L 19 sowie Diskussionsverlauf und Abstimmung zum (abgelehnten) Vorschlag der Streichung von § 166 in: Verhandlungen des 70. DJT Band II/2, L 185; siehe auch Rogall SK Rdn. 3. 11 Etwa Heger ZevKR 61 (2016), 131 ff; M. Heinrich ZJS 2018 151; Naarmann S. 95; SSW/Hilgendorf Rdn. 2; Steffen S. 88 ff; im Ergebnis auch Rogall SK Rdn. 3. 12 Einführend zum Diskussionstand Pirson/Rüfner/Germann/Muckel/Radtke § 75 Rn. 14 f. 13 Vgl. BVerfGE 124 300, 331 zum Schutzzweck öffentlicher Friede im insoweit parallel ausgerichteten § 130. 14 Vgl. auch BVerwG NJW 1999, S. 304; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Vorbem. §§ 166 Rdn. 2. 15 Siehe Renzikowski GedS Meurer S. 179,188. 16 Entsprechend BVerfGE 124 300, 335 zum Zweck des nicht auf die (mittelbare) Gewährleistung der Religionsund Weltanschauungsfreiheit zielenden § 130, zustimmend Sternberg-Lieben FS Paeffgen 31, 45 f. Radtke
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I. Allgemeine Bemerkungen
StGB § 166
BVerfG in seiner Wunsiedel-Entscheidung17 zu § 130 orientiert, wirkt sich auf die Anforderungen an die Eignung der Tathandlung, den öffentlichen Frieden zu stören, aus (Rdn. 59 bis 65).
a) Festschreibung des öffentlichen Friedens. Der öffentliche Friede – wenn auch nicht 3 zwingend in dem vorstehenden Verständnis – ist bei der Neufassung der Vorschrift durch das Erste Gesetz zur Reform des Strafrechts als ihr ausschließliches Rechtsgut festgeschrieben worden. aa) Gesetzgebungsverfahren. Der Gedanke, den öffentlichen Frieden als Rechtsgut des § 166 4 zu etablieren, war nicht neu. Er hatte schon auf dem Höhepunkt der Aufklärung im Zusammenhang mit der Befürchtung, gotteslästerliche Äußerungen würden bei den Gläubigen der angegriffenen Gottheit zu Unruhen führen, die sich zu einer Friedensstörung ausweiten könnten, in die Diskussion um die Rechtfertigung einer Strafbarkeit der Gotteslästerung Eingang gefunden.18 Durchgesetzt hat sich die Auffassung, dass das geschützte Rechtsgut der öffentliche Friede sein solle, allerdings erst im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens zum Ersten Gesetz zur Reform des Strafrechts. Der E 62 hatte ungeachtet der zum Teil äußerst strittigen Meinungen über das in § 166 a. F. geschützte Rechtsgut19 grundsätzlich an der früheren Regelung festhalten wollen (§§ 187 bis 189, Begr. S. 344 f). Nachdem der Sonderausschuss sich darüber einig geworden war, dass jedenfalls nicht das religiöse Empfinden zu schützen sei (Prot. V/121 S. 2426, 2429, 2431),20 und auch das friedliche Zusammenleben der Angehörigen verschiedener Bekenntnisse als Schutzgut keine breitere Zustimmung fand (Prot. V/121 S. 2434 ff), wurden zunächst der religiöse oder weltanschauliche Friede, dann, anknüpfend an Vorstellungen der Länder (Prot. V/ 134 S. 2806 f, 2818), der öffentliche Friede als das zu schützende Rechtsgut vorgeschlagen.21 Der Vorschlag, den religiösen oder weltanschaulichen Frieden als Schutzgut anzusehen, fand keine Zustimmung (Prot. V/134 S. 2807, 2818).22 Schließlich entschied der Sonderausschuss sich für den öffentlichen Frieden als zu schützendes Rechtsgut (Prot. V/134 S. 2808). Der Ausschuss legte dabei einen Schutz des öffentlichen Friedens in der Ausprägung zugrunde, den dieser durch den Toleranzgedanken (näher Vor § 166 Rdn. 12 und 20)23 erfahren habe (Güde Prot. V/121 S. 2429; BTDrucks. V/4094. S. 29).24 bb) Alleiniges Rechtsgut. Der öffentliche Friede ist alleiniges Schutzgut des § 166. Zwar hat 5 die Anknüpfung des Sonderausschusses an den Toleranzgedanken vereinzelt zu der Deutung geführt, die Vorschrift solle Fairness und Anstand in der religiösen und weltanschaulichen Aus-
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BVerfGE 124 300, 331 ff. Reinsdorf/Reinsdorf/Budich S. 15. Vgl. Jagusch LK8 Anm. IIa, IIIa, IVa sowie die Zusammenstellung bei Manck S. 61 ff. Näher und zu Recht kritisch gegenüber Ansätzen, für das tatbestandliche Rechtsgut auf die religiösen bzw. weltanschaulichen „Gefühle“ abzustellen, Naarmann S. 653 ff; Stern S. 81 ff. 21 Der Entwicklung daher nicht ganz entsprechend, die Darstellung bei Eser, der Sonderausschuss habe mit seinem Vorschlag, die Friedensschutzfunktion bereits durch eine Abschnittsüberschrift „Vergehen gegen den religiösen und weltanschaulichen Frieden“ zum Ausdruck zu bringen, nicht durchdringen können (in Listl/Pirson [Hrsg.] S. 1027). 22 Vgl. auch Listl StZt. 179 (1967) 258. 23 Vgl. Renzikowski GedS Meurer S. 179,188; Pirson/Rüfner/Germann/Muckel/Radtke § 75 Rdn. 14; Schluckebier in Verhandlungen des 70. DJT, Band II/1 L 19. 24 Ähnlich Otto, der öffentliche Friede sei Rechtsgut durch das Gebot, das Pietätsempfinden anderer zu achten (BT § 64 Rdn. 1); ebenso Joecks Rdn. 1; vgl. auch Schmidhäuser BT 13/22; and. Fischer, die Bestimmung des Rechts245
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§ 166 StGB
Beschimpfung wegen Religion und Weltanschauung
einandersetzung schützen.25 Dies mag in den Beratungen auch angeklungen sein und hat einen insoweit zutreffenden Kern, als mit dem tatbestandlich geschützten Rechtsgut öffentlicher Friede die Abgrenzung der Freiheitsrechte verschiedener Rechteinhaber (etwa positive Religionsfreiheit des einen, negative Religionsfreiheit des anderen) gewährleistet wird und insoweit (mittelbar) auch die Religionsfreiheit selbst, nicht aber der Inhalt eines Bekenntnisses,26 gewährleistet wird (zum Schutzmechanismus zugunsten der Religionsfreiheit Rdn. 2).27 Damit wird diese aber nicht zum tatbestandlich geschützten Rechtsgut. Aus der Entstehungsgeschichte insgesamt ergibt sich, dass der öffentliche Friede als weltliches Rechtsgut gemeint ist. Der Begriff war, und zwar in ausdrücklicher Anlehnung an § 130, vor allem deshalb als Schutzgut vorgeschlagen worden, weil er enger ist als der Begriff des religiösen Friedens (Sturm Prot. V/134 S. 2808).
6 cc) Umfassende Bedeutung des Merkmals. In § 166 hat das Merkmal öffentlicher Friede die umfassende Bedeutung, die ihm in ähnlich strukturierten Tatbeständen wie §§ 126, 130, § 140 Abs. 2 zukommt. Zweck dieser Bestimmungen ist, den vom Staat durch seine allgemeine Rechtsordnung geschaffenen Zustand bürgerlichen (zivilen) Friedens, der die divergierenden und einander widerstreitenden Standpunkte vereint und insofern die notwendige Bedingung der gleichen Freiheit aller darstellt, im öffentlichen Interesse zu verteidigen.28 Sein Schutz gilt aber auch jenem Maß an Toleranz, das es in einer freiheitlich, pluralistischen Gesellschaft dem Einzelnen ermöglicht, seinem Glauben oder seiner Weltanschauung entsprechend zu leben, ohne befürchten zu müssen, deshalb diffamiert und ins Abseits gestellt zu werden.29 Da es dabei um die Gefahr geht, dass Menschen sich nicht trauen, ihre Weltanschauung auch öffentlich zu leben und für sie einzutreten,30 dient § 166 insoweit der Erhaltung der Pluralität und auf diese Weise letztlich der Religions- und Weltanschauungsfreiheit selbst (Renzikowski GedS Meurer S. 168; siehe auch Rdn. 2).
7 b) Kritik am Rechtsgut. Die rechtstheoretische Kritik am Rechtsgut öffentlicher Friede versucht sowohl dessen Eignung als Rechtsgut als auch seine Tauglichkeit, die Strafbarkeit von Angriffen gegen Religion und Weltanschauung verfassungsrechtlich zu rechtfertigen, grundsätzlich in Frage zu stellen. In der Argumentation werden der Tauglichkeits- und der Legitimierungsaspekt allerdings nicht durchgängig gesondert betrachtet, sondern gelegentlich miteinander verbunden.
8 aa) Lehre vom Rechtsgut. Die Kritik am hier zugrunde gelegten tatbestandlichen Rechtsgut setzt an der Lehre vom Rechtsgut selbst an. Diese geht davon aus, dass Sinn und Zweck guts als „Achtung des Toleranzgebots“ verkenne, dass nicht das abstrakte Schutzgebot, sondern das individuelle religiöse Empfinden vor seiner Missachtung geschützt werden solle, ein Unterschied zum „Gefühlsschutz“ daher nicht bestehe (Rdn. 2). 25 So z. B. vormals Dreher/Tröndle47 Rdn. 1; ähnlich Otto BT § 64 Rdn. 1; ferner Joecks Rdn. 1 (Wahrung von Anstand und Würde bei religiösen und weltanschaulichen Auseinandersetzungen). 26 Siehe nur Fateh-Moghadam S. 209 m. w. N. 27 Pirson/Rüfner/Germann/Muckel/Radtke § 75 Rdn. 14 m. w. N. 28 Enders KuR 13 (2007) 48; siehe auch Pirson/Rüfner/Germann/Muckel/Radtke § 75 Rn. 14 m. w. N. 29 BVerwG NJW 1999 304 mit Anm. Hufen JuS 1999 911; OVG Koblenz NJW 1997 1174, 1176; OLG Nürnberg NStZRR 1999 238, 240; Valerius S. 368 ff; Pirson/Rüfner/Germann/Muckel/Radtke § 75 Rdn. 14; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Vorbem §§ 166 Rdn. 2. And. Beisel, der dem Gefühl der Angehörigen eines bestimmten Bekenntnisses, ihre religiöse oder weltanschauliche Überzeugung werde nicht respektiert, keine Bedeutung beimisst (S. 356) und den Schutz auf die körperliche Unversehrtheit bzw. das Leben der einzelnen Gläubigen beschränkt (S. 306), was in der Tat bedeuten würde, dass § 166, weil die Handlungen von § 130 Abs. 1 Nr. 1 erfasst würden (dazu Rdn. 10). 30 Vgl. Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Vorbem. §§ 166 Rdn. 2. Radtke
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des Strafrechts darin bestehen, die elementaren Werte des Gemeinschaftslebens zu schützen (BVerfGE 45 187, 253 f).31 Der Rechtsgutsbegriff soll sicherstellen, dass der Gesetzgeber nur dasjenige Verhalten unter Strafe stellt, durch das ein Rechtsgut bedroht wird.32 Er dient als methodisches Instrument der teleologischen Auslegung und Anwendung des positiven Rechts.33 Diese systemimmanente Bedeutung des Rechtsgutsbegriffs soll nach verbreiteter Auffassung durch seine „Entmaterialisierung“ in der modernen Strafgesetzgebung, die sich durch Konstituierung begrifflich unscharfer Universalrechtsgüter34 vom klassischen strafrechtlichen Verständnis, die Strafbarkeit menschlichen Verhaltens grundsätzlich auf den Schutz konkret formulierter Rechtsgüter des Individuums zu beschränken, mit der Folge in Frage gestellt werden, dass das Strafrecht sich zunehmend in den Bereich der Vorfelddelinquenz ausdehne.35 Ein Teil der Lehre befürwortet daher einen systemtranszendenten Rechtsgutsbegriff, der als überpositive und vorstrafrechtliche Vorgabe eine strafbarkeitslimitierende Funktion wahrnehmen könnte.36 Vor diesem Hintergrund gelangt Worms zu der Auffassung, dass der öffentliche Friede nicht den Anforderungen der Rechtsgutslehre entspricht (S. 78 ff, 105 ff). Er schlägt als neues Schutzgut der Beschimpfung von Bekenntnissen ein persönliches Anerkennungsverhältnis als personale Entfaltungsmöglichkeit vor (S. 132 ff). Eine solche Deutung des Rechtsguts, die im Kern die Beschimpfung des Bekenntnisses als Missachtung des Bekennenden begreift,37 hat in jüngerer Zeit zumindest im Ansatz Zustimmung erfahren.38 Sie hat durchaus einen zutreffenden Kern (vgl. Rdn. 2 und 6), verkennt aber, dass es keiner Aufgabe des öffentlichen Friedens als tatbestandlich geschütztem Rechtsgut bedarf, um den angesprochenen Aspekt der Missachtung des Bekennenden zu erfassen. Das hier vertretene Rechtsgutsverständnis des § 166 (Rdn. 2) dürfte mit der Vorstellung Jakobs vereinbar sein, der zwar die im Strafgesetzbuch auffindbaren Vorfeldkriminalisierungen in weiten Teilen in einem freiheitlichen Staat nicht für legitimierbar hält, aber erwägt, die Illegitimität der Kriminalisierung von Vorfeldverhalten durch den Schutz vorgelagerter Rechtsgüter zu neutralisieren.39 Bezogen auf § 166 lässt sich der öffentliche Friede als in diesem Sinne vorgelagertes Rechtsgut verstehen, das die Bedigungen für die Ausübung der Religions- und Weltanschauungsfreiheit gewährleist (vgl. Rdn. 2).
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Einführend Radtke MK Vor § 38 Rdn. 2 ff. Hassemer NStZ 1989 557; vgl. auch Wohlers GA 2000 15, 20. Hassemer Theorie S. 19; M. Krüger S. 17; Stratenwerth FS Lenckner 378; vgl. auch Worms S. 78 ff. Vgl. Hefendehl/v. Hirsch/Wohlers/Hassemer S. 55. Das umfangreiche Schrifttum hierzu verwendet unterschiedliche Umschreibungen des Vorgangs, die sachlich aber im Wesentlichen dasselbe aussagen, z. B.: Beck S. 20 („Vorverlagerung der Strafbarkeit“), Berz S. 62 („Verfolgung bereits im Vorfeld der eigentlichen Rechtsgutsverletzung“), Brockelmann DRiZ 1976 214 („wesentliche Vorverlegung des Rechtsgüterschutzes“), Franke GA 1984 462 („Vorverlagerung des Rechtsgüterschutzes“), Giehring StV 1985 462 („Vorfeldschutz durch Kontrolle der Kommunikation“), Hefendehl Rechtsgüter S. 39 („strafrechtlicher Vorfeldschutz“), Lagodny S. 96 („Vorgeschalteter Rechtsschutz im Strafverfahren“); Laufhütte MDR 1976 441 („Vorfeld der eigentlichen Rechtsverletzung“), Müller-Dietz FestG Kaufmann S. 99 („Besetzung des Vorfelds ‚eigentlicher‘ oder besser: konkreter Rechtsgutsverletzungen“), Roxin/Greco AT I § 2 Rdn. 26 („Vorfeldkriminalisierungen“), Rudolphi ZRP 1979 214 („Vorverlagerung des Strafrechtsschutzes“), Schroeder Straftaten S. 21, 28 („Vorverlagerung der Strafbarkeit in ein vor der Verletzung liegendes Stadium“), Stree NJW 1976 1177 („Strafrechtsschutz im Vorfeld von Gewalttaten“), Streng FS Lackner 10 („Vorverlagerung des Schutzes von [anderen] Rechtsgütern“), Wohlers GA 2002 15 („Kriminalisierung von Vorfeldaktivitäten“). 36 So insb. Hassemer NStZ 1989 557; ZRP 1992 381; ferner z. B. Roxin/Greco AT I § 2 Rdn. 7; Hefendehl/v. Hirsch/ Wohlers/Sternberg-Lieben S. 65 ff; deutlich reduktionistisch auch die Auffassung des Zwölften Strafverteidigertages 1988, Ergebnisse StV 1988 275 ff; krit. M. Krüger S. 62 ff. 37 Vgl. Stübinger SK Rdn. 4. 38 Etwa Isensee AfP 2013, 196 f; Pawlik FS Küper 421 ff; Stern S. 110 ff; Stübinger FS Kargl 584 f. 39 Jakobs ZStW 97 (1985) 751, 773 ff. 247
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Beschimpfung wegen Religion und Weltanschauung
9 bb) Kritik im Einzelnen. Zahlreiche weitere Stimmen halten den öffentlichen Frieden ebenfalls nicht für geeignet, selbständiges Rechtsgut zu sein und ziehen damit die verfassungsrechtliche Legitimität von § 166 in Zweifel (siehe bereits Vor § 166 Rdn. 19). Fateh-Mogadham verneint die Legitimität von § 166 StGB mit der Erwägung, Gewährleistung von Toleranz in einer Gesellschaft sei kein legitimes strafrechtliches Rechtsgut, denn Toleranz sei lediglich eine rechtlich nicht erzwingbare Bürgertugend.40 Th. Fischer negiert ebenfalls die Rechtsgutseignung des öffentlichen Friedens für § 166 (vgl. schon Vor § 166 Rdn. 19), erwägt aber, ob die Legitimation des § 166 auf den Schutz von Gefühlen gestützt werden könne.41 K. A. Fischer kommt über eine Strukturanalyse der Norm zu dem Ergebnis, dass neben dem öffentlichen Frieden das Ansehen von Bekenntnissen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften als gleichrangiges Schutzgut des § 166 zu betrachten sei.42 Stumpf hält den öffentlichen Frieden als Rechtsgut des § 166 insofern für defizitär, als er die Eigenbedeutung von Religionen und Weltanschauungen jenseits des staatlichen Kulturinteresses nicht hinreichend erfasse, und befürwortet stattdessen eine zweistufige Betrachtung der durch die einzelnen Tatbestandsmerkmale des § 166 Abs. 1 geschützten Rechtsgüter, dem Schutz der Religionsfreiheit und dem Schutz des staatlichen Kulturinteresses.43 Die verfassungsrechtliche Legitimität des § 166 stellen letztgenannte Deutung aber letztlich nicht in Frage. Auch nach Ansicht Hörnles ist der öffentliche Friede zur Begründung der Strafbarkeit untauglich (vgl. schon Vor § 166 Rdn. 19).44 Ihre Argumentation einer „pluralismus-transzendierenden, von Partikularinteressen unberührten Objektiv-Allgemeinen“ (Pawlik FS Küper 424) auf den Mangel eines Gefährdungs- oder Gefahrenpotentials zu verkürzen, wird ihrem Ansatz nicht vollauf gerecht.45 Ihre Zweifel an der Tauglichkeit der hier zugrunde gelegten Rechtsgutsbestimmung wurzeln tief in der Verlegenheit, die für das Strafrecht seit der Korrektur der Verbrechenslehre Feuerbachs durch die Erstreckung staatlicher Strafgewalt auf die Erhaltung der Sittlichkeit und damit in einen Bereich, der über die klassischen Regelungsfelder hinausging, entstand. Diese Verlegenheit hat sich durch die nach Wahrnehmung Vieler in den letzten Jahren zu beobachtenden Tendenz, vermehrt Verstöße gegen kollektive Interessen und Werte, denen lediglich eine generelle Gefährlichkeit innewohnt, mit Strafdrohungen zu begegnen, eher verstärkt. Die Rechtsgutstheorie, auch in ihrer modernen Ausgestaltung als „überpositives (systemkritisches) Legitimationsinstrument“ (Hefendehl/v. Hirsch/Wohlers/Seher S. 39), scheint die erwünschte Rechtfertigung nach verbreiteter Auffassung nicht leisten zukönnen. Mangle es an der Beeinträchtigung eines Individualrechtsgut könne, weil ein bloße Sittlichkeitsverstoß niemals einen Straftatbestand verfassungsrechtlich rechtfertigen kann, die Legitimation eines Straftatebstandes allenfalls dann in Betracht kommen, wenn die fraglichen Verhaltensweisen ein von allen benötigtes und für alle zu bewahrendes Gut beeinträchtigen.46 Hieran anknüpfend verneint Hörnle die Eigenschaft des öffentlichen Friedens, ein solches Gut zu sein, weil er nicht, wie beispielsweise die Ehre, verallgemeinerbar in dem Sinne sei, dass er für jedermann unabhängig von persönlichen Präferenzen und Bindungen Bedeutung habe.47 Das überzeugt letztlich nicht.48 Jedenfalls bei der hier zugrunde gelegten Deutung des öffentlichen Friedens (Rdn. 2 sowie Vor § 166 Rdn. 20)49 als Rechtsgut des § 166 gewährleitet dieser ein verallgemeinerungsfähiges Interesse nicht zuletzt deshalb, weil die Vorschrift in der Fassung des Ersten Geset-
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S. 248. Th. Fischer NStZ 1988 165; kritisch dazu Naarmann S. 653 ff; Stern S. 81 ff. S. 137. GA 2004 109 ff. Verhalten S. 356 f; siehe auch Gutachten C für den 70. DJT, Verhandlungen des 70. DJT, Band I, 2014, C 37 ff; JZ 2015 293 ff. 45 So aber Jochen Müller S. 90 f. 46 Hefendehl/v. Hirsch/Wohlers/Schünemann S. 141; vgl. auch Hefendehl/v. Hirsch/Wohlers/Hassemer S. 62. 47 Verhalten S. 156; ähnlich Hefendehl/v. Hirsch/Wohlers/Hörnle S. 271, 275 f, 279 f. 48 Zutreffend die Kritik von Pawlik FS Küper 424. 49 Ebenso bereits Pirson/Rüfner/Germann/Muckel/Radtke § 75 Rn. 14. Radtke
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zes zur Reform des Strafrechts nicht mehr exklusiv einen bestimmten Glaubensinhalt schützt, sondern religiöse und weltanschauliche Bekenntnisse jeglicher Art. Pawlik lastet deshalb der Argumentation Hörnles nicht zu Unrecht einen „Kategorienfehler“ an, weil in ihr der Bezugsgegenstand des Verallgemeinerbarkeitskriteriums, das Bekenntnis, mit einzelnen seiner Anwendungsfälle konfundiert werde.50
cc) Keine durchgreifende Kritik. Einen durchgreifenden Grund, das Rechtsgut des öffentli- 10 chen Friedens zu ersetzen oder in seiner Bedeutung zu relativieren, gibt es trotz der zum Teil fundierten Kritik nicht. Ungeachtet der Kontroverse um eine subjektiv-historisch und der objektiv-teleologisch Auslegungszielbestimmung (einführend Loos in AK-StPO, Band 1, 1988, Einleitung III Rdn. 4 ff; siehe auch Sch/Schröder/Hecker § 1 Rdn. 41 ff; ferner Worms S. 88) benennt auch die jüngere wissenschaftliche Diskussion51 keine Aspekte, die erforderten oder auch nur nahe legten, von der im Gesetzgebungsverfahren, insbesondere seitens des Sonderausschusses (Rdn. 4), zugrunde gelegten Rechtsgutskonzeption abzuweichen. Dass § 166 StGB ein kollektives Rechtsgut schützt, ist jedenfalls kein solcher Umstand. Es gibt seit jeher neben Rechtsgütern des Einzelnen auch kollektive Interessen schützende Rechtsgüter in überkommenenen Tatbeständen; das gilt für das Kernstrafrecht ebenso wie für das Nebenstrafrecht und das Wirtschaftsstrafrecht.52 Zutreffend wird daher nach wie vor weit überwiegend angenommen, dass allein der öffentliche Friede Rechtsgut des § 166 ist.53 Verfassungsrechtliche Bedenken gegen einen auf den öffentlichen Frieden abstellenden Schutzzweck bestehen ebenso wie bei § 13054 nicht. 3. Deliktstyp Auch der Deliktstypus der Vorschrift wird – angesichts der Kontroverse um das Rechtsgut 11 (Rdn. 2 bis 10) kaum überraschend – seit ihren Veränderungen durch das Erste Gesetz zur Reform des Strafrechts nicht einheitlich beurteilt.
a) Eignungsdelikt. In § 166 a. F. wurde die Gotteslästerung als reines Erfolgsdelikt und die 12 Religionsbeschimpfung als abstraktes Gefährdungsdelikt55 verstanden;56 Einordnungen, die allerdings daran litten, dass bei der Kategorie „Erfolgsdelikt“ nicht ausreichend klargestellt war, ob eine tatobjekts- oder eine rechtsgutsbezogene Betrachtung („Verletzungsdelikt“) zugrunde gelegt wurde.57 Durch die Aufnahme der Eignungsklausel („geeignet ist, den öffentlichen Frie50 FS Küper 424. 51 Etwa Hörnle Gutachten C zum 70. DJT, Verhandlungen des 70. DJT, Band I, 2014, C 37 ff; Fateh-Moghadam S. 232 ff. 52 Näher dazu M. Krüger S. 66 ff. 53 OLG Celle NJW 1986 1275, 1276; OLG Karlsruhe NStZ 1986 363, 364; OLG Köln NJW 1982 657; OLG München FuR 1984 595; Arzt/Weber BT § 44 Rdn. 51; Enders KuR 13 (2007) 49; Kindhäuser BT I § 10.1; Knies S. 268; Lackner/Kühl/ Heger Rdn. 1; Otto BT § 64 Rdn. 1; Pawlik FS Küper 417; Rogall SK Rdn. 1; Scheffler S. 368; Schmidhäuser BT Kapitel 12 Rdn. 11, Kapitel 13 Rdn. 22; Steinbach JR 2006 496; Zipf NJW 1969 1944; zuvor schon Schilling S. 113 ff; vgl. auch B. Kretschmer Grabfrevel S. 273 f; Isensee/Pawlik S. 41 ff; zw. Fischer Rdn. 2; Hörnle MK Rdn. 1; Hefendehl/v. Hirsch/ Wohlers/Hörnle S. 268, 274, 279. 54 BVerfGE 124 300, 331. 55 Zu neueren Entwicklungen der Dogmatik der Gefährdungsdelikte etwa Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts, 2000; Zieschang Die Gefährdungsdelikte, 1998; Koriath GA 2001 51 ff; knapp einführend Radtke MK Vor § 306 Rdn. 5 ff. 56 Maurach BT1 § 47 II B 1. 57 Über die Unterscheidung und ihre Bedeutung Radtke Die Dogmatik der Brandstiftungsdelikte (1998) S. 23 ff m.w.N; teilw. zumindest in der Terminologie abweichend Walter in LK Vor §§ 13 ff Rdn. 63 und 66 (i. V. m. Rdn. 14). 249
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den zu stören“) lässt sich § 166 als Eignungsdelikt58 bezeichnen. Bei solchen, die teils auch potentielle Gefährdungsdelikte genannt werden,59 handelt es sich um (bei rechtsgutsbezogener Typisierung) Gefährdungsdelikte, deren Einordnung in das Gesamtsystem dieser Delikte noch nicht vollständig gelungen ist,60 was auch damit zusammenhängen mag, dass für die Systematisierung herangezogene Kriterien wie Tatobjekt, Handlungsobjekt, Handlungsgegenstand und Rechtsgut(objekt) bereits terminologisch in unterschiedlicher Weise verstanden werden.61 Eignungsdelikte lassen sich nicht leicht in das System von abstrakten und konkreten Gefährdungsdelikten oder als Mischform („abstrakt-konkretes Gefährdungsdelikt“)62 einpassen.63 Bezieht sich die Eignung zur Gefährdung eines Rechtsguts (Rechtsgutsobjekts) – wie in § 166 mit dem öffentlichen Frieden – auf ein solches kollektiver Natur, dürfte sich eine konkrete Gefahr als Gefahrenzustand, wie er etwa bei eindeutig konkreten Gefährdungsdelikten vom Typus der §§ 315b, c angenommen wird,64 einer prozessualen Aufklärbarkeit von vornherein entziehen.65 Daran ändert das Verständnis des Bundesverfassungsgerichts zu § 130 nichts, an sich abzeichnende Gefahren anzuknüpfen, die sich in der Wirklichkeit konkretisieren (vgl. BVerfGE 124 300, 335). Auch eine derartige Konkretisierung hat mit einem Zustand konkreter Gefahr, in dem sich ein Individualrechtsgutsobjekt derart im Wirkbereich einer gefährlichen Handlung befindet, dass eine Wahrscheinlichkeit der Verletzung des Rechtsguts(objekts) besteht und deren Eintritt lediglich noch zufallsabhängig ist,66 nichts zu tun.67 Ein so verstandener Zustand konkreter Gefahr für ein Rechtsgutobjekt eines Individualrechtsgut existiert bei den Schutz von Kollektivrechtsgütern bezweckenden Eignungsdelikten nicht. Eine Zuordung zum Typus konkretes Gefährdungsdelikt scheidet damit aus.68 Die Besonderheit von Eignungsdelikten besteht vielmehr darin, dass der Gesetzgeber die Entscheidung darüber, ob die tatbestandliche Handlung im Einzelfall die erforderliche Eignung aufweist, dem Richter überlassen hat; die dabei zu berücksichtigenden Maßstäbe sind aber nicht mit denen konkreter Gefährdungsdelikte identisch.69 Es bewendet vielmehr bei Anforderungen allein an die Tathandlung. Angesichts der Unterschiede zu konkreten Gefährdungsdelikten einerseits sowie des Anknüpfens an vom Gesetzgeber als generell (rechtsguts)gefährlich bewertete Handlungen70 andererseits stehen Eignungsdelikte vom Typus des § 166 abstrakten Gefährdungsdelikten71 näher als konkreten Gefährdungsdelikten.72 Die Bedeutung der systematischen Einordnung sollte jedoch nicht überschätzt werden. Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung des § 166 hängt nicht daran, sondern an einer die Vorverlagerung des Rechtsgüterschutzes (Rdn. 2) begrenzenden Handhabung der Eignungsklausel73 (unten Rdn. 59 bis 65).
58 59 60 61
Zum Begriff Roxin/Greco AT1 § 11 Rdn. 162. Rogall SK Rdn. 2; Walter LK Vor §§ 13 ff Rdn. 66 m. w. N. Vgl. Hoyer S. 18. Insoweit zutreffend Walter in LK Vor §§ 13 f Rdn. 67 i. V. m. Rdn. 14, dessen eigene Terminologie sich mit der hier verwendeten nicht deckt. 62 Schröder JZ 1967 522; ähnlich ZStW 81 (1979) 18 ff. 63 Etwa Roxin/Greco AT1 § 11 Rdn. 162. 64 Zu den Anforderungen König in LK § 315b Rdn. 63. 65 Vgl. Radtke Die Dogmatik der Brandstiftungsdelikte (1998) S. 23 ff. 66 Radtke MK Vor § 306 Rdn. 8 m. w. N.; die Anforderungen an einen solchen Gefahrenzustand für ein Individualrechtsgutobjekt konkretisierend Radtke FS Geppert (2011) 461, 463 ff. 67 Vgl. Stübinger NK Rdn. 16. 68 Ebenso Rogall SK Rdn. 2. 69 So im Ansatz bereits Schröder ZStW 81 (1979) 18, 22. 70 Vgl. Gallas FS Heinitz 171. 71 Im Ergebnis für § 166 wie hier Fischer Rdn. 14a. 72 Ähnlich SSW/Hilgendorf Rdn. 19; krit. Rogall SK Rdn. 2. 73 Vgl. BVerfGE 124 300, 335 zu § 130 „Es geht um einen vorgelagerten Rechtsgüterschutz, der an sich abzeichnende Gefahren anknüpft, die sich in der Wirklichkeit konkretisieren.“. Radtke
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I. Allgemeine Bemerkungen
StGB § 166
b) Eignung zur Schädigung. Die generelle Gefährlichkeit des Verhaltens, das § 166 unter Stra- 13 fe stellt, ist nicht lediglich gesetzgeberisches Motiv geblieben, vielmehr muss sich die generelle Gefährlichkeit des Beschimpfens in der einzelnen Tathandlung in einer Weise verdichtet haben, die den Anforderungen an das Tatbestandsmerkmal der Eignung zur Schädigung genügt.74 Die Geeignetheit der Beschimpfung, den öffentlichen Frieden zu stören, muss konkret im Einzelfall ermittelt werden muss;75 fehlt die Eigung, entfällt § 166.76 Die Anforderungen, die an die Eignung und ihre Feststellung im Einzelfall zu stellen sind, werden kontrovers beurteilt (dazu Rdn. 59 bis 65).
4. Abgrenzung von verwandten Tatbeständen Verwandte Bezüge weist die Vorschrift insbesondere zu den Tatbeständen der Volksverhetzung 14 und der Beleidigung auf.
a) Volksverhetzung. Mit Volksverhetzung (§ 130 Abs. 1 Nr. 2) gibt es Überschneidungen (vgl. 15 Vor § 166 Rdn. 20), die aus Parallelen in der Struktur der Schutzzwecke herrühren (Rdn. 2). Ungeachtet dessen ist der Schutz des § 166 teils enger, teils weiter als der des § 130; enger insoweit, als Beschimpfungen religiöser oder weltanschaulicher Bekenntnisse (§ 166 Abs. 1) oder religiöser oder weltanschaulicher Gemeinschaften, ihrer Einrichtungen oder Gebräuche (§ 166 Abs. 2) zugleich Beschimpfungen der dazugehörenden Bevölkerungsteile sind, und sie sich außerdem als Angriffe auf die Menschenwürde der Betroffenen darstellen.77 § 166 reicht aber weiter, wenn die Beschimpfungen sich nicht zugleich gegen die durch das gemeinsame Bekenntnis oder die betreffenden Institutionen verbundenen Personen richten oder nicht die besondere Qualität eines Angriffs auf die Menschenwürde haben.78 So kann etwa religiöser Fanatismus (siehe Vor § 166 Rdn. 15), der den Anspruch einer Person in Frage stellt, den Inhalt ihres individuellen religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses als unmittelbar konstituierend für den eigenen Wert zu erleben, im Vorfeld des § 130 verbleiben, von § 166 aber bereits erfasst werden.79 b) Beleidigung. Mit den Beleidigungsdelikten (§§ 185–188) kann es gewisse Überlappungen 16 geben.80 Da diese als Rechtsgut die persönliche Ehre schützen,81 ist das individuelle Bekenntnis durch die Vorschriften über die Beleidigung mittelbar geschützt; das schließt den Schutz einer Mehrzahl einzelner Personen ein, die unter einer Kollektivbezeichnung beleidigt werden können.82 Davon verschieden können nach überwiegender Auffassung auch Gemeinschaften als solche jedenfalls dann beleidigungsfähig sein (vgl. BVerfGE 93 266, 291), wenn sie eine rechtlich anerkannte gesellschaftliche Funktion erfüllen und einen einheitlichen Willen bilden können
74 75 76 77 78 79 80
Berz S. 59; in der Sache nicht anders Rogall Rdn. 2 aE. BGHSt 46 212, 218; BGH NJW 1999 2129; Berz S. 59; Zaczyk JuS 1990 890. So zutreffend bereits Zipf NJW 1969 1944; vgl. auch Rogall Rdn. 2 aE; Schnieders S. 86 f. Manck S. 141. Vgl. Th. Fischer GA 1989 463 f. Fischer Rdn. 2; zu den Konkurrenzen unten Rdn. 111. Näher zum Verhältnis zwischen § 166 und § 185 Burghard S. 30 ff, 53 ff; Manck S. 137 ff; Isensee/Pawlik S. 51 ff; vgl. auch LG Köln MDR 1982 771. Zu den Konkurrenzen Rdn. 110. 81 Hilgendorf LK12 Vor § 185 Rdn. 1 ff. 82 Hilgendorf LK12 Vor § 185 Rdn. 28; Ignor S. 70; Krug S. 15 ff; Küper BT S. 72 f; H. Otto Jura 1997 146 f; Pawlik FS Küper 422 f; Piron/Rüfner/Germann/Muckel/Radtke § 75 Rdn. 46; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Vorbem §§ 185 Rdn. 5; Stumpf GA 2004 105 Fn. 4; Wehinger S. 17; siehe auch BVerfG MedR 25 (2007) 234. 251
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(BGHSt 6 186, 191).83 Das ist jedenfalls für die öffentlich-rechtlich verfassten christlichen Religionsgemeinschaften zu bejahen.84 Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof in einem Zivilrechtsstreit ein katholisches Bistum als Träger des Rechtsguts Ehre angesehen.85 Erhebliche Zweifel an der Beleidigungsfähigkeit bestehen bei Weltanschauungsvereinigungen (Dreher Prot. V/121 S. 2427), weil die Voraussetzungen für die Rechtsgutträgerschaft nicht ohne Weiteres vorliegen werden. Welche Anforderungen für die Beleidigung einer Religions- oder Weltanschauungsgeeinschaft im Einzelnen erfüllt sein müssen, richtet sich nach dem Beleidigungsstrafrecht.86
II. Der objektive Tatbestand von Absatz 1 17 Der objektive Tatbestand verlangt, dass der Inhalt eines religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses in bestimmter Weise beschimpft wird.
1. Angriffsgegenstand Angriffsgegenstand ist der Inhalt eines religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer, wobei die qualitativ-inhaltlich Anforderungen an ein Bekenntnis im Sinne von § 166 nicht vollständig geklärt sind.87
18 a) Bekenntnis. Bekenntnis bedeutet nach allgemeinem Sprachgebrauch das Bezeugen der eigenen Anschauung, den Akt des individuellen oder kollektiven Bekennens. Rechtlich wird der Begriff definiert als das über die bloße Überzeugung hinaus sich auch nach außen manifestierende Durchdrungensein von übergeordneten Vorstellungen, denen sich der Bekennende verpflichtet fühlt.88 Der Glaubenssatz einer Religionsgemeinschaft, jedem sei erlaubt, so zu leben, wie er wolle, dürfte dem nicht genügen.89 Ausdruck findet das Bekenntnis in der durch Art. 4 Abs. 2 GG gewährleisteten ungestörten Religionsausübung. Sie erstreckt sich über die Inhalte der Kultusfreiheit hinaus auf das Recht des Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten und seiner inneren Überzeugung gemäß zu handeln (BVerfGE 32
83 Vom Schrifttum weitgehend gebilligt, z. B. Fischer Vor § 185 Rdn. 12; Lackner/Kühl/Kühl Vor § 185 Rdn. 5; Maurach/Schroeder/Maiwald I § 24 Rdn. 17 ff; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm Vorbem §§ 185 Rdn. 3; Stumpf GA 2004 105 Fn. 4; Wessels/Hettinger Rdn. 468; vgl. auch Isensee/Isensee S. 122; krit. insb. H. J. Hirsch S. 103 ff. 84 Burghard S. 53 ff, 55 f; Arthur Kaufmann ZStW 72 (1960) 442 f; Manck S. 138; Pirson/Rüfner/Germann/Muckel/ Radtke § 75 Rdn. 47; vgl. auch Renzikowski GedS Meurer S. 186 mit Fn. 37; and. H. J. Hirsch S. 111. Kein ausreichend klar bestimmter Personenkreis sind „die Christen“ (LG Köln MDR 1982 771) und „der aus gläubigen Christen bestehende Teil der Hörerschaft“ (OLG Köln KirchE 101 102, 104), weil bei der Vielzahl christlicher Glaubensbekenntnisse eine Abgrenzung durch äußere Kriterien nicht möglich ist. Diese Rechtsprechung erlaubt indessen den Gegenschluss, dass die Angehörigen einer bestimmten Religionsgesellschaft ein ausreichend klar umgrenzter Personenkreis sind (dazu Wehinger S. 35, 44, 48). Krug nimmt im Anschluss an BGHSt 11 207 an, dass die Juden aufgrund ihres gemeinsamen, vom NS-Staat auferlegten Schicksals in der Allgemeinheit als eng umgrenzte Gruppe erscheinen, während beispielsweise die Katholiken kein vergleichbares Ereignis zu einer aus der Allgemeinheit hervortretenden Einheit verbunden hat (S. 30 f; vgl. dazu auch BGHZ 75 160 ff; Fischer Vor § 185 Rdn. 10; Karpen/Hofer JZ 1992 956). 85 BGH NJW 2006 601, 602. 86 Einzelheiten bei Hilgendorf LK12 Vor § 185 Rdn. 25 ff. 87 Vgl. Pirson/Rüfner/Germann/Muckel/Radtke § 75 Rdn. 22 m. w. N. 88 Fischer Rdn. 4 im Anschluss an BVerfGE 12 45, 55. 89 Vgl. VG Gelsenkirchen KirchE 22 204, 205. Radtke
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II. Der objektive Tatbestand von Absatz 1
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98, 106; 93 1, 15).90 Geschützt sind daher nicht nur die Pflege der spezifischen Glaubensinhalte, wie sie sich beispielsweise in Gebet und Gottesdienst, in Symbolen, so dem Kreuz und dem Kreuzzeichen91 sowie im Tragen des Kopftuchs durch die Muslimin,92 in Sakramenten und Prozessionen, in liturgischem Glockenläuten,93 dem Gebetsruf des Muezzins (näher Rdn. 95) und den rituellen Waschungen des Leichnams nach islamischen Vorschriften94 manifestieren, sondern auch äußerlich neutrale, aber subjektiv religiös motivierte Verhaltensweisen.95 Der Genuss von Marihuana gehört – unabhängig vom Motiv dafür – nicht hierzu.96 Ob ein Bekenntnis vorliegt, hat der Rechtsanwender im Einzelfall zu beurteilen und zu 19 entscheiden.97 Die dabei einzunehmende Perspektive ist nicht vollständig geklärt, was angesichts des allgemeinen Dilemmas zwischen staatlicher Definitionsmacht einerseits und dem grundrechtlichen Schutz der Definitionsfreiheit der Bekenntnisangehörigen anderseits98 nicht überrascht. Die Bandbreite der Möglichkeiten reicht von strikt objektiver Betrachtung bis hin zu einer Ausrichtung allein an der Selbsteinschätzung des bzw. der Bekennenden.99 Denjenigen, die sich für Letzteres aussprechen,100 ist zuzugestehen, dass eine andere Perspektive den von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ausgehenden Schutz einschränken oder gar marginalisieren könnte.101 Dennoch ist eine ausschließlich die Selbsteinschätzung für maßgeblich haltende Perspektive weder verfassungsrechtlich geboten102 (vgl. auch Rdn. 22) noch sachgerecht, weil ansonsten eine dem Rechtsgutsschutz nicht entsprechende Ausdehnung drohte, die über die Anforderungen an die Eignung der Tathandlung, den öffentlichen Frieden zu stören (Rdn. 59
90 91 92 93
Jeand’Heur/Korioth Rdn. 86. Einschr. BVerfGE 93 1, 16, 19 f im Zusammenhang mit der Problematik um das Kreuz im Klassenzimmer. Kästner FS Heckel 360. Liturgisches (sakrales, kultisches) Glockenläuten ist eine jahrhundertalte kirchliche Lebensäußerung, die, wenn sie, wie das morgendliche Angelus-Läuten oder das abendliche Gebets-Läuten, nach Zeit, Dauer und Intensität sich im Rahmen des Herkömmlichen hält, auch in einer säkularisierten Gesellschaft bei Würdigung der widerstreitenden Interessen hinzunehmen ist (BVerwGE 68 62, 67 f; VGH München NVwZ-RR 2005 315; VG Freiburg KuR 5 [1999] 202; VG Osnabrück KuR 5 [1999] 57; VG Würzburg ZevKR 16 [1971] 431, 432; NVwZ 1999 799; Listl/Pirson/Schlaich S. 169; Stolleis ZevKR 17 [1972] 153 ff). Eine Zivilgemeinde, die den kultischen Gebrauch usurpiert, verletzt Art. 28 GG, es sei denn, es habe in der Gemeinde seit Jahrzehnten ein weltliches Sterbegeläut bestanden, an dem sie bei der Neuanschaffung von Glocken festgehalten hat (BVerwG DVBl. 1964 1023). Nicht jedem Gebrauch der Kirchenglocken wohnt ein liturgischer Charakter inne. Er fehlt beispielsweise dem Zeitschlagen von Kirchenglocken (BVerwG NJW 1994 956; LG Aschaffenburg ZevKR 46 [2001] 338 mit Bespr. Schwerdtfeger ZevKR 46 [2001] 319) und dem Läuten aus Anlass eines Ereignisses, das keinen spezifischen kirchlichen Bezug hat, etwa einem Konzert (VG Stade NVwZ 1989 497, 499). Die Eigenschaft, liturgischen Zwecken zu dienen, erlangen Glocken durch Widmung (vgl. Rdn. 77). Sie währt solange, wie das Glockenläuten mit der Nutzung des betreffenden Gebäudes zu liturgischen Zwecken in Zusammenhang steht (BayVGH KirchE 31 67, 68). Die Rechtsnatur des liturgischen Glockenläutens ist umstritten (vgl. dazu z. B. BVerwG NJW 1994 956; OLG Frankfurt am Main NJW-RR 1986 735, 736 f; Jeand’Heur/Korioth Rdn. 246 ff; Martens FS Wacke 348 ff). 94 VG Berlin NVwZ 1994 617; Borowski S. 117; Kreß/Muckel S. 122; Zacharias ZevKR 48 (2003) 150 f; KuR 11 (2005) 116 f. 95 Jeand’Heur/Korioth Rdn. 79. 96 BVerwG NJW 2001 1365. 97 Vgl. BVerfGE 83 341, 353; siehe auch Radtke ZevKR 52 (2007), S. 617, 635; Referat auf dem 70. DJT, Verhandlungen des 70. DJT, Band II/1, 2014, L 33 f bzgl. der parallelen Fragestellung, ob es sich bei einer Person um einen „Geistlichen“ im Sinne von § 53 Abs. 1 Nr. 1 StPO handelt. 98 Vgl. Germann BeckOK-GG Art. 4 Rdn. 18.1. 99 Pirson/Rüfner/Germann/Muckel/Radtke § 75 Rdn. 22. 100 Etwa Rogall SK Rdn. 6 m. w. N. 101 Vgl. Rogall SK Rdn. 6 aE m. w. N. 102 BVerfGE 83 341, 353 hält für die Beurteilung, ob es sich um eine Religion bzw. Religionsgemeinschaft i. S. v. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG handele, gerade nicht die Selbsteinschätzung der Angehörigen für maßgeblich, sondern stellt darauf ab, dass es sich nach dem „geistigen Gehalt“ und dem „äußeren Erscheinungsbild“ um eine Religion oder Religionsgemeinschaft handele, was der staatliche Rechtsanwender zu beurteilen habe. 253
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bis 65), nicht ausreichend begrenzt werden könnte. Umgekehrt kann das Vorliegen eines Bekenntnisses nicht ausschließlich nach objektiven Kriterien erfolgen, wobei bereits unklar ist, was Maßstab und Bezugspunkt der Objektivität in diesem Kontext sein sollte. Die maßgebliche Perspektive kann daher lediglich aus einer Kombination von objektiven Anhaltspunkten und Berücksichtigung der Selbsteinschätzung gewonnen werden.103 Ausgehend von objektiven Anhaltspunkten („äußeres Erscheinungsbild“),104 etwa dem Inhalt der Glaubensschriften, ist unter Berücksichtigung der nach außen erkennbaren Selbsteinschätzung105 zu beurteilen, ob die in Rdn. 18 genannten Voraussetzungen eines Bekenntnisses im Einzelfall vorliegen. Das ermöglicht eine Einschätzung, ob etwa ein religiöses Bekenntnis nur vorgeschoben ist.106 Unter den vorgenannten Umständen kann auch das Bekenntnis fundamentalistisch ausgerichteter Gruppen erfasst sein. Ob die Beschimpfung solcher Bekenntnisse tatbestandlich ist, bestimmt sich dann anhand der Eignung der Tathandlung, den öffentlichen Frieden zu gefährden (dazu Rdn. 59 bis 65).107
20 b) Schutz des Inhalts des Bekenntnisses. Der Inhalt des Bekenntnisses, nicht das Bekenntnis selbst (vgl. BTDrucks. 19/19859 S. 60), wird geschützt, was teils zu einem eher einschränkenden, teils zu einem eher ausweitenden Verständnis des Angriffsgegenstandes führt.
21 aa) Einschränkung. Eingeschränkt wird der Tatbestand insofern, als das Bezeugen der eigenen Anschauung, der Akt des individuellen oder kollektiven Bekennens, als Objekt der Handlung ausscheidet. Die Anknüpfung an den Inhalt erfordert eine restriktive Auslegung,108 die den Strafschutz auf das Wesen der das betreffende Bekenntnis tragenden Lehren (vgl. BTDrucks. 19/ 19859 S. 60), etwa der jeweiligen Dogmenlehre,109 beschränkt. Das Wesen eines Bekenntnisses liegt in der Gesamtheit der Werte, die von dem Einzelnen oder einer Mehrheit als etwas absolut Gültiges und Verpflichtendes anerkannt werden.110 Dabei kann es sich um formulierte Lehren und Regeln einer religiösen oder weltanschaulichen Vereinigung ebenso wie um individuelle Glaubensvorstellungen Einzelner (dazu Rdn. 28) handeln.111 Auf die Form kommt es nicht an. Der so manifestierte Inhalt des Bekenntnisses kann als Ganzes Objekt des Beschimpfens sein.112 Bei einem das Bekenntnis als Ganzes treffenden Angriff ist nicht erforderlich, dass der Inhalt näher konkretisiert wird.113
103 Zur Methodik bereits Radtke ZevKR 52 (2007), S. 617, 635; Referat auf dem 70. DJT, Verhandlungen des 70. DJT, Band II/1, 2014, L 33 ff; Prison/Rüfner/Germann/Muckel/Radtke § 75 Rdn. 22; in der Sache insoweit weitgehend übereinstimmend Hörnle MK Rdn. 9. 104 BVerfGE 83 341, 353. 105 Etwa die Regelungen der Pfarrerdienstverhältnisse oder über die Vornahme seelsorgerlicher Handlungen auch durch Laien im Kirchenrecht der christlichen Kirchen, vgl. ausführlich Radtke ZevKR 52 (2007) S. 617, 635 ff für die Beurteilung der Eigenschaft einer Person als „Geistlicher“ i. S. v. § 53 Abs. 1 Nr. 1 StPO. 106 Sachs/Kokott Art. 4 Rdn. 20; vgl. auch BVerfGE 105 279, 293. 107 Pirson/Rüfner/Germann/Muckel/Radtke § 75 Rdn. 22. 108 Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Stübinger NK Rdn. 8 i.Vm. Rdn. 6; Zipf NJW 1969 1944. 109 Maurach/Schroeder/Maiwald II, 10. Aufl., 2012, § 61 Rdn. 10. 110 Bettermann/Nipperdey/Scheuner/Hamel S. 56; Pirson/Rüfner/Germann/Muckel/Radtke § 75 Rdn. 22; Rogall SK Rdn. 3; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4; Stübinger NK Rdn. 2; Vater S. 43; Zipf NJW 1969 1944. 111 Pirson/Rüfner/Germann/Muckel/Radtke § 75 Rdn. 22. 112 Listl/Pirson/Eser S. 1028; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4; and. Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2 (nur essentielle Bestandteile des Bekenntnisses); vgl. auch Zipf NJW 1969 1944. 113 OLG Koblenz NJW 1993 1808 (zur Äußerung „protestantische Scheiße“); Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4; and. Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2. Radtke
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II. Der objektive Tatbestand von Absatz 1
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bb) Erweiterung. Ein ausweitendes Verständnis des Angriffsgegenstandes resultiert da- 22 raus, dass Inhalt des Bekenntnisses auch Teile des Glaubensgutes sein können. Die Beschimpfung von Teilen genügt, wenn es sich um wesentliche Aussagen handelt, bei religiösen Bekenntnissen um Glaubenssätze von prägender Bedeutung, bei weltanschaulichen Bekenntnissen um tragende Sachaussagen.114 Zu den essentiellen Bestandteilen religiöser Bekenntnisse zählt in erster Linie der von Religionsgesellschaften, aber auch von einem Einzelnen geglaubte Gott (vgl. bereits BTDrucks. V/4094 S. 28).115 Prägende christliche Glaubenssätze sind ferner die Christusverehrung,116 der Trinitätsgedanke117 und, für die katholische Kirche, die Mutter Jesu.118 Auch eine regional begrenzte Heiligenverehrung gehört, ungeachtet der in der katholischen Kirche nach Umfang und Ausgestaltung sehr unterschiedlichen Erscheinungen dieser Art, hierzu.119 Sollen selbst abwegige und verworrene Bekenntnisse Einzelner zu schützen seien (vgl. Rdn. 28), so kann eine wesentliche religiöse oder weltanschauliche Auffassung mehrerer, auch wenn sie nur lokale Bedeutung hat, nicht ausgenommen sein. Eine gewisse objektive Bedeutung muss aber auch einer individuellen Glaubensvorstellung schon wegen der Anknüpfung an das Wesen des Bekenntnisses (Rdn. 18) innewohnen. Die Abgrenzung essentieller Bestandteile von unwesentlichen Sachaussagen eines Bekenntnisses kann im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten,120 die ihre Ursache unter anderem in Unklarheiten über die bei der Beurteilung der Wesentlichkeit einzunehmenden Perspektive haben; es gelten auch insoweit die in Rdn. 19 dargestellten Maßstäbe. c) Religiöses oder weltanschauliches Bekenntnis. Das Bekenntnis, dessen Inhalt Objekt 23 der Beschimpfung ist, muss ein religiöses oder weltanschauliches sein.
aa) Die Begriffe Religion und Weltanschauung. Die Begriffe Religion und Weltanschauung sind in ihrer Herkunft und im Wesen ihrer jeweiligen Aussage höchst unterschiedlich. Religion ist ein alter, bereits in der Antike verwendeter Ausdruck, Weltanschauung hingegen eine erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entstandene Bezeichnung. Während Religion bis heute trotz einer kaum noch überschaubaren Zahl von Erklärungsversuchen zu keiner selbst nur Minimalkonsens beanspruchen könnenden Definition gefunden hat, besteht bei der philosophischen Ausdeutung von Weltanschauung verhältnismäßig große Übereinstimmung. In die Diskussion eingeführt wurde der Begriff von Kant in seiner „Kritik der Urteilskraft“. Er bezeichnete ursprünglich eine persönliche Zusammenfassung der Unendlichkeit der durch die Sinne erfassten Welt.121 Unter dem Einfluss philosophischen, religiösen und naturwissenschaftlichen Ge-
114 Listl/Pirson/Eser S. 1028; Fischer Rdn. 4; Rogall SK Rdn. 5; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4. 115 In dieser besonderen Form der Beschimpfung ist die Gotteslästerung, obwohl als eigener Tatbestand gestrichen, noch immer strafbar (Listl/Pirson/Eser S. 1028; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4; Sturm NJW 1969 1607; ferner Schmied/Wunden/Schmied S. 22). Ein Beispiel dafür ist der Streit um die Inschrift eines 1933 entfernten, später wieder aufgestellten Denkmals des materialistischen Philosophen Ludwig Feuerbach: „Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde“; vgl. dazu BayVerfGE 9 147 und die Darstellung bei Listl Religionsfreiheit S. 299 f. 116 LG Köln MDR 1982 771; Listl/Pirson/Eser S. 1028; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4; Zipf NJW 1969 1944. 117 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4; Stübinger NK Rdn. 6. 118 LG Düsseldorf NStZ 1982 290 (zur Äußerung „Maria, hättest du abgetrieben, der Papst wäre uns erspart geblieben“); Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4; Stübinger NK Rdn. 6. 119 Listl/Pirson/Eser S. 1028; aA Zipf NJW 1969 1944. 120 Vgl. schon RGSt 26 294, 295 zur Frage, ob in einem Angriff auf das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes eine Beschimpfung der katholischen Kirche liegt. 121 Näher dazu H. G. Meier S. 71 f. 255
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dankenguts hat er seitdem mancherlei Veränderungen erfahren.122 Doch ist der Grundgedanke, dass Weltanschauungen keine Wissenschaftssysteme sind, sondern individuelle Deutungsauffassungen vom Leben und von der Welt als eines Sinnganzen, stets erhalten geblieben. Nach heutigem Verständnis leistet Weltanschauung „eine besondere Hinsicht auf Welt, mit dem weiten Spielraum von skeptischen oder betont subjektiven Positionen bis zu streng monokausal, aber nicht notwendig rational festgelegten Gesamterklärungen von Welt, die allgemeine Anerkennung fordern“ (Baer/Gasper/Müller/Sinabell/Gerl-Falkovits Sp. 1374). Anknüpfungspunkte der jeweiligen Gesamtansicht sind die wichtigsten Leitprinzipien der Welt, das Individuum, die Gemeinschaft, die Zukunft, die Allmacht, die Tat und die Wirklichkeit. Neben der Wertung von Welt zielen sie oft auch auf eine Gestaltung von Welt ab. Nicht selten münden sie in den Anspruch, unter dem jeweiligen Blickwinkel zur Verbesserung der Welt oder doch von Vielem in ihr berufen zu sein.123
24 bb) Kein staatliches Definitionsverbot. Jeder Versuch, die Inhalte von Religion und Weltanschauung zu bestimmen, muss berücksichtigen, dass es dem zu religiöser und weltanschaulicher Neutralität verpflichteten Staat verwehrt ist, Glaubens- und Überzeugungsinhalte zu bewerten.124 Dies ist allein Sache der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften selbst. Hieraus ergibt sich jedoch kein umfassendes staatliches Definitionsverbot. Auch der religiös und weltanschaulich neutrale Staat muss grundsätzlich die betreffenden verfassungsrechtlichen Begriffe interpretieren und das tatsächliche Verhalten einer religiösen oder weltanschaulichen Gruppierung, selbst wenn es letztlich religiös oder weltanschaulich motiviert ist, beurteilen können; dies allerdings nach allgemeingültigen, nicht konfessionell oder weltanschaulich gebundenen Gesichtspunkten unter Wahrung des religiösen oder weltanschaulichen Selbstverständnisses der Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften im Interesse ihrer verfassungsrechtlich gewährten Eigenständigkeit (siehe bereits Rdn. 19).125 In diesem Sinne darf er entscheiden, was er in seiner Rechtsordnung als Religion anerkennt.126 Nur so ist er imstande festzustellen, ob es sich bei einzelnen Zusammenschlüssen unabhängig davon, wie sie sich bezeichnen, nach geistigem Gehalt und äußerem Erscheinungsbild tatsächlich um Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften im Sinne des Grundgesetzes (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, Art. 140 GG mit Art. 137 Abs. 3 WRV) handelt (vgl. Rdn. 67 bis 91), wobei es durchaus auch auf das rein subjektive Selbstverständnis der Gemeinschaft als Abgrenzungskriterium ankommen kann (Rdn. 19).127 Besondere Bedeutung hat die nach den in Rdn. 19 und vorstehend dargelegten Maßstäben erfolgende Beurteilung seitens des Staates, wenn bei einer Vereinigung die Verfol122 Ausführlich dargestellt bei H. G. Meier S. 86 ff. Eine besondere Erscheinungsform war die nationalsozialistische Weltanschauung, die ab 1941 als Pflichtfach den Religionsunterricht ersetzte. Der Marxismus-Leninismus begriff sich bis 1989, ebenfalls in Ablösung von Religion, als „wissenschaftliche“ Weltanschauung mit Mechanismen zur Unterdrückung aller anderen Weltanschauungen (in Baer/Gasper/Müller/Sinabell/Gerl-Falkovits Sp. 1375). 123 Zu „unentrinnbaren Verwirrungen“ um den Begriff Weltanschauung E. Fischer Trennung S. 53 ff. 124 BVerfGE 12, 1, 4; 42 312, 330; 74 244, 252, 255; OVG Berlin OVGE 10 105, 107; NVwZ 1999 786, 787; Listl/Pirson/ v. Campenhausen S. 49; ThR 69 (2004) 278; v. Campenhausen/deWall S. 56; Friesenhahn ZSchwR 94 (1975) 5; Fuss DÖV 1961 735; Heckel DVBl. 1996 453, 465, 468; Jetzkowitz S. 170; Jurina in Listl/Pirson/Jurina S. 697 f; Listl/Pirson/ Kirchhof S. 666, 668; ZThK 103 (2006) 114 f; Listl/Pirson/Listl S. 449; Mayer-Scheu S. 241 ff; Meyer-Teschendorf Staat S. 124 ff; Pagels JuS 1996 794; Reupke KuR 3 (1997) 1; Roellecke Religion S. 17; Uhl S. 60; Herm. Weber ZevKR 41 (1996), 218. 125 BVerfGE 24 236, 247 f; 102 370, 394; BVerfG NJW 2002 2626, 2627; Bader/Rauscher/Badura S. 60 f; v. Campenhausen/deWall S. 56 f; F. Dietrich ARSP 90 (2004) 5; Fleischer S. 125, 177; Isensee Freiheitsrechte, S. 12, 60; Kästner AöR 1998 410 f; M. Mayer NVwZ 1997 561 f; Muckel Freiheit S. 121 f; Müller-Volbehr DÖV 1995 302 ff; Sachs/Kokott Art. 4 Rdn. 14 f; Veelken S. 30 f. 126 Kästner JZ 1998 978; vgl. auch BVerfG NJW 2002 3458; BVerwG NVwZ 1994 162. 127 BVerfGE 83 341, 353; Badura Staatsrecht S. 139 f; vgl. auch Fechner Jura 1999 516; Heckel ZevKR 44 (1999) 367 f; Jeand’Heur/Korioth Rdn. 86; Listl/Pirson/Listl S. 453 ff; Muckel FS Isensee 243 f; Thüsing ZevKR 45 (2000) 595; Radtke
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gung wirtschaftlicher Interessen den religiösen oder weltanschaulichen Zweck überlagert (vgl. Rdn. 71). Hier muss es dem Staat möglich sein, die vorgegebene subjektive Zwecksetzung als Vorwand zu erkennen.128
cc) Religiöses Bekenntnis. Religiös ist ein Bekenntnis dann, wenn sein Inhalt durch den 25 Glauben an ein höheres göttliches Wesen (Monotheismus) oder an mehrere solche Wesen (Polytheismus) geprägt ist, mithin Ge- und Verbote, die für den Bekennenden Maxime seines Handelns sind, als göttliche erachtet werden.129 Im Kern geht es um den Glauben an Gott als den letzten Weltgrund.130 Grundlage ist ein Transzendenzverständnis, das sich unter dem Wort Gott personal-ideologisch erschließt).131 Durch die Bindung des Menschen an Gott wird die Gottesvorstellung selbst zum Inhalt des religiösen Bekenntnisses (Welzel Strafrecht § 65 I 2).132 dd) Weltanschauliches Bekenntnis. Weltanschaulich ist demgegenüber ein Bekenntnis, 26 das ohne Rückgriff auf ein göttliches Wesen das Jenseits oder die Transparenz des Weltganzen universell zu begreifen und die Stellung des Menschen in der Welt zu erkennen und zu bewerten sucht, und das die sich zu ihm Bekennenden als ihnen übergeordnet und sie verpflichtend anerkennen.133 Überzeugungen zu einzelnen Teilaspekten des Lebens genügen nicht. Auch ist, anders als beim religiösen Bekenntniss, dem weltanschaulichen Bekenntnis ein metaphysischer Bezug nicht wesentlich.134 Bei ihm handelt es sich um ein rein diesseitiges Phänomen (vgl. BVerfGE 32 98, 108; BVerwGE 90 112, 115),135 wobei das Fehlen des Glaubens an eine unentrinnbare jenseitige Macht zumeist eine weniger intensive Verbindlichkeit begründet.136 Von Art. 4 GG geschützte Weltanschauungen müssen über eine ähnliche Geschlossenheit verfügen, wie die im abendländischen Kulturkreis bekannten Religionen.137 Den großen christlichen Kirchen vergleichbare Organisationsstrukturen setzt das allerdings nicht voraus. Beispiele weltanschaulicher Bekenntnisse in diesem Sinne sollen die ökonomische Theorie des Ordoliberalismus oder
Trute Jura 1996 465. Zur Tendenz einer objektivierenden Auslegung Müller-Volbehr ZRP 1991 349; ZevKR 44 (1999) 399. 128 Waldhoff EssGespr. S. 75. 129 Rogall SK Rdn. 2; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 2; Seidel S. 152; vgl. auch W. Bock AöR 1998 453 f, 458 f; Dreier/Morlok Art. 4 Rdn. 42; Bettermann/Nipperdey/Scheuner/Hamel S. 65; Heckel ZevKR 44 (1999) 373; Dreier/Hilgendorf/Hörnle S. 319; Kind S. 2 f; Leutenbauer S. 290 f; Maunz/Dürig/di Fabio Art. 4 Rdn. 66; Sachs/Kokott Art. 4 Rdn. 17; Vater S. 43; Veelken S. 41 f. 130 Joecks Rdn. 2; Otto BT § 64 Rdn. 4; vgl. auch Herzog, der unter religiösen Bekenntnissen solche Weltanschauungssysteme versteht, die Gott, mehrere Götter oder eine metaphysische Größe als letzten Weltgrund ansehen (NK4 Rdn. 3). 131 E. Fischer Trennung S. 29. 132 Zu den anerkannten und nicht anerkannten Religionsgesellschaften Rdn. 81 bis 89. 133 BVerwGE 89 368, 370 f; ferner Anschütz Art. 137 Anm. 12; Badura Staatsrecht S. 142; Dreier I Art. 4 Rdn. 43; Hollerbach HdbStR VI Rdn. 137; Hörnle MK Rdn. 8; Kind S. 3; Listl/Pirson/Kirchhof S. 680 f; Krech/Kleiminger S. 1023; Leutenbauer S. 291; v. Mangoldt/Klein/Starck/v. Campenhausen Art. 137 Rdn. 29; Maunz/Dürig/Korioth Art. 140 Rdn. 20; Bettermann/Nipperdey/Scheuner/Mikat S. 150; Rogall SK Rdn. 3; Schöch FS Müller-Dietz 806; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6; Schnorr § 2 Rdn. 40; Seidel S. 153; vgl. auch: v. Campenhausen/deWall S. 118; Dreher Prot. V/121 S. 2433; K. Peters S. 39; Sachs/Kokott Art. 4 Rdn. 20; Veelken S. 43; krit. Blei § 35 II. 134 Otto BT § 64 Rdn. 4. 135 Siehe auch Thüsing ZevKR 45 (2000) 595. 136 Dreier/Hilgendorf/Hörnle S. 319 Fn. 28. 137 BVerwGE 89 368, 371; v. Campenhausen HdbStR VI Rdn. 43; v. Mangoldt/Klein/Starck/Starck Art. 4 Abs. 1, 2 Rdn. 31; vgl. auch Hollerbach HdbStR VI Rdn. 137. 257
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des Keynesianismus,138 das ökozentrische Weltbild,139 der Darwinismus,140 der Monismus,141 der Pantheismus, der Determinismus,142 der Rationalismus, der Skeptizismus,143 die Existenzphilosophie,144 die Anthroposophie,145 aber auch areligiöse und glaubensfeindliche (VG Mainz NVwZ 1985 136, 137) Gesamtanschauungen wie der humanitäre Idealismus,146 der Materialismus147 und der Atheismus sein.148 Politische Auffassungen sollen ebenfalls in diesem Sinne weltanschauliche Bekenntnisse sein;149 so wird ewa auch der der theoretische Marxismus als Weltanschauung bewertet.150 Besinnt man sich auf den trotz aller sonstigen Kontroversen weitgehend konsentierten Kern von Weltanschauung, dass es sich um individuelle Deutungsauffassungen vom Leben und von der Welt als eines Sinnganzen handelt (Rdn. 23), bestehen allerdings erhebliche Zweifel, ob derartige politische Ideologien als Weltanschauung oder weltanschauliches Bekenntnis gedeutet werden können. Diese Zweifel verstärken sich bei Berücksichtigung des Menschenwürdekerns der von Art. 4 Abs. 1 GG gewährleisteten Religionsund Weltanschauungsfreiheit.151 Führt man – entstehungsgeschichtlich naheliegend152 – den Grundrechtstatbestand der Religionsfreiheit (und dementsprechend der Weltanschauungsfreiheit) auf ein Menschenbild zurück, „das die Würde des Menschen als Quelle seiner ohne Zwang gefassten weltanschaulichen Haltung ansieht und diese damit in einer tieferen Schicht menschlicher Verantwortung verwurzelt, nicht aber in der Beliebigkeit freien Handelns“,153 liegt bei politischen Ideologien, die den Menschenwürdeanspruch jedes einzelnen Menschen negieren, die Einordnung als Weltanschauung nicht nahe. Eindeutig kein weltanschauliches Bekenntnis sind Programme der politischen Parteien, weil solche Programme keine einheitliche Gesamtkonzeption der Welt im ganzen ausdrücken, sondern stets nur Ausschnitte des Lebens erfassen.154
27 ee) Unterscheidungen. Die Unterscheidung zwischen religiösen und weltanschaulichen Bekenntnissen stößt im Einzelfall vor allem deshalb auf Schwierigkeiten, weil es dem Sprachgebrauch entspricht, einer von jemandem geglaubten Sinndeutung der Welt im ganzen und der Stellung des Menschen in ihr „religiöse“ Bedeutung beizumessen, obwohl ein solches Bekennt138 139 140 141 142 143 144
Preuss AK-GG Art. 4 Abs. 1, 2 Rdn. 31; zweifelhaft. Hörnle MK Rdn. 8. Hörnle MK Rdn. 8; v. Mangoldt/Klein/Starck/Stark Art. 4 Abs. 1, 2 Rdn. 3. Rogall SK Rdn. 3. Schnorr § 2 Rdn. 40. Bettermann/Nipperdey/Scheuner/Hamel S. 64. Listl/Pirson/Eser S. 1029; Hörnle MK Rdn. 8; Maunz/Dürig/di Fabio Art. 4 Rdn. 67; Rogall SK Rdn. 3; Schöch FS Müller-Dietz 806; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6. 145 Hörnle MK Rdn. 8; Schöch FS Müller-Dietz 806; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6. 146 v. Mangoldt/Klein/Starck/Starck Art. 4 Abs. 1, 2 Rdn. 11; Rogall SK Rdn. 3; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6. 147 Rogall SK Rdn. 3; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6. 148 Vgl. insgesamt die ausführliche Darstellung bei Schnieders S. 76 ff, zusf. S. 128 ff. Näher zu Weltanschauungsvereinigungen Rdn. 90 und 91. 149 Burghard S. 27; vgl. jedoch Sturm NJW 1969 1607 Fn. 16. 150 Hörnle MK Rdn. 8; v. Mangoldt/Klein/Starck/Starck Art. 4 Rdn. 31; Maunz/Dürig/di Fabio Art. 4 Rdn. 67; Rogall SK Rdn. 3; Schöch FS Müller-Dietz 806; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6; and. Fischer Rdn. 4. 151 Zum Menschwürdekern knapp einführend Germann BeckOK-GG Art. 4 Rdn. 1 m. w. N. 152 Maunz/Dürig/di Fabio GG Art. 4 Rn. 43 weist zutreffend darauf hin, dass die Aufnahme des Begriffs „Weltanschauung“ in das Grundgesetz angesichts des Selbstverständnisses des Nationalsozialismus als solche etwas überraschend ist; allerdings kann angesichts der fundamentalen Ausrichtung des Grundgesetzes auf die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) ausgeschlossen werden, dass Weltdeutungen, die die Würde jedes einzelnen Menschen gerade nicht akzeptieren, dem Schutzbereich von Art. 4 Abs. 1 GG unterfallen. 153 Scheuner DÖV 1967, 585, 589; siehe auch v. Mangoldt/Klein/Starck/Starck Art. 4 Rdn. 33. 154 Rogall SK Rdn. 3; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6; ferner Dreher Prot. V/121 S. 2433; and. Hörnle MK Rdn. 8; vgl. auch Rdn. 72. Radtke
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nis richtigerweise als „weltanschaulich“ anzusehen ist.155 Besondere praktische Bedeutung haben die Abgrenzungsschwierigkeiten indessen nicht. Bleibt zweifelhaft, ob das Bekenntnis ein religiöses oder ein weltanschauliches ist, so darf der Richter im Hinblick auf die rechtliche Gleichstellung sich im Urteil auf die Feststellung beschränken, dass das eine oder das andere vorliegt.156
d) Bekenntnis anderer. Schließlich muss es sich um das Bekenntnis anderer handeln, wobei 28 nicht nur das Bekenntnis einer Gemeinschaft, sondern auch das eines Einzelnen in Betracht kommt.
aa) Individuelle Überzeugungen. Gegen die Berücksichtigung individueller Überzeugun- 28a gen (vgl. schon Rdn. 22) sind im Gesetzgebungsverfahren ebenso systematische, wie auch kriminalpolitische Bedenken erhoben worden (Dreher Prot. V/121 S. 2429).157 Doch hat sich der Gedanke durchgesetzt, dass auch der Einzelne „in den letzten, delikatesten geistigen und moralischen Positionen“ (Nellen Prot. V/121 S. 2430 f) zu schützen sei. Deshalb soll der Tatbestand nach verbreiteter Auffassung selbst abwegige und verworrene Bekenntnisse erfassen, mit denen ein Einzelner völlig allein dasteht.158 Die im Ansatz berechtigte Befürchtung, diese Auslegung werde zu einer Ausuferung des Tatbestandes führen,159 schlägt nur deshalb nicht durch, weil die Beschimpfung einer derartigen Auffassung regelmäßig nicht geeignet sein dürfte, den öffentlichen Frieden zu stören (Müller-Emmert Prot. V/121 S. 2432); siehe auch bereits Rdn. 19 aE. bb) Beschimpfung des eigenen Bekenntnisses. Regelmäßig wird der Täter dem Bekennt- 29 nis, das er beschimpft, selbst nicht angehören. Deshalb war die vom Sonderausschuss in erster Lesung beschlossene Fassung, wonach die Beschimpfung geeignet sein sollte, das friedliche Zusammenleben der verschiedenen Bekenntnisse zu stören (Prot. V/121 S. 2435 f), in zweiter Lesung nach Vorstellungen der Länder geändert worden. Sie hatten, mit Recht, geltend gemacht, diese Eignungsklausel erfasse nicht den Fall, dass ein Bekenntnisloser die Bekenntnisse beschimpft, weil dessen Beschimpfung, statt den religiösen Frieden zu stören, eher die gegenteilige Wirkung eines engeren Zusammenschließens bewirke (Prot. V/134 S. 2806 f).160). Dessen ungeachtet liegt eine Beschimpfung des Bekenntnisses anderer aber auch dann vor, wenn der Täter selbst dem betreffenden Bekenntnis angehört; es genügt, dass außer ihm noch andere sich dazu bekennen161 Ob unter solchen Umständen die erforderliche Eignung zur Friedengefährdung vorliegt, ist auch hier zu bezweifeln (vgl. Rdn. 21).
155 Vgl. v. Campenhausen/deWall S. 118. 156 Listl/Pirson/Eser S. 1029; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6; ferner v. Mangoldt/Klein/Starck/Starck Art. 4 Abs. 1, 2 Rdn. 48; Schnieders S. 119 ff. 157 Wobei der Blick auf die österreichischen Bemühungen um die Erneuerung der Religionsdelikte, bei denen der Gedanke, den Schutz auf die private Religionsausübung eines Einzelnen auszudehnen, als offensichtlich zu weitgehend nicht näher verfolgt worden ist (vgl. Klecatsky ÖAKR 21 [1970] 44), sowie auf die Auslegung des dem Anwendungsbereich des § 166 entsprechenden Art. 261 SchwStGB (s. Schwander S. 106 f) eine Rolle gespielt haben mag. 158 Rogall SK Rdn. 3, 15; Schmitz S. 49 f; ferner Bühler Prot. V/121 S. 2430, 2432; Meyer Prot. V/121 S. 2428 f; MüllerEmmert Prot. V/121 S. 2431 f; Otto BT § 64 Rdn. 3; and. Diemer-Nicolaus Prot. V/121 S. 2430, 2432. 159 Schnieders S. 138; Zipf NJW 1969 1945; siehe auch Schwanders S. 106 f. 160 Vgl. auch Pawlik FS Küper 416. 161 Listl/Pirson/Eser S. 1029; Rogall SK Rdn. 3; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 7; siehe auch Pirson/Rüfner/ Germann/Muckel/Radtke § 75 Rdn. 22 m. w. N. 259
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2. Die Tathandlung 30 Die Tathandlung erfordert ein Beschimpfen des Bekenntnisses, das unter bestimmten erschwerenden Umständen, nämlich öffentlich oder durch Verbreiten von Inhalten (§ 11 Abs. 3), vorgenommen werden und geeignet sein muss, den öffentlichen Frieden zu stören.
a) Beschimpfen. Beschimpfen ist jede durch Form oder Inhalt besonders verletzende Äußerung der Missachtung.162
31 aa) Normativer Begriff. Der normative Begriff der Beschimpfung ist derselbe wie in § 90a Abs. 1 Nr. 1. Der Angriff muss nicht gegen bestimmte Inhalte der Glaubenslehre gerichtet sein; vielmehr genügt eine Tathandlung, die ohne konkreten Inhaltsbezug das Bekenntnis als Ganzes angreift.163 Denn der öffentliche Friede wird durch das pauschale Verächtlichmachen eines Bekenntnisses insgesamt gleichermaßen bedroht, wie durch herabsetzende Äußerungen über einzelne Glaubensinhalte (KG KirchE 38 131). Ein Beschimpfen liegt nach bisherigem Verständnis an sich in jeder herabsetzenden Äußerung (siehe aber zu Begrenzungen Rdn. 24 und 26). Doch erfasst der Begriff in § 90a Abs. 1 Nr. 1 und § 166 nur eine besonders verletzende Kundgabe der Missachtung.164 Diese besondere Verletzung kann sowohl aus dem Inhalt der Äußerung als auch aus deren Form resultieren.165 Sie drückt sich häufig in einem abfälligen Werturteil aus.166 Beispielhaft dafür ist die Bezeichung der jüdischen Religion als „faschistisch“ (KG KirchE 38 131), während die Verwendung des Ausdrucks „Jude“ für sich allein kein abfälliges Werturteil ist, es sei denn, die Herabsetzung ergäbe sich aus Begleitumständen, etwa der Identifizierung des das Wort Gebrauchenden mit der nationalsoziaistischen Rassenideologie und dem Zusammenhang der Äußerung mit ihr (BVerwG NJW 2001 61). Ähnlich liegt es bei der Bemerkung, ein gläubiger Christ sei durch die Taufe „vorbestraft“ und werde durch die Beichte „rückfällig“, weil hier das eindeutig negative Werturteil der Straffälligkeit ohne jede sachliche Vergleichsbasis auf die kirchliche Lehre übertragen wird,167 während die Bezeichnung der Taufe als „Fangriemen“ und der Beichte als „Leitriemen“ der Kirche trotz aller sarkastischen Härte noch als erlaubte Kritik am christlichen Glauben angesehen werden kann.168 Unter Umständen liegt eine besonders verletzende Kundgebung der Missachtung aber auch in der bloßen Behauptung einer Tatsache, dann jedenfalls, wenn sie sich als so ehrenrührig erweist, dass ihre Zurückführung auf eine Religionsgesellschaft für diese selbst schimpflich ist.169 Das besonders Verletzende einer Beschimpfung ergibt sich entweder aus der Rohheit des Ausdrucks oder inhaltlich aus dem 162 Rogall SK Rdn. 1. 163 OLG Koblenz NJW 1993 1808, 1809; Hörnle MK Rdn. 14; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4; and. Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2.
164 BGHSt 7 110; BGH NJW 1961 1932, 1933; NStZ 2000 643; RGSt 57 209, 211; 61 308; 64 121, 124; 67 373, 375; OLG Celle NJW 1986 1275, 1276; OLG Düsseldorf NJW 1983 1211; OLG Hamburg GA 1962 345, 347 („Nato unser“), besprochen bei Listl Religionsfreiheit S. 295 f und Skriver S. 120 ff; OLG Karlsruhe NStZ 1986 363, 364; OLG Köln NJW 1982 657, 658; OLG München ZUM 1984 595; OLG Nürnberg NStZ-RR 1999 238, 239; LG Bochum NJW 1989 727, 728; LG Frankfurt am Main NJW 1982 658, 659; LG München ZUM 1985 465, 486; Listl/Pirson/Eser S. 1030; Fischer § 90a Rdn. 4; Giehring StV 1985 33; Hörnle MK Rdn. 17; Joecks Rdn. 4; Ling KuR 10 (2004) 174; Ott NStZ 1986 366; Otto BT § 64 Rdn. 3; Pawlik FS Küper 422; Rogall SK Rdn. 1 und 12; Schilling S. 133; Schmied/Wunden/Schmied S. 22; Schmitz S. 57 f; Schnieders S. 143 ff; Sch/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben § 90a Rdn. 5; Steinbach JR 2006 496; Zipf NJW 1999 1944; vgl. auch Sturm Prot. V/121 S. 2426, 2434; krit. Renzikowski GedS Meurer S. 184. 165 Rogall SK Rdn. 12 m. w. N. 166 Fischer Rdn. 12; Rogall SK Rdn. 11; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 9; Schmitz S. 58; Zipf NJW 1969 1944. 167 So schon RGSt 67 373 mit Anm. Kern JW 1934 424. 168 Zipf NJW 1969 1944; vgl. auch LG Düsseldorf NStZ 1982 290, 291. 169 BGH GA 1956 316; Hörnle MK Rdn. 16; Rogall SK Rdn. 11; Sch/Schröder/Bosch/Schitenhelm Rdn. 9. Radtke
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II. Der objektive Tatbestand von Absatz 1
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Vorwurf eines schimpflichen Verhaltens oder Zustandes.170 Dadurch vor allem hebt sich das Beschimpfen von bloß geringschätzigen oder beleidigenden Äußerungen ab. Zu eng ist aber, das Verletzende nur in der Roheit des Ausdrucks oder inhaltlich in dem Vorwurf eines schimpflichen Verhaltens oder Zustandes zu sehen.171 Denn es kann auch dadurch zum Ausdruck kommen, dass die von den Anhängern des Bekenntnisses als heilig angesehenen geistigen Inhalte in den Schmutz gezogen oder grob diffamiert werden.172 Mitunter erfüllt ein und derselbe Vorgang all diese Kriterien.173 Die Bezeichnung der katholischen Kirche als „Kinderfickersekte“174 oder diejenige von Papst Franziskus als „Papstsau“175 stellt sich jeweils als schon wegen der Roheit der Ausdrücke als Beschimpfen dar.176 Ob die Äußerung strafbar ist, hängt von ihrer Eignung ab, den öffentlichen Frieden zu gefährden.177 Auch die Wiedergabe fremder Äußerungen kann ein Beschimpfen sein. Voraussetzung dafür ist, dass der Täter sich die Äußerungen zu eigen macht.178
bb) Kein kritikfreier Raum. Ein kritikfreier Raum hat für § 166 schon in seiner ursprüngli- 32 chen Fassung nicht bestanden. Das Grundrecht der Religions- und Weltanschauungsfreiheit hat hieran nichts geändert. Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften erlangen über § 166 lediglich denjenigen Schutz, der auch sonst Persönlichkeitsverletzungen zuteil wird. Daher ist die bloße Verneinung dessen, was als heilig verehrt wird, ebenso wenig bereits ein Beschimpfen 170 BGHSt 7 110; RGSt 28 403, 406; 57 185; OLG Celle NJW 1986 1275, 1276; OLG Schleswig SchlHA 224 (1977) 179; Fischer § 90a Rdn. 5; Hörnle MK Rdn. 17; Rogall SK Rdn. 11; Welzel Strafrecht § 65 I 2. Vgl. zu den Kriterien Roheit des Ausdrucks und Vorwurf eines schimpflichen Verhaltens oder Zustandes die scharfsinnige, noch immer aktuelle Einschätzung von Beling, der seinem Inhalt nach rohe Angriff, in sachlicher Form vorgetragen, sei gegenüber der bloß groben Äußerung privilegiert (FestG Dahn S. 28; ebenso Kohlrausch S. 62). 171 So aber, worauf Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm mit Recht hinweisen (Rdn. 9), OLG Karlsruhe NStZ 1986 363 mit zust. Anm. Ott und abl. Bespr. Katholnigg NStZ 1986 555 (Beschimpfung durch eine bösartige satirische Verfremdung der Eucharistie); ebenfalls abl. Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4; zust. jedoch Dankert/Zechlin/Ostendorf S. 278 f; vgl. auch Th. Fischer NStZ 1988 162 Fn. 47. 172 Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 9; vgl. auch Fischer Rdn. 12. Beispiele aus der Rechtsprechung: BVerfG KirchE 27 71 (Darstellung des mit einem Schaf kopulierenden Papstes); BayObLG NJW 1989 1744 (Darstellung des Kruzifix als Mausefalle bei der die sie auslösende Maus durch den Oberkörper des Gekreuzigten erschlagen wird) mit zust., den Sachverhalt insoweit aus dem Originalurteil ergänzenden Bespr. Zaczyk JuS 1990 889; OLG Düsseldorf NJW 1983 2211 (Bezeichnung des Gekreuzigten als „junger Mann, der im vollen Glanz diese ganze Scheiße hier unter sich läßt“); OLG Köln NJW 1982 657 (Karikatur mit einem Dialog zwischen Maria, Josef und Gott über die Beendigung der Schwangerschaft Marias durch Abtreibung); OLG Nürnberg NStZ-RR 1999 238, 239 (Darstellung eines an ein Kreuz genagelten Schweines) mit Bespr. Otto JK OO § 166/1; LG Bochum NJW 1989 727 (Abbildung Gottes als langmähnige Marionette in der Hand eines katholischen Geistlichen); LG Düsseldorf NStZ 1982 290 („Maria hättest du abgetrieben, der Papst wäre uns erspart geblieben“); LG Köln KirchE 20 140, 141 und 21 243, 244 f (obszöne sexuelle Darstellungen der Empfängnis des Christuskindes). 173 Beispielhaft dafür OLG Celle NJW 1986 1275 (zuvor LG Göttingen NJW 1985 1652): Die Bezeichnung der christlichen Kirche als „eine der größten Verbrecherorganisationen der Welt“ ist eine Roheit des Ausdrucks. In der Darstellung des gekreuzigten Christus mit der Umschrift „Masochismus ist heilbar“ liegt die Bewertung des Leidens Christi als Vorgang perverser Sexualität und damit der Vorwurf eines schimpflichen Verhaltens. Mit der Äußerung „Lieber eine befleckte Verhütung als eine unbefleckte Empfängnis“ wird der als heilig empfundene Marienkult grob verunglimpft. Vgl. auch OVG Koblenz NJW 1997 1174, 1175 mit Anm. Bamberger GewArch. 43 (1997) 359 zum Rock-Comical „Das Maria-Syndrom“, das, eingeleitet mit derselben diffamierenden Bezeichung der christlichen Kirche, gleichfalls die Jungfrauengeburt herabwürdigt. 174 AG Tiergarten StraFo 2012, 110. 175 LG Münster, Urt. vom 29.3.2017–13 Ns – 81 Js 3303/15 – Rdn. 35 ff (juris). 176 Ebenso Rogall SK Rdn. 12. 177 Für die Bezeichnung „Papstsau“ verneint von LG Münster, Urt. vom 29.3.2017–13 Ns – 81 Js 3303/15 – Rdn. 39 ff. 178 BVerfG KirchE 27 71, 76; NJW 1995 1953, 1954; RGSt 61 308; OLG Frankfurt am MainNJW 1983 1207; NJW 1995 876, 877; OVG Münster NJW 1997 1176, 1177; LG Köln KirchE 34 212, 215; Rogall SK Rdn. 11; Sch/Schröder/Bosch/ Schittenhelm Rdn. 9. 261
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wie ablehnende, selbst scharfe Kritik daran,179 wobei die Abgrenzung straffreier Kritik von strafbarer Beschimpfung schwierig sein kann (siehe bereits Rdn. 29).180 Handelt es sich um eine Veröffentlichung, müssen Belege und Grundlagen für einen kritischen und warnenden Hinweis nicht vollständig in dieser selbst angeführt werden; vielmehr genügt, dass das negative Werturteil auf einem im Wesentlichen zutreffenden und zumindest sachgerechten und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern beruht, der sich auch aus Umständen außerhalb der Veröffentlichung ergeben kann (OVG Münster NJW 1996 3355, 3356). Ebenso ist nicht erforderlich, dass die beschimpfende Äußerung sich als unwahr erweist oder wenigstens eine Formalbeleidigung darstellt (BGH NJW 1961 1932, 1933; RGSt 61 308).
33 cc) Verächtlichmachen. Zu § 166 a. F. ist angenommen worden, dem Beschimpfen wohne die Tendenz des Verächtlichmachens inne;181 das gilt im Grundsatz auch für die geltende Fassung. In dem durch das Sechste Strafrechtsänderungsgesetz eingefügten § 130 ist bei der Umschreibung der gegen die Menschenwürde gerichteten Tathandlungen (Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2) das Merkmal „verächtlich macht“ neben den Begriffen beschimpft und verleumdet eigens genannt, allerdings mit dem Zusatz böswillig. Jedenfalls mit dieser Einschränkung behält deshalb das Verächtlichmachen auch für § 166 seine Bedeutung als Beschimpfen.182 Das vom Beschimpfen zu unterscheidende – nicht strafbare – Verspotten bezweckt nicht ein Verächtlichmachen, sondern ist darauf gerichtet, den Verspotteten der Lächerlichkeit preiszugeben (RGSt 10 148).183
34 dd) Restriktive Auslegung. Beschimpfen ist zur Gewährleistung der in Art. 5 Abs. 1 und 3 GG garantierten Freiheiten grundsätzlich restriktiv auszulegen (speziell zu den Auswirkungen der Kunstfreiheit Rdn. 37 ff); im Übrigen können den genannten Freiheitsrechte des Äußernden sowohl bei der Rechtswidrigkeit (näher Rdn. 109) als auch der Schuld Bedeutung zukommen.184 Soll die Meinungsfreiheit gewährleistet bleiben, darf § 166 nicht zu einer Unterbindung von Auseinandersetzungen über religiöse und weltanschauliche Fragen, sei es selbst in Form harter Kritik, führen.185 So würde beispielsweise die Kritik am Zölibat als „die den Natur- und Menschenrechte wie dem Priesterthume hohnsprechenden Papstverbote“ (RGRspr. 1 521, 523) heute schon nach diesem Maßstab als ein Beschimpfen auszuscheiden haben.
179 BVerfG DVBl. 1993 1204 = JuS 1994 521 mit Anm. Sachs; OLG Celle NJW 1986 1275; LG Bochum NJW 1989 727, 728; Fischer Rdn. 12; Rogall SK Rdn. 11; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 9; Steinbach JR 2000 496 f; Welzel Strafrecht § 65 I 2. 180 Zwei Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sind beispielhaft dafür. Die eine erachtet bissige Kommentare eines türkischen Journalisten zum Islam, die Muslime mit Recht entrüsten können, noch nicht für so schwer, dass sie einen Eingriff in das Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art. 10 MRK rechtfertigen (EGMR NVwZ 2007 314). In der anderen werden Angriffe eines türkischen Verlegers auf den Propheten des Islams ungeachtet des das Recht der Ausübung der Religionsfreiheit nach Art. 9 MRK relativierenden Toleranzsgebots als von der Freiheit der Meinungsäußerung nicht mehr gedeckte strafbare Blasphemien angesehen EGMR NJW 2006 3263). 181 Vgl. z. B. RGSt 10 148. 182 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 9. 183 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 9; dementsprechend war das ursprünglich in § 163 des dem Norddeutschen Reichstag vorgelegten Entwurfs eines Strafgesetzbuchs, dem Vorbild des § 135 des Preussischen Strafgesetzbuches von 1851 entsprechend, neben der „Beschimpfung“ aufgeführte Merkmal der „Verspottung“ vom Reichstag gestrichen worden (vgl. Wach DZKR 2 [1892] 164 mit Fn. 1). 184 Allgemein zu den Wirkungen der Grundrechte für die Strafbarkeit H. C. Schmidt S. 188 ff. 185 Listl/Pirson/Eser S. 1030; vgl. auch BVerfG NVwZ 1994 159, 160; 1995 471; ferner Diemer-Nicolaus Prot. V/121 S. 2432; Meyer Prot. V/121 S. 2428; Sturm Prot. V/134 S. 2807. Radtke
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II. Der objektive Tatbestand von Absatz 1
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ee) Objektiver Aussagegehalt. Grundlage der Bewertung der Äußerung als Beschimpfen ist 35 deren objektiver Aussagegehalt. Es kommt nicht darauf an, was der Täter sagen wollte (RG JW 1930 2139). Auch bleibt ohne Bedeutung, wie der oder die Hörer die Äußerung verstanden haben. Maßgeblich ist vielmehr, wie sie objektiv bei vernünftiger Würdigung der Sachlage vom unbefangenen Hörer verstanden werden musste (BGHSt 11 11, 14 mit Anm. Jagusch LM StGB § 96 Abs. 1 Nr. 4; RGSt 61 151, 155; OLG Köln ArchPR 14 [1983] 285, 286).
ff) Schweregrad der Äußerung. Entsprechendes gilt für den Maßstab der Beurteilung des 36 Schweregrades der Äußerung. Abweichend von früherer, zudem nicht einheitlicher Rechtsprechung, die teilweise allein auf die Wirkung der Äußerung bei denjenigen überzeugten Anhängern des betreffenden Bekenntnisses, die sich ebenso von übergroßer Reizbarkeit wie von Gleichgültigkeit fern halten, abstellte (z. B. RGSt 64 121, 126), teils aber auch die Persönlichkeit des Täters einbezog (z. B. RGSt 57 185),186 ist ein objektiver Maßstab anzulegen. Da § 166 den öffentlichen Frieden schützt, muss der für eine Beschimpfung erforderliche Schweregrad einer Beschimpfung von der friedensstörenden Wirkung aus beurteilt weden. Deshalb kommt es, ohne Konflikt mit dem Verschleifungsverbot,187 darauf an, ob sich die herabsetzende Äußerung nach dem objektiven Urteil eines auf Wahrung der religiösen und weltanschaulichen Toleranz bedachten Betrachters als eine so schwerwiegende Herabsetzung des Bekenntnisses darstellt, dass sie geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.188 Dabei wird nicht von der Eignung der konketen Tathandlung zur Friedensstörung auf das Vorliegen einer Beschimpfung geschlossen, sondern als Ausprägung der gebotenen restriktiven Auslegung des Begriffs Beschimpfen (Rdn. 26) lediglich ein dies ermöglichender Maßstab benannt. Nicht maßgeblich für die Bewertung des Schwergrades sind daher die Motive des Beschimpfenden;189 auch religiöse Motive schließen eine Beschimpfung nicht aus. Soweit in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Beschimpfung verneint wurde, wenn beispielsweise der Täter aus Unmut, Gedankenlosigkeit, Oberflächlichkeit oder ohne den gedanklichen Inhalt seiner Äußerung voll zu verstehen, handelte (BGHSt 7 110 f), ist dem zuzustimmen, weil ausgehend von einer auf die Eignung zur Friedensstörung ausgerichteten Beurteilung unter den genannten Umständen der für das Beschimpfen erforderliche Schweregrad nicht erreicht sein wird. gg) Aussagegehalt eines Kunstwerks. Im Ausgangspunkt nicht anders als bei der Mei- 37 nungs- und der Wissenschaftsfreiheit ist eine im Aussagegehalt eines Kunstwerks liegende religiöse Beschimpfung, wie eine entsprechende Ehrverletzung,190 grundsätzlich tatbestandsmäßig, kann aber durch die in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG garantierte Freiheit der Kunst191 gerechtfertigt sein.192 Die Beurteilung des Verhältnisses von Kunst und Bekenntnisbschimpfung bzw. vormals Gotteslästerung hat seit jeher Schwierigkeiten bereitet, sie bestehen auch unter der Geltung des Grundgesetzes fort und finden ihre Ursache auch in dem Reichweite des Kunst186 Krit. dazu Mittermaier JW 1929 1148. 187 Dazu (bezogen auf § 266 StGB) BVerfGE 126 170, 198. 188 OLG Celle NJW 1986 1275, 1276; OLG Karlsruhe NStZ 1986 363 mit Anm. Ott und Bespr. Katholnigg NStZ 1986 555; OLG Köln NJW 1982 657, 658; OLG Nürnberg NStZ-RR 1999 238; LG Bochum NJW 1989 727, 728; LG Frankfurt am Main NJW 1982 658; Listl/Pirson/Eser S. 1030; Herzog BTRAusschProt. 14/91 Stellungnahmen S. 73; Hörnle MK Rdn. 16; Rogall SK Rdn. 12; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 9. 189 Vgl. Hardwig GA 1962 270. 190 OLG Hamburg JR 1983 508; Fischer § 193 Rdn. 36; Geppert JR 1985 430; Lackner/Kühl/Kühl § 193 Rdn. 36; Roggemann JZ 1992 941; vgl. auch Joecks/Pegel/Regge MK § 193 Rdn. 47; aA KG NStZ 1992 385, 386 mit Anm. Liesching/ v. Münch NStZ 1999 85; Erhardt S. 178; Triffterer/Schmoller ÖJZ 1993 551 (zum österreichischen Recht). 191 Einzelheiten zur Entstehungsgeschichte dieses Grundrechts bei v. Doemming/Füsslein/Matz S. 89 ff. 192 Teilweise wird die dogmatische Begründung einer Straflosigkeit von Beschimpfungen, die im Aussagegehalt eines Kunstwerks liegen, auch über eine verfassungskonform einengende Interpretation des Toleranzgebots auf der 263
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begriffs des Art. 5 Abs. 3 GG (näher Rdn. 30 ff). Straftatsystematisch können die Schwierigkeiten alls Deliktsebenen betreffen, wobei ein Schwerpunkt der Diskussion die Rechtswidrigkeit betrifft. Das Verhältnis zwischen Kunst und Gotteslästerung ist ein Thema von historischer Brisanz.193 Es lenkt zum einen den Blick auf den Umgang einer modernen Rechtsordnung mit Religion und Weltanschauung.194 Zum anderen führt es aber auch zu der Frage, wie Staat und Gesellschaft mit den Provokationen moderner Kunst umgehen.195 An der in der Vorauflage (dort Rdn. 33) von Dippel formulierten Einschätzung, es sei festzustellen, „dass inzwischen ein Maß gesellschaftlicher Toleranz entstanden ist, das vor einem halben Jahrhundert noch undenkbar gewesen wäre“, wird vor für die inländische Situation festgehalten werden können. International kann aber vor dem Hintergrund durch Darstellungen der Kunst (etwa Mohammed-Karikaturen) ausgelöste Reaktionen von einem wünschenswerten Maß religiöser Toleranz kaum gesprochen werden. Zwar hat im Inland das Verhältnis zwischen Kunst und der Beschimpfung von Bekenntnissen und den sie tragenden Gemeinschaften nicht mehr den Spannungsbereich der Zeit, als Gotteslästerung strafbar war. Die Grundproblematik aus der Antinomie, dass die Kunstfreiheit einerseits von der Verfassung vorbehaltlos gewährleistet wird, sie sich andererseits aber nur in einer Rechtsordnung verwirklichen kann, die Schutz und Schranke ist,196 birgt jedoch weiterhin Konfliktstoff.
38 (1) Definition von Kunst. Was Kunst ist und wie Kunst sich von Nicht-Kunst unterscheidet, lässt sich nicht verbindlich umschreiben, weil eine Definition von Kunst deren eigentlichem Wesen widerspricht197 und jede Einschränkung des Begriffs zum Widerspruch mit dem Sinn der Freiheitsgewährung führt.198 Als allgemeine Meinung kann gelten, dass es nicht möglich ist, Kunst generell zu definieren.199 Gelegentlich wird gar die Auffassung vertreten, Art. 5 Abs. 3 GG enthalte, weil seine Freiheitsgarantie jeglicher material-qualitativen Ausfüllung des grundrechtlichen Kunstbegriffs widerstreite, ein Definitionsverbot.200 Das ist schon deshalb abzulehnen, weil eine Definiton für eine Subsumtion unter den Kunstbegriff als Tatbestandsmerkmal erforderlich ist201 und ohne eine solche die im Vordergrund stehende abwehrrechtliche Dimension des Art. 5 Abs. 3 GG202 relativiert würde. Das Bundesverfassungsgericht enthält sich in seiner jüngeren Rechtsprechung einer einheitlichen und zugleich umfassenden Definition des Kunst-
Tatbestandsebene gefunden (so insb. Triffter/Schmoller ÖJZ 43 [1993] 551 ff; ferner Beisel S. 163). Abweichend sieht Noll darin kein Tatbestands-, sondern ein Rechtswidrigkeitsproblem (ZStW 77 [1965] 34 f; ebenso z. B. K. A. Fischer S. 69, 142 f; Lackner/Kühl/Kühl § 193 Rdn. 14; Lenckner GedS Noll S. 254; Roggemann JZ 1992 941; Würtenberger NJW 1982 612). 193 Krauss GedS Noll S. 209; vgl. auch Knies S. 15; Schmieder NJW 1982 628. 194 Villauri/Dilcher/Hassemer S. 1311;Dilcher/Staff/Hassemer S. 233. 195 Krauss GedS Noll S. 209. 196 Sachs/Bethge Art. 5 Rd. 182. 197 Jarass/Pieroth/Jarass Art. 5 Rdn. 67. 198 Dreier I Art. 5 III [Kunst] Rdn. 17. 199 BVerfGE 67 213, 224 mit Bespr. Zöbeley NJW 1985 254; 75 369, 377; BGHSt 37 55, 58; BVerwG JZ 1993 790, 791 mit Anm. Geis; vgl. auch Denninger HdbStR VI Rdn. 1; Erbel ZUM 29 (1985) 295; Geiser S. 2; Götting FS Raue 430; v. Hartlieb ZUM 30 (1986) 37; Hartmann JuS 1976 649; Henschel NJW 1990 1938; Karpen/Hofer JZ 1992 952; Oettinger JZ 1974 285; Ott Literatur S. 288; Seidel S. 135; Sellenthien/Sellenthien S. 7 f, 27 unter Anführung entsprechender Äußerungen von Künstlern, Kunsthistorikern und Philosophen; Zöbeley NJW 1998 1372; krit. Würkner NJW 1988 317; and. in Dankert/Zechlin/Breunung/Nocke S. 238 f. 200 Knies S. 215, 217; J. Hoffmann NJW 1985 238; F. Müller Freiheit S. 35 ff; Wolfrum SchlHA 231 (1984) 4; vgl. auch Hartmann JuS 1976 651; Zechlin NJW 1984 1092; ferner Dankert/Zechlin/Breunung/Nocke S. 238 f, 241 mit dem Bemerken, die Frage sei nicht, ob der Jurist die Kunst definieren könne, sondern ob er sie definieren dürfe. 201 Zutreffend Kempen BeckOK-GG Art. 5 Rdn. 157. 202 Zu dieser ewa Sachs/Bethge Art. 5 Rdn. 189. Radtke
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II. Der objektive Tatbestand von Absatz 1
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begriffs in Art. 5 Abs. 3 GG.203 Stattdessen greift es auf unterschiedliche Zugänge zur Erschließung des Schutzbereichs zu. Das schließt einen formalen (formalisierten) Kunstbegriff, nach dem für das Kunstwerk eine irgendwie geartete schöpferische Formgestaltung unter Verzicht auf jegliche Niveaukontrolle genügt, sofern die bloße Gattungsanforderung eines bestimmten Werktyps erfüllt ist (BVerfGE 67 213, 227), ebenso ein wie einen eher materiellen Kunstbegriff. Das Wesentliche der künstlerischen Betätigung ist bei einem solchen Verständnis die freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden (vgl. BVerfGE 119 1, 20 f). Rekurriert hat das Gericht aber auch auf einen offenen Kunstbegriff, der wesentlich darauf abstellt, dass es wegen der Mannigfaltigkeit des Aussagegehaltes künstlerischer Betätigung möglich ist, der Darstellung im Wege einer fortgesetzten Interpretation immer weiterreichende Bedeutungen zu entnehmen, so dass sich eine praktisch unerschöpfliche, vielstufige Informationsvermittlung ergibt (vgl. BVerfGE 67 213, 226 f). Angesichts der verfassungsrechtlichen Offenheit des Kunstbegriffs und der Kontroversen um seine Inhaltsbestimmung überrascht kaum, dass der für das Strafrecht maßgebliche Kunstbegriff ebenfalls umstritten ist.204 Auf inhaltliche qualitative Kriterien kann auch insoweit nicht abgestellt werden. Kunst kann mithin unzüchtig (so schon RGSt 37 315; BGHSt 5 346), obszön, sogar pornographisch sein.205
(2) Schutzumfang von Art. 5 Abs. 3 GG. Ungeachtet der Schwierigkeiten, den verfassungs- 39 rechtlichen Kunstbegriff zu definieren, besteht weitgehend Einigkeit darüber, in den Schutzumfang von Art. 5 Abs. 3 GG sowohl den Werkbereich als auch den Wirkbereich einzubeziehen (siehe etwa BVerfGE 67 213, 224; 81 278, 292; 119 1, 21 f; 142 74, 96).206 Werkbereich meint dabei die eigentliche künstlerische Betätigung, Wirkbereich erfasst den Vorgang, der Öffentlichkeit Zugang zu dem Werk zu verschaffen.207 Letzteres schließt selbst Werbung ein,208 weil die Qualität eines Gegenstandes oder Vorgangs als Kunstwerk mit einem technischen oder anderen Zweck verbunden sein kann („Heterogonie der Zwecke“), und es deshalb auch werblichen Formgebungen weder im Grundsatz noch regelmäßig an der typischen Eigenschaft künstlerischer Gestaltungen fehlt.209 Dies betrifft gleichermaßen Werbung für ein Kunstwerk wie die mit einem 203 v. Mangoldt/Stein/Starck/Starck/Paulus Art. 5 Rdn. 423 m. w. N. 204 Vgl. die Übersicht bei Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm § 193 Rdn. 19. 205 BVerfGE 83 130, 138 f = JZ 1991 465 mit Anm. Gusy („Josephine Mutzenbacher“) entgegen der früher herrschenden „Exklusivitätstheorie“ (BGHSt 5 346, 349; 23 40, 42 ff; BGH NJW 1965 983, 984), nach der Pornographie und Kunstfreiheit sich ex definitione ausschlossen; ferner BGHSt 37 55, 57, 61 = JZ 1990 1137 mit Anm. Maiwald und BVerwG JZ 1963 290 mit Anm. Geis (zu Millers „Opus Pistorum“); v. Mangoldt/Klein/Starck/Starck/Paulus Art. 5 Rdn. 283; Weigend ZUM 38 (1994) 133 Fn. 2; ferner Enderlein S. 8 f; Seim/Spiegel/Stefen S. 237, 239; Maiwald S. 74 f; zw. Borgmann JuS 1992 916; and. C. Vogel Spuren 21 (1987) 15 ff. 206 Kempen BeckOK-GG Art. 5 Rdn. 168 ff; v. Mangoldt/Stein/Starck/Starck/Paulus Art. 5 Rdn. 428 ff jeweils m. w. N. 207 Die Terminologie geht auf F. Müller zurück (Freiheit S. 99 f) und ist vom Bundesverfassungsgericht übernommen worden (BVerfGE 30 173, 188 f „Mephisto“); ferner z. B.: BVerfGE 77 240, 251 mit Bespr. Würkner NJW 1988 327, 328; 82 1, 4; Denninger HdbStR VI Rdn. 7, 20; Dreier I Art. 5 III (Kunst) Rdn. 14; Enderlein S. 6 f; Häberle AöR 1985 606, 615; Mühleisen/W. Heinz S. 52; Henschel NJW 1990 1939, 1942; J. Hoffmann NJW 1985 238, 241; Jarass/Pieroth/ Jarass Art. 5 Rdn. 68; Kirchhof NJW 1985 226; Lackner/Kühl/Kühl § 193 Rdn. 14; Benda/Maihofer/Vogel/Mahrenholz Rdn. 48; v. Mangoldt/Klein/Starck/Starck/Paulus Art. 5 Rdn. 283 Fn. 49; F. Müller JZ 1970 90 f; Sachs/Bethge Art. 5 Rdn. 188, 196; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm § 193 Rdn. 19; Seidel S. 135; vgl. auch U. Wolf S. 38 f; Würkner JA 1988 185; Freiheit S. 86 Fn. 158; krit. Wichert S. 37 f; Zechlin KritJ 15 (1982) 252 f. Zur Wirkung der Garantie der Kunstfreiheit über die Zeiten zum Schutz der Kunstwerke vor Zerstörung und zur Bewahrung ihrer freien künstlerischen und weltanschaulichen Aussage vor einer Verfälschung ihres Wesens Heckel Staat, S. 76 ff, 95. 208 BVerfGE 77 240, 251; Dreier I Art. 5 III (Kunst) Rdn. 25; Karpen/Hofer JZ 1992 954; v. Mangoldt/Klein/Starck/ Starck/Paulus Art. 5 Rdn. 283. 209 Denninger HdbStR VI Rdn. 15 gegen Lerche S. 50; ferner Dreier I Art. 5 III (Kunst) Rdn. 24; v. Münch/Kunig/ Wendt Art. 5 Rdn. 94. 265
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Kunstwerk.210 Ein religiös motiviertes Kunstwerk steht sowohl unter dem Schutz des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG (religiöse Motivierung und Wirkungsabsicht) als auch dem des Art. 5 Abs. 3 GG (künstlerische Gestaltung), weil beides ideal konkurrierend verwirklicht werden kann.211
40 (3) Grundrechtsträger. Der Kreis der Grundrechtsträger (personaler Schutzumfang) ist ebenfalls groß. Er umfasst in erster Linie den künstlerisch tätigen Menschen.212 Daneben steht die Kunstfreiheit uneingeschränkt aber auch den Vermittlern der Kunst zu, seien es Galeristen, Buchhändler, Theater- und Museumsdirektoren oder Personen, die in der Kunstwerbung tätig sind.213 Dies gilt auch dann, wenn es sich um juristische Personen oder bloße Personenvereinigungen handelt, wie etwa Verlage oder private Träger von Orchestern, Theatern und Museen.214 Nicht in den personellen Schutzbereich des Grundrechts fallen Kunstkritiker215 und alle sonst die Kunst nur rezipierende Personen, wie die Besucher von Kunstveranstaltungen,216 obwohl die „Begegnung mit dem Werk“ an sich im Mittelpunkt des Wirkbereichs steht (vgl. BVerfGE 36 321, 331).217 Aber Kunstkritik und Kunstgenuss reagieren nur auf Werk und Wirken und sind deshalb selbst keine Kunst.218 Die Beschränkung des Schutzes auf den durch den künstlerischen Gestaltungsprozess und das Werk einschließlich seiner Präsentation und Verbreitung umgrenzten Bereich der Freiheitsgarantie macht den bloßen Kunstrezipienten indessen keineswegs schutzlos. Der Kunstkritiker ist durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützt;219 Im Übrigen bleibt der Kunstrezipient „Destinatär“ der objektiv-rechtlichen Garantie des Art. 5 Abs. 3 GG.220
41 (4) Grundrechtsschranken. Die in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG garantierte Freiheit der Kunst unterliegt keinem ausdrücklichem Vorbehalt. Daher werden ihr weder durch die in Art. 5 Abs. 2 GG aufgeführten Schranken, noch durch die Trias des Art. 2 Abs. 1 Halbsatz 2 GG Grenzen gezogen. Verfassungsunmittelbare Schranken errichten jedoch die Grundrechte anderer Rechtsträger und sonstige Rechtsgüter mit Verfassungsrang.221 Die Kunstfreiheit wird daher lediglich in Fällen einer echten, weil unvermeidlichen, Grundrechtskollision durch die grundgesetzliche Wertordnung selbst begrenzt.222 Allein eine unmittelbare Verfassungsgüterabwägung sichert der Kunstfreiheit wirksamen Schutz vor Aushöhlung der Garantie bei gleichzeitiger Gewährleistung 210 Dass an Taxen und Mietwagen Fremdwerbung zulässig, politische oder religiöse Werbung aber unzulässig ist (§ 26 Abs. 4 der Verordnung über den Betrieb von Kraftfahrzeugunternehmen im Personenverkehr vom 21.6.1975 [BGBl. I 1156]), verstößt nicht gegen die Verfassung (BVerwG NJW 1999 805; OVG Berlin OVGE Bln. 23 18). 211 v. Mangoldt/Klein/Starck/Starck/Paulus Art. 5 Rdn. 287; vgl. auch Bleckmann/Wiethoft DÖV 1991 724. 212 v. Mangoldt/Klein/Starck/Starck/Paulus Art. 5 Rdn. 297; vgl. auch Henschel NJW 1990 1937. 213 Denninger HdbStR VI Rdn. 20; Dreier I Art. 5 III (Kunst) Rdn. 27; Henschel NJW 1990 1940; Jarass/Pieroth/Jarass Art. 5 Rdn. 69; Seidel S. 135. 214 Denninger HdbStR VI Rdn. 22; Dreier I Art. 5 III (Kunst) Rdn. 27; Jarass/Pieroth/Jarass Art. 5 Rdn. 69; v. Mangoldt/Klein/Starck/Starck/Paulus Art. 5 Rdn. 297; vgl. auch BVerfGE 30 173, 191. 215 Dreier I Art. 5 III (Kunst) Rdn. 28; and. Häberle AöR 1985 606. 216 v. Mangoldt/Klein/Starck/Starck/Paulus Art. 5 Rdn. 297; Seidel S. 135; and. J. Hoffmann NJW 1985 241. 217 Denninger HdbStR VI Rdn. 23. 218 Vgl. BVerfG NJW 1993 1462. 219 BVerfG NJW 1993 1462, 1463. 220 Denninger HdbStR VI Rdn. 23; ebenso v. Mangoldt/Klein/Starck/Starck/Paulus Art. 5 Rdn. 297. 221 BVerfGE 30 173, 192 f („Mephisto“); 67 213; 81 278, 292 f mit Anm. Gusy JZ 1990 640; BGHSt 37 55 mit Anm. Maiwald JZ 1990 1141; BayObLG MDR 1994 80; BVerwG JZ 1993 794, 795 mit Anm. Gusy NJW 1999 304; Fischer Rdn. 16; K. A. Fischer S. 56; Isensee ArchPR 24 (1993) 619, 625; Lackner/Kühl/Kühl § 193 Rdn. 14; v. Mangoldt/Klein/ Starck/Starck/Paulus Art. 5 Rdn. 307; Rogall SK Rdn. 13; Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm § 193 Rdn. 19; vgl. demgegenüber noch BGH GA 1961 240: BVerwGE 1 303, 307; BayObLG NJW 1964 1149 mit Anm. Ott; OVG Koblenz DVBl. 1996 576, 580; Listl/Pirson/Eser S. 1030 f; Zechlin NJW 1984 1092 Fn. 23. 222 BVerfGE 52 246 f; Denninger HdbStR VI Rdn. 39; Fischer Rdn. 16; Mühleisen/W. Heinz S. 53 ff; Henschel NJW 1990 1941; Ignor S. 129 ff; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4, Lackner/Kühl/Kühl § 193 Rdn. 14; Lenckner GedS Noll S. 253; Radtke
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II. Der objektive Tatbestand von Absatz 1
StGB § 166
aller anderen von der Verfassung anerkannten Rechtsgüter,223 wobei gegenüber der schwächeren Norm der schonendste Ausgleich224 zu suchen ist (BVerfGE 39 1, 43; 41 29, 50; 52 223, 246; BVerfG NJW 2002 2227, 2228).
(5) Verhältnis z. Religionsfreiheit. Im Falle einer religiösen Beschimpfung nach § 166 durch 42 die Aussage eines Kunstwerks gerät die Kunstfreiheitsgarantie in Konflikt mit der Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG),225 die in der Rdn. 2 dargestellten Weise durch § 166 geschützt wird. Sie ist Teil des verfassungsrechtlich geschützten Persönlichkeitsbereichs,226 zu dem neben weiteren Verfassungsprinzipien, darunter der Religionsfreiheit, vor allem das aus dem Recht der freien Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) in Verbindung mit der als oberster Wert das ganze grundrechtliche Wertsystem beherrschenden227 Garantie der Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG)228 abgeleitete allgemeine Persönlichkeitsrecht229 gehört. Das Grundrecht der Religionsfreiheit ist ebenfalls schrankenlos gewährt;230 für andere Grundrechte ausdrücklich normierte Schranken dürfen nicht herangezogen werden (vgl. BVerfGE 44 37, 49 f; 52 223,
Benda/Maihofer/Vogel/Mahrenholz Rdn. 5, 71 ff; Benda/Maihofer/Vogel/Mikat Rdn. 20; Müller-Volbehr DÖV 1995 306 f; Schmieder NJW 1982 628; Würkner Freiheit S. 86 ff; vgl. auch v. Campenhausen/deWall S. 67. Umfassend zur Bedeutung des Problems von Konkurrenzen innerhalb der Freiheitsrechte im Grundrechtsabschnitt und seiner Lösungen schon Berg S. 1 ff. 223 Z. B. Denninger HdbStR VI Rdn. 41; Erbel ZUM 29 (1985) 295; Maiwald S. 71; Würkner Freiheit S. 86. Zechlin hält gegenüber der „Güterabwägung“ es für den methodisch richtigeren und genaueren Ansatz, die kollidierenden Normen im Wege der „praktischen Konkordanz“ zu einem Ausgleich zu bringen (NJW 1984 1093); ebenso: Degenhart BK Art. 5 Abs. 1 und 2 Rdn. 68; Dreier I Art. 5 III (Kunst) Rdn. 34; Fleischer S. 187 ff; Valerius JuS 2007 1109; Zacharias KuR 11 (2005) 109; ferner: BVerfGE 77 240, 255; 83 130, 143, 146 = JZ 1991 465 mit Anm. Gusy („Josefine Mutzenbacher“); 93 1, 21 mit Bespr. Cermak NJW 1995 3348; Goerlich NVwZ 1995 1184; J. Neumann ZRP 1995 381; Renck ZRP 1996 16; Roggemann JZ 1992 941; Stricker NJW 1996 440; Waldhoff EssGespr. S. 75; ähnlich BVerwG JZ 1993 790, 792 mit Anm. Geis („Opus Pistorum“); OLG Jena NJW 2006 1892; OLG München NVwZ 1994 203; OVG Münster NJW 1997 1176, 1177; VG Gießen NJW 2003 1265, 1266; vgl. auch Listl/Pirson/Listl S. 443; Schmitt Glaeser NJW 1996 877. Grundlegend and. Preuss, nach dessen Auffassung das Grundrecht des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gesellschaftliche Freiheit organisiere (und nicht eine Spezifikation personaler Freiheits- und Würdeentfaltung sei), es deshalb durch die normative Reichweite seiner begrifflichen Elemente begrenzt werde, so dass es derartiger Abwägungen nicht bedürfe (AK-GG Art. 4 Abs. 1, 2 Rdn. 29); im Ergebnis ähnlich Hamel, der die Schranken der Bekenntnisfreiheit durch das jeweilige Bekenntnis selbst bestimmen lassen will (in Bettermann/Nipperdey/Scheuner S. 69 ff); krit. auch Götting FS Raue 428. 224 Vgl. Jeand’Heur/Korioth Rdn. 127. 225 Zur großen Bedeutsamkeit dieses Grundrechts allgemein, aber auch in Sonderheit für den strafrechtlichen Schutz von Religion und Weltanschauung ausführlich Vor § 166 Rdn. 16 und 17. 226 BGH GA 1961 240; BVerwG NJW 1999 304 mit Anm. Hufen JuS 1999 911; BayObLG NJW 1964 1149; Listl/Pirson/ Eser S. 1030 f; E. Fischer Trennung S. 69; Geiger FS Leibholz 199; Maiwald S. 80; Rogall SK Rdn. 11; Sch/Schröder/ Bosch/Schittenhelm Rdn. 10; abw. Hermuth FR 27 (1983) 204; Wichert S. 106. 227 BVerfGE 30 173, 193; 32 98, 106; 75 369, 380; vgl. auch BVerwGE 1 303, 307; Bamberger GewArch. 43 (1997) 359, 360 (insoweit krit. Anm. zu OVG Koblenz NJW 1997 1174); K. A. Fischer S. 90; Hartmann NJW 1976 651; Hillgruber/Schemmer JZ 1992 948; Lackner/Kühl/Kühl § 193 Rdn. 15; Listl/Pirson/Listl S. 446; v. Mangoldt/Klein/Starck/ Starck Art. 5 Abs. 3 Rdn. 307; E. Steffen FS Simon 371. 228 Allen Menschen als unverwechselbares Wesensmerkmal erstmals zuerkannt von Marcus Tullius Cicero (106 bis 43 v. Chr.), aber erst durch das Christentum zu voller Reife gebracht, inzwischen Bedeutungselement aller Hochkulturen (v. Hagens/Whalley/Wetz S. 238 f). 229 Mit dem vor allem die Kunstfreiheit kollidiert, namentlich in der Variante der Freiheit der Literatur, wobei durch maßstabbildende Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, beginnend mit „Mephisto“ (BVerfGE 30 173), variiert durch „Esra“ (BVerfG NJW 2008 39 mit Bespr. Gostomzyk NJW 2008 737, Neumeyer ArchPR 37 [2007] 509 und Obergfell ZUM 51 [2007] 910), dem Persönlichkeitsschutz Vorrang vor der Kunstfreiheit eingeräumt worden ist. 230 Krit. S. Lenz VR 49 (2003) 226, 229 ff. 267
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246).231 Es konkurriert mit der Kunstfreiheitsgarantie ebenbürtig, wovon jede Abwägung der Rechtsgüter beider Verfassungsprinzipien grundsätzlich ausgehen muss. Die Durchführung einer Abwägung zwischen kollidierenden Grundrechten fällt gerade im Verhältnis zwischen Art. 5 Abs. 3 GG einerseits sowie Art. 4 Abs. 1 und 2 GG andererseits wegen der Weite beider Schutzbereiche nicht leicht.232 Das Bundesverfassungsgericht löst für beide hier bedeutsamen Grundrechte Kollisionslagen letztlich über die Wechselwirkung zwischen der Schrankeninterpretation (hier jeweils nur verfassungsunmittelbare Schranken) und dem Grundrechtsgehalt.233 Die Glaubensfreiheit darf „weder durch die allgemeine Rechtsordnung noch durch eine unbestimmte Klausel relativiert werden, welche ohne verfassungsrechtlichen Ansatzpunkt und ohne ausreichende rechtsstaatliche Sicherung eine Gefährdung der für den Bestand der staatlichen Gemeinschaft notwendigen Güter genügen lässt. Vielmehr ist ein im Rahmen der Garantie der Glaubensfreiheit zu berücksichtigender Konflikt nach Maßgabe der grundgesetzlichen Wertordnung und unter Berücksichtigung der Einheit dieses grundlegenden Wertsystems zu lösen“ (BVerfGE 32 98, 107).234 Kann, wie typischerweise im Fall der Kollision zwischen Kunstfreiheit und Religionsfreiheit, keiner der beiden kollidierenden Verfassungsnormen unbeeinträchtigt verwirklicht werden, bedarf es eines schonenden Ausgleichs beider Grundsrechtsgewährleistungen im Wege praktischer Konkordanz (vgl. allgemein dazu BVerfGE 52 223, 246 f; 152 152, 185 Rdn. 76 „Recht auf Vergessen I“). Bei der gebotenen Abwägung (näher Rdn. 44) nach diesen Grundsätzen kann sich ergeben, dass die Verbreitung eines Kunstwerks, das die ihm innewohnende Aussage das Gebot des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, das religiöse und weltanschauliche Bekenntnis anderer zu achten, in so grober und in zur Störung des öffentlichen Friedens geeigneter Weise verletzt, das seine Verbreitung nicht mehr durch das hier als schwächer einzustufende Grundrecht der Freiheit der Kunst gedeckt ist.235 Dies gilt zu Lasten der Kunstfreiheit selbst dann, wenn die gebotene Rücksicht auf Kosten der Vollständigkeit der künstlerischen Aussage geht.236
43 (6) Begrenzende Wirkung von § 166. Aus den in Rdn. 41 dargestellten Grundsätzen ergibt sich, dass § 166 eine Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG begrenzende Wirkung zukommt. Diese Wirkung muss jedoch ihrerseits wieder um der Gewährleistung der Kunstfreiheit willen eingeschränkt werden. Dies geschieht, indem bei der Auslegung des § 166 die Bedeutung berücksichtigt werden muss, die das Grundrecht im freiheitlich demokratischen Staat hat.237 Diese „Wechselwirkung“238 gebietet, bei künstlerischen Äußerungen höhere Anforderungen an das Beschimpfen zu stellen, als an sonstige Aussagen oder Gebilde.239 Dem wird dadurch Rechnung getragen, dass nur besonders rohe Äußerungen der Missachtung als Beschimpfung genügen (Rdn. 31).240
231 232 233 234 235 236 237
v. Mangoldt/Klein/Starck/Starck Art. 4 Rdn. 15 und Rdn. 85 m. w. N. Ausführlicher dazu Dippel LK12 § 166 Rdn. 38. Vgl. v. Mangoldt/Klein/Starck/Starck Art. 4 Rdn. 89. Siehe auch BVerfGE 33 23, 30. Rogall SK Rdn. 11; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 10; ferner Erbel ZUM 29 (1985) 295. BayObLG NJW 1964 1149, 1150 mit insoweit zust. Anm. Ott. BVerfGE 12 113, 124 f mit krit. Anm. Schmidt-Leichner NJW 1961 819, 820; BGH GA 1961 240; Lackner/Kühl/ Heger Rdn. 4, Lackner/Kühl/Kühl § 193 Rdn. 14; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 10. 238 BVerfGE 7 198, 207; ferner Degenhardt BK Art. 5 Abs. 1 und 2 Rdn. 70; Lackner/Kühl/Kühl § 193 Rdn. 1; Lenckner GedS Noll S. 254; Krüger-Nieland GRUR 70 (1968) 525; Roggemann JZ 1992 941; Schmidt Glaeser NJW 1996 874; Steinbach JR 2006 497. 239 BayObLG NJW 1964 1149, 1150 mit Anm. Ott; OLG Karlsruhe NStZ 1986 363 mit Anm. Ott und Bespr. Katholnigg NStZ 1986 555; Listl/Pirson/Eser S. 1030; Krüger-Nieland GRUR 70 (1968) 525; Locher S. 37; Schick S. 67. 240 OLG Köln NJW 1982 657, 658; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 10; dementsprechend erweist sich beispielsweise die verfremdete Kreuzesdarstellung im Bühnenbild einer alternativen Karnevalssitzung durch Ersetzung der Inschrift „INRI“ mit dem Namenszug „Tünnes“ als roh, aber nicht besonders roh im Ausdruck (AG Köln KirchE 31 353, 355). Radtke
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II. Der objektive Tatbestand von Absatz 1
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Bei der Beurteilung ist stets das Wesen der zeitgenössischen Kunst241 und zwar auch dann, wenn dieses Wesen nicht ganz leicht verständlich ist, etwa dem Leser eines Gedichts schwierigere Überlegungen zumutet.242 Das bedeutet, dass es weder auf die Empfindungen ankommt, die das Werk bei an zeitgenössischer Kunst nicht interessierten Menschen auslöst, noch auf die Deutungen, die Personen mit gründlichen Kenntnissen auf dem betreffenden Gebiet ihm geben. Entscheidend ist vielmehr der Eindruck des Kunstwerks, wie er sich nach seinem objektiven Sinngehalt auf einen künstlerisch aufgeschlossenen, zumindest um Verständnis bemühten, wenn auch künstlerisch nicht notwendig vorgebildeten Menschen ergibt.243 Starre Richtlinien, wo bei künstlerischen Darstellungen die Grenze zwischen dem erlaubten und dem verbotenen Eingriff in fremde Persönlichkeitsspähren verläuft, lassen sich kaum aufstellen.244
(7) Abwägung. Um im Einzelfall zum Ausgleich zwischen der Kunstfreiheitsgarantie und dem 44 Toleranzgebot des § 166 zu gelangen, bedarf es sorgfältiger Abwägung unter Würdigung aller Umstände (siehe bereits Rdn. 42).245 Sie vollzieht sich nach den Grundsätzen, wie sie allgemein für den Ausgleich eines Konflikts zwischen der Kunstfreiheitsgarantie und dem verfassungsrechtlich garantierten Persönlichkeitsrecht entwickelt worden sind. Dabei kann gelten, dass die Beachtung des Wertesystems des Grundgesetzes und die in den Grundrechten zum Ausdruck kommende Wertordnung nur selten zu einem Vorrang der Kunstfreiheit führen wird. Die Abwägung der Kunstfreiheitsgarantie gegen das Toleranzgebot des § 166 wird selten zum Vorrang der
241 BGH GA 1961 240 („missa profana“) = Ufita 35 (1962) 181 und KirchE 5 311, jeweils mit vollständigem Abdruck; Text auch bei Leiss Kunst S. 419; Ott Kunst S. 123 f; dazu die ausführliche Darstellung bei Skriver S. 102 ff. Mit dieser Entscheidung vollzog der Bundesgerichtshof die Abkehr von der Rechtsprechung des Reichsgerichts, wie sie sich in der Strafsache gegen den Maler George Grosz wegen mehrerer Blätter aus der Kunstmappe „Hintergrund, 17 Zeichnungen zur Aufführung des Schwejk in der Piscatorbühne“ von 1927, insbesondere des Bildes Nr. 10, das den gekreuzigten Christus mit einer Gasmaske vor dem Gesicht und Soldatenstiefeln an den Füßen darstellt und den Schriftzug trägt „Maul halten und weitermachen“ (ausführlich analysiert bei Neugebauer Gräfin von der Schulenburg S. 137 ff), verfestigt hatte, daß nämlich für das Verständnis der verletzenden Darstellung und für die Umgrenzung des geschützten Rechtsguts es auf das schlichte Gefühl des einfachen, religiös gesinnten Menschen ankomme, dem gegenüber die künstlerische Intention und der künstlerische Wert der Darstellung grundsätzlich bedeutungslos sei (RGSt 64, 121, 125 ff; vgl. dazu die scharfsinnige Würdigung bei Noll ZStW 77 [1965] 34 f; ferner: Beisel S. 27 ff; Reinsdorf/Reinsdorf/Budich S. 20 f; Enders KuR 13 [2007] 45 ff; Erhardt S. 123, 201; W. Heinz in Mühleisen/W. Heinz S. 60; Henkel ZStW 51 [1931] 917 f; Krauss GedS Noll S. 229; Leiss NJW 1962 2324; Kunst S. 379 ff; Locher S. 38 ff, insb. S. 43; Lynen S. 281; Maiwald S. 80 f; Jochen Müller S. 79 ff; Oettinger JZ 1974 285; Dankert/Zechlin/Ostendorf S. 279; Schick S. 2, 5; Skriver S. 102 ff mit einem Abdruck der wörtlichen Wiedergabe der Vernehmung von Grosz im „Tagebuch“ Nr. 9, Berlin 1928, S. 2210 ff; Türck Merkur 60 [2006] 471 f; Würkner Freiheit S. 30 ff; Würtenberger FS Dreher 86 f; NJW 1982 613). Ausführlich zur Entwicklung der Rechtsprechung des Reichsgerichts in Fragen der strafrechtlichen Beurteilung von Kunst seit 1893 Ott Kunst S. 116 ff. 242 So etwa im Fall RGSt 61 151, in dem es um ein im Unterhaltungsteil einer Tageszeitung veröffentlichten Gedicht von Carl Zuckmayer aus der Reihe „Märzgesänge“ geht, das die sich unter Schmerzen erneuernde Natur im Frühjahr mit der ebenfalls unter Weh sich vollziehenden geistigen Erneuerung im Erlösungswerk Christi vergleicht (dargestellt auch bei Leiss Kunst S. 358f; vgl. ferner Reinsdorf/Reinsdorf/Budich S. 20). 243 BGH GA 1961 240; BayObLG NJW 1964 1149, 1150 mit insoweit zust. Anm. Ott; OLG Koblenz NJW 1997 1175; OLG Köln NJW 1982 657, 658; LG Hamburg NJW 1963 675; Locher S. 44 f; Noll ZStW 77 (1965) 34 f; Rogall SK Rdn. 13; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 10; Würtenberger FS Dreher 87. Krauss meint dazu krit., in Wirklichkeit gehe es nicht um die tatsächlichen Meinungen und Anschauungen des Durchschnittsbürgers, sondern um das Abbild, das sich die Strafverfolgungsbehörden vom Durchschnittsbürger machen und vorweisen, um ihre Einstellung und ihr Verhalten bei der Verfolgung künstlerischer Betätigungen zu legitimieren (GedS Noll S. 229); ähnlich Zechlin KJ 1982 257 f; ebenfalls krit. Ignor S. 136 f; Oettinger JZ 1974 286. Zum Ganzen auch Hüttemann S. 29 ff; Kiewitz S. 73 ff; Leiss NJW 1962 2323 f; Listl Religionsfreiheit S. 298. 244 Krüger-Nieland GRUR 70 (1968) 525. 245 BVerfGE 81 278, 289; BVerwG NJW 1999 304 mit Anm. Hufen JuS 1999 911; OVG Koblenz NJW 1997 1174; Sch/ Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 10; vgl. auch Wolfrum SchlHA 231 (1984) 5; krit. Zechlin KritJ 15 (1982) 251 f. 269
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§ 166 StGB
Beschimpfung wegen Religion und Weltanschauung
Kunstfreiheit führen, weil die religiöse Beschimpfung den existentiellen Lebensbereich in seinem Glaubensbezug verletzt.246 Vielfach sind ungeachtet aller Vorbehalte gegen ein staatliches Kunstrichtertum auch qualitative Differenzierungen nach dem künstlerischen Wert des Werkes nicht zu vermeiden.247 Dann kommt die Hilfe eines Sachverständigen in Betracht,248 dem das Gericht sich freilich nicht bedingungslos anvertrauen darf.249
45 (8) Sonderfall Karikatur und Satire. Der Kunst im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG sind auch Karikaturen und satirische Darstellungen zuzuordnen.250 Ihnen ist eine Verfremdung wesenseigen, die regelmäßig darin liegt, dass der zum Ausdruck gebrachte Gedanke inhaltlich nach dem „Prinzip der transparenten Entstellung“ (Preisendanz Satire S. 143) bewusst verzerrend über den wirklich gemeinten Gedankenkern erstreckt wird.251 Daraus ergeben sich zwei Auslegungsebenen, die eigentliche Aussage, also der Sinngehalt dessen, was tatsächlich gemeint ist (Aussagekern) und die karikierende oder satirische Einkleidung, die das Werk zur Karikatur oder Satire macht.252 Die Würdigung des Aussagekerns folgt den Maßstäben, wie sie für die Beurteilung eines jeden Kunstwerks gelten.253 Die karikierende oder satirische Einkleidung hingegen darf nicht an den allgemeinen Maßstäben gemessen werden.254 Danach sind beispielsweise die in der dänischen Zeitschrift Jyllands-Posten im Herbst 2005 veröffentlichten Mohammed Karikaturen, die im Frühjahr 2006 in großen Teilen der islamischen Welt immer wieder Proteste hervorgerufen haben
246 Otto BT § 64 Rdn. 7. 247 Lenckner GedS Noll S. 253 f; vgl. auch Benda/Maihofer/Vogel/Mahrenholz Rdn. 36 sowie Zöbeley NJW 1998 1373 mit praktischen Hinweisen, wie die juristische Interpretation eines Sachverhalts unter das nie mit letzter Sicherheit zu bestimmende Tatbestandsmerkmal Kunst möglicherweise doch vermieden werden kann. 248 BGH GA 1961 241, 242; BVerwG NJW 1967 1485 f; OLG Hamburg NJW 1964 559; Denninger HdbStR VI Rdn. 8; Willi Geiger FS Leibholz S. 190, 193; Hermuth FR 27 (1983) 202; Knies S. 162 ff; Maiwald S. 81; Mosel FR 9 (1965) 179 f; Noll ZStW 77 (1965) 34; Ott Kunst S. 127 f; Würtenberger FS Dreher 87 f; JR 1979 309; einschr. Mühleisen/W. Heinz S. 53; v. Mangoldt/Klein/Starck/Starck Art. 5 Abs. 3 Rdn. 281; Wichert S. 47; diff. auch Häberle AöR 1958 606 f F. Müller meint in diesem Zusammenhang, dass Sachverstand zwar aufschlussreiche Aspekte an Kunst und Kunstwirkung aufdecken, sie aber weder erklären noch messbar machen könne (JZ 1970 90). 249 Zöbeley NJW 1985 256; krit. auch Isensee, der anmerkt, dass das Dilemma sich nur verschiebe, nämlich auf die Frage, wer Kunstsachverständiger ist (ArchPR 24 [1993] 622); ferner Beisel S. 76; Denninger HdbStR VI Rdn. 8; K. Dippel Stellung S. 82; Dreier I Art. 5 III (Kunst) Rdn. 23; Knies S. 164; Oettinger JZ 1974 286 f; Ott Kunst S. 112, 127 f; Würtenberger FS Dreher 85, 87; extrem and. Schick S. 129 ff (Übernahme des Sachverständigenurteils ohne richterliche Überprüfung). 250 Dies entspricht allgemeiner Auffassung, wie sie zumindest inzident den entsprechenden Entscheidungen und Meinungsäußerungen zum Konflikt zwischen der Kunstfreiheitsgarantie und dem verfassungsrechtlich geschützten Persönlichkeitsbereich zugrundeliegt; vgl. aber Rittig in Dankert/Zechlin S. 212. Zur Entwicklungsgeschichte von Satire und Karikatur Erhardt S. 124 ff. 251 Erstmals RGSt 62 183, 184; ferner: BVerfGE 75 369, 377 f; 81 278, 294; 86 1, 11; BGHSt 37 57, 60; BGH NJW 2000 1036; BayObLG NJW 1957 1607; Ufita 39 (1966) 356; OLG Celle NdsRpfl. 15 (1961) 181; NJW 1986 1275; OLG Düsseldorf NJW 1983 1211; OLG Hamburg MDR 1967 146; NJW 1985 1654 mit Bespr. Geppert JR 1985 430; OLG Hamm NJW 1982 659; OLG Karlsruhe NStZ 1986 364; KG NStZ 1992 385 mit Bespr. Liesching/v. Münch NStZ 1999 85; LG Bochum NJW 1989 727, 728; LG Düsseldorf NStZ 1982 290; LG Frankfurt am Main NJW 1982 658, 659; LG Köln NStZ 1982 290; LG Saarbrücken NJW 1963 107; AG Hamburg NJW 1989 410; AG Köln KJ 1982 657; Erhardt S. 120 ff; Götting FS Raue 440; Mühleisen/W. Heinz S. 61 f; Hillgruber/Schemmer JZ 1992 946; Ignor S. 131 f; Lynen S. 61; Rogall SK Rdn. 13; Sch/ Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 10; E. Steffen FS Simon 360; U. Wolf S. 36 f; Würkner JA 1988 187; Würtenberger NJW 1982 610; 1983 1145; Zechlin KritJ 15 (1982) 256 f; NJW 1984 1093. 252 K. A. Fischer S. 62 f; Erhardt S. 122 f; Mühleisen/W. Heinz S. 61 f; Ignor S. 132 ff; Isensee ArchPR 24 (1993) 624; Karpen/Hofer JZ 1992 954; Maiwald S. 72; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 10; E. Steffen FS Simon 360, 372; Würkner JA 1988 187 f; Würtenberger NJW 1982 612 f; krit. Dankert/Zechlin/Rittig S. 216, 221. 253 Würtenberger NJW 1982 613. 254 So schon RGSt 62 183, 185; ferner BayObLG NJW 1999 1982 mit Anm. Foth JR 1998 384; OLG Hamburg MDR 1967 146, 147; NJW 1985 1654; OLG Köln JMBlNW 37 (1983) 36, 39. Radtke
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(vgl. schon Vor § 166 Rdn. 15 mit Fn. 105), unter strafrechtlichem Blickwinkel nicht zu beanstanden, weil die ihnen innewohnende Behauptung, muslimisches Denken neige zur Gewaltsamkeit und die ihm folgenden männlichen muslimischen Selbstmordattentäter seien dümmlich, verführbar und sexistisch, sich sachlich auf Ansichten beziehen, die in einer weltweiten Diskussion vertreten werden, mag die Form, in der dieser Sachbezug ausgedrückt wird, für viele muslimische Gläubige auch schwer erträglich sein.255 Doch gibt es, ungeachtet der berühmten Feststellung von Tucholsky „Was darf die Satire? Alles“ (S. 178), aber auch hier Grenzen, etwa unter dem Blickwinkel der Unantastbarkeit der Menschenwürde.256 Die Sachlage ist nicht anders als bei nicht gerechtfertigten Beleidigungen in politischen Auseinandersetzungen.257 Maßgeblich ist insoweit jeweils, ob die Äußerung den Boden der sachlichen Kritik verlässt und gezielt zur Schmähung und Verunglimpfung des politischen Gegners greift.258 Allgemein kann gelten, dass Karikatur, die in den durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Kern menschlicher Ehre eingreift, durch die Freiheit künstlerischer Betätigung nicht gedeckt ist (BVerfGE 75 369, 379 f). Prüfstein für die Richtigkeit der Grundrechtsauslegung ist die Verallgemeinerungsfähigkeit des Ergebnisses, die sich etwa daran zeigt, dass es Bestand behielte, wenn der Angegriffene eine beliebige andere Person wäre oder Täter und Opfer ausgewechselt würden.259 Voraussetzung dafür, dass das Werk nach den besonderen Maßstäben dieser Kategorie der Kunst gemessen werden kann, ist allerdings die Erkennbarkeit der vom Aussagekern trennbaren karikaturistischen oder satirischen Einkleidung.260 Es gibt aber Darstellungen, bei denen diese Beschaffenheit wegen der Plumpheit des Ganzen kaum auszumachen ist.261 Deren Würdigung fällt als Gesamtwerk unter die allgemein für Kunstwerke geltenden Maßstäbe.262
b) Öffentliches Beschimpfen. Das Beschimpfen des Bekenntnisses muss öffentlich oder 46 durch das Verbreiten von Inhalten (Rdn. 50 ff) erfolgen. Wegen der bereits vorhandenen Variante des öffentlichen Beschimpfens dürfte die seit Jahresbeginn 2021 geltende Ersetzung des Verbreitens von Schriften (§ 11 Abs. 3 a. F.) durch das Verbreiten von Inhalten (vgl. Entstehungsgeschichte und Rdn. 50) auf § 166 lediglich geringe praktische Bedeutung haben (BTDrucks. 19/ 19859 S. 60 i. V. m. S. 52). Nach der zutreffenden Einschätzung des Gesetzgebers führt die nunmehr maßgebliche Anknüpfung an das Verbreiten von Inhalten dennoch nicht zur vollständigen Kongruenz von öffentlichem Beschimpfen und Beschimpfen durch Verbreiten von Inhalten, weil
255 Rossen-Stadtfeld Merkur 60 (2006) 1177; vgl. auch Isensee, der bereits den zur Strafbarkeit erforderlichen besonderen Schweregrad der Beschimpfung (dazu Rdn. 26) verneint, den Karikaturen aber auch die Eignung, den öffentlichen Frieden zu stören, abspricht (in Isensee S. 127 f); ferner dazu Steinbach JR 2006 498. 256 Vgl. BVerfG NStZ 1988 21, 22 mit Anm. Würkner; ferner E. Steffen FS Simon 376 f. 257 Beispiele dafür etwa BayObLG NStZ 1983 265; OLG Hamburg JR 1985 429 mit Anm. Geppert; OLG Hamm NJW 1982 659. 258 Allgemein zum Spannungsverhältnis von Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht bei ehrverletzenden Äußerungen BVerfG NJW 2020, 2622 ff mit Anm. Gostomzyk. 259 Isensee ArchPR 24 (1993) 627 mit Beispielen, bei denen dies zu verneinen sein dürfte; vgl. auch die Kritik bei Schmitt Glaeser NJW 1996 874 ff. 260 Vgl. Benda/Maihofer/Vogel/Mahrenholz Rdn. 43. 261 Foth JR 1989 387 (Anm. zu BayObLG NJW 1999 1982); Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 10; dazu auch K. A. Fischer S. 62 f; Schmied/Wunden/Schmied S. 52; Würtenberger NJW 1982 612 f. Als Beispiele dieser Art dürften die Fälle OLG Karslruhe NStZ 1986 363 (Schilderung der Erstkommunion als „weiß blutige Hochzeit“) und LG Frankfurt am Main NJW 1982 658 („Seitengänger“-Ratschlag für das Bekreuzigen) anzusehen sein (vgl. Sch/Schröder/ Bosch/Schittenhelm Rdn. 10). Zu vergleichbaren Sachverhalten in Österreich Triffterer/Schmoller ÖJZ 43 (1993) 575 ff. 262 Zur kriminalpolitischen Bedeutung von Beschimpfungen durch Karikatur und Satire detaillierte Angaben bei U. Wolf: Seit 1949 (bis 1992) ergingen 44 veröffentlichte Entscheidungen zu solchen Sachverhalten (S. 61 mit Fn. 141), davon 10 zu § 166 (S. 63 mit Fn. 151). 271
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Letzteres auch bei Übermittlung an einen begrenzten Personenkreis in Betracht kommt (vgl. BTDrucks. 19/19859 S. 52).263
47 aa) Begriff öffentlich. Grundsätzlich ist eine Beschimpfung öffentlich, wenn unbestimmt ist, von welchen und wie vielen (RGSt 37 289, 290), nicht durch persönliche Beziehungen verbundenen (RGSt 40 262, 263) anderen sie wahrgenommen werden kann,264 der Täter also nicht mehr zu überblicken vermag, welche „Wellen“ seine Tat schlägt (Herzog BTRAusschProt. 14/ 91 Stellungnahmen S. 73). Diesem rein quantitativen Öffentlichkeitsbegriff liegt der Gedanke zugrunde, dass eine herabsetzende Äußerung in einem nicht übersehbaren und abgrenzbaren Zuhörerkreis besonders gefährlich ist.265 Dementsprechend fehlt es an der Öffentlichkeit ebenso bei der Wahrnehmung durch einen unbeteiligten Dritten (RGSt 65 112, 114), wie durch einen nach Individualität bestimmten Personenkreis (RGSt 21 254, 256), so beispielsweise den versammelten Mitgliedern eines Clubs (vgl. Rdn. 48),266 es sei denn, der Beitritt geschähe zum Schein, beispielsweise als Deckmantel, um die Vorführung eines pornographischen Films an beliebige Personen zu ermöglichen (OLG Hamm NJW 1973 817, 818), den im Warteraum eines Krankenhauses anwesenden Patienten und Besuchern (OLG Hamm GA 1980 222, 224) oder den im Aufenthaltsraum einer Landespolizeischule feiernden Polizeischülern, wobei das Hinzutreten von drei nicht zu diesem Kreis gehörenden Personen Öffentlichkeit herstellt (OLG Celle NStZ 1994 440). Eine im vertrauten Kreis vorgenommene Beschimpfung wird auch dann nicht zu einer öffentlichen, wenn sie später ohne den Willen des Äußernden in die Öffentlichkeit dringt. Macht derjenige, der die Äußerung verbreitet, sie sich zu eigen, so kann jedoch dieser nach § 166 strafbar sein (vgl. Rdn. 31 aE).
48 bb) Äußerungen in einer Versammlung. Äußerungen in Versammlungen erfüllen den Tatbestand ebenfalls nur bei öffentlicher Tatbegehung. Beschimpfungen in Betriebsversammlungen, Mitgliederversammlungen und ähnlichen Veranstaltungen sind daher selbst dann nicht öffentlich, wenn viele Personen teilnehmen.267 So soll eine in einer Schule ausgesprochene Beschimpfung nicht öffentlich verübt sein, wenn die Schule nur von den Schülern und den Schulbeamten betreten wird (RGRspr. 9 151, 152). Es reicht auch nicht allein schon aus, dass die Versammlung an einem für die Öffentlichkeit zugänglichen Ort stattfindet (OLG Celle NdsRpfl. 14 [1960] 234, 235). Deshalb stellt nicht jede in einer öffentlichen Gerichtssitzung vorgenommene Beschimpfung eine öffentliche dar.268 Dagegen genügen Beschimpfungen vor Arbeitern einer Fabrik in einem Raum, in dem nur diese, aber auch alle Beschäftigten Zutritt gehabt hätten (RGSt 22 241), sowie beschimpfende Äußerungen in einem Eisenbahnabteil, das mit Personen besetzt ist, die nicht durch persönliche Beziehungen verbunden sind.269 Eine öffentliche Be-
263 Vgl. auch BGH StraFo 2012 195 ff zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen ein „öffentliches Zugänglichmachen“ (§ 184b Abs. 1 Nr. 2) auch bei geschlossenen, aber eine große Zahl von Mitgliedern umfassenden Chatgruppen vorliegen kann. 264 So das Reichsgericht in ständiger Rechtsprechung (RGSt 65 112, 113; 72 67, 68; 73 90). Zuvor hatte es das Wesen der Öffentlichkeit in der Unbestimmtheit des anwesenden Personenkreises gesehen (RGSt 10 296; 38 208; 63 432). Die jüngere Rechtsprechung des Reichsgerichts hat noch immer unbedingte Gültigkeit (BayObLGSt 1956 187, 188; OLG Celle NdsRpfl. 14 [1960] 234, 235; KG JR 1984 249; Franke GA 1984 458; Listl/Pirson/Eser S. 1031; Holstein S. 155 f; Rogall SK Rdn. 14; Schroeder GA 1964 231; vgl. auch Hörnle MK Rdn. 20). 265 Beisel S. 347; Rogall SK Rdn. 14; Schroeder GA 1964 231. 266 Stübinger NK Rdn. 14. 267 Rogall SK Rdn. 14. 268 RGSt 63 431, 432; BayObLG LZ 1914 1136, 1137; OLG Hamm JMBlNW 5 (1951) 164. 269 RGSt 58 53, 54; 65 112, 114; Rogall SK Rdn. 14. Radtke
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schimpfung kommt auch in Betracht, wenn diese innerhalb einer geschlossenen Chatgruppe erfolgt, deren Teilnehmerkreis nicht mehr überschau- und kontrollierbar ist.270
cc) Möglichkeit der Kenntnisnahme Dritter. Öffentliche Begehung dadurch, dass Dritte 49 von der Äußerung Kenntnis nehmen können, setzt Umstände voraus, nach denen diese Möglichkeit nahe liegt. Wäre eine Kenntnisnahme eher ungewöhnlich, ist öffentliche Begehung zu verneinen, so durch die Postbeamten bei Beschimpfungen auf einer Postkarte, weil es sicher nicht der Regel entspricht, dass Karten beim Durchlaufen des Postbetriebs von Postbediensteten gelesen werden.271 Öffentlichkeit entsteht aber auch nicht durch Zusammenrechnung der sukzessiven Kenntnisnahmen mehrerer Personen bei der fortgesetzten Handlung, wenn der Täter diesen die Äußerung aufgrund eines Gesamtvorsatzes nacheinander mitteilt.272 Hingegen genügt es, wenn eine Äußerung zur unmittelbaren Wahrnehmung durch einen nach Zahl und Individualität unbestimmten Kreis angeboten wird,273 beispielsweise durch Sprechfunk auf einer von vielen empfangenen Frequenz (OLG Celle MDR 1966 347), im (kaum noch gebräuchlichen) Bildschirmtextverfahren,274 im Internet (OLG Nürnberg CR 14 [1998] 686) oder in einem nicht speziell gesicherten Mailbox-Bereich (OLG Frankfurt am Main wistra 17 [1999] 30 mit Anm. Rückert). Das kommt auch bei geschlossenen Chatgruppen unter den in Rdn. 48 aE genannten Vorausetzungen in Betracht.275 c) Verbreiten von Inhalten (§ 11 Abs. 3). Das Beschimpfen des Bekenntnisses kann auch 50 durch das Verbreiten von Inhalten (§ 11 Abs. 3)276 erfolgen. Die Tathandlung hat ihre seit 1. Januar 2021 geltende Fassung durch das Sechszigste Gesetz zur Änderung des Strafrechts vom 30. November 2020277 als Folgeänderung des in § 11 Abs. 3 vollzogenen Wechsels vom Schriftenzum Inhaltsbegriff erhalten (siehe bereits Entstehungsgeschichte). Die zentrale Veränderung besteht darin, das Verbreiten von Inhalten nicht mehr an die Verbreitung über die Verkörperung des Inhalts auf einem Trägermedium (etwa einer Schrift) zu knüpfen, sondern an die Verbreitung des Inhalts selbst (vgl. BTDrucks. 19/19859 S. 1, 24; siehe auch Eisele, Abschlussbericht der Reformkommission des BMJV zum Sexualstrafrecht, S. 911). Die praktischen Auswirkungen der Reform auf § 166 schätzt der Gesetzgeber als gering ein, weil zumindest ein Teil der nunmehr als Verbreiten von Inhalten erfassten Konstellationen, die bisher nicht als Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3 a. F.) erfasst werden konnten, ohnehin bereits öffentliche Beschimpfungen sind (vgl. BTDrucks. 19/19859 S. 60 i. V. m. S. 52). aa) Reformziel. Mit der Ersetzung des Schriften- durch den Inhaltsbegriff in § 11 Abs. 3 verfolgt 51 der Gesetzgesetzgeber das Reformziel, die sogenannten Schriftenverbreitungsdelikte (jetzt In270 Vgl. BGH StraFo 2012 195, 196 f für ein „öffentliches Zugänglichmachen“ i. S. v. § 184b Abs. 1 Nr. 2. 271 Unrichtig daher RG HRR 1932 Nr. 1798; OLG Kiel JW 1931 2523, 2524 mit Anm. Engelhard. Richtig hingegen RGSt 37 289, 290 (für den Fall der Versendung einer beleidigenden Drucksache). 272 So aber Schroeder GA 1964 235 mit dem Beispiel des Vorstandsmitglieds, das nach dem Ausfall einer Vereinssitzung die Mitglieder zwecks Verbreitung einer ehrenrührigen Tatsache nacheinander einzeln aufsucht (wobei eine Äußerung in der Versammlung schon nicht öffentlich gewesen wäre). 273 Lackner/Kühl/Kühl § 80a Rdn. 2. 274 Walther NStZ 1990 523. 275 Vgl. BGH StaFo 2012 195, 196 f zu § 184b Abs. 1 Nr. 2. 276 § 11 Abs. 3 lautet in der ab 1.1.2021 geltenden Fassung: „Inhalte im Sinne der Vorschriften, die auf diesen Absatz verweisen, sind solche, die in Schriften, auf Ton- oder Bildträgern, in Datenspeichern, Abbildungen oder anderen Verkörperungen enthalten sind oder auch unabhängig von einer Speicherung mittels Informations- oder Kommunikationstechnik übertragen werden.“. 277 BGBl. I 2600. 273
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haltsverbreitungsdelikte), zu denen auch § 166 gehört, an die aktuellen Verhältnisse der Übertragung von Inhalten anzupassen (vgl. BTDrucks. 19/1859 S. 1) und zugleich durch die Aufnahme des Begriffs „Infomations- und Kommunikationstechnik“ in § 11 Abs. 3 eine Regelung zu schaffen, die unabhängig von zukünftigen Entwicklungen der entsprechenden Technik und damit offen für die weitere technische Entwicklung ist (vgl. BTDrucks. 19/19859 S. 2 und 16). Damit sollen Schwierigkeiten in der Anwendung des bisherigen Rechts überwunden werden, die teils aus der für den Schriftenbegriff in § 11 Abs. 3 a. F. erforderlichen Speicherung auf einem Trägermedium278 und teils aus – für § 166 allerdings kaum relevanten – Abgrenzung zwischen dem Telemediengesetz (TMG) einerseits und dem Telekommunikationsgesetz (TKG) andererseits unterfallende Formen der Informationsübertragung resultierten (näher BTDrucks. 19/19859 S. 19 ff).279 Solche Schwierigkeiten traten nach der in den Gesetzesmaterialien näher belegten Einschätzung des Gesetzgebers u. a. bei der Informationsübermittlung durch sogenannte „Over-the-top“-Dienste, d. h. solche ohne Kontrolle der Verbreitung durch einen Internet-Service-Provider, auf (BTDrucks. 19/19859 S. 19 f).280 Der Gesetzgeber hatte bereits mit dem Neunundvierzigsten Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuchs vom 21. Januar 2015281 versucht, durch Änderungen bei einzelnen Straftatbeständen, zu denen § 166 nicht gehörte, die Problematik wenigstens teilweise zu lösen, was aber letztlich bei Verbreiten von inkrimierten Inhalten über das Internet nicht vollständig gelang (näher BTDrucks. 19/19859 S. 18–21). Das, sowie die ohnehin begrenzte Reichweite der Reform 2015 machte aus Sicht des Gesetzgebers die Änderung des § 11 Abs. 3 selbst erforderlich.
52 bb) Verbreiten mittels Informations- und Kommunikationstechnik. Das Beschimpfen kann nunmehr durch das Verbreiten von Inhalten durch deren Übertragung mittels Informations- oder Kommunikationstechnik erfolgen. Der weite Wortlaut „Informations- und Kommunikationstechnik“ sowie die darin hinreichend ausgedrückte Vorstellung des Gesetzgebers legen nahe, jegliche Form der Übertragung, sei es durch ein Telemedium, einen Telekommunikationsdienst, durch einen solchen unterstützte Übertragung von Endgerät zu Endgerät oder mittels Rundfunk, als tatbestandlich erfasst anzusehen.282 Die technische Übertragungsart ist ebenfalls nicht maßgeblich (BT-Drucks. 19/19859 S. 26). Da es ausdrücklich nicht mehr auf eine Speicherung ankommt, sind Echtzeitübertragungen nunmehr eindeutig von § 11 Abs. 3 erfasst. Der Kreis in den Anwendungsbereich gehörender Übertragungsarten und dafür verwendeter Dienste ist weit und für zukünftig sich technisch entwickelnde Formen offen, nach Einschätzung des Gesetzgebers damit „zukunftsfest“ (BTDrucks. 19/19859 S. 27). Ausweislich der Materialien sieht der Gesetzgeber außer seit längerem verwendeten Übertragungsarten wie Fax, Bildschirmtext, SMS und MMS und E-Mail auch Internetchatverkehr, Instant-Messaging-Dienste (ewa WhatsApp, Snapchat oder Instagramm) sowie „Ober-the-top“-Dienste (etwa Youtube, Facebook oder Twitter) ebenso erfasst wie Audio- und Video-on-Demand und On-Demand-Streaming sowie Echtzeitübertragungen (LiveStreaming) und Telefonie einschließlich IP-Telefonie (BTDrucks. 19/19859 S. 26).
53 cc) Schriften. Der Begriff Schriften bleibt auch in der geltenden Fassung von § 11 Abs. 3 erhalten; gleiches gilt mit Ausnahme des aufgegebenen vormaligen Oberbegriffs der „Darstellungen“283 278 Siehe insbesondere bezüglich der zum alten Recht kontrovers beurteilten vorübergehenden Ablagerung von Informationen im Arbeitsspeicher eines Endgeräts Hilgendorf LK § 11 Rdn. 121, Radtke MK § 11 Rdn. 172 mit Nachw. in Fn. 632. 279 Dazu auch BGHZ 223 168, 176 Rdn. 25 f. 280 Zu „Over-the-top“-Diensten BGHZ 223 168, 176 Rdn. 26 mit Anm. Hoeren EwiR 2020, 141 f und Prinz K&R 2020 69 ff; siehe auch Ludwigs/Huller NVwZ 2019, 1099 ff. 281 BGBl I S. 10. 282 Vgl. BTDrucks. 19/9859 S. 26; zum Begriff „Rundfunk“ Martini BeckOK-InfoMedienR MStV § 2 Rdn. 3 ff. 283 Zum Oberbegriffscharakter Hilgendorf LK § 11 Rdn. 125; Radtke MK § 11 Rdn. 168. Radtke
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für die ausdrücklich benannten Speicher- bzw. Darstellungsformen (Ton-/Bildträger, Datenspeicher, Abbildungen) und die allgemeine „andere Verkörperung“. Letztlich dient dies lediglich der Klarstellung, dass auch weiterhin das Verbreiten (bzw. Zugänglichmachen) von derart verkörperten Inhalten innerhalb des Anwendungsbereichs von § 11 Abs. 3 liegt;284 zum Verständnis der benannten Verkörperungsarten Hilgendorf LK § 11 Rdn. 116–124.285 Die praktische Bedeutung des Verbreitens (bzw. Zugänglichmachens) von in den gesetzlich ausdrücklich benannten Formen gespeichter Inhalte dürfte allerdings zukünftig gering sein, weil regelmäßig in diesen Fällen ohnehin eine Übertragung des Inhalts durch Informations- oder Kommunikationstechnik vorliegen wird.286
dd) Verbreiten. Die Reform von § 11 Abs. 3 und die Folgeänderung in § 166 bleiben nicht ohne 54 Auswirkungen auf das Verständnis der Tathandlung Verbreiten selbst, weil ein Teil der bislang daran gestellten Anforderungen – nach bisherigem Recht zutreffend – von der Grundlage aus formuliert wurden, dass Gegenstand des Verbreitens die „Schrift“ (bzw. sonstige Verköperung i. S. v. § 11 Abs. 3) als solche und nicht lediglich ihr Inhalt ist.287 Daran kann wegen der Änderung in § 11 Abs. 3 nicht vollumfänglich festgehalten werden. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers sollte mit der Reform klargestellt sein, dass – bei Vorliegen der sonstigen Vorausetzungen – ein Verbreiten entsprechend der in der Strafrechtswissenschaft kritisierten288 Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum bisherigen Recht bei der Datenübertragung im Internet (BGHSt 47 55, 49 ff; siehe aber auch BGH NStZ 2015 81, 82) jedenfalls dann vorliegt, wenn der inkriminierte Inhalt im Arbeitsspeicher eines Rechners angekommen ist (BTDrucks. 19/19859 S. 27; näher Rdn. 57).289
(1) Begriff. Verbreiten i. S. v. § 166 ist eine – wie in den sonstigen Tatbeständen, die das Merk- 55 mal aufweisen290 – eine Tätigkeit, die nach bisherigem, auf das Verbreiten der Schrift bzw. ihr in § 11 Abs. 3 geichgestellter Formen ausgerichtetem Verständnis darauf abzielt, den Gegenstand einem größeren Personenkreis zugänglich zu machen (finales Element).291 Dieser braucht nicht notwendig nach Zahl und Individualität unbestimmt zu sein,292 darf vom Täter jedenfalls aber nicht mehr kontrolliert werden können.293 Eine absolute Mindestzahl lässt sich kaum angeben.294 Maßgeblich ist, ob nach den Umständen es an der Kontrollierbarkeit durch den Täter fehlt, was etwa bei der Übergabe einer Pressmappe an beliebige Medienvertreter der Fall sein kann.295 Unter Umständen liegt schon in einer Vorbereitungshandlung vollendetes Verbreiten, 284 285 286 287 288
BTDrucks. 19/19859 S. 24. Ausführlich auch Radtke MK § 11 Rdn. 169–174. Vgl. BTDRucks. 19/19859 S. 24 und 27. Exemplarisch Krauß LK § 130 Rdn. 91. M. Heinrichs ZJS 2018 569, 579 f; FS Schünemann 597, 599 ff; Hörnle NStZ 2010 704, 706; Kudlich JZ 2002 310, 311; siehe auch Sch/Schröder/Eisele § 184b Rdn. 21. 289 Siehe auch BGH BeckRS 2013 1320 Rdn. 18; NStZ-RR 2014 47; BeckRS 2019 15533 Rdn. 32. 290 Übersicht bei Krauß LK § 130 Rdn. 91. 291 BGHSt 13 257, 258; 13 375, 376; 19 63, 71; RGSt 7 113, 114; 16 245, 246; RG HRR 1940 Nr. 1150; BayObLGSt 1951 417, 422; 1958 18, 19; 1963 37, 38; BayObLG NJW 1979 2162; NStZ 1983 120, 121 mit Anm. Keltsch; NStZ 1996 436, 437; 2002 259 mit Bespr. Beisel JR 2002 348 und Schroeder JZ 2002 412; OLG Bremen NJW 1987 1427, 1428; OLG Frankfurt am Main NJW 1984 1128; OLG Köln NStZ 1990 241, 242; OLG München MDR 1989 180, 181; Franke GA 1984 467; Rogall NK Rdn. 12; Walther NStZ 1990 524 f. 292 BGHSt 13 257, 258 f; RGSt 36 330, 331; Rogall SK Rdn. 12. 293 BVerfG NJW 2002 1498; BGHSt 13 257, 258; BGH NJW 2005 689, 690; BayObLG NStZ 1983 120, 121 bei zutreffendem rechtlichen Ausgangspunkt aber zweifelhafter Subsumtion mit insoweit abl. Anm. Keltsch; BayObLG NStZ 1996 436, 437; OLG Bremen NJW 1987 1427, 1428; OLG Köln NJW 1982 657, 658. 294 Zutreffend Krauß LK § 130 Rdn. 93. 295 BGH NJW 2005 689, 690; OLG Thüringen NStZ 2004 628. 275
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so im Versenden eines Schriftstücks, weil der Täter es damit in einer Weise auf den Weg gebracht hat, dass er die Kenntnisnahme durch Dritte nicht mehr zu verhindern vermag (Entäußerungstheorie).296 Deshalb kommt es nicht darauf an, ob der Gegenstand wirklich an eine größere Personenzahl gelangt ist.297 Vollendetes Verbreiten liegt nach zutreffendem überwiegendem Verständnis bereits dann vor, wenn der Täter – bei Verbreiten mittels Schrift oder Gleichgestelltem – die Schrift auf den Weg gebracht hat.298 Keine Voraussetzung eines (vollendeten) Verbreitens ist es, dass ein größerer Personenkreis tatsächlich vom Inhalt Kenntnis genommen oder – bei Verbreiten mittels Schrift oder Gleichgestelltem – von dieser Kenntnis erlangt hat.299
56 (2) Formen des Verbreitens. Als Formen des Verbreitens sind in der Rechtsprechung die Mengenverbreitung und die Kettenverbreitung anerkannt.300 Mengenverbreitung liegt – bei gegenstandsbezogener Verbreitung – vor, wenn es sich bei der übergebenen Schrift ledigich um das erste Exemplar handelt, der Täter aber bereits Exemplare zur Abgabe an Dritte bestimmt hat.301 Um Kettenverbreitung handelt es sich dagegen dann, wenn der Täter ein Exemplar der Schrift (oder Gleichgestelltes) an eine andere Person mit dem Willen weitergegeben hat, dass diese die Schrift durch Weitergabe weiteren Personen zugänglich machen werde oder er mit einer Weitergabe an eine größere, nicht mehr zu kontrollierende Zahl von Personen rechnet.302 Im Ergebnis ermöglichen beide Verbreitungsformen, in den Konstellionen einer Verbreitung durch Schriften oder Gleichgestelltem eine vollendete Tat grundsätzlich bereits mit der Weitergabe eines ersten Exemplars anzunehmen. Ob es vor allem bei der Kettenverbreitung darüber hinausgehender (objektiver) Voraussetzungen der Vollendungsstrafbarkeit bedarf, wird ebenso kontrovers beurteilt wie die Anforderungen an die Vorsatzform.303 Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Kammerentscheidung in diesem Zusammenhang gefordert, um der Bedeutung der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) in der gebotenen Weise Rechnung zu tragen, ein Verbreiten fachrechtlich lediglich dann anzunehmen, wenn hinreichend tragfähige Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass der erstempfangende Dritte die Schrift (oder Gleichgestelltes) an weitere Personen gelangen lassen wird (BVerfG NJW 2012 1498, 1500 Rdn. 26 i. V. m. Rdn. 24).304 Die Diskussion, deren Bedeutung durch die Umstellung auf das Inhaltsverbreitungsdelikt ohnehin geringer werde dürfte, leidet an einer Vermischung unterschiedlicher Aspekte, die teils verschiedene straftatsystematische Ebenen teils aber auch die beweiswürdigende Überzeugungsbildung vom Vorliegen der materiellrechtlichen Anforderungen betreffen. Ausgehend von einem Verständnis des Verbreitens als durch ein finales Element geprägte Tätigkeit, die materiell keinen Verbreitungserfolg dergestalt voraussetzt, dass andere vom inkriminierten Inhalt oder von der inkriminierten Schrift Kenntnis genommen haben (Rdn. 55),305 lassen sich keine weiteren objektivtatbestandlichen Anforderungen an die Tathandlung stellen. Abweichendes ergibt sich auch nicht aus dem Verfassungsrecht über das Gebot der Bedeutung betroffener Grundrechte des Täters (vor allem Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 GG) bei der Auslegung und Anwendung des Merkmals Verbreiten Rechnung zu tragen. Maßgeblich sind vielmehr die Anforderungen 296 OLG Frankfurt am Main NJW 1984 1128, 1129; OLG Köln NStZ 1990 241, 242; OLG München MDR 1989 180, 181.
297 Vgl. BGH NStZ 2017 405, 406 mit Anm. Rackow; Krauß LK § 130 Rdn. 94; Schäfer MK § 130 Rdn. 12. 298 BGH NStZ 2017 405, 406 mit insoweit krit. Anm. Rackow; ebenso M. Heinrichs ZJS 2016 569, 573 f; Krauß LK § 130 Rdn. 94; Sch/Schröder/Eisele § 184b Rdn. 5a; and. Stein SK § 130 Rdn. 21. Vgl. BGH NStZ 2017 405, 406; zustimmend Krauß LK § 130 Rdn. 94; and. Stein SK § 130 Rdn. 33. BGH NStZ 2017 405, 406. BGH NStZ 2017 405, 406; siehe auch Krauß LK § 130 Rdn. 94. Vgl. RGSt 55 276, 277; BGH NJW 1999 1979, 1980; NStZ 2017 405, 406 m. w. N.; siehe auch BVerfG NJW 2012 1498, 1500 und Rackow NStZ 2017 406. 303 Näher Krauß LK § 130 Rdn. 94; Rackow NStZ 2017 406 f jeweils m. w. N. 304 Unter Hinweis auf BGH BeckRS 2009 25652 Rdn. 27; siehe auch Rackow NStZ 2017 406 f. 305 Übereinstimmend Krauß LK § 130 Rdn. 94.
299 300 301 302
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daran, welcher Vorsatzform des Täters es im Hinblick auf die Erwartung der Weitergabe der Schrift vom Erstempfänger an eine größere Anzahl, vom Täter nicht mehr kontrollierbarer Personen kommt, bedarf. Insoweit gebieten weder die finale Struktur der Verbreitungshandlung (auf Zugänglichmachen gegenüber einem größeren Personenkreis gerichtet) noch Verfassungsrecht eine über den bedingten Vorsatz hinausgehende Vorsatzform.306 Es genügt, dass der Täter mit der konkreten Möglichkeit einer Weiterverbreitung durch den Erstempfänger gerechnet hat und diesen Umstand wenigstens billigt.307 Um einen solchen Vorsatz beweiswürdigend tragfähig feststellen zu können (vgl. § 261 StPO), bedarf es hinreichend sicher festgestellter (objektiver) Umstände, aus denen der Schluss auf einen solchen Vorsatz gezogen werden darf.308 Jedenfalls in der Konstellation der Kettenverbreitung lässt sich eine gewisse Nähe zum Unternehmensdelikt insoweit nicht leugnen.309 Das stellt den hier vertretenen Ansatz nicht in Frage, weil das Verbreiten lediglich dann straftatbestandsmäßig ist, wenn es im Einzelfall konkret geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu gefährden (dazu Rdn. 59 bis 65), mithin ein Korrektiv für die Weite des Verbreitens und den recht frühen Vollendungszeitpunkt bei der Kettenverbreitung eingreift. Zu weiteren Einzelheiten des Verbreitens mittels Schrift oder nach § 11 Abs. 3 Gleichgestelltem siehe Dippel LK12 § 166 Rdn. 53 f.
(3) Verbreiten des Inhalts selbst. Für das Verbreiten des Inhalts selbst gelten die Ausfüh- 57 rungen Rdn. 56 entsprechend. Maßgeblich ist auch hierfür eine Tätigkeit, die darauf ausgerichtet ist, den beschimpfenden Inhalt einem größeren Personenkreis (Rdn. 46) zugänglich zu machen, und die von einem darauf gerichteten, wenigstens bedingten Vorsatz getragen ist. Unter diesen Voraussetzungen liegt nach den Vorstellungen des Reformgesetzgebers (Rdn. 51 bis 53) ein vollendetes Verbreiten unter Nutzung des Internets bereits dann vor, wenn der fragliche Inhalt auf dem Rechner eines Nutzers angekommen ist (BTDrucks. 19/19859 S. 27). Mit der Änderung des § 11 Abs. 3 durch den Übergang vom Schriften- zum Inhaltsbegriff soll gerade die die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum spezifischen Verbreitensbegriff bei Datenübertragung im Internet (grundlegend BGHSt 47 55, 59 f) im geltenden Recht verankert werden (vgl. BTDrucks. 19/19859 S. 27). Die verbreitete Kritik an dieser Rechtsprechung, die sich vor allem gegen eine den Wortlaut von § 11 Abs. 3 a. F. überschreitende Gleichsetung von „Datenspeicher“ und gespeicherten Daten richtete,310 dürfte damit gegenstandslos geworden sein.311 Bei tragfähig begründbarem Verbreitungsvorsatz (vgl. Rdn. 56) kommt entgegen der zurückhaltenden, auf weitere Klärung durch die Rechtsprechung verweisenden Einschätzung des Gesetzgebers ein Verbreiten eines inkriminierten Inhalts auch dann in Betracht, wenn eine per Mail versandte Datei nicht auf dem Rechner eines Nutzers, sondern in einer Cloud gespeichert wurde, dort aber von diesem abgerufen werden kann (vgl. BT-Drucks. 19/19859 S. 27). Ob sie tatsächlich abgerufen wurde bzw. wird, ist nicht maßgeblich. 306 Sollte der Reformgesetzgeber des 60. StrÄndG mit der Formulierung „Verbreitungsabsicht“ (BTDrucks. 19/ 19859 S. 27) einen auf die Verbreitung an einen größeren Personenkreis [im Sinne von Rdn. 46] gerichteten dolus directus 1. Grades für erforderlich halten, wäre dem aus den im Haupttext genannten Gründen nicht zu folgen. 307 Im Ergebnis ebenso bereits RGSt 55 276, 277; BGHSt 19 63, 71; BayObLG NStZ 1983 120, 121 mit Anm. Keltsch; OLG Thüringen NStZ 2004 628, 629; Listl/Pirson/Eser S. 1031 f; Krauß LK § 130 Rdn. 94; SSW/Hilgendorf § 184b Rdn. 10; Steinsiek LK § 86 Rdn. 21; siehe auch Pirson/Rüfner/Germann/Muckel/Radtke § 75 Rdn. 34; einschr. Franke GA 1984 467; krit. Rackow NStZ 2017 406, 407. 308 Auf eine solche beweiswürdigend tragfähige Grundlage zielt erkennbar auch BVerfG NJW 2012 1498, 1500 Rdn. 26 aE; in diesem Sinne dürfte auch BGH NJW 2005 689, 690 (…, „wenn nicht feststeht, dass der Dritte seinerseits die Schrift an weitere Personen überlassen wird.“) zu verstehen sein. Sollte der 2. Strafsenat dagegen damit ein Element des objektiven Tatbestandes als Voraussetzung für ein vollendetes Verbreiten formuliert haben, wäre dem nicht zu folgen, weil damit die finale Struktur des Verbreitens verkannt würde. 309 Darauf zielt in der Sache die Kritik von Rackow NStZ 2017 406, 407. 310 Siehe nur M. Heinrichs ZJS 2018 569, 580 m. w. N. 311 Zum Streitstand bezüglicher dieser Rechtsprechung näher Krauß LK § 130 Rdn. 95 bis 98. 277
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58 d) Verantwortlichkeit von Diensteanbietern. Erfolgt das öffentliche Beschimpfen oder vor allem das durch Verbreiten von Inhalten mittels Übertragung von Informationen in Datennetzen kommt bei § 166 wie bei den übringen Inhaltsverbreitungsdelikten auch die strafrechtliche Verantwortlichkeit der handelnden Diensteanbieter (vgl. § 2 Nr. 1 TMG) für verbotene Inhalte in Betracht. Sowohl das Ob strafbarer Beteiligung als auch die Art dieser Beteiligung bestimmt sich für § 166 nach denselben Regeln wie bei den sonstigen Verbreitungsdelikten, etwa dem praktisch bedeutsameren § 130, so dass auf Krauß LK § 130 Rdn. 110 bis 116 verwiesen wird.
59 e) Eignung zur Friedensstörung. Das öffentliche Beschimpfen oder das durch Verbreiten von Inhalten muss geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören. Das Eignungserfordernis ist kein Taterfolg (im Sinne von § 9 Abs. 1), sondern es beschreibt eine Eigenschaft der ohnehin generell für das geschützte Rechtsgut öffentlicher Frieden gefährlichen Tathandlung, die der Rechtsanwender einzelfallbezogen feststellen muss (Rdn. 12, 65). Der Reformgesetzgeber des 60. StrÄndG ist ebenfalls davon ausgegangen, dass Eignungsdelikte des Typus, dem auch § 166 zugehört, keinen Taterfolg im Sinne von § 9 Abs. 1 enthalten (BTDrucks. 19/19859 S. 22)312 und hat deshalb, allerdings § 166 nicht erfassend, durch das genannte Gesetz § 5 Nr. 3 geändert sowie § 5 Nr. 5a eingefügt, um die Anwendbarkeit inländischen Strafrechts auch bei Tatbegehung im Ausland sicherzustellen (näher BTDrucks. 19/19859 S. 22 f). Welche Bedeutung dem Eignungserfordernis in den dem Schutz des öffentlichen Friedens dienenden Straftatbeständen zukommt, wird im Anschluss an Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zur Eignungsklausel in § 130 Abs. 4 (vgl. BVerfGE 124 300, 340 f) uneinheitlich beurteilt.313 Das Gericht führt insoweit aus, dass der „öffentliche Friede“ bei einer Deutung als (strafbegründendes) Tatbestandsmerkmal Zweifel an der Vereinbarkeit mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG aufweisen könne (vgl. BVerfGE 124 300, 340). Solche Bedenken bestünden dagegen nicht, wenn die vom Gesetzgeber als strafwürdig beurteilte Störung des öffentlichen Friedens durch andere, ihrerseits hinreichend bestimmte Tatbestandsmerkmale konkret umschrieben wird, die bereits für sich die Strafandrohung jedenfalls grundsätzlich zu tragen vermögen. Dann komme dem „öffentlichen Frieden“ lediglich noch die Funktion eines Korrektivs zu, das als „Wertungsformel“ dazu diene, nicht strafwürdig erscheinende Fälle auszuscheiden. Um ein strafbegründendes Merkmal handele es sich dann nicht (vgl. BVerfGE 124 300, 340 f). Bezogen auf die Tathandlungen des § 130 Abs. 4 könne vermutet werden, dass die Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens gegeben sei (BVerfGE 124 300, 341). Jedenfalls die Erwägungen zur lediglich Korrektivfunktion des Eignungserfordernisses und zur Vermutungswirkung lassen sich nicht ohne Weiteres über § 130 Abs. 4 hinaus verallgemeinern.314 Dementsprechend hat eine Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts zu § 130 Abs. 3 entschieden, dass es zumindest für die dortige Tathandlung des Verharmlosens geboten sei, die Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens eigens festzustellen.315 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat – nicht tragend – die Eignungsklausel in § 130 Abs. 1 und 3 weiterhin als strafbegründendes, durch konkrete Feststellungen auszufüllendes Tatbestandsmerkmal eingeordnet und zugleich Zweifel geäußert, ob bei Beschränkung der Bedeutung der Eignung zur Friedensstörung auf ein Korrektiv für atypische Fälle dem verfassungsrechtlichen Schuldgrundsatz genügt sei (vgl. BGHSt 63 66, 72 Rdn. 18). Für das Eignungserfordernis in § 166 ist angesichts der auch verfassungsrechtlich gebotenen tatbestandsspezifischen Betrachtung316 von einer strafbegründenden Funktion in dem Sinne auszugehen, dass es einer auf die einzelfallbezogenen Umstände des 312 And. BGHSt 46 212, 220 ff; davon abweichend wiederum BGH NStZ 2017 146, 147. 313 Siehe BVerfG NJW 2018 2861, 2862 Rdn. 23; BGHSt 63 66, 71 f Rdn. 18; Krauß LK § 130 Rdn. 73; Linke JR 2019 17, 23; Matt/Rezikowski/Altenhain § 130 Rdn. 14. 314 Im Ergebnis ebenso Krauß LK § 130 Rdn. 73. 315 BVerfG NJW 2018 2861, 2862 Rdn. 23 aE; siehe dazu auch Linke JR 2019 17, 23. 316 Vgl. BVerfGE 124 300, 340 f einerseits und BVerfG NJW 2018 2861, 2862 andererseits. Radtke
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II. Der objektive Tatbestand von Absatz 1
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Beschimpfens gerichteten Wertung des Rechtsanwenders über das Vorliegen der Eignung der Tathandung bedarf.317 Dieser Wertungsakt muss die vom Bundesverfassungsgericht in der Wunsiedelentscheidung für legtime Eingriffe in die Meinungsfreiheit formulierten Anforderungen (BVerfGE 124 300, 335) beachten (näher Rdn. 62 und 65). Soweit angenommen wird, bei der Eignung der Tathandlung zur Friedensstörung handele es sich um ein deskriptives Tatbestandsmerkmal,318 ist dem nicht zu folgen, weil diese Eigung nicht durch schlichte sinnliche Wahrnehmung erkannt werden kann, sondern einen Wertungakt des Rechtsanwenders voraussetzt, der allerdings auf „sich in der Wirklichkeit konkretisier(ende)“319 Umstände gestützt sein muss.
aa) öffentlicher Friede. Der öffentliche Friede lässt sich in knapper Formulierung als der 60 vom Vertrauen der Bevölkrung getragene Zustand allgemeiner Rechtssicherheit verstehen.320 Das entspricht dem dualistisch objektiv-subjektiven Friedensverständnis des Reichsgerichts, dessen objektive Seite der tatsächliche Zustand allgemeiner Rechtssicherheit ist, während der subjektive Aspekt in dem darauf bezogenen Friedensgefühl der Bevölkerung liegt.321 Ausgehend davon wird in der neueren Rechtsprechung und im Schrifttum öffentlicher Friede objektiv als feststellbarer Lebenszustand allgemeiner Rechtssicherheit sowie frei von Furcht voreinander verlaufenden Zusammenlebens der Staatsbürger und subjektiv als das Vertrauen der Bevölkerung in die Rechtssicherheit umschreiben.322 Der Begriff ist normativ und nicht ontologisch oder sozialpsychologisch zu verstehen; weder das Bestehen eines solchen Zustands als tatsächlich Seiendem noch der Eintritt einer Störung bedarf eim Einzelfall einer Aufklärung.323 Aus der Wunsiedel-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts folgt trotz des dortigen Abstellens auf die Außenwirkungen von Meinungsäußerungen und des vorgelagerten Rechtsgüterschutzes, „der an sich abzeichnende Gefahren anknüpft, die sich in der Wirklichkeit abzeichnen“ (BVerfGE 124 300, 335), nichts Gegenteiliges, wie sich schon aus den weiteren – allerdings vielfach kritisierten -324 Ausführungen der Entscheidung ergibt, dass es sich bei dem Eignungsmerkmal (bezogen auf § 130 Abs. 4) um eine Wertungsklausel zum Ausscheiden nicht strafwürdiger Fälle handele (vgl. BVerfGE 124 300, 341; siehe auch Rdn. 59). bb) Anforderungen. Ebensowenig wie die deliktssystematische Bedeutung des Merkmals zur 61 Friedensstörung geeignet, sind seine Auslegung und die in der Anwendung daran zu stellenden Anforderungen vollständig geklärt. Verbliebene Unklarheiten betreffen kaum mehr die Frage nach der Erforderlichkeit einer konkreten Gefährdung des öffentlichen Friedens (Rdn. 63; siehe auch bereits Rdn. 12 f), sondern die nach den materiellen Anforderungen an eine konkrete 317 318 319 320
Siehe bereits Pirson/Rüfner/Germann/Muckel/Radtke § 75 Rdn. 33. Etwa Krauß LK § 130 Rdn. 73. BVerfGE 124 300, 335. Vgl. BGH NStZ-RR 2011 109; NStZ-RR 2011 273, 274, Pirson/Rüfner/Germann/Muckel/Radtke § 75 Rdn. 14; näher Stübinger FS Kargl 573, 580 ff. 321 RGRspr. 7 108, 109; RGSt 15 116, 117; 18 406, 499; 26 349, 350; 34 268, 271; 54 26, 27; 71 248, 249; ausführlich dazu Th. Fischer Öffentlicher Friede S. 189 ff; ferner Wehinger S. 74 ff. 322 BGHSt 16, 49, 56; 29 26 mit Anm. Wagner JR 1980 119; 22 282, 286; 47 278, 280 f; BGH NStZ-RR 2006 305, 306; OLG Celle NJW 1970 2257; OLG Düsseldorf NJW 1986 657; OLG Hamburg NJW 1975 1088 mit Bespr. Geilen NJW 1976 279; OLG Koblenz GA 1984 575, 576 mit Bespr. Giehring StV 1985 30; NJW 2019 1624, 1625; OLG Köln NJW 1982 657; OLG München FR 28 (1984) 595; OLG Schleswig MDR 1978 333; LG München ZUM 50 (2006) 578 mit Anm. Liesching (unter Verneinung für die Ausstrahlung der Sendung „Popetown“); Berkemann/Hesselberger NJW 1972 1790 f; Frommel KritJ 27 (1994) 337; Hoyer S. 134; Krauß LK § 130 Rdn. 72; Rudolphi ZRP 1979 220; Rogall SK Rdn. 16; Schroeder Straftaten S. 12; vgl. auch Th. Fischer Öffentlicher Friede S. 384 ff, 434 ff; krit. zum Verweis auf das Vertrauen der Bevölkerung in der gängigen Definition des öffentlichen Friedens Hörnle Verhalten S. 101 ff. 323 Pirson/Rüfner/Germann/Muckel/Radtke § 75 Rdn. 14. 324 BGHSt 63 66, 71 f Rdn. 18; Krauß LK § 130 Rdn. 73; Linke JR 2019 17, 23; Matt/Rezikowski/Altenhain § 130 Rdn. 14. 279
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Eignung der Tathandlung zur Friedensstörung (Rdn. 63 bis 65) und den zur Beurteilung dieser Eignung prozessual zu treffenden Feststellungen (Rdn. 66).325
62 (1) Keine konkrete Gefahr. Die zeitweilig häufig und auch in der Vorauflage326 vertretene Auffassung, dass durch die Beschimpfung der öffentliche Friede konkret gefährdet sein müsse,327 lässt sich ausgehend von der Struktur des tatbestandlich geschützten Rechtsguts öffentlicher Frieden nicht tragfähig begründen (vgl. bereits Rdn. 12). Aus dem Umstand, dass bei § 166 wie bei sonstigen Eignungsdelikten desselben Typus das Urteil über die Gefährlichkeit der Tat dem Richter einzelfallbezogen überlassen bleibt,328 lässt sich die Notwendigkeit einer konkreten Gefahr für das Rechtsgut nicht ableiten. Die Struktur dieses kollektiven Rechtsguts steht einem tatbestandlichen Erfolg im Sinne konkreter Gefährdungsdelikte zum Schutz von Individualrechtsgütern von vornherein entgegen (Rdn. 12). Es gibt anders als bei der Individualrechtsgutsgefahr keinen situativen Zustand konkreter Gefahr für den öffentlichen Frieden, der mit den Aufklärungsmitteln des Verfahrensrechts erkannt werden könnte. Aus der Wunsiedel-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 124 300 ff) folgt nichts Anderes. Die dortige Beschreibung der Schutzrichtung, dass es um den Schutz des öffentlichen Friedens vor „nach ihrem Inhalt erkennbar rechtsgutsgefährdenden Handlungen geht“ und der Schutz „an sich abzeichnende Gefahren anknüpft, die sich in der Wirklichkeit konkretisieren“ (BVerfGE 124 300, 335), gebietet nicht die Annahme eines konkreten Gefahrerfolges. Die vom Gericht vorgenommene Reduktion des Eignungsmerkmals in § 130 Abs. 4 auf ein Korrektiv zum Ausschluss nicht strafwürdiger Fälle, bei ansonsten allein aufgrund des tatbestandsmäßigen Verhaltens zu vermutenden Eignung (vgl. BVerfGE 124 300 344) spricht gegen ein Erfordernis konkreter Gefahr. Die Eignung zur Friedensstörung charakterisiert die Tathandlung näher, formuliert aber keine davon verschiedene Tatbestandsvoraussetzung.329
63 (2) Konkrete Eignung. Nach zutreffender überwiegend vertretener Auffasung bedarf es keiner konkreten Gefährdung und erst recht keiner Störung des öffentlichen Friedens; es kommt darauf an, ob die fragliche Tathandlung (hier: öffentliches Beschimpfen oder solches durch Verbreiten von Inhalten) sowohl nach Art und Inhalt und den Umständen, unter denen sie vorgenommen wurde, als auch unter Berücksichtigung des Empfängerkreises und der absehbaren Wirkungen konkret geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.330 Ob die konkrete Eignung in dem vorgenannten Sinne gegeben ist, soll anhand der Maßstabsfigur eines objektiven Beobachters zu beurteilen und gegeben sein, wenn die Besorgnis einer Friedensstörung nach Maßgabe der vorgenannten Umstände besteht.331 Da für die Beurteilung der Eignung zur Friedensstörung der Inhalt einer das Bekenntnis beschimpfenden Verhaltensweise zu bewerten ist, wird – insoweit methodisch ähnlich 325 Zu den fachrechtlich gebotenen Feststellungen siehe BGHSt 63 66, 72 Rdn. 19. 326 Dippel LK12 § 166 Rdn. 5. 327 Z. B. Gallas FS Heinitz 181 f; Robbers BTRAusschProt. 14/91 S. 45; Stree NJW 1976 1177, 1180; Zaczyk JuS 1990 890; Zipf NJW 1969 1944. 328 Schröder ZStW 81 (1979) 10. 329 Vgl. Pawlik FS Küper 418 f; Stübinger NK Rdn. 16; Winter KuR 2008 67. 330 In diesem Sinne BGHSt 16 49, 56; 29 26 mit Anm. Wagner JR 1980 119; 34 329, 331; 46 36; 46 212, 218; BGH NStZ 2007 216, 217; RGSt 50 324, 326; 54 26, 27; OLG Celle NJW 1970 2257; 1986 1276; OLG Düsseldorf NJW 1983 1211; OLG Hamburg NJW 1975 1088 mit Bespr. Geilen NJW 1976 279; OLG Karlsruhe NStZ 1986 363 mit Anm. Ott und Bespr. Katholnigg NStZ 1986 555; OLG Koblenz GA 1984 575, 576 mit Bespr. Giehring StV 1985 30; NJW 1997 1176; OLG Köln NJW 1982 657; OLG Nürnberg NStZ-RR 1999 238, 241 mit Bespr. Otto JK OO § 166/1; Hoyer S. 134; Krauß LK § 130 Rdn. 73; Ling KuR 10 (2004) 170 ff; Rogall SK Rdn. 18; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 10; Wehinger S. 100, 112; in der Sache ebenso Stübinger NK Rdn. 16; einschr. Beck S. 190. 331 Vgl. BVerfG NJW 2009 3503, 3504; BGHSt 29 26, 27; 46 212, 219; BGH NStZ 2007 216, 217; OLG Celle NJW 1970 2257; siehe auch Krauß LK § 130 Rdn. 75. Radtke
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II. Der objektive Tatbestand von Absatz 1
StGB § 166
wie bei Beurteilung des Vorliegens einer Religion oder einer Weltanschauung (Rdn. 19) – das Selbstverständnis der Angehörigen des betroffenen Bekenntnisses über konkret erwartbare Wirkungen auf die ungestörte Ausübung der Religions- oder Weltanschauungsfreiheit der Maßstabsfigur mit beigegeben werden müssen. Mit den Vorgaben der Wunsiedel-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (nachfolgend Rdn. 64 f) ist das vereinbar, wenn die Berücksichtigung des Selbstverständnisses der Betroffenen auf solche mit einer gewissen „Robustheit“ abstellt.332 Allerdings sind auch bei der Bewertung der Eignung zur Friedensstörung durch Bekenntnis- 64 beschimpfung die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten Anforderungen an verfassungsrechtlich gerechtfertigte Eingriffe in die Meinungfreiheit des Täters zu berücksichtigen. Meinungsbeschränkende Maßnahmen, die auch in der Verurteilung nach § 166 bestehen kann, müssen ein legitimes Ziel verfolgen, das dann gegeben ist, wenn die fragliche Meinung Rechtsgüter Einzelner oder Schutzgüter der Allgemeinheit erkennbar gefährden (BVerfGE 124 300, 333). Dem wäre nicht genügt, wenn der öffentliche Frieden dergestalt verstanden würde, dass Schutz der Bevölkerung (oder Teilen davon) vor durch Konfrontation mit provokanten Meinungen ausgelöste Beunruhigung oder die Wahrung von als grundlegend angesehenen sozialen und ethischen Anschauungen bezweckt würde.333 Ein legitimer Zweck wird allerdings verfolgt, wenn der Schutz vor Äußerungen bewirkt werden soll, die ihrem Inhalt nach erkennbar auf rechtsgutgefährdende Handlungen hin angelegt sind, mithin den Übergang zu Aggression oder Rechtsbruch markieren.334 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann es sich dabei um Meinungsäußerungen mit Appellcharakter oder Emotionalisierungen handeln, „die bei den Angesprochenen Handlungsbereitschaft auslösen oder Hemmschwellen herabsetzen oder Dritte unmittelbar einschüchtern“ (BVerfGE 124 300, 335). Auch bei Beachtung dieser Anforderungen an legitime Eingriffe in die Meinungsfreiheit durch die Anwendung den öffentlichen Frieden schützender Straftatbestände wird eine konkrete Eignung zur Friedensstörung angenommen werden können, wenn aufgrund der konkret zu berücksichtigenden Umstände die Aufrechterhaltung eines friedlichen Miteinanders bedroht erscheint.335 Für § 130 Abs. 1 wird auf der Grundlage dieser Rechtsprechung eine konkrete Eignung zur Friedensstörung angenommen, wenn in dem von der fraglichen Äußerung betroffenen Bevölkerungsteil das Vertrauen in ein Zusammenleben ohne Furcht um Leben, körperliche Unversehrtheit oder Freiheit erschüttert wird.336 Von einer konkreten Eignung einer Bekenntnisbeschimpfung zur Störung des öffentlichen Friedens kann dementsprechend ausgegangen werden, wenn bei wertender Betrachtung unter Beachtung des Äußerungskontextes die Befürchtung besteht, dass das Vertrauen der Betroffenen in die Respektierung ihrer religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung erheblich beeinträchtgt ist oder die Intoleranz Dritter gegenüber den Anhängern des Bekenntnisses gefördert wird.337 Das wird jedenfalls bei Beschimpfungen in Betracht kommen, aufgrund derer das Vertrauen der Betroffenen darauf, ihre Religion unbeeinträchtigt durch Störungen Dritter ausüben zu können, ernsthaft beeinträchtigt werden kann (zu den Anforderungen an die entsprechenden tatgerichtlichen Feststellungen Rdn. 66).
(3) Feststellung im Einzelfall. Bei der Wertung, ob im Einzelfall eine konkrete Eignung des 65 Beschimpfens zur Friedensstörung vorliegt, sind folgende Umstände zu berücksichtigen: Beschimpfungen, die bei unmittelbar betroffenen Angehörigen einer Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsgemeinschaft das Gefühl aufkommen zu lassen, ihr Bekenntnis werde nicht mehr
332 333 334 335 336 337 281
Hörnle MK Rdn. 23 aE. Vgl. BVerfG 124 300, 334. Vgl. BVerfGE 124 300, 335. Vgl. zum Schutz des friedlichen Miteinanders BVerfGE 124 300, 335. Matt/Renzikowski/Altenhain § 130 Rdn. 12; Krauß LK § 130 Rdn. 72 m. w. N. Pirson/Rüfner/Germann/Muckel/Radtke § 75 Rdn. 34; SSW/Hilgendorf Rdn. 19 m. w. N. Radtke
§ 166 StGB
Beschimpfung wegen Religion und Weltanschauung
respektiert, wird entgegen gelegentlich vertretener Sicht338 angesichts der restringierenden Vorgaben der Wunsiedel-Entscheidung (Rdn. 64) nicht ohne Weiteres die konkrete Eignung zur Friedensstörung begründen können. Erst recht kann in Fällen von Bekenntnissen Einzelner oder weniger anderer, namentlich bei Anschauungen abwegiger Art, die Möglichkeit einer Störung des öffentlichen Friedens regelmäßig von vornherein auszuschließen sein (dazu schon Rdn. 28). Allerdings kann sich die Beschimpfung des Bekenntnisses einer Minderheit im Einzelfall in besonderem Maße als eine Gefahr für den öffentlichen Frieden erweisen, wenn weitere Kreise dadurch das Vertrauen in die allgemeine Rechtssicherheit verlieren würden.339 Die beschimpfende Äußerung muss nicht an den Personenkreis gerichtet sein, in dem sie eine Störung des öffentlichen Friedens bewirken kann; vielmehr reicht aus, dass die Befürchtung besteht, sie werde in diesem Kreis bekannt werden (zweifelhaft).340 Unter dieser Voraussetzung soll selbst Handeln gegenüber einem Einzelnen genügen können.341 Die Veröffentlichung in einer Zeitschrift, deren Leser ohnehin schon ähnlich denken, oder die Kundgabe in einem Personenkreis, der die betreffende Ausdrucksweise kennt und zur intellektuellen Auseinandersetzung mit der Äußerung fähig ist, reicht nur dann aus, wenn nach den Umständen mit dem Bekanntwerden in der Bevölkerung zu rechnen ist.342 So liegt es auch bei Leserbriefen an Zeitungsredaktionen, die in der Erwartung eines kommentarlosen Abdrucks übersandt werden. Zu weit gehen dürfte aber, dies auch dann anzunehmen, wenn ein Publizität erzeugender Artikel über den Vorgang zu erwarten ist.343 Die Beschimpfung kann auch insofern konkret geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören, als sie möglicherweise bei Dritten die Bereitschaft zu Intoleranz gegenüber den Anhängern des beschimpften Bekenntnisses fördert.344 Es genügt beispielsweise die Verhetzung eines aufnahmebereiten Publikums, etwa die Diffamierung von Protestanten in rein katholischen Gegenden und umgekehrt. Entscheidend bleibt allein, dass die Zuhörer durch die Beschimpfung in einer Weise beeinflusst werden können, die sie weitere Beschimpfungen oder sogar tätliche Ausschreitungen befürchten lässt und damit die in Rdn. 63 genannten Voraussetzungen vorliegen. Vorgänge, die innerhalb der Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung Beunruhigung oder Störungen bewirken können, werden lediglich dann konkret zur Friedensstörung geeignet sein, wenn sie darüber hinaus auch den öffentlichen Frieden tangieren,345 was tragfähiger tatsächlicher Anhaltspunkte bedarf.
66 cc) Darlegung im tatgerichtlichen Urteil. Der anhand der in Rdn. 63 bis 65 dargestellten Maßgaben vorzunehmende Wertungsakt (Rdn. 59) des Tatrichters muss im tatrichterlichen Urteil in einer Weise dargelegt werden, die eine revisionsgerichtliche Überprüfung ermöglicht (vgl. BGHSt 63 66, 72 Rdn. 19 m. w. N.). Das setzt eine Wiedergabe der Anknüpfungstatsachen und damit Feststellungen des Tatgerichts sowohl zu Art und Inhalt sowie zu den Umständen, unter denen die Beschimpfung vorgenommen wurde, als auch deren absehbaren Wirkungen unter Berücksichtigung des Empfängerkreises (vgl. Rdn. 65) voraus.346 338 BGHSt 16 49, 56; RGSt 34 268, 270 f; OLG Celle NJW 1970 2257; 1986 1276; OLG Düsseldorf NJW 1983 1211; Pawlik FS Küper 418. Rogall SK Rdn. 16; vgl. auch Renzikowski GedS Meurer 188. OVG Koblenz NJW 1997 1174, 1175; krit. Hörnle MK Rdn. 22. BGHSt 29 26. Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 12; im Ansatz auch LG Bochum NJW 1986 1275, 1276; ferner OLG Karlsruhe NStZ 1986 363, 365 mit Anm. Ott und Bespr. Katholnigg NStZ 1986 555. Vgl. auch OLG München zu einem Spielfilm mit (möglicherweise) den Inhalt eines religiösen Bekenntnisses beschimpfenden Szenen, der abseits vom kommerziellen Filmbetrieb nur einem kleinen Kreis aufnahmebereiter und aufgeschlossener Cineasten zugänglich wird (FR 28 [1984] 596). 343 So aber BGHSt 29 26 mit krit. Anm. Wagner JR 1980 120; ebenfalls zw. Lackner/Kühl/Heger § 126 Rdn. 4. 344 BGHSt 16 49, 56; OLG Celle NJW 1970 2257; 1986 1276; Rogall SK Rdn. 18; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 12; vgl. auch Fischer § 130 Rdn. 13. 345 Vgl. Sturm NJW 1969 1608. 346 Vgl. BGHSt 63 66, 72 Rdn. 19.
339 340 341 342
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III. Der objektive Tatbestand von Absatz 2
StGB § 166
III. Der objektive Tatbestand von Absatz 2 1. Angriffsgegenstände Die Tathandlung des Beschimpfens in einer zur Störung des öffentlichen Friedens geeigneten 67 Weise muss sich als Angriffsgegenstände gegen eine Kirche, eine andere Religionsgesellschaft, eine Weltanschauungsvereinigung, die alle im Inland bestehen müssen, gegen eine ihrer Einrichtungen oder eines ihrer Gebräuche richten.
a) Kirchen und andere Religionsgemeinschaften. Kirchen und andere Religionsgemein- 68 schaften bilden einen einheitlichen Angriffsgegenstand.
aa) Kirchen. Das Gesetz sieht Kirchen, wie die Verbindung durch die Wörter „und andere“ zeigt, 68a als Unterfall der Religionsgesellschaften. Es hat mit dieser Ausgestaltung den Sprachgebrauch übernommen, wie er sich im Sinne eines nivellierenden Allgemeinbegriffs, der sowohl die großen Kirchen, als auch die sonstigen Religionsgesellschaften umfassen sollte, im deutschen Staatskirchenrecht entwickelt hat und so schon in der Frankfurter Paulskirchenverfassung (Art. V) sowie in Art. 137 WRV, der sogar nur von Religionsgesellschaften spricht, verwendet wurde. Das weicht vom kirchlichen Sprachgebrauch ab, der dem theologischen Begriff Kirche verhaftet, der sie als „die Vergegenwärtigung des rettenden Handelns Gottes in Jesus Christus durch den Heiligen Geist in Wort und Sakrament, der Gemeinschaft der Glaubenden und ihrem Leben und den der Verkündigung, Sakramentspendung und dem Aufbau der kirchlichen Gemeinschaft dienenden Institutionen, in Sendung und Diakonie“ (Baer/Gasper/Müller/Sinabell/Gasper Sp. 683) definiert. In Reinkultur entsprechen dem im deutschen Sprachraum nur die römisch-katholische Kirche und die evangelischen Landeskirchen. Der Sonderausschuss hat sich bewusst in Gegensatz zu diesem Sprachgebrauch gesetzt (Heimann-Trosien LK9 Rdn. 18). Kirchen sind in § 166 Abs. 2 als Hauptbeispiele der Religionsgesellschaften allein ihrer historischen Bedeutung (vgl. Vor § 166 Rdn. 3 f) wegen vorangestellt worden. Eine prinzipiell rechtlich bevorzugte Kategorie von Religionsgesellschaften sind sie dennoch nicht.347
bb) Begriff Religionsgesellschaft. Der Begriff Religionsgesellschaft348 stammt aus der Auf- 69 klärung. Er war und ist Ausdruck der Weltlichkeit und der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates. Damals stand er für die Einfügung der Kirchen und sonstigen religiösen Gemeinschaften als Korporationen weltlichen Rechts in die staatliche Ordnung,349 ungeachtet ihres Selbstverständnisses als außerweltlich begründeter Glaubensgemeinschaften.350 Seit der Übernahme des Begriffs in das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794351 gehört er zu den Kernaussagen des deutschen Staatskirchenrechts (vgl. Art. 136 ff WRV). Er steht synonym zu dem moderneren Begriff Religionsgemeinschaft (Art. 7 Abs. 2 Satz 2 GG), von dem er sich also nur in der Terminologie, nicht aber in der Sache unterscheidet.352 347 348 349 350 351
Siehe Quaritsch Staat 1 (1962) 196. Nach Köttgen ein „farbloser Sammelbegriff“ (DVBl. 1952 488). Vgl. Obermayer BK (Vorbearbeitung) Art. 140 Rdn. 37. Listl/Pirson/Badura S. 236. Teil II Tit. 11 § 17: Die vom Staate ausdrücklich aufgenommenen Kirchengesellschaften haben die Rechte privilegierter Corporationen. 352 Fechner Jura 1999 516 unter Hinweis auf BayVerfGH BayVerwBl. 45 (1999) 144; Heun/Honecker/Morlok/Wieland/Heinig Sp. 2012; ferner: OVG Berlin NVwZ 1999 786; VG Düsseldorf NWVBl. 15 (2001) 110, 112 mit Anm. Rüfner; Neureither S. 199 mit ausführlichen Nachweisen Fn. 264; Pieroth/Görich JuS 2002 938; vgl. jedoch v. Campenhausen/ 283
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§ 166 StGB
Beschimpfung wegen Religion und Weltanschauung
70 cc) Bestimmendes Merkmal. Bestimmendes Merkmal aller Religionsgesellschaften ist der Glaube an ein höheres Wesen (Rdn. 18 und 25 f). Dies gilt seit Einführung der religiösen Vereinigungsfreiheit (Art. 137 Abs. 2 WRV). Sie beschränkt den Begriff der Religionsgesellschaft auf diejenigen religiösen Vereinigungen, die sich der religiösen Anliegen ihrer Mitglieder nach Art der Kirchen universell annehmen353 und sie oder auch die Mitglieder eines verwandten Glaubensbekenntnisses zu allseitiger Erfüllung der durch das gemeinsame Bekenntnis gestellten Aufgabe zusammenfassen.354 Vor allem dadurch unterscheiden sie sich von anderen religiösen Vereinen, die ihr religiöses Leben nicht durch die umfassende Bezeugung eines sie prägenden religiösen Bekenntnisses pflegen, sondern nur eine partielle Zielsetzung haben.355 Ihre Religion, ihre Lehre und ihr Verständnis von Gott zu definieren, ist Sache der betreffenden Religionsgemeinschaften; dem Staat ist jeglicher Eingriff in diesen Bereich verwehrt. Angesichts dessen hebt die Zulassung einer Doppelmitgliedschaft durch Zugehörigkeit auch zu einer anderen Religionsgesellschaft, wie neue, überkonfessionell orientierte Gemeinschaften dies vielfach erlauben, die Qualifikation als Religionsgemeinschaft nicht auf, weil die Gestaltung der Mitgliedschaftsrechte Sache der beteiligten Gemeinschaften ist, die der zu religiöser Neutralität verpflichtete Staat (vgl. Rdn. 24) nicht einengen darf.356 Es ist kein staatliches Interesse erkennbar, religionsrechtliche Doppelmitgliedschaften zu verhindern. Ungeachtet der Selbstbestimmung genügt allein die Behauptung einer Gemeinschaft, sie bekenne sich zu einer Religion und sei eine Religionsgemeinschaft, nicht, um die Berufung auf die Freiheitsgewährleistungen des Art. 4 Abs. 1, 2 GG zu rechtfertigen (näher bereits Rdn. 24). In Widerspruch zu den Grundentscheidungen des Verfassungsgebers, etwa durch Verfolgung auch des Zwecks, die verfassungsrechtliche Ordnung des Grundgesetzes zu verändern, darf ein Bekenntnis sich nicht setzen (näher Rdn. 78 f).
71 dd) Formelle Voraussetzungen. Besondere formelle Voraussetzungen müssen privatrechtliche Religionsgemeinschaften im Allgemeinen nicht erfüllen. Das folgt im Umkehrschluss aus Art. 137 Abs. 5 WRV (i. V.m Art. 140 GG), wonach sich die darin genannten Erfodernisse nur auf die Verleihung des öffentlichrechtlichen Körpertschaftsstatus (Rdn. 78 f) beziehen.357 Es genügt ein Minimum organisatorischer Regelungen.358 Sie braucht nur den Zusammenhalt zu gewährleisten, der die Religionsgemeinschaft zur Erfüllung ihrer Aufgaben befähigt.359 Letztlich ist der Zusammenschluss als solcher entscheidend, nicht seine Festigkeit oder Eindeutigkeit.360 Eine Religionsgemeinschaft erfordert keine bestimmte Mitgliederzahl. Ein mehrstufiger Verband (Dachverbandsorganisation) kann eine Religionsgemeinschaft sein, vorausgesetzt, dass für die Identität einer Religionsgemeinschaft wesentliche Aufgaben
deWall, wonach die neuere Terminologie den Unterschied der Großkirchen als gewachsene Lebensverbände gegenüber den zur Verfolgung gemeinsamer Zwecke zusammengeschlossenen Gruppen und Verbänden der pluralistischen Gesellschaft zum Ausdruck bringt (S. 372); siehe auch G. Held S. 18 f. 353 Galling/W. Weber Sp. 994. 354 BVerwGE 99 1, 3; OVG Berlin NVwZ 1999 786 f; Anschütz Art. 137 Anm. 2; Listl/Pirson/Badura S. 226; Emenet Religionskunde S. 152 f; Fechner Jura 1999 516; G. Held S. 111 f; Listl/Pirson/Jurina S. 691; v. Mangoldt/Klein/Starck/ v. Campenhausen Art. 140 Rdn. 18; Muckel DÖV 1995 312; Müller-Volbehr JZ 1981 42; Pagels JuS 1996 791; Rogall SK Rdn. 6; Schnorr § 2 Rdn. 37, 38; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 15; Tillmanns DÖV 1999 444 f; Towfigh NWVBl. 20 (2006) 132; vgl. auch E. Fischer Trennung S. 29 f; Bettermann/Nipperdey/Scheuner/Mikat S. 148 f. 355 Eine Zusammenstellung religiöser Vereine insgesamt findet sich bei Obermayer BK2 Art. 140 Rdn. 150 ff. 356 G. Held S. 110; Müller-Volbehr JZ 1981 43; R. Mayer ZevKR 7 (1959/60) 165; diff. Veelken S. 76 f; and. Bopp DÖV 1952 518; Galling/W. Weber Sp. 994; vgl. auch v. Campenhausen ZevKR 25 (1980) 135. 357 OVG Berlin NVwZ 1999 786, 787; Pieroth/Görisch JuS 2002 939. 358 BVerwG NJW 1992 2496, 2497; OVG Berlin NVwZ 1999 786, 787. 359 Listl/Pirson/Jurina S. 690. 360 Müller-Volbehr JZ 1981 42; and. noch Bopp DÖV 1952 516 f. Radtke
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III. Der objektive Tatbestand von Absatz 2
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auch auf der Dachverbandsebene wahrgenommen werden.361 Hat der Dachverband ausschließlich die Aufgabe der Interessenvertretung, des Dialogs und der Aufklärung gegenüber dem Staat (so etwa die Konföderation Evangelischer Kirchen in Niedersachen), erfüllt er diese Voraussetzung nicht.362 Juristische Personen können einer Religionsgesellschaft nicht angehören. Dies folgt aus dem durch das gemeinsame Bekennen geprägten Wesen einer Religionsgesellschaft, lässt sich aber auch schon aus dem Begriff der Mitgliederzahl in Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV ableiten.363 Daher sind Dachverbände, denen nur juristische Personen angehören können, keine Religionsgesellschaften.364
ee) Wirtschaftliche Betätigung. Wirtschaftliche Betätigung einer Gruppierung außerhalb des 72 engen religiösen Bereichs steht ihrer Qualifizierung als Religionsgesellschaft grundsätzlich nicht entgegen. Doch muss der Schwerpunkt der Tätigkeit auf der Pflege und der Förderung365 des religiösen Bekenntnisses der Gemeinschaft liegen; die wirtschaftliche Tätigkeit darf immer nur Nebenzweck, die religiöse oder weltanschauliche Lehre nicht lediglich Vorwand für die Verfolgung wirtschaftlicher Interessen sein.366 Dementsprechend verliert eine Religionsgesellschaft ihren Schutz aus Art. 4 Abs. 1, 2 GG nicht, wenn sie zu ihrer bisherigen Tätigkeit auch wirtschaftlich tätig wird, ohne dabei den Bezug zu ihrer Religion zu verlieren.367 Umgekehrt wandelt sich ein Wirtschaftsunternehmen nicht dadurch zu einer Religionsgesellschaft, indem es sich als eine solche bezeichnet,368 weil dies noch nicht sein äußeres Erscheinungsbild, seinen geistigen Gehalt und sein stetiges Handeln als religiös prägt.369 ff) Politische u. gesellschaftliche Betätigung. Ähnlich liegt es bei politischer und gesell- 73 schaftlicher Betätigung einer Vereinigung. Sie ist prinzipiell unter dem positiven Blickwinkel zu betrachten, dass zu einer pluralistischen Gesellschaftsordnung politisches Engagement aller gesellschaftlichen Kräfte gehört. Der „Öffentlichkeitsanspruch des Evangeliums“ (Klostermann S. 2 Fn. 8, S. 16; Listl/Pirson/Schlaich S. 132), formelhaft als „Öffentlichkeitsauftrag der Kirchen“ bezeichnet,370 mit vielfältigen Formen kirchlicher Beteiligung am öffentlichen und gesellschaftlichen Diskurs legt bei der Bewertung politischer oder gesellschaftlicher Betätigung eine weitherzige Ausle-
361 BVerwG NJW 2005 2101 = NWVBl. 19 (2005) mit Bespr. Stock NWVBl. 19 (2005) 285 und Towfigh NWVBl. 20 (2006)] 131; ferner Ladeur/Augsberg Toleranz S. 96 ff; krit. Mückl EssGespr. S. 68.
362 OVG NRW NWVBl. 18 (2004) 224 dazu Stock NWVBl. 19 (2005) 289 [Bespr. BVerwG NJW 2005 2101; vgl. auch Emenet Religionskunde S. 172 ff. 363 Muckel DÖV 1955 312. 364 Fechner Jura 1999 516; Heun/Honecker/Morlok/Wieland/Heinig Sp. 2013; Hillgruber JZ 1999 545; Muckel DÖV 1995 S. 311 ff; zw. W. Bock RdJB 49 (2001) 340; and. Pieroth/Görich JuS 2002 941. 365 Zum Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit von Religionsgemeinschaften Grote/Mahraun/Röben S. 548. 366 BVerfGE 19 129, 133; 83 341, 353; BVerfG EuGRZ 16 (1990) 195; BVerwGE 61 152, 160 f; 90 112, 116 f; BAGE 79 319, 337 ff; OVG Berlin NVwZ 16 (1999) 786, 787; Badura Staatsrecht S. 140; v. Campenhausen HdbStR VI Rdn. 73; Dreier I Art. 4 Rdn. 46; Jeand’Heur/Korioth Rdn. 92; Kästner AöR 1998 416 f; v. Mangoldt/Klein/Starck/Starck Art. 4 Abs. 1, 2 Rdn. 50 (mit der weiteren Einschränkung, dass der Bezug zur Religion der betreffenden Gemeinschaft in der Art und Weise der wirtschaftlichen Tätigkeit oder in der Nutzung des wirtschaftlichen Ergebnisses für ideelle Zwecke sichtbar sein müsse); Thüsing ZevKR 45 (2000) 596; ferner Listl/Pirson/Jurina S. 708; Müller-Volbehr DÖV 1995 303; Sachs/Kokott Art. 4 Rdn. 18, 64; Seidel S. 151; Veelken S. 47 ff; Waldhoff EssGespr. S. 73. Zu den Abgrenzungskriterien auch OLG Düsseldorf NJW 1983 2574, 2575 f; VG Darmstadt NJW 1979 1056, 1057; VG München GewArch. 30 (1984) 329, 331 f. 367 OVG NRW NVwZ 1986 400. 368 v. Campenhausen HdbStR VI Rdn. 73. 369 v. Mangoldt/Klein/Starck/Starck Art. 4 Abs. 1, 2 Rdn. 50. 370 Hollerbach HdbStR VI Rdn. 97 ff; Mückl EssGespr. S. 72; Robbers FS Heckel 423 f; Schilberg KuR 8 (2002) 1 ff; Sutor StZt. 126 (2001) 161 ff Staatsrechtliche Positivierung fand der Begriff erstmals in der Präambel des am 19.3.1955 285
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§ 166 StGB
Beschimpfung wegen Religion und Weltanschauung
gung zugunsten der betreffenden Gemeinschaften nahe.371 Nur wenn es ihnen vor allem darum geht, ein politisches Programm, das auf eine Veränderung von Staat und Gesellschaft abzielt, umzusetzen, so dass an diesem eigentlichen Ziel gemessen das Religiöse nur Randerscheinung bleibt, sind sie auf den Schutz anderer Grundrechte als das des Art. 4 Abs. 1, 2 GG zu verweisen.372 Dementsprechend führt eine später von der Gemeinschaft aufgenommene politische Betätigung, solange sie den Bezug zur Religion wahrt, nicht zu einem Verlust ihrer Qualifizierung als Religionsgesellschaft (BVerwGE 37 344, 362 f; 90 112, 117 f).
74 gg) Körperschaften d. öffentlichen Rechts. Religionsgesellschaften bleiben Körperschaften des öffentlichen Rechts, soweit sie solche bisher waren (Art. 137 Abs. 5 Satz 1 WRV); schließen sich mehrere öffentlichrechtliche Religionsgesellschaften zu einem Verband zusammen, so ist auch dieser Verband eine öffentlichrechtliche Körperschaft (Art. 137 Abs. 5 Satz 3 WRV).373
74a (1) Staatskirchenrechtlicher Begriff. Der staatskirchenrechtliche Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts, über den bis heute keine vollständige rechtliche Klarheit besteht,374 geht, sieht man von gelegentlicher Verwendung der Ausdrücke „corpus“ und „corporation“ in staatskirchenrechtlichen Abhandlungen seit der Reformation375 ab, auf das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 zurück, das zwischen den vom Staat „aufgenommenen“ (Teil II Tit. 11 § 17) privilegierten und den vom Staat lediglich „genehmigten“ (Teil II Tit. 11 § 20) Kirchengesellschaften unterschied.376
75 (2) Verfassungsrang. Verfassungsrang erlangte der Begriff erstmals mit Art. 137 Abs. 5 Satz 1 WRV, der die großen christlichen Kirchen und eine Reihe weiterer Religionsgesellschaften privilegierte.377 Wollte man den altkorporierten Religionsgesellschaften diesen Status aberken-
in Kloster Loccum geschlossenen Niedersächsischen Kirchenvertrages, in der es heißt, dass er „in Übereinstimmung über den Öffentlichkeitsanspruch der Kirchen und ihrer Eigenständigkeit“ geschlossen wird (seitdem „Loccumer Formel“ genannt; vgl. Klostermann S. 11; Listl/Pirson/Schlaich S. 131). Das Bundesverwaltungsgericht hat den Auftrag im Sinne einer aktiven Beteiligung der Kirchen am öffentlichen, politischen Leben und einer Einflussnahme auf die Gestaltung von Staat, Gesellschaft und Rechtsordnung anerkannt, ihn aber auch den anderen Religionsgesellschaften und den Weltanschauungsvereinigungen zugebilligt (BVerwGE 37 345, 363). 371 Schnorr § 2 Rdn. 39; ähnlich v. Mangoldt/Klein/Starck/Starck Art. 4 Abs. 1, 2 Rdn. 49. 372 v. Campenhausen HdbStR VI Rdn. 73; Jeand’Heur/Korioth Rdn. 94. 373 Anlass für die Aufnahme dieser Bestimmung waren die damaligen Bestrebungen der evangelischen Landeskirchen, sich organisatorisch zu vereinigen, die der Verfassungsgeber fördern wollte (G. Held S. 139; vgl. auch Dreier/ Morlok Art. 140/Art. 137 WRV Rdn. 100; krit. v. Campenhausen/deWall S. 140). 374 Von Smend daher, viel zitiert, als „rätselhafter Ehrentitel“ apostrophiert (ZevKR 1 [1951] 9); vgl. auch Mückl EssGespr. S. 63. 375 So erstmals in Pufendorfs de iure et gentium von 1672 (Endrös S. 12). 376 Endrös S. 9 ff; Muckel Staat 38 (1999) 570; Listl/Pirson/Kirchhof S. 659; vgl. auch Kippenberg/Schuppert/Korioth S. 113 f; GedS Jeand’Heur 225 f; Meyer-Teschendorf AöR 1978 290; Mikat Kirche S. 2; Robbers FS Heckel 417; Hans Schütze S. 16 ff; Herm.Weber Religionsgemeinschaften S. 51 ff. Zum Ursprung des Begriffs Körperschaften des öffentlichen Rechts allgemein Lindner S. 15 ff. 377 Beispiele altkorporierter Religionsgesellschaften bei G. Held S. 147 ff; Kippenberger/Schuppert/Korioth S. 126; W. Galling/W. Weber S. 995; Zacharias KuR 1 (2001) 33 f Zur 1935 einsetzenden Auflösung von Sekten und Weltanschauungsvereinigungen, systematisiert durch das Reichsgesetz über die Rechtsverhältnisse der jüdischen Kultusgemeinden vom 28.3.1938 (RGBl. I 338), W. Weber GedS Jellinek S. 107 f mit einer Auflistung der von Auflösungsdekreten betroffenen Vereinigungen S. 108 f. Der zwangsweise Entzug der Körperschaftsrechte wurde durch Verleihungsakte der Länder vielfach rückgängig gemacht. Vgl. dazu auch den Streit um die Israelitische SynagogenRadtke
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nen, bedürfte es einer Verfassungsänderung,378 während im Übrigen auch verfassungsrechtlich geschützte Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften unter den Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 GG (Zwecke oder Tätigkeiten der Vereinigung, die den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten) verboten werden können.379 Der Körperschaftsstatus stellt für die betreffenden Religionsgesellschaften ein probates Mittel zur Erleichterung und Entfaltung der Religionsfreiheit dar, das die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Religionsgemeinschaften unterstützt.380
(3) Öffentlichrechtliche Befugnisse. Durch den Status der Körperschaft des öffentlichen 76 Rechts bestehen bei den betreffenden Religionsgesellschaften gewisse Parallelen zur Herrschaftsordnung des Staates, verbunden mit bestimmten öffentlichrechtlichen Befugnissen. Sie folgen aus ihrem tatsächlichen organisatorischen Erscheinungsbild.381 Zu ihnen gehören weitreichende Gestaltungsrechte, wie die öffentlichrechtliche Dienstherrenfähigkeit mit Disziplinargewalt und Vereidigungsrecht, die autonome Organisationsgewalt mit Wirkung für den weltlichen Bereich,382 die über das allen Religionsgemeinschaften nach Art. 137 Abs. 3 WRV gewährleistete Selbstbestimmungsrecht (Autonomie) hinausgehende Befugnis zu öffentlichrechtlicher Rechtsetzung, das in Art. 137 Abs. 6 WRV gesondert garantierte kirchliche Besteuerungsrecht, das Parochialrecht, die Befugnis, Sachen, die dem gottesdienstlichen Gebrauch dienen (vgl. § 167 Abs. 1 Nr. 2), durch Widmung zu res sacrae zu erklären, sowie die als „Privilegienbündel“383 bezeichneten vielerlei Rechtsvergünstigungen, wie sie auch andere Körperschaften des Verwaltungsrechts genießen.384 Aus ihrer bloßen Zuordnung zum Staat folgt, dass Religionsgesellschaften mit Körperschaftsstatus grundrechtsfähig sind.385
gemeinschaft Adass Jisroël zu Berlin (BVerwG NJW 1998 253; OVG Berlin NVwZ 1997 396; VG Berlin NVwZ 1995 513; Kunig/Uerpmann DVBl. 1997 248 ff; Mückl EssGespr. S. 64; Herm. Weber NJW 1998 197 f). 378 Borowski S. 308; vgl. auch BVerfG ZevKR 46 (2001) 341, 343. 379 BVerwGE 37 344, 363 ff; 105 117, 121; BVerwG NVwZ 2006 694; and. Alberts ZRP 1996 61 ff; zur religionsverfassungsrechtlichen Frage, ob das Verbot einer Religionsgemeinschaft vom Grundgesetz gedeckt ist, Michael JZ 2002 482 ff. 380 BVerfGE 102 370, 387; v. Campenhausen/Brenner S. 49. 381 BVerwG NJW 1997 2396, 2397. 382 Beispielsweise die Entscheidung über die Teilnahme von Schülern eines anderen Bekenntnisses am Religionsunterricht, die der Staat zu respektieren hat (BVerfG ZevKR 32 [1987] 675) und die Pflicht des Friedhofträgers, die kirchliche Bestattungsfeier zu dulden (vgl. § 167a Rdn. 23). 383 Nach Robbers eine Redewendung, die sich historisch aus der Phase des Staatskirchentums begründe und daher heute überholt sei (FS Heckel 424). 384 Ausführlich zu den einzelnen Korporationsrechten: v. Campenhausen/deWall S. 251 ff (zum „Privilegienbündel“ S. 267 ff); Borowski S. 662 f; v. Campenhausen/M. Brenner S. 51; Staat S. 285 mit Fn. 84; Heun/Honecker/Morlok/Wieland/Heinig Sp. 2016 f; Jeand’Heur/Korioth Rdn. 240 ff; Jurina FS Rüfner 390; Lindner S. 28 ff; Magen NVwZ 2001 888 f; v. Mangoldt/Klein/Starck/v. Campenhausen Art. 137 Rdn. 236 ff (zum „Privilegienbündel“ Rdn. 260 ff); Muckel Staat 38 (1999) 575 ff; ferner Bopp DÖV 1952 516; Link Staatskirchenrecht S. 43 ff (zum kirchlichen Besteuerungsrecht); Muckel StZt. 126 (2001) 466 f; Neureither S. 49 f; Reupke KuR 3 (1997) 92 f; Robbers FS Heckel 416; Sachs/ Ehlers Art. 140/Art. 137 WRV Rdn. 17; Hans Schütze S. 163 ff; Tillmanns DÖV 1999 444; C. Walter Religionsverfassungsrecht S. 550 f; Herm. Weber NJW 1983 2549 ff (insb. mit Blick auf die öffentlichrechtliche Dienstherrenfähigkeit); Winter öarr 47 (2002) 207 f; s. auch schon Vor § 166 Rdn. 8. Zur Grundrechtsbindung der Religionsgesellschaften bei Wahrnehmung dieser Gestaltungsrechte Listl/Pirson/Kirchhof S. 676 ff; Listl/Pirson/Herm. Weber S. 577 ff; Winter Staatskirchenrecht S. 137 ff. 385 BVerfGE 42 312, 321 f; 53 366, 387; 102 370, 387; OLG Jena NJW 2006 1892, 1893; Hillgruber NVwZ 2001 1347; Jarras/Pieroth/Jarras Art. 19 Rdn. 21 a; Magen NVwZ 2001 889; Mückl EssGespr. S. 63; Valerius JuS 2007 1109; Herm. Weber FS Rüfner 970. 287
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77 hh) Verleihung der Körperschaftsrechte. Anderen (privatrechtlichen) Religionsgesellschaften sind auf ihren Antrag386 die Korporationsrechte zu verleihen, sofern sie bestimmte, teils geschriebene, teils ungeschriebene Voraussetzungen erfüllen.
77a (1) Geschriebene Voraussetzungen. Zu den geschriebenen Voraussetzungen gehört, vom Antrag auf Verleihung der Korporationsrechte abgesehen, dass die betreffende Religionsgesellschaft durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bietet (Art. 137 Abs. 5 S. 2 WRV i. V. m. Art. 140 GG).387 Eine Satzung genügt den Anforderungen, wenn sie eine vereinsähnliche Organisationsstruktur im Inneren mit einem zur Vertretung befugten Organ nach außen normiert,388 ohne dass es, anders als nach § 166 a. F., der nur die Religionskörperschaften des öffentlichen Rechts schützte, auf eine Rechtsform ankäme.389 Inwieweit der Grundsatz der Vereinsautonimie, wonach der Verein nicht von Vereinsfremden beherrscht werden darf, auch für kirchliche Vereine gilt, ist umstritten. Satzungsmäßige Mitwirkungsbefugnisse kirchlicher Behörden werden ebenso ausgeschlossen, wie weitgehend zugelassen, überwiegend jedoch nur anerkannt, solange die Vorrangstellung der Mitgliederversammlung erhalten bleibt.390 Was die erforderliche Zahl der Mitglieder betrifft, so lässt sie sich generell nicht festlegen (vgl. schon Rdn. 61). Ein entscheidender Anhalt kann sich beispielsweise aus der Bedeutung der räumlichen Verteilung der Mitglieder im Verleihungsland391 und der größeren Mitgliedsdichte in einem anderen Bundesland oder einem ausländischen Kulturkreis392 ergeben. Ob aus beiden Kriterien die Gewähr auf Dauer hergeleitet werden kann, hängt letztlich von dem tatsächlichen Gesamtzustand (BVerfGE 102 370, 385) der jeweiligen Gemeinschaft ab, wie ihn die Summe ihrer Lebensbeziehungen in einem weiten Sinne, wozu ihre Geschichte, der Zeitraum ihrer Bewährung im Rechtsleben als gefestigte Organisation,393 ihre Vermögensverhältnisse, aber auch die Intensität der religiösen Aktivitäten ihrer Mitglieder gehören, widerspiegelt.394
386 Dazu Fechner Jura 1999 516; G. Held S. 114 f; Pagels JuS 1996 791 f; Hans Schütze S. 98; Herm. Weber ZevKR 34 (1989) 349.
387 Zur Entstehung dieser Vorschrift vom Entwurf des Verfassungsausschusses bis zur endgültigen Fassung durch das Plenum der Nationalversammlung Muckel Staat 38 (1999) 585 f; vgl. auch Korioth GedS Jeand’Heur S. 227. 388 Hieran ermangelt es nach bisherigen Einschätzungen durchweg den muslimischen Religionsgemeinschaften (v. Campenhausen ZevKR 25 [1980] 142; Classen S. 75; Fechner Jura 1999 522; Hollerbach HdbStR VI Rdn. 135; Kreß/ Muckel S. 136 ff; DÖV 1995 317; Müller-Volbehr JZ 1981 S. 46 mit Fn. 67; Tillmanns DÖV 1999 445; C. Walter Religionsverfassungsrecht S. 592 ff; Herm. Weber NJW 1983 2553; vgl. auch: OVG Berlin NVwZ 1999 786, 787; A. Albrecht KuR 1 [1995] 29, 30; Ladeur/Augsberg Toleranz S. 95 ff; Lindner S. 57 ff, 65; Meyer/Oebbecke S. 261 ff; Heun/Honecker/ Morlok/Wieland/deWall Sp. 1989). So scheitert beispielsweise die Befähigung islamischer Dachverbände zur Kooperationspartnerschaft mit staatlichen Behörden in der Frage der Einführung islamischen Religionsunterrichts (vgl. dazu schon Vor § 166 Rdn. 21 Fn. 130) letztlich daran, dass es ihnen an der Möglichkeit einer autoritativen Äußerung zur Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaft ermangelt (W. Bock RdJB 49 [2001] 340). Zu deutlichen Anzeichen von Veränderungen im Selbstverständnis der islamischen Verbände in diesem Bereich Klinkhammer/Frick/Klinkhammer S. 191 ff. 389 Dazu eingehend Listl/Pirson/Kirchhof S. 684 ff; ferner: VG Düsseldorf NVwZ-RR 2000 789, 791 ff; v. Campenhausen/deWall S. 135; Fechner Jura 1999 516; G. Held S. 117; Hollerbach HdbStR VI Rdn. 135; Muckel DÖV 1995 314; Pagels JuS 1996 791; Sachs/Ehlers Art. 140/Art. 137 WRV Rdn. 20; Zacharias KuR 7 (2001) 35; abw. Bopp DÖV 1952 517 f. 390 Ausführl. zum Sach- und Streitstand Schockenhoff NJW 1992 1013 ff. 391 Müller-Volbehr JZ 1991 46. 392 VG München ZevKR 29 (1984) 632; Pagels JuS 1996 791. 393 Obwohl sich, ähnlich wie bei der Mitgliederzahl, eine Mindestbestandszeit überzeugend nicht bestimmen lässt (G. Held S. 117 f; vgl. aber Bopp DÖV 1952 516; J. Lehmann S. 50; Konrad Müller ZevKR 2 [1952/53] S. 151; Herm. Weber ZevKR 34 [1989] 351 f). 394 Doose S. 155; Dreier III Art. 140/Art. 137 WRV Rdn. 98; Fechner Jura 1999 516; G. Held S. 116 f; Jeand’Heur/ Korioth Rdn. 230; J. Lehmann S. 49 f; Muckel DÖV 1995 312; Konrad Müller ZevKR 2 (1952/53) 153; Müller-Volbehr JZ Radtke
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(2) Ungeschriebene Voraussetzung. Ungeschriebene Voraussetzung für die Verleihung der 78 Köperschaftsrechte ist Rechtstreue, manifestiert in der grundsätzlichen Bereitschaft der Religionsgesellschaft, die staatliche Rechtsordnung anzuerkennen und deren allgemeine Gesetze zu befolgen.395 Das lässt sich zwanglos bereits der Bestimmung des Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV, wonach jede Religionsgesellschaft ihre Angelegenheiten innerhalb des für sie alle geltenden Gesetzes selbständig ordnet und verwaltet, entnehmen.396 Auch eine über Rechtstreue hinausgehende positive Grundhaltung zum Staat in Form einer gewissen Staatsloyalität oder Staatstreue muss eine Religionsgesellschaft nicht ausweisen.397 Der Staat muss bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Verleihung der Körperschaftsrechte398 bei der Beantwortung der Frage, ob überhaupt eine Religionsgesellschaft vorliegt, seine Neutralitätspflicht im religiösen Bereich, die ihm jegliche Bewertung von Glaubensinhalten verbietet (vgl. Rdn. 19 und 24), beachten.399 Allerdings ist er schon im Hinblick auf den Schutzpflichtengedanken zu einer sorgfältigen und umfassenden Prüfung verpflichtet (vgl. ebenfalls Rdn. 17).400 Diesen gegensätzlichen Maximen gerecht zu werden kann im Einzelfall schwierig sein. Formal erfordert die Verleihung der Körperschaftsrechte eine ausdrückliche Entscheidung, weil die Erhebung in den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts sich im Hinblick auf den rechtsgestaltenden Charakter des Aktes nicht stillschweigend ergeben kann (VG München KirchE 20 149, 153 f).
1981 47; Pagels JuS 1996 791; Smend ZevKR 2 (1952/53) 378; Herm. Weber ZevKR 41 (1996) 196. Insgesamt zum Merkmal der Gewähr auf Dauer z. B.: Borowski S. 664 f; v. Campenhausen/deWall S. 134 f; Emenet Religionskunde S. 161 f; Lindner S. 52 ff; v. Mangoldt/Klein/Starck/v. Campenhausen Art. 137 Rdn. 275; Morgenthaler S. 330 f; Röger FS Rüfner 753; Tilmanns DÖV 1999 445 f; Towfigh NWVBl. 20 (2006) 134; Herm. Weber FS Rüfner 964, 973; Wilms NJW 2003 1080. 395 BVerfGE 102 370, 390 ff; BVerwGE 37 344, 363 f; 61 152, 162; OVG Berlin NVwZ 1999 786, 788; Abel NJW 1997 2371; A. Albrecht KuR 1 (1995) 26 f; Borowski S. 666 ff; v. Campenhausen ZevKR 46 (2001) 174, 176; v. Campenhausen/ deWall S. 136; Fechner Jura 1999 517; Fülbier S. 101; J. Heinemann S. 65 f; G. Held S. 122; Hesse ZevKR 3 (1953/54) 192; Hollerbach HdbStR VI Rdn. 136; Huster JuS 1998 118; Jeand’Heur/Korioth Rdn. 132; Listl/Pirson/Kirchhof S. 683; Klinkhammer/Frick/Klinkhammer S. 195; Korioth GedS Jeand’Heur S. 236 f; J. Lehmann S. 52; Lindner S. 66 f; Link ZevKR 43 (1998) 20 ff; 46 (2001) 280 f; v. Mangoldt/Klein/Starck/v. Campenhausen Rdn. 228 ff; Bettermann/Nipperdey/Scheuner/Mikat S. 157; Muckel DÖV 1995 316; Müller-Volbehr JZ 1981 47; NJW 1997 3358; Pagels JuS 1996 792; Reupke KuR 3 (1997) 99; Robbers FS Heckel 415 f; Röger FS Rüfner 754; Sachs/Ehlers Art. 140/Art. 137 WRV Rdn. 20; Smend ZevKR 2 (1952/53) 376; Stock NWVBl. 19 (2005) 289 f; Tillmanns DÖV 1999 447 f; Towfigh NWVBl. 20 (2006) 131; Herm. Weber ZevKR 34 (1989) 356, 369; 41 (1996) 200 ff; FS Rüfner 967, 973; Winter ZevKR 42 (1997) 386 f; Zacharias KuR 7 (2001) 39 f. 396 Dreier leitet das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der Rechtstreue daraus ab, dass der Verleihung der Körperschaftsrechte an eine Religionsgesellschaft keine Rechtsgüter Dritter entgegenstehen dürfen (III Art. 140/ Art. 137 WRV Rdn. 99). Grundsätzliche methodische Bedenken finden sich bei Morlok/Heinig NVwZ 1999 699 ff. 397 Näher dazu anhand der „Geschichte“ der Anerkennung der Zeugen Jehovas als öffentlichrechtliche Körperschaft Rdn. 72. 398 Ausführlich zum Verleihungsverfahren v. Campenhausen/deWall S. 136 f; G. Held S. 126 ff; Listl/Pirson/Kirchhof S. 686 f; Herm.Weber ZevKR 34 (1989) 363 ff. 399 Der Widerspruch eines Teils des Schrifttums gegen die als zu weitgehend empfundenen Anforderungen, die das Bundesverwaltungsgericht an die Verleihung der Körperschaftsrechte gestellt hatte, fußte nicht zuletzt hierauf (Müller-Volbehr NJW 1997 3358 f; Reupke KuR 3 [1997] 97); ferner Listl/Pirson/Heckel S. 490; Herm. Weber ZevKR 34 [1989] 357). 400 Näher Fechner Jura 1999 520; ferner Pagels JuS 1996 794; Reupke KuR 3 (1997) 100. W. Weber beklagt eine ausgeuferte Verleihungspraxis in einzelnen Bundesländern (in Galling Sp. 995), während Mückl sie als „tendenziell großzügig“ bezeichnet (EssGespr. S. 64). Doch ist die Zahl der kleinen öffentlichrechtlichen Religionsgemeinschaften mit dem Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts noch immer überschaubar (vgl. dazu die ausführlichen Zusammenstellungen bei G. Held S. 149 ff und Hans Schütze Anhang und Übersichtsblätter I bis V für den Bereich der alten Bundesländer). 289
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79 ii) Parität. Religionsgesellschaften mit Körperschaftsstatus unterliegen dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der strengen individualistischen religiös-weltanschaulichen Parität,401 der zusammen mit den Prinzipien der religiösen und weltanschaulichen Neutralität (Rdn. 24) und der Toleranz zu den tragenden Grundsätzen des deutschen Staatskirchenrechts gehört (vgl. BVerfGE 19 1, 8; 24 236, 246; 32 98, 106). Seine Einhaltung wird durch das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 3 GG sowie die in Art. 33 Abs. 3 GG vorgeschriebene Unabhängigkeit der Inanspruchnahme bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte von einem religiösen Bekenntnis garantiert,402 in einem weltanschaulich neutralen, dem allgemeinen Gleichheitssatz verpflichteten demokratisch verfassten Staat für altkorporierte ebenso wie für durch spätere Verleihung inkorporierte Religionsgesellschaften ein unabweisbares Gebot.403 In der staatskirchenrechtlichen Praxis werden gewisse sachlich begründete Differenzierungen zwischen altkooperierten Kirchen und sonstigen, die das Prinzip selbst nicht in Frage stellen, unvermeidlich sein.404
80 jj) Anerkannte Religionsgesellschaften. Der Kreis der Religionsgesellschaften, der insgesamt unter den Schutz des § 166 Abs. 2 fällt, ist so vielfältig,405 dass er sich kaum gliedern lässt. Eine grobe Einteilung führt von den christlichen Kirchen über Freikirchen und Sekten zu den nichtchristlichen Glaubensgemeinschaften,406 ebenso solche alter Religionen, wie synkretistische Neureligionen und missionierende Religionen des Ostens.
81 (1) Kirchen. Bei den christlichen Kirchen stehen die beiden Volkskirchen im Vordergrund. Sie sind mit knapp 26 Millionen (katholische Kirche) und knapp 21 Millionen (evangelische Kirche) Mitgliedern noch immer die bei weitem stärksten Religionsgemeinschaften in Deutschland. Einen beachtlichen Anteil stellt aber auch die Orthodoxie vor allem durch Angehörige der griechisch-orthodoxen, der russisch-orthodoxen und der serbisch-orthodoxen Kirche in Deutschland. Zu nennen sind ferner die griechisch-katholische und die anglikanische Kirche. Nur dem Namen nach eine Kirche ist die Scientology-Church (näher Rdn. 88).
82 (2) Freikirchen. Als Freikirchen verstehen sich Religionsgesellschaften, die im Bemühen, urchristliches Gemeindeleben zu erneuern, eigene Lebensauffassungen und Frömmigkeiten 401 Umfassend dargestellt bei Listl/Pirson/Heckel S. 589 ff; v. Mangoldt/Klein/Starck/v. Campenhausen Art. 140 Rdn. 26 ff; Germann in Heun/Honecker/Morlok/Wieland/Germann Sp. 1727 ff; ausführliche Angaben auch bei M. Brenner Staat S. 280 ff; v. Campenhausen/deWall S. 370; Heinig Religionsgesellschaften S. 180 ff, 371 ff; Jeand’Heur/ Korioth Rdn. 168 ff; Listl/Schmitz/Listl/Hollerbach S. 1277 ff; Mayer-Scheu S. 13 ff; Muckel Freiheit S. 82 ff; Mückl EssGespr. S. 57 ff; Triebel BayVBl. 133 (2002) 625; Uhl Staat S. 61 f; Galling/Herm. Weber S. 40 ff; Winter Staatskirchenrecht S. 59 ff; Zacharias KuR 11 (2005) 112 ff. 402 Listl/Schmitz/Listl/Hollerbach S. 1277. 403 Friesenhahn ZSchwR 94 (1975) 13; vgl. auch Smend ZevKR 2 (1952/53) 380; krit. zur Beibehaltung des Paritätsgrundsatzes im Staatskirchenrecht Obermayer BK2 Art. 140 Rdn. 87. 404 BVerfGE 41 29, 51; BVerwGE 87 115, 127; Dreier I Art. 4 Rdn. 124; Hesse ZevKR 3 (1953/54) 193 f; Jeand’Heur/ Korioth Rdn. 227; Listl/Schmitz/Listl/Hollerbach S. 1277 f; v. Mangoldt/Klein/Starck/Starck Art. 4 Abs. 1, 2 Rdn. 8; Konrad Müller ZevKR 2 (1952/53) 140 ff; v. Münch/Kunig/Mager Art. 4 Rdn. 3; Scheuner ZevKR 7 (1959/60) 270 f; Obermayer BK2 Art. 140 Rdn. 87. 405 Eine Aufstellung sämtlicher Religionsgesellschaften im deutschsprachigen Europa mit knappen Angaben über Entstehung, Geschichte und Organisation, bei Sondergruppen auch mit wertenden Gedanken aus christlich-evangelischer Sicht, findet sich bei Schmid/Schmid S. 33 ff. Zu den Religionsgemeinschaften des öffentlichen Rechts gibt es Gesamtüberblicke beispielsweise bei Jetzkowski S. 174, Listl/Pirson/Kirchhof S. 678 ff und J. Lehmann S. 23 ff. 406 Listl/Pirson/Badura S. 226; vgl. auch die Systematisierung bei Reller/Krech/Kleiminger S. 42 ff und Schmid/ Schmid S. 79 ff. Radtke
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ausbildeten und sich darum von ihren Kirchen trennten.407 Freikirchen sind beispielsweise die Altlutheraner (R. Henkel S. 116 f), die schon im 17. Jahrhundert in England entstandenen, sich von Gott unmittelbar belehrt verstehenden Quäker, die seit 1722 durch v. Zinzendorf geprägte Brüdergemeinde (Schmid/Schmid S. 96), die Mennoniten (R. Henkel S. 178 ff; Schmid/Schmid S. 84 f), die Evangelisch-methodistische Kirche, deutschsprachiger Zweig der weltweiten United Methodist Church (R. Henkel S. 143 ff), der Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland (R. Henkel S. 132; Krech/Kleiminger S. 70 ff; Schmid/Schmid S. 88), zu dem die Baptisten (vgl. RGSt 31 237) und die Brüderbewegung, auch Darbyisten genannt (Schmid/Schmid S. 92) gehören, die aus der schweizerischen Erweckungsbewegung hervorgegangenen in Deutschland auf H. H. Grafe zurückgehenden Freien Evangelischen Gemeinden in Bern, Basel, St. Gallen, Elberfeld und Barmen, die Heiligungsgemeinden (Hutten S. 365 ff; Rigl in Baer/Gasper/Müller/Sinabell [Hrsg.] Sp. 539 ff), darunter die militärischem Sprachgebrauch verpflichtete, sich der Rettung Verwahrloster, dem Kampf gegen das Laster und der Sorge für Arbeitslose widmende Heilsarmee des ehemaligen Methodistenpredigers Booth,408 die aus der Bischöflichen Methodistenkirche Los Angeles gelöste Kirche des Nazareners (Krech/Kleiminger S. 134 ff; Schmid/Schmid S. 100), die Norwegerbewegung (Smithianer) des früheren Marineoffiziers Johann Oskar Smith, die sich für die wahre Anhängerschaft Christi hält (Schmid/Schmid S. 101 f), die zahlreichen Gemeinden der aus der Heiligungsbewegung herausgewachsenen, den Aufbruch eines enthusiastischen, neocharismatischen Christentums markierenden Pfingstbewegung, mit weltweit rund 600 Millionen Angehörigen erfolgreichste Strömung des Christentums im 20. Jahrhundert, deren voneinander abweichenden Glaubensaussagen und subjektiven Erlebnismomente sie bereits in die Nähe zu Sekten rücken,409 die Neue Kirche des Naturforschers und Theosophen Emanuel Swedenborg (Hutten S. 560 ff; Krech/Kleiminger S. 477 ff), die St. Michaelsvereinigung (Schmid/Schmid S. 226), die Gemeinde der Christen Ecclesia des Predigers Hermann Zaiss und der 1980 als innerer Kreis des Lichtquells Bethanien von den Anhängern Erika Berschingers („Uriella“) gegründete überkonfessionelle Orden Fiat Lux (Krech/Kleiminger S. 484 ff; Schmid/Schmid S. 213 f). Von der römisch-katholischen Kirche hat sich allein die Altkatholische Kirche, vor allem wegen der Dogmatisierung der päpstlichen Unfehlbarkeit, abgespalten, die allerdings eher eine Kirche eigenen Typs als eine Freikirche darstellt (R. Henkel S. 116; Schmid/Schmid S. 40). Aus ihr ist die Liberalkatholische Kirche hervorgegangen, deren Aussagen nicht allein im biblisch-christlichen Glaubensgut, sondern ebenso stark in esoterischen Auffassungen wurzeln (Schmid/Schmid S. 244).
(3) Sekten. Sekten sind die Gefolgschaften von Religionsstiftern, die den jeweiligen Glauben 83 auf besondere Weise neu gedeutet haben (Söhngen S. 25). Die Neudeutungen resultieren zumeist aus dem Bemühen, mit christlichen Überlieferungen wesentliche außerbiblische Wahrheiten und Offenbarungsquellen zu verbinden.410 Von den Freikirchen unterscheiden sie sich durch die selektive Änderung oder partielle Unterdrückung der wenigen Hauptinhalte christlicher Lehre411 Dadurch stehen sie dem reformatorischen Kirchenwesen deutscher Prägung 407 Baer/Gasper/Müller/Sinabell/Voss Sp. 401 ff; dazu auch Becker/Christ/Gestrich/Kolmar/W. Becker S. 555 ff; Isensee öarr 53 (2006) 45 ff; Krech/Kleiminger S. 57 ff; Galling/W. Weber Sp. 994. 408 G. Held S. 109 Fn. 4; Krech/Kleiminger S. 128 ff; K. Lehmann S. 34; Hauth/Reimer S. 114 ff; vgl. auch RGSt 39 388. 409 Baer/Gasper/Müller/Sinabell/Hempelmann Sp. 965 ff; Hutten S. 303 ff; Krech/Kleiminger S. 195 ff; Schmid/ Schmid S. 117 f. 410 Krech/Kleiminger S. 259; zum Begriff und zur Typenbildung der Sekten auch Fahlbusch/Lochmann/Mbiti/Pelikan/Vischer/Marhold Sp. 194 ff; ferner Lemhöfer HK 52 (1998) 137. 411 Becker/Christ/Gestrich/Kolmar/W. Becker S. 557; vgl. auch v. Mangoldt/Klein/Starck/v. Campenhausen Art. 137 Rdn. 19 ff. 291
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ferner als Freikirchen (Rdn. 71) und Sondergemeinschaften (Rdn. 73).412 Als Sekten gelten beispielsweise die Neuapostolische Kirche,413 die von Mary Baker Eddy gegründete Christian Science,414 die Vereinigung Zentrum des Lichts,415 die von F. Rittmeyer und E. Bock mit dem Ziel, die anthroposophische Sicht der Welt und des Menschen in ihr mit dem Christentum zu verbinden, geschaffene Christengemeinschaft (R. Henkel S. 229 ff; Krech/Kleiminger S. 272 ff), die sich als biblische Urkirche verstehende Johannische Kirche (Hutten S. 514 ff; Krech/Kleiminger S. 347 ff; Schmid/Schmid S. 221 f), die aus der Ablehnung der Trinitätslehre unter Betonung der Einheit Gottes entstandenen, ein liberal-rationalistisches, ethisch-humanistisches Christentum vertretenden Unitarier (Baer/Gasper/Müller/Sinabell/ Baer Sp. 1325 ff; Krech/Kleiminger S. 368 ff; Schmid/Schmid S. 461 f), der Bund Freireligiöser Gemeinden Deutschlands, ein 1950 erneuerter, erstmals 1859 vollzogener Zusammenschluss des Deutschkatholizismus und der (protestantischen) Lichtfreunde, nach deren Auffassung der Mensch nicht Sünder vor Gott, sondern allein sich selbst verantwortlich und das Böse nur Durchgang zum Guten ist, sowie die 1881 gegründeten Zeugen Jehovas,416 die in Deutschland eine besonders starke Propaganda entfalteten und dadurch dem Terror des nationalsozialistischen Rassismus einen hohen Blutzoll entrichten mussten417 Der Übergang ebenso untereinander wie zu den Freikirchen (Rdn. 82) und Sondergemeinschaften (Rdn. 84) ist fließend.418
412 Zum grundlegend anderen Verhältnis der großen Kirchen zu den Freikirchen als dem zu den Sekten R. Mayer ZevKR 7 (1959/60) 163 ff; ferner Görresgesellschaft/G. König Sp. 1148; zu Sektendisput und Sektenverfolgung Introvigne/Introvigne S. 39 ff. 413 R. Henkel S. 212 ff; Hutten S. 470 ff; Krech/Kleiminger S. 347 ff; Schmid/Schmid S. 180 ff. 414 R. Henkel S. 232 ff; Hutten S. 382 ff; Krech/Kleiminger S. 347 ff. 415 Vgl. OLG Koblenz NVwZ-RR 2005 476. 416 Die Zeugen Jehovas haben auch insofern Rechtsgechichte geschrieben, als von ihnen erstritten worden ist, dass die Erhebung in den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts nicht wegen Fehlens einer gewissen Staatsloyalität abgelehnt werden darf. Offen geblieben war dabei, ob ihnen die Verleihung der Körperschaftsrechte aus anderen Gründen versagt werden müsste, etwa weil sie durch die von ihnen empfohlenen Erziehungspraktiken das Wohl der Kinder beeinträchtigten und austrittswillige Mitglieder unter Verletzung deren dem staatlichen Schutz anvertrauten Grundrechte zwangsweise oder mit sonst vom Grundgesetz missbilligten Mitteln in der Gemeinschaft festhalten (BVerfGE 102 370, 399; vgl. auch BVerfG NJW 2003 2815; EuGH FamRZ 1994 1275; EGMR NJW 2001 2871; KirchE 42 202; BGHZ 148 307; BVerwG NJW 1997 2396; 2001 2899; NVwZ 1995 473; 2005 233; KuR 12 [2006] 83; BAG NJW 2003 1685; OLG Düsseldorf FamRZ 1995 1511; OLG Frankfurt am Main FamRZ 1994 920; OLG Köln NJW 1984 404; OLG Oldenburg NJW 1997 2962; OLG Saarbrücken FamRZ 1996 561; OLG Stuttgart FamRZ 1995 1290; VGH Mannheim NJW 2001 2899; VG Stuttgart NVwZ 2006 1444; AG Dülmen FamRZ 1999 1300; AG Meschede NJW 1997 2962; Abel NJW 1997 2372; 1999 332; v. Campenhausen ZevKR 46 (2001) 176 ff; Fechner Jura 1999 520 ff; Gödan S. 128 ff; R. Henkel S. 221 ff; Hillgruber NVwZ 2001 1347; Hutten S. 80 ff; Krech/Kleiminger S. 388 ff; Lemhöfer HK 52 [1998] 137 f; Klinkhammer/Frick/Link S. 45; ZevKR 43 (1998) 14 ff, 53 f; Mückl EssGespr. S. 63 ff; Baer/Gasper/Müller/ Sinabell/Pape/Albrecht Sp. 1411 ff; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 15; Schmid/Schmid S. 168 ff; Sendler NJW 2002 2612; DVBl. 2004 12 ff; Thiede KJA 36 [2005] 798; Thüsing DÖV 1998 25 ff; C. Walter Religionsverfassungsrecht S. 548 f; Zacharias KuR 7 [2001] 34 ff). Nach erneuter Aufhebung seines Urteils durch das Bundesverwaltungsgericht (NVwZ 2001 924; krit. dazu Goerlich NVwZ 2001 1369 ff) hat das Oberverwaltungsgericht Berlin die infrage gestellten Verleihungsvoraussetzungen überprüft, sie als erfüllt angesehen und dem Antrag der Zeugen Jehovas stattgegeben (NVwZ 2005 1450; dazu Engelbrecht öarr 52 [2005] 361 ff). Die Nichtzulassungsbeschwerde des Landes ist zurückgewiesen worden (BVerwG NJW 2006 3156) und im Land Berlin wurden den Zeugen Jehovas die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts verliehen (vgl. BVerfGE 139 321, 328 f. Rdn. 22). Die daraufhin in den übrigen Bundesländern gestellten Anträge auf Zweitverleihung des entsprechenden Status führte im Land Bremen nicht zum Erfolg; dies war Gegenstand der Entscheidung BVerfGE 139 321 ff; dazu Classen JöR 65 (2017) 263 ff; Groß Der Staat 55 (2016) 489 ff; Sachs JuS 2015 1048 ff. 417 Vgl. Becker/Christ/Gestrich/Kolmar/W. Becker S. 528. 418 R. Mayer ZevKR 7 (1959/60) 162; Galling/W. Weber Sp. 994. Radtke
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(4) Sondergemeinschaften. Sondergemeinschaften stehen zwischen Freikirchen (Rdn. 82) 84 und Sekten (Rdn. 83). Sie unterhalten Beziehungen zu den Kirchen, vertreten aber Sonderlehren, die zum Teil sektiererische Züge tragen. Zu ihnen zählen etwa die Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten,419 die den die Evangelien ergänzenden „Neuoffenbarungen“ des österreichischen Schriftstellers Jakob Lorber folgenden Lorberianer,420 die sich als „interkonfessionelle Kulturinstitution“ bezeichnende, den Glauben an das von dem Medium Beatrice Brunner in Tieftrance offenbarte „ursprüngliche christliche Geistesgut“ pflegende Vereinigung Pro Beatrice, früher Geistige Loge Zürich (Hutten S. 747 ff; Schmid/Schmid S. 225 ff), die den Sabbat und jüdische Feste feiernde Weltweite Kirche Gottes (Hutten S. 169 ff; Krech/Kleiminger S. 163 ff) und die Tempelgesellschaft, eine 1861 von Christoph Hoffmann gegründete apokalyptische Gemeinschaft, die alle wahren Christen nach Jerusalem führen will, um den prophetisch vorherverkündeten Gottesstaat zu errichten (Hutten S. 253 ff). Auch die 1974 von dem italienischen Schriftsteller Andrea Riccardi gegründete, seit 1986 päpstlich anerkannte, mittlerweile etwa 50000 Mitglieder in allen Kontinenten zählende Gemeinschaft Sant’Egidio, deren Markenzeichen die sieben „Werke der Barmherzigkeit“ sind, dürfte als Sondergemeinschaft anzusehen sein. (5) Alte nichtchristliche Kirchen. Durch Wanderbewegungen nach Deutschland gekomme- 85 ne nichtchristliche alte Religionen sind vor allem das Judentum, dessen Gemeinschaften heute noch (oder wieder) rund 100000 Angehörige zählen,421 der Islam, der sich in kurzer Zeit von völliger Bedeutungslosigkeit zur drittstärksten religiösen Kraft entwickelt hat,422 der Hinduismus, dessen Gemeinschaften allerdings bislang noch über keine leicht identifizierbare Organisationsstrukturen verfügen,423 und der Buddhismus, repräsentiert durch die Deutsche Buddhistische Union, die seit ihrer Fusion mit der Buddhistischen Religionsgemeinschaft Deutschlands ebenso Gemeinschaften wie Einzelbuddhisten zu ihren Mitgliedern zählt. Signifikantestes Beispiel der neueren Erscheinungsform einer alten Religion ist der Bahaismus, eine aus dem schiitischen Islam entstandene Glaubensrichtung, die in Deutschland große Aufmerksamkeit gefunden hat.424 In nicht geringer Zahl sind auch Anhänger der im nordwestlichen Irak, in Nordost-Syrien und in der Südost-Türkei verbreiteten Religionsgemeinschaft der Yezidi nach Deutschland eingewandert, deren Glaubensvorstellungen altori-
419 R. Henkel S. 155 ff; Hutten S. 35 ff; Krech/Kleiminger S. 174 ff; Baer/Gasper/Müller/Sinabell/Obst Sp. 1209 ff; Schmid/Schmid S. 165 f. 420 Hutten S. 583 ff; Krech/Kleiminger S. 443 ff; Baer/Gasper/Müller/Sinabell/Ruch Sp. 744 ff; Schmid/Schmid S. 233 f. 421 Körper KuR 11 [2005] 2; vgl. auch Listl/Schmitz/Listl/Hollerbach S. 1269; R. Henkel S. 236 ff. 422 Aktuellen Angaben des BMI zufolge leben in der Bundesrepublik etwa 4,4 bis 4,7 Millionen Menschen muslimischen Glaubens; ferner J. Heinemann S. 183; R. Henkel S. 246 ff; Isensee öarr 53 [2006] 49; Lindner S. 57; Zacharias KuR 11 [2005] 101). Der Organisationsgrad der Muslime ist gering. Es wird davon ausgegangen, dass höchstens 15 % sich einer der rund 2500 muslimischen Gemeinschaften in Deutschland angeschlossen haben (Körper KuR 11 [2005] 2). Zur Religionsfreiheit für den Islam A. Albrecht EssGespr. S. 82 ff; v. Campenhausen ZevKR 25 (1980) 137; v. Campenhausen/deWall S. 84 ff; Janz/Rademacher NVwZ 1999 706 ff; Johansen EssGespr. S. 12 ff; Loschelder EssGespr. S. 149 ff. 423 Jetzkowitz S. 172. 424 BVerfGE 83 341, 354 f mit Bespr. Schockenhoff NJW 1982 1013; OVG Berlin NVwZ 1999 786; Badura Staatsrecht S. 139; Tworuschka/Tworuschka/Baumann S. 401 f; E. Benz Religionen S. 56 ff; M. Brenner Staat S. 281; v. Campenhausen/deWall S. 133 ff; Dehn in Baer/Gasper/Sinabell/Dehn Sp. 116 ff; Hutten S. 796 ff; Jurina FS Rüfner 386 f; Krech/ Kleiminger S. 925 ff; Lanczkowski S. 106 ff; v. Mangoldt/Klein/Starck/Starck Art. 4 Abs. 1, 2 Rdn. 48; Grothe/Marauhn/ Röben S. 555; Schaefer KuR 7 (2001) 127 ff; Schmid/Schmid S. 308 f; Thüsing ZevKR 45 (2000) 592 ff; Winter ZevKR 42 (1997) 377, 382 f. 293
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entalisch-heidnische und häretisch-christliche Elemente enthalten, die nur oberflächlich islamisiert erscheinen.425
86 (6) Synkretistische Neureligionen. Synkretistische Neureligionen haben, wie auch die missionierenden Religionen des Ostens, überwiegend religiösen Charakter, anders als esoterische und neusynoptische Bewegungen, die trotz ihrer religiösen Funktionen durchweg Weltanschauungsvereinigungen sind (vgl. Rdn. 90 f). Der religiöse Charakter synkretistischer Neureligionen konkretisiert sich dahin, dass in ihren Lehren Elemente verschiedener Religionen und Weltanschauungssysteme miteinander verbunden werden. Solche Gemeinschaften sind die Children of God,426 die Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage (Mormonen), deren Selbstverständnis und Lehre ungeachtet ihres Namens einen christlichen Hintergrund kaum erkennen lässt,427 die aus der Gemeinschaft vom Heiligen Geist für die Vereinigung der Weltchristenheit des Koreaners Sun Myung Moon entstandene Vereinigungskirche (Moonbewegung)428 und das Universelle Leben, eine auf die „inneren Worte“ der Kantoristin Gabriele Wittek zurückgehende deutsche Neugründung, die besonders auffällig geworden ist429 mit zum Teil heftig ausgetragenen Kontroversen430 und zahlreichen Gerichtsverfahren.431
87 (7) Missionierende Religionen des Ostens. Unter die missionierenden Religionen des Ostens fallen bzw. fielen vor allem die Jugendreligionen,432 die in den 1970er Jahren große Verunsicherungen hervorgerufen haben mit ungewohnten Problemen für Wissenschaft, Verwaltung und Justiz.433 Sie erklären die mehrjährige polemische Anti-Jugendsekten-Debatte,434 die inzwischen jedoch überwiegend sachlichen Betrachtungen gewichen ist.435 Jugendreligionen ist eine synkretistische Lehre, die Verehrung einer zentralen Führergestalt mit messianischem Anspruch (Guru), die nicht selten gottähnliche Züge trägt, eine totalitäre organisatorische Struktur, 425 R. Henkel S. 258; Tworuschka/Tworuschka/Wießner S. 416 f. 426 Abel Religionsfreiheit S. 32 ff; Nannen/Dörfler S. 21 ff; Gascard S. 19 f; Haack S. 266 ff; Kantwill/Rüppel Kriminalistik 33 (1979) 471; Krech/Kleiminger S. 421 ff. 427 R. Henkel S. 225 ff; Hutten S. 433 ff; Tworuschka/Tworuschka/Klöckner S. 400 f; Baer/Gasper/Müller/Sinabell/ Kluge Sp. 689 ff; Krech/Kleiminger S. 246 ff; Schmid/Schmid S. 193 f. 428 Abel Religionsfreiheit S. 13 f; NJW 2001 414; Badura Schutz S. 70 f; Gascard S. 18; Haack S. 93 ff; Kantwill/ Rüppel Kriminalistik 33 (1979) 473; Krech/Kleiminger S. 454 ff; Lemhöfer HK 52 (1998) 138; Nannen/Maaß S. 203 ff; Müller-Münch S. 105 ff; Schmid/Schmid S. 230 ff; Schöll S. 15 ff; vgl. auch BVerwG 114 356. 429 Hauth/Behnke S. 373 ff; Lemhöfer HK 52 (1998) 138; Schmid/Schmid S. 228 ff; Baer/Gasper/Müller/Sinabell/Sinner/Fragner Sp. 1331 ff. 430 Vgl. die Auseinandersetzung im Anschluss an Sailer ZRP 2001 80, ferner ZRP 2001 274 ff mit Beitrag Bohl, Erwiderung Sailer, Anmerkung Kriele und Beitrag Post sowie den Hinweis bei Hilgendorf GedS Blumenwitz S. 178 mit Fn. 54. 431 BVerfG NJW 2003 1305; NVwZ 1995 471; 2001 908; DVBl. 1993 1204; EMRK KirchE 42 151; BayVerfGH NVwZ 1996 785; 1998 391; OLG Frankfurt am Main NJW 1995 876; 1995 878; KirchE 32 90; OLG München KirchE 40 109; VGH Mannheim KirchE 36 11; VGH München BayVerwBl. 39 (1993) 692; NVwZ 1995 502; 1995 793; 2006 587; OVG Münster NJW 1996 2114; NVwZ 1986 400; VG Berlin NVwZ-RR 2000 507. 432 Zur Entstehung des Begriffs und der Kritik, die ihm begegnet, Haack S. 7 ff; Thiede KJA 36 (2005) 797; ferner OVG Münster NVwZ 1986 400, 401; Veelken S. 1 Fn. 4; aber auch BVerfG NJW 2002 2626, 2627. Das Schrifttum zum Thema Jugendreligionen ist umfangreich. Eine Auflistung, die auch das nicht deutschsprachige europäische und das amerikanische Schrifttum in Auswahl erfasst, findet sich bei Haack S. 412 ff. 433 Nannen/Bittorf S. 7 ff; v. Campenhausen/deWall S. 82; vgl. auch Badura Schutz S. 58 f; Hummel EssGespr. S. 64 ff; Herm. Weber NJW 1983 2552 f. 434 Ausführliche krit. Würdigung bei Usarski, insb. S. 80 ff; ferner Imboden S. 156 ff; Schubert S. 8 ff; vgl. auch Kraus mit einem Fallbeispiel psychodynamischer Aspekte der Konversion zu neureligiösen Bewegungen (PKK 48 [1999] 1992 ff). 435 Imboden S. 154. Radtke
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der Absolutheitsanspruch ihrer Lehrer und der Lehre, Elitebwusstsein sowie strikte Lebens- und Gütergemeinschaft gemeinsam.436 Bekannteste Beispiele sind die Transzendentale Meditation,437 die Divine Light Mission,438 die Internationale Gesellschaft für Krishna Bewusstsein,439 die Ananda Marga440 und die Osho (Rajneesh) Bewegung.441 Sie sind durchweg als Religionsgesellschaften anerkannt, werden teilweise aber auch als Weltanschauungsgemeinschaften angesehen.442
kk) Keine Religionsgesellschaften. Keine Religionsgesellschaften sind Vereinigungen, die 88 nur scheinbar religiösen Zwecken dienen oder lediglich religiöse Einzelzwecke verfolgen.
(1) Verfolgung anderer als religiöser Zwecke. Nur scheinbar religiösen Zwecken dienen 88a Vereinigungen, die, ungeachtet ihres Namens, sich nicht nach Art der Kirchen im Glauben an ein höheres Wesen den religiösen Anliegen ihrer Mitglieder annehmen und sie zu allseitiger Erfüllung der durch das gemeinsame Bekenntnis gestellten Aufgaben zusammenfassen, sondern in Wirklichkeit andere, meist wirtschaftliche, Zwecke verfolgen. Dazu gehören die Organisationen, die Techniken zur Lebensbewältigung anbieten oder Psychotechniken unterschiedlicher Herkunft gebrauchen, um das Leben ihrer Mitglieder zu beeinflussen. Ihr Transzendenzbezug bleibt oft unklar.443 Sie sind daher regelmäßig weder Religionsgemeinschaften noch Weltanschauungsvereinigungen.444 Typisches Beispiel der ersteren Art ist die Landmark Education Corporation, die durch eine Verknüpfung von laienhaftem Psychotraining sowie polulärphilosophischen und indirekt weltanschaulichen Elementen bewirken will, dass der Mensch durch sein Vermögen, sich von Grund auf zu erneuern, zum Herrn seiner Möglichkeiten wird.445 Soweit es dabei um die Fähigkeit geht, durch rigorosen Konkurrenzkampf Reichtum anzuhäufen, ist dies keine sittliche Orientierung im Sinne eines Bekenntnisses, mag es die Person auch ganz beherrschen.446 Für die zweite Kategorie steht die, äußerst umstrittene, auf den amerikanischen Science-fiction-Autor Hubbard zurückgehende Scientology Church. In Deutschland erst 1971 gegründet, versucht sie seit 1984 ihre Anerkennung als „Kirche“ zu erreichen,447 ein Status, den sie nicht schon dadurch erlangen kann, dass sie sich als Kirche bezeichnet (vgl. Rdn. 81). Scientology gilt nach wie vor als aggresivster Anbieter 436 Vgl. Nannen/Bittorf S. 11. 437 Abel Religionsfreiheit S. 46 ff; Badura Schutz S. 67 ff; Nannen/Bizer/Koesters S. 47 ff; Gascard S. 17; Haack S. 183 ff; Hauth S. 89 f, 131 ff; Kantwill/Rüppel Kriminalistik 33 (1979) 472; Krech/Kleiminger S. 884 ff; Lanczkowski S. 97 f; Schmid/Schmid S. 242; Schöll S. 19 f, 71 ff; vgl. auch BVerfG NJW 1989 3269, 3270; BVerwGE 82 76, 84 ff; VGH Mannheim NJW 1996 2116; OVG NRW ZevKR 32 (1987) 219; NJW 1996 2115. 438 Abel Religionsfreiheit S. 54; Gascard S. 21 f; Haack S. 82 ff; Hauth S. 69 ff, 81, 83, 103; Kantwill/Rüppel Kriminalistik 33 (1979) 469 ff; Lanczkowski S. 99 f; Schmid/Schmid S. 242; Schöll S. 34; Nannen/Uniewski S. 139 ff. 439 Badura Schutz S. 63 f; Gascard S. 21 f; Haack S. 82 ff; Hauth S. 69 ff, 81, 83, 103; Baer/Gasper/Müller/Sinabell/ Hummel Sp. 616 ff; Kantwill/Rüppel Kriminalistik 33 (1979) 469 ff; Krech/Kleiminger S. 852 ff; Lanczkowski S. 99 f; Lemhöfer HK 52 (1998) 139; Schöll S. 34; Nannen/Zander S. 79 ff. 440 Abel Religionsfreiheit S. 56 f; Gascard S. 18 f; Haack S. 216 ff; Hauth S. 8 f; Nannen/Juppenlatz S. 105 ff; Kantwill/ Rüppel Kriminalistik 33 (1979) 468 f; Krech/Kleiminger S. 281 ff; Schöll S. 31; Schmid/Schmid S. 341 f. 441 Badura Schutz S. 61 ff; Hauth S. 103; Krech/Kleiminger S. 826 ff; Lemhöfer HK 52 (1998) 138; Schmid/Schmid S. 344 ff; Schöll S. 23, 89 ff; vgl. auch BVerfGE 105 279; BVerfG NVwZ-RR 2002 801; BVerwGE 90 112; BVerwG NJW 1991 1770; 1994 162; OVG NRW NVwZ 1991 174, 176 mit Anm. Sachs JuS 1991 770. 442 Vgl. die Einstufungen bei Badura Schutz S. 58 ff; dazu auch v. Campenhausen/deWall S. 85 Fn. 19. 443 Badura Schutz S. 72 f; Jeand’Heur/Korioth S. 78; Waldhoff EssGespr. S. 73. 444 Krech/Kleiminger S. 387 ff, 501 ff, 687 ff, 939 ff. 445 Baer/Gasper/Müller/Sinabell/Gasper/Valentin Sp. 735; vgl. auch Hauth S. 101 f; Krech/Kleiminger S. 1000; Schmid/Schmid S. 487 f; ausführl. zum Ganzen Küfner/Nedopil/Schöch/Werner/Schöch S. 356 ff, 380 ff, speziell zu den Psycho- und Sozialtechniken S. 367 f. 446 Fischer Rdn. 7. 447 Vgl. VG Hamburg NVwZ 1991 806. 295
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auf dem Markt derjenigen Bewegungen, die Selbsterlösung durch Therapie versprechen.448 Dem entspricht eine inzwischen kaum noch überschaubare Rechtsprechung.449 Ebenso zahlreich sind die Äußerungen im Schrifttum.450 Als beispielhaft für die nahezu einhellige Beurteilung kann die Auffassung der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder gelten, wonach Scientology eine Organisation ist, die unter dem Deckmantel einer Religionsgemeinschaft Elemente der Wirtschaftskriminalität und des Psychoterrors gegenüber ihren Mitgliedern mit wirtschaftlichen Betätigungen und sektiererischen Einschlägen vereint.451
89 (2) Verfolgung von religiösen Einzelzwecken. Die Verfolgung bestimmter religiöser Einzelzwecke als erklärtes Ziel der Vereinigung schließt ihren Status als Religionsgemeinschaft aus, weil ein religiöser Einzelzweck kein Bekenntnis, sondern allenfalls nur Teil eines Bekenntnisses ist, der diesem nicht gleichgesetzt werden kann.452 Art. 140 GG mit Art. 137 WRV gilt für solche Gemeinschaften nicht.453 Zu dieser Gruppierung gehören religiöse Orden, Vereinigungen zum Abhalten von Bibelstunden454 und solche Gemeinschaften, die als Missionsvereine in erster Linie den helfenden Zweck der Religion pflegen,455 wie Caritas und Diakonie.456 Sie unterstützen zwar Ausschnitte aus einem Bekenntnis, aber nicht das ganze Bekenntnis. Zu Religionsgesellschaften werden sie auch dann nicht, wenn sie sich aus Mitgliedern verschiedener Religionsgesellschaften zusammensetzen.457
448 Lemhöfer HK 52 (1998) 140. 449 Z. B.: BVerfGE 99 185; BVerfG NJW 1997 2609; 1999 1322; 2000 3458; 2002 2227; EuGH KirchE 42 23; 42 513; BVerwGE 113 361; BVerwG NJW 1998 1166; 1998 2919; 2006 1303; NVwZ 1975 473; 1999 766; BAGE 79 319, 337 ff; OLG Düsseldorf NJW 1983 2574, 2575 f; OLG Frankfurt am Main NJW 1999 366; KG KirchE 36 1; OLG Köln NJW 1998 3721; 1999 107; OLG München NVwZ 1994 203; OLG Stuttgart NJW-RR 1993 733; NJW 1999 3640; OVG Bremen NVwZ-RR 1997 408; OVG Hamburg NVwZ 1994 192; NVwZ 1995 498; VGH Mannheim NJW 1996 2116; 1997 754; NVwZ-RR 2003 238; 2004 904; VGH München NVwZ 2003 244; LSG Rheinland-Pfalz KirchE 37 8; VG Hamburg NVwZ 1991 806; VG Saarbrücken KirchE 39 82; VG Schleswig KirchE 36 3; VG Stuttgart NVwZ-RR 2000 612. 450 Z. B. Kreß/Abel S. 146; Religionsfreiheit S. 25 ff; NJW 1999 332, 335; 2001 412 ff; 2003 264 ff; 2005 115 f; Badura Schutz S. 64 ff; Staatsrecht S. 140; Baer/Gasper/Müller/Sinabell/Bussen Sp. 1181 f; v. Campenhausen/deWall S. 86 ff; Engelhardt öarr 52 (2005) 357 f; Fischer Rdn. 7; Gascard S. 16; Haack S. 147 ff; Hauth S. 63 ff, 111 f; Jeand’Heur/Korioth Rdn. 93; Kantwill/Rüppel Kriminalistik 33 (1979) 471 f; Krech/Kleiminger S. 1019 ff; v. Mangoldt/Klein/Starck/Starck Art. 4 Abs. 1, 2 Rdn. 50; Muckel Freiheit S. 133 f; KuR 5 (1999) 81 ff; Nannen/Petschull S. 171 ff; Redtenbacher S. 32 ff; Fritsch/Oppermann/Rink S. 113 ff; Schmid/Schmid S. 474 ff; Schmidt-Bleibtreu/Klein/Hofmann Art. 4 Rdn. 19 f; Schöch FS Müller-Dietz 807 f, 820; Schöll S. 27 f; Thiede Ethica 1 (1993) 339 ff; LM 23 (6/1993) 29; KJA 36 (2005) 797 f; Thüsing ZevKR 45 (2000) 612 ff; Veelken S. 80 ff; Heun/Honecker/Morlok/Wieland/deWall Sp. 1988, 1990; Waldhoff EssGespr. S. 73; R. Werner S. 23 ff; Küfner/Nedopil/Schöch/Werner/Schöch S. 184 f, 370 ff; Wilms FS Kriele 11 ff; Winter ZevKR 42 (1997) 372 ff; Staatskirchenrecht S. 70 ff; speziell zur Verfassungsfeindlichkeit Diringer S. 203 ff, 269 f; zur Gewaltbereitschaft Westrich S. 23 ff; zu Reaktionen in anderen Staaten Kreß/Abel S. 148; NJW 1999 336 f, 2001 419 f; M. Brenner Staat S. 269 Fn. 18; Baer/Gasper/Müller/Sinabell/Bussen Sp. 1181; Thüsing ZevKR 45 (2000) 597 ff. 451 Beschlussniederschrift der Sitzung vom 6.5.1994 auf Usedom TOP 46a, zit. bei v. Campenhausen/deWall S. 85 Fn. 99. 452 Anschütz Art. 137 Anm. 2; W. Bock RdJB 49 (2001) 336; Bopp DÖV 1952 517; Listl/Pirson/v. Campenhausen Rdn. 74; Brunotte/Weber/Dickel Sp. 589; Doose S. 102 f; Heun/Honecker/Morlok/Wieland/Heinig Sp. 2013; G. Held S. 110; Listl/Pirson/Jurina S. 693; J. Lehmann S. 38; Bettermann/Nipperdey/Scheuner/Mikat S. 150; Müller-Volbehr JZ 1981 41; Obermayer BK2 Art. 140 Rdn. 150 ff; Rogall SK Rdn. 6; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 16. 453 Brunotte/Weber/Dickel Sp. 590. 454 Fischer Rdn. 6. 455 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 15. 456 Fischer Rdn. 6; Pirson/Rüfner/Germann/Muckel/Radtke § 75 Rdn. 23; Rogall SK Rdn. 6. 457 Anschütz Art. 137 Anm. 2; Brunotte/Weber/Dickel Sp. 589. Radtke
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b) Weltanschauungsvereinigungen. Neben den Religionsgesellschaften sind Weltanschau- 90 ungsvereinigungen Angriffsgegenstand. aa) Inhaltliche Bestimmung. Ihrer inhaltlichen Bestimmung nach sind Weltanschauungs- 90a vereinigungen Zusammenschlüsse von Personen zu dem Zweck, ihre durch die gemeinsame Weltanschauung (zum Begriff Weltanschauung Rdn. 26) gesetzten Aufgaben, die in einer Sinndeutung der Welt im Ganzen, wenn auch ohne religiöse Beziehung, liegen, umfassend zu erfüllen.458 Zu ihnen zählen alle esoterischen und neugnostischen Bewegungen, Weltdeutungssysteme mit religiösen Funktionen, deren Mitglieder ihr Bekenntnis teils mit, teils ohne Kultgemeinschaft leben.459 Da Weltanschauungsvereinigungen den Religionsgesellschaften gleichgestellt sind (Art. 140 GG mit Art. 137 Abs. 7 WRV), unterliegen sie grundsätzlich denselben Anforderungen. Daher gelten grundsätzlich die Erläuterungen dort (Rdn. 71 bis 73). Im Hinblick auf die grundrechtliche Gewährleistung des Art. 4 Abs. 1 GG ist der Begriff Weltanschauung, dem des Begriffs Religionsausübung entsprechend, ebenfalls in einem weiten Sinne zu interpretieren.460 Vereinigungen, die nur Ausschnitte aus ihrer Gesamtschau verwirklichen wollen, werden aber auch hier nicht erfasst.461 Ohne Bedeutung ist, wenn die Vereinigung nicht nur areligiös ist, sondern sogar eine religionsfeindliche Lehre vertritt.462 Aus den in Rdn. 26 genannten Gründen kommen politische Bewegungen wie der Marxismus oder der Nationalsozialismus, ungeachtet ihres Selbstverständnisses, nicht als Weltanschauung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 GG nicht in Betracht. bb) Beispiele. Beispiele anerkannter Weltanschauungsgemeinschaften sind die Freimaurer,463 91 der Deutsche Freidenkerverband,464 die Humanistische Union,465 der Humanistische Verband Deutschlands,466 die Theosophische Gesellschaft,467 die von ihr abgespaltene Anthroposophische Gesellschaft Rudolf Steiners,468 die von dem Adyar-Theosophen, aber auch okkultistischem und spiritistischem Gedankengut zugewandten Max Heindel gegründete RosenkreuzerGemeinschaft (Krech/Kleiminger S. 689 ff; Schmid/Schmid S. 254), Vereinigungen, die den Satanismus pflegen, so etwa die Ecclesia Gnostica Catholica und die First Church of Satan (Krech/Kleiminger S. 709 ff; Schmid/Schmid S. 454 ff), der Deutsche Monistenbund, ein auf den Zoologen und Philosophen Ernst Haeckel zurückgehender Zusammenschluss von monistischen Freidenkern, die 1945 aus freiprotestantischen Gruppen enstandenen Deutschen Unitarier,469 die im Gegensatz zu den weltweit verbreiteten Unitariern (vgl. Rdn. 72) eine vom Christentum gelöste monistisch-
458 BVerwGE 89 368, 370 f; dazu v. Campenhausen/deWall S. 118 f; Listl/Pirson/Listl S. 453; vgl. auch die Einschränkung bei Emenet Religionskunde S. 168. 459 Krech/Kleiminger S. 501. 460 Listl/Pirson/Listl S. 453. 461 Obermayer BK2 Art. 140 Rdn. 41; Rogall SK Rdn. 5; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 16. 462 Bettermann/Nipperdey/Scheuner/Mikat S. 150; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 16; Seidel S. 153. 463 Fischer Rdn. 7; Hörnle MK Rdn. 11; Rogall SK Rdn. 6; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 16; vgl. auch die ausführliche Beschreibung bei Baer/Gasper/Müller/Sinabell/Sebott Sp. 406 ff. 464 Fischer Rdn. 7; Hörnle MK Rdn. 11; Schmid/Schmid S. 464 f; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 16. 465 Fischer Rdn. 7; Hörnle MK Rdn. 11; Rogall SK Rdn. 6; Schmid/Schmid S. 469 f; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 16; zw. Schöch FS Müller-Dietz 806 f. 466 BbgVerfG LKV 16 (2006) 218 mit Bespr. Fincke ZZ 7 (2006) 42; OVG Berlin NVwZ-RR 2000 604; VG Berlin NVwZ-RR 2000 604. 467 Fischer Rdn. 7; Krech/Kleiminger S. 722 ff; Schmid/Schmid S. 243 f. 468 Fischer Rdn. 7; Krech/Kleiminger S. 566 ff; Rogall SK Rdn. 6; Schmid/Schmid S. 249 ff. 469 Herzog NK4 Rdn. 22; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 16. 297
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Beschimpfung wegen Religion und Weltanschauung
pantheistische Weltanschauung vertreten, die Gralsbewegung470 sowie die deutschgläubigen und völkisch-religiösen Gruppen, wie der Bund für Deutsche Kirche, die Geistchristliche Religionsgemeinschaft und der Bund für Gotterkenntnis (früher Deutsche Gotterkenntnis Haus Ludendorff),471 aber auch Vereinigungen nach Art der Esperantisten, des Bundes für naturgemäße Lebensweise und des Bundes für Freikörperkultur. Keine Weltanschauungsvereinigungen sind beispielsweise die Clubs der Rotarier und der Lions,472 weil sie zwar ein höheres Ziel, nicht aber eine bestimmte Gesamtschau der Welt zu verwirklichen suchen (Rdn. 18 und 21). Dasselbe gilt für politische Parteien.473
92 c) Einrichtungen und Gebräuche. Geschützt sind ferner die Einrichtungen und Gebräuche der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften.
92a aa) Umfang des Strafschutzes. Der Umfang des Strafschutzes ist durch die Neufassung des § 166 ungeachtet der Kritik, mit der den Begriffen Einrichtungen und Gebräuche in der Lehre begegnet worden war, und die zum Teil sogar die rechtliche Leistungsfähigkeit der Enumerationsmethode verneint hatte,474 nicht geändert worden. Mit der uneingeschränkten Übernahme der Termini entspricht ihr Inhalt völlig dem der früheren Fassung der Vorschrift. Damit besteht die seit je zumindest als zu weitgehend empfundene (Heimann-Trosien LK9 Rdn. 1), weite Anwendungsmöglichkeit der Begriffe grundsätzlich fort. Der Gesetzgeber hat dies, weil gesehen (vgl. Müller-Emmert Prot. V/121 S. 2433, 2435), gewollt.475 Der Vorschlag, den Strafschutz auf wesentliche Einrichtungen und Gebräuche zu beschränken (Güde Prot. V/121 S. 2434), ist an dem Einwand gescheitert, dass dadurch praktische Schwierigkeiten entstünden, insbesondere wenn der Täter geltend mache, er habe die Einrichtung nicht für eine notwendige gehalten und dieser Irrtum dürfe ihm nicht zur Last gelegt werden (Dreher Prot. V/121 S. 2435). Deshalb kommt restriktive Auslegung der Vorschrift in diesem Sinne nicht in Betracht.476 Einer übermäßigen Anwendung kann die Praxis dadurch entgegenwirken, dass sie in Fällen der Beschimpfung untergeordneter oder nur vereinzelt geübter Einrichtungen und Gebräuche die konkrete Eignung zur Gefährdung des öffentlichen Friedens (Rdn. 59 bis 65) verneint.477
93 bb) Begriff Einrichtungen. Der Begriff Einrichtungen erfasst alle von den dazu befugten Stellen der Religionsgesellschaften oder Weltanschauungsgemeinschaften geschaffenen Ordnungen und Formen für die innere und äußere Verfassung der Vereinigungen sowie für die 470 Baer/Gasper/Müller/Sinabell/Biener Sp. 744; Fischer Rdn. 7; Krech/Kleiminger S. 638 ff; Schmid/Schmid S. 219 ff. 471 Zum Bund für Gotterkenntnis BVerwGE 37 344, 366; 90 112, 117 ferner Schmid/Schmid S. 491 f; Sch/Schröder/ Lenckner Rdn. 16; Veelken S. 8 f; Winter ZevKR 42 (1997) 387. Zu seiner Privilegierung im Dritten Reich W. Weber GedS Jellinek 112. 472 Vgl. Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 16. 473 Fischer Rdn. 7; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 16. 474 Insb. Bruns S. 40 ff; Kahl FestG v. Frank 306 ff. 475 Im Gesetzgebungsverfahren ist darüber hinaus sogar eine das frühere Recht erweiternde Auslegung bei der Rechtsanwendung befürchtet worden. Dass der Gesetzgeber es für notwendig gehalten habe, die Einrichtungen und Gebräuche besonders zu nennen, könne zu dem Schluss Anlass geben, er sei von der Vorstellung ausgegangen, es handele sich um solche Einrichtungen und Gebräuche, die nicht bereits Inhalt des Bekenntnisses seien (Horstkotte Prot. V/121 S. 2435). Dem ist jedoch mit Recht entgegengehalten worden, dass die Begriffe Bekenntnis einerseits sowie Einrichtungen oder Gebräuche andererseits sich überschneiden und daher die Beschimpfung allenfalls nur von beiden Begriffen erfasst wird (Dreher Prot. V/121 S. 2435; Sturm Prot. V/121 S. 2435). 476 And. SSW/Hilgendorf Rdn. 12; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 17/18. 477 Burghard S. 50; Pirson/Rüfner/Germann/Muckel/Radtke § 75 Rdn. 24; Rogall SK Rdn. 6; Schmitz S. 57. Radtke
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Ausübung ihres Bekenntnisses.478 Bei Kirchen handelt es sich um die Ordnungen und Formen, die eine ihrer Autoritäten ins Leben gerufen und bestätigt hat.479 Zu eng ist, nur auf diejenigen tatsächlichen Übungen abzustellen, die den äußeren Ablauf eine Gottesdienstes oder einer Weltanschauungsfeier ausmachen.480 Andererseits genügt nicht, dass die Einrichtung von berufener Stelle in Bezug auf die Existenz, die Erhaltung und Entwicklung der betreffenden Gemeinschaft geschaffen worden ist, wenn sie nur äußerlich mit ihr zusammenhängt; vielmehr muss sie mit deren Wesen verbunden sein, bei Kirchen auch religiösen Inhalt haben,481 bei Weltanschauungsgemeinschaften in ihrem Ritual in Erscheinung treten. Einrichtungen sind hier als Elemente der Verfassung einer Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsgemeinschaft und nicht im Sinne einer räumlichen Organisation zu verstehen.482 Daher ist eine Klinik, die nicht bestimmte Mindestanforderungen erfüllt, keine kirchliche Einrichtung (LAG Düsseldorf KuR 13 [2006] 223). Grundsätzlich wird der Begriff Einrichtungen nicht im stofflich-materiellen Sinne, sondern als Verweis auf religiöse oder weltanschauliche Strukturen verstanden,483 weshalb etwa der Hochaltar, die Kanzel, die Monstranz, die einzelnen Gegenstände der Reliquienverehrung, der Rosenkranz und der Konfirmationsschein nicht als kirchliche Einrichtungen anerkannt sind (vgl. Rdn. 95).484 Aber auch einzelne Kirchenlehren und bestimmte kirchliche Personen, wie Luther, Maria, Päpste, sind ebenso wenig Einrichtungen wie Tatsachen und Vorgänge (BayObLGSt 1954 144, 148).
cc) Anerkannte Einrichtungen. Anerkannte Einrichtungen sind vor allem kirchliche (vgl. 94 Rdn. 81 f). Fischer erblickt darin die Widerspiegelung einer „einseitigen Ausrichtung“ an christlich-katechetischen Glaubens-Inhalten, die der Lebenswirklichkeit einer multikulturellen, vielfach nur noch an christlichen Prinzipien orientierten, mehrheitlich aber kirchenfernen Gesellschaft nicht mehr entspräche, und die, nähme man sie ernst, dazu führen würden, dass heute der Mehrheit der Bevölkerung fremd erscheinende Formen der Glaubensbezeugung der (in Deutschland vertretenen) Weltreligionen als „Einrichtungen“ angesehen werden müssten, etwa solche des Judentums und des Islam.485 Dem ist entgegenzuhalten, dass die (vermeintlich) „einseitige Ausrichtung“ nachvollziehbare historische Gründe hat. Sie spiegelt die Sicht einer Zeit wider, in der § 166 lediglich die Einrichtungen einer der christlichen Kirchen oder einer anderen mit Korporationsrechten innerhalb des Bundesgebietes bestehenden Religionsgesellschaft schützte. Das Schutzbedürfnis dieser Einrichtungen dauert fort. Auch durch die multikulturelle Entwicklung ist es nicht verändert worden. Geändert hat sich allein, dass die Einrichtungen anderer Religionsgesellschaften und der Weltanschauungsvereinigungen hinzugekommen sind. Gleichgültig, wie fremd die Einrichtungen einer bestimmten Gruppierung der Mehrheit der übrigen Bevölkerung auch sein mag, ihr Schutzbedürfnis bleibt davon unberührt.
478 RGSt 26 435, 436; BayObLGSt 1954 144, 146; OLG Düsseldorf NJW 1983 1211; OLG Karlsruhe NStZ 1986 363; OLG Nürnberg NStZ-RR 1999 238; Fischer Rdn. 8; Joecks Rdn. 3; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; Otto BT § 64 Rdn. 5; Rogall SK Rdn. 8; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 17. 479 RG JW 1915 42; BayObLGSt 1954 144, 145; Hörnle MK Rdn. 12. 480 So aber Listl/Pirson/Eser S. 1034. 481 Listl/Pirson/Eser S. 1034 Fn. 81 im Anschluss an Holstein S. 166 und unter Hinweis auf RGSt 5 188, 190; vgl. auch RGRspr. 3 767; Frank Anm. II 2; Kahl VDB III S. 42 f. 482 BayObLGSt 1954 144, 145; Fischer Rdn. 8; Rogall SK Rdn. 8; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 17/18. 483 Hörnle MK Rdn. 12; Pirson/Rüfner/Germann/Muckel/Radtke § 75 Rdn. 24. 484 Vgl. Pirson/Rüfner/Germann/Muckel/Radtke § 75 Rdn. 25. 485 Fischer Rdn. 10 mit Bsp. 299
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95 dd) Beispiele. Beispiele anerkannter kirchlicher Einrichtungen sind die Christusverehrung,486 die Menschwerdung Christi,487 das Leiden Christi,488 die Marienverehrung,489 die Evangeliumsverkündigung durch die Predigt,490 die Taufe,491 die Konfirmation,492 das Messopfer,493 die Spendung des Abendmahls,494 die Eucharistie,495 die Beichte,496 der Ablass,497 der Versehgang des Pfarrers zu einem Kranken,498 die Predigt,499 das Glaubensbekenntnis,500 das Vaterunser,501 das Singen von Kirchenliedern,502 das Predigtamt,503 das katholische Priestertum,504 die Konzile,505 die Fastenhirtenbriefe der katholischen Bischöfe,506 das evangelische Lehramt,507 das Institut der kirchlich approbierten Orden,508 die Sonntagsheiligung,509 die kirchliche Ehe und der Zölibat.510 Die Rechtsprechung und zum Teil auch das Schrifttum haben ausserdem die Bibel (RGSt 40 262, 264; RGRspr. 7 658, 659), das Apostolikum, das Papsttum und die römische Kurie511 als kirchliche Einrichtungen anerkannt. Der Glaube an solche Einrichtungen kann jedenfalls zum Inhalt des religiösen Bekenntnisses gehören.512 Eine Einrichtung des Judentums ist das Laubhüttenfest.513 Ein-
486 RGSt 2 428, 429; 64 121, 123, 128; BayObLGSt 1954 144, 146; OLG Düsseldorf NJW 1983 1211; OLG Nürnberg NStZ-RR 1999 238, 239 f mit Bespr. Otto JK OO § 166/1; LG Köln MDR 1982 771; Hörnle MK Rdn. 12; Rogall SK Rdn. 8; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 17/18; Steinbach JR 2006 497; and. Fischer Rdn. 10. 487 LG Köln MDR 1982 771; and. Fischer Rdn. 10. 488 OLG Nürnberg NStZ-RR 1999 238, 239 f mit Bespr. Otto JK OO § 166/1; LG Göttingen NJW 1985 1652; Steinbach JR 2006 497; and. Fischer Rdn. 10. 489 RGSt 2 428, 429; LG Düsseldorf NStZ 1982 290; LG Köln MDR 1982 771; Rogall SK Rdn. 8; Sch/Schröder/Bosch/ Schittenhelm Rdn. 17/18; and. Fischer Rdn. 10. 490 RGSt 5 354, 357; BayObLGSt 1954 144, 145; OLG Düsseldorf NJW 1983 1211; Rogall SK Rdn. 8; Sch/Schröder/ Bosch/Schittenhelm Rdn. 17/18. 491 RGSt 67 373, 375; Fischer Rdn. 9; Hörnle MK Rdn. 12; Rogall SK Rdn. 8; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 17/18. 492 RGSt 5 128; 5 188, 190; Fischer Rdn. 9; Hörnle MK Rdn. 12; Rogall SK Rdn. 8; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 17/18. 493 RGSt 33 221, 222; BayObLG DRiZ 1928 423 (Nr. 939); OLG Düsseldorf NJW 1983 1211; Fischer Rdn. 9; Rogall SK Rdn. 8. 494 RGSt 5 354, 355; Fischer Rdn. 9; Hörnle MK Rdn. 12; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 17/18. 495 OLG Karlsruhe NStZ 1986 364; Hörnle MK Rdn. 12. 496 RGSt 33 221, 222; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 17/18. 497 RG GA 56 68; and. Fischer Rdn. 10. 498 RGSt 45 11, 12. 499 RGSt 9 158, 160; 26 39, 40; OLG Düsseldorf NJW 1983 1211; Hörnle MK Rdn. 12; Rogall Rdn. 8; Sch/Schröder/ Bosch/Schittenhelm Rdn. 17/18. 500 RGRspr. 3 755; RG LZ 1925 375; Rogall SK Rdn. 8; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 17/18. 501 RG Recht 19 (1915) Nr. 2614; OLG Hamburg GA 1962 345, 347; Hörnle MK Rdn. 12; Rogall SK Rdn. 8; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 17/18; and. Fischer Rdn. 10. 502 RG GA 37 362; RG HRR 1928 Nr. 1063; Rogall SK Rdn. 8; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 17/18. 503 RGSt 5 354, 355; 26 39, 40; 64 121, 123; Rogall SK Rdn. 8; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 17/18. 504 RGSt 27 284, 285; 33 221, 222; 64 121, 123; RG Recht 29 (1933) Nr. 193; BayObLGSt 1954 144, 145; OLG Düsseldorf NJW 1983 1211; Listl/Pirson/Eser S. 1043; Hörnle MK Rdn. 12; Rogall SK Rdn. 8; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 17/18. 505 RGRspr. 1 521. 506 RG Recht 1932 Nr. 521; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 17/18. 507 RGRspr. 8 692. 508 RGSt 33 221, 222; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 17/18. 509 RGRspr. 8 692. 510 Fischer Rdn. 9. 511 RGSt 9 158, 160; 26 294, 296; RGRspr. 3 755; OLG Dresden LZ 1926 1154; Hörnle MK Rdn. 9. 512 So Triffterer/Schmoller im Zusammenhang mit einem Druckwerk, in dem der Papst und Nonnen ungeachtet von deren Keuschheitsgelöbnis unter anderem mit Gruppensex in Verbindung gebracht werden ÖJZ 43 (1993) 576. 513 RGSt 47 142; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 17/18. Radtke
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richtungen des Islam sind die Verehrung Mohammeds514 und der Gebetsruf des Muezzins, der zwar nicht ausschließlich religiös motiviert ist, aber dennoch bekenntnishaften Charakter hat und zumindest auch einem genuin religiösen Interesse,515 insoweit vergleichbar dem Glockenläuten,516 dient. Als Einrichtungen von Weltanschauungsgemeinschaften dürften beispielsweise die Jugendweihe und das Zeremoniell der Freimaurer anzusehen sein.517
ee) Nicht anerkannte Einrichtungen. Nicht anerkannte Einrichtungen aus dem kirchlichen 96 Bereich sind die Zehn Gebote,518 der Hochaltar,519 die Kanzel, sofern nicht als Synonym für Predigtamt oder Predigt verwendet,520 die Monstranz,521 die einzelnen Gegenstände der Reliquienverehrung, sofern ihre Beschimpfung nicht den Gebrauch der Reliquienverehrung selbst betrifft,522 der Rosenkranz,523 der Konfirmationsschein, wenn seine Beschimpfung nicht auch die Konfirmation erfasst,524 der katholischen Priesterstand als Inbegriff gewisser oder aller Priester525und die einzelnen kirchlichen Orden.526
ff) Begriff Gebräuche. Als Gebräuche gelten die in der jeweiligen Auffassung einer Religions- 97 gesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung begründeten und von den Anhängern bei der Ausübung des Bekenntnisses praktizierten tatsächlichen Übungen.527 Sie müssen nicht notwerndigerweise offiziell, etwa durch die Satzung, institutionalisiert sein, sondern können auch auf Gewohnheit beruhen.528 Gebräuche müssen allgemein praktiziert werden, dürfen also nicht, wie persönliche Gewohnheiten oder örtliche Gepflogenheiten, nur im Einzelfall üblich sein.529 Nur der Gebrauch selbst und nicht etwa die einzelne aufgrund des Gebrauchs vorgenommene Handlung fällt unter den Strafschutz. Deshalb genügt die Beschimpfung einer einzelnen einer allgemeinen Übung entsprechenden Handlung nur dann, wenn damit zugleich der Gebrauch als solcher getroffen werden soll.530 Eine Beschränkung des Tatbestandes auf Einrichtungen, die sich allein oder überwiegend auf die Verwaltung der Vereinigung, auf Berufs- oder Laufbahnordnungen sowie auf interne Organisationssatzungen beziehen,531 wird dem Schutzgut nicht gerecht und ist verfassungsrechtlich jedenfalls bei Berücksichtigung der hohen Anforde514 515 516 517 518
Steinbach JR 2002 497; and. Fischer Rdn. 10. Muckel FS Isensee 246; vgl. auch Fischer Rdn. 10; Jeand’Heur/Korioth Rdn. 79. v. Mangoldt/Klein/Starck/Starck Art. 4 Rdn. 31. Herzog NK4 Rdn. 18. RGSt 26 435, 436; Fischer Rdn. 9; Hörnle MK Rdn. 12; Rogall SK Rdn. 8; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 17/18. 519 BayObLGSt 1954 144, 145; Fischer Rdn. 9; Hörnle MK Rdn. 12; Rogall SK Rdn. 8. 520 RGSt 26 39, 40; BayObLGSt 1954 144, 145; Rogall SK Rdn. 8; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 17/18. 521 BayObLGSt 1954 144, 145; Fischer Rdn. 9; Hörnle MK Rdn. 12; Rogall SK Rdn. 8; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 17/18. 522 RGSt 22 238; Wach DZKR 2 (1882) 178 f. 523 RG JW 1915 42; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 17/18. 524 RGSt 5 188, 189 f. 525 RGSt 27 284, 285; Fischer Rdn. 9. 526 RGSt 33 221, 223. 527 Fischer Rdn. 11; Hörnle MK Rdn. 13; Joecks Rdn. 3; Kesel S. 79; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; Otto BT § 64 Rdn. 6; Rogall SK Rdn. 9; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 19. 528 Hörnle MK Rdn. 13; Pirson/Rüfner/Germann/Muckel/Radtke § 75 Rdn. 26. 529 RGSt 45 11; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 19. 530 RGSt 45 11; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 19. Vgl. dazu bei den von der Rechtsprechung nicht anerkannten kirchlichen Einrichtungen (Rdn. 85) die Kanzel (RGSt 26 39, 40; BayObLGSt 1954 144, 145; Rogall SK Rdn. 8; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 17/18), die einzelnen Gegenstände der Reliquienverehrung (RGSt 22 238; Wach DZKR 2 [1882] 178 f) und den Konfirmationsschein (RGSt 5 188, 189). 531 So Fischer Rdn. 11. 301
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§ 166 StGB
Beschimpfung wegen Religion und Weltanschauung
rungen an die konkrete Eignung der Tathandlung zur Friedensstörung (Rdn. 59 bis 65) nicht geboten.
98 gg) Anerkannte Gebräuche. Die Zahl der anerkannten Gebräuche ist im kirchlichen Bereich geringer als die der anerkannten Einrichtungen, während sie in den Bereichen von Judentum und Islam gegenüber Einrichtungen überwiegen. Als kirchliche Gebräuche sind anerkannt die Reliquienverehrung,532 das Sichbekreuzigen,533 der Gebrauch des Weihwassers,534 die Erteilung des Segens,535 das Kollektenwesen,536 die rituellen Formen und Gebete bei Beerdigungen537 sowie die Amtstracht des Geistlichen.538 Im Judentum gelten als Gebräuche die tatsächlichen Übungen, in denen die Pflichten gegen Gott kultisch-zeremoniellen Ausdruck finden, so in der Observanz der Sabbatfeier und der Festtage, in der Beschneidung (als Zeichen des heiligen Bundes zwischen Gott und Israel) und in der Befolgung der differenzierten Reinheits- und Speisegesetze, wie dem von Kultusbeamten vorzunehmenden Schächten.539 Gebräuche des Islam beruhen auf zwingenden Verhaltensvorschriften des Korans. Dazu gehören beispielsweise das Fastenbrechen nach dem Ramadan und das Opferfest während der Wallfahrt nach Mekka, die Beschneidung (als Symbol der Aufnahme in die islamische Gemeinschaft), die rituellen Waschungen des Leichnams, das Verbot des Genusses von Schweinefleisch und Wein (durch den Kijas auf alle alkoholischen Getränke ausgedehnt) sowie ebenfalls das Schächten.540
99 d) Inland. Die Religionsgesellschaften oder Weltanschauungsvereinigungen, die selbst und in ihren Einrichtungen oder Gebräuchen geschützt sind, müssen im Inland bestehen.
aa) Funktioneller Begriff. Der funktionelle Begriff Inland umfasst das Gebiet, in dem das deutsche Strafrecht aufgrund hoheitlicher Staatsgewalt seine Ordnungsfunktion geltend macht (BGHSt 30 1, 4). Das Inland erstreckt sich auf das gesamte Gebiet innerhalb der völkerrechtlich aberkannten Grenzen, auf dem die Bundesrepublik Deutschland Hoheitsgebiet ausübt (Werle/ Jeßberger LK § 3 Rdn. 24 sowie dort Rdn. 25 ff zu den Einzelheiten). 100 bb) Ausländische Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigung. Der Inlandsbezug bedeutet nicht, dass ausländische Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen gänzlich ungeschützt seien. Eine ausländische Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung besteht auch im Inland, wenn sich einige ihrer Mitglieder dort zum Zwecke der gemeinsamen Pflege ihrer Religion oder Weltanschauung zusammengeschlossen haben.541 Dabei ist es nicht notwendig, dass es sich um eine bedeutende Zahl von Mitgliedern 532 RGSt 22 238, 239; 24, 12, 16; Fischer Rdn. 11; Hörnle MK Rdn. 13; Rogall SK Rdn. 9; Wach DZKR 2 (1882) 178 f mit dem Hinweis, dass RGSt 22 238, 239 bei zutreffendem rechtlichem Ausgangspunkt verkannt hat, dass der Trierer heilige Rock „notorisch“ eine Reliquie sei. 533 RGSt 33 221, 222; Fischer Rdn. 11; Hörnle MK Rdn. 13; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; Rogall SK Rdn. 9; and. LG Frankfurt am Main NJW 1982 658. 534 RG GA 48 130, 131; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 19. 535 RG Recht 18 (1914) Nr. 2786; RG HRR 1932 Nr. 1272; BayObLGSt 1954 144, 145; Fischer Rdn. 11; Hörnle MK Rdn. 13; Rogall SK Rdn. 9; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 19. 536 RGRspr. 2 581, 582; Rogall SK Rdn. 9. 537 RGSt 31 133, 134; Fischer Rdn. 11; Rogall SK Rdn. 9; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 19. 538 RGSt 6 88, 90; Fischer Rdn. 11; Rogall SK Rdn. 9; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 19. 539 Zum Ganzen Fischer Rdn. 11; Hörnle MK Rdn. 13. 540 Auch insoweit zum Ganzen Fischer Rdn. 11; Hörnle MK Rdn. 13. 541 Listl/Pirson/Jurina S. 690; Rogall SK § 167 Rdn. 5; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 20. Radtke
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III. Der objektive Tatbestand von Absatz 2
StGB § 166
handelt; denn es gibt keinen Grund, die Mitglieder einer im Inland bestehenden ausländischen religiösen oder weltanschaulichen Vereinigung anders zu behandeln als die einer inländischen.542 Freilich wird eine im Inland bestehende Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung dann nicht anzunehmen sein, wenn die ausländische Vereinigung zwar im Inland tätig wird, beispielsweise durch abgesandte Mitglieder für ihre Überzeugung wirbt oder hier lebende Mitglieder betreut, diese Mitglieder sich aber nicht zusammengeschlossen haben.543
2. Die Tathandlung Die Tathandlung besteht im öffentlichen oder durch Verbreiten von Inhalten (§ 11 Abs. 3) vorge- 101 nommenen Beschimpfen von Kirchen, anderen Religionsgesellschaften, Weltanschauungsgemeinschaften, ihrer Einrichtungen und Gebräuche.
a) Beschimpfen. Beschimpfen ist dasselbe Handeln wie in § 166 Abs. 1. Daher gelten die Erläu- 102 terungen zum Beschimpfen des Inhalts des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer (Rdn. 30 bis 45) entsprechend.
b) Mittelbare Beschimpfung. Streitig ist, ob das Beschimpfen sich gegen die Religionsgesell- 103 schaft oder die Weltanschauungsvereinigung als solche richten muss544 oder deren mittelbare Beschimpfung ausreicht, etwa indem wesentliche Grundsätze der Gemeinschaft (Rdn. 18 und 21), ohne die sie ihren Sinn und Inhalt verlieren würde, angegriffen werden.545
aa) Beschimpfen der Vereinigung als solche. Für die Ansicht, dass sich das Beschimpfen 104 gegen die Vereinigung als solche richten muss, spricht der Wortlaut. Da nämlich jede Beschimpfung einer Einrichtung oder eines Gebrauchs mittelbar zugleich eine Beschimpfung der betreffenden Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung ist, folgt aus der Einstellung der Einrichtungen und Gebräuche als besondere Angriffsobjekte, dass das Gesetz andere Formen der mittelbaren Beschimpfung nicht treffen will. Dennoch hat die Rechtsprechung seit jeher den gegenteiligen Standpunkt eingenommen. Das erklärt sich aus der Entstehungsgeschichte des § 166. Sein Schutz sollte sich nach dem Vorbild von § 135 des Preußischen Strafgesetzbuchs von 1851 auch auf die „Lehren“ der Religionsgesellschaften sowie auf die „Gegenstände ihrer Verehrung“ erstrecken. Diese Merkmale aber wurden vom Reichstag gestrichen, damit Kritik und Forschung nicht zu sehr beschränkt würden (vgl. Bruns S. 44; Stuck S. 44 f). Die daraus folgende Schutzlosigkeit selbst grundlegender Glaubenslehren, während andererseits Angriffe auch auf nebensächliche Einrichtungen und Gebräuche strafbar waren, glaubte die Rechtsprechung nicht hinnehmen zu können; sie hat die vermeintliche 542 Rogall SK § 167 Rdn. 5; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 20; vgl. auch Seidel S. 151; and. Heimann-Trosien unter Hinweis auf die Auffassung des E 62, Zusammenschlüsse weniger Mitglieder könnten kaum als Religionsgesellschaft bezeichnet werden (LK9 § 167 Rdn. 6); doch bezieht sich diese nur auf Vereinigungen, deren Glaubensvorstellungen und Gebräuche für die große Zahl der Bevölkerung seltsam, unverständlich oder gar anstößig sind (Begr. S. 344). Die Entscheidungen RGSt 39 388 (Heilsarmee) und RGSt 31 237 (Baptisten) sagen zu einer Mindestmitgliederzahl nichts aus. Eine andere Frage ist, ob mit ähnlichen Erwägungen, wie bei der Beschimpfung von Bekenntnissen Einzelner (Rdn. 24) sowie von untergeordneten oder nur vereinzelt geübten Einrichtungen und Gebräuchen, bei nur wenigen Mitgliedern der betreffenden Vereinigung die Eignung der Beschimpfung, den öffentlichen Frieden zu stören, verneint werden kann. 543 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 20. 544 Herzog NK4 Rdn. 23; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 21. 545 So etwa Heimann-Trosien LK9 Rdn. 20. 303
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Beschimpfung wegen Religion und Weltanschauung
Lücke durch die Anerkennung der Möglichkeit einer mittelbaren Beschimpfung der Religionsgesellschaften ausgefüllt.546 Im Schrifttum jedoch ist dieser Rechtsanwendung, weil weder mit dem Wortlaut noch mit der Entstehungsgeschichte des Gesetzes vereinbar, entschieden widersprochen worden.547
105 bb) Reformversuche. Angesichts dieser Kontroverse hat es an Reformversuchen nicht gefehlt (näher Dippel LK12 Rdn. 103). Im Ergebnis hat sich in den Beratungen zum Ersten Gesetz zur Reform des Strafrechts der Vorschlag der Strafrechtskommission der Evangelischen Studiengemeinschaft durchgesetzt, statt des Glaubens den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses zu schützen, in einem besonderen Tatbestand deshalb, damit das individuelle Bekenntnis des Einzelnen unabhängig davon, ob er es mit anderen teilt, erfasst wird.548 Mit dieser Tatbestandsfassung ist ein Bedürfnis, andere als die genannten Formen einer mittelbaren Beschimpfung der Vereinigung in die Strafbarkeit einzubeziehen, entfallen.
106 c) Fälle unmittelbarer Kirchenbeschimpfung. Fälle unmittelbarer Beschimpfung von Religionsgesellschaften oder Weltanschauungsgemeinschaften sind weniger häufig als die ihrer mittelbaren Beschimpfung über ihre Einrichtungen oder Gebräuche. Der Fall einer Kirchenbeschimpfung dürfte in der Äußerung zu sehen sein, Christentum und Kirchen seien Inbegriff und leibhaftige Verkörperung und absoluter Gipfel welthistorischen Verbrechertums, neben dem selbst ein hypertropher Bluthund wie Hitler oder Stalin noch fast wie ein Ehrenmann erscheine, weil er doch von Anfang an die Gewalt gepredigt habe und nicht, wie die Kirche, den Frieden.549 Im Kern mit dieser Beschimpfung identisch, wenn auch mit weniger herabwürdigender Umschreibung, ist die Charakterisierung der christlichen Kirche als eine der größten Verbrecherorganisationen der Welt.550 In diesen Rahmen gehört auch die Bezeichnung der christlichen Kirche als bluttriefende Bestie.551
107 d) Konkrete Eignung z. Friedensstörung. Wie in § 166 Abs. 1 muss die Beschimpfung konket geeignet zur Störung des öffentlichen Friedens sein; es gelten die in Rdn. 59 bis 65 dargelegten Maßstäbe.
546 Z. B. Beschimpfung der christlichen Kirchen und der jüdischen Religionsgesellschaft durch Beschimpfung der Zehn Gebote (RGSt 26 435, 436), der christlichen Kirchen auch durch Beschimpfung der Bibel (RGRspr. 7 658, 659; RGSt 40 262, 264), des apostolischen Glaubensbekenntnisses (RGRspr. 3 755) und der göttlichen Natur (RG GA 49 280); Beschimpfung der katholischen Kirche durch Beschimpfung des Dogmas von der Unfehlbarkeit des Papstes (RG III 1481/83 vom 28.6.1883, teilweise abgedruckt in RGRspr. 5 676 Fn. 1; RGSt 26 294, 296), der lutherischen Kirche durch Beschimpfung der Person Luthers (RGSt 9 158, 160); Beschimpfung des Dogmas von der unbefleckten Empfängnis Mariä als Beschimpfung der Einrichtungen des Marienkults und der Christusverehrung (RGSt 2 428, 429); Beschimpfung der Lehre des Wunderglaubens als Beschimpfung des Gebrauchs der Reliquienverehrung (RGSt 24 12, 21); ferner RGSt 15 116, 117; 18 406, 409; 34 268, 271; 54 26, 27; 70 94, 98 f; 71 245, 248 f; später z. B. noch OLG Celle NJW 1970 2257; OLG Hamburg NJW 1975 1088 mit insoweit krit. Bespr. Geilen NJW 1976 279, 280. 547 Etwa Bruns S. 45. 548 ZEE 10 (1966) 180 = Prot. V/121 Nachtrag S. 2456r; vgl. auch Sturm Prot. V/121 S. 2426. 549 AG Nürnberg Beschluß 22 JS 146/69 vom 4.5.1971, mitgeteilt und besprochen bei Listl Religionsfreiheit S. 296 f. 550 OLG Celle NJW 1986 1275; OVG Koblenz NJW 1997 1174; vgl. dazu die eingehenden Würdigungen Rdn. 26 mit Fn. 72. 551 In der im Dezember 1969 in der satirischen Zeitschrift „Pardon“ veröffentlichten „Rede wider das Christentum“ von Deschner, abgedruckt und kommentiert in LM9 (1970) 46 f. Radtke
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V. Rechtswidrigkeit
StGB § 166
IV. Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand verlangt Vorsatz, wobei bedingter Vorsatz genügt;552 das gilt auch 108 für die spezifische Konstellation der Kettenverbreitung von Inhalten (näher Rdn. 56). Der Vorsatz fehlt, wenn sich die Beschimpfung nicht gegen ein bestimmtes religiöses Bekenntnis, sondern vor allem gegen eine bestimmte Person, die diesem Bekenntnis anhängt, richtet553 oder wenn die beschimpfende Äußerung schon von einer anderen Person aufgestellt und publiziert worden war, ohne dass dies zu strafrechtlichen Beanstandungen geführt hatte.554 Der Vorsatz muss sich auf alle Merkmale des Tatbestandes erstrecken, so auf die Öffentlichkeit und den beschimpfenden Charakter der Äußerung.555 Eines zutreffenden Verständnisses des Rechtsbegriffs Bekenntnis bedarf es nicht. Es genügt, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen jedenfalls in laienhafter Wertung erkannt werden, wobei, wer Kerninhalte einer Religion irrtümlich für belanglos hält, sich in einem Tatbestandsirrtum befindet.556 Der Bildungsgrad des Täters kann insofern von Bedeutung sein, als er den beschimpfenden Charakter der Äußerung nicht erkennt, beispielsweise weil es sich für ihn um einen alltäglichen Ausdruck handelt (RGSt 24 12, 21). Auch bezüglich der konkreten Eignung der Tathandlung, den öffentlichen Frieden zu stören, genügt bedingter Vorsatz;557 da es sich nach der hier vertretenen Aufassung um eine normativ geprägte Eigenschaft der konkreten Tathandlung handelt, muss der Täter den Wertungsakt rechtlich nicht vollständig in seinem Vorsatz vollzogen haben. Es bedarf aber Kenntnis der den Wertungakt tragenden maßgeblichen Umstände; daran kann es bei einer unbedachten, impulsiven Äußerung fehlen, selbst wenn diese sich als besonders grob missachtend darstellt.558
V. Rechtswidrigkeit Die Rechtswidrigkeit der Beschimpfung folgt grundsätzlich ihrer Tatbestandsmäßigkeit. Doch wer- 109 den die Rechtfertigungsbestimmungen des § 193 angewendet werden können, freilich mit zumeist großen Schwierigkeiten bei der Interessenabwägung (siehe bereits Rdn. 44). Besonderheiten ergeben sich für herabsetzende Äußerungen, die im Aussagegehalt eines Kunstwerks, namentlich einer Karikatur oder einer satirischen Darstellung (Rdn. 45), liegen. Jenseits der notwendigen Berücksichtigung der Bedeutung der Kunstfreiheit (für die Meinungsfreiheit gilt Entsprechendes) bereits bei der Bestimmung des Aussagegehalts einer Äußerung oder eines Kunstwerks lässt sich die Abwägung, welchem der konkurrierenden Grundrechte, der Kunstfreiheitsgarantie des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG oder dem sich aus Art. 4 GG ergebenden und durch § 166 geschützten Gebot, das religiöse und weltanschauliche Bekenntnis anderer zu achten, Vorrang gebührt, auf der Ebene der Rechtswidrigkeit der Tat verorten (vgl. bereits Rdn. 43). Geht die unter Berücksichtigung der Rdn. 39 ff dargestellten Maßstäbe erfolgende Abwägung zugunsten der tatbestandsmäßig handenden Täters aus, entfällt die Rechtswidrigkeit, was sowohl im Rahmen der entsprechenden Heranziehung von § 193 als auch – bei verbleibender Skepsis Grundrechte unmittelbar als strafrechtliche
552 OLG Köln NJW 1982 658; KirchE 22 101, 102 f; OLG Koblenz NJW 1993 1808, 1809; Fischer Rdn. 15; Lackner/ Kühl/Heger Rdn. 7; Rogall SK Rdn. 19; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 22. 553 OLG Koblenz NJW 1993 1808, 1809; Fischer Rdn. 15. 554 Zaczyk JuS 1990 890 (zu BayObLG NJW 1989 1744); ferner Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 22; vgl. auch OLG Köln NJW 1982 657. 555 RGSt 9 158, 159; 22 238, 240; Fischer Rdn. 15. 556 Fischer Rdn. 15. 557 Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7; Zaczyk JuS 1990 890 (zu BayObLG NJW 1989 1744). 558 Herzog NK4 Rdn. 24. 305
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§ 166 StGB
Beschimpfung wegen Religion und Weltanschauung
Rechtfertigungsgründe heranzuziehen559 – als auch der abwehrrechtlichen Dimension von Art. 5 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 GG begründer werden kann.560
VI. Verjährung 110 Die Verjährung richtet sich nach den allgemeinen Bestimmungen (§§ 78 ff). Doch können Beschimpfungen von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen besonderen Verjährungsvorschriften unterliegen, soweit es sich bei ihnen um Presseinhaltsdelikte handelt. Presseinhaltsdelikte sind Straftaten, bei denen die Strafbarkeit nicht im Verstoß gegen Vorschriften über Zeit, Ort oder Art des Vertriebs liegt, sondern im Inhalt des verbreiteten Druckwerks selbst ihren unmittelbaren Grund hat.561 Zu ihnen gehören nicht nur die Tatbestände, die nach bundes- oder landesgesetzlichen Vorschriften als Presseinhaltsdelikte ausgestaltet sind,562 sondern jedwede Allgemeindelikte, die, wie § 166 Abs. 1 und 2, auch mittels Verbreitung einer Druckschrift begangen werden.563 Ihre Verjährung bestimmt sich nach den gegenüber § 78 kürzeren Fristen der Pressegesetze der Länder.564
VII. Konkurrenzen 111 Bei den Konkurrenzen ergeben sich keine besonderen Probleme. Soweit die Tatbestände des § 166 sich überschneiden, etwa das Beschimpfen einer Einrichtung nach § 166 Abs. 2 mit dem Beschimpfen des Bekenntnisses nach § 166 Abs. 1, liegt eine einheitliche Tat vor.565 Im Übrigen ist zwischen den Tatbeständen des § 166 Tateinheit möglich.566 Jeder der Tatbestände des § 166 kann grundsätzlich tateinheitlich mit den §§ 130, 167, 167a, 168, 185, 186, 187, 304 konkurrieren.567 Bei § 130 ist zu differenzieren. Wegen der hier erhöhten Eignung zur Friedensstörung besteht trotz der Identität des Rechtsguts Tateinheit, wenn die Beschimpfung religiöser oder weltanschaulicher Bekenntnisse (§ 166 Abs. 1) oder religiöser oder weltanschaulicher Gemeinschaften, ihrer Einrichtungen oder Gebräuche (§ 166 Abs. 2) sich nicht zugleich gegen die durch das gemeinsame Bekenntnis oder die der Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsgemeinschaft verbundenen Personen richtet, oder sie nicht die besondere Qualität eines Angriffs auf deren Menschenwürde hat.568 Sind derartige Beschimpfungen jedoch zugleich solche der dazugehörigen Bevölkerungsteile, und liegt in ihnen außerdem ein Angriff auf die Menschenwürde 559 Vgl. Radtke GA 2000 19, 33 f; Rönnau LK Vor § 32 Rdn. 139; sowie ausführlich und krit. gegenüber einer Rechtfertigung aus Grundrechten H. C. Schmidt S. 188 ff.
560 Siehe bereits Pirson/Rüfner/Germann/Muckel/Radtke § 75 Rdn. 53 m. w. N. 561 Näher zum Begriff des Presseinhaltsdelikts einschließlich seiner extensiven oder restriktiven Interpretation Fischer § 78 Rdn. 8; Franke GA 1982 404 ff; R. Groß NJW 1966 638; NStZ 1994 313; Presserecht Rdn. 66; vgl. auch OLG Frankfurt am Main ArchPR 15 (1984) 40, 41; KG JR 1966 124, 125; OLG Koblenz NStZ 1991 45. 562 Dazu Fischer § 78 Rdn. 8; Sch/Schröder/Bosch § 78 Rdn. 9; ferner Lackner/Kühl/Kühl § 78 Rdn. 8. Zusammenstellungen der Pressegesetze der Länder bei Göhler/Buddendiek/Lenzen Rdn. 619 und R. Groß NStZ 1994 312. 563 BGHSt 18 63; 26 40, 46; OLG Oldenburg NJW 1960 303, 305; Franke GA 1982 408. 564 BGHSt 33 271 mit Anm. Bottke JR 1987 167; 40 385; BGH NJW 1996 2585; 1999 508; BayObLG NJW 1987 1711; OLG Celle JR 1998 79 mit Anm. Popp; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1997 59; OLG Hamburg JR 1983 298 mit Anm. Bottke und Anm. Franke NStZ 1984 126; OLG Hamm NStZ 1989 578, 579; Fischer Rdn. 17, § 78 Rdn. 8; R. Groß Presserecht Rdn. 678 ff unter Angabe der einzelnen Regelungen; Greger/Weingarten LK § 78 Rdn. 14; Sch/Schröder/Bosch § 78 Rdn. 9 mit Beispielen kurzer Fristen. 565 Hörnle MK Rdn. 26; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 17/18. 566 Fischer Rdn. 17. 567 Fischer Rdn. 17; Hörnle MK Rdn. 26; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 8; Rogall SK Rdn. 20; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 23. 568 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 23. Radtke
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VIII. Prozessuales
StGB § 166
der Betroffenen, hat § 166 keine eigene Funktion mehr und tritt hinter dem strengeren § 130 zurück.569 Auch § 185 ist nicht schon stets nach dem Sachverhalt, der die Strafbarkeit nach § 166 begründet, erfüllt (LG Köln MDR 1982 771, 772).
VIII. Prozessuales 1. Verletzteneigenschaft Verfahrensrechtlich folgt aus dem Schutzzweck des § 166, den öffentlichen Frieden als kollekti- 112 ves Rechtsgut zu wahren, dass, anders als die Teilnehmer der durch die §§ 167, 167a geschützten Veranstaltungen und die von einer Tathandlung nach § 168 betroffenen Angehörigen,570 die einzelnen Mitglieder der Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft nicht unmittelbar Verletzte der Tathandlung des § 166 im Sinne des § 171 S. 2 StPO sein können, mithin wohl der Vereinigung selbst,571 nicht aber einzelnen Mitgliedern einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft die Antragsbefugnis nach § 172 StPO (Klageerzwingungsverfahren) zusteht.572
2. Darlegungen im tatgerichtlichen Urteil Zu den spezifischen Anforderungen an die Darlegung der Feststellungen zur konkreten Eig- 113 nung der einzelnen Tathandlung, den öffentlichen Frieden zu stören, im tatrichterlichen Urteil siehe Rdn. 66.
569 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 1 und 23. 570 OLG Frankfurt am Main NJW 1975 217; OLG Hamburg MDR 1962 594; Graalmann-Scheerer LR § 172 Rdn. 74. 571 OLG Hamburg MDR 1962 594; Löwe/Rosenberg/Graalmann-Scheerer § 172 Rdn. 74; Meyer-Goßner/Schmitt/ Schmitt § 172 Rdn. 10; and. Dalcke/Fuhrmann/Schäfer StPO § 172 Rdn. 3.
572 OLG München NJW 1985 2430; KirchE 33 54, 55; OLG Nürnberg NStZ-RR 1999 338, 339 mit Bespr. Otto JK OO § 166/1; OLG Stuttgart Justiz 1992 186; Löwe/Rosenberg/Graalmann-Scheerer § 172 Rdn. 74; Sch/Schröder/Bosch/ Schittenhelm Rdn. 24; and. OLG Karlsruhe NJW 1986 1272. 307
Radtke
§ 167 Störung der Religionsausübung (1) Wer 1. den Gottesdienst oder eine gottesdienstliche Handlung einer im Inland bestehenden Kirche oder anderen Religionsgesellschaft absichtlich und in grober Weise stört oder 2. an einem Ort, der dem Gottesdienst einer solchen Religionsgesellschaft gewidmet ist, beschimpfenden Unfug verübt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Dem Gottesdienst stehen entsprechende Feiern einer im Inland bestehenden Weltanschauungsvereinigung gleich.
Schrifttum Baldus Gottesdienstliche Handlungen als Störungen der Sonntagsruhe, DÖV 1971 338; Burtscheidt Das Sonn- und Feiertagsrecht nach der Reichsverfassung vom 11. August 1919 (1932); Dietlein Das Feiertagsrecht in Zeiten des religiösen Wandels, Kirche und Religion im sozialen Rechtsstaat: Festschrift für Wolfgang Rüfner zum 70. Geburtstag (2003) 131; Dirksen Das Feiertagsrecht, Göttinger rechtswissenschaftliche Studien Bd. 39 (1961); Feller Sonn- und Feiertage im Recht von Staat und Kirche, Fuldaer Hochschulschriften 12 (1990); Grube Der Sonntag und die kirchlichen Feiertage zwischen Gefährdung und Bewährung, Schriften zum Staatskirchenrecht Bd. 16 (2003); Häberle Feiertagsgarantien als kulturelle Identitätselemente des Verfassungsstaates, Schriften zum Öffentlichen Recht Bd. 521 (1987) (zit.: Häberle Feiertagsgarantien); ders. Der Sonntag als Verfassungsprinzip, Schriften zum öffentlichen Recht Bd. 551, 2. Aufl. (2006) (zit.: Häberle Sonntag); Hoeren/Mattner Feiertagsgesetze der Bundesländer – Synoptischer Kommentar (1989); Huber Hans Geist und Buchstabe der Sonntagsruhe, Studia Theologiae Moralis et Pastoralis Tomus IV (1958); Kasper/Baldus Sonn- und Feiertage, in Görresgesellschaft (Hrsg.) Staatslexikon Recht – Wirtschaft – Gesellschaft Bd. 4, 7. Aufl. (1995) 1197; Kästner Der Sonntag und die kirchlichen Feiertage, in Listl/Pirson (Hrsg.) Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 2. Aufl. (1995) 337; Knoll Sonntag in industrieller Gesellschaft, ThGA 15 (1972) 225; Kunig Der Schutz des Sonntags im verfassungsrechtlichen Wandel, Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft e.V. Berlin Heft 113 (1989); ders. Sonn- und Feiertagsrecht, Studien zum öffentlichen Wirtschaftsrecht Bd. 3, 2. Aufl. (1991) (zit.: Mattner Feiertagsrecht); Morlok/Heinig Feiertag! Freier Tag? Die Garantie des Sonn- und Feiertagsschutzes als subjektives Recht im Lichte des Art. 139 WRV, NVwZ 2001 846; v. Muralt Wahnsinniger oder Prophet? Darstellung und Diskussion eines mit Psychotherapie behandelten Falles von Gottesdienststörung (1946); Plöchl Kirchliche Sonn- und Feiertagsgesetzgebung und Arbeitsruhe, Festschrift für Hans Schmitz zum 70. Geburtstag Bd. 1 (1967) 284; Rotering Sonn- und Feiertagsruhe, GerS 52 (1901) 82; Radtke Der Schutz des Beicht- und Seelsorgegeheimnisse ZevKR 52 (2007) 617; Rox Schutz religiöser Gefühle im freiheitlichen Verfassungsstaat (2012); Rüfner Die institutionelle Garantie der Sonn- und Feiertage, Festschrift für Martin Heckel zum siebzigsten Geburtstag (1999) 447; Schiepek Der Sonntag und kirchlich gebotene Feiertage nach kirchlichem und weltlichem Recht, Adnotationes in ius canonicum Bd. 27 (2003); Schröder H. Die Addition strafloser Handlungen zu einer Straftat, JZ 1972 651; Seebald Nachweis der modifizierenden Kausalität des pflichtwidrigen Verhaltens, GA 1969 193; Tettinger Der Schutz der Sonn- und Feiertage im Gewerberecht, KuR 5 (1999) 91; Unruh Die Kirchen und der Sonntagsschutz, ZevKR 52 (2007) 1; Valerius Tatbestände zum Schutz religiöser Einrichtungen, ZStW 129 (2017) 529; Westphal Die Garantie der Sonn- und Feiertage als Grundlage subjektiver Rechte? (2003); Winter Zum rechtlichen Schutz von Sonn- und Feiertagen, KuR 3 (1998) 139; Zahn Geschichte des Sonntags vornehmlich in den alten Kirchen (1978). Im Übrigen wird auf die Angaben Vor § 166 sowie zu § 166 und § 167a verwiesen.
Entstehungsgeschichte In seiner ursprünglichen Fassung stellte § 167 die durch Tätlichkeit oder Drohung bewirkte Hinderung der Ausübung des Gottesdienstes sowie in einem weiteren Tatbestand die Verhinderung oder Störung des Gottesdienstes oder einzelner gottesdienstlicher Verrichtungen, bewirkt durch Erregung von Lärm oder Unordnung, unter Strafe. Der E 62 wollte an dieser Regelung grundsätzlich festhalten. Nach ihm sollten die Verhinderung des Gottesdienstes oder einer einzelnen gottesdienstlichen Handlung und die Hinderung, daran teilzunehmen (§ 189 Abs. 1 E 62), sowie die Störung eines Gottesdienstes oder einer einzelnen gottesdienstlichen Handlung und, insoweit entnommen aus § 166 a. F., die Verübung beschimpfenden Unfugs an einem dem Gottesdienst gewidmeten Ort (§ 189 Abs. 2 E 62) strafbar sein, ein Vorschlag, der sich auch auf die Erwägung gründete, dass der Nötigungstatbestand (§ 190 E 62) die
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I. Allgemeine Bemerkungen
StGB § 167
Fälle schon deshalb nicht ausreichend erfassen würde, weil seine Mittel sich auf Gewalt und gefährliche Drohung beschränkten. Dem folgte das Erste Gesetz zur Reform des Strafrechts nur teilweise. Es strich ersatzlos den ersten Tatbestand des § 167 a. F. und aus dem zweiten Tatbestand des § 167 a. F. den Fall der Verhinderung des Gottesdienstes. Erhalten blieb die Strafbarkeit der Störung des Gottesdienstes oder einer gottesdienstlichen Handlung als Nr. 1 des neuen § 167. Hinzu trat als Nr. 2 der Tatbestand der Verübung beschimpfenden Unfugs an einem dem Gottesdienst gewidmeten Ort. In beiden Tatbeständen wurden dem Gottesdienst die ihm entsprechenden Feiern von Weltanschauungsvereinigungen gleichgestellt.
Aus den Gesetzesmaterialien Niederschr. Bd. 12 S. 552, 601; E 62 S. 43, 264, 344 f; AE S. 7, 78 ff; BTDrucks. V/32; V/2285; V/4094 S. 3, 29 f; Prot. V/ 121 S. 2421 ff, 2436 ff, 2456a ff; V/134 S. 2808 f, 2818; BTProt. V/230 S. 12783 ff.
Übersicht I. 1. 2.
3. 4. 5. 6. 7. II. 1.
2.
Allgemeine Bemerkungen 1 1 Zwei Tatbestände 2 Umfang des Strafschutzes a) Einschränkung der früheren Strafbar2a keit b) Erweiterung der früheren Strafbar3 keit 4 Rechtsgut 6 Deliktstypus 7 Verfassungsrechtliche Legitimität 8 Versammlungsgesetz 9 Schutz der Sonn- und Feiertage Der Tatbestand des Absatzes 1 Nr. 1 mit Ab10 satz 2 10a Angriffsgegenstände a) Eine im Inland bestehende Kirche, andere Religionsgesellschaft oder Weltanschau10b ungsvereinigung 11 b) Die geschützten Kulthandlungen 12 aa) Gottesdienst bb) Gottesdienstliche Handlun20 gen 22 cc) Weltanschauungsfeier 24 Die Tathandlung
3. 4. III.
a) Grundsätze 24a 25 b) Grobe Störung 26 c) Beispiele 28 Subjektiver Tatbestand 29 Rechtswidrigkeit
3. 4.
Der Tatbestand des Absatzes 1 Nr. 2 mit Ab31 satz 2 32 Angriffsgegenstände a) Kirche, andere Religionsgesellschaft oder 32 Weltanschauungsvereinigung 32 b) Dem Gottesdienst gewidmete Orte 33 aa) Grundsätze 33 bb) Einzelfragen c) Weltanschaulichen Feiern gewidmete 34 Orte 35 Die Tathandlung 36 a) Beschimpfender Unfug 36 b) Einzelfälle 37 Subjektiver Tatbestand 38 Rechtswidrigkeit
IV.
Konkurrenzen
V.
Prozessuales
1.
2.
39 40
I. Allgemeine Bemerkungen 1. Zwei Tatbestände Die Vorschrift enthält zwei Tatbestände. Der erste stellt die Störung des Gottesdienstes oder 1 einer gottesdienstlichen Handlung, die von einer im Inland bestehenden Kirche oder einer im Inland bestehenden anderen Religionsgemeinschaft ausgeübt werden, unter Strafe (§ 167 Abs. 1 Nr. 1). Im zweiten Tatbestand wird der beschimpfende Unfug an Orten, die dem Gottesdienst einer solchen Religionsgesellschaft gewidmet sind, mit Strafe bedroht (§ 167 Abs. 1 Nr. 2). In beiden Fällen stehen dem Gottesdienst die entsprechenden Feiern einer im Inland bestehenden Weltanschauungsvereinigung gleich (§ 167 Abs. 2). Durch die Anknüpfung an den Gottesdienst (bzw. Gleichgestelltem) oder den Ort, der einem solchen gewidmet ist, enthält § 167 einen deut309
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§ 167 StGB
Störung der Religionsausübung
lich unmittelbareren Bezug zur Religions- und Weltanschauungsfreiheit als § 166 (zur Schutzwirkung des § 166 zugunsten der Religionsfreiheit, die über die Sicherung des öffentlichen Friedens mit gewährleistet wird Vor § 166 Rdn. 24 und § 166 Rdn. 4, 5 und 7).1
2. Umfang des Strafschutzes 2 Der Umfang des Strafschutzes ist gegenüber dem früheren § 167 in der geltenden Fassung teils eingeschränkt, teils erweitert worden.
2a a) Einschränkung der früheren Strafbarkeit. Die Einschränkung der Strafbarkeit des Tatbestandes der Störung des Gottesdienstes oder einer gottesdienstlichen Handlung (Absatz 1 Nr. 1) durch Verzicht auf den Fall, dass jemand einen anderen gewaltsam oder durch Androhung eines Übels2 daran hindert, einen Gottesdienst abzuhalten oder an einem Gottesdienst teilzunehmen, ist nur bedingt sachgerecht. Er beruht auf der vom AE-StGB (S. 79) entwickelten, vom Sonderausschuss übernommenen (vgl. Sturm Prot. V/121 S. 2436; BTDrucks. V/4094 S. 29) Erwägung, die betreffenden Handlungen seien überwiegend als Nötigung strafbar,3 wobei spezielle Handlungstendenzen der Verhinderung eines Gottesdienstes sich als schulderhöhend auswirken müssten (Sturm Prot. V/121 S. 2436; Zipf S. 1944). Hierin liegt insofern eine Fehlauffassung (Maurach/Schroeder/Maiwald II § 61 Rdn. 17), als neben der Verhinderung eines Gottesdienstes (zu Verhaltensweisen vor dessen Beginn, vgl. Rdn. 24) durch Erregung von Lärm oder Unordnung, die nicht zugleich Nötigungshandlungen sind (vgl. Entstehungsgeschichte), auch der Fall straflos bleibt, dass die potentiellen Teilnehmer eines Gottesdienstes angesichts von zu erwartenden Störungen von vornherein auf dessen Abhaltung verzichten.
3 b) Erweiterung der früheren Strafbarkeit. Die Erweiterung des Tatbestandes auf beschimpfenden Unfug an einem dem Gottesdienst gewidmeten Ort (Absatz 1 Nr. 2) ist angesichts des engen Bezuges zu der Religionsausübungsfreiheit sachgerecht. Mit der Einbeziehung der Feiern von Weltanschauungsvereinigungen in den Strafschutz und ihrer Gleichstellung mit dem Gottesdienst, wie er von Kirchen oder Religionsgesellschaften ausgeübt wird, folgt die Vorschrift der entsprechenden Ausgestaltung des § 166 und trägt der auch die Weltanschauungsfreiheit umfassenden Schutzpflichtdimension des Art. 4 Abs. 1 GG Rechnung.
3. Rechtsgut 4 Bei dem tatbestandlich geschützten Rechtsgut soll es sich nach ganz überwiegend vertretener Auffassung wenigstens vorrangig um den öffentlichen Frieden handeln.4 Die Mehrzahl der Vertreter dieser Auffassung nennt zusätzlich die ungestörte Ausübung der Religion und Weltan-
1 2 3 4
Vgl. Pirson/Rüfner/Germann/Muckel/Radtke § 75 Rdn. 35. Womit § 167 als Fall einer „erfolgsvermeidenden Kausalität“ (Seebald GA 1969 194) ausscheidet. Vgl. auch Fischer Rdn. 1. Dippel LK12 Rdn. 5; Rogall SK Rdn. 1; SSW/Hilgendorf Rdn. 2; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 1 iVm Vor § 166 Rdn. 2; im Ergebnis auch Stübinger NK Rdn. 1 und Fischer Rdn. 1, der zwar ausdrücklich den Schutz der ungestörten Ausübung von Religion und Weltanschauung nennt, im Ergebnis aber die gleiche Schutzwirkung wie § 166 postuliert. Radtke
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schauung als Schutzgut.5 Bei solcher Deutung des Schutzzwecks gelten für das Verständnis des Rechtsguts öffentlicher Frieden die Ausführungen § 166 Rdn. 4 bis 7. In der Sache wird, ohne dies durchgängig ausdrücklich zu formulieren, Vorrang des Schutzguts öffentlicher Friede vor der ungestörten Religionsausübung angenommen. Ansonsten wäre kaum plausibel, dass § 167 deliktstypologisch mehrheitlich als abstraktes Gefährdungsdelikt gedeutet wird (näher unten Rdn. 6).6 Wäre ausschließlich oder vorrangig die ungestörte Religions- und Weltanschauungsfreiheit tatbestandlich gewährleistet, müsste angesichts des tatbestandlichen Erfolges der Störung (Rdn. 24 bis 27) eines Gottesdienstes (Rdn. 12 bis 19) von einem Verletzungsdelikt ausgegangen werden.7 Die Rechtsgutskonzeption der überwiegenden Auffassung vermag kaum zu überzeugen.8 5 Zum einen weist § 167 abweichend von § 166 keine ausdrücklich auf den öffentlichen Frieden bezogene Eignungsklausel auf, so dass bereits die Struktur des Rechtsgutsschutzes anders ist als bei § 166. Das will die hM mit der Erwägung auffangen, den Tathandlungen des § 167 (Rdn. 24 ff und 35 f) komme ohne Weiteres die Eignung zur Friedensstörung zu9 und leitet daraus zugleich – im Ergebnis insoweit zutreffend (vgl. Rdn. 24) – strenge Anforderungen an die Störung in grober Weise (Abs. 1 Nr. 1) und den beschimpfenden Unfug (Abs. 1 Nr. 2) ab. Den vom Bundesverfassungsgericht in der Wunsiedel-Entscheidung zu § 130 formulierten Anforderungen an die Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens (BVerfGE 124 300, 334 f) wird aber selbst eine sehr restriktive Handhabung der Tathandlungen schwerlich genügen können. So ist etwa für den Einzelfall überzeugend das Skandieren eines gegen die christliche Religion gerichteten „Glaubensbekenntnisses“ durch eine weitgehend unbekleidete Frau auf dem Altar des Kölner Doms als Störung des stattfindenden Gottesdienstes in grober Weise gewertet worden.10 Dass es sich aber dabei (äußeres Verhalten und Inhalt der Äußerungen) um eine Verhaltensweise handelt, die bezogen auf das Rechtsgut öffentlicher Frieden „erkennbar auf rechtsgutsgefährdende Handlungen hin angelegt“ ist und damit „den Übergang zu Aggression oder Rechtsbruch markiert“ (zu diesen Anforderungen BVerfGE 124 300, 335), erscheint nicht zwingend, nicht einmal nahe liegend. Zum anderen erfordert die tatbestandliche Struktur des § 167 anders als § 166 nicht, als geschütztes kollektives Rechtsgut vom öffentlichen Frieden auszugehen, um darüber die Bedingungen für die unbeeinträchtigte Ausübung der Religions- oder Weltanschauungsfreiheit, auch jedes Einzelnen, zu gewährleisten (zur Struktur des § 166 insoweit dort Rdn. 4 und 7). Wie Hörnle (MK Rdn. 1) zutreffend aufgezeigt hat, beeinträchtigt nach § 167 Abs. 1 Nr. 1 tatbestandsmäßiges Handeln unmittelbar die Religionsausübungsfreiheit des Art. 4 Abs. 2 GG, zu der kultische Handlungen und die Ausübung sowie Beachtung religiöser Gebräuche wie der Gottesdienst gehören (vgl. BVerfGE 24 236, 246 und 143 161, 206 Rdn. 102). Art. 4 Abs. 2 GG enthält ein an den Staat adressiertes Gebot, die Religionsausübung vor Störungen Dritter zu schützen (deutlicher insoweit noch Art. 135 Satz 2 WRV „Die ungestörte Religionsausübung wird durch die Verfassung gewährleistet und steht unter staatlichem Schutz“).11 Statuiert eine Strafvorschrift als tatbestandliches Verhalten unmittelbar eine Störung der Religions- oder Weltanschauungsfreiheit, liegt es nahe, diese Freiheit selbst als strafrechtliches Schutzgut anzu5 Bucher BTProt. V/230 S. 12783; Fischer Rdn. 1 (siehe bereits vorstehende Fußnote); Listl/Pirson/Eser S. 1027; Dippel LK12 Rdn. 5; Otto BT § 64 Rdn. 1; SSW/Hilgendorf Rdn. 2; Schnieders S. 183; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 1 iVm Vor § 166 Rdn. 2; Stübinger NK Rdn. 1; ausschließlich auf den öffentlichen Frieden abstellend Rogall SK Rdn. 1. 6 Valerius BeckOK Rdn. 1; Matt/Renzikowski/Kuhli Rdn. 1; SSW/Hilgendorf Rdn. 2; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 1 iVm Vor § 166 Rdn. 2. 7 Hörnle MK Rdn. 1; siehe auch Maurach/Schroeder/Maiwald II § 61 Rdn. 3; Pirson/Rüfner/Germann/Muckel/Radtke § 75 Rdn. 35. 8 Krit. auch Burghard S. 83 f., Hörnle MK Rdn. 1; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 61 Rdn. 3; Pirson/Rüfner/Germann/Muckel/Radtke § 75 Rdn. 35; Valerius ZStW 129 (2017) 529, 536 f. 9 Rogall SK Rdn. 1 und 9; siehe auch Dippel LK12 Rdn. 5. 10 AG Köln KirchE 64 430 (erstinstanzlich); LG Köln StV 2016 810 (zweitinstanzlich), zustimmend auch Rogall SK Rdn. 8; nicht überzeugend die gegen die Entscheidungen gerichtete Kritik von Bülte StV 2016 837. 11 Sachs/Kokott Art. 4 Rdn. 85; v. Mangoldt/Klein/Starck/Starck Art. 4 Rdn. 20 m. w. N. 311
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§ 167 StGB
Störung der Religionsausübung
sehen.12 Das gilt wegen der tatbestandlichen Struktur für Abs. 1 Nr. 1 uneingeschränkt, kann letztlich aber auch für Abs. 1 Nr. 2 angenommen werden, weil der tatbestandlich vorausgesetzte Ort der Tathandlung des beschimpfenden Unfugs (Rdn. 35 f) einen starken Bezug zur Religionsausübungsfreiheit herstellt.13 Zumindest ist kaum überzeugend zu begründen, warum es lediglich um einen gegenüber dem öffentlichen Frieden nachrangigen und durch Wahrung dessen vermittelten Schutz gehen soll, obwohl bei Abs. 1 Nr. 2 die Tathandlung an einem der Religionsausübung gewidmeten Ort vollzogen werden muss.
4. Deliktstypus 6 Die Kontroverse um das Rechtsgut (Rdn. 4 und 5) spiegelt sich – bei rechtsgutbezogener Typisierung14 notwendigerweise – in der Bestimmung des Deliktstypus wider. Bezweckte § 167 vorrangig den Schutz des öffentlichen Friedens (Rdn. 4), handelte es sich rechtsgutbezogen wohl um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, wovon die überwiegende, auf den Friedensschutz abstellende Ansicht (Rdn. 4) dementsprechend ausgeht.15 Ein Unterschied zu § 166 bestünde insoweit als dort der Rechtsanwender in jedem Einzelfall die konkrete Eignung des jeweiligen tatbestandlichen Verhaltens zur Störung des öffentlichen Friedens feststellen muss (näher § 166 Rdn. 54 bis 57), während im Fall des § 167 bei entsprechend strengen generellen Anforderungen an die Tathandlung (etwa der groben Störung nach Abs. 1 Nr. 1) mit deren Vornahme die Eignung zur Friedensstörung einherginge,16 so dass es einer einzelfallbezogenen Eignungsfeststellung offenbar nicht bedarf. Aus den Rdn. 5 dargelegten Gründen überzeugt die Annahme generell zur Friedensstörung geeigneter Tathandlungen weder für die grobe Störung (Abs. 1 Nr. 1) noch den beschimpfenden Unfug (Abs. 1 Nr. 2). Rechtsgutbezogen handelt es sich vielmehr in beiden Begehungsvarianten um ein Verletzungsdelikt,17 was bei erfolgreicher grober Störung eines Gottesdienstes als reale und situationsbezogene Beeinträchtigung der Religionsausübungsfreiheit nach Art. 4 Abs. 2 GG geradezu handgreiflich ist. Jenseits einer rechtsgutbezogenen Typisierung lässt sich Abs. 1 Nr. 1 wegen der tatbestandlich geforderten Störung des Gottesdienstes oder seiner weltanschaulichen Entsprechung als Erfolgsdelikt bezeichnen,18 Abs. 1 Nr. 2 als Tätigkeitsdelikt,19 weil tatbestandlich ein Pendant zur Störung nicht gefordert ist, sondern es bei der Vornahme beschimpfenden Unfugs (Rdn. 35 und 36) an einem der Religionsausübung gewidmeten Ort bewendet. Die rechtsgutbezogene Deutung als Verletzungsdelikt ist damit vereinbar.
5. Verfassungsrechtliche Legitimität 7 Entgegen gelegentlich geäußerten Zweifeln20 ist die Strafvorschrift in beiden Tatbestandsvarianten verfassungsrechtlich legitim. Der mit der Norm (und seiner Anwendung) verbundene Eingriff jedenfalls in die allgemeine Handlungsfreiheit und häufig wohl die Meinungsfreiheit des Täters ist bei Beachtung der strengen Anforderungen an die beiden Tathandlungen (Rdn. 24 ff 12 13 14 15 16
In der Sache ebenso bereits Hörnle MK Rdn. 1 und Maurach/Schroeder/Maiwald II § 61 Rdn. 3. Pirson/Rüfner/Germann/Muckel/Radtke § 75 Rdn. 35. Vgl. dazu Radtke Die Dogmatik der Brandstiftungsdelikte (1998) S. 23 ff. Valerius BeckOK Rdn. 1; Dippel LK12 Rdn. 4; Rogall SK Rdn. 1; SSW/Hilgendorf Rdn. 2. Dippel LK12 Rdn. 3; Listl/Pirson/Eser S. 1027; Otto BT § 64 Rdn. 8 (für § 167 Abs. 1 Nr. 2); Rogall SK Rdn. 1; Schnieders S. 183, 211. 17 Hörnle MK Rdn. 1; siehe auch Hefendehl/v. Hirsch/Wolters/Hörnle S. 268, 274, 279. 18 Insoweit zutreffend Rogall SK Rdn. 1. 19 Rogall SK Rdn. 1. 20 Stübinger NK Rdn. 1; siehe auch Schmitz S. 85 ff, insb. S. 95; Schnieders S. 181 f; Hörnle MK Rdn. 2 und dies Grob anstößiges Verhalten S. 363 f bezweifelt, ob kriminalstrafwürdiges Unrecht vorliegt und hält eine Ahndung als Ordnungswidrigkeit für genügend. Radtke
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I. Allgemeine Bemerkungen
StGB § 167
und 35 f) verhältnismäßig. In den Fällen von Abs. 1 Nr. 1 beeinträchtigt der Täter unmittelbar erheblich das Grundrecht anderer aus Art. 4 Abs. 2 GG in einer Weise, die nach dem Rechtsgutsverständnis der überwiegend vertretenen Ansicht generell zur Störung des öffentlichen Friedens geeignet sein soll (Rdn. 6). Selbst wenn diese Einschätzung nicht uneingeschränkt geteilt werden kann (vgl. Rdn. 5 und 6), ist im Ausgangspunkt die Anknüpfung an den öffentlichen Frieden insoweit zutreffend, als von groben Störungen der Religionsausübungsfreiheit Gefährdungen des in einer religiös pluralistischen Gesellschaft notwendigen Maßes wechselseitiger Toleranz ausgehen können. Zu der Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 2 GG der Einzelnen von der Störung Betroffenen tritt daher eine generelle Gefährlichkeit jeder groben Störung für den kollektiven öffentlichen Frieden in seiner Bedeutung als Vorbedingung ungestörter Religionsausübung als solcher hinzu.21 Die Kumulation beider Aspekte rechtfertigt das Aufstellen und die Anwendung von § 167. Auch Abs. 1 Nr. 2 ist verfassungsgemäß. Zwar fehlt es an einem unmittelbaren Eingriff in die von Art. 4 Abs. 2 GG gewährleistete Freiheit durch die erfolgreiche Störung eines Aktes der Religionsausübung. Allerdings wird diese Freiheit dadurch verletzt, dass an einem der Religionsausübung gewidmeten Ort in grober Weise die Missachtung dieses Ortes und damit die Missachtung gegenüber der Religionsausübung selbst zum Ausdruck gebracht wird (näher zur Tathandlung Rdn. 35 und 36). Gerade wegen des Ortes der Tatbegehung darf unter dem Aspekt des Tabubruchs22 eine generelle Gefährlichkeit des beschimpfenden Unfugs für den öffentlichen Frieden angenommen werden, die zusammen mit der Beeinträchtigung der Religionsausübungsfreiheit den Grundrechtseingriff legitimiert. Einer verfassungskonformen Einschränkung von Abs. 1 Nr. 2 auf Tatbegehungen zu Zeiten, zu denen am tatbestandlich geschützten Ort Religionsausübung tatsächlich stattfindet, bedarf es daher nicht.23
6. Versammlungsgesetz Überschneidungen des Tatbestandes bestehen mit dem Versammlungsgesetz (VersG).24 Es be- 8 rührt Gottesdienste und gottesdienstliche Handlungen, soweit sie außerhalb der Kirche stattfinden. Hieraus lässt sich schließen, dass auch für diese Veranstaltungen die Straf- und Bußgeldvorschriften des Gesetzes gelten. Nach § 21 VersG wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe, also einer der des § 167 entsprechenden Strafdrohung, bestraft, wer in der Absicht, nicht verbotene Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern oder zu sprengen oder sonst ihre Durchführung zu vereiteln, Gewalttätigkeiten vornimmt oder androht oder grobe Störungen verursacht. Die Vorschrift ist enger als § 167, der zwar die Absicht zu stören, nicht aber die Absicht, die Versammlung oder den Aufzug zu verhindern oder zu sprengen, voraussetzt (Sturm Prot. V/121 S. 2439). Ohne diese Absicht ist die Tat als Ordnungswidrigkeit nur mit einer Geldbuße bedroht (§ 29 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 VersG). Aus diesen Vorschriften herleiten zu wollen, dass § 167 entbehrlich sei,25 ist verfehlt. Abgesehen davon, dass sie mit Gottesdiensten unter freiem Himmel, Prozessionen und kirchlichen Beerdigungen nur einen verhältnismäßig kleinen Teil des kirchlichen Lebens abdecken, bietet ihr Strafschutz bei weitem keine Entsprechung. Im Übrigen ist auch das Rechtsgut des § 167 ein anderes als das durch § 21 VersG geschützte, das die ungehinderte Durchführung nicht verbotener Versammlungen irgendwelcher Art gewährleistet. Es wäre daher grundsätzlich unangemessen, kirchliche Veranstaltungen im Freien auf den neutralen Schutz des Versamm21 Ablehnend Valerius ZStW 129 (2017) 529, 536 f. 22 Vgl. Hörnle Grob anstößiges Verhalten S. 359 f; dies. MK Rdn. 2. 23 Schnieders S. 181 f und Stübinger NK Rdn. 1 weisen im Ausgangspunkt allerdings nicht zu Unrecht darauf hin, dass in den Fällen von Abs. 1 Nr. 2 ein unmittelbarer Eingriff in eine aktuelle Ausübung von Religionsfreiheit nicht vorliegt. 24 Gesetz über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz) vom 24.7.1953 (BGBl. I 684) i. d. F. vom 15.11.1978 (BGBl. I 1789). 25 So aber Schmitz S. 87 ff. 313
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§ 167 StGB
Störung der Religionsausübung
lungsgesetzes zu verweisen (Dreher Prot. V/121 S. 2437, 2439). Ein Unterschied der Regelungen liegt schließlich auch darin, dass entsprechende Veranstaltungen von Weltanschauungsgemeinschaften nicht privilegiert sind. In der Ausnahmeregelung des § 17 VersG sind neben den kirchlichen Versammlungen und Aufzügen nur Hochzeitsveranstaltungen und hergebrachte Volksfeste, aber keine Veranstaltungen von Weltanschauungsgemeinschaften genannt.
7. Schutz der Sonn- und Feiertage 9 Mit dem Schutz der Sonn- und Feiertage26 steht die durch § 167 geschützte ungestörte Ausübung von Religion und Weltanschauung jedenfalls insofern in einem Zusammenhang, als sie die Störung von Sonn- und feiertäglichen Gottesdiensten oder weltanschaulichen Feiern betrifft.27 Der Strafschutz in diesem Bereich des religiösen Lebens hat eine weit zurückreichende Geschichte.28 Schon die ersten Vorschriften zum Sonntag in den germanischen Volksrechten (Lex Salica, dann Leges Alemannorum und Baiuvariorum) drohten drakonische Strafen für sonntägliche „Knechtsarbeit“ an.29 In späteren Gesetzen steigerten sich die Strafdrohungen bis hin zur Todesstrafe.30 Erst unter dem Einfluss der Aufklärung wurden die Strafdrohungen deutlich gemildert. Das Strafgesetzbuch schließlich bedrohte in dem aus § 340 Nr. 8 des Preußischen Strafgesetzbuches vom 14.4.1851 hervorgegangenen § 366 Nr. 1 mit Geldstrafe oder Haft, wer den gegen die Störung der Feier der Sonn- und Feiertage erlassenen Anordnungen zuwiderhandelte, wobei grundsätzlich Fahrlässigkeit genügte. Die Vorschrift schützte nicht nur die christlichen, sondern ebenso die weltlichen Feiertage und bezog auch die kirchlichen Feiertage, die nicht als gesetzliche Feiertage anerkannt waren, ein.31 Nach Aufhebung des § 366 Nr. 1 (durch Art. 19 Nr. 206 EGStGB) erfolgt der unmittelbare Schutz der Sonn- und Feiertage durch landesgesetzliche, im Wesentlichen als Ordnungswidrigkeiten normierte Sanktionsvorschriften.32
II. Der Tatbestand des Absatzes 1 Nr. 1 mit Absatz 2 10 Der Tatbestand des Absatzes 1 Nr. 1 allein oder in Verbindung mit Absatz 2 verlangt die grobe Störung religiöser und bestimmter weltlicher Kulthandlungen.
1. Angriffsgegenstände 10a Angriffsgegenstände sind die Kulthandlungen einer im Inland bestehenden Kirche, anderen Religionsgemeinschaft oder Weltanschauungsvereinigung. 26 Eine der „institutionellen Gewährleistungen“ der staatlich-kirchlichen Kooperation; dazu v. Campenhausen/ deWall S. 328 f; Schiepek S. 435 f. 27 E. Fischer Trennung S. 249; Görresgesellschaft/Kasper/Baldus S. 1198; Listl/Pirson/Kästner S. 358; Maurach/ Schroeder/Maiwald II § 61 Rdn. 7; Görresgesellschaft/Rengier Sp. 819; Friesenhahn/Scheuner/Strätz S. 802, 810; vgl. auch J. Heinemann S. 28 f; Winter Staatskirchenrecht S. 199 ff. 28 Insgesamt zur Entwicklung seit vorchristlicher Zeit: v. Campenhausen/deWall S. 326 f; Dirksen S. 34 f; Feller S. 11 ff, 18 ff, 29, 37; Grube S. 37 ff; J. Heinemann S. 10 ff; Hans Huber S. 91 ff; Hoeren/Mattner/Mattner S. 1 f; Mattner Feiertagsrecht S. 7 ff, 15 ff; Schiepek S. 142 ff, 153 ff, 218 ff; Westphal S. 22 ff, 36 ff. 29 Burtscheidt S. 8; Hans Huber S. 140 ff; Hoeren/Mattner/Mattner S. 1; Mattner Feiertagsrecht S. 16. 30 Dirksen S. 9; E. Fischer Trennung S. 248; Zahn S. 42. 31 Dirksen S. 148 f. 32 Texte der Feiertagsgesetze der alten Bundesländer bei Hoeren/Mattner S. 125 ff, Ergänzungen bei Listl/Pirson/ Kästner S. 359 Fn. 89; vgl. ferner Hoeren/Mattner/Hoeren S. 118 ff; Mattner Feiertagsrecht S. 180 ff; Schiepek S. 485 ff. Zum Sonn- und Feiertagsrecht der neuen Bundesländer ausführlich C. Fuchs S. 279 ff; ferner in der Zusammenschau bei Schiepek S. 496 ff. Radtke
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II. Der Tatbestand des Absatzes 1 Nr. 1 mit Absatz 2
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a) Eine im Inland bestehende Kirche, andere Religionsgesellschaft oder Weltanschau- 10b ungsvereinigung. Bei den Merkmalen Kirche, Religionsgesellschaft, Weltanschauungsvereinigung und Inland handelt es sich um dieselben wie in § 166 Abs. 2. Insoweit gelten daher die Erläuterungen zu § 166 Rdn. 68 und 81 f (Kirche), 69 bis 73 und 82 bis 89 (Religionsgesellschaft), 90 f (Weltanschauungsvereinigung) sowie 99 f (Inland).
b) Die geschützten Kulthandlungen. Als geschützte Kulthandlungen nennt der Tatbestand 11 den Gottesdienst, eine gottesdienstliche Handlung und die dem Gottesdienst entsprechende Weltanschauungsfeier. Die Unterscheidung zwischen Gottesdienst und gottesdienstlichen Handlungen kann im Grundsätzlichen wie bei der Einzelbestimmung Schwierigkeiten mit sich bringen,33 was die Beurteilung einer Entsprechung bei den Weltanschauungsfeiern erschwert34 und dazu führen kann, sich dort auf die beispielhafte Aufzählung zu beschränken und auf einen die Entsprechung konkretisierenden Maßstab zu verzichten. Am Ehesten lässt sich die Entsprechungsklausel sachgerecht handhaben, wenn sie auf die Anbetung bzw. Verehrung Gottes im kirchlichen Gottesdienst bezogen wird (vgl. Rdn. 21).
aa) Gottesdienst. Gottesdienst ist eine Veranstaltung, bei der sich Mitglieder einer Religionsge- 12 sellschaft versammeln, um sich durch gemeinsame Andacht, Verehrung und Anbetung Gottes nach den Vorschriften, Gebräuchen und Formen ihrer Vereinigung religiös zu erbauen.35 Konstitutiv für einen Gottesdienst nach Abs. 1 Nr. 2 sind damit die gemeinsame religiöse Erbauung, der Gottesbezug und die Durchführung nach den Regeln der jeweiligen Vereinigung. Rituale innerhalb eines metaphysischen Weltbildes ohne Gottesbegriff werden dementsprechend nicht erfasst.36 Trotz der Einigkeit über die Begriffsbestimmung sind Details über die Anforderungen an einen Gottesdienst im Sinne der Vorschrift ungeklärt; es wird auch nicht durchgängig deutlich, aufgrund welcher Erwägungen bestimmte Veranstaltungen als Gottesdienst betrachtet werden, andere dagegen nicht. Als Leitlinie bei der Auslegung und Anwendung sollten die drei genannten Aspekte dienen. (1) Dass der Gottesdienst einen weltlichen Anlass hat, etwa die Feier eines bedeutenden Ereig- 13 nisses (zB Tag der Deutschen Einheit) oder Gedenkens, und über die eigentliche Veranstaltung hinaus Beachtung findet, ist bei Vorliegen der konstitutiven Elemente ohne Bedeutung.37 Maßgeblich ist, dass das Ziel die Andacht bzw. die religiöse Erbauung ist.38 Einem Gottesdienst steht nicht entgegen, dass die Teilnahme daran lediglich einem bestimmten Kreis vorbehalten ist und der Zugang auf die Berechtigten beschränkt bleibt (vgl. OLG Jena NJW 2006 1892). Eine zunächst nicht religiöser Erbauung dienende Veranstaltung kann sich zum Gottesdienst wandeln, beispielsweise eine kirchliche Lehrveranstaltung, wenn sie mit einem gemeinsamen Gebet abgeschlossen wird. Kirchliche Prozessionen auf öffentlichen Straßen sind gottesdienstliche Handlungen (Rdn. 20), sollen aber partiell zu Gottesdiensten werden können (vgl. Sturm Prot. V/121 S. 2436), so in Form der Andachten an dafür bestimmten Orten der Karfreitags- und der Fronleichnamsprozession. In solchen Konstellationen kann aber, soweit wie im Fall der kirchlichen Prozession nicht ohnehin eine gottesdienstliche Handlung vorliegt, die Tathandlung erst in einem Stadium tatbestandsmäßig 33 Insoweit zutreffend Stübinger NK Rdn. 2. 34 Stübinger NK Rdn. 3. 35 RGRspr. 7 373 (vgl. auch die Anmerkung der Redaktion zu RG GA 39 210); OLG Celle NJW 1997 1167; Listl/ Pirson/Eser S. 1035; Fischer Rdn. 2; Hörnle MK Rdn. 5; Joecks BT Rdn. 1; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Otto BT § 64 Rdn. 8; Rogall SK Rdn. 3; SSW/Hilgendorf Rdn. 4; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4. 36 Hörnle MK Rdn. 5. 37 OLG Jena NJW 2006 1892 zu einem vom Fernsehen live übertragenen Gottesdienst anlässlich des Tages der deutschen Einheit. 38 RGSt 17 316, 317; Fischer Rdn. 2; Rogall SK Rdn. 3. 315
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sein, in dem wegen der nunmehrigen Ausrichtung auf die gemeinsame religiöse Erbauung ein Gottesdienst stattfindet. Umgekehrt wird angenommen, es fehle an einem Gottesdienst für die Dauer eines „offensichtlichen Kanzelmissbrauchs“, der beispielsweise bei rein politischer Polemik vorliege.39 Dem ist im Ergebnis jedenfalls dann zuzustimmen, wenn mit dem „offensichtlichen Kanzelmissbrauch“ zum Ausdruck gebracht werden soll, dass es in dieser Phase an einer auf die Andacht bzw. die religiöse Erbauung gerichteten Veranstaltung fehlt. Von einem „Kanzelmissbrauch“ kann aber nicht bereits dann gesprochen werden, wenn die für die Durchführung eines Gottesdienstes nach den Regeln der fraglichen Vereinigung zuständige Person politische Themen zum Inhalt von Teilen des Gottesdienstes, etwa der Predigt, macht.40 Ähnliche Schwierigkeiten wie die Konstellation zu unterschiedlichen Zeiten einer Veranstal14 tung verfolgter unterschiedlicher Zwecke (Rn. 13) werfen Veranstaltungen mit von vornherein unterschiedlichen Zwecken auf, von denen lediglich einer die (gemeinsame) Andacht bzw. religiöse Erbauung ist. So sollen politische Demonstrationen, die in religiösen Formen durchgeführt werden, wie das Mahngebet vor einer „Abtreibungsklinik“41 oder die als Mahnwache bezeichnete ökumenische Andacht in der Nähe eines Heims rechtsgerichteter Kreise (OLG Celle NJW 1997 1167) Gottesdienste nur dann sein, wenn der Zweck der Andacht und Verehrung nicht gegenüber dem politischen Demonstrationszweck zurücktritt.42 Ähnlich liege es bei Kundgebungen „halbreligiöser Art“ (Dippel LK12 Rdn. 9), wie die der Katholischen außerparlamentarischen Opposition im Vorfeld von Kirchentagen, und den von Christen verschiedener Konfessionen veranstalteten politischen Nachtgebeten (vgl. Nellen Prot. V/121 S. 2422).43 Die für die Beurteilung dieser Fallgestaltungen maßstäblich verwendete Schwerpunktbetrachtung ist sachgerecht. Ob bei deren Anwendung trotz neben der religiösen Erbauung verfolgter weiterer Zwecke ein Gottesdienst vorliegt, ist unter Berücksichtigung des Selbstverständnisses und der Regeln der durchführenden Vereinigung (zur Bedeutung des Selbstverständnisses Rdn. 19) durch den (regelmäßig staatlichen) Rechtsanwender einzelfallbezogen zu beurteilen. 15 Allein ein religiöser Bezug der Veranstaltung macht diese ohne Vorliegen der konstitutiven Elemente (Rdn. 12) nicht zu einem Gottesdienst. Kein Gottesdienst ist daher beispielsweise der Religionsunterricht, die Unterweisung von Konfirmanden, Vorträge religiösen Inhalts, Bibelstunden und nur der Belehrung dienendes Vorlesen aus heiligen Schriften in einer Kirche.44 Es fehlt an der Ausrichtung auf die gemeinsame Andacht oder religiöse Erbauung. Ohne eine solche begründet auch die Durchführung derartiger Veranstaltungen an einem zu Gottesdiensten genutzten Orten nicht ihre Eigenschaft als Gottesdienst (Rdn. 17). (2) Nach allgemeiner Ansicht ist die Andacht eines Einzelnen kein Gottesdienst,45 weil es be16 reits an einem auf die gemeinsame religiöse Erbauung gerichteten Zweck fehlt. Kontrovers wird beurteilt, ob es für einen Gottesdienst genügt, dass die Veranstaltung auf die Teilnahme mehrerer angelegt ist,46 oder ob es tatsächlich der Teilnahme mehrerer bedarf.47 Ist die fragliche Veranstaltung nach den Regeln der betroffenen Vereinigung als Gottesdienst in seinen dafür maßgeblichen Elementen angelegt und wird sie tatsächlich durchgeführt, handelt es sich bereits um die Ausübung von Religionsfreiheit. Wird sie grob gestört, wird das geschützte Rechtsgut beeinträchtigt. Das spricht dafür, einen Gottesdienst bereits bei Anwesenheit des Durchführenden anzunehmen, auf
Listl/Pirson/Eser S. 1036; Herzog NK4 Rdn. 4. Im Ergebnis ebenso Rogall SK Rdn. 3; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4. Fischer Rdn. 2. Fischer Rdn 2; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Hörnle MK Rdn. 5; Otto BT § 64 Rdn. 8; Rogall SK Rdn. 3; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4; Stübinger NK Rdn. 4. 43 Fischer Rdn. 2. 44 RGRspr. 7 363, 364; Fischer Rdn. 2; Hörnle MK Rdn. 5. 45 Hörnle MK Rdn. 5. 46 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4; im Ergebnis ebenso Dippel LK12 Rdn. 9; Hörnle MK Rdn. 5; Rogall SK Rdn. 3. 47 So RGSt 17 316; Listl/Pirson/Eser S. 1035; Schmitz S. 79 f; Stübinger NK Rdn. 5.
39 40 41 42
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II. Der Tatbestand des Absatzes 1 Nr. 1 mit Absatz 2
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das Vorhandensein weiterer Teilnehmer kommt es nicht an. Anderes kann sich ergeben, wenn die betroffene Vereinigung nach ihrem Selbstverständnis für einen Gottesdienst die Anwesenheit mehrerer daran Teilnehmender voraussetzt (zur Bedeutung des Selbstverständnisses bei der Anwendung von § 167 siehe Rdn. 19). Angesichts der für die verfassungsrechtliche Legitimität des § 167 zu berücksichtigen generellen Gefährlichkeit für den öffentlichen Frieden (Rdn. 7) werden in einer solchen, praktisch wohl ohnehin wenig bedeutsamen Konstellation,48 an das Vorliegen einer groben Störung besonders strenge Maßstäbe anzulegen sein. (3) Anders als im früheren Recht (§ 166 a. F. 3. Tatbestand, § 167 a. F. 2. Tatbestand) ist die 17 Durchführung des Gottesdienstes an einem bestimmten Ort nicht erforderlich. Der Gottesdienst kann in einem ihm eigens gewidmeten Raum, so vor allem in einer Kirche oder in einem Bethaus, ebenso abgehalten werden, wie auch in anderen Räumen, auf dem Deck eines Schiffes oder sonst im Freien, etwa bei Kirchentagen (Güde Prot. V/121 S. 2439; Kern BTProt. V/230 S. 12784), und als Feld- oder Waldgottesdienst.49 Umgekehrt verleiht die Durchführung einer Veranstaltung in einem an sich dem Gottesdienst gewidmeten Raum oder an einem Ort mit solcher Widmung nicht die Eigenschaft Gottesdienst, wenn es an den dafür konstitutiven Elementen (Rdn. 12), insbesondere dem Zweck der gemeinsamen Andacht oder der religiösen Erbauung, fehlt. Deshalb sind die in Rdn. 15 genannten Veranstaltungen selbst dann keine Gottesdienste, wenn sie etwa in der Kirche stattfinden.50 (4) Auch die Orientierung an den konstitutiven Elementen des Gottesdienstes iSv § 167 18 (Rdn. 12) gewährleitet in der Rechtsanwendung nicht immer zweifelsfreie Ergebnisse. In Grenzfällen ist es eine unter Berücksichtigung des Selbstverständnisses der betroffenen Vereinigung (Rdn. 19) zu beurteilende Tatfrage, ob ein Gottesdienst vorliegt.51 So gilt etwa die Christuslehre (Katechisation) als Gottesdienst, obwohl sie eher auf Belehrung abzielt (RG GA 40 325). Vorlesungen aus der Thora erweisen sich je nach Lage des Einzelfalls als Gottesdienst (RGRspr. 8 18) oder als religiöse Unterweisung (RGRspr. 7 363). (5) „Gottesdienst“ (Rdn. 12 bis 18) und „gottesdienstliche Handlung“ (Rdn. 20) sind Begriffe 19 des staatlichen Rechts, die wie jedes Merkmal dieses Rechts durch den Rechtsanwender auszulegen und anzuwenden sind. Das staatliche Recht enthält weder eine Legaldefinition des „Gottesdienstes“ noch hält es Regelungen bereit, aus denen die Anforderungen an einen Gottesdienst abgeleitet bzw. der Begriff dadurch inhaltlich ausgefüllt werden könnte.52 Die Inhaltsbestimmung kann deshalb und wegen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts (Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV) im Ausgangspunkt lediglich vom kirchlichen Recht bzw. allgemeiner vom Selbstverständnis der betroffenen Kirche oder sonstigen Vereinigung her erfolgen.53 Die Bedeutung der damit insoweit bestehenden Definitionsmacht der Kirchen bzw. sonstigen Religionsgemeinschaften ist faktisch umso weitreichender je umfänglicher und detaillierter sie davon durch Regelungen etc. über das eigenen Verständnis Gebrauch gemacht haben. Bei den Anhängern neuer Formen des religiösen Gemeinschaftslebens wird es gerade an solchen Regelungen häufig mangeln;54 es wird dann vor allem auf die tatsächliche Übung abzustellen sein. Die Bedeutung des Selbstverständnisses für die Inhaltsbestimmung des Begriffs „Gottesdienst“ (wie auch der „gottesdienstlichen Handlung“, Rdn. 20) endet spätestens dort, wo auch das kirchliche Selbstbe-
48 Insoweit zutreffend Schmitz S. 79 f. 49 Dreher Prot. V/121 S. 2437; Listl/Pirson/Eser S. 1035 f; Hörnle MK Rdn 5; Rogall SK Rdn. 3; Sch/Schröder/Bosch/ Schittenhelm Rdn. 4. Vgl. RGRspr. 7 363, 364; Hörnle MK Rdn. 5. Fischer Rdn. 2. Einführend zur maßgeblichen Methode vgl. Pirson/Rüfner/Germann/Muckel/Radtke § 76 Rdn. 31. Ausführlich Radtke ZevKR 52 (2007) 618, 632 ff zum weitgehend parallelen Problem der Auslegung des Begriffs „Geistlicher“ in § 53 Abs. 1 Nr. 1 StPO; siehe auch Fischer Rdn. 2; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4. 54 RGRspr. 7 363, 364; Fischer Rdn. 2; Herzog NK4 Rdn. 4; Hörnle MK Rdn. 5; Rogall SK Rdn. 4; Sch/Schröder/Bosch/ Schittenhelm Rdn. 4.
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stimmungsrecht verfassungsrechtlich endet.55 Die Pflicht, das kirchliche Selbstverständnis zu berücksichtigen, geht nicht mit einer Pflicht einher, das staatliche Recht ausschließlich anhand des Selbstverständnisses auszulegen. Ungeachtet dessen verliert eine Veranstaltung, bei der es sich nach dem Selbstverständnis der betroffenen Vereinigung um einen Gottesdienst handelt, diesen Charakter nicht ohne Weiteres dadurch, dass sie gegen polizeiliche Vorschriften verstößt (vgl. RGSt 34 264, 266).
20 bb) Gottesdienstliche Handlungen. Gottesdienstliche Handlungen56 sind nicht die einzelnen Bestandteile des Gottesdienstes, sondern im Verständnis der überwiegenden Auffassung nach Inhalt und Form dem Ritus der jeweiligen Religionsgesellschaft entsprechende, auf ihrem Kult beruhende Akte der Religionsausübung, die neben dem gemeinsamen Gottesdienst den besonderen religiösen Bedürfnissen Einzelner dienen.57 Ein sakramentaler Charakter der Handlung wird nicht als notwendig erachtet (vgl. RGSt 23 199, 200 f),58 wohl aber die zumindest passive Assistenz eines Geistlichen oder einer Person, die dessen Funktion entspricht.59 Letzterem ist jedenfalls dann zuzustimmen, wenn die Regeln der betroffenen Vereinigung und ihr Selbstverständnis (Rdn. 19) auf ein solches Erfordernis hindeuten. Nach Maßgabe der referierten Begriffsbestimmung werden die Taufe,60 die Konfirmation, nicht aber der Konfirmationsunterricht,61 die Kommunion, die kirchliche Trauung,62 die Beichte63 und der Gemeindegesang (RG JW 1915 346) als kirchliche gottesdienstliche Handlungen eingeordnet. Unter besonderen Umständen kann die Einführung eines Kirchenvorstehers eine gottesdienstliche Handlung sein (RGSt 23 199, 200). Kirchliche Prozessionen sollen, soweit sie nicht Gottesdienste sind (vgl. Rdn. 13), ebenfalls hierher gehören (Dreher Prot. V/121 S. 2437);64 ebenso kirchliche Bestattungen. Sie fallen ungeachtet der weiterreichenden (näher § 167a Rdn. 2) besonderen Vorschrift des § 167a, der für alle Bestattungsfeiern gilt, unter den Schutz des § 167 Abs. 1 Nr. 1 (Sturm Prot. V/ 121 S. 2440).65 Gottesdienstliche Handlung einer nichtchristlichen Religionsgesellschaft ist beispielsweise die Abhaltung des im jüdischen Kultus gebräuchlichen Kaddisch-Gebets (RG GA 39 210). Auch die Annahme einer gottesdienstlichen Handlung ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass ihr polizeiliche Vorschriften entgegenstehen (vgl. Rdn. 19). Daher ist eine Bestattungs55 Vgl. Radtke ZevKR 52 (2007) 618, 638 ff. 56 Der Begriff gottesdienstliche Handlung ist an die Stelle des früheren Ausdrucks gottesdienstliche Verrichtung getreten. Die Veränderung hat nur sprachliche, keine sachliche Bedeutung, Schnieders S. 199 Fn. 2. 57 Listl/Pirson/Eser S. 1036; Fischer Rdn. 3; Hörnle MK Rdn. 6; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Otto BT § 64 Rdn. 8; Rogall SK Rdn. 5; SSW/Hilgendorf Rdn. 5; Schmitz S. 81 f; Schnieders S. 199; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 5. 58 Rogall SK Rdn. 5; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 5. 59 Fischer Rdn. 3; Hörnle MK Rdn. 6; Rogall SK Rdn. 5; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 5; and. Listl/Pirson/ Eser S. 1036 und Kesel S. 104 unter Berufung auf RGSt 10 42, dies jedoch zu Unrecht, weil dort (wie auch in RGRspr. 9 169) nur das Erfordernis einer aktiven Beteiligung des Geistlichen verneint wird. 60 Fischer Rdn. 3; Hörnle MK Rdn. 6; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Rogall SK Rdn. 5; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 5. 61 Fischer Rdn. 2. 62 Fischer Rdn. 3; Hörnle MK Rdn. 6; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Rogall SK Rdn. 5; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 5. 63 Hörnle MK Rdn. 6; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 5. 64 RGSt 28 303; OLG Tübingen DRZ 3 (1948) 398; Listl/Pirson/Eser S. 1036; Fischer Rdn. 3; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Otto BT § 64 Rdn. 8; Rogall SK Rdn. 5; Schmitz S. 82; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 5. 65 Fischer Rdn. 4; Hörnle MK Rdn. 6; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 61 Rdn. 16; Rogall SK Rdn. 5; Sch/Schröder/ Bosch/Schittenhelm Rdn. 5, 12; aA Listl/Pirson/Eser S. 1036. In der Einordnung der kirchlichen Bestattung als gottesdienstlicher Handlung liegt gegenüber dem früheren Recht eine erhebliche Verminderung des Strafschutzes. Friedhöfe galten als andere zu religiösen Versammlungen bestimmte Orte im Sinne des § 166 a. F. selbst dann, wenn keine Bestattung stattfand (RGSt 27 296; RGRspr. 7 195, 196; RG HRR 1932 Nr. 576; Jagusch LK8 § 166 Anm. IVa). Die Einschränkung des Strafschutzes ist hinnehmbar, weil insoweit vielfach § 168 eingreift (Sch/Schröder/Bosch/ Schittenhelm Rdn. 12). Radtke
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feier eine solche Handlung selbst dann, wenn der sie vollziehende Prediger sie nur mit Genehmigung hätte vornehmen dürfen, eine solche aber fehlt. Zumindest ein Teil der in Rdn. 20 genannten Beispiele gottesdienstlicher Handlungen zeigt, 21 dass die Abgrenzung zum Gottesdienst kaum präzise möglich ist.66 Jedenfalls wenn Kommunion, Konfirmation, kirchliche Trauung und Taufe in einen Gottesdienst eingebunden sind, stört eine tatbestandsmäßige Handlung einen Gottesdienst und nicht eine gottesdienstliche Handlung.67 Insoweit kommt der gottesdienstlichen Handlung keine eigene Bedeutung zu. Dass zieht die Tauglichkeit des offenbar für maßgeblich gehaltenen Kriteriums, auch den besonderen religiösen Bedürfnissen Einzelner zu dienen, selbst in Zweifel.68 Das Kriteriums kann aber dahin verstanden werden, dass es bei Ausrichtung der Veranstaltung auf die religiöse Erbauung und damit einen starken Gottesbezug – insoweit abweichend vom Gottesdienst (Rdn. 12) – nicht auf die gemeinsame Erbauung konstitutiv ankommt, so dass etwa die Beichte,69 auch wenn sie gegenüber einem Geistlichen außerhalb eines Gottesdienstes erfolgt,70 im Ergebnis zu Recht als gottesdienstliche Handlung verstanden wird. Ob im Einzelfall eine gottesdienstliche Handlung vorliegt, ist anhand der in Rdn. 19 dargelegten Maßstäbe zu prüfen.
cc) Weltanschauungsfeier. Dem Gottesdienst entsprechende weltliche Feiern sind Veran- 22 staltungen einer Weltanschauungsvereinigung, die der gemeinsamen kultischen Pflege ihrer Gesamtschau der Welt dienen.71 Die Entsprechung bezieht sich auf die Anbetung und Verehrung eines Gottes. Sie kann daher nur angenommen werden, wenn bei einer solchen Feier der Kern des Bekenntnisses, der das Wesen der weltanschaulichen Vorstellungen ausmacht, bekräftigt und in ritueller Form umgesetzt wird.72 Der Sonderausschuss hat als Beispiele entsprechender Veranstaltungen die Feiern der Anthroposophen und die Zeremonien der Freimaurer genannt (Dreher Prot. V/121 S. 2439 f).73 Ob auch die Namens-, Jugend- und Trauerfeiern des Humanistischen Verbandes Deutschlands als solche Veranstaltungen zu gelten haben, ist wegen des wohl nicht starken Bezuges zum Kern des Bekenntnisses zweifelhaft.74 Keine Weltanschauungsfeiern sind bloße Versammlungen und Diskussionsveranstaltungen, wie überhaupt rein weltliche Veranstaltungen, Bälle beispielsweise; ihnen fehlt, ähnlich wie Lehrveranstaltungen in der Kirche, zur Qualifikation als Gottesdienste (Rdn. 15) die dem gottesdienstlichen Charakter vergleichbare Besonderheit der feierlichen Pflege eines bestimmten weltanschaulichen Wertes.75 Streitig ist, ob auch gottesdienstlichen Handlungen entsprechende einzelne feierliche 23 Akte der Weltanschauungsvereinigungen den Schutz von Abs. 2 genießen.76 Der Wortlaut sieht unmissverständlich eine Entsprechung lediglich für den Gottesdienst vor. Einer Erweiterung über diesen hinaus steht Art. 103 Abs. 2 GG entgegen. Soweit einzelne weltanschauliche feierli66 Stübinger Rdn. 2. 67 Vgl. Stübinger Rdn. 2. 68 Wie hier bereits Stübinger Rdn. 2, dem auch darin zuzustimmen ist, dass Abgrenzungsversuche dahingehend, dass bei einem Gottesdienst Gott Hauptgegenstand der Veranstaltung, bei den gottesdienstlichen Handlungen aber der Mensch im Vordergrund stehe (so in der Sache weitgehend übereinstimmend Schmitz S. 92 f und Schnieders S. 203), erst recht nicht überzeugen. 69 Verstanden als das freiwillige Bekenntnis begangener Sünden mit dem Ziel, die Absolution Gottes zu erlangen, vgl. für das evangelische Verständnis von Beichte Radtke ZevKR 48 (2003) 385, 386 m. w. N. 70 In der evangelischen Kirche findet die Beichte regelmäßig nicht als Einzelbeichte, sondern als gemeinsame in einem Gebet statt. 71 Fischer Rdn. 2; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 6; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6/7. 72 Hörnle Rdn. 7. 73 Listl/Pirson/Eser S. 1036 Fn. 112; Hörnle MK Rdn. 7 Fn. 18; Rogall SK Rdn. 4; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6/7. 74 Vgl. Rogall Rdn. 4. 75 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6/7; vgl. auch Hörnle MK Rdn. 7. 76 Zum Streitstand näher Dippel LK12 Rdn. 11 m. w. N. 319
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Störung der Religionsausübung
che Akte nicht einem Gottesdienst entsprechen (Rdn. 21), was unter Berücksichtigung des Selbstverständnisses der fraglichen Weltanschauungsgemeinschaft zu beurteilen ist (Rdn. 19), fallen sie nicht unter den Schutz von Abs. 2. Veranstaltungen wie etwa eine Jugendweihe oder eine weltanschaulich gestaltete Trauung, bei denen die Gottesdienstentsprechung zweifelhaft ist, sind daher nicht erfasst.77
2. Die Tathandlung 24 Die Tathandlung besteht im groben Stören des Gottdienstes, der gottesdienstlichen Handlung oder der Weltanschauungsfeier, wobei der Täter in Bezug auf die grobe Störung absichtlich handeln muss (Rdn. 27).
24a a) Grundsätze. Stören ist jede Behinderung oder Erschwerung des vorgesehenen Ablaufs einer bereits stattfindenden Veranstaltung;78 bezogen auf einen christlichen Gottesdienst genügen Handlungen vor der wartenden Gemeinde nicht.79 Mangels bereits stattfindender Veranstaltung sind erst recht weder das Verhindern einer bevorstehenden Veranstaltung noch das Hindern von Personen an der Teilnahme einer stattfindenden Veranstaltung tatbestandsmäßig;80 im letztgenannten Fall verhält es sich anders, wenn das Hindern sich grob störend auf den Gottesdienst selbst auswirkt.81 Im Gegensatz zu der ursprünglichen Fassung der Vorschrift, die auf die Erregung von Lärm oder Unordnung abgestellt hatte (vgl. Entstehungsgeschichte), bleibt gleichgültig, welches Mittel zur Störung angewendet wird.82 Auch ist ohne Bedeutung, von wo die Störung kommt und wo der Täter sich befindet. So kann es sich ebenso um einen Eingriff von außen (RGSt 5 258;83 37 15084), wie um eine Aktion aus der Mitte der Versammlung, also auch von Angehörigen des geschützten Personenkreises (OLG Celle NJW 1997 1167), handeln.85 Gestört sein muss die Feierlichkeit selbst (vgl. RGSt 10 42, 43). Deshalb genügt es nicht, wenn nur ein einzelner Teilnehmer betroffen ist; vielmehr muss die Beeinträchtigung eine weiterreichende Wirkung haben, beispielsweise zu einer allgemeinen Störung führen.86 Nicht notwendig ist jedoch, dass alle Teilnehmer berührt werden (RGSt 17 316; RG GA 39 210, 211). Zu einer Unterbrechung oder gar Aufgabe der Ritualhandlung braucht es nicht zu kommen;87 es reicht aus, wenn die Andacht oder die Aufmerksamkeit der Teilnehmenden gestört werden (RGSt 17
77 Listl/Pirson/Eser S. 1036 Fn. 112; Hörnle MK Rdn. 7 Fn. 18; Rogall SK Rdn. 4; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6/7; and. Dippel LK12 Rdn. 11; Stübinger NK Rdn. 3. 78 Joecks BT Rdn. 2; Otto BT § 64 Rdn. 8. 79 Hörnle Rdn. 8. 80 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 8. 81 Fischer Rdn. 2. 82 Die Fassung entspricht dem Vorschlag des E 62 (§ 189 Abs. 2). Das (nach damaliger Bezeichnung) BMJ (Formulierungshilfe vom 12.11.1968, Prot. V/121 S. 2449) hatte in Anlehnung an frühere Entwürfe dasselbe Ergebnis durch die Einfügung „oder auf andere Weise“ erreichen wollen, um eine möglichst plastische Vorschrift zu schaffen (Sturm Prot. V/121 S. 2437). Das ist im Gesetzgebungsverfahren als überflüssig angesehen worden (vgl. Diemer-Nicolaus Prot. V/121 S. 2437). 83 Vom Täter waren auf seinem an den Kirchhof angrenzenden elterlichen Hof die Grabgesänge und die Rede des Geistlichen bei einer Beerdigungsfeier laut schreiend nachgeahmt worden. 84 Hier hatte der Täter in seiner gegenüber der Kirche gelegenen Gastwirtschaft ein Orchestrion während des Gottesdienstes stark störend spielen lassen. 85 Fischer Rdn. 4; Hörnle MK Rdn. 8; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; Rogall SK Rdn. 8; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 8. 86 Fischer Rdn. 4; Hörnle MK Rdn. 8. 87 Listl/Pirson/Eser S. 1037; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 8. Radtke
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II. Der Tatbestand des Absatzes 1 Nr. 1 mit Absatz 2
StGB § 167
316, 317).88 Die Störung muss eine konkrete Veranstaltung treffen; eine allgemeine Forderung nach Abschaffung oder Verbot einer Veranstaltung wie auch sonstige Kritik, etwa an der Feierlichkeit der Handlung als solcher, reichen nicht.89
b) Grobe Störung. Die Störung muss in grober Weise erfolgen. Über die Kumulation der groben 25 Störung mit dem Absichtserfordernis (Rdn. 28) wird der Tatbestand, wie geboten (vgl. Rdn. 5 und 7), auf besonders empfindliche und nachhaltige Beeinträchtigungen beschränkt (OLG Jena NJW 2006 1892, 1893);90 geringfügige Fälle sind, schon der verfassungsrechtlichen Legitimität der Vorschrift wegen (Rdn. 7), ausgeschlossen.91 Die danach erforderliche besondere Schwere der Störung kann durch verschiedene Umstände eintreten. Oft ist schon die Art des angewandten Störungsmittels ausreichend, so wenn Stinkbomben geworfen, Gewalt angewendet92 oder besonders verwerfliche Hetzreden gehalten werden.93 Zudem kann sich die grobe Weise der Störung aus ihrer Dauer, ihrem Zeitpunkt, beispielsweise wenn sie einen besonders herausgehobenen Teil der Feierlichkeit, etwa die Wandlung in der katholischen Messe, trifft, aber auch aus ihrem Erfolg, so dem erzwungenen Abbruch der Feierlichkeit, ergeben.94 Schließlich soll eine Handlung, die für sich allein keine grobe Störung darstellt, etwa das Anschlagen eines Tones der Kirchenorgel während der Predigt, durch eine hic et nunc ständige Wiederholung sich qualitativ so verändern, dass sie in ihrer Addition eine grobe Störung darstelle.95 Das ist zumindest bezogen auf das Beispiel angesichts der notwendig strengen Anforderungen an die grobe Störung (Rdn. 5 und 7) schwer vertretbar. Sicher keine grobe, sondern eine nur unerhebliche Störung liegt in bloßem Schwätzen oder unterdrücktem Lachen einiger Anwesender (Herzog NK4 Rdn. 10). Stützt der Täter sein Verhalten auf die Inanspruchnahme von grundrechtlichen Freiheiten (etwa eigene Religionsfreiheit, Meinungs- oder Demonstrationsfreiheit) ist dies nicht bereits bei der Beurteilung der Grobheit der Störung, sondern bei der allgemeinen Rechtswidrigkeit der Tat zu berücksichtigen (OLG Saarbrücken NJW 2018 3794 3796; näher Rdn. 28). Ein mögliches Mitverschulden der zum Gottesdienst versammelten Personen durch die Provokation einer Auseinandersetzung dürfte hingegen bereits bei der Beurteilung der Grobheit der Störung zu beachten sein.96
c) Beispiele. Beispiel für eine grobe Störung ist etwa das früher im Gesetz ausdrücklich be- 26 nannte Erregen von Lärm oder Unordnung (vgl. Rdn. 23). Die meisten sonstigen Störungen verbinden sich zumindest in den Auswirkungen mit diesen Mitteln. Beispiele hierfür werden genannt: Drohungen gegen Teilnehmer der Veranstaltung,97 die physische Behinderung von Teilnehmenden98 oder körperliches Vorgehen gegen sie,99 also Tatmittel, die sich als Drohung 88 89 90 91 92 93 94 95
Hoeren/Mattner/Hoeren S. 120. Fischer Rdn. 3. Joecks BT Rdn. 2; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3. Sturm NJW 1969 1608; zu vormals erwogenen restriktiven Kriterien zusammenfassend Listl/Pirson/Eser S. 1037. Fischer Rdn. 4. Rogall Rdn. 9. Fischer Rdn. 4; Rogall SK Rdn. 9; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 8. H. Schröder JZ 1972 652; and. F. C. Schroeder, in derartigen Fällen sei eine Zusammenrechnung des Gewichts von einzelnen Handlungen nicht möglich, weil das Merkmal grob keine bloße Quantität, sondern eine Qualität ausdrücke und daher eine Einzelhandlung des Täters als solche von besonderem Gewicht kennzeichne (GA 1964 236), was in einem gewissen Widerspruch zu der Ansicht steht, Öffentlichkeit im Sinne des § 166 Abs. 1, 2 entstehe auch dadurch, dass mehrere Personen bei fortgesetzter Handlung sukzessive von der Äußerung Kenntnis nehmen (GA 1964 235). 96 Hörnle MK Rdn. 9; ähnlich SSW/Hilgendorf Rdn. 13. 97 Hörnle MK Rdn. 8. 98 Listl/Pirson/Eser S. 1037; Rogall SK Rdn. 9; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 8. 99 Hörnle MK Rdn. 8. 321
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und Gewaltanwendung i. S. v. § 240 StGB erweisen. Als tatbestandsmäßige Verhaltensweisen kommen weiter in Betracht die Besetzung von Räumlichkeiten der Veranstaltung100 sowie das den Ablauf der Feier hindernde Betreten bestimmter Einrichtungen, so der Kanzel oder des Altarraums der Kirche,101 Brandstiftung,102 die Verbreitung von Tränengas,103 das Verschütten sonstiger unangenehm riechender oder sonst beeinträchtigend wirkender (etwa durch Reizung der Schleimhäute) chemischer Substanzen104 einschließlich des Auslegens von Stinkbomben.105 Angesichts der notwendigen strengen Anforderungen an die Tathandlung, die jedenfalls ihrer 27 Art nach generell gefährlich für den öffentlichen Frieden sein muss (Rdn. 7), liegt entgegen häufiger Bewertung in den nachfolgenden Beispielen keine grobe Störung vor: eine für die übrigen Versammelten unzumutbare Art der Teilnahme an der Veranstaltung, wenn beispielsweise kurz vor Beginn des Gottesdienstes eine Gruppe in Badehosen in die Kirche marschiert und sich still hinsetzt (Dreher Prot. V/121 S. 2438), das Vortäuschen eines Notfalls,106 das Ablenken der Andacht der Teilnehmer, etwa durch Transparente und Plakate namentlich bei Veranstaltungen im Freien, so den Schlussgottesdiensten bei den Kirchentagen.107 Lautes Sprechen allein ist keine grobe Störung (and. RG GA 39 210, 212),108 Als Störung erweist sich jedenfalls nicht, wenn die Gemeinde auf das „Dominum vobiscum“ des Geistlichen deutsch antwortet (vgl. Sturm Prot. V/121 S. 2437). Ein Zwischenruf während der Predigt, wie die Bitte um die Präzisierung einer vorgetragenen These, kann nicht als grobe Störung angesehen werden, ohne dass es auf die Umstände des Einzelfalls ankäme.109 Auf solche kann es aber für die Bewertung als grob ankommen, wenn anstatt des vorgesehenen Verlaufs einer Feier eine Diskussion, sei es selbst über religiöse und weltanschauliche Fragen, erzwungen werden soll.110 Die in den Materialien erörterte Konstellation der Äußerung des Wunschs der Gemeinde, sie wolle die Messe lieber auf Deutsch gefeiert haben (vgl. Nellen Prot. V/ 121 S. 2423), stellt unter Berücksichtigung des aktuellen Selbstverständnisses der katholischen Kirche über den Ritus der Messe keine grobe Störung dar.
3. Subjektiver Tatbestand 28 Der subjektive Tatbestand lässt für die Merkmale außerhalb der Absicht grober Störung bedingten Vorsatz genügen,111 in Bezug auf die Herbeiführung der groben Störung muss allerdings Absicht vorliegen. Das bedeutet, dass es dem Täter im Sinne zielgerichteten Handelns auf den Störungserfolg ankommen muss.112 Der Endzweck kann freilich ein anderer gewesen sein. Absicht (dolus directus 1. Grades) ist durch die Intentionalität der Erfolgsherbeiführung 100 101 102 103 104 105 106
Hörnle MK Rdn. 8. OLG Jena NJW 2006 1892, 1893; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 8. Hörnle MK Rdn. 8. Listl/Pirson/Eser S. 1037; Rogall SK Rdn. 8. Hörnle MK Rdn. 8. Rogall SK Rdn. 8; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 8; Sturm Prot. V/121 S. 2436. And. Hörnle Rdn. 8; die Täuschung bewirkt zwar eine Beeinträchtigung der Religionsausübung, es lässt sich aber wegen des in der Situation der Störung wenigstens zunächst nicht bemerkten Täuschung eine für den öffentlichen Frieden wenigstens generell gefährliche Verhaltensweise vorliegt. 107 Wie hier Hörnle MK Rdn. 9, die – zutreffend – eine derartige Ablenkung der Andacht von Teilnehmern an der Veranstaltung als eine in ihrer Intensität unbedeutende Einwirkung erachtet; and. Herzog NK4 Rdn. 9; Kern BTProt. V/230 S. 12784. 108 Dem RG zustimmend aber Listl/Pirson/Eser S. 1037. 109 And. Zipf NJW 1969 1945; vgl. auch Hörnle MK Rdn. 9. 110 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 8; vgl. auch die Beispiele bei Sturm Prot. V/121 S. 2438. 111 Fischer Rdn. 6; vgl. auch RGSt 23 199, 201; 37 150, 152; Joecks BT Rdn. 4; Otto BT § 64 Rdn. 8; Sch/Schröder/ Bosch/Schittenhelm Rdn. 9. 112 Fischer Rdn. 9; Listl/Pirson/Eser S. 1037; Hörnle MK Rdn. 12; Joecks BT Rdn. 4; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7; Otto BT § 64 Rdn. 8; Rogall SK Rdn. 10; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 9; Sturm Prot. V/2436. Radtke
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II. Der Tatbestand des Absatzes 1 Nr. 1 mit Absatz 2
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charakterisiert; es kommt nicht darauf an, wie der Handelnde die Realisierungschance beurteilt; der Erfolg wird auch dann beabsichtigt, wenn die Erfolgschance als gering beurteilt wird. Dementsprechend begründet sicheres Wissen um den Eintritt der Störung allein bei fehlender Intentionalität keine Absicht. Es genügt beispielsweise nicht, wenn der Täter, wie bei handwerklichen Arbeiten in der Nähe eines Gotteshauses, die Störung nur als notwendige Folge seines Handelns voraussieht.113 Tatbestandsirrtum liegt vor, wenn der Täter das Wesen der gestörten Handlung als gottesdienstlich nicht erkennt,114 was eine Deutung von „Gottesdienst“ und „gottesdienstliche Handlung“ als normativ geprägte Tatbestandsmerkmale impliziert. Glaubt der Täter, zur Störung berechtigt zu sein, kommt, je nach den Umständen des Einzelfalls, Irrtum über die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes (§ 16: Erlaubnistatbestandsirrtum) oder Annahme eines nicht oder nicht in dem geplanten Umfang anerkannten Rechtfertigungsgrundes (§ 17 in der Gestalt als Erlaubnisirrtum) in Betracht.115 Ein Irrtum etwa über die Reichweite des Rechts der freien Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) ist Verbotsirrtum.116
4. Rechtswidrigkeit Die Rechtswidrigkeit entfällt, wenn der Täter zu der Störung aufgrund eines Erlaubnissatzes 29 befugt ist (RGSt 16 15). Die Frage nach einer Rechtfertigung der Störung kann sich gerade bei spektakulären Störungen wie etwa im Fall LG Köln StV 2016 810 (vgl. Rdn. 5) stellen, wenn die störende Person für die Störung die Meinungsäußerungs- oder die Kunstfreiheit (vgl. OLG Saarbrücken NJW 2018 3794, 3796 f) in Anspruch nehmen kann (ausführlich insbesondere zur Bedeutung der Kunstfreiheit als Quelle möglicher Rechtfertigung § 166 Rdn. 34 bis 45, 109). Auch wenn eine Rechtfertigung aus Grundrechten unmittelbar oder mittelbar im Rahmen einer überwiegend allerdings abgelehnten117 entsprechenden Anwendung von § 193 grundsätzlich für möglich gehalten wird (vgl. § 166 Rdn. 109), wird eine solche allenfalls im Ausnahmefall in Betracht kommen, weil angesichts der strengen Anforderungen an die grobe Störung selbst so gewichtige Rechte wie die freie Meinungsäußerung, die Kunstfreiheit oder das Demonstrationsrecht in ihrer einzelfallbezogenen Bedeutung kaum die Verletzung des Anspruchs auf ungestörte Religionsausübung überwiegen werden (vgl. OLG Saarbrücken NJW 2018 3794, 3797).118 Das gilt auch dann, wenn die grobe Störung von „guten Absichten“ getragen wird, etwa selbst religiös motiviert ist (vgl. Güde Prot. V/121 S. 2438).119 Allgemeine Rechtfertigungsgründe werden praktisch selten zur Anwendung gelangen. So- 30 weit als Beispiele für eine Rechtfertigung durch § 34 die Unterbrechung des Gottesdienstes durch das Alarmieren der zum Gottesdienst versammelten Mitglieder der Feuerwehr nach Ausbruch eines Brandes,120 durch das Herausrufen eines am Gottesdienst teilnehmenden Arztes zur Versorgung eines Verletzten am Unfallort121 genannt werden, ist in Erwägung zu ziehen, ob es möglicher-
113 114 115 116 117
Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 9. Fischer Rdn. 6. Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 9; vgl. auch Hörnle MK Rdn. 13. Fischer Rdn. 5. Fischer Rdn. 5; Rogall SK Rdn. 11 Fn. 35 mit dem zutreffenden Hinweis, dass der Sache nach hier eine Formalbeleidigung vorliegen würde, die auch den berechtigten Interessen wahrnehmenden Beleidigungstäter nicht vor Strafe schützt. 118 Fischer Rdn. 5; Hoeren/Mattner/Hoeren § 9 Rdn. 6; SSW/Hilgendorf Rdn. 13; vgl. auch OLG Jena NJW 2006 1982, 1983; dazu schon Rdn. 14. 119 Vgl. Burghard S. 85. 120 RGSt 5 258, 259; Fischer Rdn. 5; Hörnle MK Rdn. 13; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 61 Rdn. 19; Rogall SK Rdn. 11; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 10. 121 Preisendanz Anm. 1e. 323
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weise bereits an einer groben Störung oder an der auf die Störung gerichteten Absicht fehlt.122 Die lange Zeit über die Notwehr gelöste Abwehr beleidigender Angriffe in der Predigt des Geistlichen123 wird mittlerweile über § 34 gelöst.124 Bei der Abwägung ist das Interesse nicht betroffener Teilnehmer an der Fortsetzung des Gottesdienstes zu berücksichtigen.125
III. Der Tatbestand des Absatzes 1 Nr. 2 mit Absatz 2 31 Der Tatbestand des Absatzes 1 Nr. 2 allein oder in Verbindung mit Absatz 2 stellt das Verüben beschimpfenden Unfugs an bestimmten Orten unter Strafe.
1. Angriffsgegenstände Angriffsgegenstände sind Orte, die dem Gottesdienst oder ihm entsprechenden Weltanschauungsfeiern gewidmet sind.
a) Kirche, andere Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung. Bei den Trägern dieser Orte handelt es sich, wie im Tatbestand des Absatzes 1 Nr. 1, um im Inland bestehende Kirchen, andere Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen, Angriffsobjekte auch des § 166 Abs. 2. Daher gelten hier ebenfalls die Erläuterungen Rdn. 68 und 81 f (Kirche), 69 bis 73 und 82 bis 89 (Religionsgesellschaft), 90 f (Weltanschauungsvereinigung) sowie 99 f (Inland).
32 b) Dem Gottesdienst gewidmete Orte. Geschützt sind zunächst dem Gottesdienst gewidmete Orte einer Kirche oder anderen Religionsgesellschaft.
aa) Grundsätze. Gewidmet126 ist dem Gottesdienst (Rdn. 12 bis 19) ein Ort, wenn, wie bei Kirchen, Synagogen und Moscheen, sein wesentlicher Zweck darin besteht, dem Gottesdienst zu dienen.127 Eine tatsächliche, auf zufälliger Veranlassung beruhende Verwendung genügt dafür
122 Siehe etwa Zipf NJW 1969 1954; Blei BT § 35 III 1 will die Strafbarkeit derartiger Vorgänge an mangelnder Absicht scheitern lassen. 123 Weitere Fälle dieser Art: Störung der in die Messe eingefügten Vereidigung der neu gewählten Kirchenvorsteher wegen des vermeintlichen Rechts eines des Gewählten auf Vereidigung in polnischer Sprache (RGSt 23 199, 201). Unterbrechung einer Predigt in der Karwoche durch Zwischenrufe auf die Erklärung des Geistlichen, die Verfolgung, die das jüdische Volk im Laufe seiner Geschichte zu erdulden gehabt habe, sei eine Strafe Gottes für die Schuld am Tode Christi (Kern BTProt. V/230 S. 12784). Lautstarkes Abrücken einer zum Gottesdienst befehligten Truppe nach kritischen Äußerungen des Geistlichen an einer Entscheidung der obersten Behörde der Landeskirche (RMilGE 17 41). 124 So inzwischen Joecks BT Rdn. 5; Hörnle MK Rdn. 13; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 8; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 61 Rdn. 19; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 10. Notwehr nimmt dagegen weiterhin an Fischer Rdn. 5. 125 Hörnle Rdn. 13. 126 Vgl. dazu die zu den Korporationsrechten gehörende Befugnis, Sachen, die dem gottesdienstlichen Gebrauch dienen sollen, im Wege der Widmung zu res sacrae zu erklären (näher dazu v. Campenhausen/deWall S. 260 ff; Jeand’Heur/Korioth Rdn. 246 ff). 127 Vgl. RGSt 28 303 f; 29 334, 336; RG GA 39 210, 212; OLG Saarbrücken NJW 2018 3794, 3795; Listl/Pirson/Eser S. 1037; Fischer Rdn. 7; Hörnle MK Rdn. 10; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4; Maurach/Schroeder/Maiwald II Rdn. 20; Rogall SK Rdn. 12; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 12; Welzel Strafrecht § 65 II 2. Radtke
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III. Der Tatbestand des Absatzes 1 Nr. 2 mit Absatz 2
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nicht (RGSt 29 334, 336).128 In den Fällen genereller Widmung reicht aber aus, dass es die überwiegende Zweckbestimmung ist; die gelegentliche Verwendung des Ortes zur Erfüllung auch anderer Aufgaben, etwa der Veranstaltung von Vorträgen oder Konzerten, bleibt dann unschädlich.129 Aus der Widmung eines gemieteten Gebäudes als res sacra erwächst kein unbeschränktes Besitzrecht, wenn von vornherein Einigkeit bestand, dass die Überlassung zu gottesdienstlichen Zwecken nur von vorübergehender Dauer sein sollte (AG Bonn KirchE 22 121, 123). Geschützt sind dem Gottesdienst gewidmete Orte unabhängig davon, ob zur Zeit der Tat ein Gottesdienst abgehalten wird (OLG Saabrücken NJW 2018 3794, 3795).130 Die Aufgabe eines Ortes, einzelnen gottesdienstlichen Handlungen (Rdn. 20 und 21) zu dienen, genügt dem Tatbestandsmerkmal ebenso wenig, wie seine Bestimmung als Stelle religiöser Versammlungen.131 Eine vereinzelte, auf einer zufälligen Veranlassung beruhende Verwendung eines sonst anderen Zwecken dienenden Ortes zum Gottesdienst reicht für sich allein selbst dann nicht aus, wenn die religiöse Versammlung an diesem Ort regelmäßig wiederholt wird.132 Doch kann ein solcher Ort vorübergehend dem Gottesdienst gewidmet sein,133 darf dann aber in der betreffenden Zeit nicht zugleich anderen Zwecken dienen (RGSt 28 303, 304; OLG Tübingen DRZ 3 [1948] 398).134 Eine vorübergehende Widmung liegt nicht bereits darin, dass ein Gottesdienst tatsächlich stattfindet;135 vielmehr müssen äußerliche Maßnahmen getroffen sein, die den vorübergehenden Zweck erkennen lassen.136 Dies ist beispielsweise der Fall bei den betriebseigenen Trauerräumen von Seebestattungs-Reedereien, in denen besondere Gedenkgottesdienste vor Gedächtnisfahrten zu den Stellen der Urnenversenkung abgehalten werden.137 Schließlich kann es auch für Friedhöfe anzunehmen sein, wenn dort im Einzelfall Gottesdienste stattfinden.138
bb) Einzelfragen. Das Merkmal dem Gottesdienst gewidmet ist Gegenstand vielfacher Ein- 33 zelfragen. Bei Kirchen sind dem Gottesdienst auch solche Vor- und Nebenräume gewidmet, auf die sich das religiöse Gefühl und die Andachtstimmung der verweilenden oder sich entfernenden Teilnehmer an Gottesdiensten mit zu erstrecken pflegt.139 So liegt es beim Windfang als dem vorbestimmten Weg, auf dem die Gläubigen in das Kircheninnere und damit zum Gottesdienst
128 129 130 131
Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 12. Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 12. RGSt 32 212 f; Fischer Rdn. 7; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 12; Welzel Strafrecht § 65 II 2. Listl/Pirson/Eser S. 1038; Fischer Rdn. 7; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; Rogall SK Rdn. 12; Sch/Schröder/Bosch/ Schitenhelm Rdn. 12. Hingegen erstreckte sich der dritte Tatbestand des § 166 a. F. ausdrücklich auch auf zur Abhaltung religiöser Versammlungen bestimmter Orte. Der E 62 ist jedoch mit Recht davon ausgegangen, dass insoweit der durch seinen § 188 (§ 166 n. F.) gewährte Strafschutz ausreicht (Begr. S. 345; vgl. auch Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 12). 132 Beispiele sind die Teile einer Ortsstraße, die herkömmlicherweise von einer kirchlichen Prozession berührt werden (RGSt 28 303) und der unbebaute Platz zwischen städtischen Straßen, auf dem ein religiöser Verein Versammlungen abhält (RGSt 29 334). 133 Welzel Strafrecht § 65 II 2; vgl. aber auch RGSt 29 334, 336. 134 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 12. 135 So ist ein Gemeindesaal nicht schon geschützt, nur weil er für eine kirchliche Trauung zur Verfügung gestellt wird (Blei BT § 35 III 2). 136 And. Rogall SK Rdn. 12 der Räumlichkeiten, die der Erfüllung mehrerer Aufgaben dienen, während der Zeit, in der ein Gottesdienst stattfindet, ohne weiteres den Schutz des § 167 Abs. 1 zugesteht. 137 Näher zur Urnen-Seebestattung § 167a Rdn. 24, § 168 Rdn. 52. Die Gedenkgottesdienste sind, im Gegensatz zu Trauerfeiern bei der Urnenversenkung (vgl. § 167a Rdn. 24), keine Bestattungsfeiern, wohl aber unter den genannten Voraussetzungen Gottesdienste. 138 Fischer Rdn. 7; Rogall SK Rdn. 12; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 12; and. Maurach/Schroeder/Maiwald II § 61 Rdn. 20; Welzel Strafrecht § 65 II 2. 139 BGHSt 9 140, 141 mit Anm. Krumme LM § 166 Nr. 1; Listl/Pirson/Eser S. 1037; Fischer Rdn. 7; Hörnle MK Rdn. 10; Rogall SK Rdn. 10; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 12. 325
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gelangen.140 Nicht dazu gehören Türme, das Dachgeschoss, eingebaute Wohnungen und der Heizungskeller, Räumlichkeiten also, die nicht zum Zweck der Andacht betreten werden (BGHSt 9 140, 141).141 Entgegen der Vorauflage142 fällt die Sakristei unter den Schutz, weil sie der Durchführung des Gottesdienstes in der dafür gewidmeten Kirche dient.143 Für die Nebenräume von Synagogen und Moscheen gelten diese Grundsätze entsprechend. Wie Kirchen sind Kapellen dem Gottesdienst gewidmet, auch kleine Gnadenkapellen, beispielsweise an Wallfahrtsorten (Nellen Prot. V/121 S. 2423), und Hauskapellen.144 Betsäle unterliegen dem Schutz, wenn sie dem Gottesdienst und nicht nur religiösen Versammlungen dienen.145 Öffentliche Straßen einer Stadt, durch die sich eine Prozession bewegt, sind stets und zugleich auch anderen Zwecken offen und unterliegen dem Schutzbereich der Vorschrift selbst dann nicht, wenn die Prozession diesen Weg herkömmlicherweise nimmt.146 Anders liegt es bei Kalvarienbergen und anderen religiösen Gedächtnisstätten unter freiem Himmel.147
34 c) Weltanschaulichen Feiern gewidmete Orte. Geschützt sind ferner Orte, die dem Gottesdienst entsprechenden Weltanschauungsfeiern gewidmet sind. Solche Feiern (Rdn. 21) müssen dem Gottesdienst (Rdn. 12 bis 19), nicht bloßen gottesdienstlichen Handlungen (Rdn. 20 und 21), gleichstehen (Absatz 2), also Feiern von herausgehobener Bedeutung sein.148 Sie finden in Kultstätten der Freimaurer und der Anthroposophischen Gesellschaft, wie auch an entsprechenden Orten anderer Weltanschauungsgemeinschaften statt.
2. Die Tathandlung 35 Die Tathandlung besteht im Verüben beschimpfenden Unfugs an einem der genannten Orte.
a) Beschimpfender Unfug. Beschimpfender Unfug ist ein grob ungehöriges Verhalten, das die Missachtung der Heiligkeit oder der entsprechenden Bedeutung des Ortes in besonders roher Weise ausdrückt.149 Die Auffassung, beschimpfender Unfug sei eine jede zur Verletzung des religiösen Gefühls geeignete Herabwürdigung des geheiligten Ortes,150 wird dem Tatbestand nicht gerecht, dessen Legitimität neben der Beeinträchtigung der Religionsausübung eine Ver140 BGHSt 9 140, 141 mit. Anm. Krumme LM § 166 Nr. 1; Fischer Rdn. 7; Hörnle MK Rdn. 10; Rogall SK Rdn. 12: Sch/ Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 12. 141 Hörnle MK Rdn. 10. 142 Dippel LK12 Rdn. 20. 143 Beispielsweise BGHSt 21 64, 65; RGSt 45 243, 246; RG GA 59 335; Kesel S. 89; vgl. auch Sch/Schröder/Bosch/ Schittenhelm Rdn. 12. 144 Listl/Pirson/Eser S. 1037; Fischer Rdn. 7; Hörnle MK Rdn. 10; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4; Rogall SK Rdn. 13; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 12. 145 Listl/Pirson/Eser S. 1037 f; Hörnle MK Rdn. 10; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 12; enger Schnieders, der Betsäle als Mehrzweckräume nur dann als geschützt ansieht, wenn zur Zeit der Tat darin gottesdienstliche Verrichtungen stattfinden oder vorbereitet werden (S. 209); and. auch RGSt 29 334. 146 RGSt 28 303; OLG Tübingen DRZ 3 (1948) 398; Listl/Pirson/Eser S. 1038; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 61 Rdn. 20; vgl. auch Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 12. 147 Maurach/Schroeder/Maiwald II § 61 Rdn. 20. 148 Fischer Rdn. 7. 149 RGSt 31 410, 411; 43 201, 202; OLG Saarbrücken NJW 2018 3794, 3795; Listl/Pirson/Eser S. 1038; Fischer Rdn. 8; Hörnle MK Rdn. 11; Joecks BT Rdn. 3; Otto BT § 64 Rdn. 8; Rogall SK Rdn. 13; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 13. 150 BGHSt 9 140 mit Anm. Krumme LM § 166 Nr. 1; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 61 Rdn. 20; Schmidhäuser BT 13/25; vgl. auch Lackner/Kühl/Heger Rdn. 5. Radtke
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III. Der Tatbestand des Absatzes 1 Nr. 2 mit Absatz 2
StGB § 167
letzung des Toleranzgebots in besonders schwerwiegender Form voraussetzt (vgl. Rdn. 5 und 7).151 Verstöße gegen gutes Benehmen und bloße Ungehörigkeiten, wie Herumtollen, Abhaltung eines Picknicks, Liegenlassen von Abfällen und ähnliches genügen nicht.152 Die Handlung muss nicht an dem geschützten Ort verübt werden;153 vielmehr bleibt die notwendige räumliche Nähe stets schon dann gewahrt, wenn in dem beschimpfenden Unfug die Missachtung gegenüber dem herausgehobenen Charakter des Ortes zum Ausdruck kommt.154 Daher ist es unerheblich, ob die Tat von anderen in der Religionsausübung begriffenen Personen wahrgenommen wird (OLG Saarbrücken NJW 2018 3794, 3795); sie muss weder öffentlich noch im Beisein anderer begangen werden, wenn sie nur nach außen erkennbar ist.155 Auch ein Diener der betreffenden Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung kann Täter sein (RG JW 1915 345156). Da es auf die Anwesenheit anderer bei der Tat nicht ankommt, kann die für das erforderliche Gewicht der Missachtung lediglich aus der Perspektive eines hypothetischen besonnenen Beobachters beurteilt werden (vgl. OLG Saarbrücken NJW 2018 3794, 3795);157 um das Ausmaß der Missachtung oder Verachtung beurteilen zu könne, wird dem gedachten Beobachter Kenntnis des Selbstverständnisses der Religionsgemeinschaft (vgl. Rdn. 19) implementiert werden müssen.158 Anders als Abs. 1 Nr. 1 ist Nr. 2 Tätigkeitsdelikt (Rdn. 6 aE), so dass es eines tatbestandlichen Erfolges nicht bedarf.
b) Einzelfälle. Zahlreiche Einzelfälle werden, teils kontrovers, erörtert. Als beschimpfender 36 Unfug an geheiligten Orten gelten sexuelle Handlungen,159 Verwüstungen,160 üble Verunreinigungen, etwa durch Urinieren,161 das Beschmieren der Wände, beispielsweise mit unzüchtigen Zeichnungen, obszönen Ausdrücken, politischen Parolen, wie Hakenkreuzen, oder Losungen, mit denen religiöse Inhalte verhöhnt werden,162 und das Absingen pornographischer Lieder.163 Auch die Abhaltung einer politischen Versammlung an dem geschützten Ort kann beschimpfender Unfug sein, wenn dabei Inhalt und Sinn des Bekenntnisses der betreffenden Religionsgesellschaft oder der Weltanschauungsvereinigung in grob ungehöriger Form geleugnet werden. Überzeugend hat das OLG Saarbrücken die im Rahmen eines Kunstprojekts auf Video festgehaltene Ausführung von Liegestützen auf dem Altar einer katholischen Kirche als beschimpfenden 151 Listl/Pirson/Eser S. 1038; Rogall SK Rdn. 13. 152 Fischer Rdn. 8; Hörnle MK Rdn. 11; Schmitz S. 91; Sch/Schröder/Schittenhelm Rdn. 13; and. Maurach/Schroeder/ Maiwald II § 61 Rdn. 20.
153 So aber wohl Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 13. 154 Fischer Rdn. 8. 155 RGSt 32 212, 213; 43 201, 202; RG GA 59 335; Fischer Rdn. 8; Hörnle MK Rdn. 11; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 61 Rdn. 20. Das Reichsgericht hat klargestellt, dass seine Auffassung, es müsse der Unfug für andere erkennbar und dem ihn Verübenden bewusst die Herabwürdigung des heiligen Ortes zum Ausdruck bringen (RGSt 43 201, 202), mit der Erkennbarkeit für andere nicht die Wahrnehmung des Unfugs durch andere während seiner Verübung meint (RG GA 59 335). 156 Hier ging es um den persönlichen Streit des zur Herstellung der Ordnung bestellten zweiten Vorstehers einer Synagogengemeinde mit einem Teilnehmer am Gottesdienst. 157 Vgl. auch Hörnle MK Rdn. 11. 158 OLG Saarbrücken NJW 2018 3794, 3795 das den gedachten besonnenen Beobachter als Maßstab fordert, hat sich – prozessual sub specie § 261 StPO unbedenklich – damit beholfen, die Bedeutung des Altars einer katholischen Kirche, der Ort der Tathandlung war, aus allgemein zugänglichen Quellen über das Selbstverständnis der katholischen Kirche zu erschließen und als offenkundige Tatsache seinen Feststellungen zugrunde zu legen. 159 BGHSt 9 140; RGRspr. 7 195; RG GA 59 335; Listl/Pirson/Eser S. 1038; Fischer Rdn. 8; Hörnle MK Rdn. 11; Sch/ Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 13. 160 Herzog NK4 Rdn. 15. 161 Dreher Prot. V/121 S. 2439; Hörnle MK Rdn. 11; Maurach/Schroeder/Maiwald II Rdn. 20. 162 Dreher Prot. V/121 S. 2430; Listl/Pirson/Eser S. 1038; Fischer Rdn. 8; Hörnle MK Rdn. 11; Rogall SK Rdn. 13; Sch/ Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 13. 163 Fischer Rdn. 8; Rogall SK Rdn. 13; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 13; and. Hörnle MK Rdn. 11. 327
Radtke
§ 167 StGB
Störung der Religionsausübung
Unfug gewertet und damit maßgeblich auf die Bedeutung des Altars abgestellt (NJW 2018 3794 f). Nicht unter den Tatbestand fallen dagegen Verstöße gegen gutes Benehmen und bloße Ungehörigkeiten (vgl. schon Rdn. 35), wozu Rauchen,164 das Aufbehalten des Hutes, mag es auch „geflissentlich“ geschehen,165 und die Weigerung eines Teilnehmers am Gottesdienst, bestimmte Zeremonien, etwa das Niederknien, mitzuvollziehen,166 gehören. Schließlich reichen auch lautes Schreien und Krakeelen oder sonstiges lautes Lärmen regelmäßig nicht aus.167
3. Subjektiver Tatbestand 37 Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz, der sich vor allem auch auf den beschimpfenden Charakter der Handlung erstrecken muss, also darauf, dass sie als besonders rohe Herabwürdigung des geheiligten Orts empfunden wird.168 Weiter gehört zu ihm das Bewusstsein der herausgehobenen Bestimmung des Ortes.169 Bedingter Vorsatz genügt OLG Saarbrücken NJW 2018 3794, 3796);170 Der Absicht zu beschimpfen bedarf es nicht;.171 auch die Motivation für die Beschimpfung ist ohne Bedeutung (OLG Saarbrücken NJW 2018 3794, 3796).172
4. Rechtswidrigkeit 38 Für die Rechtswidrigkeit gelten die Ausführungen Rdn. 29 und 30 entsprechend.
IV. Konkurrenzen 39 Die Konkurrenzen beider Tatbestände betreffen ausschließlich tateinheitliches Zusammentreffen. Wegen der unterschiedlichen Schutzrichtungen ist es mit den §§ 166, 167a möglich,173 ferner mit § 168,174 § 123175 und den §§ 185 bis 187.176 Mit § 240 kommt Tateinheit beispielsweise dann in Betracht, wenn die Störung des Gottesdienstes oder der Weltanschauungsfeier bei Einsatz der Nötigungsmittel des § 240 (vgl. Rdn. 25) zum Abbruch der Veranstal-
164 Fischer Rdn. 8; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 13. 165 Listl/Pirson/Eser S. 1038; Fischer Rdn. 8; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 13; and. Heimann-Trosien LK9 Rdn. 14; Maurach/Schroeder/Maiwald II Rdn. 20. 166 Fischer Rdn. 8. 167 Listl/Pirson/Eser S. 1038; Fischer Rdn. 8; Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 13; and. noch RGSt. 23 103, 105; ferner Maurach/Schroeder/Maiwald II Rdn. 20; vgl. auch die Fälle RGSt. 31 410, 411 f (Zuschlagen der Synagogentür mit äußerster Gewalt) und RGSt 43 201, 202 f (Verlassen des Chors der Kirche mit polternden, dröhnenden Schritten). 168 Fischer Rdn. 8; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 14. 169 Fischer Rdn. 9. 170 Fischer Rdn. 9; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7; Schmidhäuser BT 13/25; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 14. 171 RGSt 23 103, 105; Fischer Rdn. 9; and. Hörnle, die (unter Hinweis auf ihre Auslegung des entsprechenden Merkmals in § 168 Abs. 1 2. Alt.) auch für den beschimpfenden Charakter nach Abs. 1 Nr. 2 Absicht verlangt, wobei in Fällen grob ungehöriger Handlungen an Orten, die vom Tabu der Heiligkeit umgeben seien, allerdings meistens davon ausgegangen werden könne, dass damit eine beschimpfende Absicht verfolgt werde (MK Rdn. 12). 172 Vgl. Fischer Rdn. 9. 173 Fischer Rdn. 10; Hörnle MK Rdn. 14; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 9; Rogall SK Rdn. 16; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 15. 174 Hörnle MK Rdn. 14; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 9; Rogall SK Rdn. 13; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 15. 175 Hörnle MK Rdn. 14. 176 Fischer Rdn. 10; Hörnle MK Rdn. 14; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 9; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 15. Radtke
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V. Prozessuales
StGB § 167
tung führt.177 Schließlich kann Tateinheit noch mit den §§ 303, 304 bestehen178 sowie mit § 21 VersG (vgl. Rdn. 8).
V. Prozessuales Das § 167 keine Eignungsklausel aufweist, bedarf es anders als bei § 166 (dort Rdn. 57 und 100) 40 keiner auf die konkrete Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens bezogenen Feststellungen im tatrichterlichen Urteil. In Bezug auf die Merkmale „Gottesdienst“ (Rdn. 12 bis 18) und „gottesdienstliche Handlung“ (Rdn. 20 und 21) muss das Tatgericht im Urteil zu erkennen geben, dass es bei der Auslegung und Anwendung das Selbstbestimmungsrecht bzw. das Selbstverständnis der betroffenen Vereinigung berücksichtigt hat. Dabei wird § 261 StPO genügt, wenn das Tatgericht sich das Selbstverständnis der betroffenen Religionsgesellschaft als offenkundige Tatsache aus allgemein zugänglichen Quellen erschließt.179
177 Hörnle MK Rdn. 14; Rogall SK Rdn. 16; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 15. 178 Fischer Rdn. 10; Hörnle MK Rdn. 14; Rogall SK Rdn. 16; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 15. 179 Vgl. OLG Saarbrücken NJW 2018 3794, 3795, das als Revisionsgericht derartige Erhebungen durchgeführt hat, um – abweichend vom Berufungsgericht – das Vorliegen beschimpfenden Unfugs zu begründen. Ob das Vorgehen revisionsrechtlich bedenkenfrei ist, mag dahinstehen. 329
Radtke
§ 167a Störung einer Bestattungsfeier Wer eine Bestattungsfeier absichtlich oder wissentlich stört, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
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§ 167a StGB
Störung einer Bestattungsfeier
chung des BVerfG, NJW 2002 999; Penners Rechtsmedizinische und gerichtsärztliche Aspekte zum Feuerbestattungsgesetz, DöG 47 (1985) 154; Plack Die Gesellschaft und das Böse – Eine Kritik der herrschenden Moral, 12. Aufl. (1977, Fischer Taschenbuchausgabe 1991); Preuss K. T. Tod und Unsterblichkeit im Glauben der Naturvölker (1930); Preuß „[…] wie schwierig es ist, mit dem Begriff der Pietät zu operieren“: Eine ethische Perspektive auf den Umgang mit Toten unter Hinterbliebenen, in Duttge/Viebahn (Hrsg.), Würde und Selbstbestimmung über den Tod hinaus, 2017, 23; Rausnitz Das Recht am menschlichen Leichnam und das Recht der Anatomie, Recht 7 (1903) 593; Reimann Die postmortale Organentnahme als zivilrechtliches Problem, Recht und Staat: Festschrift für Günther Küchenhoff zum 65. Geburtstag am 21.8.1972, Erster Halbband (1972) 341; Reinhardt H. J. F. Das kirchliche Begräbnis, in Listl/ Schmitz (Hrsg.) Handbuch des katholischen Kirchenrechts, 2. Aufl. 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Schwerin Das Recht am Leichnam SeuffBl. 70 (1905) 653; Seeger Bestattungsrecht in Baden-Württemberg, 2. Aufl. (1984); Seibel Zum Begriff des Tabus (1990); Seifert Postmortaler Schutz des Persönlichkeitsrechts und Schadensersatz, NJW 1999 1889; Seinsch Der Schutz des Pietätsempfinden im Rahmen des § 168 StGB in Verbindung mit § 2 StGB (1939); Solbach Kann der Arzt von seiner Schweigepflicht entbunden werden, wenn sein Patient verstorben oder willensunfähig ist? DRiZ 1978 204; Sörries Hat die Pietät ein Ende? Religiöse und kulturelle Herausforderung angesichts des menschlichen Leichnams, LM 34 (11/1995) 2; ders. Großes Lexikon der Bestattungs- und Friedhofskultur – Volkskundlich – kulturgeschichtlicher Teil (2002) – zit.: Sörries Lexikon I; ders. Großes Lexikon der Bestattungs- und Friedhofskultur – Archäologisch-kulturgeschichtlicher Teil (2005) – zit.: Sörries Lexikon II; Spann Bestattung eines Feten DMW 110 (1985) 1095; Sperling Die Zukunft der kirchlichen Friedhöfe, DFK 64 (1974) 57; ders. Der Rechtsstatus der kommunalen und kirchlichen Friedhöfe, ZevKR 24 (1979) 335; ders. Grundsätzliches zur kirchlichen Bestattung, DFK 75 (1985) 63; ders. Neue Akzente im Recht der kirchlichen Friedhöfe, ZevKR 33 (1988) 35; ders. Kirchliche Friedhöfe zwischen Bekenntnisfreiheit und Schrankenvorbehalt, DÖV 1993 197; ders. Grenzen der Privatisierung im Friedhofswesen, FK 92 (12/2002) 33; Spiegel Der Prozeß des Trauerns, Gesellschaft und Theologie Abteilung Praxis der Kirche Nr. 14 (1973); Spranger Der Mensch als Sondermüll – Zum Umgang mit Fehlgeborenen, NVwZ 1999 856; ders. Plädoyer für die Aufhebung des Friedhofszwangs bei Feuerbestattungen, VR 46 (2000) 158; ders. Privatisierungsmöglichkeiten bei Errichtung und Betrieb von Friedhöfen, FK 92 (6/2002) 32; ders. Der Status Fehlgeborener in den neueren Landesbestattungsgesetzen, FK 93 (4/ 2003) 30; Steck Begräbnis – Allgemeines, Geschichtliche Entwicklung, in Fahlbusch/Lochmann/Mbiti/Pelikan/Vischer (Hrsg.) Evangelisches Kirchenlexikon, Bd. 1 3. Aufl. (1986) 386; Steines Jüdisches Brauchtum um Sterben, Tod und Trauer, in Becker/Einig/Ullrich (Hrsg.) Im Angesicht des Todes, Pietas Liturgica 3 (1987) 135; Stentenbach Der strafrechtliche Schutz der Leiche (1992); Strasser Erdbestattung und Kremation (1950); Strätz Zivilrechtliche Aspekte der Rechtsstellung des Toten unter besonderer Berücksichtigung der Transplantationen, Görresgesellschaft zur Pflege der Wissenschaft, Veröffentlichungen der Sektion für Rechts- und Staatswissenschaft Neue Folge Heft 7 (1971) – zit.: Strätz Aspekte; ders. Bestattung, in Korff/Beck/Mikat (Hrsg.) 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Übersicht
StGB § 167a
Trockel Rechtswidrigkeit; Ullmann Zur Rechtsstellung Neugeborener mit einem Geburtsgewicht von weniger als 1.000 Gramm, DAVorm. 65 (1992) 1047; Valerius Tatbestände zum Schutz religiöser Einrichtungen ZStW 129 (2017) 529; Volgger „Dein Leib war Gottes Tempel“ – Der menschliche Leichnam in der Liturgie der katholischen Kirche, in Stefenelli (Hrsg.) Körper ohne Leben (1998) 191; Völker „FestlicherAuszug“, in Gerhards/Kranemann (Hrsg.) Christliche und säkulare Gesellschaft, Erfurter Theologische Schriften Nr. 30 (2002) 132; Vovelle Wandel der Friedhöfe und neues Familiengefühl, in Beck (Hrsg.) Der Tod (1995) 209; Weiser Die Fürsorge für den Leichnam (1933) – zit.: Weiser Fürsorge; Werther Bestattung von Fehlgeburten, ÄBlRP 51 (1998) 273; Werther/Gipp Friedhofs- und Bestattungsrecht in Rheinland-Pfalz (1984); Westermann Das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach dem Tod seines Trägers, FamRZ 1969 561; Wetz Totenruhe, Leichenwürde und die Macht des Blicks, in Wetz/Tag (Hrsg.) Schöne neue Körperwelten (2001) 88; Widmann Der Bestattungsvertrag im deutschen, schweizerischen und österreichischen Recht, 4. Aufl. (2003); Winau Einstellungen zu Tod und Sterben in der europäischen Geschichte, in Winau/Rosemeier (Hrsg.) Tod und Sterben (1984) 15; Winkler E. Tore zum Leben (1995); Winkler K. ‚Seliges Sterben‘: Vom Umgang mit dem Tod bei Luther und heute, WzM 50 (1998) 85; Wißmann Bestattung – Religionsgeschichtlich, in Krause/ Müller (Hrsg.) Theologische Realenzyklopädie, Bd. 5 (1980) 730; Wittkowski Tod und Sterben (1978); Wölkart Der menschliche Leichnam als Objekt des Rechtes, WKW 68 (1956) 113; Wolpert Persönlichkeitsrecht und Totenrecht, Ufita 34 (1961) 150; Wulf Körper und Tod, in Kamper/Wulf (Hrsg.) Die Wiederkehr des Körpers (1994); Wust Naivität und Pietät (1925, Gesammelte Werke II 1964); Wyler Judentum, in Student (Hrsg.) Sterben, Tod und Trauer (2004) 105; Zdralek Fragen des Bestattungsrechts (1924); Zenger Das alttestamentliche Israel und seine Toten, in Richter (Hrsg.) Der Umgang mit den Toten, Quaestiones Disputate 123 (1990) 132; Ziegler Die Lebenden und der Tod (2000); Zimmermann Gesellschaft, Tod und medizinische Erkenntnis, NJW 1979 569 Ergänzend wird auf die Angaben Vor § 166, § 167 und zu § 168 verwiesen.
Entstehungsgeschichte Die Vorschrift ist durch das Erste Gesetz zur Reform des Strafrechts eingefügt worden. Sie geht auf § 190 E 62 zurück. Dort war in Angleichung an dessen § 189, soweit dieser die Verhinderung und Störung eines Gottesdienstes oder einer einzelnen gottesdienstlichen Handlung betraf, in zwei Tatbeständen die Bestrafung der Verhinderung und der Störung einer Bestattungsfeier vorgesehen. Der Neuregelung des § 167 entsprechend ist auf den Tatbestand der Verhinderung einer Bestattungsfeier verzichtet und nur deren Störung unter Strafe gestellt worden.
Aus den Gesetzesmaterialien Niederschr. Bd. 12 S. 552, 601; E 62 S. 43 f, 264, 345 f; AE S. 7, 82 f; BTDrucks. V/32; V/2285; V/4094 S. 3, 30; Prot. V/ 121 S. 2240; V/134 S. 2809.
Übersicht I. 1. 2.
3. 4. 5. II. 1.
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Allgemeine Bemerkungen 1 1 Bedeutung der Vorschrift 2 Rechtsgut a) Schutz der Toten, Nachwirkung der Men3 schenwürde 4 b) Interessen der Lebenden, Pietät c) Religiöse oder weltanschauliche Bezüge, 6 Friedensschutz 7 Deliktstypus 8 Verfassungsrechtliche Legitimität 9 Umfang des Strafschutzes 10 Der objektive Tatbestand Angriffsgegenstand: Bestattungsfeier 11 a) Bestattung 11 aa) Ursprung des Brauchs 11 bb) Erste rituelle Formen 12 cc) Weitere Entwicklung
11
2.
dd) Gegenwärtigen Bestattungsbräu13 che 14 ee) Recht zur Bestattung 15 ff) Gesetzgebungskompetenz 16 gg) Bestattungszwang 17 hh) Friedhofszwang 18 ii) Friedhofsnutzungsrecht 19 jj) Bestattungspflicht 20 kk) Umsorgung des Leichnams 21 b) Feier 22 aa) Zeremonielles Verhalten 22 bb) Form und Inhalt 23 cc) Kirchliche Bestattungsfeier 24 dd) Anonyme Bestattungen 25 ee) Zeitpunkt 26 ff) Dauer 27 Die Tathandlung: Stören 28 a) Stören
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§ 167a StGB
b) III.
Störung einer Bestattungsfeier
Keine grobe Störung
28
IV.
Rechtswidrigkeit
Der subjektive Tatbestand
29
V.
Konkurrenzen
30 31
I. Allgemeine Bemerkungen 1. Bedeutung der Vorschrift 1 Die heutige praktische Bedeutung der Vorschrift, die allerdings an eine weit in die Vergangenheit reichende Geschichte von Straftaten über Grab- und Leichenfrevel anknüpft,1 ist marginal. Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) weist für 2018 vier und für 2019 fünf Fälle aus.2 Ob in den genannten Jahren Verurteilungen erfolgten, lässt sich der Strafverfolgungsstatistik nicht verlässlich entnehmen, weil dort § 167a nicht isoliert, sondern gemeinsam mit § 168 ausgewiesen wird. Die 2018 in der Strafverfolgungsstatistik verzeichneten 16 und 2019 verzeichneten 26 abgeurteilten Personen3 dürften jedoch ausschließlich auf § 168 entfallen, für den die PKS immerhin 1621 bzw. 1204 Tatverdächtige nennt.4 Der Tatbestand, der in der seit 1969 durch das 1. StrÄndG statuierten Fassung (siehe Entstehungsgeschichte) – einer vormals seit langem erhobenen Forderung entsprechend (beispielsweise Reichstagsvorlage von 1927/Entwurf Kahl von 1930 § 182 und Entwurf der amtlichen Strafrechtskommission von 1936 § 235; vgl. auch Dreher Prot. V/121 S. 2440) – abweichend von § 167 a. F.5 auch private Bestattungsfeiern (vgl. Rn. 22) erfasst, hat dennoch eine gewisse rechtspolitische Bedeutung. Mit der geltenden Fassung wird einem wohl universellen und nicht an Religion oder Weltanschauung gebundenen Bedürfnis von trauernden Menschen Rechnung getragen, in ihrem Schmerz, ihrer Trauer und möglicherweise Verzweiflung nicht zusätzlich durch Störung des Bestattungsaktes Leid zugefügt zu erhalten (siehe auch Rdn. 8).6
2. Rechtsgut 2 Das von § 167a geschützte Rechtsgut wird kontrovers diskutiert (Rdn. 3 bis 6);7 Konsequenzen der Rechtsgutsdiskussion für die verfassungsrechtliche Legitimität (Rdn. 8),8 den Deliktstypus (Rdn. 7) und die Anforderungen an die Tatbestandsmerkmale, insbesondere die Tathandlung der Störung (Rdn. 27 f), werden selten ausdrücklich erörtert. Die Kontroverse hat mehrere Ursa1 Dazu ausführlich B. Kretschmer Grabfrevel S. 51 ff. 2 BKA, PKS 2018, Standard Übersicht Falltabellen, T01 Grundtabelle; BKA, PKS 2019, Bund – Falltabellen T 01. 3 Statistisches Bundesamt (destatis), Rechtspflege, Strafverfolgung 2018, Fachserie 10, Reihe 3, Tabellen 5.1, 5.4. und 5.5; Statistisches Bundesamt (destatis), Rechtspflege, Strafverfolgung 2019 Fachserie 10, reihe 3, Tabellen 5.1, 5.4. und 5.5. 4 Nachw. wie Fn. 2. 5 Die vormalige Fassung schützte Bestattungsfeiern allein als gottesdienstliche Verrichtungen tatbestandlich; den Begriff „gottesdienstliche Verrichtung“ hat das 1. StrÄndG durch den Ausdruck „gottesdienstliche Handlung“ ersetzt; dazu § 167 Entstehungsgeschichte. 6 Vgl. zu diesem Gedanken Duttge/Viebahn/Preuß S. 23, 27; siehe auch Stübinger NK Rdn. 1 „traditionell und kulturübergreifende Pönalisierung ungehöriger Verhaltensweisen, die von der intuitiven … Evidenz profitiert, das Bestattungsfeiern nun mal nicht gestört werden sollen“ sowie Hörnle Verhalten S. 170 „Nur universalisierbare Interessen, die die Menschen unabhängig von persönlichen Präferenzen zur individuellen Lebensgestaltung benötigen, sollen mit den Mitteln des Strafrechts geschützt werden“. 7 Einführend Hörnle Verhalten S. 364 bis 366; Stübinger NK Rdn. 1; ausführlich zu den zahlreichen Rechtsgutskonzeptionen B. Kretschmer Grabfrevel S. 213 ff. 8 Zweifel an dieser Legitimität bei Hörnle Verhalten S. 367; Stübinger NK Rdn. 1; Valerius ZStW 129 (2017) 529, 538; siehe auch bereits AE BT S. 83; Schmitz S. 97. Radtke
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I. Allgemeine Bemerkungen
StGB § 167a
chen. Zum einen enthält § 167a abweichend von § 166 aber insoweit mit § 167 übereinstimmend (§ 167 Rdn. 5) keine auf die Störung des öffentlichen Friedens bezogene Eignungsklausel, was den öffentlichen Friedens als tatbestandlich geschütztes Rechtsgut nicht nahelegt,9 allerdings auch nicht erzwingt, dem Friedensschutzaspekt jegliche Bedeutung für das Verständnis von § 167a von vornherein abzusprechen (vgl. zur insoweit entsprechenden Beurteilung bei § 167 dort Rdn. 7). Zum anderen weist § 167a keinen ausdrücklichen Bezug zur Religions- und Weltanschauungsfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 und 2 GG auf. Anders als bei § 167 (dort Rdn. 5) kann daher deren Schutz durch § 167a nicht gewährleistet sein.10 Die zahlreichen und inhaltlich vielfältigen Vorschläge zur Rechtsgutbestimmung lassen sich dahingehend systematisieren, dass sie den Schutzzweck entweder vom Toten (Rdn. 3) oder von den Überlebenden, insbesondere den Hinterbliebenen (Rdn. 4), her deuten oder – trotz des vorstehenden Einwands – auf den kollektiven Schutz des öffentlichen Friedens (Rdn. 6) abstellen. Von den in der Rechtsgutsdebatte angesprochenen unterschiedlichen Schutzaspekten ist letztendlich derjenige des Schutzes der Pietät, bezogen auf die Trauernden (Rdn. 5), tragend.11 Um das strafbewehrte Verhaltensverbot des § 167a verfassungsrechtlich rechtfertigen zu können, müssen aber insoweit die Bedeutung einer Bestattungsfeier für den öffentlichen Frieden mit herangezogen12 (Rdn. 8) und strengere Anforderungen an das Stören (Rdn. 27 f) gestellt werden, als dies bislang der Fall ist.
a) Schutz der Toten, Nachwirkung der Menschenwürde. Die Ausrichtung des Schutz- 3 zwecks auf den Schutz des Toten weist unterschiedliche Facetten auf. Berührt ist das Tabu13 der Toten, eines der drei Tabuphänomene, die Freud ausführlich dargestellt und analysiert hat,14 das aber die Fixierung auf einen Schutzgedanken nicht zulässt.15 Nur ein Tabuphänomen zu schützen, kann jedoch nicht in Betracht kommen, wie überhaupt der Zweck, Tabuphänomene zu schützen, Grundrechtseingriffe durch Aufstellen und Anwenden strafbewehrter Verhaltensnormen verfassungsrechtlich nicht rechtfertigen könnte.16 Nachwirkungen der Würde und der Rechte des verstorbenen Menschen können ebenfalls nicht als durch § 167a tatbestandlich geschützte Rechtsgüter fruchtbar gemacht werden. Zwar ist zu Recht anerkannt, dass der Mensch in seinem allgemeinen Achtungsanspruch auch nach dem Tod
9 And. Rogall SK Rdn. 1. 10 Hörnle Verhalten S. 364; MK Rdn. 1; siehe auch Valerius ZStW 129 (2017) 529, 537. 11 Insoweit ebenso Dippel LK12 Rdn. 4; angedeutet auch bereits bei Pirson/Rüfner/Germann/Muckel/Radtke § 75 Rdn. 8.
12 Ablehnend Hörnle Verhalten S. 365. 13 Ursprünglich ein Begriff der polynesischen Religionen, der dort ein Mittel zur Aufrechterhaltung des gesicherten Lebens kennzeichnet. Von der Sozialpsychologie werden Tabus als Sonderfälle von Normen aufgefasst, nach denen sich in Gruppen oder Gemeinschaften das Verhalten von Individuen richtet. Die Psychoanalyse erklärt das Auftreten von Tabus mit der aus Triebkonflikten resultierenden Verdrängung attraktiver, doch verbotener Handlungstendenzen (dazu Freud S. 66 ff, zusf. S. 83; Hörnle Verhalten S. 108 ff; Seibel S. 62 ff, 264 f). 14 Neben dem Tabu der Toten (S. 72, 102 ff) das Tabu der Feinde (S. 85 ff), das Tabu der Herrscher (S. 72, 102 ff, 123 f) und das Inzesttabu (S. 47 ff, 172 ff); zum Inzesttabu näher Dippel LK12 § 173 Rdn. 4 bis 7. 15 Dazu insb. Borowski S. 363; Hassemer Theorie S. 177 ff; zum Ganzen auch: Andreas-Hellriegel S. 12; Birkholz S. 19 ff; Becker/Einig/Ullrich/Boehlke S. 165 („gewandelte Tabuisierung des Todes“); Caselitz AA 3 (1980) 112 f; W. Fuchs S. 8, 12; A. Hahn S. 101 f; Helmers S. 27, 34 ff; Kunt curare 8 (1985) 46; Plack S. 230 f; Schmied/Wunden/Schmied S. 14 ff; Seibel S. 25 ff, 53 ff, 115 ff, 196 ff, 254 ff; Worms S. 43. Die Gegenwärtigkeit des Phänomens im Bewusstsein der Bevölkerung spiegeln die Ergebnisse der umfangreichen Befragung von Baum wider (S. 19 ff). 16 Aus BVerfGE 120 224, 248 folgt nichts Gegenteiliges. Die dort im Zusammenhang mit den Schutzzwecken des § 173 StGB angesprochene „gesellschaftliche Tabuisierung des Inzests“ wird vom Gericht mit dem Gedanken des Schutzes von aus einem Inzest hervorgegangener Kinder verbunden und stellt im Übrigen nicht den einzigen Schutzweck des § 173 dar. 335
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Störung einer Bestattungsfeier
nicht herabgewürdigt werden darf.17 In Rechtsprechung18 und Schrifttum19 hat sich zudem die Auffassung durchgesetzt, dass das Lebensbild eines Menschen mit dem Augenblick des Todes nicht schutzlos werden dürfe, Zivil- und Strafrecht deshalb aufgerufen seien, das Lebensbild des Verstorbenen eine Zeit lang vor unangemessener Verzerrung zu bewahren.20 Grundlage einer solchen Fortwirkungen ist das in Art. 2 Abs. 1 GG garantierte Persönlichkeitsrecht des Lebenden, das sich auch nach dem Tod noch entfaltet.21 Aus Art. 1 Abs. 1 GG lässt sich die Pflicht des Staates ableiten, dem Einzelnen Schutz gegen Angriffe auf seine Menschenwürde auch nach seinem Tod zu gewähren.22 Das soll nach gelegentlich vertretener Auffassung auch ein in der Menschwürde wurzelndes Recht auf eine würdige Bestattung umfassen.23 Damit würde jedoch die Reichweite der Menschenwürde überdehnt. Diese und der mit ihr einhergehende Achtungsanspruch können nicht vollständig von dem Subjekt, dem Träger der Menschenwürde, also dem Menschen und nach dessen Tod seinen sterblichen Überresten, gelöst werden.24 Fortwirkende Menschenwürde schützt damit vor herabwürdigendem Umgang mit dem Leichnam, nicht aber vor Verhaltensweisen, denen der unmittelbare Bezug dazu fehlt.25 Auch aus dem Totenfürsorgerecht der Angehörigen (näher § 168 Rdn. 29 bis 33) lässt sich ein durch § 167a geschütztes Rechtsgut nicht herleiten. Es wird ebenfalls nur reflexartig geschützt.26
4 b) Interessen der Lebenden, Pietät. Als an die Interessen der Lebenden anknüpfende Schutzgüter werden in Rechtsprechung und Lehre nebeneinander aber mit unterschiedlicher
17 BVerfG ArchPR 37 (2006) 452, 453 f; NZS 16 (2007) 83; OLG Düsseldorf NJW-RR 2000 321; KG NJW 1990 782; OLG München mit insoweit zust. Anm. Linck NJW 1976 2310; Bieler JR 1976 224, 227; Buschmann NJW 1970 2081, 2083 f; Mergen/Kaiser S. 38; Pabst NJW 2002 999; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm § 166 Rdn. 2; v. Hagens/Whalley/Tag S. 257; vgl. dazu auch Wust S. 208 und die Definitionsversuche bei Seinsch S. 19 und Sörries LM 34 (11/1995) 2. 18 BVerfGE 30 173, 194 („Mephisto“); BVerfG NJW 1994 783; BGHZ 15 249, 259 mit zust. Anm. Ulmer JZ 1955 211 („Cosima Wagner“); 50 133, 137 mit zust. Anm. Neumann-Duesberg JZ 1968 697 („Mephisto“); KG Ufita 30 (1960) 105, 108 („Joseph Schmidt“); LG Berlin Ufita 34 (1961) 233, 236 („Renate Müller“); aA RGZ 41 43, 50 („Richard Wagner“). 19 Bieler JR 1976 224; Bizer NVwZ 1993 654; Bucher S. 55 Rdn. 222; Buschmann NJW 1970 2081; Deutsch FS Richterakademie S. 90; AcP 44 (1992) 172 f; Deutsch/Spickhoff Rdn. 525; Edlbacher ÖJZ 1965 453; Forkel JZ 1974 598; Jura 2001 74; v. Gamm NJW 1955 1826; Gareis FestG Schirmer S. 59 ff; SeuffBl. 70 (1905) 316 ff; Heldrich FS Lange S. 163; H.-J. Hirsch S. 128 ff; Hoch S. 66 f; Hubmann S. 340 ff; Mergen/Kaiser S. 37 f; Kießling NJW 1969 536; Koebel NJW 1958 936; Krüger-Nieland GRUR 70 (1968) 523 f; Küchenhoff AR 8 (1973) 143; FS Geiger S. 50 f; Locher S. 107; Laufs VersR 23 (1972) 8; Knut Müller S. 81, 159 ff; R. Müller S. 56 f; Pabst NJW 2002 999 f; Peters Strafprozeß § 40 1; Rausnitz Recht 7 (1903) 593 f; Reimann FS Küchenhoff S. 347; Samson NJW 1974 2030; Kaufmann/C. Schreiber S. 77 f; Seifert NJW 1999 1893 ff; Solbach DRiZ 1978 206; E. Steffen NJW 1979 1620; Welzel Strafrecht § 42 I 1b; Westermann FamRZ 1969 561; Wölkart WKW 68 (1956) 114; Ziegler S. 106 f; Zimmermann NJW 1979 573. 20 And.: Bohne FestG Schmidt S. 135; de Boor S. 185; B. Kretschmer Grabfrevel S. 232 ff; B. Lehmann S. 9 ff, 120; May NJW 1958 2101, 2102; Neumann-Duesberg S. 158; Schreuer FestG Bergbohm S. 242 ff; H. Schünemann S. 48 ff; 230; Schwerdtner Persönlichkeitsrecht S. 101 ff; JuS 1978 292; v. Schwerin SeuffBl. 70 (1905) 660 f; A. Stein FamRZ 1986 8; Trockel Rechtswidrigkeit S. 43, 73; Weiser Fürsorge S. 17; Wolpert Ufita 34 (1961) 159 ff, 164 f; zw. Schlachter JA 1990 37. 21 Vgl. etwa Deutsch AcP 44 (1992) 171 f; Taupitz Tod S. 8 f. 22 Vgl. Coester-Waltjen FS Gernhuber (1993) 854; Heun JZ 1996 217; Hochreuter KJ 1994, 72; Hörnle Grob anstößiges Verhalten S. 171. 23 Etwa Hochreuter KJ 1994, 72,. 24 Ebenso Hörnle Verhalten S. 171 ff und S. 366; zur möglichen Bedeutung der Menschenwürde nach dem Tod auch B. Kretschmer Grabfrevel S. 243 ff. 25 Hörnle Verhalten. S. 366. 26 B. Kretschmer Grabfrevel S. 253 ff. Radtke
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I. Allgemeine Bemerkungen
StGB § 167a
Gewichtung die Ehrfurcht vor dem Tode,27 das Pietätsempfinden, sowohl das der Angehörigen des Verstorbenen28 als Ausdruck für die über den Tod des nahestehenden Menschen hinaus sich fortsetzende Verbundenheit29 als auch das der Allgemeinheit, genannt.30 Ebenfalls von den Interessen der Lebenden her ist die Rechtsgutskonzeption B. Kretschmers angelegt, der vorschlägt, den Schutz des Gefühls der individuellen Unvergänglichkeit in seinem Bezug zum Grab- und Leichenfrevel als Schutzgut (des § 168) anzusehen.31 Er geht dabei von dem Kontinuitätsgefühl der Menschen in ihrer jeweils eigenen Existenz aus, das den Tod als Nichts nicht denken lasse und dazu führe, dass eine Missachtung der Toten nicht nur deren Unsterblichkeit negiere, sondern zugleich das Gefühl der Lebenden an die eigene Unvergänglichkeit verletze.32 In gewisser Weise vergleichbar sind Überlegungen Hassemers zu Verhaltensweisen, die ebenfalls im Widerstreit mit den Vorstellungen von einem geordneten Zusammenleben innerhalb einer sozialen Gesellschaft stehen und deshalb von ihr nicht hingenommen zu werden brauchen.33 Die auf den Schutz des Pietätsempfindens oder der Pietät abstellenden Konzeptionen 5 sehen sich unterschiedlicher Kritik ausgesetzt. Wer das Pietätsgefühl der Angehörigen des Verstorbenen für maßgeblich hält, sieht sich dem nicht von der Hand zu weisenden Vorwurf ausgesetzt, für eine einzelne Konstellation den Schutz von Gefühlen zu einem eine Strafvorschrift verfassungsrechtlich rechtfertigenden Grund zu erheben, ohne erklären zu können, warum ausnahmsweise der Schutz von Gefühlen strafbewehrte Verhaltensnormen legitimieren können soll.34 Wird die Ebene gewechselt und das Pietätsempfinden der Allgemeinheit allein oder wenigstens vorrangig als Schutzgut propagiert, äußert die Kritik Zweifel an der Existenz eines solchen allgemeinen und zugleich diffusen Gefühls;35 zudem würden damit letztlich allein verbreitete moralische Vorstellungen gestützt, was an der verfassungsrechtlichen Legitimität von § 167a zweifeln lasse.36 Die in den Ansätzen berechtigte Kritik lässt sich jedoch entkräften, wenn Pietät 27 Dazu Crusen S. 5 f; Gerschmann S. 101 f; Laturner S. 26 f; Misch S. 81. Hassemer sieht, völlig zutreffend, in dieser Bezeichnung nicht nur die Projektion auf den Tod und die Toten ausgedrückt, sondern zugleich auch das Heilige, Hoheitsvolle, Unheimliche, Bedrohende, das Freud diesem Tabu attestiert hat (Theorie S. 185 f). Hingegen wertet B. Kretschmer die Bezeichnung als eine nur wenig ergiebige Umdeutung des christlich geprägten Begriffs Pietät (Grabfrevel S. 278). 28 RGSt 39 155, 156; OLG Frankfurt NJW 1975 271, 272 mit zust. Anm. Geilen JZ 1975 379, 380 (dazu krit. Blei JA 1975 523) und Martens NJW 1975 1686 sowie Bespr. Roxin JuS 1976 505, 506; KG NJW 1990 782; OLG München NJW 1976 1805, 1806 mit krit. Anm. Linck NJW 1976 2310; LG Hamburg NStZ 1982 511, 512; Fischer § 168 Rdn. 2; List/ Pirson/Eser S. 1020; Glaser ZStW 33 (1912) 841; Hardwig GA 1962 260; Kahl FS Brunner S. 233; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1, § 168 Rdn. 1; Matt/Renzikowski/Kuhli Rdn. 1; Mehrhoff/Müller MedR 1990 125; SSW/Hilgendorf Rdn. 2; Sch/ Schröder/Bosch/Schittenhelm Vorbem § 166 Rdn. 2; v. Tobel S. 22 f; vgl. auch E 62 S. 342, 346; abl. Schmitz S. 96 f. 29 So z. B. v. Bubnoff GA 1968 72; Buschmann NJW 1970 2081, 2084; Hubmann S. 342; Samson NJW 1974 2030. 30 RGSt 39 155, 156; LG Hamburg NStZ 1982 511, 512; Bender VersR 52 (2001) 815 ff; Beuthin/Beuthin S. 84 f; Bieri S. 122 f; Bohne FestG Schmidt S. 125; Listl/Pirson/Eser S. 822; Fischer Rdn. 1 (Pietätsempfinden der an der Bestattungsfeier Teilnehmenden); Glaser ZStW 33 (1912) 841; Grahlmann S. 65; Kahl FS Brunner S. 233; Misch S. 81 ff; Mittelstein GA 34 180; Trockel Rechtswidrigkeit S. 25, 91, 148; ferner Hörnle MK Rdn. 1; Kohlhaas DMW 89 (1964) 1604; Rüping GA 1977 299; Kindhäuser sieht als Schutzzweck des § 167a nur das allgemeine Pietätsempfinden an (§ 10.2). Krit. Hassemer, die Formel „Pietätsgefühl der Allgemeinheit“ sei so allgemein gehalten, dass sie allenfalls Hinweis-, aber keinen Erklärungswert habe (Theorie S. 179 Fn. 223 zu § 189); ferner Maurach/Schroeder/Maiwald II mit dem Hinweis auf die „groteske“ Ausspielung eines angeblichen Pietätsgefühls der Allgemeinheit gegen den Willen des Verstorbenen und der Angehörigen bei LG Hamburg NStZ 1982 511, 512 (§ 62 Rdn. 1); abl. auch B. Kretschmer im Hinblick auf die im säkularen Staat problematische besondere Betonung der Pietät (Grabfrevel S. 274 ff); Stübinger NK Rdn. 1 „die Allgemeinheit empfindet als solche gar nichts“. 31 B. Kretschmer Grabfrevel S. 278 ff. 32 B. Kretschmer Grabfrevel S. 285 und 303. 33 Vgl. Hassemer Theorie S. 184 ff; siehe auch Samson NJW 1974 2030. 34 Vgl. Hörnle Verhalten S. 365; siehe auch Stübinger NK Rdn. 1. 35 Vgl. Stübinger NK Rdn. 1; siehe auch Preuß/Hönings/Spranger, Facetten der Pietät (2015) S. 348 ff. 36 Vgl. Hörnle Verhalten S. 365 und 367. 337
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Störung einer Bestattungsfeier
und Pietätsempfinden ausgehend von der typischen Interessenlage Trauernder gerade in der Situation der Bestattung mit dem Toleranzgebot (siehe insoweit § 166 Rdn. 6, 9 f und § 167 Rdn. 5 und 7) verknüpft wird (vgl. Rdn. 1 aE). Pietät in dem hier zugrunde gelegten Sinn ist die respekt- und taktvolle Rücksichtnahme auf Trauernde, derer es vor allem in der Bestattungssituation bedarf, um angesichts der hier wegen der Trauer besonderen Verletzlichkeit zusätzliche Belastungen zu vermeiden, die den Prozess der Trauerbewältigung mit entsprechenden psychischen Folgen nachhaltig beeinträchtigen können (vgl. auch Rdn. 13).37 Durch das Abstellen auf die besondere Vulnerabilität der Trauernden wird das Rechtsgut aus der bloßen Moralwidrigkeit geführt. Der auf den Prozess der Trauerbewältigung bezogene Achtungsanspruch und das Gebot der Rücksichtnahme darauf dienen dabei nicht Partikularinteressen, sondern haben einen universellen und sämtliche Formen des Umgangs mit Verstorbenen erfassenden Zuschnitt. Der Kern besteht im Schutz jeglicher Arten der Bewältigung der Verlustsituation sowie der Konfrontation mit dem Tod38 und weist damit Ähnlichkeiten mit der Rechtsgutsbestimmung Rüpings vom „Brauchtums des Totenkults“ auf.39 Das hier zugrunde gelegte Rechtsgutverständnis hat Auswirkungen auf die Anforderungen an eine Bestattungsfeier (siehe Rdn. 22 und 24) und an die Tathandlung des Störens (Rdn. 27 f).
6 c) Religiöse oder weltanschauliche Bezüge, Friedensschutz. Religiöse oder weltanschauliche Bezüge haben für das Rechtsgut des § 167a dagegen keine unmittelbare Bedeutung.40 Entgegen gelegentlich vertretener Auffassung41 schützt die Vorschrift als tatbestandliches Rechtsgut auch nicht den öffentlichen Frieden (Rdn. 2).42 Sie weist weder eine Eignungsklausel wie in § 166 auf noch lässt sich tragfähig annehmen, dass einer – abweichend von § 167 – nicht einmal groben Störung einer Bestattungsfeier unwiderleglich die Eignung zur Friedensstörung innewohne.43 Anderes käme allenfalls dann in Frage, wenn an die generelle Eignung der Tathandlung zur Störung des öffentlichen Friedens andere und sehr viel geringere Anforderungen zu stellen wären, als dies das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 124 300, 335) für die konkrete Eignung zur Friedensstörung in § 130 gefordert hat. Gründe für ein derart unterschiedliches Verständnis sind jedoch nicht ersichtlich. Ungeachtet der fehlenden unmittelbaren Bedeutung für das geschützte Rechtsgut ist der Friedensschutzaspekt aber bei der verfassungsrechtlichen Legitimität des § 167 (Rdn. 8) und bei den Anforderungen an die Tathandlung (Rdn. 27 f) zu berücksichtigen.
3. Deliktstypus 7 Auf der Grundlage der hier vertretenen Rechtsgutkonzeption (Rdn. 5) ist § 167a bei der gebotenen rechtsgutbezogenen Typisierung (vgl. § 167 Rdn. 6) Verletzungsdelikt. Jede tatbestandliche Störung (Rdn. 27 f) einer Bestattungsfeier verletzt den Pietätsanspruch der Trauernden. Wer, wie Rogall, den Tatbestand als Friedensschutzdelikt deutet (Rdn. 6), ordnet § 167a dagegen rechtsgutbezogen konsequenterweise als abstraktes Gefährdungsdelikt ein.44 Wegen des Tatbe-
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In Anlehnung an Duttge/Viebahn/Preuß S. 23, 27 f. Vgl. Duttge/Viebahn/Preuß S. 23. GA 1977 299, 302; vgl. auch Dreier/Hilgendorf/Hörnle S. 325. Listl/Pirson/Eser S. 1010; Pirson/Rüfner/Germann/Muckel/Radtke § 75 Rdn. 8. Rogall SK Rdn. 1; Schmitz S. 96 f. B. Kretschmer Grabfrevel S. 273; Sch/Schröder/Bosch/Schttenhelm Vorbem §§ 166 ff Rdn. 2 ff; vgl. auch Borowski S. 625 f; and. Rogall SK Rdn. 1; Schmitz S. 96 f. 43 So aber Rogall SK Rdn. 1. 44 SK Rdn. 1. Radtke
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II. Der objektive Tatbestand
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standsmerkmals der Störung handelt es sich tatobjektsbezogen um ein Erfolgsdelikt. § 167 und § 167a entsprechen damit typologisch einander.
4. Verfassungsrechtliche Legitimität Angesichts der schwierigen und kontroversen Rechtsgutbestimmung (Rdn. 2 bis 6) kaum über- 8 raschend wird vielfach die Strafwürdigkeit des in § 167a mit Strafe bedrohten Verhaltens bezweifelt.45 Strafbewehrte Verhaltensgebote könnten weder durch sozialethische Verhaltensanforderungen noch allein durch den Schutz von Gefühlen gerechtfertigt werden.46 Auch wenn das Verdikt verfassungswidrig nicht ausdrücklich formuliert wird, stellen die Zweifel an der Strafwürdigkeit des von § 167a erfassten Verhaltens die verfassungsrechtliche Legitimität der Vorschrift in Frage. Ausreichend rechtfertigende Gründen lassen sich hier noch schwerer ausmachen als bei § 167, weil es an einer unmittelbar grundrechtlichen Fundierung des geschützten Rechtsguts fehlt und die Tathandlung des Störens nach dem Wortlaut abweichend von § 167 keinen gesteigerten Schweregrad verlangt. Dennoch lässt sich § 167a verfassungsrechtlich rechtfertigen, wenn die tatsächlich bewirkte Störung einer Bestattungsfeier und die darin auch zum Ausdruck kommende grobe Missachtung des Prozesses der Trauerbewältigung sowie die besondere Verletzlichkeit der Trauernden in dieser Situation zusammen betrachtet werden. Insoweit kommt dem Aspekt des Friedensschutzes gewisse Bedeutung zu, weil mit der Tat das universell akzeptierte und unabhängig von dem jeweiligen Umgang mit dem Verstorbenen bestehende Rücksichtnahmegebot gegenüber Menschen in existentiellen Verlustsituationen47 in einer Weise missachtet wird, die allgemein das in einer – auch bei Bestattungsriten – pluralistischen Gesellschaft notwendige Maß an Achtung der Rechte anderer in Frage stellt. Das erreicht nicht das Gewicht einer konkreten Eignung zur Friedensstörung, rechtfertigt aber zusammen mit der eingetretenen Störung der Feier die Vorschrift. Bei den Anforderungen an die Störung (Rdn. 27 f) muss dem Rechnung getragen werden.
5. Umfang des Strafschutzes Der Umfang des von ihr ausgehenden Strafschutzes reicht über § 167 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 hi- 9 naus. Indem § 167a den Schutz von Bestattungsfeiern über diejenigen an der Beisetzungsstelle oder einem dem Gottesdienst oder der Feier einer Weltanschauungsvereinigung gewidmeten Ort hinaus auf alle, auch private, Feiern erstreckt, werden beispielsweise auch Bestattungsfeierlichkeiten ohne religiösen oder weltanschaulichen Kontext im Trauerhaus und der Leichenzug erfasst (näher Rdn. 26). Zudem setzt die Vorschrift keine grobe Störung voraus. Nach mittlerweile einhelliger Ansicht werden in religiösen Formen verlaufende Bestattungsfeiern sowohl von § 167 als auch von § 167a geschützt (vgl. auch Rdn. 31).48
II. Der objektive Tatbestand Der objektive Tatbestand verlangt die Störung einer Bestattungsfeier.
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45 Hörnle Verhalten S. 367; MK Rdn. 1; Schmitz S. 97; Stübinger NK Rdn. 1; Valerius ZStW 129 (2017) 529, 538; siehe auch bereits AE BT S. 83. 46 Hörnle Grob anstößiges Verhalten S. 367; Valerius ZStW 129 (2017) 529, 538. 47 Vgl. Duttge/Viebahn/Preuß S. 23, 27. 48 Fischer Rdn. 1; Hörnle MK Rdn. 1; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1; Rogall SK Rdn. 1; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 1. 339
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Störung einer Bestattungsfeier
1. Angriffsgegenstand: Bestattungsfeier Bestattungsfeier ist jede Veranstaltung, bei der in feierlicher Form von einem Toten Abschied genommen wird (allgM).49 Die Feier ist nicht an überkommene Bestattungsriten gebunden; für die Auslegung und Anwendung des Merkmals ist aber Kenntnis der Geschichte des Bestattungswesens nützlich, um das Vorliegen einer feierlichen Form der Bestattung (Rdn. 21 bis 26) verlässlich beurteilen zu können.
a) Bestattung. Bestattung ist das förmliche Verbringen des menschlichen Leichnams an seine letzte Ruhestätte50 und die Übergabe der Leiche51 an die drei Elemente Feuer, Wasser, Erde,52 Sonderformen der Bestattung, wie die Beisetzung in Sarkophagen,53 ausgenommen.
aa) Ursprung des Brauchs. Der Ursprung des Brauchs, die Toten zu bestatten, liegt in vorgeschichtlicher Zeit. Die Kenntnisse darüber, wie auch über die der Frühgeschichte und des frühen Altertums, gründen sich im Wesentlichen auf Überreste von Bestattungen. Aus den ältesten Perioden der Menschheit sind keine Bestattungen bekannt. Der Urmensch befand sich noch weitgehend in triebhafter Übereinstimmung mit den Vorgängen in der Natur.54 Die Toten wurden, als die Menschen noch kein Feuer entzünden konnten und auch noch nicht die Werkzeuge hatten, um tiefe Gruben auszuheben, im Wasser versenkt oder einfach der Luft ausgesetzt, was, je nach Klima, zu Fäulnis oder Mumifizierung führte.55 Erst in der Übergangsstufe von der Horde zur Gentilgesellschaft im Mittelpaläolithikum finden sich Erdbestattungen.56 In der jüngeren Steinzeit ging der Erdbestattung des Skeletts häufig eine „Plattformbestattung“, das Beisetzen der Leiche auf einem Gerüst oder in der Krone eines Baumes, voraus.57
11 bb) Erste rituelle Formen. Erste rituelle Formen der Bestattung lassen sich an Grabfunden des Moustérien, einer mittelpaläolithischen Formengruppe, erkennen.58 Von Anfang an wurden die Bräuche von zwei gegensätzlichen Motiven geprägt, der Angst vor der Wiederkehr des Toten und der Teilhabe an seinem Weiterleben in der Gemeinschaft der Ahnen, beide entstanden aus der Grundvorstellung vom „lebenden Leichnam“. Die Angst führte zu Erscheinungsformen der Totenabwehr, die Vorstellung vom Weiterleben zu Verhaltensweisen der Totenpflege. Auch die Brandbestattung, spätestens in der Jungsteinzeit entstanden und in der Bronzezeit im europäischen Raum sogar die vorherrschende Form, könnte auf die Vorstellung zurückgehen, dass die Verbrennung des Toten seine Wiederkehr gänzlich unmöglich macht.59 Sie brach mit den Anschauungen über das Dasein der Toten, die den Körper als das Wesentliche am Toten sorg49 Rogall SK Rdn. 2; SSW/Hilgendorf Rdn. 3; Schmitz S. 96; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 3; Stübinger Rdn. 2; Valerius BeckOK Rdn. 2; vgl. auch Gaedke/Diefenbach S. 138, 140. 50 Korff/Mikat/Beck/Strätz S. 338. 51 Die Begriffe Leichnam und Leiche sind rechtlich bedeutungsgleich. Ein Unterschied besteht nur in etymologischer Beziehung (Bieri S. 19; vgl. auch Englert S. 114 mit geschichtlicher Herleitung; E. Merkel Leichenraub S. 1 ff). 52 Bieler JR 1976 226; Gaedke/Diefenbach S. 100; Hanke S. 127; Liedhegener S. 2. 53 Näher dazu Andronikos S. 102 ff. 54 Hampel DÄBl. 71 (1974) 3415; B. Kretschmer Grabfrevel S. 61; Schlenther S. 209; vgl. auch Gundolf S. 68 f. 55 B. Kretschmer Grabfrevel S. 30. 56 C. Thomas S. 66; Schlenther S. 209. 57 C. Thomas S. 66. 58 Ott Vorgänge 36 (2/1997) 56. 59 Schlette/Kaufmann/E. Hoffmann S. 108; vgl. auch Hampel DÄBl. 71 (1974) 3415; Horst/Keiling/Schlette S. 17; zw. B. Kretschmer, weil die Liebe zum Toten trotz alledem gegenüber der Furcht vor ihm überwogen haben dürfte (Grabfrevel S. 168 f). Radtke
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II. Der objektive Tatbestand
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sam pflegen und bestatten ließ.60 Dem seit vorgeschichtlicher Zeit und in bestimmten Religionen herrschenden Glauben an ein Fortleben der Menschen nach Erlöschen der Lebensfunktionen entsprach der Wunsch nach weiterem Verkehr mit dem Toten. So stand am Anfang der Entwicklung seine Bestattung an zentraler Stelle der Behausung, wodurch er in der Hausgemeinschaft verblieb.61 Die Verlegung der Bestattung an einen Begräbnisplatz außerhalb der Hütte, wofür vor allem demographisch-hygienische Überlegungen maßgeblich gewesen sein mögen, markiert eine erste einschneidende Veränderung in der Einstellung zu den Toten, weil sie die unmittelbare Gemeinschaft mit ihnen aufhob.62
cc) Weitere Entwicklung. Die weitere Entwicklung der Bestattungsbräuche im ersten und 12 zweiten Jahrtausend wurde vor allem durch die aus biblisch-israelischen sowie antiken griechischen und römischen Traditionen entwickelten christlichen Vorstellungen geprägt, die der Sorge für die Gräber der Toten zentrale Bedeutung beimaßen.63 Es blieb bei der heidnischen Auffassung, dass das Grab das ewige Haus des Toten sei, obwohl das Adjektiv „ewig“ dem christlichen Auferstehungsglauben diametral entgegengesetzt ist.64 Den Heils- und Jenseitserwartungen des frühen Christentums entsprach es, den Märtyrern als den mächtigen Fürsprechern bei Auferstehung und Endgericht, deren Gebeine immer häufiger in die Kirchen gebracht wurden, möglichst nahe zu sein; dort sei Gott hilfsbereiter und der Himmel näher.65 Die depositio ad martyres stieß bald an faktische Grenzen. Überbelegt mit Leichen waren die Kirchen erfüllt vom Geruch der Verwesung, der aus dem Boden und aus den Grüften drang.66 So wurde der Platz um die Kirche einbezogen. Der Kirchhof, auch Gottesacker, Totenacker genannt,67 war als Begräbnisplatz entstanden. Obwohl dort bald ebenso drangvolle Enge herrschte, kam es lange nicht zu einer Veränderung.68 Schließlich waren Kirchen und Kirchhöfe als Begräbnisstätten Ausdruck dessen, was mehr als ein Jahrtausend zum Kernbestand christlicher Existenzweise gehörte, die räumliche Gemeinschaft der Lebenden und der Toten.69 Im Zuge der Aufklärung jedoch vollzog sich, auch im Widerspruch gegen das Christentum, ein gewaltiger Umbruch, der durch systematische Verdrängung70 des Todes aus dem modernen säkularen Bewusstsein mit diesem Grundkonsens brach.71 Signifikantestes äußeres Zeichen dieser Verdrängung ist die Verlegung der Friedhöfe möglichst weit weg von dem Bereich der 60 Frölich HessBlVk. 43 (1952) 51. 61 P. Berger S. 23: Frölich HessBlVk. 43 (1952) 51; Hampel DÄBl. 71 (1974) 3415; Hasenfratz S. 68; vgl. auch B. Kretschmer Grabfrevel S. 29. 62 Ausführlich zum Ganzen Happe in Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal (Hrsg.) S. 63 f, 66 ff, 69. 63 Worin eine der Hauptursachen für die Verbreitung des Christentums gesehen wird, W. Dippel S. 10. 64 Becker/Einig/Ullrich/Gesel S. 543. 65 Becker/Einig/Ullrich/Boehlke S. 168 f; N. Brox TrThZ 83 (1974) 177; B. Kretschmer Grabfrevel S. 36, 181, 186; vgl. auch Assig S. 43; Culmann S. 11; N. Fischer Geschichte S. 11; Gerner S. 13; Lichtner/Bläsing S. 21 ff, 169 ff; J. Sauer AKKR 78 (1898) 171; C. Thomas S. 55 ff; Winau/Rosemeyer/Winau S. 18; Kamper/Wulf S. 264. E. Winkler S. 167 ff. Zur Vielschichtigkeit der Motive Ellger S. 117 f. 66 F. J. Bauer HZ 254 (1992) 7 f. 67 Zu weiteren Bezeichnungen, allgemeine wie ortsgebundene Becker/Einig/Ullrich/Boehlke S. 168. 68 Vgl. Becker/Einig/Ullrich/Boehlke S. 170 f. 69 F. J. Bauer HZ 254 (1992) 4 f; ferner: Andreas-Hellriegel S. 4; Schlemmer/E. Benz S. 161; N. Brox S. 177; Culmann S. 12; Derwein S. 30 ff; Emminghaus KlBl. 66 (1986) 257; Gaedke/Diefenbach S. 2 f; B. Kretschmer Grabfrevel S. 846 ff; Eser/v. Lutterotti/Sporken/Rössler/Koch Sp. 1176 f; J. Sauer AKKR 78 (1898) 171; Schmied Sterben S. 182; Spiegel S. 115; Fahlbusch/Lochmann/Mbiti/Pelikan/Vischer/Steck Sp. 386 ff; C. Thomas S. 64. 70 Zum Begriff und zum Mechanismus der Verdrängung Wittkowski S. 125 ff. 71 Schlemmer/E. Benz (S. 160 f; vgl. auch Baudrillard S. 10, 17; F. J. Bauer HZ 254 (1992) 12 ff; J. Baumgartner in Becker/Einig/Ullrich/J. Baumgartner S. 92, 120 ff; Birkholz S. 21 f; Becker/Einig/Ullrich/Boehlke S. 171 ff; Culmann S. 15; Menne Vorgänge 17 (6/1978) 85; J.-E. Meyer Anstöße 20 (1973) 4; Plack S. 60 ff; Reiter StZt. 129 (2004) 747 f; J Schäfer S. 11 ff; Schmied Sterben S. 124 ff; E. Winkler S. 171; Wittkowski S. 127 ff; Kamper/Wulf S. 265 ff; krit. W. Fuchs S. 7 ff, 21 ff, 219 ff; ferner Nassehi/Weber SozWt. 39 (1988) 387 ff. 341
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Störung einer Bestattungsfeier
Lebenden.72 Auch in der Zunahme anonymer Bestattungen, meist ohne Geistlichen, drückt sie sich aus.73 Eine besonders einschneidende Veränderung erfuhr der Umgang mit den Toten durch die Einführung der Feuerbestattung74 im auslaufenden 19. Jahrhundert.75 Mit ihr verband sich weiterhin der Widerspruch gegen das Christentum, das, dem Auferstehungsglauben entsprechend, stets die Erdbestattung praktiziert hatte76 und die neue Bestattungsform daher ablehnte.77 Nach der reichsgesetzlichen Regelung der Feuerbestattung78 gaben die Kirchen ihren Widerstand gegen die Verbrennung der Leichen und die Urnenbeisetzung auf, die katholische Kirche allerdings erst 1963, als „die tatsächliche Entwicklung wie auch ein theologisches Überdenken“ (Deutsche Bischofskonferenz S. 44) zu einer Instruktion des heiligen Officiums führte, in der das ausdrückliche Verbot von Feuerbestattungen für Katholiken und die Sanktionen des Codex Iuris Canonici (CIC) von 1917 aufgehoben wurden.79
13 dd) Gegenwärtigen Bestattungsbräuche. In zahlreichen der gegenwärtigen Bestattungsbräuche sind noch immer teils vor langer Zeit entstandene Rituale zu erkennen. Der Grund für die unverändert große Lebendigkeit traditionellen Brauchtums im Zusammenhang mit Sterben und Tod liegt darin, dass ungeachtet der Veränderungen, die der Säkularisierungs- und Rationalisierungsprozesse unter der Prämisse ökologisch-ökonomischer Prinzipien auch im Bestattungswesen bewirkt hat, die Funktion von Trauer- und Bestattungsriten weitgehend erhalten geblieben ist. Das beruht darauf, dass rituelles Handeln zu den grundlegenden Handlungsmöglichkeiten der Menschen zählt, die eben nicht nur eine materielle, sondern auch eine symbolische Bedürftigkeit besitzen.80 So sind es nach wie vor die symbolischen Handlungen der Trauer- und Bestattungsritu72 Näher, auch zu den diese Entwicklung begleitenden gesetzlichen Maßnahmen, F. J. Bauer HZ 254 (1992) 12 ff; ferner: Assig S. 44; Becker/Einig/Ullrich/Boehlke S. 164, 171 ff; Derwein S. 94 ff; N. Fischer Geschichte S. 16; Kötting S. 7 ff, 24 ff; Reiter StZt. 129 (2004) 748; J. Sauer AKKR 78 (1898) 171 ff; Sperling ZevKR 24 (1979) 346 ff; Fahlbusch/ Lochmann/Mbiti/Pelikan/Vischer/Steck Sp. 388; Beck/Vovelle S. 211 ff. Zur Vergeblichkeit der Verdrängung des Todes aus dem säkularen Bewusstsein Schlemm/E. Benz (S. 163; vgl. auch Schmied Sterben S. 32. 73 Stefenelli/N. Fischer S. 261; E. Winkler S. 171. 74 Zur geschichtlichen Entwicklung Sörries Lexikon I S. 180 f. 75 Das erste deutsche Krematorium wurde 1878 in Gotha eröffnet (dazu N. Fischer Geschichte S. 56; Gerner S. 14; Helmers S. 114; Wetz/Tag/Wetz S. 89). Zum Ablauf einer Feuerbestattung Müller-Hannemann S. 77, 252; C. Thomas S. 150 f. 76 Zur christlichen Sicht der Erdbestattung Deutsche Bischofskonferenz S. 43 f mit speziellen historischen Hinweisen S. 25; Glade ThPrQ 136 (1988) 335, 338; Listl/Pirson/Engelhardt S. 106; Listl/Schmitz/H. J. F. Reinhardt S. 1017; vgl. auch C. Thomas S. 77, 147; v. Hagens/Whalley/Wetz S. 247 f. 77 Zur christlichen Sicht der Feuerbestattung Deutsche Bischofskonferenz S. 44 f; Derwein S. 164 ff; Emminghaus KlBl. 66 (1986) 259; N. Fischer in Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal (Hrsg.) S. 148; Listl/Pirson/Engelhardt S. 106 f; B. Kretschmer Grabfrevel S. 195 ff; Lichtner/Bläsius S. 23 f, 178; Krause/Müller/F. Merkel S. 743 f; Nölle S. 74 f; Listl/Schmitz/H. J. F. Reinhardt S. 1017; Korff/Beck/Mikat/Strätz S. 340: Stefenelli/Vollger S. 200 f; Wetz/Tag/Wetz S. 89. Der Islam lehnen die Leichenverbrennungen nach wie vor streng ab (C. Thomas S. 147). Auch das Judentum hält in aller Regel die Erdbestattung für die einzig mögliche Bestattungsart (Lichtner/Bläsius S. 172). 78 Gesetz über die Feuerbestattung vom 15.5.1934 (RGBl. I 380), ergänzt durch die Verordnung zur Durchführung des Feuerbestattungsgesetzes vom 10.8.1938 (RGBl. I 1000), die (inzwischen gegenstandslos gewordene) Zweite Verordnung zur Durchführung des Feuerbestattungsgesetzes vom 24.4.1942 (RGBl. I S. 242) und die Betriebsordnung für Feuerbestattungsanlagen – RdErl. des Reichsministers des Inneren vom 5.11.1935 (RMBliV S. 1363). Das Feuerbestattungsgesetz nebst Erster Durchführungsverordnung gilt nur noch in Bremen, Hessen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein (vgl. Gaedke/Diefenbach S. 294 ff). Ein historischer Rückblick zum Feuerbestattungsgesetz findet sich bei Penners DöG 47 (1985) 154. 79 Der CIC von 1983 hat diese Instruktion kodifiziert: Nachdrücklich empfiehlt die Kirche, dass die fromme Gewohnheit beibehalten wird, den Leichnam Verstorbener zu beerdigen; sie verbietet indessen die Feuerbestattung nicht, es sei denn, sie ist aus Gründen gewählt worden, die der christlichen Glaubenslehre widersprechen (Canon 1176 § 3, bei Gaedke/Diefenbach S. 613). 80 Nohl/Richter S. 57, 70, 134. Radtke
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II. Der objektive Tatbestand
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ale, die den Angehörigen, deren Dasein durch den Tod der ihnen nahestehenden Person massiv beeinträchtigt worden ist, helfen, die Grenzsituation zu überwinden, indem sie zur Realität des Todes führen, die Angst mindern und das Gefühl vermitteln, der Übergang zu neuem sozialen Leben könne gelingen.81 Alle in neuerer Zeit noch geübten Riten sind magisch-religiösen Ursprungs. Die säkulare Moderne hat bislang so gut wie keine Bestattungs- und Trauerrituale entwickelt.82
ee) Recht zur Bestattung. Das Recht zur Bestattung lag lange Zeit ausschließlich bei den 14 Familien,83 beschränkt nur durch polizeiliche Vorschriften hinsichtlich des Begräbnisplatzes. Dann waren Bestattungs- und Friedhofswesen über Jahrhunderte Angelegenheiten der Kirchen bis das Bestattungswesen in die Hände des Staates und der politischen Gemeinden überging.84 Allein das Friedhofswesen ist nicht gänzlich Angelegenheit des Staates geworden. Das beruht darauf, dass die Vornahme der Bestattung und die Totenruhe zugleich in unmittelbarer Zweckbeziehung zu den Religionsgemeinschaften stehen,85 das Friedhofswesen also ebenso die staatliche, wie die kirchliche Interessenssphäre berührt. Da dem nur eine kooperative Aufgabenerfüllung gerecht werden kann, gilt das kommunale Friedhofswesen als gemeinsame Angelegenheit86 von Staat und Kirchen mit primärer Wahrnehmungskompetenz des Staates bei primärer Zweckbeziehung beider.87 Ob dies entgegen dem, früher einhellig angenommenen,88 rein kirchlichen Charakter kirchlicher Friedhöfe89 inzwischen auch für diese gilt, ist umstritten.90 Im Hinblick auf Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 und Art. 138 Abs. 2 WRV ist jedoch davon auszugehen, dass die kirchlichen Friedhöfe weiterhin zu den eigenen Angelegenheiten der Kirchen, bei deren Verwaltung sie keine staatlichen Funktionen ausüben, zählt, allerdings, wie in Art. 137 Abs. 3 WRV ausdrücklich bestimmt, mit Bindung an die für alle geltenden Gesetze, hier insbesondere den Bestimmungen der Gesundheitspolizei, der Ortsplanung und des Landschaftsschutzes.91
ff) Gesetzgebungskompetenz. Die Gesetzgebungskompetenz für das Bestattungswesen 15 lag und liegt im Wesentlichen bei den Ländern. Nachdem die Reichsverfassung von 1871 dem 81 Zur Funktion von Trauer- und Bestattungsriten J Schäfer S. 84 ff; vgl. auch Nohl/Richter S. 56 f, 76; Reiter StZt. 129 (2004) 751; C. Thomas S. 66. 82 Vgl. aber auch die Beschreibung einer „alternativen“ Trauerkultur bei J. Schäfer S. 113 ff. 83 Listl/Pirson/Engelhardt S. 105; Krause/Müller/F. Merkel S. 744. 84 W. Dippel S. 13; Krüger/Löser/Müller-Römhild/Engelhardt Sp. 153; Listl/Pirson/Engelhardt S. 105 f; Jeand’Heur/ Korioth Rdn. 240; Sörries Lexikon I S. 35; Fahlbusch/Lochmann/Mbiti/Pelikan/Vischer/Steck Sp. 386 ff; and. E. Fischer, der das gesamte Bestattungswesen als gemeinsame Angelegenheit von Staat und Kirche ansieht (Trennung S. 146). 85 Bettermann/Nipperdey/Scheuner/Mikat S. 199. 86 Zum Begriff ausführlich v. Campenhausen/deWall S. 196; ferner Jeand’Heur/Korioth Rdn. 289 f. 87 v. Campenhausen/deWall S. 225 f; Ebers S. 261, 287; D. Ehlers ZevKR 32 (1987) 175 ff; Gaedke/Diefenbach S. 29; Hesse Rechtsschutz S. 155; Jeand’Heur/Korioth Rdn. 340; Sperling ZevKR 24 (1979) 345. 88 Vgl. v. Campenhausen/deWall S. 186 mit Fn. 3. 89 Was entsprechend auch für kleinere öffentlichrechtliche Religionsgesellschaften gilt, beispielsweise die jüdischen Gemeinden, die seit Jahrhunderten von dem Recht, eigene Friedhöfe anzulegen, Gebrauch gemacht haben (näher Sörries Lexikon I S. 159 ff; vgl. auch Lichtner/Bläsius S. 173). 90 Vgl. zum Streitstand Sperling ZevKR 33 (1988) 37 f. 91 v. Campenhausen/deWall S. 185 f; D. Ehlers ZevKR 32 (1987) 177; Listl/Pirson/Engelhardt S. 109; Gaedke/Diefenbach S. 29; Jeand’Heur/Korioth Rdn. 340 f; Heun/Honecker/Morlok/Wieland/Mainusch Sp. 681; Müller-Hannemann S. 158 f; Sperling ZevKR 33 (1988) 37 ff, 52; DÖV 1993 198; vgl. auch Amelungsborner Kolloquium über die Rechtslage kirchlicher Friedhöfe (Christoph ZevKR 32 [1987] 83, 86) sowie Hesse, kirchliche Monopolfriedhöfe allerdings ausnehmend (Rechtsschutz S. 155 Anm. 68); ebenso wohl Herm. Weber, der als Beispiel für staatliche Aufgaben, die von Religionsgemeinschaften vereinzelt noch wahrgenommen werden, die Verwaltung kirchlicher Monopolfriedhöfe, also nicht die der kirchlichen Friedhöfe schlechthin, anführt (Religionsgemeinschaften S. 56, 96, 129); zum Ganzen ferner EGMR KirchE 42 523, 525 ff. 343
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§ 167a StGB
Störung einer Bestattungsfeier
Reich eine Gesetzgebungsbefugnis nur über Maßregeln der Medizinalpolizei zugestanden hatte (Art. 4 Nr. 15), billigte ihm die Weimarer Reichsverfassung auch das Recht zu, allgemeine Grundsätze zum Bestattungswesen festzulegen (Art. 9 Nr. 2, Art. 10 Nr. 5 WRV). Das Grundgesetz wies die Gesetzgebungsbefugnis über das Friedhofs-, Leichen- und Bestattungswesen mit Ausnahme der Sorge für die Kriegsgräber und die Gräber anderer Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft (Art. 74 Nr. 10 GG)92 den Ländern zu. Diese haben überwiegend neue Regelungen getroffen.93 Sie werden ergänzt durch die Friedhofssatzungen oder Friedhofsbenutzungsordnungen der Städte und Gemeinden. Der Bund hat neben der Ausnahmebefugnis nach Art. 74 Nr. 10 (Kriegsgräber und Gräber von Opfern von Gewaltherrschaft) GG gewisse Möglichkeiten einer Einflussnahme aus anderen Gesetzgebungsbereichen, so dem Personenstandswesen (Art. 74 Nr. 2 GG), der Legitimation zu Maßnahmen gegen gemeingefährliche und übertragbare Krankheiten (Art. 74 Nr. 19 GG),94 dem Naturschutz und der Landschaftspflege (Art. 74 Nr. 29 GG), der Raumordnung (Art. 74 Nr. 31 GG) sowie – jeweils gestützt auf Art. 74 Nr. 1 GG – dem Strafrecht (§§ 166 bis 168, 189, § 243 Abs. 1 Nr. 4, § 304) und dem Strafprozessrecht (§§ 87 bis 91, 159 StPO).
16 gg) Bestattungszwang. Nach allen Gesetzen und Verordnungen des Friedhofs-, Leichen- und Bestattungswesens besteht Bestattungszwang, der verfassungsrechtlich, obwohl wiederholt infrage gestellt,95 zulässig ist. Er gründete sich auf die Notwendigkeit, der schädlichen Einwirkung der Verwesung von Leichen auf die Lebenden vorzubeugen, ein zu den Seuchenzeiten der Vergangenheit überragender, heute weniger bedeutsamer Aspekt,96 der für das Bewusstsein der Betroffenen jedenfalls in nördlicheren Breiten keine vorrangige Rolle mehr spielt.97 Der Bestattungszwang dürfte einen Grund auch darin haben, dass es allgemein als unerträglich empfunden würde, menschliche Leichen unbestattet der Verwesung anheim fallen zu lassen,98 was auf den aus der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) abgeleiteten Anspruch auf eine würdige Bestattung99 zurückverweist. Dem Bestattungszwang unterliegen alle menschlichen Leichen, also die 92 Realisiert durch das Gesetz über die Erhaltung von Gräbern der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft (Gräbergesetz) vom 1.7.1965 (BGBl. I 589) i. d. F. vom 29.1.1993 (BGBl. I 178). 93 Die wichtigsten derzeit geltenden Gesetze: Baden-Württemberg Gesetz über das Friedhofs- und Leichenwesen (Bestattungsgesetz) vom 21.7.1970 (GBl. S. 395). Bayern Bestattungsgesetz (BestG) vom 24.9.1970 (GVBl. S. 417). Berlin Gesetz über das Leichen- und Bestattungswesen (Bestattungsgesetz) vom 2.11.1973 (GVBl. S. 1830). Brandenburg Gesetz über das Leichen-, Bestattungs- und Friedhofswesen im Land Brandenburg (Brandenburgisches Bestattungsgesetz – BbgBestG) vom 7.11.2001 (GVBl. S. 226). Bremen Gesetz über das Friedhofs- und Bestattungswesen in der Freien Hansestadt Bremen vom 16.10.1990 (GBl. S. 303); Gesetz über das Leichenwesen vom 27.10.1992 (GBl. S. 627). Hamburg Gesetz über das Leichen-, Bestattungs- und Friedhofswesen (Bestattungsgesetz) vom 30.10.2019 (GVBl. S. 379). Hessen Friedhofs- und Bestattungsgesetz (FBG) vom 5.7.2007 (GVBl. S. 338); Verordnung über das Leichenwesen vom 12.3.1965 (GVBl. S. 63). Mecklenburg-Vorpommern Gesetz über das Leichen-, Bestattungs- und Friedhofswesen im Land Mecklenburg-Vorpommern (Bestattungsgesetz – BestattGM-V) vom 3.7.1998 (GVBl. S. 617). Niedersachsen Gesetz über das Leichenwesen-, Bestattungs- und Friedhofswesen (BestG) vom 8.12.2005 (Nds.GVBl. S. 381). Nordrhein-Westfalen Gesetz über das Friedhofs- und Bestattungswesen (Bestattungsgesetz BestGNRW) vom 17.6.2003 (GVBl. S. 313). Rheinland-Pfalz Bestattungsgesetz vom 4.3.1983 (GVBl. S. 65). Saarland Gesetz über das Friedhofs- Bestattungs- und Leichenwesen (Bestattungsgesetz-BestG) vom 22.1.2021 (ABl. S. 226). Sachsen Sächsisches Gesetz über das Friedhofs-, Leichen- und Bestattungswesen (Sächsisches Bestattungsgesetz) vom 8.7.1994 (GVBl. S. 1321). Sachsen-Anhalt (Bestattungsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt-BestattGLSA) vom 5.2.2002 (GVBl. S. 46). Schleswig-Holstein Gesetz über das Leichen- Bestattungs- und Friedhofswesen (Bestattungsgesetz-BestattG) vom 4.2.2005 (GVOBl.Schl.-H. S. 70); Thüringen Thüringer Bestattungsgesetz (ThürBestG) vom 19.5.2004 (GVBl. S. 505). 94 Verwirklicht durch das frühere Bundes-Seuchengesetz und das jetzige Infektionsschutzgesetz. 95 Gaedke/Diefenbach S. 100; Listl/Pirson/Engelhardt S. 108. 96 Vgl. B. Kretschmer Grabfrevel S. 27 f; Schott ZME 45 [1999] 4 f. 97 Korff/Beck/Mikat/Strätz S. 338; vgl. auch Hanke S. 119. 98 Listl/Pirson/Engelhardt S. 108; vgl. auch E. Fischer Trennung S. 146; Müller-Hannemann S. 82. 99 Hörnle Verhalten S. 366. Radtke
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II. Der objektive Tatbestand
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Körper derjenigen, die durch Lebendgeburt Rechtsfähigkeit erlangt hatten, sowie Totgeburten, die ohne Lebenszeichen zur Welt gekommen sind, ab einem bestimmten Körpergewicht.100 Bei Fehlgeburten, deren Gewicht unter dem Minimum liegt, kann die Bestattung, soweit sie nicht schon gesetzlich zugelassen101 oder durch die Friedhofssatzung erlaubt ist, im Einzelfall gestattet werden.102 Entsprechend dem Bestattungszwang für Leichen und Totgeburten besteht bei der Kremation (vgl. § 168 Rdn. 51) Beisetzungszwang für die Asche.
hh) Friedhofszwang. In engem Zusammenhang mit dem Bestattungs- und Beisetzungszwang 17 steht der Friedhofszwang. Er verpflichtet zur Beerdigung der Leiche oder zur Beisetzung der Asche auf einem öffentlichen Begräbnisplatz, dem Friedhof.103 Auch der Friedhofszwang ist zweifelsfrei verfassungsrechtlich zulässig.104 Ausnahmen sind möglich. Es kann ebenso die Anlage einer privaten Grabstätte außerhalb eines öffentlichen Friedhofs (OVG Lüneburg NVwZ-RR 1995 283),105 wie auch die eines privaten Urnengrabs, nicht aber die Aufbewahrung menschlicher Aschenreste in der Wohnung (OVG Münster NVwZ 1986 401), genehmigt werden.106 Der Zweck der Friedhöfe liegt in der Ermöglichung angemessener und geordneter Leichenbestattungen (oder Urnenbeisetzungen) auf einem der Totenbestattung gewidmeten, entsprechend dem pietätvollen Gedenken der Verstorbenen würdig ausgestalteten und ausgestatteten Grundstück (RGZ 157 255). Friedhöfe einzurichten, gehört zur Daseinsvorsorgepflicht der Gemeinden, die zum Teil nach wie vor von den Kirchen erfüllt wird (Rdn. 14). Bei Gemeinden mit mehreren kommunalen oder kirchlichen Friedhöfen erstreckt sich der Friedhofszwang regelmäßig nicht auf die ausschließliche Benutzung eines bestimmten Friedhofs.107 Hat eine Gemeinde nur einen Begräbnisplatz (Monopolfriedhof), steht er, auch wenn es sich um einen kirchlichen handelt, unterschiedslos allen Gemeindegliedern offen.108 Ein Gemeindeglied kann sich dem Friedhofszwang nicht deshalb entziehen, weil seine Weltanschauung die Bestattung auf einem mit christlicher Symbolik ausgestalteten Friedhof nicht zulasse, während zwischen ihm und seinem Grundstück eine besondere Verbundenheit bestehe (BVerfGE 50 256, 260, 263 f).109 100 Zu den Regelungen der Bestattung Fehlgeborener ausführlich W. Dippel S. 20 ff; Müller-Hannemann S. 139 ff; Spranger FK 93 (4/2003) 30 f; Rixen FamRZ 1994 418 ff, zusf. S. 424 f; ferner Bachmann StAZ 8 (1955) 118; Spann DMW 110 (1985) 1095; Spranger NVwZ 1999 857; Ullmann DAVorm. 65 (1992) 1047 f; Werther ÄBlRP 51 (1998) 273. Zur Einführung einer generellen Bestattungspflicht Fickler (pro) und Koch (contra) BayÄBl. 60 (2005) 246 mit Stellungnahmen BayÄBl. 60 (2005) 330 f. 101 Beispielsweise in Art. 6 Abs. 1 BayBestG, in § 9 Abs. 1 BestattG M–V, in § 8 Abs. 2 BestattG R–P und in § 9 Abs. 1 SächsBestG. 102 Näher zum Ganzen: K. Baumgartner ZEE 51 (2005) 166 ff; Deutsche Bischofskonferenz S. 33; Gaedke/Diefenbach S. 113; Hanke S. 119 f; K. Schäfer ZEE 51 (2005) 174 ff; Spranger NVwZ 1999 856. Nach Rixen haben die Eltern auch in diesen Fällen schon de lege lata einen Bestattungsanspruch (FamRZ 1994 417; vgl. auch W. Dippel S. 21 mit Fn. 40). 103 Der aus dem Althochdeutschen stammende Name frîthof (zu vriten, hegen) deutet an, dass es sich um eine von alters her unter besonderem öffentlichen Schutz stehende Anlage handelt, Becker/Einig/Ullrich/Boehlke S. 167; Müller-Hannemann S. 166 f. 104 BVerfGE 50 256, 262; BVerwG bei Buchholz 40 8.2 Nr. 5; Dreier I Art. 4 Rdn. 103; vgl. auch Gaedke/Diefenbach S. 216; krit. zum Friedhofszwang aus moderner Sicht Nohl/Richter S. 137. 105 Heun/Honecker/Morlok/Wieland/Mainusch Sp. 680. 106 Der das Recht der Angehörigen eines Verstorbenen, Art und Ort der Bestattung unter Achtung des letzten Willens zu bestimmen (vgl. § 168 Rdn. 31), einschränkende § 9 Abs. 1 FBG ist erst dadurch zulässig, dass Absatz 3 Ausnahmegenehmigungen ermöglicht und mit einem Rechtsanspruch auf Erteilung ausstattet (HessStGH NJW 1968 41 = DVBl. 1969 34 mit Anm. Heydt; vgl. auch BVerfGE 50 256, 262 f; BVerwGE 45 224, 227 ff; OLG Schleswig NordÖR 1 [1968] 170). 107 Zum Bestattungsanspruch Konfessionsloser auf einem kirchlichen Friedhof, der keine Monopolstellung hat, VG Bremen ZevKR 35 (1996) 450. 108 Müller-Hannemann S. 275; vgl. auch Sperling DÖV 1993 199. 109 E. Fischer Trennung S. 147. 345
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Störung einer Bestattungsfeier
18 ii) Friedhofsnutzungsrecht. Gegenstück des Benutzungszwangs ist das Friedhofsnutzungsrecht. Es fußt auf dem Rechtsanspruch jedes Menschen, auf einem Friedhof der Gemeinde, in der er seinen Wohnsitz hat, bestattet zu werden.110 Das Nutzungsrecht an einem Wahlgrab auf einem kirchlichen Friedhof ohne Monopolstellung kann in der Weise eingeschränkt werden, dass nur Mitglieder der Kirchengemeinde dort bestattet werden dürfen (BVerwG bei Buchholz 40 8.3 Nr. 4). Mit dem Tod des Nutzungsberechtigten erwächst aus dem Nutzungsrecht der Anspruch des Totenfürsorgeberechtigten (Rdn. 19), die Bestattung des Verstorbenen auf diesem Friedhof vornehmen zu lassen.111 Er schließt ein unentziehbares Recht auf würdige Ausstattung des Begräbnisplatzes ein,112 allerdings im Rahmen der Gestaltungsvorschriften des Friedhofsträgers, auch solchen, die durch die allgemeinen Friedhofszwecke nicht gefordert, aber, weil durch einen legitimen Zweck gedeckt, mit ihnen vereinbar sind (BVerwG NJW 2004 2144).
19 jj) Bestattungspflicht. Der Bestattungszwang konkretisiert sich in der Bestattungspflicht. Sie trägt über die den Bestattungszwang rechtfertigenden Gründe (Rdn. 16) hinaus dem Bedürfnis Rechnung, die Toten würdig113 zu bestatten. Das korrespondiert mit dem aus Art. 1 Abs. 1 folgenden überlebenden Recht des Verstorbenen auf Achtung seiner sterblichen Überreste.114 Eine Normierung der Bestattungspflicht gab es lange Zeit nicht.115 Erst mit der gesetzlichen Regelung der Feuerbestattung (vgl. Rdn. 9), entstanden Vorschriften über die Bestattungspflicht. Inzwischen ist sie in allen neueren Bestattungsgesetzen (Rdn. 15) festgelegt. Als öffentliche Aufgabe ist die Bestattungspflicht öffentlichrechtlicher Natur.116 Doch überlässt der Staat die Bestattung grundsätzlich zunächst den Angehörigen oder anderen dem Verstorbenen sich verpflichtet fühlenden Personen, die meist als Inhaber des Totenfürsorgerechts (dazu § 168 Rdn. 29 bis 33) die zum Gewahrsam an der Leiche Berechtigten im Sinne der ersten Alternative des § 168 Abs. 1 sind. Von der öffentlichen Hand wird sie nur übernommen, wenn, wie bei den anonymen Bestattungen (dazu Rdn. 9, 24 sowie § 168 Rdn. 51 und 53), Bestattungspflichtige fehlen, sie ihren Obliegenheiten nicht nachkommen, durch ihre Behandlung der Leiche die öffentliche Gesundheit gefährdet wird oder die Art ihres Umgangs mit dem Totenfürsorgerecht das sittliche Gefühl größerer Kreise verletzt.117 Die Bestattungspflicht beginnt mit dem Eintritt des Todesfalles, dessen Zeitpunkt sich nach der medizinischen Feststellung des Todes bestimmt.118
110 Gaedke in Richter (Hrsg.) S. 178; Gaedke/Diefenbach S. 17, 150; Klingshirn Erl. XII Rdn. 12, XV Rdn. 5; Rixen FamRZ 1994 419; Seeger S. 25 f, 51 f; Werther/Gipp S. 7.
111 BayVGH JW 1939 680, 681. Der Streit, ob, weil der Tote nicht mehr rechtsfähig ist, das Recht in der Person des Totenfürsorgeberechtigten begründet wird (Listl/Pirson/Engelhardt S. 120), oder er im Hinblick auf die Einwohnergebundenheit der Friedhofsnutzung nur eine mit dem Friedhofsnutzungsrecht zugleich gewährte Ermächtigung ausübt (Rixen FamRZ 1994 419), hat praktisch keine Bedeutung. 112 Haferland DJZ 36 (1931) 1380. 113 Ähnlich spricht Art. 53 Abs. 2 der Schweizerischen Bundesverfassung von 1874 von „schicklich“; vgl. auch Hanke S. 119, 127. 114 Zu diesem „überlebenden Interesse“ näher Hörnle Verhalten S. 366. 115 Das ALR ausgenommen, in dem bestimmt ist (Teil II Tit. 11 §§ 434, 435), dass der überlebende Ehegatte den verstorbenen „anständig“ begraben lassen muss (vgl. Gaedke/Diefenbach S. 103 Fn. 10). 116 BVerwG DVBl. 1974 681, 683; H. Bader SchwJZ 20 (1923/24) 369; Listl/Pirson/ Engelhardt S. 108; K. Faßbender VR 51 (2005) 45; Gaedke/Diefenbach S. 103 mit Fn. 9; Tietz S. 85 f. 117 K. Faßbender VR 51 (2005) 45; Gaedke/Diefenbach S. 104; Müller-Hannemann S. 120 f; Widmann S. 44; vgl. auch W. Dippel S. 15. Zur Übernahme der Kosten einer jüdischen Bestattung VG Hannover NVwZ-RR 2005 44. Zum Anspruch eines Pflegekindes auf Ausgleich der Kosten für die Bestattung der Pflegemutter VG Hannover NVwZ 2002 1014. 118 Ausführlich zum Todeszeitpunkt und dessen Feststellung § 168 Rdn. 12 bis 15; speziell unter dem Aspekt der Bestattung Hanke S. 121 ff. Radtke
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II. Der objektive Tatbestand
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kk) Umsorgung des Leichnams. Die für die Bestattung wichtigste Obliegenheit des Totenfür- 20 sorgerechts ist die Umsorgung des Leichnams. Sie erfordert, wenn der Tote in der Wohnung verstorben oder, nach einem Unfall etwa, dorthin gebracht worden ist, zunächst das sichere Verwahren der Leiche,119 die Veranlassung der Leichenschau entsprechend den Vorschriften der Bestattungsgesetze (Rdn. 15)120 und die Mitteilung an das Standesamt zur Beurkundung des Todes nach den Vorschriften des Personenstandsgesetzes.121 Anschließend ist über die Art der Bestattung (zu den einzelnen Bestattungsformen § 168 Rdn. 51 f), den Bestattungsort (Rdn. 17) und die Ausführung der Bestattung zu bestimmen. Bei der Erdbestattung (§ 168 Rdn. 51) gehören dazu die Auswahl der Grabstelle, die Festlegung des Zeitpunktes der Bestattung, die Benachrichtigung der Verwandten, Freunde und Bekannten, die Aufbahrung der Leiche sowie die Absprache von Einzelheiten der Bestattungsfeier, wie die Ausschmückung der Feierhalle, Schmuck des Sarges, Gedenkreden und musikalische Begleitung. Die Aufbahrung der Leiche geschieht, den gemeindlichen Friedhofsordnungen entsprechend, meist in der gemeindlichen Leichenhalle. Doch darf der eigene Leichenraum eines Bestattungsunternehmens von der Benutzung nicht ausgeschlossen werden.122 Ein Anspruch auf Aufbahrung in der Kirche besteht nicht (Rechtshof der evangelischen Kirchen in Niedersachsen ZevKR 46 [2001] 96). Der Besorgung der Leiche bei der Erdbestattung entsprechende Obliegenheiten gibt es auch bei den meisten anderen Beisetzungsformen. b) Feier. Die Feier der Bestattung, gleichgültig ob schlicht oder pompös, weltlich, weltanschau- 21 lich oder religiös, hebt den Vorgang über den einer bloßen Beseitigung der Leiche hinaus. Sie kann bei allen Bestattungsformen stattfinden.
aa) Zeremonielles Verhalten. Zeremonielles Verhalten dem Leichnam gegenüber gibt es, wie die Bestattung selbst, seit vorgeschichtlicher Zeit (vgl. Rdn. 10) und bei allen Völkern.123 Insbesondere die Funeralien, teils sehr alt und sorgsam tradiert, sind so vielfältig wie die Kulturen selbst.124 Die Wurzeln von Bestattungsriten liegen vor allem im Tabu der Toten (vgl. Rdn. 3). Daraus erklärt sich, dass im Brauchtum kein anderes Phänomen einen so großen Raum einnimmt, wie der Totenkult. Auf kaum einem anderen Gebiet der materiellen und geistigen Kultur wird aber auch mit solcher Beharrlichkeit an Althergebrachtem festgehalten.125 Verwoben mit religiösen Gedanken betrifft der Totenkult nicht nur die Leiche und den Totengeist, sondern ergreift auch Vorstellungen von einem Leben im Jenseits.126 Der würdevolle Abschied von Verstorbenen, wie er sich in der Bestattungsfeier ausdrückt, wurzelt in diesen Bräuchen. Er ist der 119 Dazu Müller-Hannemann S. 45. 120 Die den Kreis der Anzeigepflichtigen über den der Totenfürsorgeberechtigten (§ 168 Rdn. 32) hinaus erweitert haben, beispielsweise auf Wohnungsinhaber und Hausbesitzer (vgl. Gaedke/Diefenbach S. 119 f; Hanke S. 155 f; Scheinost RpflSt. 11 (1987) 35). Näher zur Leichenschau § 168 Rdn. 36 bis 39. 121 In der Fassung des Gesetzes zur Reform des Personenstandsrechts vom 19.2.2007 (vgl. Vor § 169 Entstehungsgeschichte). Auch hier ist der Kreis der Anzeigepflichtigen gegenüber dem der Totenfürsorgeberechtigten erweitert worden, so auf diejenigen Personen, in deren Wohnung sich der Sterbefall ereignet hat, sowie auf jede Person, die bei dem Tod zugegen war (vgl. Gaedke/Diefenbach S. 119; Scheinost RpflSt. 11 [1987] 37). 122 BayVerfGH BayVBl. 48 (2002) 558, 559 f; ebenso schon OVG Bremen GewArch. 14 (1968) 136, 138 f; VGH Kassel NVwZ 1988 847; OVG Weimar NVwZ 1998 871; vgl. auch VGH München NVwZ 1993 702. 123 Dazu, höchst beispielhaft: Becker/Einig/Ullrich/Antes (Hrsg.) S. 155 ff; Brandt MD 66 (2003) 417; Çakir SZ 4 (2007) 14; Gundolf S. 71 ff; Schreiner BestK 58 (4/2006) 16 f; Becker/Einig/Ullrich/Steines (Hrsg.) S. 135 ff; Student/ Wyler S. 105 ff; Richter/Zenger S. 132 ff; vgl. auch Dokumentation Concilium mit zahlreichen Beschreibungen nichtchristlicher Begräbnisriten (Concilium 4 [1968] 134 ff). 124 v. Hagens/Whalley/Wetz S. 246; ähnlich C. Thomas S. 71; zur Vielfalt des Umgangs der Kulturen mit dem Leichnam siehe auch Duttge/Viebahn/Preuß S. 24 ff. 125 Schlenther S. XII. 126 Näher Schmied Sterben S. 120 ff. 347
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Störung einer Bestattungsfeier
Höhepunkt der „Rites des Passages“ (Nöll S. 60). Auch für die Zukunft gilt die Bestattungsfeier als wesentlicher Ritualtyp, der eine besondere friedhofskulturelle Bedeutung einnehmen sollte.
22 bb) Form und Inhalt. Über Form und Inhalt der Bestattungsfeier, wie bereits darüber, ob überhaupt ein feierliches Abschiednehmen von dem Toten stattfinden soll, entscheidet, wenn nicht schon der Verstorbene eine Bestimmung getroffen hatte, der Inhaber des Totenfürsorgerechts (Rdn. 19 und 20).127 Wesentlicher Inhalt der Feier ist das Gedenken an den Toten durch Besinnung auf ihn,128 was auch bei rein privaten Bestattungsfeiern der Fall sein kann. Wie andere gesellschaftliche Feiern verläuft sie in gewissen äußeren Formen. Doch sind insoweit keine strengen Anforderungen zu stellen.129 Insbesondere wird kein bestimmtes Zeremoniell, Ansprachen beispielsweise, verlangt. Daher kann eine stille weltliche Besinnung eine Bestattungsfeier sein.130 Es bedarf auch nicht der Gegenwart mehrerer Personen.131 So genügt dem Tatbestand beispielsweise, wenn nur ein Leidtragender dem Sarg folgt und auf diesem Weg belästigt wird, nicht aber eine sachliche Beisetzung nur in Anwesenheit von Angestellten des Bestattungsunternehmens oder von Friedhofsbediensteten;132 hier fehlt es von vornherein an einer Situation, in der die Störung der Bestattung mit einer Beeinträchtigung des Prozesses der Trauerbewältigung und daraus resultierenden Folgen (dazu Rdn. 5) einhergeht.
23 cc) Kirchliche Bestattungsfeier. Ein bestimmtes Zeremoniell kennzeichnet die kirchliche Bestattungsfeier. Sie ist, soweit sie nicht ohnehin Gottesdienst (§ 167 Rdn. 13) ist, jedenfalls eine öffentliche gottesdienstliche Handlung (§ 167 Rdn. 20), mit der die christliche Gemeinde ihre Toten zu Grabe geleitet.133 Der zur Bestattung verpflichtete Friedhofsträger muss die kirchliche Bestattungsfeier dulden, der kirchliche auch dann, wenn sie nicht seinem Bekenntnis entspricht.134 Ihre wesentlichen Merkmale liegen in der Teilnahme des Geistlichen und der Gestaltung der Bestattung nach kirchlichem Ritus.135 Zum Begräbnis nach den liturgischen Gesetzen der römisch-katholischen Kirche136 gehören die Erhebung des Leichnams, dessen Überführung in die Kirche, das Abhalten der Exequien mit anschließendem ersten feierlichen Totenamt, die Begleitung des Leichnams auf den Friedhof und seine Beisetzung in der zur Beerdigung der Gläubigen bestimmten geweihten Erde.137 Das evangelische Begräbnis ist nach dogmatischen und kultischen Wandlungen138 heute in der vom Liturgischen Ausschuss der Vereinigten evangelisch-lutherischen Kirche in 127 128 129 130 131 132 133 134
Listl/Pirson/Engelhardt S. 107. Vgl. dazu Zdralek S. 17. Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 3. Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 3. Fischer Rdn. 2; Rogall SK Rdn. 2; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 3. Hörnle MK Rdn. 3. Krause/Müller/F. Merkel S. 749. Listl/Pirson/Engelhardt S. 107; E. Fischer Trennung S. 146 f; Laforet FS Eichmann S. 494; and., mit ausführlicher Begründung, W. Jung S. 106 ff. 135 Jordahn S. 3 f, 28 ff; Lichtner/Bläsius S. 170; vgl. auch Gaedke/Diefenbach S. 140. 136 So die altrömische Liturgie nach dem Beispiel des Ottobonianus latinus 312, die karolingische Agenda mortuorum im Sakramentar von St. Denis, das nachtridentinische Rituale Romanum von 1614 und das nachvatikanische Ordo exequiarium von 1969 (wiedergegeben bei Becker/Einig/Ullrich/Bürki S. 1136 ff, 1147 ff, 1149 ff, 1155 ff; vgl. auch W. Dippel S. 10). 137 Becker/Einig/Ullrich/Bürki S. 1156 ff; W. Dippel S. 16 ff; Gaedke/Diefenbach S. 157 f; Laforet FS Eichmann S. 494; Liedhegener S. 6; Stefenelli/Volgger S. 194 ff; vgl. auch Deutsche Bischofskonferenz S. 43, 49 f, 60 f; Krause/Müller/ F. Merkel S. 744 ff, 754 f; Listl/Schmitz/H. J. F. Reinhardt S. 10; E. Winkler S. 188 ff. 138 Einzelheiten dazu bei Schweizer S. 99 ff. Allgemein zur Geschichte der Beerdigung im Protestantismus Maser S. 11 ff, ferner Krause/Müller/F. Merkel S. 746 f. Über Beobachtungen zum Bestattungsritus in zeitgenössischen Agenden des deutschen Sprachraums Gerhards/Kranemann/Völker S. 132 ff. Radtke
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II. Der objektive Tatbestand
StGB § 167a
Deutschland vorgelegten Ordnung der Bestattung niedergelegt.139 Es besteht in der Regel aus der Leichenrede, der Begleitung im Ornat zum Grab und dem Gebet des Pfarrers.140 Die protestantische Bestattungsfeier dient, indem ihre Liturgie sich nahezu ausschließlich an die Lebenden wendet, nicht mehr dem Seelenheil der Toten, sondern dem Glauben der Lebenden.141 Zum kirchlichen Begräbnis gehört das vom ebenfalls vielfach üblichen Sterbegeläut (Sterbeschauer) bei Nachricht des Todes (dazu BVerwGE 18 341 ff) zu unterscheidende Grabgeläut.142 Allerdings muss inzwischen auch weltliches Begräbnisgeläut erlaubt sein.143
dd) Anonyme Bestattungen. Anonyme Bestattungen, die zumeist das Friedhofsamt vor- 24 nimmt, finden in aller Regel ohne jede Begleitung durch Angehörige und unter Verzicht auf jegliches Zeremoniell statt. Auch wenn bei ihnen auf Achtung und Pietät, die anonym zu Bestattenden gleichermaßen gebühren, Bedacht zu nehmen ist (Deutsche Bischofskonferenz S. 31), handelt es sich dabei grundsätzlich nicht um eine Bestattungsfeier, weil es an einer Situation der Trauerbewältigung (Rdn. 5) fehlt. Anderes kann gelten, wenn eine anonyme Bestattung nicht unpersönlich, also von fremden Menschen oder Institutionen, veranstaltet, sondern in einer ganz persönlichen familiären Weise ausgeführt wird.144 Das schließt eine Bestattungsfeier ein. Bei Seebestattungen (näher § 168 Rdn. 52) und Friedwaldbestattungen (dazu § 168 Rdn. 51) kann, den herkömmlichen Bestattungsformen entsprechend, in feierlicher Form von den Toten Abschied genommen wird. Trauerfeiern bei Seebestattungen werden namentlich dann abgehalten, wenn Angehörige die letzte Fahrt der Asche des Verstorbenen begleiten.145 Die Strafbarkeit der Störung einer solchen Feier folgt, wenn sie, was regelmäßig der Fall ist, außerhalb des deutschen Staatsgebietes abgehalten wird, aus § 4. Bestattungen in einem Friedwald lassen zwar am Ort der Versenkung der Urne keine umfangreichen Trauerfeiern zu. Doch ist in dem kleinen Kreis der dort versammelten Trauernden ein feierliches Abschiednehmen, inzwischen auch mit kirchlicher Begleitung, möglich und üblich. ee) Zeitpunkt. Der Zeitpunkt der Feier fällt meist mit der Beerdigung oder der Einäscherung zu- 25 sammen. Doch kann eine Bestattungsfeier auch ohne Gegenwart eines Leichnams oder seiner Asche abgehalten werden, wenn nur ein unmittelbarer Zusammenhang mit dem Tod und der Totenruhe des Verstorbenen besteht und der Charakter der Feier als eines Abschieds von dem Toten gewahrt ist.146 Dies gilt beispielsweise auch für einen Staatsakt147 oder eine akademische Feier für einen möglicherweise bereits bestatteten Toten, wenn und soweit es sich um eine Situation der Trauerbewältigung (Rdn. 5) handelt. Kein unmittelbarer Zusammenhang mit der Bestattung besteht bei bloßen Gedächtnisfeiern, etwa zur Würdigung des Lebenswerks des Verstorbenen, Seelenmessen, soweit sie nicht im Anschluss an die Bestattung abgehalten werden, und sonstigen 139 Agenda für evangelisch-lutherische Kirchen und Gemeinden, Bd. III Teil 5: Bestattung, hrsg. von der Kirchenleitung der VELKD (1996; unveränderter Nachdruck 2013). 140 Dirschauer S. 166 ff; Krüger/Müller-Römhild/Engelhardt Sp. 154; Gaedke/Diefenbach S. 140; Liedhegener S. 50; vgl. auch F. Krause/Müller/F. Merkel S. 146 f. 141 Maser S. 3; Fahlbusch/Lachmann/Mbiti/Pelikan/Vischer/Mauder Sp. 395; Sperling DFK 75 [1985] 63; Fahlbusch/Lachmann/Mbiti/Pelikan/Vischer/Steck Sp. 387; E. Winkler S. 191. 142 N. Fischer Geschichte S. 21; Gaedke/Diefenbach S. 140; Müller-Hannemann S. 92; Stefenelli/Volgger S. 192; E. Winkler S. 189. Zum liturgischen Glockenläuten als Religionsausübung § 166 Rdn. 15 mit Fn. 32. 143 E. Fischer Trennung S. 162; vgl. auch BVerwGE 18, 341 ff. 144 Nohl/Richter S. 22. 145 Keine Bestattungsfeiern sind die Gedenkgottesdienste vor Gedächtnisfahrten zu den Stellen der Urnenversenkung, die in Kirchen, so in Kiel-Holtenau oder in der Inselkirche Helgoland, aber auch in betriebseigenen Trauerräumen der Seebestattungs-Reedereien abgehalten werden (vgl. Deutsche Bischofskonferenz S. 32). 146 Fischer Rdn. 2; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 3. 147 Hörnle MK Rdn. 3; Schmitz S. 96: Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 3. 349
Radtke
§ 167a StGB
Störung einer Bestattungsfeier
Gedenken oder Ehrungen, beispielsweise einer Gedenkminute im Rahmen einer Veranstaltung oder dem Aufstehen und Verharren der Anwesenden bei einer Vereinsversammlung, wenn die Namen der in der letzten Zeit verstorbenen Mitglieder genannt werden.148 Dementsprechend erfüllt auch eine grobe Störung des Gottesdienstes am Ewigkeitssonntag während der Verlesung der im abgelaufenen Kirchenjahr verstorbenen Gemeindemitglieder lediglich § 167 nicht aber zugleich § 167a. Hingegen kann eine Bestattungsfeier ausnahmsweise vorliegen, ohne dass eine Bestattung stattgefunden hat und vielleicht nie stattfinden wird, wenn etwa in feierlicher Form an die nach einem Schiffsuntergang Vermissten oder bei einem Grubenunglück Verschütteten gedacht wird.149
26 ff) Dauer. Als Bestattungsfeier gilt das gesamte feierliche Abschiednehmen von dem Toten. Dazu gehört die im Trauerhaus abgehaltene Gedenkfeier ebenso wie der Leichenzug150 und die Feier an der Stätte der Bestattung.151 Beendet ist die Bestattungsfeier mit dem Auseinandergehen der Versammelten, so auf dem Friedhof mit der Auflösung des Trauergefolges, wie sie regelmäßig unmittelbar nach Abschluss der Bestattung zu geschehen pflegt.152 Keinen Teil oder auch nur den Abschluss des Leichenbegängnisses bildet daher beispielsweise der geschlossene Rückmarsch einer Gruppe des Trauergefolges, etwa des Vereins, dem der Tote angehört hatte (KG DJZ 9 [1904] 1188).
2. Die Tathandlung: Stören 27 Die Tathandlung besteht in der Störung der Bestattungsfeier.
a) Stören. Stören ist jede Verhaltensweise, die den Fortgang der Bestattungsfeier behindert oder erschwert (vgl. § 167 Rdn. 24). Der Begriff entspricht grundsätzlich demjenigen des § 167 Abs. 1 Nr. 1, der ebenfalls bloßes Stören meint. Daher gelten zunächst die Erläuterungen zu § 167 Rdn. 24 bis 26. Da § 167 die Trauernden in der besonderen Situation der Bestattung davor bewahrt, sich zur vorhandenen Trauer und zum vorhandenen Schmerz über den Tod des Verstorbenen hinzukommenden Beeinträchtigungen ausgesetzt zu sehen (Rdn. 5), muss die Störung den Prozess der Trauerbewältigung beeinträchtigen (Rdn. 7). 28 b) Keine grobe Störung. Zwar setzt § 167a nach seinem von § 167 abweichenden Wortlaut keine grobe Störung153 voraus. Verfassungsrechtlich lässt sich die Strafvorschrift nach der hier vertretenen Auffassung unter Berücksichtigung des geschützten Rechtsguts (Rdn. 5) allerdings lediglich rechtfertigen, wenn mit der tatsächlich bewirkten Störung einer Bestattungsfeier eine grobe Missachtung des Prozesses der Trauerbewältigung der währenddessen besonders vulnerablen Trauernden einhergeht (Rdn. 8). Um dem zu genügen, reicht es nicht aus, lediglich ganz geringfügige Störungen, die das Pietätsgefühl kaum beeinträchtigen können, aus der Tatbe-
148 Fischer Rdn. 2; Hörnle MK Rdn. 3; Rogall SK Rdn. 2; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 3; Spranger FK 92 (10/2002) 18. 149 Hörnle MK Rdn. 3; Rogall SK Rdn. 2; Schmitz S. 96; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 3. 150 Zu dessen von Überlieferungen besonders stark bestimmten einstigen, rudimentär aber noch immer wirksamen Gestaltung J. Becker/Einig/Ullrich/Baumgartner S. 108 ff; Blessing BestK 57 (5/2005) 16 f; Gernig/G. Graf S. 17; Kyll S. 70 ff; Müller-Hannemann S. 63; Roth BestK 57 (5/2005) 14. 151 Fischer Rdn. 2; Hörnle MK Rdn. 3; Joecks BT Rdn. 1; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Otto BT § 64 Rdn. 11; Rogall SK Rdn. 2; Schmitz S. 96; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 3; Sturm NJW 1969 1608; vgl. auch E 62 Begr. S. 346. 152 Gaedke/Diefenbach S. 140. 153 Fischer Rdn. 2; Hörnle MK Rdn. 4 („merkwürdigerweise“); Rogall SK Rdn. 3; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4. Radtke
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V. Konkurrenzen
StGB § 167a
standsmäßigkeit auszunehmen.154 Vielmehr muss der Störung ein solches Gewicht zukommen, das die Trauerbewältigung in der Situation der Bestattung in einer Weise beeinträchtigt, die eine Erschwerung oder nicht unerhebliche Verzögerung der Verlustbewältigung samt der damit verbundenen negativen psychischen Folgen155 ernsthaft erwarten lässt. Für die Bewertung, ob dies der Fall ist, kann eine Orientierung an den Umständen erfolgen, die in den Fällen des § 167 die Störung zu einer groben machen (dazu § 167 Rdn. 25 und 27).
III. Der subjektive Tatbestand Der subjektive Tatbestand stellt an die Merkmale des objektiven Tatbestandes unterschiedli- 29 che Vorsatzanforderungen. Der Täter muss bezüglich der Störung absichtlich oder wissentlich handeln.156 Absichtlich handelt der Täter, wenn es ihm auf diesen Erfolg ankommt, und er dessen Herbeiführung für möglich hält.157 Wissentlich geschieht sein Handeln, wenn er weiß oder als sicher voraussieht, dass der Erfolg eintritt, obwohl es ihm nicht darauf ankommt.158 Im Übrigen, also für das Tatbestandsmerkmal Bestattungsfeier, genügt bedingter Vorsatz,159 wobei es ausreicht, dass dem Täter mit dem Vorliegen derjenigen tatsächlichen Umstände rechnet, die den gestörten Alt zu einer Bestattungsfeier machen, und er sich mit der Möglichkeit abfindet, es handele sich um eine solche. Die normative Einordnung der Feier als Bestattungsfeier muss er lediglich auf dem Niveau der Laiensphäre nachvollziehen.160
IV. Rechtswidrigkeit Zur Rechtswidrigkeit gilt das zu § 167 Rdn. 29 f Ausgeführte entsprechend.
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V. Konkurrenzen Die Konkurrenzen sind unproblematisch. Zwischen § 167a und § 167 besteht keine Spezialität, 31 vielmehr ist wegen der unterschiedlichen Angriffsrichtungen161 Tateinheit anzunehmen.162 Ferner kann § 167a beispielsweise mit den §§ 166, 168, 189, 240 tateinheitlich zusammentreffen.163
154 155 156 157
So aber Hörnle MK Rdn. 4; Rogall SK Rdn. 3; Schmitz S. 96; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4. Vgl. insoweit Duttge/Viebahn/Preuß S. 23, 28. Fischer Rdn. 2; Hörnle MK Rdn. 5; Rogall SK Rdn. 4; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 5. Näher zur Absicht (dolus directus 1. Grades) als Vorsatzform – auch zum Streitstand über die Bedeutung des Wissenselements – Vogel/Bülte LK § 15 Rdn. 79–85. 158 Vgl. Vogel/Bülte LK § 15 Rdn. 91 f m. w. N. 159 OLG Koblenz NJW 1993 1808; Fischer Rdn. 3; Hörnle MK Rdn. 5; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 5; and. Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3. 160 Allgemein zur sog. Parallelwertung in der Laiensphäre bei normativen Tatbestandsmerkmalen Vogel/Bülte LK § 16 Rdn. 26. 161 Durch § 167a werden die Ehrfurcht vor den Toten, das Pietätsempfinden der Angehörigen und der Allgemeinheit sowie die Nachwirkungen des Persönlichkeitsrechts geschützt (s. o. Rdn. 4), während § 167 dem Schutz des öffentlichen Friedens, daneben auch der ungestörten Ausübung von Religion und Weltanschauung, dient (vgl. § 167 Rdn. 5). 162 Fischer Rdn. 1, 4; Hörnle MK Rdn. 6; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4; Rogall SK Rdn. 5; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6; and. Schmitz S. 82 f. 163 Fischer Rdn. 4; Hörnle MK Rdn. 6; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4; Rogall SK Rdn. 5; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6. 351
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§ 168 Störung der Totenruhe (1) Wer unbefugt aus dem Gewahrsam des Berechtigten den Körper oder Teile des Körpers eines verstorbenen Menschen, eine tote Leibesfrucht, Teile einer solchen oder die Asche eines verstorbenen Menschen wegnimmt oder wer daran beschimpfenden Unfug verübt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer eine Aufbahrungsstätte, Beisetzungsstätte oder öffentliche Totengedenkstätte zerstört oder beschädigt oder wer dort beschimpfenden Unfug verübt. (3) Der Versuch ist strafbar.
Schrifttum Allgemein. Altendorfer/Weimer Die Auswirkungen der „Körperwelten-Ausstellung“ auf Krankenhaus und Pflegeheim, PKR 7 (2004) 65; Ambos Anmerkung zu BGH, Urteil vom 27.7.2017–3 StR 57/17, NJW 2017 3672; v. Baudach Die Natur übernimmt die Grabpflege, BestK 56 (9/2004) 28; Bauer H.-G. Die Behandlung des menschlichen Leichnams im geltenden deutschen Recht (1929); Becker K. Leiche, in Korff/Beck/Mikat (Hrsg.) Lexikon der Bioethik, Bd. 2 (1998) 583; Beckmann R. Die Behandlung hirntoter Schwangerer im Licht des Strafrechts, MedR 11 (1993) 121; Behrends Die Eigentumsverhältnisse an den Gegenständen der Krankenpflege, DOK 59 (1978) 181; Benda Von der Vergänglichkeit zum Plastinat, NJW 2000 1769; Blankenburg Der Tatbestand des § 168 des StGB (1922); v. Blume Fragen des Totenrechts, AcP 112 (1914) 367; ock/Bülte N. Die Strafbarkeit von Leichenschändungen nach dem VStGB und die Herausforderungen einer völkerrechtskonformen Auslegung, HRRS 2018 100; Bockelmann Strafrecht des Arztes (1968) (zit.: Bockelmann Arztstrafrecht); Böckenförde Menschenwürde als normatives Prinzip, JZ 2003 809; Bockenheimer-Lucius Zum „Erlanger Baby“ – Tagungsbericht der Akademie für Ethik in der Medizin, DKA 24 (1993) 1417; Bondolfi Der Status der Leiche im Blick auf die Organentnahme, in Bondolfi/Kostka/Seelmann (Hrsg.) Hirntod und Organspende, Ethik und Recht 1 (2003) 91; Böttcher Streit um Zahngold, FK 94 (4/2004) 29; Brandenburg Wem gehört der Herzschrittmacher? JuS 1984 47; Brandstetter Der menschliche Leichnam im Strafrecht, in Stefenelli (Hrsg.) Körper ohne Leben (1998) 873; Brechenmacher Der strafrechtliche Schutz der Toten und des Andenkens an die Toten (1948); Bremer Tote im Zelt – Plastination versus Bestattungszwang? NVwZ 2001 167; Bringewat Reichweite der ärztlichen Aufklärungspflicht bei der Wiederverwendung von Herzschrittmachern, NStZ 1981 207; ders. Strafrechtsklausur: Der lukrative Herzschrittmacher, JuS 1981 211; ders. Die Wiederverwendung von Herzschrittmachern, JA 1984 61; Brückner/Schmidt Grabschändungen in der Bundesrepublik, Kriminalistik 12 (1958) 328; Brunner J. Theorie und Praxis im Leichenrecht, NJW 1953 1173; Bundeskriminalamt Die Schändung jüdischer Grabstätten seit 1948, MschrKrim. 1968 132; Coester-Waltjen Der nasciturus in der hirntoten Mutter, Festschrift für Joachim Gernhuber zum 70. Geburtstag (1993) 837; Cramer Die Behandlung des menschlichen Leichnams im Zivil- und Strafrecht (1885); Creus Leichenbeerdigung und Leichenverbrennung (1879); Czerner Leichenteilasservate zwischen Forschungsfreiheit und Störung der Totenruhe, ZStW 115 (2003) 91; v. Dassel Beitrag zu der Frage des Rechts an einem Leichnam und des Rechts, über die Beerdigung und Ausgrabung einer Leiche zu bestimmen, Recht 12 (1908) 410; Dengler Das Recht an der Leiche, ÖNZ 103 (1971) 6; Diepgen Geschichte der Medizin Bd. 1 (1949); Dierkens Les droits sur le corps et le cadavre de l’homme (1966); Dotterweich Die Rechtsverhältnisse an Goldplomben in den Kieferknochen beerdigter Leichen, JR 1953 174; Düwel Grabraub, Totenschutz und Platzweihe nach dem Zeugnis der Runeninschriften, in Jankuhn/Nehlsen/Roth (Hrsg.) Zum Grabfrevel in vor- und frühgeschichtlicher Zeit, Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen PhilologischHistorische Klasse Dritte Folge Nr. 113 (1978) 229; Eibach Medizin und Menschenwürde, 5. Aufl. (1997) (zit.: Eibach Menschenwürde); Eisenmenger Einer Toten den intakten Schrittmacher entfernen? ÄP 49 (1997) 15; Feickert Rechtsfragen der kirchlichen Bestattung, Schriften zum Staatskirchenrecht Bd. 37 (2007); Fischerhof Technologie und Jurisprudenz, NJW 1969 1193; Freund Der Entwurf eines 6. Gesetzes zur Reform des Strafrechts, ZStW 109 (1997) 455; Freund/Heubel Der menschliche Körper als Rechtsbegriff, MedR 1995 194; Freybe Erdbestattung und Leichenverbrennung (1908); Frommel Die Menschenwürde des Embryos in vitro, KritJ 35 (2002) 411; Frowein/ Firsching/Dietzmann in Student (Hrsg.) Sterben, Tod und Trauer (2004) 227; Füllmich Der Tod im Krankenhaus und das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, Recht und Medizin Bd. 20 (1990); Funken Der strafrechtliche Schutz des Leichnams (1934); Gaedke Dürfen Umbettungen zeitlich begrenzt werden? BestG 27 (1975) 32; ders. Wann ist eine Umbettung zulässig? BestG 28 (1976) 288; ders. Ist der Friedwald im Reinhardswald rechtswidrig? FK 92 (12/2002) 32; Gilles Grabschändung, Kriminalistik 21 (1967) 34; Glob Die Schläfer im Moor (1966); Goltdammer Die Materialien zum Straf=Gesetzbuche für die Preußischen Staaten, Theil II: Den besonderen Theil enthaltend (1852); Görgens Künstliche Teile im menschlichen Körper, JR 1980 140; Gräff Die Rechtsstellung der FriedhöRadtke https://doi.org/10.1515/9783110490107-030
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Schrifttum
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(2000) 37; Förderreuther/Angstwurm Erkennen und Feststellen des Hirntodes, IntM 44 (2007) 672; Funck Der Todeszeitpunkt als Rechtsbegriff, MedR 10 (1992) 182; Geilen Medizinischer Fortschritt und juristischer Todesbegriff, Festschrift für Ernst Heinitz zum 70. Geburtstag am 1. Januar 1972 (1972) 373; ders. Legislative Erwägungen zum Todeszeitproblem, in Eser/Bringewat (Hrsg.) Suicid und Euthanasie als human- und sozialwissenschaftliches Problem, Medizin & Recht Bd. 1 (1976) 301; Gerlach Gehirntod und totaler Tod, MMW 111 (1969) 732; ders. 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Organtransplantationen (2000) 96; Hoff Das „Hirntod“kriterium und die Achtung vor der Unverletzlichkeit des anderen, in Evangelische Akademie Baden (Hrsg.) Organspende, Herrenalber Protokolle Bd. 102 (1994) 25; Hoff/ in der Schmitten Kritik der „Hirntod“-Konzeption, in Hoff/in der Schmitten (Hrsg.) Wann ist der Mensch tot? (1995) 153; dies. Hirntote Patienten sind sterbende Menschen, Universitas 50 (1995) 313; Höfling Hirntodkonzeption und Transplantationsgesetzgebung, MedR 14 (1996) 6; ders. Über die Definitionsmacht medizinischer Praxis und die Aufgabe der Verfassungsrechtslehre, Erwiderung zu Heun JZ 1996 213, JZ 1996 615 mit Schlusswort Heun; ders. Medizinischer Todesbegriff und verfassungsrechtlicher Lebensschutz, in Hampel (Hrsg.) Wann ist der Mensch tot? (1997) 30; Honnefelder Hirntod und Todesverständnis: Das Todeskriterium als anthropologisches und ethisches Problem, JWE 3 (1998) 65; Horndasch Der Todeszeitpunkt und seine Feststellung, in Kaufmann (Hrsg.) Moderne Medizin und Strafrecht, Motive – Texte – Materialien Bd. 47 (1989) 87; Jonas Gehirntod und menschliche Organbank – Zur pragmatischen Umdefinierung des Todes, in Jonas (Hrsg.) Technik, Medizin und Ethik – Zur Praxis des Prinzips Verantwortung, 3. Aufl. (1990) 223; Joerden Tod schon bei „alsbaldigem“ Eintritt des Hirntodes? NStZ 1993 268: Jörns Die ethische Beurteilung der Hirntod-Prognose und der Organtransplantation in theologischer Perspektive im Rahmen der Organspende, 2. Aufl. (1995) (zit.: Jörns Hirntod-Prognose); ders. Der „Hirntod“ ist nicht der Tod des Menschen, in Gutjahr/Jung (Hrsg.) Sterben auf Bestellung (1997) 119; Kluth Die Hirntodkonzeption: Medizinischanthropologische Begründung, verfassungsrechtliche Würdigung, Bedeutung für den vorgeburtlichen Lebensschutz, ZfL 5 (1996) 3; Körner U. Hirntod und Organtransplantation – die umstrittene Verfügung über das Sterben, ZÄF 88 (1994) 95; ders. 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Störung der Totenruhe
Laureys Hirntod und Wachkoma, SdW 2006 62; Lieser/Schleich Am Ende menschlichen Lebens (1998); Lilie Eine Sache von Leben und Tod – Was muß der Anästhesist über juristische und ethische Aspekte des Hirntodes wissen? in Deutsche Akademie für Anästhesiologische Fortbildung (Hrsg.) Aktuelles Wissen für Anästhesisten, refresher course Nr. 26 (2000) 167; Lindemann Die Interpretation „hirntod“, in Schlich/Wiesemann (Hrsg.) Hirntod (2001) 319; Linke Der Tod und die Medizin, DnO 42 (1988) 172; ders. „Hirntod“ und die Folgen, in Diehl/Thomas (Hrsg.) Menschlichkeit der Medizin (1993) 97; Loos Wann ist der Mensch tot? Standpunkte 2 (1997) 26; Lütz Organspende ist keine Tötung auf Verlangen, in Hoff/in der Schmitten (Hrsg.) Wann ist der Mensch tot? (1995) 496; Madea/ Dettmeyer/Henssge Hirntod als allgemeiner Todesbegriff, MedR 17 (1999) 162; Manzei Hirntod, Herztod, ganz tot? 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Lebensschutz am Lebensende, Schriften zum öffentlichen Recht Bd. 795 (1999) (zit.: Rixen Lebensschutz); Römelt Hirntod und Organspende, ZME 43 (1997) 3; Roth/Dicke Das Hirntodproblem aus der Sicht der Hirnforschung, in Hoff/in der Schmitten (Hrsg.) Wann ist der Mensch tot? (1995) 51; Roxin Zur rechtlichen Problematik des Todeszeitpunktes, in Krösl/Scherzer (Hrsg.) Die Bestimmung des Todeszeitpunktes (1973) 299; Russegger Der Hirntod als Individualtod, in Joerden (Hrsg.) Der Mensch und seine Behandlung in der Medizin, Schriftenreihe des Interdisziplinären Zentrums für Ethik an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder (1999) 283; Sass Hirntod und Hirnleben, in Sass (Hrsg.) Medizin und Ethik (1999) 160; Schadt Zum Lebend-Status des Menschen im Zustand des isolierten Hirnfunktionsausfalls (dissoziierter Hirntod): Expertise zur Verfassungsbeschwerde gegen § 4 des Transplantationsgesetz (1999); Schellong Die künstliche Beatmung und die Entstehung des Hirntodkonzepts, in Schlich/Wiesemann (Hrsg.) Hirntod (2001) 187; Schlake/Roosen Der Hirntod – Tod des Menschen, in Höglinger/ Kleinert (Hrsg.) Hirntod und Organtransplantation (1998) 25; Schlich Ethik und Geschichte: Die Hirntoddebatte als Streit um die Vergangenheit, EthM 11 (1999) 79; Schmidt-Jortzig Wann ist der Mensch tot? Schriften der Juristischen Studiengesellschaft Regensburg e.V. Heft 20 (1999); Schmidt-Recla Tote leben länger: Ist der Hirntod ein ausreichendes Kriterium für die Organspende? MedR 22 (2004) 672; in der Schmitten Kritik der Für-tot-Erklärung gemäß dem „Hirntod“kriterium, in Evangelische Akademie Baden (Hrsg.) Organspende, Herrenalber Protokolle Bd. 102 (1994) 25; ders. Organtransplantation ohne „Hirntod“-Konzept? EthM 14 (2002) 60; in der Schmitten/Hoff Hirntote sind sterbende Menschen, BerlÄ 32 (5/1995) 28; Schneider W. Vom schlechten Sterben und dem guten Tod – Die Neuordnung des Todes in der politischen Debatte um Hirntod und Organtransplantation, in Schlich/Wiesemann (Hrsg.) Hirntod (2001) 279; Schönig Zur Feststellung des Todeszeitpunktes, NJW 1968 189; Schreiber H.-L. Kriterien des Hirntodes, JZ 1983 593; ders. Der Hirntod als Grenze des Lebensschutzes, Vertrauen in den Rechtsstaat – Beiträge zur deutschen Einheit im Recht: Festschrift für Walter Remmers (1995) 593; ders. Wann ist der Mensch tot? – Rechtliche Perspektive, in Höglinger/Kleinert (Hrsg.) Hirntod und Organtransplantation (1998) 91; ders. Tod und Recht: Hirntod und Ende des Lebens, Festschrift für Egon Müller (2008) 685; Schreiner Organtransplantation und Hirntod, Pflege 10 (1997) 151; Schulte-Mattler/Lindner/Zierz Der Hirntod, in Hauss/Vogt (Hrsg.) Organspende: Organisation, Koopertaion und Verteilung (1996) 51; Spittler Der Hirntod – Tod des Menschen, EthM 7 (1995) 128; ders. Der Hirntod ist der Tod des Menschen, Universitas 50 (1995) 313; ders. Sterbeprozeß und Todeszeitpunkt, Zentrum für medizinische Ethik Bochum Medizinische Materialien Heft 112 (1996); ders. Der menschliche Körper im Hirntod, ein dritter Zustand zwischen lebendem Menschen und Leichnam? JZ 1997 747; ders. Die Diskussion um den Hirntod – ein Perpetuum mobile? EthM 10 (1998) 60; ders. Gehirn, Tod und Menschenbild (2003) (zit.: Spittler Gehirn); ders. Zur Kontroverse um den Hirntod, in Schweidler/Neumann/Brysch (Hrsg.) Menschenleben – Menschenwürde, Ethik interdisziplinär Bd. 3 (2003) 317; Stapenhorst Über die biologisch-naturwissenschaftlich unzulässige Gleichsetzung von Hirntod und
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Aus den Gesetzesmaterialien
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Individualtod und ihre Folgen für die Medizin, EthM 8 (1996) 79; Stoecker An den Grenzen des Todes – ein Plädoyer für die moralphilosophische Überwindung der Hirntod-Debatte, EthM 9 (1997) 194; ders. Der Hirntod, Alber-Reihe Praktische Philosophie Bd. 59 (1999); Stratenwerth Zum juristischen Begriff des Todes, Festschrift für Karl Engisch zum 70. Geburtstag (1969) 528; Thomas H. Hirntod, Tod und Elemente der Unbestimmbarkeit in der Medizin, ZfL 5 (1996) 40; Tröndle Der Hirntod als Voraussetzung für die Organentnahme, ZfL 6 (1997) 3; ders. Der Hirntod, seine rechtliche Bedeutung und das neue Transplantationsgesetz, Festschrift für Hans Joachim Hirsch zum 70. Geburtstag am 11. April 1999 (1999) 781; Truog Ist das Hirntod-Kriterium obsolet? In Firnkorn (Hrsg.) Hirntod als Todeskriterium (2000) 83; Türk Der Hirntod in philosophischer Sicht, ZME 43 (1997) 17; Vollmann Medizinische Probleme des Hirntodkriteriums, MKl. 91 (1996) 39; ders. Ethische Probleme des Hirntods in der Transplantationsmedizin, MedizinEthik Bd. 11 (1998); ders. Das Hirntodkriterium heute, in Schlich/Wiesemann (Hrsg.) Hirntod (2001) 45; Wagner W. Zur Bedeutung des Hirntodes als Todeszeichen des Menschen, ZME 44 (1998) 57; Wagner/Brocker Hirntodkriterium und Lebensgrundrecht, ZRP 1996 226; Waldstein Leben retten durch Töten? LF 81 (2007) 4; Wawersik Todeszeitpunkt und Organtransplantation, DÄBl. 66 (1969) 1315; Weber R. Der Hirntodbegriff und der Tod des Menschen, ZfL 11 (2000) 94; Weissauer/Opderbecke Tod, Todeszeitbestimmung und Grenzen der Behandlungspflicht, BayÄBl. 28 (1973) 12, 98, 734; Wiesemann Hirntod und Gesellschaft, EthM 7 (1995) 16; Wolbert Zur neuen Diskussion über den Gehirntod, EthM 8 (1996) 6; Wuermeling Sicheres Kriterium, Standpunkte 2 (1997) 27. Im Übrigen gelten die Angaben Vor § 166, zu § 166 und zu § 167a.
Entstehungsgeschichte In ihrer ursprünglichen, bis 1953 geltenden Fassung stellte die Vorschrift die Wegnahme einer Leiche, die Zerstörung oder Beschädigung eines Grabes und die Verübung beschimpfenden Unfugs an einem Grabe, jeweils nur in vollendeter Begehung, unter Strafe. Das Dritte Strafrechtsänderungsgesetz dehnte die Strafbarkeit auf die Wegnahme von Leichenteilen und die Wegnahme der Asche eines Verstorbenen, auf beschimpfenden Unfug auch hieran sowie, in einem neuen Absatz 2, auf den Versuch der Taten aus. Dabei wurde der Tatbestand der Zerstörung oder Beschädigung einer Beisetzungsstätte entgegen der ursprünglichen Fassung nach dem der Verübung beschimpfenden Unfugs an den geschützten Gegenständen eingestellt. Außerdem gab es sprachliche Veränderungen, die bei der Verwendung früherer Rechtsprechung bedeutsam sein können. Das Vierundzwanzigste Strafrechtsänderungsgesetz bezog unter Neufassung des Absatzes 1 die tote menschliche Leibesfrucht und Teile einer solchen in den Strafschutz ein. Schließlich nahm das Sechste Gesetz zur Reform des Strafrechts Änderungen vor und fasste die Vorschrift neu. Es ersetzte, inhaltlich neutral, die Begriffe Leiche und Leichenteile durch die Begriffe Körper und Teile des Körpers eines verstorbenen Menschen.1 Die Verübung beschimpfenden Unfugs an einer Beisetzungsstätte und deren Zerstörung oder Beschädigung stellte es unter Einbeziehung der Schutzobjekte Aufbahrungsstätte und öffentliche Totengedenkstätte in einen neuen Absatz 2 ein und ersetzte dabei das bisherige Wort „an“ durch das Wort „dort“ (siehe zu Reformen der Tatbestandes auch Rdn. 2). Die Strafbarkeit des Versuchs wurde ein neuer Absatz 3.
Aus den Gesetzesmaterialien Zum Dritten Strafrechtsänderungsgesetz: BTDrucks. I/1307; I/3713; I/4250; I/4614; I/4640; BTRAusschDrucks. I/51; BTProt. I/236 S. 10869; I/265 S. 12992 ff; I/269 S. 13264 ff; I/270 S. 13310; I/280 S. 14072 f; BRProt. I/282. Zum Vierundzwanzigsten Strafrechtsänderungsgesetz: BTDrucks. 10/3758; 10/6568; BTRAusschDrucks. 10/64; 10/66; 10/70; 10/ 100; BTJFGAusschDrucks. 10/77; BTProt. 10/156 S. 11760 f; 10/253 S. 19758; BRDrucks. 10/43–85; 10/593–86; BRUAusschProt. vom 22./23.5.1985 und 2.12.1986; BRJFGAusschProt. 10/227; 10/229; BRRAusschProt. 10/547; 10/550; 10/ 575; BRProt. 10/552; 10/572. Zum Sechsten Strafrechtsreformgesetz: BTDrucks. 13/3468 S. 3, 4f; 13/7164 S. 4, 22 f; 13/ 8587 S. 5, 30 f; 13/8991 S. 14; 13/9064 S. 7, 10; BTRAusschProt. 10/88; BTProt. 13/163 S. 14626 ff; 13/204 S. 18431, 18438, 18440, 18452; BRDrucks. 13/164–97; 13/931–97; BRProt. 13/720.
1 Namentlich diese Änderungen brachten dem Gesetzgeber des Sechsten Gesetzes zur Reform des Strafrechts den Vorwurf der „legislatorischen Kosmetik“ (Tröndle/Fischer49 Vorwort S. VII) ein, der insoweit durchaus berechtigt ist, weil nie in Frage stand, dass § 168 Abs. 1 a. F. nicht Tierkadaver, sondern Menschenleichen meinte (Rixen ZRP 2001 376 Fn. 25). Bei Maurach/Schroeder/Maiwald II wird der neue Wortlaut als „geschraubter Ausdruck“ bezeichnet (§ 62 Rdn. 9). Unverständnis artikuliert auch B. Kretschmer Grabfrevel S. 313 f. Vgl. ferner Oduncu, der darlegt, dass es den menschlichen Körper als solchen isoliert nicht gebe, daher, wenn der Mensch tot sei, nur vom Toten oder vom Leichnam die Rede sein könne, nicht aber vom toten Körper (StZt. 215 [1997] 688 f). 363
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§ 168 StGB
Störung der Totenruhe
Übersicht I. 1. 2. 3. 4.
5. 6. II. 1.
2.
III.
Allgemeine Bemerkungen 1 1 Bedeutung der Vorschrift 2 Umfang des Strafschutzes Struktur – vier Straftatbestände 4 Rechtsgut a) Dualistische Schutzkonzepte b) Monistische Schutzkonzepte 7 c) Einordnung 8 Deliktstypus Verfassungsrechtliche Legimität
1. 2. 3 5 6 3. 9
Der objektive Tatbestand von Absatz 1 Vari10 ante 1 10 Angriffsgegenstände a) Körper eines verstorbenen Men11 schen 12 aa) Begriff 12 bb) Todeszeitpunkt 16 cc) tot geborenes Kind 17 dd) Dauer des Schutzes b) Teile des Körpers eines verstorbenen Men18 schen 19 aa) Begriff 19 bb) Kasuistik 20 cc) Dauer des Schutzes c) Tote Leibesfrucht und Teile einer sol21 chen 22 d) Asche eines Verstorbenen 23 Tathandlung – Wegnahme 24 a) Begriff 25 aa) Rechtliche Ausgangslage 25 bb) Obhutsrecht 26 cc) tatsächlicher Gewahrsam dd) Gewahrsam vor der Bestat27 tung ee) Gewahrsam nach der Bestat28 tung 29 b) Berechtigter 30 aa) Totenfürsorgerecht 30 bb) Herleitung des Rechts 31 cc) Inhalt des Rechts 32 dd) Kreis der Berechtigten 33 ee) Rangfolge 34 c) Vollendung der Wegnahme 35 d) Einverständnis e) Wegnahme bei Leichenschau und Sek36 tion 37 aa) Begriffe 38 bb) gesetzliche Regelungen 39 cc) Sektionen und Wegnahme Der objektive Tatbestand von Absatz 1 Variante 40 2
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IV. 1.
2.
V. 1. 2.
VI. 1. 2. 3. 4.
Angriffsgegenstände 41 41 Tathandlung a) Beschimpfender Unfug b) Struktur der Tathandlung 43 c) Anforderungen 44 d) Kasuistik e) Räumliche Gegebenheiten 46 Täterkreis
42 42
45
Der objektive Tatbestand von Absatz 2 Vari47 ante 1 48 Angriffsgegenstände 48 a) Aufbahrungsstätte 50 b) Beisetzungsstätte aa) Gebräuchliche Bestattungsfor51 men bb) Weniger gebräuchliche Bestattungs52 formen cc) Erforderlicher Rechtsgutsbe53 zug 55 dd) Räumlicher Schutzbereich 56 ee) Dauer des Strafschutzes 57 c) öffentliche Totengedenkstätte 58 aa) Entstehungsgeschichte 58 bb) Anforderungen 59 cc) Kasuistik 60 dd) Keine Totengedenkstätten 61 Tathandlung 62 a) Begriff 62 b) Ort der Tathandlung Der objektive Tatbestand von Abs. 2 63 Var. 2 64 Angriffsgegenstände 64 Tathandlung 65 a) Begriff 65 b) Ort der Tathandlung 66 c) Kasuistik Der subjektive Tatbestand 67 Allgemeines 68 Tathandlung 69 Einzelne Aspekte Irrtumskonstellationen
VII. Versuch
67
70
71
72 VIII. Rechtswidrigkeit 72 1. Allgemeines 73 2. Rechtswidrigkeit bei Abs. 1 Var. 1 74 a) Prämortale Einwilligung 75 b) Mutmaßliche Einwilligung 76 c) Organtransplation
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I. Allgemeine Bemerkungen
d) e)
Postmortale Einwilligung 77 Erlaubnisse aufgrund Gesetz oder Behördli78 cher Erlaubnis 79 aa) Strafverfahrensrecht 80 bb) Sozialrecht 81 cc) Gefahrenabwehrrecht dd) Allg. rechtfertigender Not82 stand ee) Weitere Rechtfertigungs83 gründe
StGB § 168
84
3.
Rechtswidrigkeit bei Abs. 1 Var. 2
IX. 1. 2.
85 Konkurrenzen 85 Allgemeines Verhältnis zu den Strafvorschriften des 86 TPG 87 a) Entnahme beim toten Spender 88 b) Entnahme beim lebenden Spender 89 c) Verbotener Organhandel
I. Allgemeine Bemerkungen 1. Bedeutung der Vorschrift Bei der Störung der Totenruhe handelt es sich um einen Straftatbestand mit einer langen Traditi- 1 on,2 dessen praktische Bedeutung – gemessen an der Zahl der Tatverdächtigen und Verurteilten (statistische Angeben bei § 167a Rdn. 1) – allerdings recht gering ist.3 In einzelnen Fällen der Tötung mit anschließender Zerstückelung der Leiche oder gar Kannibalismus kann § 168 aber als zu ermöglichende Straftat im Sinne von § 211 Abs. 2 in Betracht kommen und einen Schuldspruch wegen Mordes begründen.4 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann das trophäenartige Zurschaustellen von Leichenteilen von durch das humanitäre Völkerrecht geschützten (vormaligen) Kombattanten zudem Kriegsverbrechen nach § 8 Abs. 1 Nr. 9 VStGB sein.5 Ungeachtet der niedrigen Zahl von Verurteilungen wegen Störung der Totenruhe hat der Straftatbestand aber Bedeutung, weil er einen würdigen Umgang mit Verstorbenen strafrechtlich garantiert, den die unbedingte Achtung der Menschwürde (vgl. Art. 1 Abs. 1 S. 1 und 2 GG) erfordert. Die Rückbindung an die Menschenwürdegarantie ändert jedoch nichts daran, dass – ähnlich wie bei den anderen Straftatbeständen des 11. Abschnitts – die Bestimmung des tatbestandlich geschützten Rechtsguts bzw. der geschützten Rechtsgüter (vgl. BGHSt 50 80, 89) im Detail nicht leichtfällt und dementsprechend kontrovers beurteilt wird (Rdn. 4 bis 7). Das geht einher mit gelegentlich geäußerten Zweifeln an der verfassungsrechtlichen Legitimität der Vorschrift (Rdn. 9). Bei der Anwendung des Tatbestandes stellen sich Fragen nach der Bestimmung des Verhältnisses zu den Regelungen über die Organtransplantation im Transplantationsgesetz (TPG) einerseits (näher Rdn. 76, 86 bis 89) sowie denjenigen über die Sektion andererseits (Rdn. 36 bis 39, 79). Das Verhältnis von § 168 insbesondere zu den Regelungen des Transplantationsgesetzes betrifft teils die Tatbestands-, teil die Rechtwidrigkeitsebene der Vorschrift.
2. Umfang des Strafschutzes Angesichts der Rdn. 1 angedeuteten Zweifelsfragen einerseits sowie der allgemeinen Tendenz 2 moderner Reformen, das Strafrecht von historisch ihm noch anhaftenden irrationalen Zügen zu befreien und auf die rationale Funktion des Schutzes der Gesellschaft zurückzuführen, anderer2 Vgl. Kretschmer S. 255 ff; Rogall Rdn. 1. 3 Rogall Rdn. 1 nimmt allerdings eine gewisse praktische Bedeutung in der Ergänzung des durch §§ 242 ff und § 303 f gewährten Strafschutzes an.
4 Siehe BGHSt 50 80, 89 ff („Kannibale von Rotenburg“) einerseits und BGH, Beschl. v. 30.8.2018–5 StR 411/18 (juris -Rdn. 6) andererseits. 5 BGHSt 62 272, 276 ff Rdn. 15 ff; dazu Ambos NJW 2017 3672; Bock/N. Bülte HRRS 2018 100; Werle/Epik JZ 2018 261. 365
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seits ist die Entwicklung des Umfangs des durch § 168 bewirkten Strafschutzes insofern bemerkenswert, als der Tatbestand stetig erweitert wurde. Allerdings hatte der ursprüngliche Strafschutz (siehe Entstehungsgeschichte) vielfach als völlig unzulänglich gegolten (Maurach BT1 1952 § 47 II F 1, 2a). Namentlich die fehlende Strafbarkeit der Schändung einer Leiche war seit jeher Gegenstand massiver Kritik.6 Verschiedene in der Öffentlichkeit bekannt gewordene Vorfälle dieser Art führten zu Forderungen, den Schutz der Totenruhe zu verstärken (vgl. BTDrucks. I/3713 S. 37). Das Dritte Strafrechtsänderungsgesetz kam dem mit der Erstreckung des Strafschutzes auf Leichenteile und die Asche (Rdn. 18 bis 20, 22) eines Verstorbenen nur in geringem Umfang nach. Der weiter anhaltenden Kritik trug der E 62 mit den Vorschlägen Rechnung, den Beisetzungsstätten die Aufbahrungs- und Totengedenkstätten gleichzusetzen, der Verübung beschimpfenden Unfugs an einer Beisetzungsstätte die Verübung beschimpfenden Unfugs auf einem Friedhof hinzuzufügen und in einem neuen Tatbestand die unbefugte Wegnahme von Grabschmuck unter Strafe zu stellen (§ 191 E 62). Im Gegensatz dazu hielt der AEStGB – mit Ausnahme der Entnahme von Leichen und Leichenteilen – alle geltenden und darüber hinaus geforderten Tatbestände durch die allgemeinen Strafvorschriften für hinreichend erfasst (S. 83). Das Erste Gesetz zur Reform des Strafrechts, das die §§ 166, 167 teils durch Einschränkung, teils durch Erweiterung des Strafschutzes umgestaltete (vgl. § 166 Rdn. 1, § 167 Rdn. 2 und 3) und § 167a einfügte, ließ § 168 unberührt. Erst das Vierundzwanzigste Strafrechtsänderungsgesetz ergänzte erneut den Strafschutz, wiederum auf Drängen der Öffentlichkeit, nachdem spektakuläre Fälle kommerzieller Verwertung von aus Schwangerschaftsabbrüchen herrührenden Embryonen und Feten bekannt geworden waren (vgl. BTDrucks. 10/3758 S. 4; 10/ 6568 S. 3).7 Ähnlich lag es bei der Einfügung des Tatbestandsmerkmals öffentliche Totengedenkstätte durch das Sechste Gesetz zur Reform des Strafrechts. Mit ihr reagierte der Gesetzgeber auf rechtsextremistische Ausschreitungen in Gedenkstätten für Opfer des Nationalsozialismus, die weltweit Aufsehen erregt hatten.8
3. Struktur – vier Straftatbestände 3 Die Vorschrift enthält vier selbständige Tatbestände: (1.) die Wegnahme des Körpers oder von Teilen des Körpers eines verstorbenen Menschen, einer toten Leibesfrucht, Teilen einer solchen oder der Asche eines verstorbenen Menschen (Rdn. 23 ff), (2.) das Verüben von beschimpfendem Unfug an solchen Gegenständen (Rdn. 41 ff), (3.) das Zerstören und Beschädigen einer Aufbahrungsstätte, Beisetzungsstätte oder öffentlichen Totengedenkstätte (Rdn. 61 f) und schließlich (4.) das Verüben von beschimpfendem Unfug an diesen Stätten (Rdn. 64 bis 66). Die nicht unerheblichen Erweiterungen des Strafschutzes gegenüber früheren Fassungen (Rdn. 2) sind sachgerecht. Ungeachtet der Kontroverse um das tatbestandlich geschützte Rechtsgut (Rdn. 4 bis 6) ließ sich kaum sachgerecht begründen, zwar den toten Körper insgesamt, nicht aber lediglich Teile davon oder dessen Asche nach der Kremation in den Schutz einzubeziehen. Die Erstreckung des Strafschutzes auf tote Leibesfrüchte und Teile davon trägt der erforderlichen Strafbar6 So schon Binding Lehrbuch I § 45 1 I („schweres Unrecht“); Kahl VDB III S. 65; vgl. auch Schorn DZgerM 14 (1930) 381. 7 Der Entwurf des Bundesrates (BRDrucks. 43/45) ging auf einen Gesetzesantrag Bayerns zurück, der allerdings nicht die unbefugte Wegnahme toter Embryonen und Feten, sondern deren missbräuchliche Verwendung als Tathandlung vorsah (Schulz Bericht aus Bonn ZRP 1985 203, 204), wodurch in die im Schrifttum und in der Rechtsprechung noch immer umstrittene Frage, wer an Leichen und Leichenteilen während der Zeit, in der sie sich in einer Klinik befinden, Gewahrsam hat, nicht eingegriffen worden wäre (näher Rdn. 27). 8 BTDrucks. 13/8587 S. 23; Bochumer Erläuterungen § 168 Rdn. 1; C. Kreß NJW 1998 633, 641; vgl. dazu auch die kriminologische Analyse in Bundeskriminalamt MschrKrim. 1968 132. Die betreffenden Vorfälle waren schon Anlass der Gesetzesinitiative des Bundesrates vom 11.1.1996 (BTDrucks. 13/3468), die in § 168 einen neuen Absatz 4 einfügen wollte, wonach ebenso wie nach Absatz 3 bestraft werden sollte, wer an einer Totengedenkstätte für Opfer der nationalsozialistischen oder einer anderen Gewalt- und Willkürherrschaft beschimpfenden Unfug verübt. Radtke
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keit der missbräuchlichen Nutzung von Embryonen und Föten Rechnung. Die Schutzlücke, die darin bestand, dass Aufbahrungs- und Totengedenkstätten keine Beisetzungsstätten sind, war seit langem bekannt.9
4. Rechtsgut Das tatbestandlich geschützte Rechtsgut wird für § 16810 ähnlich kontrovers beurteilt wie bei 4 § 167a (dort Rdn. 2 bis 6). Die Kontroverse erstreckt sich sowohl auf die Frage, ob lediglich ein Rechtsgut oder mehrere Rechtsgüter geschützt werden als auch darauf, um welches bzw. welche es sich handelt. Angesichts der Unterschiede in den Schutzobjekten und in der Struktur der Tathandlungen der vier in § 168 normierten Tatbestände (Rdn. 3) kann nicht einmal sicher von einer durchgängig einheitlichen Rechtsgutbestimmung ausgegangen werden.11 Trotz einer gewissen Nähe zum Rechtsgut des § 167a (dort Rdn. 5) besteht mit diesem keine Übereinstimmung (so aber Dippel LK12 Rdn. 2). Die Tathandlungen des § 168 sind nicht auf Situationen aktueller Trauerbewältigung wie bei § 167a begrenzt („Bestattungsfeier“, dazu § 167a Rdn. 10 bis 28) und knüpfen daher weder an die situativ bedingte besondere Verletzlichkeit der Trauernden noch an eine Situation wie die Bestattungsfeier an. Vielmehr sind sie gegen die Leiche und Gleichgestelltes als „Tatobjekte“ gerichtet. Bereits diese Unterschiede legen eine eigenständige Rechtsgutsbestimmung für § 168 nahe. Die Kontroverse um das Rechtsgut ist nicht allein akademischer Natur, sondern schlägt auf die Anwendung der Vorschrift durch. Schützte § 168 etwa als kollektives Rechtsgut auch, vielleicht gar vorrangig das „Pietätsgefühl der Allgemeinheit“ (BGHSt 50 80, 89), könnte prämortal nicht durchgängig rechtlich wirksam tatbestandlichen Handlungen an der eigenen Leiche zugestimmt werden.12 Bei einer monistischen Rechtsgutskonzeption, die ausschließlich ein vollständig disponibles Individualrechtsgut schütze, könnte dies abweichend zu beurteilen sein (vgl. Rdn. 6). Darüber hinaus wirkt sich das jeweilige Rechtsgutverständnis auf die Auslegung der Tatbestandsmerkmale aus.13
a) Dualistische Schutzkonzepte. Die wohl mittlerweile überwiegende Auffassung misst § 168 5 insgesamt (zu notwendiger Differenzierung Rdn. 4 und 7) ein (wenigstens) dualistisches Schutzkonzept zu; tatbestandlich geschützt seien das Pietätsgefühl der Allgemeinheit (zum Verständnis von Pietät siehe § 167a Rdn. 5) und der postmortale Persönlichkeitsschutz des Toten.14 Der Bundesgerichtshof stützt die Erstreckung des Schutzes auf das kollektive Gut „Pietätsgefühl der Allgemeinheit“ sowohl auf die Lozierung des § 168 im 11. Abschnitt statt bei den Beleidigungsdelikten als auch auf Vorstellungen des historischen Gesetzgebers, der das Pietätsgefühl habe schützen wollen (vgl. BGHSt 50 80, 89 mit Verweis aus BTDrucks. IV/650 S. 346).
9 So bezeichnet schon das Reichsgericht im Falle eines rohen pietätlosen Handelns an einer in der Halle eines Friedhofs aufgebahrten Leiche die mangelnde Tatbestandsmäßigkeit als „unbeabsichtigte Lücke des § 168 StGB“ (RGSt 71 323, 325). Dazu auch Bochumer Erläuterungen § 168 Rdn. 1; Kreß NJW 1998 633, 641. 10 Ausführlich zu den unterschiedlichen Rechtsgutskonzeptionen bei § 168 B. Kretschmer S. 228 ff. 11 Insoweit zutreffend Stübinger NK Rdn. 2. 12 BGHSt 50 80, 90 für die Tathandlung des „beschimpfenden Unfugs“ durch – vor laufender Kamera – Zerstückeln der Leiche eines Mannes der dem und seiner Tötung zugestimmt hatte. 13 Exemplarisch BGHSt 50 80, 89 für aus dem postmortalen Achtungsanspruch abgeleiteten Anforderungen an den beschimpfenden Unfug i. S. v. § 168 Abs. 1 „Geht es um den postmortalen Achtungsanspruch, ist dementsprechend ein beschimpfender Charakter gegeben, wenn der Täter dem Toten seine Verachtung bezeigen will und sich des beschimpfenden Charakters seine Handlung bewußt ist (…).“. 14 BGHSt 50 80, 89; BGH NStZ-RR 2021, 76; KG NJW 1990 782, 783; Czerner ZStW 115 (2003) 91, 97; Dippel LK12 Rdn. 2. 367
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Die beiden Schutzrichtungen werden kumulativ verstanden,15 so dass nicht jede prämortale Bestimmung des später Verstorbenen zum Umgang mit seinen Leichnam wegen des für ihn indisponiblen Pietätsgefühls der Allgemeinheit die Strafbarkeit entfallen lässt (Rdn. 4; siehe auch Rdn. 7 aE).16 Partiell abweichend ist gelegentlich vorrangig17 auf das Pietätsgefühl der Angehörigen18 oder deren Totenfürsorgerecht19 abgestellt worden.
6 b) Monistische Schutzkonzepte. Monistische Schutzkonzepte sind entweder auf ein Individualrechtsgut oder auf ein kollektives Rechtsgut gerichtet. Als Rechtsgut des Einzelnen wird vor allem auf den postmortalen Menschenwürde- und Persönlichkeitsschutz abgestellt.20 Die Komponenten sind nicht deckungsgleich; der postmortale Persönlichkeitsschutz umfasst prämortale Bestimmungen des Betroffenen zum Umgang mit dem eigenen Leichnam (zur Bedeutung bei Organtransplantationen Rdn. 74 und 76).21 Der über den Tod hinauswirkende, in der Menschwürde verankerte Achtungsanspruch eines jeden Menschen (zur Einbeziehung von toten Embryonen und Föten Rdn. 16 und 21)22 schützt vor Einwirkungen auf den Leichnam, die sich als herabwürdigender Umgang mit diesem erweisen (vgl. § 167a Rdn. 3). Das ist jedenfalls der Fall, wenn er gleichsam als „Ersatzteillager“ missbraucht oder „wie Müll“ entsorgt wird (Hörnle MK Rdn. 2). Inwieweit prämortal der einzelne Mensch auf die postmortale Achtung verzichten kann, lässt sich kaum einheitlich für sämtliche denkbaren Konstellationen beantworten. Die nach den Regeln des Transplantationsgesetzes durchgeführte Organentnahme (Rdn. 87) stellt den postmortalen Achtungsanspruch jedenfalls nicht in Frage; Gleiches gilt für mit der Entnahme von Leichenteilen verbundene, nach den Regeln der medizinischen Wissenschaft durchgeführte Sektionen (näher Rdn. 36 bis 39) Der Bundesgerichtshof – allerdings innerhalb seiner dualistischen Konzeption (vgl. Rdn. 4 aE) – zieht der Disponibilität Grenzen, indem er einerseits kumulativ auf das Kollektivgut des Pietätsgefühls der Allgemeinheit abstellt und andererseits – gestützt auf Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts23 – auf die Würde des Menschen als Gattungswesen rekurriert,24 was offenbar als zusätzliches Argument für eine allenfalls begrenzte prämortale Disponibilität über den späteren Umgang mit dem eigenen Leichnam dient. Als individuell-monistisches Schutzkonzept dürfte auch die Rechtsgutbestimmung von B. Kretschmers einzuordnen sein, der vorschlägt, den Schutz des Gefühls der individuellen Unvergänglichkeit in seinem Bezug zum Grab-
15 So auch Kijewski S. 61. 16 Vgl. BGHSt 50 80, 90. 17 Es werden auch Kombinationskonzepte angeboten; so gelangt etwa Kijewski für die erste Alternative von Absatz 1 zu einer unterschiedlichen Gewichtung der Schutzrichtungen mit dem Ergebnis, dass dieser Tatbestand das Pietätsgefühl eines erheblichen Teils der Allgemeinheit und damit verbunden das Pietätsempfinden der Angehörigen des Verstorbenen sowie kumulativ dazu dessen über den Tod hinaus wirkendes Selbstbestimmungsrecht am Leichnam schützt (S. 61). 18 OLG Frankfurt NJW 1975 511, 512; OLG München NJW 1976 1805, 1806; siehe auch B. Kretschmer S. 300 ff. 19 Steffen S. 100 ff, 109 ff. 20 Vgl. Hörnle Verhalten S. 168 f; MK Rdn. 2; siehe auch Otto JZ 2005 799, 800; Spilker DÖV 2014 637, 640 f. 21 Vgl. Hörnle MK Rdn. 2. 22 Zur Menschenwürdegarantie zugunsten des ungeborenen Lebens BVerfGE 39 1, 41. 23 BVerfGE 87 209, 228 „Menschenwürde in diesem Sinne ist nicht nur die individuelle Würde der jeweiligen Person, sondern die Würde des Menschen als Gattungswesen (Hervorhebung hier). Jeder besitzt sie, ohne Rücksicht auf seine Eigenschaften, seine Leistungen und seinen sozialen Status. Sie ist auch dem eigen, der aufgrund seines körperlichen oder geistigen Zustands nicht sinnhaft handeln kann. Selbst durch „unwürdiges“ Verhalten geht sie nicht verloren. Sie kann keinem Menschen genommen werden. Verletzbar ist aber der Achtungsanspruch, der sich aus ihr ergibt.“. 24 BGHSt 50 80, 90; im Ergebnis ebenso OLG Bamberg NJW 2008 1543, 1546; Knauer ZStW 126 (2014) 305, 332; krit. Kargl S. 52 f; Weber-Hassemer FS Hamm (2008) 829 sowie Hörnle MK Rdn. 1 m. w. N. Radtke
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und Leichenfrevel als Schutzgut anzusehen.25 Er geht dabei von dem Kontinuitätsgefühl der Menschen in ihrer jeweils eigenen Existenz aus, das den Tod als Nichts nicht denken lasse und dazu führe, dass eine Missachtung der Toten nicht nur deren Unsterblichkeit negiere, sondern zugleich das Gefühl der Lebenden an die eigene Unvergänglichkeit verletze (siehe auch § 167a Rdn. 4).26 Kollektiv-monistische Schutzkonzepte weisen § 168 dagegen den Zweck zu, gravierende Verstöße gegen das sozialethische Gebot, Tote zu ehren, im Interesse des öffentlichen Friedens zu verhindern.27
c) Einordnung. Die Einordnung von § 168 als Friedensschutzdelikt trägt aus ähnlichen wie 7 den zu § 167a Rdn. 6 dargelegten Gründen letztlich nicht. Das Fehlen einer auf die Störung des öffentlichen Friedens bezogenen Eignungsklausel spricht gegen einen solchen Schutzzweck. Zudem weist jedenfalls die überkommene Tathandlung der Wegnahme der Leiche oder Gleichgestelltem (Abs. 1 Var. 1) – anders als bei § 167 und § 167a – keinen starken Bezug zu einer Situation (etwa Störung eines Gottesdienstes oder einer Bestattungsfeier) auf, die als Anknüpfung für eine generell mögliche Beeinträchtigung des öffentlichen Friedens dienen könnte. Eine gewisse Verbindung zu einer Friedensstörung lässt sich dennoch § 168 Abs. 2 nicht absprechen. Das gilt insbesondere für tatbestandsmäßiges Verhalten an öffentlichen Totengedenkstätten. Mit deren Aufnahme in den Tatbestand wollte der Gesetzgeber aus Anlass von Fällen der Schändung von Gedenkstätten durch Rechtsradikale sowohl ethisch als auch politisch völlig inakzeptablen Verhaltensweisen begegnen (Rdn. 2 aE).28 Die von Abs. 2 erfassten Verhaltensweisen lassen sich umgekehrt kaum (zumindest nicht ausschließlich) mit einem individuell gedeuteten postmortalen Menschwürde- und Persönlichkeitsschutz begründen (zu den Gründen des Gesetzgebers Abs. 2 um das Angriffsobjekt „Totengedenkstätten“ zu erweitern, näher Rdn. 57). Insbesondere bei den öffentlichen Totengedenkstätten dürfte die Individualität jedes einzelnen Verstorbenen nicht im Vordergrund stehen. Zudem richten sich die Tathandlungen auch nicht unmittelbar gegen den Körper des einzelnen Verstorbenen oder in Abs. 1 diesem Gleichgestelltes; gerade bei den Gedenkstätten werden solche regelmäßig nicht (mehr) vorhanden sein. Der Kreis der Tatobjekte des Abs. 2 in Verbindung mit den dort statuierten Tathandlungen legen nahe, insoweit von einem auf die Würde des Menschen als Gattungswesen (BVerfGE 87 209, 228)29 und damit auf die Gewährleistung des würdigen Umgangs mit Verstorbenen sowie dem Gedenken an diese gerichteten Schutz ausgehen, dessen es in dem auf die Garantie der Menschwürde (Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG) als oberstem Wert (vgl. BVerfGE 6 32, 41; stRspr) verpflichteten Staat des Grundgesetzes bedarf. Für Abs. 1 deuten Tatobjekte und -handlungen dagegen darauf hin, dass dort der aus der Menschenwürde folgende Anspruch jedes einzelnen Menschen, auch nach seinem Tod achtsam in Anerkennung des vormaligen Menschseins mit den sterblichen Überresten umzugehen, geschützt ist. Das entspricht dem sowohl von monistischen wie dualistischen Rechtsgutskonzeptionen anerkannten postmortalem Menschwürde- und Persönlichkeitsschutz. In der Zusammenschau bestätigt sich damit ein dualistischer Schutzzweck, der in den Fällen des Absatzes 1 den postmortalen Menschenwürdeschutz eines bestimmten Einzelnen und in denen des Absatzes 2 den eher kollektiven Aspekt der gebotenen Achtung des Würdeanspruchs des Menschen an sich sowie des Gedenkens an Verstorbene ungeachtet einer persönlichen Beziehung zu einem einzelnen Verstorbenen in den Vordergrund stellt. Letzteres mag mit dem Begriff „Pietätsgefühl der Allgemeinheit“ (vgl. BGHSt 50 80, 89; siehe auch Rdn. 5) bezeichnet 25 B. Kretschmer Grabfrevel S. 278 ff. 26 B. Kretschmer Grabfrevel S. 285 und 303. 27 So vor allem Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf § 44 Rdn. 51 und 55; Rogall SK Rdn. 2; Schmitz S. 105 ff; ähnlich auch Fischer Rdn. 2 sowie Rüping GA 1977 299, 300 „Essentiale eines Friedensschutzes“. 28 Vgl. Kreß NJW 1998 633, 641; Stübinger NK Rdn. 3. 29 Zur Frage der Würde des Menschen als Gattungswesen aber auch Isensee, Tabu im freiheitlichen Staat; jenseits und diesseits der Rationalität des Rechts, 2003, S. 84. 369
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werden. Von dem Verständnis des Begriffs Pietät, wie er hier für § 167a (dort Rdn. 5) zugrunde gelegt wird, weicht dieses „Pietätsgefühl“ aber deutlich ab.
5. Deliktstypus 8 Auf der Grundlage der vorstehenden Konzeption handelt es sich bei Abs. 1 rechtsgutsbezogen um ein Verletzungsdelikt. Die Wegnahme der Leiche oder von Gleichgestelltem verletzt die postmortale Menschenwürde mit dem Angriff auf das Substrat wie die Vornahme beschimpfenden Unfugs an diesem unmittelbar. Abs. 2 lässt sich dagegen eher als (abstraktes) Gefährdungsdelikt erfassen. Die Tat stellt über die (postmortale) Menschenwürde des Einzelnen hinaus den Menschenwürdeanspruch als solchen und damit den obersten, Gesellschaft und Staat unter der Geltung des Grundgesetzes prägenden Wert in Frage. Das Gemeinte zeigt sich deutlich an Fällen rechtsextremistisch motivierter Ausschreitungen in Gedenkstätten für die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, die den Gesetzgeber zur Ergänzung des (heutigen) Abs. 2 veranlasst haben (Rdn. 2). Die Täter negieren mit ihren Taten den Menschenwürdeanspruch ganzer Bevölkerungsgruppen und damit die Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes schlechthin. Tatobjektsbezogen sind Abs. 1 und Abs. 2 hinsichtlich der Tathandlungen der Wegnahme sowie des Zerstörens oder Beschädigens Erfolgsdelikte, hinsichtlich des beschimpfenden Unfugs Tätigkeitsdelikte (siehe insoweit § 167 Rdn. 6).
6. Verfassungsrechtliche Legimität 9 Die Vorschrift ist insgesamt verfassungsrechtlich legitim. Für Abs. 1 wird das nicht ernsthaft bezweifelt; der Schutz der postmortalen Menschenwürde bzw. des postmortalen Persönlichkeitsrechts trägt sowohl das Verhaltensverbot als auch die für den Verstoß angedrohte Sanktionsnorm. Forderungen nach einer abweichenden Lozierung des § 168 („in der Nähe von § 189 StGB zu normieren“, Valerius ZStW 129 [2017] 529, 538) stellen die Verfassungsmäßigkeit nicht in Frage. Die vielfach geäußerten Zweifel an der Legitimierbarkeit von Abs. 230 sind gewichtig, greifen aber letztlich nicht durch. Der hier für Abs. 2 in den Vordergrund gestellte Zweck des Schutzes des postmortalen Menschenwürdeanspruchs jedes Verstorbenen ungeachtet seiner Individualität erschöpft sich nicht in einem „fraglichen und nicht belegbaren Dienst für politische und moralische Erziehungsmaßnahmen“ (Stübinger NK Rdn. 3), sondern sichert die für das verfassungsrechtliche Selbstverständnis der Bundesrepublik fundamentale Menschenwürdegarantie gegen tatbestandliche Verhaltensweisen ab, die ausdrücken, den Achtungsanspruch bestimmter Verstorbenen oder bestimmter Gruppen Verstorbener von vornherein zu negieren. Das stellt das skizzierte Selbstverständnis des Grundgesetzes über die Würde jedes Menschen und jedes Verstorbenen in einer Weise in Frage, die abstrakt-generell als friedensstörend verstanden werden kann. Zum Friedensschutzdelikt wird auch Abs. 2 damit nicht (vgl. Rdn. 7), weil dem der Schutz der postmortalen Menschenwürde vorgelagert ist, der Friedensschutz mithin lediglich bei der verfassungsrechtlichen Legitimation als ergänzend zu berücksichtigender Umstand hinzutritt.
II. Der objektive Tatbestand von Absatz 1 Variante 1 1. Angriffsgegenstände 10 Der äußere Tatbestand von Abs. 1 Var. 1 verlangt die (unbefugte) Wegnahme eines der geschützten Gegenstände. Angriffsgegenstände sind der Körper (Rdn. 11 bis 17) oder Teile des 30 Hörnle Verhalten S. 367 ff und 379 ff; MK Rdn. 3 und 5; Stübinger NK Rdn. 3; Valerius ZStW 129 (2017) 529, 538. Radtke
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II. Der objektive Tatbestand von Absatz 1 Variante 1
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Körpers eines verstorbenen Menschen (Rdn. 18 is 20), eine tote Leibesfrucht (Rdn. 21), Teile einer solchen (Rdn. 21) oder die Asche eines Verstorbenen (Rdn. 22).
a) Körper eines verstorbenen Menschen. Der Körper eines verstorbenen Menschen war 11 das ursprünglich einzige, damals als Leiche bezeichnete Tatobjekt der Wegnahme. aa) Begriff. Der Begriff enthält gegenüber der früheren Bezeichnung keine sachliche Veränderung. Körper eines verstorbenen Menschen war die Definition von Leiche, Teile des Körpers eines verstorbenen Menschen die von Leichenteilen.31 Körper eines verstorbenen Menschen ist dessen nach dem Eintritt des Todes verbleibende entseelte Hülle (Binding Lehrbuch I § 45 1 I).
bb) Todeszeitpunkt. Der Tod ist das Ende des Menschseins. Der Beginn der Eigenschaft Körper 12 eines verstorbenen Menschen richtet sich dementsprechend nach dem Todeszeitpunkt. Dieser bestimmt sich nach dem normativen Todesbegriff und den medizinisch-beweismäßigen Todesfeststellungskriterien. Beide sind nicht umfassend gesetzlich geregelt (Rdn. 13 und 14),32 obwohl das damit verbundene Setzen eines Todeszeitpunkts rechtlich als Anknüpfung für Rechtsfolgen in zahlreichen Teilrechtsgebieten von erheblicher Bedeutung ist, etwa für den Eintritt des Erbfalls, die Beendigung familienrechtlicher und vertraglicher Beziehungen, den Beginn der Rentenzahlungen an Hinterbliebene, die Zulässigkeit der Explantation, der Sektion und der Sterbehilfe sowie das Ende strafrechtlicher Verantwortung.33 Im Strafrecht hängt die (noch) Anwendbarkeit der Delikte zum Schutz des Lebens (§§ 211 ff) und der körperlichen Unversehrtheit (§§ 223 ff) einerseits sowie (schon) des § 168 andererseits vom Todeszeitpunkt und den dafür maßgeblichen Kriterien ab. Die größte praktische Relevanz haben der Todesbegriff und die Kriterien der Todesfeststellung aber für die Organtransplantation. Wäre der für das Ende der Anwendbarkeit der §§ 211, 223 ff maßgebliche strafrechtliche Todeszeitpunkt an die Feststellung eines unwiderbringlichen Aussetzens der Herz- und Atmungsfunktion des Menschen geknüpft (klinischer Tod),34 wäre eine rechtlich zulässige Transplantation weithin unmöglich.35 Für die Organtransplantation enthält daher § 3 Abs. 2 Nr. 2 TPG eine Regelung, die – zusammen mit § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG – den Rückschluss ermöglicht, dass die den Regeln der medizinischen Wissenschaft entsprechende Feststellung des Hirntodes Mindestvoraussetzung einer rechtlich zulässigen Organtransplantation ist. (1) Ob das Transplantationgesetz, insbesondere mit den genannten Regelungen in § 3 Abs. 2 13 Nr. 2 und § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG, die auf die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechende Feststellung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms, mithin den Hirntod,36 abstellen, eine für die gesamte Rechtsordnung verbindliche Todeszeitpunktreelung getroffen hat, wird
31 Die früheren Bezeichnungen werden im Schrifttum vielfach weiterverwendet. Die Begriffe Leiche und Leichnam sind bedeutungsgleich. Ein Unterschied besteht nur in etymologischer Beziehung, Bieri S. 19; vgl. auch E. Merkel Leichenraub S. 1 ff. 32 Ob der Gesetzgeber berechtigt wäre, einen normativen Todesbegriff zu regeln, wird unterschiedlich beurteilt, vgl. Fischer Vor § 211 Rdn. 8 einerseits und Tröndle FS Hirsch 779 andererseits. 33 Deutsch/Spickhoff Rdn. 519; Fischer Vor § 211 Rdn. 5; Herrig S. 89; Deutsche Akademie für Anästhesiologische Fortbildung/ Lilie S. 167, 170. 34 Vgl. einführend Geilen FS Heinitz 373, 376 ff; Lackner/Kühl/Kühl Vor § 211 Rdn. 4; Sch/Schröder/Eser/SternbergLieben Vor § 211 Rdn. 16; Schneider MK Vor § 211 Rdn. 15. 35 Siehe nur Sch/Schröder/Eser/Sternberg-Lieben Vor § 211 Rdn. 16 m. w. N. 36 Zu Hirntodkriterium Rixen Lebensschutz S. 218 ff; Sch/Schröder/Eser/Sternberg-Lieben Vor § 211 Rdn. 19a; Schneider MK Vor § 211 Rdn. 16; v. Thannhausen S. 17 f. 371
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unterschiedlich beurteilt.37 Letztlich bedarf die Frage keiner allgemeingültigen Antwort. Jedenfalls für das Strafrecht hat sich der Hirntod als Kriterium für das Ende des strafrechtlichen Schutzes über die §§ 211 ff, 223 ff weithin durchgesetzt.38 Unbestritten ist es jedoch nicht. Ausgehend von der Erfahrung des Todes als eines oft langsam voranschreitenden Prozesses mit allmählichem und unterschiedlich schnell ablaufendem Absterben der verschiedenen Organe und Funktionen des menschlichen Körpers, der sich nicht schon in der Funktionsunfähigkeit eines einzelnen Organs manifestiert, sondern erst in dem unwiderruflichen Ausfall aller Organe, die an der Konstituierung des menschlichen Organismus als Einheit wesentlich beteiligt sind, nämlich Herz, Lunge und Gehirn, sehen Kritiker die Grenze zwischen Leben und Tod im Sinne des noch Lebend- und dem bereits Tot-Seins (weiterhin) nicht als eindeutig geklärt an und folgern daraus, dass Hirntote Sterbende im Zustand unumkehrbaren Hirnversagens seien, denen der Schutz des Art. 2 Satz 1 GG nicht versagt bleiben könne.39 Das sind beachtliche Gründe, die aber weder verfassungsrechtlich noch einfachrechtlich zwingend sind. Angesichts der Anforderungen des Hirntodkriteriums, also dem unwiederbringlichen Verlust der Integrations- und Koordinierungsfunktion des Gehirns für den menschlichen Organismus insgesamt,40 verliert die Einordnung Hirntoter als Sterbende und damit die Zuordnung zum Schutz durch Art. 2 Abs. 1 GG an Überzeugungskraft. Fachrechtlich müsste die referierte Kritik am Hirntodkriterium jedenfalls in den Blick nehmen, dass eine Einwilligung in die Organentnahme durch den Spender (vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG) dann auf die Anerkennung einer privatautonomen Verfügung über das Leben und eine Ermächtigung der Ärzte zu jedenfalls tatbestandsmäßigem Töten (im Sinne von § 216) hinausliefe.41 Das Hirntodkonzept hat sich im Übrigen auch weltweit durchgesetzt;42 es ist in allen westeuropäischen Ländern rechtlich akzeptiert.43 (2) Der Hirntod ist ein zeitlich vor dem klinischen Tod eingreifendes Todeskriterium.44 Er 14 knüpft an den Stand des Sterbeprozesses an, ab dem jede Reanimation sinnlos erscheint und versteht sich als irreversibles Erloschensein der Gesamtfunktionen des Großhirns und des Hirnstamms bei einer durch kontrollierte Beatmung noch aufrechterhaltenen Herz- und Kreislauf-
37 Befürwortend etwa Rixen Lebensschutz S. 382 f; Saliger KritV 2001 382, 407 ff; ablehnend R. Merkel Früheutanasie S. 113 ff; v. Thannhausen Todesbegriff S. 49 ff; Schneider MK Vor § 211 Rdn. 18 Fn.75 m. w. N. 38 Näher Ingelfinger Grundlagen S. 146 ff; R. Merkel Früheuthanasie S. 116 ff; Sch/Schröder/Eser/Sternberg-Lieben Vor § 211 Rdn. 19 m. w. N. 39 In diesem Sinne R. Beckmann ZRP 1996 219 ff; Dreier I Art. 2 Abs. 2 Rdn. 16; D. Esser S. 28 f; Gallwas JZ 1996 852; Grewel ZRP 1995 219; Evangelische Akademie Baden/Hoff S. 25 ff; Hoff/in der Schmitten/Hoff/in der Schmitten S. 153 ff; Universitas 50 (1995) 313 ff; Höfling JZ 1995 26 f; JZ 1996 616 (mit Erwiderung Heun JZ 1996 213); Universitas 50 (1995) 358 ff; MedR 14 (1996) 6 ff; Höfling/Rixen S. 97; Jörns EvK 25 (1992) 594; Hoff/in der Schmitten/Mieth S. 458 ff; Plieth LM 33 (12/1994) 26 ff; Rixen ZRP 1995 461 ff; EvK 29 (1996) 136; Lebensschutz S. 247 ff (zusf. S. 389 ff); Schmidt-Jortzig S. 7 ff; Evangelische Akademie Baden/in der Schmitten S. 25 ff; in der Schmitten/Hoff BerlÄ 32 (5/ 1995) 28 ff; Firnkorn/Tröndle S. 53 ff; Tröndle ZfL 6 (1997) 40 ff; ders. FS Hirsch 781 ff; Waldstein LF 81 (2007) 5 f; ferner Bündnis 90/Die Grünen BTDrucks. 2926 S. 11 („Hirntote Patienten und Patientinnen leben“) sowie aus seelsorgerischer Sicht R. Weber ZfL 11 (2002) 99; Hildt/Hepp/v. Heyl S. 101 f; krit. bereits Geilen FS Heinitz 373 ff; Stratenwerth FS Engisch 528 ff; vgl. auch Bondolfi, der im Ergebnis aber annimmt, dass die Feststellung des Hirntodes ausreicht, um unser Verhalten der Explantation von Organen aus der nun bestehenden Leiche moralisch zu legitimieren (in Bondolfi/Kostka/Seelmann S. 101). 40 Vgl. Schneider MK Vor § 211 Rdn. 16. 41 Siehe dazu Heun JZ 1996 213, 618; Kluth ZfL 5 (1996) 9; Kluth/Sander DVBl. 1996 1286 Fn. 16; Wagner/Brocker ZRP 1996 230; Laufs/Uhlenbruck/Ulsenheimer Organtransplantation Rdn. 8. 42 Vgl. schon die Erklärung von Sydney des Weltärztebundes vom 19.8.1968 (DÄBl. 65 [1968] 1865). 43 Fischer/Lilie/Lilie S. 128 f. 44 Der Begriff ist nicht neu. Nach seiner Verwendung durch Bichat schon Ende des 18. Jahrhunderts im Zusammenhang mit der Erkenntnis, dass der Tod nicht alle Lebensfunktionen zu gleicher Zeit erfasst, gelang erst 1959 durch Mollaret und Goulon eine wissenschaftliche Umschreibung, das „coma dépassé“ (Hoff/in der Schmitten/Hoff/in der Schmitten S. 155; Manzei S. 17; Höglinger/Kleinert/J. G. Mayer S. 7; Zillgens S. 35), wobei nach dem damaligen Todesverständnis solche Patienten aber nicht als tot galten (Höfling ZBJV 132 [1996] 792; G. Meyer S. 19). Radtke
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funktion.45 Der mit dem Ausfall des Großhirns bereits eintretende unumkehrbare Bewusstseinsverlust (Kortikaltod) genügt nicht.46 Zeitpunkt des Hirntodes ist derjenige Moment, in dem die endgültigen diagnostischen Feststellungen getroffen worden sind.47 Um welche es sich dabei handelt, bestimmt sich für den Hirntod als notwendige (aber nicht hinreichende) Voraussetzung der Organentnahme zu Transplantationszwecken nach der auf der Grundlage von § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG erlassenen Richtlinie der Bundesärztekammer.48 (3) Außerhalb der Konstellationen von Organtransplantationen wird sowohl die medizini- 15 sche als auch die strafrechtliche Praxis durch den klinischen Tod (Rdn. 12) als Kriterium für die Bestimmung des Todeseintritts und seines Zeitpunkts geprägt.49 Das Hirntodkriterium ist lediglich eine Vorverlagerung des maßgeblichen Zeitpunkts vor den über die Anforderungen des klinischen Todes bestimmten (Rdn. 14). Da nach dem unter Rdn. 13 Dargelegten für das Strafrecht insgesamt der festgestellte Hirntod als Kriterium des Todes herangezogen wird, erfasst § 168 Abs. 1 bereits tatbestandsmäßige Handlungen am hirntoten aber noch nicht klinisch toten Menschen. Das hat letztlich allein Bedeutung für die Organentnahme zum Zweck der Transplantation. Geht diese mit einer Wegnahme (Rdn. 23 bis 35) eines Leichteils aus dem Gewahrsam (Rdn. 24 bis 28) des Berechtigten (Rdn. 29 bis 33) ohne dessen Einverständnis einher, liegt zwar grundsätzlich tatbestandsmäßiges Handeln nach Abs. 1 Var. 1 vor. Dieses ist bei Einhalten der Vorgaben des Transplantationsgesetzes, insbesondere § 3 Abs. 1 Satz 1 TDG, aber regelmäßig gerechtfertigt (Rdn. 74 und 76).
cc) tot geborenes Kind. Als Körper eines verstorbenen Menschen gilt entgegen einer früher 16 verbreiteten Auffassung50 auch ein tot geborenes Kind.51 Der dem Merkmal entsprechende Daseinszustand soll dann erreicht sein, wenn die Frucht so weit entwickelt war, dass ein Leben außerhalb des Mutterleibes an sich möglich gewesen wäre.52 Diese Betrachtung ist nach dem Schutzzweck des § 168 zu eng. Er erstreckt sich auf diejenigen menschlichen Relikte, hinsichtlich deren das Gefühl der Pietät und der Verbundenheit entstanden und noch nicht erloschen ist. Gegenüber einer Leibesfrucht entwickelt sich ein solches Gefühl regelmäßig aber bereits
45 Normativ wurde der Hirntod von medizinischen Autoritäten 1968 definiert (Beecher JAMA 205 [1968] 85 ff), sieben Monate nach der von weltweitem Aufsehen begeleiteten ersten Verpflanzung des Herzens einer jungen Frau, der Tage zuvor das Gehirn bei einem Unfall zerstört worden war, durch Barnard. Die Kriterien des Gutachtens sind aufgeführt z. B. bei Ach/Anderheiten/Quante S. 31; Manzei S. 18; Spirgatis S. 55.; Stapenhorst Betrachtungen S. 18; vgl. auch G. Meyer S. 24 ff; Schlich/Wiesemann/Vollmann S. 46 f; Zillgens S. 56 f. 46 So die seit je überwiegende Auffassung (näher LK10 Rdn. 10 mit den ausführlichen Nachweisen in Fn. 19). Aber auch der Kortikaltod hatte schon früh eine nicht unbeträchtliche Anhängerschaft (vgl. dazu ebenfalls LK10 Rdn. 10 mit den Nachweisen in Fn. 20), die, einer Tendenz im angelsächsischen Recht (vgl. Fischer Vor § 211 Rdn. 7; ferner Höglinger/Kleinert/J. G. Mayer S. 3; Roxin/Schroth/Oduncu2 S. 218; Wiesemann EthM 7 [1995] 19; Wolbert EthM 8 [1996] 9) folgend, zugenommen hat (so Dencker NStZ 1992 311, 313 [Bespr. von BGH NStZ 1992 333]; Funck MedR 10 (1992) 187 f; dagegen jedoch Joerden NStZ 1993 268 ff; Mitsch JuS 1995 790 f; Otto BT § 2 Rdn. 11; JK § 226/4; Puppe JR 1992 513 [Anm. zu BGH JR 1992 510 = NStZ 1992 333]). 47 Knut Müller S. 64; vgl. auch Schlich/Wiesemann/Schellong S. 206. 48 Richtlinie gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG für die Regeln zur Feststellung des Todes nach § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG und die Verfahrensregeln zur Feststellung des endgültogen, nicht behebbaren Ausfalls der gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 TPG – Vierte Fortschreibung –, Dt. Ärzteblatt 2015, 1 ff. 49 Vgl. R. Merkel Früheuthanasie S. 116 f; Schneider MK Vor 211 Rdn. 19 m. w. N. 50 Z. B. H. Bader SchwJZ 20 (1923/24) 367; Binding Lehrbuch I § 45 1 I; Cramer S. 21; Crusen S. 31; Mittelstein GA 34 178. 51 Lackner/Küh/Heger Rdn. 2; Kohler Religionsvergehen S. 205; B. Kretschmer Grabfrevel S. 313 Fn. 5; Maurach/ Schroeder/Maiwald II § 62 Rdn. 9; Rogall SK Rdn. 8; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 3. 52 RGSt 69 287, 288; BayObLGSt 19 205; H. R. Hoffmann DöG 12 (1950/51) 22; Johnsen S. 81; Wölkart WKW 68 (1956) 113. Vgl. dazu auch Lüttger JR 1971 133 ff (zur Zäsur des Übergangs vom Leibesfruchtcharakter zur Menschqualität). 373
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vor demjenigen Reifegrad, der die extrauterine Lebensfähigkeit53 begründet. Häufig nehmen die Angehörigen auch in solchen Fällen, in denen eine Bestattungspflicht noch nicht besteht,54 Beisetzungen vor, pflegen die Grabstätte und bringen ihr Pietät entgegen.55 Deshalb kann ein tot geborenes Kind bereits bei einem früheren Reifegrad als demjenigen, von dem an es an sich lebensfähig gewesen wäre, als Körper eines verstorbenen Menschen anzusehen sein; auf die Lebensfähigkeit kommt es nicht an.56 Kein Körper eines verstorbenen Menschen ist ein unentwickelter Embryo.57 Dazu wird er erst, wenn die Frucht die einem neugeborenen Kind entsprechenden Formen angenommen hat. Der Streit, ob ein totgeborenes Kind dem Begriff Körper eines verstorbenen Menschen schon bei Erreichen dieser Entwicklungsstufe genügt oder erst dann, wenn es so weit entwickelt war, dass ein Leben außerhalb des Mutterleibes an sich möglich gewesen wäre, hat an praktischer Bedeutung verloren, seitdem die tote Leibesfrucht schlechthin Angriffsgegenstand ist.58
17 dd) Dauer des Schutzes. Bis zu welchem Stadium ein Körper als der eines verstorbenen Menschen gilt, ist nach dem Schutzzweck von § 168 zu beantworten. Postmortal setzen Würde und Persönlichkeitsrecht einen Körper voraus, der als Zusammenhang seiner Teile, als Einheit einer menschlichen Gestalt im Wesentlichen noch vorhanden, seine Individualität damit noch erkennbar ist.59 Dem steht eine Zergliederung des Körpers, gleichgültig ob zu wissenschaftlichen Zwecken oder auf andere Weise geschehen, etwa im Zusammenhang mit einem Lustmord oder durch das Ereignis, das den Tod herbeigeführt hat, nicht entgegen, wenn nur die gemeinsame Bestattung aller Teile beabsichtigt bleibt.60 Auch das Fehlen einzelner Teile des Körpers ist ohne Bedeutung.61 Erst durch den Verwesungsprozess oder eine andere Art völliger Zerstörung wird dieser Zusammenhang aufgehoben.62 Daher ist ein Skelett keine
53 Dafür werden als Mindestwerte angegeben: Intrauterine Entwicklung von 27 Wochen, Geburtsgewicht von 1000 Gramm, Körperlänge von 24 cm, Brustumfang von 22,5 bis 23 cm, Kopfumfang von 26,5 bis 27 cm (Krauß S. 109; vgl. auch Schmidt-Matthiesen S. 190; Trockel Rechtswidrigkeit S. 29 Fn. 6). 54 Zur Bestattungspflicht bei Totgeburten ab einem bestimmten Körpergewicht und zum Bestattungsrecht bei Fehlgeburten, deren Gewicht unter dem Minimum liegt, § 167a Rdn. 16. 55 Deshalb billigt Bieri selbst dem unentwickelten Fötus den Schutz des Art. 262 SchwStGB zu (S. 23); ebenso Clerc S. 314 f. Der Hinweis auf die im Codex Juris Canonici vorgeschriebene Taufe eines Fötus hat auch nach dessen Neufassung vom 27.11.1983 noch Gewicht. Jetzt bestimmt c. 871, dass die vorzeitig ausgestoßene Leibesfrucht, sei es bei einer Fehlgeburt oder bei einer Frühgeburt, falls Lebenszeichen vorhanden sind, getauft werden soll, soweit dies geschehen kann, Listl/Schmitz/Hierold S. 813. 56 Bieri S. 24; Trockel Rechtswidrigkeit S. 29. 57 Kahl VDB III S. 63; G. Kaiser MKl. 62 (1967) 647; Stübinger NK Rdn. 4; Trockel Rechtswidrigkeit S. 28; Weiser Fürsorge S. 14. 58 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 3. 59 AG Berlin-Tiergarten NJW 1996 3092; Fischer Rdn. 4; Funken S. 4; Hörnle MK Rdn. 8; Joecks Rdn. 3; Kahl VDB III S. 63; Kijewski S. 65; B. Kretschmer Grabfrevel S. 333; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Lüthe S. 28; Bondolfi/Kostka/ Seelmann/Rüping S. 110; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 3; Schorn DZgerMed. 14 (1930) 369; H. Schünemann S. 224; v. Schwerin SeuffBl. 70 (1905) 658; Tietz S. 56 f; Trockel Rechtswidrigkeit S. 27; Weiser Fürsorge S. 16. 60 RGSt 69 287, 288; H. Bader SchwJZ 20 (1923/24) 366; Gaedke/Diefenbach S. 106; G. Kaiser MKl. 62 (1967) 647; Lüthe S. 28; Schorn DZgerMed. 14 (1930) 369; v. Schwerin SeuffBl. 70 (1905) 658; Trockel Rechtswidrigkeit S. 28; einschr. Crusen S. 41; B. Kretschmer Grabfrevel S. 335; Wüst S. 26 f. 61 Bieri S. 27; Bohne FestG Schmidt 131; Brechenmacher S. 37; Crusen S. 41; Kahl VDB III S. 63; F.-W. Koch S. 22 f; B. Kretschmer Grabfrevel S. 334 Fn. 69 (mit Einzelheiten); Trockel Rechtswidrigkeit S. 28. 62 Bieri S. 25; Crusen S. 34; Fischer Rdn. 4; Josef Gruchot 65 (1925) 317; Kijewski S. 63; B. Kretschmer Grabfrevel S. 334; Rogall SK Rdn. 2; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 3; Welzel Strafrecht § 66 IV 1. Radtke
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Leiche.63 Von dieser unterscheidet es sich schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch,64 aber auch dadurch, dass die Fleischhülle, die etymologisch den Leichnam ausmacht,65 verwest ist. Im Übrigen kann der Schutz durch Abs. 1 entfallen, wenn die Leiche nicht mehr Gegenstand des Gefühls der Verbundenheit und der Pietät ist. Das gilt vor allem für solche Leichen die, etwa durch den Erwerb für medizinische Heil-, Forschungs- oder Lehrzwecke, Gegenstand des Rechtsverkehrs geworden sind.66 Die Gegenmeinung67 hat den Gesetzeswortlaut für sich, trägt aber dem Schutzzweck nicht hinreichend Rechnung. Denn infolge der Umwidmung ist die Leiche nicht mehr Objekt der Verbundenheit und Pietät; gleichwohl gebietet die Achtung der Menschwürde sie möglichst pietätvoll zu behandeln.68 Derartige Körper können im Gegensatz zu den zunächst nicht eigentumsfähigen Leichen als fremde Sachen Objekte von Diebstahl und Unterschlagung sowie von Sachbeschädigung sein.69 Keine nach Abs. 1 tauglichen Objekte sind ferner Moorleichen und Mumien.70 Schon ihr äußeres Erscheinungsbild ist nicht mehr das des Körpers eines verstorbenen Menschen. Auch hier stützt sich die, allerdings wesentlich stärkere, Gegenmeinung, wonach der nicht zu wissenschaftlichen Zwecken dauernd der Vernichtung entzogene künstlich präparierte (einbalsamierte) Körper (Mumie) noch als Leichnam anzusehen ist,71 auf den allgemeinen Sinn der Bezeichnung Körper eines verstorbenen Menschen, dem die Einheit, die diese menschlichen Gestalten trotz der im Laufe der Zeit auch bei Mumien eingetretenen Veränderungen noch immer mehr oder weniger aufweisen, durchaus entspricht. Letztlich ist aber auch hier entscheidend, dass ihnen nicht mehr das für das Tatbestandsmerkmal maßgebende Gefühl der Verbundenheit und Pietät entgegengebracht wird, dies eher deutlicher, als bei Anatomieleichen, denen bis zu ihrer Umwidmung dieses Gefühl noch galt. Der plastinierte menschliche Körper hingegen bleibt eine Leiche, weil die Plastination die Körpersubstanz nicht völlig austauscht, sondern restliche Materie in ihrer gestaltbildenden Struktur bestehen lässt, so dass der Zusammenhang zwischen den Einzelteilen des Körpers nicht völlig aufgehoben ist.72
b) Teile des Körpers eines verstorbenen Menschen. Teile des Körpers eines verstorbenen 18 Menschen sind Gegenstände, die vom Körper abgetrennt oder ihm entnommen worden sind. 63 H. Bader SchwJZ 20 (1923/24) 366; Bieri S. 29; Binding Lehrbuch I § 45 1 I; Deutsch/Spickhoff Rdn. 609; Gaedke/ Diefenbach S. 106; Kahl VDB III S. 63; B. Kretschmer Grabfrevel S. 334; Lüthe S. 28; Rausnitz Recht 7 (1903) 594; Stentenbach S. 12. 64 F.-W. Koch S. 22 f; B. Kretschmer Grabfrevel S. 334. 65 B. Kretschmer Grabfrevel S. 334; Herb. Weber S. 6 f; Weiser Fürsorge S. 16. 66 H. Bader SchwJZ 20 (1923/24) 366; Bieler JR 1976 228; Fischer Rdn. 4; Rogalli SK Rdn. 2; G. Kaiser in Göppinger (Hrsg.) S. 58; MKl. 62 (1967) 643; Trockel MDR 1968 812; JR 1974 597; v. Schwerin SeuffBl. 70 (1905) 658 (für den wissenschaftlich zerlegten Körper); Weinrich/Wolfslast FreundesG Kreuzer 325. 67 Etwa B. Kretschmer Grabfrevel S. 314 f; Tietz S. 37 ff; Weiser Fürsorge S. 16. 68 Vgl. Gaedke/Diefenbach S. 106. 69 Fischer Rdn. 3; Joecks Rdn. 10; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 62 Rdn. 10; Roxin JuS 1976 505, 506 Fn. 2; Rogall SK Rdn. 2; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 3; Schorn DZgerM. 14 (1930) 372 f; v. Schwerin SeuffBl. 70 (1905) 668; Stellpflug S. 11; für Sachbeschädigung im Ergebnis auch B. Kretschmer Grabfrevel S. 379. 70 H. Bader SchwJZ 20 (1923/24) 366; Binding Lehrbuch I § 45 I; Crusen S. 31; Deutsch/Spickhoff Rdn. 609; Fischer Rdn. 4; Forkel JZ 1974 593; Hörnle MK Rdn. 8; Joecks Rdn. 3; Johnsen S. 80; Kijewski S. 64; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4; E. Merkel Leichenraub S. 7; Mittelstein GA 34 180; Müller-Hannemann S. 397 f; Rausnitz Recht 7 (1903) 594; Rogall SK Rdn. 2; Schroth BT S. 242; Seinsch S. 22. 71 VGH München NJW 2003 1618; OVG Rheinl.-Pfalz DÖV 1987 826; Gaedke/Diefenbach S. 106 f; Henne S. 4; Josef Gruchot 65 (1925) 314 f, 317; Kahl VDB III S. 63; F.-W. Koch S. 21; B. Kretschmer Grabfrevel S. 332 f; Schultheis S. 40; Tietz S. 35; diff. Bieri S. 28; v. Schwerin SeuffBl. 70 (1905) 658. 72 OLG Hamburg NStZ 2006 528, 529; VGH München NJW 2003 1618; Benda NJW 2000 1769, 1770; Bremer NVwZ 2001 167; Fischer Rdn. 4; Wetz/Tag/v. Hagens S. 73 f, 81; Thiele NVwZ 2000 405, 497; ferner Schenk S. 168; Wetz/ Tag/Tag S. 153 ff. 375
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aa) Begriff. Der Begriff erfordert, dass mit der Loslösung vom Körper in die Substanz des Körpers eingegriffen wird.73 Eine restriktive Auslegung des Merkmals mit dem Ziel, geringfügigen Substanzverlust auszuschließen, kann nicht mit dem Hinweis, das geschützte Rechtsgut lasse quantitative Abstufungen nicht zu, verneint werden.74 Nicht jegliche körperliche Substanz berühren das postmortale Persönlichkeitsrecht und den Anspruch auf die Menschenwürde wahrenden Umgang mit dem toten Körper, was im praktischen Ergebnis weithin akzeptiert ist, wie sich an der Kasuistik (Rdn. 19) zeigt. Allgemein setzt auch das Merkmal Teil des Körpers eines verstorbenen Menschen voraus, dass in seiner Gesamtheit ein menschlicher Körper noch vorhanden ist.75 Skelettreste genügen dafür nicht.76 Auch Reliquien von Märtyrern scheiden aus. Als res sacrae unterliegen sie indessen ohnehin besonderen Regeln.77
19 bb) Kasuistik. Die Kasuistik ist vielfältig, manches Ergebnis umstritten. Teile des Körpers eines verstorbenen Menschen sind zunächst Transplantate,78 denen vor allem das praktische Interesse gilt, aber auch plastinierte einzelne Organe und transparente Körperscheiben (zum Ganzkörperplastinat Rdn. 17). Ebenso fallen diejenigen dem Körper künstlich eingefügten Teile unter den Begriff, die organisch mit dem Körper verbunden sind und nicht ohne Gewalt oder Verletzung des Körpers weggenommen werden können, beispielsweise Zahnbrücken und Plomben, Knochenplastiken wie Kniescheiben, Hüftgelenke und Rippen, Luft- und Speiseröhren, als Ersatz der Schädeldecke dienende Silberplatten sowie Herzschrittmacher.79 Sie haben durch die Einbeziehung in die Körperfunktionen ihres Trägers die Sachqualität verloren und unterfallen dadurch ebenso dem besonderen Persönlichkeitsrecht am Körper wie die natürlichen Körperteile.80 Dem Körper nur angefügte Gegenstände, wie Perücken, Hörgeräte, künstliche Augen, Gebisse und sonstige Prothesen gehören dazu nicht. Sie sind Sachen geblieben, damit keine Körperteile geworden und können deshalb nach dem Tod ihres Trägers auch keine Leichenteile sein.81 Vielfach wird das dem Toten 73 B. Kretschmer Grabfrevel S. 335. 74 And. aber Dippel LK12 Rdn. 36; Roxin JuS 1976 505, 506; siehe zudem OLG Frankfurt NJW 1975 271 ff. 75 And. B. Kretschmer, der die Eigenschaft als Leichenteil gänzlich vom weiteren Schicksal der verbliebenen Leiche unabhängig erachtet, so dass als Leichenteile alle körperlichen Substrate anzusehen wären, denen das vormalige Menschsein anhaftet (Grabfrevel S. 342); ferner Funken S. 4; Laturner S. 43; Tietz S. 30. 76 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 3; and. B. Kretschmer Grabfrevel S. 342. 77 H. Schünemann S. 78. 78 Bockelmann AKlChir. 322 (1968) 50; Fischer Rdn. 5; Kiesecker S. 151; Kijewski S. 68; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Peuster MKl. 67 (1972) 683; and. v. Kress/Heinitz/v. Kress S. 7. 79 Bieri S. 73 ff; Böttcher FK 94 (4/2004) 29; Fischer Rdn. 5; Funken S. 27 f; Gaedke/Diefenbach S. 191 f; Hörnle MK Rdn. 9; Schroth BT S. 242; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 3; Stentenbach S. 87 ff; Tietz S. 61 f; Weimar JR 1979 363; mit Ausnahme von Herzschrittmachern auch Brandenburg JuS 1984 48, Görgens JR 1980 141 und Gropp JR 1985 183; and.: OLG Gera HESt. 2 296; Bringewat JA 1984 62; Joecks Rdn. 4; Kaufmann/R. Kaufmann S. 94; Lackner/ Kühl/Heger Rdn. 2; Lüthe S. 30 ff; Rudolphi Jura 1979 39, 46; Rogall SK Rdn. 2; Schorn DZgerM 14 (1930) 380. 80 Auch zivilrechtlich besteht insoweit Einigkeit, als künstliche Körperteile wie natürliche das rechtliche Schicksal des Leichnams teilen. Streitig bleibt indessen, ob der Leichnam zwar eine Sache, aber jedenfalls nicht eigentumsfähig ist mit der Folge, dass er samt den fest mit ihm verbundenen künstlichen Teilen in niemandes Eigentum steht, keinem Aneignungsrecht unterliegt und nicht vererbt werden kann. Mit dieser Auffassung würden die Erben auch an den fest mit dem Körper verbundenen oder verbunden gewesenen künstlichen Teilen kein Eigentum erlangen. Dabei ist im Detail wiederum streitig, ob Herzschrittmacher zu diesen Teilen gehören. Das bejahendenfalls auch insoweit bestehende Aneignungsrecht wird teils den totenfürsorgeberechtigten Angehörigen, teils den Erben zuerkannt. Vgl. zum Ganzen die ausführliche Darstellung der Rechtslage bei Strätz Aspekte S. 52 ff; ferner: Brandenburg JuS 1984 47 f; Bringewat JuS 1981 213 f; Eichholz NJW 1968 2272 ff; Görgens JR 1980 142 f; Gropp JR 1985 182 ff; Kallmann FamRZ 1969 272 ff; Kaufmann/R. Kaufmann S. 94 f; Knut Müller S. 73 ff; H. Schünemann insb. S. 226 ff; 279 f; v. Schwerin SeuffBl. 70 (1905) 653 ff; Weimar JR 1979 363 f. 81 Fischer Rdn. 5; Hörnle MK Rdn. 9; Kopp MedR 15 (1997) 547; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 62 Rdn. 10; Sch/ Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 3; and. Bringewat JuS 1981 213 f; Gropp JR 1985 182; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4; Otto BT Rdn. 12; Rogall SK Rdn. 2. Radtke
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für eine Blutprobe entnommene Blut als Teil des Körpers eines verstorbenen Menschen angesehen.82 Dem lässt sich jedoch entgegenhalten, dass die Blutprobe zwar ein menschliches Substrat ist, sie aber nichts Essentielles enthält, an dem eine verletzende Handlung möglich wäre, die ihre Anerkennung als Teil des Körpers eines verstorbenen Menschen zu rechtfertigen vermöchte.83 Allenfalls könnte eine Tatbestandsverwirklichung in einer allzu rohen Gewinnung der Blutprobe liegen.84 Dasselbe gilt für geringfügige Gewebeproben.85 In anderen Fällen der Entnahme von „Kleinstteilen“ kann die Grenze zum Essentiellen hin überschritten sein, so bei zu Forschungszwecken entnommenen Knochenpartikeln,86 Gehörknöchelchen, Augenhornhäuten und Hypophysen,87 wobei Art und Maß des Substanzverlustes von Fall zu Fall festzustellen sein wird.88 Noch keine Eingriffe in die Substanz des toten Körpers sind jedenfalls die Rasur, der Haarschnitt oder das Beschneiden der Fingernägel.89
cc) Dauer des Schutzes. Die Dauer des Schutzes von Teilen des toten Körpers entspricht 20 der Dauer des Schutzes des toten Körpers selbst (Rdn. 17). Er besteht daher grundsätzlich ebenfalls nur solange, wie die Integrität der Leiche, also ihre Ganzheit und Vollkommenheit, erhalten bleibt.90 Allerdings genießen nach wohl allgemeiner Empfindung Teile, die vom toten Körper losgelöst sind, grundsätzlich das Gefühl der Pietät nicht in dem gleichen hohen Ausmaß, das der Leiche selbst zuteil wird.91 Eine solche Verbindung stellt sich bei bestimmten vom toten Körper gelösten Teilen in der Regel nicht ein, so beispielsweise gegenüber Hirnhäuten, die Toten nach der Obduktion entnommenen worden sind, und die einer gesonderten Beseitigung zugeführt werden sollen.92 Da eine Leiche, die zum Skelett geworden ist, keine Integrität mehr besitzt (Rdn. 17), fällt auch die Wegnahme von Skeletteilen nicht unter den Tatbestand.93 Dasselbe gilt für die Aneignung von dem früheren toten Körper zugehörigen künstlichen Teilen, die beim Ausheben aufgelassener Gräber oder bei anderer Gelegenheit weggenommen werden, beispielsweise das Ausbrechen von Goldplomben eines aus einem aufgelassenen Grab stammenden skelettierten Kiefers,94 es sei denn, der Friedhofsträger hätte generell ausgesprochen, dass er sich den Inhalt der Gräber, soweit er herrenlos ist, bei der Auflassung der Gräber aneigne.95
82 OLG Frankfurt NJW 1975 271, 272 mit zust. Anm. Martens NJW 1975 1668 = JZ 1975 391 mit zust. Anm. Geilen = BA 14 (1977) 374; mit zust. Anm. Brackmann; Bespr. Roxin JuS 1976 505 und Blei JA 1975 69, 1975 14 (zu Geilen JZ 1975 380); 1976 167 (zu Roxin JuS 1976 505); Fischer Rdn. 4; Grebing GA 1979 96; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Rogall SK Rdn. 2; Stentenbach S. 13 f. 83 B. Kretschmer Grabfrevel S. 335; im Ergebnis ebenso Maurach/Schroeder/Maiwald II § 62 Rdn. 10; Sch/Schröder/ Bosch/Schittenhelm Rdn. 3. 84 B. Kretschmer Grabfrevel S. 335. 85 Hörnle MK Rdn. 9; Kohlhaas DMW 89 (1964) 1604; 93 (1968) 1612 (Hautteile); Kijewski S. 67; B. Kretschmer Grabfrevel S. 335; and. KG NJW 1990 782, 783; Rogall SK Rdn. 2; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 3. 86 Roxin JuS 1976 505, 506 Fn. 8. 87 Hörnle MK Rdn. 9; Kopp MedR 15 (1997) 544; B. Kretschmer Grabfrevel S. 336 Fn. 82; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Rogall SK Rdn. 7. 88 B. Kretschmer Grabfrevel S. 336. 89 B. Kretschmer Grabfrevel S. 336; Roxin JuS 1976 505, 506. 90 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 3. 91 Vgl. Stübinger NK Rdn. 1 und § 167a Rdn. 1. 92 AG Berlin-Tiergarten NJW 1996 3092 mit abl. Anm. Schmeissner/Wolfslast NStZ 1997 548; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; and. Rogall, der den Schutz erst entfallen lassen will, wenn die Leichenteile befugtermaßen zu Objekten des Rechtsverkehrs gemacht worden sind (SK Rdn. 2). 93 Herzog NK4 Rdn. 6. 94 Heimann-Trosien LK9 Rdn. 7 gegen Jagusch LK8 Anm. 1b; vgl. dazu auch die zivilrechtliche Sicht bei LG Köln MDR 1948 365 und Dotterweich JR 1953 174; and. Gaedke/Diefenbach S. 191. 95 Böttcher FK 94 (4/2004) 30. 377
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21 c) Tote Leibesfrucht und Teile einer solchen. Die Erstreckung des Strafschutzes auf die tote Leibesfrucht96 und Teile einer solchen ist die strafrechtliche Konsequenz aus der (überzeugenden) Auffassung, dass Embryonen und Föten selbst als Träger von Menschenwürde im Sinne des Art. 1 Abs. 1 GG durch die Werteordnung des Grundgesetzes geschützt sind (vgl. BVerfGE 39 1, 41), die sich schon an die Befruchtung der Eizelle, mit der, biologisch gesehen, die Schwangerschaft beginnt, knüpft.97 Gleichwohl setzt nach überwiegender strafrechtlicher Auffassung die Menschenwürde nicht schon in der Progestationsphase, sondern erst mit dem Abschluss der Einnistung der befruchteten menschlichen Eizelle in die Gebärmutter der Frau, der Nidation,98 ein,99 weil erst mit ihr das individuelle, in seiner genetischen Identität und damit in seiner Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit bereits festgelegte, nicht mehr teilbare Leben beginnt100 und der Prozess des Wachsens und Sichentfaltens (BVerfGE 88 203, 252) verlässlich auf den Weg kommt.101 Diese Sicht mag auch damit zusammenhängen, dass vom mütterlichen Organismus her betrachtet in der mit der Nidation einsetzenden Gestationsphase die eigentliche Schwangerschaft beginnt. Praktisch hat die Unterscheidung keine Bedeutung, weil eine Entnahme der Eizelle schon in der Progestationsphase zwar denkbar ist, aber wohl kaum vorzukommen scheint.102 Wie die Menschenwürde des geborenen Menschen über den Tod hinaus fortwirkt (BVerfGE 30 173, 194), setzt sich auch die der toten Leibesfrucht und ihrer Teile fort.103 Mit der Erweiterung von Abs. 1 Var. 1 ist insofern eine Strafbarkeitslücke entstanden, als die Rechtsprechung tote Leibesfrüchte, jedenfalls im Frühstadium, nicht als Leichen ansieht. Immerhin erfasst aber der Strafschutz nunmehr über den bis zu drei Monaten alten Embryo hinaus auch den danach bestehenden Fötus. Vor der Nidation muss eine Schwangerschaft im Sinne eines symbiotischen Verhältnisses von Embryo und werdender Mutter bestanden haben.104 Deshalb fallen durch extrakorporale Befruchtung entstandene Embryonen nicht unter den Begriff; sie nehmen erst durch ihre Implantation am Strafschutz der § 168 Abs. 1 Var. 1, § 218 teil (BTDrucks. 10/6568 S. 3).105 Bis dahin sind sie ohne strafrechtlichen Schutz. Das Embryonenschutzgesetz erfasst nur lebende Embryonen. Allerdings bleibt die befruchtete Eizelle auch extrakorporal durch das Persönlichkeitsrecht der Mutter gebunden, die deshalb Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche geltend machen kann.106
22 d) Asche eines Verstorbenen. Asche eines Verstorbenen sind die Verbrennungsreste seines Körpers, auch wenn sie nicht vollständig sind.107 Zur Asche gehören auch organisch mit dem Körper fest verbunden gewesene nicht fremde Bestandteile (Rdn. 15), soweit sie nicht verbrenn96 Bemerkenswert erscheint, dass der Begriff der Leibesfrucht, den die Reform des § 218 bewusst nicht mehr verwendet hat, hier in das Strafrecht zurückgekehrt ist (Maurach/Schroeder/Maiwald II § 62 Rdn. 11). 97 Coester-Waltjen FS Gernhuber 845; Stern III/1 S. 1057. 98 Vgl. zur Nidation Kröger LK12 § 218 Rdn. 2; siehe auch Fischer § 218 Rdn. 8; Lackner/Kühl/Kühl § 218 Rdn. 8; Sch/ Schröder/Eser/Weißer § 218 Rdn. 6, 10 f. 99 BVerfGE 39 1, 41; 88 203, 252; Fischer Rdn. 5; Frommel KritJ 35 (2002) 412; Schweidler/Neumann/Brysch/Knoepffler S. 247; Maurach/Schröder/Maiwald II § 62 Rdn. 11; Rogall SK Rdn. 2; Roxin/Schroth/Schroth3 S. 452; Sch/Schröder/ Bosch/Schittenhelm Rdn. 3; ferner BTDrucks. 10/3758 S. 4; 10/6568 S. 4; and. Böckenförde JZ 2003 812; Schenk S. 12 ff, 205 f. 100 Schweidler/Neumann/Brysch/Knoepffler S. 243 ff. 101 Schlink S. 14. 102 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 3. 103 So etwa Gropp GA 2000 6; Harks NJW 2002 717; Spranger MedR 17 (1999) 210, 211; vgl. aber auch Zuck NJW 2000 869. Ob Embryonen und Föten als ungeborene Menschen darüber hinaus aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ein eigenes Lebensrecht besitzen, ist umstritten (s. etwa die Kontroverse von Weiß JR 1992 182 und Hoerster JR 1995 51. 104 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 3 unter Hinweis auf Eser BTRAussch. 13/70 Anl. S. 16. 105 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 3. 106 H. Schünemann S. 287. 107 Fischer Rdn. 7; Hörnle MK Rdn. 11; Rogall SK Rdn. 2; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 3. Radtke
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II. Der objektive Tatbestand von Absatz 1 Variante 1
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bar sind.108 Die Tathandlung dürfte sich der Sache nach gegen die aschegefüllte Urne richten. Bei der Asche tritt eine Beendigung des Schutzes, wie ihn beim Körper eines verstorbenen Menschen der Verwesungsprozess bewirkt (Rdn. 17), nicht ein. Daher wird die Asche eines Verstorbenen gewöhnlich länger geschützt sein, als es sein Körper gewesen wäre. Es gibt keinen Anhalt dafür, dass das Gesetz mit der Ausdehnung des Strafschutzes auf die Asche eines Verstorbenen das Recht, wie es für Leichen besteht, verändern oder die Asche entgegen ihrer natürlichen Beschaffenheit der rechtlichen Beurteilung von Leichen hat gleichsetzen wollen. Es dürfte daher ungeachtet des fehlenden Verwesungsprozesses von einer mit Zeitablauf grundsätzlich nachlassenden Bedeutung des Würdeanspruchs auszugehen sein. Tathandlungen an der Asche von Verstorbenen nach einem Zeitraum, dessen Dauer sich an derjenigen bemisst, die bei Leichen regelmäßig Verwesung herbeiführt, werden daher grundsätzlich nicht mehr tatbestandsmäßig sein.
2. Tathandlung – Wegnahme Die Tathandlung besteht in der (unbefugten) Wegnahme des Körpers oder von Teilen des Kör- 23 pers eines verstorbenen Menschen, einer toten Leibesfrucht oder von Teilen einer solchen oder der Asche eines verstorbenen Menschen aus dem Gewahrsam des Berechtigten. Wegnahme ist hier der Bruch des Gewahrsams, ohne dass im Unterschied zu § 242 (vgl. Vogel LK12 § 242 Rdn. 48 ff) notwendigerweise neuer Gewahrsam begründet werden muss (allgM; näher Rdn. 34).109 Das folgt aus dem Sinn der Vorschrift; denn für die Beeinträchtigung des Rechtsguts durch das tatbestandsmäßige Verhalten macht es keinen Unterschied, ob der Täter die Leiche in einen anderen Gewahrsam bringt oder es bei dem bestehenden Gewahrsam belässt. Ebenso wie bei § 242 setzt die Aufhebung des Gewahrsams begrifflich jedoch ein Handeln gegen oder ohne Willen des zum Gewahrsam Berechtigten, der tatsächlich auch den Gewahrsam ausübt (näher Rdn. 26), voraus.110 Mit dem Erfordernis der Wegnahme weist § 168 Abs. 1 Var. 1 eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Diebstahlstatbestand auf. Daraus ergeben sich Gemeinsamkeiten beider Tatbestände, aber auch dogmatische Probleme, die zu einer gewissen Schutzlosigkeit des Berechtigten gegenüber dem tatsächlichen Inhaber des Gewahrsams bei Personenverschiedenheit (im Einzelnen näher Rdn. 29 bis 33) führen. Dem Merkmal „unbefugt“ kommt auf Tatbestandsebene keine eigene Bedeutung zu, es verweist – in der Sache überflüssig – allein auf die allgemeine Rechtswidrigkeit (Rdn. 72) der Tat (allgM).111 Die – in § 242 so nicht vorhandene – Verknüpfung von Berechtigung und Gewahrsam112 wirft nicht immer ganz leicht zu lösende Probleme bei der Auslegung und Anwendung von Abs. 1 Var 1 auf (näher Rdn. 24 ff). Zustimmungserklärungen unterschiedlicher Erklärender zur Wegnahme kommt unterschiedliche Bedeutung zu. Erklärt der berechtigte Gewahrsamsinhaber seine Zustimmung, handelt es sich regelmäßig um ein den Tatbestand der Wegnahme ausschließendes Einverständnis (Rdn. 35). Die prämortal vom später Verstorbenen erteilte (wirksame) Zustimmung zur postmortalen Wegnahme wirkt abweichend dagegen – jedenfalls in Konstellationen der Organtransplantation (vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG) und bei Einhalten der sonstigen dort maßgeblichen Voraussetzungen – als Rechtfertigungsgrund (Rdn. 76). Das bedeutet jedoch nicht, dass prämortalen Einwilli-
108 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4. 109 RGSt 28 139; BayObLG NJW 1981 1745, 1746; Fischer Rdn. 8; Hörnle Rdn. 16; Joecks Rdn. 5; Kijewski S. 97; G. Koch S. 302; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; Lüthe S. 37; Otto Jura 1992 667 f; BT § 64 Rdn. 13; Rogall SK Rdn. 6; Sch/ Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4; Stellpflug S. 19. 110 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4. 111 Hörnle MK Rdn. 30; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6. 112 Gewahrsam im Sinne von § 242 setzt nicht voraus, dass dieser rechtmäßig begründet wurde, siehe nur Lackner/ Kühl/Kühl § 242 Rdn. 12 m. w. N. 379
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gungen des später Verstorbenen auch außerhalb der Organtransplantation stets Rechtswirkungen entfalten (Rdn. 4 f und 84).
24 a) Begriff. Der Begriff Gewahrsam in Abs. 1 Var. 1 (Doppelmerkmal Gewahrsam des Berechtigten) ist umstritten.
aa) Rechtliche Ausgangslage. Einigkeit besteht immerhin im rechtlichen Ausgangspunkt. Gewahrsam ist an sich im Sinne der tatsächlichen Herrschaftsbeziehung zu verstehen, wie sie den §§ 242, 246 zugrunde liegt. Den Körper eines verstorbenen Menschen als Gegenstand einer solchen Herrschaftsbeziehung zu deuten, wird jedoch dem postmortalen Achtungs- und Würdeanspruch schwerlich gerecht.113 Gewahrsam im Sinne von § 168 Abs. 1 Var. 1 kann daher nicht völlig mit dem (Sach)Gewahrsam der §§ 242, 246 gleichgesetzt werden. Gemeint ist in § 168 die Obhut über die Leiche im Sinne eines Aufsichts- oder Bewachungsverhältnisses.114 Umstritten ist, ob daraus folgt, dass der Begriff als rein normatives Merkmal im Sinne eines Obhutsrechts, das tatsächlich auch von anderen ausgeübt werden kann, zu verstehen ist, oder zum Gewahrsamsbegriff stets ein Moment der Faktizität im Sinne eines tatsächlichen Obhutsverhältnisses gehört (näher Rdn. 25 f). Die Kontroverse dürfte ihre Ursachen vor allem bei der Beurteilung von Organtransplantationen vor dem Inkrafttreten des Transplantationgesetzes gehabt haben115 und hat mit dessen Geltung zumindest an praktischer Bedeutung verloren.
25 bb) Obhutsrecht. Vor dem Rdn. 24 angedeuteten Hintergrund stellt eine Auffassung allein auf ein von einem tatsächlichen Aufsichts- und Bewachungsverhältnis verschiedenes (tatsächliches) Obhutsrecht der Berechtigten ab,116 indem sie das Rechtsgut der „humanitären Pietät“ (Hanack StG 23 [1970] 434) als obersten Orientierungspunkt der Auslegung nimmt.117 Dogmatisch versteht sie das Doppelmerkmal „Gewahrsam des Berechtigten“ als eine begriffliche Einheit zur Kennzeichnung des geschützten Obhutsverhältnisses des Berechtigten zu dem Leichnam (vgl. v. Bubnoff GA 1968 65, 72).118 Da die Angehörigen primär obhutsberechtigt sind (vgl. Rdn. 27), wäre ihr tatsächliches Obhutsrecht gegenüber dem der anderen Berechtigten vorrangig,119 woraus sich beispielsweise ergäbe, dass diese den Gewahrsam auch dann für die in Betracht kommenden Angehörigen ausüben, wenn die Leiche, etwa nach einem tödlichen Unfall oder beim Ableben in einer Klinik, zunächst ohne deren Wissen in ihre Obhut gerät.120 Das praktisch bedeutsamste Ergebnis dieser Auslegung bestünde darin, zu vermeiden, dass es beispielsweise einen Unterschied mache, ob die Entnahme von Körperteilen oder Organen in der
113 Ähnlich Geilen JZ 1971 41, 43; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6. 114 In diesem Sinne z. B. Fischer Rdn. 8; Hörnle MK Rdn. 13; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 62 Rdn. 12; H. Otto Jura 1992 667; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6.
115 Exemplarisch dafür die Erwägungen v. Bubnoff’s GA 1968 65, 71–73. 116 v. Bubnoff GA 1968 68, 71 f; Fischer Rdn. 8; Forkel JZ 1974 596; Grahlmann S. 62; Gribbohm JuS 1971 201 f; Hanack DÄBl. 66 (1969) 1330 f; StG 23 (1970) 434; Kallmann FamRZ 1969 575; G. Koch S. 304; Kopp MedR 15 (1997) 547; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 62 Rdn. 12; Stellpflug S. 17; Sternberg-Lieben NJW 1987 2062; Welzel Strafrecht § 65 IV 1; aus der Rechtsprechung KG NJW 1990 782; OLG Koblenz NStE § 168 Nr. 2. 117 Exemplarisch v.Bubnoff GA 1968 65, 72. 118 Zu Bedenken gegen diese Auslegung aus dem Analogieverbot: Bockelmann Arztstrafrecht S. 106; Geilen JZ 1971 43 f; Gribbohm JuS 1971 201; F. Klein KD 25 (1952) 297; Korthals S. 113 f; Knut Müller S. 80; Roxin JuS 1976 505, 507. 119 Penning/Liebhardt FS Spann 446. 120 Hanack DÄBl. 66 (1969) 1330 f. Radtke
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II. Der objektive Tatbestand von Absatz 1 Variante 1
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Klinik oder außerhalb der Klinik (Wohnung, Leichenhalle) durchgeführt werde.121 Zu einer aktuell nicht mehr vertreten Deutung des Doppelmerkmals „Gewahrsam des Berechtigten“ als rein normatives Obhutsrecht siehe näher Dippel LK12 Rdn. 45 m. w. N.
cc) tatsächlicher Gewahrsam. Für die zutreffende Gegenansicht, dass der Berechtigte tat- 26 sächlich Gewahrsam haben muss, spricht entscheidend der Gesetzeswortlaut. Aus ihm ergibt sich die selbständige kumulative Bedeutung des Gewahrsams und damit die Notwendigkeit einer zusätzlichen faktischen Komponente.122 Die Einwand, der Wortlaut könne auch anders verstanden werden, wie sich an den Motiven zu dem mit Abs. 1 Var. 1 im Wortlaut gleichen § 137 des Preuß. StGB von 1851 zeige, wo es heißt, unter den Tatbestand solle „auch die Wegnahme von Leichen, oder von Theilen derselben lediglich zu wissenschaftlichen Zwecken, also durch Aerzte, Anatomen usw.“123 fallen,124 trägt nicht. Dass der Gesetzgeber des Strafgesetzbuchs selbst die „teleologische Umformung des Gewahrsams“ (Geilen JZ 1975 379, 381) in dem dargestellten Sinn vorgenommen hat, kann mit der Entstehungsgeschichte der vergleichbaren Vorschrift des Preuß. StGB ersichtlich nicht belegt werden.125 Umgekehrt lässt sich aus dem Verhalten des Gesetzgebers des StGB schließen, dass er die Ausgestaltung des Tatbestandes als tatsächliches Obhutsverhältnis gebilligt hat, weil ihm bei der Erweiterung der Strafbarkeit durch das Dritte Strafrechtsänderungsgesetz die Problematik zumindest im Hinblick auf die Leichensektion bekannt war.126 Spätestens seit der Neufassung der Vorschrift durch das Vierundzwanzigste Strafrechtsänderungsgesetz ist diese Billigung als gewiss anzunehmen.127
121 Vgl. v. Bubnoff GA 1968 65, 72; siehe auch den Änderungsvorschlag des E 62, der in Anlehnung an die entsprechende Regelung des Schweizerischen Strafgesetzbuchs erreichen wollte, dass der Angehörige eines Verstorbenen, der den Leichnam z. B. ohne Einwilligung der Krankenhausverwaltung aus deren Gewahrsam wegnimmt, künftig von der Vorschrift nicht mehr erfasst werde, hingegen derjenige, der unbefugt den Leichnam einem Dieb wegnimmt, im Gegensatz zum geltenden Recht in Zukunft unter den Tatbestand falle (Begr. S. 44, 346). 122 So insb. BVerfG NJW 2002 2861, 2862; OLG Frankfurt NJW 1975 271 mit zust. Anm. Martens NJW 1975 1668 = JZ 1975 379 mit zust. Anm. Geilen = BA 14 (1977) 347 mit zust. Anm. Brackmann, sowie Bespr. Roxin JuS 1976 505 und Blei JA 1975 69, 1975 142 (zu Geilen JZ 1975 380) und 1976 167 (zu Roxin JuS 1976 505); KG NJW 1990 782; OLG Karlsruhe Justiz 1977 313; OLG München NJW 1976 1805 mit zust. Anm. Linck NJW 1976 2310; OLG Stuttgart Justiz 1977 313; OLG Zweibrücken JR 1992 412 mit zust. Anm. Laubenthal; Geilen JZ 1971 43; Heifer/Pluisch RechtsM 1 (1991) 78 f; Korthals S. 113 f; Otto BT § 64 Rdn. 13; Roxin JuS 1976 505, 507; Rogall SK Rdn. 8; and. Lüth, nach dessen Auffassung die als tatsächliche Obhut definierte Beziehung zwischen Totenfürsorgeberechtigten und Leichnam die der faktischen Schutzmöglichkeit sei, wobei die tatsächliche Obhut sowohl die aktuelle als auch die potentielle Schutzmöglichkeit beinhalten müsse (S. 93). 123 Goltdammer S. 273 unter Hinweis auf Ständ. Ausschuß III, S. 345, 346 und Revision III, S. 14. 124 Maurach/Schroeder/Maiwald II § 62 Rdn. 12. 125 Eine ausführliche Normgenese namentlich an Hand der Rechtstatsachen, die vermutlich zur Abkehr von der seit dem Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 in allen Partikulargesetzbüchern und zunächst auch noch in den Entwürfen zum preußischen Strafgesetzbuch enthaltenen pauschalen Erfassung der Entwendung von Leichen geführt haben, findet sich bei B. Kretschmer Grabfrevel S. 255 f. Den für den Verlust des Leichnams als selbständiges Angriffsobjekt gewonnenen berechtigten Gewahrsam an der Leiche bezeichnet Binding als „Ersatz zweifelhafter Güte und Bedeutung“ (Lehrbuch I S. 184). 126 Geilen JZ 1971 41, 44. 127 Als Vertreter dieser Auffassung sind zu nennen: Bieler JR 1976 227; Bockelmann Arztstrafrecht S. 106 f; AKlChir. 322 (1968) 51 f; Bode ZPath. 86 (1950) 370; Mergen/Brenner S. 131; Largiadèr/Bucher/Louisell S. 135 (unter Hinweis auf die entsprechende Auslegung der den gleichen normativen Gehalt aufweisenden Bestimmung des Art. 262 Nr. 2 SchwStGB); Czerner ZStW 115 (2003) 96; Diettrich S. 24; Engisch Chir. 38 (1967) 252 f; Fischer Rdn. 8; Geilen JZ 1971 43 f; Heifer/Pluisch RechtsM 1 (1991) 78 f; v. Kress/Heinitz S. 23; Hoernle MK Rdn. 14; Joecks Rdn. 5; G. Kaiser MKl. 62 (1967) 647; Kiesecker S. 151 f; Kijewski S. 79; Kohlhaas Recht S. 114 f; Korthals S. 113 f; Laufs VersR 23 (1972) 8 Fn. 54; Knut Müller S. 89; Pawlowski S. 82 ff; Penning-Liebhardt FS Spann 446; Blaha/Gutjahr-Löser/Niebler/Roxin S. 101; JuS 1976 505, 507; Rogall SK Rdn. 3; Rüping GA 1977 303; 1978 130; Ziegler/Samson S. 29 f; H.-L. Schreiber Int. 51 381
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27 dd) Gewahrsam vor der Bestattung. Wer den Gewahrsam an dem Körper eines verstorbenen Menschen in der Zeit vor der Bestattung hat, hängt, weil das den Gewahrsam ausmachende Obhutsverhältnis nicht ohne weiteres mit dem Tod entsteht, sondern ein Moment der Faktizität hinzukommen muss (Rdn. 26), von den jeweiligen tatsächlichen Gegebenheiten ab. Inhaber des Gewahrsams sind die Angehörigen, wenn der Leichnam in deren Haus verwahrt wird oder in der Leichenhalle aufgebahrt ist.128 Kennen die Angehörigen, wie vielfach bei tödlichen Unfällen, den Aufenthaltsort des verstorbenen Familienmitglieds nicht, erlangen sie keinen Gewahrsam;129 er liegt zunächst bei denen, die zufällig Gewahrsamsinhaber werden, das sind meist die Polizei, Rettungseinrichtungen und Krankenhäuser.130 Befindet sich die Leiche im Herrschaftsbereich eines Krankenhauses, hat dessen Leiter den ausschließlichen Gewahrsam, so dass die durch ihn autorisierte Wegnahme von Teilen solcher Leichen nicht tatbestandsmäßig ist.131 Auch ihm gegenüber kann, etwa bei der Entnahme eines Leichenteils durch nicht autorisiertes Krankenhauspersonal, beispielsweise Sektionsgehilfen, die eigenmächtig Leichenteile verkaufen,132 eine Wegnahme möglich sein, weil er zugleich Berechtigter ist (vgl. Rdn. 29). Die Angehörigen erlangen hier den Gewahrsam nicht schon mit der Nachricht des Krankenhauses, die verstorbene Person könne abgeholt werden, sondern erst dann, wenn die Leiche an sie oder ein von ihnen beauftragtes Bestattungsinstitut herausgegeben wird.133 Gewahrsam an der Leibesfrucht, bei der eine Gleichsetzung des Begriffs mit dem Obhutsrecht der Angehörigen von vornherein ausscheidet (vgl. Rdn. 26), hat, wenn der Schwangerschaftsabbruch oder die Fehlgeburt, was zumeist der Fall ist, in einem Krankenhaus stattfinden, allein dessen Leiter, so dass beispielsweise ein von ihm zu verantwortender Handel mit toten Föten nicht nach Abs. 1 Var. 1 tatbestandsmäßig ist.134
(1974) 251; FS Klug 346; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6; Siegrist MMW 111 (1969) 745 (zu Art. 262 Nr. 2 SchwStGB); Spann/Liebhardt MMW 109 (1967) 673; Tag FS Laufs 1088; Trockel Rechtswidrigkeit S. 29 f; MDR 1969 812; Laufs/Ulsenheimer Rdn. 10; Arztstrafrecht Rdn. 305; Weinrich/Wolfslast FreundesG Kreuzer 324. Ihnen folgt ganz überwiegend die Rechtsprechung: OLG Frankfurt NJW 1975 271; OLG Karlsruhe Justiz 1977 313; OLG München NJW 1976 1805 mit zust. Anm. Linck NJW 1976 2310; OLG Hamburg GA 73 72; OLG Stuttgart Justiz 1977 313; OLG Zweibrücken JR 1992 412 mit zust. Anm. Laubenthal. 128 OLG Frankfurt NJW 1975 271; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6; Stentenbach S. 65. 129 Fischer Rdn. 8; Roxin JuS 1976 505, 507; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6; and. bei der Annahme eines vorgelagerten tatsächlichen Obhutsrechts der Angehörigen (Rdn. 25). 130 vgl. Fischer Rdn. 8; Stentenbach S. 68. 131 OLG München NJW 1976 1805 mit zust. Anm. Linck; OLG Stuttgart Justiz 1977 313; OLG Zweibrücken JR 1992 212 mit zust. Anm. Laubenthal; Bockelmann Arztstrafrecht S. 105 f; Geilen JZ 1971 43; v. Kress/Heinitz S. 23; Kohlhaas NJW 1967 1491; B. Kretschmer Grabfrevel S. 512 f; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4; Penning/Liebhardt FS Spann 448; Rixen ZRP 2001 375; Roxin JuS 1976 505, 506; Rogall SK Rdn. 3; Bondolfi/Kostka/Seelmann/Rüping S. 111; GA 1977 303; Stellpflug S. 62; Stentenbach S. 66, 72 f; Trockel Rechtswidrigkeit S. 29 f; bei Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm findet sich im Hinblick auf die, auch in der Rechtsprechung vertretene, gegenteilige Auslegung des Begriffs Gewahrsam des Berechtigten, nach der Gewahrsamsinhaber auch in diesen Fällen die Angehörigen sind und die Wegnahme daher den Tatbestand erfüllt, der Vorschlag, bei einer ohne ihre Einwilligung vorgenommenen Obduktion einen unvermeidbaren Verbotsirrtum anzunehmen (Rdn. 14 im Anschluss an OLG Koblenz NStE § 168 Nr. 2, das die Entscheidung der Rechtsfrage offen gelassen hat, weil der Angeklagte mangels Unrechtsbewusstseins jedenfalls nicht schuldhaft gehandelt habe). 132 Bondolfi/Kostka/Seelmann/Rüping S. 111. 133 OLG München NJW 1976 1805 mit zust. Anm. Linck; OLG Stuttgart Justiz 1977 313; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 62 Rdn. 12; zw. Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6; and. Kijewski S. 81 (bereits mit der Todesnachricht); KG NJW 1990 782 (durch die Mitteilung des Krankenhausarztes, die verstorbene Person könne abgeholt werden); Müller-Hannemann S. 356 f; siehe auch Fischer Rdn. 8. 134 Otto BT § 64 Rdn. 14; vgl. auch BVerfG NJW 2002 2861, 2862; ferner BTDrucks. 10/3758 S. 4; 10/6556 S. 3. Radtke
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ee) Gewahrsam nach der Bestattung. Gewahrsam an dem geschützten Körper des Verstor- 28 benem und Gleichgestelltem hat nach der Bestattung der Inhaber der Grabstelle,135 nicht der Eigentümer136 oder Mieter des Begräbnisplatzes (strg.). Bei öffentlichen Friedhöfen steht kraft ihres übergeordneten Herrschaftsverhältnisses Gewahrsam auch der Friedhofsverwaltung zu. Vom Reichsgericht ist in einer frühen Entscheidung allerdings die Auffassung vertreten worden, der Gewahrsam liege allein bei der Friedhofsverwaltung (RGSt 28 139, 140).137 Dem sind weitere Gerichte gefolgt;138 auch Stimmen in der Literatur haben sich dem angeschlossen.139 Trotz der Beschränkung des Verfügungsrechts des Inhabers der Grabstelle durch die für den betreffenden Friedhof geltende Benutzungsordnung (vgl. LG Hamburg NStZ 1982 511, 512) sind allerdings keine durchschlagenden Gründe dafür erkennbar, den durch ihn vor der Bestattung an der Leiche innegehabten Gewahrsam mit der Bestattung der Leiche enden zu lassen.
b) Berechtigter. Der Berechtigte muss den Gewahrsam an den weggenommenen Schutzobjek- 29 ten gehabt haben. aa) Totenfürsorgerecht. Grundsätzlich ist, soweit es sich um sterbliche menschliche Überreste handelt,140 bis zur Bestattung Berechtigter, wem das Totenfürsorgerecht141 zusteht. Die Berechtigung zum Gewahrsam ist allerdings von der Frage des tatsächlichen Gewahrsams- und Obhutsverhältnisses zu trennen (vgl. Rdn. 26).142 Das Merkmal bezweckt, die Tathandlung von der Wegnahme aus dem Gewahrsam Unberechtigter, derjenigen etwa, die durch eine Straftat die Herrschaft über den geschützten Gegenstand erlangt haben, abzugrenzen.143 Die Entziehung des Schutzobjekts aus solchem Gewahrsam ist nicht tatbestandsmäßig. Anders liegt es bei den Zufallsgewahrsamsinhabern (vgl. Rdn. 27). Solange sie zum Gewahrsam berechtigt sind, ist nur ihnen gegenüber eine tatbestandliche Wegnahme möglich.144 Insbesondere gilt dies für den Leiter des Krankenhauses, solange sich die Leiche in seinem Herrschaftsbereich befindet. Würde er nicht als Berechtigter angesehen, wären, soweit nicht die Strafvorschrift § 19 TPG eingreift, Organentnahmen durch nicht autorisiertes Krankenhauspersonal (vgl. Rdn. 27) ebenfalls nicht tatbestandsmäßig. Allerdings besteht eine Lücke im Strafschutz durch Abs. 1 Var. 1 insofern, als ein rechtsgutverletzender Umgang des Zufallsgewahrsamsinhabers selbst nicht erfasst wird.145 135 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6; Stentenbach S. 67. 136 Zu den Eigentumsverhältnissen an Friedhöfen E. Fischer Trennung S. 160 ff; Gaedke/Diefenbach S. 19 ff; Gareis SeuffBl. 70 (1905) 309 f. 137 And. Gareis SeuffBl. 70 (1905) 316 der meint, das Verfügungsrecht über die Leiche müsse auch nach der Beerdigung bei den totenfürsorgeberechtigten Angehörigen bleiben. 138 OLG Hamburg JW 1912 540, 541; LG Hamburg NStZ 1982 511, 512. 139 Z. B. Bockelmann Arztstrafrecht S. 122 Fn. 32; Kijewski S. 85; Rogall SK Rdn. 4; Schorn DZgerM 14 (1930) 366 f; bei Fischer wird zusätzlich die Friedhofsverwaltung genannt, dabei aber der Friedhofswärter und der Totengräber ausgeschlossen (Rdn. 9); Stellpflug hingegen führt in erster Linie die Friedhofsverwaltung an (S. 17). 140 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6; Stentenbach S. 61. 141 Vielfach wird statt dieses Begriffs die Bezeichnung Totensorge verwendet, beispielsweise deshalb, um die Parallele zum familienrechtlichen Begriff Personensorge zum Ausdruck zu bringen (so Trockel Rechtswidrigkeit S. 99). 142 Vgl. Fischer Rdn. 9. 143 Stellpflug S. 19. 144 Fischer Rdn. 10; P. König Organhandel S. 74 f; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4; Knut Müller S. 88; Rogall SK Rdn. 3; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6. 145 Fischer Rdn. 10; dem kann lediglich de lege ferenda begenet werden, ein Vorschlag findet sich bei Freund ZStW 109 (1997) 455, 486 dahingehend, als tatbestandsmäßiges Verhalten unter Strafe zu stellen, dass das Schutzobjekt dem Totenfürsorgeberechtigten (unter Verzicht auf das Gewahrsamserfordernis) entzogen wird. 383
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Nach der Bestattung ist, wie beim Gewahrsam (Rdn. 28), Berechtigter der Inhaber der Grabstelle, mitberechtigt die Friedhofsverwaltung. Bei toten Leibesfrüchten, die als Tot- oder Fehlgeburten zu bestatten sind oder noch bestattet werden können (vgl. § 167a Rdn. 16), wird primär derjenige Berechtigter sein, der es im Falle der Lebendgeburt gewesen wäre. Anders liegt es bei toten Leibesfrüchten, die nicht bestattungsfähig sind. Hier ist Berechtigter, wer entsprechend den Vorschriften der Bestattungsgesetze für ihre hygienisch einwandfreie, mit dem sittlichen Empfinden im Einklang stehende Beseitigung zu sorgen hat,146 bei klinischem Fruchtabgang in der Regel der Leiter des Krankenhauses.
30 bb) Herleitung des Rechts. Die rechtliche Herleitung des Totenfürsorgerechts ist unklar. Da es persönlichkeitsrechtlich geprägt ist, weist es Parallelen zum Erbrecht auf, hat, weil sittliche Pflichten berührt werden, auch familienrechtliche Bezüge jedenfalls insoweit, wie sie auch im Erbrecht relevant sind, während sachenrechtliche Gesichtspunkte ausscheiden.147 Gesetzliche Bestimmungen, die eine Anerkennung des Totenfürsorgerechts enthielten, gibt es indessen weder im Erbrecht noch im Familienrecht.148 Auch andere Rechtsgebiete enthalten keine entsprechenden Vorschriften. Daher wird angenommen, dass das Totenfürsorgerecht sich gewohnheitsrechtlich aufgrund der Volkssitten und -gebräuche herausgebildet hat.149 Jedenfalls ist es allgemein anerkannt und gilt als absolutes Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB.150 Eine Totenfürsorgepflicht lässt sich daraus jedoch nicht begründen. Sie müsste schließlich gegenüber Totenfürsorgeberechtigten, die sich, aus welchen Gründen auch immer, verweigern, durchsetzbar sein. So bleibt eine auf der Wirkung der Persönlichkeitsanerkennung beruhende moralische Pflicht der Berechtigten.151 Ebenfalls kaum geklärt aber nicht ohne praktische Bedeutung ist, ob die Entscheidungsbefugnis der Totenfürsorgeberechtigten ein eigenes, eine Bindung an eventuelle Vorgaben des Verstorbenen ausschließendes Recht darstellt, oder ob sie lediglich treuhänderisch ein über den Tod fortwirkendes Persönlichkeitsrecht des Verstorbenen ausüben. Gegen ein unbeschränktes eigenes Recht sprechen gesetzliche Vorgaben, die sie – jedenfalls bereichsspezifisch – zur Berücksichtigung des mutmaßlichen Willens des Verstorbenen verpflichten. Signifikantes Beispiel dafür ist die Regelung der Voraussetzungen, unter denen bei mangelnder Einwilligung, aber auch fehlendem Widerspruch, des toten Spenders die Organentnahme durch die Zustimmung des nächsten Angehörigen zulässig wird (§ 4 Abs. 1 und 2 TPG). Zu einer eigenen, ethisch verantwortlichen Entscheidung im Rahmen des Totenfürsorgerechts ist der nächste Angehörige nur berufen, wenn Anhaltspunkte für einen bestimmten mutmaßlichen Willen des toten Spenders fehlen,152 wodurch sich die Bindung an den mutmaßlichen Willen des Verstorbe146 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 5. 147 Ausführlich zum Ganzen Schenk S. 66 ff; Strätz Aspekte S. 16 ff, zusf. S. 65 f; ferner: V. Albrecht S. 39; Bieler JR 1976 226 f; v. Blume AcP 112 (1914) 385 f; J. Brunner NJW 1953 1173; Dettmeyer S. 179 f; Edlbacher ÖJZ 20 (1965) 453 f; Eichholz NJW 1968 2274; Richter/Gaedke S. 174; Gaedke/Diefenbach S. 104; Hirsch/Schmidt-Didczuhn S. 49; Hubmann S. 226 f; Kemmer DZgerM 18 (1932) 434; Kießling NJW 1969 536; B. Lehmann S. 87 f; Lilie MedR 1 (1983) 133; Linck ZRP 1975 251; H. Maurer DÖV 1980 14; Knut Müller S. 136 ff; Stellpflug S. 17; Stentenbach S. 61; Tietz S. 22; Trockel MDR 1969 811. 148 Eine historische Ausnahme ist die Regelung des Preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794, wonach, wenn der Verstorbene keine Bestimmung getroffen hat, den „Hinterlassenen“ die Wahl des Begräbnisortes obliegt (II 11 §§ 445, 460; vgl. Stellpflug S. 17). 149 So z. B. Stellpflug S. 17; ebenso Lüthe S. 38; U. Steffen leitet das Totenfürsorgerecht explizit aus dem Doppelmerkmal Gewahrsam des Berechtigten her (S. 105 f). Feickert sieht in ihm ein absolutes Familienrecht, das einen nicht kodifizierten Fall der Munt darstellt und durch diesen Zentralbegriff mit der Personensorge und der Vormundschaft als gesetzlich geregelten Mundialfällen verbunden ist (S. 87). 150 Näher Wagner MK BGB § 823 Rdn. 349 f m. w. N. 151 Vgl. Gaedke/Diefenbach S. 108; Lilie MedR 1 (1983) 131; and. Schenk S. 133 ff. 152 G. Koch S. 263; Miserok/Sasse/Krüger § 4 Rdn. 59; Schroth JZ 1997 1152; Wetz/Tag/Tag S. 149; U. Walter FamRZ 1998 208; and. Schenk S. 94 ff. Radtke
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nen freilich als „Leerformel“ erweist, die den eigenen ethischen Vorstellungen des nächsten Angehörigen Platz macht.153 Da die Totenfürsorge zumindest keinen bedeutsamen eigennützigen Charakter aufweist, dürfte sich die an den mutmaßlichen Willen des möglichen Organspenders gebundene Entscheidungsbefugnis des Totenfürsorgeberechtigten als „Pflichtrecht“ einordnen lassen,154 das der Berechtigte als Sachwalter des über den Tod hinauswirkenden Persönlichkeitsrechts des Verstorbenen ausübt.155
cc) Inhalt des Rechts. Wichtigster Inhalt des Totenfürsorgerechts ist die Sorge für den 31 Leichnam zur Vorbereitung der Bestattung und der Bestattungsfeier (§ 167a Rdn. 22). Das Totenfürsorgerecht schließt einen Anspruch auf den Besitz des Leichnams ein. Sonst ließen sich die mit der Fürsorge verbundenen Obliegenheiten kaum erfüllen. Es begründet in entsprechender Anwendung von § 1632 BGB einen Anspruch des Totenfürsorgeberechtigten, von jedem, der ihm die Leiche vorenthält, die Herausgabe zu verlangen und damit dessen Zufallsgewahrsam zu beenden.156 Dem sollen lediglich Einwendungen aus einem deutlich zum Ausdruck gekommenen andersartigen Willen des Verstorbenen entgegengehalten werden können.157 Zum Inhalt des Totenfürsorgerechts gehören weiter die Gestaltung und Pflege der Grabstätte158 sowie das Recht, unter bestimmten Voraussetzungen die Umbettung der Leiche oder die Umsetzung der Aschenurne zu verlangen.159 dd) Kreis der Berechtigten. Der Kreis der Totenfürsorgeberechtigten ist umfangreich. Er 32 umfasst alle Personen, die im allgemeinen Sprachgebrauch als „Hinterbliebene“ bezeichnet werden.160 Das sind in erster Linie die Angehörigen,161 die allerdings nicht notwendigerweise auch die Erben sein müssen,162 also der Ehegatte, der Eingetragene Lebenspartner und die Verwandten. Aber auch mit dem verstorbenen Menschen nicht verwandte Personen, die ihm im
153 154 155 156 157 158
U. Walter FamRZ 1998 201, 208; vgl. auch Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 8. Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 7; U. Walter FamRZ 1998 201, 207. H. G. Baumann S. 21; Holznagel/Holznagel DÄBl. 95 (1995) A-1781; Lüthe S. 39. Feickert S. 121 f; Fischer Rdn. 9. Vgl. RG JW 1912 540; Gaedke/Diefenbach S. 105. Fritz BWNZ 58 (1992) 137; Richter/Gaedke S. 174; Gaedke/Diefenbach S. 170 f; Scheinost RpflStud. 11 (1987) 36; Schmied Sterben S. 117; Korff/Beck/Mikat/Strätz S. 340; Weiser Fürsorge S. 51. Vgl. dazu auch § 167a Rdn. 18. 159 BGH MDR 1978 299; RGZ 71 22; 154 269; OLG Karlsruhe MDR 1990 443; NJW 2001 2980; OLG Oldenburg NJWRR 1990 1460; OLG Zweibrücken NJW-RR 1993 1482 = ZfJ 81 (1994) 54 mit Anm. Harder; KG FamRZ 1969 414; HessVGH DVBl. 1994 218, 222; OVG Berlin DÖV 1964 557; VG Arnsberg FamRZ 1969 416; VG Braunschweig BestG 40 (1988) 198; Feickert S. 101; Gaedke BestG 27 (1975) 32; 28 (1976) 288; Gaedke/Diefenbach S. 196 f; Humbert/Josef JW 1925 2108 f; Josef JR 1929 125; F. Otto DFK 84 (1996) 476; Schenk S. 118 ff; Specovius JW 1925 344; F. Stein DFK 50 (1976) 108 f; Weiser Fürsorge S. 51. Zu den zahlreichen Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem Verlangen nach Umbettung der Leiche oder Umsetzung der Aschenurne insb. Gaedke/Diefenbach S. 104 ff. 160 Josef Gruchot 65 (1921) 306 f; Laufs VersR 23 (1972) 8 f; Zdralek S. 15. 161 Bieri S. 80; Coester-Waltjen FS Gernhuber 850; Deutsch FS Richterakademie 90; Fischer Rdn. 9; Gaedke/Diefenbach S. 104; Geilen JZ 1971 144 Fn. 20; Heifer/Pluisch RechtsM 1 (1991) 76; Kijewski S. 87; Kiesecker S. 151; G. Koch S. 302; Küchenhoff AR 8 (1973) 143; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 62 Rdn. 13; Rixen FamRZ 1994 417; Blaha/Gutjahr-Löser/Niebeler/Roxin S. 100; Rogall SK Rdn. 5; Schenk S. 106; Sch/Schröder/Bosch/ Schittenhelm Rdn. 5; Solbach DRiZ 1978 206; Stellpflug S. 17; Stentenbach S. 21; Strätz Aspekte S. 16 f, 58 f; Weinrich/ Wolfslast FreundesG Kreuzer 324; Widmann Bestattungsvertrag S. 39; Wölkart WKW 68 (1956) 114. 162 BGHZ 191 325, 329 ff Rdn. 10 ff; RGSt 64 313, 315; KG NStZ 1990 185; VG Karlsruhe NJW 2000 3491; CoesterWaltjen FS Gernhuber 850; Gaedke/Diefenbach S. 104 f; Gareis SeuffBl. 70 (1905) 321; Laforet FS Eichmann 513; Sch/ Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 5; Stentenbach S. 61; Wagner MK BGB § 823 Rdn. 349; Zdralek S. 41; aA Peuster MKl. 67 (1972) 685 Anm. 8. 385
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Leben besonders eng persönlich verbunden waren, gelten als Hinterbliebene.163 Hinzu kommen, seit jeher anerkannt (BGHZ 15 249, 259 ff; 50 133, 138), die Personen, die von dem Verstorbenen ausdrücklich oder stillschweigend zur Wahrnehmung seiner postmortalen Interessen berufen worden sind.
33 ee) Rangfolge. Eine Rangfolge der Totenfürsorgeberechtigten legte, unter dem Blickwinkel der zur Bestattung Verpflichteten, erstmals § 2 Abs. 2 S. 2 des Feuerbestattungsgesetzes fest. Ihm folgten entsprechende Vorschriften in den Bestattungsgesetzen der Länder (vgl. zu diesen § 167a Rdn. 15). Obwohl die Auflistungen in diesen Regelungen voneinander abweichen, lässt sich in etwa eine Reihenfolge entnehmen, die mit den Ehegatten und den eingetragenen Lebenspartnern beginnt, gefolgt von den Kindern, den Eltern,164 den Geschwistern, den Großeltern, den Enkelkindern und den Partnern einer auf Dauer angelegten nichtehelichen Lebensgemeinschaft. Dennoch sollte diese Rangfolge für die Totenfürsorgeberechtigten entgegen vielfacher Befürwortung165 schon wegen gravierender Abweichungen in den Gesetzen166 nicht als bindend angesehen werden. Den Ausschlag gibt ohnehin der, selbst nur mutmaßliche (OLG Schleswig NJW-RR 1987 72), Wille des Verstorbenen,167 der für das gesamte Bestattungsrecht der beherrschende Maßstab ist.168 Das gebietet der Respekt vor dem Toten und für religiös motivierte Bestattungswünsche auch die über den Tod hinaus fortwirkende Achtung seiner durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschützten Glaubensüberzeugungen.169 Auf den Willen der Angehörigen kommt es erst an, wenn eine Bestimmung des Verstorbenen fehlt.170 Die danach mögliche Individualität in der Bestimmung der Reihenfolge der Totenfürsorgeberechtigten sollte erhalten bleiben, statt sie in die starre Form einer schematischen Folgeordnung zu zwängen.171 Sie ermöglicht, wenn eine Anordnung des Verstorbenen fehlt, beispielsweise die Festlegung, dass eine mit dem Verstorbenen nicht verwandte Person den Erben oder Verwandten vorgeht, etwa wenn diese den Verstorbenen über längere Zeit bis zum Tode gepflegt hat, jene sich um ihn aber nicht gekümmert haben.172 An Anordnungen des Verstorbenen ist der Totenfürsorgeberechtigte gebunden.173 Allerdings wird diese Bindung durch § 138 BGB begrenzt.174 Strafbewehrt ist ein 163 W. Dippel S. 15; Faßbender VR 51 (2005) 45; Richter/Gaedke S. 174; Gaedke/Diefenbach S. 104; Hanke S. 163; Lüthe S. 41; Schenk S. 109 ff; P. Schmid S. 126; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 5; v. Hagens/Whalley/Tag S. 257 f; Widmann Bestattungsvertrag S. 40 f; vgl. auch OLG Karlsruhe NJW 2001 2980. 164 Wobei das Entscheidungsrecht ausschließlich dem Inhaber der alleinigen elterlichen Sorge zusteht, AG Biedenkopf FamRZ 1999 736. 165 Z. B. Görgens JR 1980 140; Kallmann FamRZ 1969 575; Knut Müller S. 59; Strätz Aspekte S. 59, 66; vgl. auch Geilen JZ 1971 45; Laufs VersR 23 (1972) 8 Fn. 59. 166 So weicht die Reihenfolge der Angehörigen nicht nur in den Bestattungsgesetzen einerseits (vgl. Gaedke/ Diefenbach S. 105) und dem Transplantationsgesetz (§ 1a Nr. 5) andererseits voneinander ab. 167 RGZ 100 171, 172; 108 217, 220; 154 269, 279; BGH FamRZ 1962 657; OLG Frankfurt am Main JuS 1990 144 mit Bespr. Hohloch; OLG Zweibrücken NJW-RR 1993 1482 = ZfJ 81 (1994) 54 mit Anm. Harder; Listl/Pirson/Engelhardt S. 106; Fritz BWNZ 58 (1992) 139; Gaedke/Diefenbach S. 108 f; B. Kretschmer Grabfrevel S. 23; vgl. auch § 3 TPG. 168 Dettmeyer S. 45; Feickert S. 101, 107 f; Gaedke/Diefenbach S. 107 f; Schenk S. 134; Wetz/Tag/Tag S. 154; vgl. auch RGZ 154 270. 169 Borowski S. 362 f; vgl. auch Wetz/Tag/Wetz S. 93. 170 BGH FamRZ 1978 15; 1992 657; RGZ 154 269, 270 f; LG Bonn NJW-RR 1994 522; Engelhardt in Listl/Pirson/ Engelhardt S. 106; Gaedke/Diefenbach S. 108 f. 171 Stellpflug S. 118 in Anlehnung an Bieri S. 81; ähnlich v. Blume AcP 112 (1914) 367; vgl. auch Dettmeyer S. 182 f; Schenk S. 114 f. 172 W. G. Becker JR 1951 331; Bieri S. 81; v. Blume AcP 112 (1914) 393; Bohne FestG Schmidt S. 152 ff; Dettmeyer S. 182; Gareis SeuffBl. 70 (1905) 320 ff; H. R. Hoffmann DÖG 12 (1950/51) 23; Knut Müller S. 59; Philipsborn JW 1930 1554; v. Tobel S. 29 f; Trockel Rechtswidrigkeit S. 88; ferner § 4 TPG. 173 BGHZ 61 238; RGZ 100 171, 172; KG SeuffArch. 73 (1979) 371; Listl/Pirson/Engelhardt S. 106; Gaedke/Diefenbach S. 108 f; Lilie MedR 1 (1983) 133; Laforet FS Eichmann S. 43. 174 Feickert S. 118; Richter/Gaedke S. 176; Gaedke/Diefenbach S. 108. Radtke
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Handeln gegen den Willen des Verstorbenen nicht. Daher gibt es gegen die Einigkeit aller Totenfürsorgeberechtigten, die Nichtbefolgung einer Anordnung des Verstorbenen zu tolerieren, kein Mittel. Doch können Totenfürsorgeberechtigte, die mit einer den Anordnungen des Verstorbenen widersprechenden Verfügung nicht einverstanden sind, die Vollziehung des letzten Willens im ordentlichen Rechtsweg erzwingen.175 Dies gilt auch, wenn eine ausdrückliche Bestimmung des Verstorbenen fehlt, die Verfügung aber seinem mutmaßlichen Willen widerspricht, so wenn der überlebende Ehegatte eine anonyme Beerdigung unter Ausschluss der anderen nächsten Angehörigen anordnet (AG Frankfurt a. M. FamRZ 1997 1505).
c) Vollendung der Wegnahme. Die Wegnahme (Rdn. 20) ist mit dem Bruch des Gewahrsams 34 des Berechtigten vollendet, also sobald dessen tatsächliches Aufsichts- oder Bewachungsverhältnis (Rdn. 24 und 26) aufgehoben wird. Auf eine Begründung eines neuen Gewahrsams kommt es nicht an (Rdn. 20);176 damit ist wegen der Aufhebung der Existenz des Schutzobjekts etwa auch das Zerstören der Leiche am Ort des Gewahrsams Wegnahme nach Abs. 1 Var 1;177 das Zerstückeln eines Leiche kann – zumindest unter bestimmten Umständen – allerdings auch beschimpfender Unfug (Rdn. 41 und 44) sein (vgl. BGHSt 50 80, 88 f). Da weder die Existenz des Schutzobjekts noch vorhandener Gewahrsam des Berechtigten sonst aufgehoben wird, ist die medizinische Weiterbehandlung einer Toten keine Wegnahme.178 Hingegen wird mit der Entfernung der Leiche aus dem Grab der Gewahrsam des Inhabers der Grabstelle (Rdn. 28) gebrochen. Den regelmäßig bestehenden Mitgewahrsam der Friedhofsverwaltung (Rdn. 28) kann der Gewahrsamsinhaber selbst brechen, beispielsweise indem er ohne das Einverständnis der Friedhofsverwaltung eine Umbettung der Leiche oder eine Umsetzung der Aschenurne vornimmt.179 Praktisch bedeutsame Fälle der vollendeten Wegnahme sind die nicht Transplantationszwecken dienenden Entnahmen von Leichenteilen im Rahmen klinischer Sektionen einschließlich derjenigen, die von nicht entsprechend den Vorgaben des Transplantationsgesetzes qualifiziertem Personal oder von entsprechend qualifiziertem Personal nicht unter der Verantwortung und ohne fachliche Weisung eines Arztes vorgenommen worden sind (vgl. auch näher Rdn. 36 und 39).180 Da der Bruch von gleichrangigem Mitgewahrsam mehrerer Berechtigter für die vollendete Wegnahme genügt, ist das Entfernen von Leichenteilen durch Mitarbeiter des beauftragten Bestattungsunternehmens oder der Asche durch Mitarbeiter des Krematoriums selbst bei Mitgewahrsam des Arbeitgebers nach Abs. 1 Var. 1 tatbestandsmäßig.181 Das gilt selbst bei Einverständnis (Rdn. 35) des Arbeitgebers, weil der Mitgewahrsam des zur Totensorge Berechtigten (Rdn. 29) dennoch gebrochen wird. Aus dem gleichen Grund liegt eine vollendete Wegnahme auch vor, wenn der Mitgewahrsam habende Bestattungsunternehmer oder Betreiber 175 BGHZ 61 238; BVerwG 45 224; OLG Frankfurt am Main BestG 41 (1989) 427; 43 (1991) 210; OLG Schleswig FamRZ 1986 1093; LG Berlin BestGew. 39 (1987) 340; Fritz BWNZ 58 (1992) 139; Richter/Gaedke S. 176; Gaedke/ Diefenbach S. 108; Widmann Bestattungsvertrag S. 46; vgl. auch Dettmeyer, der eine Anwendung der Kollisionsregelung des § 2 Abs. 4 FBG für möglich hält (S. 183). 176 OLG Bamberg NJW 2008 1543, 1545; Fischer Rdn. 8; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; SSW/Hilgendorf Rdn. 10; Hörnle MK Rdn. 17; Rogall SK Rdn. 11; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4; Stentenbach S. 76 f; Stübinger NK Rdn. 10; siehe auch Buch S. 51. 177 Stübinger NK Rdn. 10 mit Bezugnahme auch Buch S. 51; and. Bauer S. 75 f. 178 R. Beckmann MedR 11 (1993) 122; Hörnle MK Rdn. 17; Kiesecker S. 201; B. Kretschmer Grabfrevel S. 532; Lackner/ Kühl/Heger Rdn. 3. 179 Im Ergebnis, wenn auch mit abweichender Begründung, ebenso LG Hamburg NStZ 1982 511 f; die Kritik sieht in dieser Entscheidung eine bedenkliche Ausschaltung der Angehörigen gegenüber der Friedhofsverwaltung, vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald II § 62 Rdn. 13; siehe auch Hörnle MK Rdn. 20; Schmitz S. 108. 180 Allgemein zur Strafbarkeit unbefugter Sektionen Rdn. 39, vgl. zum Ganzen auch Bieri S. 91; B. Kretschmer Grabfrevel S. 528 f; Linck NJW 1976 2310 (Anm. zu OLG München NJW 1976 1806); über die Wirkung der Regelungen über Sektionen als Rechtfertigungsgrund Rdn. 79. 181 Hörnle MK Rdn. 17; siehe auch OLG Bamberg NJW 2008 1543, 1546 bzgl. der Wegnahme von Zahngold. 387
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eines Krematoriums ohne Einverständnis des Totensorgeberechtigten taugliche Schutzobjekte (z. B. Zahngold; Rdn. 19) an sich bringt.
35 d) Einverständnis. An einer vollendeten Wegnahme (Rdn. 34) fehlt es, wenn die Aufhebung des Gewahrsams mit Zustimmung des berechtigten Gewahrsamsinhabers erfolgt. Dessen Zustimmung zur Wegnahme schließt, ausgehend von der im Grundsatz überzeugenden Unterscheidung zwischen Einverständnis und Einwilligung (näher Rönnau LK Vor §§ 32 ff Rdn. 157 und 157a m. w. N.),182 als Einverständnis den objektiven Tatbestand von Abs. 1 Var. 1 aus (insoweit allgM).183 Die Wirksamkeit des Einverständnisses hängt von dessen allgemeinen Voraussetzungen ab (zu diesen Rönnau LK Vor §§ 32 ff Rdn. 158 bis 160).184 Gelegentlich wird in der Diskussion um die Bedeutung von Zustimmungserklärungen verschiedener möglicher Erklärender (etwa prämortal erteilte Zustimmungen des später Verstorbenen, Zustimmungserklärungen des „nächsten Angehörigen“ i. S. v. § 4 Abs. 1 und 2 TPG, Zustimmungserklärungen des berechtigten Gewahrsamsinhabers) für einen Tatbestands- oder Rechtswidrigkeitsausschluss bei § 168 nicht immer hinreichend deutlich beachtet, worauf die Zustimmungserklärung gerichtet ist. Die Unterscheidung ist jedoch schon deshalb von Bedeutung, weil sich als Wegnahme i. S. v. Abs. 1 erweisende Entnahmen von Teilen des Körpers eines Verstorbenen auch den Regelungen des Transplantationsgesetzes unterfallende Organentnahmen sein können. Die Strafvorschriften dieses Gesetzes knüpfen tatbestandlich aber nicht an ein Gewahrsamserfordernis an.185 Zustimmungserklärungen des Spenders (§ 3 Abs. 1 TPG) oder – bei Fehlen sowohl seiner Zustimmung als auch seines Widerspruchs – des nächsten Angehörigen (§ 4 Abs. 1 und 2 TPG) entfalten Wirkung für die Strafbarkeit nach dem Transplantationsgesetz (näher Rdn. 87. Für § 168 können sie allenfalls die Rechtswidrigkeit ausschließen (näher Rdn. 76).186 Prämortale Zustimmungserklärungen des später Verstorbenen sind dagegen für die Tatbestandsmäßigkeit nach Abs. 1 irrelevant, weil dieser nicht über einen erst mit seinem Tod entstehenden Gewahrsam des Berechtigten an der Leiche disponieren kann. Eine Zustimmungserklärung des nächsten Angehörigen i. S. v. § 4 TPG zur Organentnahme schließt den Tatbestand nach § 168 Abs. 1 Var. 1 lediglich dann aus, wenn dieser zugleich (maßgeblicher) berechtigter Gewahrsamsinhaber ist, was nicht stets der Fall sein muss (vgl. Rdn. 29 und 33). Der berechtigte Gewahrsinhaber ist bei der Ausübung seiner Zustimmungsmacht zur Wegnahme entgegegen gelegentlich vertretener Auffassung187 insoweit nicht an prämortale Dispositionen des später Verstorbenen gebunden.188 Auch insoweit fehlt es an einer prämortalen Dispositionsbefugnis über den im Zeitpunkt der Erklärung nicht existenten Gewahrsam an der Leiche und dieser nach Abs. 1 Gleichgestelltem. Eine Frage der Rechtswidrigkeit ist es dagegen, ob prämortalen Zustimmungserklärungen des später Verstorbenen über den Umgang mit seiner Leiche etc. auch außerhalb der Anwendung des Transplantationsgesetzes und ohne dass es auf eine Wegnahme ankäme, eine als Rechtfertigungsgrund wirkende Befugnis dafür schafft (Rdn. 76), was zu bejahen ist.189 Handelt der Täter in Unkenntnis eines erklärten Einverständnisses, kommt die Strafbarkeit wegen Versuchs (Abs. 3) in Betracht. Bei mehreren Berechtigten ist die Zustimmung zur Wegnahme des in der Rangfolge (dazu Rdn. 33) höheren maßgeblich.
182 Näher dazu auch Roxin/Greco AT I § 13 Rdn. 11 ff. 183 Fischer Rdn. 11; Hörnle MK Rdn. 16; Rogall SK Rdn. 7; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4; Stellpflug S. 62. 184 Die sich entgegen der früher vorherrschenden Auffasung allerdings nicht grundsätzlich von denen der Einwilligung unterscheiden, dazu Roxin/Greco AT I § 13 Rdn. 11 ff; Rönnau LK Vor §§ 32 ff Rdn. 157a m. w. N. 185 Hörnle MK Rdn. 18. 186 Stübinger NK Rdn. 21. 187 v. Bubnoff GA 1968 65, 73; Laufs VersR 1972 8; ferner Deutsch ZRP 1982 176; Geiger FS Stein 95. 188 Im Ergebnis ebenso Lacker/Kühl/Heger Rdn. 4. 189 Stübinger NK Rdn. 21. Radtke
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II. Der objektive Tatbestand von Absatz 1 Variante 1
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e) Wegnahme bei Leichenschau und Sektion. Bei Abtrennen oder Entfernen von Lei- 36 chenteilen im Rahmen von Leichenschauen und Sektionen stellt sich ebenfalls die Frage der Tatbestandsmäßigkeit nach Abs. 1 Var. 1190 einerseits und der möglichen Rechtfertigung durch auf unterschiedlichen Rechtsgründen beruhenden Befugnissen andererseits. Die Tatbestandsmäßigkeit kann entweder fehlen, weil nicht jede Entnahme die Voraussetzungen einer Wegnahme erfüllt, oder weil der berechtigte Gewahrsamsinhaber wirksam sein Einverständnis erteilt hat (Rdn. 39). Gehen Leichenschau und vor allem Sektion mit einer Wegnahme von Schutzobjekten einher, können vor allem gesetzliche Regelungen darüber (etwa § 87 Abs. 1 StPO) als Rechtfertigungsgründe eingreifen (Rdn. 79 bis 83).
aa) Begriffe. In der Gesetzgebung zur Leichenschau191 finden sich neben diesem Begriff wei- 37 tere Bezeichnungen des Gegenstandes, die zwar unterschiedlichen Ursprungs sind, inhaltlich aber weitgehend dieselbe Bedeutung haben. Strafprozessual wird der Begriff Leichenschau nur für die Besichtigung der äußeren Beschaffenheit der Leiche, wie sie auch nach den Bestattungsgesetzen (vgl. § 167a Rdn. 15) zu veranlassen ist, verwendet (§ 87 Abs. 1 StPO).192 Der seltener gebrauchte medizinische Begriff Autopsie bezieht sich auf die richterliche äußerliche Leichenschau. Die richterliche innere Leichenschau, die anzuordnen ist, wenn fremdes Verschulden am Tod in Betracht kommt und Todesursache oder Todeszeitpunkt festgestellt werden müssen (vgl. BVerfG NJW 1994 783),193 wird strafprozessual als Leichenöffnung bezeichnet (§ 87 Abs. 2 bis 4 StPO). Dafür werden in der medizinischen und rechtlichen Praxis am häufigsten die Begriffe Sektion und Obduktion verwendet. Der Begriff Sektion kommt aus der Medizin und bedeutet dort kunstfertige Leichenöffnung und Zergliederung.194 Obduktion hingegen ist nach medizinischem Verständnis die gerichtlich angeordnete Sektion und damit identisch mit der Leichenöffnung. Im rechtlichen Sprachgebrauch werden klinische Sektion und innere Leichenschau gleichgesetzt und als ärztlich fachgerechte Öffnung einer Leiche mit Entnahme und Untersuchung von Teilen sowie äußerer Wiederherstellung des Leichnams verstanden.
bb) gesetzliche Regelungen. § 87 StPO und die ihn ergänzenden strafprozessualen Vor- 38 schriften (etwa § 89 StPO zum [Mindest-]Umfang der Leichenöffnung) enthalten keine umfassenden Regelungen über die Leichenschau, sondern sind bereichsspezifisch. Gleiches gilt für Regelungen über die Zulässigkeit in anderen Teilrechtsbereichen (näher Rdn. 80 bis 83). Eine bundeseinheitliche gesetzliche Regelung der Sektion wird seit langem gefordert, namentlich von der Ärzteschaft, die, vom unzulänglichen Schutz der Totenfürsorgeberechtigten vor eigenmächtigen Sektionen abgesehen, vor allem von der fehlenden Rechtssicherheit in diesem Bereich betroffen ist.195 Aber auch das Defizit in der Aufklärung von Todesursachen sollte Grund sein, sichere Rechtsgrundlagen für die Leichenschau zu schaffen.196 Allerdings hat der 190 Nach den Regeln der medizinischen Wissenschaft durchgeführte Sektionen sind kein beschimpfender Unfug nach Abs. 1 Var. 2, weil es an der dafür erforderlichen grob ungehörigen, rohen Kundgabe von Missachtung (vgl. zu den Anforderungen an die Tathandlung BGHSt 50 80, 88; BGH NStZ-RR 2021 76) fehlt (näher Rdn. 43). 191 Die erste gesetzliche Erwähnung in Deutschland findet sich im Sachsenspiegel 1230 (vgl. den geschichtlichen Überblick bei Brinkmann/Madea/Schneider/Rothschild S. 27 f). 192 Zu ihrem Ablauf und Umfang ausführlich Brinkmann/Madea/Klein S. 57 ff. 193 K.-H. Groß FreundesG Kreuzer 292 ff. 194 Speziell zu ihrer wechselvollen Geschichte ausführlich Kijewski S. 7 ff; C. Thomas S. 202 ff. 195 Vgl. beispielsweise die Einbecker Empfehlungen zu Rechtsfragen der Obduktion der Deutschen Gesellschaft für Medizinrecht (MedR 9 [1991] 76) und die (erneute) Forderung eines Obduktionsgesetzes durch den 96. Deutschen Ärztetag 1993 (DÄBl. 90 [1993] C-992); dazu auch Brinkmann/Püschel MedR 9 (1991) 237; Dettmeyer S. 79 f; Dettmeyer/Madea RechtsM 13 (2002) 369 f; Deutsch/Spickhoff Rdn. 527; Kijewski S. 173; Laufs/Uhlenbruck/Ulsenheimer Leichenschau, Rdn. 10, 20a. 196 Helbig Kriminalistik 58 [2004] 443 ff; vgl. auch K.-H. Groß FreundesG Kreuzer 296. 389
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Bund keine Gesetzgebungskompetenz für eine umfassende Regelung des Sektionsrechts (innere Leichenschau, Leichenöffnung, Obduktion). Sie fällt in die Zuständigkeit der Länder.197 Die einschlägigen bereichsspezifischen Vorschriften der Strafprozessordnung (§§ 87 ff StPO) finden ihre kompetenzrechtliche Grundlage in Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG.
39 cc) Sektionen und Wegnahme. Sektionen sind nicht notwendigerweise mit einer Wegnahme von Leichenteilen i. S. v. Abs. 1 Var. 1 verbunden. So wird durch das Öffnen der Leiche der Gewahrsam daran genausowenig gebrochen wie durch das Abtrennen oder Herausnahmen von Leichenteilen, wenn diese bei der Leiche verbleiben und deshalb nicht dem bestehenden Obhutsverhältnis entzogen werden.198 Selbst wenn es aber bei der Entnahmen von Schutzobjekten zu einer Aufhebung des bisherigen Gewahrsams daran kommen sollte, wird bei klinischen Sektionen häufig ein tatbestandsausschließendes Einverständnis durch die (zum Gewahrsam) berechtigte Klinik- oder Institutsleitung (vgl. Rdn. 27) vorliegen.199 Sind diese alleinige Inhaber des Gewahrsams wirkt deren Einverständnis auch dann tatbestandsausschließend, wenn prämortal der später Verstorbene oder postmortal dessen Angehörige sich gegen eine Sektion ausgesprochen haben.200 Zur möglichen Strafbarkeit aus anderen Straftatbeständen als § 168 Abs. 1 im Kontext von Sektionen siehe Dippel LK12 Rdn. 4.
III. Der objektive Tatbestand von Absatz 1 Variante 2 40 Der objektive Tatbestand von Abs. 1 Var. 2 erfasst das Verüben beschimpfenden Unfugs an einem Toten oder seinen Überresten, einem totgeborenen Kind oder einem Teil davon.
1. Angriffsgegenstände Die Angriffsgegenstände stimmen mit denen von Abs. 1 Var. 1 vollständig überein; es gelten daher die Erläuterungen Rdn. 11 bis 22. Für die Verwirklichung des Tatbestandes ist ohne Bedeutung, wo sich die Gegenstände befinden;201 ob sie sich in dem Gewahrsam einer Person befinden, ist für die 2. Var. irrelevant. Ferner bleibt ohne Belang, ob der Körper des Verstorbenen sichtbar ist, so dass auch der in einem verschlossenen Sarg befindliche Leichnam Tatobjekt sein kann.202 Der Schutz endet mit der Bestattung des Leichnams oder der Übergabe der Asche an die vorbestimmte Ruhestelle, bei Teilen des Körpers und der toten Leibesfrucht mit deren ander197 Ausführlich zur Gesetzgebungskompetenz Dettmeyer S. 195 ff; ferner Tag FS Laufs 1082. Vgl. dazu auch die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage von Abgeordneten und der Fraktion der SPD zur Anordnung und Durchführung von Obduktionen nach der Strafprozessordnung (BTDrucks. 13/10731) vom 5.6.1998 (BTDrucks. 13/10926 S. 4, 7). 198 Hörnle MK Rn. 19; das verkennt OLG München FamRZ 2006, 93, indem es ohne die Frage der Wegnahme in den Blick zu nehmen allein aus dem Fehlen einer Enwilligung zu einer Sektion diese als nach Abs. 1 tatbestandsmäßig einordnete. 199 Vgl. OLG München NJW 1976 1805, 1806; OLG Karlsruhe Justiz 1977 133; OLG Stuttgart Justiz 1977 313; Hörnle MK Rdn. 19; Laubenthal JR 1992, 213; Klinge S. 70; Rixen ZRP 2001 375; Rogall SK Rdn. 8; Rüping GA 1977 302 f; Sch/ Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6; Stentenbach S. 67; Stübinger NK Rdn. 11; Tag FS Laufs 1079, 1088. 200 Siehe nur Hörnle MK Rdn. 19, Stübinger NK Rdn. 11, and. – aber auf nicht tragfähiger dogmatischer Grundlage (siehe Rdn. 25) – etwa v. Bubnoff GA 1968 65, 72 f. 201 RGSt 71 323 (rohes pietätloses Handeln an einer in der Halle eines Friedhofs aufgebahrten Leiche; dazu schon Rdn. 1 mit Fn. 4); AG Solingen MDR 1968 65 (beschimpfender Unfug am Körper eines verstorbenen Menschen im Leichenkeller eines Krankenhauses); Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 9 (mit dem Beispiel der in freier Landschaft liegenden Leiche eines von einem tödlichen Schlaganfall Getroffenen); vgl. auch Welzel Strafrecht § 65 IV 2. 202 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 9,. Radtke
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III. Der objektive Tatbestand von Absatz 1 Variante 2
StGB § 168
weitigen Beseitigung. Nach der Bestattung des Leichnams oder der Beisetzung der Aschenurne greift insoweit Abs. 2 ein.
2. Tathandlung Die Tathandlung besteht in derm Verüben beschimpfenden Unfugs an den genannten Gegen- 41 ständen.
a) Beschimpfender Unfug ist wie bei § 167 Abs. 1 Nr. 2 (vgl. dort Rdn. 35 f), eine grob ungehörige, von einer besonders rohen Gesinnung gekennzeichneten Handlung, durch die der Täter im Angesicht eines Toten dem Gegenstand oder dem Verstorbenen seine Verachtung zum Ausdruck bringt (vgl. BGHSt 50 80, 88, dazu Kudlich JR 2005 338; Otto JZ 2005 795; Schiemann NJW 2005 2350; BGH NStZ-RR 2021, 76).203 Die Anforderungen an den beschimpfenden Unfug sind wegen der nicht unbestrittenen verfassungsrechtlichen Legitimität von § 168 insgesamt (Rdn. 9) streng und müssen daher so verstanden werden, dass mit der Tathandlung die abstraktgenerelle Möglichkeit der Friedensstörung in den dargelegten Sinn (Rdn. 7) tragfähig verbunden werden kann.
b) Struktur der Tathandlung. Die Struktur der Tathandlung des beschimpfenden Unfugs 42 wird nicht einheitlich gedeutet, ohne dass vorhandene Unterschiede stets offengelegt werden. Eine solche Offenlegung findet sich allerdings bei Stübinger (NK Rdn. 12), der den beschimpfenden Unfug als „subjektiv-objektives Tatbestandsmerkmal“ versteht.204 Die in der Tat ausgedrückte Verachtung müsse nicht nur objektiv vorliegen, sondern – bereits für den objektiven Tatbestand – vom Täter auch subjektiv erfasst sein.205 Diese Deutung kann an Rechtsprechung des Reichsgerichts anknüpfen, die wohl bereits für die Verwirklichung des äußeren Tatbestandes des beschimpfenden Unfugs verlangt hatte, der Täter müsse die besondere Missachtung wollen (RGSt 42 145, 146 f; 48 299, 300 f). Auch der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs scheint von einem Verständnis als subjektiv-objektives Tatbestandsmerkmal auszugehen, in dem er – aus der Grundlage seines dualistischen Rechtsgutskonzepts (Rdn. 4 f) – annimmt, bezogen auf den postmortalen Achtungsanspruch sei ein verachtender Charakter der Tat gegeben, „wenn der Täter dem Toten seine Verachtung bezeigen will und sich des beschimpfenden Charakters seiner Handlung bewusst ist“ (BGHSt 50 80, 89). Gehe es hingegen um das Pietätsgefühl der Allgemeinheit als Rechtsgut, so komme es darauf an, ob „der Täter dem Menschen seine Verachtung bezeigen bzw. die Menschwürde als Rechtsgut an sich mißachtenwill“ (BGHSt a. a. O.). Der 5. Strafsenat hat jedoch klargestellt, dass es sich bei den genannten Anforderungen um solche des subjektiven Tatbestandes handele (BGH NStZ-RR 2021 76). Dem ist zuzustimmen. Der verachtende Charakter des Handelns ist auf der Ebene des objektiven Tatbestandes unter Einbeziehung der Gesamtumstände wertend (Rdn. 43) und losgelöst von der individuell-subjektiven 203 Beispielhaft für diese Wertung BGHSt 50 80, 88 ff mit Bespr.; ferner: RGSt 39 155, 157; 42 145, 146; 43 201, 202 f; 48 299, 300; RGRspr. 9 399, 400; BayObLGSt 1949–51 17, 24; Binding Lehrbuch I § 45 1 III 2b; Crusen S. 67; Fischer Rdn. 16; Hilgendorf JuS 1993 98; Hörnle MK Rdn. 20; Joecks Rdn. 7; B. Kretschmer Grabfrevel S. 360 f; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 23; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 62 Rdn. 17; Müller-Hannemann S. 357; Otto BT § 64 Rdn. 9, 15; Rogall SK Rdn. 10; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 10; abw. Rüping, wonach der beschimpfende Unfug nicht in der Manifestation einer rohen Gesinnung zu erblicken sei, es vielmehr genüge, auf solche Verletzungen der Tabus abzustellen, die durch den Bezug auf die Beisetzungsstätte ihren Sinn erhielten und so zwischen deren unmittelbarer Beeinträchtigung und der bloß ideellen Wirkung des § 189 stünden (GA 1977 299, 303). 204 Dazu allgemein Stübinger FS Puppe 263 ff, insb. S. 270 ff. 205 Stübinger NK Rdn. 12. 391
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Sicht des Täters zu bestimmen.206 Die Einstellung des Täters dazu sowie seine Beweggründe und Ziele sind dann im subjektiven Tatbestand (Rdn. 68) zu betrachten.
43 c) Anforderungen. Ob die Anforderungen einer die grobe Verachtung (Rdn. 41) zum Ausdruck bringenden Verhaltensweise objektiv vorliegen, richtet sich nach dem Ergebnis einer die Gesamtumstände ihrer Vornahme einbeziehenden Wertung. Der dem Toten mit der Tat angetane „Schimpf“ kann in Schmähungen und Beschimpfungen, in Hohn und Spott, aber auch in grob ungehörigen Handlungen, wie dem Urinieren über der Leiche,207 zum Ausdruck kommen. Die Auffassung, es genüge, dass der Täter zum Ausdruck bringt, mit der Leiche „in solcher Weise“ umgehen zu können,208 trägt in dieser Allgemeinheit nicht. Es bedarf solcher Umstände, die hinreichend die Missachtung der postmortalen Würde und des postmortalen Geltungsanspruchs zum Ausdruck bringen (vgl. BGH NStZ-RR 2021 76). Das hat der Bundesgerichtshof überzeugend für das von herabsetzenden, auf die Körperlichkeit des Toten bezogenen Äußerungen begleitete Zerstückeln einer Leiche vor laufender Videokamera angenommen (BGHSt 50 80, 88 f). Dagegen soll die Zerstückelung einer Leiche lediglich mit dem Ziel, sie unauffällig fortschaffen zu können, nicht für die Verwirklichung des Tatbestandes genügen.209 Die Begründung für das letztlich zutreffende Ergebnis ist allerdings nicht vollständig klar. Ausgehend von der hier geforderten Gesamtwürdgung lässt sich etwa die zum Zweck heilfürsorgerischer Wiederverwendung auf wissenschaftlich-technische Weise vorgenommene Entnahme eines Herzschrittmachers (Bringewat JuS 1981 214) und der wissenschaftlichen Zwecken dienende Leichenversuch, selbst wenn die Leiche dabei verunstaltet wird,210 nicht als ein Verachtung gegenüber dem Toten zum Ausdruck bringendes Verhalten einordnen. Auch ungewöhnliche, skurrile Beisetzungsriten genügen nicht.211
44 d) Kasuistik. Auf der Grundlage einer objektiven Gesamtwürdigung bleibt eine bunte Kasuistik: Kein beschimpfender Unfug ist die bloße medizinische Weiterbehandlung einer hirntoten Schwangeren zur Rettung des Kindes,212 so dass, nachdem darin schon keine Wegnahme liegt, Absatz 1 insgesamt ausscheidet.213 Auch die unbefugte Organentnahme allein ist kein beschimpfender Unfug (vgl. schon Rdn. 43). Die Präsentation von Plastinaten ganzer Körper, einzelner Organe oder transparenter Körperscheiben, deren Herstellung von der Einwilligung des Verstorbenen214 oder der Zustimmung der Angehörigen gedeckt ist,215 soll kein beschimpfender Unfug sein.216 Die Exponate sind zwar Leichen oder Leichenteile (Rdn. 17). Auch mag eine solche Veranstaltung geschmacklos sein.217 Dennoch drücken weder die Veranstalter noch die Besucher 206 207 208 209
So im Ergebnis auch Stentenbach S. 77. Hilgendorf JuS 1993 97, 98. Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 10. BGH NStZ 1981 300; Fischer Rdn. 17; Hörnle MK Rdn. 22; B. Kretschmer Grabfrevel S. 361; Sch/Schröder/Bosch/ Schittenhelm Rdn. 10. 210 Hörnle MK Rdn. 22; Pawlowski S. 86; Pluisch/Heifer NJW 1994 2379; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 10. 211 Fischer Rdn. 17. 212 R. Beckmann MedR 11 (1993) 122; Bockenheimer-Lucius DKA 24 (1993) 1417 ff; Fischer Rdn. 17; Hilgendorf JuS 1993 97, 98; Hörnle MK Rdn. 22; Kiesecker S. 208; B. Kretschmer Grabfrevel S. 532; vgl. auch Zillgens S. 52 ff. 213 Eher könnte, umgekehrt, in der Nichtweiterbehandlung ein strafbarer Schwangerschaftsabbruch gesehen werden (so R. Beckmann MedR 11 (1993) 125; Hilgendorf JuS 1993 97, 102 f). Die Annahme, dass das Austragen eines Kindes durch eine Hirntote gegen deren postmortale Menschenwürde verstoßen könnte (Dreier I Art. 1 Rdn. 54), ist abwegig, vgl. B. Kretschmer Grabfrevel S. 533. 214 Zur Rechtsgrundlage der Körperspendeverfügung ausführlich Tag in Wetz/Tag/Tag S. 150 ff. 215 Vgl. jedoch Thiele NVwZ 2000 405, 406 f. 216 Fischer Rdn. 17. 217 Vgl. Benda NJW 2000 1770 f. Radtke
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III. Der objektive Tatbestand von Absatz 1 Variante 2
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gegenüber den Toten ihre Verachtung aus.218 Denn der nach außen erkennbare Zweck der Ausstellung dürfte darin bestehen, Wissen über die physischen Gegebenheiten und Funktionszusammenhänge des Körperinneren mit Blick auf eine kollektive Gesundheitsvorsorge durch Anregungen zu gesunder Lebensweise durch Rückbezüglichkeit des didaktischen Einsatzes einer Leiche als Mittel der Erkenntnisse der Menschen über sich selbst, wie sie bei Anatomieleichen seit je Teil der medizinischen Ausbildung ist, zu vermitteln.219 Anders wird die Wertung ausfallen, wenn der Plastinator durch besondere, didaktisch nicht gerechtfertigte Formung eines Plastinats und dessen Präsentation in der Öffentlichkeit statt der pädagogischen Zielsetzung die Leiche als Medium zu eigener Formensprache benutzt, weil damit die zulässige Rückbezüglichkeit durchbrochen wird (VGH München NJW 2003 1618, 1620). Die Wertung ist allerdings allein Sache der Fachgerichte, so dass die Annahme eines entsprechenden Tatverdachts als Anlass für eine Durchsuchung oder Beschlagnahme von Rechts wegen nicht beanstandet werden kann (BVerfG NJW 2005 96). Stets muss es sich bei den Handlungsobjekten um wirkliche Leichen oder Leichenteile handeln; fiktive Darstellungen sind allenfalls nach den § 131, § 184 Abs. 3 und, wenn es um Gewalt oder Pornographie geht, nach § 185 strafbar.220
e) Räumliche Gegebenheiten. Entgegen früher überwiegend vertretener Auffassung, wonach 45 die Handlung sich unmittelbar gegen den geschützten Gegenstand selbst richten muss,221 reicht es aus, wenn sie in seiner unmittelbaren Nähe und erkennbar in Beziehung auf ihn verübt wird.222 Beispiele beschimpfenden Unfugs sind die auf Bequemlichkeit beruhende Entsorgung von Leichen oder Leichenteilen beispielsweise in einer Müllverbrennungsanlage,223 der Versuch, der Leiche Schnaps einzuflößen,224 die Verunstaltung des aufgebahrten Toten durch eine PunkFrisur oder durch das Ankleben von Eselsohren,225 Nekrophilie (AG Solingen MDR 1968 65), Beschimpfen des Verstorbenen am offenen Grab (RGSt 48 299,226 jedenfalls wenn die Beschimpfung nach Art und Inhalt die grobe Missachung des postmortalen Würdeanspuchs hinreichend deutlich erkennen lässt, das Beschmieren des Grabsteins mit Hakenkreuzen,227 die Zerstörung des Grabsteins (RGSt 39 399).228 Ob das Nichtunterbinden des Kotens und Urinierens seiner Hauskatze am Grab durch den Tierhalter (VG Würzburg NVwZ-RR 1994 266; Müller-Hannemann S. 357)229 und das Absingen anstößiger Lieder in unmittelbarer Nähe des Grabes230 sich als beschimpfender Unfig erweisen, erscheint angesichts des notwendigen verachtenden Charakters 218 Altendorfer/Weimer PKR 7 (2004) 66; B. Kretschmer Grabfrevel S. 309 Fn. 250; and. Stellpflug für die entgeltliche Leichenschau in einem pathologischen Institut (S. 65 f). 219 VGH München NJW 2003 1618, 1620 mit Bespr. Finger/Müller NJW 2004 1073; ferner OLG Hamburg NStZ 2006 528, 529; Altendorfer/Weimer PKR 7 (2004) 67; Bremer NVwZ 2001 167, 169; Müller-Hamann S. 298 ff; Wetz/Tag/Tag S. 158 ff; Thiele NVwZ 2001 405, 407; abw. Schenk S. 177 f. 220 Fischer Rdn. 16. 221 So z. B. RGSt 21 178, 179; 48 299, 301; v. Liszt/Schmidt BT § 118 B 3; and. jedoch schon Binding Lehrbuch I § 45 1 III 2b; Crusen S. 68; Frank Anm. III; v. Hippel I § 88 IV 2 Fn. 2. Zu beachten ist dabei allerdings, dass § 168 a. F. den Tatbestand auf die Verübung beschimpfenden Unfugs an einem Grabe beschränkte, Angriffe gegen eine Leiche, Leichenteile oder die Asche eines Verstorbenen also nicht erfasste, vgl. dazu auch BayObLGSt 1951 455, 457; AG Solingen MDR 1968 65. 222 Fischer Rdn. 16; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 5; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 62 Rdn. 17; Sch/Schröder/Bosch/ Schittenhelm Rdn. 10. 223 Hörnle MK Rdn. 21. 224 RGSt 71 323, 324; Hörnle MK Rdn. 21; Stentenbach S. 77. 225 Hörnle Rdn. 21. 226 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 10. 227 Herzog NK4 Rdn. 17. 228 Rogall SK Rdn. 10. 229 Müller-Hannemann S. 357. 230 Herzog NK4 Rdn. 13; Rogall SK Rdn. 10. 393
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nicht gesichert, mag aber bei entsprechenden Gesamtumständen nicht völlig ausgeschlossen sein. Das Ausreißen der Bepflanzung des Grabes (RGRspr. 9 399) allein kommt dagegen nicht als tatbestandsmäßiger beschimpfender Unfug in Betracht; das eindeutig ungehörige Verhalten lässt sich kaum als Ausdruck besonders roher Gesinnung und Infragestellen des Achtungsanspruchs des Bestatteten verstehen.
3. Täterkreis 46 Der Täterkreis ist anders als bei Var. 1 nicht beschränkt. Auch der zum Gewahrsam Berechtigte (Rdn. 32 f) kann selbst Täter sein. Dies folgt daraus, dass der Tatbestand nur verlangt, dass in räumlicher Beziehung zu den geschützten Gegenständen eine grob ungehörige, gesinnungsrohe, ihnen Verachtung bezeugende Handlung vorgenommen wird. Sie aber kann auch von demjenigen ausgehen, der die Berechtigung zum Gewahrsam an den geschützten Gegenständen hat.231
IV. Der objektive Tatbestand von Absatz 2 Variante 1 47 Der objektive Tatbestand von Abs. 2 Var. 1 erfordert die Zerstörung oder Beschädigung einer der geschützten Stätten.
1. Angriffsgegenstände Angriffsgegenstände sind Aufbahrungsstätten, Beisetzungsstätten und öffentliche Totengedenkstätten.
48 a) Aufbahrungsstätte. Die Aufbahrungsstätte ist der Beisetzungsstätte durch das Sechste Gesetz zur Reform des Strafrechts hinzugefügt worden, wodurch eine seit langem bekannte unbeabsichtigte Lücke im Strafschutz des § 168 geschlossen worden ist (näher dazu Rdn. 2). Aufbahrungsstätten sind sakrale oder profane Räumlichkeiten oder Teile von Räumlichkeiten, die dazu dienen, die Verstorbenen vor deren Beisetzung aufzubahren, damit die um sie Trauernden von ihnen Abschied nehmen können.232 Der Schutz gilt in erster Linie Aufbahrungen vor und während der Trauerzeremonie; erfasst sind aber auch Aufbahrungen im Vorfeld der Beerdigungen, sei es im Haus des Verstorbenen, in einem Beisetzungsinstitut oder in einer Kirche.233 Anders als bei Totengedenkstätten (Rdn. 57 bis 60) ist dementsprechend nicht von Belang, ob eine solche Stätte für die Öffentlichkeit zugänglich ist oder nicht.234 Aufbahrungsstätten sind außer den eigens für Aufbahrungen geschaffenen Räumlichkeiten, wie die Leichenhallen in gemeindlichen Einrichtungen, auch zur Aufbahrung bestimmte Räume in Krankenhäusern sowie jeder Ort, an dem aus einem besonderen Anlass, beispielsweise beim Tod einer Persönlichkeit des öffentlichen Lebens, im Vorfeld der Beisetzung eine Leiche aufgebahrt wird.235 Durch die Gegenwart einer Urne mit der Asche eines 231 RGSt 42 145, 147; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 13; ferner Maurach/Schroeder/Maiwald II, allerdings unter Berufung darauf, dass Schutzobjekt nicht das Pietätsgefühl der Hinterbliebenen, sondern die nachwirkende Würde des Verstorbenen sei (§ 62 Rdn. 17). 232 Fischer Rdn. 19; Herzog NK4 Rdn. 18; Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 12; im Ansatz auch Joecks Rdn. 9; Rogall SK Rdn. 11; Schroth BT S. 243. 233 Hörnle MK Rdn. 24. 234 Fischer Rdn. 19; Hörnle MK Rdn. 24; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 12. 235 Fischer Rdn. 19; Rogall SK Rdn. 11; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 12. Radtke
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Verstorbenen kann eine Räumlichkeit ebenfalls zur Aufbahrungsstätte werden, wenn eine dem Leichnam ähnliche Aufbahrung stattfindet.236 Keine Aufbahrungsstätten sind Räume, in denen Leichen, etwa auf einer Bahre, wie dies in gerichtsmedizinischen Instituten üblich ist, lediglich gelagert werden;237 selbst dann nicht, wenn es sich um spezielle Aufbewahrungsräume handelt, wie beispielsweise pathologische Institute sie in Form der Leichenkammern besitzen.238 Sie dienen nicht dem Zweck, Personen die Anteilnahme am Tod des Verstorbenen zu ermöglichen.239 Zur Tatzeit muss sich in der Aufbahrungsstätte eine Leiche befinden; wenigstens müssen 49 Vorbereitungen für eine bestimmte Aufbahrung getroffen sein.240 Denn der besondere, bei Zerstörung oder Beschädigung des Angriffsgegenstandes über den des § 303 hinausgehende Schutz knüpft an die Funktion der Stätte als Ort der Aufbahrung einer Leiche an.241 Allein die Gegenwart oder die unmittelbar bevorstehende Gegenwart eines Leichnams legitimiert den strafrechtlichen Schutz der Stätte, weil über sie vermittelt der Achtungsanspruch der Verstorbenen durch die Vornahme der tatbestandsmäßigen Handlungen erheblich in Frage gestellt wird. Eine leere Leichenhalle ist daher ebenso wenig eine Aufbahrungsstätte, wie ein leeres Grab eine Beisetzungsstätte ist (näher dazu Rdn. 53).242 Ohne den Zusammenhang mit einer konkreten Aufbahrung erfüllt der Angriff auf eine solche Stätte, wie beispielsweise das mutwillige Einwerfen der Fensterscheibe einer Leichenhalle, den Tatbestand nicht.243 Der Angriff gegen die Aufbewahrungsstätte kann unter diesen Umständen weder als Ausdruck der gravierenden Missachtung des postmortalen Achtungsanspruchs des einzelnen Toten noch der toten Menschen an sich gewertet werden.
b) Beisetzungsstätte. Die Beisetzungsstätte ist der ursprünglich einzige, zunächst als Grab 50 bezeichnete Angriffsgegenstand der Vorschrift (vgl. Entstehungsgeschichte). Beisetzungsstätten sind die meist, nicht aber notwendig, für ihre Bestimmung erkennbar gemachten letzten Ruhestätten menschlicher Leichname oder ihrer Reste.244 Ihre derzeitigen Formen sind das Ergebnis einer langen, schon in vorgeschichtlicher Zeit einsetzenden Entwicklung des Brauchs, die Toten zu bestatten (näher § 167a Rdn. 10 ff).
aa) Gebräuchliche Bestattungsformen. Die gebräuchlichsten Formen der Bestattung 51 sind das Erdbegräbnis als Körperbestattung245 und die Feuerbestattung (Kremation),246 die dem Erdbegräbnis grundsätzlich gleichgestellt ist, bedarf aber nach den Bestattungsgesetzen der Länder (siehe § 167a Rdn. 15) einer behördlichen Erlaubnis (siehe etwa § 35 BestattG B-W). Die Erdbestattung gilt mit der Versenkung der Leiche in die Erde, durch die sie dem Zugriff wilder Tiere entzogen und der Verwesung anheim gegeben wird, als beendet.247 Bei der Feuerbestattung ist zu unterscheiden zwischen der Einäscherung der Leiche und der Übergabe der Asche, die in einer Urne verschlossen sein muss (Urnenzwang), an die vorbestimmte Ruhestelle. 236 237 238 239 240 241 242 243 244
Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 12. Maurach/Schroeder/Maiwald II § 62 Rdn. 18. Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 12. Herzog NK4 Rdn. 18. Fischer Rdn. 19; Hörnle MK Rdn. 24; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 12; vgl. auch Otto BT § 64 Rdn. 16. Fischer Rdn. 19. Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 12. Fischer Rdn. 19. Binding Lehrbuch I § 45 1 II; Fischer Rdn. 20; Crusen S. 55; Hörnle MK Rdn. 23; Kohler Religionsvergehen S. 216; B. Kretschmer Grabfrevel S. 344; ähnlich Gaedke/Diefenbach S. 145; ferner Hegemann, der jedoch die äußerliche Erkennbarkeit für nötig hält (S. 62). Zum Umfang und zur Dauer des Schutzes Rdn. 64 und 65. 245 Zur Entwicklung der Erdbestattung § 167a Rdn. 12 ff. 246 Näher § 167a Rdn. 12 ff. 247 Gaedke/Diefenbach S. 100 f. 395
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Da nach der Einäscherung der Leiche von einer Bestattung nicht mehr die Rede sein kann, wird die Übergabe der Urne an die Ruhestätte als Beisetzung bezeichnet. Erst mit ihr ist die Feuerbestattung abgeschlossen. Urnen werden auf einem öffentlichen Begräbnisplatz in Urnenoder Erdgräbern auf Urnengemeinschaftsgrabfeldern248 beigesetzt oder in Urnenhallen oder -mauern (Kolumbarien)249 aufgestellt. Urnengemeinschaftsgrabstätten können unterschiedlich gestaltet sein, mit Kennzeichnung der Verstorbenen oder mit deren Namen auf einem gemeinsamen Mal, zuweilen auch in einem Gedenkbuch.250 Für die Wahl der Feuerbestattung waren früher vornehmlich weltanschaulich-ideologische Gründe maßgebend, während heute praktische Motive, menschlich-ästhetische, ethische, hygienische, ökonomische und finanzielle, überwiegen.251 Die Bestattung auf Urnengemeinschaftsgrabfeldern ist nahezu ausnahmslos auch die Form der anonymen Bestattung.252 Ungeachtet fehlender individueller Kennzeichnung sind solche Gräber Beisetzungsstätten, die am Schutz von § 168 Abs. 2 teilhaben. Neu ist die Urnenbeisetzung im Friedwald, eine Form der Naturbestattung, wie sie in Ländern mit weniger strengen Bestattungsgesetzen, beispielsweise in Großbritannien in Form von green funerals und meadow oder woodland burials, längst üblich waren. Entwickelt wurde das Friedwaldkonzept Anfang der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts in der Schweiz. Das Bestattungsgelände ist nicht mehr als ein ausgewiesenes Waldstück. Sargbestattungen sind nicht zugelassen. Beigesetzt wird eine kompostierbare Urne mit der Asche des Verstorbenen an den Wurzeln eines zu Lebzeiten gepachteten Baumes. Ein am Baum angebrachtes Täfelchen mit einer Nummer oder auch mit dem Namen und den Lebensdaten des Verstorbenen weist auf das Grab hin. Der Friedwald ist umstritten, weil Anlage und Betrieb nicht den gesetzlichen Anforderungen an einen Begräbnisplatz genügen.253
52 bb) Weniger gebräuchliche Bestattungsformen. Weniger gebräuchliche Bestattungsformen sind die Beisetzung in Grabgebäuden (Mausoleen)254 oder Grüften (ausgemauerte Grabstätten, Grabgewölbe) sowie die Seebestattung (Versenken der Leiche oder der Urne mit der Asche des Verstorbenen im Meer). Grabgebäude und Grüfte werden aus Gründen der Sicherheit und der Hygiene nur noch in besonderen Fällen und unter strengen Auflagen zugelassen.255 Beides sind, wenn und so lange sie Leichen bergen, Beisetzungsstätten im Sinne von Abs. 2. Anders liegt es bei der Seebestattung. Sie war in Zeiten, als Schiffe, die noch keine Kühlanlagen hatten, sich wochenlang auf hoher See befanden, bei einem Todesfall aus hygienischen Gründen notwendig und auch später noch Besatzungsmitgliedern eines Schiffes, die an Bord oder außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes starben, vorbehalten.256 Inzwischen ist sie als Bestattung einer Urne auf hoher See grundsätzlich zulässig (siehe etwa § 32 Abs. 2 S. 3 BestattG B-W); sie bedarf jedoch einer Genehmigung (vgl. § 4 S. 2 Nr. 2, § 5 Abs. 1 Hohe-See.Ein248 Weitere geläufige Bezeichnungen sind beispielsweise Urnenhain, Anonymer Urnenhain, Urnengemeinschaftshain und, am schlichtesten, Rasenfriedhof (vgl. Stefenelli/N. Fischer S. 261).
249 In Zeiten des alten Rom im Mittelmeerraum verbreitete Billigfriedhöfe mit nach dem Prinzip der Taubenschläge übereinandergereihten Nischen (C. Thomas S. 154; vgl. auch Stefenelli/N. Fischer S. 263). 250 Vgl. Nohl/Richter S. 132. 251 Zu noch immer bestehenden Vorbehalten gegen die Feuerbestattung Deutsche Bischofskonferenz S. 27; Weiser Fürsorge S. 10 f. 252 Nohl/Richter unterscheiden von der anonymen Bestattung, die auf einer freiwilligen, bewusst getroffenen Entscheidung des Verstorbenen beruht, die unpersönliche Bestattung, bei der es sich um die, erzwungene, Grablegung von Menschen handelt, die ohne die Nähe von Angehörigen, die es nicht (mehr) gab, oder die, sofern es sie noch gab, sich nicht um sie kümmerten oder kümmern wollten, trostlos gestorben sind (S. 22 ff, 132). 253 Gaedke FK 92 (12/2002) S. 32; vgl. aber auch Nüchtern ZZ 4 (11/2003) S. 11 ff. 254 Benannt nach dem für König Mausolos in Halikarnassos um 360 bis 340 v. Chr. errichteten Grabbau, einem der sieben Weltwunder der Antike, von Alexander dem Großen zerstört. 255 Gaedke/Diefenbach S. 22, 46, 147; vgl. auch Listl/Pirson/Engelhardt S. 106. 256 Geregelt in den §§ 75, 76, 78 Abs. 1 des Seemannsgesetzes vom 26.7.1957 (BGBl. II 713). Radtke
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bringungsgesetz).257 Beisetzungsstätten entstehen bei Seebestattungen naturgemäß nicht; die Störung einer Bestattungsfeier bei der Seebestattung kann aber nach § 167a strafbar sein (siehe § 167a Rdn. 24).
cc) Erforderlicher Rechtsgutsbezug. Um einen für die verfassungsrechtliche Legitimität (vgl. 53 Rdn. 9) ausreichend starken Bezug von Angriffsobjekt und Tathandlung zu den geschützten Rechtsgütern (Rdn. 7) herzustellen, muss die Beisetzungsstätte selbst – entsprechend der Aufbahrungststätte (siehe Rdn. 49) – einen Bezug zum Körper des oder der Verstorbenen aufweisen. Ansonsten kann der unmittelbare Sachangriff (Zerstören oder Bschädigen der Stätte) kaum als Handlung gewertet werden, die den verbleibenden Menschenwürdegehalt des verstorbenen Menschen in Frage stellt. Eine Beisetzungsstätte ist daher erst gegeben, wenn der Tote oder die Urne mit der Asche des Verstorbenen in ihr bestattet ist.258 Das dürfte mit dem Ende des dem jeweiligen Brauch entsprechenden Bestattungsaktes anzunehmen sein, so bei kirchlichen Begräbnissen, wenn die Leiche mit dem Sarg in die Gruft versenkt ist, der Geistliche sie eingesegnet hat, die Leidtragenden der Sitte gemäß einige Hände voll Erde auf den Sarg geworfen und sich dann entfernt haben. Davon ausgehend ist das Grab auch dann Beisetzungsstätte, wenn es noch nicht zugeschüttet ist.259 Da maßgeblich die Erkennbarkeit des Ortes als letzte Ruhestätte des menschlichen Leichnams oder dessen vom Tatbestand erfassten Reste ist (Rdn. 50), kann auch eine unbefugte Beerdigung oder die unbefugte Beisetzung einer Urne mit der Asche eines Verstorbenen auf fremdem Privateigentum eine Beisetzungsstätte entstehen lassen (strg.).260 Vorläufige Gräber, etwa von Gefallenen, fallen bei Erkennbarkeit als (vorläufige) Ruhestätte unter den Begriff,261 selbst wenn eine spätere Überführung zur endgültigen Ruhestätte beabsichtigt sein mag.262 Keine Beisetzungsstätte entsteht – mangels Erkennbarkeit als Ruhestätte – durch das Ver- 54 scharren der Leiche, etwa durch den Mörder.263 Nicht jede Grube wird zum Grab, nur weil sich darin ein Toter befindet (B. Kretschmer Grabfrevel S. 344 Fn. 102). Orte, an denen sich ungeborgene Leichen befinden, beispielsweise ein auf dem Meeresgrund liegendes, mit der Besatzung gesunkenes Unterseeboot,264 sind ebenfalls keine Beisetzungsstätten. Dasselbe gilt für Grabfelder und Massengräber, in denen Verstorbene anonym eingebracht werden, und die daher ebenfalls nicht der Ruhe und dem Andenken bestimmter Verstorbener dienen;265 doch kann eine solche Stätte zur Totengedenkstätte (Rdn. 57 ff) gewidmet werden (OLG Jena NJW 2001 1078, 1079). Auch der Friedhof als Ganzes ist keine Beisetzungsstätte im Sinne des Tatbestandes, weil der Schutz des Abs. 2 sich auf den postmortalen Achtungsanspruch der Verstorbenenen bezieht, der hier gegenständlich mit 257 Gesetz zur Ausführung des Protokolls vom 7. November 1996 zum Übereinkommen über die Verhütung der Meeresverschmutzung durch das Einbringen von Abfällen und anderen Stoffen von 1972 vom 25.8.1998, BGBl. I 2455; näher zur Seebestattung Gaedke/Diefenbach S. 102, 217; Helmers S. 130 f; K. Walter StAZ 36 (1983) 288 f; C. Thomas S. 151 f; vgl. auch Deutsche Bischofskonferenz S. 32; Sperling DFK 75 (1985) 63; Spranger DF 93 (3/2003) 15 f; speziell zu Zuständigkeitsfragen Katt StAZ 39 (1986) 107 ff. 258 Vgl. Gaedke/Diefenbach S. 190. 259 RGSt 12 18, 169; 28 139, 140; Bieri S. 108; Frank Anm. II; Herzog NK4 Rdn. 17. Hierzu gerät die Ansicht, entgegen RGSt 28 139, 140 sei das bloße Herausnehmen des Sarges aus dem offenen Grab keine Zerstörung einer Beisetzungsstätte (Maurach/Schroeder/Maiwald II § 62 Rdn. 20; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 13) nicht notwendigerweise in Widerspruch. 260 Binding Lehrbuch I § 45 1 II; Dippel LK12 Rdn. 63; and. Herzog NK4 Rdn. 17; v. Olshausen Anm. 5a. 261 Bieri S. 111; Kahl VDB III S. 70; Tietz S. 67. 262 Crusen S. 58. 263 Herzog NK4 Rdn. 17; Müller-Hannemann S. 358; missverständlich Kohler, wenn er „unehrlich Verscharrten“ strafrechtlichen Grabesschutz zuspricht (Religionsvergehen S. 216). Ist dabei Verscharren im Wortsinn gemeint, trifft diese Auffassung nicht zu. Gänzlich ablehnend B. Kretschmer Grabfrevel S. 344 Fn. 102. 264 BGH NJW 1994 2613; Fischer Rdn. 20; Hörnle MK Rdn. 23; Rogall SK Rdn. 11; Bondolfi/Kostka/Seelmann/Rüping S. 111; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 12. 265 Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7. 397
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dem konkreten Begräbnisort, nicht aber dem gesamten Friedhofsareal verknüpft ist.266 Mangels ausreichend starker Verknüpfung mit dem Rechtsgut sind zu Lebzeiten reservierte, noch nicht belegte Grabstätte267 und die ausgehobene Gruft noch keine Beisetzungsstätten.
55 dd) Räumlicher Schutzbereich. Der Schutz einer Beisetzungsstätte umfasst den gesamten der Ruhe und dem Andenken des Verstorbenen dienenden Bereich mit allem, was mit ihm in einem wesentlichen oder künstlichen Zusammenhang steht und dauerhaft mit ihm verbunden ist.268 Insbesondere gehören dazu Sarg und Leiche (RGSt 12 168; 28 139, 140), Urne und Asche, alle diese Gegenstände umgebenden Teile des Erdbodens (Grabhügel), Kreuz und Grabmal (RGSt 39 155, 156)269 sowie die Umfriedung.270 Bei einem Erdbegräbnis ist der gesamte eingefriedete Teil geschützt, auch wenn beispielsweise bei einem Sondergrab (Familienbegräbnis) erst ein Teil belegt ist.271 Ferner sind erfasst der Beisetzungsstätte zugehörig eingepflanzte Blumen272 und sonstiger Aufwuchs,273 weil auch sie den feierlichen Charakter der Stätte ausmachen,274 nicht aber Kränze oder andere lose aufgelegte Gebinde, Kerzen und ähnlicher Schmuck, denen eine dauernde Verbindung mit dem Grab fehlt.275 Letzteres gilt auch für Ruhebänke, und zwar selbst dann, wenn sie fest verankert sind.276 Diese Gegenstände kommen als Angriffsobjekte des § 303, aber auch als Mittel beschimpfenden Unfugs an einer Beisetzungsstätte in Betracht (vgl. Rdn. 65 f).
56 ee) Dauer des Strafschutzes. Wie lange eine Beisetzungsstätte eine solche i. S. von Abs. 2 ist und dementsprechend die Dauer des Strafschutzes reicht, lässt sich lediglich vom Schutzzweck und damit vom Rechtsgut her bestimmen.277 Ausgehend von einem auf den Schutz der postmortalen Würde sowohl des einzelnen verstorbenen Menschen als auch des Menschen als Gattungswesen zielenden Zwecks (Rdn. 7) kommt es maßgeblich darauf an, ob noch Rückstände der Bestatteten als Substrat des Würdeanspruchs vorhanden sind.278 Entgegen verbreiteter Auf266 Im Ergebnis ebenos Fischer Rdn. 20. 267 Müller-Hannemann S. 358. 268 So schon RGSt 39 155, 156 und RGRspr. 9 399, wobei es in beiden Entscheidungen zwar noch um den Begriff Grab des § 168 a. F. geht, sie aber schon ausdrücken, was durch die neue Bezeichnung Beisetzungsstätte klargestellt werden soll, nämlich dass das Merkmal den ganzen, dem Andenken des Verstorbenen dienenden Platz mit allem, was dazu gehört, erfasst; ebenso E 62 Begr. S. 346; ferner OLG Jena NJW 2001 1078, 1079; nahezu einhellig in diesem Sinne auch das Schrifttum: Fischer Rdn. 20; Hörnle MK Rdn. 23; Joecks Rdn. 9; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 62 Rdn. 17; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7; Otto BT § 64 Rdn. 16; Rogall SK Rdn. 11; Rüping GA 1977 299, 303; Schmitz S. 102; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 12; and. Kohler Religionsvergehen S. 214. 269 Hörnle MK Rdn. 23; zur Pfändbarkeit eines Grabsteins BGH NJW-RR 2006 507. 270 Hörnle MK Rdn. 23; Rüping GA 1977 301, 303. 271 RG GA 60 66; Bieri S. 198; Crusen S. 58; Fischer Rdn. 20; Kahl VDB II, S. 70; Tietz S. 66 f. 272 RGSt 42 145; RGRspr. 9 399; Fischer Rdn. 20; Gaedke/Diefenbach S. 190; Hörnle MK Rdn. 23; Müller-Hannemann S. 358; Rogall SK Rdn. 11; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 12; and. Frank Anm. II; diff. Crusen S. 61. 273 Gaedke/Diefenbach S. 190. 274 Maurach/Schroeder/Maiwald II § 62 Rdn. 18:. 275 RGSt 21 178, 179; 42 145; Blei II § 36 II 3; Fischer Rdn. 20; Hörnle MK Rdn. 23; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 12; Welzel Strafrecht § 65 IV 3. 276 Fischer Rdn. 20; Hörnle MK Rdn. 23; Bondolfi/Kostka/Seelmann/Rüping S. 111; GA 1977 299, 303; and. Rudolphi/Rogall (Voraufl.) SK Rdn. 11. 277 Methodisch ebenso wohl RGSt 42 116, 117; Dippel LK12 Rdn. 65; B. Kretschmer Grabfrevel S. 345; Wolff LK12 § 304 Rdn. 6, die jeweils auf das Pietätsgefühl der Bürger abstellen und danach fragen, ob noch ein tatsächliches Pietäts- oder sonstiges emotionales Interesse an ihrem Weiterbestehen erkennbar wird. Da die Erkennbarkeit eines verbliebenen Pietätsgefühls kaum als tatsächliches, der Aufklärung im Verfahren zugängliches Kriterium gemeint sein kann, verweist es letzlich auf die Einschätzung des Rechtsanwenders darüber. 278 Im Ergebnis ebenso Dippel LK12 Rdn. 65. Radtke
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fassung279 dürfte dies für prähistorische Gräber nicht schlechthin anzunehmen sein. Sie bleiben ungeachtet der seit ihrer Errichtung verstrichenen Zeit Beisetzungsstätte lediglich solange, wie sie die Rückstände der in ihnen bestatteten Leichen bergen.280 Das gilt auch dann, wenn sie, wie Hügel- und Hünengräber, inzwischen kulturhistorische Denkmäler geworden sind und als solche in den Schutzbereich des § 304 fallen.281 Ihre eigentliche Zweckbestimmung verlieren sie nicht mit dem kulturellen Zugewinn, sondern erst dadurch, dass die in ihnen Bestatteten nicht mehr substantiell vorhanden sind.282 Im Übrigen entfällt der Schutz beispielsweise nicht schon dann, wenn nur noch die Friedhofsverwaltung sich um die Erhaltung der Beisetzungsstätte bemüht.283 Die Eigenschaft als Beisetzungsstätte im Sinne von Abs. 2 endet mit erlaubtem Entfernen der menschlichen Überreste aus dem Grab.284 Für die widerrechtliche Zerstörung der Stätte wird dies lediglich dann angenommen werden können, wenn der Ort nicht mehr als einer der Aufbewahrung menschlicher Überreste wahrgenommen werden kann.285 Aufgelassene Gräber, um die niemand sich kümmert, verlieren ihre Eigenschaft, Beisetzungsstätte zu sein, nach dem hier für maßgeblich gehaltenen Kriterium erst, wen sie keine sterblichen Überreste mehr beherbergen.286 Die Beisetzungsstätte verliert ihre Eigenschaft mit der Auflösung des Friedhofs, beispielsweise durch seine Umwandlung in einen öffentlichen Park.287
c) öffentliche Totengedenkstätte. Die öffentliche Totengedenkstätte ist der Beisetzungs- 57 stätte durch das Sechste Gesetz zur Reform des Strafrechts hinzugefügt worden (vgl. Entstehungsgeschichte).
aa) Entstehungsgeschichte. Konkreter Hintergrund dieser Gesetzesänderung waren rechtsextremistische Ausschreitungen in Gedenkstätten für Opfer nationalsozialistischer Gewaltherrschaft.288 Unter Rückgriff auf Erwägungen des E 62 (dort § 191 Abs 4, Begr. S. 346) begründete der Reformgesetzgeber des Sechsten Gesetzes zur Reform des Strafrechts die Erstreckung des Strafschutzes auf öffentliche Totengedenkstätten damit, dass die Erinnerungszeichen, die dem Andenken Einzelner oder einer, auch unbekannten, Vielzahl Verstorbener und den Geschehnissen, die zu ihrem Tod führten, etwa Naturkatastrophen, Kriege, Terroranschläge oder die Inhaftierung in Konzentrationslagern, gewidmet sind, nach dem Zweck von Abs. 2 dessen besonderen Schutz verdienen.289 bb) Anforderungen. Die Stätten müssen dem Gedenken an diese Toten und an die betreffen- 58 den Geschehnisse gewidmet sein.290 Sie sind Örtlichkeiten, an denen sich das Pietätsgefühl gegenüber denen, derer gedacht werden soll, entfalten, aber auch Besucher zur Auseinanderset279 Bieri S. 108; Crusen S. 56; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 62 Rdn. 18; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 12. 280 B. Kretschmer Grabfrevel S. 345. 281 RG GA 51 49; OLG Celle NJW 1974 1291, 1292; Rüping GA 1977 299, 304 Fn. 34; Wolff LK12 § 304 Rdn. 7. 282 B. Kretschmer Grabfrevel S. 345. 283 Vgl. Bieri S. 114; Crusen S. 56. 284 Vgl. Bieri S. 114. 285 Siehe aber auch Bieri S. 114. 286 Enger Dippel LK12 Rdn. 65. 287 Herzog NK4 Rdn. 17. 288 C. Kreß NJW 1998 633, 641; BTDrucks. 13/3468 S. 4 mit Hinweisen auf die betreffenden Vorfälle; vgl. dazu schon Rdn. 1 mit Fn. 3. 289 BTDrucks. 13/8587 S. 30; Fischer Rdn. 21; Hörnle MK Rdn. 25; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7; Rogall SK Rdn. 13; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 12. 290 Fischer Rdn. 26; Hörnle MK Rdn. 25. 399
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zung mit dem historischen Ereignis angeregt werden können.291 Mit der Beschränkung auf öffentliche Totengedenkstätten lehnt sich Abs. 2 an den Begriff öffentliches Denkmal in § 304 Abs. 1 an, was eine Auslegung an den dem zu § 304 Entwickeltem nahelegt.292 Mit dem Merkmal „öffentlich“ verbindet aufgrund des normativen Charakters der Gesetzgeber die Erwartung, nur solche Gedenkstätten zu erfassen, die ihrer Bedeutung nach schützenswert sind.293 Ob der Kreis der geschützten Objekte damit bestimmt genug erfasst werden konnte, ist fraglich. Doch hätte die Beschränkung auf räumlich abgegrenzte Stätten294 – dem Schutzzweck kaum entsprechend – solche Gedenkstätten ausgeschlossen, bei denen wegen der Lage des Ortes auf eine Umfassung verzichtet und nur ein Gedenkstein oder ähnliches Erinnerungszeichen aufgestellt ist.295 „Öffentlich“ verlangt eine allgemeine Zugänglichkeit der Stätte.296
59 cc) Kasuistik. Totengedenkstätten sind in erster Linie Gedenkstätten für Opfer der nationalsozialistischen oder einer anderen Gewalt- und Willkürherrschaft,297 wobei Gräberfelder ehemaliger Straflager, in die Verstorbene anonym eingebracht worden sind, zu Totengedenkstätten gewidmet werden können (OLG Jena NJW 2001 1078, 1079), ferner Gedenkstätten für die Opfer von Naturkatastrophen,298 Denkmäler für Opfer von Flucht und Vertreibung299 sowie Gedenkstätten für durch Terroranschläge Getötete,300 so das 1995 in München eingeweihte Denkmal für die Opfer des Terroranschlags auf die israelische Olympiamannschaft (BTDrucks. 13/8587 S. 30).301 Geschützt sind aber auch die, vom E 62 noch als einziges Beispiel genannten (Begr. S. 346), Denkmäler für die Gefallenen beider Weltkriege.302 Deren generelle Einbeziehung in den Strafschutz war im Gesetzgebungsverfahren allerdings umstritten.303 Dagegen hatte sich der Einwand erhoben, dass dadurch die Ehre von ehemaligen Wehrmachtsangehörigen aufgewertet werde (vgl. den Bericht des Rechtsausschusses BTDrucks. 13/9064 S. 8).304
60 dd) Keine Totengedenkstätten. Keine Totengedenkstätten sind Erinnerungszeichen, die nicht das gewisse Maß an Bedeutung besitzen, das durch das Merkmal „öffentlich“ gewährleistet wird. Das gilt beispielsweise für Erinnerungstafeln, die von Privatpersonen aus persönli291 Herzog NK4 Rdn. 20. 292 Vgl. dazu Fischer § 304 Rdn. 8; Sch/Schröder/Hecker § 304 Rdn. 5; Wolff LK12 § 304 Rdn. 7. 293 BTDrucks. 13/8587 S. 31; vgl. auch Hörnle MK Rdn. 25; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 12. 294 So Herzog NK4 Rdn. 20 gegen Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 12. 295 Hörnle MK Rdn. 25. 296 BTDrucks. 13/8587 S. 30; Fischer Rdn. 21; Joecks Rdn. 9; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7; Rogall SK Rdn. 13. 297 BTDrucks. 13/8587 S. 30; Fischer Rdn. 21; Hörnle MK Rdn. 25; Joecks Rdn. 9; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7; Rogall SK Rdn. 13; Schroth BT S. 243; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 12; grundsätzlich auch Maurach/Schroeder/ Maiwald II, jedoch mit Bedenken gegen die generelle Einbeziehung von ehemaligen Konzentrationslagern (BTDrucks. 13/3468 S. 4; 13/8587 S. 23) als zu weitgehend (§ 62 Rdn. 19). 298 Rogall SK Rdn. 13. 299 Fischer Rdn. 21; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 62 Rdn. 19. 300 Joecks Rdn. 9; Rogall SK Rdn. 13. 301 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 12. 302 BTDrucks. 13/8587 S. 30; Fischer Rdn. 26; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7; Rogall SK Rdn. 13; Sch/Schröder/Bosch/ Schittenhelm Rdn. 12; and. Herzog in der Erwägung, dass trotz der gerade in kleinen Gemeinden bestehenden tiefen Verbindung mit den Personen, an die örtliche Kriegerdenkmäler erinnern, und des hohen pietätsvollen Respekts, der ihnen gezollt werde, sie gegenüber den anderen geschützten Örtlichkeiten der Aufbahrungs-, Begräbnis- und Totengedenkstätten nur wenig in Beziehung mit den Toten und deren Schicksal stünden, weswegen ihre Einbeziehung in den Strafschutz zu einer nicht tolerierbaren Unbestimmtheit des Tatbestandes führe (NK4 Rdn. 20). 303 An der Einbeziehung ist jedoch im Hinblick auf den Schutzzweck von § 168 Abs. 2 zu Recht festgehalten worden; siehe auch Fischer Rdn. 21; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 12. 304 Siehe auch C. Kreß NJW 1998 633, 641. Radtke
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IV. Der objektive Tatbestand von Absatz 2 Variante 1
StGB § 168
chen Motiven an der Außenwand eines Hauses angebracht werden,305 sowie für Marterln und Kreuze für Verkehrsopfer an der Unfallstelle.306 Ferner fallen Denkmäler und Erinnerungsstätten allgemeiner Art, auch wenn sie auf bestimmte, gleichfalls mit dem Tod von Menschen verbundene Geschehnisse hinweisen, jedoch nicht in besonderer Weise dem Andenken an Verstorbene dienen, vielmehr das betreffende Ereignis in den Vordergrund stellen, nicht unter den Tatbestand.307 So liegt es bei einem Siegesdenkmal auf einem früheren Schlachtfeld308 sowie den als Denkmal geschützten Teilen ehemaliger DDR-Grenzanlagen.309 Auch Ausstellungen über Kriegszerstörungen oder Kriegsverbrechen gehören nicht dazu, Mahnmale für die dabei Getöteten ausgenommen.310
2. Tathandlung Die Tathandlung besteht im Zerstören oder Beschädigen eines der geschützten Objekte. Für 61 die Anforderungen an beide Tathandlungen gelten die für § 303 geltenden Maßstäbe (dazu Wolff LK12 § 303 Rdn. 21 und Rdn. 9 ff).
a) Begriff. Zerstört ist eine Aufbahrungs-, Beisetzungs- oder öffentliche Totengedenkstätte, wenn ihre Beschädigung so weit geht, dass sie ihrem Zweck, dem Toten eine würdige Ruheoder Gedenkstätte zu sein, nicht mehr dienen kann.311 Bei der Beisetzungsstätte meint die Tathandlung die eigentliche Grabschändung, also den zerstörerischen Angriff auf das Grabmal und die Umfriedung oder den Sarg und die Urne selbst.312 Zerstört ist die Beisetzungsstätte, wenn die Grabschändung so weit geht, dass eine würdige Ruhestätte danach nicht mehr vorhanden ist.313 Obwohl das noch nicht zugeschüttete Grab bereits als Beisetzungsstätte gilt (Rdn. 53), liegt in dem bloßen Herausnehmen des Sarges mit der Leiche aus dem offenen Grab, weil diese sonst nichts beschädigende Handlung den feierlichen Charakter, wie er dem noch nicht zugeschütteten Grab schon eigen ist, nicht beeinträchtigt, keine Zerstörung einer Beisetzungsstätte.314 Das Ausgraben des Sarges reicht aus, weil dadurch die Einheit von Grab und Sarg zerstört wird.315 b) Ort der Tathandlung. Beschädigt ist eine Aufbahrungs-, Beisetzungs- oder Totengedenk- 62 stätte, wenn auf ihre Substanz in einem Umfang eingewirkt worden ist, der die Brauchbarkeit zu ihrem bestimmten Zweck mehr als nur geringfügig beeinträchtigt, und es nicht nur unerheblicher Bemühungen bedarf, um sie wieder herzustellen.316 Das Beschädigen von Kränzen oder sonst lose aufgelegtem Grabschmuck verwirklicht, weil sie mangels einer dauernden Verbindung nicht Teile der Beisetzungsstätte sind (Rdn. 55), den Tatbestand nicht.317 Soweit angenom305 306 307 308 309 310 311 312 313 314
Hörnle MK Rdn. 25. Maurach/Schroeder/Maiwald II § 62 Rdn. 19. Fischer Rdn. 21; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 12. Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 12. Tröndle/Fischer49 Rdn. 9. Fischer Rdn. 21. RGSt 8 33; 28 139; 39 224; Herzog NK4 Rdn. 21; Sch/Schröder/Hecker § 303 Rdn. 11; Wolff LK12 § 303 Rdn. 16. RGSt 9 399; 21 178; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 12. RGSt 8 33; 28 139; 39 224; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 13. Maurach/Schroeder/Maiwald II § 62 Rdn. 20; Rogall SK Rdn. 11; Schmitz S. 103; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 13; and. RGSt 28 139, 140, 141; Kesel S. 122. 315 Hörnle MK Rdn. 26. 316 BGHSt 13 207, 208; RGSt 43 204, 205; 74 13, 14; Sch/Schröder/Hecker § 303 Rdn. 8; Wolff LK12 § 303 Rdn. 5. 317 RGSt 21 178; 42 145; RGRspr. 9 (1997) 399; Kesel S. 119; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 13. 401
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men wird, eine solche Handlung könne beschimpfender Unfug im Sinne von Abs. 2 Var. 2 (vgl. Rdn. 66) sein,318 kann dem so nicht gefolgt werden. Ein solches Verhalten ist zwar grob ungehörig, wird aber regelmäßig kaum als Missachtung der postmortalen Würde des oder der Verstobenen gewertert werden können. Angesichts des schwachen Rechtsgutsbezugs liegt bei Vorgehen gegen Bepflanzungen der Stätte im Regelfall selbst dann keine Beschädigung vor, wenn diese sich als erhebliche Beeinträchtigung der Bepflanzung erweist.319 Die Erheblichkeit der Einwirkung ist über die Sachbeschädigungsdelikte zu erfassen. Das Entfernen eingepflanzter Blumen oder Ähnlichem durch den Berechtigten gehört zu dessen üblichen Handlungen, die schon wegen Sozialadäquanz nicht tatbestandsmäßig sind.320 Durch das Herausnehmen des Grabsteins wird nicht stets auch die Beisetzungsstätte beschädigt (RG GA 53 441). Ist das Grabmal allein betroffen, geht § 304 vor (näher Rdn. 85), dessen Strafschutz, weil Grabmäler Beisetzungsstätten überdauern können, im Übrigen über den von § 168 Abs. 2 Var. 1 hinausreicht. Eine Beschädigung der Beisetzungsstätte kann unter Umständen im Abnehmen und Entfernen des Sargdeckels liegen (RGSt 12 168, 169).321
V. Der objektive Tatbestand von Abs. 2 Var. 2 63 Der objektive Tatbestand von Abs. 2 Var. 2 verlangt die Verübung beschimpfenden Unfugs an einer Aufbahrungs-, Beisetzungs- oder öffentlichen Totengedenkstätte.
1. Angriffsgegenstände Die Angriffsgegenstände sind dieselben wie bei Abs. 2 Var. 1. Daher gelten insoweit uneingeschränkt die Erläuterungen dort, zur Aufbahrungsstätte Rdn. 48 und 49, zur Beisetzungsstätte Rdn. 50 bis 56 und zur Totengedenkstätte Rdn. 57 bis 61.
2. Tathandlung 64 Die Tathandlung besteht in einem auf die Tatobjekte bezogenem Verüben beschimpfenden Unfugs.
a) Begriff. Der Begriff und Begriffsverständnis stimmen mit dem bei Abs. 1 Var. 2 (Rdn. 41) und dem bei § 167 Abs. 1 Nr. 2 (dort Rdn. 39 f) überein. Er muss auch hier nicht anders als bei Abs. 1 Var. 2 (dort Rdn. 45 aE) wegen des notwendigen Rechtsgutsbezugs und der nicht völlig zweifelsfreien verfassungsrechtlichen Legitimität restriktiv gedeutet werden.
318 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 13. 319 Deutlich weniger streng Herzog NK4 Rdn. 22; Welzel Strafrecht § 65 IV 3; vgl. auch Gaedke/Diefenbach, die das Abreißen von Blumen oder Blüten auf der Grabstelle wachsender Pflanzen erst dann genügen lassen wollen, wenn es in einem das Pietätsgefühl verletzenden Maß geschieht (S. 190). 320 Hörnle MK Rdn. 26. 321 Der Entscheidung liegen Handlungen zugrunde, die im Zusammenhang mit der Einlegung von Särgen in ein Familiengrab standen. Um den erforderlichen Platz zu schaffen, brachen auf Anweisung des angeklagten Totengräbers Friedhofsarbeiter die Deckel der unteren Särge los und entfernten sie. Auf die so bloß gelegten bestatteten Leichen schaufelten sie Erde und platzierten hierauf die neuen Särge. Radtke
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V. Der objektive Tatbestand von Abs. 2 Var. 2
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b) Ort der Tathandlung. Als Ort der Tathandlung kommt nicht allein die geschützte Stätte 65 selbst in Betracht; vielmehr genügt, wenn die Handlung in unmittelbarem räumlichen Zusammenhang mit dem geschützten Ort und inhaltlich bezogen auf seine besondere Eigenschaft vorgenommen wird.322 Das folgt aus dem Wort „dort“, das bei der Neufassung der Vorschrift durch das Sechste Gesetz zur Reform des Strafrechts an die Stelle des Wortes „an“ gesetzt worden ist (vgl. Entstehungsgeschichte). Der Gesetzgeber hat hinreichend deutlich im Wortlaut zum Ausdruck kommend klargestellt, dass neben Tathandlungen an einer Gedenkstätte auch diejenigen in einer Gedenkstelle erfasst werden und solche grob ungehörigen Handlungen den Tatbestand erfüllen können, die nicht der Gedenkstätte, sondern, wie etwa bei Beschimpfungen am Grab, der Person des Verstorbenen gelten.323 Tatbestandsmäßig ist daher auch, wenn in der Gedenkstätte die Würde des Verstorbenen verletzt wird, wobei es sich nicht um einen bestimmten Verstorbenen handeln muss, wohl aber um diejenigen, derer an der Stätte gedacht wird.324 Darüber hinaus kann sich die Tathandlung auf das Gedenken selbst beziehen.325
c) Kasuistik. Beispiele beschimpfenden Unfugs sind das Aufstellen einer „Gedenktafel“ mit 66 Beschimpfungen des Verstorbenen auf einer Beisetzungsstätte und das „Schmücken“ eines Denkmals für Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft mit der Hakenkreuzfahne.326 In unmittelbarem räumlichem Zusammenhang mit der geschützten Örtlichkeit stehen das Halten von Schimpfreden oder das Singen zotiger Lieder an einer Beisetzungsstätte, verhöhnende und provokative Gesten Rechtsradikaler an einer Gedenkstätte für Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft327 und das Singen nationalsozialistischer „Kampflieder“ vor oder in einer solchen Gedenkstätte.328 Bei einer Totengedenkstätte genügt es, wenn die beschimpfende Handlung nur gegen eine bestimmte Gruppe des Personenkreises gerichtet ist, dessen Andenken insgesamt diese Stätte dient, so etwa das Hinausschreien der einstigen Naziparole „Juda verrecke“ an einer Gedenkstätte für alle Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.329 Ähnlich liegt es bei Erinnerungsstätten, die dem Andenken namentlich genannter Einzelpersonen gewidmet sind, wenn der Täter nur eine dieser Personen beschimpft.330 Ob in dem Beschädigen einer Aufbahrungs-, Beisetzungs- oder Totengedenkstätte zugleich ein beschimpfender Unfug liegt, hängt von den besonderen Umständen des Falles ab;331 die erforderliche restriktive Handhabung (Rdn. 65) spricht eher gegen die Annahme beschimpfenden Unfugs, wenn nicht in dem Angriff auf Sachen deutlich die Missachtung des postmortalen Würdeanspruchs der Verstorbenen zum Ausdruck kommt. Für das von Abs. 2 Var. 1 nicht erfasste Wegwerfen oder Beschädigen von Kränzen und sonstigem lose aufgelegten Schmuck (vgl. Rdn. 63) gilt Entsprechendes, so dass entsprechende Verhaltensweisen als
322 Fischer Rdn. 22; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 13. 323 BTDrucks. 13/9064 S. 10; ferner Fischer Rdn. 22; Joecks Rdn. 9; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7; Sch/Schröder/ Bosch/Schittenhelm Rdn. 13; and. Hörnle MK Rdn. 26 mit Fn. 95.
324 Daher würden beispielsweise verbale Angriffe gegen den Staat an einem Kriegsgefallenendenkmal oder einer Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus nicht ausreichen (Hörnle MK Rdn. 26).
325 Fischer Rdn. 22. 326 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 13; ferner Hilgendorf JuS 1993 97, 98. 327 Vgl. Fischer Rdn. 22 und Hörnle MK Rdn. 26; so posierten beispielsweise Anfang 1994 vor dem Krematorium des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald mit braunen Hemden bekleidete und mit Feuerhaken ausgerüstete Rechtsradikale (BTDrucks. 13/8587 S. 23). 328 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 13. 329 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 13. 330 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 13. 331 Praktische Bedeutung hätte die Strafbarkeit nach beiden Alternativen des Absatzes 2 freilich nicht, weil auf jeden Fall nur eine Tat vorläge (Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 13). 403
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Störung der Totenruhe regelmäßig insgesamt straflos bleiben werden.332 Bei besonderen Umständen, wie beispielsweise bei zusätzlicher Verwüstung der Stätte (siehe Heimann-Trosien LK9 Rdn. 18), kann es sich bei ausreichendem Rechtsgutsbezug anders verhalten. Unter der vorgenannten Voraussetzung ist das Umwerfen oder Beschmieren von Grabsteinen oder Erinnerungstafeln tatbestandsmäßig.333
VI. Der subjektive Tatbestand 1. Allgemeines 67 Der subjektive Tatbestand erfordert bei sämtlichen Begehungsformen des § 168 Vorsatz.334 Die häufig anzutreffende Formulierung, es genüge allgemein bedingter Vorsatz,335 greift zu kurz und beachtet Unterschiede zwischen den verschiedenen tatbestandsmäßigen Handlungen nicht. Selbst wenn der beschimpfende Unfug (jeweils Var. 2 von Abs. 1 und 2) nicht als subjektiv-objektives Tatbestandsmerkmal (so aber Stübinger NK Rdn. 12) verstanden wird (Rdn. 42), weist er tatbestandiche Strukturen auf, die sich auf die Anforderungen an den subjektiven Tatbestand auswirken (Rdn. 69; vgl. dazu auch BGH NStZ-RR 2021 76). Für die Tathandlungen der Wegnahme (Abs. 1 Var. 1) sowie das Zerstören und Beschädigen (Abs. 2 Var. 1) gelten die allgemeinen Regeln; ausreichend ist insoweit Kenntnis der tatsächlichen Umstände zum Tatobjekt und zur Tathandlung. Insoweit genügt, dass der Täter bei zutreffender Tatsachenkenntnis mit der konkreten Möglichkeit rechnet, durch sein Handeln den tatbestandlichen Erfolg zu verwirklichen.
2. Tathandlung 68 Für den Vorsatz bei beschimpfendem Unfug nach Abs. 1 Var. 2 stellt der Bundesgerichtshof auf der Grundlage seines dualistischen Rechtgutskonzepts (Rdn. 4 f) auf folgendes ab: wolle der Täter dem Toten seine Verachtung zeigen, müsse ihm der beschimpfende Charakter seiner Handlung bewusst sein („Rechtsgut postmortaler Persönlichkeitsschutz“). Der Tatbestand sei auch verwirklicht, wenn der Täter mit dem Leichnam in einer Art und Weise umgehe, die seine Verachtung gegenüber dem Menschsein an sich aufzeigt, indem er die dem Menschen über den Tod hinaus zukommende Würde als Gattungswesen missachte („Rechtsgut Pietätsgefühl der Allgemeinheit“; vgl. BGH NStZ-RR 2021 76 unter Verweis auf BGHSt 50 80, 89 f). Die Formulierung, dem Toten Verachtung zeigen zu wollen, meint kein intentionales Element des Vorsatzes,336 sondern dürfte, wie sich aus dem Hinweis auf das Rechtsgut ergibt, zum Ausdruck bringen, dass der Täter seine Handlung in dem Bewusstsein vornimmt, damit den postmortalen Würdeanspruch des betroffenen Verstorbenen in Frage zu stellen. Entsprechendes gilt – auf der Grundlage des Rechtsgutskonzepts des BGH – auch für Beeinträchtigungen des Achtungsanspruchs des Menschen als Gattungswesen.337 Die Einordnung eines Verhaltens als beschimpfender Unfug ist das Ergebnis eines Wertungsaktes; es handelt sich um ein normatives Tatbestands332 333 334 335 336 337
Sonst kommen bei bloßer Wegnahme allenfalls Diebstahl oder Unterschlagung in Betracht. Fischer Rdn. 22; Herzog NK4 Rdn. 23. Zur fehlenden Fahrlässigkeitsstrafbarkeit bei § 168 vgl. OLG München FamRZ 2006 973, 974. Fischer Rdn. 24; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 9; Rogall SK Rdn. 25; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 14. RGSt 42 145, 146; Fischer Rdn. 24; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 14. Soweit LG Hamburg NStZ 1982 511 512 meint, der Täter brauche sich seines Verstoßes gegen das „Pietätsgefühl der Allgemeinheit“ nicht bewusst zu sein, trifft das lediglich insoweit zu, als er den Wertungsakt, dass es sich um das Infragestellen des postmortalen Achtungsanspruchs des Menschen an sich (Mensch as Gattungswesen) handelt, nicht selbst in eigener Wertung nachvollzogen haben muss. Radtke
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VI. Der subjektive Tatbestand
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merkmal (zu solchen allgemein Vogel/Bülte LK § 16 Rdn. 25 bis 27). Es genügt daher für den darauf bezogenen Vorsatz das Nachvollziehen der Wertung in einer für solche Tatbestandsmerkmale geforderten Weise (dazu Vogel/Bülte LK § 16 Rdn. 26 m. w. N.).338
3. Einzelne Aspekte Politische Überzeugungen oder sonstige Motivationen, in Fällen von Abs. 1 Var. 1 etwa kommer- 69 zielle oder sexuelle Erwägungen, sind für den Vorsatz unerheblich.339 Bei diesem Tatbestand schließt ein wohlmeinender Zweck340 ebenso wenig den Vorsatz aus, wie bei Abs. 2 Var. 1 die Absicht, die zerstörte oder beschädigte Beisetzungsstätte wieder herzustellen (RG HRR 1927 66).
4. Irrtumskonstellationen Ein den Vorsatz ausschließender Tatbestandsirrtum (§ 16 Abs. 1 S. 1) kommt bei § 168 Abs. 1 70 Var. 1 etwa in Betracht, wenn der Täter aufgrund fehlerhafter Tatsachenkenntnis von einem Einverständnis des berechtigten Gewahrsamsinhabers (vgl. Rdn. 27 f) mit der Wegnahme eines geschützten Tatobjekts ausgeht. Vollzieht der Täter in den Fällen von Abs. 1 Var. 2 und Abs. 2 Var. 2 die Wertung seines Handelns als beschimpfender Unfug nicht in der für normative Tatbestandsmerkmals gebotenen Weise nach (vgl. Rdn. 68), fehlt es wegen des damit einhergehenden Tatbestandsirrtums am Vorsatz.341 Andere Irrtumskonstellationen können lediglich dann zum Tragen kommen, wenn der Täter ohne Einverständnis des Gewahrsamsberechtigten geschützte Tatobjekte vorsätzlich wegnimmt. Soweit entgegen der mittlerweile überwiegend vertretenen Ansicht (Rdn. 26) berechtigter Gewahrsam ohne tatsächliches Obhutsverhätnis für möglich gehalten würde (dazu Rdn. 25), wird bei einer mit einer Wegnahme von nach Abs. 1 Var. 1 geschützten Objekten einhergehenden Obduktion, der weder prämortal der Verstobene noch postmortal die totenfürsorgeberechtgten Angehörigen zugestimmt haben, gelegentlich Erlaubnistatbestandsirrtum (näher zu diesem Vogel/Bülte LK § 16 Rdn. 110 bis 117) des Obduzierenden mit der Konsequenz des Wegfalls der Strafbarkeit aus dem Vorsatzdelikt angenommen, wenn dieser irrtümlich von einer Befugnis zur Obduktion ausgeht (OLG München FamRZ 2006 973, 974), andere ordnen die Konstellationen als unvermeidbaren Verbotsirrtum (§ 17 S. 1) ein (vgl. KG NJW 1990 782, 783).342 Erlaubnistatbestandsirrtum kann allerdings in solchen Konstellationen lediglich bei einem auf fehlerhafter Tatsachenwahrnehmung beruhendem Irrtum über das Vorliegen eines Erlaubnissatzes (etwa richterliche Anordnung einer Leichenöffnung nach § 87 Abs. 2 StPO) in Frage kommen. Nimmt der Obduzierende auf zutreffender Tatsachengrundlage rechtlich irrtümlich das Eingreifen eines Erlaubnissatzes an, bestimmen sich die Folgen dieses Irrtums stets nach § 17.
338 Soweit dies mit der Formulierung, der Täter brauche die Wertung nicht nachzuvollziehen (vgl. Dippel LK12 Rdn. 76; Fischer Rdn. 24), gemeint ist, wäre ihr zuzustimmen, falls selbst eine meist sog. Parallelwertung in der Laiensphäre nicht für erforderlich gehalten würde sollte, verdiente dies aus dem im Haupttext genannten Grund keine Zustimmung. 339 Fischer Rdn. 24. 340 Vgl. etwa das Motiv des angeklagten Totengräbers in dem der Entscheidung RGSt 28 139 zugrundeliegenden Fall. Er hatte, um den Wunsch des Vaters eines verstorbenen Kindes zu erfüllen, den Sarg mit der Leiche eines eben bestatteten anderen Kindes nur deshalb aus dem noch offenen Grab herausgenommen und in eine weitere Gruft versenkt, um zu ermöglichen, dass jenes Kind in diesem Grab, das neben dem eines früher dahingeschiedenen Kindes der Familie lag, beigesetzt werden konnte. 341 Zu der kontroversen Abgrenzung von Tatbestands- und Verbotsirrtum bei normativen Tatbestandsmerkmalen vgl. Radtke GedS Joecks (2018) 543 ff m. w. N. 342 Siehe auch Hörnle MK Rdn. 36; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 14. 405
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Störung der Totenruhe
VII. Versuch 71 Der Versuch der Tat ist durchgehend strafbar (Abs. 3). Für die Fälle der Wegnahme eines der geschützten Gegenstände (Abs. 1 Var. 1) kann auf die Regeln beim Diebstahl (vgl. Vogel LK12 § 242 Rdn. 193 bis 195) verwiesen werden. Untauglicher Versuch liegt auch vor, wenn der Täter irrig die tatsächliche Voraussetzung eines der geschützten Gegenstände annimmt oder in den Fällen von Abs. 1 Var. 1 irrig ein tatsächlich wirksam erteiltes Einverständnis des berechtigten Gewahrsamsinhabers nicht kennt. Bei der Verübung beschimpfenden Unfugs an den geschützten Gegenständen liegt der Beginn der Ausführung darin, dass der Täter unmittelbar zur Einwirkung ansetzt.343
VIII. Rechtswidrigkeit 1. Allgemeines 72 Die Rechtswidrigkeit bestimmt sich bei allen vier in § 168 enthaltenen Tatbeständen (Rdn. 3) nach den allgemeinen Regeln. Für Abs. 1 Var. 1 gilt trotz des dortigen Merkmals „unbefugt“ nichts Anderes, weil dies lediglich die allgemeine Rechtwidrigkeit verweist, das tatbestandsmäßige Handeln also dann ungefugt ist, wenn keine wirksame Einwilligung eines Einwilligungsberechtigten vorliegt oder kein Erlaubnissatz zugunsten des Täters oder Tatbeteiligten eingreift. Rechtfertigungen sind zudem denkbar aufgrund gesetzlicher Regelungen, Gewohnheitsrecht,344 behördliche Erlaubnis oder – eingeschränkt – Notstand. Unmittelbar aus der Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG) kann sich eine Rectsfertigung nicht ergeben (Rdn. 83) In den Fällen von Abs. 1 Var. 1 schließt das wirksame Einverständnis des zum Gewahrsam an der Leiche oder dieser Gleichgestelltem bereits die Wegnahme und damit den Tatbestand aus (Rdn. 35). Die praktische Bedeutung des Eingreifens von Rechtfertigungsgründen ist für Abs. 1 Var. 1 am größten (Rdn. 73 bis 83); bei Abs. 1 Var. 2 stellt sich die Frage der Wirksamkeit einer prämortal erklärten Einwilligung des später Verstorbenen zum späteren Umgang mit seiner Leiche (vgl. BGHSt 50 80, 89 ff; siehe auch Rdn. 5 und 84).
2. Rechtswidrigkeit bei Abs. 1 Var. 1 73 Die Rechtswidrigkeit nach Abs. 1 Var. 1 tatbestandsmäßigen Verhaltens (also die Wegnahme der Leiche oder dieser gleichgestellte Tatobjekte) kann durch die wirksame Einwilligung eines dazu Berechtigten (Rdn. 75 bis 77) oder durch das Eingreifen als unterschiedlichen Rechtsquellen stammenden Erlaubnissätze entfallen (Rdn. 78 bis 81). Die Einwilligung kann dabei in prämortalen Erklärungen des später Verstorbenen selbst oder in postmortalen Erklärungen der dann dazu Berechtigten, regelmäßig der Angehörigen, enthalten sein.
74 a) Prämortale Einwilligung. Jedenfalls außerhalb von durch das Transplantationsgesetz geregelten Organ- der Gewebeentnahmen (dazu Rdn. 76 f) rechtfertigt die prämortale Einwilligung des später Verstorbenen im Falle ihrer Wirksamkeit nach Abs. 1 Var. 1 tatbestandsmä-
343 Fischer Rdn. 25. 344 Die Entwicklung übergesetzlicher Rechtfertigungsgründe durch Gewohnheitsrecht ist allgemein anerkannt (vgl. Fischer § 1 Rdn. 9 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung). Radtke
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ßige Wegnahmen geschützer Objekte (allgM).345 Für ihre Wirksamkeit brauchen „achtbare Gründe“ nicht vorzuliegen; finanzielle Motive, Provokationen durch die Angehörigen und Ähnliches machen die Einwilligung nicht unwirksam.346 Strafrechtliche Wirkung entfaltet sie jedoch nur, wenn ihr eine bewusste Entscheidung des Rechtsträgers zugrunde liegt.347 Es gelten ungeachtet der Besonderheiten des hier vorrangig betroffenen Rechtsguts (postmortaler Würdeanspruch des konkreten Verstorbenen) die allgemeinen Anforderungen an die Wirksamkeit einer Einwilligung (zu diesen Rönnau LK Vor §§ 32 ff Rdn. 157 ff). Eine Einwilligung setzt eine auf Zustimmung zum entsprechenden Umgang mit der Leiche (bzw. diesen in Abs. 1 gleichgestellten Schutzobjekten) gerichtete Willensäußerung voraus; fehlt es daran, liegt auch keine Einwilligung vor.348 Für die Wirksamkeit der prämortalen Einwilligung des später Verstorbenen hat ein gegenteiliger Wille der Angehörigen keine Bedeutung.349 Die kontrovers geführte Diskussion darüber, ob die Einwilligung durch Billigung von Sektionsklauseln der Allgemeinen Vertragsbedingungen in Krankenhausaufnahmeverträgen rechtswirksam erklärt werden kann, geht an den strafrechtsdogmatischen Anforderungen einer rechtfertigenden Einwilligung weithin vorbei. Es mag sein, dass bei Überprüfung von Sektionsklauseln an den für AGB geltenden zivilrechtlichen Bestimmungen (§§ 305 bis 310 BGB) die Zulässigkeit solcher Klauseln in der Literatur weit überwiegend verneint wird350 und die Rechtsprechung ebenfalls überwiegend ihre Unwirksamkeit annimmt.351 Ob solche Sektionsklauseln eine mit Treu und Glauben nicht vereinbare unangemessene Benachteiligung der Patienten bewirken (§ 307 Abs. 1 S. 1 BGB = § 9 Abs. 1 AGBG a. F.),352 ist für die strafrechtliche Beurteilung einer in der Zustimmung zum Krankenhausvertrag liegenden Einwilligung nicht unmittelbar von Belang.353 Indizielle Bedeutung kann aber haben, dass sie in der Situation, in der sie regelmäßig vereinbart werden, Überraschungscharakter (vgl. § 305c Abs. 1 BGB) haben. Das kann die strafrechtliche Wirksamkeit der Zustimmung in Frage stellen, weil es an der für die Einwilligung erforderlichen rechtsgutsbezogenen Bedeutungskenntnis fehlen kann.354 Ein durchgängig tragfähiger Schluss von einer an § 305c Abs. 1 BGB scheiternden Einbeziehung der betreffenden Klausel in den Krankenhausvertrag auf die fehlende strafrechtliche Unwirksamkeit einer mit dem Abschluss des Vertrages erteilten Zustimmung kann aber nicht gezogen werden. Maßgeblich ist die Bewertung der Verhältnisse im Einzelfall nach Maßgabe der allgemeinen strafrechtlichen Voraussetzungen der Einwilligung.
345 346 347 348 349
Hörnle MK Rdn. 30; Rogall SK Rdn. 14 i. V. m. Rdn. 8; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 8. Hörnle MK Rdn. 28. Hörnle MK Rdn. 28. Hörnle MK Rdn. 30. v. Bubnoff GA 1968 73; Mergen/G. Brenner S. 131; Eichholz NJW 1968 2275; H. R. Hoffmann DÖG 12 (1950/51) 23; Kemmer DZgerM 18 (1932) 435; Laufs VersR 23 (1972) 8; Reimann FS Küchenhoff S. 348; Samson NJW 1974 2031; Eb. Schmidt KHA 25 (1952) 210; Schorn DZgerM 14 (1930) 377; Wawersik DÄBl. 66 (1969) 1319; vgl. auch BGH JR 1978 110; OLG Frankfurt NJW 1977 859; and. z. B. v. Blume AcP 112 (1914) 405 f; Edlbacher ÖJZ 20 (1965) 449. 350 Deutsch/Spickhoff Rdn. 625; Ehlers MedR 9 (1991) 229 f; Haas NJW 1988 2933 f; Kijewski S. 134 f; G. Koch S. 184; Künzel Path. 11 (1990) 65; Laufs NJW 1991 1520; Lüthe S. 106 f; Knut Müller S. 123 f; Solbach MedR 9 (1991) 27; Stentenbach S. 128 f; Tag FS Laufs 1092; diff. Hirsch/Schmidt-Didczuhn S. 28 f; Rudolphi/Rogall SK Rdn. 8; Schenk S. 162 ff; Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 8; vgl. auch Fischer Rdn. 12; Hörnle MK Rdn. 28; Kiesecker S. 154; Laufs/Uhlenbruck/ Ulsenheimer Rdn. 20a. 351 OLG Hamm VersR 34 (1983) 1131; OLG Karlsruhe NJW 2001 2808, 2809; KG NJW 1990 783; LG Mainz VersR 13 (1980) 724, 725 f; and. BGH NJW 1990 2313, 2314 mit abl. Anm. Deutsch = JZ 1990 925 mit abl. Anm. Ackmann = JR 1991 203 mit abl. Anm. Giesen/Kloth; OLG Koblenz NJW 1989 2950, 2952 f. 352 Vgl. zum Ganzen auch die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage zur Anordnung und Durchführung von Obduktionen nach der Strafprozessordnung (BTDrucks. 13/10924) sowie die abschließende Regelung der Zulässigkeit von Sektionen in den bisher ergangenen Landesgesetzen (dazu Rdn. 3). 353 And. wohl Rogall SK Rdn. 14. 354 In der Sache weitgehend wie hier Hörnle MK Rdn. 30. 407
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75 b) Mutmaßliche Einwilligung. Tragfähige Gründe, einer mutmaßliche Einwilligung rechtfertigende Wirkung zu versagen,355 bestehen nicht.356 § 4 Abs. 1 S. 4 TPG357 stützt eher die Annahme, bei § 168 die mutmaßliche Einwilligung zuzulassen.
76 c) Organtransplation. Erfolgt die Wegnahme von Organen (vgl. § 1a Nr. 1 TPG) oder Gewebe (vgl. § 1a Nr. 4 TPG) des Körpers des Verstorbenen358 zum Zweck der Organ- oder Gewebetransplantation mit Einwilligung des Spenders (vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG; näher Rdn. 87) sind die Auswirkungen auf die Strafbarkeit nach § 168 nicht vollständig geklärt, es ist nicht einmal gesichert, dass die Störung der Totenruhe überhaupt tatbestandsmäßig ist.359 Die Diskussion krankt daran, dass nicht immer hinreichend deutlich wird, ob über ein allgemeines systematisches Verhältnis zwischen der Gesamtregelung des TPG zu § 168,360 das Konkurrenzverhältnis zwischen den Strafvorschriften des TPG zu § 168 oder über die Auswirkungen der Einwilligungsregelungen in §§ 3 ff TPG im Rahmen der erweiterten Zustimmungsregelung361 zu den allgemeinen Einwilligungsregeln des Strafrechts gesprochen wird. Zu erstgenanntem Aspekt vertritt Tag die Auffassung, bei einer zu Transplantationszwecken erfolgenden Entnahme finde § 168 keine Anwendung, die bei Vorliegen einer wirksamen Spenderverfügung entnommenen Organe oder Gewebe seien zur fremden Sache geworden und dem Anwendungsbereich des § 168 entzogen.362 Zudem schließe die wirksame Spende eine Wegnahme aus.363 Schon diese Aussagen miteinander in Einklang zu bringen, fällt nicht ganz leicht. Dass der Organspender prämortal eine wirksame und wohl (den späteren Gewahrsamsinhaber) bindenden Zustimmung zur Wegnahme von Leicheneilen soll erteilen können, überrascht und trägt in der Sache nicht (siehe bereits Rdn. 35). Die Annahme, dass wegen der Struktur von § 19 Abs. 2 TPG mit der Anknüpfung an die Anforderungen aus § 3 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2; § 4 Abs. 1 S. 2 und § 4a Abs. 1 S. 1 TPG bei der Wegnahme von Organen oder Gewebe Verstorbener in diesen Konstellationen eine Strafbarkeit nach § 168 ausscheide,364 trifft lediglich als Ergebnis von Gesetzeskonkurrenz mit dem Vorrang von § 19 Abs. 2 TPG zu.365 Gerade weil § 19 Abs. 2 TPG (wie auch die Strafvorschriften in §§ 17, 18 TPG) eine gänzlich andere Tatbestandsstruktur aufweist als § 168 Abs. 1 Var. 1, insbesondere nicht auf das Gewahrsamserfordernis abstellt, bleibt Abs. 1 Var. 1 auch bei Wegnahme von Organen und Gewebe Verstorbener zu Transplantationszwecken tatbestandlch anwendbar. Die Rechtswidrigkeit dieser Tat entfällt allerdings bereits mit einer prämortal wirksam erteilten Einwilligung des Spenders. Auf die sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen aus § 3 Abs. 1 S. 1 TPG366 kommt es für die Rechtfertigung nach § 168 Abs. 1 Var. 1 nicht an,367 so So aber Dippel LK12 Rdn. 53; Stentenbach S. 79. Wie hier Hörnle MK Rdn. 28; Rogall SK Rdn. 14; siehe auch Sächs.OVG DÖV 2014 983. Zum Verständnis dieser Regelung Tag MK TPG § 4 Rdn. 1. Hat der nach dem Tod berechtigte Gewahrsamsinhaber – ungeachet der prämortalen Willenrichtung des Verstorbenen – sich mit der Wegnahme einverstanden erklärt, fehlt es bereits am objektiven Tatbestand (Rdn. 35). 359 So wohl Fischer Rdn. 13a, P. König Organhandel S. 72; Tag MK TPG § 1 Rdn. 12; siehe auch Heger JZ 1998 506; Schroth JZ 1997 1149, 1152. 360 Zu den Schwierigkeiten Hörnle MK Rdn. 18. 361 Zum Gesetzgebungsverfahren und den dort diskutierten Konzepten ausführlich Dippel LK12 Rdn. 17 bis 21; zur jüngeren rechtspolitischen Debatte um Zustimmungs- bzw. Entscheidungslösung vs. Widerspruchslösung Dutta FamRZ 2019 1219 ff. 362 Tag MK TPG § 1 Rdn. 12 m. w. N. 363 Tag MK TPG § 1 Rdn. 12. 364 Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4a m. w. N. 365 And. wohl Fischer Rdn. 13a, Heger JZ 1998 506; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4a; P. König Organhandel S. 72; Tag MK TPG § 1 Rdn. 12; siehe auch Schroth JZ 1997 1149, 1152. 366 Zu diesen Tag MK TPG § 1 Rdn. 1. 367 And. wohl Rogall SK Rdn. 14 mit der Aussage, die §§ 3 ff TPG enthielten eine „abschließende Sonderregelung der rechtfertigendne Einwilligung in die Organentnahme zum Zwecke der Transplantation“.
355 356 357 358
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dass bei wirksamer Einwilligung auch die Durchführung der Entnahme durch einen Nichtarzt nicht als Störung der Totenruhe strafbar ist.368 Die prämortal erteilte Einwilligung des Spenders nach § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG bezieht sich lediglich auf die Wegnahnme von Organen oder Gewebe zum Zweck der Organtransplantation. Nach § 168 Abs. 1 Var. 1 tatbestandsmäßige Wegnahmen jenseits der Organ- bzw. Gewebeentnahme sind dann im Regelfall nicht durch Einwilligung des Spenders gerechtfertigt.369
d) Postmortale Einwilligung. Postmortal kann die Einwilligung zu nach Abs. 1 Var. 1 tat- 77 bestandsmäßigem Verhalten auch durch die Angehörigen bzw. die zur Totenfürsorge Berechtigten (Rdn. 31 bis 33) erteilt werden. Die Struktur der geschützten Rechtgüter (Rdn. 7) steht nicht entgegen. Die Ausübung der Dispositionsbefugnis ist durch die von BGHSt 50 80, 89 f zu Abs. 1 Var. 2 für den später Verstorbenen selbst geltenden Maßstäben (Rdn. 5 und Rdn. 84) begrenzt. Für die Einwilligung in die Entnahme von Organen und Gewebe zum Zweck der Transplantation sind ungeachtet des in Rdn. 77 zur prämortalen Einwilligung des Verstorbenen Gesagten die Regelungen in § 4 Abs. 1 bis 3 sowie § 1a Nr. 5 TPG maßgebend,370 weil das Strafrecht selbst keine Regelungen zur Bestimmung des Einwilligungsberechtigten enthält. Die Dispotionsbefugnis liegt daher nach näherer Maßgabe in § 4 Abs. 2 TPG371 bei den nächsten Angehörigen (§ 1a Nr. 5 TPG), wenn und soweit aus § 4 Abs. 3 TPG nicht Abweichendes folgt.372
e) Erlaubnisse aufgrund Gesetz oder Behördlicher Erlaubnis. Die Rechtfertigung einer 78 tatbestandsmäßigen Wegnahme nach Abs. 1 Var. 1 kann sich aufgrund gesetzlich geregelter Erlaubnissätze und aufgrund Gesetzes eröffneter behördlicher Erlaubnisse ergeben.
aa) Strafverfahrensrecht. Im Bereich des Strafverfahrens folgt eine Rechtfertigung aus den 79 Bestimmungen über die Leichenöffnung (§§ 87 ff StPO; siehe auch bereits Rdn. 36 bis 39) Die maßgeblichen Regelungen verhalten sich auch zum Unfang der gestatteten Maßnahmen. So lässt § 89 StPO es zu, soweit der Zustand der Leiche es gestattet, Kopf-, Brust und Körperhöhle zu öffnen und Leichenteile zu entnehmen (vgl. RiStBV Nr. 35). Weitergehende Regelungen bestehen nicht.373 Bei nicht gerichtlich angeordneten Sektionen entspricht der in § 89 StPO umschriebene Umfang der Untersuchung medizinischer Übung. Praktisch geht die Sektion unter Umständen weiter als die Obduktion, weil sie im Gegensatz zu ihr regelmäßig nicht mit größter Beschleunigung durchgeführt werden muss (vgl. OLG Karlsruhe NJW 2001 2808; Müller-Hannemann S. 262). Verfassungsrechtlich bedenklich ist die Leichenöffnung nicht. Eine solche Untersuchung würdigt grundsätzlich weder den Toten in seinem allgemeinen Achtungsanspruch (vgl. Rdn. 6) herab, noch erniedrigt sie ihn. Deshalb steht, wenn die Voraussetzungen des § 87 StPO vorliegen, eine Verfügung des Verstorbenen, die eine Leichenöffnung, etwa im Hinblick auf die Spende seines Körpers zur Plastination, untersagt, ihrer Durchführung nicht entgegen (LG 368 369 370 371 372 373
4 Im Ergebnis bzgl. des Nichtarztes aber mit abweichender Begründung ebenso Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4a. Vg. dazu auch Hörnle MK Rdn. 18. Insoweit ist daher Rogall SK Rdn. 14 zuzustimmen. Siehe Tag MK TPG § 4 Rdn. 1 und § 1a Rdn. 8 f. Dazu näher Tag MK TPG § 4 Rdn. 18. Laufs/Uhlenbruck/Ulsenheimer LeichenschauRdn. 2; Weinrich/Wolfslast FreundesG Kreuzer 320 f; vgl. dazu auch die Darstellung bei Geerds ArchKrim. 199 (1997) 78 ff. Für die rechtsmedizinische Praxis gibt es Orientierungshilfen, so Die rechtsmedizinische Leichenöffnung – Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin (abgedruckt bei Gabriel/Huckenbeck S. 87 ff). Eine ausführliche Beschreibung des Ablaufs und des Umfangs der Leichenöffnung findet sich bei Brinkmann/Madea/Klein S. 59 ff; nähere Angaben auch bei B. Kretschmer Grabfrevel S. 524 ff. 409
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Mainz NStZ-RR 2000 43, 44). Ebenso wenig liegt darin eine Verletzung des im Rahmen der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) grundrechtlich anerkannten und gesetzlich geschützten Totenfürsorgerechts der Angehörigen (Rdn. 30 bis 33), das in den ebenfalls zur verfassungsrechtlichen Ordnung gehörenden strafprozessualen Vorschriften über die Leichenöffnung eine Grenze findet (BVerfG NJW 1994 783). Eine richterliche Beschlagnahmeanordnung im Rahmen einer Leichenöffnung kann ebenso wie die richterliche Anordnung der Leichenöffnung selbst nach § 304 Abs. 1, 2 StPO von den Hinterbliebenen mit der Beschwerde angefochten werden. Das durch die Beschlagnahme begründete Recht des Staates zum Besitz der Leiche und der Leichenteile endet mit dem Abschluss des Strafverfahrens. Sie sind alsdann an die Totenfürsorgeberechtigten (Rdn. 30 bis 33) herauszugeben. Weiterbesitz bedarf ihrer Einwilligung, wobei an die Annahme eines stillschweigenden Verzichts auf die Herausgabe strenge Anforderungen zu stellen sind (Rixen ZRP 2001 375).
80 bb) Sozialrecht. Im Sozialrecht lässt § 103 SGB VII374 Obduktionen zur Klärung eines Ursachenzusammenhangs zwischen dem eingetretenen Tod und zum Beispiel einer Berufskrankheit zu, wovon insbesondere die Unfallversicherungsträger Gebrauch machen. Die Regelung hat ihren Ursprung in dem gewachsenen praktischen Bedürfnis, neben den Polizeibehörden auch den Sozialversicherungsträgern im Falle des Todes eines Versicherten im Rahmen der Feststellung der für die Berechtigung einer Erstattungspflicht relevanten Tatsachen, wenn etwa Trunkenheit am Steuer die Zahlung der Hinterbliebenenrente ausschließen könnte, die Befugnis zur Entnahme einer Blutprobe einzuräumen.375 Da streitig war, ob sich aus § 1559 Abs. 4 RVO376 in seiner ursprünglichen Fassung eine entsprechende Befugnis herleiten ließ,377 wurde durch eine Neufassung der Bestimmung378 Rechtsklarheit geschaffen.379 Mittlerweile ist § 1595 RVO aufgehoben380 und die Regelung des § 103 SGB VII getroffen worden. Sie sieht vor, dass bei Unfalltod des Versicherten die Entnahme einer Blutprobe angeordnet werden darf und unter bestimmten Voraussetzungen eine Obduktionssektion zulässig ist, die vom Unfallversicherungsträger jedoch nur bei freiwilliger Zustimmung der Hinterbliebenen vorgenommen werden darf (§ 63 Abs. 2 und 3 SGB VII). Verweigern sie sich, hat dies Einfluss auf die Beweislast, etwa wenn dadurch nicht geklärt werden kann, ob die Folgen eines Arbeitsunfalls wesentliche Todesursachen gewesen sind.381 Auch privatrechtliche Versicherungsverträge sehen in ihren Unfallversicherungsbedingungen das Recht des Versicherers vor, bei Unfalltod eine Obduktion vornehmen zu lassen, deren Verweigerung durch die Hinterbliebenen ebenfalls nachteilige Konsequenzen bei der Beweislastverteilung nach sich ziehen kann (BGH VersR 19911365; LG Köln NJW 1991 2974), beispielsweise, wenn die begehrte Maßnahme zu einem entscheidungserheblichen Beweisergebnis führen könnte und mit ihr das letzte noch fehlende Glied eines vom Versicherer zu führenden Beweises geliefert werden soll.382
374 Sozialgesetzbuch Buch VII: Gesetzliche Unfallversicherung vom 7.8.1996 (BGBl. I 1254). 375 Vgl. Grüner MSV 82 (1986) 99. 376 Reichsversicherungsordnung vom 19.7.1911 i. d. F. vom 5.12.1924 (RGBl. I 779) mit späteren zahlreichen Änderungen. 377 Was weit überwiegend wegen des Fehlens einer den §§ 81a, 81c oder 94 StPO vergleichbaren Ermächtigung verneint worden war (vgl. zum damaligen Streitstand die ausführlichen Nachweise LK10 Rdn. 29). 378 Eingefügt bei Einführung des Sozialgesetzbuchs X durch Gesetz vom 18.8.1980 (BGBl. I 1469). 379 Die Motive stellen ausdrücklich auf die große praktische Bedeutung der Frage ab (vgl. BTDrucks. 8/2034 S. 34). 380 Durch Art. 35 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes vom 7.8.1996 (BGBl. I 1254). 381 Madea/Madea/Dettmeyer Leichenschau S. 154; Meister KH 92 (2000) 303; Tag FS Laufs 1091. 382 Tag FS Laufs 1091. Radtke
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cc) Gefahrenabwehrrecht. Im Gefahrenabwehrrecht begründen die §§ 1, 25 und 26 IfSG 81 Rechtfertigungssachverhalte.383 Danach hat der Gewahrsamsinhaber den Ärzten des Gesundheitsamtes und dessen ärztlichen Beauftragten die Untersuchung des Verstorbenen zu gestatten, wenn sich ergibt, dass dieser an einer übertragbaren Krankheit erkrankt war oder Symptome bestehen, die das Vorliegen einer bestimmten Krankheit vermuten lassen, oder er Ausscheider war, wobei, wenn dies vom Gesundheitsamt für erforderlich gehalten wird, gegenüber dem Gewahrsamsinhaber die innere Leichenschau angeordnet werden kann.384 dd) Allg. rechtfertigender Notstand. Der vormals bei Organtransplantationen praktisch nicht 82 unbedeutetende allgemeine rechtfertigende Notstand (§ 34 StGB)385 wird nach der Schaffung spezifischer Einwilligungsregelungen in §§ 3 ff TPG kaum noch Bedeutung als Rechtfertigungsgrund für nach § 168 Abs. 1 Var. 1 tatbestandsmäßiges Verhalten haben.386 Hauptanwendungsfall der Rechtfertigung durch Notstand war zuvor die Gefahr für Leib und Leben eines Organempfängers, die nur durch die Entnahme und Übertragung des Organs abgewendet werden konnte (vgl. Dippel LK12 Rdn. 53). Er hat sich durch die abschließende Regelung der Voraussetzungen, unter denen Organe eines Verstorbenen zum Zwecke der Transplantation entnommen werden dürfen, durch das Transplantationsgesetz erledigt. Zwar ist der Rechtfertigungsgrund des § 34 auch dort grundsätzlich anwendbar geblieben; doch fehlt es, wenn die Notstandslage des Organempfängers, wie bisher anzunehmen ist, regelmäßig an den übrigen Voraussetzungen des § 34, so dass überhaupt nur noch ganz ungewöhnlich gelagerte Fälle einer Rechtfertigung durch Notstand denkbar sind. Bei der eigenmächtigen Wegnahme von Leichenteilen im Zusammenhang mit Sektionen scheidet eine Rechtfertigung durch Notstand ebenfalls grundsätzlich aus. Allerdings wird auch die Auffassung vertreten, dass Notstand in Betracht komme, wenn die zu rechtfertigende Maßnahme der Vervollkommnung der medizinischen Erfahrungen und Kenntnisse und damit einem sozial so hochwertigen Interesse der Allgemeinheit dienen könne, dass sie deshalb im Konfliktfall den Vorrang vor dem individuellen Interesse an ihrem Unterbleiben haben müsse.387 Diese Ansicht hat jedoch keine allgemeine Anerkennung gefunden. Dagegen lässt sich schon einwenden, dass von der Öffnung einer bestimmten Leiche wohl nur selten die Fortentwicklung der Medizin abhängt.388 Entscheidend aber ist, dass sie sich nicht mit § 34 Satz 2 vereinbaren lässt, wonach die Rechtfertigung durch Notstand nur gilt, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden. Der Regelung des § 34389 liegt insoweit auch der Gedanke zugrunde, dass es nicht Rechtens sein könne, einen anderen über seine Freiheitsrechte und seine verantwortliche sittliche Entscheidung hinweg zu zwingen, seinen Körper als bloßes Mittel zur Erreichung eines, wenn auch wünschenswerten, Zwecks verwenden zu lassen (E 62 Begr. S. 160; vgl. auch BTDrucks. V/4095 S. 15). Daher kann § 34
383 Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) nach Art. 1 des Gesetzes zur Neuordnung seuchenrechtlicher Vorschriften (Seuchenrechtsneuordnungsgesetz – SeuchRNeuG) vom 20.7.2000 (BGBl. I 1065). 384 Das Infektionsschutzgesetz ist an die Stelle des mit Wirkung vom 1.1.2001 aufgehobenen Bundes-Seuchengesetzes i. d. F. vom 18.12.1979 (BGBl. I 2262) getreten, dessen §§ 32 Abs. 2, 33 entsprechende Befugnisse vorsahen. 385 Ausführlich dazu Stentenbach S. 181 ff; Stellpflug S. 42 ff; siehe auch Bockelmann S. 107. 386 Vgl. Hörnle MK Rdn. 34. 387 Bohne FestG Schmidt 163 f; Linck JZ 1973 706; Ponsold/Eb. Schmidt S. 73; KHA 25 (1952) 213 f; Schöllgen KH 45 (1953) 100; Trockel Rechtswidrigkeit S. 147 ff; MKl. 64 (1969) 667; Welzel Strafrecht § 65 IV 1; vgl. auch Rüping GA 1978 303. 388 Z. B. H. R. Hoffmann DÖG 12 (1950/51) 27; F. Klein KD 25 (1952) 298; vgl. ferner Geiger FS Stein 95. 389 Die Vorschrift, eingefügt durch das Zweite Gesetz zur Reform des Strafrechts unter wörtlicher Übernahme des § 39 Abs. 1 E 62, hat den bis dahin nur gewohnheitsrechtlich anerkannten Rechtfertigungsgrund des übergesetzlichen Notstandes gesetzlich fixiert. 411
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in solchen Fällen nicht eingreifen.390 Da das dem Toten entnommene Blut vielfach als Leichenteil angesehen wird (vgl. Rdn. 19), war häufigster Anwendungsfall des § 34 die jetzt in § 63 SG VII geregelte Entnahme von Blut zu Beweiszwecken im Sozialversicherungsrecht (näher Rdn. 81).
83 ee) Weitere Rechtfertigungsgründe. Weitere Rechtfertigungsgründe kommen kaum in Betracht. Ein gewohnheitsrechtlich entstandenes Recht, das entsprechend einem vermeintlichen ärztlichen Berufsrecht klinische Sektionen ohne Einwilligung erlaube, ist von einer früher verbreiteten Auffassung bejaht worden, zumeist unter Verneinung schon der Tatbestandsmäßigkeit.391 Doch kann insoweit von einer dauernden und ständigen, gleichmäßigen und allgemeinen, von allen Beteiligten als verbindliche Rechtsnorm anerkannten Übung, wie die Entstehung von Gewohnheitsrecht sie voraussetzt, nicht die Rede sein. Eine gewohnheitsrechtliche Befugnis ist daher ebenso wie der Ausschluss der Tatbestandsmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit durch soziale Adäquanz, abzulehnen.392 Aus dem Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG) lässt sich entgegen einer gelegentlich vertretener Auffassung393 eine Rechtfertigung im Regelfall nicht herleiten.394 Es bestehen die allgemein gegen eine unmittelbare Rechtfertigung aus Grundrechten geltend gemachten Bedenken.395
3. Rechtswidrigkeit bei Abs. 1 Var. 2 84 Die Rechtswidrigkeit von nach Abs. 1 Var. 2 tatbestandsmäßigen Verhaltensweisen wird lediglich in seltenen Ausnahmefällen in Betracht kommen. Das Einverständnis des Tatopfers mit einer derartigen Beschimpfung seiner Leiche eignet sich schon deshalb nicht dazu, die Strafbarkeit entfallen zu lassen, weil die geschützten Rechtsgüter nicht vollständig zur Disposition des Einzelnen stehen (siehe bereits Rdn. 5).396 Nur in besonders gelagerten Einzelfällen ist ein rechtfertigendes Eingreifen der Grundrechte des Art. 5 Abs. 1 und 3 (Freiheit der Meinung, der Kunst und der Wissenschaft) denkbar, bei Angriffen gegen Tatobjekte der zweiten Alternative des Absatzes 2 freilich mehr als bei Angriffen gegen Tatobjekte der zweiten Alternative des Absatzes 1.397 In Fällen des Absatzes 2 lässt sich eine entsprechende Anwendung von § 193 in Betracht ziehen, wenn der Täter eine Meinungsäußerung zu Fragen des öffentlichen Interesses bezweckt, die im Hinblick auf die besonderen Umstände der Kundgabe von Missachtung als
390 So auch, eine gegenwärtige Gefahr bei Handlungen zu wissenschaftlichen Zwecken verneinend, Hörnle (MK Rdn. 32); ferner Maurach/Schröder/Maiwald II zur ausdrücklichen Ablehnung der Organentnahme durch den Verstorbenen angesichts der Fortwirkung von dessen Persönlichkeitsrecht (§ 62 Rdn. 13). 391 W. Fischer ZPath. 86 (1950) 419; Gräff ZPath. 88 (1952) 184; Gruber ZPath. 86 (1950) 422; KHA 25 (1952) 158; Eb. Schmidt in Ponsold (Hrsg.) S. 72; KHA 25 (1952) 214 f; Schöllgen KH 45 (1953) 100; Striemer MW 3 (1929) 1376. 392 F. Berger S. 31 f; K. Bode ZPath. 86 (1950) 371 f; Bohne FestG Schmidt 161; Gucht JR 1973 235; Philipsborn JW 1930 1553; Stentenbach S. 89, 102 f; Trockel Rechtswidrigkeit S. 130 f; Uhlenbruck MKl. 67 (1972) 1160. 393 Z. B. Bohne FestG Schmidt 164 (für die Zeit der Weimarer Reichsverfassung); Welzel Strafrecht § 65 IV 1; neuerdings auch Hörnle für Obduktionen, die ausnahmsweise noch den Tatbestand erfüllen, unter Abwägung der Umstände des Einzelfalls MK Rdn. 31. 394 So Czerner, der gegen Hörnle auf der Grundlage eines ausführlich entwickelten Abwägungskonzepts zu dem Ergebnis kommt, dass die Forschungsfreiheit nicht zu einer Reduktion des § 168 führen kann (ZStW 115 [2003] 102 ff, 113); ferner Lackner/Kühl/Heger Rdn. 6; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 62 Rdn. 16; Rogall SK Rdn. 15. 395 Dazu näher H.C. Schmitt S. 188 ff und passim; Radtke GA 2000 19, 33 f. 396 BGHSt 50 80, 88 ff = NJW 2005 2350 mit Bespr. Schiemann = JZ 2005 795 mit Anm. Otto = JR 2005 338 mit Anm. Kudlich: Fall des „Kannibalen von Rotenburg“, eines der bizarrsten Geschehnisse der Rechtsgeschichte; vgl. dazu die Anmerkung der Redaktion Kriminalistik 59 (2005) 638; Momsen/Jung ZIS 2 (2007) 162 ff; Kreuzer MschrKrim. 2005 insb. S. 423 f; Kubiciel JA 78 (2005) 763 ff. 397 Fischer Rdn. 23. Radtke
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Rechtfertigungsgrund aber regelmäßig zu verneinen sein wird.398 Eher sind Rechtfertigungen möglich bei der ersten Begehungsform des Absatzes 2. So ist die Ausgrabung einer schon beerdigten Leiche keine Beschädigung oder Zerstörung einer Beisetzungsstätte, wenn ihre Besichtigung und Öffnung nach § 87 Abs. 3 StPO angeordnet war. Dasselbe gilt für Veränderungen am Grab, die aufgrund entsprechender Vorgaben der Satzung oder der Benutzungsordnung des Begräbnisplatzes vorgenommen wurden.399 Bei Aufbahrungs- und Totengedenkstätten schließlich können Hausrechte derartige Handlungen legitimieren (KG NJW 1990 782, 783).400
IX. Konkurrenzen 1. Allgemeines Für die Konkurrenzen gilt allgemein, dass, wenn der Körper eines Verstorbenen (erste und 85 zweite Alternative des Absatzes 1) Gegenstand des Rechtsverkehrs geworden ist, er nur noch Tatobjekt der §§ 242, 246 und 303 sein kann. Soweit die erste Alternative des Absatzes 1 bei Organentnahmen zum Zwecke der Transplantation anwendbar ist, tritt sie gegenüber § 19 Abs. 2 TPG (Rdn. 87) als dem spezielleren Gesetz zurück, so dass eine Strafbarkeit auch nach § 168 Abs. 1 Var. 1 ausscheidet.401 Allerdings wird für dieses Zusammentreffen im Hinblick auf die unterschiedlichen Schutzzwecke zum Teil Idealkonkurrenz für möglich gehalten.402 Diese Auffassung übersieht, dass im Anwendungsbereich des Transplantationsgesetzes keine Fälle unbefugter zu Transplantationszwecken vorgenommener postmortaler Organentnahmen denkbar sind, die nicht durch § 19 Abs. 2 TPG erfasst und abgegolten würden (vgl. Rdn. 87). Die zweiten Varianten der Absätze 1 und 2 können mit den §§ 166, 167, 167a tateinheitlich zusammentreffen,403 unter Umständen auch mit den §§ 123, 130.404 Streitig ist das Verhältnis der ersten Alternative des Absatzes 2 zu § 304. Tateinheit kann bestehen, wenn durch die Zerstörung oder Beschädigung eines Teils der geschützten Stätte, Umstürzen des Grabmals einer Beisetzungsstätte beispielsweise, auch andere Teile des Objektes, der Grabhügel und die Einfriedung etwa, zerstört oder beschädigt werden,405 oder der Täter zugleich beschimpfenden Unfug dort verübt.406 Hält sich der Angriff jedoch im Rahmen der in § 304 genannten Handlungen, so geht, wenn die Beschädigung sich auf den angegriffenen Teil beschränkt, § 304 vor.407 Gegenüber § 189 treten die zweiten Alternativen der Absätze 1 und 2 zurück, weil sie neben dem nachwirkenden Persön-
398 399 400 401
Hörnle MK Rdn. 33. Fischer Rdn. 23; Hörnle MK Rdn. 33. Hörnle MK Rdn. 33. Fischer Rdn. 26; Heger JZ 1998 506; Hörnle MK Rdn. 36; P. König Organhandel S. 73; B. Kretschmer Grabfrevel S. 515; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4a; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 62 Rdn. 14; Rixen ZRP 2001 375; Schroth JZ 1997 1152; Sch/Schröder/Bosch/Schttenhelm Rdn. 16; vgl. auch Herzog, nach dessen Sicht die Strafbarkeit nach Absatz 1 und die nach § 19 Abs. 2 TPG sich tatbestandlich ausschließen (NK4 Rdn. 14). 402 Nickel/Schmidt-Preisigke/Sengler § 19 Rdn. 9. 403 Fischer Rdn. 26; Frank Anm. III (für die frühere zweite Alternative des Absatzes 1); Lackner/Kühl/Heger Rdn. 10; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 16. 404 Fischer Rdn. 26. 405 RG GA 53 441; 56 76, 77; Fischer § 304 Rdn. 17; Wolff LK12 § 304 Rdn. 17; and. OLG Celle NdsRpfl. 20 (1966) 225; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 10; Hörnle MK Rdn. 36; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 62 Rdn. 18. 406 RGSt 39 155, 157 f; Fischer § 304 Rdn. 17; Wolff LK12 § 304 Rdn. 17. 407 RG GA 53 441; 56 76, 77; OLG Celle NdsRpfl. 20 (1966) 225; Fischer § 304 Rdn. 17; Herzog NK4 Rdn. 26; Lackner/ Kühl/Heger Rdn. 10; and. (stets Tateinheit): Hörnle MK Rdn. 36; Joecks Rdn. 10; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 62 Rdn. 17; Rogall SK Rdn. 20 (unter Hinweis auf die unterschiedlichen Schutzrichtungen der Tatbestände); Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 13. 413
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lichkeitsrecht auch das allgemeine Pietätsempfinden schützen (näher § 167a Rdn. 5 f) und deshalb mit einer höheren Strafdrohung versehen sind.408
2. Verhältnis zu den Strafvorschriften des TPG 86 Das Transplantationsgesetz enthält mehrere Straftatbestände, die die Strafbewehrung jeweils an unterschiedliche Verhaltensweisen im Zusammenhang mit der Entnahme von Organen zum Zweck der Transplantation knüpfen. Die Straftatbestände des TPG richten sich gegen den Organund Gewebehandel (§ 18 TPG) und ahnden Verstöße gegen die zentralen Bestimmungen über die Entnahme von Organen und Gewebe bei lebenden (§ 19 Abs. 1) und toten (§ 19 Abs. 2) Spendern sowie gegen den vorgeschriebenen Umgang mit Auskünften, Angaben und personenbezogenen Daten (§ 19 Abs. 3). Fragen des systematischen Verhältnisses zu § 168 stellen sich lediglich bei einem Teil von ihnen. Erfolgt eine nach § 168 tatbestandsmäßige Entnahme beim Verstorbenen mit dessen prämortal (wirksam) erteilter Einwilligung oder derjenigen der sonst nach § 4, § 4a Dispositionsberechtigten, ist diese gerechtfertigt (Rdn. 76). Im Übrigen gilt im Zusammenhang mit den Strafvorschriften des TPG Folgendes:
87 a) Entnahme beim toten Spender. Als Zuwiderhandlung gegen die Entnahmevoraussetzungen bei toten Spendern (§ 19 Abs. 2 TPG) wird bestraft, wer entgegen § 3 Abs. 1 S. 1 TPG (Einwilligung, Feststellung des Todes, Arzterfordernis), § 3 Abs. 2 TPG (Entnahme trotz Widerspruchs des Spenders oder ohne Feststellung des Hirntodes), § 4 Abs. 1 S. 2 TPG (Unterrichtung und Zustimmung des nächsten Angehörigen bei fehlender Willensäußerung des Spenders) und § 4a Abs. 1 S. 1 TPG (Feststellung des Todes des Embryos oder Fötus, Aufklärung und Einwilligung der mit dem Embryo oder Fötus schwanger gewesenen Frau, Arzterfordernis) ein Organ oder Gewebe entnimmt. An den Arzt sind, will er eine Strafbarkeit vermeiden, hohe Anforderungen gestellt. Beispielsweise bedarf die Feststellung der Voraussetzungen, unter denen bei mangelnder Einwilligung, aber auch fehlenden Widerspruchs des toten Spenders, die Organ- oder Gewebeentnahme durch die Zustimmung des nächsten Angehörigen zulässig wird, besonders sorgfältigen Handelns des Arztes, weil er wegen des Vorrangs eines möglichen mutmaßlichen Willens des Verstorbenen klären muss, ob der nächste Angehörige zur eigenständigen Entscheidung befugt ist. Offene Rechtsfragen vergrößern die ohnehin bestehende Unsicherheit. So ist umstritten, ob auch der Arzt sich strafbar macht, der in der Annahme einer mutmaßlichen Einwilligung des Verstorbenen, die sich nicht auf die Information des nächsten Angehörigen, sondern auf die eines Dritten gründet, der ehemaligen Geliebten etwa, die von der positiven Einstellung des Verstorbenen zu einer Organentnahme weiß, oder eines Rettungssanitäters, dem gegenüber die Verstorbene sich noch in diesem Sinne geäußert hat, ein Organ entnimmt.409 Unklar ist ferner, wie verfahren werden muss, wenn sich herausstellt, dass der befragte Angehörige sich seine Entscheidungsbefugnis durch unwahre Angaben, etwa über seinen persönlichen Kontakt mit dem Verstorbenen in dessen letzten zwei Lebensjahren (§ 4 Abs. 2 S. 1 TPG), erschli-
408 Sch/Schröder/Eisele/Schittenhelm § 189 Rdn. 5; and. Hörnle MK Rdn. 36; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 62 Rdn. 17. 409 Verneinend Schroth in der zutreffenden Erwägung, dass die gegenteilige Auffassung strafrechtliches Systemdenken zerstören würde (JZ 1997 1152); ferner U. Walter FamRZ 1998 206; vgl. auch Roxin/Schroth/Sabass2 S. 265; Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 8; and. Deutsch NJW 1998 778; Seelmann S. 37 f. Nickel/Schmidt-Preisigke/Sengler messen dem Problem keine besondere strafrechtliche Relevanz bei, weil die subjektive Bewertung des mutmaßlichen Willens des Verstorbenen einer objektiven Überprüfung durch den Arzt kaum zugänglich sei (§ 19 Rdn. 5). Radtke
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chen hat.410 Trifft der nächste Angehörige mangels irgendwelcher Anhaltspunkte eine eigene Entscheidung, dürfte insoweit auch das Totenfürsorgerecht dieses Angehörigen Rechtsgut sein.411 Die einzelnen Varianten des § 19 Abs. 2 TPG stehen, wie bei § 19 Abs. 1 TPG, im Verhältnis der Tateinheit zueinander. Neben § 19 Abs. 2 TPG kann die erste Alternative des § 168 Abs. 1 durch Wegnahme der Leiche oder von Leichenteilen aus dem Gewahrsam des berechtigten Krankenhauses erfüllt sein.412 Diebstahl oder Sachbeschädigung kommen nach Abtrennung der Leichenteile durch den Aneignungsberechtigten in Betracht, Diebstahl gegebenenfalls in Tateinheit mit verbotenem Organhandel. Sachbeschädigung liegt beispielsweise vor, wenn gezielt das Kühlsystem, in dem das Spenderherz gelagert ist, zerstört wird.413
b) Entnahme beim lebenden Spender. Wegen eines Verstoßes gegen die Entnahmevoraus- 88 setzungen bei lebenden Spendern (§ 19 Abs. 1 TPG) wird bestraft, wer entgegen § 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchstabe a (Volljährigkeit und Einwilligungsfähigkeit), § 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchstabe b (Aufklärung und Einwilligung), § 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 (Arzterfordernis), § 8c Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 3 (Einwilligungsfähigkeit, Aufklärung und Arzterfordernis bei Rückübertragungen), § 8c Abs. 2 S. 1 (Aufklärung und Einwilligung eines gesetzlichen Vertreters oder Bevollmächtigten bei Rückübertragungen) oder § 8c Abs. 3 S. 1 (Aufklärung und Einwilligung bei der Rückübertragung eines lebenden Embryos oder Fötus) ein Organ oder Gewebe entnimmt, entgegen § 8 Abs. 1 S. 2 (Übertragung regenerierungsunfähiger Organe) ein Organ entnimmt und entgegen § 8b Abs. 1 S. 1 oder § 8b Abs. 2 (Aufklärung und Einwilligung bei Rückübertragungen in besonderen Fällen) ein Organ oder Gewebe zur Übertragung auf eine andere Person verwendet oder menschliche Samenzellen gewinnt.414 Im Ganzen wie auch im Einzelnen sind die Vorschriften nicht unumstritten. Für das systematische Verhältnis zu § 168 kommt es darauf jedoch nicht an, weil die Tathandlungen des § 19 Abs. 1 TPG nicht an von der Störung der Totenruhe erfassten Angriffsgegenständen vorgenommen werden.
c) Verbotener Organhandel. Wegen verbotenen Organhandels (§ 18 TPG) wird bestraft, wer 89 entgegen § 17 Abs. 1 S. 1 TPG mit einem Organ, das einer Heilbehandlung zu dienen bestimmt ist, Handel treibt oder entgegen § 17 Abs. 2 TPG ein Organ, das nach Absatz 1 S. 1 Gegenstand verbotenen Handeltreibens ist, entnimmt, überträgt oder sich übertragen lässt. Das Verbot, seit 1991 gefordert,415 zunächst allerdings nur auf die Lebendspende bezogen, ist vor dem Hinter-
410 Vgl. Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 8. 411 Nickel/Schmidt-Preisigke/Sengler § 19 Rdn. 9. 412 Höfling/Rixen § 19 Rdn. 31; and. P. König, der annimmt, dass § 19 Abs. 2 TPG § 168 in seinem Anwendungsbereich verdränge.
413 Höfling/Rixen § 19 Rdn. 32; verfassungsbeschwerden gegen die Regelungen des Transplantationsgesetzes zur Zulässigkeit der postmortalen Organspende (dazu z. B. Fuchs/Schachtschneider/Schachtschneider/Siebold S. 151 ff; Schadt S. 3 ff) hat das Bundesverfassungsgericht, weil es im Hinblick auf die Möglichkeit, noch zu Lebzeiten einen Widerspruch gegen eine postmortale Organentnahme zu erklären, der eine postmortale Organentnahme unzulässig macht, an der für eine Verfassungsbeschwerde gegen die §§ 3 und 4 TPG erforderlichen unmittelbaren Betroffenheit fehle, ebenfalls nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG NJW 1999 858, 2403); zust. Miserok/Sasse/Krüger Einleitung Rdn. 24; Nickel/Schmidt-Preisigke/Sengler Vor § 3 Rdn. 3; Organtransplantation in Laufs/Uhlenbruck/Ulsenheimer Rdn. 2a; vgl. auch Holznagel DVBl. 116 (2001) 1630 ff; Quaas/Zuck Rdn. 182; krit. hierzu Rixen NJW 1999 3389 ff). 414 Zu den Voraussetzungen erlaubter Organentnahmen bei lebenden Organspendern ausführlich Nickel/SchmidtPreisigke/Sengler § 8 Rdn. 5 ff; ferner Forkel Jura 2001 77 f; H. J. Hirsch LK11 § 228 Rdn. 46. 415 Ausführlich zur Entstehungsgeschichte des § 18 TPG P. König Organhandel S. 99 ff; ferner in Roxin/Schroth3 S. 408 f. 415
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Störung der Totenruhe
grund des Geschäfts mit Organen416 und dessen internationaler Ächtung417 zu sehen. Sie hatte zu einer nahezu globalen Gesetzgebungswelle geführt.418 § 18 TPG ist rechtspolitisch umstritten. Seine Auslegung und Anwendung ist nicht vollständig geklärt (näher Dippel LK12 Rdn. 22; sowie Tag MK TPG § 18 Rdn. 15 ff). § 168 kann in diesem Zusammenhang lediglich zur Anwendung gelangen, wenn die Organentnahme, etwa wegen des Zwecks der weiteren Verwendung, nicht vom Transplantationsgesetz erfasst wird.419
416 Zum Ausmaß der kommerzialisierten Organspende und deren kriminellen Variante, dem Organraub: Pater/ Raman S. 19 ff; Spirgatis S. 23; ferner Duvková MedR 16 (1998) 305; Heberer S. 153; Manzei S. 90 f; ZRP-Gesetzgebungsreport ZRP 1994 288; krit. Schroeder, der in der Anknüpfung an Vorgänge in der Dritten Welt eine „Hybris der westlichen Welt“ sieht (ZRP 1997 266 f); vgl. auch Stapenhorst Betrachtungen S. 71 ff. 417 Vgl. dazu die Hinweise bei Gragert S. 60 f (World Health Organisation – WHO – Guiding prinziples of human organ transplantation, The Lancet vom 15.6.1991 S. 1470); Gutmann MedR 15 (1997) 148 (WHO, Human Organ Transplantation, A report in development under the auspices of the WHO, 1987–1991; Council of European Health Ministers, 16.–17.11.1987); Schroeder ZRP 1997 267 (WHO, Resolution 44.25 vom 13.5.1991; Europäisches Parlament, Entschließung vom 14.9.1993). Angaben auch im Gesetzentwurf vom 16.4.1996 (BTDrucks. 13/4355 S. 15) sowie bei Gutmann Transplantationsgesetz S. 101 f; Quaas/Zuck Rdn. 185. 418 Gutmann MedR 15 (1997) 154; Schroth JZ 1997 1150. 419 Vgl. Hörnle MK Rdn. 18. Radtke
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Vorbemerkungen zu den §§ 169 ff Schrifttum Allfeld Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, 8. Aufl. (1922); Amelung Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft (1972) (zit.: Amelung Rechtsgüterschutz);; Arndt Strafrecht in einer offenen Gesellschaft, Merkur 22 (1968) 1077; Bahrdt Wandlungen der Familie, in Claessens/Milhoffer (Hrsg.) Familiensoziologie (1980) 144; Barabas/Erler Die Familie, 2. Aufl. (2002); Bauer/Dohmel/Schimke Recht und Familie – Rechtsgrundlagen der Sozialisation, Studienbücher für Soziale Berufe (1995); Baumann J. Strafbare Zahlvaterschaft, FamRZ 1957 234; ders. Der lange Weg des 4. Strafrechtsreformgesetzes, ZRP 1971 129; Beck U. Die Zukunft der Familie, PsH 14 (1987) 44; Becker Walter Kann das Strafrecht Ehe und Familie schützen? FamRZ 1954 208; Bertram Die Stadt, das Individuum und das Verschwinden der Familie, PuZ 1994 B 29 – 30/15; Bertram/Borrmann-Müller Individualisierung und Pluralisierung familialer Lebensformen, PuZ 1988 B 13/14; Beuys Familienleben in Deutschland (1990); Bien Quo vadis familia? In Bien (Hrsg.) Familie an der Schwelle zum neuen Jahrtausend, Deutsches Jugend-Institut Familien-Survey Bd. 6 (1996) 5; Blau Die Delikte gegen die Familie und gegen die Sittlichkeit, FamRZ 1964 242; ders. Die Beratungen des 9. Internationalen Strafrechtskongresses in Den Haag (24. bis 30.8.1964) hinsichtlich der Straftaten gegen Familie und Sittlichkeit, FamRZ 1965 244; ders. Bericht über die Beratungen der 2. Sektion („Straftaten gegen die Familie und gegen die Sittlichkeit“) des 9. Internationalen Strafrechtskongresses in Den Haag (24. bis 30.8.1964), MschrKrim. 1966 18; Blei Der Strafrechtsschutz von Familienordnung und Familienpflichten, FamRZ 1961 137; Bloy Die dogmatische Bedeutung der Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, StrafAbh. 29 (1976); Bockelmann Bemerkungen über das Verhältnis des Strafrechts zur Moral und zur Psychologie, Gedächtnisschrift für Gustav Radbruch (1968) 252; Borth Die Bedeutung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für die Entwicklung des Familienrechts seit Inkrafttreten des Grundgesetzes, DRiZ 2009 154; Bottke Der Schutz der Familie durch das Strafrecht, in Familie als zentraler Grundwert demokratischer Gesellschaften, Interdisziplinäre Gespräche an der Universität Augsburg Bd. 3 (1994) 101; Broder Delikte gegen die Familie, insbesondere Vernachlässigung von Unterhaltspflichten, SchwZStr. 109 (1992) 290; Brötel Kinderrechte – Staatenpflichten, ZfJ 85 (1998) 447; Burgi Schützt das Grundgesetz die Ehe vor der Konkurrenz anderer Lebensgemeinschaften? Staat 39 (2000) 487; v. Campenhausen Verfassungsgarantie und sozialer Wandel: Das Beispiel von Ehe und Familie, Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Heft 45 (1987) 7; Claessens Familie und Wertsystem, Soziologische Abhandlungen Heft 4 (1979); Comtesse Der Schutz der Familie im neuen Schweizer StGB, SchwZStr. 75 (1958) 129; Derleder Verfassungsentwicklung und Familienwandel, in Lampe (Hrsg.) Persönlichkeit, Familie, Eigentum, Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie Bd. 12 (1987) 162; Dickmeis Familienrecht im Wandel, DAVorm. 64 (1991) 705; Diederichsen Die Familie – Menschen in der Reform, Festschrift für Günther Beitzke zum 70. Geburtstag (1979) 169; Di Fabio Der Schutz von Ehe und Familie: Verfassungsentscheidung für die vitale Gesellschaft, NJW 2003 993; Eberhardt Die Novellierung des Familiengesetzbuchs der DDR, FamRZ 1990 917; Eggen Zur gesellschaftlichen Bedeutung der Familie, EWE 14 (2003) 512; Eickelpasch Ist die Kernfamilie universal? 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Wiedner
Vor §§ 169 StGB
Vorbemerkungen zu den §§ 169 ff
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IV (1906) 1; Mommsen Römisches Strafrecht (1988; Neudruck 1955) (zit.: Mommsen Römisches Strafrecht); Müller-Dietz Strafe und Staat, Wissenschaft und Gegenwart Juristische Reihe Heft 5/6 (1973); Müller-Freienfels Familienrechtliche Kodifikationen im Wandel der Anschauungen, Familienrecht im Wandel: Festschrift für Hans Hinderling (1946) 111; v. Münch Ehe und Familie, in Benda/Maihofer/ Vogel (Hrsg.) Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. (1994) 293; Münder Die Kindererziehung in der Familie nach dem Modell des Bürgerlichen Rechts und ihre gesellschaftliche Bedeutung (1972) (zit.: Münder Kindererziehung); ders. Familienrecht, 5. Aufl. 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Schrifttum
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Familie und Jugendkriminalität Bd. 1, Kriminologie Abhandlungen über abwegiges Sozialverhalten Nr. 2 (1969) 1; Roxin Sinn und Grenzen staatlicher Strafen, JuS 1966 377; Rudolphi Die verschiedenen Aspekte des Rechtsgutsbegriffs, Festschrift für Richard M. Honig zum 80. Geburtstag am 3. Januar 1970 (1970) 151; Sachße/Tennstedt Familienpolitik durch Gesetzgebung: Die juristische Regulierung der Familie, in Kaufmann (Hrsg.) Staatliche Sozialpolitik und Familie, Soziologie und Sozialpolitik Bd. 2 (1982) 87; Sax Das strafrechtliche „Analogieverbot“ (1953) (zit.: Sax Analogieverbot); Scheffler Ehe und Familie, in Bettermann/Nipperdey/Scheuner (Hrsg.) Die Grundrechte, Bd. 4 1. Halbband 2. Aufl. (1972) 245; Schlüter BGB – Familienrecht, 14. Aufl. (2013) (zit.: Schlüter Familienrecht); Schmid Die Familie in Artikel 6 des Grundgesetzes, Schriften zum Öffentlichen Recht Bd. 564 (1989); Schmitt Der strafrechtliche Schutz der Familie, in v. Caemmerer/Zweigert (Hrsg.) Deutsche Landesreferate zum VII. Internationalen Kongreß für Rechtsvergleichung in Uppsala 1966, Sonderveröffentlichung von Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht (1967) 513; Schneider H. J. Ehe und Familie, in Sieverts (Hrsg.) Handwörterbuch der Kriminologie, Bd. 1 2. Aufl. (1966) 147; Schneidewin Die Systematik des Besonderen Teils eines neuen Strafgesetzbuchs, Materialien zur Strafrechtsreform Bd. 1: Gutachten der Strafrechtslehrer (1954) 173; Schroeder Die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach dem Entwurf eines 4. StrRG, ZRP 1971 14; Schubarth Eigenhändiges Delikt und mittelbare Täterschaft, SchwZStr. 114 (1996) 325; Schwab D. Familie, in Brunner/Conze/ Kosellek (Hrsg.) Geschichtliche Grundbegriffe – Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland Bd. 2 (1975) 253; ders. Zur Geschichte des verfassungsrechtlichen Schutzes von Ehe und Familie, Festschrift Bosch (1976) 893; ders. Konkurs der Familie? Familienrecht im Umbruch, Schriften der Juristischen Studiengesellschaft Regensburg e.V. Heft 12 (1994) (zit.: D. Schwab Konkurs); ders. Familie und Staat, FamRZ 2007 1; ders. Familienrecht, 28. Aufl. (2020) (zit.: D. Schwab Familienrecht); Seifert/Hömig Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Artikel 6 (Schutz von Ehe und Familie, nichteheliche Kinder) 5. Aufl. (1995); Seuffert Übersicht über die Strafgesetzgebung des Deutschen Reiches im Jahre 1894, ZStW 15 (1895) 807; Siebert Die Entwicklung des deutschen Jugendrechts im Kriege, DR 14 (1944) 868; Simson/Geerds Straftaten gegen die Person und Sittlichkeitsdelikte in rechtsvergleichender Sicht (1969); Steiger Verfassungsgarantie und sozialer Wandel: Das Beispiel von Ehe und Familie, Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Heft 45 (1987) 55; Steinemann Die Vernachlässigung familienrechtlicher Pflichten gemäß Art 184 des Entwurfs eines schweizerischen Strafgesetzbuches vom 23. Juli 1918 (1922); Stracke Der Rechtsstatus als Angriffsobjekt von Verbrechen (1917); Stratenwerth Gibt es eigenhändige Delikte? SchwZStr. 115 (1987) 86; Streng Schuld, Vergeltung, Generalprävention, ZStW 92 (1980) 637; Sturm Die Änderungen des Besonderen Teils des StGB zum 1. September 1969, NJW 1969 1606; ders. Das Vierte Gesetz zur Reform des Strafrechts, 1. Teil, JZ 1974 1; Thalmann/May/Benner Praktikum des Familienrechts, 5. Aufl. (2006); Toebelmann Angriffe auf die Ehe und Verletzung von Familien- und Unterhaltspflichten im ausländischen Strafrecht (1954) (zit.: Toebelmann Angriffe); ders. Angriffe auf die Ehe und Verletzung von Familien- und Unterhaltspflichten, Materialien zur Strafrechtsreform Bd. 2: Zusammenstellung der am Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg angefertigten rechtsvergleichenden Arbeiten (1955) 169 (zit.: Toebelmann Materialien); v. Unzner Familie und Familienrecht, in Stier-Somlo/Elster (Hrsg.) Handwörterbuch der Rechtswissenschaft, Bd. 2 (1927) 383; Vogelsang Verfassungsrecht, in Hanselmann/Hohloch (Hrsg.) Das Recht der nichtehelichen Lebensgemeinschaft (1999) 49; Wachenfeld Lehrbuch des Deutschen Strafrechts (1914); Weber-Kellermann Die deutsche Familie – Versuch einer Sozialgeschichte, suhrkamp taschenbuch 2557 (1996); Werle Zur Reform des Strafrechts in der NS-Zeit: Der Entwurf eines Deutschen Strafgesetzbuchs 1936, NJW 1988 2865; Willutzki Kindeswohl zwischen Elternrecht und staatlichem Wächteramt, DAVorm. 73 (2000) 377; Wingen Der Beitrag der Familienpolitik für die Erziehungskraft der Familie, in Kulturbeirat beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken (Hrsg.) Die Erziehungskraft der Familie, Bericht und Dokumentation (1967) 62; Wirtz Seelenmord – Inzest und Therapie (1989) (zit.: Wirtz Seelenmord); Woesner Generalklausel und Garantiefunktion der Strafgesetze, NJW 1963 273; ders. Strafrechtlicher und sittlicher Schuldvorwurf, NJW 1964 1; Wolf E. Der Begriff Familienrecht, FamRZ 1968 493; Wulffen Vergehen in Beziehung auf die Ausübung der Religion, Verbrechen und Vergehen gegen die Ordnung der Ehe und des Personenstandes und gegen die Sittlichkeit im Vorentwurf zu einem deutschen Strafgesetzbuch, Sonderabdruck in Aschrott/v.Liszt (Hrsg.) Die Reform des Reichsstrafgesetzbuches, Kritische Betrachtung des Vorentwurfs Bd. 2 (1910) 120; Wurzbacher Wandel und Bedeutung der Familie in der modernen Gesellschaft, in Karrenberg/v.Bismarck (Hrsg.) Die Familie im
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Vorbemerkungen zu den §§ 169 ff
Umbruch der Gesellschaft, Kirche im Volk Heft 13 (1954) 4; Zacher Elternrecht, HdbStR VI S. 265; Zippelius Verfassungsgarantie und sozialer Wandel – Das Beispiel von Ehe und Familie, DÖV 1986 805; Zoras Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung (1978); Zuleeg Familienpolitik und Verfassungsrecht, FamRZ 1980 210; ders. Verfassungsgarantie und sozialer Wandel – das Beispiel von Ehe und Familie, NVwZ 1986 800. Im Übrigen gelten die Angaben zu § 169, § 170, § 171, § 172 und § 173.
Übersicht I. 1. 2.
Entwicklung des Strafschutzes 1 Allgemeines 2 Gesetzesgeschichte 2 a) 19. Jhdt. bis 1945
3. 4.
6 b) Seit 1945 Wandel des strafrechtlichen Schutzes 13 Recht der DDR
II.
Schutzgüter
1
12
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I. Entwicklung des Strafschutzes 1. Allgemeines 1 Die soziokulturelle Entwicklung reicht von einer biologistischen Schutz- und Überlebensgemeinschaft in der Vorzeit über kulturell geprägte Ausweitungen als Haushaltsgemeinschaft einschließlich der Dienerschaft in Antike und Mittelalter hin zu ausdifferenzierten Lebensformen – Patchwork, Alleinerziehung, gleichgeschlechtliche Gemeinschaften – in der Gegenwart. Über eine bloß funktionale Einheit hinaus wird Familie heute begriffen als soziale Institution, die sich durch intime Zuwendung und intergenerationale Beziehungen auszeichnet.1 Der Strafschutz von Ehe und Familie ist seit jeher abhängig von gesellschaftlichen und moralischen Vorstellungen (vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2, § 63 Rdn. 1); diese reichen von Zuweisung einer fundamentalen Bedeutung mit teilweise ideologischer Überhöhung als tragender Nucleus der staatlichen Gemeinschaft mit der Folge von weitreichender staatlicher, auch strafrechtlicher Einmischung bis hin zu einer für staatliche Belange geringen Einschätzung familiärer Strukturen aufgrund liberaler Vorstellungen mit der Folge auch geringeren strafrechtlichen Schutzes. Ungeachtet aller gesellschaftlicher und weltanschaulicher Konnotationen ist das Recht gleichwohl in nur begrenztem Maße in der Lage, auf Beziehungen innerhalb von Ehe und Familie einzuwirken.2 Die Gestaltung sozialer und intimer Bindungen in einer Ehe und Familie entzieht sich einem auch strafrechtlichen Normbefehl; so liegt die sozialethische Forderung, Kinder zu lieben und zu fördern, die Ehe als Lebens- und Schicksalsgemeinschaft unter fortdauernder Zuwendung zu begreifen, sich in einen die Lebensgestaltung stabilisierenden Familienverbund einzufügen, letztlich in einem außerrechtlichen Bereich. Dementsprechend hat sich das Strafrecht seit jeher – selbst in nationalsozialistischer Zeit – beschränkt auf äußere Struktursetzungen und die Pönalisierung von teilweise auch anderweitig sanktionierten Schädigungen. Gegenwärtig sichert es mit den Vorschriften im Zwölften Abschnitt nur grundlegende Familienpflichten und formelle Ordnungsstrukturen ab, bleibt aber nicht ohne Übertreibungen, die dem Ultima-ratio-Prinzip widerstreiten.
1 Petzold S. 32; Di Fabio NJW 2003 994; Lüscher/Schultheis/Wehrspaun S. 19; zum Begriff der Familie, ihrer Ausgestaltung und gesellschaftlichen Einordnung von der Vor- bis in die Neuzeit vgl. Dippel LK12 Rdn. 1.
2 Bottke S 101 ff; Becker MDR 1973 633; Hanack ZEE 1972 323 f; Limbach in: Deutscher Familiengerichtstag e.V., S. 20, 23; Dippel LK12 Rdn. 2. Wiedner
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2. Gesetzesgeschichte a) 19. Jhdt. bis 1945. Die konkrete Entwicklung des strafrechtlichen Schutzes im 19. Jahr- 2 hundert nahm einen zurückhaltenden Ausgang. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts verbanden sich liberale Vorstellungen von einem fehlenden Eingriffsbedürfnis des Staates mit einer konservativen Bild von elterlicher, vornehmlich väterlicher Erziehungsgewalt und Familienlenkung. Zugleich wuchsen in Zeiten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturwandels auch kriminogene Faktoren innerhalb der Familie.3 Vor diesem Hintergrund sicherte das für das Deutsche Reich neu erlassene Strafrecht 3 mit der Personenstandsfälschung (§ 169 RStGB), der Eheerschleichung durch Verschweigen von Ehehindernissen (§ 170 RStGB) und einzelnen die Fürsorge zwischen Familienmitgliedern betreffenden, tatsächlich aber auf eine nur staatliche Entlastung zielenden Übertretungstatbestände in § 361 Abs. 1 Nrn. 5, 9 und 10 RStGB4 lediglich äußere Randbedingungen mit dem Ziel öffentlichen Wohls,5 auch wenn die späteren, weitgefassteren Tatbestände zur Sicherung finanzieller und erzieherischer Fürsorge darin bereits angelegt waren. In seiner ursprünglichen Fassung enthielt das Strafgesetzbuch dementsprechend keinen besonderen Abschnitt über Straftaten gegen Ehe und Familie. Sein Zwölfter Abschnitt war überschrieben mit „Verbrechen und Vergehen in Beziehung auf den Personenstand“. Im nachfolgenden Abschnitt „Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit“ fanden sich aber bereits die Strafbarkeit der Doppelehe nach § 171 RStGB, des Ehebruchs nach § 172 RStGB und der „Blutschande“ nach § 173 RStGB. Reformbestrebungen in den Zwanziger und Dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts blie- 4 ben ohne Umsetzung. Rechtspolitisch im Vordringen befand sich zwar das Bedürfnis, im Interesse der Allgemeinheit mit den Mitteln des Strafrechts die Ordnung von Ehe und Familie und die daraus folgenden Pflichten stärker zu schützen. So sahen der Entwurf Radbruchs von 1922, der amtliche Entwurf der Reichsregierung von 1925 und die Reichstagsvorlage von 1927, später in Gestalt des Entwurfs Kahl von 1930 im Bereich der Familiendelikte als neue Tatbestände die Verletzung der Unterhaltspflicht und das Verlassen eines Kindes vor, im Entwurf von Kahls zudem den Tatbestand der Gefährdung der Gesundheit eines Kindes oder Jugendlichen.6 Aufgrund weiterhin vorherrschender liberaler Auffassungen, denen zufolge staatliche Eingriffe in die Familie zugunsten der Eigenverantwortung der Beteiligten zurücktreten müssten, bildete das Strafrecht die Entwicklungen, die sich im Bürgerlichen Recht (s. insbesondere § 1666 BGB) und im öffentlichen Recht in Gestalt neugeschaffener Vorschriften über die Jugendhilfe (seinerzeit: Jugendfürsorge)7 hin zu einem Fürsorge- und Erziehungsanspruch von Kindern vollzogen, noch nicht ab. 3 Schwab FS Bosch 9 f; Isermeyer S. 6; Schramm Ehe und Familie im Strafrecht, S. 37 ff; Dippel LK12 Rdn. 3. 4 § 361 Abs. 1 Nr. 5 bedrohte mit Haft, wer sich dem Spiel, Trunk oder Müßiggang dergestalt hingab, dass er in einen Zustand geriet, in dem zu seinem Unterhalt oder zum Unterhalt derjenigen, zu deren Ernährung er verpflichtet war, durch Vermittlung der Behörde fremde Hilfe in Anspruch genommen werden musste. § 361 Abs. 1 Nr. 9 sah dieselbe Strafe gegen denjenigen vor, der einen von ihm zu beaufsichtigenden, noch nicht Achtzehnjährigen nicht gehörig beaufsichtigte, wenn der Anbefohlene eine als Übertretung mit Strafe bedrohte Handlung beging, die durch gehörige Aufsicht hätte verhindert werden können. Durch Gesetz betreffend die Änderung des Gesetzes über den Unterstützungswohnsitz und die Ergänzung des Strafgesetzbuches vom 12.3.1894 (RGBl. 259) wurde – ergänzend zu Nr. 9 – § 361 Abs. 1 Nr. 10 eingeführt, wonach Haft auch denjenigen traf, der diejenigen, zu deren Ernährung er verpflichtet war, trotz Fähigkeit hierzu nicht unterhielt trotz der Aufforderung der zuständigen Behörde, so dass durch Vermittlung der Behörde fremde Hilfe in Anspruch genommen werden musste. 5 Bottke S. 104. 6 Vgl. Kaltenbach S. 75 ff. 7 Reichsgesetz für Jugendwohlfahrt vom 9. Juli 1922 (RGBl. I 633). An seine Stelle trat, nachdem es gewandelten Anforderungen nicht mehr entsprach, das Gesetz für Jugendwohlfahrt (JWG) i. d. F. der Bekanntmachung vom 25. April 1977 (BGBl. I 633, 795), später das Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) vom 26. Juni 1990 (BGBl. I 1163), neugefasst in der Bekanntmachung vom 8. Dezember 1998 (BGBl. I 3546) als Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII). 421
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Vorbemerkungen zu den §§ 169 ff
Verschiedene Änderungen erfolgten in nationalsozialistischer Zeit. Der Boden dafür war zunächst ohne ideologische Überdeckung dadurch geschaffen, dass sich rechtssoziologisch eine Herauslösung von Ehe und Familie aus dem nur privaten Bereich bereits vollzogen hatte. Die nunmehr rasch beschlossenen Änderungen lassen sich teilweise aus dieser Entwicklung erklären, vornehmlich allerdings aus der nach 1933 nicht mehr diskursiven Gesetzgebung und der Verfolgung konkreter ideologischer Zwecke, in den schlussendlichen Kriegszeiten insbesondere aus der als Notwendigkeit angesehenen Verstärkung vermeintlicher Pflichten aus Ehe und Mutterschaft.8 Der Entwurf der amtlichen Strafrechtskommission von 19369 umfasste im Abschnitt „Angriffe auf Ehe und Familie“ die Schmähung von Ehe und Mutterschaft, die Doppelehe, den Ehebetrug, den Ehebruch, den Muntbruch (Entziehung Minderjähriger), die Personenstandsverletzung, das Beiseiteschaffen der Familienhabe, die Verletzung der Unterhaltspflicht und dae Verlassen Schwangerer.10 Eine im Jahr 1940 ergangene Verordnung11 ersetzte § 361 Abs. 1 Nr. 9 RStGB und weitete die Vorschrift inhaltlich aus durch Erstreckung der Strafbarkeit des Sorgeverpflichteten auf weitere Fälle der Straffälligkeit des Jugendlichen bei (bloßer) Sorge für dessen Person oder einem Anvertrautsein zur Erziehung und Pflege. Eine gänzlich neue Ordnung erhielten die auf einen Schutz von Ehe und Familie zielenden Vorschriften durch weitere in nationalsozialistischer Zeit ergangene Verordnungen, namentlich die Verordnung zum Schutze von Ehe, Familie und Mutterschaft vom 9. März 1943 (RGBl. I S. 140) und die zugehörige Durchführungsverordnung vom 18. März 1943 (RGBl. I, S. 1725). Unter der Überschrift „Angriffe auf Ehe, Familie und Mutterschaft“ wurden vier neue Tatbestände geschaffen, die Verschleuderung von Familienhabe (§ 1), die Verletzung der Unterhaltspflicht (§ 2), die Versagung der Hilfe gegenüber einer Geschwängerten (§ 3) und die Vernachlässigung eines Kindes (§ 4), die sodann als §§ 170a bis 170d in das Strafgesetzbuch eingefügt wurden. Hinzugefügt wurden die bislang dem nachfolgenden Abschnitt zugeordneten § 171 (Doppelehe) und § 172 (Ehebruch);12 der Zwölfte Abschnitt erhielt die Überschrift „Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie“. § 361 Abs. 1 Nr. 10 wurde aufgehoben, durch weitere Verordnung13 wurde der Tatbestand der Vernachlässigung eines Kindes als § 139b in das Strafgesetzbuch übernommen.14 Der NS-ideologische Hintergrund spiegelte sich in den Vorschriften nach verbreiteter Ansicht in der folgenden Zeit nur begrenzt wider,15 so dass ihre Neufassung nach dem Jahr 1945 zunächst nicht als zwingend erachtet wurde; die Rechtsprechung behalf sich mit einer einschränkenden Auslegung (vgl. Dippel LK12 Rdn. 5)
8 Vgl. Isermeyer S. 12; Rietzsch DJ 1943 228; Schramm, Ehe und Familie im Strafrecht, S. 65; zusammenfassend Dippel LK12 Rdn. 5. 9 Vgl. Schubert/Regge/Rieß/Schmid Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozessrechts, Abt. II Bd. 1: Entwürfe eines Strafgesetzbuches, Teil 1: Entwürfe von 1933 bis 1936. S. auch Werle NJW 1988 2867. 10 Gürtner/Lorenz S. 104 ff, S. 113 ff. 11 § 4 der Verordnung zur Ergänzung des Jugendstrafrechts des Ministerrats für die Reichsverteidigung vom 4. Oktober 1940 (RGBl. I 1336). Die Möglichkeit der Ersetzung oder Abänderung formeller Gesetzes durch exekutive Verordnungen war den nationalsozialistischen Machthabern formell durch Notverordnungen und seit dem Ermächtigungsgesetz unter faktischer Außerkraftsetzung der Weimarer Reichsverfassung durch weitreichende Verordnungsermächtigungen eröffnet. 12 § 173 verblieb zunächst im Abschnitt der „Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit“. 13 § 3 der Verordnung über die Vereinfachung und Vereinheitlichung des Jugendstrafrechts (JugendstrafrechtsVO) des Reichsministers der Justiz vom 6.11.1943 (RGBl. I 635). 14 Die Einordnung in den Abschnitt „Verbrechen und Vergehen wider die öffentliche Ordnung“ beruht darauf, dass auch der Zweck von § 361 Nr. 9 nicht der Schutz von Ehe und Familie, sondern ein verstärkter Schutz der öffentlichen Sicherheit vor Straftaten von Kindern und Jugendlichen war. Der spätere E 62 trug dem dadurch Rechnung, dass der in dem Entwurf neugefasste Tatbestand im Wesentlichen die Verletzung einer familienrechtlichen Aufsichtspflicht zum Gegenstand hatte (Begr. S. 347; dazu auch AE S. 69). 15 Krit. aber Hellmer ZStW 1958 386 f; Bader S. 51; Becker FamRZ 1954 209; Eggert S. 9. Wiedner
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I. Entwicklung des Strafschutzes
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b) Seit 1945. In bundesdeutscher Zeit benannte das Dritte Strafrechtsänderungsgesetz16 6 die Vorschrift des § 139b in § 143 unter Neufassung des Tatbestandes um, passte § 361 Abs. 1 Nr. 917 dieser Fassung an, strich § 361 Abs. 2, beseitigte bei § 170a (Verschleuderung von Familienhabe) die Strafbarkeit des Versuchs und gestaltete die Vorschrift als Antragsdelikt; ferner wurde § 173 („Blutschande“) umgestaltet. Durch das Erste Gesetz zur Reform des Strafrechts18 wurde § 172 (Ehebruch) gestrichen (vgl. Sturm NJW 1969 1606). Im Zuge des Zweiten Gesetzes zur Reform des Strafrechts19 entfiel § 361 Abs. 1 Nr. 5. Umfassende Reformdiskussionen begannen in den fünfziger Jahren mit den Vorschlägen 7 des seit 1953 erarbeiteten E 62.20 Sie nahmen teilweise die späteren Änderungen durch das 4. StrRG vorweg, sahen allerdings weiterreichende Eingriffe vor und erblickten eine Strafwürdigkeit auch in bloßen Angriffen auf Moral oder Sittlichkeit des familiären oder ehelichen Zusammenlebens.21 Der Alternativentwurf vom 196622 befürwortete demgegenüber eine weitgehende Beschränkung der Strafbarkeit auf dem Gebiet der Ehe und Familie. Unter Streichung aller sonstigen Vorschriften verblieben lediglich eine Strafbarkeit des Muntbruchs (Entziehung Minderjähriger), der Doppelehe und der Personenstandsfälschung, die ohne eigene Zusammenfassung anderen Titeln des StGB zugeordnet werden sollten. Leitend war der Gedanke, dass strafrechtliche Eingriffe in familiäre Strukturen keine nachhaltige Stabilisierung erbringen, vielmehr gegenteilige Wirkungen haben können.23 Der Alternativentwurf hatte maßgeblichen Einfluss auf die späteren Beratungen zum 4. StrRG (s. etwa BTDrucks. VI/1552 S. 9 f; Sturm JZ 1974 1) und trug zur Zurückhaltung des Reformgesetzgebers bei der Neugestaltung der Vorschriften bei. Das Gesetzgebungsverfahren zum Vierten Strafrechtsreformgesetzes begann mit ei- 8 nem Gesetzentwurf der Bundesregierung (BTDrucks. VI/1552), der nach erstem Durchgang im Bundesrat dem Bundestag zugeleitet und dort nach erster Lesung an den eigens gegründeten Sonderausschuss für die Strafrechtsreform überwiesen wurde (BT-Prot. VI/105 S. 6100 ff).24 In 42 Sitzungen führte der Ausschuss öffentliche Anhörungen von Sachverständigen aus den Bereichen Soziologie, Sexualwissenschaft, Psychiatrie, Psychologie, Pädagogik, Gerichtsmedizin, Kriminologie, Polizei, Theologie, Philosophie und Rechtswissenschaft durch (Prot. VI/28– 30 S. 843 ff), wobei er sich in Bezug auf den 12. Abschnitt insbesondere zu Fragen der Verletzung von Aufsichts-, Unterhalts- sowie von Fürsorge- oder Erziehungspflichten durch Praktiker beraten ließ (Prot. VI/35 S. 1253 ff). Der Ausschuss legte den Entwurf mit einem schriftlichen Bericht (BT-Drucks. VI/3521), der als bedeutendster Teil der Gesetzesmaterialien gelten kann, im Juni 1972 dem Bundestag vor, wo er wegen Diskontinuität nicht weiter behandelt werden konnte. In der siebten Wahlperiode wurde der Entwurf unverändert neu eingebracht (BTDrucks. 7/80) und nach Bericht und Antrag des Sonderausschusses (BTDrucks. 7/514) sowie
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Vom 4. August 1953, BGBl. I 735. Vgl. Fn. 4. Vom 1. September 1969, BGBl. I 645. Aufhebung des Neunundzwanzigsten Abschnitts des Besonderen Teils durch Art. I Nr. 30 des 2. StrRG in Verbindung mit Art. 18 Abs. 3, Art. 19 Nr. 206 EGStGB. 20 BTDrucks. IV/650. 21 Kritisch hierzu die mittlerweile herrschende Auffassung, wonach der Schutz von Sitte und Moral kein legitimes strafrechtliches Ziel mehr sei, es vielmehr auf die Verletzung „harter“ Rechtsgüter unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ankomme (s. nur Roxin AT I § 2, Rdn. 1 ff). 22 Alternativ-Entwurf eines Strafgesetzbuches, Besonderer Teil, Sexualdelikte, Straftaten gegen die Ehe, Familie und Personenstand, Straftaten gegen den religiösen Frieden und die Totenruhe, Tübingen 1968. 23 Vgl. Frauke-Griksch S. 109; Peters ZStW 1965 491; s. auch AE S. 59. 24 Der Ausschuss war federführend für die Arbeiten an dem Entwurf; mitberatend tätig war der Ausschuss für Jugend, Familie und Gesundheit. 423
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einem Vermittlungsverfahren25 nach schlussendlicher Zustimmung des Bundesrates am 9. November 1973 als Gesetz verabschiedet, das am 24. November 1974 in Kraft trat. 9 Inhaltlich brachte das Vierte Gesetz zur Reform des Strafrechts26 umfangreiche Änderungen: § 143 (Vernachlässigung eines Kindes) sowie § 170 (Verschweigen von Ehehindernissen), § 170a (Verschleuderung von Familienhabe), § 170c (Versagung der Hilfe gegenüber einer Schwangeren) und § 361 Abs. 1 Nr. 9 (nicht gehörige Beaufsichtigung Minderjähriger) wurden aufgehoben. Neugefasst wurden § 169 (Personenstandsfälschung), § 170b (Verletzung der Unterhaltspflicht), § 170d (Verletzung der Fürsorge und Erziehungspflicht, hierbei unter teilweiser Übernahme des früheren § 143), und § 171 (Doppelehe). In dem Bestreben, die Delikte auf einen Schutz anerkannter Rechtsgüter auszurichten und sozialschädliches von nur moralisch anstößigem Verhalten zu scheiden (vgl. BTDrucks. VI/1552 S. 9), wurden die Anwendungsbereiche der Vorschriften eingeschränkt, Vereinfachungen vorgenommen und die Strafandrohungen gemildert. § 173 (Blutschande) wurde umbenannt in „Beischlaf zwischen Verwandten“und unter Herauslösung aus den „Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit“ in den 12. Abschnitt eingefügt; die Strafbarkeit des Beischlafs von Verschwägerten wurde in der Vorschrift gestrichen. 10 In den Zeitraum der fünfziger bis neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts fielen zugleich umfangreiche familienrechtliche Änderungen, die zumindest mittelbare Auswirkungen auch auf die strafrechtliche Bewertung hatten, da sich diese im Regelfall in familienrechtlicher Akzessorietät vollzieht. So stellte das Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts vom 18. Juni 1957 (BGBl. I 609) die Frau in ehelichen Angelegenheiten dem Mann gleich, führte die Zugewinngemeinschaft als gesetzlichen Güterstand ein und gestaltete den Verwandtenunterhalt sowie das Eltern-Kind-Verhältnis neu. Das Gesetz zur Vereinheitlichung und Änderung familienrechtlicher Vorschriften vom 11. August 1961 (BGBl. I 1221) regelte die Ehelichkeitsanfechtung, -anerkenntnis und die Adoption. Durch das Gesetz über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder vom 19. August 1969 (BGBl. I 1243) wurden u. a. biologische und rechtliche Vaterschaft harmonisiert mit Folgen bei Vaterschaftsfeststellung, -anerkenntnis, Unterhalt und elterlicher Gewalt; zudem wurde die elterliche Sorge grundsätzlich der nichtehelichen Mutter zugewiesen. Das Erste Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts vom 14. Juni 1976 (BGBl. I S. 1421) regelte insbesondere die allgemeinen Ehewirkungen und das Recht der Ehescheidung – dort den Übergang vom Verschuldens- zum Zerrüttungsprinzip – neu, wobei der nacheheliche Unterhalt nach Grund und Höhe an neuen Maßstäben ausgerichtet wurde. Das Recht der Adoption wurde – mit Anpassung etwa von § 173 – durch das Gesetz über die Annahme als Kind und zur Änderung anderer Vorschriften vom 2. Juli 1976 (BGBl. I 1749) neu gestaltet.27 Auswirkungen auf § 170 hatte das Gesetz zur Vereinfachung des Unterhaltsrechts minderjähriger Kinder vom 6. April 1998 (BGBl. I 666), auf § 169 und § 172 das Gesetz zur Neuordnung des Eheschließungsrechts vom 4.5.1998 (BGBl. I 833) und wiederum auf § 170 das Gesetz zur Änderung des Unterhaltsrechts vom 9.11.2007 (BGBl. I 3189). 11 Weitere unmittelbar auf die §§ 169 ff zielende Änderungen in jüngerer Zeit erfolgten mit dem Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz vom 21. August 1995 (BGBl. I 1050), das § 170b in Absätze unterteilte und als Absatz 2 das verwerfliche Vorenthalten des Unterhalts gegenüber einer Schwangeren mit der Folge eines Schwangerschaftsabbruchs unter Strafe stellte, sowie dem Sechsten Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 26. Januar 1998 (BGBl. I 164), 25 Die Anrufung des Vermittlungsausschusses betraf hauptsächlich den Bereich des Sexualstrafrechts (vgl. Hanack NJW 1974 1 f; Sturm JZ 1974 1). Im Bereich der Familiendelikte ging es neben der Beibehaltung von § 143 a. F. um die – letztendlich beschlossene (vgl. BTDrucks. 7/1166 und BTProt. 7/64 S. 3767 f) – Erhöhung der Höchststrafe des § 170b a. F. auf Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren. 26 Vom 23. November 1973, BGBl. I 1725. Zusammenfassend Hanack NJW 1974 1; Sturm JZ 1974 1. 27 Mit mittelbarer Auswirkung auf die §§ 169 ff wurden ferner erlassen das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge vom 18.7.1976 (BGBl. I 1061), das Gesetz zur Änderung unterhaltsrechtlicher, verfahrensrechtlicher und an derer Vorschriften vom 20.2.1986 (BGBl. I 301), das Betreuungsgesetz vom 12.9.1990 (BGBl. I 2002) und das Kindschaftsrechtsreformgesetz vom 16.12.1997 (BGBl. I 2942). Wiedner
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durch das die Vorschriften des 12. Abschnitts ohne inhaltliche Änderung umnummeriert wurden und ihre gegenwärtige Zählung erhielten.28 Durch das Gesetz zur Reform des Personenstandsrechts vom 19. Februar 2007 (BGBl. I 122) wurde § 169 Abs. 1 geändert. Erheblich nach der Einführung der eingetragenen Lebenspartnerschaft im Jahr 200129 wurde die neue Institution durch das Gesetz zur Bereinigung des Rechts der Lebenspartner vom 20. November 2015 (BGBl. I 2010) in § 172 integriert, indem die Vorschrift ihre bis in die Gegenwart fortbestehende Überschrift und Fassung erhielt. Die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Partner durch das Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts vom 20. Juli 2017 (BGBl. I 2787) sowie die damit einhergehenden Regelungen zum Ende neu einzutragender Lebenspartnerschaften und deren Überleitungsmöglichkeit in die Ehe haben gleichfalls Auswirkungen auf den Anwendungsbereich der – äußerlich unberührten – Vorschrift des § 172.
3. Wandel des strafrechtlichen Schutzes Die Anerkennung von Ehe und Familie als einer Grundlage des Gemeinschaftslebens und der 12 Rechtsgemeinschaft sowie individualrechtlicher Rechtsgüter mit strafrechtlichem Schutzbedürfnis, wie sie im 20. Jahrhundert paradoxerweise erstmals in der Zeit nationalsozialistischer Diktatur ihren gesetzlichen Ausdruck fand,30 war verfassungsrechtlich vorbereitet durch die Art. 119– 121 WRV. Für die Zeit nach Inkrafttreten des Grundgesetzes ergeben sich aus Art. 6 GG über eine Institutsgarantie und ein Abwehrrecht gegenüber Eingriffen des Staates hinaus eine Wertsetzung und ein Schutzauftrag für Ehe und Familie durch Ausformung des einfachen Rechtes.31 Hatten zu Beginn des 20. Jahrhunderts etwa Fürsorge und materielle Versorgung nur geringen, an enge Voraussetzungen gebundenen Schutz gefunden (vgl. Binding Lehrbuch I S. 235), entwickelte sich rechtssoziologisch zunehmend die Vorstellung, dass die Ordnung der Ehe und Familie im Interesse der Allgemeinheit in umfangreicherer Form schutzbedürftig sei. Der Höhepunkt der Verrechtlichung war erreicht in der Zeit vor dem 4. StrRG; hiernach erfolgten mit Ausnahme der Einfügung von § 172 Abs. 2 Eingrenzungen, ohne dass angesichts andauernder Kritik am Fortbestand verzichtbarer Vorschriften wie der letztgenannten sowie § 173 ein Endpunkt dieser Entwicklung erreicht sein dürfte.
4. Recht der DDR In der DDR waren durch das Strafgesetzbuch vom 12. Februar 1968 i. d. F. der Bekanntmachung 13 vom 19. Dezember 1974 (GBl. I 1975 Nr. 3 S. 14) die Familiendelikte neu geregelt worden. In das StGB-DDR aufgenommen waren die Tatbestände der Verletzung der Unterhaltspflicht (§ 141), Verletzung von Erziehungspflichten (§ 142), Vereitelung von Erziehungsmaßnahmen (§ 143), Entführung von Kindern oder Jugendlichen (§ 144), Verleitung zu asozialer Lebensweise (§ 145), Verbreitung von Schund- und Schmutzerzeugnissen (§ 146), Verleitung zum Alkoholmissbrauch (§ 147), Sexueller Missbrauch von Kindern (§ 148) und Jugendlichen (§§ 149 bis 151), Geschlechtsverkehr zwischen Verwandten (§ 152), Unzulässige Schwangerschaftsunterbrechung (§§ 153 bis 155) und Doppelehe (§ 156). Ihre Anwendung war an eine Prüfung des schuldhaften 28 Umbenannt wurden § 170b in § 170, § 170d in § 171 und § 171 in § 172. 29 Durch Gesetz über die eingetragene Lebenspartnerschaft vom 16. Februar 2001 (BGBl. I 266). 30 Dabei war die Neuregelung zugleich in Teilen ideologisch und im Hinblick auf vermeintliche Erfordernisse der Kriegsbedingungen motiviert, s. etwa § 171 Rdn. 2. 31 Vgl. BVerfGE 6, 55, 71 f; 24, 119, 135. S. auch BVerwGE 91 130, 134; Jarass/Pieroth Art. 6 Rdn. 1; Papier NJW 2002 2130; Pauly NJW 1997 1955; Schwab FamRZ 2007 2. Zur Klein- oder Kernfamilie als Schutzobjekt vgl. BVerfGE 48 327, 339. Zusammenfassend Dippel LK12 Rdn. 6. 425
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Gewichtes des jeweiligen Verstoßes gekoppelt, der so bedeutend gewesen sein musste, dass ein Schutz der Jugend und Familie gesichert und ein künftiges verantwortungsbewusstes Verhalten des Täters erreicht werden sollte (StGB-Komm.-DDR Vorbem. vor § 141; Gebauer S. 35; Dippel LK12 Fn. 5).
II. Schutzgüter 14 Die vom 12. Abschnitt erfassten Rechtsgüter sind disparat; ein schlichter Schutz von „Ehe“ und „Familie“ existiert in derartiger Allgemeinheit nicht. Grob zu unterscheiden sind einerseits öffentliche Interessen oder Universalrechtsgüter wie jenes an der Dokumentation und Beweissicherung familienrechtlicher Verhältnisse in § 169, des Schutzes vor ungerechtfertigter Inanspruchnahme öffentlicher Mittel in § 170 oder der Institution der (Ein-)Ehe und der damit verbundenen rechtlichen Absicherungen in § 172. Andererseits sind vor- oder nachrangig von nahezu jeder Vorschrift auch Individualrechtsgüter geschützt wie das individuelle Beweisinteresse von § 169, der Schutz des Unterhaltsberechtigten vor Gefährdung seines Lebensbedarfs in § 170, des Schutzes von Kindern und Jugendlichen vor groben Verletzungen der von ihnen zu beanspruchenden Erziehung und Fürsorge in § 171, und der individuellen Rechtsstellung des ersten Ehegatten oder Lebenspartners in § 172. Eine Sonderrolle nimmt § 173 ein; auch die Entscheidung des BVerfG, mit welcher die Vorschrift für verfassungsgemäß erklärt wurde (BVerfGE 120 224 = NJW 2008 1137), vermochte die Strafwürdigkeit inzestuöser Beziehungen nicht schlüssig mit einem Schutz konkreter Rechtsgüter, als die vor allem die familiäre Funktionsfähigkeit und eugenische Gesichtspunkte benannt werden, zu erklären (s. eingehend § 173 Rn. 18 ff). Die systematische Zusammenfassung der Vorschriften im 12. Abschnitt ist gleichwohl sachgerecht, da ihnen als verbindendes tatsächliches Element familiäre und familienrechtlich etablierte Beziehungen zugrunde liegen.32
32 So auch Schall Vorbem. Rdn. 2 a.E; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2, § 63 Rdn. 4; Schramm Ehe und Familie im Strafrecht, S. 312; Dippel LK12 Vorbem. Rdn. 10 f. Wiedner
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§ 169 Personenstandsfälschung (1) Wer ein Kind unterschiebt oder den Personenstand eines anderen gegenüber einer zur Führung von Personenstandsregistern oder zur Feststellung des Personenstands zuständigen Behörde falsch angibt oder unterdrückt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar.
Schrifttum Anke/Rass Babyklappe und anonyme Geburt, ZRP 2002 451; Arnold-Schuster/Hansen-Tilgner Das neue Kindschaftsrecht, AnwBl. 1998 71; Bärlein/Rixen Babywiegen – Ein Hilfskonzept eigener Art, Kriminalistik 55 (2001) 54; Barthe Die Personenstandsfälschung unter besonderer Berücksichtigung von Zweifelsfällen (1962); J. Baumann Der strafrechtliche Schutz des Personenstandes, StAZ 11 (1958) 225; ders. Strafbarkeit von In-vitro-Fertilisation und Embryonentransfer? in Günther/Keller (Hrsg.) Fortpflanzungsmedizin und Humangenetik – Strafrechtliche Schranken? 2. Aufl. (1991) 177; ders. Ein Recht auf Kenntnis der biologischen Abstammung? Strafgerechtigkeit: Festschrift für Arthur Kaufmann zum 70. Geburtstag (1993) 537; Benda Die „anonyme Geburt“, JZ 2003 533; Benöhr/Muth „Babyklappe“ und „Anonyme Geburt“ – im Widerstreit zwischen Hilfeleistung und Gesetzesverstoß, KritJ 34 (2001) 405; Bernat Statusrechtliche Probleme im Gefolge medizinisch assistierter Zeugung, MedR 4 (1986) 245; Beulke Ist die „Babyklappe“ noch zu retten? Strafrecht zwischen System und Telos: Festschrift für Rolf Dietrich Herzberg zum siebzigsten Geburtstag (2008) 605; Bockenheimer-Lucius Babyklappe und anonyme Geburt – Hintergründe und Anmerkungen zu ethischen Problemen, EthM 14 (2002) 20; Bohnert Strafrecht: Der entwendete Säugling, JuS 1977 746; Bornhofen Die Reform des Personenstandsrechts, StAZ 49 (1996) 16; Boschan Personenstandsrecht, in Stier-Somlo/ Elster (Hrsg.) Handwörterbuch der Rechtswissenschaft Bd. 4 (1927) 440; Bouhatta, Der § 1597a BGB und die missbräuchliche Vaterschaftsanerkennung, NVwZ 2018, 1103; Busch Nur ein gerettetes Kind und es hätte sich schon gelohnt, SozE 29 (5/2005) 31; Busse Das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung bei heterologer künstlicher Befruchtung – Samenspende, Eispende, Embryonenspende (1988); Claessen Personen- und Bekenntnisstand – Zur anstehenden Novellierung des Personenstandsgesetzes, KuR 2 (1996) 231; Coester Neues Kindschaftsrecht in Deutschland, DEFR 1 (1999) 3; Coester-Waltjen Zum Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung, Jura 1989 520; Danner Wie sind Geburt und Tod eines neugeborenen Kindes, bei dem weder die Lebend- noch die Totgeburt nachgewiesen ist, standesamtlich zu behandeln? StAZ 10 (1957) 352; Deichfuß Recht des Kindes auf Kenntnis seiner blutsmäßigen (genetischen) Abstammung, NJW 1988 113; ders. Abstammungsrecht und Biologie, Mannheimer rechtswissenschaftliche Abhandlungen Bd. 13 (1991) (zit.: Deichfuß Abstammungsrecht); Deinert Die Entwicklung des Kindschaftsrechts, DAVorm. 71 (1998) 198, 258, 338; Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge Vertrauliche Geburt – Eckpunkte einer sozialpräventiven Lösung für Frauen in psychosozialer Notlage, NDV 83 (2002) 447; Donhauser Das Recht des Kindes auf Kenntnis der genetischen Abstammung (1996); Dörndorfer Einführung in das neue Kindschaftsrecht, ZfJ 85 (1998) 202; Drosselbach Findelkinder zwischen Recht und Institution, Grundlagen des Rechts: Festschrift für Peter Landau zum 65. Geburtstag, Rechts- und Staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görresgesellschaft Neue Folge Bd. 91 (2000) 439; Edenfeld Das neue Abstammungsrecht der Bundesrepublik Deutschland im nationalen und internationalen Vergleich, FuR 3 (1996) 190; Edlbacher Eimutter, Ammenmutter, Doppelmutter, ÖJZ 43 (1988) 417; Ehlers Die Rechtmäßgkeit des Verbots kirchlicher Voraustrauungen, Verfassung – Philosophie – Kirche: Festschrift für Alexander Hollerbach zum 70. Geburtstag (2001) 811; Elbel Anonyme Geburten und Babyklappen, KrV 89 (2007) 293; Emig Personenstandsgesetz mit der Ersten Ausführungsverordnung, der amtlichen Begründung sowie dem Namensrecht und anderen einschlägigen Vorschriften, 2. Aufl. (1938); Enders Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung, NJW 1989 881; Finger Zur Neuordnung des Eheschließungsrechts, FuR 7 (1996) 124; Frank Rainer Legitimation durch nachfolgende Eheschließung bei offenkundig falscher Vaterschaftsanerkennung, FamRZ 1969 626; ders. Die wissentlich falsche Vaterschaftsanerkennung aus zivil- und strafrechtlicher Sicht, ZfJ 59 (1972) 260; ders. Recht auf Kenntnis der genetischen Abstammung? FamRZ 1988 113; ders. Das Recht auf Kenntnis der Abstammung in Deutschland und Frankreich, Festschrift für Peter Schlechtriem zum 70. Geburtstag (2003) 37; Frank/Helms Der Anspruch des nichtehelichen Kindes gegen seine Mutter auf Nennung des leiblichen Vaters, FamRZ 1997 1258; dies. Rechtliche Aspekte der anonymen Kindesabgabe in Deutschland und Frankreich, FamRZ 2001 1340; Fritsche Anzeige von Sterbefällen durch Bestatter, StAZ 46 (1993) 304; Gaaz Das neue Personenstandsgesetz, FamRZ 2007 1057; Gaul H. F. Die Neuregelung des Abstammungsrechts durch das Kindschaftsrechtsreformgesetz, FamRZ 1997 1441; Geiss-Wittmann Die ganzheitliche Hilfe des Moses Projektes, FPR 7 (2001) 734; Giesen Genetische Abstammung und Recht – Zugleich eine Besprechung des Urteils des BVerfG vom 31.1.1989–1 BvL 17/87 –, JZ 1989 364; Genz, Die vertrauliche Geburt (2017); Goeschen Zur Strafbarkeit
427 https://doi.org/10.1515/9783110490107-032
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§ 169 StGB
Personenstandsfälschung
der Personenstandsfälschung, ZRP 1972 108; Gottwaldt Recht auf Kenntnis der biologischen Abstammung? Beiträge zum Schutz der Persönlichkeit und ihrer schöpferischen Leistung: Festschrift für Heinrich Hubmann zum 70. Geburtstag (1985) 111; Gressmann Neues Kindschaftsrecht, 2. Aufl. (1998); Grün Das neue Kindschafts- und Unterhaltsrecht in der anwaltlichen Praxis (1998); Haas, Vertrauliche Kindesabgabe mit vorübergehend anonymer Meldung, FamRZ 2010, 781; Hager Der rechtliche und der leibliche Vater, Perspektiven des Familienrechts: Festschrift für Dieter Schwab zum 70. Geburtstag am 15. August 2005 (2005) 273; Haibach/Haibach Das neue Kindschaftsrecht in der anwaltlichen Praxis (1998); Hanke Nachsorgender Schutz menschlichen Lebens: Zum Umgang mit Spätabtreibungen im Personenstands-, Bestattungs- und Strafprozessrecht (2002); Hassenstein Der Wert der Kenntnis der genetischen Abstammung, FamRZ 1988 120; Helms Reform des deutschen Abstammungsrechts, FuR 7 (1996) 178; Hepting „Babyklappe“ und „anonyme Geburt“, FamRZ 2001 1573; Hepting/Gaaz Personenstandsrecht, Stand: 37. Lieferung (November 2001); Herold Die Rechtspflichten des Arztes nach dem Personenstandsgesetz, StAZ 1960,29; Heyers Zivilrechtliche Institutionalisierung anonymer Geburten, JR 2003 45; Hinschius/Boschan Das Reichsgesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung vom 6.2.1875, 4. Aufl. (1909); Hochgrebe/Reichard Der Personenstand, 2. Aufl. 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Zeugnispflicht bei heterologer Fertilisation, FamRZ 1986 635; Müller/Magdeburg Recht auf Leben – Die anonyme Geburt, FPR 9 (2003) 109; Muscheler Familienrecht (2006); Muscheler/Beisenherz Das neue Abstammungsrecht, JR 1999 356, 407; Muscheler/Bloch Das Recht auf Kenntnis der genetischen Abstammung und der Anspruch des Kindes gegen die Mutter auf Nennung des leiblichen Vaters, FPR 8 (2002) 339; Mutschler Interessenausgleich im Abstammungsrecht, FamRZ 1996 1381; Neuheuser Steht den Betreuern von „Babyklappen“ ein Zeugnisverweigerungsrecht zu? ZfL 10 (2001) 59; ders. Begründet die Weggabe eines Neugeborenen in eine „Babyklappe“ den Anfangsverdacht einer Straftat? NStZ 2001 175; ders. Babyklappenkonzepte – Guter Wille wider Rechtsordnung, ZfL 11 (2002) 10; ders. Babyklappe und anonyme Geburt ZRP 2003 216; ders. Strafrechtliche Bewertung der Babyklappen in der Praxis, Kriminalistik 59 (2005) 738; ders. Straftaten an der sogenannten Babyklappe, ZKJ 2 (2006) 458; Oberloskamp Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung, FuR 2 (1991) 263; Pfeiffer/Strickert Personenstandsgesetz (1961); Rauscher Vaterschaft auf Grund Ehe mit der Mutter, FPR 8 (2002) 352; ders. Vaterschaft auf Grund Anerkennung, FPR 8 (2002) 359; Reinke Das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner genetischen Herkunft (1991); Reis Die Unterdrückung und Veränderung des Personenstandes (1888); Roxin An der Grenze von Begehung und Unterlassung, Festschrift für Karl Engisch zum 70. Geburtstag (1969) 380; Rusca Die Delikte in Bezug auf den Personenstand unter besonderer Berücksichtigung des schweizerischen Rechts (1939); Sachse Umschreibung des Geburtsdatums bei Nachbeurkundungen, StAZ 41 (1988) 7; Sauer K. Das deutsche Personenstandsgesetz in seiner neuen Fassung (1924); Scheiwe Babyklappe und anonyme Geburt – wohin mit Mütterrech-
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428
Übersicht
StGB § 169
ten, Väterrechten, Kinderrechten, ZRP 2001 368; Scheyhing Zur Verfassungsmäßigkeit des § 67 des Personenstandsgesetzes, FamRZ 1957 4; Schmidt-Didczuhn (Verfassungs)Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung, JR 1989 228; Schmitz/Bornhofen Personenstandsgesetz, 12. Aufl. (2009); Schramm, Ehe und Familie im Strafrecht (2011); Schroeder, Familienrecht und Strafrecht, FamRZ 2014, 1745; Schulte Langforth Personenstandsunterdrückung durch die uneheliche Mutter, ZfJ 29 (1937/38) 375; Schwab D. Kirchliche Trauung ohne Standesamt – Die stille Beerdigung eines historischen Konflikts – FamRZ 2008 1121; Schwab/Wagenitz Einführung in das neue Kindschaftsrecht, FamRZ 1997 1377; Schwarz K.-A. Rechtliche Aspekte der „Babyklappe“ und „anonyme Geburt“, StAZ 56 (2003) 33; Schweinoch/Schultheis/Simader Rechtsquellen und Organisation des Personenstandswesens in der Bundesrepublik Deutschland, StAZ 37 (1984) 149; Schwenzer Die Rechtsstellung des nichtehelichen Kindes, FamRZ 1992 121; v. Sethe Die Durchsetzbarkeit des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung aus der Sicht des Kindes, Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft Bd. 93 (1995); v. Sicherer Personenstand und Eheschließung in Deutschland (1879); Smid Recht auf Kenntnis der eigenen blutsmäßigen Abstammung, JR 1990 221; Spindler, Beurkundung von anonymen Geburten, Kindern aus Babyklappen und Personen mit ungewissem Personenstand, StAZ 2012, 97; Steiner Ausgewählte Rechtsfragen der Insemination und Fertilisation, ÖJZ 42 (1987) 513; Stölzel Personenstandsgesetz, 6. Aufl. (1944); Stuber Personenstandswesen (1999); Swientek Warum anonym – und nicht nur diskret? Babyklappen und anonyme Geburt, FPR 7 (2001) 353; dies. Die Wiederentdeckung der Schande, Babyklappen und anonyme Geburt (2001) (zit.: Swientek Wiederentdeckung); Taufkirch Babyklappen und anonyme Geburt, Socialia Studienreihe Soziologische Forschungsergebnisse Bd. 61 (2004); Teubel, Geboren und Weggegeben (2009); Thomsen H. System des Personenstandsrechts (1962); Verschraegen Schutz des Lebens und Kenntnis der eigenen Abstammung, ÖJZ 59 (2004) 1; Weber K. Das Reichsgesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung vom 6. Februar 1875 (1875); Wichmann Zum Stand der Reform des Kindschaftsrechts, NDV 76 (1996) 41; Wiedemann Eine „Babyklappe“ soll Leben retten, SozM 25 (7–8/2000) 55; Wiemann Babyklappe und anonyme Geburt, LAG-INFO 2003 23/ 1; Wiesner/Berg Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe im Rahmen der anonymen Kindesabgabe, ZfL 15 (2006) 87; dies., Anonyme Kindesabgabe und Sozialdatenschutz, NStZ 2010, 243; Willutzki Kindschaftsrechtsreform – Versuch einer wertenden Betrachtung, KdPr. 1 (1998) 8, 37, 103; Wittinger Anonyme Geburt – endlich Klarheit? NJW 2003 2138; Wohn Medizinische Reproduktionstechniken und das neue Abstammungsrecht, Schriften zum deutschen und europäischen Zivil-, Handels- und Prozeßrecht Bd. 195 (2001); Wolf Alfred Babyklappe und anonyme Geburt – Fragen zu einer neuen Entwicklung, FPR 7 (2001) 345; ders. Über Konsequenzen aus den gescheiterten Versuchen, Babyklappen und „anonyme“ Geburten durch Gesetz zu legalisieren, FPR 9 (2003) 112; Zumstein Nichtehelichenrecht – ein Auslaufmodell! Zur Reform des Abstammungsrechts, FPR 2 (1996) 225.
Übersicht I. 1.
2. 3.
4. 5. II. 1.
429
Allgemeines 1 1 Geschichtliche Entwicklung 1 a) Altertum bis 19. Jhdt. 2 b) StGB bis zum 4. StrRG 4 c) Änderungen durch das 4. StrRG d) Gesetz zur Reform des Kindschafts8 rechts 9 e) Gesetzesmaterialien Praktische und rechtspolitische Bedeu10 tung 13 Schutzgut, Fälle mit Auslandsbezug 13 a) Rechtsgut 16 b) Auslandsberührung 19 Deliktsnatur 23 Flankierende Vorschriften 24 Objektiver Tatbestand Unterschieben eines Kindes (Alt. 1) 25 a) Allgemeines 26 b) Kind 28 c) Unterschieben
25
2.
29 aa) Der Mutter 31 bb) Dem Vater 34 d) Drittbezug aa) Zielgerichtete Täuschung, An35 schein 36 bb) Kein Behördenbezug e) Zeitdauer, Begehung durch Unterlas37 sen Falschangabe oder Unterdrückung des Perso38 nenstandes (Alt. 2 und 3) 39 a) Personenstand eines anderen 39 aa) Personenstand bb) Einzelne Personenstandsmerk42 male 49 cc) Eines anderen 50 b) Adressat 50 aa) Behörde: Kriterien 51 bb) Adressatengruppen (1) Standesämter und Standesbe52 amte 53 (2) Gerichte in Statussachen
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§ 169 StGB
c)
d)
Personenstandsfälschung
(3) Nicht erfasste Stellen 54 56 Falsche Angaben (Alt. 2) 57 aa) Angaben 59 bb) Falsch 60 (1) Tatsachen (2) Zivilrechtliche Zuord61 nung (3) Insbes.: Vaterschaftsanerken64 nung 66 cc) Einzelfälle dd) Ausländerrechtliche Besonderhei70 ten ee) Falsche Angaben durch Unterlas74 sen 75 Unterdrücken (Alt. 3) 75 aa) Begriff 77 bb) Taugliche Adressaten 79 cc) Tathandlungen 80 (1) Positives Tun 82 (2) Unterlassen dd) Sonderfälle: Aussetzen eines Neugeborenen, anonyme und vertrauliche 86 Geburt
(1) (2) (3) (4)
Aussetzen eines ungewollten 87 Kindes 90 Babyklappen 93 Anonyme Geburt 96 Vertrauliche Geburt 98
III.
Subjektiver Tatbestand, Irrtumsfragen
IV.
Rechtswidrigkeit
V.
Tatvollendung und Versuch (Abs. 2), Verjäh101 rung
VI.
Täterschaft und Teilnahme
VII. Rechtsfolgen
100
104
105
106 VIII. Konkurrenzen 106 1. Innertatbestandlich 2. Zusammentreffen mit anderen Delikten
107
I. Allgemeines 1. Geschichtliche Entwicklung1 1 a) Altertum bis 19. Jhdt. Der heutigen Personenstandsfälschung vergleichbare Delikte reichen zurück bis in das römische Recht, wo unter den Fälschungsdelikten („falsum“) nach der Lex Cornelia de falsis die Unterschiebung eines neugeborenen Kindes („suppositio partus“) als crimen erfasst und mit der summum supplicium, d. h. mit der Todesstrafe geahndet wurde.2 Spätestens in der Kaiserzeit trat als quasifalsa die Anmaßung eines falschen Namens („adseveratio falsi nominis vel cognominis“) hinzu und wurde mit der deportatio bestraft.3 Im Mittelalter und dem Recht der frühen Neuzeit sind ähnliche Delikte nicht überliefert.4 Auch im gemeinen Recht lässt sich trotz Rezeption der römischen Bestimmungen keine spezifisch gegen den Personenstand gerichtete Straftat erkennen.5 Die Kindesunterschiebung ist erstmals wieder erfasst im Preußischen Allgemeinen Landrecht, wo sie dem Betrug zugerechnet wird.6 In § 282 des Bayrischen Strafgesetzbuches von 1813 ist als „Betrug an dem Familienstande“ ein „Betrug Eingehend Dippel LK12 Rdn. 1; Barthe S. 1 ff; Stracke S. 9 f. Mommsen Römisches Strafrecht S. 676, 860; Fn. 1; Binding I § 61; Kohlrausch/Lange S. 466. Vgl. Doer Die römische Namengebung: ein historischer Versuch, S. 94; v. Liszt/Schmidt BT § 113 I. V. Hippel I § 66 Fn. 1; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 1; s. auch Dippel LK12 Rdn. 1 unter Hinweis, dass weder der Carolina noch dem Richterlichen Clagspiegel des 16. Jhdts. ein strafrechtlicher Schutz personenstandlicher Beziehungen zu entnehmen ist. 5 V. Liszt/Schmidt BT § 113 m.w.Nachw.; Kohlrausch/Lange S. 466 f. Zwar findet sich eine dem falsum entsprechende Regelung im Codex Juris Bavarici von 1791 (1. Teil 9. Kap. § 2; vgl. Schall SK Rdn. 1 Fn. 1; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 64 Rdn. 3; die dortigen zahlreichen Fälschungsvarianten weisen aber keinen Bezug zum Personenstand auf. 6 Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1. Juni 1794, dort §§ 1436–1439 („Unterschiebung fremder Geburt“) im Zweiten Theil, 20. Titel („Von den Verbrechen und deren Strafen“), 15. Abschnitt („Von Beschädigungen des Vermögens durch strafbaren Eigennutz und Betrug“), II. („Betrug, gemeiner“), C. („Betrug mit Verletzung andrer Pflichten“).
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I. Allgemeines
StGB § 169
in Ansehung der Familienrechte eines Menschen, wenn derselbe durch Unterschiebung oder Verwechslung eines Kinders begangen worden ist“, mit einer – im Fall eines Vermögensschadens verschärften – Arbeitsstrafe belegt. Der Begriff “Personenstand“ begegnet erstmals in § 138 des Preußischen Strafgesetzbuches von 1851, dessen Tatbestand über die Kindesunterschiebung hinaus abstrakt auf Veränderungen des Personenstandes erweitert ist und der Fassung des ursprünglichen § 169 bereits nahekommt.7 Die begriffliche Änderung wurde in das RStGB ohne sachliche Abgrenzung zwischen Familien- und Personenstand übernommen.8 Auch die Sonderstellung der Kindesunterschiebung, formal ein Unterfall allgemeiner Personenstandsfälschung, ist in den Tatbestand des späteren § 169 übernommen worden und hat bis in die Gegenwart Bestand (krit. hierzu Maurach BT § 49 II A 3; Dippel LK12 Rdn. 13).
b) StGB bis zum 4. StrRG. § 169 war bereits in der ursprünglichen Fassung des RGStB vom 2 1. Januar 1872 enthalten und lautete: „Wer ein Kind unterschiebt oder vorsätzlich verwechselt, oder wer auf andere Weise den Personenstand eines Anderen vorsätzlich verändert oder unterdrückt, wird mit Gefängniß bis zu drei Jahren und, wenn die Handlung in gewinnsüchtiger Absicht begangen wurde, mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft“. Der Versuch war nach Abs. 2 strafbar. Der Tatbestand ging damit über die heutige Begrenzung auf Handlungen gegenüber bestimmten, amtlichen Adressaten weit hinaus und stellte jede vorsätzliche Veränderung des Personenstandes mit Ausnahme des eigenen unter Strafe. Letztere Lücke noch zu schließen und die angedrohte Strafe zu verschärfen, war ein vor dem Hintergrund des Rassegedankens ideologisch begründetes Anliegen des nationalsozialistischen Gesetzgebers,9 das indes nicht umgesetzt wurde; so war § 169 von der Verordnung zum Schutz von Ehe, Familie und Mutterschaft vom 9. März 1943 (RGBl. I S. 140) und der zu ihrer Durchführung ergangenen Verordnung vom 18. März 1943 (RGBl. I S. 169) nicht erfasst. Frühere Änderungsentwürfe schlugen Umformulierungen hin zu einer Tatbeschreibung als „fälschen“ – entsprechend der nunmehrigen amtlichen Bezeichnung der Vorschrift – vor, sind aber gleichfalls nicht Gesetz geworden.10 Die Vorschrift ist unverändert in Bundesrecht übernommen worden. Eine dem geänderten Sanktionssystem geschuldete Anpassung der Strafandrohung auf Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren und in der Qualifikation der Gewinnsucht auf Freiheitsstrafen von einem bis zehn Jahren erfolgte durch das 1. StrRG vom 25. Juni 1969 (BGBl. I S. 645) mit Wirkung zum 1. September 1969. Eine inhaltliche Änderung der Bestimmung wurde erst durch das 4. StrRG im Jahr 1973 vorgenommen. Im Zuge der Reformbestrebungen der Sechziger und Siebziger Jahre wurde die weite 3 Fassung des Tatbestandes kritisiert, der auch personenstandsrelevante Falschangaben gegenüber Privaten oder in der Öffentlichkeit ohne darüber hinausreichende registerrechtliche Folgen erfasste, etwa Fälle, in denen der Täter in seinem Bekanntenkreis oder im gesellschaftlichen Kontext eine andere Person zu Unrecht als seinen Ehegatten oder ein Pflegekind als sein leibliches Kind ausgibt.11 Der Alternativentwurf in der veröffentlichten Fassung von 1968 schlug eine weitgehende Begrenzung auf Tatbestände vor, dass jemand „es unternimmt, die unrichtige
7 Bezeichnet als „Verbrechen in Beziehung auf den Personenstand“. § 138 lautet: „Wer ein Kind unterschiebt oder vorsätzlich verwechselt, oder auf andere Weise den Personenstand eines anderen vorsätzlich verändert oder unterdrückt, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft“. S. auch Binding Lehrbuch I § 61 I Fn. 1; v. Hippel I § 66 Fn. 1; Reis S. 35; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 64 Rdn. 3. 8 Goltdammer S. 273 und Stracke S. 10 f verweisen auf die Übernahme des französischen Begriffs des état civil des personnes; s. auch Dippel LK12 Rdn. 1. 9 Gürtner/Lorenz S. 111 f; Dippel LK12 Rdn. 1. 10 Entwurf der Reichsregierung von 1925 (§ 284), Entwurf Kahl von 1930 (§ 316) und Entwurf der amtlichen Strafrechtskommission von 1936 (§ 198). 11 Beispiele nach BTDrucks. VI/1552 S. 11; s. auch BTDrucks. VI/3521 S. 11; Hanack NJW 1974 2; Sturm JZ 1974 2. Entsprechende Verurteilungen aus der Zeit vor der Neufassung der Vorschrift sind allerdings nicht veröffentlicht, 431
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§ 169 StGB
Personenstandsfälschung
behördliche Feststellung der familienrechtlichen Abstammung eines anderen herbeizuführen“ (AE S. 7, 72 f); ausdrücklich für straflos sollte eine Verweigerung der Mitwirkung bei der Feststellung der Vaterschaft erklärt werden. In subjektiver Hinsicht sollte wissentliches Handeln erforderlich sein. Der E 62 sah im dortigen § 220 vor, dass eine „Fälschung“ in einer die behördliche Feststellung des Personenstandes gefährdenden Weise geschehen müsse. Im Gesetzgebungsverfahren zum 4. StrRG knüpfte der Regierungsentwurf (BTDrucks. VI/1552) hieran an und enthielt bereits die später Gesetz gewordene Reduzierung auf drei Tatvarianten.12 Der Sonderausschuss für die Strafrechtsreform forderte in seinem schriftlichen Bericht vom 14. Juni 1972 (BTDrucks. VI/3521) in den Varianten des Fälschens und Unterdrückens weiterreichende Eingrenzungen dahin, dass die Tat gegenüber einer zur Führung von Personenstandsbüchern oder zur Feststellung des Personenstandes zuständigen Behörde begangen sein muss; diese Fassung ist – bis auf redaktionelle Veränderungen noch immer geltend – durch das Vierte Gesetz zur Reform des Strafrechtes vom 23. November 1973 (BGBl. I 1725) mit Wirkung vom 28. November 1973 umgesetzt worden.13
4 c) Änderungen durch das 4. StrRG. Die mit der Neufassung der Vorschrift bewirkten, bis in die Gegenwart fortgeltenden Änderungen reichten weit. Zu unterscheiden ist im Wesentlichen: Die Zusammenfassung der ursprünglich vier Tatvarianten der ursprünglichen Fassung 5 (Unterschieben eines Kindes, Verwechseln eines Kindes, Veränderung des Personenstandes eines anderen, Unterdrückung desselben) auf deren drei in anderer Umschreibung (Kindesunterschiebung, Falschangabe und Unterdrücken des Personenstandes) sind im Wesentlichen redaktioneller Art ohne sachliche Änderung (Sturm JZ 1974 2); denn die vorsätzliche Verwechslung eines Kindes bildet nur einen Unterfall der ersten Alternative. So liegt ein Fall des Unterschiebens eines Kindes auch dann vor, wenn zwei zu gleicher Zeit geborene Kinder jeweils der anderen Mutter zugeordnet werden. Auf die Variante konnte daher ohne Änderung des sachlichen Gehaltes der Vorschrift als überflüssig verzichtet werden (BTDrucks. VI/3521 S. 10; Sturm JZ 1974 2). Dem gesetzgeberischen Willen entspricht es auch, dass eine Gefährdung der behördlichen Feststellung des Personenstandes in dieser Tatvariante nicht Tatbestandsmerkmal sein sollte (BTDrucks. VI/3521 S. 10). Als inhaltlich nicht gänzlich bedeutungslos stellt sich die geänderte Bezeichnung der Handlung in der zweiten Tatvariante – Falschangabe statt Veränderung – dar (so aber Dippel LK12 Rdn. 2); sie ist der Eingrenzung des Adressatenkreises auf behördliche Empfänger geschuldet. Letztlich umschreibt sie aber in sachlicher Hinsicht Fälschungshandlungen i. w. S. (so ausdrücklich BTDrucks. VI/3521 S. 10; s auch Sturm JZ 1974 2), nämlich gezielt unwahre Angaben oder Irreführungen auch konkludenter Art, wie sie zuvor bereits gegenüber jedermann erheblich waren, und durch die nunmehr eine Verfälschung des amtlichen Personenstandes zumindest möglich werden muss.14 Eine erhebliche, gesetzgeberisch gewollte Einschränkung des Anwendungsbereiches geht 6 mit der Beschränkung auf Tathandlungen gegenüber bestimmten Adressaten und mit einem wie auch insgesamt die Befürchtung einer zu weitgehenden Pönalisierung sich jedenfalls in der Rechtsprechung nicht widerspiegelt. 12 Die Fassung des Regierungsentwurfs lautete wie folgt: „Wer ein Kind unterschiebt oder sonst den Personenstand eines anderen in einer Weise fälscht oder unterdrückt, daß die behördliche Feststellung des Personenstandes gefährdet ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ 13 Die Fassung von § 169 Abs. 1 nach dem 4. StrRG lautete: „Wer ein Kind unterschiebt oder den Personenstand eines anderen gegenüber einer zur Führung von Personenstandsbüchern oder zur Feststellung des Personenstandes zuständigen Behörde falsch angibt oder unterdrückt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Abs. 2 bestimmte die Strafbarkeit des Versuches. 14 Die immer wieder erhobene Forderung, ein Fälschungselement ausdrücklich im Tatbestand zu verankern (s. Rdn. 2; vgl. auch Binding Lehrbuch I § 61 II 4), würde die Vorschrift zu sehr in die Nähe der Urkundsdelikte rücken und müsste zudem tatbestandlich wie in § 271 zum Ausdruck bringen, dass die inhaltliche Unwahrheit der Angabe oder des bewirkten Registerinhaltes gemeint ist. Wiedner
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I. Allgemeines
StGB § 169
dem rechtlichen Personenstand widersprechenden Gegenstand einher; hiermit war die Zielsetzung verbunden, „nicht strafbedürftige, bisher aber strafbare Fälle auszuschalten“ (BTDrucks. VI 3521 S. 11). Die Gesetzesmaterialien listen hierbei zutreffend eine Mehrzahl von Fallgestaltungen auf, die nunmehr aus dem Anwendungsbereich von § 169 herausfallen. Bezeichnet sind zum einen Falschangaben im privaten oder gesellschaftlichen Bereich – das Adoptivkind wird im Bekanntenkreis als eheliches Kind, die Geliebte als Ehefrau ausgegeben –, zum anderen unzutreffende Angaben gegenüber zur Feststellung des Personenstandes oder zur Führung von Personenstandsbüchern nicht zuständigen Stellen wie der Polizei, der Meldebehörde oder dem Finanzamt (vgl. Rdn. 52 ff).15 Tatsächliche Handlungen, welche faktisch zu einer Unterdrückung personenstandlicher Daten führen, etwa die Aussetzung eines Kleinkindes, sind dagegen nur insoweit, wie keine Mitteilungspflicht besteht, von § 169 ausgenommen (weiter Dippel LK12 Rdn. 2; s. aber hier Rdn. 86 f). Von der Strafandrohung nicht betroffen soll nach dem Willen des Gesetzgebers auch der Arzt sein, der die Benennung eines Samenspenders verweigert.16 Weiterhin legen die Materialien ausführlich dar, dass auch solche Verhaltensweisen tatbestandslos bleiben sollen, die zu einer vom Gesetz zugelassenen Abweichung zwischen biologischer Abstammung und rechtlichem Personenstand führen, insbesondere „die Anmeldung eines im Ehebruch gezeugten Kindes als ehelich“ oder die „Anerkennung der Vaterschaft über ein nichteheliches Kind durch einen anderen als den Erzeuger“ (ebd.). Die solchermaßen durch das Familienrecht vorgegebenen, personenstandsrechtlich zulässigen Erklärungen sollen durch das Strafrecht unabhängig von ihrer Wirksamkeit und den betroffenen Interessen nicht sanktioniert werden.17 Durch die Änderung tritt diese Zielsetzung nur mittelbar dadurch hervor, dass nunmehr der rechtliche Begriff des Personenstandes durch den verengten Bezugspunkt hervorgehoben wird. Materiell-rechtlich verfolgt die Neufassung damit den Zweck, das Interesse der Allgemeinheit an der Feststellung der biologischen Abstammung hinter das Interesse an der konstitutiven Wirkung der Anerkennung der Vaterschaft zurücktreten zu lassen (vgl. Dippel LK12 Rdn. 2). Dagegen sollen Falschangaben im gerichtlichen Verfahren zur Feststellung der Vaterschaft von der Vorschrift erfasst sein. Eine Strafbarkeit der Kindesmutter durch Verschweigen der Person des nichtehelichen Vaters soll angesichts der Zeugnisverweigerungsrechte nach § 383 Abs. 1 Nr. 3, § 384 Nr. 2 ZPO nicht bestehen (BTDrucks. VI/3521 S. 11 f). Neben dem Wegfall der Qualifikation gewinnsüchtigen Handelns ist – entgegen den eine 7 Beibehaltung der Höchststrafe von drei Jahren befürwortenden Regierungs- und Ausschussentwürfen – die Strafandrohung auf höchstens zwei Jahre Freiheitsstrafe herabgesetzt und durch die Möglichkeit der Verhängung von Geldstrafe ergänzt worden.
d) Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts. Eine wesentliche Änderung der abstam- 8 mungsrechtlichen Grundlagen des Personenstandes (§§ 1591 ff BGB) ist durch das Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts vom 16. Dezember 1997, in Kraft getreten am 1. Januar 1998, 15 Die Gesetzesbegründung weist darauf hin, dass insoweit andere Strafvorschriften – zu ergänzen ist: auch solche des Ordnungswidrigkeitenrechtes – eingreifen können (BTDrucks. VI/3521 S. 11). Zu denken ist an die § 153 ff, § 258, § 271; s. auch § 70 PStG und § 54 BMeldeG oder andere polizeigesetzliche Ordnungswidrigkeiten. 16 Aus dem Grunde, dass auch für den Fall eines zivilrechtlichen Auskunftsanspruches (vgl. mittlerweile BGHZ 204, 54) keine Verpflichtung zur Auskunft gegenüber Behörden besteht und im gerichtlichen Verfahren das Auskunftsverweigerungsrecht eingreift (vgl. Rdn. 84). 17 Vgl. hierzu BTDrucks. VI/3521 S. 11 f: „Die erwähnte Entscheidung des Gesetzgebers des Bürgerlichen Rechts ist vom Strafgesetzgeber als vorrangig zu respektieren. Das bedeutet, daß alle im Hinblick auf eine solche Anerkennung abgegebenen Erklärungen von der Strafbarkeit nach § 169 ausgenommen bleiben müssen. Das muß unabhängig davon gelten, ob die Erklärung der Wahrheit entspricht, ob die Anerkennung tatsächlich zustande kommt und ob sie im konkreten Einzelfall den Interessen des Kindes am meisten gerecht wird. Einer Differenzierung unter strafrechtlichen Gesichtspunkten sind derartige im Rahmen des Anerkennungsverfahrens abgegebene Erklärungen nicht zugänglich.“ S. auch BTDrucks. 7/80 und 7/514. 433
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§ 169 StGB
Personenstandsfälschung
bewirkt worden (BGBl. I 2942), indem insbesondere uneheliche mit ehelichen Kindern gleichgestellt und die insoweit geltenden Anfechtungs- und Anerkenntnisregeln angeglichen wurden. Auf die äußere Fassung von § 169 ist die Neuregelung ohne Einfluss geblieben. Die Neufassung des Strafgesetzbuches vom 13. November 1998 (BGBl. I 3322) hat die Stellung und den Wortlaut der Vorschrift gleichfalls unberührt gelassen. Geringfügig redaktionell geändert wurde sie durch das Gesetz zur Reform des Personenstandsrechts vom 19. Februar 2007 (BGBl. I 122; Motive: BTDrucks. 16/1831; zusammenfassend Gaaz FamRZ 2007 1057), in Kraft getreten am 1. Januar 2009. Dabei wurde die mit der Ablösung der Personenstandsbücher durch elektronische Personenstandsregister (vgl. § 3 PStG) verbundene terminologische Änderung in § 169 nachvollzogen; gewichtiger ist die durch die Reform bewirkte inhaltliche Änderung des Umfangs personenstandsrechtlicher Daten sowie die Zuständigkeiten zu ihrer Entgegennahme und Führung als Anknüpfungspunkte der Strafbarkeit.
9 e) Gesetzesmaterialien. Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission (1956–1960, 14 Bd., Bundesdruckerei): Bd. 5 S. 308; Bd. 8 S. 405 ff, 461, 620 ff; Bd. 12 S. 602; Entwurf eines Strafgesetzbuches E 1962: S. 45, 355 f; Alternativ-Entwurf eines Strafgesetzbuches (AE, Tübingen 1966): S. 7, 72 f; Viertes Gesetz zur Reform des Strafrechts (4. StRG): BTDrucks. VI/1552 S. 11 f; VI/3521 S. 10 ff, 72; 7/80; 7/514 S. 4, 19; Prot. VI/33 S. 1211 ff; VI/34 S. 1227 ff; VI/71 S. 2027 ff; 2044 f; 7/2 S. 3 f. Personenstandsrechtsreformgesetz: BTDrucks. 16/1831 S. 59 ff; 16/ 3309 S. 73 ff; BT-Prot. 16/43 S. 4143 ff; 16/63 S. 6249 ff; BR-Drucks. 616/05; 253/06; 850/06.
2. Praktische und rechtspolitische Bedeutung 10 Die praktische Bedeutung von § 169 ist mit niedrigen einstelligen Verurteilungszahlen pro Jahr sehr gering. Nachdem die Vorschrift lange Zeit in der polizeilichen Kriminalstatistik nur zusammengefasst mit anderen Delikten erfasst wurde, sind spezifisch eine Personenstandsfälschung betreffende Fälle nunmehr gesondert ausgewiesen (Straftatenschlüssel 670012) und bewegen sich in dem Fünfjahreszeitraum von 2015 bis 2019 in einem mittleren zweistelligen Bereich pro Jahr.18 Die Aufklärungsquoten lagen um die Hälfte der verfolgten Fälle mit Anteilen zwischen 45 % und 63 %. Nach den Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes zur Strafverfolgung19 wurden im Jahr 2018 fünf Personen abgeurteilt; hiervon kam es in zwei Fällen zu Verurteilungen. Von ebenfalls fünf Abgeurteilten wurden im Jahr 2017 drei Personen verurteilt; für das Jahr 2016 sind drei Abgeurteilte und zwei Verurteilte aufgeführt. In allen als abgeurteilt erfassten Fällen, die nicht zu einer Verurteilung führten, wurde das Verfahren jeweils eingestellt. 11 § 169 angesichts dieser niedrigen Fallzahlen als verzichtbar anzusehen, griffe indes zu kurz. Die Feststellung des Personenstandes bildet die Grundlage vielfältiger Rechte und Rechtsbeziehungen. Dass sie ermöglicht und auf einer zutreffenden Grundlage getroffen wird, liegt nicht
18 BKA, Polizeiliche Kriminalstatistik für das jeweilige, im folgenden angegebene Berichtsjahr, öffentlich zugänglich unter https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/PolizeilicheKriminalstatistik/pks_ node.html. Die Statistiken weisen 40 Fälle, darunter einen Versuch, für das Jahr 2019 aus, 46 Fälle, darunter zwei Versuche, für das Jahr 2018, 52 Fälle, darunter zwei Versuche, für das Jahr 2017, 37 Fälle für das Jahr 2016 und 40 Fälle für das Jahr 2015. Die geringen Fallzahlen und die stark schwankenden Täteranteile von Männern und Frauen erlauben keine Feststellung eines zeitübergreifenden geschlechtsspezifischen Überhanges. 19 Die nachfolgenden Werte beziehen sich auf die durch das Statistische Bundesamt in der „Fachserie 10, Rechtspflege 3, Strafverfolgung“ für das jeweilige Berichtsjahr ausgewiesenen Daten. Als Abgeurteilte gelten nach der Begriffsbestimmung des Statistischen Bundesamtes Angeklagte, gegen die Strafbefehle erlassen wurden oder Strafverfahren nach Eröffnung des Hauptverfahrens durch Urteil – Freispruch oder Verurteilung – oder Einstellungsbeschluss rechtskräftig abgeschlossen worden sind (vgl. Stat. Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 3 [2018], S. 13). Wiedner
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nur in hohem öffentlichen Interesse; berührt sind auch fundamentale Individualinteressen, insbesondere an der überdauernden Feststellbarkeit der Abstammung als wesentlichem Teil der eigenen Identität, und weitreichende Individualrechtsfolgen, die sich in familien-, unterhaltsund erbrechtlicher Hinsicht an Personenstandsmerkmale knüpfen (vgl. Rdn. 13 f). Die eindeutige, förmliche Feststellung dieser Merkmale ist einfachgesetzliche Ausprägung des grundrechtlichen Schutzes nach Art. 2 Abs. 1 und Art 6 Abs. 1 GG (vgl. BTDrucks. VI/3521, S. 10); ihrer Verfälschung oder Unterdrückung kommt angesichts der möglichen Folgen ein hoher Unrechtsgehalt zu. Die Erfassung und Richtigkeit personenstandsrechtlicher Daten strafrechtlich abzusichern, ist daher ohne weiteres gerechtfertigt. Kritik wurde in der Vergangenheit denn auch allein an dem weitreichenden, über diesen Schutzzweck hinausreichenden, durch das 4. StrRG indes begradigten Tatbestand der Vorschrift geübt, ohne ihre Berechtigung im Kernbereich staatlicher Personenstandsfeststellung grundsätzlich in Frage zu stellen. Aktualität hat die Vorschrift durch Fortschritte der Reproduktionsmedizin gewonnen sowie 12 durch die Ermöglichung anonymer Kindesabgaben („Babyklappe“) und anonymer Geburten (vgl. Rdn. 86 ff) mit einer fraglichen Strafbarkeit sowohl von Mitarbeitern der Institutionen als auch des abgebenden Elternteiles oder der gebärenden Mutter,20 ferner durch die hieraus motivierte gesetzliche Regelung der sog. vertraulichen Geburt.21 Die dogmatische und rechtspolitische Diskussion, die großteils zur ethischen Dimension und dem praktischen Nutzen derartiger Einrichtungen geführt wurde,22 spiegelt sich in der Rechtspraxis, etwa durch Ansteigen von Verfolgungszahlen und Entscheidungen in der Rechtsprechung zu entsprechenden Fallgestaltungen, allerdings nicht wieder. Den Strafrichter stellt § 169 vor Herausforderungen insoweit, als ihm außerstrafrechtliche Kenntnisse der zugrundeliegenden familien- und personenstandsrechtlichen Vorschriften abverlangt werden, etwa zur Abgrenzung dahin, unter welchen Voraussetzungen eine von biologischen Tatsachen abweichende Feststellung des Personenstandes als „falsch“ im Sinne der Vorschrift anzusehen ist.
3. Schutzgut, Fälle mit Auslandsbezug a) Rechtsgut. Das von § 169 geschützte Rechtsgut besteht im weiteren Sinne in der Feststell- 13 barkeit bestimmter persönlicher Merkmale eines Menschen und seines familienrechtlichen Verhältnisses zu anderen, wie es in den personenstandsrechtlichen Merkmalen seinen Ausdruck findet und die Grundlage für vielfältige daran anknüpfende Rechte und Rechtsbeziehungen bildet, insbesondere aus dem Familien-, Unterhalts- und Erbrecht, aber auch für an bestimmte Altersgrenzen geknüpfte Berechtigungen und Beschränkungen. Zählt man zutreffend den Namen zu diesen Merkmalen (vgl. Rdn. 39, 44), ist darüber hinausreichend auch die äußere Bezeichnung einer Person und ihre Zuordnung zu rechtlichen oder tatsächlichen Lebensvorgängen als Schutzgut erfasst. Nicht die zugrundeliegenden Vorgänge als solche sind Gegenstand der Vorschrift, sondern allein ihre zutreffende Niederlegung und Publizität. Nach heute überwiegender und zutreffender Auffassung23 schützt die Vorschrift dabei 14 gleichermaßen das Interesse der Allgemeinheit an einer zuverlässigen Erhebung, Feststellung 20 Vgl. Wiesner-Berg Anonyme Kindesabgabe; Teubel Geboren und Weggegeben; Beulke FS Herzberg 605; Schramm S. 319.
21 Gesetz zum Ausbau der Hilfen für Schwangere und zur Regelung der vertraulichen Geburt vom 28. August 2013, BGBl. I 3458. 22 S. insoweit etwa Käßmann/Teubel ZRP 2010 63; Hepting FamRZ 2001 1573; Katzenmeier FamRZ 2005 1134, 1137 f; Deutscher Ethikrat „Das Problem der anonymen Kindesabgabe“, Stellungnahme vom 26. November 2011, veröffentlicht unter https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Stellungnahmen/deutsch/stellungnahmedas-problem-der-anonymen-kindesabgabe.pdf. 23 Fischer Rdn. 2; Ritscher MK Rdn. 2; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 1; Dippel LK12 Rdn. 4; Frommel NK Rdn. 2; Matt/Renzikowski/Kuhlöi Rdn. 1; Kindhäuser BT I § 4 A 4.1; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 II. 435
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und Dokumentation personenstandlicher Daten der Bevölkerung wie auch das Interesse des Einzelnen an der zutreffenden Feststellung seines Personenstandes. In ersterer Hinsicht dient sie dem besonderen Beweisinteresse bezüglich personenstandsrechtlicher Verhältnisse, das in einem Gemeinwesen besteht. Denn dieses beruht organisatorisch auch darauf, dass Basisinformationen, die für tatsächliche und rechtliche Beziehungen der Einwohner von Belang sind, zutreffend und zeitüberdauernd erfasst sind, und dass staatliche Institutionen hierauf zurückgreifen können; die Erfassung und Speicherung gehören zum Kern hoheitlicher Aufgaben. Nicht zuletzt ist damit auch das Vertrauen der Bevölkerung auf die zutreffende Erfassung als Teil eines funktionierenden Staatswesens geschützt. Negativ, aus einem Abwehrinteresse heraus formuliert soll § 169 das Rechtsleben und den Rechtsverkehr vor den Gefahren bewahren, die entstehen, wenn der Personenstand einer Person unrichtig erscheint und andere dadurch veranlasst werden können, rechtserhebliche Handlungen vorzunehmen (vgl. OLG Stuttgart NJW 1968 1341). So kommt nach § 54 PStG dem Personenstandsregister und den Personenstandsurkunden eine – relative – Beweiskraft zu, nach §§ 62, 65 PStG können sich Gerichte, Behörden und betroffene Private der Personenstandsurkunden oder Auskünften aus dem Register bedienen. Hieraus ergibt sich zugleich ein erhebliches Individualinteresse des einzelnen dahin, dass Merkmale seiner Person in öffentlichen Registern zutreffend erfasst sind und seine rechtliche Stellung absichern. Über die rechtliche Dimension hinaus liegt ein fundamentales, identitätsstiftendes Interesse des einzelnen auch darin, seine eigene Abstammung und familienrechtliche Einordnung zu kennen, und sie von anderen aufgrund öffentlicher Pflicht zutreffend gemeldet und nicht verfälscht wiedergegeben zu wissen.24 Wegen dieser unmittelbaren Auswirkungen der Feststellungen und Folgen einer Verfälschung – auch die durch eine Kindesunterschiebung bewirkte – auf den Einzelnen ist die Ansicht abzulehnen, das Individualinteresse werde nur mittelbar geschützt (Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1; Otto BT § 65 Rdn. 1); sie verkennt, dass die an den Personenstand sich knüpfenden Rechtsfolgen den Einzelnen unmittelbar treffen, sein Interesse, vorbestimmten, die Feststellbarkeit seines Personenstandes möglicherweise gefährdenden Handlungen geschützt zu werden, daher mindestens ebenso hoch ist wie das Beweisinteresse der Allgemeinheit (Schall SK Rdn. 7; Dippel LK12 Rdn. 4; vgl. bereits BTDrucks. VI/3521 S. 10). 15 Die doppelte Schutzrichtung wird unterstrichen durch die insoweit eingeschränkte Strafbarkeit, als die Fälschung des eigenen Personenstandes oder jenes einer fiktiven Person nach § 169 nicht tatbestandlich ist; erfasst ist eine derartige Tat nur als Ordnungswidrigkeit nach § 111 OWiG oder § 70 Abs. 2 PStG. Hiermit verbunden ist der besondere Unrechtsgehalt, der sich aus dem Eingriff in fundamentale Daten eines Dritten ergibt und diesen erheblichen tatsächlichen und rechtlichen Folgen aussetzt, gegen die er sich aus Unkenntnis nicht zur Wehr setzen kann (zutreffend Schall SK Rdn. 8). Unter dem Gesichtspunkt des Allgemeininteresses wäre die Verfälschung eigener Merkmale in gleicher Weise strafwürdig, in individueller Hinsicht nicht (Ritscher MK Rdn. 2). Allerdings kann auch die Fälschung des eigenen Personenstandes zur Strafbarkeit nach § 169 führen, wenn hierdurch notwendigerweise auch Personenstandsmerkmale anderer, vorgeblich mit dem Täter verwandtschaftlich verbundener Dritter betroffen sind. Diese müssen aber – dies auch im Hinblick auf die Schutzrichtung – ausreichend individualisierbar sein (vgl. OLG Stuttgart NJW 1968 1341). Rdn. 10 f., S. 165, Mittenzwei ZfL 9 (2000) 40 und FS Wacke 335. Das Allgemeininteresse allein sehen als geschützt an Baumann StAZ 11 (1958) 225, Bohnert JuS 1977 748 Fn. 30, Joecks Rdn. 1, Schmidhäuser BT 13/2 und Sch/Schröder/ Bosch/Schittenhelm Vorbem §§ 169 ff. 24 Zu weit ginge, die Familie oder den Erhalt sozialisationstauglicher familiärer Strukturen von der Vorschrift als geschützt anzusehen (vgl. Bottke S. 107; Dippel LK12 Rdn. 4); denn der Familienverbund profitiert von der Richtigkeit und Vollständigkeit der disparaten personenstandlichen Merkmale nur teilweise und mittelbar. Ebenso sind Religionsgemeinschaften oder die Religionsausübung vom Schutz nicht umfasst, nachdem religiöse Akte oder Merkmale – etwa Taufe, kirchliche oder nach islamischem Ritus vollzogene Trauungen – nicht oder nicht mehr (vgl. Rdn. 48) unter den Personenstand fallen. Wiedner
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b) Auslandsberührung. Fälle mit Auslandsbezug sind von der Vorschrift nur beschränkt er- 16 fasst.25 Hinsichtlich des Unterschiebens eines Kindes bestehen keine Besonderheiten; es gelten die §§ 3 ff. Wird etwa im Ausland einer Deutschen vorsätzlich die Mutterschaft über ein nicht von ihr abstammendes Kind suggeriert, findet § 7 Abs. 1 Anwendung. Das Erfordernis, dass auch Fälle nach § 169 Abs. 1 Alt. 1 die Eignung zu einer unrichtigen behördlichen Feststellung besitzen müssen (vgl. Rdn. 36), führt wegen des nur abstrakten Gefährdungserfolges nicht dazu, dass als Anknüpfung nach der Möglichkeit einer deutschen behördlichen Feststellung gesucht werden müsste; andererseits besteht nicht allein aufgrund einer solchen Eignung ein inländischer Erfolgsort mit der Folge, dass bereits hierdurch eine Inlandstat anzunehmen wäre und auf die weiterreichenden Voraussetzungen von § 7 Abs. 1 verzichtet werden könnte (vgl. Ambos MK § 9 Rdn. 19, 27). In den Varianten von § 169 Abs. 1 Alt. 2 und 3 führen das Tatbestandsmerkmal „gegenüber 17 einer zur Führung von Personenstandsregister oder zur Feststellung des Personenstandes zuständigen Behörde“ und die damit verbundene Zielrichtung demgegenüber zu der einschränkenden Auslegung, dass damit Bezug auf das deutsche Personenstandsrecht genommen wird, mithin nur deutsche Behörden und das deutsche Gemeinwesen vor Verfälschungen des Personenstandes bewahrt werden sollen. Auch wenn ein funktionierendes Staatswesen die Erfassung derartiger Merkmale voraussetzt und daher regelmäßig in den Rechtsordnungen auch ausländischer Staaten vorgesehen sein wird, handelt es sich um kein fundamentales Rechtsgut, wie auch Art und Gegenstand der Erfassung und die Ahndung hierauf bezogenen Fehlverhaltens in unterschiedlichen Ländern deutlich voneinander abweichen wird. Ein Bedürfnis, Personenstandsregister oder vergleichbare Institutionen im Ausland vor Handlungen der in § 169 Abs. 1 Alt. 2 und 3 bezeichneten Art zu schützen, besteht damit nicht. Für Fälle mit Auslandsbezug bedeutet dies, dass bereits tatbestandlich ein Erfolgsort im Sinne von § 9 Abs. 1 im Inland besteht, weil die Falschangabe bei einer deutschen Behörde im Sinne der Vorschrift zugegangen sein muss oder die zutreffende Angabe im Falle des Unterlassens hätte erfolgen müssen. Derartige Erklärungen, die von Tätern gleich welcher Staatsangehörigkeit im Ausland abgegeben werden oder hätten abgegeben werden müssen, sind daher nach deutschem Strafrecht verfolgbar. Dagegen sind Äußerungen gegenüber ausländischen Behörden bereits tatbestandslos, selbst wenn sie zu Lasten eines Deutschen erfolgen und zu dessen unzutreffender personenstandlicher Erfassung in einem anderen Staat führen. Soweit eine deutsche Auslandsvertretung zur Entgegennahme personenstandlicher Erklärungen befugt ist, fungiert sie nur als Bote gegenüber dem zuständigen Standesamt (vgl. § 36 PStG, §§ 2, 8 f KonsularG), so dass tatbestandlicher Erfolgsort auch in diesen Fällen das Inland bleibt. Für Fälle, in denen gegenüber einer deutschen Behörde eine falsche Angabe über den Per- 18 sonenstand eines Ausländers gemacht wird, besteht zwar ein Tatort im Inland. Zu prüfen ist aber, ob eine Zuständigkeit zur Aufnahme in das deutsche Personenstandsregister besteht, wie grundsätzlich nur bei Deutschen und diesen gleichgestellten Personen (vgl. §§ 34 ff PStG) oder bei Eingehung eines personenstandsrechtlich erheblichen Verhältnisses – etwa Ehe oder Adoption – mit einem Deutschen. Etwa besteht keine Zuständigkeit und damit auch keine Strafbarkeit bei Behauptung des Todes eines im Ausland lebenden Ausländers; dies gilt auch dann, wenn der Tod im Aufgebotsverfahren der Vorbereitung einer Eheschließung in Deutschland dient (OLG Hamm, Urt. v. 26.1.1988 – 5 Ss 778/87 = NStE Nr. 1 zur Behauptung des Versterbens der noch lebenden Ehefrau vor der Neuverheiratung). Hiervon zu unterscheiden sind Fälle, in denen das personenstandsrechtliche Merkmal durch einen Auslandsbezug gekennzeichnet ist, sich gegebenenfalls nach ausländischem Recht oder durch Anerkenntnis einer ausländischen gerichtlichen Entscheidung beurteilt (s. etwa BGHZ 203 350 zur Anerkennungsfähigkeit eines amerikanischen Urteils über die Elternschaft bei einer Leihmutterschaft). Es handelt sich 25 Hiervon zu unterscheiden sind Fälle, in welchen ein personenstandsrechtlich bedeutsamer Vorgang Auslandsbezug aufweist, vgl. §§ 34 ff PStG. Für die Strafbarkeit bedeutsam ist die rechtliche Einordnung angesichts der Akzessorietät von § 169 hier allein dahin, ob ein nach deutschem Personenstandsrecht wirksamer Vorgang vorliegt. 437
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hierbei um eine der strafrechtlichen Beurteilung vorgelagerte, allein zivilrechtlich zu beurteilende Frage.
4. Deliktsnatur 19 § 169 kann durch aktives Tun wie auch durch Unterlassen begangen werden. Insbesondere in der Tatvariante des Unterdrückens bilden Taten durch Unterlassen, die durch Verstoß gegen die nach dem Personenstandsgesetz auferlegten Anzeigepflichten begangen werden, den Regelfall. Soweit sie durch einen derartigen Pflichtverstoß begangen werden, spricht viel dafür, den durch das Personenstandsgesetz umgrenzten Adressatenkreis als Garanten sowohl hinsichtlich der Information der Allgemeinheit als auch hinsichtlich des Schutzes des von der unterbliebenen Personenstandsangabe individuell Betroffenen zu begreifen und in der Tathandlung des Unterdrückens ein schon im Tatbestand angelegtes Unterbleiben einer personenstandsrelevanten Mitteilung entgegen einer gesetzlichen Pflicht zu erblicken; konsequenterweise ist § 169 dann aber – entgegen der herrschenden Auffassung26 – als echtes Unterlassungsdelikt in Form eines Pflichtverletzungsdeliktes zu qualifizieren mit der Folge, dass § 13 unanwendbar bleibt (Schall SK Rdn. 26; Dippel LK12 Rdn. 23; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 16, S. 166). 20 Die Personenstandsfälschung bildet ein Erfolgsdelikt. Für die erste Tatvariante muss ein Zustand herbeigeführt sein, in der ein Kind fälschlich als das anderer als der tatsächlichen Eltern erscheint (vgl. Fischer Rdn. 5), in der zweiten Variante müssen die falschen Angaben entäußert und in den Wahrnehmungsbereich der Behörde gelangt sein (Lackner/Kühl/Heger Rdn. 5), und die Variante der Personenstandsunterdrückung erfordert zumindest einen Gefährdungserfolg in dem Sinne, als die Unterdrückung einen die Feststellbarkeit des Personenstandes beeinträchtigenden Zustand herbeigeführt haben muss (Schall SK Rdn. 41). 21 Hinsichtlich der Deliktsnatur besteht auch hinsichtlich der zweiten und dritten Tatvariante ferner Einigkeit darüber, dass es sich um ein Zustandsdelikt handelt, mithin um ein solches, dessen Tathandlungen (einmalig) einen widerrechtlichen Zustand herbeiführen, und das hiermit beendet ist.27 Abzugrenzen ist diese Einordnung von der des Dauerdeliktes, bei welchem der Täter gleichfalls einen rechtswidrigen Zustand herbeiführt, diesen aber durch weitere tatbestandliche Handlungen willentlich aufrechterhält oder seine deliktischen Bemühungen ununterbrochen fortsetzt, worauf sich der einheitliche Tatvorwurf erstreckt (BGHSt 36 255, 257; 42 215, 216; Fischer Vor § 52 Rdn. 58). Eine solche Deliktsart stellt § 169 nicht dar; der Tatbestand misst der Aufrechterhaltung des durch die Tat geschaffenen Zustandes keine selbständige Bedeutung bei, sondern lässt die erstmalige Beeinträchtigung der Feststellbarkeit des Personenstandes als zur Tatvollendung führenden Erfolg genügen.28 In der – durchgehend älteren – Rechtsprechung ist die Frage erörtert worden allerdings nur hinsichtlich solcher Fälle, in denen einer Falschanmeldung und Falscheintragung eines nichtehelichen Kindes als ehelich spätere gleichgerichtete Behauptungen gegenüber Dritten nachfolgten (RGSt 34 24), umgekehrt der Mutter eine Täuschung des Ehemannes über die Ehelichkeit des Kindes gelang und dieses da-
26 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 8; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; Matt/Renzikowski/Kuhli Rdn. 14; Ritscher MK Rdn. 13; Frommel NK Rdn. 6; SSW/Wittig Rdn. 10; Schramm S. 318.
27 RGSt 34 24, 25; 36 137, 138; 39 252, 255; OLG Nürnberg MDR 1951 119; Schall SK Rdn. 41; Baumann StAZ 11 (1958) 226; Frommel NK Rdn. 3; Kohlrausch/Lange Anm. VI; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7; Matt/Renzikowski/Kuhli Rdn. 1; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 23; Pfeiffer/Maul/Schulte Anm. 2; Rissing-van Saan LK12 Vor § 52 Rdn. 35; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben/Bosch Vorbem §§ 52 ff Rdn. 82; Welzel Strafrecht § 63 I 5; and. Stracke S. 38. 28 Prägnant aus der Rechtsprechung des Reichsgerichts: Das Delikt setzt „die Herbeiführung eines dem bestehenden Recht widerstreitenden Zustandes voraus; aber es kommt nicht darauf an, dass dieser Erfolg ein dauernder sei“ (RGSt 36 137). „Der Zustand, welcher durch Unterdrückung geschaffen wird, ist in den Fällen des Strafgesetzbuchs seinem Wesen nach durch aus notwendig ein endgültiger. Was hier unterdrückt wird, ist nicht ohne weiteres auch erdrückt.“ (RGSt 39 252, 255). Wiedner
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nach als ehelich in das Geburtsregister eingetragen wurde (RGSt 36 137), oder falsche Personenstandsangeben gegenüber einer Mehrzahl von Behörden und Gerichten erfolgten (RGSt 39 252). Häufig – und auch den vorgenannten Fallgestaltungen zumindest nach gegenwärtigem Recht immanent – wird den Täter personenstandsrechtlich aber eine fortdauernde Offenbarungspflicht treffen, unter deren Verletzung er den von ihm in deliktisch geschaffenen rechtswidrigen Zustand weiter – durch Unterlassen – aufrechterhält. Auch hier wird man aber annehmen müssen, dass eine Vollendung des Deliktes bereits durch die erstmalige Herbeiführung des die zutreffende Personenstandsfeststellung gefährdenden Zustandes eingetreten ist, und die Tat kein – für die Frage von Vollendung und Verjährung bedeutsames – Gepräge eines Dauerdeliktes erhält. Für eine Verwirklichung durch Unterlassen sind dementsprechend maßgeblich der Ablauf des für eine behördliche Anzeige vorgeschriebenen oder in ihrer Ermangelung eines zumutbaren Zeitraumes;29 dem fortgesetzten Unterbleiben einer Anzeige kommt danach keine eigenständige Bedeutung mehr zu. Ungeachtet dessen kann die Tat trotz bereits eingetretener Fälschungswirkung eigenständig wiederholt werden, sofern andere Adressaten und Personenstandsmerkmale betroffen sind.30 Ähnlich den sonstigen Bestimmungen des Zwölften Abschnittes – etwa § 170 bezüglich der 22 familienrechtlichen Unterhaltspflicht, § 171 bezüglich anderweitiger familienrechtlicher Handlungspflichten – nimmt § 169 jedenfalls in der zweiten und dritten Tatvariante Bezug auf außerstrafrechtliche Rechtsgebiete, namentlich das Personenstandsrecht.31 Von einer Blankettvorschrift zu sprechen, führt gleichwohl zu weit, da tatbestandliche Erheblichkeit nur einzelnen Personenstandsmerkmalen, Pflichten und Zuständigkeiten zukommt. Insoweit besteht allerdings Akzessorietät zu den außerstrafrechtlichen Vorschriften.
5. Flankierende Vorschriften Neben Vorschriften des allgemeinen Strafrechtes – etwa der §§ 267, 271 – die im Einzelfall mit 23 einer Tat nach § 169 konkurrieren können (vgl. Rdn. 108), ergänzen Vorschriften des Ordnungswidrigkeitenrecht die Vorschrift. § 111 OWiG belegt Falschangaben zu eigenen Personenstandsmerkmalen und darüber hinausreichenden Umständen mit Bußgeld. § 70 Abs. 1 PStG betrifft die Vornahme, Mitwirkung oder Veranlassung einer mit der Eheschließung vergleichbaren religiösen Handlung durch Minderjährige. Die früher generell die Konkurrenz zwischen staatlicher Eheschließung und religiöser Trauung betreffenden Ordnungswidrigkeiten der §§ 67, 67a PStG a. F., wonach die Vornahme einer kirchlichen Trauung oder anderweitigen religiösen Feierlichkeit zur Eheschließung vor der standesamtlichen Trauung geahndet wurde, sind durch das Personenstandsrechtsreformgesetz mit Wirkung vom 1. Januar 2009 entfallen.32 Nach § 70 Abs. 2 PStG handelt ordnungswidrig, wer Anzeigen entgegen der gesetzlich vorgeschriebenen Weise nicht, unrichtig, unvollständig oder nicht rechtzeitig vornimmt, so der Elternteil und der 29 Schall SK Rdn. 40; Fischer Rdn. 7a; Dippel LK12 Rdn. 33; Ritscher MK Rdn. 33; Matt/Renzikowski/Kuhli Rdn. 14. 30 Vgl. Rdn. 106. S. auch RGSt 34 36; 36 137; 40 402; OLG Nürnberg MDR 1951 119; OLG Oldenburg NdsRpfl. 5 (1951) 37; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 23; Ritscher MK Rdn. 33; vgl. auch RGSt 39 252, 255 (neuerliche Unterdrückung durch einen anderen Täter). Bezugnehmend auf die Rechtsfigur des Fortsetzungszusammenhangs hatte RGSt 36 137, 138 dagegen noch entschieden, dass „fortdauernde Handlungen und Unterlassungen in Frage kommen, auf die – wegen der Einheit des Willensentschlusses und der Identität des verletzten Rechtsgutes – die Grundsätze des sog. Fortgesetzten Vergehens anzuwenden sind.“. 31 Zu dessen Geschichte Stier-Somlo/Elster/Boschan S. 441 und Stuber S. 13 f. Zu seiner Entwicklung in der DDR Bornhofen StAZ 49 (1996) 162; vgl. dazu auch die Überleitungsregelung EV Anlage 1 Kapitel III Sachgebiet B Abschnitt III Nr. 2. Zur Neufassung des PStG durch Art. 1 des Personenstandsrechtsreformgesetzes vgl. Gaaz FamRZ 2007 1057. 32 Zur geschichtlichen Entwicklung eingehend Dippel LK12 Rdn. 5; s. BTDrucks. 16/1831 S. 33 einerseits, S. 66 andererseits mit der Stellungnahme des Bundesrates und dem dortigen Vorschlag teilweiser Beibehaltung in einem nicht Gesetz gewordenen § 70 Abs. 1a PStG. 439
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Träger bestimmter Einrichtungen bei der Geburt oder Totgeburt eines Kindes (§ 70 Abs. 2 Nr. 1 und 2 PStG mit § 18 Abs. 1 S. 1 und 2, S. 2, § 19 S. 1 Nr. 1 und § 20 S. 1 PStG), der Finder eines neugeborenen Kindes (§ 70 Abs. 2 Nr. 3 PStG mit § 24 Abs. 1 S. 1 PStG), eine Person, die mit einem Verstorbenen in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt hat oder in deren Wohnung ein Mensch gestorben ist (§ 70 Abs. 2 Nr. 4 mit § 28 Nr. 1, § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 PStG) und der Träger bestimmter Einrichtungen, bei dem Tod eines Menschen (§ 70 Abs. 2 Nr. 5 mit § 20 S. 1, § 28 Nr. 2 und § 30 Abs. 1 PStG). Die Vorschriften kommen bei Nichteingreifen (§ 21 OWiG) einer Strafbewehrung nach § 169 insbesondere bei Fahrlässigkeit zum Zuge oder dann, wenn ein „Unterdrücken“ im Sinne von § 169 (noch) nicht angenommen werden kann (vgl. Rdn. 75 ff).
II. Objektiver Tatbestand 24 Der äußere Tatbestand des Abs. 1 umfasst drei Tatvarianten: Die Unterschiebung eines Kindes, die Falschangabe und die Unterdrückung von personenstandserheblichen Angaben gegenüber bestimmten Behörden. Die beiden letztgenannten unterscheiden sich allein in der Begehungsform, teilen sich aber den Tatgegenstand und den – durch die unterschiedlichen Tathandlungen gleichermaßen irregeführten – Adressaten.
1. Unterschieben eines Kindes (Alt. 1) 25 a) Allgemeines. Die erste Tatvariante bildet einen Sonderfall der nachfolgenden umfassenderen Handlungsalternativen falscher Angaben und Unterdrückung des Personenstandes. Die herausgehobene Stellung erklärt sich nicht allein historisch (vgl. Rdn. 3 ff). Kinder – insbesondere bei der gebotenen einschränkenden Auslegung (vgl. Rdn 26) Säuglinge und Kleinkinder – sind als Tatopfer einer Personenstandsfälschung besonders gefährdet, da sie noch kein hinreichendes Verständnis ihrer Abstammung besitzen und sich gegen eine Tat kaum selbst zur Wehr setzen können;33 zugleich stellt sich die Tat im Hinblick auf ihre weitreichenden Folgen für die Betroffenen als besonders schwerwiegend dar, wie auch bei Bestimmung der Rechtsfolge berücksichtigt werden kann. Tatbestandlich weicht die Tatvariante von den nachfolgenden insoweit ab, als kein unmittelbarer Bezug zu einer behördlichen Personenstandsfeststellung bestehen muss; sie reicht insofern weiter.
26 b) Kind wäre nach der Legaldefinition in § 176 Abs. 1 jede Person unter 14 Jahren. Zu Recht wird der Begriff in § 169 demgegenüber funktional verstanden. „Kind“ kennzeichnet darin zunächst nur den unmittelbaren Nachkommen im Sinne der Verwandtschaftsbeziehung. Hinsichtlich des Alters wird allgemein gefordert, dass das Kind, um taugliches Tatopfer zu sein, noch keine oder keine richtigen Vorstellungen über seinen Personenstand haben darf.34 Da die erste Tatvariante nur die Abkommenschaft betrifft, müsste die Vorstellung allerdings hierauf bezogen werden. Eine Subsumtion fällt schwer, weil bereits Klein(st)kinder eine deutliche natürliche Vorstellung von den Personen ihrer Eltern besitzen. Mit Blick auf die Eignung als Tatobjekt einer unrichtigen oder nach h. M. einer Gefährdung richtiger Personenstandsfeststellung (vgl. Rdn. 36) ist daher zu präzisieren, dass das Kind noch kein Alter erreicht haben darf, in dem es der Unterschiebung gewahr werden und sich gegen sie mit Erfolgsaussicht zur Wehr setzen könnte. Bei Säuglingen und Kleinkindern besteht eine solche Möglichkeit sicher noch nicht, bei Kindern darüber hinausgehenden Alters kommt es auf die individuellen Einsichts- und 33 Vgl. Schall SK Rdn. 9; Blei BT § 37 II 2; Dippel LK12 Rdn. 13. 34 Schall Rdn. 13; SSW/Wittig Rdn. 4; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Matt/ Renzikowski/Kuhli Rdn. 2 Dippel LK12 Rdn. 16; Baumann StAZ 11 (1958) 225. Wiedner
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II. Objektiver Tatbestand
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Handlungsmöglichkeiten an, ohne dass auf feste Altersgrenzen (etwa die Vollendung des siebten Lebensjahres, vgl. §§ 104, 106, 828 BGB) zurückgegriffen werden könnte.35 Entscheidend ist, ob im Hinblick auf die altersbedingt begrenzten Fähigkeiten des Kindes das Unterschieben ermöglicht oder doch wenigstens maßgeblich erleichtert wird. Eine absolute Altersgrenze liegt mit Blick auf § 176 Abs. 1 bei 14 Jahren, wird praktisch aber kaum zum Tragen kommen. Das Unterschieben eines Jugendlichen oder Volljährigen als Kind einer unzutreffenden 27 Mutter36 wird damit von der Tatvariante nicht erfasst; soweit entsprechende, ohnehin seltene Fallgestaltungen mit einer beabsichtigten Personenstandsänderung einhergehen, unterfallen sie aber den Tatvarianten falscher Angaben oder der Unterdrückung des wahren Personenstandes.37 Die Eingrenzung auf ein (bereits geborenes) Kind als Objekt der Tat und Tatopfer legt zudem nahe, dass Handlungen im Gefolge reproduktionsmedizinischer Maßnahmen, insbesondere die gezielte Vertauschung von Embryonen, Eizellen oder Blastocysten nicht tatbestandlich wären. Da bei einer derartigen Vertauschung wegen § 1591 BGB aber keine „falsche“ Mutterschaft entstünde, die gebärende Mutter eines genetisch von ihr nicht abstammenden Kindes vielmehr stets auch die Mutter im Rechtssinne ist, scheiden vorgeburtliche Tathandlungen jedenfalls aus diesem Grunde aus (vgl. Schall SK Rdn. 19 a. E.; Schramm Ehe und Familie im Strafrecht, S. 317 f).
c) Unterschieben bedeutet, dass der Anschein erweckt wird, ein Kind stamme von anderen 28 Eltern oder einem anderen Elternteil ab, als es nach der Rechtslage tatsächlich der Fall ist.38
aa) Der Mutter. In Bezug auf die Mutterschaft ist ein Kind untergeschoben, wenn es als jenes 29 einer anderen Frau erscheint als der leiblichen Mutter i. S. v. § 1591 BGB ab, die es geboren hat. Typischerweise ist hierbei – jedenfalls auch – die vermeintliche Mutter Tatopfer, indem sie das Kind durch die Täuschung eines Dritten fälschlicherweise für ihr eigenes hält. Den „klassischen“ Normalfall bildet die in zeitlichem Zusammenhang mit der Geburt vollzogene vorsätzliche Fehlzuordnung eines Säuglings, wenn etwa auf einer Entbindungsstation ein Kind als das einer anderen Mutter ausgegeben wird, die tatsächlich eine Fehlgeburt erlitten hatte (Beispiel nach BTDrucks. VI/3521 S. 10). Als Unterfall erfasst ist auch das – früher im Tatbestand gesondert aufgeführte, durch das 4. StrRG gestrichene (vgl. Rdn. 4 ff) – vorsätzliche Vertauschen von Kindern unterschiedlicher Mütter.39 Dagegen liegt in dem Vertauschen von Zwillingen untereinander durch Täuschung über ihre Identität und ihre Geburtsreihenfolge kein „Unterschieben“, da nicht der Schein einer falschen Mutterschaft entsteht; die Abstammung von der leiblichen Mutter steht auch nach einer derartigen Tat nicht in Frage.40 Eine zutreffende Mutterschaft liegt im Hinblick auf § 1591 BGB auch bei vorgeburtlichen Tathandlungen, insbesondere dem Vertauschen von Eizellen oder Embryonen vor (vgl. bereits Rdn. 27); ein Unterschieben ist hier allein hinsichtlich der Vaterschaft denkbar (s. Rdn. 31).
35 So i. E. auch Schall SK Rdn. 13; SSW/Wittig Rdn. 4; Baumann StAZ 11 (1958) 225, 226. 36 Häufig zitiertes Beispiel (vgl. Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4; Schall SK Rdn. 13; Dippel LK12 Rdn. 16): Jemand, der im frühesten Kindesalter von der Mutter getrennt wurde, wird später einer anderen Frau als angeblicher Mutter durch Täuschung als deren Kind „untergeschoben“. 37 Blei BT § 37 II 2; Schall SK Rdn. 13. 38 RGSt 36 137: „Herbeiführung eines dem bestehenden Recht widerstreitenden Zustand“; Fischer Rdn. 5. Die h. M. nimmt einengend den Schein einer unzutreffenden Mutterschaft an, vgl. Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4; Ritscher MK Rdn. 5; Schall SK Rdn. 10; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Matt/Renzikowski/Kuhli Rdn. 3; Frommel NK Rdn. 4; Kindhäuser BT I § 4 A 4.1; Schmidhäuser BT 13/3. 39 S. auch insoweit BTDrucks. VI/3521 S. 10; Schall SK Rdn. 11; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4; Lackner/ Kühl/Heger/Heger Rdn. 2; Dippel LK12 Rdn. 14: Sturm JZ 1974, 2. 40 Zutreffend Schall SK Rdn. 11; anders die h. M., vgl. Fischer Rdn. 5; SSW/Wittig Rdn. 5; Matt/Renzikowski/Kuhli Rdn. 4; Dippel LK12 Rdn. 17. 441
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Personenstandsfälschung
Als Täterin kommt auch die leibliche Mutter in Betracht, die ihr Kind einer anderen, undolosen Frau unterschiebt. Ob Täterin auch die vermeintliche Mutter selbst sein kann, indem sie sich ihr Kind selbst unterschiebt, und ob die Tat auch dann verwirklicht ist, wenn zwar ein Dritter handelt, die vermeintliche Mutter aber Kenntnis von ihrer fehlenden Mutterschaft hat, hängt davon ab, ob der Vorschrift ein Täuschungselement dahin zu entnehmen ist, dass diejenige, der das Kind untergeschoben wurde, es unzutreffend für ihr eigenes halten muss oder solches zumindest nach Abs. 2 bezweckt wird. Dies ist zutreffenderweise zu verneinen (vgl. näher Rdn. 35).41 Damit können auch Fälle tatbestandlich sein, bei welchen die vermeintliche Mutter selbst handelt oder mit der Fehlzuordnung des Kindes einverstanden ist. Denkbar sind insoweit Konstellationen, in denen ein fremdes Kind von einer Frau entführt und als ihr eigenes ausgegeben wird, in denen die wahre Mutter mit der scheinbaren zum vermeintlichen Wohle des Kindes zusammenwirkt,42 die genetische Mutter als Täterin – etwa im Falle von Leihmutterschaft – sich „ihres“ Kindes bemächtigt oder Adoptionsvorschriften umgangen werden sollen. Die Abgabe eines Säuglings in einer „Babyklappe“ fällt nicht unter die erste Tatvariante, da hiermit nicht der Anschein der Mutterschaft einer anderen Person gesetzt wird.43
31 bb) Dem Vater. Der Wortlaut lässt es ohne weiteres als möglich erscheinen, dass die Vorschrift auch Fälle umfasst, in denen einem Mann ein Kind als scheinbarer Vater untergeschoben wird.44 Historisch (vgl. Rdn. 3 ff) und nach den Motiven des Gesetzgebers (BTDrucks. VI/1552 S. 11; VI/3521 S. 10) soll sich die Tathandlung allein auf eine falsche Mutterschaft beziehen. Ein Sachgrund hierfür liegt allein in der weitgehenden rechtlichen Überwölbung der Vaterschaft: Soweit die Zivilrechtsordnung hierbei Fiktionen heranzieht, kommt es auf die fehlende biologische Vaterschaft für die Zuordnung eines Mannes als rechtlichem Vater nicht an. So ist das ehelich geborene Kind nach § 1592 Nr. 1 BGB ein solches des Ehemannes unab32 hängig davon, ob es sich genetisch um den Vater handelt, und ob der Ehemann von der fehlenden biologischen Abstammung weiß oder eine solche ihm vorgespiegelt wird; eine Täuschung vermag ihn allein davon abzuhalten, die Vaterschaft durch Anfechtung zu beenden. Die Herbeiführung und bewusste Aufrechterhaltung eines derartigen Irrtums, insbesondere das Verschweigen einer außerehelichen Zeugung, bilden bereits in Ermangelung einer – zumal strafbewehrten – Offenbarungspflicht kein Unterschieben; im Übrigen führt ein derartiges Verhalten nur zur Beibehaltung einer bereits bestehenden, rechtlich zutreffenden Vaterschaft.45 Anders liegt es bei Handlungen im Rahmen gerichtlicher Vaterschaftsfeststellungen nach §§ 1599, 1600d BGB. Zwar führen auch diese konstitutiv zur Herstellung rechtlicher Vaterschaft (§ 1592 Nr. 3 BGB); bereits nach den Motiven des Gesetzgebers (ausführlich BTDrucks. VI/3521 S. 11 f) kommt hier allerdings dem Interesse an der tatsächlichen Feststellung der biologischen Vaterschaft, auf die sich das gerichtliche Verfahren richtet, der Vorrang zu (Schall SK Rdn. 20 f). Handlungen, die darauf gerichtet sind, zur Vaterschaftsfeststellung des nicht-biologischen Vaters zu führen, sind deshalb bereits als Unterschieben im Sinne der ersten Tatvariante zu werten, und nicht –
41 Str., wie hier: RGSt 36 137; Ritscher MK Rdn. 5; SSW/Wittig Rdn. 5; aA Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Frommel NK Rdn. 4; wohl auch Fischer Rdn. 5, der die Tathandlung des „Unterschiebens“ dahin definiert, dass damit eine Täuschung mit dem Ziel einer Fehlannahme der Elternschaft verbunden sein muss. Differenzierend Schall SK Rdn. 10, der ein Täuschungselement fordert, aber nicht zwingend die vermeintliche Mutter als Getäuschte annimmt. 42 S. etwa den Sachverhalt in RGSt 36 137: Die scheinbare Mutter hatte das uneheliche Kind einer anderen in deren Einverständnis als ihr eigenes, eheliches unter Täuschung ihres Ehemannes ausgegeben. 43 SSW/Wittig Rdn. 5; Matt/Renzikowski/Kuhli Rdn. 4; Neuheuser NStZ 2001, 175, 177. Eingehend hierzu Rdn. 90. 44 Vgl. Fischer Rdn. 5: Täuschung dahin, dass „eine andere Person“ das Kind für ihr eigenes hält; s. auch Schramm RW 2014 88, 101. 45 Der Ehemann wurde Vater des in der Ehe geborenen Kindes kraft Gesetzes; ihm ist insoweit das Kind nicht untergeschoben. Wiedner
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II. Objektiver Tatbestand
StGB § 169
wie nach herrschender Auffassung46 – als falsche Angaben im Sinne der zweiten Variante. Als Tathandlungen kommen in Betracht Manipulationen oder falsche Angaben eines Arztes zur Herkunft der Samen bei künstlicher Befruchtung oder Samenspende (s. aber § 1600d Abs. 4 BGB), oder eine konkrete Fehlaussage der Mutter, in der Empfängniszeit nur mit dem Scheinvater geschlechtlich verkehrt zu haben.47 Nicht als „Unterschieben“ zu bewerten ist dagegen die vorsätzliche Irreführung eines Mannes vor dessen Vaterschaftsanerkenntnis dahin, er sei der biologische Vater. Zwar ist die Situation hier insoweit ähnlich, als unlautere Einflussnahmen zu einem die Vaterschaft begründenden Statusakt führen. Im Unterschied zur fehlerhaften gerichtlichen Feststellung wären Tathandlungen hier aber allein für die Motivlage des Erklärenden, aber nicht für die Vaterschaftsbegründung als solche bedeutsam. Denn das Anerkenntnisverfahren (§§ 1594 ff BGB) ist nicht auf die Feststellung der biologischen Vaterschaft gerichtet, sondern bewirkt unabhängig hiervon formalisiert aufgrund einseitiger Erklärung die Begründung rechtlicher Vaterschaft nach § 1592 Nr. 2 BGB (so i. E. auch OLG Hamm NJW 2008 1240). Strafrechtlich gilt insoweit der Vorrang der zivilrechtlichen Zuordnung, welche eine auch von Motivirrtümern und Willensmängeln beeinflusste Erklärung zur Vaterschaft genügen lässt, und dem biologischen Scheinvater unter Ausschluss anderer Nichtigkeits- und Unwirksamkeitsgründe (§ 1598 BGB) allein ein Anfechtungsrecht nach § 1600 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 BGB zugesteht. Dementsprechend schützt auch § 169 nicht vor Einflussnahmen auf den Willensakt und vor Willensmängeln des Anerkennenden.48 Dies schließt eine Anwendung von Tatvarianten 2 oder 3 bei Einflussnahmen auf die Personenstandsbehörde zur Eintragung eines nicht wirksamen Vaterschaftsankenntnis nicht aus (s. etwa § 1597a BGB; vgl. Rdn. 64). Nach diesem Maßstab lassen sich auch tatsächliche Handlungen bewerten, die einen 33 Mann fälschlich als biologischen oder rechtlichen Vater eines Kindes erscheinen lassen: Vorgeburtliche Manipulationen, etwa ein vorsätzliches Vertauschen im Rahmen reproduktionstechnischer Maßnahmen führen i. d. R. nicht zu einem Anschein falscher Vaterschaft. Ist das Kind in der Ehe geboren, gilt § 1592 Nr. 1 BGB; die Vaterschaftsanerkennung in fälschlicher Annahme – sei diese auch bezweckt – biologischer Vaterschaft ist tatbestandslos, so dass sich nur im gerichtlichen Statusverfahren ein „Unterschieben“ durch entsprechende Erklärungen oder von Vornherein beabsichtigte Auswirkungen auf das Verfahren vorstellen lassen. Ist ein Kind dagegen nur scheinbar von der Ehefrau des Mannes geboren, oder kommt es, nachdem die rechtliche Vaterschaft feststeht, zu einer Vertauschung, ist das Kind beiden Elternteilen untergeschoben (s. bereits Rdn. 29).
d) Drittbezug. Ob und inwieweit die Tat einen Drittbezug voraussetzt, ist nicht abschließend 34 geklärt.
aa) Zielgerichtete Täuschung, Anschein. Dem Begriff des „Unterschiebens“ wird teilweise 35 eine Bedeutung dahin beigelegt, dass damit die zielgerichtete Täuschung eines Dritten ein46 Schall SK Rdn. 20 f; Ritscher MK Rdn. 10; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 7; SSW/Wittig Rdn. 8; Dippel LK12 Rdn. 21. 47 Fischer Rdn 6a; Schall SK Rdn. 21; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; Matt/Renzikowski/Kuhli Rdn. 8; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 18. 48 Die Gesetzesbegründung verhält sich hierzu nicht eindeutig. Dort heißt es zwar einerseits (BTDrucks. VI/3521 S. 11): „Die erwähnte Entscheidung des Gesetzgebers des Bürgerlichen Rechts ist vom Strafgesetzgeber als vorrangig zu respektieren. Das bedeutet, daß alle im Hinblick auf eine solche Anerkennung abgegebenen Erklärungen von der Strafbarkeit nach § 169 ausgenommen bleiben müssen.“ Gemeint ist hiermit aber vornehmlich, dass „in Kenntnis des wahren Sachverhaltes“, d. h. der biologischen Vaterschaft abgegebene Erklärungen nicht unter § 169 fallen. Die Formalisierung des Anerkenntnisverfahrens verträgt gleichermaßen aber keine Motivforschung dahin, ob der Anerkennende von zutreffenden Tatsachen ausgegangen ist: „Einer Differenzierung unter strafrechtlichen Gesichtspunkten sind derartige im Rahmen des Anerkennungsverfahrens abgegebene Erklärungen nicht zugänglich“ (ebd.). 443
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§ 169 StGB
Personenstandsfälschung
hergehen muss.49 Der Wortlaut legt ein solches Verständnis zwar nahe, erzwingt es aber nicht; es erscheint nicht unproblematisch, weil damit das Erfordernis einer individuellen Fehlvorstellung verbunden ist, ohne dass sich der relevante Personenkreis hierfür eingrenzen ließe. So ist weitgehend unstreitig, dass die Scheinmutter selbst Täterin sein kann50 oder es die Tat jedenfalls nicht hindert, wenn sie um die fehlende Mutterschaft weiß; müsste jemand durch das Unterschieben das Kind fälschlich für sein eigenes halten (so als Definition bei Fischer Rdn. 5; Schall SK Rdn. 10), käme in derartigen Fällen hierfür nur noch der vermeintliche Kindsvater in Betracht, so dass eine Strafbarkeit von einem Kontakt zu diesem und dessen Täuschung abhinge. Wäre die Täuschung eines vermeintlichen Elternteiles nicht erforderlich, käme es darauf an, ob und in welcher Intensität das Kind gegenüber dritten – welchen? – Kontaktpersonen als das eigene ausgegeben wird. Unabhängig von derartigen Abgrenzungsschwierigkeiten leuchtet ein durch Täuschung vermittelter Drittbezug auch deshalb nicht ein, weil nach dem Schutzzweck und der Neufassung der Vorschrift durch das 4. StRG ein Verhalten im sozialen Bereich straflos bleiben, es vielmehr allein auf Auswirkungen auf das behördliche Personenstandswesen ankommen soll (vgl. Rdn. 6, 14). Solche können aber auch und erst recht dann eintreten, wenn beide vermeintlichen Eltern darum wissen, dass es sich nicht um das eigene Kind handelt, die (Schein-)Elternschaft aber anstreben. Das Kriterium der zielgerichteten Täuschung bestimmter Dritter ist daher abzulehnen;51 konsequenter erscheint eine Eingrenzung des Tatbestandes dahin, dass durch die Tat nach außen verfestigt der Anschein erweckt wird, das Kind stamme von anderen als den tatsächlichen Eltern oder einem tatsächlichen Elternteil ab, und dadurch ein Bezug zu einer behördlichen Personenstandsfeststellung hergestellt wird (vgl. nachfolgend Rdn. 36). Hierdurch scheiden Taten aus, die sich allein im Binnenbereich der (Schein-)Familie bewegen, oder ein nur einmaliges oder kurzzeitiges Ausgeben des Kindes als das eigene im sozialen Umfeld.
36 bb) Kein Behördenbezug. Im Unterschied zu den nachfolgenden Tatvarianten erfordert die erste Tatvariante keinen unmittelbaren Behördenbezug; insbesondere wird eine Irreführung einer zur Feststellung des Personenstandes zuständigen Behörde durch die Tathandlung nicht vorausgesetzt. Aus dem Zusammenhang mit den anderen Tatvarianten und der Entstehungsgeschichte wird allerdings überwiegend gefolgert, dass durch das Unterschieben des Kindes die behördliche Feststellung des Personenstandes gefährdet sein muss.52 Im Tatbestand ist diese Einschränkung nicht ausdrücklich enthalten; dass sie entgegen ursprünglicher Absicht des Gesetzgebers darin nicht aufgenommen wurde,53 spricht für eine zurückhaltende Auslegung. Freilich kommt in den späteren Materialien zum 4 StrRG die Erwartung zum Ausdruck, dass schon der Begriff des „Unterschiebens“ das Erfordernis einer Gefährdung impliziert. Auch wenn dies zweifelhaft erscheint, legt die systematische Stellung der ersten Tatvariante als Sonderfall der Personenstandsfälschung, der Schutzzweck der Vorschrift und die Notwendigkeit einer Begrenzung des Tatbestandes im Ergebnis eine Anbindung an die behördliche Feststellung des Personenstandes nahe. Eine konkrete Gefährdung der behördlichen Feststellung zu fordern, stellt jedoch nicht nur vor praktische Schwierigkeiten und würde – nähme man das Erfordernis ernst und suchte im Einzelfall nach dem einem Gefährdungsdelikt eigenen Gefahrenzustand und -erfolg – einen nicht unwesentlichen Teil der Unterschiebensfälle von der Strafbarkeit ausnehmen, wenn 49 Frommel NK Rdn. 4; Schall SK Rdn. 10; s. auch Fischer Rdn. 5: „mit dem Ziel“; Dippel LK12 Rdn. 14. 50 Vgl. bereits Rdn. 30; so etwa Ritscher MK Rdn. 5; SSW/Wittig Rdn. 5; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 19; Dippel LK12 Rdn. 15. Auch Schall (SK Rdn. 10) konzediert, dass ein fälschliches Ausgeben eines Kindes als eigenes durch die Scheinmutter den Tatbestand erfüllen kann, fordert aber die notwendige Täuschung einer weiteren Person, in dem von ihm nachfolgend aufgeführten, an RGSt 36, 137 angelehnten Beispiel die des Ehemannes. 51 So auch Ritscher MK Rdn. 5; SSW/Wittig Rdn. 5. 52 S. etwa Sch/Schröder/Lenckner/Bosch Rdn. 4; Matt/Renzikoowski/Kuhli Rdn. 3. 53 Der Regierungsentwurf hatte das Erfordernis ursprünglich vorgesehen (BTDrucks. VI/1552 S. 2, 10). Wiedner
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II. Objektiver Tatbestand
StGB § 169
etwa die Tathandlung selbst noch keinerlei Behördenbezug, insbesondere keinerlei Wahrnehmung durch eine Behörde erkennen lässt und nur mit mehr oder minder großer Wahrscheinlichkeit für die Zukunft zu erwarten wäre, dass das untergeschobene Kind mit falschem Personenstand gemeldet werden wird. Auch die versuchten Definitionen des Merkmals in der Literatur sind wenig konturiert, dementsprechend schwer subsumierbar und von dem Bemühen gekennzeichnet, den Tatbestand nicht übermäßig einzuengen. Verbreitet ist die Forderung, dass das Kind in eine insbesondere räumliche Beziehung zu einer bestimmten Frau gebracht wird, nach der es auch für die zuständige Behörde als deren leibliches Kind erscheinen muss.54 Zur Eingrenzung und Rückführung auf den Schutzzweck bedarf es solcher Bemühungen nicht; ausreichend erscheint eine Eignung dahin, dass durch die Tathandlung eine unrichtige Personenstandsfeststellung bewirkt werden kann (zutreffend Schall SK Rdn. 12).55 Ausgeschieden werden damit Fälle mit bloßem kurzzeitigem Sozialbezug, etwa das nur gelegentliche Ausgeben eines fremden Kindes als das eigene im privaten oder gesellschaftlichen Umfeld. Im Übrigen wäre eine Eignung regelmäßig zu bejahen, weil insbesondere bei Täuschung eines Elternteiles, aber auch bei dessen Kenntnis von der Unterschiebung zumindest möglich erscheint, dass es in der Zukunft auch zu einer formellen Untermauerung der falschen Abstammung kommen wird.56
e) Zeitdauer, Begehung durch Unterlassen. Eine bestimmte tatsächliche Zeitdauer des 37 Scheins falscher Abstammung muss nicht bestehen oder bezweckt sein; allerdings wird es bei nur kurzeitigem Unterschieben – etwa bei alsbaldiger, von Vornherein beabsichtigter Aufklärung – regelmäßig an der notwendigen Verfestigung des Scheins und einer Eignung zur Herbeiführung einer falschen Personenstandsfeststellung fehlen.57 Eine Begehung durch Unterlassen wird teilweise unter Verweis auf Anzeigeobliegenheiten etwa nach §§ 19 f PStG bejaht;58 da ein Unterschieben sich allerdings nicht in einer unterbliebenen behördlichen Mitteilung erschöpfen kann, sondern damit immer auch der Anschein einer konkreten falschen Abstammung verbunden sein muss, sind entsprechende Fallkonstellationen nur schwer vorstellbar. Wer etwa die ihm obliegende Anzeige einer Geburt lediglich unterlässt, ordnet das Kind ohne eigene vorangehende Setzung eines entsprechenden Anscheines nicht zugleich anderen Eltern zu. Im Falle eines Unterlassens wird daher regelmäßig allein eine Tat in Form der Unterdrückung einer Personenstandsfeststellung (§ 169 Abs. 1 Alt. 3) in Betracht kommen.
2. Falschangabe oder Unterdrückung des Personenstandes (Alt. 2 und 3) Anders als in Alt. 1 bestimmt der Tatbestand in den Alt. 2 und 3 konkrete Tathandlungen und 38 Adressaten. Dabei ist Tatgegenstand der – den Sonderfall einer Verfälschung der Abstammung nach Alt. 1 umfassende, aber weit darüber hinausreichende – in der Vorschrift nur abstrakt bezeichnete „Personenstand“.
54 So oder ähnlich Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4; Matt/Renzikowski/Kuhli Rdn. 3; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Schramm Ehe und Familie im Strafrecht S. 316 f; Bohnert JuS 1977 746, 748; Sturm JZ 1974 1, 2; Dippel LK12 Rdn. 14. 55 Insoweit läge ein Eignungsdelikt als Unterform eines abstrakten Gefährdungsdeliktes vor, vgl. Sch/Schröder/ Heine/Bosch vor §§ 306 ff Rdn. 4 m.w.Nachw. 56 Anders verhielte es sich – wozu indes besondere Anhaltspunkte erforderlich wären –, wenn der Täter beabsichtigt und dafür Vorkehrungen getroffen hat, dass die Täuschung im privaten Bereich verbleibt; entsprechende Fälle sind indes schwer vorstellbar (vgl. Schall SK Rdn. 12). 57 Noch enger RG GA 50, 107, wonach ein unrichtiges familienrechtliches Verhältnis des Kindes zu anderen Personen als ein „auf die Dauer berechneter Zustand“ herbeigeführt werden muss. 58 SSW/Wittig Rdn. 5; Dippel LK12 Rdn. 14. 445
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Personenstandsfälschung
a) Personenstand eines anderen 39 aa) Personenstand. Der Begriff des „Personenstands“ wird – auch unter Hinweis auf die historische Entwicklung59 – teilweise mit dem des „Familienstandes“ gleichgesetzt.60 Beide beschreiben tatsächliche und rechtliche Merkmale einer Person als individuelle Zuschreibung wie auch als statistische Ordnungskriterien (vgl. Dippel LK12 Rdn. 6). Der Begriff des Familienstands findet sich ohne Legaldefinition bürgerlich-rechtlich allein erwähnt in § 1773 Abs. 2 BGB. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird Familienstand eng verstanden als die Tatsache, ob eine Person ledig, verheiratet, verwitwet, geschieden, verpartnert oder entpartnert ist (vgl. Duden, 28. Aufl.; Brockhaus Enzyklopädie, 21. Aufl.); hiervon geht auch die Mehrzahl der spezialgesetzlichen, überwiegend verwaltungsrechtlichen Bestimmungen aus, die auf den Familienstand verweisen (s. etwa § 15 Abs. 2 Nr. 12 WPflG § 22 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 BEEG; § 3 Abs. 1 Nr. 14, § 34 Abs. 1 Nr. 12, § 45 Abs. 1 Nr. 3 BMG, § 2 Abs. 2 lit. b) BevStatG). Auch das Personenstandsgesetz verwendet den Begriff in diesem engeren Sinne (s. § 31 Abs. 1 Nr. 3, § 60 Nr. 2, § 73 Nr. 16 PStG). Familienrechtlich reicht er weiter und erstreckt sich auf alle die Person betreffenden Merkmale des Familienrechts, mithin auf die insbesondere durch Abstammung, Eheschließung oder Partnerschaft begründeten Beziehungen zu anderen Personen. In diesem – familienrechtlichen – Sinne wurde auch der Begriff des „Personenstands“ weitgehend verstanden: In der Rechtsprechung des Reichsgerichts61 ist er definiert als „das familienrechtliche Verhältnis einer lebenden Person zu anderen lebenden Personen“ unter Betonung der Abstammung (RGSt 13 129, 130; 19 405, 406; 21 411) und der Eheschließung (RGSt 56 134) über „familienrechtlich relevante Tatsachen“ (RGSt 25 188, 189), später erweitert auch auf verstorbene Personen (RGSt 43 402, 403). § 1 Abs. 1 PStG enthält eine Legaldefinition des Personenstandes, der ebenfalls auf das Familienrecht verweist, darüber aber zugleich hinausgeht: Personenstand ist hiernach „die sich aus den Merkmalen des Familienrechts ergebende Stellung einer Person innerhalb der Rechtsordnung einschließlich ihres Namens“. § 1 Abs. 1 Satz 2 PStG ergänzt, dass der Personenstand die Daten über Geburt, Eheschließung, Begründung einer Lebenspartnerschaft und Tod sowie damit in Verbindung stehende familien- und namensrechtliche Tatsachen umfasst. Der Begriff des Personenstands reicht damit über denjenigen des Familienstands hinaus, da er über familiäre Beziehungen hinaus auch Individualmerkmale einer Person wie Name, Alter und Geschlecht erfasst; seine vom Familienstand abweichende Bezeichnung ist damit gerechtfertigt (Schall SK Rdn. 4; Ritscher MK Rdn. 6; s. auch Schramm Ehe und Familie S. 314).62 In umgangssprachlicher 59 Vgl. Schramm, Ehe und Familie, S. 314, der aber zutreffend darauf hinweist, dass die ursprüngliche begriffliche Übernahme eines über den Familienstand nicht hinausreichenden französischen Begriffs (vgl. Rdn. 1 mit Fn. 8) angesichts der zwischenzeitlichen Gesetzesänderungen für die Auslegung der Vorschrift nicht mehr leitend herangezogen werden kann. 60 Vgl. Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1; SSW/Wittig Rdn. 2: Dippel LK12 Rdn. 6; so insbesondere auch in der älteren Literatur, vgl. Baumann StAZ 11 (1958) 225 f; Binding Lehrbuch I § 61 II; Blei FamRZ 1961 140; Bottke S. 106; Stracke S. 19 f, 15; Welzel Strafrecht § 63 I 1. Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 4, 10 f (S. 165) sehen demgegenüber von § 169 allein den vom Personenstand zu trennenden Familienstand geschützt und die Gesetzesfassung als irreführend an. 61 Die geringe praktische Bedeutung der Vorschrift, eine auf gewandelten Moralvorstellungen beruhende herabgesetzte Verfolgungsintensität von – bis zum 4. StrRG strafbaren – Handlungen gegenüber außerbehördlichen Dritten und die Beschränkung des Tatbestandes durch das 4. StrRG bringen es mit sich, dass obergerichtliche Rechtsprechung aus bundesdeutscher Zeit jedenfalls in veröffentlichter Form nur sporadisch, solche des Bundesgerichtshofs überhaupt nicht ergangen ist. Zur Begriffsbestimmung des Personenstandes in der Praxis muss daher im Wesentlichen noch immer auf die Rechtsprechung des RG zurückgegriffen werden; diese bedarf angesichts der personenstandsrechtlichen Entwicklungen neuerer Zeit jedoch kritischer Überprüfung und Anpassung. 62 Dippel (LK12 Rdn. 7) ordnet demgegenüber Alter und Geschlecht beiden Ordnungsbegriffen zu, weil sie aus demselben Entstehungsgrund – der Abstammung – erwachsen. Es erscheint aber nicht unzweifelhaft, ob einem auf Wechselseitigkeit gegründetes familienrechtlichen Beziehungsverhältnis auch derartige Individualmerkmale zugeordnet werden könne. Wiedner
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II. Objektiver Tatbestand
StGB § 169
und statistischer Hinsicht wird er gelegentlich noch weiter verstanden und umfasst vielfältige Merkmale, welche die Einordnung eines Menschen in die soziale und staatliche Gemeinschaft betreffen, etwa auch Staatsangehörigkeit, Religion oder – historisch – den Stand.63 Die Unterscheidung geht über bloße Begrifflichkeiten hinaus, denn sie ist für die Bestim- 40 mung der Reichweite des Straftatbestandes bedeutsam. Nach seinem Zweck soll § 169 die Dokumentation persönlicher Beziehungen und Merkmale schützen, um familienrechtlich relevante Rechtsfolgen wie Eheverbote, Unterhaltsrechte, Unterhaltspflichten oder Erbrechte feststellen zu können, und nimmt hierzu Bezug auf das Personenstandsrecht (BTDrucks. VI/3521 S. 10). Nach hier vertretener Auffassung besteht vor diesem Hintergrund keine Veranlassung, den Begriff des Personenstandes in § 169 anders – insbesondere enger im Sinne eines Familienstandes – aufzufassen, als er spezialgesetzlich im Personenstandsrecht definiert ist und im Einzelnen behandelt wird.64 Ausgehend vom Wortlaut der Strafvorschrift ist die Verwendung eines technischen Begriffes grundsätzlich dahingehend aufzufassen, dass hiermit eine anderweitige Ausformung und Legaldefinition übernommen werden soll. Eine abweichende Begriffsbestimmung bedürfte überzeugender Gründe; dies gilt zumal deshalb, weil § 169 ausdrücklich auch auf die Führung – und damit den Inhalt – des Personenstandregisters Bezug nimmt. Auch die Gesetzesbegründung lässt keinen Zweifel daran, dass über bloß familienrechtliche Beziehungen hinausreichend auch andere spezifisch personenstandliche Merkmale umfasst sein sollen.65 Der Zweck der Vorschrift, die Richtigkeit und Vollständigkeit der im Personenstandsregister niedergelegten oder sonst festgestellten Verhältnisse angesichts der damit verbundenen Beweiswirkungen (vgl. §§ 54, 62, 65 PStG, s. Rdn. 14) zu schützen, spricht gleichfalls für eine enge Anbindung an das Personenstandsrecht im Sinne einer hierauf verweisenden Akzessorietät.66 Diese ist derart zu verstehen, dass an dem strafrechtlichen Schutz all jene Merkmale teilnehmen, die nach der Begriffsbestimmung in § 1 PStG, der im Einzelnen in §§ 11 ff PStG aufgeführten Verhältnisse und dem Inhalt der Register, wie er insbesondere von der Personenstandsverordnung67 bestimmt wird, als solche des Personenstandes anzusehen sind. Nicht umfasst sind solche Verhältnisse, welche nur angelegentlich eines personenstandlichen Eintrages erfasst und als Hinweis in das Register aufgenommen werden, und auf die sich Beweiswirkungen nicht beziehen. Abzulehnen ist dagegen ein – notwendigerweise unscharfes – Begriffsverständnis dahin, dass sich der strafrechtliche Schutz an einem Feststellungsinteresse individuell daran zu orientieren hat, ob ein bestimmtes Merkmal personenbezogene Rechtsfolgen nach sich ziehen kann,68 wenngleich dies für die von § 169, § 1 PStG erfassten personenstandsrechtlichen Merkmale sämtlich zutrifft. 63 Vgl. Schramm, Ehe und Familie S. 313; Dippel LK12 Rdn. 6, der den Familienstand ist eine „notwendig wechselseitige menschliche Beziehung“ begreift, den Personenstand dagegen als „Einordnung eines Menschen in die Gemeinschaft, etwa durch Namen, Stand und Staatsangehörigkeit“ mit ausschließlichem Bezug auf den betreffenden Menschen. 64 So aber SSW/Wittig Rdn. 2; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1; Matt/Renzikowski/Kuhli Rdn. 5; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 11 (S. 165). Demnach soll der strafrechtliche Begriff enger als der des Personenstandes i. S. d. PStG sein. 65 Vgl. BTDrucks VI/3521 S. 10, wo die Merkmale des Alters und Geschlechtes bezeichnet, sie den familienrechtlichen Beziehungen gegenübergestellt werden, und neben dem Bürgerlichen Recht und dem Verschollenheitsgesetz das Personenstandsgesetz ausdrücklich in Bezug genommen wird. 66 So jedenfalls i. E. Schall SK Rdn. 4 ff; Ritscher MK Rdn. 6. Von einer Anlehnung an das Personenstandsrecht geht offenbar auch Fischer Rdn. 3 durch Bezug auf § 1 PStG aus. Unklar insoweit Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 2 unter alleinigem Bezug auf die Rechtsprechung des RG. 67 Verordnung zur Ausführung des Personenstandsgesetzes vom 22. November 2008 (BGBl. I 2263); s. dort insbesondere übersichtshalber die als Anlage 1 zu § 11 aufgeführte tabellarische Übersicht der Datenfelder des Registers. 68 In diese Richtung Schall SK Rdn. 5, wenngleich hiermit zugleich die Kriterien für eine Aufnahme der Merkmale in das Personenstandsrecht umschrieben sind und kein Unterschied gemeint sein dürfte. Ein Feststellungsinteresse aufgrund rechtlicher Anknüpfungen würde aber etwa auch an personenbezogenen Merkmalen wie der Staatsangehörigkeit und Religion (Steuerrecht) bestehen. 447
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Zur Ausfüllung der personenstandlichen Merkmale und Bestimmung der Richtigkeit einer Angabe oder eines Eintrages kommt es zum einen auf tatsächliche (Natur-)Vorgänge wie Geburt oder Tod, andererseits – wie insbesondere bei der Frage der Abstammung – auf rechtliche Verhältnisse und Rechtsakte an, deren Grundlagen im Familienrecht niedergelegt sind, etwa auf eine Vaterschaftsfeststellung (§ 1600d BGB) oder Annahme als Kind (§§ 1741 ff BGB).69 Für letztere sind ungeachtet der über das Familienrecht hinausgehenden Reichweite von § 169, § 1 PStG die entsprechenden bürgerlich-rechtlichen Bestimmungen heranzuziehen. Maßgeblich ist hierbei nicht der tatsächliche Entstehungsgrund des Merkmals, sondern nur, wie es zivilrechtlich zu beurteilen ist, und ob ihm rechtliche Wirksamkeit zukommt (Sch/Sch/Bosch/ Schittenhelm Rdn. 2). Für die Frage, ob und inwieweit tatsächlichen Umständen wie Fortentwicklungen und Anwendungen der Reproduktionsmedizin eine personenstandsrechtliche Bedeutung zukommt, ist ebenfalls entscheidend, welche rechtliche Folgerung, insbesondere hinsichtlich der Abstammung, die Zivilrechtsordnung aus ihnen zieht.70 Die rechtlichen Regelungen hierzu sind teilweise unvollkommen, erlauben im Regelfall aber – etwa durch die eindeutige Bestimmung der Mutter nach § 1591 BGB auch bei Auseinanderfallen von gebärender Frau und genetischer Herkunft – eine Einordnung unter die Personenstandsmerkmale.71
42 bb) Einzelne Personenstandsmerkmale. Demnach zählen zum Personenstand im Sinne von § 169 die folgenden Merkmale: Geburt mit Geburtszeit72 und Geburtsort (§ 21 Abs. 1 Nr. 2 PStG), hiermit einhergehend 43 das Alter des Betroffenen, und das Geschlecht (§ 21 Abs. 1 Nr. 3 PStG),73 wobei auf Angabe des
69 Die Unterscheidung ist für die Rechtsanwendung nur insoweit von Bedeutung, als sie andere Anforderungen an die strafrechtliche Feststellung des dem Personenstandsmerkmal und seiner Eintragung zugrunde liegenden Merkmals stellt. In ihrer Kategorisierung ist sie fundamental: Naturvorgänge begründen unwandelbare, Rechtsakte veränderbare Beziehungen (Dippel LK12 Rdn. 9). Binding (Lehrbuch I § 61 II 3b, c 4) unterscheidet zwischen einem unwandelbaren absoluten Personenstand dahingehend, dass jemand einer bestimmten Familie angehört oder angehört hat, und dem durch abänderliche Art der Zugehörigkeit gekennzeichneten, dem Wandel unterworfenen relativen Personenstand. 70 Vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 10. Zu Fragen der der Reproduktionsmedizin vgl. Wohn (S. 21 ff) unter ausführlicher Darstellung der Rechtslage bei der künstlichen homologen Insemination (S. 74 ff), der künstlichen heterologen Insemination (S. 83 ff), der Eispende oder Embryonenspende (S. 97 ff), der Leihmutterschaft (S. 117 ff), der Ersatzmutterschaft (S. 124 ff), des Klonens (S. 127 ff) und der Chimärenbildung (S. 153 ff). Zu den statusrechtlichen Problemen nach medizinisch assistierter Zeugung Bernat MedR 4 (1986) 245 ff. 71 So ist etwa die Ersatzmutterschaft geregelt und im Hinblick auf eine Vermittlung und ärztliche Mitwirkung verboten durch §§ 13c, 13d AdVermG, § 1 ESchG. Hinsichtlich der Abstammung ist auch diesen Fällen allein maßgeblich § 1591 BGB, wonach die Gebärende – selbst bei völliger genetischer Verschiedenheit – als Mutter des Kindes gilt, und der nicht gebärenden Eizellenspenderin jegliches Recht am Kind versagt bleibt (vgl. Grün S. 38; Haibach/ Haibach § 1 Rdn. 1; Muscheler/Beisenherz JR 1999 411). Auch die Vaterschaft beurteilt sich in diesen Fällen ohne Besonderheiten nach den §§ 1592 ff BGB mit der Folge, dass ein Anerkenntnis der Vaterschaft bei bestehender Ehe der Mutter ausscheidet (§ 1592 Nr. 1, § 1594 Abs. 2 BGB). Der Strafrichter hat die aufgeworfenen familienrechtlichen Fragen inzident bei der Frage der Falschangabe oder Unterdrückung einer familienrechtlich bedeutsamen (richtigen) Tatsache zu prüfen. Zur heterologen Insemination vgl. § 1600 Abs. 4 BGB. 72 § 21 Abs 1 Nr. 2 PStG sieht nicht allein die Angabe des Geburtsdatums, sondern enger der Geburtsminute vor, wie insbesondere für die Bestimmung der Geburtsreihenfolge von Mehrlingen bedeutsam ist (s. auch § 23 Satz 2 PStG). Unmittelbare rechtliche Folgewirkungen sind hiermit nur selten verbunden. Insbesondere bleibt der gelegentliche pauschale Verweis auf das Erbrecht (Fischer Rdn. 5; Schall SK Rdn. 11) angesichts § 1924 Abs. 4 BGB dunkel, soll hiermit nicht das landwirtschaftliche Anerbenrecht (vgl. Art. 64 EGBGB) in Höfeordnungen der Länder oder eine gewillkürte, an das Alter („Erstgeborener“) geknüpfte Erbfolge gemeint sein. Insoweit ist die Bestimmung der Reihenfolge indes erheblich und schützenswert. 73 Schall SK Rdn. 4; Ritscher MK Rdn. 6; SSW/Wittig Rdn. 2; BTDrucks. VI/3521, S. 10; aA Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 11 (S. 165). Wiedner
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letzteren durch den Betroffenen bewusst verzichtet werden kann (§ 22 Abs. 3 PStG).74 Dabei handelt es sich bei Geburt, Geburtszeit und -ort um tatsächliche Umstände (vgl. Schall SK Rdn. 5: Naturvorgang), während das Geschlecht angesichts der Anerkennung geschlechtsumwandelnder Maßnahmen und einer verfassungsrechtlich gebotenen Öffnung für ein nicht-binäres Geschlechtsverständnis (vgl. BVerfGE 147, 1) nicht mehr (nur) als tatsächliches Merkmal verstanden werden kann, sondern rechtlich überwölbt ist. Für seine zutreffende personenstandsrechtliche Erfassung kommt es daher auf die formaljuristische Einordnung an. So muss der von § 22 Abs. 3, § 45b PStG vorgesehenen Erklärung zur Geschlechtsangabe bei Varianten der Geschlechtsentwicklung, wonach die Geschlechtsangabe entfallen oder als „divers“ eingetragen werden soll, ebenso Wirksamkeit zukommen, wie bei einer Geschlechtsumwandlung und entsprechender Umtragung (vgl. § 27 Abs. 3 Nr. 4 PStG) eine wirksame Feststellung nach dem Transsexuellengesetz vorliegen muss (vgl. § 10 TSG). Allerdings bleibt eine in diesem Sinne falsche Angabe oder Unterdrückung des eigenen Geschlechtes, etwa in dem Bestreben einer auch formellen Anerkennung der empfundenen Geschlechtszugehörigkeit, nach § 169 straflos, da ein eigenes Personenstandsmerkmal betroffen ist. Der Name einschließlich der Vornamen, des Geburtsnamens (§ 21 Abs. 1 Nr. 1, § 15 Abs. 1 44 Nr. 3 PStG) und etwaiger nachträglicher Abänderungen (§ 27 Abs. 3 Nr. 2 und 3, §§ 41 ff PStG). Angesichts seiner fundamentalen Bedeutung für Identität und Zuordnung einer Person im Rechtsleben und in tatsächlicher Hinsicht, der ausdrücklichen Benennung in § 1 PStG und der nachfolgenden Einzelregelungen handelt es sich – wie indes nicht unbestritten75 – um ein Personenstandsmerkmal. Maßgeblich für die Richtigkeit des Namens ist auch hier die sich aus den Vorschriften der §§ 1355, 1616 ff BGB, Art. 10, 47 EGBGB, § 3 LPartG ergebende Wirksamkeit der Namensbestimmung. Die Abstammung, mithin die durch Geburt oder Rechtsakt vermittelte Stellung der Eltern 45 einschließlich deren Namen sowie zur Identitätsfeststellung gereichender sonstiger personenbezogener Angaben (§ 21 Abs. 1 Nr. 4 PStG). Die Abstammung bestimmt sich vollständig nach den Bestimmungen bürgerlichen Rechtes (§§ 1591 ff BGB), ist also nur hinsichtlich der Mutter biologisch-tatsächlich vermittelt (§ 1591 BGB), während sich die Vaterschaft nach den Regeln ehelicher Vaterschaft, der Vaterschaftsanerkennung, -anfechtung und gerichtlicher Feststellung bemisst (§§ 1592 ff BGB). Maßgeblich für § 169 ist diese rechtliche Stellung, nicht die genetischbiologische Vaterschaft (s. auch § 27 Abs. 1 und 2 PStG). Zur Abstammung zählt auch das durch Adoption (§§ 1741 ff BGB) – oder ihre Aufhebung (§§ 1759 ff BGB) – begründete Verwandtschaftsverhältnis (vgl. § 27 Abs. 3 Nr. 1 PStG; Ritscher MK Rdn. 6). Zur Bestimmung, ob eine Angabe falsch oder unterdrückt worden ist, hat der Strafrichter daher in eigener Zuständigkeit und Sachkompetenz das Abstammungsverhältnis nach Maßgabe der zivilrechtlichen Vorschrift zu beurteilen. Eine Bindung an zivil-, insbesondere familienrechtliche Entscheidungen besteht nur hinsichtlich Statusurteilen mit Wirkung gegenüber jedermann (vgl. eingehend § 170 Rdn. 120 ff). Kein personenstandsrechtliches Kriterium ist die seit dem Kindschaftsrechtsreformgesetz weggefallene Unterscheidung zwischen ehelicher und unehelicher Abstammung. Die Eheschließung oder Verpartnerung sowie zu ihrer Auflösung führende Umstände 46 wie Tod des Ehegatten oder Partners, Scheidung, Auflösung der Lebenspartnerschaft oder deren Umwandlung in eine Ehe (§§ 11 ff, §§ 17 f PStG). Die Personenstandsmerkmale umfassen Tag und Ort der Eheschließung oder Begründung der Lebenspartnerschaft (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 PStG, § 17 PStG a. F.), die Person des Ehegatten oder Lebenspartners mit zu ihrer Identifikation gereichen74 Soweit § 21 Abs. 1 Nr. 3 PStG durch BVerfGE 147 1 = NJW 2017 3643 teilweise für verfassungswidrig erklärt wurde, ist dem durch das Gesetz zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben vom 18. Dezember 2018 (BGBl. I 2635) mit der Neufassung von § 22 Abs. 3 PStG und Einfügung von § 45b PStG Rechnung getragen worden. 75 Wie hier Schall SK Rdn. 4; Ritscher MK Rdn. 6; Schramm, Ehe und Familie, S. 313, 315; ders., RW 2014 88, 101; aA SSW/Wittig Rdn. 2; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1; Dippel LK12 Rdn. 6; Matt/Renzikowski/Kuhli Rdn. 6; Maurach/ Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 11 f (S. 165). 449
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den Merkmalen (Geburtstag und Ort, Geschlecht, vgl. § 15 Abs. 1 Nr. 2 PStG, § 17 PStG a. F.) sowie den Tag und Ort der Änderung (§ 17a i. V. m. § 15 PStG). Auch hier beurteilen sich der Eintritt und die Wirksamkeit des jeweiligen Umstandes und damit die Richtigkeit einer Angabe und Eintragung nach den Vorschriften Bürgerlichen Rechts, die durch den Strafrichter eigenständig zu prüfen sind. Nicht umfasst sind Angaben zu einer der Eheschließung vergleichbaren religiösen Zeremonie; maßgeblich ist allein die eine Ehe im Rechtssinne begründende standesamtliche Eheschließung (vgl. hierzu § 11 Abs. 2 PStG und BTDrucks. 16/1831 S. 33 zum Wegfall der §§ 67, 67a PStG a. F.; s. auch Rdn. 48). Ebenfalls nicht umfasst ist die Eingehung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, selbst wenn sie mit bindenden Vereinbarungen hinsichtlich vermögens-, unterhalts- und sorgerechtlicher Fragen einhergeht. 47 Der Tod mit Angaben zur Person des Verstorbenen sowie zur – insbesondere nach erbrechtlichen Vorschriften möglicherweise erheblichen – Sterbeminute und dem Sterbeort (§ 31 PStG), auch nach den Vorschriften des VerschG. 48 Kein Personenstandsmerkmal, über welches im Sinne von § 169 irregeführt werden könnte, bildet die Staatsangehörigkeit,76 die in § 1 Abs. 1 Satz 2 PStG nicht aufgeführt ist. Sie ist in Personenstandsregistern zwar erfasst, aber nicht als originär personenstandsrechtlicher Eintrag; vielmehr wird auf sie lediglich hingewiesen (vgl. § 15 Abs. 2 Nr. 2, § 21 Abs. 3 Nr. 1 PStG). Dies gilt ungeachtet der dem Standesamt obliegenden Prüfung der Staatsangehörigkeit, insbesondere des Erwerbes der deutschen Staatsangehörigkeit bei Geburt (vgl. §§ 8, 34 PStVO). Strafrechtlichen Schutz vor Manipulationen genießt sie über andere Vorschriften, etwa § 42 StAG oder die Urkundsdelikte nach den §§ 271 ff (s. auch § 111 OWiG hinsichtlich Falschangaben zur eigenen Staatsangehörigkeit). Auch die Religions- oder Konfessionszugehörigkeit nimmt an dem strafrechtlichen Schutz von § 169 nicht teil. Verpflichtende Angaben hierzu sind nach dem PStG nicht vorgesehen (s. etwa § 15 Abs. 1 Nr. 2, § 21 Abs. 1 Nr. 4, § 31 Abs. 1 Nr. 1 PStG). Eine Taufe oder anderweitige rituelle Aufnahme in eine Religionsgemeinschaft, eine kirchliche Trauung oder eine anderweitig nach religiösem Ritus geschlossene Ehe, etwa nach islamischem Brauch, sind bereits nicht eintragungsfähig.
49 cc) Eines anderen. Strafbar sind nur Tathandlungen im Hinblick auf den Personenstand eines anderen. Falsche oder unterdrückte Angaben über eigene Personenstandsmerkmale sind daher nicht erfasst,77 sondern bilden allein eine Ordnungswidrigkeit nach § 111 OWiG.78 Freilich können Angaben über eigene Merkmale zugleich den Personenstand eines anderen betreffen, etwa bei der Behauptung einer Ehe mit einem anderen79 oder einer Abkommenschaft von diesem. Strafrechtliche Erheblichkeit kann dem indes nur zukommen, wenn die andere Person hinreichend individuell bestimmt ist und eine konkrete Gefahr besteht, dass hierdurch ihr Personenstand unrichtig festgestellt werden könnte.80 Etwa reicht die Behauptung der Ehe mit ei76 Soweit ersichtlich, allg. Auffassung, vgl. SSW/Wittig Rdn. 2; Ritscher MK Rdn. 6; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1. 77 Angesichts des eindeutigen Wortlautes unstreitig; vgl. OLG Hamm, Urt. v. 26.1.1988 – 5 Ss 778/87 = NStE Nr. 1; Ritscher MK Rdn. 7; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 2; Dippel LK12 Rdn. 12. Gründe hierfür sind in den Gesetzesmaterialien nicht ausdrücklich niedergelegt. Schall (SK Rdn. 8) verweist zu Recht auf den höheren Unrechtsgehalt der Manipulation von Personenstandsmerkmalen eines sich dessen nicht gewahrenden Dritten, auch wenn der Tat keine Schädigungsabsicht zugrunde liegen muss, sie sogar zum Besten des Betroffenen gemeint sein kann (etwa hinsichtlich falscher Angaben zu einem Kind). 78 Unter weiteren Voraussetzungen kann Betrug (§ 263) vorliegen oder eine mittelbare Falschbeurkundung (§ 271), sofern die öffentliche Beweiskraft der Urkunde sich auf die unrichtige Angabe des Personenstandes erstreckt (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 26.1.1988 – 5 Ss 778/87 = NStE Nr. 1). 79 So OLG Stuttgart NJW 1968 1341: Wahrheitswidrige Behauptung im Rechtsstreit um das Sorgerecht der geschiedenen Ehefrau, wiedergeheiratet zu haben. Die weitere Person muss allerdings tatsächlich existieren und hinreichend individualisierbar sein, vgl. Matt/Renzikowski/Kuhli Rdn. 5. 80 Vgl. RGSt 25 188, 191; OLG Stuttgart NJW 1968 1341; Ritscher MK Rdn. 7; Schall SK Rdn. 8; Matt/Renzikowski/ Kuhli Rdn. 6; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 14 (S. 166); Baumann StAZ 11 (1958) 227. Wiedner
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ner nicht näher bezeichneten Person nicht aus (vgl. OLG Stuttgart NJW 1968 1341). Bereits begrifflich ist der Personenstand zudem nur einer tatsächlichen, rechtsfähigen Person mithin einem real existierenden, lebenden Menschen zugewiesen (vgl. § 1 PStG), so dass Angaben zu oder die Etablierung einer erfundenen Person – trotz der mit der Täuschung im Einzelfall für den Rechtsverkehr einhergehenden Gefahren – nicht erfasst sind; mangels Rechtspersönlichkeit fehlt es am Träger eines Personenstandes.81 Dies gilt aus gleichem Grunde (§ 1 BGB) für tot geborene oder in der Geburt verstorbene Kinder ungeachtet dessen, dass sie unter gesetzlich näher beschriebenen Voraussetzungen im Geburtenregister angegeben werden müssen (§ 18 Abs. 1 S. 2, § 21 Abs. 2 PStG; § 31 PStV). Eine diesbezüglich unterlassene oder Falschangabe fällt nicht unter § 169.82 Dagegen sind die Personenstandsangaben eines Verstorbenen nicht nur im Hinblick auf die Beurkundung seines Todes geschützt, sondern auch vor anderweitigen Manipulationen nach seinem Tod.83 Denn dem Verstorbenen kam eine Rechtspersönlichkeit zu, so dass seinem Personenstand nicht nur individualrechtlich schützenswerte Bedeutung zukommt, sondern sich daran eine Vielzahl über den Tod hinausreichender Rechtsfolgen knüpft, wie etwa solche erbrechtlicher und namensrechtlicher Art oder aus der Abstammung folgende Eheverbote.
b) Adressat aa) Behörde: Kriterien. Die von den Tatvarianten 2 und 3 erfassten Handlungen müssen 50 gegenüber einer Personenstandregistern oder Feststellung des Personenstandes zuständige Behörde erfolgen; nach § 11 Abs. 1 Nr. 7 kann es sich hierbei auch um ein Gericht handeln. Mit dieser durch das 4. StrRG eingeführten Beschränkung (vgl. Rdn. 4) scheiden sowohl Tathandlungen im ausschließlich sozialen Umfeld als auch solche gegenüber öffentlichen Stellen mit keiner spezifisch die Personenstandsfeststellung betreffenden Befugnis aus. Maßgeblich ist, ob die jeweilige Behörde durch gesetzliche Zuweisung dazu berufen sind, mit Wirkung für und gegen jedermann gerade den Personenstand des von der Tat betroffenen „anderen“ – eine generelle Zuständigkeit reicht nicht aus – festzustellen oder registerrechtlich nach Maßgabe des PStG festzuhalten.84 Die Zuständigkeit zur Klärung von Vorfragen oder zur Klärung von Rechtsfolgen aus einem (unzutreffenden) Personenstand reicht nicht aus. Ebensowenig sind taugliche Adressaten Amtsträger oder Behörden, die ohne spezifische Zuweisung im genannten Sinne im Rahmen ihrer Tätigkeit personenstandliche Angaben erheben oder verarbeiten, selbst wenn eine Wahrheitspflicht ihnen gegenüber besteht (s. näher Rdn. 54). bb) Adressatengruppen. Bei Anlegung dieser Kriterien kommen als Adressaten nur zwei 51 Gruppen von Behörden in Betracht (so i. E. auch BTDrucks. VI/3521 S. 10 f):
81 Vgl. RGSt 43 402, 403; Schall SK Rdn. 8 (Fn. 16); Fischer Rdn. 4; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 2; Frommel NK Rdn. 2; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 14; Dippel LK12 Rdn. 12; Blei BT § 37 II 1. Anders noch das RG in früherer Rspr., in denen allein auf das familienrechtliche Verhältnis unter Lebenden abgestellt wurde (RGSt 13 129, 130; 19 405; 21 411). 82 Mittlerweile einhellige Auffassung; s. bereits RGSt 43 402, 403 f; Ritscher MK Rdn. 7; Schall Rdn. 5; Fischer Rdn. 3; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1; Frommel NK Rdn. 2; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rn. 13 (S. 166); Blei BT § 37 II 1; Hanke S. 35 f, 72 ff; anders noch Baumann StAZ 1958 225. 83 Vgl. RGSt 25 188, 190; Matt/Renzikowski/Kuhli Rdn. 3; Ritscher MK Rdn. 7; SSW/Wittig Rdn. 2; Dippel LK12 Rdn. 8. 84 Allg. Auffassung; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6; Schall SK Rdn. 15; Ritscher MK Rdn. 8; Lackner/Kühl/ Heger Rdn. 4; Matt/Renzikowski/Kuhli Rdn. 10; Fischer Rdn. 6; Dippel LK12 Rdn. 20. 451
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Personenstandsfälschung
52 (1) Standesämter und Standesbeamte. Zuständig zur konstitutiven Vornahme personenstandlicher Änderungen (§ 1310 BGB, § 1 Abs. 2 Halbs. 2 PStG) und der Beurkundung personenstandlicher Verhältnisse (§ 1 Abs. 2 Halbs. 1 PStG) sind zum einen die Standesämter mit den Standesbeamten als hierzu berufenen Urkundspersonen (§ 2 PStG).85 Die maßgeblichen Personenstandsregister im Sinne von § 169 ergeben sich aus §§ 3, 15, 17, 21, 31 PStG. Die Pflicht zu wahrheitsgemäßen Angaben und Anzeigen gegenüber den Standesämtern folgt aus § 10 PStG. Sachlich muss es sich bei der Tatsache, hinsichtlich derer eine unwahre Angabe erfolgt oder die unterdrückt worden ist, um ein registerfähiges Personenstandsmerkmal handeln (s. hierzu Rdn. 42 ff), zu dessen Beurkundung das Standesamt sachlich zuständig ist.86 Dies ist etwa nicht der Fall bei unzutreffenden Angaben zu Merkmalen eines im Ausland lebenden Ausländers (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 26.1.1988 – 5 Ss 778/87 = NStE Nr. 1; Ritscher MK Rdn. 8). Ob das Standesamt im Einzelfall nur eine Erklärung entgegennimmt und beurkundet, mithin ausschließlich als eine zur Führung von Personenstandsregistern zuständige Behörde auftritt, oder ob es eine personenstandliche Feststellung im Sinne einer eigenen Entscheidung trifft (so jedenfalls bei Eheschließung, vgl. §§ 13 f PStG), lässt sich angesichts der ihm vor jeder Eintragung obliegenden Prüfung (vgl. §§ 5 ff PStV) nicht deutlich abgrenzen, ist für die tatbestandliche Adressatenstellung aber unerheblich.87 Einzig der Kreis möglicher Tathandlungen ist bei selbstständigen Feststellungen des Standesamtes weiter gezogen. So kommt etwa bei Prüfung der Ehevoraussetzungen eine Täuschung durch Vorspiegelung falscher, die Ehevoraussetzungen betreffender tatsächlicher Umstände in Betracht. Erfolgt eine Falschangabe nicht unmittelbar gegenüber dem Standesamt, sondern wird von Dritten an dieses weitergeleitet, so ist § 169 in Form mittelbarer Täterschaft erfüllt, wenn der Täter sich des Dritten als Mittel zur Täuschung gezielt bediente88 oder mit der Weiterleitung zumindest rechnete; so liegt es insbesondere bei einer Angabe gegenüber einer zur Weiterleitung verpflichteten Person oder Einrichtung (vgl. §§ 19, 20, 28 ff PStG, § 56 PStV), aber auch bei nicht originär zur Personenstandsfeststellung befugten Behörden, die mit Wissen und Wollen des Täters Angaben amtlich an das Standesamt weiterleiten.89
53 (2) Gerichte in Statussachen. Zur Feststellung des Personenstandes zuständig sind zum anderen die Gerichte in Statussachen.90 Bei solchen handelt es sich um derartige Verfahren, die dazu bestimmt sind, den Personenstand eines Menschen mit Wirkung für und gegen jedermann festzustellen oder zu verändern. Hierzu zählen Verfahren zur Vaterschaftsfeststellung nach 85 Die aufgrund der Ermächtigung in § 73 PStG erlassene Personenstandsverordnung des Bundes vom 22. November 2008 (BGBl. I 2263) betrifft organisatorische Einzelheiten. Soweit § 1 Abs. 2 PStG auf Landesrecht verweist, ist hiermit die behördliche Zuweisung gemeint, nicht aber die materielle Kompetenz (s. etwa die Personenstandsverordnung NRW vom 16.12.2008, GVBl. NRW 2008 859). 86 Bei fehlender örtlicher Zuständigkeit kommt es darauf an, ob die Angaben weitergeleitet wurden, vom zuständigen Standesamt eingetragen wurden und der Täter hiermit gerechnet hat; ansonsten verbleibt es bei einem Versuch nach Abs. 2. 87 Gemeinhin werden den Standesämtern beide Zuständigkeiten zugeordnet, vgl. Schall SK Rdn. 15; Dippel, LK12 Rdn. 20. Nach der gängigen Definition der Feststellung (vgl. Rdn. 50) käme es zur Abgrenzung am ehesten darauf an, ob die Behörde eine auch rechtliche Entscheidung trifft (so ausdrücklich Dippel, LK12 Rdn. 20: „durch Entscheidung von Rechtsangelegenheiten“). Je nach Grenzziehung, ab wann die Beurkundung eines Personenstandsmerkmals eine Rechtsfrage aufwirft (s. etwa die nicht nur tatsächlichen Anforderungen in § 9 PStG), läge dann bereits darin eine „Feststellung“ mit der Folge, dass dem ersten Merkmal – Zuständigkeit zur Führung von Personenstandsregistern – nur eine Auffangfunktion zukommt. 88 Wird ein Dritter nur als Bote oder Vertreter tätig, ist dessen Erklärung dem Täter demgegenüber unmittelbar zuzurechnen. 89 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6; Schall SK Rdn. 16; Fischer Rdn. 6; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 18 (S. 167); Horstkotte Prot. VI/34 S. 1233; Dippel LK12 Rdn. 20. 90 Einhellige Auffassung; vgl. Schall SK Rdn. 15; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6; Fischer Rdn. 6; Ritscher MK Rdn. 8; Matt/Renzikowski/Kuhli Rdn. 10; Frommel NK Rdn. 8; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 5. Wiedner
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StGB § 169
§ 1600d BGB, zur Vaterschaftsanfechtung nach § 1600c BGB, jeweils in Verbindung mit §§ 169 ff FamFG,91 Verfahren über die Annahme als Kind oder deren Aufhebung nach §§ 1752, 1763 BGB, § 186 FamFG, Scheidungsverfahren nach den § 1564 BGB, §§ 121 FamFG, Verfahren zur Aufhebung der Lebenspartnerschaft nach den § 15 LPartG, §§ 269, 270 FamFG, Aufgebotsverfahren bei Verschollenheit nach den §§ 13 ff VerschG, §§ 433 ff FamFG, Verfahren zur Feststellung der Geschlechterzugehörigkeit und der Vornamensänderung nach den §§ 1 f, 8 ff TSG, aber auch solche zur Berichtigung eines Registereintrages nach § 48 PStG.92 Verfahren, in welchen ein Personenstandsmerkmal lediglich eine Voraussetzung für ein streitiges Rechtsverhältnis bildet oder mittelbar dafür von Bedeutung ist, und das Gericht über das Merkmal nur mit Wirkung inter partes und im Hinblick auf den konkreten Streitgegenstand entscheidet, fallen nicht unter § 169. Dies gilt etwa für Unterhaltsprozesse, Erbstreitigkeiten, aber auch familienrechtliche Annexverfahren wie etwa über das Sorgerecht.93 So berührt etwa die falsche Angabe des Unterhaltsverpflichteten in einem Unterhaltsverfahren, er habe weitere unterhaltsberechtigte Kinder oder sei (wieder)verheiratet, zwar mittelbar auch der Personenstand eines anderen, ist in dem Verfahren aber nur für Bestehen und Höhe des Unterhaltsanspruches von Belang; ebenso liegt es bei falschen Angaben über den auch Dritte betreffenden Personenstand einer Partei im Sorgerechtsstreit (vgl. OLG Stuttgart NJW 1968 1341).
(3) Nicht erfasste Stellen. Nicht von § 169 erfasst sind Handlungen gegenüber nicht-be- 54 hördlichen Dritten, d. h. sämtliche auf den Personenstand bezogene Angaben oder Verschleierungen im ausschließlich privaten, sozialen oder gesellschaftlichen Bereich. Dies betrifft beispielsweise wahrheitswidrige Behauptungen im Freundes- oder Bekanntenkreis, ein Pflegekind sei ein leibliches, der Freund sei der Ehemann, die eigenen Eltern seien verstorben, ein (tatsächlich verheirateter) Dritter habe sich scheiden lassen sei. Auch kommerziell agierende Private sind keine tauglichen Adressaten, selbst wenn sie eine Pflicht trifft, erhobene Daten an Behörden weiterzuleiten. So sind etwa falsche Angaben über eine Begleitperson in einem Meldeformular an der Hotelrezeption (vgl. Ritscher MK Rdn. 8; Dippel LK12 Rdn. 22) oder solche über Dritte bei Abschluss eines Telefonvertrages nicht tatbestandlich. Auch sonstige Behörden, die für ihre Tätigkeit die Identität einer Person festzustellen und weitere personenbezogene Daten zu erheben und zu verarbeiten haben, sind keine solchen im Sinne von § 169, soweit sie nicht spezifisch zur Feststellung des Personenstandes ermächtigt sind; dies gilt unabhängig davon, ob den Betroffenen eine Pflicht zu wahrheitsgemäßen Angaben trifft. Polizei, Staatsanwaltschaft, Ordnungs-, Jugend-, Finanz- und Einwohnermeldeamt bilden daher keine tauglichen Behörden im Sinne des § 169 (Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6; Schall SK Rdn. 16; zu Ausländerbehörden vgl. Rdn. 70). Private und nicht mit Personenstandsangelegenheiten befasste Behörden aus dem Tatbestand auszuschließen, war ein ausdrückliches Anliegen des Gesetzgebers bei Neufassung der Vorschrift durch das 4. StrRG (BTDrucks. VI/3521 S. 11). Nicht erfasst sind auch Angaben in gerichtlichen Verfahren, die keine Statusfragen zum 55 Gegenstand haben (s. bereits Rdn. 53), sowie generell die Erhebung von Personendaten bei Prüfung der Anwesenheit und Identität von Verfahrensbeteiligten oder bei Zeugenvernehmungen. Eingreifen können in derartigen Fällen nur Ordnungswidrigkeitstatbestände wie § 111 OWiG; ggf. kommt auch eine Strafbarkeit nach § 153 oder § 263 in Betracht. Hiervon unberührt bleibt jedoch, dass der – dann mittelbare – Täter sich einer Behörde oder Institution bedient, welche Mitteilungspflichten gegenüber dem Standesamt trifft (s. etwa §§ 18 f PStG, § 56 PStV), um unwahre Angaben in personenstandsrechtlichen Angelegenheiten weiterleiten zu lassen (s. 91 Nicht aber jegliche Familiensachen nach §§ 1, 111 FamFG, missverständlich Schall Rdn. 15. 92 Vgl. Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6; Schall SK Rdn. 15. 93 Vgl. Schall SK Rdn. 16; Fischer Rdn. 6; Ritscher MK Rdn. 8; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 18 (S. 167); Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6. Unter Geltung der alten, weiteren Fassung von § 169 anders RGSt 77 51. 453
Wiedner
§ 169 StGB
Personenstandsfälschung
Rdn. 104). Bei Beurkundung einer Vaterschaftsanerkennung (§ 1597 BGB) wird die Urkundsperson oder beurkundende Behörde94 nicht allein deshalb zu einem tauglichen Adressaten i. S. v. § 169, weil eine den Personenstand betreffende Erklärung (vgl. § 27 Abs. 1 S. 1 PStG) aufgenommen wird. Allerdings ist die Anerkennung – wenn sie nicht bereits vom Standesamt selbst aufgenommen wurde (§ 44 PStG) – an dieses weiterzuleiten (§ 56 PStV), so dass auch hier mittelbare Täterschaft in Betracht kommt.
56 c) Falsche Angaben (Alt. 2). Ein falsches Angeben i. S. v. § 169 Abs. 1 Alt. 3 liegt vor, wenn der Täter der zuständigen Behörde Tatsachen mitteilt, die das personenstandsrechtliche Verhältnis des anderen anders erscheinen lässt, als es sich in Wahrheit, d. h. nach zutreffender Tatsachen- oder Rechtslage darstellt.95
57 aa) Angaben. sind an einen bestimmten Adressaten gerichtete Wissens- oder Willenserklärungen, die auch konkludent erfolgen können. Eine Beschränkung des Tatbestandes auf ausdrückliche Erklärungen würde sich gegenüber anderen Strafvorschriften wie auch nach allgemeinen Grundsätzen rechtserheblicher Willens- und Wissensäußerungen als Sonderfall darstellen, und ist weder dem Wortlaut zu entnehmen noch vom Schutzzweck geboten.96 Die Herbeiführung einer irreführenden Tatsachenlage reicht nicht aus, soweit es an einer nach außen gerichteten Mitteilung mit Erklärungsgehalt fehlt;97 eine Strafbarkeit kann sich dann aber nach § 169 Alt. 3 ergeben (s. Rdn. 79 ff). Das Angeben als tatbestandliche Handlung liegt in der Abgabe der Erklärung in Richtung eines tauglichen Adressaten; die Erklärung muss zur Kenntnisnahme einer nach § 169 zuständigen Behörde bestimmt sein (Dippel LK12 Rdn. 18). Mit ihrem Zugang, mithin dann, wenn die Erklärung so weit in den Herrschaftsbereich der Behörde gelangt ist, dass diese von ihr Kenntnis nehmen kann, ist die Tat vollendet (s. Rdn. 101).98 Dass durch die Tat tatsächlich eine Fehlvorstellung bei der Behörde erzeugt wird, ist nicht erforderlich; erst recht muss es nicht zur Eintragung der falschen Angabe im Personenstandsregister gekommen sein. Allerdings muss der Täter mit der Erregung eines Irrtums bei dem Adressaten zumindest gerechnet haben. Dadurch, dass die falsche Angabe in den Kenntnisbereich der Behörde gelangt ist, liegt zugleich eine konkrete Gefährdung der Feststellung des wahren Personenstandes vor, so dass dem Merkmal keine eigenständige Bedeutung beizumessen ist. Insbesondere kommt es nicht darauf an, wie durchschaubar die falsche Angabe ist, und wie die Behörde sie bewertet; denn auch offensichtlich falsche Erklärungen bewirken allein dadurch, dass sie der Behörde vorliegen und Einfluss auf die behördliche Entscheidung nehmen können, eine Gefährdungslage.99 Die falschen Angaben müssen sich auf einen bestimmten Tatsachen94 Etwa Notare (§ 20 BNotO; § 1 Abs. 1 BeurkG), Rechtspfleger beim Amtsgericht (§ 67 Abs. 1 Nr. 1 BeurkG, § 3 Nr. 1 lit. f RPflG), der Standesbeamte (§ 44 PStG, § 64 BeurkG); Mitarbeiter des Jugendamts (§ 59 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VIII, § 65 BeurkG), Familiengerichte (§ 180 FamFG), bestimmte Konsularbeamte (§§ 1, 2, 10, 19, 24 KonsularG). 95 RGSt 36 137; 70 273; OLG Köln, NJW 1974 953, 954; OLG Hamm, Urt. v. 26.1.1988 – 5 Ss 778/87 = NStE Nr. 1; Blei BT § 37 II 2; Schall SK Rdn. 18; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 5; Dippel LK12 Rdn. 18. 96 Ebenso Schall SK Rdn. 18; Lackner/Kühl/Heger/Heger Rdn. 3: Matt/Renzikowski/Kuhli Rdn. 10; SSW/Wittig Rdn. 6; Frommel NK Rdn. 5. 97 Fischer Rdn. 5; Schall SK Rdn. 18; Ritscher MK Rdn. 9; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 5; Frommel NK Rdn. 5. Beispiele sind das – allerdings Alt. 1 unterfallende – Vertauschen eines Kindes oder einer Leiche; vgl. Günther SK7 Rdn 14. 98 Schall SK Rdn. 18; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 5; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rd. 22 (S. 168); Dippel LK12 Rdn. 18; anders Fischer Rdn. 6a: bereits mit Abgabe. 99 Anders Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 5: In Fällen offensichtlicher Fehlangaben nur untauglicher Versuch. Unklar ist dann allerdings, ab wann die Erheblichkeitsschwelle überschritten sein, und ob es hierfür auf eine objektive Bewertung oder den tatsächlichen Umgang mit der Erklärung innerhalb der Behörde ankommen soll. Zur ähnlichen Problematik bei Betrugsfällen vgl. Fischer § 263 Rdn. 55 f. Wie hier SSW/Wittig Rdn. 6. Wiedner
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II. Objektiver Tatbestand
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kern beziehen; eine bloß fehlerhafte rechtliche Würdigung in Bezug auf das Personenstandsmerkmal bei vollständiger Unterbreitung eines richtigen Sachverhaltes erfüllt den Tatbestand nicht.100 Der Täter muss die Erklärung nicht zwingend selbst abgeben, sondern kann sich dazu 58 auch eines Tatmittlers bedienen.101 Dies ist immer dann der Fall, wenn er damit rechnet oder darauf hinwirkt, dass der von ihm gewählte, § 169 nicht unterfallende Adressat die Angaben als eigene Erklärung an einen tauglichen Adressaten weitergeben wird, insbesondere im Falle einer entsprechenden Anzeigepflicht (s. etwa §§ 19, 20, 29, 30 PStG). Hinreichende Tatherrschaft für eine Stellung als mittelbarer Täter folgt aus dem überlegenen Wissen und der Wahrscheinlichkeit der Weiterleitung (vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 18, S. 167). Hiervon – mit dem Ergebnis unmittelbarer Täterschaft – abzugrenzen sind Fälle, in denen der Täter die Erklärung lediglich über Boten oder Stellvertreter an einen nach § 169 tauglichen Adressaten weitergibt.
bb) Falsch sind die Angaben, wenn sie dem Personenstand eines anderen widersprechen, wie 59 er sich nach zutreffender Tatsachen- oder Rechtslage darstellt.102 (1) Tatsachen. Regelmäßig unproblematisch zu bestimmen ist die Unrichtigkeit bei reinen 60 Tatsachen, etwa der Angabe des Todes einer tatsächlich noch lebenden Person, der Angabe einer Geburt bei tatsächlichem Versterben des Kindes vor Ende des Geburtsvorganges, oder eine fehlerhafte Bezeichnung von Geburtsort und -tag. Im Strafprozess sind derartige Tatsachen und eine Abweichung der Angaben hiervon im Strengbeweis festzustellen. (2) Zivilrechtliche Zuordnung. Bestimmen sich Personenstandsmerkmale (auch) rechtlich 61 wie insbesondere die Abstammung oder zumindest partiell das Geschlecht, ist die zivilrechtliche Zuordnung maßgeblich. Falsch ist eine Angabe dann, wenn sie den Personenstand abweichend von der Rechtslage mitteilt (Mutter sei A und nicht B), oder wenn die für die rechtliche Bestimmung des Personenstandsmerkmals maßgeblichen Anknüpfungstatsachen falsch mitgeteilt werden (ein Kind sei von A, und nicht von B geboren worden). Hinsichtlich der Abstammung kommt es demgemäß nicht auf die genetische Vater- oder Mut- 62 terschaft an; Anwendung finden allein die §§ 1591 ff BGB, welche für die Vaterschaft formale, für die Mutterschaft eine biologische, mit der genetischen Abstammung nicht notwendig übereinstimmende Anknüpfungen vorsehen.103 Daher liegt keine Falschangabe vor, wenn das außerehelich gezeugte Kind durch die Eltern in Kenntnis der Sachlage als eheliches angemeldet wird (§ 1592 Nr. 1 BGB), wenn ein Mann das von ihm biologisch nicht abstammende Kind im Wissen hierum gleichwohl als sein eigenes anerkennt (§ 1592 Nr. 2 BGB, s. aber nachfolgend Rdn. 64) und die Anerkennung mit seiner Billigung zur Eintragung gelangt, oder wenn eine Frau, die ein Kind geboren hat, 100 Bsp.: Zutreffende Angabe des biologischen Vaters durch die verheiratete Mutter unter Offenlegung der Ehe und der außerehelichen Zeugung mit der – falschen: § 1592 Nr. 1 BGB – Bewertung, dass der Erzeuger des Kindes im Personenstandsregister einzutragen sei. 101 Vgl. Prot. VI/1233; Fischer Rdn. 6; Schall SK Rdn. 16; Frommel NK Rdn. 6, Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 16 (S. 166). 102 RGSt 36 137; 70 273; Sch/Schröder/Bosch/Schitthelm Rdn. 5. Schall SK Rdn. 18; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 15 (S. 166); Blei BT § 37 II 2. Eine Verengung auf die Rechtslage (vgl. etwa Dippel LK12 Rdn. 19) lässt die Fälle einer allein unrichtigen Tatsachenlage außer Betracht. 103 Allg. Auffassung, OLG Hamm NJW 2008 1240; Ritscher MK Rdn. 9; Schall SK Rdn. 19; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 7; Bottke S. 106. So auch ausdrücklich die Motive des Gesetzgebers bei Neufassung der Vorschrift durch das 4. StrRG. S. BTDrucks. VI/1552 S. 11 f, und insbesondere VI/3521, S. 11: 455
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Personenstandsfälschung
dessen biologische Mutter sie nach (verbotener, § 1 Abs. 1 ESchG) Eizellenspende oder Übertragung eines fremden Embryos nicht ist, ihre Mutterschaft zur Eintragung angibt (§ 1591 BGB). In all diesen Fällen nimmt das (Zivil-)Gesetz bei seiner die Abstammung konstituierenden Zuordnung den Widerspruch zu der biologischen Herkunft hin. Strafrechtlich können hieran schon deshalb keine Korrekturen angebracht werden, weil der Personenstand, auf den sich § 169 bezieht, als ebenfalls rechtlich-abstrakter Begriff kein anderer sein kann als der nach der Rechtsordnung anderweitig vorgegebene. Umgekehrt bildet es daher eine Falschangabe, wenn der biologische Vater außerhalb eines Statusprozesses seine Abstammung behauptet, obwohl diese rechtlich nicht besteht, weil die Vaterschaft entweder unangefochten (§§ 1600 ff BGB) dem Ehemann zukommt, oder weil er – bei fehlender Ehe der Kindsmutter – die Vaterschaft nicht anerkannt hat und sie auch gerichtlich nicht festgestellt wurde. Auch eine Behauptung der Mutterschaft durch die nur-genetische Mutter stellt sich als Falschangabe dar. Im Verfahren zur gerichtlichen Feststellung der Vaterschaft (§ 1599, 1600d BGB, § 182 Abs. 1 FamFG) kommt es für die Richtigkeit der Angaben dagegen auf die biologische Abstammung und nicht etwa auf eine bis dahin bestehende Vaterschaft an. Denn das gerichtliche Verfahren dient gerade der erstmaligen Bestimmung, Widerlegung oder Bestätigung einer Vaterschaft nach genetischen Kriterien; eine Angabe ist demgemäß falsch, wenn sie das Gericht hierüber in die Irre führt.104 Sobald die Vaterschaft in einem derartigen Verfahren rechtskräftig festgestellt worden ist, besteht sie auch materiell bindend nach § 1592 Nr. 3 BGB mit allseitiger Wirkung (§ 184 Abs. 2 FamFG). Eine anderweitige Behauptung ist solange falsch i. S. v. § 169, wie die gerichtliche Feststellung der Wiederaufnahme beseitigt worden ist (vgl. § 185 FamFG). 63 Auch die Geschlechtszugehörigkeit bestimmt sich nur im Grundsatz nach biologischen Merkmalen, kann nach Maßgabe von § 22 Abs. 3, § 45b PStG aber hiervon abweichen. Eine Abänderung der Geschlechtszugehörigkeit nach den Vorschriften des Transsexuellengesetzes richtet sich ungeachtet geschlechtsumwandelnder Maßnahmen oder ihres Fehlens (vgl. hierzu BVerfGE 128, 109) allein nach Inhalt und Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung nach §§ 8 ff TSG. Ohne diese rechtliche Anerkennung ist die Angabe des nicht-biologischen Geschlechtes „falsch“ im Sinne von § 169. Bei der Angabe eines Namens ist die Wirksamkeit der Namensbestimmung nach den §§ 1616 ff BGB maßgeblich, wenn nicht – wie im Regelfall – bereits eine konstitutive Erklärung unmittelbar gegenüber dem Standesamt vorliegt (vgl. §§ 41 ff PStG).
64 (3) Insbes.: Vaterschaftsanerkennung. Besonderheiten bestehen bei einer Vaterschaftsanerkennung. Aufgrund ihrer nach § 1592 Nr. 2 BGB konstitutiven Wirkung105 steht sie anderen „Außerhalb des Tatbestandes bleiben aber auch die Fälle, in denen ein anderes Gesetz einen Widerspruch zwischen der biologischen Abstammung und dem rechtlich ausgewiesenen Personenstand zulässt. Das gilt einmal für die Anmeldung eines im Ehebruch gezeugten Kindes als ehelich. Ein solches Kind gilt nach § 1591 BGB als ehelich, und nur dieser durch das Gesetz geschaffene Personenstand kann, solange die Ehelichkeit nicht angefochten ist, Gegenstand einer Anmeldung beim Standesamt und einer Eintragung im Register sein. Weiter gehört dazu die Anerkennung der Vaterschaft über ein nichteheliches Kind durch einen anderen als den Erzeuger.“ 104 S. auch hierzu BTDrucks. VI/3521 S. 11 f: „Die erwähnte gesetzgeberische Entscheidung, einen Widerspruch zwischen der biologischen Abstammung und dem rechtlich ausgewiesenen Personenstand hinzunehmen, erstreckt sich aber nicht auf gerichtliche Entscheidungen im Verfahren zur Feststellung der Vaterschaft. Ein solches Verfahren kommt nur dann in Gang, wenn ein Vater-Kind-Verhältnis auf einverständlicher Basis nicht zu begründen ist, weil es entweder an der Anerkennung durch einen Mann oder an der Zustimmung des Kindes fehlt; entsprechendes gilt, wenn ein ursprünglich vorhandener Konsens aufgrund nachträglicher Anfechtung wegfällt. Ein übergeordnetes Interesse an einer unrichtigen gerichtlichen Entscheidung ist nicht erkennbar, vielmehr hat das Interesse an der Feststellung der wirklichen Abstammung des Kindes Vorrang. Ein irreführendes Verhalten, das auf die Erwirkung einer falschen Entscheidung abzielt, ist deshalb strafbedürftig und soll nach dem Willen des Ausschusses von § 169 erfaßt werden.“ Ebenso Schall SK Rdn. 20; Fischer Rdn. 6a; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6 f. 105 Die typischen, allerdings nicht gesetzlich aufgenommenen Motive für die Annahmeerklärung bei fehlender biologischer Vaterschaft liegen in einer besonderen persönlichen Beziehung zwischen dem Anerkennenden und der Mutter, dem Kind oder beiden liegen S. Dippel LK12 Rdn. 19: Deichfuß Abstammungsrecht S. 60; Reinke S. 14. Wiedner
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Zuordnungen für die Abstammung des Kindes grundsätzlich gleich; Vater ist daher der Anerkennende, sofern nur eine wirksame Erklärung vorliegt (§§ 1594, 1597, 1598 BGB).106 Anders als in den sonstigen Fällen der rechtlichen Vater- und Mutterschaft wird das Personenstandsmerkmal hier aber durch eine letztlich auf einen bloßen Willensakt zurückführbare Statuserklärung begründet. Problematisch kann daher eine derartige Zuordnung im Einzelfall erscheinen, wenn mit ihr rechtlich missbilligte Zwecke verfolgt werden. So wird teilweise vertreten, bei einem Vaterschaftsanerkenntnis zur Umgehung einer Adoption und damit verbundenem Verstoß gegen § 5 Abs. 4 AdVermG die Angabe der Vaterschaft als falsch im Sinne des § 169 und damit als strafbar zu bewerten (eingehend Ritscher MK Rdn. 28 f).107 Für sich genommen wird hierfür zutreffend angeführt, dass die Anerkennung nicht (immer) im Interesse des Kindes liege und der Schutzmechanismus einer erforderlichen Zustimmung des Kindes durch Täuschung des Verfahrenspflegers umgangen werden könne (so insbes. Dippel LK12 Rdn. 19). Der Auffassung ist gleichwohl zu widersprechen. Die Zivilrechtsordnung differenziert nicht nach den Motiven des Erklärenden für die Anerkennung, sondern legt ihr Wirksamkeit unabhängig davon bei, ob sie nach biologischen Kriterien bewusst „falsch“108 und unter missbilligenswerter Zielsetzung abgegeben wurde.109 Zweck der Formalisierung ist die eindeutige Feststellung des Status eines Kindes. Die Anerkennung ist daher auch keine Wissenserklärung dahin, das Kind gezeugt zu haben, sondern allein eine Willenserklärung, die rechtlichen Folgen der Vaterschaft auf sich nehmen zu wollen;110 es handelt sich um eine durch das Zivil- und Personenstandsrecht eingeräumte Gestaltungsmöglichkeit.111 Schon die Bezugnahme von § 169 auf den von der Zivilrechtsordnung vorgegebenen Personenstand würde es als eine Überschreitung der Wortlautgrenze, aber auch als einen praktisch kaum hinnehmbaren Widerspruch der Rechtsordnung erscheinen lassen, wollte man die gesetzgeberische Entscheidung, das formale Anerkenntnis zur Begründung der Vaterschaft genügen zu lassen, mit strafrechtlichen Mitteln korrigieren. Hiergegen spricht hinsichtlich einer Vaterschaftsanerkennung im Zusammenhang mit der rechtswidrigen Vermittlung und Umgehung einer Adoption zudem, dass der Gesetzgeber von der fehlenden Strafbarkeit einer derartigen Praxis nach § 169 ausdrücklich ausgegangen ist (BTDrucks. 11/4154 S. 9), eine Ahndung für den Vermittler nur als Ordnungswidrigkeit in § 14 Abs. 1 AdVermG vorgesehen, Verstöße des Anerkennenden gegen den Verbotstatbestandes nach § 5 Abs. 4 AdVermG dagegen unsanktioniert gelassen hat.112 In gleicher Weise nicht unter § 169 zu fassen sind eine Vaterschaftsanerkennung und ihre Anmeldung zum Zweck der Erlangung eines Aufenthaltstitels entgegen einem Verbot nach § 1597a BGB; auch hier legt das Gesetz dem rechtlich miss-
106 Vgl. § 1592 Nr. 2, §§ 1594, 1599 GB: Die Anerkennung begründet dann eine wirksame, lediglich anfechtbare Vaterschaft.
107 So ebenfalls VG Frankfurt VG 1988 3032 mit Nachw. zur älteren Literatur; OLG Köln DAVorm. 57 (1974) 116, 118; zur alten Rechtslage RGSt 70 237; Lüderitz NJW 1990 1633, 1634; s. auch E 62, Begr. S. 355 f. Ablehnend dagegen die mittlerweile h. M., LG Düsseldorf NJW 2008 388; Schall SK Rdn. 19; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 7; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63, Rdn. 15, 17; Dippel LK12 Rdn. 19; Blei BT § 37 II 2; Frank FamRZ 1969 630 und ZfJ 59 (1972) 270; für § 169 a. F. bereits Goeschen ZRP 1972 108. 108 Eine Überprüfung der genetischen Vaterschaft findet nicht statt, wie verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BVerfG NJW 2009, 423). Schon deshalb erscheint zweifelhaft, ob den Motiven des Anerkennenden überhaupt Bedeutung zukommen kann, denn eine zumindest nicht auszuschließende genetische Vaterschaft würde einem Missbrauch entgegenstehen (vgl. § 1597a Abs. 5 BGB). 109 OLG München FamRZ 2011 1309, 1310; OLG Koblenz FamRZ 2007 2098; KG NJW-RR 1995 70, 71; Mutschler FamRZ 1994 65, 67; Palandt/Brudermüller § 1594 BGB Rdn. 4. 110 Wellenhofer MK BGB § 1594 Rdn. 5; Palandt/Brudermüller § 1594 BGB Rdn. 4; Rauscher FPR 2002 359 (360); s. auch BGH NJW 1975 1069. 111 Dies wird auch eingeräumt von Ritscher MK Rdn. 28. 112 I.E. ebenso Schall SK Rdn. 19; Fischer Rdn. 6; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 8; Frommel NK Rdn. 5; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; Dippel LK12 Rdn. 24. Unklar SSW/Wittig Rdn. 12, wonach „Adoptionsvermittlungsgeschäfte“ der Variant 3 unterfallen sollen. 457
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billigten Motiv für sich genommen keine die Begründung der Vaterschaft hindernde Wirkung bei (vgl. näher Rdn. 73).113 65 Wenngleich die Vaterschaftsanerkennung damit als originäre Statuserklärung keiner sachlichen Richtigkeitsüberprüfung zugänglich ist, so können falsche Angaben doch darin liegen, dass eine Vaterschaft entgegen einer unwirksamen Anerkennung behauptet wird. Dies ist immer dann der Fall, wenn der Täter entweder unmittelbar gegenüber dem Standesbeamten als tauglichem Adressaten i. S. v. § 169 oder gegenüber einer anderen zur öffentlichen Beurkundung berechtigten Stelle die Vaterschaft anerkennt und in Kenntnis von deren Weiterleitungspflicht nach § 1597 Abs. 2 BGB, § 56 PStV Umstände verschweigt, welche die Wirksamkeit der Anerkennung hindern, etwa bei einer bereits anderweitig bestehenden Vaterschaft (§ 1594 Abs. 2 BGB), einer fehlenden oder unwirksamen Zustimmung (§ 1595 BGB) oder einer Beurkundungssperre nach § 1597a Abs. 3 BGB. Es liegt nahe, bereits in dem Anerkenntnis selbst die Falschbehauptung wirksam begründeter Vaterschaft zu erblicken; jedenfalls ist der Betroffene zu Angaben im Zusammenhang mit der Erklärung verpflichtet (§§ 9, 10 PStG), die für die Frage der Eintragung und Beurkundung erheblich sind (vgl. §§ 5, 7 PStV), so dass eine Anerkennung in Kenntnis von Hinderungsgründen ohne deren Mitteilung den Tatvorwurf begründet. Entsprechendes gilt für unwirksame Zustimmungserklärungen bei entsprechendem Vorsatz des Zustimmenden.
66 cc) Einzelfälle. An Einzelfällen lassen sich – nicht erschöpfend – anführen: Den Tatbestand erfüllen unrichtige Angaben gegenüber dem Standesamt über den Ge67 burtszeitpunkt, -ort und die Person der Gebärenden als rechtlicher Mutter sowohl durch mitteilungspflichtige Einrichtungen als auch durch die (scheinbaren) Eltern. So liegt es etwa bei Anmeldung eines Kindes als ehelich, dessen Mutter tatsächlich die zur Zeit der Geburt unverheiratete Schwester der Ehefrau ist (BayObLG DAVorm. 1979 49).114 Fälle der Tatverwirklichung bilden auch Angaben zum Vater, die den Vorgaben der §§ 1592 ff BGB zur rechtlichen Vaterschaft widersprechen, mithin die Bezeichnung eines Mannes als Vater ohne Anerkennung, gerichtlicher Feststellung oder entgegen einer anderweitigen Vaterschaft, darunter die Anmeldung eines ehelich geborenen Kindes als unehelich, selbst wenn dies der tatsächlichen Abstammung entspricht, die Benennung eines Unbeteiligten als Vater durch die nichteheliche Mutter (RGSt 41 301, 304; RG JW 1937 1792; SSW/Wittig Rdn. 8), aber auch die Anmeldung eines nichtehelichen Kindes als ehelich unter Vorspiegelung einer tatsächlich nicht bestehenden Ehe (RGSt 2 303).115 Das Unterlassen der Anzeige der Geburt durch die nichteheliche Mutter, die heimlich ein Kind zur Welt bringt, fällt demgegenüber unter § 169 Alt. 3.116 Erfasst sind weiter falsche Mitteilungen des Personenstandes bei Anmeldung der Eheschließung (§§ 12 f PStG), soweit sie drittbezogen sind, etwa die Anmeldung unter Verschweigen einer bereits bestehenden Ehe oder eingetragenen Lebenspartnerschaft (Ritscher MK Rdn. 6), sowie unrichtige Mitteilungen über den Tod eines Menschen. Zu letzteren zählen falsche Anzeigen nach §§ 28 ff PStG (s. etwa OLG Kassel NJW 1949 518), die vorsätzlich falsche Ausstellung eines – behördlich an das Standesamt regelmäßig weiterzuleitenden (§ 38 Nr. 4 PStV) – Totenscheins oder einer Todesbescheinigung 113 Auch eine mittelbare Falschbeurkundung (§ 271) scheidet in diesen Fällen aus. Zum einen beweist die Erklärung in öffentlicher Urkunde nur die Vaterschaftsanerkennung als solche, zum anderen liegt in ihr wegen der fehlenden Voraussetzung biologischer Vaterschaft nichts materiell Unrichtiges (vgl. RGSt 70 237, 238 f; Dippel LK12 Rdn. 19). 114 Ebenso Frommel NK Rdn. 6; Lackner/Kühl/Heger/Heger Rdn. 3; nach Dippel LK12 Rdn. 28 ein Fall der Personenstandsunterdrückung, doch steht die falsche Angabe mit unrichtigen Personenstandsdaten im Vordergrund. 115 Dabei ist zu differenzieren: Legt der Täter die tatsächlichen Umstände – etwa eine bestehende Ehe und die tatsächliche Abstammung des Kindes aufgrund eines Seitensprungs – offen, und zieht er daraus nur die falsche rechtliche Schlussfolgerung – Vater sei im soeben genannten Beispiel der biologische Erzeuger –, so fehlt es nach Würdigung der Gesamtmitteilung bereits an einer falschen Angabe (s. bereits Rdn. 57). Anders liegt es dann, wenn die zugrunde liegenden Tatsachen nicht oder unrichtig mitgeteilt werden. 116 Anders wohl Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 16 (S. 166); Dippel LK12 Rdn 21. Wiedner
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II. Objektiver Tatbestand
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durch einen Arzt, die falsch erstattete Anzeige eines Sterbefalles durch den Bestatter (vgl. § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 2 PStG; aA Fritsche StAZ 46 [1993], 304), aber auch jegliche sonstige personenstandsrelevante falsche Angaben und Anzeigen aus eigenem Antrieb gegenüber dem Standesamt. Personenstandsrelevant im Todesfall und damit tatbestandlich erheblich sind auch die Personenstandsmerkmale des Verstorbenen (vgl. § 31 PStG), so etwa die Bezeichnung der Verstorbenen als Witwe statt – wie zutreffend – als wiederverheiratet (RG JW 1911 847). Tathandlungen gegenüber Gerichten in Statusverfahren bilden typischerweise falsche 68 Angaben der Verfahrensbeteiligten, welche Einfluss auf die gerichtliche Feststellung des Personenstandes haben. Diese müssen nicht durch die Parteien selbst, sondern können auch durch Zeugen oder Sachverständige erfolgen. Beispielsfälle bilden unzutreffende Behauptungen im Abstammungsprozess über die Frage des Geschlechtsverkehrs und seinen Zeitpunkt (vgl. § 1600d Abs. 2 und 3 BGB) durch die Mutter oder den (Schein-)Vater, um einen bestimmten anderen Mann als den biologischen Vater erscheinen zu lassen oder von der eigenen Person als biologischem Vater wegzulenken.117 Darunter fällt das – für § 1600d Abs. 2 BGB erhebliche – vielzitierte und -entschiedene Leugnen des Mehrverkehrs mit der Folge, dass damit zugleich der wahre Vater verschwiegen und das Kind einem anderen untergeschoben wird,118 aber auch die wahrheitswidrige Behauptung von Mehrverkehr. Tathandlungen im gerichtlichen Verfahren können auch in Einflussnahmen auf gutachterliche Tätigkeiten bestehen; im Falle eines fehlenden Erklärungswertes kommt zumindest eine Begehung nach Alt. 3 in Betracht.119 Der Angabe eines falschen Samenspenders durch den Arzt bei einer heterologen Insemination kommt im Anwendungsbereich von § 1600d Abs. 4 BGB keine Rechtserheblichkeit mehr zu, ist im Übrigen aber taugliche Tathandlung.120 Tatbestandlich sind auch Vertauschungen im Rahmen einer In-Vitro-Fertilisation und Fehlangaben hierzu im Abstammungsverfahren. Erheblich sind ferner ein falscher Antrag auf Todeserklärung (§§ 2 ff VerschG) eines in Wahrheit noch lebenden Menschen, falsche Erklärungen im Verfahren nach dem Verschollenheitsgesetz,121 sowie die falsche Benennung der in den §§ 1, 8, 9 TSG genannten Erfordernisse im dortigen gerichtlichen Verfahren (Sch/Sch/Bosch/Schittenhelm Rdn. 7). Entgegen der vorherrschenden Auffassung122 ist ausreichend auch das bewusst wahrheitswidrige einfache Bestreiten einer für ein Personenstandsmerkmal erheblichen Anknüpfungstatsache; trotz der in Statusverfahren herrschenden Amtsermittlungspflicht (vgl. § 26 FamFG) bildet die Mitwirkung der Parteien einen nicht unwesentlichen Teil der Sachverhaltsaufklärung (§ 27 FamFG), so dass bereits die Behauptung widerstreitender Tatsachen eine Erschwerung der Aufklärung und die Gefahr einer materiell falschen Entscheidung in sich birgt. Tatbestandlich ist auch die falsche Bezeichnung der in den §§ 1, 8, 9 TSG (Rdn. 20 mit Fn. 70) genannten Erfordernisse (Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 7).
117 Vgl. RGSt 41 303; Schall SK Rdn. 20; SSW/Wittig Rdn. 8; Ritscher MK Rdn. 10; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 7. 118 Vgl. RGSt 72 113, 114; RG JW 1936 2994; 1937 469; Schall SK Rdn. 21; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; Matt/Renzikowski/Kuhli Rdn. 8; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 18 (S. 167); Dippel LK12 Rdn. 21. Die Einordnung unter die Varianten von § 169 ist streitig: Nach Bosch/Schittenhelm (Sch/Schröder Rdn. 9) und König (FPR 12 [2006] 376) handelt es sich um ein Unterdrücken, während Maurach/Schroeder/Maiwald (BT 2 § 63 Rdn. 13) und Dippel (LK12 Rdn. 21) eine Falschangabe annehmen. Zutreffend dürfte ein Zusammentreffen aller drei Varianten sein, wobei die zweite hinter die speziellere erste zurücktritt. 119 Vgl. AG Berlin-Tiergarten, Urt. v. 14.2.2012 – 232 Js 3662/12, BeckRS 2013 18604: Dort hatte sich der Bruder des verfahrensbeteiligten biologischen Vaters zu dem mit der Erstattung eines Abstammungsgutachtens beauftragten Sachverständigen begeben und Blut zur Untersuchung abnehmen lassen. 120 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 7; Schall Rdn. 21; SSW/Wittig Rdn. 8; unklar Fischer Rdn. 6a und 7a; s. bereits BTDrucks. VI/3521 S. 11. 121 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 7; Schall SK Rdn. 21. 122 Fischer Rdn. 71; Frommel NK Rdn. 6; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 9; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 16. 459
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Personenstandsfälschung
Keine unwahren Angaben zum Personenstand liegen – wie bereits erörtert (Rdn. 61 f) – in einer der Rechtslage nach §§ 1591 ff BGB entsprechenden Behauptung der Vater- oder Mutterschaft, auch wenn sie nicht mit der der biologischen Abstammung übereinstimmt; dies betrifft Fälle der Anmeldung des außerehelich gezeugten Kindes als ehelich, der biologisch wahrheitswidrigen Anerkennung der Vaterschaft an einem nichtehelichen Kind und der Anmeldung der Gebärenden nach einer Ei- oder Embryonenspende als Mutter. Bereits keine „Angabe“ liegt in der Unterbreitung eines bloß irreführenden Zustandes (s. Rdn. 57).
70 dd) Ausländerrechtliche Besonderheiten. Unzutreffende Angaben zum Personenstand sind nicht selten bei Ausländern, insbesondere Asylsuchenden in dem Bemühen, durch Verschleierung ihrer Identität und Herkunft oder statusrechtliche Änderungen einen Aufenthaltstitel zu erlangen oder aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu erschweren. Sie sind im Hinblick auf § 169 weitgehend ohne tatbestandliche Erheblichkeit.123 Es ist zu differenzieren: 71 Im Asyl- oder aufenthaltsrechtlichen Verfahren sind nach §§ 7, 15 f AsylG, § 5 Abs. 1 Nr. 1a, § 49 Abs. 2 AufenthG, §§ 5a, 8 FreizügG/EU personenbezogene Daten zu erheben, die der Identifizierung einer Person dienen und – insbesondere hinsichtlich Namen, Geburtsdatum und -ort – zugleich Personenstandsmerkmale darstellen.124 Falschangaben sind bereits nach § 95 AufenthG, § 9 FreizügG/EU und – bei Drittbezug – nach § 84 AsylG strafbewehrt. Soweit hierbei nicht ohnehin – wie in der Mehrzahl einschlägiger Fälle – nur Merkmale der eigenen Person des Ausländers betroffen sind, die von vornherein tatbestandlich von § 169 nicht erfasst sind („Personenstand eines anderen“), liegt keine Personenstandsfälschung vor, weil die Adressaten unrichtiger Angaben keine mit Personenstandsfeststellungen oder -registrierungen befasste Behörden im Sinne von § 169 darstellen. Vielmehr handelt es sich bei den mit der Ausführung des AsylG betrauten Stellen (vgl. § 7 Abs. 1 AsylG) um Grenz- und Ausländerbehörden, Aufnahmeeinrichtungen und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (vgl. §§ 12 ff AsylG, insbes. § 16 Abs. 2, §§ 18, 19 AsylG), bei der Ausführung des AufenthaltsG um Ausländerbehörden, Auslandsvertretungen und Polizeibehörden (§ 71 AufenthG) und bei der Ausführung des FreizügG/ EU um die Ausländerbehörden (vgl. BVerwGE 140 72). Den Zweck dort vorgenommener Erhebungen bildet allein die Ermittlung der Identität und erforderlichenfalls anderer, für den ausländerrechtlichen Status erheblicher Merkmale.125 Eine Weiterleitung an das Standesamt erfolgt nicht; dieses wird in eigener Zuständigkeit erst befasst bei personenstandlich erheblichen Ereignissen – etwa Geburt, Eheschließung, Todesfall – im Inland oder (Nach-)Beurkundung einer Eheschließung im Ausland (vgl. § 34 PStG). Auch verwaltungsgerichtliche Verfahren, in welchen über ein Asylbegehren oder den ausländerrechtlichen Status zu befinden ist, klären die Richtigkeit von Personenstandsmerkmalen nur als Vorfrage für den ihrer Entscheidung unterliegenden Streitgegenstand, nicht aber mit Wirkung gegenüber jedermann. 72 Auch statusbezogene Erklärungen und Handlungen werden von Ausländern und sie unterstützenden Deutschen häufig allein deshalb vorgenommen, um einen Aufenthaltstitel zu erlangen. Eine Ehe, welche zu diesem Zweck eingegangen wird, ohne dass die Eheleute die Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft beabsichtigen, ist trotz der insoweit missverständlichen Bezeichnung als Scheinehe126 indes formell wirksam. Die von vornherein beabsichtigte Verletzung der Pflicht nach § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB bildet weder ein Ehehindernis (vgl. § 1314 Abs. 2 BGB, § 13 PStG), noch hindert sie eine nachträgliche Eintragung; eingeschränkt sind allein die mit der Ehe 123 So i. E. auch Schall SK Rdn. 17. 124 Vgl. Kluth/Heusch/Maor § 5 AufenthG Rdn. 5 ff; Kluth/Heusch/Sieweke § 16 AsylG Rdn. 1; nicht erfasst ist aber regelmäßig die Eheschließung, vgl. OLG Hamm NJW 2008 1240; Gericke MK § 95 AufenthG Rdn. 67.
125 Eingehend Schall SK Rdn. 17; s. auch Gericke MK § 49 AufenthG Rdn. 1; Hofmann/Bender/Leuschner AuslR § 5 AufenthG Rdn. 14; Schmidt-Sommerfeld MK § 16 AsylG Rdn. 1; Hailbronner AuslR § 16 AsylG Rdn. 8.
126 Zur Behandlung nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG vgl. BayObLGSt 2000 180 = NStZ-RR 2001 219; Gericke MK § 95 AufenthG Rdn. 112. Soweit hier eine Strafbarkeit angenommen wird, wird der Erklärung über die – zutreffende – Wiedner
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II. Objektiver Tatbestand
StGB § 169
im Regelfall verbundenen ausländerrechtlichen Vorteile (vgl. § 27 Abs. 1a AufenthG). Demgemäß sind diesbezügliche Falschangaben des Ausländers oder eines ihn unterstützenden Deutschen zur Vorbereitung der Eheschließung personenstandrechtlich unerheblich. Angaben über die geschlossene Ehe als solche sind nicht falsch, während der Umstand der ehelichen Lebensgemeinschaft kein Personenstandsmerkmal darstellt. Eine Strafbarkeit nach § 169 scheidet damit aus. Diffiziler liegt es bei einer Vaterschaftsanerkennung zu dem Zweck der Erlangung auslän- 73 derrechtlicher Vorteile. Zwar hindert die fehlende biologische Vaterschaft ebensowenig wie eine Kenntnis der Beteiligten hierüber ein wirksames Anerkenntnis. Vielmehr hat die Strafrechtsordnung die zivilrechtlich begründete Vaterschaft grundsätzlich nachzuvollziehen; dies gilt insbesondere für die personenstandsrechtlich akzessorische Vorschrift des § 169 (s. bereits Rdn. 61; s. auch BTDrucks. VI/3521 S. 10 f).127 § 1597a BGB spricht nunmehr allerdings ein Verbot der missbräuchlichen Anerkenntnis der Vaterschaft zum Zweck der erlaubten Einreise oder des erlaubten Aufenthaltes von Kind, Mutter oder Anerkennendem aus. Die durch das Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 20.7.2017 (BGBl. I 278)128 eingefügte Vorschrift zielt zusammen mit dem ebenfalls eingefügten § 85a AufenthG durch ein Vorabinformationsverfahren der beteiligten Behörden und ein Beurkundungshindernis darauf ab, schon im Vorfeld zu verhindern, dass es zu einer wirksamen Vaterschaftsanerkennung mit daran anknüpfenden statusrechtlichen Folgen kommt.129 In strafrechtlicher Hinsicht gilt hiernach, dass die Abgabe einer erstmaligen Vaterschaftsanerkennung – sei es unmittelbar gegenüber dem Standesamt (§ 44 PStG) oder durch Weiterleitung an dieses – tatbestandslos bleibt, auch wenn sie in einer von § 1597a BGB missbilligten Absicht erfolgt. Denn § 1597a BGB auferlegt es der beurkundenden Stelle und nachfolgend der Ausländerbehörde, ein Beurkundungshindernis festzustellen, ohne dass der Erklärung selbst bereits nach § 1598 BGB Unwirksamkeit zukommt. Dies gilt auch für bewusst wahrheitswidrige Angaben des Anerkennenden im dortigen Verwaltungs- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahren, denn diese haben nur mittelbare Erheblichkeit für die personenstandsrechtliche Frage130 und erfolgen nicht gegenüber einem nach § 169 tauglichen Adressaten. Anders dürfte es bei einer in – dem Anerkennenden nach § 1597a Abs. 2 Satz 3 BGB vermittelten – Kenntnis der Beurkundungsaussetzung oder -ablehnung wiederholten Erklärung der Anerkennung gegenüber einer anderen beurkundenden Stelle liegen. Diese Erklärung ist nach § 1598 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam; damit wird das Standesamt, an das die Erklärung
Mitteilung, verheiratet zu sei, die Falschangabe beigemessen, die eheliche Lebensgemeinschaft eingehen zu wollen, vgl. OLG Frankfurt NStZ 1993 394; BayObLG NStZ 1990 187; Huber/Hörich AufenthG § 95 Rn. 241 ff. Für § 169 ist dies ohne Belang. 127 Für § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG ist die Frage umstritten: Vertreten wird teilweise, dass die Anerkennung der Vaterschaft durch den biologischen Scheinvater oder die Berufung darauf durch die ausländische Mutter eine unrichtige Angabe im Sinne von § 95 Abs. 2 Nr. 2 darstelle (LG Düsseldorf NJW 2008 388; LG Hildesheim, Beschl. v. 18.11.2005 – 12 Qs 73/05 = NStZ 2006 360 [Ls.]; LG Verden, NStZ-RR 2006 246; Erbs/Kohlhaas/Senge § 95 AufenthG Rn. 57; Gericke MK § 95 AufenthG Rdn. 113; Hailbronner AuslR § 95 AufenthG Rdn. 113), während die – vorzugswürdige– Gegenauffassung auf die zivilrechtliche Wirksamkeit der Anerkennung und die damit einhergehende Richtigkeit der Angabe verweist (OLG Hamm NJW 2008 1240; AG Nienburg NStZ 2006 531; AG Cottbus NStZ-RR 2005 217; Hohoff BeckOK-AuslR, § 95 AufenthG Rdn. 94; Huber/Hörich AufenthG § 95 Rdn. 246 ff). 128 Materialien: BTDrucks. 18/12415, 18/11546, 18/11654. 129 Wellenhofer MK § 1597a BGB Rdn. 1; Hörich/Tewocht NVwZ 2017 1153. Mit gleicher Zielsetzung war bereits mit Wirkung vom 1.6.2008 durch das Gesetz zur Ergänzung des Rechts zur Anfechtung der Vaterschaft vom 13. März 2008 (BGBl. I 313) in § 1600 Abs. Nr. 5 BGB ein behördliches Anfechtungsrecht eingeführt worden; das Bundesverfassungsgericht hatte diese Regelung durch Beschluss vom 17.12.2013 2013 (BVerfGE 135 48) wegen Verstoßes gegen Art. 16 Abs. 1, Art. 6 Abs. 2 S. 1 und Art. 2 GG für verfassungswidrig und nichtig erklärt. 130 Festgestellt wird nicht unmittelbar die Wirksamkeit des Anerkenntnisses oder gar die Vaterschaft, sondern die Vorfrage der Beurkundungsfähigkeit der Anerkennung, vgl. § 1597a Abs. 2 Satz 4 BGB. Für eine fehlende Strafbarkeit unter Geltung des alten Rechts auch OLG Hamm NJW 2008 1240; ebenso für die zwischenzeitliche Rechtslage bei behördlicher Anfechtbarkeit Ritscher MK Rdn. 30 f, sowie Huber/Hörich AufenthG § 95 Rdn. 248 für die Zeit nach der Nichtigkeitserklärung durch BVerfGE 135 48. 461
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Personenstandsfälschung
zumindest weitergeleitet wird, über das Vorliegen einer wirksamen, eintragungsfähigen Anerkennung und damit einer abstammungserheblichen Tatsache bezüglich des betroffenen Kindes getäuscht. Entsprechendes gilt für Zustimmungserklärungen der Mutter nach § 1597a Abs. 4, § 1598 Abs. 1 Satz 2 BGB.
74 ee) Falsche Angaben durch Unterlassen. sind im Hinblick auf den möglichen Erklärungswert einer Untätigkeit zwar theoretisch denkbar, werden jedoch vorrangig von der Tatvariante des Unterdrückens, welche Handlungsformen des Verschweigens sowohl im Hinblick auf den bloßen Verstoß gegen eine Äußerungspflicht als auch bei einem dem Unterlassen beizulegenden Erklärungsgehalt erfasst.131 Auch das Unterlassen einer Berichtigung der falschen Mitteilung eines Bevollmächtigten ist als Unterdrückung einer falschen Angabe des Personenstandes einzuordnen (Dippel LK12 Rdn. 18).
d) Unterdrücken (Alt. 3) 75 aa) Begriff. Die dritte Tatbestandsalternative erfasst sonstige auf Verfälschungen des Personenstands gerichtete Handlungen. Neben dem hauptsächlichen Anwendungsbereich unterbliebener Mitteilungen stellt sie sich als Auffangtatbestand neben den Alt. 1 und 2 der Vorschrift dar.132 Nach seiner allgemeinen Wortbedeutung beschreibt „Unterdrücken“ eine Handlung, durch die bestimmte Umstände zurückge- oder vorenthalten, jedenfalls nicht offenbart werden, oder durch die aktiv verhindert wird, dass sie nach außen dringen und bekannt werden.133 Ein darüber hinausreichendes Verständnis, das auch aktive Manipulationen von Tatsachen einschließt, ist allerdings möglich und für § 169 verbreitet. Nach der auf das Reichsgericht zurückgehenden und noch immer weithin akzeptierten Definition bildet das „Unterdrücken“ personenstandsrelevanter Merkmale die „Herbeiführung eines tatsächlichen Zustandes, vermöge dessen verhindert oder wesentlich erschwert wird, dass das wirklich vorhandene familienrechtliche Verhältnis einer Person zur praktischen Geltung gelangt“.134 Eine derartige, nicht unrichtige Begriffsbestimmung ist durch ihre weit gehaltene Fassung zur Eingrenzung des Anwendungsbereiches indes nur bedingt geeignet; den Besonderheiten der Tatbestandsalternative, die in einer eher passivischen Begehung der Tat liege, wird sie nicht gerecht. Den Vorzug zu geben ist daher der auf Schall (SK Rdn. 25) zurückgehenden, auf die für die Alt. 3 maßgeblichen Fälle bezogenen Formulierung, wonach das Unterdrücken besteht in einer Beeinträchtigung der behördlichen Personenstandsfeststellung durch pflichtwidriges Vorenthalten personenstandsrelevanter Tatsachen oder irreführender Manipulation gegenüber einer Behörde.135 Betont werden hierdurch die für die Tatvariante typischen Fälle einer Tatbegehung durch Unterlassen in Gestalt der Nichterfüllung einer Anzeigepflicht, ohne Tathandlungen durch aktives Tun auszuschließen.
131 I.E. ebenso Schall SK Rdn. 22; Matt/Renzikowski/Kuhli 14; Fischer Rdn. 7; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 16 (S. 166); Dippel LK12 Rdn. 18, 23. S. näher Rdn. 75 ff. 132 Ritscher MK Rdn. 11; SSW/Wittig Rdn. 10; Fischer Rdn. 7; Schall SK Rdn. 24. 133 Duden, 28. Aufl.; Brockhaus, Wörterbuch, 21. Aufl. Sie ist daher eher nicht darauf gerichtet, einen tatsächlichen Zustand – ein bestimmtes Personenstandsmerkmal – zu verändern, als vielmehr, eine Änderung zu verhindern; ähnlich Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 16 (S. 166); Baumann StAZ 1958 225, 228; s. auch Schall SK Rdn. 24 f. 134 RGSt 39 252, 255; 41 301, 304; 77 51, 52; so verkürzt auch Fischer Rdn. 7; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 8; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; Frommel NK Rdn. 6; SSW/Wittig Rdn. 10; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 15 (S. 166). Auf die Auffangwirkung stellt maßgeblich ab Ritscher MK Rdn. 11, demzufolge der Tatbestand anders als durch falsche Angaben erfüllt sein muss. 135 Zustimmend bereits Dippel LK12 Rdn. 23. Wiedner
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II. Objektiver Tatbestand
StGB § 169
Eine Täuschung der Behörde ist nicht erforderlich (vgl. RGSt 22 283). Das Unterdrücken 76 führt als Taterfolg eine Gefährdungslage dahingehend herbei, dass die Behörde die richtige personenstandsrechtliche Lage nicht zu erkennen droht, weil sie über die tatsächliche Lage oder deren Veränderung uninformiert bleibt. Dagegen ist ein Verhinderungserfolg in dem Sinne, dass es tatsächlich zu einer unrichtigen Feststellung des Personenstandes kommt, nicht erforderlich. Erkennt die Behörde die wahre Sachlage, weil sie etwa anderweitig darüber informiert wird, ist der Tatbestand gleichwohl verwirklicht.136 In den eher atypischen Fällen aktiven Tuns führt der Täter aktiv eine tatsächliche Lage herbei, aus der die Behörde unrichtige Schlüsse zieht oder zu ziehen droht (vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 15).
bb) Taugliche Adressaten der Tathandlung sind wie für die 2. Alt. eine entweder zur Führung 77 von Personenstandsregistern oder zur Feststellung des Personenstandes zuständige Behörde, mithin das Standesamt oder ein Gericht im Rahmen eines Statusverfahren; auf die obigen Ausführungen kann verwiesen werden (Rdn. 51 ff). Da die Tathandlung anders als bei der 2. Alt. nicht in der Abgabe einer Erklärung besteht, kann auf die hierzu geltenden Grundsätze nur in den Fällen einer manipulierten Tatsachenlage oder sonstiger zur Kenntnisnahme bestimmter Handlungen zurückgegriffen werden; maßgeblich ist insoweit, dass die Handlung mit Zielrichtung auf einen tauglichen Adressaten ausgeführt ist und sie in seinen Wahrnehmungsbereich gelangt, so dass er sie zur Kenntnis nehmen kann (vgl. Rdn. 57). In den bedeutsameren Fällen der pflichtwidrigen Vorenthaltung von Tatsachen folgt die Adressatenstellung aus der Offenbarungspflicht; der Täter muss gerade gegenüber einer nach § 169 zuständigen Behörde zur Mitteilung verpflichtet sein (Schall SK Rdn. 23). Verschweigt er etwa personenstandsrelevante Umstände gegenüber Polizei, Ordnungsbehörden oder dem Finanzamt, gereicht ihm dies auch bei einer nach den einschlägigen Spezialgesetzen bestehenden Offenbarungspflicht nicht zu einem Tatvorwurf nach § 169. Ebenso verhält es sich bei unterbliebenen Angaben in gerichtlichen Verfahren, die nicht die Klärung von Statusfragen zum Gegenstand haben; mag auch die prozessuale Wahrheitspflicht oder die Pflicht zu wahrheitsgemäßer und vollständiger Zeugenaussage eine Mitteilung gebieten, verbleibt es hier bei einer eventuellen anderweitigen Strafbarkeit etwa nach den § 263, §§ 153 ff. Die Unrichtigkeit des personenstandlichen Verhältnisses, auf die auch die Tathandlung 78 nach Alt. 3 gerichtet sein muss, bestimmt sich gleichfalls wie nach Alt. 2. Insbesondere für ein Vorenthalten reicht es aus, dass ein Personenstandsmerkmal nicht oder nicht rechtzeitig erfasst wird, die Feststellung etwa im Statusprozess erschwert oder fehlerhaft getroffen wird, oder die Eintragung einer neuen Tatsache oder Änderung eines bestehenden Merkmals im Personenstandsregister vereitelt oder verzögert wird. Hypothetisch ist insoweit zu prüfen, ob die Mitteilung von rechtlicher und tatsächlicher Erheblichkeit für die zu treffende Feststellung gewesen wäre.137
cc) Tathandlungen. Als Tathandlungen kommen insbesondere in Betracht:
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(1) Positives Tun. Als positives Tun sind erfasst Handlungen ohne Erklärungswert – sonst: 80 Anwendbarkeit von Alt. 2 auch bei konkludenten Erklärungen – wie insbesondere die Herbeiführung einer irreführenden Tatsachenlage. Beispiele bilden die Fälschung von Urkunden 136 Schramm Ehe und Familie im Strafrecht, S. 318. 137 Es gilt auch hier der zivilrechtlich vorgeprägte Maßstab: Beispielsweise ist bei Anmeldung eines ehelich geborenen Kindes als ein solches des Ehemannes die – unterbliebene – Mitteilung unerheblich, dass das Kind biologisch von einem anderen Mann abstammt; im Vaterschaftsanfechtungsverfahren kommt diesem Umstand demgegenüber maßgebliche Bedeutung zu. 463
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§ 169 StGB
Personenstandsfälschung
mit personenstandsrelevanten Anknüpfungstatsachen in dem Wissen, dass diese – ggf. gefördert durch den Täter – der Behörde zur Kenntnis gelangen, die Ausstattung eines Toten oder Säuglings mit falschen Papieren (vgl. Rdn. 67), das Aussetzen eines Kindes (s. Rdn. 87) oder tatsächliche Manipulationen in einem gerichtlichen Verfahren (s. sogleich Rdn. 81 ff). Das Vertauschen oder durch anderweitige tatsächliche Handlungen bewirkte Verfälschen der Abstammung eines Kindes wird dabei allerdings speziell von der ersten Tatbestandsalternative erfasst. Kommt dem Schweigen eines Mitteilungspflichtigen ausnahmsweise Erklärungswert – etwa in einer bestimmten gerichtlichen Vernehmungssituation – zu, ist die Variante des Unterdrückens gegenüber jener der falschen Angaben spezieller; die Abgrenzung ist hier aber letztlich akademischer Natur. Auch zur Verschleierung des Personenstandes führende Handlungen innerhalb der zuständigen Behörden fallen – mangels Möglichkeit einer behördengerichteten Angabe – unter Alt. 3, etwa vorsätzliche Falscheintragungen eines Standesbeamten. 81 Das Leugnen oder Bestreiten in einem Statusprozess fällt als unrichtige Angabe mit Erklärungswert unter Alt. 2 (vgl. dort Rdn. 68; anders Ritscher MK Rdn. 12). Manipulationen wie das Vertauschen einer Blut-, Haar- oder Speichelprobe oder die Täuschung eines Sachverständigen durch Personenaustausch138 sind Fälle der Alt. 3, sofern sie nicht mit – auch konkludenten – Erklärungen einhergehen und sich als personenstandsrelevante unrichtige Angaben darstellen. Beim Aussetzen eines bislang unangemeldeten Neugeborenen ohne Angaben zur Herkunft steht für § 169 nicht die Handlung des Aussetzens im Vordergrund, sondern das damit einhergehende Unterlassen der für die Eltern nach §§ 18, 19 PStG vorgeschriebenen Geburtsanzeige, weil allein hieran der tatbestandliche Erfolg und Vorwurf anknüpfen.139 Hierzu und zu Fällen anonymer Geburt nachfolgend Rdn. 87 ff.
82 (2) Unterlassen. Bedeutender und als für die 3. Tatalternative typisch stellen sich Fälle des Unterlassens dar, in welchen der Täter einer Pflicht zur Offenbarung personenstandsrelevanter Daten gegenüber der zuständigen Behörde nicht nachkommt. § 169 Alt. 3 bildet in diesen Konstellationen entgegen der herrschenden Auffassung, die eine unechte Unterlassung i. S. v. § 13 annimmt und eine Garantenpflicht aus der jeweiligen Anzeigepflicht herleitet,140 ein echtes Unterlassungsdelikt. Denn nicht nur begrifflich, sondern auch nach der Deliktsstruktur und dem Normzweck sind Pflichtverletzungen durch unterbliebene Mitteilungen entgegen personenstandsrechtlicher Vorgaben von der Vorschrift originär umfasst (sog. Pflichtverletzungsdelikt, vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2, § 63 Rdn. 16, S. 166). § 13 findet daher keine Anwendung,141 zumal durch die Eingrenzung des Täterkreises durch persönlich verbundene oder beruflich verpflichtete Personen zu einer Privilegierung gegenüber dem Begehungstäter kein Anlass besteht.142 138 Vgl. OLG Oldenburg Nds.Rpfl. 1951 37; AG Berlin-Tiergarten BeckRS 2013 18604; Matt/Renzikowski/Kuhli Rdn. 9; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 9; Schall SK Rdn. 27. 139 Ritscher MK Rdn. 13; Schall SK Rdn. 27; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 18; Dippel LK12 Rdn. 25. Dass der Finder das Kind – zutreffend – als Findelkind nach § 24 PStG anzuzeigen hat, führt entgegen Frommel (NK Rdn. 6) in der Konstellation unterbliebener Anzeige nicht zu mittelbarer Täterschaft, denn der Finder handelt aufgrund eigener Verpflichtung ohne Wissensdefizit, und begründet oder vertieft nicht die Tat des Aussetzenden. 140 Ritscher MK Rdn. 13; Lackner/Kühl/Heger/Heger Rdn. 3; Matt/Renzikowski/Kuhli Rdn. 14; Frommel NK Rdn. 6; SSW/Wittig Rdn 10; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 9; Neuheuser NStZ 2001 175, 177; Franke/Helms FamRZ 2001 1341; Mittenzwei ZfL 9 (2000) 40; Schramm, Ehe und Familie im Strafrecht S. 318; wohl auch Fischer Rdn. 7a. 141 Wie hier Schall SK Rdn. 26; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 16; Dippel LK12 Rdn. 23; s. auch Baumann StAZ 1958 225, 228. Dass solches – wie Schall (SK Rdn. 26; zustimmend Dippel LK12 Rdn. 23) eingehend begründet – auch daraus folgt, dass die Handlungspflicht nur gegenüber einer Behörde besteht, damit eine mit dem Schutzzweck und dem Pflichtgehalt nicht korrespondierende Garantenstellung bestünde, erscheint indes nicht zwingend; denn die gegenüber der Behörde bestehende Informationspflicht vermittelt zugleich den Schutz von Allgemeinheit und individuell Betroffenem. 142 Schall SK Rdn. 26; zweifelhaft könnte dies allenfalls hinsichtlich der „Jedermannspflichten“ der § 19 S. 1 Nr. 2, § 24 Abs. 1, § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 PStG sein, die allerdings nur subsidiär eingreifen (§ 19 S. 2, § 29 Abs. 1 S. 2 PStG) Wiedner
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II. Objektiver Tatbestand
StGB § 169
Taugliche Täter sind sämtliche Adressaten von Mitteilungs- und Offenlegungspflichten 83 im Hinblick auf Personenstandsmerkmale. Dies gilt für anzeigepflichtige Personen oder Einrichtungen143 nach § 10 Abs. 1 PStG, insbesondere hinsichtlich einer Geburt (§§ 18 ff, 24 PStG)144 und eines Sterbefalles (§§ 28 ff PStG), aber auch für das Verschweigen einzelner Merkmale wie einer Vorverheiratung bei Anmeldung der Eheschließung (§ 12 PStG). Die Anzeigepflicht erstreckt sich auf alle Angaben, die zur Beurkundung im Geburts- oder Sterberegister erforderlich und dem Pflichtigen zugänglich sind (vgl. Erbs/Kohlhaas/Wache § 18 PStG Nr. 1); die Fristen, bis zu deren Ablauf die Anzeige zu erstatten ist, ergeben sich aus den gesetzlichen Bestimmungen (§§ 18, 24, 28 PStG). Soweit das PStG durch „Jedermannspflichten“ auch privaten Dritten, die zuvor ohne Verbindung zu und Verantwortung gegenüber den von dem Personenstandsfall betroffenen Personen waren, Mitteilungspflichten auferlegt (s. insbes. § 19 S. 1 Nr. 2, § 24 Abs. 1, § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 PStG), rechtfertigt sich deren Strafbewehrung aufgrund der für jedermann ersichtlichen Bedeutung des anzeigepflichtigen, existentielle Lebensvorgänge betreffenden Sachverhaltes. Wegen der Unbestimmtheit des Adressatenkreises lässt sich dagegen nach der Generalklausel des § 10 Abs. 2 PStG eine im Verletzungsfall strafbewehrte Mitteilungspflicht nicht herleiten. Auch sonst fällt das Verschweigen von Änderungen eines Personenstandsmerkmals, das etwa nach § 27 PStG erheblich ist, aber nicht von einer normierten Anzeigepflicht positiv erfasst ist, nicht unter ein Unterdrücken i. S. v. § 169. Eine Ausnahme gilt unter dem Gesichtspunkt der Ingerenz, wenn dem Mitteilungspflichtigen nachträglich die Fehlerhaftigkeit einer bereits getätigten Angabe zur Kenntnis gelangt (etwa ein versehentlich falsch angegebener Geburtstag). Anerkannt ist daher auch, dass die unterbliebene Berichtigung eines Antrages auf Todeserklärung eine Personenstandsunterdrückung darstellt, falls der Antragsteller nachträglich erfährt, dass der Totgeglaubte noch lebt.145 Die für die Ursprungsmeldung geltenden Fristen lassen sich für die obliegende Berichtigung entsprechend heranziehen. Soweit prozessuale Zeugnis- oder Mitteilungsverweigerungsrechte bestehen, ist die Pflicht zur Aussage im Statusprozess, aber auch zur nicht-gerichtlichen Mitteilung suspendiert (s. nachfolgend Rdn. 84). Auch prozessuale Wahrheitspflichten, welche immer auch die Pflicht zu vollständigen 84 Angaben umfassen, sind von Alt. 3 umfasst. Wer im Statusprozess entgegen seiner Mitwirkungspflicht als Beteiligter, entgegen seiner Pflicht zur wahrheitsgemäßen Aussage als Zeuge oder entgegen seiner Pflicht zur richtigen Erstattung seines Gutachtens als Sachverständiger personenstandsrelevante Tatsachen verschweigt, unterdrückt sie in strafbarer Weise. Derartige prozessuale Offenbarungspflichten sind indes eingeschränkt durch Zeugnisverweigerungsrechte oder die Berechtigung, Tatsachen aufgrund höherrangiger Rechte nicht preiszugeben. Zeugnisverweigerungsrechte kommen in Betracht aus § 383 Abs. 1 Nr. 3 und 6, § 384 Nr. 2 ZPO i. V. m. § 30 Abs. 1 FamFG. Dem reproduktionsmedizinischen Arzt kommt, so er nicht von der Schweigepflicht befreit wurde, daher das Verweigerungsrecht nach § 381 Abs. 1 Nr. 6 ZPO, § 30 Abs. 1 FamFG zu; gegenüber dem Standesamt ist er bereits vom Pflichtenkreis nach §§ 18 ff PStG nicht umfasst. Insbesondere in den Fällen einer heterologen Insemination wird eine Offenbarungspflicht mangels einer Befreiung von der Schweigepflicht durch die Mutter und den Samenspender
und aufgrund der Anwesenheit bei und Kenntnis von den existentiellen Ereignissen der Geburt und des Todes in angemessener Weise eine strafbewehrte Handlungspflicht begründen (vgl. nachfolgend Rdn. 87 ff). Grenzfälle lassen sich anderweitig ausscheiden, etwa bei verantwortlicher (Mit-)Verursachung des Todesfalles oder der Befürchtung einer diesbezüglichen Strafverfolgung durch eine Pflichtsuspendierung infolge der Selbstbelastungsfreiheit. 143 Eine Zurechnung erfolgt hier nach allgemeinen Merkmalen gem. § 14. 144 Anzeigepflichtige Personen und Einrichtungen neben den Eltern sind hiernach insbesondere Krankenhausmitarbeiter und Geburtshelfer. Nach § 20 PStG ist verpflichtet der Träger der Einrichtung, so dass bei Verletzung die nach § 14 verantwortlichen Personen strafrechtlich haften; nach § 19 S. 1 Nr. 2 sind ferner verpflichtet – indes nach § 19 S. 2 subsidiär hinter den nicht-verhinderten Eltern, die unmittelbar beteiligten Geburtshelfer (vgl. Erbs/Kohlhaas § 19 PStG Nr. 2). 145 OLG Kassel NJW 1949 518; Schall SK Rdn. 27; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; Dippel LK12 Rdn. 28. 465
Wiedner
§ 169 StGB
Personenstandsfälschung
als betroffenem biologischen Vater regelmäßig ausscheiden.146 Keine Unterdrückung des Personenstandes bildet demgemäß auch das Schweigen der nichtehelichen Mutter über den Vater des Kindes. Zur Angabe des Mannes, mit dem sie Geschlechtsverkehr hatte, und der deshalb als biologischer Vater in Betracht kommt, ist die Mutter weder nach §§ 18 f PStG noch als Beteiligte im Statusverfahren verpflichtet, da ihr dort die Zeugnisverweigerungsrechte nach § 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO und § 384 Nr. 2 ZPO zur Seite stehen.147 Dies gilt unabhängig von dem anderweitig bestehenden Recht des Kindes auf Offenbarung seiner genetischen Herkunft, das gegenüber der Mutter indes nicht in einem Statusverfahren durchzusetzen ist.148 Keine Personenstandsunterdrückung bildet es daher, wenn die Mutter im Abstammungsverfahren auf die Frage nach dem Vater des Kindes schweigt, ihn nicht zu kennen behauptet oder die Vaterschaft schlicht leugnet.149 Soweit sie wahrheitswidrig einen Mehrverkehr angibt, kommt es darauf an, ob sie damit den Verdacht der Vaterschaft auf einen konkreten Unbeteiligten lenkt; bejahendenfalls dürften wie im Fall wahrheitswidrigen substantiierten Bestreitens der Vaterschaft eines bestimmten Mannes die Grenzen qualifizierten, noch von der Aussagefreiheit gedeckten Schweigens überschritten sein und eine Strafbarkeit – allerdings in Form falscher Angaben nach Alt. 2 – in Betracht kommen.150 Kein Fall des Unterdrückens personenstandsrelevanter Angaben bildet das fehlende Ge85 brauchmachen von statusrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten, die dem Betroffenen offenstehen, ohne dass er sie ergreifen muss. So führt die Nichtanfechtung der Vaterschaft nach §§ 1599 ff BGB ebenso wenig wie eine unterbliebene Vaterschaftsanerkennung nach §§ 1594 ff BGB oder ein fehlender Antrag auf Vaterschaftsfeststellung nach § 1600d BGB zu einer personenstandsrechtlich „falschen“ Lage, auch wenn das Kind dadurch ohne Vater im Rechtssinne 146 So bereits die gesetzgeberische Intention, vgl. BTDrucks. VI/3521 S. 11; ebenso die – soweit ersichtlich – allg. Auffassung im Schrifttum, s. Fischer Rdn. 7a; Schall SK Rdn. 28 mit Fn. 88; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; Maurach/ Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 16; Ritscher MK Rdn. 13; Frommel NK Rdn. 6; SSW/Wittig Rdn. 11; Sch/Schröder/ Bosch/Schittenhelm Rdn. 9; Matt/Renzikowski/Kuhli Rdn. 9; Dippel LK12 Rdn. 29; zweifelnd unter dem Gesichtspunkt des Rechtes des Kindes an seiner genetischen Herkunft Hanack JZ 1974 1, 2. Anders liegt es bei – Alt. 2 unterfallenden – vorsätzlichen Fehlangaben des Arztes über die Person des Spenders. 147 Vgl. BTDrucks. VI/3521 S. 11 f; BTDrucks. VI/1552 S. 11 f; Schall SK Rdn. 29; SSW/Wittig Rdn. 11; Lackner/Kühl/ Heger Rdn. 3; Fischer Rdn. 7a; Maurach/Schroder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 20; Ritscher MK Rdn. 13; Sch/Schröder/ Bosch/Schittenhelm Rdn. 9; Dippel LK12 Rdn. 29; Maier MDR 1971 883; Baumann FamRZ 1957 236; ders. FS Kaufmann 539; Schmidhäuser BT 13/4; Blei BT § 37 II 2. Anders noch Teile der früheren Rspr. unter Geltung von § 169 a. F. und anderer prozessualer Auslegung, insbes. RGSt 72 215; RGZ 169 48. S. andererseits bereits BGH MDR 1959 110; BayObLG FamRZ 1963 527; OLG Celle NdsRpfl. 22 (1968) 282. Zur historischen Entwicklung vgl. Frank/Helms FamRZ 1997 1258; Baumann FamRZ 1957 234; Maier MDR 1971 883; Brüggemann Intimsphäre und außereheliche Elternschaft (1964), S. 34 ff; Dippel LK12 Rdn 29. 148 Ein solches Recht ist als Ausdruck der Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 und Art 6 GG anerkannt (vgl. BVerfGE 79 256, 268; 96 56, 63; 108 82, 105) und zunächst durch das Antragsrecht im Verfahren nach § 1600d BGB und den Anspruch nach § 1598a BGB gewährleistet. Ohne Offenbarung der Person des möglichen Vaters durch die Mutter vermag das Kind indes auf diese Rechte nicht zurückzugreifen. Im Verhältnis zur Mutter wird in Ermangelung einer gesetzlichen Regelung (vgl. BT-Drs. 13/4899 S. 166; Weber FamRZ 1996 1254; Frank/Helms FamRZ 1997 1258) ein in Abwägung zwischen den Persönlichkeitsrechten der Mutter und des Kindes zu gewährender Auskunftsanspruch aus § 1618a BGB hergeleitet (vgl. BVerfG NJW 1988 3010; NJW 1997 1769; OLG Hamm FamRZ 1991 1229; Schmidt NZFam 2017 881, 882; zusammenfassend Wellenhofer MK BGB § 1598a Rdn. 46 ff). Ein auf seiner Grundlage angestrengtes gerichtliches Auskunftsverfahren (s. hierzu Wellenhofer MK § 1598a Rdn. 49) bildet allerdings kein personenstandsrechtlich erhebliches Statusverfahren vor einer Behörde i. S. v. § 169, sondern vermag ein solches nur vorzubereiten. 149 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 9; Schall SK Rdn. 29; Matt/Renzikowski/Kuhli Rdn. 9; SSW/Wittig Rdn. 11; Dippel LK12 Rdn. 29; Roxin FS Engisch 380, 402. 150 Anders – auch insoweit Straffreiheit annehmend – wohl Schall SK Rdn. 29; Matt/Renzikowski/Kuhli Rdn. 9; Roxin FS Engisch 380, 401 f; Dippel LK12 Rdn. 29; s. auch RGSt 70 18. Allerdings geht ein derartiges Verhalten über die passive Informationsverweigerung deutlich hinaus und trägt aktiv zur Gefahr einer falschen Ermittlung des Personenstandes bei. Wiedner
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II. Objektiver Tatbestand
StGB § 169
oder seine biologische Abstammung ungeklärt bleibt, oder wenn die bestehende (rechtliche) Vaterschaft dauerhaft von der biologischen Abstammung abweicht, da das Recht einen solchen Zustand hinnimmt und nicht als unzutreffenden Personenstand bewertet.151 Entsprechendes gilt für unterbliebene Anträge nach dem VerschG oder TSG.
dd) Sonderfälle: Aussetzen eines Neugeborenen, anonyme und vertrauliche Geburt. 86 Vielbehandelt als mögliche Personenstandsunterdrückung sind die – auch praktisch bedeutsamen – Fälle des Ablegens eines Kindes in der Öffentlichkeit in Erwartung baldigen Fundes oder in eigens hierfür vorgehaltenen sogenannten „Babyklappen“, sowie Geburten unter fehlender Offenlegung der Identität der Mutter und damit auch des Kindes.
(1) Aussetzen eines ungewollten Kindes. Die „klassische“ Grundkonstellation der Weg- 87 gabe eines ungewollten und deshalb nicht angemeldeten Neugeborenen152 bildet das Aussetzen an einer Stelle, die entweder öffentlich zugänglich und frequentiert ist (etwa Kaufhaus, Bahnhof, Rathaus), oder institutionell als erhoffter Hilfeleister für das Kind besonders in Betracht kommt (Kirche, Krankenhaus, karitative Einrichtung).153 Täter ist meist die uneheliche Mutter. Diese führt zwar bereits durch das Ablegen, Sich-Entfernen und die damit einhergehende Anonymisierung des Kindes aktiv einen Zustand herbei, durch den der Personenstand des Kindes verschleiert wird. Im Vordergrund des Tatvorwurfes und der Tatbegehung gegenüber einer Behörde i. S. v. § 169 liegt allerdings ihre Pflichtenstellung nach §§ 18, 19 Abs. 1 Nr. 1 PStG, so dass sich die unterbliebene Anzeige der Geburt gegenüber dem Standesamt als maßgebliche Tathandlung darstellt und ein Fall der Personenstandsunterdrückung durch Unterlassen vorliegt.154 Tateinheitlich kann eine Aussetzung nach § 221 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 (vgl. Fn. 153 sowie Rdn. 107), eine Unterhaltspflichtverletzung nach § 170 (vgl. § 170 Rdn. 226) oder eine Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht nach § 171 erfüllt sein (s. aber § 171 Fn. 133).155 Die Tat kann freilich auch verwirklicht werden durch Ablegen eines schon angemeldeten 88 Kindes. Die Tathandlung liegt dann in einem Tun, weil durch das Ablegen des Kindes ohne Identifikationsmerkmale die Zuordnung zu seinen Personenstandsdaten zumindest wesentlich erschwert wird. Sie ist auch gegenüber einer nach § 169 tauglichen Behörde, namentlich dem 151 Vgl. Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 9; Schall SK Rdn. 29; Dippel LK12 Rdn. 29. 152 S. bereits RG LZ 10 [1916] 330. Gesetzesgeschichtlich sollte die Konstellation im E 62 von einem eigenen Tatbestand des „Verlassens eines Kindes“ erfasst werden (Begr. S. 351 f); in den Beratungen zum 4. StrRG ist sie als möglicher Fall der Personenstandsfälschung kontrovers diskutiert worden (vgl. Prot. VI/34, S. 1238; VI/71, S. 2028 ff, 2106; Dippel LK12 Rdn. 25). 153 „Aussetzen“ ist hier untechnisch und in tatsächlicher Hinsicht zu verstehen im Gegensatz zur strafrechtlichen Aussetzung i. S. v. § 221. Hinsichtlich dieses Tatbestandes wird es bei Ablage eines Säuglings in belebter Umgebung häufig bereits an einer konkreten Gefahr nach § 221 Abs. 1 fehlen. Allerdings kommt es immer auf eine Einzelfallbewertung an, ob mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass dem Kind Hilfe zuteil wird, oder ob dies letztlich vom Zufall abhängt (vgl. RGSt 7, 111; Laufhütte § 221 Rdn. 66; dann Tateinheit zu § 169). Bei versuchter oder vollendeter Tötung des Kindes durch Ablegen in unbelebter Umgebung oder durch unmittelbare Verletzungshandlungen tritt § 169 zurück, vgl. Rdn. 107. 154 So die ganz h. M., Ritscher MK Rdn. 13 und 21 (zur „Babyklappe“); Schall SK Rdn. 27; Maurach/Schroeder/ Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 18; Schramm, Ehe und Familie im Strafrecht, S. 322 (zur „Babyklappe“); Dippel LK12 Rn. 25; s. auch LG Köln NJW 2002 909. Eines Rückgriffes auf eine mittelbare Täterschaft über § 24 PStG (vgl. Frommel NK Rdn. 6) bedarf es in dieser Fallkonstellation nicht (s. aber nachfolgend Rdn. 88). Soweit Mittenzwei (FS Wacke 327, 337) eine Anzeigepflicht der Mutter in Fällen einer (behauptet) fehlenden Anzeigepflicht aufnehmender Einrichtungen verneint, geht dies an den gesetzlichen Bestimmungen vorbei. 155 Aus Sicht der h. M., welche im „Unterdrücken“ in den Fällen der Verletzung einer Anzeigepflicht ein unechtes Unterlassungsdelikt sieht, käme in solchen Fällen die Anwendung von § 13 kaum noch in Betracht, vgl. Dippel LK12 Rdn. 25. 467
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§ 169 StGB
Personenstandsfälschung
Standesamt begangen: Zwar scheidet eine Begehung durch Unterlassen aus, da eine Pflicht zur „Nachmeldung“ der Personenstandsdaten des nun nicht mehr zuzuordnenden Kindes dem PStG nicht entnommen werden kann; auch eine Pflichtenstellung aus Ingerenz besteht nicht, da die ursprüngliche Anzeige nicht korrekturbedürftig geworden ist und die Tathandlung auch anderweitig keine spezifisch personenstandsrechtliche Pflicht begründet. Maßgebliche Bedeutung kommt hier aber der erwartbaren Weiterleitung des Sachverhaltes als Personenstandsfall an das Standesamt nach § 24 PStG zu.156 Denn mit Aussetzen des anonymen Kindes ist verhindert oder wesentlich erschwert, dass die hiervon in Kenntnis gesetzte Personenstandsbehörde die zutreffenden Personenstandsmerkmale des Kindes feststellt oder anhand der bereits vorhandenen Anmeldung zuordnet. Konstruktiv liegt durch die Einschaltung von über die wahre Identität des Kindes nicht informierter Dritter daher eine mittelbare Täterschaft vor (vgl. Schall SK Rdn. 27). In gleicher Weise möglich ist auch eine Täterschaft durch nicht anzeigepflichtige Personen, die das Kind für die Mutter – ggf. in Mittäterschaft, angestiftet von oder in Beihilfe zu ihr – ablegen und die Tat ebenfalls durch aktives Tun, nämlich der Verschleierung der Personenstandsmerkmale in Erwartung einer Weiterleitung des Personenstandsfalles an das Standesamt nach § 24 PStG begehen. 89 Da die zumeist ungewollt schwangere Mutter, u. U. auch der (biologische) Vater bei Weggabe des Neugeborenen regelmäßig aus einer subjektiv empfundenen ausweglosen Notlage heraus handelt, ist an eine Rechtfertigung nach § 34 oder Entschuldigung nach § 35 zu denken.157 Die unter verschiedenen Aspekten problematische Frage wird mittlerweile im Wesentlichen diskutiert im Zusammenhang mit der Nutzung einer institutionell bereitgestellten „Babyklappe“ (s. nachfolgend Rdn. 90),158 stellt sich wegen derselben Ausgangslage indes allgemein bei jeglicher Weggabe eines Neugeborenen durch öffentliches Ablegen. Im Ergebnis dürfte ein Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund nur selten vorliegen.159 Zwar trifft es zu, dass das Personenstandsfeststellungsinteresse der Allgemeinheit und des betroffenen Kindes jedenfalls hinter Gesundheitsgefährdungen für das Kind und die Mutter, darunter auch akuten oder drohenden psychischen Erkrankungen zurückzustehen hat, dagegen nicht hinter bloßen – i. d. R. ohnehin nicht gegenwärtigen – wirtschaftlichen Beschränkungen oder der Erwartung einer wesentlich eingeengten persönlichen Lebensplanung, Trennung vom Partner, beruflichen oder sozialen Schwierigkeiten.160 Schon eine taugliche Gefährdungslage festzustellen, bereitet aber oft Schwierigkeiten: Der Verweis auf die Abwendung von – im Vergleich zum Aussetzen – gravierenderen Gefahren für das Kind in Form einer eventuellen Kindstötung, Aussetzung i. S. v. § 221 oder zumindest einer Depravation bei zu erwartender unzureichender Erziehung und Versorgung (§ 271) setzt zum einen eine hinreichend gesicherte Prognose voraus, dass es zu einem derart schädigenden Verhalten durch die Mutter tatsächlich gekommen wäre.161 Zum anderen wäre die Vermeidung einer eigenen, noch gravierenderen 156 Insoweit zutreffend Frommel NK Rdn. 6. 157 Eine Rechtfertigung oder Entschuldigung aufgrund persönlicher Not bejahend Matt/Renzikowski/Kuhli Rdn. 8; Ritscher Rdn. 22. 158 Vgl. Genz Die vertrauliche Geburt, S. 41 ff; Teubel Geboren und Weggegeben, S. 43 ff; Mielitz Anonyme Kindesabgabe, S. 113, 169 f; Mittenzwei FS Wacke 327, 335; Beulke FS Herzberg 605, 619 ff; Benör/Muth KJ 2001 405, 410 f; Scheiwe ZRP 2001 368, 370; Wiesner-Berg Anonyme Kindesabgabe in Deutschland und der Schweiz S. 175 ff; dies. NStZ 2010 243, 245; Hassemer/Eidam Babyklappen und Grundgesetz, S. 38 ff; Schramm Ehe und Familie im Strafrecht, S. 322; aus der allgemeinen Kommentarliteratur vgl. Schall SK Rdn. 32 f; Ritscher MK Rdn. 22; Sch/Schröder/ Bosch/Schittenhelm Rdn. 9; SSW/Wittig Rdn. 12; Dippel LK12 Rdn. 26. 159 Mit gleichem Befund Schall SK Rdn. 32 f; Wiesner-Berg ZfL 2006 87. 160 Dies gilt ungeachtet dessen, dass sich derartige Befürchtungen häufig verdichten zu einer von dem Täter empfundenen Zwangslage. Maßgeblich ist dann ob dem für die rechtliche Bewertung etwas abgewonnen werden kann, insbesondere als psychischer Zustand von Krankheitswert im Rahmen der Güterabwägung oder bei der Schuldfähigkeitsbeurteilung. 161 Kritik an der Bereitstellung von “Babyklappen“ gründet sich auch darauf, dass empirisch nicht feststellbar ist, dass diese zu einer Vermeidung gravierender Straftaten, insbesondere einer Kindstötung, tatsächlich beitragen, s. Wiedner
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II. Objektiver Tatbestand
StGB § 169
Tat als Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund kaum anerkennungsfähig;162 denn über die bereits zu einer Minderung der Schutzwürdigkeit führende Konstellation einer selbstverschuldeten Notstandslage (vgl. Erb MK § 34 Rdn. 140 ff; s. auch § 35 Abs. 1 S. 2) hinaus bildet die Quelle der Gefahr hier ein erst in der Zukunft liegendes, eigenverantwortliches und damit grundsätzlich vermeidbares Handeln des Täters.163 Soweit dabei – wie teilweise vorgeschlagen164 – die gegenwärtigen äußeren Umstände und die dadurch beförderte psychische Disposition des Täters einbezogen werden sollen, kann dies nur im Rahmen einer Schuldfähigkeitsprüfung165 oder bei der subjektiven Beurteilung der Erforderlichkeit, dabei insbesondere bei der Frage eines möglichen Erlaubnistatbestandsirrtums eine Rolle spielen. Anders liegt es bei Gesundheitsgefahren der Mutter. Auch diese wären zwar tatrichterlich – erforderlichenfalls durch eine Begutachtung – festzustellen; insbesondere ein sich verfestigender psychischer Zustand von Krankheitswert bis hin zu einer Suizidgefahr würde bei einer Güterabwägung die von § 169 geschützten Interessen überwiegen. Auf Ebene der Erforderlichkeit und – im Rahmen des § 34 S. 2 – der Angemessenheit des Mittels wird der Täter jedoch regelmäßig – zumal im Vergleich zu einem ungesicherten Aussetzen des Kindes – auf zumutbare Handlungsalternativen verwiesen werden können, die geeignet sind, die Notstandslage ohne strafbare Handlung aufzulösen, insbesondere staatliche Hilfsangebote der Gesundheitsfürsorge, des Sozialund des Jugendhilferechts (s. etwa §§ 16 ff, 27, 52a ff SGB VIII, § 2 Abs. 3 SchKG) mit der letztendlichen Möglichkeit einer frühzeitigen Adoptionsfreigabe (vgl. 1747 Abs. 2 BGB) des ungewollten Kindes.166 Im Einzelfall einer Verzweiflungstat mit psychisch eingeengtem Blickwinkel wird freilich nicht auszuschließen sein, dass solche Möglichkeiten nicht mehr im Blick des Täters gewesen sind, und ein Irrtumsfall in Gestalt fälschlicher Annahme des Rechtfertigungsgrundes in Betracht kommen. Dagegen wird ein Verbotsirrtum (§ 17) ebenso wie ein Irrtum nach § 35 Abs. 2 regelmäßig an seiner Vermeidbarkeit scheitern. Im Übrigen kann und sollte der – zumal bei fehlender tatsächlicher Gefährdung des Kindes – geringen Schuld des Täters verfahrensrechtlich nach §§ 153, 153a StPO begegnet werden.
(2) Babyklappen. Die anonyme Abgabe eines Kindes unter bestmöglichen Vorkehrungen zu 90 dessen leiblichem Schutz wird – zumeist in größeren Städten – ermöglicht durch die Einrichtung sogenannter Babyklappen.167 Dabei handelt es sich um technische Vorrichtungen an den Außenmauern von Krankenhäusern, Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, aber auch privaten Institutionen, die das Einlegen eines Säuglings in ein in die Hauswand eingelassenes, etwa Katzenmeier FamRZ 2005 1134, 1137; Wellenhofer MK BGB § 1591 Rdn. 60: s. auch die Datenlage in BTDrucks 17/190 S. 8 f. Anders Beulke FS Herzberg 605, 620, demzufolge im Zweifel von einer erheblichen Gefahr für das Kind auszugehen sein soll. 162 Hierauf ebenfalls verweisend Schall SK Rdn. 32; Ritscher MK Rdn. 22. Erwogen werden könnte dies allenfalls dann, wenn die Folgetat dem Täter nicht zuzurechnen wäre, die Mutter etwa aufgrund ihrer psychischen Disposition in einem Zustand im Sinne der §§ 20, 21 handeln würden. 163 Ebenso Wiesner-Berg Anonyme Kindesabgabe, S. 196 f; dies. ZfL 2006 87, 89 ff. 164 Schall SK Rdn. 32; Ritscher MK Rdn. 22. 165 S. bereits Fn. 161. Zu denken wäre an einen asthenischen Affektzustand (vgl. Fischer § 20 Rdn. 30 f), eine Anpassungsstörung (Fischer § 20 Rdn. 41) oder einen depressiven Zustand (Streng MK § 20 Rdn. 46). Allerdings sind die Anforderungen an Schuldfähigkeitseinschränkungen infolge besonderer Belastungen in Zusammenhang mit einer Geburt generell hoch, s. etwa BGH NStZ-RR 2000 330; NStZ-RR 2005 168; NStZ-RR 2008 308; NStZ 2009 439. 166 Hierauf zu Recht verweisend auch Schall SK Rdn. 32; Wiesner-Berg Anonyme Kindesabgabe, S. 206 f; dies. ZfL 2006, 87, 93; Benöhr/Muth KJ 2001 405, 410; Beulke FS Herzberg 619 f; Dippel LK12 Rdn. 25. Nicht zu berücksichtigen ist die Möglichkeit vertraulicher Geburt (§§ 25 ff SchKG); denn die Mutter kann in der aktuellen Konfliktsituation nicht auf Handlungsalternativen in der Vergangenheit verwiesen werden, auch wenn diese den Konflikt vermieden hätten. 167 Beziffert werden – indes bezogen auf die Jahre 2008/2009 – eine Anzahl von etwa 80 bis 100 derartiger Einrichtungen in Deutschland (vgl. Deutscher Ethikrat, Das Problem der anonymen Kindesabgabe, 2009, S. 13). 469
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§ 169 StGB
Personenstandsfälschung
rückfahrbares Wärmebett gestatten. Bei Gebrauch wird das Personal alarmiert und eine Betreuung des Kindes eingeleitet. Dies geschieht teilweise mit zeitlicher Verzögerung, damit die abgebende Person sich unerkannt entfernen kann; teilweise werden auch Gesprächsangebote unterbreitet und genutzt. Die Betreiber verfolgen ein humanitäres Anliegen und sind bestrebt, die Konfliktsituation der zumeist abgebenden Mutter aufzulösen und Gefahren von dem Kind bei befürchteter alternativer Aussetzung oder Tötung abzuwenden.168 Die mit der Einrichtung und ihrer Nutzung verbundene rechtliche Bewertung hat seit Beginn der 2000er Jahre breite Beachtung und Behandlung in der Literatur erfahren.169 Rechtsprechung zu der Thematik findet sich demgegenüber nur spärlich veröffentlicht,170 so dass davon auszugehen ist, dass Strafverfahren, so sie aus Anlass der Benutzung einer Babyklappe überhaupt eingeleitet werden, weitgehend nicht zur Anklageerhebung gelangen.171 Motiviert ist die rechtliche und rechtspolitische Diskussion daher eher akademisch durch die Vielzahl aufgeworfener rechtsdogmatischer und -ethischer Fragen denn durch hohe strafrechtliche Praxisrelevanz; sie kann hier nicht im Einzelnen nachgezeichnet werden. 91 Hinsichtlich der ihr Kind abgebenden Mutter stellt sich die rechtliche Situation im Wesentlichen nicht anders dar als bei Ablegen des Kindes anderenorts; auf die diesbezüglichen Ausführungen kann verwiesen werden (Rdn. 87). Auch hier ist der Tatbestand der Personenstandsun-
168 Die Idee derartiger Einrichtungen reicht historisch zurück bis in das Mittelalter und wurde insbesondere im nachrevolutionären Frankreich in Gestalt einer sog. „Drehlade“ praktiziert (vgl. Benöhr/Muth KJ 2001, 405 f; Deutscher Ethikrat, Das Problem der anonymen Kindesabgabe, 2009, S. 11 ff; Frank/Helms FamRZ 2001 1343 f; Hepting FamRZ 2001 1579; Scheiwe ZRP 2001 370; Dippel LK12 Rdn. 10). Zur gegenwärtigen Situation im europäischen Ausland vgl. BTDrucks. 17/190, 16; insbes. zur Situation und Rechtslage in Frankreich Ritscher MK Rdn 17 f, zu jener in der Schweiz Wiesner-Berg, Anonyme Kindesabgabe (2009). 169 Monographisch (in chronol. Abfolge): Swientek Die Wiederentdeckung der Schande, Babyklappen und anonyme Geburt (2001); Taufkirch Babyklappen und anonyme Geburt (2004); Mielitz Anonyme Kindesabgabe: Babyklappe, anonyme Übergabe und anonyme Geburt zwischen Abwehr- und Schutzgewährrecht (2005); Badenberg Das Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung unter Berücksichtigung der Problematik der anonymen Geburt (2005); Elbel Rechtliche Bewertung anonymer Geburt unter besonderer Berücksichtigung der der grundrechtlichen Abwehrrechts- und Schutzpflichtendogmatik (2006); Dellert Die anonyme Kindesabgabe: Anonyme Geburt und Babyklappe (2008); Swientek, Die Wiederentdeckung der Schande, Babyklappen und anonyme Geburt (2001); Teubel Geboren und Weggegeben: Rechtliche Analysen der Babyklappen und anonymen Geburt (2009); WiesnerBerg Anonyme Kindesabgabe in Deutschland und der Schweiz: Rechtsvergleichende Untersuchung von „Babyklappe“, „anonymer Geburt“ und „anonymer Übergabe“ (2009); Hassemer/Eidam Babyklappen und Grundgesetz: Am Beispiel des Projekts „Findelbaby“ in Hamburg (2011); Genz Die vertrauliche Geburt (2017); grundlegend Schramm Ehe und Familie im Strafrecht, S. 321 ff (2011). Aufsätze: Anke/Rass ZRP 2002 451; Bärlein/Rixen Kriminalistik 2001 55; Benör/Muth KJ 2001 405; Beulke FS Herzberg 605; ders. FS Schünemann 859 ff; Frank/Helms FamRZ 2001 1340; Geiss-Wittmann FPR 2001 734; Hepting FamRZ 2001 1573; Heyers JR 2003 45; Katzenmeier FamRZ 2005 1134; Mittenzwei FS Wacke 335; ders. ZfL 2000 37; ders. ZRP 2002 452; Müller-Magdeburg FPR 2003 109; Neuheuser NStZ 2001, 175; ders. ZfL 2002 10; ders. Kriminalistik 2005 739; Riedel Anonyme Kindesabgabe – ethische und rechtliche Grundlagen (erw. Fassung eines Referats im Deutschen Ethikrat, November 2008); Scheiwe ZRP 2001 368; Schwarz StAZ 2003 33; S. 38 ff; Stürmann KJ 2004 54; Swientek FPR 2001 353; Wiesner-Berg NStZ 2010 243; dies. ZfL 2006 87; Willutzki FS Groß 327; Wolf FPR 2001 345; ders. FPR 2003 112. S. auch die Stellungnahme des Deutschen Ethikrates in BTDrucks 17/190. Aus der allgemeinen Kommentarliteratur vgl. Schall SK Rdn. 32 f; Ritscher MK Rdn. 14 ff; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 9; SSW/Wittig Rdn. 12; Dippel LK12 Rdn. 26. 170 Soweit ersichtlich, allein in Gestalt von zwei Entscheidungen des LG Köln: In einem Beschluss vom 9.11.2001 (NJW 2002 909) war im Rahmen einer Beschwerde gegen Ordnungsmittel über die Berechtigung von Mitarbeitern einer derartigen Einrichtung zur Zeugnis- und Auskunftsverweigerung zu befinden (s. hierzu Rdn. 95). Gegenstand eines Beschlusses vom 25.9.2008 (503 Gs 1795 – 1796/08 = BeckRS 2010 9133) bildet eine Beschwerde gegen die Ablehnung einer ermittlungsrichterlichen Anordnung, durch welche dem Betreiber einer Babyklappe die Offenlegung von Informationen zu Kind und Kindsmutter nach den Vorschriften des SGB VIII und X auferlegt werden sollte. 171 So auch Teubel Geboren und Weggegeben, S. 57, 65. Wiedner
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terdrückung – im Regelfall durch Unterlassen – verwirklicht.172 Eine Strafbarkeit wegen tateinheitlicher Verwirklichung von § 221 scheidet wegen der umfassenden Schutzvorkehrungen für das Kind aus. Neben der Frage einer Rechtfertigung oder Entschuldigung nach den §§ 34, 35 (vgl. Rdn 89) wird wegen des institutionalisierten Angebotes173 und der öffentlich zugänglichen, großteils im Internet veröffentlichten Werbung für die unterschiedlichen Hilfsprojekte von vielen Stimmen in der Literatur, aber auch in einer vereinzelten Entscheidung aus der Rechtsprechung174 zugunsten der Mutter ein unvermeidbarer Verbotsirrtum i. S. v. § 17 S. 1 in Betracht gezogen.175 Hierfür spricht – unbeschadet der erforderlichen Einzelfallbetrachtung – bei Anlegung des allgemeinen, strengen Maßstabes für die Annahme einer Unvermeidbarkeit176 indes wenig; jedenfalls bei Annahme einer Erkundigungspflicht wäre eine Fehlvorstellung ohne weiteres vermeidbar.177 Angesichts dessen, dass Babyklappen teilweise mit staatlicher Unterstützung beworben werden, die Werbung mitunter darauf gerichtet ist, dass die Nutzung keine Strafverfolgung nach sich ziehe (vgl. LG Köln, Beschl. v. 25.9.2008 – 102 Qs 26/08 = BeckRS 2010 9133; Neuheuser NStZ 2001 175), und es bei einer Bewertung auch auf die individuellen Fähigkeiten und den zumutbaren Einsatzes verfügbarer Erkenntniskräfte ankommt, ist allerdings – etwa bei Minderjährigen und Heranwachsenden, aber auch situativ und im Zusammenspiel mit geringem Erfahrungs- und Bildungsstand – eine anderweitige Bewertung nicht ausgeschlossen.178 Eine strafrechtliche Verantwortung der Betreiber der Babyklappe nach § 169 besteht 92 nicht,179 sofern die Mitarbeiter keine Kenntnis von dem Personenstand des Kindes haben und sie ihrer Mitteilungspflicht nach § 24 PStG nachkommen, die sich indes nur auf die Tatsache des Auffindens des Kindes bezieht und die Anonymität der Mutter wahrt. Die Verletzung dieser – die Betreiber originär treffenden – Pflicht führt zu einer eigenen täterschaftlichen Personenstandsunterdrückung.180 Können sie zur Identität von Mutter und Kind keine Angaben machen, kommen ein Verstoß gegen weitere personenstandsrechtliche Pflichten und eine daran
172 So die ganz h. M., s. etwa Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 9; Schall SK Rdn. 31; Ritscher MK Rdn. 21; Neuheuser NStZ 2001 175, 177; Benda JZ 2003 533, 539; Wiesner-Berg NStZ 2010 243, 246. Anders nur Mittenzwei FS Wacke 327, 335, der – letztlich contra legem – die Anzeigepflicht der Mutter suspendiert sieht. 173 S. insoweit LG Köln, Beschl. v. 25.9.2008 – 102 Qs 26/08 = BeckRS 2010 9133, wo dem Betreiben der Babyklappe ein Vertrag zwischen der Einrichtung und der Stadt zugrunde lag, demzufolge es sich um ein Angebot für Mütter handeln sollte, „die in einer besonders schwierigen Lebenssituation ihr neu geborenes Kind anonym und straffrei in Obhut geben.“ 174 LG Köln, Beschl. v. 25.9.2008 – 102 Qs 26/08 = BeckRS 2010 9133; Angesichts der öffentlichen Werbung zur anonymen und „straffreien“ Abgabe des Kindes, der staatlichen Förderung der Einrichtung und des langjährigen Betreibens könne ein juristischer Laie regelmäßig davon ausgehen, dass mit der Übergabe des Kindes Rechtspflichten nicht in strafbarer Weise verletzt werden. 175 Schramm Ehe und Familie im Strafrecht, S. 323; Teubel Geboren und Weggegeben, S. 46 ff, Mielitz Anonyme Kindesabgabe S. 114 ff; Schall SK Rdn. 32 a. E. 176 S. bereits BGHSt 3 357; 4 1, 5; 4 236, 243; 21 20; BGH NJW 1996 1606; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben/Schuster § 17 Rdn. 13 ff; Fischer § 17 Rdn. 7 ff. 177 Zutreffend Wiesner-Berg NStZ 2010 243, 246; ZfL 2006 87, 92; dies. Anonyme Kindesabgabe in Deutschland und der Schweiz, S. 206. 178 Dabei ist allerdings nicht davon auszugehen, dass die Abgebende darauf vertraut und hierzu auch Anlass hat, das Kind werde von der Einrichtung den Behörden überhaupt nicht gemeldet (so aber Dippel LK12 Rdn. 26); dass es sich um ein Findelkind (§ 24 PStG) handelt und hierzu Meldepflichten bestehen, wird sie in ihre laienhafte Vorstellung regelmäßig aufgenommen haben. 179 Im Einzelnen str.; im Ergebnis ebenfalls ablehnend die h. M., etwa Beulke FS Herzberg 605, 621; Mielitz Anonyme Kindesabgabe S. 120 f; Neuheuser NStZ 2001 175, 177; Ritscher MK Rdn. 23. 180 Schall SK Rdn. 33; Schramm Ehe und Familie im Strafrecht, S. 324; Dippel LK12 Rdn. 26; wohl auch Ritscher MK Rdn. 23 f, der § 169 i. V. m. § 24 PStG aber nur bei vorherigem Kontakt zur Mutter, und im Übrigen nur eine Ordnungswidrigkeit nach § 70 PStG erfüllt sieht. Anders Genz, Die vertrauliche Geburt S. 52. 471
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anknüpfende Strafbarkeit nicht in Betracht.181 Haben die Mitarbeiter dagegen – etwa bei einem Aufklärungsgespräch – verlässlich von Personenstandsmerkmalen erfahren, entsteht eine weitere eigene, strafbewehrte Pflicht zur Anzeige nach § 19 S. 1 Nr. 2 PStG, die sich auf Tatsache der kurz zurückliegenden Geburt und damit zusammenhängend auf die Identität der Mutter bezieht.182 Eine Strafbarkeit unter dem Gesichtspunkt einer Anstiftung oder Beihilfe zur Personenstandsfälschung der abgebenden Person kommt dagegen regelmäßig nicht in Betracht. Bei fortbestehender Anonymität der Mutter, die lediglich ihr Kind ablegt und sich dann unerkannt entfernt, wird wegen der unbekannten Gesamtumstände der Tat und eines jedenfalls nicht auszuschließenden Rechtfertigungsgrundes oder seiner irrigen Annahme schon eine rechtswidrige Haupttat in nicht zweifelsfrei auszuschließen sein. Eine Anstiftung scheitert zudem daran, dass auf den Tatentschluss der Mutter nicht konkret Einfluss genommen wurde. Denn regelmäßig wird weder ein objektives Verhalten noch ein darauf gerichteter Wille feststellbar sein, den Täter zur Abgabe des Kindes und einer damit einhergehenden Personenstandsunterdrückung zu bewegen; vielmehr ist Ziel der Einrichtung ersichtlich, zu der Tat ohnehin entschlossenen oder geneigten Müttern eine für das Kind gefahrlose Begehungsalternative zu bieten. Ein „Bestimmen“ i. S. v. § 26 liegt hierin noch nicht.183 In der Bereitstellung der Babyklappe kann auch keine Förderung der Haupttat nach § 27 im Sinne einer maßgeblichen Gefahrerhöhung gesehen werden: Dass eine Möglichkeit der Ablage für ein Kind geschaffen wird, ist für die Personenstandsverletzung zumal im Hinblick auf zur Abgabe entschlossene Haupttäter ohne Belang.184 Eine Beihilfe zum Unterlassen (vgl. Rdn. 104) könnte allenfalls darin erblickt werden, dass erst die Möglichkeit sicherer Abgabe des Kindes die Mutter psychisch darin bestärkt, nunmehr endgültig keine Personenstandsdaten von sich und ihrem Kind preiszugeben. Ein unerlaubtes Risiko ist damit aber nicht geschaffen.185 Selbst wenn man ein solches bejahen wollte, 181 Schramm Ehe und Familie im Strafrecht, S. 324. Die Betreiber trifft insbesondere keine Pflicht zur Erhebung von Personenstandsdaten der Mutter. Da das Kind nicht in der Einrichtung geboren ist und die Mitarbeiter aus eigenem Wissen keine Kenntnis von der Geburt haben, besteht von Vornherein keine Mitteilungspflicht nach § 19 Abs. 1 S. 2, § 20 PStG, selbst wenn die Babyklappe einem Krankenhaus oder einer anderweitigen Geburtshilfeeinrichtung angegliedert ist; s. auch Rdn. 95. 182 In diesem Sinne dürfte auch die Frage nach einem Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrecht der Mitarbeiter der Einrichtung zu beantworten sein: Ein Zeugnisverweigerungsrecht besteht – soweit die Mutter nicht von einem Arzt oder Psychotherapeuten beraten wurde und dieser vernommen werden soll – weder nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 oder Nr. 3a StPO, deren Voraussetzungen schlicht nicht vorliegen, noch aus übergeordneten Gesichtspunkten, die eher ergebnisorientiert als petitio principii aus dem als schutzbedürftig angesehenen Anliegen der Einrichtung hergeleitet werden und die aus guten Gründen eindeutig zugeschriebenen Verweigerungsrechte überdehnen (LG Köln NJW 2002 909; Genz Vertrauliche Geburt, S. 57 ff; Mielitz Anonyme Kindesabgabe, S. 123 ff; Dippel LK12 Rdn. 26; aA Hassemer/Eidam Babyklappen und Grundgesetz, S. 39 ff; Beulke FS Herzberg 605, 621; Schall SK Rdn. 33; Frommel NK Rdn. 6). Allerdings können sich Mitarbeiter auf ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 berufen, sofern eine Anzeige der Geburt und Identität durch sie pflichtwidrig nicht erfolgt ist. Anderweitige Ermittlungsmaßnahmen (etwa § 102 StPO) sind hierdurch nicht gehindert. 183 Auch bei vorheriger Kontaktaufnahme zu der Einrichtung muss dies nicht anders zu bewerten sein (so aber Dippel LK12 Rdn. 26). Hier wird es auf den konkreten Inhalt des Gespräches ankommen: Macht die Einrichtung etwa nur in allgemeiner Form auf ihr Angebot aufmerksam oder bestärkt sie die Mutter darin, ihr Kind statt in der Öffentlichkeit in der Babyklappe abzulegen, unterscheidet sich der konkrete Kontakt nicht von der allgemeinen Werbung der Einrichtung. Deutet die Mutter an, sich oder dem Kind das Leben nehmen zu wollen, läge in dem Bestärken einer Abgabe eine Notstandshilfe. 184 Zutreffend Schramm Ehe und Familie im Strafrecht, S. 324: nur Rettungsbezug, kein deliktischer Sinnbezug zum Unterlassen der Anzeige; Neuheuser NStZ 2001 175, 177; E. auch Ritscher MK Rdn. 23; kritisch Schall SK Rdn 33. Fn. 109. 185 Vgl. zu erfolgsneutralen Handlungen und Fällen der Risikoverringerung Joecks MK § 26 Rdn. 47 f. Der Beitrag, ein geschütztes Säuglingsbett bereitzustellen und für ein darin ausgesetztes Kind eine Erstversorgung zu übernehmen, stellt sich demnach eher als allgemeine Hilfeleistung dar. So würde auch einem Pfarrer, von welchem bekannt ist, dass er den Kirchhof zur Abendzeit nach Findelkindern absucht und diese in Obhut nimmt, keine strafbare Beihilfe vorgeworfen werden können. Wiedner
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müsste man den Betreibern der Einrichtung im Hinblick auf eine dann vorzunehmende Schutzgüterabwägung aber zubilligen, dass sie im Hinblick auf die Gefahrerhöhung in gerechtfertigter Notstandshilfe handeln; denn die erhöhte Wahrscheinlichkeit einer Rechtsgutverletzung nach § 169 wird deutlich überwogen von der Abwehr der den abgegebenen Kindern mindestens ebenso konkret drohenden Gefahr einer Schädigung an Leib und Leben. Dabei bedarf es im Hinblick auf die nicht auf eine konkrete Abgabe bezogene (Beihilfe-)Handlung der Bereitstellung des Bettes keiner Differenzierung, ob im Einzelfall für die abgebende Mutter eine Notstandslage vorlag oder sie von den Mitarbeitern der Einrichtung nur angenommen wird.186
(3) Anonyme Geburt. Mutatis mutandis stellt sich eine Strafbarkeit ähnlich wie im Falle der 93 anonymen Abgabe eines Säuglings dar bei Nutzung eines Angebotes anonymer Geburt, das angesichts des zwischenzeitlich eingeführten Rechtsinstitutes „vertraulicher Geburt“ nach den §§ 25 ff SchKG (s. Rdn. 96) allerdings an Bedeutung verlieren dürfte.187 Hierunter zu verstehen ist eine medizinische Geburtshilfe in Krankenhäusern oder anderen Geburtshilfeeinrichtungen unter fehlender Erhebung der Personenstandsdaten der Mutter und mit der Möglichkeit, das Neugeborene in der Einrichtung belassen zu können.188 Eine anonyme Geburt ist jedenfalls in der Vergangenheit von einer vergleichsweise hohen Zahl von Einrichtungen189 ermöglicht worden, um eine anderenfalls drohende, Mutter und Kind erheblich gefährdende Entbindung ohne fachliche Begleitung zu verhindern.190 Entsprechende Angebote sind auch im europäischen Ausland verbreitet.191 Auch hier verwirklicht die unterbliebene Anmeldung der Geburt seitens der Mutter ent- 94 gegen ihrer Pflicht nach § 18 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 19 Abs. 1 Nr. 1 PStG den Tatbestand der Personenstandsunterdrückung durch Unterlassen.192 Zwar lässt sich aus § 20 S. 3 PStG ein grundsätzlicher Vorrang der Mitteilungspflicht der nach § 20 S. 1 und 2 ebenfalls verpflichteten Geburtshilfeein-
186 Eine zumindest vorgestellte Notstandshilfe hinsichtlich der Haupttat nehmen an Schall SK Rdn. 33; Frommel NK Rdn. 6; Mielitz Anonyme Kindesabgabe S. 120; Schramm Ehe und Familie im Strafrecht, S. 324; Neuheuser Kriminalistik 2005 739; Bärlein/Rixen Kriminalistik 2001 55; Beulke FS Herzberg 605, 621; krit. unter empirischen Gesichtspunkten wegen zu befürchtender „künstlicher Findelkinder“ Wiesner-Berg, Anonyme Kindesabgabe, S. 37 ff; dies. NStZ 2010 243, 250. Wenngleich die Datenlage zur Anzahl ausgesetzter und tot oder lebendig aufgefundener Neugeborener einen statistischen Zusammenhang mit der Einrichtung von Babyklappen insgesamt nicht erlaubt (vgl. BTDrucks. 17/190 S. 8; Deutscher Ethikrat, Das Problem der anonymen Kindesabgabe, 2007, S. 83 f), und auch aus sozialwissenschaftlicher sowie psychologischer Sicht Zweifel an der effektiven Verhinderung von Kindstötungen und Spätabtreibungen bestehen (vgl. Katzenmeier FamRZ 2005 1134 1135 m.w.Nachw.), dürfte zugleich keine maßgebliche Verstärkung der Bereitschaft zur Personenstandsunterdrückung anzunehmen sein und bei Gesamtabwägung die Gefahrherabsetzung überwiegen. 187 Vgl. die Evaluation in BTDrucks. 18/13100 S. 28, sowie eine durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Auftrag gegebenen Datenauswertung vom 16.4.2019, abrufbar unter www.bmfsfj.de. 188 S. hierzu Ritscher MK Rdn. 26 ff, Schall SK Rdn. 34 f sowie die bereits unter Fn. 169 angegebene Literatur. 189 Beziffert werden – bezogen auf die Jahre 2008/2009 – eine Anzahl von 130 Kliniken in Deutschland (vgl. Deutscher Ethikrat, Das Problem der anonymen Kindesabgabe, 2009, S. 13). 190 Vgl. Scheiwe ZRP 2001 370; Benda JZ 2003 533, 536; Swientek FPR 2001 353, 354. 191 Zur Rechtslage in Frankreich mit grundlegend anderer familienrechtlicher Ausgangslage eingehend Ritscher MK Rdn. 17 f; Rainer FamRZ 2020 323. Das Recht auf Geheimhaltung der Identität der Mutter (maternité secrète) ist verbürgt in Art. 326 Code Civil, Art. L 222–6 Code de l’Action Sociale et des Familles. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Regelung mit Art. 8 EMRK für vereinbar erklärt (EuGRZ 30 584 = NJW 2003 2145; hierzu Benda JZ 2003 533). Zur gesamteuropäischen Lage vgl. BTDrucks. 17/190, S. 16 f. 192 So die deutlich h. M., vgl. Schall SK Rdn. 34; Ritscher MK Rdn. 27; SSW/Wittig Rdn. 12; Dippel LK12 Rdn. 27; Benda JZ 2003 533 539; Benöhr/Muth ZRP 2002 452; dies. KJ 2001 405, 415; Genz Vertrauliche Geburt S. 50; Schramm Ehe und Familie im Strafrecht S. 326; Wolf FPR 2001 345 (348); aA Teubel Geboren und Weggebgeben, S. 27, 53 ff: Anzeigepflicht und ggf. Strafbarkeit nur für Mitarbeiter Trägers der Einrichtung; Mittenzwei ZfL 2000 37, 41: Anspruch der Mutter auf Anonymität nach dem SchKG a. F. 473
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richtung herleiten.193 Doch besteht die primäre Anzeigepflicht der Mutter fort, wenn sie – wie kennzeichnend für die anonyme Geburt – der Einrichtung keine Angaben zu ihrer Identität macht, welche diese zu einer eigenen Anzeige befähigen würde (Schall SK Rdn. 34; Schramm, Ehe und Familie im Strafrecht, S. 326). Der begleitende, um die Identität der Mutter wissende (biologische) Vater ist, soweit nicht ausnahmsweise sorgeberechtigt (vgl. § 1626a BGB), dagegen nach § 19 S. 1 Nr. 1 PStG nicht verpflichtet. Er kann, ebenso wie die Mutter etwaig begleitende Freunde, auch nicht nach § 19 S. 1 Nr. 2 PStG herangezogen werden, da die vorrangig verpflichtete Mutter nicht als an der Anzeige gehindert i. S. v. § 19 S. 2 PStG angesehen werden kann.194 Eine Rechtfertigung oder Entschuldigung nach §§ 34, 35 scheidet angesichts der legalen, das Anonymitätsinteresse der Mutter und die Gesundheit des Kindes ebenfalls wahrenden Alternative einer vertraulichen Geburt aus. Soweit die Mutter bei Inanspruchnahme dieser Möglichkeit hinnehmen muss, dass ihre Personenstandsdaten hinterlegt und nach 16 Jahren dem Kind offenbart werden (Rdn. 96), stellt dies eine zumutbare Beschränkung dar.195 Ein unvermeidbarer Verbotsirrtum wird angesichts dieser Möglichkeit nur noch in Betracht kommen, wenn die Mitarbeiter der Einrichtung hierüber nicht aufklären und bei der Schwangeren aktiv die Vorstellung erwecken, dass sich ihr Verhalten auch im Hinblick auf das Informationsinteresse des Kindes als legal darstellt; denn der Gesetzgeber hat – worüber sich die Mutter ohne weiteres in Kenntnis setzen kann – durch die vertrauliche Geburt zu erkennen gegeben, dass er eine Legalisierung nur in diesem Bereich anstrebt, andere Fälle aber nicht von der Strafbarkeit ausnehmen will (vgl. KG FamRZ 2018, 1923). 95 Eine Strafbarkeit der Geburtshelfer oder anderer Mitarbeiter der Einrichtung besteht demgegenüber wie im Fall assistierter Abgabe eines Säuglings nur dann, wenn die Einrichtung ihrer eigenen Meldepflicht nicht nachkommt. Diese besteht hier zwar über § 24 PStG hinausreichend nach § 18 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 20 PStG als Pflicht des Einrichtungsträgers sowie nach § 18 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 19 S. 1 Nr. 2 PStG als Pflicht der unmittelbar beteiligten Geburtshelfer; sie richtet sich auf die schriftliche Anzeige der Geburt und der entsprechenden Personenstandsdaten von Kind und Mutter. Die Annahme, die Einrichtung träfe damit zwingend eine die Personenstandsdaten umfassende Anzeigepflicht, würde allerdings die Pflicht und Möglichkeit zur Erhebung derartiger Daten voraussetzen; diese ist in personenstands-, krankenversicherungs- oder berufsordnungsrechtlicher Hinsicht nicht zu erkennen. So lässt sich § 20 S. 3 PStG keine Auskunftspflicht der Mutter gegenüber der Einrichtung entnehmen; vielmehr soll hinsichtlich solcher Daten, über die die Einrichtung (mangels Mitteilung durch die Mutter) keine Angaben machen kann, weiterhin die Mutter verpflichtet bleiben. Auch könnte die Einrichtung die Herausgabe der Personenstandsdaten von der Schwangeren nicht erzwingen. Die Möglichkeit, eine Hochschwangere kurz vor der Niederkunft wegen fehlender Offenlegung ihrer Identität die Geburtshilfe zu verweigern, wäre der Einrichtung bereits nach § 323c verwehrt; jedenfalls würden die Geburtshelfer infolge der notwendigen medizinischen Betreuung gerechtfertigt nach § 34 handeln.196 Damit verbleibt es bei der – sowohl nach § 18 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 20 PStG als auch nach § 24 PStG – bestehenden, insoweit allerdings nach § 169 strafbewehrten Pflicht der Einrichtung zur Anzeige der Tatsache der Geburt, der Geburtszeit und des Geburtsortes. Hat die Mutter ihre 193 Hiernach bleibt die „Anzeigeberechtigung“ der Mutter unberührt; Schramm (Ehe und Familie im Strafrecht, S. 326) und Erbs/Kohlhaas (§ 19 PStG Nr. 2) sehen daher die Hausgeburt als regulären Hauptanwendungsfall von § 19 S. 1 Nr. 1 PStG. 194 Dies wird etwa dann der Fall sein, wenn die Mutter körperlich dazu (noch) nicht in der Lage ist (Erbs/Kohlhaas § 19 PStG Nr. 2), doch wird die Frist des § 18 Abs. 1 PStG hierzu abzuwarten sein, sofern keine absehbare Verhinderung darüber hinaus besteht. In der bloßen Verweigerung der Angaben durch die Mutter kann schon begrifflich keine Verhinderung gesehen werden. 195 Auch nach Einführung der vertraulichen Geburt auf die Einzelfallbetrachtung einer Notstandlage abstellend Schall SK Rnd. 34; SSW/Wittig Rdn. 12. 196 Hierauf weisen zu Recht hin Schall SK Rdn. 35; Ritscher MK Rdn. 27; Dippel LK12 Rdn. 27; Anke/Rass ZRP 2002 451; Benöhr/Muth KJ 2001 410, 416 f, 425 und Scheiwe ZRP 2001 373; auch ohne einen Rückgriff auf die Pflicht zu allgemeiner Hilfeleistung ist das Angebot ärztlicher Unterstützung anonymer Patienten aber nicht rechtswidrig. Wiedner
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StGB § 169
Identität der Geburtshilfeeinrichtung dagegen anvertraut, besteht die Pflicht zur Weitergabe auch dieser Daten.197 Eine Teilnahme an der Personenstandsunterdrückung der Mutter scheidet wie bei Bereitstellung einer Babyklappe (s. dort Rdn. 90 f) hier vertretener Auffassung bereits an einer tatbestandlichen Anstiftungs- oder Beihilfehandlung aus; angesichts der Gefahren für Kind und Mutter bei Geburt besteht jedenfalls aber eine Rechtfertigung nach § 34 für eine die Tat nach § 169 möglicherweise fördernde Hilfeleistung.198
(4) Vertrauliche Geburt. Die rechtliche wie ethische Problematik der Unterstützung ungewollt 96 Schwangerer, die Personenstandsdaten nicht preiszugeben bereit sind, war verschiedentlich Gegenstand von Gesetzesinitiativen.199 Mit Gesetz zum Ausbau der Hilfen für Schwangere und zur Regelung der vertraulichen Geburt vom 28. August 2013, in Kraft seit dem 1. Mai 2014 (BGBl. I 2013, 3458) hat der Gesetzgeber das Institut der vertraulichen Geburt geschaffen.200 Kern der Regelung sind die §§ 25 ff SchKG, denen zufolge der Mutter nach Beratung, die auf ein Leben mit Kind, zumindest auf die Bereitschaft möglichst weitreichender späterer Informationsweitergabe an das Kind gerichtet sein soll (§ 25 SchKG), eine medizinisch begleitete Geburt mit der Möglichkeit angeboten wird, ihre Identität gegenüber ihrem Umfeld und ihrem Kind geheim zu halten. Die Schwangere kann sich hierzu unter einem Pseudonym bei einer von ihr frei zu wählenden Geburtshilfeeinrichtung anmelden und unter Kostentragung des Staates entbinden. Allerdings muss ihre Identität201 in Form eines Herkunftsnachweises festgestellt und beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben hinterlegt werden (§§ 26 f SchKG); dort kann der Nachweis nach Vollendung des 16. Lebensjahres durch das vertraulich geborene Kind eingesehen werden, sofern keine überwiegenden Belange der Mutter entgegenstehen (§ 31 SchKG). Eine Strafbarkeit der Mutter nach § 169 entfällt im Ergebnis mangels Verpflichtung zu 97 identitätsbezogenen Angaben.202 Allerdings lassen die durch Einführung der vertraulichen Geburt veranlassten Abänderungen des Personenstandsgesetzes die nötige Klarheit zu der nunmehrigen Pflichtenverteilung vermissen: So sind die Anzeigepflichten §§ 19, 20 PStG unverändert geblieben; zufolge eines neu angefügten § 18 Abs. 2 PStG soll bei einer vertraulichen Geburt „auch“ das Pseudonym der Mutter und die von dieser für das Kinde gewünschten Vornamen (§ 26 Abs. 1 Nr. 1 SchKG) mitgeteilt werden. Demgegenüber sieht die allgemeine Vorschrift des § 10 Abs. 4 PStG vor, dass eine Auskunfts- und Nachweispflicht bei einer vertraulichen Geburt generell nicht besteht. § 21 Abs. 2a PStG bestimmt als einzutragende Angaben für den Fall einer vertraulichen Geburt allein Ort und Zeit der Geburt, Geschlecht des Kindes sowie dessen – durch die Verwaltungsbehörde zu bestimmenden – Namen. Man wird dem Gesamtzusammenhang und Zweck der Regelungen entnehmen können, dass die Mutter von jeglicher, auch nur die Tatsache der Geburt, ihren Ort und Zeitpunkt betreffenden Mitteilungen freigestellt sein soll, weil anderes sich mit ihrer Berechtigung zu auch fortdauernder Anonymität im Zusammenhang mit der Geburt nicht verträgt. Dies gilt allerding nur, sofern den Regelungen der §§ 25 f SchKG genügt wurde, die Mutter insbesondere ihre Identitätsangaben wahrheitsgemäß hinterlegt hat; denn 197 S. auch KG FamRZ 2018, 1923 zum Auskunftsanspruch des Kindes gegenüber der Einrichtung. 198 Vgl. Schramm Ehe und Familie im Strafrecht, S. 327. Soweit Benöhr/Muth ZRP 2002 452 auf das Ende der Notstandslage ab bloßer Geburtsnachsorge hinweisen, erscheint dies schon medizinisch angreifbar; jedenfalls ist hierdurch kein maßgeblicher Beitrag zur Personenstandsunterdrückung mehr geleistet. 199 Vgl. BTDrucks. 14/4425 (Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion); BTDrucks. 14/8856 (fraktionsübergreifender Gesetzentwurf); BRDrucks. 506/02 und BRDrucks. 682/04 (Gesetzentwürfe des Landes Baden-Württemberg). Näher Anke/Ross ZRP 2002, 451; Benda JZ 2003 533 f; Beulke FS Herzberg 624 f; Wolf FPR 2003 114. 200 Materialien: BRDrucks. 214/13; BTDrucks. 17/12814, 17/13062, 17/13391, 17/13774. Dazu Beulke FS Schünemann 859, 867; Genz Die vertrauliche Geburt; Berkl StAZ 2014 65; Helms FamRZ 2014 609; Schwedler NZFam 2014 193. Zur Evaluation BTDrucks. 18/13100. 201 Nicht jene des Vaters, vgl. § 26 Abs. 2 SchKG; krit. Helms FamRZ 2014 609, 614. 202 Ebenso Schall SK Rdn. 36. 475
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§ 169 StGB
Personenstandsfälschung
die Wahrung des Identitätsinteresses des ebenfalls schutzbedürftigen Kindes bildet eine wesentliche Grundlage für die Suspendierung ihrer personenstandsrechtlichen Pflichten und der mit ihnen einhergehenden Strafandrohung. Andere Beteiligte, etwa Begleiter der Schwangeren einschließlich des Vaters, sind zur Angabe der ihnen bekannten Identität der Mutter bereits deshalb nicht verpflichtet, weil es sich nach § 21 Abs. 2a PStG um kein eintragungspflichtiges Personenstandsmerkmal handelt. Nach der gesetzgeberischen Intention (vgl. BTDrucks. 17/12814 S. 10) soll es allein Aufgabe der geburtshilflichen Einrichtung sein, die nach § 21 Abs. 2a PStG einzutragenden Merkmale dem Standesamt mitzuteilen. Durch die überschießende Regelung des § 10 Abs. 4 PStG ist auch die Einrichtung hierzu aber grundsätzlich nicht verpflichtet, sofern man die – allerdings nur die Erweiterung der im Ausgangspunkt unklaren Anzeigepflicht betreffende – Regelung in § 18 Abs. 2 PStG nicht als spezieller ansieht (so offenbar Helms FamRZ 2014 609, 612). An die uneindeutige Pflichtenlage kann sich bei fehlender Mitteilung keine strafrechtliche Sanktionierung knüpfen.
III. Subjektiver Tatbestand, Irrtumsfragen 98 Erforderlich, aber auch ausreichend für die innere Tatseite ist ein zumindest bedingter Vorsatz,203 der sich auf alle Merkmale des objektiven Tatbestandes bezieht. Der Täter muss jedenfalls damit rechnen und es hinnehmen, dass durch seine Tathandlungen – Unterschieben, falsche Angabe oder Unterdrückung – personenstandsrechtliche Verhältnisse verdunkelt werden oder die Gefahr dazu entsteht.204 Eine positive Kenntnis der wahren Verhältnisse, mithin der tatsächlichen Abstammung des untergeschobenen Kindes oder derjenigen Personenstandsmerkmale, die durch falsche Angaben verschleiert oder unterdrückt werden, ist nicht erforderlich. Eine Beeinträchtigung von gewisser Dauer muss vom Vorsatz umfasst sein (RGSt 36 137; 70 18, 19; 77 51, 52); dagegen hindert die Absicht, den Zustand später aufzuheben, eine Strafbarkeit nicht. Bei der zweiten und dritten Tatalternative muss der Vorsatz sich auch auf die Kenntnisnahme und Zuständigkeit der Behörde erstrecken, wobei auch hier dolus eventualis ausreicht.205 Für die von der Gegenauffassung befürwortete Eingrenzung auf Fälle, in denen eine Täuschung beabsichtigt wird, oder zumindest die Kenntnisnahme als Nebenzweck angestrebt sein muss,206 besteht kein Anlass. Der vom objektiven Tatbestand vorgegebene Behördenbezug ist auch dann hergestellt, wenn der Täter nur damit rechnet, dass die zuständige Behörde von seinen Angaben Kenntnis erlangt oder durch einen unterdrückten Sachverhalt zu einer unrichtigen Bewertung der Personenstandslage gelangen kann, auch wenn es ihm darauf nicht ankommt und er es nur als Nebeneffekt der zu anderen Zwecken begangenen Personenstandsfälschung hinnimmt. Freilich wird bei falschen Angaben häufig auf eine entsprechende Zielrichtung auf die Behörde zu schließen sein, wobei es ausreicht, dass der Täter eine Kenntniserlangung infolge Weiterleitung durch Dritte einkalkuliert. 203 Mittlerweile im Grundsatz unstreitig, vgl. OLG Oldenburg NdsRpfl. 1951 37; Schall SK Rdn. 37; Fischer Rdn. 9; Ritscher MK Rdn. 32; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 10; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 6; SSW/Wittig Rdn. 13; Matt/Renzikowski/Kuhli Rdn. 10; Dippel LK12 Rdn. 31. Der Vorschlag des AE verlangte noch wissentliches Handeln, damit nur die gezielt auf eine Verfälschung der familienrechtlichen Abstammung und Täuschung einer Behörde gerichtete Tat der Vorschrift unterliegt (Begr. S. 72). Der Gesetzgeber des 4. StrRG vermochte dem nicht zu folgen, sondern hielt ausdrücklich bedingten Vorsatz für ausreichend (BTDrucks. VI/3521 S. 12). 204 Vgl. bereits RGSt 77 51, 52 f: „Bewußtsein und Wille, den Personenstand zu verdunkeln“. Der häufig angeführte (vgl. Ritscher MK Rdn. 32; SSW/Wittig Rdn. 13; Dippel LK12 Rdn. 31) Bezugspunkt des Vorsatzes, die praktische Wirksamkeit von Personenstandsmerkmalen eines anderen auszuschließen oder zu hindern, bezieht sich dagegen auf die allgemeine, indes nur begrenzt weiterführende (vgl. Rdn. 75) objektive Definition des „Unterdrückens“. 205 Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 21 (S. 167); SSW/Wittig Rdn. 13; Ritscher MK Rdn. 32; Dippel LK12 Rdn. 31. 206 So Schall SK Rdn. 37; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 6; Frommel NK Rdn. 9. Undeutlich Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 10. Wiedner
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III. Subjektiver Tatbestand, Irrtumsfragen
StGB § 169
Liegt eine solche nicht auf der Hand, bedarf der Vorsatz gesonderter Begründung. Dies gilt auch für tatsächlich manipulative Handlungen, die ohne weiteres nicht auf eine Kenntnisnahme durch die Behörde gerichtet sind; hier wird zumindest eine innere Ausrichtung auf die Behörde zu fordern sein. Bei Angaben im Statusprozess ist der auch subjektive Behördenbezug dagegen ebenso offenbar wie bei der Verletzung von Anzeigepflichten. Die Motivation für die Tat und der mit ihr verfolgte Zweck sind unerheblich; insbesondere wird der Vorsatz nicht dadurch ausgeschlossen, dass für den Täter Vermögensinteressen, etwa die Erlangung von Unterhalt, im Vordergrund stehen.207 Vielmehr kann die Motivlage – etwa eine nachvollziehbare Zwangslage einer Schwangeren einerseits, oder ein eigennützig manipulatives, fremdschädigendes Verhalten andererseits – für die Strafzumessung Bedeutung erlangen. Unkenntnis der Tatumstände beseitigt wie auch sonst den Vorsatz; so etwa, wenn der 99 Klinikmitarbeiter aufgrund Nachlässigkeit dem Standesamt die falschen Eltern meldet, oder die uneheliche Mutter im Statusprozess gutgläubig den falschen biologischen Vater angibt. Hinsichtlich normativer Merkmale des Tatbestandes reicht die laienhafte Parallelwertung aus; der Täter muss daher ohne Kenntnis von Einzelheiten oder gar der zugrunde liegenden rechtlichen Vorschriften das tatgegenständliche Merkmal (etwa die Abstammung) als personenstandserheblich, seine sachliche Grundlage (etwa die Personen der Eltern) und die zuständige Behörde im Wesentlichen zutreffend einordnen. In letzterer Hinsicht sind wegen der allgemeinbekannten Funktion der Standesämter und des offenkundigen Zwecks eines Statusprozesses falsch-negative Irrtümer schwer vorstellbar (vgl. auch Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 10: Bedeutungskenntnis ausreichend). Verkennt der Täter trotz Wissens um die objektiven Tatumstände gleichwohl den Bedeutungsinhalt des Merkmals in seiner Laienwertung, handelt er nach § 16 ohne Vorsatz.208 Zieht er demgegenüber den Tatbestand irrig zu weit, bezieht er etwa seinen auf eine Personenstandsfälschung gerichteten Vorsatz auf irrelevante Merkmale wie die Staatsbürgerschaft, auf Falschangaben zu eigenen Personenstandsmerkmalen oder auf unzuständige Behörden wie das Einwohnermeldeamt, begeht er ein strafloses Wahndelikt; gleiches gilt bei tatsächlich wahren, von ihm aber als falsch eingeschätzten Angaben (Schall SK Rdn. 38; Ritscher MK Rdn. 32; Frommel NK Rdn. 29).209 Der Irrtum über eine Anmeldepflicht in Kenntnis aller sie begründenden Umstände bildet einen Verbotsirrtum,210 wobei die generell hohen Anforderungen an eine Unvermeidbarkeit in personenstandsrechtlich diffizilen Grenzbereichen erfüllt sein können.
207 Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2, § 63 Rdn. 21 (S. 167). Soweit in früherer Rspr. anderes für Unterhaltsrechtsstreite vertreten wurde (RGSt 72 113, 114; 77, 51; RG JW 1938 1835), unterfallen Angaben darin dem Tatbestand ohnehin nicht mehr (Rdn. 55). Bezweckt der Täter mit Falschangaben gegenüber dem Standesamt oder im Statusprozess wirtschaftliche Vorteile, so verbindet sich mit dem Tatmittel – die Verfälschung des Personenstandes – ein eigenständiges Tatunrecht, so dass der darauf gerichtete Vorsatz ohne weiteres die Strafbarkeit begründet. In derartigen Fällen wird – allein oder tateinheitlich – eine Betrugsstrafbarkeit in Betracht kommen. 208 Schall SK Rdn. 38; Ritscher MK Rdn. 32; Dippel LK12 Rdn. 32; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 21. 209 Die Abgrenzung zum untauglichen Versuch verläuft zumindest theoretisch trennscharf: Nimmt der Täter rechtlich zutreffende Einordnungen vor, weiß er etwa um das Standesamt als zutreffenden Adressaten, nimmt er aber zugleich fälschlich an, dass eine von ihm gegenüber dem Einwohnermeldeamt abgegebene Erklärung an dieses weitergeleitet werde, ist der Bereich des Irrtums verlassen. Allgemein kommt es in der zweiten und dritten Tatvariante darauf an, ob der Täter in Rechtsunkenntnis oder in Tatsachenunkenntnis handelt, ob er etwa aufgrund irriger Einordnung der familien- und personenstandrechtlichen Lage meint, falsche Angaben zu machen (er etwa glaubt, anzumelden sei immer der biologische Vater, und er vermeintlich falsch den Ehemann anmeldet: dann Wahndelikt), oder ob er die Tatsachenlage verkennt (angemeldet werden soll der Tod eines vermeintlich noch lebenden anderen, der ohne Wissen des Täters tatsächlich gestorben ist: dann untauglicher Versuch). S. auch Schall SK Rdn. 43. 210 Allg. Auffassung, Fischer Rdn. 9; Frommel NK Rdn. 10; Ritscher MK Rdn. 32; Schall SK Rdn. 38; Sch/Schröder/ Bosch/Schittenhelm Rdn. 10 i. V. m. Sch/Schröder/Sternberg-Lieben/Schuster § 15 Rdn. 96; Matt/Renzikowski/Kuhli Rdn. 10; S. auch BGHSt 16 155, wobei es für die Bewertung der Irrtumsfrage in Unterlassungsfällen nicht auf die Einordnung von § 169 als Pflichtwidrigkeitsdelikt (vgl. Rdn. 19) oder unechtes Unterlassungsdelikt ankommt. 477
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§ 169 StGB
Personenstandsfälschung
IV. Rechtswidrigkeit 100 Die Einwilligung des von der Personenstandsfälschung betroffenen „anderen“ rechtfertigt die Tat wegen der immer auch berührten Allgemeininteresses an der zutreffenden Feststellbarkeit des Personenstandes nicht (Fischer Rdn. 2; Schall SK Rdn. 7). Zur Rechtfertigung der Hilfeleistung bei anonymer Geburt oder Abgabe von Kindern vgl. Rdn. 89, 91, 94.
V. Tatvollendung und Versuch (Abs. 2), Verjährung 101 Vollendung der Tat tritt ein mit dem Erreichen des tatbestandlichen Erfolges, der sich angesichts der disparaten Tathandlungen nur schwer zusammengefasst umschreiben lässt.211 Für die erste Tatvariante muss ein der Wahrheit widersprechender Schein der Abstammung eines Kindes erzeugt worden sein (vgl. Fischer Rdn. 5, s. Rdn. 28); dies ist jedenfalls bei Gelingen der Täuschung eines anderen der Fall, zumeist desjenigen, dem das Kind untergeschoben ist;212 ohne zielgerichtete Täuschung ist die Tat vollendet mit Eintritt eines verfestigten und zu falscher Personenstandsfeststellung geeigneten Zustandes, der das Kind als das eines anderen erscheinen lässt. In der zweiten Tatvariante liegt der Vollendungszeitpunkt im Zugang der falschen Angabe bei der Behörde; mit dem Täterhandeln der bloßen Abgabe ist der erforderliche Gefährdungserfolg noch nicht bewirkt.213 Ist die Erklärung in den Wahrnehmungsbereich der zur Entgegennahme tauglichen Behörde mit Möglichkeit der Kenntnisnahme durch diese gelangt, so kommt es nicht mehr darauf an, wie durchschaubar sich die Falschangabe gestaltet,214 und ob die Behörde sich tatsächlich täuschen lässt.215 Einen Gefährdungserfolg in diesem Sinne erfordert auch die dritte Tatvariante in den Fällen des positiven Tuns. Hier ist die Tat in dem Augenblick vollendet, in dem die zur Irreführung der zuständigen Behörde bestimmte Manipulation von dieser wahrgenommen werden kann. Bei Tathandlungen von innen heraus, etwa durch Beschäftigte der Behöre, ist Vollendung mit der ersten nach außen gerichteten Manipulationshandlung eingetreten. In den Unterlassungsfällen ist ein die Feststellbarkeit des Personenstandes beeinträchtigender Zustandes regelmäßig nach Verstreichen der für die Abgabe der Erklärung gesetzten Frist (s. etwa § 18 Abs. 1 PStG) oder, wenn eine solche Frist fehlt, nach Ablauf einer zumutbaren Zeitspanne herbeigeführt.216 Eine Vorverlagerung der Vollendung kommt auch in Fällen, in denen der Verpflichtete von vornherein zum Ausdruck bringt, seiner Anzeigepflicht nicht nachzukommen, oder solches aus den Umständen – etwa dem Aussetzen eines Säuglings oder bei anonymer Geburt – ersichtlich ist, nicht in Betracht, da vor Fristablauf keine Pflichtwidrigkeit vorliegt und der Betroffene noch immer straflos anderen Sinnes werden kann (aA Schall SK Rdn. 40; Dippel LK12 Rdn. 33). In keinem Fall ist für eine Tatvollendung erforderlich, dass die Feststellbarkeit des Personenstandes endgültig verhindert wird oder auch nur einige Zeit beeinträchtigt ist;217 auch muss es für die Annahme von Vollendung zur Eintragung eines falschen Personenstandsmerkmals nicht gekommen sein.
211 Vgl. Dippel LK12 Rdn. 33 unter Bezug auf OLG Kassel NJW 1949 518: „Eintritt eines Zustandes, der den Personenstand des anderen als unrichtig erscheinen lässt.“ 212 RGSt 36 137; Fischer Rdn. 5; Schall SK Rdn. 39; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 22. 213 Schall SK Rdn. 39; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 11; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 22 (S. 168); Frommel NK Rdn. 11; Dippel LK12 Rdn. 33; aA Fischer Rdn. 6a: bereits mit Abgabe. 214 SSW/Wittig Rdn. 6; dagegen nehmen einen (untauglichen) Versuch bei offensichtlichen Verfälschungen an Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 5 und Schall SK Rdn. 42. 215 And. Ritscher MK Rdn. 33: Bei Nichtvornahme der begehrten Eintragung nur Versuch. 216 Schall SK Rdn. 40; Ritscher MK Rdn. 33; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 22 (S. 168); Matt/Renzikowski/Kuhli Rdn. 14; and. Fischer Rdn. 7a: Unterlassen der Mitteilung zur zumutbaren Zeit. 217 RGSt 10 135, 137; 34 24, 25; 36 137; 77 51, 52; Fischer Rdn. 8: Schall SK Rdn. 41. Wiedner
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VII. Rechtsfolgen
StGB § 169
Ein nach Absatz 2 strafbarer Versuch liegt in der ersten Tatvariante etwa dann vor, wenn 102 eine Vertauschung von Kindern scheitert, zu welcher der Täter bereits angesetzt hat, oder wenn eine – beabsichtigte – Täuschung desjenigen misslingt, dem das Kind untergeschoben werden soll. Im Falle der zweiten Tatvariante führt die Abgabe einer Erklärung, die den nach § 169 zuständigen Adressaten nicht erreicht, zum Versuch, während die Erklärung gegenüber einem nach § 169 untauglichen Adressaten auch bei rechtsirriger Annahme der Zuständigkeit keinen untauglichen Versuch darstellet, sondern ein Wahndelikt.218 Bei Unterlassungstaten der dritten Tatvariante kommt ein Versuch nicht in Betracht. Der grdsl. mit Tatbeendigung beginnende (§ 78a) Lauf der Verjährung – Dauer: fünf Jahre 103 gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 – setzt bei § 169 im Vollendungszeitpunkt an. Da die Tat kein Dauerdelikt, sondern ein Zustandsdelikt bildet (vgl. Rdn. 21), ist bereits damit ein rechtswidriger Zustand begründet, auf dessen Dauer und Ende es nicht ankommt (Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 23, S. 168; Schall SK Rdn. 41). Wiederholungen der Tat verwirklichen den Tatbestand trotz einer bereits eingetretenen Fälschungswirkung neu und setzen, so sie sich konkurrenzrechtlich als selbständig erweisen, eine neue Verjährungsfrist in Lauf (vgl. RGSt 40 402).
VI. Täterschaft und Teilnahme Eine Tatbegehung ist in der Tatvariante 2 insbesondere in Form mittelbarer Täterschaft mög- 104 lich, wenn sich der Täter einer undolosen Person oder unzuständigen Stelle zur Mitteilung oder Weiterleitung falscher Angaben bedient. Die Vorspiegelung der Vaterschaft gegenüber einem gutgläubigen Mann mit der Folge, dass dieser die Vaterschaft anerkennt, bildet keinen Fall mittelbarer Täterschaft, da durch die Anerkennung konstitutiv die Vaterschaft begründet, mithin kein falscher Personenstand vorgespiegelt wurde (aA Ritscher MK Rdn. 33; König FPR 2006 370, 37). Mittäterschaft ist gleichfalls denkbar, etwa seitens der Eltern, auch bei Unterdrückung des Personenstandes eines nichtehelichen Kindes durch Unterlassen (vgl. OLG Oldenburg NdsRpfl. 1951 37), oder allgemein durch Zusammenwirken dritter Personen bei Erstellung einer unrichtigen Mitteilung. Die Personenstandsunterdrückung in der typischen Begehungsform durch Unterlassen kann nur durch den Adressaten der jeweiligen Anzeigepflicht begangen werden; für Dritte kommt nur Teilnahme in Betracht (Schall SK Rdn. 44; Dippel LK12 Rdn. 35). § 28 Abs. 1 findet keine Anwendung. Die Beteiligung an der Fälschung des eigenen Personenstandes durch einen anderen bleibt mangels der Beeinträchtigung eines fremden Personenstandes tatbestandslos; anders liegt es bei einer gemeinschaftlichen Personenstandsfälschung (etwa von Eheleuten), die jeweils auch den Personenstand des anderen berührt (vgl. Ritscher MK Rdn. 35; Schall SK Rdn. 44). Angesichts des Deliktscharakters als Zustandsdelikt ist bereits nach Vollendung der Tat nur noch Begünstigung, aber keine Beihilfe mehr möglich (anders noch unter Annahme einer fortgesetzten Tat RGSt 23 292).
VII. Rechtsfolgen Bei Zumessung innerhalb des Strafrahmens von Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu zwei Jah- 105 ren wird einerseits das Gewicht der betroffenen Personenstandsmerkmale und die objektiven Schwere der Verfälschung nach Dauer und Intensität zu bedenken sein. So wird einer Kindesunterschiebung, die zu einer langjährigen Verschleierung der tatsächlichen Abstammung des Kindes führte, wesentlich deutlicher zu sanktionieren sein als eine nur kurzzeitige Täuschung, eine solche über weniger bedeutsame Merkmale oder wegen frühzeitiger Aufdeckung 218 Zutreffend Schall SK Rdn. 43; and. wohl Fischer Rdn. 8; Frommel NK Rdn. 11; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 11. Anders bei einer tatsächlichen Fehlvorstellung dahin, es handele sich um einen objektiv geeigneten Adressaten, etwa bei Personenverwechslung mit einem Standesbeamten. 479
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§ 169 StGB
Personenstandsfälschung
gar nicht zur Eintragung im Register gelangte Fehlangaben. Auch außertatbestandliche Tatfolgen wie etwa die verhinderte Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen oder Erbrechten, oder Auswirkungen auf familienrechtliche Verhältnisse wie vermeintliche Eheverbote können straferschwerend wirken, insbesondere wenn sie für den Täter im Sinne einer Schädigungsabsicht handlungsleitend waren. Andererseits können innere Notlagen des Täters, auch wenn sie unterhalb der Schwelle der §§ 34, 35 bleiben, zu (deutlicher) Strafmilderung Anlass geben.
VIII. Konkurrenzen 1. Innertatbestandlich 106 Nach der erstmaligen Unterschiebung eines Kindes und der Falschangabe oder Unterdrückung von Personenstandsangaben kommt es häufig zu weiteren Handlungen mit derselben Zielrichtung. Nach h. M. treten diese im Wege der Gesetzeskonkurrenz hinter die einmal verwirklichte Personenstandsfälschung zurück.219 Indes dürfte zu differenzieren sein: Ist die erneute Täuschung gegenüber einem funktionell anderen Adressaten oder mit anderem Täuschungsgegenstand begangen, liegt eine neue, selbständige Tat vor, auch wenn der Personenstand derselben Person betroffen ist. Dies gilt etwa dann, wenn nacheinander unterschiedliche Stellen getäuscht werden (aA Schall SK Rdn. 45), etwa durch falsche Angaben im Statusprozess und gegenüber dem Standesbeamten,220 oder wenn neben einem unzutreffenden Namen nun auch eine falsche Abstammung oder Eheschließung derselben Person angegeben werden. Soll nur die bereits begangene Personenstandsfälschung aufrechterhalten, gesichert oder vertieft werden, indem gegenüber demselben Adressaten neue Täuschungshandlungen betreffend dieselben personenstandlichen Merkmale begangen werden, so ist zwar der Tatbestand erneut verwirklicht; die falschen Angaben treten aber als mitbestrafte Nachtat im Wege der Konsumtion zurück.221 Ein Fortsetzungszusammenhang scheidet aus.222 Eine derartige Gesetzeskonkurrenz besteht auch, wenn durch die neue Handlung unter einem bereits früher angegebenen falschen Namen oder einer früher behaupteten falschen Abstammung weitere, für sich genommen zutreffende Ereignisse mitgeteilt werden; denn eine erneute Verfälschung des durch die frühere Tat bereits bewirkten Veränderung des Personenstandes tritt hierdurch nicht ein (RGSt 25, 188).223 Die erneuten Handlungen erhöhen freilich den Unrechts- und Schuldgehalt; der Strafrichter ist daher gehalten, sie straferschwerend zu berücksichtigen. Fallen erneute, denselben Täuschungsgegenstand betreffende tatbestandliche Handlungen mit anderen Delikten höheren Unrechtsgehaltes – etwa einer Urkundenfälschung – tateinheitlich zusammen, bewirkt § 169 keine Verklammerung, sondern ist mehrfach (allein und erneut in Tateinheit mit dem anderen Delikt) verwirklicht. Wird die Personenstandsfälschung durch den mehrfachen Gebrauch derselben unechten oder verfälschten Urkunde erreicht, gelten auch für § 169 die zu § 267 entwickelten kon219 Vgl. Schall SK Rdn. 45 (mitbestrafte Nachtat); Matt/Renzikowski/Kuhli Rdn. 16; Dippel LK12 Rdn. 37; Maurach/ Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 23; Frommel NK Rdn. 13. Offen gelassen noch von RGSt 39 252, 255 zur Variante des Unterdrückens durch denselben Täter. 220 Vgl. RGSt 70 237, wo beide Handlungen als tatbestandlich angesehen wurden, allerdings mit aus der in der amtlichen Sammlung nicht eindeutig hervorgehender konkurrenzrechtlicher Beurteilung. Sofern das Reichsgericht – wie naheliegend – eine Tat angenommen haben sollte, wäre dies allerdings auch der Besonderheit geschuldet, dass nur die tatsächlich abgegebene Erklärung im Statusprozess standesamtlich beurkundet wurde. 221 Ähnliche Unterscheidung bei Ritscher MK Rdn. 36. Diesen Fall ebenfalls erfassend, aber weiter die h. M.; vgl. Fn. 219. 222 Ein Ausnahmefall im Sinne von BGHSt [GrSSt.] 40 138, in dem eine Erfassung des Unrechts- und Schuldgehaltes nur auf diese Weise möglich ist, liegt nicht vor (Dippel LK12 Rdn. 37). 223 In dem von RGSt 25, 188 entschiedenen Fall hatte die Mutter einen falschen Namen und eine falsche Abstammung ihres Kindes angegeben, und diese Angaben bei Mitteilung des – tatsächlich eingetretenen – Todes des Kindes wiederholt. Wiedner
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VIII. Konkurrenzen
StGB § 169
kurrenzrechtlichen Grundsätze.224 Das Unterschieben, die Falschangabe oder Unterdrückung von Tatsachen bezüglich mehrerer anderer Personen bildet eine Tat, sofern sie durch dieselbe Handlung bewirkt wird; nachträgliche Handlungen bezüglich einer weiteren als der zunächst betroffenen Person sind neue Taten, auch wenn sie mit derselben Zielrichtung – etwa der Verschleierung der fremden Identität – begangen werden. Aufeinanderfolgende Handlungen durch mehrere Täter bilden selbständige Taten, auch wenn sie materiell auf dieselbe Personenstandsfälschung gerichtet sind und die zweite Tat nur der Aufrechterhaltung des durch die erste Tat geschaffenen Zustandes dient (RGSt 39 252, 255).
2. Zusammentreffen mit anderen Delikten Tateinheitlich zusammentreffen kann § 169 in allen Varianten mit §§ 170, 171, wenn ein Unter- 107 halts- oder Fürsorge- und Erziehungspflichtiger sich durch die Tat zugleich seinen Pflichten entzieht (Schall SK Rdn. 46), sowie mit § 267 und § 271 bei Tatbegehung unter Einsatz von Urkunden oder gegenüber einer für eine mittelbare Falschbeurkundung geeigneten Stelle.225 Die erste Tatvariante kann konkurrieren mit § 235226 die zweite und dritte Tatvariante können zusammentreffen mit §§ 153 ff,227 §§ 232 ff, insbesondere § 235,228 und § 263 (Schall SK Rdn. 46). Durch Tötungsdelikte wird § 169 konsumiert.229 Dementsprechend ist für ein Zusammentreffen der dritten Tatvariante mit § 221 dahin zu differenzieren, dass Tateinheit mit § 221 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 möglich ist,230 mit § 221 Abs. 3 dagegen nicht. Der Unrechtsgehalt von § 221 Abs. 2 Nr. 2 überlagert jenen von § 169 gleichfalls in einer Weise, dass § 169 zurücktritt. Tateinheit ist ferner möglich mit § 95 Abs. 1 Nr. 5, § 49 Abs. 2 AufenthG, § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG, § 9 FreizügG/EU.231 § 84 AsylG erfasst unrichtige Angaben des – ggf. nach § 169 strafbaren – Asylbewerbers selbst nicht;232 allerdings kann sich der den Asylbewerber verleitende Dritte sowohl nach § 84 AsylG als auch tateinheitlich nach §§ 169, 26 strafbar machen.
224 Bei Gesamtvorsatz liegt dann nur eine Tat vor, vgl. BGH NStZ-RR 2017 26; NStZ-RR 2019 29 m.w.Nachw. 225 RGSt 10 86, 88; 25 188; RG LZ 9 (1915) 56; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 12; Ritscher MK Rdn. 36; Fischer Rdn. 10; SSW/Wittig Rdn. 15; Schall SK Rdn. 46; Lackner/Kühl/Heger/Heger Rdn. 8; Bottke S. 107; aA Stracke S. 58. Die in der Literatur häufig anzutreffende Auffassung, dass § 271 bei Falschangaben gegenüber dem Standesbeamten nicht tateinheitlich verwirklicht sein kann (vgl. Fischer a. a. O.; Wittig a. a. O.; Frommel NK Rdn. 1; v. Heintschel-Heinegg/Heuchemer Rdn. 14), bezieht sich teilweise auf dies nicht belegende Entscheidungen des Reichsgerichts: RGSt 77 51 sagt hierzu nichts aus; RGSt 70 237, 239 betrifft den Sonderfall, dass nur zutreffend die anderweitige Abgabe einer – freilich inhaltlich falschen – Erklärung beurkundet wurde. Dagegen gehen RGSt 10 86, 88 und 25 188 von der Möglichkeit einer Tateinheit bei Beurkundung in Standesregistern als selbstverständlich aus. Dies trifft zumal nach heutiger Rechtslage auch sachlich zu. Denn der Standesbeamte ist als zuständige Stelle (§ 2 Abs. 1 PStG) mit entsprechenden Beurkundungen befasst, denen nach § 54 PStG auch hinsichtlich des Inhaltes der personenstandsrelevanten Daten Beweiskraft zukommt (zutreffend Schall SK Rdn. 46; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 23, S. 168). 226 Ritscher MK Rdn. 36; Schall SK Rdn. 46; Dippel LK12 Rdn. 37. 227 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 12; Ritscher MK Rdn. 36; Schall SK Rdn. 46; Pfeiffer/Maul/Schulte Anm. 2. 228 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 12. 229 Ritscher MK Rdn. 36; Dippel LK12 Rdn. 37. 230 RG LZ 10 (1916) 330; Tateinheit generell bejahend Ritscher MK Rdn. 36; Schall SK Rdn. 46; Maurach/Schroeder/ Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 23, S. 168. Dagegen generell verneinend Frommel NK Rdn. 13; v. Heintschel-Heinegg/Heuchemer Rdn. 14. 231 Undeutlich Schall SK Rdn. 45, der ein Zurücktreten dieser Vorschriften wohl nur für den Fall wiederholter Falschangaben annehmen möchte. Dies trifft zu hinsichtlich der in ihrem Unrechtsgehalt hinter § 169 zurückbleibenden § 95 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG und § 9 Freizüg/EU, nicht aber für § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG. Die Möglichkeit tateinheitlicher Erstbegehung bleibt hiervon aber unberührt. S. auch Rdn. 70. 232 Vgl. Schall SK Rdn. 45 Fn. 146 m.w.Nachw. 481
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§ 169 StGB
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Personenstandsfälschung
Für die Ordnungswidrigkeiten nach § 70 Abs. 1 PStG und § 111 OWiG gilt § 21 OWiG; sie treten als subsidiär zurück. Dies betrifft auch den Fall, dass eine nach § 169 tatbestandliche und zugleich nach § 70 Abs. 1 PStG bußgeldbewehrte Handlung wegen bereits vorangehender Verwirklichung des § 169 als mitbestrafte Nachtat konsumiert wird (Mitsch KK-OWiG § 21 Rdn. 6; vgl. Rdn 106). Da die Bußgeldtatbestände allgemeiner gefasst sind, scheidet eine Spezialität (eingehend Mitsch KK-OWiG § 21 Rdn. 7 ff) aus. Zu beachten sind aber §§ 82, 83 OWiG. Die von § 169 tatbestandlich nicht erfassten Falschangaben über den eigenen Personenstand bleiben nach § 111 OWiG verfolgbar.
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ZWÖLFTER ABSCHNITT Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie § 170 Verletzung der Unterhaltspflicht (1) Wer sich einer gesetzlichen Unterhaltspflicht entzieht, so daß der Lebensbedarf des Unterhaltsberechtigten gefährdet ist oder ohne die Hilfe anderer gefährdet wäre, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Wer einer Schwangeren zum Unterhalt verpflichtet ist und ihr diesen Unterhalt in verwerflicher Weise vorenthält und dadurch den Schwangerschaftsabbruch bewirkt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Schrifttum Albrecht Wann beruht die Vernachlässigung von Unterstützungspflichten auf bösem Willen? SchwJZ 72 (1976) 223; Amelunxen Die Verletzung der Unterhaltspflicht des unehelichen Vaters vom strafrechtlichen und armenpolizeilichen Standpunkt (1914); Arzt Wissenschaftsbedarf nach dem 6. StrRG, ZStW 111 (1999) 757; Assenmacher Einwirkungen von Zivilentscheidungen auf den Strafprozeß (1925); Bartsch Unterhaltspflichten nach Auflösung der eheähnlichen Gemeinschaft, JR 1979 364; Baums Der Unterhaltsanspruch als strafrechtlich geschütztes Rechtsgut (§ 170b StGB) (1954); Battes Probleme bei der Anwendung des Gesetzes über Eingetragene Lebenspartnerschaften, FuR 13 (2002) 49, 113; Beck Die verfassungsrechtliche Begründung der Eingetragenen Lebenspartnerschaft, NJW 2001 1894; ders. Lebenspartner zu Ehepartner – Gleiche Rechte für Lebenspartner schaffen, DRiZ 2008 340; Becker Walter Verletzung der Unterhaltspflichten, Rpfleger 1953 290; ders. Die strafbare Verletzung der Unterhaltspflicht, NJW 1955 1906; ders. Unterhaltspflichtverletzungen, NDV 36 (1956) 306, 334; Beckmann Fristenregelung mit Beratungsangebot – Anspruch und Wirklichkeit der neuen Abtreibungsregelung, ZfL 4 (1995) 24; Berkemann Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, JR 1979 447; Bode Zur Strafbarkeit der Unterhaltspflichtentziehung, NJW 1955 1588; ders. Strafbare Verletzung der „Zahlvaterpflicht“? NJW 1956 1428; Borth Verhindern Billigkeitsregeln im Familienrecht Ungerechtigkeiten? FPR 11 (2005) 313; Bosch F.W. Einführung in das neue „Nichtehelichenrecht“, FamRZ 1969 505; Bötticher Die Bindung der Gerichte an Entscheidungen anderer Gerichte, Hundert Jahre deutsches Rechtsleben: Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages 1860–1960, Bd. 1 (1960) 511; Brandani Kindergeld und Unterhalt, FamK 33 (2006) 103; Braunbeck Das Ende der „Scheinvaterschaften“, DRiZ 2008 42; Bretzfeld Die strafbare Verletzung der Unterhaltspflicht, BayZ 7 (1911) 417; Brox Die Bindung des Richters an Entscheidungen anderer Gerichte, ZZP 73 (1960) 46; Bruns H.-J. Bindet die Rechtskraft deklaratorischer Urteile der Zivil- und Verwaltungsgerichte auch den Strafrichter? Festschrift für Friedrich Lent zum 75. Geburtstag 6.1.1957 (1957) 107; ders. Unterhaltspflichtverletzung und Gleichberechtigung, FamRZ 1959 129; ders. Leitfaden des Strafzumessungsrechts (1980) – zit.: H.-J. Bruns Leitfaden; ders. Grundprobleme der strafrechtlichen Organ- und Vertreterhaftung (§ 14 StGB, § 9 OWiG), GA 1982 1; Bundeskonferenz für Erziehungsberatung Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Klärung der Vaterschaft unabhängig vom Anfechtungsverfahren, ZKJ 2 (2007) 362; Burghart Der Schutz des Unterhaltsanspruchs im geltenden und im kommenden Strafrecht, ZHW 34 (1929) 257; Büte Heimlicher Vaterschaftstest, FamK 34 (2007) 73; Büttner H. Was im Abstammungsverfahren zu beachten ist, FF 3 (2000) 13; ders. Sind die Bedenken gegen die Rechtsprechung des BGH und BVerfG zu den ehelichen Lebensverhältnissen gerechtfertigt? FamRZ 2000 641; ders. Der biologische (genetische) Vater und seine Rechte, Perspektiven des Familienrechts: Festschrift für Dieter Schwab zum 70. Geburtstag am 15. August 2005 (2005) 735; Büttner S. Zur unehelichen Vaterschaft, ZZP 71 (1958) 1; Caspary Pflichten des Rechtsanwalts im familienrechtlichen Mandat bei strafrechtlich relevantem Verhalten des Mandanten oder Gegners, FPR 12 (2006) 366; Dahlem Das Verhältnis des Zivilrechts zum Strafrecht mit besonderer Berücksichtigung der Disharmonien (1919); Dedes Die Arten der Unterlassungsdelikte, GA 1977 230; Demann Die Verletzung der Unterhaltspflicht als strafbare Handlung § 361 Ziff. 5 und 10 RStG. (1928); Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht e. V., Unterhaltsrecht: strafrechtliche Vermögensabschöpfung zugunsten unterhaltsberechtigter Kinder, JAmt 2018, 224; Dethloff Die Eingetragene Lebenspartnerschaft – Ein neues familienrechtliches Institut, NJW 2001 2598; Dornis Der Tatbestand der Unterhaltspflichtverletzung, FRB 7 (2008) 21; Eckert Die Auswirkungen des Nichtehelichengesetzes im Strafverfahren wegen Unterhaltspflichtverletzung (§ 170b StGB), FamRZ 1974 118; Eckstein M. Die strafbare Verletzung der Unterhaltspflicht (§ 36110 R.-St.-G.-B.), StrafrAbh. 45 (1903); Eggert Die Bedeutung der Statusakte i. S. d. § 1600a BGB für den Strafrichter, MDR 1974 445; Ehrbeck Der Straftatbestand der Unterhaltsentziehung aus rechtsvergleichender Sicht, Europäische Hochschulschriften Reihe II Rechtswissenschaft Bd. 941 (1990); Eisner Die letzten zivil- und öffentlichrechtlichen Mittel gegen 483 https://doi.org/10.1515/9783110490107-033
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§ 170 StGB
Verletzung der Unterhaltspflicht
böswillige Unterhaltspflichtige, Beiträge zur Jugendhilfe Heft 1 3. Aufl. (1932); Finger Anfechtung der Vaterschaft/ der Ehelichkeit, §§ 1600 ff BGB; zu den geplanten Gesetzesänderungen – Unterhaltsregress und Schadensersatz, JR 2007 50; ders. Eheschließung, registrierte Lebenspartnerschaft, Annahme als Kind, Vaterschaftsanerkenntnis – alles zum Schein? – Voraussetzungen und (weitere) Folgen – FuR 18 (2007) 341; Frisch Vorsatz und Risiko (1983); Gaul H. F. Der Zwiespalt zwischen Unterhalts- und Abstammungsurteil als rechtstheoretisches, rechtspraktisches und legislatorisches Problem, FamRZ 1959 334, 431; Geerds Zur Lehre von der Konkurrenz im Strafrecht (1961);; Geppert Zum Geltungsbereich des § 170b StGB bei Unterhaltspflichtverletzungen zum Nachteil von DDR-Bürgern, JR 1988 221; Gerhardt Neubewertung der ehelichen Lebensverhältnisse, FamRZ 2003 272; Gitter/Hahn-Kemmler Die Verdrängung des Zivilrechts durch das Sozialrecht – dargestellt am Unterhaltsrecht, SGb. 26 (1979) 195; Göppinger Die Reform des Rechts der nichtehelichen Kinder, JR 1969 401; ders. Die Neuregelung der rechtlichen Stellung der nichtehelichen Kinder, DRiZ 1970 141, 177; Gössel Das Rechtsgut als ungeschriebenes strafbarkeitseinschränkendes Tatbestandsmerkmal, Festschrift für Dietrich Oehler zum 70. Geburtstag (1985) 97; Grosch/Hahn/Schultze-Petzold/ v.Rozycki-v.Hoewel Strafrechtlicher Schutz des Unterhaltsanspruchs, DR 9 (1939) 300; Hammermann Das Gesetz zur Klärung der Vaterschaft unabhängig vom Anfechtungsverfahren, FRB 7 (2008) 150; Heimann-Trosien Zur Übergangsregelung des Art. 12 § 3 NEhelG, JR 1976 235; Heinle/Wawrzyniak § 170b StGB zum Schutz des Unterhaltsgläubigers unersetzlich! DAVorm. 68 (1995) 1017; Heiß Karrieresprung und eheliche Lebensverhältnisse, FPR 14 (2008) 69; Hellmann Die Bindung des Strafrichters an Straf-, Zivil- und Verwaltungsgerichtsurteile (1954); Herlan Ist die Strafverfolgung bei Unterhaltspflichtverletzung gemäß § 170 StGB gewährleistet oder gibt der Staat das Heft aus der Hand? DAVorm. 72 (1999) 81 Hillenbrand § 170 I StGB – Ein stumpfes Schwert im Kampf um den Unterhalt, NZFam 2020, 545; v. Hippel Bettel, Landstreicherei und Arbeitsscheu (§§ 361 Nr. 3–5, 7, 8 und 10 RstrGB), Vergleichende Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts Besonderer Teil Bd. II (1906) 107 – zit.: v. Hippel VDB; Huber J. Das Bundeserziehungsgeld nach neuem Recht – Rechtslage ab 2001, NZA 17 (2000) 1319; Jungclaussen Der strafrechtliche Schutz der Unterhaltsansprüche (1946); Kaiser E. Bindung des Strafrichters an Zivilurteile im Verfahren wegen Verletzung der Unterhaltspflicht, NJW 1972 1847; Katzenmeier Die Vernachlässigung von Unterstützungspflichten nach Art. 217 Schw.StGB: unter vergleichender Berücksichtigung des Deutschen Rechts (1968) (zit.: Katzenmeier Vernachlässigung); Kaufmann A. Die Dogmatik der Unterhaltsdelikte (1959); Kaufmann F. Verletzung der Unterhaltspflicht (§ 170b Strafgesetzbuch), DAVorm. 54 (1981) 539; Kingreen Die verfassungsrechtliche Stellung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft im Spannungsfeld zwischen Freiheits- und Gleichheitsrechten, Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft Bd. 97 (1995); Kemper Rechtsanwendungsprobleme bei der Eingetragenen Lebenspartnerschaft, FF 5 (2001) 156; ders. Ehe und Eingetragene Lebenspartnerschaft, FPR 7 (2001) 449; Kirchmeier Einführung in das Vaterschaftsfeststellungsverfahren, FPR 8 (2002) 370; Klee Die Verordnung zum Schutze von Ehe, Familie und Mutterschaft vom 9. März 1943, ZAkDR 10 (1943) 88; Klinkhammer Der Scheinvater und sein Kind – Das Urteil des BVerfG vom 13.2.2007 und seine gesetzlichen Folgen, FF 10 (2007) 128; Klinkhardt Eine verkürzte Ehelichkeitsanfechtung, das Vaterschaftsstatut und die Vorfrage, IPRax. 6 (1986) 21; Klussmann Strafbarkeit des vorrangig Unterhaltsverpflichteten nach § 170b StGB bei öffentlichen Sozialleistungen, MDR 1973, 457; Knittel Neues Gesetz zur Klärung der Vaterschaft verabschiedet, JAmt 81 (2008) 117; Knobloch Verletzung der Unterhaltspflicht, DJ 1939 296; Koch H.-J. Der Tatbestand des § 170b StGB in der Praxis, ZfJ 56 (1969) 8; Kohlhaas Die Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 170b StGB, UJ 10 (1958) 69; König K.-H. Die Bindung des Richters an präjudizielle Urteile anderer Gerichte (1934); König R. Entwurf eines Gesetzes zur Klärung der Vaterschaft unabhängig vom Anfechtungsverfahren, ZKJ 2 (2007) 340; Kraemer Nichterfüllung staatlicher Erstattungsansprüche als strafbare Unterhaltspflichtverletzung? NJW 1973 793; Kramer Der bindende Einfluß präjudizieller Zivilurteile auf die strafrechtliche Rechtfertigung (1928); Kretschmer Die nichteheliche Lebensgemeinschaft in ihren strafrechtlichen und strafprozessualen Problemen, JR 2008 51; Krumm, Strafrecht für Familienrechtler: Verletzung der Unterhaltspflicht, NZFam 2015, 54, ders. Prozessuale Fragen zur Verletzung der Unterhaltspflicht, StraFo 2015, 139; Kugler Die Bindung des Strafrichters an Zivilurteile (1955); Kunz Ist die Strafbewehrung der Unterhaltspflicht auch auf Ausländer anwendbar? NJW 1977 2004; ders. Der BGH zum strafrechtlichen Unterhaltsschutz des § 170b StGB bei Ausländern, NJW 1980 1201; ders. Zum Geltungsbereich des § 170b StGB, NJW 1987 881; ders. Schutz der Individualinteressen durch § 170b StGB auch im Ausland? NJW 1995 1519; Kuttner Urteilswirkungen außerhalb des Zivilprozesses (1914); Lange Herm. Das neue Nichtehelichenrecht, NJW 1970 297; Latka-Jöhring Immer mehr Väter auf der Flucht, DAVorm. 66 (1993) 17; Leonhardt Strafanzeigen wegen Unterhaltspflichtverletzung, DAVorm. 73 (2000) 850; dies. § 170 StGB – die unendliche Geschichte, JAmt 74 (2001) 322; Lobe Der Einfluß des bürgerlichen Rechts auf das Strafrecht, Festgabe für Reinhard von Frank zum 70. Geburtstag: 16. August 1930 Bd. I (1930) 33; Löhnig Das Recht des Kindes nicht miteinander verheirateter Eltern, 2. Aufl. (2004); Lüke Die Bedeutung vollstreckungsrechtlicher Erkenntnisse für das Strafrecht, Strafgerechtigkeit: Festschrift für Arthur Kaufmann zum 70. Geburtstag (1993) 565;; Luthin Zum Bedarf beim Ehegattenunterhalt, insbesondere zur Relevanz eines Mindestbedarfs, Festschrift für Dieter Henrich zum 70. Geburtstag 1. Dezember 2000 (2000) 415; Luthin/Koch. Handbuch des Unterhaltsrechts, 11. Aufl. (2010); Lüttger
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Schrifttum
StGB § 170
Bemerkungen zu Methodik und Dogmatik des Strafschutzes für nichtdeutsche öffentliche Rechtsgüter, Festschrift für Hans-Heinrich Jescheck zum 70. Geburtstag Bd. 1 (1985) 121; Mattmer Der Straftatbestand der Unterhaltspflichtverletzung, NJW 1967 1593; Matzke Zur Tatbestandserfüllung des § 170b StGB bei zivilrechtlich noch nicht festgestellter nichtehelicher Vaterschaft, DAVorm. 51 (1980) 709; Michels Der strafrechtliche Schutz der Unterhaltspflicht (1938); Mittelbach Die Verletzung der Unterhaltspflicht als Straftatbestand, MDR 1957 65; ders. Die strafbare Verletzung der Unterhaltspflicht (§ 170b StGB), DRiZ 1957 215; ders. Zur Problematik des § 170b StGB, MDR 1958 470; Möller A. Voraussetzungen des § 170 StGB, FamK 32 (2005) 134; Müller J. A. Die Vernachlässigung von Unterstützungspflichten im Sinne von Art. 217 StrGB, SchwZStr. 82 (1966) 254; Müller-Freienfels Rechtsfolgen nichtehelicher Gemeinschaften und Eheschließungsrecht, in Festschrift für Joachim Gernhuber zum 70. Geburtstag (1993) 737; Muscheler Familienrecht (2006); Neudek Zur Problematik der strafbaren Verletzung der Unterhaltspflicht (1965); Nicklisch Die Bindung der Gerichte an gestaltende Gerichtsentscheidungen und Verwaltungsakte (1965); Oehler Umgrenzung der gesetzlichen Unterhaltspflicht in § 170b StGB, FamRZ 1959 489; Ostermann Strafjustiz als Büttel der Jugendämter, ZRP 1995 204; Otto Die strafrechtliche Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs, Jura 1996 135; Peschel-Gutzeit Kinderrechteverbesserungsgesetz – KindRVerbG – vom 9.4.2002, FPR 8 (2002) 285; dies. Durchbrechung der Rechtausübungssperre des § 1600d Abs. 4 BGB allein aus finanziellen Gründen? JR 2009 13; Peters K. Die Begrenzung des Strafrecht bei zivilrechtlichen Verhältnissen als materiellrechtliches und prozessuales Problem, Festschrift für Eberhard Schmidt zum 70. Geburtstag (1961) 488; Pfeiffer Zur Verletzung der Unterhaltspflicht (§ 170b StGB), ZSH 8 (1969) 402; Pucandl Strafbare Verletzung von Unterhaltspflichten (1994); Quantius Die Elternschaftsanfechtung durch das künstlich gezeugte Kind, FamRZ 1998 1145; Reitmaier Die Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 170 StGB, KdPr. 7 (2004) 211; Rellermeyer Die Eingetragene Lebenspartnerschaft, Rpfleger 2001 381; Renggli Die Verletzung der Unterhaltspflicht (Art. 217 StGB) (1943); Rieß Die Zukunft des Legalitätsprinzips, NStZ 1981 2; Robbers Eingetragene Lebenspartnerschaften, JZ 2001 779; Rollecke Kommen Kinder aus der Klinik? NJW 2002 3539; Rößler Verletzung der Unterhaltspflicht, JW 1937 2496; Roos Der Beistand und die Staatsanwaltschaft, JAmt. 74 (2001) 269; Roxin Verwerflichkeit und Sittenwidrigkeit als unrechtsbegründende Merkmale im Strafrecht, JuS 1964 373; v. Rozycki-v. Hoewel Strafrechtlicher Schutz des Unterhaltsanspruchs, DR 8 (1938) 200; Saunus Inwieweit ist der Strafrichter an präjudizielle Entscheidungen des Zivilrichters gebunden? (1918); Schittenhelm Zweifelhafter Schutz durch das Strafrecht – Einige kritische Bemerkungen zu dem neuen § 170b II StGB, NStZ 1997 169; Schlüchter Zur teleologischen Reduktion im Rahmen des Territorialprinzips, Festschrift für Dietrich Oehler zum 70. Geburtstag (1985) 307; Schlüter BGB-Familienrecht, 11. Aufl. (2005); Schmid Verletzung gleichrangiger Unterhaltspflichten – eine prozessuale Tat? MDR 1978 547; Schmidt, Andreas Ansprüche auf rückständigen gesetzlichen Unterhalt in der Insolvenz, ZVI 2020, 1; Schmidt N. Die Verletzung der Unterhaltspflicht im Amtsgerichtsbezirk Oberhausen in den Jahren 1949– 1956 (1961); Schmöe Alimentenurteil und Unterhaltspflichtverletzung, ZfJ 41 (1954) 73, 193; Schnitzler Münchener Anwaltsbuch Familienrecht (2002); ders. Auswirkungen von Straftaten auf das Familienrecht: Verwirkungen, FPR 12 (2006) 376; Schorn Zur Wirkung des Zivilurteils auf die Entscheidung des Strafrichters, JR 1931 25; ders. Strafbare Unterhaltsverletzungen im Lichte der Rechtsprechung, JR 1932 241; Schröder Der Begriff der „gesetzlichen Unterhaltspflicht“ in § 170b StGB, JZ 1959 346; Schubert W. Die Ex tunc-Wirkung des bürgerlichen Rechts und ihre Bedeutung für die strafrechtliche Beurteilung (1928); Schubert R. Das Recht auf Haushaltsführung und die Unterhaltspflicht der Ehefrau und Mutter (1967); Schulz Verschlungene Wege des Lebensschutzes – Zum zweiten Abtreibungsurteil des BVerfG, StV 1994 38;; Schürmann Der Rang im Unterhaltsrecht, FRB 6 (2007) 276; Schwab K. H. Bindung des Strafrichters an Feststellungen rechtskräftiger Zivilurteile? NJW 1960 2169; ders. Grundzüge und Folgen des neuen Kindschaftsrechts, in Schneider/Matthias-Bleck (Hrsg.) Elternschaft heute, ZFF 14 (2002 Sonderheft 2) 181; ders. Abstammungsklärung – leicht gemacht Oder: Neuer Dialog in der Familie, FamRZ 2008 23; Seebode Unterhaltspflichtverletzung als Straftat, JZ 1972 389; Sonnenschein Zur Verletzung väterlicher Unterhaltspflicht, SchlHA 209 (1962) 261; Sporbeck Die strafrechtliche Sanktionierung der gesetzlichen Unterhaltspflichten (§ 170b StGB) unter Berücksichtigung der durch das Inkrafttreten des Grundgesetzes bedingten Änderungen (1959); J. v. Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, 13. Aufl. (1993 ff, danach in bandweiser Neubearbeitung); Steiner Die Vernachlässigung von Unterstützungspflichten, SchwJZ 73 (1977) 186; Struensee Konkurrenz bei Unterlassungsdelikten (1971); Thalmann/Thalmann Unterhaltspflichtverletzung nach § 170b – (k)ein Problemfeld der Sozialarbeit? BewH 35 (1988) 165; Tolksdorf Zur Bindung des Strafrichters an Feststellungen rechtskräftiger Strafurteile, Festschrift für Gerald Grünwald zum 70. Geburtstag (1999) 731; Triebs Begrenzung und Befristung des Ehegattenunterhalts nach § 1578b BGB n. F., FPR 14 (2008) 31; Tröndle Das Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz, NJW 1995 3009; Tschöpe Die Grenzen der Bindung des Strafrichters an die präjudiziellen Entscheidungen gerichtlicher und sonstiger Behörden (1934); Tschopp Die Vernachlässigung von Unterstützungspflichten gemäß rev. Art. 217 des schweiz. Strafgesetzbuches (1954); Urbach Welcher uneheliche Vater ist nach § 170b StGB strafbar? ZfJ 48 (1961) 81; Verfürden Die Verletzung der Unterhaltspflicht (§ 170b StGB) (1969); Vogler Zur Bedeutung des § 28 StGB für die Teilnahme am unechten Unterlassungsdelikt, Festschrift für
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§ 170 StGB
Verletzung der Unterhaltspflicht
Richard Lange zum 70. Geburtstag (1976) 265; Waas Ist die Unterhaltsleistung der ehelichen Mutter eine Hilfe „anderer“ im Sinne des § 170b StGB? ZfJ 44 (1957) 14; von Selle, Gerechte Geldstrafen, 1997; Vossenkämper Der Kindesunterhalt nach neuem Recht ab 1.1.2008, FamRZ 2008 201;Wanitzek Vaterschaftsanfechtung, FPR 8 (2002) 390; Welzel Bemerkungen zu § 170b StGB, Beiträge zur gesamten Rechtswissenschaft: Festschrift für Hellmuth Mayer zum 70. Geburtstag (1966) 395; Wax Zur Dogmatik des Unterhaltsanspruchs, FamRZ 1993 22; Wiesener R. Die Reform des Kindschaftsrechts – Auswirkungen für die Praxis der Kinder- und Jugendhilfe, ZfJ 85 (1998) 209; Willutzki Lebenslange Unterhaltslast – ein unabwendbares Schicksal? ZfJ 71 (1984) 1; ders. Das Gesetz zur Änderung unterhaltsrechtlicher und anderer Vorschriften – Randkorrekturen oder Gegenreformation? ZfJ 72 (1985) 7; ders. Die einstweilige Anordnung in Unterhaltssachen – ein wirkungsvolles Instrument des einstweiligen Rechtsschutzes, KdPr. 2 (1999) 111; ders. Die neue Rangfolge im Unterhaltsrecht – ein Beitrag pro Reform, FPR 11 (2005) 505; ders. Der Ehegattenunterhalt nach der Scheidung, Perspektiven des Familienrechts: Festschrift für Dieter Schwab zum 70. Geburtstag am 15. August 2005 (2005) 713; ders. Unterhaltsrecht aktuell – Die letzten Änderungen im Unterhaltsrechtsänderungsgesetz, ZKJ 3 (2008) 7; Winter Rechtsprechungstendenzen zu § 1612 Abs. 2 BGB, RpflSt. 1 (1977) 58; Zenz Die Gewährung von Unterhalt an „volljährige Kinder“, ZRP 1977 195; Ziegler Doppelte Vaterschaft? FamRZ 1959 342.
Übersicht I. 1.
6.
Allgemeines 1 1 Geschichtliche Entwicklung 1 a) 19. Jhdt., Vorläufervorschriften 3 b) § 170b a. F.; 4. und 6. StrRG c) Gegenüber Schwangeren: § 170c a. F., 6 BVerfG 8 d) Gesetzesmaterialien Rechts-, kriminalpolitische und praktische Be9 deutung 9 a) § 170 Abs. 1 9 aa) Kritik an der Vorschrift 11 bb) Kriminalstatistik 12 cc) Praktische Rechtsanwendung 13 b) § 170 Abs. 2 13 aa) Kritik an der Vorschrift 14 bb) Kriminalstatistik 15 cc) Praktische Rechtsanwendung 16 Deliktsnatur 16 a) § 170 Abs. 1 17 b) § 170 Abs. 2 18 Rechtsgut 19 a) Abs. 1 22 b) Abs. 2 23 c) Verletzter i. S. v. § 172 Abs. 2 StPO 24 Tatort und Auslandsbezug 24 a) Tatort 25 b) Auslandsbezug 26 aa) Abs. 1 27 (1) Grundsatz (2) Einzelne Fallgestaltun29 gen (3) Anspruch aus ausländischem 33 Recht 34 (4) Recht der DDR 35 bb) Abs. 2 36 § 823 Abs. 2 BGB, Insolvenzrecht
II.
Objektiver Tatbestand von Abs. 1
2.
3.
4.
5.
Wiedner
1.
Gesetzliche Unterhaltspflicht 39 a) Grundsätze: Familienrechtsakzessorietät; autonome strafrechtliche Beurtei39 lung 41 b) Entstehungsgründe aa) Unterhaltsrechtliche Grundverhält43 nisse bb) Vertragliche Vereinbarungen, Ver47 zicht 51 cc) Erstattungsansprüche Dritter (1) Leistungen privater Drit52 ter (2) Leistungen öffentlicher Stel54 len 55 dd) Schadensersatzansprüche, ee) Regelungen ausländischen 56 Rechts 58 c) Rangfolge aa) Mehrere Unterhaltsverpflich59 tete bb) Mehrere Unterhaltsberech61 tigte 64 d) Art und Umfang des Unterhaltes 65 aa) Grundsatz bb) Nach einzelnen Unterhaltsgrundver66 hältnissen 67 (1) Familienunterhalt 68 (2) Verwandtenunterhalt 69 (3) Betreuungsunterhalt (4) Trennungs- und nachehelicher 70 Unterhalt 71 cc) Bedarf dd) Leistungsmodalitäten, Ersatzleistung, 72 § 1612 Abs. 2 BGB 76 ee) In strafrechtlicher Hinsicht (1) Vorenthaltung von Barunter77 halt
38
486
StGB § 170
Übersicht
(2)
2.
487
Vorenthaltung von Sachleistun78 gen 79 (3) Dienstleistungen 81 e) Leistungsfähigkeit 82 aa) Allgemeines 86 bb) Definition, Kriterien 88 cc) Einzelheiten 89 (1) Einzusetzende Einkünfte (2) Vorwerfbar nicht erzielte Ein95 künfte (a) Verlust und Wechsel des Ar96 beitsplatzes (b) Unzureichende Bemühung um Arbeitsauf101 nahme (c) Unterbliebener Arbeitsoder Berufswech106 sel (d) Zumutbarkeit, Dauer fiktiver Fortschrei107 bung (e) Nicht auf Erwerbstätigkeit 109 bezogene Fälle 110 (3) Einsatz des Vermögens 111 (4) Selbstbehalt (5) Abzugsfähige Aufwendun115 gen 116 dd) Feststellung im Strafurteil 120 f) Bindungswirkungen aa) Grundsatz: Autonomie strafrichterli121 cher Beurteilung 122 bb) Zivilprozessuale Grundsätze cc) Unwiderlegliche Vermutun123 gen (1) Rechtliche Mutter- und Vater124 schaft 126 (2) § 1600d Abs. 2 BGB 128 dd) Statusakte 129 (1) Grundsatz 130 (2) Einzelne Statusakte 132 (3) Wirkungen (4) Einstweilige Anordnun137 gen 139 ee) Unterhaltsentscheidungen 140 (1) Zusprechend 141 (2) Ablehnend (3) Verwertung als Beweismittel, 142 § 262 Abs. 2 StPO ff) Anforderungen an tatrichterliche Fest144 stellungen 146 g) Bedürftigkeit 151 Tathandlung: Sich-Entziehen 152 a) Grundsatz: Nichtleistung 154 b) Bloßes Nichtleisten 156 c) Vereitelung der Inanspruchnahme 158 d) Vorwerfbare Leistungsunfähigkeit
e) 3.
4. III. 1.
2.
3.
Leistungshindernisse seitens des Berechtig160 ten Taterfolg: Gefährdung des Lebensbe161 darfs a) § 170 Abs. 1 als konkretes Gefähdungsde162 likt 163 b) Lebensbedarf 165 c) Gefährdung aa) Tatsächliche Beeinträchti166 gung 167 bb) Tatsächliche Gefährdung 168 cc) Potentielle Gefährdung (1) „Ohne die Hilfe anderer“: Grund169 satz 171 (2) „Andere“ 173 (3) Zusammenhang (a) Leistungen Priva174 ter (b) Leistungen der öffentlichen 177 Hand 181 (c) Babyklappe 182 Tatort
183 Objektiver Tatbestand von Abs. 2 Unterhaltspflicht gegenüber einer Schwange184 ren 185 a) Gesetzliche Unterhaltspflicht 186 b) Einschränkungen des Täterkreises 189 c) Nichtehelicher Vater als Täter d) Zeitlich: während der Schwanger190 schaft Tathandlung: Vorenthalten in verwerflicher 191 Weise 192 a) Vorenthalten 193 b) In verwerflicher Weise Taterfolg: Bewirken des Schwangerschaftsabbru195 ches 195 a) Abbruch der Schwangerschaft 198 b) Bewirken 202 c) Gefährdung des Lebensbedarfs 203
IV.
Rechtswidrigkeit
V. 1. 2.
Subjektiver Tatbestand 205 Absatz 1 207 Absatz 2
VI.
Irrtumsfragen
204
209
VII. Täterschaft und Teilnahme
212
214
VIII. Rechtsfolgen
219
IX.
Verjährung
X.
Wiederaufnahme
220
Wiedner
§ 170 StGB
XI. 1.
Verletzung der Unterhaltspflicht
Konkurrenzen 221 Gegenüber demselben Unterhaltsberechtig221 ten
2. 3.
Gegenüber mehreren Unterhaltsberechtig223 ten Zusammentreffen mit anderen Straftatbestän226 den
I. Allgemeines 1. Geschichtliche Entwicklung 1 a) 19. Jhdt., Vorläufervorschriften. Der strafrechtliche Schutz vor einer Unterhaltspflichtverletzung reicht in Deutschland zurück zu den Regelungen der partikularen Polizeigesetze des 19. Jahrhunderts, die den Zweck verfolgten, die Wohlfahrtsbehörden gegen missbräuchliche Beanspruchung durch Personen, die sich selbst oder Angehörige nicht unterhielten und den öffentlichen Armenkassen zur Last fielen, zu schützen.1 Die Ordnungsvorschriften, die sich zunächst breitgefächert gegen „Asozialität“ durch nach seinerzeitigem Verständnis sozial unangepasste Lebensweisen, insbesondere durch tatsächliche oder vermeintliche Arbeitsunwilligkeit wandten, hatten nur teilweise die mit einem solchen Verhalten einhergehende Entziehung vor einer Unterhaltspflicht gegenüber Dritten zum Gegenstand. Art. 24 des Württembergischen Polizeistrafgesetzbuchs von 1839 sah allgemein die Bestrafung Arbeitsscheuer vor; § 6 Nr. 1 des Preußischen Gesetzes über die Bestrafung der Landstreicher, Bettler und Arbeitsscheuen von 1843 stellte die Verursachung des Zustandes der Unterhaltsbedürftigkeit durch Spiel, Trunk oder Müßiggang unter Strafe und wurde in § 119 des Preußischen Strafgesetzbuchs von 1851 übernommen.2 Die Vorschrift bildete ihrerseits das Vorbild für § 361 Nr. 5 RStGB (Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich vom 15. Mai 1871, RGBl. S. 127) als erste den Unterhalt betreffende reichsstrafgesetzliche Norm. Sie belegte als Übertretungsvorschrift minderen Unrechtgehaltes mit Haftstrafe denjenigen, der „sich dem Spiel, Trunk oder Müßiggang dergestalt hingibt, daß er in einen Zustand geräth, in welchem zu seinem Unterhalte oder zum Unterhalte derjenigen, zu deren Ernährung er verpflichtet ist, durch Vermittelung der Behörde fremde Hülfe in Anspruch genommen werden muß“. Allerdings wurde hiervon ein Großteil säumiger Unterhaltsschuldner nicht erfasst, namentlich solche nicht, die sich trotz Leistungsfähigkeit und ohne den in der Vorschrift umschriebenen Zustand ihrer Pflicht entzogen. 2 Die Schutzlücken führten zur Einführung des § 361 Nr. 10 RStGB durch Reichsgesetz vom 12. März 1894 (RGBl. I S. 259), die nach ihrem Inhalt als erste Vorläufernorm des heutigen § 170 Abs. 1 verstanden werden kann.3 Hiernach wurde bestraft, „wer, obschon er in der Lage ist, diejenigen, zu deren Ernährung er verpflichtet ist, zu unterhalten, sich der Unterhaltspflicht trotz der Aufforderung der zuständigen Behörde derart entzieht, daß durch Vermittelung der Behörde fremde Hülfe in Anspruch genommen werden muß“. Anstelle von Haft konnte auch auf Geldstrafe erkannt werden. Über den primär bezweckten Schutz der öffentlichen Sozialhilfe hinaus war nunmehr erstmals die unterhaltsrechtliche Beziehung als solche einschließlich der
1 Zur geschichtlichen Entwicklung vgl. Eggert S. 8 ff; Demann S. 27; Eckstein S. 4; v. Hippel VDB S. 173; Ihm S. 27; Neudek S. 2; Oehm S. 52; Sporbeck S. 4; Dippel LK12 Rdn. 1.
2 Weitere derartige Bestimmungen (vgl. Zusammenstellung bei Michels S. 5 ff) sind § 98 des Badischen Polizeistrafgesetzbuchs von 1863, Art. 81 des Bayerischen Polizeistrafgesetzbuchs von 1871, Art. 101 des Hessischen Polizeistrafgesetzbuchs von 1855, § 10 einer Bekanntmachung des Lübecker Senats von 1863 und § 5 der Sächsischen Armenordnung von 1840 (Zu Bemühungen um eine entsprechende Ergänzung von § 119 des Preußischen Strafgesetzbuchs. S. auch Demann S. 23 ff; Sporbeck S. 4 ff; M. Eckstein S. 2 ff, v. Hippel VDB S. 173 f, Ihm S. 27 ff, Neudek S. 2 f und Verfürden S. 10 f. 3 Zum Gesetzgebungsverfahren Eggert S. 8 ff; historisch Seuffert ZStW 15 (1895) 807 ff. Wiedner
488
I. Allgemeines
StGB § 170
Berechtigten in den Blick genommen;4 indes blieb tatbestandliche Voraussetzung die Einschaltung und Inanspruchnahme der Wohlfahrtsbehörden, welche eine Anwendung der Vorschrift noch immer einengten und erschwerten.5 In den Reformbestrebungen des frühen 20. Jahrhunderts und der Weimarer Zeit, namentlich Entwürfen des Reichsjustizministeriums von 1909 und 1913 sowie in den Strafrechtsentwürfen von 1922 (E 1922, „Entwurf Radbruch“, dort § 274), von 1925 und 1927, die bereits die später Gesetz gewordene Vorschrift weitgehend vorwegnahmen, lässt sich sodann eine Abkehr von den ordnungspolitischen Vorstellungen des 19. Jahrhunderts und daraus folgenden bürgerlichen Verhaltensanforderungen erkennen,6 indem nunmehr die aus dem Familienrecht folgenden unterhaltsrechtlichen Pflichten in den Mittelpunkt der Entwurfsvorschriften rückten und diese in den Abschnitt „Verbrechen gegen die Ehe und Familie“ überführt wurden.7 Mit diesem Bedeutungswandel, aber auch mit einer zunehmenden Abkehr von liberaleren strafrechtlichen Vorstellungen, die insbesondere durch Radbruch verfolgt wurden (vgl. Neumann KJ 2004 431), verbindet sich in der Reformdiskussion eine Bewertung der Tat als immer schwerwiegenderes Unrecht mit einer kontinuierlichen Verschärfung der Rechtsfolgenseite.8 Andererseits waren die unterschiedlichen Entwürfe bestrebt, den Tatbestand in objektiver Seite einzugrenzen9 und durch höhere Anforderungen auf subjektiver Tatseite einer ausufernden Strafbarkeit der Verletzung zivilrechtlicher Pflichten entgegenzuwirken.10
b) § 170b a. F.; 4. und 6. StrRG. Die unmittelbare Vorläufervorschrift von § 170 Abs. 1 wurde 3 als § 170b RStGB durch die Verordnung zum Schutz von Ehe, Familie und Mutterschaft vom 9. März 1943 (RGBl. I S. 140) eingefügt unter gleichzeitiger Aufhebung von § 361 Nr. 10 RStGB.11 Der Wortlaut war übernommen aus früheren Entwürfen und entsprach im Wesentlichen bereits der heutigen Fassung mit dem Unterschied einer Versuchsstrafbarkeit und eines Strafrahmens 4 Nach v. Hippel lag der Zweck der Vorschrift nunmehr auch darin, „gegen diejenigen, welche in frivoler Weise die Ernährung ihrer bedürftigen Familie unterlassen, den unbedingt notwendigen, früher aber fehlenden Schutz zu gewähren“ (VDB S. 239). S. auch M. Eckstein S. 49. 5 Vgl. M. Eckstein S. 43; ferner Burghart ZHW 34 (1929) 260 ff, Demann S. 72 f, Michels S. 76 ff, Neudek S. 3 f, Rößler JW 1937 2497, Schorn JR 1932 249, Sporbeck S. 8 f und Verfürden S. 13. 6 Solche leben mutatis mutandis bis in die Gegenwart fort durch die dem Unterhaltsschuldner auferlegten, sehr weitreichenden und von § 170 Abs. 1 mittelbar strafbewehrten Verhaltenspflichten zur Sicherstellung eines ausreichenden Einkommens zur Befriedigung des Unterhaltsanspruches, vgl. Rdn. 95 ff. 7 Vgl. BGHZ 28 359, 366 f; Ihm S. 30 ff; Eisner S. 41 f; Verfürden S. 11 ff. Zur Entwicklung ferner Eggert Schutz S. 8 f, Frenzel S. 58 f, Neudek S. 3 f und N. Schmidt S. 1. S. auch die Begründung zu § 282 im Entwurf von 1925: „Die Vorschrift verstärkt den bürgerlichrechtlichen Schutz gegen Verletzung der gesetzlichen Unterhaltspflicht und wendet sich gleichzeitig gegen den Mißbrauch der öffentlichen Fürsorge“. 8 Hierauf macht Dippel (LK12 Rdn. 1) aufmerksam: So steigerten sich Vorschläge zur Strafhöhe von höchstens drei Monaten (Vorentwurf des Reichsjustizministeriums von 1909) über sechs Monate (Gegenentwurf der Professoren Goldschmidt, Kahl, v. Lilienthal und v. Liszt von 1911 und Entwurf einer Kommission im Reichsjustizministerium von 1913), einem Jahr (Amtlicher Entwurf der Reichsregierung von 1925) und zwei Jahren (Entwurf der amtlichen Strafrechtskommission von 1936) auf schließlich fünf Jahre mit Erlass der Vorschrift. 9 Im E 1922 durch die Erfordernisse des „notwendigen Lebensbedarfs“ und einer „erheblichen Gefährdung“. 10 Durch die subjektiven Merkmale „böswillig“ oder „aus grobem Eigennutz“ im E 1925 (§ 281 Abs. 1) und E 1927 und „wissentlichen und gewissenlosen“ Handelns im Entwurf Kahl von 1930 (§ 314 Abs. 1). S. auch Art. 217 SchwStGB in seinerzeitiger Fassung, Vorbild bei der Ausgestaltung des § 170b (vgl. Maurach BT § 49 II F1): „…aus bösem Willen, aus Arbeitsscheu oder aus Liederlichkeit“. 11 § 361 Nr. 5 RStGB blieb zunächst bestehen und behielt Bedeutung insoweit, als durch die Vorschrift zum einen unter den Voraussetzungen des seinerzeitigen § 42d RStGB die Unterbringung in einem Arbeitshaus angeordnet werden konnte (vgl. Becker NDV 10 [1956] 307). Zum anderen bewirkte sie im Vergleich zu § 361 Nr. 10 und § 170b RStGB eine Erleichterung auf der subjektiven Tatseite dadurch, dass die durch durch Spiel, Trunksucht oder Müßiggang verschuldete Leistungsunfähigkeit nicht vom Vorsatz des Täters umfasst sein musste (vgl. BGHSt 14 165, 170). § 361 Nr. 5 RStGB wurde aufgehoben erst mit Wirkung vom 2. April 1974, § 361 insgesamt mit Wirkung vom 1. Januar 1975. 489
Wiedner
§ 170 StGB
Verletzung der Unterhaltspflicht
von bis zu fünf Jahren Gefängnisstrafe ohne alternative Androhung von Geldstrafe.12 Trotz des Zeitpunktes der Novellierung und ungeachtet von Verschärfungen im subjektiven Tatbestand, der entgegen vielfachen früheren Begrenzungsversuchen – wie indes noch heute – bedingten Vorsatz genügen lässt, sowie einer höheren Strafandrohung gegenüber vorangehenden Reformvorschlägen kann nicht konstatiert werden, dass die Vorschrift für sich genommen nationalsozialistisches Gedankengut birgt (vgl. Dippel LK12 Rdn. 1).13 Demgegenüber lassen die – spärlichen – Äußerungen zur Gesetzesbegründung und -rezeption eine völkisch-ideologische Überlagerung des Gesetzeszweckes erkennen.14 Die Vorschrift ist sodann mit Ausnahme einer dem geänderten Sanktionssystem geschuldeten Anpassung der Strafandrohung auf eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren als § 170b unverändert in Bundesrecht überführt worden. 4 In den Reformdiskussionen der Fünfziger bis Siebziger Jahre wurde wiederholt eine Abschaffung der Strafbarkeit von Unterhaltspflichtverletzungen verlangt oder zumindest tatbestandliche Einschränkungen von § 170b vorgeschlagen, um die als zu weitgehend empfundene Strafbarkeit einzugrenzen.15 Die im Jahr 1954 eingesetzte Große Strafrechtskommission empfahl ungeachtet von Bedenken16 eine Beibehaltung des strafrechtlichen Schutzes (Bd. 8 S. 386 ff, 559 ff, 620 ff; Bd. 12 S. 602); dem folgte der Entwurf von 1962 (E 62, Begr. S. 200). Eine Streichung befürworteten demgegenüber die Verfasser des Alternativentwurfs von 1966 (AE S. 71, s. auch BTDrucks VI/3521 S. 13, VI/1552 S. 12). Der zum Regierungsentwurf eines 4. Strafrechtsreformgesetzes vom 4. Dezember 1970 (BTDrucks. VI/1552) eingesetzte Sonderausschuss hörte eine Vielzahl von Sachverständigen und Praktiker u. a. aus dem Bereich der Kinder- und Jugendfürsorge an,17 wobei Stellungnahmen aus der juristischen Praxis sich gegen eine Beibehaltung aussprachen.18 Erwogen wurde auch, den objektiven Tatbestand durch die Anknüpfung an einen vollstreckbaren Unterhaltstitel enger zu fassen (BTDrucks. VI/3521 S. 14). Der Sonderausschuss hat solche Beschränkungen im Ergebnis verworfen, auch weil er praktische Anwendungsschwierigkeiten durch die Vereinfachungen der Vaterschaftsfeststellung durch das zwischenzeitlich in Kraft getretene Nichtehelichengesetz herabgesetzt sah (BTDrucks. VI/3521 S. 13 f. s. auch Prot. VI/33 S. 1203). Dementsprechend ist § 170b durch das Vierte Gesetz zur Reform des Straf12 § 170b lautete: „(1) Wer sich einer gesetzlichen Unterhaltspflicht vorsätzlich entzieht, so daß der Lebensbedarf des Unterhaltsberechtigten gefährdet ist oder ohne öffentliche Hilfe oder die Hilfe anderer gefährdet wäre, wird mit Gefängnis bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar.“ Die Gefängnisstrafe reichte nach § 16 Abs. 1 RStGB bis zu einer Dauer von fünf Jahren und bildete zwischen dem Zuchthaus und der (einfachen) Haft eine mittelschwere Form der Freiheitsentziehung. 13 Vgl. BayObLGSt 1951 511, 512; OLG Hessen (Kasseler Strafsenat) HESt. 2 259, 260; Eggert Schutz S. 9; Ihm S. 35 f; Mittelbach MDR 1957 65; Neudek S. 4; Peters ZStW 77 (1965) 489; Sporbeck S. 16 f; Verfürden S. 15; vgl. auch Prot. VI/35 S. 1268 (Geier). 14 Vgl. Rietzsch DJ 1943, 228, 229: Die Tat bilde als Fall des „Familientreubruches“ „eine Versündigung an den Banden des Blutes und der Familie“. Hervorgehoben werden aber auch die individuellen Belastungen der Unterhaltsberechtigten durch eine Vorenthaltung. Eingehend Schramm Ehe und Familie im Strafrecht S. 332 f. 15 Aus der Literartur vgl. Blei FamRZ 1961 145 f; Hellmer ZStW 70 (1958) 360 ff; Krause GA 1969 99; Mattmer NJW 1967 1593; Mittelbach MDR 1957 65, 68; Neudek S. 17 ff; K. Peters ZStW 77 (1965) 489 f; Seebode JZ 1972 389 ff; Welzel Strafrecht § 63 III 2. Dippel (LK12 Rdn. 3) verweist zudem auf die Beratungen über die Straftaten gegen die Familie und gegen die Sittlichkeit durch den Neunten Internationalen Strafrechtskongress der Association internationale de droit pénal vom 24. bis 30.8.1964 in Den Haag (näher Blau MschrKrim. 1966 18 ff) mit dort geäußerten Bedenken gegen die Kriminalisierung der Unterhaltspflichtverletzung und dem abschließenden Vorschlag, dass ein internationaler Ausschuss auf der Grundlage einer rechtssoziologischen Untersuchung geeignete Sanktionen bei einer Verletzung der Unterhaltspflicht erarbeiten solle (ZStW 77 [1965] 184, 187). 16 Niederschr. Bd. 8 S. 389 (Baldus) und 390 (Lange und Dreher). 17 Prot. VI/35 S. 1253 ff (Deutscher Kinderschutzbund), Prot. VI/35 S. 1276 ff (Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge), Prot. VI/35 S. 1260 ff, 1284 ff (Jugendämter), Prot. VI/28 S. 852 ff (Soziologin), Prot. VI/33 S. 1183 und VI/35 S. 1268 ff (Vertreter der Strafrechtspflege). 18 In diesem Sinne der Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer (Prot. VI/33 S. 1202 f) und der Präsident des Bundesgerichtshofs (vgl. Prot. VI/33 S. 1203) im Hinblick auf die praktischen Schwierigkeiten einer Anwendung der Vorschrift und eine bedenkliche Ausweitung der Strafbarkeit. Wiedner
490
I. Allgemeines
StGB § 170
rechts vom 23. November 1973 (4. StrRG, BGBl. I S. 1725) im Kern beibehalten worden. Die Fassung der Vorschrift wurde insoweit geändert, als der Strafrahmen auf die Androhung von Freiheitsstrafe bis drei Jahren oder Geldstrafe abgesenkt wurde, die Versuchsstrafbarkeit entfiel und aus dem Tatbestand die ausdrückliche, indes nach § 15 selbstverständliche Beschränkung auf eine „vorsätzliche“ Entziehung und die „öffentliche Hilfe“ als ohnehin erfasster Unterfall der allgemeinen „Hilfe anderer“19 entfernt wurden. Die Veränderungen waren sachlich überwiegend ohne Bedeutung. Bei den Streichungen im Tatbestand handelte es sich um nur sprachliche Bereinigungen. Die Versuchsstrafbarkeit hatte zuvor kaum praktische Bedeutung (Hanack NJW 1974 2; s. auch BTDrucks. VI/1552 S. 13). Die Herabsetzung des Höchstmaßes der Freiheitsstrafe war zwar im Gesetzgebungsverfahren umstritten,20 ist aber angesichts der ohnehin sehr seltenen Ausschöpfung des Strafrahmens im oberen Bereich kaum praxisrelevant (anders Dippel LK12 Rdn. 2). Praktisch allein bedeutsam ist die nunmehr einschränkungslose Möglichkeit der Verhängung von Geldstrafe, die zuvor an die Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 a. F. (jetzt: § 47 Abs. 2) geknüpft war; der häufig kontraproduktiven Wirkung dieser Sanktionsart für die Erbringung des Unterhaltes war sich der Gesetzgeber bewusst (BTDrucks. VI/1552 S. 13). Die Vorschrift hat mit diesen Änderungen bezüglich der allgemeinen Unterhaltspflichtverletzung den heutigen Wortlaut des Abs. 1 erhalten. Mit Beschluss vom 17. Januar 1979 (1 BvL 25/77: BVerfGE 50, 142 = NJW 1979 1445) hat 5 das Bundesverfassungsgericht die reformierte Vorschrift auf eine amtsgerichtliche Vorlage für verfassungsgemäß erklärt, dabei insbesondere auf eine Verletzung des Gleichheitssatzes nach Art. 3 Abs. 1 GG gerichtete Bedenken zurückgewiesen.21 Durch das 6. StrRG vom 26. Januar 1998 ist § 170b inhaltsgleich an die heutige Stelle als § 170 Abs. 1 gerückt. Verfassungsrechtliche Einwendungen gegen 170b in der Fassung des Vierten Gesetzes zur Reform des Strafrechts sind vom Bundesverfassungsgericht zurückgewiesen worden; die Vorschrift verstoße bei einer Auslegung, die der in der Rechtsprechung vorherrschenden Auffassung folge, weder gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), noch begegne sie im Übrigen verfassungsrechtlichen Bedenken.22
c) Gegenüber Schwangeren: § 170c a. F., BVerfG. Eine gesonderte Strafbarkeit einer Un- 6 terhaltspflichtverletzung gegenüber einer Schwangeren sah erstmals der ebenfalls durch die Verordnung zum Schutze von Ehe, Familie und Mutterschaft vom 9. März 1943 (RGBl. I, S. 140) eingefügte § 170c RStGB vor, wodurch allerdings weniger die Schwangere als vielmehr in typischer Zielsetzung nationalsozialistischer Kriegsgesetzgebung die Familie und „Kampfkraft des Volkes“ geschützt werden sollte.23 Der Tatbestand ging über eine rein wirtschaftliche 19 Vgl. BGHSt 26 312, 315; Sturm JZ 1974 2. 20 Der Regierungsentwurf sah eine Herabsetzung auf ein Höchstmaß von zwei Jahren vor (vgl. BTDrucks. VI/ 1552 S. 2, 13). Durch Anrufung des Vermittlungsausschusses wurde vom Bundesrat die Erhöhung auf drei Jahre durchgesetzt. 21 Der zugrundeliegende Fall betraf eine Heimunterbringung und die Frage eines inneren Zusammenhanges mit einer Unterhaltspflichtverletzung, vgl. BVerfGE 50, 142, 144. Das BVerfG hat die Vorschrift großteils anhand diesbezüglicher Fallgestaltungen geprüft, dabei das Schutzgut herausgestellt und betont, dass das Herausfallen einzelner in ihrem Unrechtsgehalt gleich strafwürdiger Verhaltensweisen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegt. Art. 6 Abs. 1 GG ist – auch zur Bestimmung des Schutzgehaltes – nicht herangezogen worden. Dippel (LK12 Rdn. 3) weist insoweit darauf hin, dass Art und Ausmaß des strafrechtlichen Schutzes von Ehe und Familie durch Art. 6 Abs. 1 GG nicht in rechtlich fassbarer Form geboten sind. 22 BVerfGE 50 142, 152 ff. Dem entspricht die verfassungsrechtliche Lehre, dass Art und Ausmaß des strafrechtlichen Schutzes von Ehe und Familie durch Art. 6 Abs. 1 GG nicht in rechtlich fassbarer Form geboten sind (Bettermann/Nipperdey/Scheuner/Scheffler S. 303); vgl. auch Berkemann JR 1979 453. 23 Vgl. auch hierzu Rietzsch DJ 1943 228; Eggert S. 9; Schall SK Rdn. 2. Die Zielsetzung wird deutlich durch die zeitgleich eingeführte Verschärfung des § 218 RStGB, wonach mit Todesstrafe belegt wird, wer durch den Schwangerschaftsabbruch „die Lebenskraft des deutschen Volkes fortgesetzt beeinträchtigt“. 491
Wiedner
§ 170 StGB
Verletzung der Unterhaltspflicht
Unterstützung der Schwangeren – der Begriff des Unterhaltes findet sich darin nicht – hinaus und stellte in bedenklicher Unbestimmtheit die Versagung jeglicher Art von Hilfeleistung unter Strafe.24 Die in Bundesrecht übergegangene und im Strafrahmen auf eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren angepasste Vorschrift wurde noch im Entwurf von 1962 (E 62, § 201) unter einengenden Voraussetzungen („die ihm nach den Umständen zuzumutende Hilfe vorenthält“, „dadurch Mutter oder Kind einer Notlage aussetzt“) beibehalten. Im Rahmen der weiteren Reformdiskussion wurde sie einhellig als überflüssig angesehen und durch das 4. StrRG (BGBl. I S. 1725) mit Wirkung vom 24. November 1973 ersatzlos aufgehoben (vgl. BTDrucks VI/1552 S. 3; VI/3521 S. 15). 7 Nachdem das Bundesverfassungsgericht in seinem zweiten Urteil zur Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs vom 28. Mai 1993 (BVerfGE 88 203 = NJW 1993 1751) zur Flankierung des Beratungsschutzkonzeptes strafrechtliche Sanktionierungen auch dazu als unerlässlich angesehen hatte, dass der Entscheidungsprozess der Schwangeren von negativer Beeinflussung aus ihrem familiären Umfeld frei bleibt und ihr – insbesondere von Seiten des unehelichen Vaters und bei minderjährigen Schwangeren seitens der Eltern – nicht der erforderliche Beistand vorenthalten wird (BVerfGE 88 203, 271, 296 ff), wäre eine Reaktivierung der auf einen weiten Schutz von Hilfeleistungen gerichteten Vorschrift des § 170c a. F. zu erwarten gewesen, wie auch durch das BVerfG angedacht (BVerfGE 88 203, 298). In dem durch eine Vielzahl von Gesetzesentwürfen in zwei Legislaturperioden und durch umfangreiche Beratungen geprägten Gesetzgebungsverfahren25 waren aber nur zwei Entwürfe bemüht, den Vorgaben annähernd gerecht zu werden.26 In Stellungnahmen, die der mit der Zusammenführung der Gesetzentwürfe befasste Ausschuss27 eingeholt hatte, wurde eine weitgefasste Sondervorschrift für das familiäre und soziale Umfeld der Schwangeren dagegen für nicht realisierbar erachtet.28 Das sich in der Folge durchsetzende Konzept eines strafrechtlichen Schutzes in Form eines Sonderfalles der Unterhaltspflichtverletzung stellte sich als – wenig praktikable, den Schutzzweck weitgehend verfehlende (s. Rdn. 13) – Kompromisslösung dar (vgl. BTDrucks. 13/1850 S. 25) und wurde durch das Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz vom 21. August 1995 (BGBl. I S. 1050) als § 170b Abs. 2 mit Wirkung vom 1. Oktober 1995 eingefügt. Die Vorschrift ist durch das 6. StrRG vom 26. Januar 1998 unverändert zu dem heutigen § 170 Abs. 2 geworden.
8 d) Gesetzesmaterialien. Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission (1956–1960, 14 Bd., Bundesdruckerei): Bd. 5 S. 309; Bd. 8 S. 381 f, 386 ff, 459 ff, 620 ff; Bd. 12 S. 602; Entwurf eines Strafgesetzbuches E 1962: BTDrucks. IV/650, S. 45, 354; Alternativ-Entwurf eines Strafgesetzbuches (AE, Tübingen 1966): S. 71; Viertes Gesetz zur Reform 24 Die Vorschrift lautete: „Wer einer von ihm Geschwängerten gewissenlos die Hilfe versagt, deren sie wegen der Schwangerschaft oder der Niederkunft bedarf, und dadurch Mutter oder Kind gefährdet, wird mit Gefängnis bestraft.“. 25 Vgl. zusammenfassend Tröndle NJW 1995 3009, 3012; Schittenhelm 1997, 169; BTDrucks. 13/1850 S. 13 ff. 26 Dabei handelt es sich zum einen um den Gesetzentwurf der Fraktion von CDU/CSU (BTDrucks. 13/285), durch den in einem neuen § 218d Abs. 2 derjenige bestraft werden sollte, der seiner schwangeren minderjährigen Tochter oder einer von ihm schwangeren Frau in einer Notlage erbetene materielle Hilfe nicht leistet, obwohl diese zur Abwendung eines Schwangerschaftsabbruchs erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten oder eigener schutzwürdiger Interessen möglich ist, und dadurch den Abbruch der Schwangerschaft bewirkt. Der Entwurf der Fraktion der FDP (BTDrucks. 13/286) ging darüber hinaus, indem er in einem neuen § 219 Abs. 2 keine Begrenzung auf minderjährige Töchter vorsieht, die Tathandlung auf die Vorenthaltung auch immaterieller Hilfe erstreckt und den Abbruch der Schwangerschaft als objektive Bedingung der Strafbarkeit gestaltet. 27 Unterausschuss Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz (UASFHÄndG), vgl. BT-Prot. 13/19 S. 1275 ff. 28 Vgl. UASFHÄndGProt. 13/3 S. 9 (Bernsmann); 13/3 S. 10, 40, 86 f, 96 (Böttcher), 13/3 S. 44, 56 f (Eser), 13/3 S. 17 (Goy), 13/3 S. 20, 58, 64 (Hassemer), 13/3 S. 75, 79 (Lipka-Hartmann), 13/3 S. 23 (Nelles), 13/3 S. 75, 79 und 13/5 S. 36, 154, 155 (Ullrich). Wiedner
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des Strafrechts (4. StRG): BTDrucks. VI/1552 S. 12 f (RegE); VI/3521 S. 13 ff (Sonderausschuss); 7/80 S. 12 f; 7/514 S. 4, 5, 19; Prot. VI/33 S. 1202 f, 1221 ff; VI/35 S. 1253 ff, 1263, 1284; VI/36 S. 1297; VI/71 S. 2046 f; 7/2 S. 5; Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz: BTDrucks. 12/490; 12/1179; 12/3208; 12/6643; 12/6647; 12/6648; 12/6715; 12/76944; 12/6988; 12/7660; 12/7682; 12/ 7683; 12/8276; 13/27; 13/199; 13/285; 13/286; 13/323; 13/375; 13/395; 13/397; 13/399; 13/402; 13/ 409; 13/412; 13/536; 13/1850; Prot. 13/3; 13/5; BT-Prot. 12/230 S. 19963; 13/19 S. 1275 ff; 13/47 S. 3795; BR-Drucks. 12/592–94; 13/390–95; BR-Prot. 13/47 S. 3753 ff; 13/687 S. 338.
2. Rechts-, kriminalpolitische und praktische Bedeutung a) § 170 Abs. 1 aa) Kritik an der Vorschrift. Die Berechtigung einer Strafbarkeit von Unterhaltspflichtverlet- 9 zungen ist nicht unbestritten. Forderungen nach Abschaffung von § 170 Abs. 1 sind insbesondere im Vorfeld des 4. StrRG erhoben worden,29 aber auch danach nicht verstummt.30 Beanstandet wird unter anderem, dass die Vorschrift unter familienrechtlicher Verbrämung letztlich die fiskalischen Interessen der einspringenden staatlichen Institutionen schützt (Mittelbach MDR 1957 65: die Strafjustiz werde „zum Büttel der Jugend- und Fürsorgeämter“), dass eine strafrechtliche Durchsetzungshilfe für eine letztlich sittliche Pflicht unangebracht und ohne praktischen Nutzen sei, dass die regelmäßig sozial schwachen Unterhaltspflichtigen einerseits einer unangemessen harten Sanktion unterworfen werden, der Strafrichter sie andererseits durch ins Einzelne gehende materielle Verhaltenspflichten und verfahrensrechtliche (Bewährungs-)Weisungen einer fürsorgeähnlichen Gängelung unterziehe, dass weder ein Vergeltungs- noch ein präventives Strafbedürfnis bestehe, und dass die Vorschrift die Strafrechtspraxis zu aufwändigen und unverhältnismäßigen Ermittlungen zwinge.31 Der Kritik lässt sich nicht folgen. Zwar sind die Probleme der Rechtsanwendung vielfältig 10 und haben sich durch die reformierten familienrechtlichen Vorschriften betreffend die Vaterschaftsfeststellung nur teilweise entschärft (vgl. BTDrucks. VI/3521 S. 13). Im Mittelpunkt strafgerichtlicher – wie im Übrigen auch familiengerichtlicher – Tätigkeit steht nunmehr die Aufklärung von Leistungsfähigkeit, Bedürftigkeit und Bedarf, die außerhalb von Erleichterungen des Zivilrechtes durch Beibringungs- und Vortragsobliegenheiten die hiermit befassten, notorisch überlasteten und familienrechtlich häufig unerfahrenen Staatsanwälte und Amtsrichter vor erhebliche praktische Probleme stellt. Gleichwohl ist ein derartiger Aufwand der Strafrechtspraxis nicht fremd, wird er ihr doch auch hinsichtlich anderer Strafvorschriften aus dem wirtschaftsstrafrechtlichen Bereich oder solcher mit Blankettcharakter abverlangt. Strafrechtliches Unrecht vermag er nicht in Frage zu stellen. Dieses erschöpft sich nicht in der unterbliebenen Erfüllung eines zivilrechtlichen Anspruches, sondern liegt aufgrund der Natur des Anspruches in der Gefährdung materieller Existenz. Mit einer derartigen Zielsetzung ist die Vorschrift auch verfassungsgemäß: „Durch das Erfordernis der Gefährdung des Lebensbedarfs (…) ist eine im Großen und Ganzen durchaus praktikable und zweckgerechte Abgrenzung der nach der getroffenen Rechtsgüterwahl strafwürdigen Verhaltensweisen von der zwar rechtswidrigen, aber die geschützten Rechtsgüter nicht unmittelbar beeinträchtigenden Nichterfüllung von Schuldnerpflichten erreicht worden“ (BVerfGE 50 142 = NJW 1979 1445). Die existentielle Bedeutung der Schuldnerpflicht für die Berechtigten rechtfertigt es, die Erfüllung mit Mitteln des Strafrechtes zu erzwingen, zumal § 170 Abs. 1 eine erhebliche Praxisrelevanz zukommt (vgl. nachfolgend 29 Hellmer ZStW 70 (1958), 360, 378; Mittelbach MDR 1957, 65; Mayer Strafrechtsreform (1962) S. 101 ff („Totalitarismus des Wohlfahrtsstaates“); Peters ZStW 77 (1965), 489; Seebode JZ 1972 389. Eine Zusammenfassung der Argumente liefert der Alternativentwurf (1968), S. 71. 30 S. bereits Hanack NJW 1974 2; Ostermann ZRP 1995 204; hiergegen Heinle/Wawrzyniak DAVorm 1995 1017. 31 Zusammenfassend Schramm S. 340 ff. 493
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Rdn. 11): Berechtigte wie einspringende staatliche Stellen sind oftmals darauf angewiesen, säumige Unterhaltsschuldner durch eine Strafanzeige oder ihre Androhung zur Leistung oder Erstattung vorgestreckten Unterhaltes zu zwingen. Empirisch zeigt sich, dass erst hiernach, mit Einleitung oder spätestens Abschluss des Strafverfahrens Zahlungen erfolgen.32 Eine spezialpräventive Funktion ist der Vorschrift damit nicht abzusprechen; auch kann eine generalpräventiv abschreckende Wirkung angesichts der verbreiteten Kenntnis von den strafrechtlichen Folgen einer Unterhaltsverkürzung angenommen werden (Schramm S. 343). Schließlich entbehrt auch die Behauptung einer Grundlage, dass die Sozial- und Jugendämter zur Durchsetzung ihrer Ansprüche „den bequemen Weg der Strafanzeige“ gingen (Ostermann ZRP 1995 204). Dass die Behörden entgegen ihrem gesetzlichen Auftrag (vgl. § 7 UnterhVG) und trotz der ihnen an die Hand gegebenen Mittel (§§ 6, 11 UnterhVG) eine Rückforderung von Vorschussleistungen vor Einschaltung der Ermittlungsbehörden nicht zumindest versuchen, ist nicht belegt; in praxi gestaltet sich eine Strafanzeige durch öffentliche Leistungsträger zudem oft dergestalt, dass Staatsanwaltschaft und Gerichten ein hinsichtlich Bedarf und Leistungsfähigkeit bereits ausermittelter Sachverhalt an die Hand gegeben wird. Verkannt werden darf andererseits nicht, dass Strafanzeigen gegen einen tatsächlich oder vermeintlich säumigen Unterhaltspflichtigen seitens des Unterhaltsberechtigten gerade in streitigen vor- oder familiengerichtlichen Auseinandersetzungen als Druckmittel zur Durchsetzung auch sachfremder Interessen missbraucht werden. Bereits den Ermittlungsbehörden kommt hier die Aufgabe zu, berechtigten Anliegen einer Unterhaltszahlung, denen die Strafandrohung gerade zum Erfolg verhelfen soll, von anderem, im Extremfall seinerseits nach § 164 strafbarem Verhalten zu scheiden. Dessen ungeachtet besteht für eine Entkriminalisierung kein Anlass.
11 bb) Kriminalstatistik. Die Praxisrelevanz von § 170 Abs. 1 ist trotz stetig rückläufiger Fallzahlen noch immer hoch. Die polizeiliche Kriminalstatistik33 weist 3.958 Fälle für das Jahr 2019, 4.482 Fälle für 2018, 5.820 Fälle für das Jahr 2017 und 6.735 Fälle für das Jahr 2016 aus. In einem Zehnjahresschnitt kann ein Rückgang der Fallzahlen um durchschnittlich 1.000 Fälle/Jahr beobachtet werden.34 Die Aufklärungsquote liegt zwischen 99,5 und 99,8 %, was angesichts der regelmäßig bekannten Tatverdächtigen und der durch vorangegangene zivilrechtliche Verfahren oder behördliches Einschreiten jedenfalls ermittelbaren Merkmale der Tat nicht Wunder nimmt. Männliche Tatverdächtige sind mit durchschnittlich 95 % in deutlicher Überzahl, mit ebenfalls etwa 95 % dominieren erwachsene Verdächtige. In ähnlicher Weise rückläufig sind die in den Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes zur Strafverfolgung35 angegebenen Werte. Abgeurteilt36 im Jahr 2018 waren insgesamt 1.830 Personen, davon 1.775 männlichen Geschlechts; verurteilt wurden 928 Täter, davon 910 Männer. Im Jahr 2017 belief sich die 32 Zimmermann/Dogruyol S. 1 ff; Schall SK Rdn. 3. 33 BKA, Polizeiliche Kriminalstatistik für das jeweilige, im folgenden angegebene Berichtsjahr, öffentlich zugänglich unter https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/PolizeilicheKriminalstatistik/pks_ node.html. Unter dem Straftatenschlüssel 671000 sind sowohl Taten nach § 170 Abs. 1 als auch nach Abs. 2 zusammengefasst. Die aus der Strafverfolgungsstatistik des Statistischen Bundesamtes hervorgehenden extrem niedrigen, sich in jüngerer Zeit im einstelligen Bereich bewegenden Fallzahlen für Taten nach Abs. 2 (vgl. Rdn. 14) erlauben allerdings, die polizeilich erfassten Fälle im Wesentlichen auf § 170 Abs. 1 zu beziehen (ähnlich Schall SK Rdn. 3 Fn. 15). 34 So waren noch 10.305 Fälle im Jahr 2011, 11.071 Fälle in 2010, 12.081 Fälle in 2009 und 13.276 Fälle in 2008 zu verzeichnen. 35 Die nachfolgenden Werte beziehen sich auf die durch das Statistische Bundesamt in der „Fachserie 10, Rechtspflege. 3, Strafverfolgung“ für das jeweilige Berichtsjahr ausgewiesenen Daten. 36 Als Abgeurteilte gelten nach der Begriffsbestimmung des Statistischen Bundesamtes Angeklagte, gegen die Strafbefehle erlassen wurden oder Strafverfahren nach Eröffnung des Hauptverfahrens durch Urteil – Freispruch oder Verurteilung – oder Einstellungsbeschluss rechtskräftig abgeschlossen worden sind (vgl. Stat. Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 3 [2018], S. 13). Wiedner
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Zahl der Abgeurteilten auf 2.120 (männlich 2.070), die der Verurteilten auf 1.086 (männlich 1.071), im Jahr 2016 waren es 2.468 Abgeurteilte und 1.198 Verurteilte.37 Die auffällige Diskrepanz zwischen Abgeurteilten und Verurteilten ist naheliegend erklärbar durch eine im Vergleich zu anderen Deliktsgruppen hohe Anzahl von Verfahrenseinstellungen nach §§ 153a, 154a StPO, die in dem Bestreben erfolgen, eine künftiger Unterhaltszahlung entgegenwirkende Verurteilung zu Geld- oder Freiheitsstrafe zu vermeiden (vgl. Rdn. 214 f; Schall SK Rdn. 3). Noch Ende der Sechziger Jahre waren allerdings jährlich mehr als 12.000 Verurteilungen zu verzeichnen (vgl. BTDrucks. VI/3521 S. 13).
cc) Praktische Rechtsanwendung. Die Rechtsanwendung stellt den Staatsanwalt und Straf- 12 richter, der mit Ausnahme von Statusentscheidungen an zivilrechtliche Unterhaltsurteile nicht gebunden ist, sondern die Unterhaltspflichtverletzung einschließlich aller hierfür erforderlichen familienrechtlichen Voraussetzungen autonom ermitteln und feststellen muss (vgl. Rdn. 121), vor erhebliche Herausforderungen. In rechtlicher Hinsicht ist eine mitunter detaillierte familienrechtliche Kenntnis erforderlich. In tatsächlicher Hinsicht kann insbesondere die Feststellung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners einen außerordentlichen Aufwand erfordern, wenn das Einkommen des Täters und sein angemessener oder notwendiger Selbstbehalt zu ermitteln sind (vgl. Rdn. 89, 111), über die Existenz und Verwertbarkeit von Vermögen befunden werden muss (vgl. Rdn. 112) und Einwände des Beschuldigten zu prüfen sind, beispielsweise betreffend seine Arbeitsmöglichkeiten oder seinen Gesundheitszustand, oder einen Irrtum über die seine Unterhaltspflicht begründenden Umstände, dazu bei oft weit zurückliegenden Geschehnissen (vgl. Rdn. 95 ff). Der Amtsrichter wird hierbei häufig an Kapazitätsgrenzen gelangen, was sich in einer Vielzahl von Urteilen widerspiegelt, die insbesondere eine Leistungsfähigkeit oder einen – familienrechtlich bei auch dem Unterhaltsberechtigten obliegender Erwerbsarbeit oft nicht unproblematischen – Bedarf unterstellen und auf eine Sprungrevision bereits nach sachlich-rechtlicher Überprüfung der Aufhebung unterliegen.38 Die Schwierigkeit besteht nicht allein in der vollständigen Bezugnahme auf die komplexen unterhaltsrechtlichen Regelungen des Bürgerlichen Rechts und die zu ihrer Ausfüllung ergangene zivilrechtliche Rechtsprechung, sondern auch darin, dass der Strafrichter der Versuchung widerstehen muss, sich die abweichenden zivilprozessualen Regeln zunutze zu machen und unausgesprochen nach Darlegungs- und Beweislastgrundsätzen zu entscheiden. Auch der verteidigende Rechtsanwalt, der nicht selten bereits in einem vorangehenden Unterhaltsverfahren mandatiert war, hat zu bedenken, dass im Strafprozess die Karten gleichsam neu gemischt werden, etwaige Erfolge aus einer vorgerichtlichen oder familiengerichtlichen Auseinandersetzung ohne weiteres nicht reproduzierbar sind, und dass ein ergangenes Unterhaltsurteil zu Lasten des Mandanten zwar den Strafrichter rechtlich und tatsächlich nicht bindet, aber der dort erwiesene oder unstreitig gestellte Sachverhalt in den Strafprozess beweisrechtlich Eingang finden kann (vgl. Rdn. 139).
b) § 170 Abs. 2 aa) Kritik an der Vorschrift. Abs. 2 hat vielfältige, meist deutliche und – auch in ihrer Schär- 13 fe – berechtigte Kritik erfahren;39 die Vorschrift erweist sich letztlich als verzichtbar. Augenfäl37 In einem acht Jahre zurückliegenden Vergleichszeitraum sind deutlich höhere Werte zu verzeichnen: 4.540 Abgeurteilte und 2.323 Verurteilte im Jahr 2010, 5.205 Abgeurteilte und 2.640 Verteilte im Jahr 2009 sowie 5.622 Abgeurteilte und 2.847 Verurtilte im Jahr 2008. 38 K. Peters Strafrechtsgestaltende Kraft S. 32 f unter Hinweis auch auf erfolgreiche Wiederaufnahmeverfahren (ebd. Fn. 70). 39 S. etwa Schittenhelm NStZ 1997 169: „schlechteste aller denkbaren Lösungsalternativen“; Tröndle NJW 1995 3009, 3017 f.: § 170 Abs. 2 leistet „nichts Wirksames für den Strafschutz der Schwangeren“; Schall SK Rdn. 2, 4, 55 f.: 495
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lig ist zunächst eine doppelte Zweck- und Schutzbereichsverfehlung: Während das Bundesverfassungsgericht – allerdings zurückhaltend hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung – zur Wirksamkeit des Schutzkonzeptes für das ungeborene Leben weitreichende staatliche Maßnahmen für erforderlich hielt, um die Schwangere „vor Zumutungen zu schützen, die sie wegen der Schwangerschaft in Bedrängnis bringen oder einen Druck auf sie ausüben, die Schwangerschaft abzubrechen“ (BVerGE 88 203, 296 ff = NJW 1993 1751, 1764), bleibt § 170 Abs. 2 dahinter weit zurück. Die angemahnten strafbewehrten Verhaltensverbote und -gebote sollten jedenfalls für die Familie der Schwangeren gelten und u. a. verhindern, dass Familienmitglieder der Schwangeren einen „zuzumutenden Beistand (…) in verwerflicher Weise vorenthalten“, wobei dem Gesetzgeber zusätzlich aufgegeben war zu prüfen, ob auch Personen des weiteren sozialen Umfeldes in eine strafbewehrte Pflicht zu nehmen seien (BVerfG a. a. O.; zu denken wäre beispielhaft an Vermieter und Arbeitgeber, vgl. Schall SK Rdn. 2); demgegenüber knüpft die an gesetzliche Unterhaltspflichten ausgerichtete Vorschrift allein an finanzielle Bedrängnisse aus dem familiären Bereich an. Dabei läuft sie gerade hinsichtlich der wichtigsten Tätergruppe der nichtehelichen Väter weitgehend ins Leere, da eine Unterhaltspflicht dieser nach § 1615l Abs. 2 S. 3 BGB im Regelfall erst sechs Wochen, im Ausnahmefall einer schwangerschafts- oder kindererziehungsbedingt fehlenden Erwerbstätigkeit der Unterhaltsberechtigten nach § 1615l Abs. 2 S. 3 BGB maximal vier Monate vor der Geburt einsetzt, so dass eine strafbewehrte Hilfspflicht für die hinsichtlich der Willensbildung der Frau entscheidende Anfangszeit der Schwangerschaft (vgl. § 218a Abs. 1 Nr. 3) gar nicht besteht (vgl. Schall SK Rdn. 4: „evidenter Ausdruck gesetzgeberischer Fehlleistung“).40 Die Vorschrift schießt andererseits durch die unterschiedslose Anknüpfung an die gesetzliche Unterhaltspflicht über das Ziel hinaus, indem sie auch solche Personen aus dem Umkreis der Schwangeren in eine garantenähnliche Stellung für den nasciturus drängt, die dazu nach den für § 218 entwickelten Grundsätzen und nach allgemeinen Zurechnungsregeln nicht berufen sind (eingehend Schittenhelm NStZ 1997 169, 170 f), etwa Großeltern oder den geschiedenen Ehemann.41 Auch die Konzeption als solche, die Unterhaltspflichtverletzung als Anknüpfung einer strafrechtlichen Haftung für eine regelmäßig selbstbestimmte und nicht strafwürdige Entscheidung der Schwangeren zum Schwangerschaftsabbruch ausreichen zu lassen, erscheint fragwürdig. Erhebliche Schwierigkeiten sowohl in der sachlichen Erfassung als auch praktischen Handhabung, die faktisch zur geringen Bedeutung der Vorschrift beitragen, bergen zudem die Erfordernisse eines „verwerflichen“ Verhaltens des Täters und einer Kausalität zwischen Vorenthaltung und Schwangerschaftsabbruch (vgl. Rdn. 193, 198). Sachgerechter auch mit Blick auf die übersetzte Strafandrohung wäre jedenfalls gewesen, den durch das Bundesverfassungsgericht angemahnten strafrechtlichen Schutz in eigenständigen Vorschriften, naheliegend im Kontext der §§ 218 ff mit einer unrechtsangemessenen Sanktionsstaffelung „allenfalls symbolische Bedeutung“; Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf BT § 5 Rdn 43, § 10 Rdn. 37: „leere Geste des Gesetzgebers“; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1; Arzt ZStW 111 [1999] 758, 777 f: „Symbolik als einzige Realie der Gesetzgebung“; Dippel LK12 Rdn. 6 f., 10; Tröndle NJW 1995, 3017; Fischer Rdn. 11; Schramm S. 339 f; dezidiert auch Sch/ Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 1a. 40 Dass die Ausblendung dieses vom Bundesverfassungsgericht hervorgehobenen Personenkreises zur Verfassungswidrigkeit der Vorschrift infolge eines Verstoßes gegen das Willkürverbot führt (so Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 34a; Dippel LK12 Rdn. 6), wird sich dennoch nicht annehmen lassen; denn die Unterhaltspflicht stellt sich als Anknüpfung für die materielle Versorgung einer Schwangeren und damit Mitverantwortung auch für das ungeborene Leben nicht als schlechterdings sachwidriges Kriterium dar, mit dem der Gesetzgeber seine Gestaltungsfreiheit überschritten hätte; dies gilt auch nicht deshalb, weil eine andere, das Kriterium nicht erfüllende, aber auch strafwürdige Personengruppe nicht von der Strafandrohung erfasst ist. 41 Eingehend Schittenhelm NStZ 1997 169, 170 f, die auf den beiden Einwänden Rechnung tragenden Entwurf der FDP-Fraktion im Gesetzgebungsverfahren verweist: “Wer seiner schwangeren Tochter oder einer von ihm schwangeren Frau in einer Notlage nicht Hilfe leistet, obwohl dies zur Abwendung eines Schwangerschaftsabbruchs erforderlich und den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten oder eigener schutzwürdiger Interessen möglich ist, wird im Falle des Abbruchs der Schwangerschaft mit Freiheitsstrafe bis zu 2 Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“. Wiedner
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zu regeln (Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 1a), statt zu versuchen, sie – wie auch § 240 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 (vgl. Fischer § 240 Rdn. 60) – als Einzeltatbestände in vorhandene Bestimmungen einzupassen. Zur Verteidigung der Vorschrift lässt sich allenfalls anführen, dass eine getreue Umsetzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes entweder zu einer erheblichen Ausweitung der Strafbarkeit oder bei einer Einengung der tatbestandlichen Voraussetzungen zu einer ähnlich geringen Anwendungsbreite wie bei der Gesetz gewordenen Norm, jedenfalls zu erheblichen Schwierigkeiten bei einer dem Bestimmtheitsgebot Rechnung tragenden Fassung geführt hätte (vgl. die Stellungnahmen Rdn. 7, Fn. 28).
bb) Kriminalstatistik. § 170 Abs. 2 ist – trotz gelegentlicher Attributierung – in der Praxis 14 nicht gänzlich bedeutungslos; allerdings sind die Fallzahlen, soweit sie sich statistisch von § 170 Abs. 1 abgrenzen lassen, äußerst gering und im Zeitlängsschnitt rückläufig. In der Strafverfolgungsstatistik42 für das Jahr 2018 sind 10 Abgeurteilte43 und 4 Verurteilte erfasst. Für das Jahr 2017 belaufen sich die Zahlen auf 4 Abgeurteile und 3 Verurteilte, für das Jahr 2016 auf 6 Abgeurteilte und 4 Verurteilte und für das Jahr 2015 auf 8 Abgeurteilte und 5 Verurteilte. Noch im Jahr 2010 und davor waren zumindest niedrige zweistellige Zahlen zu verzeichnen.44 Veröffentlichte Rechtsprechung zu der Vorschrift findet sich nicht. cc) Praktische Rechtsanwendung. Da § 170 Abs. 2 wie Abs. 1 an eine gesetzliche Unterhalts- 15 pflicht anknüpft,45 begegnet die Rechtsanwendung allen Schwierigkeiten, die sich an die zivilrechtsakzesssorischen Voraussetzungen der Pflicht und ihre Feststellung knüpfen (s. bereits Rdn. 12). Darüber hinaus eröffnet der Tatbestand eine Mehrzahl darüber hinausreichender, teils erheblicher Auslegungs- und Nachweisbarkeitsprobleme, beginnend bei der Frage, ob er wegen der teilweise fehlenden Nähebeziehung des Unterhaltsverpflichteten zu dem ungeborenen Kind – etwa bei dem geschiedenen Ehegatten und Nicht-Vater oder einem nachrangig haftenden Großelternteil – bereits hinsichtlich des Personenkreises potentieller Täter einschränkend ausgelegt werden muss. Das Merkmal „in verwerflicher Weise“ gibt Rätsel dahin auf, inwieweit ihm überhaupt eigenständige Bedeutung beizumessen ist, ob es objektiv oder (auch) subjektiv verstanden werden kann, und nach welchen Kriterien hierdurch Fallgestaltungen aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift herausgefiltert werden sollen. Am praktisch bedeutsamsten dürften sich aber Schwierigkeiten bei Bestimmung und Nachweis der Kausalität zwischen dem Vorenthalten des Unterhaltes und dem Schwangerschaftsabbruch erweisen („bewirken“), namentlich die Fragen, ob hierzu ein Motivbündel ausreicht, und welches Gewicht die Schwangere der durch die Unterhaltsvorenthaltung eingetretenen oder befürchteten wirtschaftlichen Notlage beigemessen haben muss. Der Nachweis wird, da es sich um eine innere Tatsache aus dem Bereich der Schwangeren handelt, nur durch ihre Aussage oder Bekundungen Dritter vom Hörensagen zu führen sein (vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 48, S, 176). Überwiegend wird das Motiv nicht allein oder vorrangig in einer wirtschaftlich-sozialen Bedrängnis der Schwangeren gelegen haben, sondern in der Beziehung zum Kindsvater oder der mit einer Schwangerschaft und Kindeserziehung nicht vereinbaren Lebensplanung. Oftmals wird die Un42 Statistisches Bundesamt, „Fachserie 10, Rechtspflege. 3, Strafverfolgung“, vgl. Fn. 35. In den durch das Bundeskriminalamt veröffentlichten polizeilichen Kriminalstatistiken (vgl. Rdn. 11) sind Fälle nach § 170 Abs. 2 demgegenüber nicht gesondert erfasst; der dortige Straftatenschlüssel 671000 bezieht sich auf eine „Verletzung der Unterhaltspflicht § 170 StGB“ insgesamt. 43 Zum Begriff vgl. Fn. 36. 44 Für das Jahr 2010: 23 Abgeurteile und 9 Verurteilte; 2009: 19 Abgeurteilte und 11 Verurteilte; 2009: 34 Abgeurteile und 15 Verurteilte. 45 Dass die Pflicht abweichend vom Wortlaut des Abs. 1 nicht als „gesetzliche“ bezeichnet ist, bedeutet keinen Unterschied, vgl. Rdn. 185. 497
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Verletzung der Unterhaltspflicht
terhaltsberechtigte zudem im Nachgang zu der oft belastenden Entscheidungs- und Abbruchssituation nicht ausdifferenziert wiedergeben können, was letztlich den Ausschlag gegeben hat. Andererseits dürfen an den Nachweis, dass die Unterhaltspflichtverletzung hierfür zumindest mitursächlich war, wegen der Gefahr eines derartigen missbräuchlich nur behaupteten Motivs keine zu geringen Anforderungen angelegt werden.
3. Deliktsnatur 16 a) § 170 Abs. 1 ist entgegen vorherrschender Ansicht im Schrifttum46 kein echtes Unterlassungsdelikt.47 Wenngleich eine schlichte Nichtzahlung des Unterhaltes ausreicht und in der Mehrzahl der Fälle im Vordergrund steht, erfasst das „Sich-Entziehen“ tatbestandlich auch Tathandlungen in Mischform von Tun und Unterlassen, etwa das Untertauchen des Unterhaltsschuldners durch heimlichen Wechsel von Wohnort und Arbeitsplatz, eine unzureichende Kindesbetreuung oder die Überweisung eines hinter der Unterhaltsschuld zurückbleibenden Geldbetrages. Im Hinblick auf den erforderlichen Taterfolg handelt es sich um ein konkretes Gefährdungsdelikt.
17 b) § 170 Abs. 2 ist ein eigenständiges Delikt und kein Qualifikationstatbestand zu Abs. 1.48 Zwar lassen sich in den Tathandlungen trotz unterschiedlicher Formulierung keine sachlichen Unterschiede ausmachen. Die Vorschrift birgt aber ein anderes, über § 170 Abs. 1 nicht schlicht hinausreichendes Unrecht; der Lebensbedarf der Unterhaltsberechtigten steht nicht im Vordergrund, sondern der Schutz ihrer Entscheidungsfreiheit und des Lebens des nasciturus. Abs. 2 erfordert dementsprechend auch nicht die Gefährdung des Lebensbedarfs als Taterfolg des Abs. 1, sondern setzt mit dem Schwangerschaftsabbruch eine andere Tatfolge voraus. Die Vorschrift bildet anders als Abs. 1 kein Gefährdungsdelikt, weil die Gefährdung des Lebensbedarfes der Schwangeren als Tatbestandsmerkmal nicht aufgenommen ist (aber gleichwohl zu prüfen sein wird, vgl. Rdn. 202). Die Tat kann trotz des passivischen Einschlages der Tathandlung als eines „Vorenthaltens“ wie Abs. 1 durch Unterlassen und aktives Tun begangen werden.49 Den Schwangerschaftsabbruch als eine lediglich objektive Bedingung der Strafbarkeit zu begreifen, liegt zwar mit Blick darauf nahe, dass die Regelung ersichtlich in Umsetzung der Andeutung des Bundesverfassungsgerichts erfolgte, wonach die Strafbarkeit wegen des einer Schwangeren versagten Beistands davon abhängig gemacht werden könne, ob es tatsächlich zu einem Schwangerschaftsabbruch kam (BVerfGE 88 203, 298). Auch ließen sich Friktionen bei der Einordnung vermeiden, mit welcher Begründung einem Täter außerhalb des näheren Lebensbereiches der Schwangeren der Tod des nasciturus vorgeworfen werden kann. Gleichwohl würde sich ein derartiges Verständnis entgegen der gemeinhin einschränkenden Funktion objektiver Strafbarkeitsbedingungen im Ergebnis als strafbarkeitsausweitend darstellen, da der Schwangerschaftsabbruch dann in den Vorsatz des Täters nicht aufgenommen zu werden bräuchte (vgl. Fischer § 16 Rdn. 27). Auch stellt sich nach der Zielsetzung der Vorschrift der Schwangerschaftsabbruch als maßgebliches Erfolgsunrecht dar, an das die besondere Strafwürdigkeit der Unterhaltspflichtverletzung des Abs. 2 maßgeblich anknüpft; mit der Annahme einer Unrecht und Schuld nicht mitbegründenden Strafbarkeitsbedingungen wäre auch dies nicht zu
46 Schall SK Rdn. 29; Ritscher MK Rdn. 49; SSW/Wittig Rdn. 17; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 27. 47 BGHSt 18 376; BayObLGSt 60 7; Fischer Rdn. 9; s. näher Rdn. 151 ff. 48 Str.; wie hier Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 1a; Schall SK Rdn. 42; SSW/Wittig Rdn. 2; Frommel NK Rdn. 6; Schittenhelm NStZ 1997 169, 170; aA Ritscher MK Rdn. 69; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1; Maurach/Schroeder/ Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 44 f;; Dippel LK12 Rdn. 6: in diesem Sinn wohl auch BTDrucks. 13/1850 S. 25. 49 Vgl. Rdn. 192; anders Fischer Rdn. 11: echtes Unterlassungsdelikt. Wiedner
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I. Allgemeines
StGB § 170
vereinbaren. Dies spricht dafür, den Abbruch als den Taterfolg beschreibendendes Tatbestandsmerkmal zu begreifen.
4. Rechtsgut Hinsichtlich des geschützten Rechtsgutes und den Verletzten ist zwischen den Zielrichtungen 18 der Straftatbestände in Abs. 1 und 2 zu unterscheiden.
a) Abs. 1. Die Interpretation, welche Rechtsgüter von § 170 Abs. 1 geschützt werden, unterlag 19 einem historischen Wandel. Der ursprüngliche Gesetzgeber hat die Zielrichtung der Vorgängernorm des § 361 Nr. 10 RStGB nicht eindeutig zu erkennen gegeben; überwiegend wird sie aber als wohlfahrtsstaatlich motiviert und einem Schutz von Fürsorgeeinrichtungen des Staates dienend verstanden.50 Letztere Einordnung kann sich jedenfalls auf den Wortlaut der Ursprungsvorschrift berufen.51 Mit Einfügung von § 170b a. F. durch die von der nationalsozialistischen Ideologie geprägte „Verordnung zum Schutze von Ehe, Familie und Mutterschaft“ vom 9. März 1943 (RGBl. I S. 140) war die Vorstellung verbunden, dass die Vorschrift auf dem „großen politischen Gedanken der Förderung der Familie“ beruhe und sich als ein „Fall des Familientreubruchs, einer Versündigung an den Banden des Blutes und der Familie“ darstelle (Rietzsch DJ 1943 228 f).52 Auch wenn derartige Gedanken ihren Nachhall noch in der Rechtsprechung nach dem Jahr 1945 fanden, etwa der Bundesgerichtshof im Jahr 1953 den Unrechtsgehalt von § 170b noch mit gleicher Formulierung bestimmte (BGHSt 5 106),53 sind sie hiernach zu Recht aufgegeben worden.54 Auch abgeschwächte rechtspolitische, auf den Schutz der Familie gerichtete Zielsetzungen etwa dahin, dass der Familiengeist und -zusammenhalt gestärkt werden solle (Becker
50 Die Einfügung von Nr. 10 in die unterschiedliche Sozial- und Sittenvorstellungen des Kaiserreiches umsetzende Vorschrift des § 361 RStGB war Teil der Armengesetzgebung; vgl. BGHSt 29, 85. Lucas (Strafrecht [1914], S. 295) bezeichnet sie als „sozialpolitisch wichtige Vorschrift“. BGHZ 28 359, 366 sieht von § 361 Nr. 10 RStGB die Wohlfahrtsbehörden geschützt vor missbräuchlicher Inanspruchnahme; ebenso Amelunxen S. 15, Demann S. 27, M. Eckstein S. 57, Eggert Schutz S. 8, Frank § 361 Anm. X, Jagusch LK8 Anm. 1, v. Olshausen § 361 Nr. 10 Anm. 1, Seuffert ZStW 15 (1895) 810, N. Schmidt S. 1 und Verfürden S. 11. S. auch Ehrbeck S. 8 ff. 51 § 361 Nr. 10 RStGB i. d. F. vom 1. April 1894: „(…) derart entzieht, daß durch Vermittelung der Behörde fremde Hülfe in Anspruch genommen werden muß.“. 52 BGHZ 28 359, 366 sieht unter Verweis auf gleichlautende, aber nicht Gesetz gewordene Vorgängerentwürfe noch immer die öffentliche Hand als geschützt an, konzediert aber, dass sich ein derartiger Hinweis in Materialien zur Gesetzgebung fehle. Da § 170b in der Ursprungsfassung audrücklich die „öffentliche Hilfe“ aufgenommen hatte, durch die der Unterhaltsbedarf abgedeckt wird, kann sich die Auffassung wie im Falle der Ursprungsvorschrift auf den Wortlaut stützen. 53 Ein „gegen die Bande des Blutes und der Familie begangenes Unrecht“; der Schutz beruhe auf einem „höheren” rechtspolitischen Gedanken als die Vorgängervorschrift des § 361 N. 10 (BGHSt 5 106). Ähnlich BGHZ 28 359, 366 (1958), wonach § 170b a. F. „dem Schutz der Familie und der sich aus der Abstammung ergebenden Bande“ diene. S. auch OLG Hamm FamRZ 1957 376; NJW 1960 1632; auch noch OLG Zweibrücken MDR 1974 1034 (hiergegen BGHSt 26 111). Die Berechtigung eines derartigen Schutzzweckes wird von BGHSt 12, 166 nur unter dem Gesichtspunkt in Zweifel gezogen, als damit eine nicht hinnehmbare Einengung des Anwendungsbereiches – im dortigen Fall: Verpflichtung des Scheinvaters vor Anfechtung – verbunden wäre. S. auch Schramm Ehe und Familie im Strafrecht, S. 332 ff. 54 Schramm (S. 336) weist zu Recht darauf hin, dass eine „blutsmäßige“, d. h. biologische/genetische Verbindung als solche bereits in der Rechtsordnung im Allgemeinen kein schützenswertes Rechtsgut darstellt, wie sich im Besonderen aus der Statuierung von Unterhaltspflichten des ehelichen Scheinvaters und gegenüber Adoptierten ergibt. 499
Wiedner
§ 170 StGB
Verletzung der Unterhaltspflicht
NJW 1955 1906; s auch Jagusch LK8 Anm. 1),55 werden heute nicht mehr vertreten. Im Hinblick auf die formale Anknüpfung der Strafvorschrift an die familienrechtliche Unterhaltspflicht, die weder zwingend auf einer tatsächlichen biologischen Abstammung (vgl. Rdn. 44) noch – insbesondere bei Eintritt fernerer, nachrangig haftender Angehöriger – auf einer engen verwandtschaftlichen oder – im Fall nachehelichen Unterhaltes – auf einer überhaupt noch bestehenden institutionellen Bindung beruhen muss, lässt sich die Strafbarkeit nicht mit dem Schutz eines familiären Näheverhältnisses und einer hieraus erwachsenden Treuepflicht begründen. Umgekehrt verbietet es bereits das strafrechtliche Bestimmtheitserfordernis, eine von der zivilrechtlichen Beurteilung abweichende Strafbarkeit nur für derartige, nicht abgrenzbare Fälle vorzusehen.56 Nach heute einhelliger und zutreffender Auffassung57 zielt § 170 Abs. 1 auf ein doppeltes 20 Rechtsgut. Geschützt ist zum einen die innerstaatliche Sozialgemeinschaft vor unberechtigter Inanspruchnahme öffentlicher Mittel, mithin insbesondere die Sozialbehörden und sozialen Sicherungssysteme, welche bei einer Unterhaltsvorenthaltung nach gesetzlichem Auftrag mit öffentlichen Mitteln einspringen, die familienrechtlich zuvorderst von dem Unterhaltspflichtigen aufzubringen wären. Dies bedeutet eine Rückkehr zur Ursprungsinterpretation der Vorschrift, die auch durch die Herausnahme der „öffentlichen Hilfe“ aus dem Wortlaut nicht in Frage gestellt wird, die von dem Begriff der „Hilfe anderer“ mitumfasst ist.58 Zum anderen dient die Vorschrift individualrechtlich dem Interesse des Unterhaltsberechtigten zum Schutz vor einer Gefährdung seiner materiellen Lebensgrundlage – oder kürzer: dem Schutz seines Lebensbedarfs (Schramm S. 335) – und verstärkt insoweit den bestehenden familienrechtlichen Schutz.59 Soweit dieser wiederum auf einem bestimmten familienrechtlichen Grundverhältnis wie der Ehe oder einer bestimmten verwandtschaftlichen Beziehung beruht, stärkt die Vorschrift mittelbar auch diese, geht über einen derartigen Schutzreflex aber nicht hinaus (zutreffend Schramm a. a. O.). 21 Ob sich hierin der Schutzzweck erschöpft, erscheint indes zweifelhaft; denn beide Schutzrichtungen – individual- und fiskalisch allgemeinschützend – vermögen nicht abschließend zu erklären, warum es über die zivilrechtlich durchsetzbare und mit vollstreckungsrechtlichen Mit55 Nach Becker (NJW 1955 1906) ergibt sich eine Treuepflicht nicht nur aus biologischer, „blutmäßiger” Abstammung oder aus bestehender Ehe, sondern aus allen Arten menschlichen Zusammenlebens, die den Gesetzgeber zur Statuierung von Unterhaltspflichten veranlassen. 56 Vgl. Dippel LK12 Rdn. 7; Blauth S. 125; Bode NJW 1955 1588; Bruns FS Lent 127; Mittelbach MDR 1957 65, Oehler FamRZ 1959 489; Schröder JZ 1959 346. 57 BVerfGE 50 142, 153; BGHSt 12 166, 169; 26 111, 116; 29 85, 87; BGHZ 28 359, 367; BayObLG FamRZ 1957 374; NJW 1982 1243; OLG Hamburg NStZ 1986 118; OLG Karlsruhe JR 1978 379 mit Anm. Oehler; KG JR 1985 516 mit Anm. Lenzen; OLG Saarbrücken NJW 1975 506, 507; OLG Schleswig SchlHA 206 (1959) 295, 296; Geppert JR 1988 222 ff; Heimann-Trosien JR 1976 235; Klussmann MDR 1973 459; Mittelbach MDR 1957 65; Mittenzwei FS Wacke S. 334; Eggert Schutz S. 30 ff; Frenzel S. 58 ff; Neudek S. 10 ff; Verfürden S. 26 ff; Ritscher MK Rdn. 4; Schall SK Rdn. 4; SSW/ Wittig Rdn. 1; Matt/Renzikowski/Kuhli Rdn. 2; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 1; Fischer Rdn. 2. Schmidhäuser BT 13/12; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 63 Rdn. 25; Arzt/Weber BT § 10 Rdn. 33. Zur Konstruktion eines doppelten Rechtsguts Hefendehl S. 366 f. 58 Vgl. BGHSt 29, 85; Schlüchter JZ 1974,1. Den Materialien zur der Abänderung im Gefolge des 4. StrRG lässt sich eine veränderte Zielsetzung der Vorschrift nicht entnehmen; vielmehr ist diskutiert, ob die fiskalische Zielsetzung, (auch) öffentliche Behörden von den durch Säumigkeit von Unterhaltspflichtigen entstehenden Aufwendungen zu entlasten, zur Beibehaltung der Vorschrift ausreichend sei, vgl. BTDrucks. VI/1552 S. 12 f; VI/3521 S. 13. Nach der Begründung des Regierungsentwurfes solle lediglich eine sprachliche Vereinfachung unter Anknüpfung an das bislang geltende Recht erfolgen (BTDrucks. VI/1552 S. 12). 59 Dies betonen BGHSt 12 166 und 26 111, 117, ohne auf einen darüber hinausgehenden Schutz öffentlicher Institutionen einzugehen. Nach BVerfGE 50, 142, dient die Vorschrift vorrangig dem Schutz des Unterhaltsberechtigten: „§ 170b StGB dient (…) in erster Linie dem Schutz des Unterhaltsberechtigten vor Gefährdung seines materiellen Lebensbedarfs; außerdem soll – dahinter zurücktretend – die Allgemeinheit vor ungerechtfertigter Inanspruchnahme öffentlicher Mittel geschützt werden.“ Anders Schlüchter FS Oehler 316, die in dem Interesse des Berechtigten nur ein Mittel zum Bewahren des Allgemeinguts sieht, das Individualrechtsgut damit nachrangig ansieht. Wiedner
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I. Allgemeines
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teln erzwingbare Erfüllung von Unterhaltsansprüchen einschließlich Regressforderungen hinausreichend einer strafrechtlichen Flankierung der Unterhaltspflicht bedarf. § 170 Abs. 1 erfüllt insoweit auch eine soziale Funktion, ohne dass dafür auf eine Überhöhung der in ihrer Bedeutung und ihrem Umfang wandelbaren familiären Strukturen zurückgegriffen werden müsste. Die Vorschrift verstärkt die sich familienrechtlich ergebende wirtschaftliche Verantwortung aus bestimmten Unterhaltsgrundverhältnissen auf strafrechtlicher Ebene, weil hiermit zugleich in bedeutsamer Weise die Frage gesamtgesellschaftlichen Zusammenhaltes betroffen ist. Dieser beruht auf einer auch wirtschaftlichen Einstandspflicht der Staatsbürger und im Inland aufenthältlichen ausländischen Staatsangehörigen, die sich aus besonderen, gesetzlich definierten Grundbeziehungen und Verantwortlichkeiten speist. Der Bedeutung derartiger Pflichten für die Aufrechterhaltung eines Gemeinwesens spiegelt sich in strafrechtlichen Vorschriften, die wie etwa § 370 AO und § 266a einer Verstärkung im Allgemeininteresse liegender wirtschaftlicher Pflichten dienen. § 170 Abs. 1 in diese Reihe zu stellen, ist nicht dadurch gehindert, dass die Verantwortung auf höchstpersönlichen Verhältnissen der Normadressaten beruht und in ihrem Ursprung auf eine – selbstverständliche, dort konstitutiv wirkende (Beckmann ZfL 15 [2006] 7) – gegenseitige Hilfeleistung in familiären Beziehungen zurückgeht; denn die erwartbare Sicherung des Lebensbedarfes in familiären Näheverhältnissen wirkt als Teil des gesellschaftlichen Fundamentes über den privaten Bereich hinaus. Mit einer – auch – derartigen Schutzrichtung erklärt sich zwanglos, warum nicht auch ausländische Staatswesen und ihre Behörden in den Schutzbereich einbezogen sind (vgl. Rdn. 26 ff).
b) Abs. 2. Der von § 170 Abs. 2 verfolgte Schutzzweck ergibt sich aus den Vorgaben des Bundes- 22 verfassungsgerichts (BVerfGE 88 203, 298), in deren Umsetzung die Einfügung des gesonderten Straftatbestandes erfolgte (vgl. BTDrucks. 13/1850). In der bezeichneten Entscheidung („Schwangerschaftsabbruch II“, NJW 1993 1751) hatte das BVerfG umfassende rechtliche Maßnahmen eingefordert, um der Schwangeren zur besseren Wirkung der Beratung über einen Schwangerschaftsabbruch „einen Raum eigener, nicht durch Druck von außen determinierter Verantwortlichkeit [zu] sichern“ (BVerfGE 88 203, 298), was auch durch strafbewehrte Verhaltensregeln gegenüber Personen des familiären Umfeldes abgesichert werden sollte.60 Vor diesem Hintergrund sichert § 170 Abs. 2 die Entscheidungsfreiheit der Schwangeren, die unbeeinflusst von materiellen Bedenken über die Fortdauer der Schwangerschaft soll autonom befinden können.61 Eine Vorenthaltung anderweitigen als wirtschaftlichen Beistandes aus dem sozialen und familiären Umfeld der Schwangeren ist – obwohl auch insoweit Teil der verfassungsgerichtlichen Forderung (BVerfGE 88 203, 298) – nicht aufgenommen worden (vgl. § 170c a. F.); wenngleich derartige Hilfe mehr noch als eine Gewährleistung von Unterhalt während der Schwangerschaft der schwangeren Frau in ihrem Konflikt helfen würde (zutreffend Dippel LK12 Rdn. 9), wäre sie strafrechtlich kaum erzwingbar. Da die Vorschrift einen Teil des durch das Bundesverfassungsgericht eingeforderten, strafrechtlich abge60 Das BVerfG führt insoweit aus (BVerfGE 88 203, 298): „Daher sind Personen des familiären Umfeldes in das Schutzkonzept einzubeziehen, die für eine Schwangerschaft ebenfalls Verantwortung tragen, wie die Väter, oder für die durch die Schwangerschaft eine besondere Verantwortung entsteht, wie bei den Eltern noch minderjähriger Schwangerer. (…) Darüber hinaus sind für Personen des familiären Umfeldes in bestimmtem Umfang strafbewehrte Verhaltensgebote und -verbote unerläßlich. Sie müssen sich zum einen darauf richten, daß die betreffenden Personen der Frau den ihnen zuzumutenden Beistand, dessen sie wegen der Schwangerschaft bedarf, nicht in verwerflicher Weise vorenthalten, zum anderen darauf, daß sie es unterlassen, die Frau zum Schwangerschaftsabbruch zu drängen. Dabei kann die Strafbarkeit davon abhängig gemacht werden, daß es zum Abbruch der Schwangerschaft gekommen ist.“ 61 Ritscher MK Rdn. 5; Dippel LK12 Rdn. 8; SSW/Wittig Rdn. 2; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 24; Schittenhelm NStZ 1997 169. S. auch Schramm S. 339: Möglichst unbelasteter Entscheidungsprozess hinsichtlich einer Fortsetzung der Schwangerschaft oder ihres Abbruchs. Soweit Schall (SK Rdn. 6, Fn. 28) beanstandet, dass ein derartiges Rechtsgut in der Vorschrift nicht hinreichend zum Ausdruck komme, ist es durch die kausale Verknüpfung der Tathandlung mit dem Schwangerschaftsabbruch doch zumindest angedeutet. 501
Wiedner
§ 170 StGB
Verletzung der Unterhaltspflicht
sicherten Schutzkonzeptes darstellt, in Umsetzung der Schutzpflicht für das ungeborene Leben aus Art. 2 Abs. 2 GG erfolgte und darauf abzielt, Schwangerschaftsabbrüche zu vermeiden, ist geschütztes Rechtsgut – wie sich auch aus der Erfolgsqualifikation ergibt – das ungeborene Leben.62 Schutzgut ist schließlich auch, indes nachrangig der gesetzliche Unterhaltsanspruch der Schwangeren, bereits aber nicht mehr deren materieller Lebensbedarf, dessen Gefährdung anders als in Abs. 1 nicht Tatbestandsmerkmal der Vorschrift ist. Angesichts der Erfolgsqualifikation und des durch die Zielsetzung der Vorschrift deutlich individualrechtlichen Einschlages lässt sich dagegen nicht auch ein allgemeinschützendes Rechtsgut, namentlich der Schutz einspringender Sozialträger annehmen; soweit diese durch die strafrechtliche Absicherung der Unterhaltspflicht vor missbräuchlicher Inanspruchnahme bewahrt werden, liegt ein bloßer Schutzreflex vor.63 Auch die Familie ist nicht Schutzgut, da die Vorschrift weder eine intakte Familienstruktur voraussetzt noch auf sie abzielt (Schramm S. 339).
23 c) Verletzter i. S. v. § 172 Abs. 2 StPO ist in Abs 1 und 2 der Unterhaltsberechtigte, in Abs. 1 zusätzlich der kraft gesetzlichem Auftrag einspringende Sozialhilfeträger (OLG Hamm NStZ-RR 2003 116; Graalmann-Scheerer LR § 172 Rdn. 59), nicht aber Personen, die aus persönlichem Motiv anstelle des Pflichtigen für den Lebensbedarf des Unterhaltsberechtigten aufkommen, und auch nicht nachrangig Verpflichtete, deren Schutz Abs. 1 nicht dient.64 In Abs. 2 kann im Hinblick auf den Verlust des ungeborenen Lebens nicht die Schwangere, die den Abbruch veranlasst, aber der Vater Verletzter sei, wenn nicht er, sondern eine andere Person unterhaltsverpflichtet und Täter ist.
5. Tatort und Auslandsbezug 24 a) Tatort. Als Tatort der Unterhaltspflichtverletzung kommen nach § 9 Abs. 1 der Handlungsund Erfolgsort in Betracht. Ersterer liegt dort, wo der Unterhaltspflichtige eine aktive Entziehungshandlung vorgenommen hat, sowie dort, wo er die zur Erfüllung seiner Verpflichtung erforderlichen Handlungen hätte vornehmen müssen (§ 9 Abs. 1 Alt. 1 und 2; vgl. OLG Saarbrücken NJW 1975 506, 507 mit Anm. Oehler JR 1975 291). Dabei handelt es sich bei der erforderlichen Leistung von Betreuungsunterhalt um den Aufenthaltsort des Unterhaltsberechtigten; bei geschuldetem Barunterhalt ist – wenn nicht ausnahmsweise eine Bringschuld vereinbart ist – der Aufenthaltsort des Täters maßgeblich, an dem er die Zahlung hätte auf den Weg bringen müssen. Den Erfolgsort im Sinne von § 9 Abs. 1 Alt. 3 bildet für Unterhaltspflichtverletzungen nach § 170 Abs. 1 regelmäßig der Aufenthaltsort des Unterhaltsberechtigten als der Ort, an dem die Gefährdung des Lebensbedarfs eintritt oder ohne die Hilfe Dritter eingetreten wäre.65 Die tatbestandliche Gleichsetzung einer tatsächlich eingetretenen Gefährdung mit einer solchen, die durch die Hilfe anderer abgewendet wurde, hat insoweit auch Bedeutung für die Ermittlung des Tatortes (OLG Köln NJW 1968 954; Dippel LK12 Rdn. 64). Maßgeblich ist wiederum der jeweilige Aufenthaltsort des Berechtigten: Unmittelbar vor Eingreifen des Dritten wäre die Gefährdung
62 Schall SK Rdn. 6; Ritscher MK Rdn. 5; SSW/Wittig Rdn. 2; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 1a; Fischer Rdn. 2; Schittenhelm NStZ 1997 169.
63 Schall SK Rdn. 6; anders wohl SSW/Wittig Rdn. 2; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1 („zusätzlich zu Abs. 1). 64 OLG Hamm RPfl 2000 423; aA Graalmann-Scheerer LR § 172 Rdn. 75; krit. Rahmlow AnwK Rdn. 20. 65 Dippel (LK12 Rdn. 64) stellt darauf ab, wo der Gefährdungserfolg nach Vorstellung des Täters eintreten sollte (§ 9 Abs. 1 Alt. 4). Dies erscheint fraglich, da es sich bei einer infolge Hilfe anderer unterbliebenen Gefährdung nicht um einen Versuch handelt, bei dem für die Bestimmung des Erfolgs und dessen Eintrittsortes der Vorsatz des Täters maßgeblich ist (vgl. Sch/Schröder/Eser/Weißer § 9 Rdn. 9). Zum Erfolgsort wird daher nicht ein vom Täter nur vorgestellter Ort, etwa bei einer Fehlvorstellung über den Aufenthaltsort des Unterhaltsberechtigten; maßgeblich bleibt der tatsächliche oder hypothetische Gefährdungsort. Ist dieser nicht vom Vorsatz des Täters erfasst, handelt es sich im Regelfall um eine nur unmaßgebliche Abweichung von dem vorgestellten Ablauf. Wiedner
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dort eingetreten; führt die fremde Hilfe – insbesondere durch eine Heimunterbringung des Berechtigten – zu einem Aufenthaltswechsel, würde bei hypothetischem Wegfall der Hilfe die Gefährdung zunächst dort eintreten. Mutmaßliche Weiterentwicklungen – etwa: der Berechtigte wäre bei Ende der Unterstützung zu einem Auszug aus dem Heim gezwungen und müsste seinen Wohnsitz anderenorts allein oder bei weiteren Dritten nehmen – sind schon aufgrund ihrer Unbestimmtheit nicht geeignet, den Erfolgsort festzulegen. Für § 170 Abs. 2 liegt der Erfolgsort am Ort des Schwangerschaftsabbruches.
b) Auslandsbezug. Aus der Bestimmung des Tatortes und dem Schutzbereich von § 170 be- 25 stimmt sich die Anwendung der Vorschrift bei Unterhaltspflichtverletzungen mit Auslandsbezug.
aa) Abs. 1. Für § 170 Abs. 1 gilt:
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(1) Grundsatz. Nach den allgemeinen Regeln der §§ 3–9 über die Anwendbarkeit deutschen 27 Strafrechtes würde § 170 Abs. 1 nach dem Territorialprinzip des § 3 für alle Täter gleich welcher Staatsangehörigkeit gelten, die durch ein Handeln oder Unterlassen im Inland den Unterhalt entziehen, sich mithin im Tatzeitraum im Inland aufhalten (§ 9 Abs. 1 Alt. 1 und 2). Zugleich wären Taten erfasst, in welchem bei Aufenthalt des Täters im Ausland die Gefährdung des Lebensbedarfs als Taterfolg im Inland eintritt (§ 9 Abs. 1 Alt. 3), mithin bei Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten im Inland unabhängig von dessen Nationalität. Nach dem Grundsatz stellvertretender Strafrechtspflege in § 7 wäre deutsches Strafrecht zudem anwendbar bei Taten mit örtlich vollständigem Auslandsbezug, mithin bei einem beidseitigem Aufenthalt von Unterhaltspflichtigem und -berechtigtem im Ausland, sofern die Tat von einem Deutschen begangen oder gegen einen Deutschen gerichtet ist und weitere Voraussetzungen – vornehmlich Strafandrohung am Tatort oder fehlende Strafgewalt – vorliegen. Diese Grundsätze werden indes überlagert durch den eingeschränkten Schutzzweck von § 170 Abs. 1, der bereits den tatbestandlichen Anwendungsbereich der Vorschrift einschränkt.66 Denn den Regeln des internationalen Strafrechts geht die Frage vor, ob ausländische Rechtsgüter von der jeweiligen Strafnorm geschützt werden; ist dies nicht der Fall, so wird eine Tat mit Auslandsbezug nicht von den §§ 3 ff erfasst, wenn sie zwar der Tatbestandsbeschreibung der von ihr verwirklichten Vorschrift entspricht, aber aus ihrem Schutzbereich herausfällt (vgl. BGHSt 21, 277, 280; 29 85). § 170 Abs. 1 dient nur dem inländischen Rechtsgüterschutz. Geschützt wird allein die 28 deutsche Sozialgemeinschaft, namentlich deutsche Sozialbehörden vor ungerechtfertigter Inanspruchnahme. Individuell werden nur deutsche Unterhaltsberechtigte vor einer Gefährdung ihres Bedarfes geschützt, mit Blick auf die Störung der inländischen Gesellschaftsordnung und die Eintrittspflicht deutscher Sozialbehörden weiterhin Ausländer, die ihren Wohnsitz im Inland haben.67 Der Bundesgerichtshof hat hierzu die Entstehungsgeschichte herangezogen, wonach § 170 Abs. 1 und die Vorgängervorschriften allein das Eingreifen deutscher Sozialbehörden verhindern sollten, auf deren Fürsorgeleistungen zunächst nur deutsche Staatsangehörige, nicht aber Ausländer einen Anspruch hatten (BGHSt 29 85, 87 ff). Soweit Individualrechtsgüter des Unterhaltsberechtigten berührt sind, handelt es sich im Falle von § 170 Abs. 1 um keine elemen66 BGHSt 29 85; BayObLG NJW 1982 1243; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 1b; Schall SK Rdn. 7. Andere Prüfung – mit gleichem Ergebnis – durch LG Frankfurt NJW 1977 508. 67 BGHSt 29, 85 m. krit.Anm Kunz NJW 1980, 1201, zust.Anm Oehler JR 1980, 381; BayObLG NJW 1982, 1243; OLG Stuttgart NJW 1977, 1601, 1602; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 1b; Fischer Rdn. 3a; Ritscher MK Rdn. 6; SSW/ Wittig Rdn. 3; Schall SK Rdn. 7; aA OLG Karlsruhe NJW 1978 1754 (zeitlich vor BGHSt 29 85): „Im europäischen Kulturkreis allgemein anerkanntes Rechtsgut“, das eines Schutzes auch im Ausland bedürfe. 503
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Verletzung der Unterhaltspflicht
taren, weltweit anerkannten wie Leib, Leben oder Freiheit, die umfassenden Schutzes bedürften, sondern um die in vielen Staaten bereits nicht strafrechtlich abgesicherte Beschaffung des notwendigen Lebensbedarfes durch einen Angehörigen.68 Damit besteht zutreffenderweise kein Anlass, die fiskalischen Belange ausländischer Staaten unter deutschen strafrechtlichen Schutz zu stellen; ebensowenig ist es Aufgabe deutscher Strafverfolgungsorgane, einer Verkürzung des Lebensbedarfs eines Ausländers im Ausland entgegenzuwirken.69
29 (2) Einzelne Fallgestaltungen. Hieraus ergibt sich, dass einzelne Fallgestaltungen mit internationalem Bezug, in denen ein Deutscher als Unterhaltsberechtigter und auch die Belange deutscher staatlicher Fürsorge nicht betroffen sind, bereits keine tatbestandliche Unterhaltspflichtverletzung bilden, während sonstige Fälle von § 170 Abs. 1 zwar grundsätzlich erfasst sind, dies allerdings unter dem Vorbehalt einer Anwendbarkeit der Vorschrift nach den §§ 3 ff. Zu unterscheiden ist wie folgt: 30 Deutsche Staatsangehörige als Unterhaltsberechtigte sind stets in den Schutzbereich des § 170 Abs. 1 einbezogen, so dass ihnen gegenüber begangene Unterhaltspflichtverletzungen auch bei Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten, des Unterhaltspflichtigen oder beider im Ausland tatbestandsmäßig sind.70 Insoweit ist nicht allein auf die Gefahr der Inanspruchnahme deutscher Sozialbehörden abzustellen,71 sondern auf einen individuellen, deutschen Staatsbürgern vorbehaltenen Schutz durch das deutsche Strafrecht vor einer Gefährdung ihrer materiellen Lebensgrundlage, die im Ausland auch dann eintritt, falls ein ausländischer Sozialhilfeträger den Unterhaltsbedarf abdeckt. Hält der Unterhaltsberechtigte sich im Inland auf, folgt die Anwendbarkeit von § 170 Abs. 1 angesichts des im Inland eintretenden tatbestandsmäßigen Erfolges aus §§ 3, 9 Abs. 1 Alt. 3; bei Aufenthalt des Unterhaltsverpflichteten im Inland gilt deutsches Strafrecht angesichts der ihn treffenden Handlungspflicht im Inland nach §§ 3, 9 Abs. 1 Alt. 2. Bei beidseitigem Aufenthalt im Ausland kommt es nach § 7 zuvorderst auf eine Strafandrohung oder fehlende Strafgewalt im Ausland an, wobei im Falle des Aufenthaltes in unterschiedlichen Ländern der Tatort in beiden liegt (§ 9 Abs. 1), daher angesichts der Begehung gegen einen Deutschen nach § 7 Abs. 1 die Strafbarkeit oder fehlende Strafgewalt in einem der Staaten ausreicht. 31 In Deutschland lebende Unterhaltsberechtigte sind unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit von § 170 Abs. 1 tatbestandlich gleichfalls geschützt, da jedenfalls das deutsche Sozialsystem berührt ist. Wegen des Eintritts des tatbestandsmäßigen Erfolges im Inland (§§ 3, 9 Abs. 1 Alt. 3) ist § 170 Abs. 1 in einem solchen Fall auch international anwendbar.72 Abzustellen ist nicht auf den Wohnsitz (so aber SSW/Wittig Rdn. 3); auch ein vorübergehender Aufenthalt, bei welchem trotz bestehender Unterhaltspflicht im Inland eine Gefährdung des Lebensbedarfes eintritt, kann zur Strafbarkeit führen. Gegenüber im Ausland lebenden Unterhaltsberechtigten ausländischer Staatsangehö32 rigkeit besteht demgegenüber kein strafrechtlicher Schutz nach § 170 Abs. 1, auch wenn der 68 Vgl. BGHSt 29, 85, 88: „Da eine erhebliche Anzahl ausländischer Staaten keine Veranlassung sieht, schuldhaften Unterhaltspflichtverletzungen durch Strafandrohungen entgegenzutreten, kann die deutsche Rechtsordnung sich nicht für verpflichtet halten, aus Gründen elementaren Rechtsschutzes Strafe für Unterhaltspflichtverletzungen mit ausschließlicher Wirkung im Ausland anzudrohen.“ 69 BGHSt 29, 85, 88 weist zudem darauf hin, dass eine Strafandrohung als Einmischung in die inneren Angelegenheiten des ausländischen Staates angesehen werden könnte. Soweit ein im Inland lebender Ausländer im Vergleich zu einem in seinem Heimatland lebenden Mitbürger schlechter gestellt würde (so weiter BGHSt 29, 85), wäre dies allerdings typische Folge einer als strafwürdig angesehenen inländischen Handlung. 70 Vgl. KG JR 1985, 516 für Bürger der DDR; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 1b; Ritscher MK Rdn. 6. 71 So aber Kunz NJW 1987, 881 unter Bezug auf BGHSt 29 85, der darauf verweist, dass internationale Abkommen teilweise eine materielle Versorgung von Unterhaltsberechtigten im Ausland ohne Möglichkeit eines späteren Rückgriffes zu Lasten deutscher Behörden vorsehen, und in solchen Fällen auch eine Unterhaltsverkürzung von im Ausland lebenden Deutschen nicht von § 170 Abs. 1 erfasst wäre. 72 Schall SK Rdn. 8; Fischer Rdn. 3a; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 1b; Ritscher MK Rdn. 6. Wiedner
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I. Allgemeines
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Täter sich im Inland aufhält (Maurach/Schroeder/Maiwald § 63 Rdn. 26, S. 169). Weder ist der persönliche Schutzbereich von § 170 Abs. 1 betroffen, noch eine Inanspruchnahme öffentlicher Mittel zu besorgen. Dies gilt bei ausländischer Staatsangehörigkeit des Täters,73 aber auch dann, wenn es sich bei ihm um einen Deutschen handelt und die Voraussetzungen von § 7 Abs. 2 erfüllt sind.74 Zwar bleibt bedürftigen ausländischen Staatsangehörigen hiermit ein essentieller Rechtsgüterschutz versagt (krit. Kunz NJW 1995 1519). Die materielle Versorgung eines Ausländers im Ausland mit Mitteln deutschen (Straf-)Rechts sicherzustellen, ist jedoch nicht bereits deshalb geboten, weil sich der Unterhaltspflichtige auf deutschem Staatsgebiet aufhält oder die Unterhaltspflicht auf deutschem Recht beruht. Auf welchem rechtlichen Weg den – für sich genommen existentiellen – materiellen Grundbedürfnissen unterhaltsberechtigter Personen Rechnung getragen wird,75 hängt auch innereuropäisch ab von den sozialen und kulturellen Wertmaßstäben, so dass die nationale Vorprägung des Rechtsgutes eine Beschränkung des Individualrechtsgutes auf deutsche Staatsangehörige gebietet.76 Dies gilt unabhängig davon, ob man den von § 170 Abs. 1 (auch) bezweckten Individualrechtsschutz zutreffend als Primärrechtsgut oder einen nur mittelbaren Schutz begreift.77 Ist eine Verurteilung entgegen diesen Grundsätzen gleichwohl erfolgt, so ist das Urteil wirksam; doch darf die Strafaussetzung zur Bewährung nicht widerrufen werden, wenn der Verurteilte den Weisungen des Gerichts zur Erfüllung seiner Unterhaltspflicht nicht nachkommt (OLG Stuttgart NJW 1985 1299).
(3) Anspruch aus ausländischem Recht. Die vorgenannten Grundsätze gelten unabhängig 33 davon und vorrangig dazu, ob der Unterhaltsanspruch auf deutschem oder ausländischem Recht beruht (Schall SK Rdn. 8; Matt/Renzikowski/Kuhli Rdn. 7). Die Frage des anwendbaren materiellen Unterhaltsrechtes stellt sich erst bei Geltung von § 170 Abs. 1 unter Berücksichtigung des Schutzbereiches und einer Anwendung der §§ 3 ff. Sie betrifft allein die zivilrechtliche Grundlage des Tatbestandsmerkmals der „gesetzlichen Unterhaltspflicht“ und richtet sich nach internationalem Privatrecht. Führt eine hiernach maßgebliche Anknüpfung zur Anwendung deutschen Rechts, führt dies nicht zur Anwendung der Strafvorschrift insgesamt, auch wenn die Anknüpfungstatsache häufig zugleich den Schutzbereich eröffnen und auch nach den §§ 3 ff maßgeblich sein wird.78 Eine nach ausländischem Recht nur gewohnheitsrechtlich anerkannte Unterhaltpflicht kann ausreichen. Zu fordern wird aber sein, dass der ausländische Unterhaltsanspruch im Inland durchsetzbar wäre, bei Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten in Deutsch73 So die Fallgestaltung und Vorlagefrage bei BGHSt 29 85; vorangehend bereits OLG Saarbrücken NJW 1975 506 mit Anm. Oehler JR 1975 292; OLG Stuttgart NJW 1977 1601; OLG Frankfurt NJW 1978 2640; Oehler JR 1980 381; Ritscher MK Rdn. 6; Schall SK Rdn. 9; SSW/Wittig Rdn. 3; Fischer Rdn. 3; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Maurach/ Schroeder/Maiwald BT 2, § 63 Rdn. 26; aA Kunz FamRZ 1995 1049; NJW 1995 1519 unter Hinweis auf die besonders schutzwürdigen Belange von Minderjährigen bei Bedrohung ihrer materiellen Existenzgrundlage. Anders ebenfalls noch OLG Karlsruhe NJW 1978 1754; AG Mannheim NJW 1969 997 mit der indes unzutreffenden Erwägung, dass die Tat ausschließlich im Ausland begangen sei. 74 BayObLG NJW 1982 1243 unter zutreffender Heranziehung der Grundsätze von BGHSt 29 85; OLG Saarbrücken NJW 1975 506; OLG Stuttgart NJW 1977 1601; OLG Frankfurt NJW 1978 2640; AG Rosenheim NJW 1981 2653; SK Schall Rdn. 9; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 1b. 75 Etwa liegt in Großbritannien im Falle einer Unterhaltspflichtverletzung der rechtliche Schwerpunkt in einer mit Zwangsmaßnahmen betriebenen Einziehung der Unterhaltsforderung und Unterstützung von unterhaltsberechtigten Kindern durch den mit Exekutivvollmachten ausgestattete Child Maintenance Service. S. auch Dopffel/Buchhofer/Martiny S. 656 f. 76 AA Kunz NJW 1995 1519. Dippel (LK12 Rdn. 14) stellt ab auf die unterschiedliche Ausgestaltung des Straftatbestandes in den verschiedenen Ländern und dortige besondere Strafverfolgungsvoraussetzungen; indes sind damit nicht Fragen des Schutzbereiches angesprochen, sondern eher solche des § 7 und ggf. des subjektiven Tatbestandes. 77 Vgl. Rdn. 19; s. auch Schlüchter FS Oehler 311. 78 So etwa der gewöhnliche Aufenthalt nach Art. 3 Abs. 1 des Haager Unterhaltsprotokolls; s. andererseits Art. 4 Abs. 2–4, Art, 5. 505
Wiedner
§ 170 StGB
Verletzung der Unterhaltspflicht
land mithin zumindest anerkennungsfähig ist.79 Im Falle eines im Land der Anspruchsentstehung aufenthältlichen Deutschen bleibt dies unproblematisch; Grenze bildet hier aber der deutsche ordre public.
34 (4) Recht der DDR. Die Verfolgung und der Schutz von Bürgern der ehemaligen DDR nach § 170 Abs. 1 ist wegen der – auch unter Berücksichtigung von Unterbrechungs- und langandauernden Hemmungstatbeständen – zwischenzeitlich eingetretenen Verjährung nicht mehr von praktischer Bedeutung. Die Beurteilung hing im Wesentlichen davon ab, ob Bürger der DDR als deutsche Staatsangehörige und die DDR als Inland anzusehen war, wie von der Rechtsprechung überwiegend bejaht.80 Demgegenüber galten nach überwiegender Auffassung im Schrifttum die für ausländische Rechtsgüter bestehenden Einschränkungen des § 170 Abs. 1 auch im Verhältnis zur DDR.81 Dieser Auffassung zufolge wären derartige Fälle wie auch Fälle im Binnenbereich der DDR nach § 2 Abs. 2 und 3 in Verbindung mit § 315 Abs. 1 EGStGB zu beurteilen, was zur Anwendung von § 141 StGB DDR führen dürfte (Dippel LK12 Rdn. 14). Noch Anwendung finden kann für die Zeit nach dem Beitritt nach Maßgabe von Art. 234 EGBGB allerdings das Familienrecht der DDR in Altfällen, die auf Unterhaltsgrundverhältnisse aus Zeiten der DDR zurückgehen.82
35 bb) Abs. 2. Die Anwendbarkeit von § 170 Abs. 2 auf Sachverhalte mit Auslandsbezug beurteilt sich in gleicher Weise wie bei § 170 Abs. 1.83 Eine Schwangere ausländischer Staatsangehörigkeit mit Aufenthalt im Ausland unterfällt hinsichtlich ihrer Unterhaltsansprüche demnach nicht dem Schutzbereich von § 170 Abs. 2. Das von der Vorschrift mitgeschützte (vgl. Rdn. 22) Leben des Ungeborenen stellt zwar ein elementares Individualrechtsgut dar; hieraus folgt indes kein genereller, auch internationaler strafrechtlicher Schutz (so aber Schall SK Rdn. 10), da das Maß der Schutzgewährung für ungeborenes Leben – mehr noch als im Fall der einfachen Unterhaltspflichtverletzung – mit Zielrichtung der Verhinderung eines Schwangerschaftsabbruches in den nationalen Rechtsordnungen erheblich voneinander abweicht, und die Pönalisierung einer bloßen Entziehung der wirtschaftlichen Lebensgrundlage nicht als Teil elementaren Rechtsschutzes begriffen werden kann.
6. § 823 Abs. 2 BGB, Insolvenzrecht 36 § 170 Abs. 1 ist Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. Dies gilt zum einen hinsichtlich des Primäranspruches des Unterhaltsberechtigten, aber auch zugunsten eines öffentlichen Trä79 Vgl. Gössel FS Oehler 105 f. 80 Bejahend BayObLG FamRZ 1987 530; KG JR 1985 516 m.zust.Anm Lenzen; OLG Hamburg NJW 1986 336; OLG Stuttgart NStE § 170b Nr. 2; als selbstverständlich vorausgesetzt von BayObLG NJW 1966 1173; anders LG Ravensburg NStZ 1984 459 mit Anm. Zuberbier/Becker NStZ 1985 269. Zur Rspr. Kunz NJW 1995 1519. 81 Etwa Geppert JR 1988 221, Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 28; Sch/Schröder/Lenckner26 Rdn. 1b. Daraus folgte, dass die Verletzung von Unterhaltspflichten gegenüber in der DDR lebenden Unterhaltsberechtigten durch Bürger der Bundesrepublik oder in der Bundesrepublik lebende ausländische Täter nicht nach § 170 Abs. 1 (rsp. § 170b StGB als Vorgängervorschrift), sondern nur nach § 141 StGB DDR strafbar war, s. Dippel LK12 Rdn. 14. 82 Vgl. §§ 12, 17 bis 22, 25, 29 ff, 43, 46 des Familiengesetzbuchs (FGB) vom 20.12.1965 (GBl. DDR I 1966) in der zum 1.10.1999 geänderten Fassung des Ersten Familienrechtsänderungsgesetzes vom 20.7.1990 (GBl. DDR I 1038; s. dazu BGH NJW-RR 1992 1474, 1475, Eberhardt FamRZ 1990 917 ff und Grandke DtZ 1990 323), in Kraft seit 1.4.1966. Zur Entwicklung des Familienrechts in der DDR seit 1949 ausführlich Nave-Herz/Limbach/Willutzki S. 7 ff; zum familienrechtlichen Inhalt des Einigungsvertrages Grandke DtZ 1990 321 ff. Zu Fragwürdigkeiten bei der Überleitung des nachehelichen Unterhaltsrechts durch den Einigungsvertrag und das Erste Familienrechtsänderungsgesetz Diekmann FS Lange 805 ff. 83 SSW/Wittig Rdn. 3; Ritscher MK Rdn. 7. Wiedner
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II. Objektiver Tatbestand von Abs. 1
StGB § 170
gers, der für den Unterhaltsverpflichteten eingesprungen ist und dem Bedürftigen öffentliche Hilfe gewährt.84 Letzteres rechtfertigt sich aus dem Schutzzweck von § 170 Abs. 1, eine ungerechtfertigte Inanspruchnahme öffentlicher Träger zu verhindern (BGHZ 28 359). Für privat einspringende Dritte, die nicht aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung handeln, kann ein Regressanspruch demzufolge nicht auf § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 170 Abs. 1 gestützt werden. Gleiches gilt für Ansprüche nachrangiger Unterhaltspflichtiger, die durch den Ausfall eines erstrangig verpflichteten, sich i. S. v. § 170 Abs. 1 Entziehenden eintreten; ihre Interessen sind von § 170 Abs. 1 nicht erfasst (Bruns Anm. zu BayObLG FamRZ 1957 138, 141 [Fn. 14]). Der Gläubiger hat sämtliche Voraussetzungen von § 170 Abs. 1 einschließlich des subjektiven Tatbestandes zu beweisen (BGHZ 187 337; BGH NJW 2013 1304), ohne dass er sich hierzu auf einen bereits titulierten Anspruch berufen kann; denn der Anspruch auf laufenden Unterhalt und der Schadensersatzanspruch aufgrund einer vorsätzlichen Verletzung der Unterhaltspflicht besitzen einen unterschiedlichen Streitgegenstand (BGH NJW 2016 1818).85 Die Zivilgerichte lassen allerdings zumindest Darlegungserleichterungen zugunsten des Unterhaltsberechtigten zu (BGH NJW 2016 1823, 1825 f; OLG Koblenz NJW 2015 88, jeweils auch zur sekundären Darlegungslast des Unterhaltsschuldners). Da der Anspruch aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung einen anderen Streitgegenstand hat als ein auf den familienrechtlichen Anspruch gestützter Titel, kann der Pflichtige gesondert einwenden, der Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB sei verjährt (BGHZ 209 268). In der Insolvenz des Unterhaltsschuldners (s. hierzu Schmidt ZVI 2020, 1) entfällt in der 37 Regel dessen Leistungsfähigkeit; für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gilt dementsprechend § 40 InsO, wonach familienrechtliche Unterhaltsansprüche mit Ausnahme einer Erbenhaftung nicht mehr geltend gemacht werden können (vgl. Schumann MK-InsO § 40 Rdn. 1). Eine Strafbarkeit nach § 170 Abs. 1 scheidet aus. Vor Eröffnung entstandene Unterhaltsansprüche und deliktische Forderungen nach § 823 Abs. 2 i. V. m. § 170 Abs. 1 StGG sind zur Insolvenztabelle anzumelden (§ 174 InsO); die Gläubiger der Unterhaltsrückstände sind sodann reguläre, nicht bevorrechtigte Insolvenzgläubiger. Im Restschuldbefreiungsverfahren bleibt den Gläubigern einer deliktischen Forderung nach § 812 Abs. 2 BGB i. V. m. § 170 Abs. 1 ihre Restforderung nach § 301 Nr. 1 InsO erhalten, sofern der Anspruchsinhaber die Forderung unter Angabe des Rechtsgrundes angemeldet hatte (BGH NJW 2016 1823); mit Wirkung vom 1. Juli 2014 ist die Vorschrift dahin erweitert worden,86 dass auch Ansprüche „aus rückständigem gesetzlichen Unterhalt, den der Schuldner vorsätzlich pflichtwidrig nicht gewährt hat“, von der Restschuldbefreiung ausgenommen sind. Tragweite und Nutzen der Erweiterung sind zweifelhaft.87
II. Objektiver Tatbestand von Abs. 1 Der äußere Tatbestand von § 170 Abs. 1 umfasst 38 – das Bestehen einer gesetzlichen Unterhaltspflicht, darin enthalten die Bedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten sowie die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten, – das Sich-Entziehen als Tathandlung, sowie – als Gefährdungserfolg eine Gefährdung des Lebensbedarfs des Unterhaltsberechtigten.
84 BGHZ 28 359, 365 ff; 30 162, 172; BGH NJW 2016, 1823; NJW 2010, 2353; NJW 1963 579 mit Anm. Reich NJW 1963 949 und v. Caemmerer NJW 1963 1402; FamRZ 1968 29; NJW 1974 1868; OLG Celle NJW-RR 2013, 614; Göppinger/ Wax/Stöckle Rdn. 1420. 85 Dem unterhaltsrechtlichen Titel kommt auch weder präjudizielle Wirkung noch Beweiskraft im Hinblick auf den konkurrierenden Amspruch zu (BGH NJW 2016 1823, 1825). 86 Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte v. 15.7.2013, BGBl. I 2379. 87 Krit. Stephan MK-InsO § 302 Rdn. 19, 21; vgl. BTDrucks. 17/11268 S. 16. 507
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§ 170 StGB
Verletzung der Unterhaltspflicht
1. Gesetzliche Unterhaltspflicht 39 a) Grundsätze: Familienrechtsakzessorietät; autonome strafrechtliche Beurteilung. Im Grundsatz ist § 170 ausgestaltet als eine Blankettvorschrift, welche hinsichtlich des Merkmals der gesetzlichen Unterhaltspflicht pauschal Bezug auf die eine derartige Pflicht konstituierenden außerstrafrechtlichen Vorschriften nimmt; sie ist insoweit zivil-, insbesondere familienrechtsakzessorisch.88 Transformiert in das Strafrecht (vgl. dazu Baumann FamRZ 1957 234) werden sämtliche zivilrechtlichen Vorgaben und Ausformungen zum Inhalt der Unterhaltspflicht, mithin zu ihrem Umfang und der Art, in der sie erbracht werden kann. Maßgeblich hierfür ist nicht nur das geschriebene materielle Unterhaltsrecht, sondern auch die Ausprägungen, die es richterrechtlich bis hin zu praktisch bedeutsamen Konkretisierungsgraden wie der von den Oberlandesgerichten entwickelten Richtlinien zur Bedarfsbemessung und Ermittlung der Leistungsfähigkeit erfahren haben, etwa der sog. Düsseldorfer Tabelle.89 Ein autonomes „strafrechtliches Unterhaltsrecht“ existiert nicht (OLG Celle Nds.Rpfl. 2011 378). Dies betrifft indes allein das materielle Recht. 40 In strafprozessualer Hinsicht ist das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen der Unterhaltspflicht durch den Strafrichter autonom zu beurteilen. Mit Ausnahme von Statusurteilen besteht nach zutreffender Ansicht keine Bindung des Strafrichters an die Feststellungen und den Ausspruch von Zivilurteilen, welche Bestand und Höhe von Unterhaltspflichten zum Gegenstand haben.90 Ob die Unterhaltspflicht als einheitliche Verpflichtung anzusehen ist oder als sich zeitlich stetig erneuernde Verbindlichkeit, spielt für § 170 als Dauerstraftat keine Rolle.91 Art und Zeitdauer der Unterhaltspflicht und ihrer Verletzung, dabei notwendigerweise auch die Person des Unterhaltsberechtigten bestimmen die prozessuale Tat (s. näher Rdn. 16, 221 f). Der Tatrichter hat in dem auf diese Weise vorgegebenen Rahmen sämtliche tatsächlichen Umstände, welche für den Bedarf und die Bedürftigkeit auf Seiten des Unterhaltsberechtigten und die Leistungsfähigkeit auf Seiten des Unterhaltsverpflichteten bedeutsam sind, zu ermitteln und festzustellen. Der Umfang des trotz Leistungsfähigkeit von dem Angeschuldigten tatsächlich nicht geleisteten Unterhalts betrifft allein das Ausmaß der Schuld; auch wenn er einen Umstand bildet, aus dem sich die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes ergibt und er daher nach § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO in die Anklageschrift aufzunehmen ist,92 bildet das Fehlen einer Angabe zum Entziehungsumfang keinen so wesentlichen Mangel der Informationsfunktion des Anklagesatzes, dass er zur Unwirksamkeit von Anklage und Eröffnung führen könnte.93
41 b) Entstehungsgründe. Die Entstehung gesetzlicher Unterhaltspflichten fußt auf unterhaltsrechtlichen Grundverhältnissen, namentlich Verwandtschaft, Ehe und eingetragener Lebens-
88 BGHSt 12 166; 26 111; OLG Celle Nds.Rpfl. 2011 378; SSW/Wittig Rdn. 5; Lüke FS Arthur Kaufmann 565; Ritscher MK Rdn. 9.
89 S. hierzu BGH FamRZ 1982 386; Schürmann FamRZ 2019 493; Otto FamRZ 2012 837. 90 BGHSt 12 166, 171; 26 111, 113; bestätigt durch BVerfGE 50 142, 153; Schall SK Rdn. 12, 17; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; Schröder JZ 1959, 346; Baumann FamRZ 1957, 234; Bockelmann GedS Radbruch 257. Insofern erweist sich der Befund von Schnitzler (FPR 12 [2006] 376), die Verletzung der Unterhaltspflicht sei eine der wenigen strafrechtlichen Bestimmungen, die auf Feststellungen des Familiengerichts aufbauen, nur als bedingt zutreffend. 91 S. hierzu zusammenfassend Dippel LK12 Rdn. 15. Eine jeweilige Neuentstehung nehmen an RGZ 46 65, 67; 49 155, 157; BGHZ 82 246, 250; 85 16, 25; krit. Wax FamRZ 1993 22, 23; Staudinger/Kappe Vorbem zu §§ 1601 ff Rdn. 67. Für die strafrechtliche Beurteilung und Zusammenfassung zu einer Tat ist hinreichend, dass zum jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt (vgl. § 1361 Abs. 4 S. 2, § 1585 Abs. 1 S. 2 und § 1612 Abs. 3 S. 1 BGB) keine Leistungen des Verpflichteten erfolgen. 92 AA Dippel LK12 Rdn. 51: § 200 Abs. 2 Satz 1 StPO. 93 So aber OLG Schleswig StV 1995 445, 446 f; LG Dresden NStZ-RR 1996 208; s. zu den Anforderungen andererseits BGHSt 40 44, 45; BGH NJW 1994 2556. Wiedner
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II. Objektiver Tatbestand von Abs. 1
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partnerschaft.94 Darüber hinaus bestehen Ansprüche auf Betreuungsunterhalt zwischen unverheirateten Eltern eines gemeinsamen Kindes. Maßgeblich sind die rechtlichen Statusvorgaben; so ist bei Unterhaltsverhältnissen aufgrund von Verwandtschaft nicht die tatsächliche, blutsmäßige Abstammung, sondern die hiervon mitunter abweichende Verwandtschaft im Rechtssinne, etwa aufgrund gesetzlicher Beweisvermutungen konstituierend auch für die Unterhaltspflicht iSv § 170 (vgl. Dünnebier JZ 1961 672). Größte faktische Bedeutung besitzt die Unterhaltspflicht gegenüber dem – zusammen- oder getrennt lebenden, auch geschiedenen – Ehegatten und eigenen – ehelichen, nichtehelichen oder adoptierten – Kindern,95 zunehmend aber auch der den Eltern geschuldete Unterhalt (vgl. Langeheine MK-BGB vor § 1601 Rdn. 13, § 1601 Rdn. 10). Eine über diese Verhältnisse hinausreichende Unterhaltsberechtigung existiert nach deutschem Recht nicht.96 Sie kann vertraglich vereinbart werden, unterfällt damit aber nicht § 170. Die Entstehung der Unterhaltspflicht knüpft formal an das Grundverhältnis an. Die Unter- 42 haltsansprüche bestehen daher grundsätzlich unabhängig vom Fehl- oder Wohlverhalten des Unterhaltsberechtigten; dieser muss sich die Fürsorge seiner Familie oder seines Partners nicht „verdienen“. Nur ausnahmsweise kann die Unterhaltspflicht entfallen oder beschränkt sein bei grobem Fehlverhalten des Berechtigten, insbesondere nach § 1611 BGB, § 1361 Abs. 3 BGB und nach § 1579 BGB. Unter engen Voraussetzungen ist auch eine Verwirkung des Unterhaltsanspruches möglich.97
aa) Unterhaltsrechtliche Grundverhältnisse. Rechtsgrundlage für die Entstehung einer ge- 43 setzlichen Unterhaltspflicht bilden die Bestimmungen des deutschen Bürgerlichen Rechts einschließlich dazu ergangener Nebengesetze.98 Sie besteht nach § 1601 BGB für Verwandte in gerader, auf- und absteigender Linie, dabei nach § 1615a BGB klarstellend auch für Kinder nicht miteinander verheirateter Eltern und nach § 1751 Abs. 4 BGB gegenüber dem angenommenen Kind. Nach § 1360 BGB besteht sie zwischen Ehegatten, nach § 1361 BGB zwischen getrennt lebenden Ehegatten, nach den §§ 1569 ff BGB zwischen geschiedenen Ehegatten, nach § 1615l BGB zwischen unverheirateten Eltern gegenüber dem anderen Elternteil, nach § 5 LPartG zwischen eingetragenen Lebenspartnern, nach § 12 LPartG bei deren Getrenntleben und nach § 16 LPartG nach aufgehobener Lebenspartnerschaft. Für bis zum 30.6.1977 rechtskräftig geschiedene Ehen folgt die Unterhaltspflicht aus dem Ehegesetz.99 Die Schuld zur Gewährung von Mitteln 94 Überblick über die Regelungen des LPartG bei Wellenhofer NJW 2005 705. Zweifel an der Einordnung der Lebenspartnerschaft als familienrechtliches Institut noch bei Dippel, LK12 Rdn. 16; Rauscher Rdn. 747 und Rollecke NJW 2002 2539 f; Gernhuber/Coester-Waltjen⁵ § 42 Rdn. 5. Nachdem der Gesetzgeber (BTDrucks. 15/3445 S. 14) eine weitgehende Gleichstellung, gegen die auch verfassungsrechtliche Bedenken nicht bestehen (BVerfGE 105, 313), beabsichtigt und umgesetzt hat, sind verbleibende Bedenken letztlich nicht rechtlicher Natur. Die Begründung einer gesetzlichen Unterhaltspflicht iSv § 170 steht außer Frage. 95 Vgl. Ritscher MK Rdn. 11; Langeheine MK-BGB § 1601 Rdn. 2. Dementsprechend geht es bei der Mehrzahl der Strafverfahren um den Vorwurf der Nichtleistung von Unterhalt an eheliche und nichteheliche Kinder (Dornis FRB 7 [2008] 22). 96 Geschwister, Stiefeltern und -kinder, Verschwägerte, der nichteheliche Partner, dessen Kinder, ein betreutes nichtadoptiertes Kind und andere einem potentiell Unterhaltspflichtigen nahestehende Personen fallen damit aus dem familien- wie strafrechtlichen Schutzbereich heraus. 97 Dazu beispielsweise Bress-Brandmaier/Gühlstorf ZFF 55 (2003) 145 ff, Duderstadt S. 231 ff, Ehinger/Griesche/ Rasch/Ehinger Rdn. 160a, 292, 329a und 425a, Eschenbruch/Klinkhammer/Eschenbruch Kap. 1 Rdn. 1165 ff und 1444, Jenak/Seifarth JR 2009 89, Lüderitz/Dethloff § 11 Rdn. 52, G. Möller FamK 34 (2007), Muscheler Familienrecht Rdn. 685, Schnitzler/Schnitzler § 10 Rdn. 128 ff, D. Schwab Familienrecht Rdn. 736 sowie Soyka FamK 34 (2007) 20 und FamK 35 (2008) 19. 98 Vgl. BGHSt 12 166, 171; 26 111; BayObLGSt 1968 60, 62; OLG Hamm NJW 1960 1632; JZ 1962 547 mAnm. Schröder; Schall SK Rdn. 12; Sch/Schrder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 2. S. überblicksweise auch Schramm, Ehe und Familie im Strafrecht, S. 349. 99 Gesetz Nr. 16 des Aliierten Kontrollrats vom 20.2.1946 (AblKR S. 77). 509
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für eine angemessene Ausbildung nach § 1371 Abs. 4 BGB begründet kein Unterhaltspflichtverhältnis. Bezüglich der Einzelheiten und Voraussetzungen der eine Unterhaltspflicht begründenden Verhältnisse muss auf die gesetzlichen Regelungen und die hierzu ergangene Rechtsprechung und Literatur verwiesen werden. Überblickshalber gilt: 44 Verwandtenunterhalt nach § 1601 BGB ist geschuldet aufgrund rechtlicher Verwandtschaft in gerade Linie, auch über mehrere Generationen hinweg, mithin gegenüber Abkömmlingen, aber auch den Eltern und Großeltern. Der Grad der Verwandtschaft (§ 1589 BGB) ist maßgeblich für die Rangfolge der Verpflichteten (§ 1606). Nichteheliche Kinder sind unterhaltsrechtlich den ehelichen mittlerweile100 vollständig gleichgestellt (§§ 1615a BGB). Unterhaltspflichtig für ein Kind sind zuvorderst die rechtlichen Eltern iSd §§ 1591 – 1600d BGB; ihnen gleichgestellt sind Adoptiveltern (§ 1754 Abs. 1, 2). Bei Volladoption – anders als bei der Volljährigenadoption, § 1767 Abs. 2, § 1770 Abs. 1 Satz 1 BGB – wird eine Verwandtschaft des Angenommenen zu den Verwandten der Annehmenden auch unterhaltsrechtlich begründet, während die bisherigen Verwandtschaftsverhältnisse des Angenommenen erlöschen (§ 1755 Abs. 1 BGB). Die Eltern von Adoptiveltern können daher als Großeltern zum Unterhalt verpflichtet sein, sofern sich die Wirkungen der Adoption auf sie erstrecken. Bei minderjährigen Kindern erfüllt deren Betreuung durch einen Elternteil nach § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB idR die Unterhaltspflicht; dementsprechend ist bei Leistung von Familienunterhalt durch Naturalleistungen nach § 1360 BGB der hiervon rechtlich zu trennende Unterhaltsanspruch der Kinder idR miterfüllt (BGH NJW 1997 735). Voraussetzung ist Bedürftigkeit des Berechtigten nach Maßgabe von § 1602 BGB; auf ein erzielbares Einkommen muss sich ein (volljähriges) Kind verweisen lassen (BGH FamRZ 1984 375, 377). Die Unterhaltshöhe richtet sich nach der Lebensstellung des Bedürftigen und umfasst insbesondere umfasst den gesamten Lebensbedarf wie Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Versorgung und kulturelle Bedürfnisse, insbesondere auch Erziehungs- und angemessene Ausbildungskosten (§ 1610 BGB). Richtsätze und Quoten wie insbesondere die Düsseldorfer Tabelle101 können zur Vereinheitlichung und Orientierung herangezogen werden (vgl. BGH NJW 1990 2887). Eltern und Großeltern haften grdsl. gleichrangig nebeneinander, dabei gem. § 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB anteilig entsprechend ihrem Erwerbs- und Vermögensverhältnissen. Die Vorschriften des Verwandtenunterhaltes sind entsprechend anwendbar auf die Eltern eines nichtehelichen Kindes. In diesem Fall kann die Mutter nach § 1615l Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 BGB von dem Vater für die Dauer von mindestens drei Jahren Unterhalt verlangen, soweit bei ihr infolge Schwangerschaft, Geburt und Kinderbetreuung eine Unterhaltsbedürftigkeit durch den Wegfall von Einkünften aus Erwerbstätigkeit entstanden ist. Für die Höhe des Unterhaltsanspruches ist – anders als bei Familien- oder sonstigem Ehegattenunterhalt – allein die Lebensstellung des Betreuenden maßgeblich, und nicht im Sinne eines Quotenunterhaltes die tatsächlichen Verhältnisse bei früherem Zusammenleben der Eltern.102 Sofern der Vater das Kind betreut, steht ihm der Anspruch gegen die Mutter zu (§ 1615l Abs. 4 BGB). Unterhaltsansprüche von Eltern gegenüber ihren Kindern oder Enkeln folgen keinen besonderen Regeln, sind faktisch aber häu-
100 Das Gesetz über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder vom 19. August 1969 (Nichtehelichengesetz, BGBl. I S. 1243) hatte mit Inkrafttreten am 1.7.1970 eine Verwandtschaft des nichtehelichen Kindes mit seinem Vater im Rechtssinn begründet. Die Unterscheidung zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern waren – auch gesetzesterminologisch – durch das Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts vom 16. Dezember 1997 (Kindschaftsrechtsreformgesetz, BGBl. I S. 2942), mit Inkrafttreten am 1.7.1998 aufgehoben worden. Unterhaltsrechtlich hatte das Gesetz zur Vereinheitlichung des Unterhaltsrechts minderjähriger Kinder vom 6.4.1998 (Kindesunterhaltsgesetz, BGBl. I 666), in Kraft seit 1.7.1998, die Gleichstellung des Unterhalts ehelicher und nichtehelicher Kinder vollzogen. Die derzeitigen Regelungen gehen zurück auf das Gesetz zur Änderung des Unterhaltsrechts vom 21.12.2007 (Unterhaltsrechtsänderungsgesetzes BGBl. I 3189), in Kraft seit 1.1.2008. 101 In aktueller Version abrufbar unter https://www.olg-duesseldorf.nrw.de/infos/Duesseldorfer_Tabelle/index.php und https://www.famrz.de/arbeitshilfen/duesseldorfer-tabelle.html. 102 Vgl. BGH NJW 2015 2257, 2260: entgangene Einkünfte; BGH NJW 2010 937 und NJW 2010 1138 1139: zumindest Existenzminimum; s. auch BGH NJW 2008 3125; Niepmann/Schwab NJW 2010 2400, 2401. Wiedner
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fig von der Einstandspflicht für die Kosten einer ambulanten oder Heimbetreuung geprägt (vgl. BGHZ 186 350). Die gesetzlichen Unterhaltsansprüche der Ehegatten untereinander unterscheiden sich 45 danach, ob die Ehegatten zusammenleben (dann Familienunterhalt nach den §§ 1360 und 1360a BGB), ob sie getrennt leben (dann Trennungsunterhalt nach § 1361 BGB) oder ob sie geschieden sind (dann nachehelicher Unterhalt nach den §§ 1569 ff BGB).103 Bei häuslicher Gemeinschaft der Ehegatten besteht die beiderseitige Verpflichtung zum Familienunterhalt, der alles umfasst, was nach den Verhältnissen der Ehegatten erforderlich ist, um die Kosten des Haushalts zu bestreiten und die persönlichen Bedürfnisse der Ehegatten und den Lebensbedarf der gemeinsamen unterhaltsberechtigten Kinder zu befriedigen (§§ 1360 S. 1 und 1360a Abs. 1 BGB), wobei der haushaltsführende Ehegatte seiner Unterhaltspflicht durch die Haushaltsführung genügt (§ 1360 S. 2 BGB). Die Gewährung von Natural- und Sachleistungen wie Wohnraum, Arbeitsleistung durch Führung des Haushaltes sowie die Erziehung und Pflege der Kinder sind Leistungen in Geld damit gleichgestellt. Ob und inwieweit ihre Vernachlässigung zur auch strafrechtlichen Vorwerfbarkeit gereichen kann, ist umstritten (s. näher Rdn. 79). Maßgeblich im Übrigen ist das Verhältnis der beiderseitigen Leistungsfähigkeit, insbesondere die Ausgestaltung der Gemeinschaft als Doppelverdiener-, Zuverdiener- oder Alleinverdienerehe. Leben die Ehegatten getrennt,104 kann ein Ehegatte von dem anderen angemessenen Barunterhalt (§ 1361 Abs. 4 BGB) verlangen, wobei der nichterwerbstätige Ehegatte nur dann darauf verwiesen werden kann, seinen Unterhalt durch eine Erwerbstätigkeit selbst zu verdienen, wenn dies von ihm nach seinen persönlichen Verhältnissen, insbesondere etwa angesichts einer fortdauernden Kinderbetreuung, erwartet werden kann (§ 1361 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 BGB). Maßgeblich sind damit – anders als bei Leistung von Familienunterhalt – die persönlichen Verhältnisse des unterhaltsbedürftigen Ehegatten, etwa im Hinblick auf seine Fähigkeit zur Arbeitsaufnahme. Die Höhe des Unterhaltes richtet sich einerseits nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten vor der Trennung (vgl. Jauernig/Budzikiewicz § 1361 BGB Rdn. 7, auch zu Korrekturen), da der bis zur Trennung erreichte eheliche Lebensstandard zunächst beibehalten werden soll, andererseits nach dem verfügbaren Nettoeinkommen, dessen Verteilung in der Praxis nach Richtsätzen wie der Düsseldorfer Tabelle erfolgt. Nach der Scheidung der Ehe obliegt es jedem Ehegatten, selbst für seinen Unterhalt zu sorgen (§ 1569 S. 1 BGB), insbesondere durch Aufnahme einer angemessenen, d. h. an den ehelichen Lebensverhältnissen und der Ausbildung orientierten Erwerbstätigkeit (§ 1574 BGB). Ist er dazu außerstande und zudem bedürftig (§ 1577 BGB), hat er gemäß § 1569 S. 2 BGB als Ausdruck nachwirkender Verantwortung und Solidarität105 gegen den anderen Ehegatten einen Anspruch auf Unterhalt nach Maßgabe der §§ 1570 ff BGB, so wegen Betreuung eines Kindes für die Dauer von mindestens drei Jahren ab Geburt und nach Billigkeit darüber hinaus (§ 1570 BGB; vgl. BGH NJW 2009 2592), bei nicht mehr erwartbarer Erwerbstätigkeit wegen Alters (§ 1571 BGB), bei fehlender Erwerbsmöglichkeit wegen Krankheit oder Gebrechen (§ 1572 BGB) und wegen Erwerbslosigkeit (§ 1573 BGB). Letzterer Unterhaltsgrund tritt entweder ein, wenn es dem Geschiedenen trotz Einsatz aller zumutbaren und möglichen Mittel (s. hierzu etwa BGH NJW 2012 1144) nicht gelungen ist, eine angemessene Erwerbstätigkeit zu finden, bei Wegfall einer derartigen Tätigkeit, oder wenn die Einkünfte aus einer angemessenen 103 Durch das Erste Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts vom 14. Juni 1976 (BGBl. I 1421) waren im Zuge einer umfassenden Neuregelung des Eherechts, des Scheidungsrechts und des Scheidungsfolgerechts die unterhaltsrechtlichen Vorschriften des Ehegesetzes in das Bürgerliche Gesetzbuch überführt worden und – unter Aufgabe überkommener Vorstellungen wie der „Hausfrauenehe“ und des Verschuldensprinzipes bei Scheidung und Trennung – zugleich grundlegend reformiert worden. 104 Maßstab für das Getrenntleben bildet § 1567 Abs. 1 (BGH NJW 2016 2122). Es kann nach § 1567 Abs. 1 S. 2 BGB auch in der gemeinsamen Wohnung praktiziert werden, wenn kein gemeinsamer Haushalt mehr geführt wird und keine persönlichen Beziehungen zwischen den Ehegatten mehr bestehen (vgl. BGH NJW 1978 1810). Auf die Gründe der Trennung oder ein Verschulden kommt es nicht an (s. aber § 1361 Abs. 3, § 1579 Nr. 2–8 BGB). 105 Vgl. BVerfG FamRZ 1981 745, 750; Schlüter Rdn. 189; Schwab Rdn. 408. 511
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Erwerbstätigkeit zum vollen Unterhalt nicht ausreichen (dann sog. Aufstockungsunterhalt, § 1573 Abs. 2, Abs. 4 Satz 2 BGB). Hinzu treten Unterhaltsansprüche aus Gründen der Ausbildung, Fortbildung oder Umschulung und im Rahmen einer „positiven Härteklausel“ (vgl. Schlüter Rdn. 202; Schwab Rdn. 426) aus Billigkeitsgründen (§ 1576 BGB). Der Umfang des Unterhaltes bestimmt sich gemäß § 1578 BGB nach den ehelichen Lebensverhältnissen vor der Scheidung, mithin nach dem durch das Einkommen und der häuslichen Arbeit erreichten sozialen Standard.106 Bei Aufhebung einer Ehe (§§ 1313 ff BGB) findet das Scheidungsunterhaltsrecht der §§ 1569 ff BGB nach Maßgabe von § 1318 Abs. 2 BGB Anwendung. Das Unterhaltsrechtsverhältnis der Ehegatten untereinander ist im Übrigen in tatsächlicher Hinsicht mit den Unterhaltsansprüchen der Kinder verknüpft und von ihnen abhängig, was insbesondere in der Ausgestaltung des Unterhaltes bei Zusammenleben, in den Rangordnungen, im familienrechtlichen Entscheidungsverbund (§§ 621 ff ZPO) und in der Unterhaltshöhe zum Ausdruck kommt. 46 Eingetragene Lebenspartner sind bei Zusammenleben nach § 5 S. 1 LPartG verpflichtet, durch ihre Arbeit und mit ihrem Vermögen die partnerschaftliche Lebensgemeinschaft angemessen zu unterhalten. Die Unterhaltspflicht ist jener zwischen Eheleuten angeglichen; die dem zugrunde liegende Bewertung entspricht damit der seit 1. Oktober 2017 möglichen Eheschließung zwischen Personen gleichen Geschlechts (EheRÄndG vom 20. Juli 2017, BGBl. S. 2787, Inkrafttreten) und der nach § 20a LPartG eingeführten Möglichkeit des Wechsels der Rechtsform für eingetragene Lebenspartner. Herangezogen wird ein Lebenspartner nach dem Maß seiner Leistungsfähigkeit; anspruchsberechtigt ist der andere nach dem Maßstab der an den gemeinschaftlichen Verhältnissen ausgerichteten Bedürfnissen. Die diesbezüglichen Vorschriften des Familienunterhalts gelten entsprechend (§ 5 S. 2 LPartG, § 1360 S. 2, 1360a, 1360b BGB). Anders als in der ursprünglichen, mit Wirkung vom 1. Januar 2005 neugefassten107 Regelung ist auch die Haushaltsführung eines Lebenspartners unterhaltsrechtlich erfasst und den Bestimmungen für die Ehe angeglichen.108 Die Unterhaltsansprüche zwischen dauerhaft getrennt lebenden Lebenspartnern bestimmen sich nach dem – mit § 1361 Abs. 1 S. 1 BGB wortlautidentischen – § 12 S. 1 LPartG nach den Lebensverhältnissen der Lebenspartner sowie ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen; im Übrigen finden gem. § 12 S. 2 LPartG die sonstigen Bestimmungen des § 1361 BGB Anwendung.109 Besonderheiten bestehen – nach Neufassung der die Eigenverantwortlichkeit stärker betonenden Vorgängervorschrift – auch beim nachpartnerschaftlichen Unterhalt nicht mehr. Wie bei geschiedenen Ehegatten obliegt es jedem Lebenspartner nach der Aufhebung der Lebenspartnerschaft grundsätzlich, selbst für seinen Unterhalt zu sorgen (§ 16 S. 1 LPartG; vgl. § 1569 BGB). Ist er dazu außerstande, finden nach § 16 S. 2 LPartG die §§ 1570 bis 1586b und 1609 BGB Anwendung. Auch für die Unterhaltsberechnung sind dieselben Maßstäbe wie beim nachehelichen Unterhalt anzulegen. Hinsichtlich der Rangfolge wird in § 5 S. 2, § 12 S. 2 und § 16 S. 2 LPartG jeweils auf § 1609 BGB verwiesen.
106 Vgl. etwa BGH NJW 2001 2254, 2257; FamRZ 2018 260, 262). Maßgeblich ist das nachhaltig erzielte, tatsächlich verfügbare und zur Bedarfs- (nicht: Vermögens-)deckung verwendete Einkommen (BGH NJW 1990 1477, 1479; NJW 1992 2477, 2478; FamRZ 2018 260, 262). Anzulegen ist ein objektiver Maßstab, Korrekturen bei einer in besonderer Weise nach oben oder unten abweichenden Lebensführung („Geizkragen“- oder „Verschwender“-Ehe) sind anzubringen (vgl. BGH FamRZ 1982 678, 679; FamRZ 2012 799, 801; Jauernig/Budzikiewicz § 1578 BGB Rdn. 2). Zur Anpassung vgl. § 1578b BGB sowie BVerfG NJW 2011 836. 107 Gesetz zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsrechts vom 20.12.2004, BGBl. I, 3396. 108 Zur in diesem Sinne bereits ursprünglichen gesetzgeberischen Intention vgl. Büttner FamRZ 2001 1106 Dethloff NJW 2001 2600 f; Kaiser JZ 2001 619 Kemper FPR 7 [2001] 455. 109 Damit ist das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit in der vor dem 1. Januar 2015 geltenden Fassung der Vorschrift abgelöst. Diese sah in § 12 Abs. 1 S. 2 LPartG a. F. abweichend von § 1361 Abs. 2 BGB vor, dass ein nichterwerbstätiger Lebenspartner sich seinen Unterhalt grundsätzlich durch eigene Erwerbstätigkeit verdienen musste, sofern sich solches für ihn nicht als unzumutbar darstell.Zugrunde lag das Leitbild einer grundsätzlich kinderlosen gleichgeschlechtlichen Partnerschaft mit Doppelverdienerrollen, vgl. Duden MK-BGB § 12 LPartG Rdn. 2. Wiedner
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bb) Vertragliche Vereinbarungen, Verzicht. In den Grenzen von § 138 BGB sind vertragli- 47 che Vereinbarungen über Unterhaltsansprüche statthaft und praktisch bedeutsam, etwa in Gestalt von Scheidungsfolgenvereinbarungen (§ 1585c BGB). Eine Strafbarkeit können sie im Falle ihrer Verletzung nicht begründen. § 170 betrifft nach seinem eindeutigen Wortlaut nur eine Unterhaltspflicht von Gesetzes wegen,110 und nicht auch vertraglich begründete Unterhaltspflichten. Dies gilt unabhängig von Zustandekommen und Form der Übereinkunft, etwa auch für notarielle Scheidungsvereinbarungen oder einen gerichtlichen Vergleich.111 Dies bedeutet zunächst, dass vertragliche Regelungen, die eine Unterhaltspflicht zwischen nach dem Gesetz nicht gegenseitig unterhaltsberechtigten und -verpflichteten Parteien begründen, nicht zu einer Strafbarkeit nach § 170 führen können.112 Gleiches gilt für Verträge zwischen dem Unterhaltsverpflichteten und einem Dritten zugunsten einer unterhaltsberechtigten Person, auch soweit ein echter Vertrag zu Gunsten des Dritten vorliegt.113 Etwa entsteht keine nach § 170 erhebliche Pflicht, wenn sich der Unterhaltsverpflichtete zur Leistung gegenüber Dritten verpflichtet, die im Gegenzug ihrerseits für den Unterhaltsberechtigten sorgen. Auch Regelungen, welche von Parteien getroffen werden, zwischen denen nach dem Gesetz ein unterhaltsrechtliches Grundverhältnis besteht, sind strafrechtlich unerheblich, soweit sie über die gesetzliche Verpflichtung nach Grund und Höhe hinausgehen. So ist die Vereinbarung von Unterhaltszahlungen nach § 170 ohne Belang, soweit sie über die Leistungsfähigkeit des Verpflichteten oder den Bedarf des Berechtigten hinausgeht. Auch eine ursprünglich der gesetzlichen Pflicht entsprechende Übereinkunft ist strafrechtlich bedeutungslos, sobald sich die tatsächlichen Verhältnisse geändert haben, etwa der Verpflichtete wegen zwischenzeitlich eingetretener Leistungsunfähigkeit gesetzlich keinen Unterhalt mehr zu leisten hat.114 Änderungen der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, welche die gesetzliche Unterhaltspflicht herabsetzen (s. etwa §§ 1569 ff BGB), sind auch bei fortdauernder zivilrechtlicher Wirksamkeit der eine weiterreichende Leistungspflicht vorsehenden Vereinbarung zu berücksichtigen mit der Folge, dass strafrechtlich nur der Umfang erheblich ist, welcher noch der gesetzlichen Pflicht entspricht. Zeitlich maßgeblich hierfür ist der jeweilige Fälligkeitszeitpunkt der Leistung. Die Bedeutung privatrechtlicher Vereinbarungen für die Strafbarkeit nach § 170 im Übrigen 48 einzuordnen, bleibt nicht ohne Schwierigkeiten. Soweit der gesetzlich Unterhaltspflichtige seine Unterhaltsschuld vertraglich – etwa im Sinne eines Schuldanerkenntnisses – lediglich bestätigt, tritt die vertragliche Verpflichtung neben die gesetzliche, zumal zur näheren Ausgestaltung ohnehin die gesetzlichen Vorschriften heranzuziehen sein werden (vgl. für Verwandtenunterhalt Langeheine MK-BGB § 1601 Rdn. 19). § 170 bleibt hiervon unberührt. Der Wille der Vertragsschließenden wird sich demgegenüber regelmäßig aber darauf richten, den gesetzlichen Unterhaltsanspruch wenigstens zu konkretisieren, häufig auch, ihn vollständig auf eine vertragliche Grundlage zu stellen und den gesetzlichen Anspruch dadurch zu ersetzen (s. etwa BGH MDR 2002 1125). Der allg. Auffassung,115 dass § 170 gleichwohl anwendbar bleibt, soweit die vertraglichen Verpflichtungen mit den gesetzlichen übereinstimmen, ist zwar zuzustimmen. Eine Begründung, wonach sich eine gesetzliche Unterhaltspflicht nicht in eine vertragliche „um110 S. nur BGHSt 12 166; BayObLG NJW 1961 1415; OLG Celle NJW 1962 600; Fischer Rdn. 3; Schröder JZ 1959 346. 111 Vgl. BayObLG FamRZ 1962 120, 121; OLG Köln NJW 1962 929; LG Itzehoe SchlHA 2002 19; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2. 112 Vgl. etwa OLG Hamm NJW 1988 830 zu dem Fall, dass der Erzeuger eines Kindes die Verpflichtung übernommen hatte, für den Unterhalt des Kindes aufzukommen, obwohl das Kind während der Ehe der Mutter mit einem anderen Mann geboren und die Ehelichkeit nicht angefochten wurde. 113 S. beispielsweise BGH NJW 2015 3434 und vorgehend OLG Stuttgart FamRZ 2015 514 mAnm Többen NZFam 2014 960 für Vereinbarungen im Vorfeld einer künstlichen Befruchtung zugunsten des hieraus hervorgehenden Kindes bei nicht feststehender Vaterschaft. Der hieraus resultierende Unterhaltsanspruch ist ein rein vertraglicher, Langeheine MK-BGB § 1601 Rdn. 8. 114 Zutreffend Ritscher MK Rdn. 9. 115 Dippel LK12 Rdn. 20; Schall SK Rdn. 15; SSW/Wittig Rdn. 13; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 14; Ritscher MK Rdn. 9; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 31. 513
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wandeln“ lässt (Staudinger/Engler Vorbem zu §§ 1601 ff Rdn. 121; Dippel LK12 Rdn. 20), greift indes zu kurz. Der Ausschluss gesetzlicher Pflichten steht den Vertragsparteien grdsl. offen und ist im Rahmen von § 170 für Fälle des Unterhaltsverzichtes auch anerkannt. Die Auffassung lässt sich nur darauf stützen, dass die gesetzliche Unterhaltspflicht im Sinne von § 170 auch bei einer deckungsgleichen und zivilrechtlich überlagernden Vereinbarung als parallele Rechtsgrundlage nach dem Parteiwillen bestehen bleiben soll.116 Dies wird in der zivilrechtlichen Rechtsprechung, in der die Frage unter dem Gesichtspunkt einer fehlenden Aufrechenbarkeit nach § 394 BGB und Unpfändbarkeit nach § 850b Abs. 1 Nr. 2 ZPO behandelt wird, für den Regelfall angenommen.117 Dagegen lassen sich Fälle, in denen der gesetzliche Anspruch nach dem Parteiwillen durch die Parteivereinbarung vollständig ersetzt werden soll, nur unter besonderen Umständen annehmen, insbesondere dann, wenn die Parteien zur Abgeltung der Unterhaltspflicht in wirksamer Weise ein gänzlich atypisches, ihre Lebensverhältnisse insgesamt betreffendes Modell gewählt haben, was sich indes als seltener Ausnahmefall darstellen wird.118 Bleibt eine vertragliche Vereinbarung hinter der gesetzlichen Unterhaltspflicht zu49 rück, ist diese grdsl. bereits auf Tatbestandsebene hinsichtlich des Umfanges der Unterhaltspflicht für § 170 bedeutsam, denn der Parteiwille wird sich in diesem Fall regelmäßig darauf richten, überschießende gesetzliche Ansprüche auszuschließen. Die auch im Strafverfahren zu prüfende Grenze markieren die §§ 138, 242 BGB; dies gilt auch hinsichtlich nachträglicher Veränderungen der maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse, durch welche eine ursprünglich angemessene Vereinbarung sich durch Wegfall der Geschäftsgrundlage als unwirksam erweisen kann.119 Ein gänzlicher, auch § 170 ausschließender Unterhaltsverzicht kann hinsichtlich künftigen Unterhaltes nur nach § 1585c BGB und § 16 Satz 2 LPartG zwischen geschiedenen Ehegatten und den Partnern einer aufgehobenen eingetragenen Lebenspartnerschaft getroffen werden;120 er unterliegt strenger Wirksamkeitskontrolle.121 Erweist er sich als wirksam, entfällt die gesetzliche Unterhaltspflicht und damit eine Strafbarkeit, auch bei einer späteren unvorhergesehenen Notlage der Berechtigten.122 Hinsichtlich Verwandten-, Familien- und Trennungsunter116 Vgl. BGH NJW 2014 1590: „Der Wille der Parteien, den Unterhaltsanspruch völlig auf eine vertragliche Grundlage zu stellen und ihm damit das Wesen eines gesetzlichen Unterhaltsanspruchs zu nehmen, kann (…) nur beim Vorliegen besonderer dafür sprechender Umstände angenommen werden“. S. auch BGH FamRZ 2012 699; FamRZ 2012 525; OLG Köln NJW 1962 929; ähnlich Ritscher MK Rdn. 9, wonach hinter der vertraglichen Vereinbarung immer noch die gesetzliche Verpflichtung stehe. Soweit Schall SK Rdn. 15 meint, die Anwendbarkeit verstehe sich von selbst, weil mit der vertraglichen eben auch die gesetzliche Unterhaltspflicht verletzt werde, kann dem nicht zugestimmt werden. Vorausgesetzt wird damit, dass die gesetzliche Unterhaltspflicht ohne weiteres fortbesteht. Dies ließe sich nur mit einem – abzulehnenden – strafrechtsautonomen Verständnis begründen, wonach § 170 auf das abstrakte gesetztliche Pflichtverhältnis abstellt, oder mit einer die jeweiligen Fallbesonderheiten berücksichtigenden zivilrechtlichen, im Einzelfall nicht trivialen Auslegung der – zu einem Ausschluss des gesetzlichen Anspruch potentiell geeigneten – Vereinbarung. 117 S. RGZ 166 378, 381; BGHZ 31 212, 218; BGH MDR 1997 479; MDR 2002 1125, 1126. 118 Nach BGH MDR 2002 1125, 1126 muss die Vereinbarung hierfür den Unterhaltsanspruch „seines Wesens als eines gesetzlichen Anspruchs entkleidet haben“. BGH MDR 1985 137 diskutiert dies für den Fall der Begründung eiens unterhaltsersetzenden Arbeitsverhältnisses mit dem Unterhaltsberechtigten. 119 Vgl. BayObLG FamRZ 1962 120, 121; Schall SK Rdn. 16; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 14; anders noch BGHZ 2 379, 384. 120 Nach dem durch das Kindesunterhaltsgesetz v. 6.4.1998 (BGBl. I 666) aufgehobenen § 1615e BGB konnte ein Unterhaltsverzicht auch zwischen dem nichtehelichen Kind und seinem Vater oder dessen Verwandten vereinbart werden; zu den Gründen der Aufhebung vgl. Schumacher/Grün FamRZ 1998 787. Nach dem Recht der ehemaligen DDR war ein Unterhaltsverzicht für die Zukunft generell unwirksam (vgl. § 61 FGB DDR). 121 Vgl. BGHZ 86 82; 158, 81 178, 322; BGH FamRZ 1992 1403; NJW 2007 904; NJW 2008 1080; OLG München NJW 2003 592; Schall SK Rdn. 16 SSW/Wittig Rdn. 5; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 14; s. auch BVerfG NJW 2001 957, 958 und 2001 2248 jeweils für ehevertragliche Abreden, die vor der Eheschließung mit einer Schwangeren getroffen wurden. 122 Vgl. BayObLGSt 1967 1, 2; Göppinger FamRZ 1970 223. Maßgeblich sind damit die Verhältnisse bei Vertragsschluss und prognostizierbare Veränderungen. Im Strafverfahren wird die für den Strafrichter mitunter schwierige Wiedner
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halt sowie zwischen Lebenspartnern während intakter Partnerschaft und die Zeit der Trennung schließen die § 1614 Abs. 1, 1630a Abs. 3, § 1361 Abs. 4 Satz 4 BGB, § 5 Satz 2 LPartG, § 12 Satz 2 LPartG einen Verzicht für die Zukunft aus; Umgehungsgeschäfte wie ein pactum de non petendo sind unzulässig (BGH NJW 2014 1101, 1106; NJW 2015 3715, 3716). Eine noch zulässige Vereinbarung bildet eine Herabsetzung des Trennungsunterhalt um nicht mehr als 20 %; im Bereich bis zu einem Drittel kommt auf die Umstände des Einzelfalls an (BGH NJW 2015 3715, 3716). Bei – strafrichterlich zu bestimmender – Wirksamkeit ist im Umfang der Beschränkung auch eine Strafbarkeit ausgeschlossen. Ein verbleibend möglicher Verzicht für die Vergangenheit, mithin auf Unterhaltsrückstände, lässt eine durch die fehlende Leistung bereits eingetretene Strafbarkeit nach § 170 nicht rückwirkend entfallen, sondern kann allenfalls strafmildernde Bedeutung erlangen. Ohnehin können Vereinbarungen nur zwischen den Beteiligten des Unterhaltsverhältnisses getroffen werden; eine etwaige Freistellung des geschiedenen Elternteiles von Unterhaltsansprüchen der gemeinsamen Kinder berührt den für § 170 maßgeblichen Bestand der Ansprüche im Verhältnis des Freistellenden zu den Kindern nicht (vgl. BGH NJW 1986 1167). Bloße Konkretisierungen der gesetzlich begründeten Unterhaltspflicht, etwa zu Art und 50 Frequenz der Unterhaltsleistung, können die Parteien ohne weiteres vereinbaren. Sie lassen sich im Einzelfall von quantitativen Festlegungen kaum trennen, binden in zivil- und strafrechtlicher Hinsicht, können daher für die Beurteilung nach § 170 hergezogen werden, namentlich zu der Frage, ob und wodurch sich der Unterhaltsverpflichtete seiner Leistungspflicht entzogen hat. Denn die gesetzliche Unterhaltspflicht eröffnet – auch als Tatbestandsmerkmal in § 170 – angesichts der denkbaren unterschiedlichen Lebensverhältnisse nur einen allgemeinen Rahmen und ist offen für unterschiedliche, sich nicht individuell aus dem Gesetz ergebende Handlungspflichten (vgl. Weber-Monecke MK-BGB § 1360 Rdn. 4). Dies gilt insbesondere für formlose Abreden innerhalb intakter Ehe, die den Umfang des Unterhaltsanspruchs nach § 1360 S. 2, § 1360a BGB wesentlich mitbestimmen (vgl. Jauernig/Budzikiewicz vor §§ 1360 ff BGB Rdn. 3). Auch im Übrigen bedarf die Unterhaltserbringung bei Naturalleistungen, aber auch für Zahlungsmodalitäten eines Barunterhaltes der Ausfüllung durch konkrete Absprache und Handhabung der Unterhaltsparteien.123 Für den Kindesunterhalt ergibt sich ein Bestimmungsrecht der Eltern nach § 1612 Abs. 2 BGB bereits aus dem Gesetz. Auch hier kommt es für die strafrechtliche Verantwortlichkeit aber darauf an, dass sich die vertragliche Absprache qualitativ und quantitativ noch mit der gesetzlichen Pflicht in Einklang bringen lässt, etwa im Falle von § 1612 Abs. 2 BGB das Kindeswohl ausreichend berücksichtigt. Ein von dem Unterhaltsberechtigten gewährter Zahlungsaufschub ist angesichts des Zweckes des Unterhaltsanspruches nur in engen Grenzen zulässig.124
cc) Erstattungsansprüche Dritter. Maßgeblich ist das unmittelbare Pflicht- und Leistungs- 51 verhältnis zwischen dem Unterhaltsberechtigtem und dem Unterhaltsverpflichtetem. Durch die Leistung eines Dritten bleibt es unberührt. Das Unterlassen des Unterhaltspflichtigen gegenüber dem -berechtigten führt unabhängig von Zuwendungen privater Dritter oder öffentlicher Stellen grundsätzlich zur Strafbarkeit. Der Dritte tritt auch nicht an die Stelle des Berechtigten; seine etwaigen Ersatz- oder Erstattungsansprüche begründen keine gesetzliche Unterhaltspflicht iSv § 170 gegenüber dem Dritten unabhängig davon, ob dieser den Unterhaltsanspruch durch gesetzlichen Forderungsübergang erwirbt oder ob sein Anspruch nur seiner Entstehung
Wirksamkeitsbeurteilung ergänzt durch die für die subjektive Tatseite bedeutsame Frage, ob die Bedarfslage der Berechtigten, aus der sich die Unwirksamkeit oder ein Anpassungsbedarf speist, von dem Verpflichteten erkannt wurde, vgl. Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 14. 123 Der Ausfüllungsbedarf reicht nicht weiter als bei sonstigen normativen Tatbestandsmerkmalen, zumal der Verpflichtete an der Konkretisierung seiner Pflichten selbst mitwirkt. Daher lässt sich, worauf Schall SK Rdn. 15 zutreffend verweist, auch kein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG besorgen. 124 Maurer Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann § 1614 Rdn. 50. 515
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und seinem Inhalt Unterhaltsleistungen zum Gegenstand hat.125 Die Nichterfüllung der Drittansprüche bewirkt jedenfalls keine Strafbarkeit; denn die gesetzliche Pflicht iSv § 170 nimmt Bezug auf das unmittelbare unterhaltsrechtliche Grundverhältnis zwischen Unterhaltsberechtigtem und -verpflichtetem. Nicht der Rückgriffsanspruch ist strafbewehrt, sondern der Unterhaltsanspruch, dessen fehlende Erfüllung zur Leistung des Dritten geführt hat.126 Dies ergibt sich auch daraus, dass nach dem Tatbestand eine hypothetische Gefährdung des Lebensbedarfes „ohne die Hilfe anderer“ ausreicht. Das Eintreten anderer bleibt für die strafrechtliche Bedeutung der ursprünglichen Verletzung der Unterhaltspflicht damit ohne Einfluss; die Abwendung der durch das Verhalten des Täters eingetretenen oder unmittelbar drohenden Gefährdung des Unterhalts durch einen Dritten stellt den Pflichtigen nicht von Strafe frei (BGHSt 12 185, 187).
52 (1) Leistungen privater Dritter. Vorstehendes gilt zunächst für alle Fälle, in denen private Dritte anstelle des vorrangig oder eigentlich Unterhaltspflichtigen an den Unterhaltsberechtigten Leistungen erbringen, um eine Gefährdung des Lebensbedarfs abzuwenden. Soweit Unterhaltsleistungen durch nachrangig Verpflichtete (§§ 1607, 1584 BGB) erfolgen, weil der an sich vorrangig Verpflichteten wegen Leistungsunfähigkeit ganz oder teilweise ausfällt, so besteht bereits aus diesem Grund keine Strafbarkeit; es entsteht auch kein Regressanspruch. Denn der ersatzweise Leistende hat nicht für den Erstverpflichteten gehandelt, dessen Unterhaltspflicht nämlich entfallen ist (vgl. Jauernig/Budzikiewicz § 1608 BGB Rdn. 12). Tritt der Dritte ein, weil Unterhaltsleistungen von dem leistungsfähigen Verpflichteten nicht erlangt werden können, und geht der Unterhaltsanspruch durch cessio legis nach § 1607 Abs. 2 Satz 1 oder Abs. 3, § 1584 Satz 3 BGB auf ihn über, kann die Nichterfüllung dieses Anspruches gegenüber dem Dritten keine Strafbarkeit begründen, wohl aber die ursprüngliche Entziehung gegenüber dem Unterhaltsberechtigten, die zur Leistung des Dritten erst Anlass gegeben hat.127 Gleiches gilt für Leistungen anderer Dritter mit dem Zweck, eine Gefährdung des Lebensbedarfs von dem Berechtigten abzuwenden; etwaige Regressansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag (§ 683 BGB), Bereicherungsrecht (§ 812 BGB) oder im Einzelfall aus einem familienrechtlichen Ausgleichsanspruch (vgl. BGHZ 31 329; BGHZ 50 266) und ihre Nichterfüllung treten nicht an die Stelle der für § 170 allein maßgeblich originären gesetzlichen Unterhaltspflicht. 53 Dagegen entfällt die Strafbarkeit dann, wenn der Dritte aufgrund eigener Unterhaltspflicht geleistet hat,128 oder es sich bei ihm im Verhältnis zum Unterhaltsschuldner nicht um einen „anderen“ iSv § 170 handelt, er etwa in dessen Auftrag oder in seinem Einvernehmen gezahlt hat, weiterhin auch dann, wenn es ihm vornehmlich darum ging, den Unterhaltspflichtigen von dessen Schuld zu befreien. Dagegen entlastet die Zahlung eines Dritten immer dann 125 Vgl. Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 15; Klußmann MDR 1973 457. 126 So zutreffend Dippel LK12 Rdn. 22. 127 In Fällen gesetzlichen Forderungsüberganges, auch aufgrund der Leistung öffentlicher Stellen, verändert sich der äußerliche Gehalt des Anspruches zwar nicht (vgl. BGHZ 152 217, 222; BGH FamRZ 1992 797, 800); auch Sicherungsrechte bleiben erhalten (vgl. BAG NJW 1971 2094; LG Berlin Rpfleger 1961 364; LG Braunschweig NJW 1966 457). Seinen Zweck zur Deckung des Lebensbedarfes des Unterhaltsberechtigten hat er aber ebenso verloren wie den aus dem Pflichtverhältnis zwischen Unterhaltsberechtigtem und -verpflichtetem folgenden persönlichen Einschlag. Er erschöpft sich nunmehr in seinem Zweck als Regressanspruch zur Befriedigung der Vermögensinteressen des Dritten (vgl. BAG NJW 1971 2094; LG Braunschweig NJW 1966 457; LG Duisburg Rpfleger 1957 51; LG Berlin Rpfleger 1961, 364; Eggert NJW 1972 1338; Dippel LK12 Rdn. 22), kann damit kein strafrechtlich relevantes Pflichtverhältnis außerhalb der ursprünglichen Unterhaltsparteien begründen. Der Übergang des Anspruches läßt andererseits die durch die vollendete Nichterfüllung der Leistungspflicht bereits eingetretene Strafbarkeit nicht entfallen, denn er richtete sich ursprünglich gegen den Täter. Das ursprüngliche Pflichtverhältnis ist durch den Forderungsübergang nicht rückwirkend außer Kraft gesetzt. 128 Denkbar ist dies allerdings nur dann, wenn es sich bei dem Dritten um einen vorrangig Verpflichteten handelt, für dessen bisherigen Leistungsausfall der – ansonsten ohnehin nicht pflichtige und damit nicht strafbare – Täter hatte nachrangig einstehen müssen. Die in diesem Zusammenhang häufig angeführten Fälle gleichrangiger Haftung Wiedner
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nicht, wenn dieser vornehmlich die Gefährdung des Lebensbedarfs des Unterhaltsberechtigten abwenden und nicht zugunsten des Pflichtigen handeln wollte. Die Abgrenzung kann im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten. An einer Strafbarkeit fehlt es nicht schon deshalb, weil der Leistende – auch – seine Beziehung zu dem Unterhaltsberechtigten verstärken möchte (so aber obiter BGHSt 12 185), denn der Eintritt erfolgt gerade in einem solchen Fall zugunsten des Unterhaltsberechtigten und nicht des -pflichtigen. Auch Fragen der Kausalität und Kenntnis bilden keine tauglichen Abgrenzungskriterien. Da § 170 vor einer Gefährdung des Lebensbedarfes durch die unterbliebene Leistung schützen soll, ist nicht einsehbar, warum die strafrechtliche Verantwortung des Unterhaltsschuldners dadurch entfallen soll, dass die Leistung des Dritten aufgrund der Entziehung, d. h. mit entsprechender Willensrichtung des Leistenden erfolgt129 oder der Leistende hiervon zumindest Kenntnis hat.130 Allerdings entfällt die Strafbarkeit dann, wenn dem Unterhaltsschuldner durch frühzeitige oder umfangreiche Leistungen gar keine Gelegenheit zur Leistung gegeben wurde; in derartigen Fällen fehlt es regelmäßig aber bereits an einer Entziehung und der hierdurch bewirkten Gefährdung des Lebensbedarfs.
(2) Leistungen öffentlicher Stellen. Abgrenzungsprobleme betreffend die Zielrichtung stel- 54 len sich bei Leistungen öffentlicher Stellen nicht. Handeln diese, wie etwa bei Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe nach dem SGB VIII, aufgrund einer originären eigenen gesetzlichen Verpflichtung, oder werden die Leistungen nicht in Zusammenhang mit einer etwaigen Unterhaltspflichtverletzung erbracht, so tritt die öffentliche Stelle bereits nicht zum Ersatz der Erfüllung strafbewehrter Unterhaltspflichten ein.131 Auch Leistungen unterhaltsersetzender Art, etwa solche der Jugendämter nach dem UVG132 oder der Ämter für Ausbildungsförderung nach dem BaFöG, mit denen die öffentliche Stelle in Anbetracht der fehlenden Leistung des Unterhaltspflichtigen für diesen einspringt, lassen dessen Strafbarkeit im Verhältnis zum Unterhaltsberechtigten unberührt (BGHSt 26 318). Insbesondere ist die einmal bestehende, zum Eintritt des Leistungsträgers erst führende Bedürftigkeit durch den Bezug der Sozialleistung nicht rückwiraus der älteren Rechtsprechung sind durch die neue Ausgestaltung der Rangverhältnisse mit Inkrafttreten des Gleichberechtigungsgesetzes vom 1. Juli 1958 weitgegend überholt: BGHSt 12 185, 188 mit Anm. Sarstedt LM StGB § 170b Nr. 4 betraf einen leistungsfähigen Vater, dessen Unterhaltsanteil von der gleichrangig haftenden Mutter, die für den Unterhalt vollständig aufkam, mitbeglichen wurde. Der Bundesgerichtshof ging hierbei noch von Gesamtschuldnerschaft der Eltern aus, während § 1606 BGB nunmehr eine Teilschuldnerschaft bestimmt (so bereits BGHSt 19 389; Langeheine MK-BGB § 1606 Rdn. 9; vgl. näher Rdn. 59) mit der Folge, dass der sich Entziehende im Falle überobligationsmäßiger Leistung des anderen Teiles nicht frei wird, die Leistung sich im Umfang seiner Schuld vielmehr als die eines anderen darstellt (vgl. OLG Hamm NStZ 2008 342, 343). Auch BayObLG NJW 1956 1887 ging – ohne dass die Frage der wirtschaftlichen Verhältnisse des Kindsvaters in der Entscheidung angesprochen ist – davon aus, dass die den gesamten Unterhalt erbringende Kindsmutter hierzu gegenüber dem Kind verpflichtet war und der Vater durch die Leistung – auch in strafrechtlicher Hinsicht – frei geworden ist. 129 So aber OLG Neustadt NJW 1953 1805, 1806, wo ein „ursächlicher Zusammenhang mit der nichterfüllten Unterhaltspflicht“ gefordert wird. 130 In diese Richtung Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 15, die keine Strafbarkeit annehmen, wenn der Leistende „ohne Rücksicht auf die Unterhaltsverweigerung des Verpflichteten“ zahlt. 131 Vgl. OLG Stuttgart NJW 1973 816 zur Heimunterbringung nach dem damaligen Jugendwohlfahrtsgesetz; LG Memmingen NJW 1971 206 für den Fall der Unterbringung des Unterhaltsberechtigten aufgrund von Leistungen nach der damaligen freiwilligen Erziehungshilfe. S. a. OLG Bremen NJW 1958 639, OLG Celle NJW 1962 1832 f, OLG Hamm NJW 1955 1891 und 1975 456, 457; anders OLG Frankfurt NJW 1972 836 mit abl.Anm. Eggert NJW 1972 1383, zust.Anm Potthast NJW 1972 2276. Auch nach BGHSt 26 318 scheidet bei einer Heimunterbringung, die sich nicht als Folge einer Unterhaltsverweigerung darstellt, bereits eine Strafbarkeit aus; krit. Forster NJW 1976 1645. Dass die Maßnahmen der früheren Fürsorgeerziehung nach Überführung in das SGB VIII kostenrechtlich subsidär sind (vgl. § 10 Abs. 2, §§ 94, 95 SGB VIII; zum früheren Recht § 62 Jugendwohlfahrtsgesetz) entbindet nicht von der Prüfung, ob es sich um eine konkret unterhaltsersetzende Maßnahme handelt. 132 Gesetz zur Sicherung des Unterhalts von Kindern alleinstehender Mütter und Väter durch Unterhaltsvorschüsse oder ‑ausfallleistungen (Unterhaltsvorschussgesetz), BGBl. I S. 1446. 517
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kend entfallen (vgl. Ritscher MK Rdn. 19). Ob der öffentlich-rechtliche Leistungsträger einen Erstattungsanspruch gegen den Unterhaltspflichtigen erwirbt und der Unterhaltspflichtige auf ihn zahlt, ist dabei ohne Bedeutung. Dies gilt auch dann, wenn der Unterhaltsanspruch auf die öffentliche Stelle gesetzlich übergegangen ist (s. insbesondere § 7 UVG; § 37 BaföG; ferner § 94 SGB XII, § 91 BSHG a. F.).133 Weder begründet sich dadurch ein neues Unterhaltspflichtverhältnis iSv § 170 gegenüber der öffentlichen Stelle, nach entfällt das ursprüngliche gegenüber dem Unterhaltsberechtigten;134 denn der Wille der öffentlichen Stelle bei Vornahme der Leistung richtet sich bereits nach den gesetzlichen Vorgaben nicht darauf, den Unterhaltspflichtigen zu entlasten, sondern ausschließlich darauf, einer Gefährdung des Lebensbedarfes des Berechtigten entgegenzuwirken.
55 dd) Schadensersatzansprüche, welche aus rechtsgeschäftlichen Verhältnissen – etwa aufgrund eines ärztlichen Kunstfehlers (vgl. Langeheine MüKo-BGB § 1601 Rdn. 20) – oder aus unerlaubter Handlung – etwa der Verletzung durch einen Verkehrsunfall – rühren und sich auf die Zahlung von Unterhalt oder einer Geldrente richten, begründen keine Unterhaltspflicht iSv § 170 und damit im Falle ihrer Nichterfüllung keine Strafbarkeit. Denn der Verpflichtung des Schädigers liegt kein gesetzliches Verhältnis zu Grunde, welches originär auf die Leistung von Unterhalt gerichtet ist, sondern ein Rechtsgeschäft oder ein gesetzliches Schuldverhältnis, das sich nur in seiner konkreten Ausprägung auf der Unterhaltspflicht angenäherte Leistungen richtet. Dies gilt auch für den Fall, dass der Schädiger wegen Tötung oder Herbeiführung der Leistungsunfähigkeit eines Unterhaltsverpflichteten ersatzweise einstandspflichtig ist.
56 ee) Regelungen ausländischen Rechts. Grundsätzlich gilt für die Bestimmung der Unterhaltspflicht deutsches Recht. Regelungen ausländischen Rechts kommen in Betracht bei Sachverhalten mit internationaler Anknüpfung (vgl. Rdn. 33).135 Die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts infolge eines deutschen oder in Deutschland lebenden Unterhaltsberechtigten vorausgesetzt (s. Rdn. 25 ff), können sich die Unterhaltsbeziehungen und -pflichten ausnahmsweise nach ausländischem Unterhaltsrecht bestimmen, soweit die durch den Auslandsbezug eingreifenden Regelungen des Internationalen Privatrechtes136 darauf verweisen,137 wie insbesondere bei einer im Ausland vollzogenen Eheschließung oder -scheidung oder bei im Ausland lebenden deutschen Unterhaltsberechtigten der Fall (vgl. Art. 3 Abs. 1 Haager Unterhaltsübereinkommen). Bedeutsam, weil zur Entstehung eines inländischen Unterhaltsanspruches führend, sind zudem internationale Vereinbarungen über Anerkennung und Vollstreckbarkeit von
133 BGHSt 26 312, 318 zur Anspruchsüberleitung nach §§ 90, 91 BSHG a. F.; BayObLG FamRZ 1976 115; Kraemer NJW 1973 793. 134 Vgl. zu den Wirkungen des Forderungsüberganges bereits Fn. 51 ff. 135 OLG Hamm JMBl NRW 1959 269; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; Mankowski/Bock ZStW 120, 704, 745; aA Oehler JR 1975, 292. 136 Zu nennen sind innergemeinschaftlich die Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18.12.2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen (ABl. L 7 vom 10.1.2009, S. 1), weiterhin das Haager Protokoll über das auf Unterhaltspflichten anwendbare Recht vom 23.11.2007, in Kraft seit 1.8.2013 (ABl. 2009 L 331 S. 19), innerhalb der EU vorläufig anwendbar nach Art. 4 des Beschlusses 2009/941/EG bereits ab dem 18.6.2011; Übersicht bei Langeheine MK-BGB vor § 1601 Rdn. 49 ff. 137 Vgl. Schall SK Rdn. 12; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 2; grundlegend für die Anwendbarkeit auch ausländischen Zivilrechtes bei Blanketttatbeständen Mankowski/Bock ZStW 2008 704. Für Fälle eines deutschen Unterhaltsschuldners und im Ausland lebenden Unterhaltsberechtigten ausländischer Staatsangehörigkeit s. BayObLG NJW 1982 1243. Wiedner
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im Ausland erworbenen Unterhaltsansprüchen.138 Falls es sich hierbei um gesetzliche Ansprüche handelt, sind sie für das Bestehen einer Unterhaltspflicht nach § 170 bedeutsam;139 der Strafvorschrift ist eine Beschränkung auf eine Unterhaltspflicht nach inländischem Gesetz nicht entnehmbar. Der Strafrichter muss sich daher der Mühe unterziehen, das ausländische Recht und seine Anwendbarkeit oder eine Anerkennung eines ausländischen gesetzlichen Anspruches zu prüfen. Geboten erscheint allerdings, nach dem Schutzzweck von § 170 die Strafbarkeit auf Unterhaltspflichten aus nach deutschem Recht anerkannten unterhaltsrechtlichen Grundverhältnisses zu begrenzen.140 Das Recht der ehemaligen DDR kann nach Maßgabe des interlokalen Privatrechtes an- 57 wendbar bleiben. So ist für Scheidungen in der ehemaligen DDR für vor dem Beitritt (3.10.1990) nach Art. 234 § 5 EGBGB das bisherige Recht (§§ 29 ff FamGB-DDR) maßgebend;141 zur Anwendung der §§ 1569 ff BGB kommt es nur, wenn der Unterhaltsverpflichtete bereits zum Beitrittszeitpunkt seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatte (vgl. BGHZ 91 186). Für in der DDR vor dem Beitritt zum Geltungsbereich des Grundgesetzes adoptierte Kinder vgl. Art. 234 § 13 EGBGB.
c) Rangfolge. Die Rangfolge mehrerer Unterhaltsverpflichteter hinsichtlich des Verhältnisses 58 ihrer Leistungspflichten auf der einen Seite und mehrerer Unterhaltsberechtigter hinsichtlich ihrer Berechtigung auf der anderen Seite richtet sich gleichfalls nach den Vorschriften des Bürgerlichen Rechts. Auch insoweit besteht Akzessorietät zum Strafrecht. aa) Mehrere Unterhaltsverpflichtete. Das Rangverhältnis mehrerer Unterhaltsverpflichte- 59 ter gegenüber demselben Unterhaltsberechtigten bestimmt sich nach gesondert für das jeweilige Grundverhältnis normierten Rangvorschriften, insbesondere für Verwandte die §§ 1606 ff BGB, für Ehegatten die §§ 1608, 1589 BGB. Vereinfacht zusammengefasst sind unterhaltspflichtig in erster Linie diejenigen, die dem Bedürftigen am nächsten stehen. Demnach haften Abkömmlinge vor Verwandten der aufsteigenden Linie, d. h. insbesondere vor den Eltern (§ 1606 Abs. 1 BGB); untereinander ist die Gradnähe der Verwandtschaft maßgeblich (§ 1606 Abs. 2, § 1589 S. 3 BGB). Mehrere gleich nahe Verwandte, insbesondere die beiden Elternteile oder mehrere Kinder, haften anteilig nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen (§ 1606 Abs. 3 S. 1 BGB).142 Nach § 1608 BGB besteht allerdings eine Vorrangregelung zu Lasten des Ehegatten des Bedürftigen. Dieser hat noch vor den Verwandten des Bedürftigen für dessen Familien- und Trennungs138 Beispielhaft insoweit innergemeinschaftlich das Übereinkommen vom 30. Oktober 2007 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. L 339 vom 21.12.2007, S. 3), das Haager Übereinkommens vom 23. November 2007 über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen (ABl. L 192 vom 22.7.2011 51), des Haager Übereinkommens vom 2. Oktober 1973 über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen und das New Yorker UN-Übereinkommens vom 20. Juni 1956 über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland (BGBl. 1959 II 150) sowie das Auslandsunterhaltsgesetz (AUG) vom 23. Mai 2011 (BGBl. I S. 898). 139 Schall SK Rdn. 12; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 2; Kunz NJW 1987 881 und NJW 1995 1519; Maurach/ Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 27; zweifelnd Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; aA Oehler JR 1975 292; Mankowski/Bock ZStW 2008 704, 745; s. auch OLG Hamm JMBlNW 13 (1959) 269. 140 Hierfür auch Mankowski/Bock ZStW 2008, 704 unter dem Gesichtspunkt des deutschen ordre public. Kennt etwa das ausländische Recht einen Geschwisterunterhalt, so entstünde für das in Deutschland lebende, unterhaltsberechtigte Geschwisterteil auch bei Vorenthaltung des Unterhalts kein Mangel, für den die staatliche Gemeinschaft eintreten und vor dem der Berechtigte nach deutscher Gesetzeswertung mit Mitteln des Strafrechtes geschützt werden müsste. 141 Zur Anpassung nach dem Beitritt vgl. BGH NJW-RR 1992 1474. 142 Maßgeblich für die Anteilsberechnung sind die nach Abzug von Verbindlichkeiten und des angemessenen – bei Unterhalt für Minderjährigen: notwendigen – Selbstbehalts verfügbaren Einkommen der Verpflichteten, welche 519
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unterhalt einzustehen; nach § 1589 BGB gilt gleiches für den geschiedenen Ehegatten des Unterhaltsbedürftigen. Der Vater haftet vorrangig vor den Verwandten der Mutter auf den Betreuungsunterhalt (§ 1615l Abs. 3 S. 2 BGB).143 Für eingetragene Lebenspartnerschaften gilt bei intakter Partnerschaft und Trennung § 1608 Abs. 1 S. 4 BGB, nach Aufhebung der Lebenspartnerschaft § 16 LPartG in Verbindung mit § 1584 BGB. Die Ersatzhaftung trifft nach § 1607 Abs. 1 BGB den nächstverpflichteten Verwandten; sie tritt nach § 1607 Abs. 1 iVm § 1603 BGB ein bei völliger oder teilweiser Leistungsunfähigkeit (für Eltern unter dem erschwerten Maßstab von § 1603 Abs. 2 BGB), aber auch bei Leistungsunwilligkeit des Erstverpflichteten und Erschwerung oder Unmöglichkeit der Rechtsverfolgung (§ 1607 Abs. 2 S. 1 BGB). Entsprechende Eintrittsgründe gelten gemäß § 1608 Abs. 1 S. 2 und 3, § 1584 S. 2 und 3 BGB für Ehegatten sowie nach § 1608 Abs. 1 S. 4 BGB, § 16 LPartG für eingetragene Lebenspartner, an deren Stelle die Verwandten des Bedürftigen nach deren Rangreihenfolge treten. Die Ersatzhaftung tritt auch auf gleicher Stufe ein, wenn von mehreren auf gleicher Stufe haftenden Verwandten einer nicht leistungsfähig ist oder nicht belangt werden kann (BGH NJW 1971 2069, 2070). So ist bei Ausfall eines Elternteiles der andere heranzuziehen. Erst bei beiderseitigem Ausfall ist der nachfolgende Rang ersatzweise heranzuziehen, hierbei sämtliche Zugehörige des Ranges wiederum im Anteil ihrer Erwerbs- und Vermögensverhältnissen.144 In bürgerlich-rechtlicher wie strafrechtlicher Hinsicht ist der Rang des Verpflichteten be60 deutsam für Bestehen und Umfang einer Unterhaltspflicht. Bei gleichrangiger, anteilsmäßiger Verpflichtung besteht eine nach § 170 strafbewehrte Unterhaltspflicht im anteiligen Umfang. Es handelt sich nicht um Gesamt-, sondern um Teilschuld; entgegen früherer Rechtslage befreien damit überobligationsmäßige Leistungen eines weiteren gleichrangig Verpflichteten nicht von der Pflicht und schützen nicht vor Strafe.145 Erbringt die Mutter ihren Unterhaltsanteil gegenüber dem Kind etwa in Gestalt von Naturalunterhalt durch Betreuung (§ 1606 Abs. 3 S. 2 BGB), und kommt sie in Ermangelung einer Unterhaltsleistung des Vaters darüber hinaus für Kosten des Unterhaltes auf, leistet sie als „andere“ und lässt die Barunterhaltspflicht des Vaters unberührt. Dies gilt auch dann, wenn die Mutter für den tatsächlich nicht zu belangenden, sich etwa verborgen haltenden Vaters ersatzweise haftet. Generell entlastet eine Leistung des nachrangig einspringenden Unterhaltsverpflichteten den primär Verpflichteten nicht, wenn die Ersatzhaftung wegen Leistungsverweigerung und Erschwernis der Rechtsverfolgung eintritt; die Unterhaltspflicht iSv § 170 besteht fort. Denn der ersatzweise Verpflichtete leistet auf eine eigene Verpflichtung, während der Anspruch gegen den Erstverpflichteten fortbesteht und auf ihn übergeht (§ 1607 Abs. 2 S. 2, § 1584 S. 3 und § 1608 S. 3 BGB). Umgekehrt kann eine Leistungsverweigerung des ersatzweise Eintretenden den Tatbestand des § 170 erfüllen unabhängig davon, aus welchem Grund die Eintrittspflicht besteht, mithin auch dann, wenn sich bereits der primär Verpflichtete seiner Leistungspflicht in strafbarer Weise entzogen hat.146
in ein Verhältnis zum verfügbaren Gesamteinkommen zu setzen sind; hieraus bestimmt sich der Anteil am ungedeckten Bedarf des Berechtigten, vgl. Langeheine MüKo-BGB § 1606 Rdn. 41. 143 Ersatzweise heranzuziehen sind dagegen nicht die Verwandten des Vaters. Daher haften, wenn der mit der Mutter des Kindes nicht verheiratete Vater zu keiner Unterhaltsleistung in der Lage ist, an seiner Stelle nicht seine, sondern die Eltern der Mutter (OLG Nürnberg MDR 2000 512). Zur Frage eines Quotenunterhaltes nach § 1615l Abs. 1 S. 1 iVm § 1606 Abs. 3 S. 1 BGB im Verhältnis mehrerer Väter, insbes. des nicht-verheirateten Vaters und des geschiedenen Ehemannes vgl. BGH NJW 2008 3125; OLG Bremen FamRZ 2006 1207; zT abweichend zuvor OLG Hamm FamRZ 1997 632; OLG Düsseldorf FamRZ 1995 690; KG FamRZ 1998 55. 144 So setzt die Ersatzhaftung der Großeltern den Ausfall beider Eltern voraus, ist dann aber nicht auf den Stamm des ausgefallenen Elternteils beschränkt, sondern erfasst alle Großeltern, OLG Hamm FamRZ 2005 1926; OLG Frankfurt FamRZ 2004 1745; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 27.3. 2007 – 6 WF 18/07. 145 BGHSt 19 389; OLG Hamm NStZ 2008 342, 343; FamRZ 1964 581; OLG Celle NJW 1960 833; Ritscher MK Rdn. 20a; Schall SK Rdn. 18; überholt BGHSt 12 185 und BayObLG NJW 1956 1887. 146 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 25; Schall SK Rdn. 18. Wiedner
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bb) Mehrere Unterhaltsberechtigte. Bei mehreren Unterhaltsberechtigten, denen dersel- 61 be Unterhaltsschuldner verpflichtet ist, besteht ein von § 1609 BGB in numerischer Aufzählung bestimmtes Rangverhältnis.147 Aufgeführt als Berechtigte sind darin erstrangig minderjährige Kinder sowie in Schulausbildung begriffene, noch im elterlichen Haushalt lebende Heranwachsende (§ 1603 Abs. 2 S. 2 BGB),148 zweitrangig eine Kinderbetreuung wahrnehmende und aus diesem Grunde unterhaltsberechtigte Elternteile sowie – auch geschiedene – Ehegatten bei einer Ehe von langer Dauer, und drittrangig Ehegatten (auch mehrere unter Einschluss geschiedener, vgl. § 1582 BGB) sowie Lebenspartner,149 in den nachfolgenden Rängen nicht erstrangig berücksichtigungsfähige Kinder,150 Enkelkinder sowie weitere Abkömmlinge, Eltern und schließlich weitere Verwandte der aufsteigenden Linie nach Nähegrad.151 Gleich nahe oder gleiche Voraussetzungen erfüllende Berechtigte haben denselben Rang. Die Rangfolge wird hinsichtlich der Pfändbarkeit zugunsten von Unterhaltsansprüchen in Bezug genommen durch § 850d Abs. 2 ZPO. Der Unterhaltspflichtige hat im Grundsatz alle gegen ihn gerichteten Unterhaltsansprüche 62 unabhängig ihres Ranges zu befriedigen. Die Rangfolge gewinnt Bedeutung nur im Mangelfall, mithin dann, wenn der Unterhaltspflichtige nach Maßstab des ihm obliegenden Mitteleinsatzes nicht in der Lage ist, alle Unterhaltsgläubiger zu befriedigen. Er hat dann bis zur Ausschöpfung seiner finanziellen Möglichkeiten die vorrangig Berechtigten vollständig zu befriedigen, bevor eine Leistung an die Berechtigten der nächsten Stufe erfolgt. Bei gleichem Rang ist keine Aufteilung des verfügbaren Betrages nach Kopfteilen geboten, sondern nach dem Verhältnis des Bedarfs der Berechtigten.152 Nach Ausschöpfung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten erlischt die Unterhaltspflicht gegenüber dem Nachrangigen (BGH NJW 2005 2145, 2146), bei gleichrangigen Gläubigern im Umfang des nicht leistbaren Unterhaltsanteiles.153 Dem entspricht die Strafbewehrung nach § 170: Hat der Unterhaltsschuldner im Rahmen seiner Möglichkeiten vorrangige Unterhaltsgläubiger befriedigt und hierbei gleichrangige anteilig berücksichtigt, entfällt mangels Leistungsfähigkeit die Unterhaltspflicht iSv § 170 gegenüber den Nachrangigen und bei Gleichrangigen im Umfang des nicht befriedigten Anteiles. Andererseits entlastet den Verpflichteten eine – auch überobligationsmäßige – Leistung an Nachrangige oder eine unproportionale Verteilung an Gleichrangige nicht. Ihn trifft daher das Risiko einer Fehleinschätzung des Ranges; erweist sich die Ermittlung der Beteiligten und ihrer Rangstufen sowie – insbeson147 Die Vorschrift ist mit Wirkung vom 1. Januar 2008 neugefasst durch das Gesetz zur Änderung des Unterhaltsrechts vom 21. Dezember 2007 (UÄndG, BGBl. I 3189); Materialien: BTDrucks. 16/1830 12. Bereinigt wurden nicht nur die – jetzt übersichtlichere – Struktur der Vorschrift, sondern auch Auslegungsfragen (s. etwa BGH NJW 1988 1722); zugleich wurde das Rangverhältnis in Einzelheiten, insbesondere hinsichtlich der Stellung der Ehegatten. Die neu bestimmte Rangfolge gilt auch für die vor dem Inkrafttreten des UÄndG begründeten Unterhaltsrechtsverhältnisse. Zum alten Recht s. Dippel LK12 Rdn. 29. 148 Zum Verhältnis der Ansprüche der Kinder aus mehreren Ehen bei Haushaltsführung des Elternteiles in der neuen Ehe vgl. BGHZ 75 272; BGH NJW 1982 175; NJW 1982 1590; NJW 2007 139; zum Konkurrenzfall – auch hinsichtlich Ansprüchen des geschiedenen Ehegatten – bei einer neuen nichtehelichen Beziehung BGH NJW 2001 1488. S. auch BVerfG 68 256; Diederichsen JZ 1985 790. 149 Nach §§ 5, 12, 16 LPartG, welche auf § 1609 BGB verweisen, ist der eingetragene Lebenspartner im Rang wie ein Ehegatte zu behandeln, vgl. BTDrucks. 16/1830 S. 32, Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann/Löhnig LPartG § 5 Rdn. 17. 150 Betroffen sind v. a. Kinder, die noch in Berufsausbildung oder Studium stehen, aber auch solche, die aus gesundheitlichen Gründen erwerbsunfähig oder nur eingeschränkt erwerbsfähig sind. 151 Die ausdrückliche Benennung der Eltern in § 1609 Nr. 6 BGB erweist sich damit als überflüssig, da diese bereits nach § 1609 Nr. 7 BGB den sonstigen aufsteigenden Verwandten vorgehen würden. Die Einfügung erfolgte wegen der herausgehobenen Stellung der Eltern und der praktischen Bedeutung des Elternunterhalts, vgl. BTDrucks. 16/ 1830 S. 25. 152 Dabei ist die Höhe jedes Anspruches nach Bedarf, Bedürftigkeit und etwaigen Unterhaltsbeschränkungen, jedoch ohne Berücksichtigung der beschränkten Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen zu bestimmen. Aus dem Verhältnis der Ansprüche errechnet sich die Quote, nach welcher der verfügbare Unterhalt zu verteilen ist. Vgl. OLG Köln FamRZ 1976 119, 120; OLG Stuttgart MDR 1977 1034; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 23/24. 153 Vgl. BGH NJW 1980 934, 935; 1988 1722, Kalthoener/Büttner/Niepmann Rdn. 106; Schall SK Rdn. 17. 521
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dere an Gleichrangige – die Verteilung des Unterhaltes freilich als rechtlich und tatsächlich kompliziert, und hat der Pflichtige keinen fachlichen Rat hinzugezogen, kann es wie auch ansonsten bei Fragen der Leistungsfähigkeit oder Unterhaltshöhe am Vorsatz fehlen (Ritscher MK Rdn. 20). In der Zwangsvollstreckung berücksichtigen die §§ 850c, 850d ZPO eine Mehrzahl von Unterhaltsberechtigten durch gestufte Pfändungsfreibeträge und die Pfändbarkeit nach Rangfolge. Einen gegen ihn erwirkten Unterhaltstitel muss der Pflichtige im Mangelfall auch dann, wenn der Titel den Rang nicht aufführt, nicht zum Anlass einer Zahlung entgegen §§ 1609, 1582 BGB nehmen, da das Vollstreckungsorgan die Rangfolge berücksichtigen muss (BGH NJW 2013 239, s. auch BGH NJW 1980 934); auch hier kann es in strafrechtlicher Hinsicht aber am subjektiven Tatbestand fehlen. Eine nicht ranggemäße Befriedigung kann dem Unterhaltsschuldner regelmäßig dann nicht angelastet werden, wenn eine entgegenstehende Festsetzung des Vollstreckungsgerichtes nach § 850c Abs. 4 ZPO vorliegt (vgl. Rdn. 131). 63 Im Hinblick auf Tathandlung und Gefährdungserfolg verletzt der sich entziehende Pflichtige seine Unterhaltspflicht gegenüber all jenen – aber auch nur jenen – vorrangig Unterhaltsberechtigten, deren Ansprüchen er mit den verfügbaren, aber tatsächlich nicht eingesetzten Mitteln hätte genügen können. Sein Unterlassen bildet schon wegen des Zusammenhanges der in ihrer Unterhaltsberechtigung durch die Rangfolge und Anteilsberechnung verbundenen Berechtigten eine prozessuale Tat (vgl. OLG Stuttgart MDR 1977 1034); nach hier vertretener Auffassung liegen dann, wenn hypothetisch mehrere getrennte Handlungen zur Befriedigung der unterschiedlichen Ansprüche erforderlich würden, allerdings mehrere materielle Taten vor (vgl. Rdn. 221). Dagegen scheidet auch bei vollständiger Nichtzahlung eine Unterhaltspflichtverletzung gegenüber nachrangigen Gläubigern aus. Eine Betrachtungsweise, wonach der Verpflichtete durch die Nichtzahlung an die Vorrangigen Mittel erspart, die er gegenüber den Nachrangigen einsetzen könnte, ließe außer Betracht, dass diesen gegenüber eine Leistungspflicht von vornherein nicht bestand und mangels Erlöschen der Unterhaltspflicht gegenüber den vorrangigen Unterhaltsgläubigern auch nicht entstehen konnte.154 Zur Konkurrenz von Unterhaltsansprüchen mit Ansprüchen von dritten Gläubigern vgl. Rdn. 115.
64 d) Art und Umfang des Unterhaltes. Auch Art und Umfang der Unterhaltsgewährung bestimmen sich nach familienrechtlichen Vorgaben; sie richtet sich insbesondere nach Bedarf und Bedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten. Die unzureichende Erfüllung der dem Pflichtigen hiernach obliegenden Leistung erfüllt unterschiedslos – für den Bereich von Betreuungsund Fürsorgediensten allerdings bestrittenermaßen – den Tatbestand von § 170.
65 aa) Grundsatz. Auf welche Art Unterhalt zu gewähren ist, richtet sich nach dem Grund der Unterhaltspflicht, nach den tatsächlichen Lebensverhältnissen innerhalb der Familie, Ehe oder Lebenspartnerschaft, nach der bisherigen Übung und nach konkludent oder ausdrücklich getroffenen Abreden zur Ausformung der gesetzlichen Pflicht. Neben der Zahlung von Geld (Barunterhalt) kommt die Erbringung von Naturalunterhalt in verschiedener Form in Betracht. Hierunter fallen Sachleistungen wie die Versorgung mit Verbrauchsgütern oder die längerfristige Überlassung von Bedarfsgegenständen wie insbesondere Wohnraum, außerdem Dienstleistungen wie die Haushaltsführung und ein Betreuungsaufwand durch die Erziehung und Pflege von Kindern oder die Pflege anderer Angehöriger. Derartige Leistungen sind dem Barunterhalt – wie lange nicht selbstverständlich – grundsätzlich gleichwertig.155 Gerade im Bereich des ehelichen und des Familienunterhalts hat sich der historisch durch das überkommene Bild 154 Vgl. OLG Stuttgart MDR 1977 1043; OLG Köln FamRZ 1976 119; OLG Celle NdsRpfl. 23 (1969) 47, 48; OLG Celle MDR 1962 921, 922; OLG Oldenburg NJW 1953 917; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 23/24; Dippel LK12 Rdn. 40.
155 So frühzeitig bereits das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung, BVerfGE 37 217, 251, 47 1, 24, 53 257, 296, 66 84, 94 und 79 106, 126; vgl. auch BGHZ 70 151, 154 f und BSG FamRZ 1968 458, 460. Wiedner
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der Hausfrauen- und Versorgerehe geprägte156 Gegenstand der Unterhaltspflicht insoweit deutlich gewandelt. Die gegenwärtige gesetzliche Ausgestaltung und ihre Auslegung sind – neben der nunmehr weitgehend geschlechtsneutralen Behandlung von Unterhaltsberechtigten und -verpflichteten (s. etwa § 1356 Abs. 2, § 1360 BGB, aus Sachgründen anders § 1615l BGB) – geprägt von sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen, in welchen die Leistung von Diensten in einem Unterhaltsverbund sich als autonom gewählte und im Vergleich zur Erwerbsarbeit gleichwertige Aufgabe darstellt; auch wirtschaftlich wird sie zu Recht als Bedingung verstanden, unter der Bareinkünfte durch Erwerbstätigkeit und eine finanzielle Absicherung überhaupt erst ermöglicht werden (vgl. BVerfGE 105 1, 10 ff mit Anm. Koch JR 2003 241; BGHZ 148 105). Dies gilt zuvorderst für die intakte Ehe und Familie, in der Haushaltsführung und Kinderbetreuung für das gemeinsame Leben keinen geringeren Wert haben als Einkünfte, die dem Haushalt zu Verfügung stehen. Für den Verwandtenunterhalt bildet ein Naturalunterhalt durch Betreuung des Unterhaltsberechtigten eine grdsl. berücksichtigungsfähige Unterhaltsart. Auch für die Bemessung des Trennungs- und nachehelichen Unterhalts ist zu berücksichtigen, dass die ehelichen Lebensverhältnisse nicht allein durch die vorhandenen Barmittel des erwerbstätigen, sondern auch durch den Einsatz des haushaltsführenden Ehegatten für die Familie mitbestimmt wurden und dieser kompensiert werden muss.157
bb) Nach einzelnen Unterhaltsgrundverhältnissen. Vor diesem Hintergrund sind Unter- 66 haltsleistungen nach der bürgerlich-rechtlichen Ausgestaltung der einzelnen Unterhaltsgrundverhältnisse in der nachfolgend zusammengefassten Art und Höhe geschuldet. Angesichts der Vielzahl der Fallgestaltungen muss im Einzelnen auf weiterführende familienrechtliche Literatur und Rechtsprechung, für die Berechnung des Barunterhaltes insbesondere auch auf die hierzu entwickelten tabellarischen Richtsätze verwiesen werden (vgl. Rdn. 44).
(1) Familienunterhalt. Für den Familienunterhalt (§§ 1360 ff BGB; entsprechend anwendbar 67 nach § 5 S. 2 LPartG), welcher den gemeinsamen ehelichen Aufwand für die Kosten des Haushaltes, der persönlichen Bedürfnisse und des Lebensbedarfes der Kinder erfasst (§ 1360a BGB), gibt das Gesetz nur einen äußeren Rahmen vor, innerhalb dessen Unterhalt sowohl durch Dienstoder Sachleistungen als auch durch im Voraus verfügbare Geldzuwendungen (§ 1360a Abs. 2 S. 2 BGB) geleistet werden kann. Dabei stellt § 1360 S. 2 BGB klar, dass Unterhalt auch die Führung des gemeinsamen Haushaltes bedeutet. Indem der Familienunterhalt auch den Unterhalt für die gemeinsamen Kinder umfasst (vgl. Weber-Monecke MK-BGB § 1360 Rdn. 8), bilden deren Erziehung und Pflege gleichwertige Unterhaltsleistungen. Unterhaltsleistung mit Barmitteln („Wirtschaftsgeld“) wird großteils durch unmittelbare Bestreitung der anfallenden Kosten der Haushaltsführung erbracht, insbesondere für die laufenden Aufwendungen für Ernährung, Kleidung und Wohnung, weiterhin für Ausgaben nach den individuellen Bedürfnissen der Ehegatten wie ärztliche Behandlung, kulturelle Betätigung, Freizeit, Urlaub, Berufsausbildung oder -fortbildung sowie ein frei verfügbares Taschengeld (vgl. BGH FamRZ 1998 608) für beide Ehegatten, weiterhin für einen gemäß der §§ 1601 ff BGB zu bestimmenden Lebensbedarf der Kinder. Der Umfang bestimmt sich nach einem anhand der Erwerbs- und Vermögensverhältnisse ausge156 Zur gesetzgeberischen Entwicklung durch Gleichberechtigungs-, Nichtehelichen-, und Erstem Ehe- und Familienrechtsreform – vgl. Dippel LK12 Rdn. 31. S. auch Johannsen/Henrich/Büttner Eherecht, 3. Aufl. § 1573 Rdn. 30; Heiß/ Heiß Handbuch des Unterhaltsrechts I Kap. 5.7 Rdn. 21 ff, 26; Maurer MK-BGB4 § 1578 Rdn. 59; Borth FamRZ 2001 193 ff; Gerhardt FamRZ 2000 134 ff. 157 Dieser verzichtet im Regelfall nicht allein um der Familie und Kinder willen, sondern auch, um die finanzielle Versorgung der Familie durch den anderen, erwerbstätigen Ehegatten zu sichern und diesem ein besseres berufliches Fortkommen zu ermöglichen, auf eine eigene Erwerbstätigkeit und höhere Alterssicherung; vgl. BGHZ 148 105; BTDrucks. 7/650 S. 129, 136; 7/4361 S. 15. 523
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richteten „angemessenen“ Maßstab (§ 1360 Abs. 1 S., § 1360a Abs. 1 BGB, vgl. Jauernig/Budzikiewicz § 1360a Rdn. 1 ff). Erst durch die Trennung wird die Pflicht, zum Familienunterhalt beizutragen, zu einer individuellen Unterhaltspflicht gegenüber dem Ehegatten umgeformt (§ 1361 S. 1 BGB).
68 (2) Verwandtenunterhalt. Für den Verwandtenunterhalt stellt § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB klar, dass der ein minderjähriges Kind betreuende Elternteil seinen Unterhaltsbeitrag in der Regel durch die Pflege und die Erziehung des Kindes erfüllt. Die Vorschrift gilt für unterhaltspflichtige Großeltern entsprechend,158 nicht aber für unterhaltsberechtigte sog. privilegierte Kinder iSv § 1603 Abs. 2 S. 2 BGB.159 Im Übrigen besteht die Unterhaltsleistung gemäß § 1612 BGB in einer monatlich im Voraus zu zahlenden Geldrente (Barunterhalt), wenngleich hiervon abweichend Naturalleistungen unter Abzug ihres Wertes vom Barunterhalt vereinbart (vgl. BGH NJW 1997, 731: Wohnraumüberlassung), im Ausnahmefall des § 1612 Abs. 1 Satz 2 BGB seitens des Pflichtigen auch verlangt werden können (z. B. bei Aufnahme und Pflege eines Elternteiles). Die Höhe richtet sich – neben dem konkreten Maß der Bedürftigkeit – nach dem gesamten Lebensbedarf des Berechtigten (§ 1610 Abs. 2 BGB) und qualitativ nach seiner Lebensstellung (§ 1610 Abs. 1 BGB: „angemessener Unterhalt“). Bis zum Ende der Ausbildung und einer eigenen Lebensstellung bestimmt die jeweils gegenwärtige wirtschaftliche Lage der Eltern den Bedarf eines Kindes (abgeleitete Lebensstellung);160 hiernach gewinnt – wie bei anderen, volljährigen Verwandten – ein generalisierter Bedarf Bedeutung (vgl. BGH FamRZ 2012, 1553). Maßgeblich sind die zusammenzurechnenden Einkünfte beider Eltern (BGH NJW 2017 1881, 1882; NJW 2004 677). Für die Bedarfsermittlung können entweder konkret die einzelnen Bedarfspositionen festgestellt oder pauschaliert auf Tabellen, für den Kindesunterhalt insbesondere die Düsseldorfer Tabelle, zurückgegriffen werden. Einen Mindestunterhalt bestimmt § 1612a BGB.
69 (3) Betreuungsunterhalt. Der Betreuungsunterhalt (§ 1615l BGB) richtet sich nach der Lebensstellung des Betreuenden und ist gemäß § 1615l Abs. 3 S. 1, § 1612 BGB in Geld zu entrichten. Maßgeblich ist – auch nach längerem Zusammenleben der unverheirateten Eltern – nicht die zurückliegende beiderseitige Erwerbssituation, die Einkommenssituation des Unterhaltsschuldners oder der konkrete Bedarf des Unterhaltsgläubigers, sondern das hypothetisch erzielte Einkommen ohne die Geburt.161 Dabei ist von einem Mindestbedarf in Höhe des Existenzminimums auszugehen, gleichzusetzen mit dem Selbstbehalt eines nichterwerbstätigen Unterhaltspflichtigen (BGH NJW 2010 937). Der Selbstbehalt des Unterhaltsschuldners liegt zwischen dem angemessenen (§ 1603 Abs. 1 BGB) und notwendigen (§ 1603 Abs. 2 BGB) Selbstbehalt (BGH NJW 2005 500).
70 (4) Trennungs- und nachehelicher Unterhalt. Für den Trennungs- und Scheidungsunterhalt besteht die Unterhaltsleistung gemäß § 1361 Abs. 4, § 1585 Abs. 1, § 1612 BGB in einem monatlich im Voraus zu zahlenden Barunterhalt; abweichende Vereinbarungen sind auch hier möglich (vgl. BGH NJW 1997 731: Wohnraumüberlassung). Maßgeblich sind – bei Abweichungen im Einzelnen abhängig von der Unterhaltsart – die früheren ehelichen Verhältnisse und das beiderseitige Einkommen (§ 1361 Abs. 1, § 1578 BGB). Bezweckt ist die Bewahrung des erreichten Lebensstandards; heranzuziehen hierfür ist grundsätzlich das zurzeit der Trennung verfügbare, 158 LG Limburg DAVorm. 51 (1978) 359. 159 Nach BGH NJW 2002 2026 besteht diesen gegenüber grdsl. Barunterhaltspflicht. 160 Vgl. BGH FamRZ 1997 281; 1996 160; 1987, 58; NJW-RR 1986 426, für Ausbildung und Studium s. etwa BGH NJW-RR 1986 126; FamRZ 2017 799.
161 Vgl. BGH FamRZ 2015 1369, 373; NJW 2005 818; OLG Köln FamRZ 2017 1309. Wiedner
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um abziehbare Belastungen bereinigte Nettoeinkommen, korrigiert in Extremfällen besonders sparsamer oder verschwenderischer Lebensführung anhand eines objektiven Maßstabes, beim Trennungsunterhalt ferner bereinigt um Veränderungen zwischen Trennung und Scheidung und unter besonderer Berücksichtigung nicht prägenden Einkommens (vgl. überblickshalber Jauernig/Budzikiewicz § 1361 Rdn. 7 ff, § 1578 Rdn. 2 ff). Der Unterhaltsanspruch entfällt beim Trennungsunterhalt, soweit der bedürftige Ehegatte sich nach seinen persönlichen Verhältnissen und dem Maßstab des § 1361 Abs. 2 BGB selbst versorgen kann; beim Scheidungsunterhalt bildet er unter stärkerer Betonung der Erwerbsobliegenheit eine Ausnahme. Einkommensverbesserungen nach der Scheidung sind nur dann als eheprägend zu berücksichtigen, wenn ihnen eine bereits bei Bestehen der Ehe angelegte und absehbare Entwicklung zugrunde lag.162 Die §§ 12 Abs. 1, § 16 Abs. 1 LPartG nehmen auf diese Regelungen Bezug.
cc) Bedarf. Der Unterhalt erfasst bei laufender Entrichtung den allgemeinen Lebensbedarf, 71 mithin den Aufwand für Ernährung, Kleidung, Wohnung und Heizung, daneben auch Mittel für die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben und ein angemessenes Taschengeld zur freien Verfügung. Hierin erschöpft er sich aber nicht. Da der Unterhalt den gesamten Bedarf des Unterhaltsbedürftigen abdecken muss, gehört hierzu auch der sog. Mehrbedarf, mithin solche Aufwendungen, welche wegen besonderer Lebensumstände laufend entstehen, über einen pauschalierten Regelbedarf hinausgehen und gleichfalls in laufender Zahlung abgedeckt werden müssen (vgl. Ebert NZFam 2016 438; Schwab Rdn. 1061, 1068). Beispiele sind – insoweit allerdings regelmäßig zu einem Großteil durch Versicherungsleistungen abgedeckte – chronische Erkrankungen oder eine Behinderung des Unterhaltsberechtigten, Kosten von Sonderunterricht und Nachhilfe (BGH NJW 2013 2900; OLG Düsseldorf NJW-RR 2005 1529), der Besuch sonderpädagogischer Einrichtungen (BGH FamRZ 2018 23), ein Schuljahr oder Studiumsteile im Ausland (BGH FamRZ 1992 1064; OLG Schleswig FamRZ 2006 888; OLG Hamm FamRZ 1984 1281), Beiträge und Ausrüstung für die Ausübung von Hobby und Sport (OLG Hamm FamRZ 2013 139). Vorauszusetzen ist, dass der Unterhaltsberechtigte den hierdurch entstehenden Mehraufwand aus dem laufenden Unterhalt für den allgemeinen Lebensbedarf zumutbarerweise nicht bestreiten kann. Zudem müssen Sachgründe vorliegen um die Mehrkosten zu Lasten des Unterhaltspflichtigen anzuerkennen (OLG Frankfurt NJW-RR 2015 260). Einen Sonderbedarf bildet nach der Legaldefinition in § 1613 Abs. 2 Nr. 1 BGB ein unregelmäßiger, außergewöhnlich hoher Bedarf, mithin ein Teil des Lebensbedarfs, der wie Mehrbedarf das Übliche übersteigt, aber unvorhergesehen auftritt und bei Bemessung des laufenden Unterhaltes nicht berücksichtigt werden konnte.163 Beispiele sind punktuell entstehende und aus dem allgemeinen Unterhalt nicht bestreitbare Kosten wegen Unfalls, akuter Krankheit (auch für einen Betreuer, OLG Koblenz FPR 2002 310), Operation, aufwändiger Zahnbehandlung, Aufwendungen durch Geburt,164 eines Schüleraustauschs (OLG Karlsruhe FamRZ 1988 1091; anders OLG Hamm FamRZ 2011 1067), kurzfristigen Umzugs oder Berufswechsels. Auch hier darf die Anerkennung nicht zu einer unbilligen Lastenverteilung zwischen dem Unterhaltspflichtigen und dem Unterhaltsberechtigten führen (vgl. BGH NJW 1982 28, 330). Anders als unter den von § 1613 Abs. 1 BGB aufgestellten erschwerten Bedingungen kann Sonderbedarf die Dauer von einem Jahr uneingeschränkt rückwirkend
162 Zu den „BGHZ 171 206 = BGH NJW 2007 1961 mit Anm. Graba NJW 2007 1961 Gernhuber/Coester-Waltjen § 30 Rdn. 131; Göppinger/Wax/Bäumel Rdn. 1083; Schwab Rdn. 439 ff. Zu den „wandelbaren ehelichen Lebensverhältnissen“ vgl. BGHZ 175, 182 179, 196 sowie BVerfGE 128, 193. 163 BGH NJW 2006, 1509; NJW 1982 328, 329; FamRZ 1984 470, 472; Palandt/Diederichsen68 § 1613 Rdn. 18. . 164 So nach h. M. für eine Säuglingserstausstattung, OLG Oldenburg NJW-RR 1999, 1163; OLG Nürnberg FamRZ 1993, 995; OLG Hamm FamRZ 1980, 478; aA wegen Vorhersehbarkeit LG Bochum FamRZ 1991, 1477; LG Düsseldorf FamRZ 1975, 279. Auch eine Kinderzimmereinrichtung kann darunter fallen, nicht aber bei späteren, langfristig voraussehbaren altersbedingt nötigen Veränderungen (vgl. OLG Koblenz FamRZ 1982 424). 525
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geltend gemacht werden (§ 1613 Abs. 2 Nr. 1 BGB iVm § 1360a Abs. 3, § 1361 Abs. 4, § 1585b Abs. 1 BGB).
72 dd) Leistungsmodalitäten, Ersatzleistung, § 1612 Abs. 2 BGB. Beim Familienunterhalt sind die Barmittel („Wirtschaftsgeld“) im Voraus zur Verfügung zu stellen (§ 1360a Abs. 2 S. 2 BGB); auf genauere Vorgaben verzichtet das Gesetz (zu Vorauszahlungen s. aber Rdn. 73). Hinsichtlich der weiteren Unterhaltsarten ist Barunterhalt nach § 1361 Abs. 4, § 1585 Abs. 1, § 1612 BGB monatlich im Voraus zu zahlen. Fälligkeit tritt zum Monatsersten ein; bis zu diesem Zeitpunkt muss die Zahlung dem Berechtigten grundsätzlich zur Verfügung stehen. Üblich und hinzunehmen ist eine Zahlung bis spätestens zum dritten Kalendertag. Es handelt sich um eine Geldschuld im Sinne von § 270 BGB, so dass den Unterhaltsschuldner das Risiko der Übermittlung trifft. Unabhängig von der Einordnung der Schuldart als qualifizierte Schick- oder Bringschuld und der Zuordnung der Verzögerungsgefahr ergibt sich aus dem Charakter der Schuld und ihrem Zweck, dass der Unterhaltsschuldner dafür Sorge zu tragen hat, dass dem Berechtigten der Barunterhalt rechtzeitig zugeht. Die Übermittlungsart obliegt der Vereinbarung der Parteien; der übliche Weg einer Banküberweisung kann dem Unterhaltsschuldner – abgesehen von Fällen zurechenbarer Erfolglosigkeit wie bei einer Kontoüberziehung – nur dann als eine nicht hinreichende Erfüllung angelastet werden, wenn ausdrücklich anderes vereinbart war. 73 Da er die Unterhaltsschuld insgesamt im Voraus für einen Monat schuldet, ist der Unterhaltsschuldner zu Teilleistungen nicht berechtigt (Ausn. bei Sonderbedarf nach § 1613 Abs. 3 BGB). Bei untermonatigem Eintritt des Unterhaltsfalles ist bei Verwandtenunterhalt unter den Voraussetzungen von § 1613 Abs. 1 S. 2 BGB eine Zahlung zum Monatsersten geschuldet, im Übrigen anteilige Zahlung. Vorauszahlungen entlasten in den Fällen des Familien-, Verwandtenund Trennungsunterhalt nur für die Dauer von drei Monaten, wegen des Zweckes der Bedarfssicherung darüber hinaus nicht (§ 1614 Abs. 2, § 760 Abs. 2 BGB; Bezug hierauf in § 1360a Abs. 3, § 1361 Abs. 4 S. 4 BGB). Sofern der Berechtigte wegen Verlustes, Verschwendung oder unrichtiger Einteilung erneut Mittel zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes benötigt, lebt die Unterhaltspflicht daher wieder auf. Die Beschränkung besteht für den nachehelichen Unterhalt nicht, so dass sich der Unterhaltsschuldner durch Vorausleistungen hier für beliebig lange Zeit befreien kann. Unterhaltsrückstände können geltend gemacht werden unter den Voraussetzungen von § 1613 BGB (iVm § 1360a Abs. 3, § 1361 Abs. 4, § 1585b Abs. 1 BGB).165 74 Für Ersatzleistungen des Unterhaltsschuldners gilt: Zahlungen anstelle von Sachleistungen sind möglich, sofern der Unterhaltsberechtigte damit einen vollständigen wirtschaftlichen Ausgleich erfährt. Der zur Dienstleistung verpflichtete Unterhaltsschuldner kann sich demgegenüber seiner Pflicht nicht durch Zahlung entledigen; insbesondere einer durch Abrede oder Sorgerechtsregelung getroffenen Betreuungspflicht würde er sich entziehen, selbst wenn ausreichende Geldmittel für eine Fremdwahrnehmung zur Verfügung stünden. Muss der Bedürftige mangels Versorgung, Erziehung und Pflege behördlich in einem Heim untergebracht werden, so entlastet die Bereitschaft zur Zahlung der entstehenden Kosten den Unterhaltsschuldner nicht (vgl. Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 16/17). Erst die für die Folgezeit auflaufenden Unterbringungskosten sind von ihm in Geld zu erbringen.166 Die von dem Unterhaltsschuldner selbst vorgenommene Einschaltung von Gehilfen zur Erfüllung von Unterhalts(dienst)leistungen ist dagegen grundsätzlich unbedenklich. Dies gilt für die zeitweise Einschaltung von Haushaltshelfern, Tagesmüttern, Betreuungseinrichtungen u. ä. ebenso wie für eine weitreichende Delegierung der Betreuungspflichten durch Vollzeitkräfte oder etwa eine Internatsaufnahme oder Betreuung durch eine Pflegefamilie (OLG Düsseldorf FamRZ 1988 1195). Ob dem Kind hierbei noch ausreichende elterliche Zuwendung zuteil wird (vgl. LG Wiesbaden FamRZ 1974 99), 165 Zu Besonderheiten der Strafbarkeit vgl. Rdn. 76 ff. 166 Vgl. OLG Celle NJW 1962 1832; OLG Köln FamRZ 1964 477; OLG Hamm NJW 1958 640. Wiedner
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fällt aus der unterhalts- und strafrechtlichen Prüfung bis auf Fälle offensichtlicher seelischer Schädigung und Depravation heraus. In umgekehrter Richtung kann der zur Geldzahlung verpflichtete Unterhaltsschuldner sich seiner Pflicht nicht durch das Anerbieten einer Betreuung entlasten, sofern er sie nicht tatsächlich in Ersatz des sich entziehenden Betreuungspflichtigen wahrnimmt. Auch bei einem Wechselmodell der Eltern tritt eine Befreiung von der Barunterhaltspflicht im Regelfall nicht ein; vielmehr kommt eine beiderseitige Verpflichtung zum Barunterhalt in Betracht.167 Natural- und Barunterhalt ergänzen sich hier und bilden jeweils eine teilweise Erfüllung des Unterhaltsanspruches (BGH NJW 2017 1676), so dass auch die Verweigerung einer Unterhaltsart durch den jeweiligen Elternteil zur Strafbarkeit nach § 170 führen kann. Als Leistungsbestimmungsrecht gewährt § 1612 Abs. 2 BGB unterhaltspflichtigen Eltern 75 gegenüber ihren unverheirateten Kindern die Möglichkeit festzulegen, auf welche Art und für welche Zeit im Voraus der Unterhalt geleistet wird. Umfasst sind Abweichungen von der grundsätzlichen Pflicht zur Zahlung von Barunterhalt und abweichende zeitliche Abstände der Zahlung. Die Regelung erlaubt eine flexible Handhabung der Unterhaltsleistung etwa in Fällen, in denen ein – auch volljähriges – Kind von einem zum anderen Elternteil umzieht (vgl. OLG Schleswig NJW-RR 1998 580), Änderungen im Wechselmodell vollzogen werden oder die Lebensgestaltung sich ändert (vgl. OLG Schleswig OLGR 2008 196: freiwilliges soziales Jahr). Das Bestimmungsrecht steht den Eltern grundsätzlich gemeinsam zu. Bei minderjährigen Kindern kann ein Elternteil, dem die Sorge für die Person des Kindes nicht zusteht, eine Bestimmung nur für die Zeit treffen, in der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen ist (§ 1612 Abs. 2 S. 3 BGB). Ist dieser Elternteil – wie regelmäßig – barunterhaltspflichtig, soll allerdings auch ein längerer Aufenthalt keine Befugnis geben, in Ausübung des Bestimmungsrechtes den Barunterhalt zugunsten eines Naturalunterhaltes zu kürzen.168 Gegenüber einem volljährigen Kind kann von beiderseits unterhaltspflichtigen Eltern das Bestimmungsrecht grundsätzlich derjenige ausüben, von dem das Kind den Unterhalt verlangt (BGH FamRZ 1984 37). Befreiende Wirkung hat die Leistung entsprechend der geänderten Bestimmung aber nur, wenn diese auf die Belange des Kindes hinreichend Rücksicht nimmt, insbesondere der Lebensbedarf gedeckt bleibt (vgl. OLG Hamm FamRZ 1999 104; OLG Schleswig FamRZ 1988 1195) und der geänderte Unterhalt für das Kind wahrnehmbar ist (BGH NJW-RR 1988 582; NJW 1992 974);169 auch muss die Bestimmung im Hinblick auf den Unterhaltsverpflichteten angemessen sein. Nach Wegfall der gesonderten Überprüfungs- und Abänderungsbefugnis durch die Familiengerichte (§ 1612 Abs. 2 S. 2 BGB a. F.) ist über die Wirksamkeit der Bestimmung zusammen mit der Auseinandersetzung über die Höhe des Unterhalts zu entscheiden (vgl. Erdrich FPR 11 [2005] 492).
ee) In strafrechtlicher Hinsicht ist für die Frage, welche konkrete Handlung zur Erfüllung 76 der Unterhaltspflicht der Unterhaltsschuldner unterlassen hat, die sich aus den vorbezeichneten bürgerlich-rechtlichen Vorschriften und Grundsätzen ergebende Art der Unterhaltsgewährung maßgeblich. (1) Vorenthaltung von Barunterhalt. Die unterbliebene Leistung von Barunterhalt bildet 77 den von § 170 erfassten Regelfall. Maßgeblich sind die nach den vorstehenden Grundsätzen zu beurteilende Höhe und die Fälligkeit der Unterhaltspflicht. Auch kurzzeitige, den Fälligkeitszeitpunkt überschreitende Verzögerungen oder geringe Unterschreitungen des geschuldeten Betrages führen zur Strafbarkeit. Unterhaltsrückstände sind als solche nur dann strafbar, wenn 167 Vgl. BGH FamRZ 2015 238; NJW 2017 1676; zu den vielgestaltigen Möglichkeiten der Betreuungsaufteilung vgl. Langeheine MK-BGB § 1606 Rdn. 43 ff. 168 BGH NJW 2007 1882 mit Anm Born NJW 2007 1859; BGH FamRZ 1984 470 (472).; großzügiger OLG Hamm FamRZ 1994 429; krit. Born FÜR 2008 88; Luthin FamRZ 2007 710. 169 S. auch BGH NJW 1996 1917 für entgegenstehende Studienplatzzuweisung. 527
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Verletzung der Unterhaltspflicht
der Unterhaltspflichtige sie trotz zulässiger Forderung nach § 1613 BGB nicht nachentrichtet. Zu beachten ist insoweit allerdings, dass schon in der fehlenden Leistung zum ursprünglichen Fälligkeitszeitpunkt regelmäßig ein strafbares Unterlassen nach § 170 liegen wird (anders bei rückwirkender Statusänderung, vgl. Rdn. 128 ff); eine Nachforderung ist hierfür ohne Belang. Ist über einer Unterhaltspflichtverletzung am Fälligkeitszeitpunkt oder eine unterbliebene Nachentrichtung entschieden, ist wegen der Identität der Leistung Strafklageverbrauch eingetreten.
78 (2) Vorenthaltung von Sachleistungen. Auch die Vorenthaltung von Sachleistungen kann sich als tatbestandsmäßig darstellen. Stellt der Unterhaltspflichtige die ihm nach zulässiger unterhaltausformender Abrede obliegende Versorgung mit Sachgütern ein, stellt er etwa Wohnraum nicht mehr zur Verfügung, verletzt er seine Unterhaltspflicht. Dem gleichzusetzen ist der Fall, dass der Pflichtige Zahlungen an Dritte unterlässt, die er an Stelle unmittelbarer Geldzuwendungen an den Unterhaltberechtigten geleistet hatte, und die den Lebensbedarf des Unterhaltsberechtigten sicherstellen sollten – etwa Mietzahlungen oder Beitragszahlungen für Betreuung, Versicherung u. ä. –, und dass es dem Berechtigten infolgedessen an der für den Lebensbedarf notwendigen Sach- oder Dienstleistung des Dritten fehlt. Dies gilt selbstredend nur insoweit, wie der Unterhaltsschuldner den Berechtigten nicht anderweitig, insbesondere durch höhere Zahlung von Barunterhalt kompensiert. Eine hierin liegende eigenmächtige Änderung getroffener Abreden führt jedenfalls deshalb nicht zur Strafbarkeit, weil eine Gefährdung des Lebensbedarfes des Unterhaltsberechtigten durch solches Verhalten nicht eintritt.
79 (3) Dienstleistungen. Hinsichtlich einer dem Unterhaltspflichtigen obliegenden Dienstleistung, namentlich der Pflicht zur Haushaltsführung und der Pflege und Erziehung von Kindern nach § 1360 S. 2, § 1360a, § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB, § 5 LPartG ist umstritten, ob sie von dem strafrechtlichen Schutz des § 170 erfasst wird.170 Die hierüber intensiv geführte Diskussion steht im Missverhältnis zur praktischen Bedeutung der Frage, die sich bei nicht zumindest in Trennung befindlichen (Ehe- oder Lebens-)Partnern nur in seltenen Ausnahmefällen stellen und gerichtlicher Beurteilung unterliegen wird.171 Zudem vertritt eine Mehrzahl der eine restriktive Auslegung von § 170 befürwortenden Stimmen die Auffassung, dass jedenfalls bei eklatanter Schlechterfüllung der Leistungspflicht eine Strafbarkeit in Betracht kommt,172 so dass weniger eine qualitative Herausnahme einer bestimmten Art des Unterhaltes als vielmehr die Frage, ab welcher quantitativen „Schlechtleistung“ eine Verletzung der grundsätzlich strafbewehrten Pflicht zu bejahen ist, im Streit steht. 80 Die eine Strafbarkeit verneinende Auffassung macht geltend, dass sich bei Einbeziehung unterbliebener oder unzureichend erbrachter Dienstleistungen bereits eine dem Bestimmtheitsgebot Rechnung tragende Abgrenzung strafrechtlich bedeutsamen Verhaltens nicht treffen lasse, da 170 Bejahend OLG Hamm JZ 1962 1547; NJW 1964 2316; Dippel LK12 Rdn. 32; SSW/Wittig Rdn. 7; Lackner/Kühl/ Heger Rdn. 5; ablehnend OLG Karlsruhe JZ 1973 600 mit zust.Anm. Seebode; Schall SK Rdn. 13; ders. FS Maiwald S. 753, 755; Ritscher MK Rdn. 12; Fischer Rdn. 3; Maurach/Schroeder/Maiwald BT/2 § 63 Rdn. 20; Sch/Schröder/ Bosch/Schittenhelm Rdn. 16/17. Auch BVerfGE 50 142 nimmt einen uneingeschränkten Bezug von § 170 (§ 170b a. F.) auf die Unterhaltsvorschriften des Bürgerlichen Rechts an und hält dementsprechend eine Strafbarkeit durch Vernachlässigung seitens des Sorgeberechtigten, ggf. in Tateinheit mit § 171 StGB (§ 170d StGB a. F.) für verfassungsgemäß. 171 Vgl. OLG Hamm NJW 1964 2316 zu dem Fall einer Ehefrau, die sich während der krankheitsbedingten Abwesenheit des Ehemannes mit einem anderen Mann auf Reisen begab und für Monate unauffindbar blieb. Da die Haushaltsführung und die Betreuung gemeinsamer Kinder sich nicht als Leistungen zur Erfüllung des Trennungsoder nachehelichen Unterhaltes darstellen, die Kinderbetreuung vielmehr nur einen Parameter für die Erwerbsobliegenheit und damit die Unterhaltspflicht des nicht-betreuenden Ehegatten bildet (vgl. § 1570 BGB; Weber-Monecke MK-BGB § 1361 Rdn. 55), stellt sich das Problem in der konfliktgeprägten Zeit der Trennung und Scheidung nicht. 172 Vgl. Schall SK Rdn. 40; Ritscher MK Rdn. 13. Wiedner
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II. Objektiver Tatbestand von Abs. 1
StGB § 170
das genaue Ausmaß der geschuldeten Leistung sich rechtlichen Maßstäben entziehe (vgl. Ritscher MK Rdn. 12; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 16/17); dies gelte umso mehr, als es sich teilweise um höchstpersönliche, in ihrer Handhabung im Einzelnen nicht kontrollierbare und nach § 888 Abs. 2 ZPO nicht zwangsweise durchsetzbare Pflichten handele,173 die im Übrigen bereits von dem strafrechtlichen Schutz nach § 171 StGB hinreichend erfasst seien. Weiter wird beanstandet, dass die erst nachträgliche Einbeziehung der Pflichten aus dem Unterhaltsrecht zu einer durch den Gesetzgeber nicht vorgesehenen174 Erweiterung des Tatbestandes führe. Die beachtlichen Argumente vermögen im Ergebnis nicht zu überzeugen. § 170 nimmt die gesetzliche Unterhaltspflicht schlechthin in Bezug und lässt keinen Raum für einen engeren – zu eigenen Abgrenzungs- und Bestimmtheitsproblemen führenden – strafrechtlichen Unterhaltsbegriff. Auch nicht andeutungsweise lässt sich dem Wortlaut eine Begrenzung der strafbewehrten Pflicht auf die Leistung von Barunterhalt entnehmen, so dass einer etwaig entgegenstehenden gesetzgeberischen Intention maßgebliche Bedeutung nicht zukommt. Demgegenüber besitzt die grundsätzliche – auch unterhaltsrechtliche – Gleichwertigkeit von Erwerbsarbeit einerseits und Haushaltsführung sowie Kinderbetreuung andererseits (s. Rdn. 67) Verfassungsrang,175 hat ihren gesetzlichen Ausdruck in den Vorschriften der § 1360 S. 2, § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB176 gefunden und entspricht nicht zuletzt der gesellschaftlichen Realität, in welcher sich Haushaltsführung und Kinderbetreuung unabhängig von der Frage einer rechtlichen Monetarisierung bei der Unterhaltsberechnung177 und Motiven des Betreuenden, dessen Tätigkeit in erster Linie von persönlicher Verbundenheit und Zuwendung getragen sein wird, auch als geldwerte Leistungen darstellen, die häufig auf bezahlte Private oder öffentlich-rechtliche Träger zumindest teilweise ausgelagert werden. Sie geht als originäre Pflicht über eine bloße Freistellung von Barunterhalt im Sinne einer Ersetzungsbefugnis178 hinaus. Der ursprünglich aus Art. 6 GG zum Schutz des Unterhaltsverpflichteten, aber auch des betreuten Kindes hergeleiteten Bedeutung familiärer Dienstleistungen zur Erfüllung des Unterhaltes entspricht es, sie ebenso wie den unterhaltsrechtlich gleichwertigen Barunterhalt als Pflicht zu begreifen und strafrechtlichem Schutz zu unterstellen. Bedenken hiergegen folgen noch nicht aus der Erweiterung des Unterhaltsbegriffes; erfassen Strafgesetze bereits generell Sachverhalte, die der Gesetzgeber nicht erwogen hat, gleichgültig, ob sie übersehen worden oder, wie hier, durch spätere tatsächliche und rechtliche Veränderungen entstanden sind (zutreffend Dippel LK12 Rdn. 32), so gilt dies erst recht für Blankettvorschriften der vorliegenden Art, welche naturgemäß Veränderungen des in Bezug genommenen Regelungsgefüges nachvollziehen. Abgrenzungsschwierigkeiten stellen sich in gleicher Weise wie bei anderen Strafvorschriften der unteren und mittleren Kriminalität, welche regelmäßig einen breiten Grenzbereich zu sozial noch toleriertem Verhalten aufweisen. Der Gegenauffassung zuzugeben ist, dass sich eine Betreuung im Verwandtschaftsverhältnis als weitgehend höchstpersönliche Leistung darstellt und eine Überprüfung der „Ordnungsgemäßheit“ erbrachter Haushaltsleistungen an Grundsätzen der Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit scheitert (so Fischer Rdn. 3); hieraus kann aber nur folgen, dass eine strafrechtliche Erheblichkeit sich – weitab von der durch die Gegenauffassung befürchteten Sozialkontrolle – erst dann feststellen lässt, wenn eine ganz gravierende Schlechterfüllung vorliegt, durch die der Lebensbedarf des Berechtigten gefährdet wird, wie es insbesondere bei
173 So insb. Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 30 sowie Welzel FS Mayer S. 397 f. S. auch Geilen FamRZ 1967 419 mit einem Argument einer rechtlich nicht zu erzwingenden ehelichen Treue; hiergegen zu Recht Dippel LK12 Fn. 123 unter Hinweis auf die unterschiedliche Zielrichtung der davon zu trennenden Kinderbetreuungspflicht. Seiner Pflicht zur Haushaltsführung kann sich der Ehepartner im Übrigen jederzeit durch Trennung entziehen. 174 Schall SK Rdn. 13 verweist insoweit auf die aus den Materialien zum 4. StrRG, BTDrucks. 6/1552 S. 12 und BTDrucks. 6/3521 S. 13 ff, hervorhgehende pekuniäre Ausrichtung von § 170. 175 Vgl. BVerfGE 37 217, 251; 47 1, 24; 53 257, 296; 105 1; BVerfG FamRZ 1999 285, 288. 176 Für den nachehelichen Unterhalt stellt auch § 1579 Nr. 6 BGB einen Konnex zu – allerdings nicht ausdrücklich benannten – Dienstleistungen im Rahmen des Familienunterhaltes her, vgl. Göppinger/Wax/Bäumel Rdn. 1178. 177 Vgl. hierzu BGH FamRZ 2006 1597; NJW 2017 1881; Langeheine MK-BGB § 1606, Rdn. 37 ff. 178 So Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 16/17; Fischer Rdn. 3; Schall FS Maiwald S. 753, 761. 529
Wiedner
§ 170 StGB
Verletzung der Unterhaltspflicht
gänzlicher Verweigerung des Pflichtigen oder einer Verwahrlosung und Gesundheitsgefährdung der zu betreuenden Kinder der Fall sein wird (vgl. Schall Rdn. 40).179 Überschneidungen zu § 171 sind gegeben, lassen sich angesichts der unterschiedlichen Schutzgüter aber nicht im Sinne einer Spezialität begreifen und bieten für sich genommen zu Einschränkungen des Tatbestandes keinen Anlass.
81 e) Leistungsfähigkeit. Die am Bedarf und der Bedürftigkeit des Unterhaltsschuldners ausgerichtete gesetzliche Unterhaltspflicht besteht nur bei Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners. Diese bestimmt sich nach zivilrechtlichem Maßstab; im Strafverfahren ist sie selbständig zu ermitteln.
82 aa) Allgemeines. Das Merkmal der Leistungsfähigkeit auf Unterhaltsschuldnerseite korreliert mit dem Merkmal der Bedürftigkeit auf Seiten des Unterhaltsgläubigers. In gleicher Weise, in der unterhaltsberechtigt nur der ist, der sich nicht selbst unterhalten kann (§ 1602 Abs. 1 BGB), ist auch unterhaltspflichtig nicht, wer zur Gewährung des Unterhalts außerstande ist (§ 1603 Abs. 1, § 1581 S. 1 BGB). Ob das Merkmal der Leistungsfähigkeit als – weitere – Voraussetzung der gesetzlichen Unterhaltspflicht einzustufen ist,180 mithin als zivilrechtliche Vorgabe, auf die der Tatbestand des § 170 Bezug nimmt, ob es sich um ein gesondertes, ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal handelt,181 oder ob es erst im Rahmen der Tathandlung des Sich-Entziehens zu berücksichtigen ist,182 bleibt praktisch unerheblich, da sich unterschiedliche Ergebnisse hieraus nicht herleiten lassen.183 Nach allen Auffassungen ist die Leistungsfähigkeit als Teil des objektiven Tatbestandes zu betrachten, so dass sich die fälschliche Annahme des Täters, nicht oder nicht ausreichend zur Unterhaltsleistung in der Lage und daher dazu nicht verpflichtet zu sein, als Tatbestandsirrtum darstellt.184 Einigkeit besteht auch darüber, dass sich die Beurteilung ohne strafrechtliche Modifikationen nach einem rein zivilrechtlichen Maßstab richtet (s. nur BayObLGSt 2002 71).185 Die verfahrensrechtliche Möglichkeit einer Festsetzung des Kindesunterhaltes ohne Überprüfung der Leistungsfähigkeit nach § 249 ff FamFG bleibt, da es sich um eine prozessuale, nur vorläufige Regelung handelt, die dem Pflichtigen im streitigen Verfah179 Eine Pönalisierung unzureichender Haushaltsführung ist auch deshalb nicht zu besorgen, weil in der gänzlich fehlenden Leistungsbereitschaft sich häufig ein Trennungsverlangen oder eine Uneinigkeit über die ursprünglich in gemeinsamer Entscheidung getroffenen Arbeits- und Aufgabenzuweisung bei Aufteilung des Familienunterhaltes erblicken lassen wird, so dass bereits die fortbestehende Pflicht überprüft werden muss, und – anders als im Rahmen der Kinderbetreuung – eine Gefährdung des Lebensbedarfs kaum feststellbar sein wird. 180 OLG Koblenz NStZ 2005 640, 641; Schall SK Rdn. 27; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 19; SSW/Wittig Rdn. 10; Dippel LK12 Rdn. 36, 39; Möller FamK 32 (2005) 134; Eggert S. 131 ff.; s. auch Ritscher MK Rdn. 36. Zivilrechtlich wird die Leistungsfähigkeit der Unterhaltspflicht zugerechnet, vgl. BGH NJW 1985 732, 733. 181 So die h. M., BayObLGSt 1960 167; 1988 91, 92; 199 55, 56; 2001 91;StV 1983 418; StV 2001 91; OLG Köln NJW 1981 63; 558; FamRZ 1976 119; NJW 1953 217, 218; OLG Koblenz NStZ 2011 423; GA 1975 28; OLG Hamm NStZ-RR 2009 236; StraFo 2003 9; NStZ-RR 1998 207, 208; OLG Zweibrücken StV 1986 531; OLG Bremen NJW 1955 1606, 1607; OLG Braunschweig NJW 1953 423; OLG Celle NJW 1984 317; OLG Hamburg NStZ 1984 167; OLG Oldenburg NJW 1953 917; KG, Urteil vom 10. 06.1999 – (5) 1 Ss 47/98 (juris); Becker NJW 1955 1906; Fischer Rdn. 8; Frommel NK Rdn. 8; Dornis FRB 7 (2008) 22; Hellmer ZStW 70 (1958) 367; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 8; Mattmer NJW 1967 1593; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 63 Rdn. 34; vgl. auch Neudek S. 51; Frenzel S. 70. 182 So OLG Bremen JR 1961 226, 227; OLG Schleswig SchlHA 200 (1953) 215, 216; so auch BGHSt 14 165, 166 f. 183 Auch die Autoren, welche eine Festlegung für unabdingbar halten, vermögen Fallgestaltungen mit unterschiedlicher Bewertung nicht darzutun, vgl. Eggert S. 132; Dippel LK12 Rdn. 39. 184 Vgl. OLG Köln NStZ 1992 337; KG, Beschl. v. 6.2.2007 – (4) 1 Ss 288/05 [juris]; vgl. Rdn. 206, 209. 185 Soweit spezifisch strafrechtliche, an Tat und Täter anknüpfende Wertungen Unterscheide zwischen Zivil- und Strafrecht hervorbringen können (vgl. Eggert Schutz S. 134 f; Mittelbach Anm. zu BayObLG JR 1964 306, 307; Neudek S. 51), können diese schon deshalb beachtet werden, weil der Strafrichter die Leistungsfähigkeit selbständig zu beurteilen hat; zutreffend Dippel LK12 Rdn. 39. Wiedner
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II. Objektiver Tatbestand von Abs. 1
StGB § 170
ren den Einwand mangelnder Leistungsfähigkeit nicht abschneidet (§ 255 FamFG),186 ohne Rückwirkung auf die materielle Zivilrechtslage. Da nach dieser, insbesondere den §§ 1581, 1603, 1615l Abs. 3 BGB, § 16 LPartG die Leistungsfähigkeit eine unabdingbare Voraussetzung der Unterhaltspflicht bildet,187 erscheint es folgerichtig, sie auch als Element der gesetzlichen Unterhaltspflicht iSv § 170 zu begreifen. Leistungsfähigkeit muss dabei bezogen auf den jeweiligen Tatzeitraum vorliegen, mithin 83 zu jedem – regelmäßig monatlichen – Zeitpunkt, an dem der Unterhaltsanspruch fällig wird. Tritt sie erst später ein, so entsteht grundsätzlich nicht nachträglich eine strafbewehrte Leistungspflicht (vgl. BGH NJW 1983 814). Für die Geltendmachung von Unterhaltsrückständen (§ 1613 BGB) ist dementsprechend zu differenzieren: Fehlte es im ursprünglichen Zeitpunkt an der Leistungsfähigkeit, ist eine Unterhaltspflicht und damit ein Rückstand gar nicht erst entstanden. Liegt ein Rückstand vor, ist strafrechtlich zunächst zu beurteilen, ob sich der Pflichtige im ursprünglichen Leistungszeitpunkt entzogen hat; ist dies – etwa wegen rückwirkend eintretender Leistungspflicht (vgl. Rdn. 128) – nicht der Fall, kommt es neben der Frage einer Gefährdung des Lebensbedarfs darauf an, ob eine aktuelle Leistungsfähigkeit auch bezüglich der Rückstände vorliegt. Besteht für den Unterhaltsschuldner nach seinen konkreten wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen nur die Möglichkeit, zu einem Teil des Unterhaltsbedarfs beizutragen, ist er insoweit leistungsfähig und damit unterhaltspflichtig. Der Strafrichter hat die Leistungsfähigkeit des Angeklagten ohne Bindung an etwaige zivil- 84 gerichtliche Entscheidungen eigenständig zu ermitteln und würdigen.188 Er ist dabei berechtigt, sich an den in der Rechtsprechung der Familiensenate der Oberlandesgerichte entwickelten unterhaltsrechtlichen Leitlinien und Tabellen zu orientieren.189 Ungeachtet seiner autonomen Beurteilung wird er im Regelfall auch die sich aus der familiengerichtlichen Rechtsprechung ergebende Feindifferenzierung zur Ermittlung der Leistungsfähigkeit zugrunde legen können, auch wenn sie zu Lasten des Unterhaltsschuldners strenge Anforderungen zur Annahme von Leistungsunfähigkeit stellt (s. näher nachfolgend unter lit. cc, Rdn. 88). Dies gilt auch für die Handlungspflichten, die dem Unterhaltsschuldner zur Herstellung und Nutzung seiner Arbeitsfähigkeit auferlegt sind (näher Rdn. 95 ff). Rechtstatsächlich bildet die Frage der Leistungsfähigkeit, ablesbar an der hierzu ergange- 85 nen umfangreichen und ausdifferenzierten Rechtsprechung, neben der Ermittlung des Bedarfs auf Berechtigtenseite eine der umstrittensten Fragen in Unterhaltsprozessen, die sich häufig auch in ein paralleles oder nachfolgendes Strafverfahren verlagert und verlängert. Dabei ist in einem frühen Stadium der unterhaltsrechtlichen Auseinandersetzung, welche noch von der Ermittlung der tatsächlichen Verhältnisse, der Abklärung der teils diffizilen rechtlichen Vorgaben und ihrer Umsetzung in eine konkrete Unterhaltsberechnung geprägt ist, und in der eine
186 Nimmt der Unterhaltsverpflichtete eine Festsetzung nach § 249 FamFG trotz fehlender oder geringerer eigener Leistungsfähigkeit hin, kann hierauf allerdings nicht unbesehen seine strafrechtliche Verurteilung gestützt werden. Die nur aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung unterbliebene Berücksichtigung der konkreten Leistungsfähigkeit durch das Familiengericht entbindet den Strafrichter nicht von eigenen Feststellungen zu dem Merkmal, denn dieses bleibt materielle Voraussetzung der Unterhaltspflicht. Vgl. Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 19, die für diesen Fall die Leistungsfähigkeit allerdings als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal von § 170 begreifen. 187 Hinsichtlich des Familienunterhalts wird die Leistungsfähigkeit in Form der Arbeits- und Erwerbsmöglichkeiten der Ehegatten und ihrer Vermögens- und Einkommensverhältnisse für die Bemessung angemessenenen Unterhalts herangezogen (vgl. Jauernig/Budzikiewicz § 1360a Rdn. 6), für den Trennungsunterhalt ist sie eine nicht ausdrücklich normiert, aber nach allg. Auffassung ebenfalls Voraussetzung des Unterhaltsanspruches (vgl. BVerfG NJW 2002, 2701; Preisner BeckOK § 1361 Rdn. 180), wobei teilweise § 1581 BGB analog herangezogen wird (vgl. BGH FamRZ 2009 404; Ritscher MK Rdn. 37). 188 BayObLG 1988 92; OLG München NStZ 2009 212; s. näher Rdn. 121 ff. 189 OLG Celle Nds.Rpfl 2011 378; OLG Koblenz, Beschl. v. 3.11.2010 – 2 Ss 184/10 (juris); Sch/Schröder/Bosch/ Schittenhelm Rdn. 20. 531
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§ 170 StGB
Verletzung der Unterhaltspflicht
Strafanzeige durch den Unterhaltsberechtigten nicht selten zur Durchsetzung streitiger Ansprüche gebraucht wird, Zurückhaltung bei strafrechtlicher Verfolgung geboten.190
86 bb) Definition, Kriterien. Zur Leistung imstande ist derjenige, der nach seinen Erwerbs- und Vermögensverhältnissen (§ 1581 BGB) über die zur Unterhaltsleistung nötigen Mittel tatsächlich verfügt oder sie in zumutbarer Weise beschaffen könnte. Nach den zivilrechtlichen Vorgaben trifft dies auf jeden Unterhaltsschuldner zu, der ohne Gefährdung seines eigenen Unterhaltes (Selbstbehalt) und unter Berücksichtigung sonstiger anrechenbarer Verpflichtungen in der Lage ist, den geschuldeten Unterhalt zumindest teilweise zu gewähren (vgl. §§ 1603, 1581 BGB). Die Leistungsfähigkeit bestimmt sich damit nach folgenden, teilweise von der Person des Unterhaltsberechtigten und der daraus folgenden „Stärke“ des Unterhaltsgrundverhältnisses abhängenden (vgl. nachfolgend Rdn. 87) Faktoren: (1.) Den erzielten, aber auch erzielbaren Einkünften, bei Unterhalt minderjähriger Kinder oder Ehegatten auch den teilweisen Einsatz des Vermögens, (2.) abzüglich des – wiederum abhängig von der Art des Unterhaltes – entweder angemessenen (§ 1603 Abs. 1, § 1581 BGB) oder nur notwendigen (§ 1603 Abs. 2 BGB) Selbstbehaltes, und (3.) weiteren, insbesondere berufsbedingten abzugsfähigen Aufwendungen und Verbindlichkeiten, insbesondere gegenüber vor- oder gleichrangig zu berücksichtigenden Unterhaltsberechtigten. Der Bedarf des Unterhaltsgläubigers markiert demgegenüber das Maß der grundsätzlich bestehenden Schuld, bildet also die Bezugsgröße und Obergrenze für die erforderliche Leistungsfähigkeit. 87 Der Maßstab, nach dem die unterschiedlichen, die Leistungsfähigkeit bestimmenden Faktoren bewerten sind, hängt ab von dem jeweiligen Unterhaltsgrundverhältnis, insbesondere, wem der Unterhalt zu leisten ist. Für Verwandte, die den Unterhalt nicht einem minderjährigen unverheirateten oder einem diesem nach § 1603 Abs. 2 S. 2 BGB gleichstehenden volljährigten Kind schulden, unterliegt die Annahme von Leistungsfähigkeit höheren Anforderungen. Sie gelten bereits dann als zur Leistung außerstande, wenn sie durch die Gewährung des Unterhalts ihren eigenen angemessenen Unterhalt (sog. „großer“ Selbstbehalt) gefährden würden (§ 1603 Abs. 1 BGB). Eine Privilegierung findet zudem statt bei den Obliegenheiten zur Sicherstellung eines fortlaufenden Arbeitseinkommens und der Bestimmung abzugsfähiger Verbindlichkeiten. Gegenüber Unterhaltsansprüchen von Kindern i. S. v. § 1603 Abs. 2 S. 1 und 2 BGB unterliegt die Leistungsfähigkeit der Eltern dagegen einer verschärften Prüfung, da sie alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig verwenden müssen. Dies hat zuvorderst zur Folge, dass ihnen nur noch ein notwendiger („kleiner“) Selbstbehalt verbleibt, sie mithin erst dann als nicht mehr leistungsfähig gelten, soweit eine Leistung ihr eigenes Existenzminimum gefährden würde, und nicht bereits bei Gefährdung des eigenen angemessenen Unterhalts.191 Für Ehegatten besteht hinsichtlich des Trennungs- und nachehelichen Unterhaltes ebenfalls eine Unterhaltspflicht mit gesteigerten Anforderungen an die Leistungsfähigkeit (§ 1360 Abs. 2; § 1361 S. 1 BGB),192 beim nachehelichen Unterhalt abgeschwächt durch das Kriterium der Billigkeit als Korrektiv (§ 1581 BGB).193
190 Maßgeblich für die Frage des Tatverdachtes und Überzeugungsbildung ist hierbei häufig nicht die an Bedarf und Leistungsfähigkeit orientierte – im Nachhinein ermittelte – objektive Unterhaltspflicht, sondern Fragen der subjektiven Tatseite, namentlich, ob der Täter trotz des streitigen Unterhaltsverfahrens und einer anwaltlichem Beratung oder anderweitiger Informationsbeschaffung nicht nur hätte erkennen können, sondern tatsächlich erkannt hat, zur Leistung verpflichtet zu sein. Vgl. insoweit Rdn. 206. 191 BGH NJW 1989 524; OLG Braunschweig NJW 1953 558; OLG Bremen NJW 1955 1606, 1607; OLG Celle NJW 1969 833; MDR 1962 921; OLG Koblenz GA 1975 28; OLG Köln NJW 1953 517, 518; 1953 1117, 1118; FamRZ 1976 118, 119; OLG Oldenburg NJW 1953 917; OLG Schleswig SchlHA 232 (1985) 44; Ritscher MK Rdn 40; Schall SK Rdn. 30. Dippel (LK12 Rdn. 40) weist zu Recht darauf hin, dass damit – trotz gelegentlicher Formulierung (BayObLGSt 1964 9, 11) – keine Pflicht folgt, selbst das Letzte mit den Kindern zu teilen. 192 OLG Braunschweig NJW 1953 558; OLG Bremen NJW 1955 1606; OLG Hamm JZ 1952 690 mit Anm. Schönke; OLG Köln NJW 1953 1117; Schwab Rdn. 455. 193 Schall SK Rdn. 31; Ritscher MK Rdn. 43; s. auch Gernhuber/Coester-Waltjen § 30 Rdn. 74. Wiedner
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II. Objektiver Tatbestand von Abs. 1
StGB § 170
cc) Einzelheiten. Als Prüfungsreihenfolge zur Bemessung der Leistungsfähigkeit im Ein- 88 zelfall bietet sich an, zunächst die tatsächlich erzielten, sodann die – etwaig darüber hinausgehenden – erzielbaren Einkünfte des Unterhaltsschuldners zu ermitteln und ergänzend einen zumutbaren Einsatz des Vermögens zu berücksichtigen. Hiervon ist der Selbstbehalt abzuziehen, darüber hinaus weitere Belastungen des Pflichtigen. Über die nur pauschalen gesetzlichen Vorgaben hinaus sind die in der zivilrechtlichen Rechtsprechung und Literatur entwickelten Grundsätze heranzuziehen. Die nachfolgenden Einzelheiten bieten einen – nicht erschöpfenden – Überblick:
(1) Einzusetzende Einkünfte. Einzusetzen für den Unterhalt sind grdsl. alle Einnahmen, 89 gleich welcher Art sie sind, woher sie stammen und welcher Zweck mit ihnen verfolgt wird.194 Berücksichtigungsfähige Einkünfte bilden das Nettoeinkommen eines abhängig Beschäftigen, die Nettobezüge eines Beamten einschließlich Zuschlägen und Zulagen195 sowie der Gewinn eines Selbständigen, mithin das Einkommen nach Abzug der Betriebskosten, Abgaben und Steuern. Hinzu kommen alle geldwerten Zusatzleistungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld,196 Überstundenvergütungen,197 Trinkgelder (LG Osnabrück FamRZ 1999 946), Tantiemen, Gratifikationen, Gewinnbeteiligungen und Bonuszahlungen, Schicht- und Feiertagszulagen,198 auch Lohnersatzleistungen in Form von Kurzarbeiter-, Schlechtwetter- und Streikgeld (vgl. OLG Zweibrücken FamRZ 2000 112) sowie Krankengeld (BGH NJW-RR 2009 289, 290; NJW-RR 1987 194). Bei altersbedingt nicht mehr Erwerbstätigen bilden Renten, Pensionen, private und betriebliche Altersversorgungen die im Regelfall maßgeblichen Einkünfte (s. etwa OLG Oldenburg NJW 2000 524, 525), weiter Unfall-, Erwerbsunfähigkeits- und Verletztenrenten sowie laufende Zahlungen aus privaten Versicherungen unter Berücksichtigung der Abdeckung eines etwaigen Sonderbedarfs (BGH NJW 1982 1593; OLG Celle FamRZ 1994 1324, 1325 f) und Zahlungen aufgrund von Versorgungsausgleich. Einzusetzen sind auch Kapitaleinkünfte und Gewinne aus Vermietung und Verpachtung sowie der an ersparten Mietaufwendungen abzüglich der Finanzierungs- und Instandhaltungskosten orientierte Nutzungswert einer selbstbewohnten Immobilie (BGHZ 200 157; BGH FamRZ 1986 48, 49; OLG Oldenburg NJW 2000 524, 525). Steuerrückzahlungen und – auch nicht in Anspruch genommene – Steuervorteile zählen als Einkommen, wobei bereits bei Ermittlung des Nettoeinkommens eine günstigere Steuerklasse oder sonstige, auch nicht in Anspruch genommene steuerliche Vorteile fiktiv zugrunde gelegt
194 KG, Beschl. v. 6.2.2007 – (4) 1 Ss 288/05 [juris]; OLG Hamm NStZ-RR 2009, 236, 237. 195 Für den Ortszuschlag: BGH NJW 1984 1458, 1459; OLG Frankfurt FamRZ 1980 183, 184; FamRZ 1982 1108; auch, soweit kinderbezogen gewährt; OLG Köln FamRZ 1979 133, 134; OLG München FamRZ 1980 459; für die Ministerialzulage: OLG Köln FamRZ 1982 706, 708; für eine Auslandszulage: BGH FamRZ 1980 342. Beihilfeleistungen sind zutreffend als unterhaltsrechtlich nicht zu berücksichtigender Aufwendungsersatz anzusehen (OLG Düsseldorf FamRZ 1981 702; anders OLG Bamberg FamRZ 1979 624, 625). 196 BGH NJW 2013 1798; NJW 1991 1049, 1050; BGH NJW 1971 137; OLG Oldenburg FamRZ 2000 1016; 1997 885; OLG Stuttgart FamRZ 1978 681, 683; Fischer Rdn. 8a. 197 BGH FamRZ 1980 984; NJW 1980 2306; KG FamRZ 1988 720, 721; KG FamRZ 1988 720, 721; OLG Köln FamRZ 1979 133, 134; OLG Schleswig SchlHA 226 (1979) 48; Luthin BGB-MK § 1603 Rdn. 5. Dies gilt zumindest für berufstypische Überstunden, auch wenn sie in großem Umfang anfallen (vgl. BGH NJW 1983 2321: Cheffahrer; BGH FamRZ 1981 26, 28: Kranführer; OLG Hamm FamRZ 2000 605: Berufskraftfahrer; OLG Hamburg FamRZ 1986 1212, 1213: Assistenzarzt); gehen sie darüber hinaus und beruhen sie auf besonderen Anstrengungen des Unterhaltsschuldners, ist die Vergütung nur einzusetzen, wenn sie den besonderen Anforderungen des § 1603 Abs. 2 BGB unterliegt (OLG Düsseldorf FamRZ 1981 772, 774; OLG Schleswig SchlHA 227 [1980] 44). 198 Ob sie dem Unterhaltspflichtigen teilweise als Kompensation für die überobligationsmäßige Belastung verbleiben müssen (OLG München NJW 1982 835: zu einem Drittel), ist umstritten (ablehnend OLG Stuttgart FamRZ 1978 681, 682; KG DAVorm. 1979 110, 118). 533
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§ 170 StGB
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werden können.199 Vergütungen für Neben- und Zusatztätigkeiten sind nur bei gesteigerten Unterhaltspflichten nach § 1603 Abs. 2 BGB einzusetzen, Spesen bei Ersparniswirkung etwa für Verpflegung mit einem Bruchteil, auch höher, soweit sie pauschal als verdecktes Einkommen gewährt werden.200 Sachleistungen wie etwa die Verfügung über einen auch privat nutzbaren Dienstwagen sind zu bewerten und einzubeziehen. Zu den Einkünften zählen ferner Sozialleistungen wie Wohngeld201 oder Arbeitslosengeld I, das als über die Abdeckung des Existenzminimums hinausreichende Lohnersatzleistung gewährt wird (vgl. BGH NJW 1989 524, 526; NJW 1987 1551; Fischer Rdn. 8a). Auch Arbeitslosengeld II ist einzusetzen, sofern es – insbesondere bei zulässigen Zusatzeinkünften – das Existenzminimum übersteigt und nicht als Selbstbehalt bei dem Pflichtigen zu verbleiben hat.202 Einmalzahlungen, wie z. B. Jahresboni der Jubiläumszuwendungen, sind auf den Bezugszeitraum, im Übrigen auf einen angemessenen Zeitraum zu verteilen. Gleiches gilt für die Verwendung von Abfindungen aus Anlass der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses; sie sind insbesondere bei Aufnahme einer neuen Arbeitsstelle bis zur Höchstgrenze des Bedarfs zu verwenden, bei fehlender Erwerbstätigkeit angesichts ihrer lohnersetzenden Funktion aber über einen längeren Zeitraum zwischen Unterhaltsverpflichtetem und -berechtigtem zu verteilen.203 Empfangener Drittunterhalt ist, soweit er den gegenüber dem Unterhaltsberechtigten zu berücksichtigenden Selbstbehalt übersteigt, als Einkommen zu berücksichtigen; dies gilt auch für Betreuungsunterhalt nach § 1615l BGB (BGH FamRZ 2015 738, 740); ebenfalls Taschengeld aus dem ehelichen Verhältnis (BGH NJW 1986 1869; s. auch BVerfGE 68 256, 260, 271). 90 Kindergeld zählt wegen seiner Zweckbindung nicht zum Einkommen der Eltern.204 Es wirkt nach § 1612b BGB allerdings bedarfsmindernd, dabei nach § 1612b Abs. 1 Nr. 1 BGB grdsl. zur Hälfte zugunsten des barunterhaltspflichtigen und zur anderen zugunsten des betreuenden Elternteiles (vgl. BGH NJW 2017 1881, 1882; NJW 2016 1956); letzterem dient es mit der Möglichkeit beschränkter Eigenverwendung zur Unterstützung bei der Betreuungsleistung (BGH NJW 2009 2523; BTDrucks. 16/1830 S. 30) Gegenüber dem nicht-betreuenden Elternteil, der es erhält, besteht ein Unterhaltsanspruch eigener Art auf Auskehrung an das Kind unabhängig von der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners im Übrigen;205 der Unterhaltsschuldner ist nicht befugt, es für eigene Bedürfnisse zu verwenden.206 Mittelbar kann das Kindergeld sich allerdings einkommenserhöhend auswirken, indem bei der Berechnung konkurrierender Unterhaltsansprüche der vorrangige Kindesunterhalt nur um das hälftige Kindergeld verringert abzuziehen ist (BGH NJW 2009 2744). Für das an die Stelle des Erziehungsgeldes getretene Elterngeld207 gilt die frühere Zwecksetzung des Erziehungsgeldes. Es soll einem Elternteil die persönliche 199 BGHZ 171 206; 178, 79 (Splittingvorteil); BGH FamRZ 2015 2138, 2141; NJW 1982 2251; OLG Frankfurt FamRZ 1980 183; OLG Schleswig FamRZ 1983 828; Thür. OLG, Beschl. v. 5.4.2006 – 1 Ss 36/06 (juris); einschränkend OLG Düsseldorf FamRZ, 1092; Göppinger/Wax/Märkle/Strohal Rdn. 4334. 200 Vgl. Luthin MK-BGB Rdn. 7. 201 BGH FamRZ 1988 771; NJW 1983 684, 686; NJW 1980 2081, 2082; OLG Karlsruhe FamRZ 1981 783, 784; 1982 486, 487 f; aA OLG Düsseldorf FamRZ 1981 772. 202 BGH NJW 2013 2525; NJW 2014 932, 933; OLG Brandenburg NJW-RR 2005 949; Beschl. v 24.3.2011 – 9 UF 117/ 10 (juris); aA OLG Stuttgart FamRZ 2008, 1653; Ritscher MK Rdn. 41; Schall SK Rdn. 32 (Fn. 109); Sch/Schröder/ Bosch/Schittenhelm Rdn. 21; generell bejahend Fischer Rdn. 8a; SSW/Wittig Rdn. 11; Kalthoener/Büttner/Niepmann Rdn. 544 und 545. 203 Vgl. BGH NJW 1992 822 für Abfindung aufgrund eines Sozialplanes; NJW 1990 709, 711; OLG Frankfurt FuR 2001 371. Göppinger/Wax/Macco Rdn. 365; Vgl. auch Düsseldorfer Tabelle, Stand 1.1.2020, Leitlinien Nr. 1.2. 204 BGHZ 78 201, 207; BGH NJW 2017 1881, 1882; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 21. 205 OLG Stuttgart FamRZ 2017 709; BTDrucks. 16/1830 S. 30; zur alten Rechtslage ebenso BGH FamRZ 2006 99, 101; Jauernig/Budzikiewicz § 1612b Rdn. 2 f; Langeheine MK-BGB § 1612b Rdn. 44 ff S. auch Düsseldorfer Tabelle, Stand 1.1.2020, Anmerkung A.10. 206 LG Celle NJW 1984 317; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 6; s. auch Thür. OLG, Beschl. v. 5.4.2006 – 1 Ss 36/06 (juris). 207 Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit (Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz) vom 27. Januar 2015 (BGBl. I 33). Wiedner
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Betreuung des Kindes in dessen erster Lebensphase ermöglichen und den Verzicht auf die eigene Erwerbstätigkeit während dieser zu erleichtern (vgl. BTDrucks. 16/1889 S. 1, 14 f., s. auch BTDrucks. 10/3792 S. 18 zum Erziehungsgeld). § 11 S. 1 BEEG normiert die Nichtanrechenbarkeit des Elterngeldes und Betreuungsgeldes bis zu einem Gesamtbetrag von 300 Euro, im Falle von Elterngeld Plus (§ 4 Abs. 3 BEEG) bis zu 150 Euro; diese Beträge werden – mit Ausnahme von Unterhaltsverpflichtungen gegenüber privilegierter Berechtigten nach § 1603 Abs. 2 BGB – weder als Einkommen des Unterhaltsberechtigten noch als Einkommen des Unterhaltsverpflichteten berücksichtigt.208 Auch ein wiederverheirateter Elternteil hat das Elterngeld aber zur Befriedigung des Barunterhalts minderjähriger und privilegierter volljähriger Kinder aus erster Ehe einzusetzen, selbst wenn er es nicht für diese bezieht,209 für ein nicht in der Ehe geborenes Kind selbst dann, wenn er es für die Kinder aus der jetzigen Ehe bezieht (OLG Koblenz ZfJ 87 [2000] 395). Während des Bezugs von Elterngeld ist der Unterhaltsschuldner in den ersten zwei Jahre seit der Geburt des Kindes unterhaltsrechtlich nicht verpflichtet, neben der Betreuung zur Erfüllung eine Nebenerwerbstätigkeit auszuüben (BGH FamRZ 2015 738, 740; s. zum Erziehungsgeld bereits BGH FamRZ 2006 1010, 1014). Bei Pflegegeld, das nach § 39 Abs. 1 SGB VIII für ein Pflegekind gezahlt wird, ist eine teilweise Berücksichtigung als Einkommen möglich (vgl. BGH FamRZ 1996 933 [Ls.]). Derjenige Teil des Pflegegeldes, der für den Bar- und Betreuungsbedarf des Kindes geleistet wird, ist nach wirtschaftlicher Betrachtung dem Kind zuzurechnen, bildet daher kein Einkommen des Pflegenden, sondern setzt die Bedürftigkeit des Pflegekindes herab. Dagegen ist der auf den Erziehungsbeitrag entfallende Teil des Pflegegeldes unterhaltsrechtlich dem das Pflegegeld Beziehenden als Einkommen zuzurechnen (OLG Koblenz FamRZ 2019 197; OLG Schleswig, FamRZ 1989 997, 1000). Zu Pflegegeld für eine angehörige pflegebedürftige Person nach § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB XI (§ 69 BSHG a. F.) s. BGH NJW 2006 2181; OLG Hamburg NJW-RR 1992 1351; OLG Hamm FamRZ 1994 1193.210 Aus Schmerzensgeldzahlungen ist trotz ihrer besonderen Ausgleichsfunktion und ihres 91 persönlichen Einschlages im Grundsatz jedenfalls dann der Unterhalt zu bestreiten, wenn der Unterhaltsschuldner einer gesteigerten Leistungspflicht nach § 1603 Abs. 2 S. 1 BGB unterliegt;211 auch bei Ehegattenunterhalt kommt ein Einsatz wegen des stark ausgeprägten Unterhaltsgrundverhältnisses in Betracht. Zu beachten ist allerdings, dass sich die regelmäßig als einmalige Sonderzahlung vorgenommene Zuwendung als Erhöhung des Vermögens darstellt. Dies und die besondere Zweckbindung als Ausgleich individueller immaterieller Beeinträchtigungen erfordern eine einzelfallbezogene Überprüfung, inwieweit die körperlichen oder psychischen Schäden in den Unterhaltsschuldner so schwer wiegen, dass ihm ein Anteil der Schmerzensgeldzahlung zu belassen ist (vgl. BGH NJW 1989 524, 526: unterhaltsrechtliche Opfergrenze). Eine Berücksichtigung scheidet zudem aus, soweit der Pflichtige darauf angewiesen ist, seinen eigenen Unterhalt aus dem aus der Schmerzensgeldzahlung gebildeten Vermögensstamm zu bestreiten (vgl. OLG Hamm NStZ-RR 2009 236, 237). Soweit es belassen ist, ist das Schmerzensgeld als Selbstbehalt einzuordnen. Soweit im Wege des Schadensersatzes einmalig oder im Wege einer rentenmäßiger Zahlung besondere Belastungen und Aufwendungen ausgeglichen werden sollen, die aus einer schwerwiegenden körperlichen oder psychischen Schädigung des Unterhaltspflichtigen herrühren, werden diese dem Pflichtigen regelmäßig gleichfalls als besonderer Selbstbehalt zu verbleiben haben.
208 Vgl. Göppinger/Wax/Strohal Rdn. 541; Göppinger/Wax/Macco Rdn. 396; Kalthoener/Büttner/Niepmann Rdn. 918; Luthin/Markgraf Rdn. 1286. 209 OLG Koblenz FamRZ 2000 687 (Ls.); OLG Frankfurt FamRZ 1991 594; OLG Jena FamRZ 1999 1526; OLG Schleswig FamRZ 1989 997, 1000; jeweils für Erziehungsgeld. 210 Zu Auswirkungen der Pflegeversicherung auf die unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit und Bedürftigkeit H. Büttner FamRZ 1995 195 ff. 211 BGH NJW 1989 524, 526; OLG Hamm NStZ-RR 2009 236; Schall SK Rdn. 30; Lackner/Kühl/Heger Rdn. Rdn. 8. 535
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Verletzung der Unterhaltspflicht
Zu berücksichtigen sind grdsl. auch Einkünfte und Vorteile, die aus verbotener, unzumutbarer oder sittenwidriger Tätigkeit erlangt wurden,212 darunter insbesondere solche aus Schwarzarbeit.213 Für Einkünfte aus krimineller Betätigung lehnt die h. M.214 eine Berücksichtigung ab wegen des – auch aus § 261 hergeleiteten – Wertungswiderspruches zwischen der strafrechtlichen Vorwerfbarkeit der zu den Einkünften führenden Handlung und der gleichfalls strafbewehrten rechtlichen Verpflichtung, diese an Unterhaltsberechtigte abzuführen; zudem bestehe gemäß §§ 73 ff ein Vorrang der Abführung des aus der Tat Erlangten an die Tatopfer. Letzteres trifft zweifellos zu; scheitert eine Strafverfolgung und eine Einziehung von Taterlösen, besteht aber kein Grund, sie nicht für Unterhaltsleistungen heranzuziehen und dem Täter zu belassen.215 Der unterbliebene Einsatz solcher Mittel zur Befriedigung eines Unterhaltsanspruches kann demnach auch zum strafrechtlichen Vorwurf nach § 170 gereichen, da dort nicht an die Erlangung der Mittel, sondern an ihren Einbehalt angeknüpft wird (zutreffend Schall SK Rdn. 32). Einnahmen aus Prostitution sind nach §§ 1, 3 Abs. 2 ProstG legal und damit einzusetzen (vgl. Rdn. 103). 93 Im Falle einer längeren Strafhaft ist es dem Strafgefangenen regelmäßig unmöglich, einer regulären Erwerbstätigkeit nachzugehen.216 Leistungsfähigkeit ist gleichwohl anzunehmen, wenn er sich durch die seiner Inhaftierung zugrunde liegende Straftat vorwerfbar seiner Unterhaltspflicht entzogen hat und daher als leistungsfähig anzusehen ist (näher Rdn. 100). Sie liegt gleichfalls vor, wenn er – insbesondere unter den Bedingungen offenen Vollzuges – in einem freien Beschäftigungsverhältnis steht (§ 39 StVollzG), aufgrund dessen ihm Entgelt zufließt (zum Selbstbehalt vgl. Rdn. 114), wenn ein ihm gehörendes Erwerbsgeschäft trotz seiner Inhaftierung weiterbetrieben wird, oder wenn er über anderweitige ertragbringende oder verwertbare Mittel verfügt (BGH NJW 1982 1812). Das Entgelt für anstaltsinterne Arbeit (§§ 41, 43 StVollzG) ist wegen seiner Höhe allerdings dem Zugriff entzogen (Kuhn BeckOK/ Strafvollzug, § 43 StVollzG Rdn. 38),217 ebenso Taschen- und Hausgeld (BGH 1982 2491; einschränkend OLG Hamm FamRZ 2011 732). Das Übergangsgeld ist dagegen im Entlassungsmonat als Einkommen zu bewerten (§ 51 Abs. 1, Abs. 2 S. 2 StVollzG; BGH NJW 1982 1812; ähnlich OLG Hamm FamRZ 2011 732). 94 Bei wechselnden Einkommensverhältnissen durch selbständige Arbeit ist die Leistungsfähigkeit nach Mittelwerten eines längeren Zeitraumes zu ermitteln;218 insoweit kann sich anbieten, das steuerlich erklärte Einkommen der zurückliegenden drei Jahre heranzuziehen. Bei wechselndem Einkommen durch abhängige Beschäftigung – etwa einen häufigen Arbeitsplatzwechsel und zwischenzeitliche Perioden der Arbeitslosigkeit – ist die Leistungsfähigkeit dagegen für jeden einzelnen, für die Verletzung der Unterhaltpflicht relevanten Zeitabschnitt, erforderlichenfalls auch monatlich gesondert festzustellen, da eine Durchschnittsberechnung sich unzulässigerweise so92
212 OLG Köln FamRZ 1964 477; KG Beschl. v. 6.2.2007 – (4) 1 Ss 288/05 (juris). 213 OLG Brandenburg NJW 2012 3186, 3188; OLG Nürnberg, Urt. v. 16.6.1997 – 10 UF 420/97 (juris) = EzFamR aktuell 1997 339; Klein FuR 1997 292; Schall SK Rdn. 33; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 21; Luthin BGB-MK § 1603 Rdn. 13 . 214 KG Beschl. v. 6.2.2007 – (4) 1 Ss 288/05 (juris) für Vermögens- und Eigentumsdelikte; Sch/Schröder/Bosch/ Schittenhelm Rdn. 21: wenn Erwerb als solcher gesetzwidrig; Fischer Rdn. 8a; SSW/Wittig Rdn. 11; Dippel LK12 Rdn. 40, 44; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 34. 215 LG Berlin NStZ 2006 294 unter Hinweis auf § 40 AO; Schall SK Rdn. 32; Ritscher MK Rdn. 41; Lackner/Kühl/ Heger Rdn. 8. 216 BGH NJW 1982 1812; OLG Düsseldorf FamRZ 1980 718; Göppinger/Wenz Rdn. 1185. 217 § 49 StVollzG als eine spezifisch die Behandlung von Unterhaltsansprüchen regelnde Vorschrift ist daher mangels Regelungsgegenstand nach § 198 Abs. 3 StVollzG noch nicht in Kraft. Vgl. BGH NJW 1982 1812, 1813. 218 OLG Koblenz NStZ 2005 640: auch für abhängig Beschäftigte unter Bezug auf BGH FamRZ 1983 680, 681; Fischer Rdn. 8a; nach OLG Köln NJW 1962 1630, OLG Schleswig StV, 110 unter dem zweifelhaften Gesichtspunkt eines Nachholbedarfs. Wiedner
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wohl zum Nachteil als auch zum Vorteil des Unterhaltspflichtigen auswirken kann.219 Hieraus kann eine Abfolge von Zeiten der Unterhaltspflichtverletzung und solchen fehlender Unterhaltspflicht folgen; infolge der Zäsurwirkung einer Leistungsunfähigkeit ergeben sich dann mehrere selbstständige Taten. Nur bei sehr kurzfristig wechselnden Zeiten von Arbeitslosigkeit und Erwerbstätigkeit, berufsbedingt typischerweise wechselndem Einkommen oder abwechselnd geringem, den Selbstbehalt nicht übersteigendem und hohem Gewinn sind die Zeitspannen isoliert zu betrachten; die Leistungsfähigkeit kann dann anhand einer Durchschnittsberechnung festgestellt werden.220 Unzureichend ist jedenfalls, zum Beleg einer Unterhaltspflichtverletzung die tatsächlich erbrachten Gesamtzahlungen der Gesamtverpflichtung aus einem Unterhaltstitel gegenüberzustellen (OLG Köln NJW 1962 1527). Überobligatorisch erzieltes Einkommen bildet solches, das durch eine Erwerbstätigkeit erzielt wurde, zu der der Unterhaltsschuldner unterhaltsrechtlich nicht gehalten ist. Hierunter fällt etwa eine fortgesetzte Berufstätigkeit nach Erreichen der Ruhealtersgrenze sowie eine zusätzliche Arbeitsausübung neben der als Unterhalt geleisteten Betreuung eines Kindes. Das Einkommen ist in solchen Fällen regelmäßig nur anteilig zu berücksichtigen; maßgeblich hierfür ist eine einzelfallbezogene Billigkeitsprüfung, die allerdings nicht bei der Leistungsfähigkeit, sondern bereits bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs ansetzt (BGHZ 162 384; BGH NJW 2017 1881, 1882; NJW 2011 670).
(2) Vorwerfbar nicht erzielte Einkünfte. Aus den unterhaltsrechtlichen Vorschriften und 95 Art. 6 GG folgt eine Verpflichtung des Unterhaltspflichtigen zum Einsatz der eigenen Arbeitskraft, die er entsprechend seinem Alter, seinem Gesundheitszustand und seinen Fähigkeiten nach den Möglichkeiten des Arbeitsmarktes zugunsten des Unterhaltsberechtigten nutzen muss. Zu berücksichtigen bei Prüfung der Leistungsfähigkeit sind daher auch potentielle Einkünfte, die der Pflichtige vorwerfbar nicht erzielt hat; die verschuldete Leistungsunfähigkeit ist insoweit der Leistungsfähigkeit gleichzustellen (verfassungsgemäß nach BVerfGE 68 256). Der Unterhaltsschuldner, der seine Arbeitskraft vorwerfbar nicht oder nicht in dem ihm zumutbaren und möglichen Umfang ausnutzt, ist daher zivil- wie strafrechtlich als leistungsfähig anzusehen. Dies ist ungeachtet unterschiedlicher Konkretisierung von Verhaltensanforderungen im Einzelfall in Rechtsprechung221 und Literatur222 weitgehend unstreitig. § 275 BGB ist nicht an-
219 BayObLGSt 2000 50, 51; OLG Hamm NStZ 2008 3452; OLG Celle StV 2001 349; Thür. OLG, Beschl. v. 5.4.2006 – 1 Ss 36/06 [juris]; Mattmer NJW 1967 1594, 1597; Schall SK Rdn. 36; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 39; Dippel LK12 Rdn. 51. AA OLG Koblenz NStZ 2005 640, 641: Auf Monate umgelegte Jahreseinkommen, unter Bezug auf die familiengerichtliche Rspr., etwa BGH NJW 1984 1614; OLG Stuttgart DAVorm 1990 151; OLG Jena FamRZ 1997 1102; OLG Zweibrücken FamRZ 2002 1112. 220 OLG Hamm NStZ 2008 342, 343; s. auch Düsseldorfer Tabelle, Stand 1.1.2020, Leitlinien Nr. 1.5. Anders wohl Thür. OLG, Beschl. v. 5.4.2006 – 1 Ss 36/06 (juris): Gesonderte Feststellung für jeden in Betracht kommenden Zeitabschnitt unter Ausschluss jeglicher Durchschnittsberechnung. In diesem Sinne mit eingehender Begründung auch OLG Celle, Beschl. v. 19.4.2011 – 32 Ss 37/11 (juris) = Nds.Rpfl 2011 378; StV 2001 349. 221 BGHSt 14 165; BGHZ 109 284; BGH NJW 2019 3570, 3572; NJW 2014 932; NJW 1990 1477, 1478; NJW 1985 735, 736; NJW 1983 2317; NJW 1982 1812, 1813; NJW 1981 2805, 2806; BayObLGSt 1953 171; BayObLG NJW 1988 2750, 2751; 1990 3284; StV 1983 418; OLG Brandenburg MDR 2000 1438; OLG Bremen NJW 1955 1606; 1958 639; JR 1961 226, 227; OLG Celle FamRZ 1983 704, 705; OLG Düsseldorf FamRZ 1980 718, 719; OLG Köln NJW 1953 517; NJW 1962 1527; 1962 1630; NJW 1999 84, 85; JR 1968 308; MDR 1972 869; FamRZ 1976 119; 1983 87, 89; 1997 1104, 1105; FamRZ 1980 362, 363; OLG Hamm JMBlNW 15 (1961); NJW 1965 877; FRES 2 (1978) 305; FamRZ 1987 947, 949; 1996 957, 958; NStZ-RR 1998 207, 208; JAmt 76 (2003) 264, 265; KG DAVorm. 52 (1979) 49; 56 (1983) 389; FamRZ 1984 592; OLG Koblenz GA 1975 28; OLG München FamRZ 1981 154; OLG Naumburg FamRZ 1997 311; OLG Schleswig SchlHA 227 (1980) 172; OLG Stuttgart NJW 1962 1631, 1632; OLG Oldenburg NdsRpfl. 34 (1980) 285; OLG Zweibrücken Rpfleger 1980 280. 222 Fischer Rdn. 8b; Schall SK Rdn. 33; Ritscher MK Rdn. 41; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 21; Lackner/ Kühl/Heger Rdn. 8; Göppinger/Wax/Maco Rdn. 346, 351; Hoppenz NJW 1984 2327; Maurach/Schroeder/Maiwald II 537
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wendbar.223 Hierfür muss er zu einer zumutbaren, ihm tatsächlich offen stehenden Erwerbstätigkeit in der Lage gewesen sein, diese aber nicht ergriffen haben; dem stehen Fälle gleich, in dem der Unterhaltsschuldner vorwerfbar seine Erwerbstätigkeit aufgegeben oder verloren hat. Er ist dann unterhalts- und strafrechtlich so zu behandeln, als sei das aufgegebene oder erzielbare Einkommen tatsächlich erzielt worden. In der Rechtsprechung entsprechen die Kriterien für ein insoweit vorwerfbares Verhalten des Unterhaltsschuldners weitgehend jenen, welche für einen Ausschluss der Unterhaltspflicht durch mutwilliges Herbeiführen der Bedürftigkeit nach § 1579 Abs. 1 Nr. 4, § 1361 Abs. 3 BGB entwickelt wurden (vgl. BGH NJW 1985 732). Sie gelten jedenfalls gegenüber vorrangigen Unterhaltsberechtigten gemäß § 1603 Abs. 2 BGB (s. etwa OLG Celle DAVorm 1984 482: vollständige Ausschöpfung ihrer Arbeitskraft) und im Verhältnis zum Ehegatten (BGH NJW 1981 160; NJW 1983 814), sind bei gezielter Herbeiführung der Leistungsunfähigkeit und einschränkungslos zumutbarer Erwerbstätigkeit aber auch für die sonstigen Unterhaltsverhältnisse zu bejahen. Der Erwerbspflicht vorrangig sind – ihrerseits eine Unterhaltsleistung bildende – Betreuungspflichten gegenüber minderjährigen Kindern (vgl. BGH NJW 1982 2664), auch aus einer zweiten Ehe.224 Nimmt der anderweitig Unterhaltspflichtige diese wahr, ist die damit verbundene Rollenwahl hinzunehmen, zumal bei Bezug von Elterngeld (BGH NJW 2015 1178).
96 (a) Verlust und Wechsel des Arbeitsplatzes. Unter eine Vereitelung der Leistungsfähigkeit fällt zunächst der Verlust des Arbeitsplatzes ohne zureichenden Grund. Der Bundesgerichtshof hat dies zunächst für den Fall angenommen, in dem ein Rechtsanwalt durch Vernachlässigung seines Berufes infolge Glücksspiels und durch wiederholte Straffälligkeit seinen Beruf verlor, dabei das Herbeiführen der Leistungsunfähigkeit als ein „Sich-Entziehen“ i. S. v. § 170 gewertet und auf Fälle vorsätzlichen Handelns – „bewußtes und gewolltes Versetzen in den Zustand der Leistungsunfähigkeit“ – beschränkt (BGHSt 14 165, 167; zuvor bereits OLG Hamm NJW 1955 153 und 1607). In der Rechtsprechung ist in Erweiterung und Verallgemeinerung einer solchen Fallgestaltung seitdem anerkannt, dass die bewusste Aufgabe oder der durch vorwerfbares Handeln veranlasste Verlust der beruflichen Tätigkeit seitens des Unterhaltspflichtigen nicht zur Leistungsunfähigkeit führt, sondern das aufgegebene Einkommen fiktiv fortzuschreiben ist.225 Eine Absicht, sich der Unterhaltspflicht zu entziehen, ist hierfür nicht erforderlich, allerdings ein im Hinblick auf die Unterhaltspflicht leichtfertiges Verhalten (BGH NJW 1981 1609; NJW 1985 732; OLG Köln NStZ 1992 337). Hat ein Unterhaltsschuldner sich nach einem unverschuldeten Verlust seines Arbeitsplatzes nicht hinreichend um den Erwerb eines neuen bemüht, rechtfertigt dies dagegen nicht die fiktive Fortschreibung des zuletzt erzielten, sondern nur des erzielbaren Arbeitsentgeltes (OLG Frankfurt FamRZ 1995 1217; s. näher Rdn. 107). 97 Auch eine eigene Kündigung des Unterhaltspflichtigen ist nach den vorstehenden Kriterien zu bewerten (vgl. BGH NJW 1985 732). Im Krankheitsfall ist von ihm zu verlangen, sich in Behandlung zu begeben und durch Ausschöpfung der arbeitsrechtlichen Möglichkeiten – Lohnfortzahlung und Kündigungsschutz – den Verdienstbezug aufrechtzuerhalten, statt den Arbeitsplatz aufzugeben (OLG Köln FamRZ 2009 887; s. auch Rdn. 103). Eine Kündigung seitens des Arbeitgebers aufgrund aus personen- oder verhaltensbezogenen Gründen entlastet den Unterhaltspflichtigen unterhaltsrechtlich nicht (vgl. OLG Hamm FamRZ 2000 605). Soweit teilweise angenommen wird, dass leichteres Fehlverhalten hinzunehmen ist, wenn sich dieses nicht gegen den Unterhaltsberechtigten richtet (KG FamRZ 2001 1617), lässt sich dem nicht zu§ 63 Rdn. 34; Walter Becker NJW 1955 1906; H. Büttner NJW 1999 2322; aA v. Krog FamRZ 1984 540, 541; krit. aus praktischen Erwägungen auch Gernhuber/Coester-Waltjen § 46 Rdn. 7. 223 AA v. Krog FamRZ 1984 540, 541; hiergegen OLG Hamm FamRZ 1984 1033; Hoppenz NJW 1984 2327. 224 OLG Celle DAVorm 1984 482: Teilzeitarbeit erst zumutbar nach Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes. 225 BGH NJW 1981 1609; NJW 1981 2805; NJW 1982 1050, 1052; NJW 1985 732. Wiedner
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stimmen, da bereits die arbeitsrechtlichen Anforderungen an eine verhaltensbedingte Kündigung hoch liegen; nur im Einzelfall minderer persönlicher Vorwerfbarkeit kann anderes gelten.226 Anders liegt es bei betriebsbedingten Kündigungen, bei fehlender Verlängerung oder Erneuerung von Zeitverträgen, oder bei einer geringeren Voraussetzungen unterliegenden Kündigung bei Diensten höherer Art (§ 627 BGB). Im Falle unberechtigter Kündigung kann dem Unterhaltspflichtigen obliegen, gegen diese – erforderlichenfalls mit einer Kündigungsschutzklage – vorzugehen. Ein Unterlassen kann zur Annahme von Leistungsfähigkeit allerdings nur gereichen, wenn ein derartiges Vorgehen konkrete Aussicht auf Erfolg gehabt hätte (OLG Koblenz NStZ 2011 423).227 Einen einkommensmindernden Berufswechsel hat der Unterhaltspflichtige zu vermei- 98 den, sofern dadurch seine Leistungsfähigkeit im Hinblick auf die Unterhaltspflicht in Frage gestellt wird.228 Strenge Anforderungen sind daher an die Aufgabe einer gesicherten Erwerbstätigkeit zu stellen, die im Hinblick auf eine erhofft besser bezahlte Tätigkeit erfolgt. Eine vage, sich sodann nicht realisierende Aussicht auf eine zumindest gleichwertige Beschäftigung oder Selbstständigkeit (vgl. insoweit BayObLG NJW 1988 2750) entlastet ihn nicht; erst recht ist ihm unterhaltsrechtlich vorwerfbar eine Kündigung trotz schlechter Aussichten einer Neueinstellung auf dem Arbeitsmarkt. Nimmt der Pflichtige im Anschluss an die Aufgabe einer früheren Berufstätigkeit eine geringer bezahlte Tätigkeit auf, ist für die Beurteilung seiner Leistungsfähigkeit sein früheres Einkommen maßgeblich (BGH NJW 1981 1609, 1610). Ein großzügigerer Maßstab ist anzulegen, wenn sich die bisherige Tätigkeit aufgrund einer Änderung in dem persönlichen Verhältnissen – und nicht nur aufgrund subjektiver Neigungen – des Unterhaltsschuldners der Grenze der Unzumutbarkeit annähert.229 Im Ergebnis ist dem Unterhaltspflichtigen bei Wunsch eines Wechsels des Beschäftigungsverhältnisses oder des Berufes abzuverlangen, sich aus der gesicherten Stellung zu bewerben oder für einen Zwischenzeitraum der Beschäftigungslosigkeit, dessen Länge von den Arbeitsmarktverhältnissen abhängt, finanzielle Vorsorge zu treffen, welche die Befriedigung der Unterhaltsansprüche einschließt. Entsprechendes gilt für die beabsichtigte Aufgabe abhängiger Beschäftigung mit dem Ziel der Begründung von Selbstständigkeit. Will er nicht an seinem bisherigen Einkommen festgehalten werden, ist dem Pflichtigen unterhaltsrechtlich auch hier abzuverlangen, den Wechsel nur bei wenigstens mittelfristig erwartbarer Verbesserung der wirtschaftlichen Situation zu vollziehen, im Übrigen aber von seinem Plan abzusehen.230 Ein Versuch der Selbständigkeit trotz einer betriebswirtschaftlichen Prognose, die im Gegensatz zu vorheriger abhängiger Beschäftigung keine oder nur teilweise Unterhaltszahlung erlauben würde, führt demgemäß zur (fortdauernden) Annahme von Leistungsfähigkeit (OLG Celle NJW-RR 2013 614, 617). Bei voraussehbar rückläufiger wirtschaftlicher Entwicklung hat der Pflichtige für eine gemessen an den Fallumständen auch längere Über-
226 Dem seitens des KG (FamRZ 2001 1617) entschiedenen Fall lag eine bereits zum Zeitpunkt der Ehe mit der Unterhaltsberechtigten vorliegende Alkoholerkrankung des Pflichtigen zugrunde, mithin ein persönlich nur begrenzt vorwerfbarer Arbeitsplatzverlust. 227 Vgl. auch die von BGH NJW 1985 732 beanstandeten Anforderungen von OLG Frankfurt FamRZ 1983 392, wonach der Pflichtige alle Möglichkeiten des Kündigungsschutzgesetzes und Betriebsverfassungsgesetzes hätte ausschöpfen müssen, auch mit dem Ziel der Umsetzung auf einen leichteren Arbeitsplatz. 228 BGH FamRZ 1985 158, 160; 1987 372, 374; 1987 930, 933; NJW 1981 609, 1610; 1982 1050, 1052; 1983 814, 815; BayObLG NJW 1988 2750, 2751; NJW 1961 1685, 1686; KG DAVorm. 52 (1979) 50; FamRZ 1984 592; OLG Köln NJW 1976 1191; NStZ 1992 337; OLG Hamm FamRZ, 649; OLG Zweibrücken NJW 1987 1899; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 8; Schall SK Rdn. 33; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 21; Göppinger/Wax/Macco Rdn. 353 f; verfassungsgemäß nach BVerfGE 68 256, 266 f. 229 S. etwa BGH NJW 1985 732, wo es sich nach den Feststellungen der Vorinstanz (OLG Frankfurt FamRZ 1983 392) bei dem Unterhaltsschuldner um einen „kränklichen, reduzierten Mann handele, der der Arbeit eines Chemiewerkers nicht (mehr) gewachsen sei und deshalb eines anderen Arbeitsplatzes bedürfe“. 230 Gebilligt wurde in der Rspr. beispielsweise die Niederlassung eines vormals angestellten Arztes trotz Vorfinanzierung der Praxiskosten, vgl. BGH NJW-RR 1988 514. 539
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gangszeit die Zahlung des Unterhaltes im Vorhinein sicherzustellen.231 Ein Freischaffender kann gehalten sein, jeweils vor Beginn seiner Tätigkeit von dem betreffenden Auftraggeber einen Vorschuss einzufordern (BayObLG FamRZ 1958 284, 285). S. andererseits zu einem aus Unterhaltsgründen gebotenen Berufswechsel Rdn. 106. 99 Hinsichtlich des Beginns einer Ausbildung ist zu differenzieren: Dauerhaft auf eine berufliche Erstausbildung zu verzichten, kann von dem Unterhaltsschuldner nicht verlangt werden und überschreitet die unterhaltsrechtliche Zumutbarkeitsgrenze, zumal die nach Abschluss eröffneten besseren Verdienstmöglichkeiten mittelfristig auch dem Unterhaltsberechtigten zugute kommen (vgl. OLG Stuttgart DAVorm. 68 [1995] 382, 386 f). Eine Erstausbildung ist daher regelmäßig nicht als Verstoß gegen die Erwerbsobliegenheit anzusehen; dies gilt auch für einen erneuten Anlauf nach abgebrochener Erstausbildung (OLG Brandenburg NJW 2012 3186, 3187). Ein nicht ernsthaftes Betreiben der Ausbildung gereicht dem Unterhaltsschuldner demgegenüber zum Vorwurf. Auch müssen Art und Dauer auf die Unterhaltspflicht abgestimmt und jedenfalls ein langjähriger Ausbildungsgang vermieden werden, sofern nicht gleichwohl der erforderliche Unterhalt aufgebracht werden kann.232 Die Aufnahme einer Zweitausbildung ist dem Unterhaltsschuldner jedenfalls dann verwehrt, wenn sie sich objektiv als eigennützig darstellt (vgl. LG Heidelberg NStZ-RR 2004 263; Fischer Rdn. 8b); auch im Übrigen scheidet sie im Verhältnis zu bevorrechtigten Unterhaltsberechtigten grdsl. aus (BGH NJW 1980 2414, 2415; NJW 1981 1609, 1610). Im Einzelfall kann sie sich als nicht vorwerfbar darstellen, wenn sie in Umsetzung einer Abrede mit dem Unterhaltsberechtigten erfolgt ist und der Unterhalt prognostisch sichergestellt war (vgl. BGH NJW 1983 814), oder wenn sie, insbesondere bei einem noch jungen Unterhaltsverpflichteten, Ausdruck einer bereits vor der Unterhaltspflicht angelegten Lebensplanung war und bessere Verdienstmöglichkeiten verspricht.233 Ein vorsätzliches Herbeiführen der Leistungsunfähigkeit liegt bei einer Inhaftierung i. d. R. 100 nicht vor, selbst wenn durch sie eine fortlaufende Erwerbstätigkeit beendet oder die Aufnahme einer neuen vereitelt wird;234 denn der Unterhaltspflichtige wird regelmäßig nicht billigend in Kauf nehmen, für die Tat durch Untersuchungs- oder Strafhaft zur Rechenschaft gezogen werden.235 Im Einzelfall, in dem die Vortat und die hieraus resultierenden Folgen sich – auch – auf eine Vereitelung der Unterhaltszahlung beziehen, kann dies freilich anders liegen. Erforderlich hierfür ist ein unterhaltsbezogenes Fehlverhalten, das vorliegt, wenn die Straftat gegen den Unterhaltsberechtigten oder andere, vor- oder gleichrangig Unterhaltsverpflichtete mit der Folge deren Ausfalls gerichtet war, wenn sie verübt wurde, um sich absichtlich der Unterhaltspflicht zu entziehen oder wenn der Täter sie – etwa durch entsprechende Äußerungen – in einen Zusammenhang mit der Unterhaltspflicht und ihre Umgehung als Folge des strafbaren Verhaltens
231 Vgl. BGH NJW 1982 1050, 1052: Vorsorge nötigenfalls durch Kreditaufnahme oder Rückstellungen für eine nicht näher bemessene Übergangszeit; BGH NJW-RR 1988 514, 519: Die für die Niederlassung eines angestellten Oberarztes als frei praktizierender Arzt aufgenommenen Kredite müssen so bemessen sein, dass sie auch den Unterhalt in einer Übergangszeit abdecken; BGH NJW-RR 1987 770: Fallbezogene Bemessung des Vorsorgezeitraumes von einem Jahr und neun Monaten bis zum Studienbeginn der Berechtigten; LG Stuttgart NStZ 2006 234: sechs Monate Übergangszeit. S. andererseits OLG Hamm NJW-RR 1990 964: Bei berechtigter, sich dann aber nicht realisierender Aussicht auf Aufträge ist Leistungsunfähigkeit hinzunehmen. 232 Vgl. BGH NJW 1983 814, 815: Aufnahme eines Studiendarlehens; aA LG Düsseldorf FamRZ 1966 246 mit abl. Anm. Bosch; s. auch OLG Frankfurt am Main FamRZ 1979 621, 1982 732, 733, KG FamRZ 1978 692, 693; Dippel LK12 Rdn. 48. 233 Vgl. KG FamRZ 1978 692: Studium einer ausgebildeten Krankenschwester. 234 Dass eine längere Strafhaft zur Leistungsunfähigkeit führen kann, weil es dem Strafgefangenen im Regelfall – Ausnahmen bilden insbesondere Fälle offenen Vollzuges – unmöglich ist, einer normalen Erwerbstätigkeit nachzugehen, ist im Grundsatz unbestritten. Vgl. BGH NJW 1982 1812, 1813; NJW 1982 2491; OLG Düsseldorf FamRZ 1980 718; s. auch Rdn. 93. 235 BGHSt 14 165, 168; BGH NJW 1982 1812, 1813. Wiedner
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stellt.236 Für sich genommen nicht ausreichend ist eine Tat zu Lasten einer dem Unterhaltsberechtigten nahestehenden Person (BGH NJW 1982 2491); erst recht reicht nicht die – regelmäßig gegebene – ursächliche Verknüpfung zwischen der haftbedingten Leistungsunfähigkeit und der Straftat.
(b) Unzureichende Bemühung um Arbeitsaufnahme. Auch die unterbliebene Aufnahme 101 einer Erwerbstätigkeit in Zeiten der Arbeitslosigkeit kann zur Annahme von Leistungsfähigkeit führen. Wenn der Unterhaltsverpflichtete eine ihm mögliche und zumutbare Erwerbstätigkeit unterlässt, obwohl er diese bei gutem Willen ausüben könnte, sind ebenfalls die fiktiv erzielbaren Einkünfte zu berücksichtigen (s. etwa BGH NJW 2014 932). Dem Unterhaltsschuldner müssen zunächst unzureichende Bemühungen um eine Ar- 102 beitsaufnahme anzulasten sein. Von ihm ist eine Arbeitssuche mit eigenen konkreten, intensive Anstrengungen zu erwarten.237 Bemühungen entlasten nicht, wenn sie nur halbherzig, mit unrealistischen, nicht Erfolg versprechenden Vorstellungen oder an den Gegebenheiten des Arbeitsmarktes vorbei betrieben werden, erst recht nicht, wenn sie sich als bloße Pflichtübung in Form willkürlicher Blindbewerbungen oder bereits von ihrer äußeren oder inhaltlichen Gestaltung als nicht ernsthaft darstellen.238 Abhängig von der Tätigkeit und von den Gegebenheiten des Arbeitsmarktes kann es sich auch als nicht hinreichend darstellen, wenn der Unterhaltsschuldner sich lediglich auf die ihm vom zuständigen Jobcenter unterbreiteten Stellenangebote beworben hat (BGH NJW 2014 232, 233; vgl. Wendl/Dose § 1 Rdn. 782). So muss sich ein arbeitsloser Unterhaltsschuldner, der einer nach § 1603 Abs. 2 BGB gesteigerten Unterhaltspflicht unterliegt, intensiv um eine neue Anstellung bemühen, dabei neben der Stellensuche über das Arbeitsamt aus eigenem Antrieb laufend über Zeitungsannoncen, Vermittlungsagenturen und ähnlichem eine Anstellung suchen (BGH NJW-RR 2000 1385, 1386; NJW 1996 517). Das Fehlen von Bemühungen reicht für sich genommen allerdings noch nicht hin, um eine Leistungsfähigkeit durch eine vorwerfbar unterbliebene Erwerbstätigkeit annehmen zu können; hinzukommen muss die konkrete Aussicht, dass die Bemühungen voraussichtlich in Erwerbseinkünfte gemündet hätten (s. näher Rdn. 104). So ist die fehlende Meldung als arbeitslos bei der Bundesagentur für Arbeit ohne weiteres noch nicht tatbestandsmäßig;239 eine Meldung reicht für sich genommen andererseits nicht aus, um ausreichende Erwerbsbemühungen zu dokumentieren.240 Die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit muss dem Unterhaltspflichtigen möglich sein. Damit 103 scheiden Fälle aus, in denen er tatsächlich, insbesondere gesundheitlich hierzu nicht in der Lage ist (vgl. § 10 Abs. 1 Nr. 1 SGB II). Dies gilt indes nur bei gesundheitlichen Einschränkungen, welche an der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit schlechterdings hindern. Insbesondere kann der Unterhaltspflichtige sich nicht darauf zurückziehen, zur Aufnahme oder Fortsetzung einer bestimmten Erwerbstätigkeit, etwa an seiner bisherigen Arbeitsstelle oder in seinem erlernten nicht (mehr) in der Lage zu sein; erforderlichenfalls hat er sich um eine anderweitige, ihn gesundheitlich nicht beeinträchtigende, dabei auch ausbildungs- und erfahrungsfremde Tätigkeit unter Inkaufnahme wirtschaftlicher, sozialer und persönlicher Nachteile zu bemühen. Unterhaltsrechtlich kann der Pflichtige auch dazu gehalten sein, durch eine zumutbare medizinische 236 BGH NJW 1982 1812, 1813; 1982 2491, 2492; NJW 1983 2317; MDR 2002 825, 826; OLG Düsseldorf FamRZ 1980 718, 719; OLG Hamm FamRZ 1984 1033; OLG München DAVorm. 57 (1984) 77, 79; Kalthoener/Büttner/Niepmann Rdn. 762 f; Göppinger/Wax/Macco Rdn. 413 f; Rauscher Rdn. 608; aA v. Krog FamRZ 1984 540 f. 237 S. etwa BGH FamRZ 2000 1358; OLG Brandenburg NJW 2006 3286, OLG Dresden FamRZ 2008 173, KG FamRZ 2002 1428, OLG Karlsruhe FamRZ 2006 1295; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 21. 238 Vgl. die Fallgestaltung bei OLG Brandenburg, Beschl. v. 15.2.2011 – 10 UF 106/10 = FamRZ 2011 1302 (Ls.); s. auch OLG Stuttgart FamRZ 2008 1653. 239 BayObLG NStZ-RR 2002 11; Schall SK Rdn 33; Fischer Rdn. 8b. 240 BGH NJW 1986 718; FamRZ 1987 912; OLG Köln JMBlNW 51 (1997) 93, 94; OLG Naumburg FamRZ 1997 311 (Ls.); OLG Saarbrücken DAVorm. 61 (1989) 873; OLG Zweibrücken NJW 1987 1899; Fischer Rdn. 8. 541
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Behandlung, auch bei einer Suchterkrankung, seine Arbeitskraft wiederherzustellen;241 teilweise wird es für zumutbar gehalten, dass er sich körperlichen Eingriffen unterzieht.242 Im Zivilwie auch Strafprozess wird es in derlei Fällen einer fundierten medizinischen Beweisgrundlage, etwa durch Einholung von Befundberichten oder eines Sachverständigengutachtens bedürfen (vgl. den Sachverhalt bei BayObLG NJW 1990 3284). Bei sozialrechtlich anerkannter Erwerbsunfähigkeit entfällt nicht automatisch die Obliegenheit zur Aufnahme nicht wenigstens einer geringfügigen Beschäftigung (BGH NJW-RR 2017 449; OLG Schleswig ZfJ 85 [1998] 522, 523); zur Bewertung einer Erwerbsunfähigkeit infolge einer Alkoholabhängigkeit s. BGH NJW 1981 2805. Eine rechtliche Unmöglichkeit führt zur Leistungsunfähigkeit. So liegt es bei einem Ausländer ohne eine Beschäftigung erlaubenden Aufenthaltstitel (vgl. § 39 AufenthG, § 8 Abs. 2 SGB II), ebenso bei einem Asylbewerber, der eine Arbeit gesetzlich oder aufgrund behördlicher Anordnung nicht aufnehmen darf (KG Urt. v. 10.6.1999 – [5] 1 Ss 47/98 [juris]). Auch sonst ist die Aufnahme oder Fortsetzung verbotener Tätigkeit, etwa Schwarzarbeit oder anderweitig strafbarer Handlungen dem Unterhaltspflichtigen nicht abzuverlangen; dies gilt unbeschadet dessen, dass hieraus bereits erzielte Einkünfte zum Bestreiten des Unterhaltes eingesetzt werden müssen.243 Die – nicht in einem ausbeuterischen Verhältnis oder unter Zwang betriebene – Prostitution fällt angesichts der rechtlichen Anerkennung der Tätigkeit durch das ProstG nicht hierunter. Ihre Aufnahme oder Intensivierung ist aber sicher unzumutbar (vgl. Fischer Rdn. 8a); auch die Fortsetzung einer zunächst freiwillig ausgeübten Prostitution kann einem hierzu nicht mehr bereiten Unterhaltsverpflichteten wegen der Berührung des höchstpersönlichen Lebensbereiches unterhaltsrechtlich nicht abverlangt werden.244 Für den Unterhaltsschuldner muss weiter eine reale Beschäftigungschance bestanden ha104 ben; zudem kann ihm nur dasjenige Einkommen zugerechnet werden, welches von ihm realistischerweise zu erzielen gewesen wäre.245 Erwerbsmöglichkeiten müssen sich einerseits anhand der Ausbildung, beruflichen Erfahrungen und sonstigen persönlichen Verhältnisse des Unterhaltsschuldners, andererseits aufgrund der Gegebenheiten auf dem Arbeitsmarkt für den Tatzeitraum tatsächlich ergeben haben. Hierzu ist in einem ersten Schritt zu ermitteln, welche Art der Arbeitsaufnahme für den untätigen Unterhaltspflichtigen in Betracht gekommen wäre (instruktiv BayObLG NJW 1990 3284). Dabei werden zunächst alle seiner Ausbildung entsprechenden Berufsbilder heranzuziehen, aber auch Möglichkeiten und Einschränkungen aus seinen sonstigen persönlichen Verhältnissen wie etwa die individuelle Belastbarkeit, Alter und Mobilität zu berücksichtigen sein. Das dem Unterhaltspflichtigen abzuverlangende Engagement ist im Falle der verstärkten Unterhaltspflicht nach § 1603 Abs. 2 BGB sowie beim Ehegattenun-
241 BGH FamRZ 1987 359 für die Berechtigtenseite und eine Herbeiführung der Bedürftigkeit; OLG Köln FamRZ 2009 887 für eine depressive Episode; OLG Brandenburg FamRZ 2007 72 für eine nicht weit fortgeschrittene Alkoholerkrankung; KG FamRZ 2001 1617 zum unterhaltsrechtlich vorwerfbaren Abbruch einer Entzugstherapie „in voller Einsichtsfähigkeit in die Alkoholerkrankung und deren Folgen für die Unterhaltsansprüche“; s. auch Maurach/ Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 34; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 21. 242 Bejahend OLG Königsberg (JW 1928 3064) für die Entfernung von Krampfadern; ablehnend LG Köln (DAVorm. 46 [1973]) 301, 304) für eine Magenoperation; vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 34. Einschränkend wird vorauszusetzen sein, dass es sich um keinen schweren Eingriff handelt, dieser nicht mit nennenswerten Schmerzen oder Risiken verbunden ist, und dass er eine wahrscheinliche und wesentliche Besserung verspricht (zutreffend Dippel LK12 Rdn. 48). 243 OLG Brandenburg NJW 2012 3186, 3188; Fischer Rdn. 8a; Schall SK Rdn. 33; s. auch Rdn. 92. 244 OLG München FamRZ 2004 108; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 21; Dippel LK12 Rdn. 44; zweifelnd Schall SK Rdn. 33; Ritscher MK Rdn. 41 (Fn. 145). Eine fehlende Unterhaltspflicht mangels Leistungsfähigkeit ergibt sich hieraus aber nicht ohne weiteres; es gilt dann der allgemeine Grundsatz, dass der Pflichtige sich nach Aufgabe der Prostitution hinreichend um eine anderweitige Erwerbstätigkeit in gleich welchem Bereich bemühen und sie aufnehmen muss. 245 BGHZ 189 284; BGH NJW 2014 932; FamRZ 2013 1378; FamRZ 2009 314. Wiedner
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terhalt höher anzusetzen.246 Sodann ist nach den Aussichten auf dem Arbeitsmarkt im Tatzeitraum zu ermitteln, ob Bemühungen um eine Erwerbstätigkeit in dem erlernten Bereich erfolgversprechend gewesen wären, und welche Beträge der Pflichtige bei einer möglichen Vollzeitbeschäftigung mindestens verdient hätte; diese bilden die Grundlage der insoweit anzunehmenden Leistungsfähigkeit.247 Hilfsweise sind auch ausbildungsinadäquate, im sozialen Ansehen niedrigere und geringere Erwerbsmöglichkeiten eröffnende Tätigkeiten bis hin zu Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten heranzuziehen.248 Angesichts der Bedeutung der Unterhaltspflicht sind sie jedenfalls bei Leistungspflichten nach dem Maßstab von § 1603 Abs. 2 BGB und dem Ehegattenunterhalt zumutbar, wenn der Pflichtige anderenfalls arbeitslos bleiben und gegenüber den ihn treffenden Unterhaltsansprüchen säumig bliebe; seine persönlichen Neigungen haben angesichts der höherrangigen Pflicht zurückzustehen.249 Die Obliegenheiten entsprechen insoweit jedenfalls den – dort nur ein Verschulden in eigener Sache begründenden – Anforderungen, welche ihm sozialrechtlich als Voraussetzung für einen ungemindertem Leistungsbezug auferlegt sind (vgl. § 10 SGB II). Die Annahme, dass ein gesunder Arbeitnehmer im mittleren Erwerbsalter in keinerlei Erwerbstätigkeit zu vermitteln ist, wird demnach eine Ausnahme bleiben; dies gilt auch für ungelernte Kräfte oder für Ausländer mit eingeschränkten deutschen Sprachkenntnissen (vgl. BGH NJW 2014 932; OLG Hamm, FamRZ 2002 1427, 1428). Allerdings kann im Strafverfahren insoweit nicht auf Erfahrungssätze, Anscheinsvermutungen oder die den Unterhaltsschuldner im zivilrechtlichen Verfahren treffende Beweislast zurückgegriffen werden. Vielmehr ist ein – etwa durch behördliche Auskunft oder sachverständige Zeugen zu führender – positiver Nachweis erforderlich, der sich indes nicht auf eine konkret zu erlangende Arbeitsstelle beziehen muss, sondern auf die für eine Überzeugungsbildung ausreichend hohe Wahrscheinlichkeit der Vermittelbarkeit für ein bestimmtes Tätigkeitsbild und eine branchenübliche Bezahlung. Nicht auszugehen ist – außer bei gesuchten Qualifikationen – davon, dass der Unterhaltsschuldner umgehend nach Beginn der Arbeitssuche einen Arbeitsplatz gefunden hätte (vgl. OLG Brandenburg NJW 2012 3186, 3187: zwei Monate). Zuzubilligen ist ihm auch, sich in einem – nach Branche individuell zu beurteilenden – angemessenen Zeitraum um eine gleichwertige Erwerbstätigkeit zu bemühen, bevor ihn im Hinblick auf seine Unterhaltspflicht Bewerbungen auf ausbildungs- und erfahrungsfremde Tätigkeiten und ihre Aufnahme zuzumuten sind. Nach Erreichen des Ruhealters besteht für den Unterhaltsschuldner keine Erwerbsoblie- 105 genheit mehr (BGH NJW 2013 461). Dies gilt grdsl. auch für Selbständige (anders Dippel LK12 Rdn. 47); werden freiwillig neben der Rente Einnahmen erzielt, sind diese jedoch einzusetzen (vgl. OLG Frankfurt FamRZ 1985 481; OLG Hamburg FamRZ 1985 394).
(c) Unterbliebener Arbeits- oder Berufswechsel. Im Einzelfall kann für den Unterhalts- 106 schuldner auch ein Arbeitsplatz- oder Berufswechsel aus Unterhaltsgründen geboten sein, wenn er in seiner bisherigen Tätigkeit nicht mehr vermittelbar ist oder ein unterdurchschnittli-
246 Vgl. BGH NJW 1980 2414: Ortswechsel zumutbar; nach BGH NJW 1981 1609, 1610 gleicher Maßstab für den nachehelichen Unterhalt. 247 BayObLG NJW 1990 3284; OLG Köln StV 1983 419; OLG Frankfurt FamRZ 1995 1217; OLG Karlsruhe NJW 1954 84. 248 BGH NJW-RR 2000 1385, 1386; OLG Köln NJW 1998 3127; OLG Karlsruhe FuR 2001 76; LG Stuttgart NStZ 1995 408, 409; Luthin MK-BGB § 1603 Rdn. 37. 249 Insoweit haben die Grundrechte auf freie Berufswahl und Berufsausübung (Art. 12 GG) und freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 GG) angesichts der Wechselwirkung mit Art. 6 GG zurückzustehen, vgl. BGH NJW 1980 2414; NJW 1981 1609, 1610. 543
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ches, zur Abdeckung des Unterhaltsanspruches unzureichendes Einkommen erzielt.250 Dabei ist ihm jedenfalls bei gesteigerter Unterhaltspflicht grdsl. auch ein Ortswechsel zuzumuten (BGH NJW-RR 2000 1385, 1386; s. andererseits OLG Naumburg FuR 12 (2001) 39, 40: Nicht zumutbar sei der Umzug eines Betonfacharbeiters von einem neuen in ein altes Bundesland), jedenfalls aber eine in ihrer Art auch grundsätzlich andersartige Tätigkeit (LG Stuttgart NStE § 170b Nr. 7: Wechsel eines kaufmännisch Tätiger zu körperlicher Arbeit). Nicht verlangt werden kann, eine Erwerbstätigkeit im Hinblick auf ein höheres Arbeitslosengeld aufzugeben (OLG Hamm NJW 1965 877; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 8). Selbständigen Erwerbstätigen kann die Annahme einer besser bezahlten abhängigen Beschäftigung zumutbar sein,251 dies allerdings erst dann, wenn sich nach einem längeren Querschnittsbild des erzielten Gewinns prognostisch abschätzen lässt, dass der Unterhaltspflicht dauerhaft nicht genügt werden kann. Eine Grenze wird dort zu ziehen sein, wo der Unterhaltspflichtige in seinem erlernten Beruf bei nicht inadäquater Bezahlung tätig ist und nur die Gelegenheit zu einem Wechsel in eine höher bezahlte, aber ausbildungsfremde Tätigkeiten nicht wahrnimmt (OLG Jena NJW-RR 2010 727, 728). Die Aufnahme einer Ausbildung, während derer Unterhalt nicht gezahlt werden kann, kann unterhaltsrechtlich von dem Pflichtigen grdsl. nicht verlangt werden, auch wenn sich danach besser bezahlte Erwerbsmöglichkeiten ergäben; andererseits entbindet ihn eine ernsthaft und in durchschnittlicher Zeit betriebene Erstausbildung von seiner Erwerbsobliegenheit (BGHZ 189 284; s. bereits Rdn. 99). Der Erwerb von Zusatzqualifikationen bedarf einer differenzierten Sichtweise: Eine unschwer wahrzunehmende, die laufende Unterhaltszahlung nicht beeinträchtigende Fortbildung hat der Pflichtige zu absolvieren; auch aufwändigere, den Erhalt oder Erwerb eines Arbeitsplatzes ermöglichende Maßnahmen hat er zu ergreifen, zu darüber hinausreichendem Aufwand ist er unterhaltsrechtlich nicht gehalten.252 Zu einer unterstellten Leistungsfähigkeit führt bei unzureichendem Einkommen auch die zumutbare, aber unterbliebene Aufnahme einer Nebenerwerbstätigkeit.253
107 (d) Zumutbarkeit, Dauer fiktiver Fortschreibung. Die Verhaltensobliegenheiten hinsichtlich zu erzielenden Einkommens stehen unter dem generellen Vorbehalt der einzelfallbezogenen Zumutbarkeit. Erreichbar sind nur die Mittel, deren Beschaffung dem Unterhaltspflichtigen nach den Regeln einer ordnungsgemäßen Wirtschaftsführung möglich und zuzumuten ist; dabei unterscheiden sich die Anforderungen nach der Intensität des Unterhaltsgrundverhältnisses.254 Wird dies beachtet, stehen die Obliegenheiten mit Art. 2 Abs. 1 GG, der von Art. 12 Abs. 1 GG 250 BGH NJW 1980 2414, 2415; NJW 1981 2805; NJW 1982 1812, 1813; FamRZ 1957 120; OLG Bamberg FamRZ 1989 392, 393; OLG Brandenburg MDR 2000 1438; OLG Bremen NJW 1955 1606, 1607; OLG Celle JR 1957 428; NJW 1971 718; OLG Düsseldorf FamRZ 2000 288; OLG Hamburg NJW-RR 1991 773, 774; FamRZ 1984 924; OLG Hamm NJW-RR 1998 219; NStZ-RR 1998 207, 208; KG FamRZ 1984 592; OLG Köln FamRZ 1969 110; 1976 119; OLG München FamRZ 1981 154, 155; OLG Schleswig SchlHA 227 (1980) 172; OLG Stuttgart NJW 1962 1631, 1632; OLG Schleswig SchlHA 1980, 172; LG Stuttgart NStZ 1995 408; Fischer Rdn. 8b; Gernhuber/Coester-Waltjen § 45 Rdn. 29; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 8; Luthin/Schumacher Rdn. 3189; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 34; Luthin MK-BGB § 1603 Rdn. 37. 251 Vgl. OLG Naumburg NJW-RR 2008 1385; OLG Koblenz FamRZ 1985 812; OLG Zweibrücken NJW 1992 1902; OLG Hamm NJW-RR 1990 964; OLG Dresden FamRZ 1999 396; OLG Celle NJW 1971 718; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 21. 252 So kann von dem Unterhaltsverpflichteten nicht verlangt werden, während der Berufstätigkeit durch eine Promotion die Voraussetzungen für eine weitergehende Anstellung zu verbessern (OLG Karlsruhe FamRZ 1984 1018, 1019). S. auch BSG FamRZ 1985 1251, 1252 für die Berechtigtenseite: Nur dann, „wenn die Promotion rechtlich oder zumindest in der Wirklichkeit des praktischen Lebens Vorbedingung für die erstrebte Berufstätigkeit ist“. 253 BGH NJW 2014 932, 933; NJW 1982 175; OLG Hamm FuR 2001 559; FamRZ 2003 177; 2004 299; 559 OLG Hamburg NJW-RR 1991 773; FamRZ 1990 784, 785 f; OLG Karlsruhe FamRZ 1993 1118, 1119; OLG Koblenz FamRZ 1991 1475; 1993 1212; 2002 1215, 1216; OLG Stuttgart NJW-RR 1995 776, 777; OLG Zweibrücken FamRZ 2000 308, 309; einschr. OLG Nürnberg FuR 2002 282, 283; OLG Celle FamRZ 2002 694. 254 Vgl. BGH NJW 1982 175; BayObLG StV 1983 418, 419; OLG Köln NStZ 1992 337. Wiedner
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auch gewährleisteten negativen Freiheit der Berufswahl und Berufsausübung, und dem aus Art. 11 Abs. 1 GG folgende Grundrecht der negativen Freizügigkeit in Einklang, weil die den Pflichtigen treffenden Beschränkungen nicht allein auf einfachgesetzlichen Unterhaltspflicht beruhen, diese vielmehr zugleich durch Art. 6 Abs. 2 GG geschützt und insoweit höher zu bewerten ist.255 Ob bereits solche Anforderungen unzumutbar sind, die dem Verpflichteten faktisch eine Rückkehr in den einmal gewählten Beruf versperren (vgl. Gaul MDR 1955 322), erscheint zweifelhaft; denn schon ein Berufswechsel oder eine fachfremde Tätigkeit bringt mit Zeitablauf eine steigende Gefahr späterer Unvermittelbarkeit in der ursprünglichen Tätigkeit mit sich.256 Zu prüfen ist bei Anrechnung fiktiver Haupt- oder Nebenverdienste jedenfalls aber am Maßstab der Verhältnismäßigkeit, ob die zeitliche und physische Belastung durch die hypothetische Arbeit dem Pflichtigen unter Berücksichtigung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit und gesetzlicher Bestimmungen zum Schutz der Arbeitskraft abverlangt werden kann (BVerfG FamRZ 2003 661, 662; Dippel LK12 Rdn. 50). Die Dauer der fiktiven Fortschreibung ist weitgehend ungeklärt. Hinsichtlich des letzten, 108 vorwerfbar aufgegebenen Einkommens kommt es nicht allein auf eine hypothetische Fortbestandsprognose an; die letztlich auf einer Wertung beruhende Fiktion kann jedenfalls nicht langfristig zu Lasten des Unterhaltsschuldners aufgrund eines einzelnen Fehlverhaltens aufrechterhalten bleiben, zumal jedenfalls generalisierend auch das Arbeitsleben solchen Veränderungen unterworfen ist, die sich einer Einflussnahme einzelner entziehen. Angemessen erscheint eine Dauer nicht über zwei Jahren (vgl. OLG Hamm NJW 1995 1843; s. auch OLG Koblenz FamRZ 1986 93: jedenfalls nicht mehr nach sechs Jahren). Die Fiktion erzielbaren Einkommens gilt jedenfalls nur solange, bis der Unterhaltsschuldner sich – unabhängig von einem Erfolg – ernsthaft und intensiv um Arbeit bemüht hat (OLG Karlsruhe FamRZ 1983 931; OLG Schleswig FamRZ 1985 69).
(e) Nicht auf Erwerbstätigkeit bezogene Fälle. Andere, nicht auf eine Erwerbstätigkeit 109 bezogene Fälle der Herbeiführung von Leistungsunfähigkeit oder unterlassener Herstellung von Leistungsfähigkeit können ebenfalls dazu führen, dass der Pflichtige als fiktiv leistungsfähig angesehen werden muss. Da ihm auch der Einsatz eigenen Vermögens obliegt (vgl. nachfolgend Rdn. 110), gilt dies insbesondere für eine sich aufdrängende, aber schuldhaft unterlassene Vermögensvermehrung oder eine vorwerfbaren Vermögensminderung. Verletzt der Unterhaltspflichtige die Obliegenheit, Vermögenswerte zu realisieren oder Vermögen zu bewahren, ist er unterhaltsrechtlich so zu behandeln, als habe er die Obliegenheit erfüllt (BGH NJW 2013, 530). Zu nennen sind hier etwa unangemessene Schenkungen (BayObLGSt 1968 60; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 8),257 die Verschwendung von Geldern durch einen luxuriösen Lebensstil, Verluste durch Glücksspiel (BGHSt 14 165, 167) oder hochspekulative Anlagegeschäfte, die Begleichung oder Übernahme fremder Schulden (BayObLG NJW 1961 38, 39; Schall SK Rdn. 33), eine nicht ertragreiche Anlage von Vermögen (vgl. BGH NJW 2013 530, 531; NJW 1993 1920) und die unterlassene Geltendmachung von Forderungen, etwa einer Darlehensforde255 Vgl. BVerfGE 68 256, 266 ff; BGH NJW 1980 2414, 2415; 1981 1609, 1610; 1982 1050, 1052; OLG Celle NJW 1971 718; OLG Frankfurt FamRZ 1979 621; OLG Schleswig FamRZ 1985 809, 811; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 21.
256 Das – konstruiert anmutende – Beispiel des Feinmechanikers, der durch schwere körperliche Belastung das Feingefühl seiner Hände verliert (vgl. Dippel LK12 Rdn. 50), markiert insoweit keine Grenze der Erwerbsobliegenheit: Ein Pianist oder Uhrmacher vermag, wenn er denn durch seine Tätigkeit keine den Bedarf des Unterhaltsberechtigten abdeckenden Einkünfte erzielt, in unterhaltsrechtlicher Hinsicht ebensowenig auf der Aufrechterhaltung seiner Fähigkeiten für eine erneute Ausübung in der Zukunft zu beharren wie etwa ein Software-Designer oder Systemtechniker, der durch fachfremde Tätigkeiten den Anschluss für einen Rückwechsel in das ursprüngliche Berufsfeld verliert. 257 Hierunter sollen grdsl. auch Schenkungen an den Unterhaltsberechtigten fallen (OLG Schleswig FamRZ 2003 601), was zweifelhaft erscheint, da der Berechtigte es in der Hand hat, die Schenkung zurückzuweisen, wenn absehbar ist, das sie zu einer veringerten Leistungsfähigkeit des Pflichtigen in Zukunft führen wird. 545
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rung (BGH NJW 1993 1920; OLG Düsseldorf FamRZ 1988 284, 285), des Rückforderungsanspruchs aus einer Schenkung (BGH NJW 1998 978, 979) oder des Pflichtteils.258 Für die Mitarbeit im Betrieb der Eltern, des Ehegatten oder Lebensgefährten muss der Unterhaltspflichtige eine angemessene Entlohnung fordern; auch häusliche Mitarbeit zur Ermöglichung von Erwerbsarbeit eines Dritten ist im Verhältnis zum Unterhaltsberechtigten vergütungsfähig und führt, so eine Geltendmachung nicht erfolgt, zur Annahme fiktiver Leistungsfähigkeit.259 Erst recht ist einem Unterhaltspflichtigen, der in einem nur formal von seinem (neuen) Lebensgefährten oder einem Dritten geführten Unternehmen gemeinsam wirtschaftet, aber nur als Angestellter in Erscheinung tritt, der Gewinn des Unternehmens anteilig zuzurechnen (OLG Hamm DAVorm. 57 [1984] 606, 607). Der Unterhaltspflichtige muss ferner die Voraussetzungen für eine Gewährung von Kindergeld für das unterhaltsberechtigte Kind schaffen, will er nicht – etwa bei unterlassenem Antrag – im Umfang der hypothetischen Kindergeldbezüge als leistungsfähig gelten.260 Steuervorteile sind wahrzunehmen, steuerliche Nachteile zu vermeiden;261 bei gemeinsamer Veranlagung bestehen dabei Mitwirkungspflichten des Unterhaltsberechtigten (BGH NJW 1983 1545). Herangezogen werden kann im Übrigen die zu § 1579 Abs. 1 Nr. 4 BGB ergangene Rechtsprechung (Überblick bei Maurer MK-BGB § 1579 Rdn. 83 ff).
110 (3) Einsatz des Vermögens. Auch zu einem Rückgriff auf sein Vermögen ist der Unterhaltsschuldner im Grundsatz gehalten; denn zur Unterhaltsgewährung ist nicht außerstande, wer über verwertbares Vermögen verfügt.262 Dies gilt nicht nur im Rahmen der erweiterten Unterhaltspflicht nach § 1603 Abs. 2 BGB, sondern unter stärkerer Berücksichtigung der in die Festlegung des Selbstbehalts einzufließenden eigenen Bedürfnisse des Unterhaltsschuldners auch beim allgemeinen Verwandten- und auch beim Ehegattenunterhalt (s. etwa BGH NJW 2006 3344 für Elternunterhalt). Darüber hinaus gelten Ausnahmen, die im Ergebnis zur Anerkennung eines Schonvermögens führen, dessen Verwertung im Hinblick auf die eigene Versorgung und diejenige der Unterhaltsberechtigten unwirtschaftlich wäre.263 Vermögen ist demnach nicht einzusetzen, wenn es den Unterhaltsschuldner von fortlaufenden Einkünften abschneiden würde, die er zur Erfüllung weiterer Unterhaltsansprüche, anderer berücksichtigungswürdiger (vgl. insoweit Rdn. 115) Verbindlichkeiten oder zur Bestreitung seines eigenen Unterhalts benötigt.264 Besondere Bedeutung gewinnt dabei der Fall, dass der Unterhaltsschuldner sich aus seinem Vermö258 BGH NJW 2013 530, 531; NJW 1993 1920; NJW 1982 2770, 2771; s. bereits RG, Warn. 1919 Nr. 88, S. 151; Gernhuber/Coester-Waltjen § 45 II 2; abw. W. Müller FPR 1 (1995) 190. Der Vorbehalt der Unzumutbarkeit gilt hier allerdings in besonderem Maße; so kann die Geltendmachung aufgrund einer engen persönlichen Verbundenheit nicht abzuverlangen sein. Bei Verfallklauseln im Hinblick auf ein späteres Erbe, etwa in einem Berliner Testament, kann sich die Geltendmachung auch wirtschaftlich als unvernünftig darstellen, vgl. BGH NJW 1982 2771: „…kann es im übrigen durchaus im wohlverstandenen Interesse der unterhaltsberechtigten Ehefrau und des Kindes der Parteien liegen, daß sich der Ehemann mit dem Verzicht auf eine Geltendmachung des Pflichtteils die Aussicht auf seine spätere erbrechtliche Teilhabe an dem gesamten Nachlaß seiner Eltern bewahrt.“ 259 BGH NJW 1980 1686 für unentgeltlich geleistete Dienste des Unterhaltsberechtigten, für die eine die Bedürftigkeit verringernde Vergütung in Ansatz zu bringen ist; OLG Köln NJW 1962 1527, 1529. 260 BayObLGSt 1961 85; OLG Celle NJW 1984 317; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 8; Fischer Rdn. 8b; abw. Maurach/ Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 34. 261 BGH NJW 1983 1545; FamRZ 1983 670, 673; OLG Bamberg FamRZ 1987 1031; OLG Düsseldorf NJW-RR 1988 4, 6; OLG Frankfurt FamRZ 2000 26; OLG Hamburg FamRZ 1985 1142, 1143; OLG Hamm FamRZ 1987 489, 490; 1988 1059; OLG Köln FamRZ 1983 595, 596; Luthin/Seidel Rdn. 5055. 262 BGHZ 75 272, 278; BGH FamRZ 1986, 48; OLG Celle DAVorm 1984, 482; Luthin MK-BGB § 1603 Rdn. 60; Schwab Rdn 1024. Günther FF 2 (1999) 175 f. 263 BGH NJW 1980 340, 341; FamRZ 1986 48, 50. 264 BGH FamRZ 1986 48, 50; NJW 1989 524, 525; NJW-RR 1986 685 zur Teilverwertung eines landwirtschaftlichen Anwesens; s. beispielsweise auch LG Paderborn FamRZ 1996 961: Keine Verwertung eines (nicht selbstgenutzten) Hausgrundstückes als einzigem Vermögenswert eines erwerbsunfähigen Unterhaltspflichtigen. Wiedner
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gensstamm selbst unterhalten muss. Sein insoweit berücksichtigungsfähiger Eigenbedarf und die damit einhergehende Schonung des Vermögens bemisst sich nach seiner Versorgung bis zum Lebensende unter Einbeziehung zu erwartender anderer Erwerbsmöglichkeiten (BGH NJW 1989 524). So wird ein Mietaufwendungen ersparendes, auch der Alterssicherung dienendes Familieneigenheim nicht zu verwerten sein;265 anders liegt es etwa bei einem Ferienhaus, das erforderlichenfalls zu beleihen oder unter wirtschaftlich vertretbaren Bedingungen zu veräußern ist (BGH FamRZ 1986 48; OLG Oldenburg NJW 2000 524, 525). In einer vertretbaren Größenordnung gebildete Rücklagen für größere Anschaffungen, Reparaturen oder Zuzahlungen bei Heilbehandlungen sind leistungsmindernd zu berücksichtigen (BGH NJW 1992 1393, 1394; OLG Oldenburg NJW 2000 524, 525). Rücklagen für eine Altersversorgung sind dem Unterhaltsschuldner grdsl. zuzubilligen. Ihre Höhe variiert abhängig davon, ob es sich um die Erstversorgung eines nicht sozialversicherungspflichtigen Unterhaltsschuldners handelt oder um eine zusätzliche Altersvorsorge. Ihre Art steht in der Auswahl des Unterhaltsschuldners und kann auch Sparvermögen umfassen.266 Hieran orientiert sich auch die Frage, ob der Rückkaufswert einer Lebensversicherung einzusetzen ist.267 Zum Einsatz von Schmerzensgeld als Einmalzahlung für den Unterhalt vgl. BGH NJW 1989 524 sowie Rdn. 91, zur Behandlung von Fällen vorwerfbarer Vermögensminderung oder nicht erzielten Vermögens s. Rdn. 109.
(4) Selbstbehalt. Abzuziehen von dem ermittelten Einkommen ist der Selbstbehalt, der die 111 eigene materielle Existenz des Verpflichteten sichern soll. Grundsätzlich ist er nach den Verhältnissen im Einzelfall zu bestimmen. Auch insoweit bedient sich die Praxis im Regelfall aber pauschalierter Werte, wie sie die Düsseldorfer Tabelle oder andere unterhaltsrechtliche Leitlinien der Oberlandesgerichte vorsehen. Die Abhängigkeit des Maßstabes der Leistungsfähigkeit von der Person des Berechtigten zeigt sich in besonderer Weise bei Festlegung des Selbstbehaltes (vgl. BGH NJW 2006 1654, 1655). Den gesetzlichen Regelfall bildet ein angemessener Selbstbehalt (§ 1603 Abs. 1, § 1581 112 BGB),268 der über das Existenzminimum hinausreicht, dem Verpflichteten vielmehr die Mittel zur Deckung des seiner Lebensstellung und seinen individuellen Bedürfnissen entsprechenden allgemeinen Bedarfs belassen soll (BGH FamRZ 1989 272; FamRZ 1987 472, 473). Er kann grdsl. geltend gemacht werden bei Inanspruchnahme durch einen Unterhaltsgläubiger mit eigener Lebensstellung; dabei handelt es sich um volljährige Kinder mit Ausnahme privilegierter im Sinne von § 1603 Abs. 2 S. 2 BGB, Ehegatten und Eltern oder Großeltern. Der angemessene Selbstbehalt ist berücksichtigt in den von den Oberlandesgerichten entwickelten Leitlinien und Tabellen, die auch durch den Strafrichter herangezogen werden können,269 und hängt ab von den Besonderheiten des jeweiligen Unterhaltsgrundverhältnisses: Verwandtenunterhalt der Eltern gegenüber volljährigen Kindern – vorbehaltlich einer Privilegierung nach § 1603 Abs. 2 BGB – kann grundsätzlich nach den hierfür entwickelten Regelsätzen bemessen werden, wobei der Ausbildungsunterhalt eines gerade volljährigen Kindes zu größeren Einschränkungen nötigt 265 Bei hälftigem Miteigentum kann zudem eine Zustimmungsvereigerung nach § 1365 BGB die Leistungsfähigkeit ausschließen, vgl. LG Heidelberg NJW 1998 3502.
266 BGH NJW 2003 1660 (Erstversorgung); NJW 2006 3344; NJW 2010 3161 (Zusatzabsicherung); LG Lübeck FamRZ 1996 961.
267 Vgl. AG Höxter FamRZ 1996 52 mit abl. Anm. Zieroth und zust. Bespr. Meyer FamRZ 1997 225. 268 Auf den Trennungsunterhalt ist § 1581 BGB hinsichtlich des Selbstbehaltes entsprechend anzuwenden, vgl. BGH NJW 2006 1654, 1655; s. auch BGH NJW-RR 2009 289. 269 Vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 3.11.2010 – 2 Ss 184/10 (juris) = NStZ 2011 423 (Ls.); OLG Zweibrücken StV 1986 532; Fischer Rdn. 8; Ritscher MK Rdn. 39. Die in der Praxis breite Anwendung erfahrende „Düsseldorfer Tabelle“ ist veröffentlicht auf der Internetpräsenz des Oberlandesgerichts Düsseldorf, s. bereits Fn. 44, weiterhin jährlich in familienrechtlichen Fachzeitschriften (mit Stand 1.1.2020 etwa FamRZ 2020, 147) sowie in Juris (Dokumenttyp: Tabellen und Leitlinien, Text „Düsseldorfer Tabelle“). Dort abrufbar sind auch Leitlinien anderer Oberlandesgerichte, etwa des OLG Hamm, des OLG Saarbrücken und des KG. 547
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als im Fall einer einmal erlangten und wieder verlorenen selbstständigen Lebensstellung des Kindes, in dem ein großzügiger Selbstbehalt anzusetzen ist.270 Auch im Vergleich zu anderen Verwandten, insbesondere Eltern, ist das noch in Ausbildung stehende Kind privilegiert (s. etwa BGH NJW 2003 128, 130). Gegenüber den Eltern und ferneren Verwandten, darunter Großeltern und Enkel, wird dem insoweit schwächeren Unterhaltsverhältnis dadurch Rechnung getragen, dass der Selbstbehalt durch einen Zuschlag zu erhöhen ist, der sich einzelfallbezogen an der Lebensstellung des Verpflichteten orientiert, insbesondere dem Einkommen, Vermögen, Ausbildung und sozialen Stellung einschließlich einer angemessenen Altersversorgung.271 Trennungs- und nachehelicher Unterhalt sind ebenso wie der Betreuungsunterhalt nach § 1615l BGB stärker ausgestaltet, so dass der Selbstbehalt sich grundsätzlich zwischen dem auf das Existenzminimum bezogenen notwendigen Unterhalt nach § 1603 Abs. 2 BGB (hierzu sogleich) und dem für Verwandtenunterhalt geltenden angemessenen Selbstbehalt nach § 1603 Abs. 1 BGB bewegt und pauschal in der Mitte zwischen diesen beiden Beträgen festgesetzt werden kann.272 Einer Korrektur zwischen Ehegatten vermittels einer Billigkeitsprüfung anhand der früheren ehelichen Lebensverhältnisse bedarf es entgegen früherer Rechtsprechung nicht mehr, da der Grundsatz gleichmäßiger Teilhabe bereits bei der Bedarfsbemessung zu berücksichtigen sei (BGH NJW 2006 1654, 1656 entgegen BGHZ 109 72). Die Höhe des angemessenen Selbstbehaltes kann vergleichbar der Bestimmung von Mehr- und Sonderbedarf (s. Rdn. 71) von besonderen Umständen mitbestimmt sein, sich etwa durch Ersparnisse des Zusammenlebens verringern (s. etwa BGH NJW 2008 1373, indes für notwendigen Selbstbehalt) oder durch einen Nachholbedarf nach längerer Zeit der Krankheit oder Arbeitslosigkeit erhöht sein.273 Nur einen notwendigen Selbstbehalt darf der Unterhaltsverpflichtete im Rahmen des Ver113 wandtenunterhaltes gegenüber minderjährigen unverheirateten Kindern und volljährigen, haushaltszugehörigen und in allgemeiner Schulausbildung stehenden Kindern bis zum 21. Lebensjahr nach dem strengeren Maßstab des § 1603 Abs. 2 BGB, wonach er „alle verfügbaren Mittel“ zur Unterhaltsleistung zu verwenden hat, einbehalten. Verbleiben muss ihm demnach das in diesem Sinne nicht verfügbare Existenzminimum;274 denn die Unterhaltspflicht darf nicht dazu führen, dass der Unterhaltschuldner selbst sozialhilfe- und unterhaltsbedürftig würde (BGHZ 111 194, 198; BGH NJW 2015 2493; BVerfG, NJW-RR 2002 73). Ihm hat daher zumindest der Betrag zu verbleiben, der die Kosten für Ernährung, Kleidung und Wohnen, aber auch zur Erhaltung der Gesundheit und der Arbeitskraft sowie zu einer Mindestteilhabe am gesellschaftlichen Leben abdeckt, m. a. W. seinen eigenen Lebensbedarf nach sozialhilferechtlichen Grundsätzen sicherstellt. Die tabellarischen Richtwerte sehen – gebilligt von der Rechtsprechung (BGH NJW 1984 1614; NJW 2006 1654) – geringfügig über der Sozialhilfe liegende Sätze vor; dabei differenzieren sie zwischen erwerbstätigen und nichterwerbstätigen Schuldnern.275 Individuell zu berücksichtigen ist ein besonderer Bedarf des Unterhaltsschuldners, der den Betrag zur Ab270 Nach BGH NJW 2012 2883 und OLG Koblenz FamRZ 2004 484 Bemessug wie bei Elternunterhalt, nach OLG Hamm NJW-RR 2002 650 zwichen beiden Größen.
271 BGHZ 154 247; BGH NJW 2003 128, 130; NJW 2003 1660; NJW 1992 1393, 1394; eingehend auch NJW 2010 3161, 3163; OLG Oldenburg NJW 2000 524 (bei Elternunterhalt 25 % über dem großen Selbstbehalt); OLG Koblenz NJW-RR 2000 293; Brudermüller NJW, 633, Ehinger NJW 2008 2465. „Eine spürbare und dauerhafte Senkung seines berufs- und einkommenstypischen Unterhaltsniveaus braucht der Unterhaltsverpflichtete jedenfalls insoweit nicht hinzunehmen, als er nicht einen nach den Verhältnissen unangemessenen Aufwand betreibt oder ein Leben im Luxus führt“ (BGH NJW 2003 128, 130). Zu verheirateten Unterhaltspflichtigen, insbesondere der Berücksichtigung von Familienunterhalt bei der Bemessung vgl. BGH NJW 2004 677; NJW 2004 769; NJW 2010 3161, 3164. 272 BGHZ 153 258; BGH NJW 2006 1654, 1655 f. (nachehelicher und Trennungsunterhalt); BGH NJW 2005 500 (Betreuungsunterhalt); NJW-RR 2009 289. 273 BayObLGSt 1958 55, 56; BayObLG StV 1983 418; OLG Oldenburg FamRZ 2000 1254; Mattmer NJW 1967 1594. 274 Nach BGH FamRZ 1989 272, 273; NJW 1984 1614 umfasst dies Mittel, die einer Person „auch in einfachsten Lebensverhältnissen für den eigenen Unterhalt verbleiben müssen“. 275 S. etwa Düsseldorfer Tabelle, Stand 1.1.2020, Anm. 5. zum Kindesunterhalt: Für Nichterwerbstätige 960 A, für Erwerbstätigen 1.160 A, darin pauschal enthalten 460 A für Warmmiete. Vgl. aus der Rspr. BGH FamRZ 2003 363, Wiedner
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deckung seines Existenzminimums heraufsetzt, etwa infolge höherer Wohnkosten.276 Andererseits können besondere kostenersparende Umstände, etwa Synergieeffekte durch Zusammenleben mit einem Partner (vgl. OLG Karlsruhe NJW 2008 3290; krit. Heistermann FamRZ 2006, 742) zu einer Reduzierung der Richtwerte Anlass geben. Im Hinblick auf § 1603 Abs. 2 S. 2 BGB sind bei der Prüfung, ob der Unterhaltsschuldner angemessenen oder notwendigen Selbstbehalt abziehen darf, auch die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des anderen Elternteiles zu berücksichtigen; hierbei wiederum ist inzident zu prüfen, ob und in welcher Form dieser bereits vollständig – etwa nach § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB durch die Gewährung von Erziehung und Pflege – Unterhalt erbringt.277 Der – infolge fehlender Aufwendungen für Unterkunft und Verköstigung herabgesetzte – 114 Selbstbehalt bei Strafgefangenen ist zumindest in Höhe des Hausgeldes (§ 47 StVollzG) anzusetzen (vgl. BGH NJW 1982 1812, 1813; NJW 1982 2491). Bei freier Beschäftigung (vgl. § 39 StVollzG) tritt hinzu der anstelle von Lebenshaltungskosten abzuführende Haftkostenbeitrag (§ 50 StVG). Das Überbrückungsgeld ist erst im Monat nach Entlassung einzusetzen (§ 51 Abs. 1, Abs. 2 S. 2 StVollzG; BGH NJW 1982 1812), da es zuvor als Rücklage angespart werden soll. Dies gilt auch bei gesteigerter Unterhaltspflicht nach § 1603 Abs. 2 S. 1 BGB (BGH NJW 1982 2491 für Hausgeld).
(5) Abzugsfähige Aufwendungen. Abzugsfähige Aufwendungen, die neben Selbstbehalt zu 115 berücksichtigen sind, bilden alle mit der Erwerbstätigkeit zusammenhängenden Auslagen wie insbesondere Werbungskosten,278 daneben Versicherungsbeiträge und sonstige Vorsorgeaufwendungen, auch für eine Altersvorsorge,279 soweit sie nicht schon dem allgemeinen Selbstbehalt zuzurechnen sind.280 Lässt der Unterhaltspflichtige eigene Kinder anderweitig betreuen, um einer Erwerbstätigkeit nachgehen zu können, sind die insoweit entstehenden Betreuungskosten abzugsfähig (BGH NJW 1982 2664). Soweit ihm der Nutzungswert eines eigenen und selbstbewohnten Hauses als Erhöhung seiner Leistungsfähigkeit zugerechnet wird, sind die hiermit verbundenen Grundstückskosten und -lasten sowie ggf. Zins- und Tilgungsleistungen für Finanzierungsdarlehen abzugsfähig (BGH FamRZ 1986 48, 49; FamRZ 1985 357, 359). Abschreibungen und Zinsen für die Finanzierung von Wirtschaftsgütern sind bei Selbständigen bereits für die Ermittlung des Gewinns als Einkommen maßgeblich. Berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten (vgl. § 1603 Abs. 1 BGB)281 sind solche gegenüber vorgehenden oder – antei-
366; zu Mischfällen OLG Koblenz FamRZ 1998 1616; OLG Karlsruhe NJW 2008 3290. Für eine einheitliche Beurteilung OLG Celle FamRZ 2008 2228. 276 OLG Hamburg FamRZ 1995 1417; OLG Bamberg NJW-RR 1992 1413; Langeheine MK-BGB § 1603 Rdn. 175. 277 BayObLG NJW 1990 3284, 3285; Ritscher MK Rdn. 42. 278 Vgl OLG Celle, Beschl. v. 19.4.2011 – 32 Ss 37/11 (juris) = Nds.Rpfl 2011 378 zu doppelter Haushaltsführung und Fahrtkosten, auch zu deren Pauschalierung. Werden Werbungskosten bereits steuerlich geltend gemacht, können sie nicht doppelt einkommensmindernd berücksichtigt werden; insoweit ist eine auf der Geltendmachtung beruhende steuerliche Erstattung dem Einkommen zuzurechnen. Zu den einzelnen abzugsfähigen Aufwendungen s. Langeheine MK-BGB § 1603 Rdn. 77 ff. 279 Grundsätzlich allerdings nur, soweit sie tatsächlich geleistet werden (BGH NJW 2003 1660, 1662). Neben einer Erstvorsorge für das Alter ist auch eine zusätzliche Alterssicherung berücksichtigungsfähig, BGH NJW 2010 3161, 3163. In Betracht kommen zur privaten Altersversorgung Beträge für eine kapitalbildende Lebensversicherungen, Wertpapierkäufe, aber auch Barrücklagen. Einem nicht sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist bei Inanspruchnahme auf Elternunterhalt ein Anteil von 20 % seines Bruttoeinkommens zum Einsatz für eine Altersversorgung zuzubilligen; BGH NJW 2003 1660. Einzelheiten zur Abzugsfähigkeit von Aufwendungen bei Walter NJW 1984 261 f. 280 Zu Hausrats- und Haftpflichtversicherungen s. etwa BGH NJW 2010 3161, 3162 f. 281 Zur Zulässigkeit der Differenzierung zwischen berücksichtigungswürdigen und anderen Verbindlichkeiten BGH NJW 1982 380; aA Hoppenz NJW 1984 2327. 549
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Verletzung der Unterhaltspflicht
lig – gleichrangigen Unterhaltsgläubigern.282 Die Berechtigung zur vorrangigen Bedienung sonstiger Schulden beruht auf einer Interessenabwägung im Einzelfall, in die auch die Stärke der Unterhaltspflicht einzubeziehen ist. Dabei genießen die Ansprüche solcher Unterhaltsgläubiger, denen gegenüber der Pflichtige einer gesteigerten Unterhalt nicht unterliegt, nicht schlechterdings den Vorrang.283 Bedeutsame Umstände sind der Zweck der Verbindlichkeiten, der Zeitpunkt und die Art ihrer Entstehung, die Dringlichkeit der beiderseitigen Bedürfnisse, die Kenntnis des Unterhaltsverpflichteten von Grund und Höhe der Unterhaltsschuld, seine Möglichkeiten, die Leistungsfähigkeit in zumutbarer Weise ganz oder teilweise wieder herzustellen, sowie schutzwürdige Belange des Drittgläubigers.284 Zu den Obliegenheiten des Unterhaltsschuldners können auch Rückverhandlungen mit dem Drittgläubiger und die Aufstellung eines den Belangen der Beteiligten Rechnung tragenden Tilgungsplans gehören.285 Nicht berufen kann sich der Unterhaltsschuldner jedenfalls auf solche Belastungen, die er leichtfertig, für luxuriöse Zwecke oder ohne verständigen Grund eingegangen ist, obwohl er bereits Kenntnis von der Unterhaltspflicht oder ihren baldigen Eintritt hatte. Bei einer Unterhaltspflicht gegenüber bevorrechtigten Kindern i. S. v. § 1603 Abs. 2 BGB kann es einem überschuldeten oder zahlungsunfähigen Unterhaltsschuldner obliegen, ein Verbraucherinsolvenzverfahren einzuleiten (BGHZ 162 234), nicht aber im Falle des Ehegattenunterhaltes (BGH NJW 2008 251). Angesichts der nach dem Unterhaltsgrundverhältnis differenzierenden, im Übrigen einzelfallbezogenen, diffizilen und für den Schuldner nicht immer vorherzusehenden Anforderungen ist in strafrechtlicher Hinsicht die Möglichkeit eines den Vorsatz ausschließenden Tatbestandsirrtums besonders in den Blick zu nehmen.
116 dd) Feststellung im Strafurteil. Anders als im familienrechtlichen Verfahren, in dem den Unterhaltsschuldner für eine fehlende Leistungsfähigkeit die volle Darlegungs- und Beweislast trifft (s. etwa BGH NJW 1980 2083),286 die Leistungsfähigkeit demnach bei keinem gegenteiligen Vortrag zu unterstellen und eine Unterhaltspflicht in vollem Umfang des Bedarfs anzunehmen ist, muss sie im Strafverfahren nach dem Amtsermittlungsgrundsatz geprüft werden. Eine Bezugnahme auf ein zu Lasten des Pflichtigen ergangenes Unterhaltsurteil scheidet aus (s. Rdn. 139 ff). Vielmehr sind die Umstände, aus denen sich die Leistungsfähigkeit ergibt, vom Strafrichter im Einzelnen festzustellen. Sie müssen im Urteil eine hinreichende Grundlage für eine revisionsgerichtliche Überprüfung dahin bieten, ob der Tatrichter die Leistungsfähigkeit rechtlich zutreffend und auf vollständiger Tatsachengrundlage beurteilt hat.287 117 Unzureichend sind demnach Feststellungen, wonach der Unterhaltspflichtige zu wenigstens teilweiser Leistung des Unterhaltes in der Lage gewesen sei, ein konkreter Mindestbetrag
282 Dies gilt bereits deshalb, weil sich die unterbliebene Erfüllung dieser Ansprüche ihrerseits als Straftat nach § 170 darstellen würde, vgl. OLG Celle MDR 1962 921, 922; OLG Oldenburg NJW 1953 917. Vgl. ferner OLG Braunschweig NJW 1953 558; NdsRpfl. 13 (1959) 229. 283 Vgl. BGH NJW 1984, 2351; BayObLG NJW 1961 38; OLG Karlsruhe FamRZ 1981 548; OLG Bamberg FamRZ 1997 23; anders aber BayObLG NJW 1988, 2750; OLG Köln FamRZ 1982 1105. 284 BGH NJW-RR 1996 321; NJW 1982 380; NJW 1982 1641; BayObLG NJW 1961 38; OLG Koblenz, Beschl. v. 3.11.2010 – 2 Ss 184/10 (juris). 285 Vgl. BGH NJW 1982 360; BayObLG NJW 1961 38; NJW 1988 2750; OLG Bamberg FamRZ 1997 23: OLG Köln NJW 1981 63, 64; NJW 1962 1630; OLG Schleswig SchlHA 232 (1985) 44; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rn. 20; Mattmer NJW 1967 1594. 286 Die beschränkte oder fehlende Leistungsfähigkeit stellt sich dort als rechtshindernde Einwendung dar. S. bereits RGZ 57 72; BGH NJW 1980 2083; OLG Hamburg FamRZ 1982 627, 628; KG DAVorm. 45 [1983] 389; OLG München FamRZ 1981 154, 155; OLG Stuttgart FamRZ 1983 1267, 1268; vgl. auch Göppinger/Wax/van Els Rdn. 2107; Luthin/ Schumacher Rdn. 3033; Luthin MK-BGB § 1603 Rdn. 2. 287 OLG München NStZ 2009 212 f; OLG Hamm FamRZ 2007 1199; OLG Saarbrücken FamRZ 2010 1018 f; Thüring. OLG StV 2005 213; OLG Celle Nds.Rpfl. 2011 378; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 22. Wiedner
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aber nicht angegeben wird.288 Pauschale Angaben zum Einkommen des Unterhaltspflichtigen genügen nicht, etwa die Feststellung, der Unterhaltspflichtige habe ausreichend verdient, um seine Familie zu ernähren und zusätzlich Beträge zum Unterhalt seines nichtehelichen Kindes abführen zu können (OLG Bremen JR 1961 226, 227), ihm wäre bei Verdienst von Tariflohn die Aufbringung davon Kindesunterhalt möglich gewesen (BayObLG NJW 1990 3284), er hätte „ein durchschnittliches Einkommen erzielen können“ (OLG Köln FamRZ 1976 119), er hätte „mit seiner Ausbildung und seiner beruflichen Erfahrung (…) im gesamten Tatzeitraum Arbeitsstellen finden können“ (OLG Zweibrücken NStZ-RR 2019 246), oder er sei irgendwie in der Lage gewesen, seiner Unterhaltspflicht wenigstens zum Teil nachzukommen (BayObLGSt 1961 263). Erst recht reicht die Feststellung nicht aus, Zahlungen seien von dem Unterhaltspflichtigen nicht zu erlangen gewesen (BayObLGSt 1964 9, 10 f mit Anm. Mittelbach JR 1964 308). Aus der Arbeitsfähigkeit allein kann ohne weitere Feststellungen nicht auf das Bestehen von Leistungsfähigkeit geschlossen werden (BayObLG StV 1983 418, 419).289 Bei Krankheit und Alkohol- oder Drogenabhängigkeit kann ein Aufklärungsmangel darin liegen, dass zur Frage der Fähigkeit des Unterhaltsschuldners zur Aufnahme geregelter Arbeit kein Sachverständiger zugezogen wurde. Positiv gewendet muss sich der Darstellung des Tatrichters im Urteil im Einzelnen ent- 118 nehmen lassen, welches Vermögen und welche Einkünfte dem Angeklagten im Tatzeitraum zur Verfügung standen, welcher Betrag ihm belassen werden musste, und in welchem Umfang er auch unter Berücksichtigung vorwerfbar nicht realisierter Erwerbsmöglichkeiten den Unterhaltsanspruch tatsächlich erfüllen konnte; dem ist gegenüberzustellen, wieviel er tatsächlich gezahlt hat.290 Dem Tatrichter obliegt daher zunächst eine Auflistung und Bezifferung sämtlicher erzielten Einkünfte und – sofern darauf nach den Fallumständen zurückzugreifen ist – Vermögensgegenstände. Im Falle des § 1603 Abs. 2 BGB kann erforderlich werden, für die Bemessung des geschuldeten Unterhalts auch die Leistungsfähigkeit des anderen Elternteils darzustellen;291 zur Bestimmung des Umfanges der erforderlichen Leistungsfähigkeit unter Berücksichtigung von § 1606 Abs. 3 BGB muss das Verhältnis der Unterhaltspflichten bestimmt werden (OLG Zweibrücken NJW 1987 1899, 2000). Soll die Leistungsfähigkeit mit der Verletzung von Obliegenheiten zur Erzielung von Einkommen begründet werden, müssen die Ausbildung sowie für die Arbeitssuche bedeutsame anderweitige Fähigkeiten und persönliche Verhältnisse des Angeklagten dargestellt werden, seine tatsächlichen Bemühungen um einen Arbeitsplatz, und seine bei weiterreichenden Anstrengungen realistischen Beschäftigungsmöglichkeiten im Tatzeitraum unter Berücksichtigung der Arbeitsmarktlage. Anzugeben sind die konkrete Art der Arbeitsstelle sowie die Einkünfte, die der Unterhaltsschuldner im Tatzeitraum hypothetisch hätte erzielen können.292 Nicht erforderlich ist demgegenüber der Nachweis des Erfolges von Bemühungen um eine konkrete Arbeitsstelle. Darzustellen und zu begründen ist ferner die Höhe des
288 BayObLGSt 1958 55, 56; 1961 260, 263; 2000 50, 51; OLG Celle NJW 1955 563, 564; OLG Hamm Beschl. v. 17.4.2012 – 3 RVs 24/12 (juris); NStZ-RR 1998 207, 208; NJW 1975 456, 457; OLG Schleswig SchlHA 201 (1954) 154, 155; OLG Stuttgart DAVorm. 70 (1997) 426. 289 Selbst wenn der Unterhaltsschuldner angibt, wegen der einen Großteil des Verdienstes aufzehrenden Unterhaltsverpflichtung nicht an einer geregelten Arbeit interessiert zu sein, sind damit nur unzureichende Bemühungen um einen Arbeitsplatz belegt, aber noch nicht konkrete Verdienstmöglichkeiten und eine hierauf gestützt fiktive Leistungsfähigkeit; bedenklich daher AG Köln DAVorm. 79 (1983) 72, 73. 290 Vgl. BayObLG StV 1990 552; 2001 349; Thür. OLG Beschl. v. 5.4.2006 – 1 Ss 36/06 (juris); OLG Düsseldorf NJW 1994 672; StV 1996 45; OLG Hamburg StV 1989 206; OLG Koblenz GA 1975 28, 29; OLG Köln StV 1983 419; OLG Schleswig SchlHA 1985 44; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 63 Rdn. 39; Mattmer NJW 1967 1594. 291 S. etwa BayObLG NJW 1990 3284, 3285; OLG Düsseldorf NJW 1994 672, 673; Thür. OLG Beschl. v. 5.4.2006 – 1 Ss 35/06 (juris); OLG Hamm, Beschl. v. 17.4.2012 – 3 RVs 24/12 (juris); Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 22; Schall SK Rdn. 35. 292 BayObLG NStZ-RR 2002 11; NStZ-RR 2000 305; NJW 1990 3284, 3285; OLG Zweibrücken NStZ-RR 2019 246; OLG Düsseldorf StV 1993 477; NJW 1994 672, 673; OLG Köln StraFo 2003 9; OLG Koblenz, Beschl. v. 3.11.2010 – 2 Ss 184/10 (juris) = NStZ 2011 423 (Ls.); KG, Beschl. v. 13.12.2001 – 1 Ss 313/01 (juris); Schall SK Rdn. 26. 551
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Verletzung der Unterhaltspflicht
Selbstbehaltes,293 wobei dem Tatrichter nicht verwehrt ist, letzteren anhand von Tabellen und Richtlinien zu bestimmen, sofern diese dem Unterhaltsgrundverhältnis entsprechen und Umstände des Einzelfalles hinreichend berücksichtigt sind. Die herangezogene Tabelle, der daraus entnommene Wert und die Bezugsparameter sind jedoch im Urteil zu bezeichnen (OLG Celle Nds.Rpfl. 2011 378; OLG München NStZ 2009 212). Ist dies geschehen, bleibt die Festsetzung in der Revision nur begrenzt nachprüfbar (OLG Koblenz, Beschl. v. 3.11.2010 – 2 Ss 184/10 [juris]; OLG Zweibrücken StV 1986 531, 532). Zur Heranziehung von Vermögen, auch empfangenem Schmerzendgeld, muss das Urteil Feststellungen darüber enthalten, inwieweit der Pflichtige auf die Verwertung zur Bestreitung des eigenen Unterhaltes angewiesen ist (OLG Hamm NStZ-RR 2009 236). Weiterhin sind aufzuführen die mit der Erzielung der tatsächlichen oder fiktiven Einkünfte verbundenen Aufwendungen, weitere von dem Einkommen unterhaltsrechtlich absetzbare Belastungen sowie die den Unterhaltsschuldner treffenden sonstigen Verpflichtungen, insbesondere weitere Unterhaltsverpflichtungen.294 Hinsichtlich der weiteren, konkurrierenden Verpflichtungen ist darzulegen, inwieweit sie die Leistungsfähigkeit einschränken; eine bei Schulden erforderliche Interessenabwägung (s. Rdn. 115) muss der Strafrichter selbst im Urteil vornehmen. Die Darlegung muss den gesamten Tatzeitraum betreffen, dabei auch geänderte Einkommens- und Vermögensverhältnisse umfassen, welche zu einer abschnittsbezogen unterschiedlicher Beurteilung der Leistungsfähigkeit führen können. 119 Den sich hieraus ergebenden hohen Anforderungen stehen gegenüber die begrenzten tatsächlichen Aufklärungsmöglichkeiten im Strafverfahren, in dem etwa auf steuerliche Daten und Unterlagen zur Ermittlung der Einkommensverhältnisse nicht ohne weiteres zugegriffen werden kann (vgl. § 30 AO, OLG Celle NdsRpfl. 2011 378) und die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eines hierzu schweigenden Beschuldigten nur mit aufwändigen Ermittlungsmaßnahmen zu beleuchten sind, die zur Schwere des Tatvorwurfes nicht selten außer Verhältnis stehen. Erleichterungen ergeben sich insoweit, als vorangegangene zivilrechtliche Entscheidungen und die zugrunde liegenden Akten des Unterhaltsverfahrens zur Bestimmung der Leistungsfähigkeit herangezogen und dortige Angaben des Unterhaltsschuldners zu seiner Leistungsfähigkeit verwertet werden können.295 Auch ist der Strafrichter bereits aus allgemeinen Aufklärungs- und Erörterungsgrundsätzen nicht gehalten, nach besonderen wirtschaftlichen Belastungen und Einschränkungen des Unterhaltsschuldners zu suchen oder dessen Behauptungen zugrundezulegen, wenn sich hierfür kein tatsächlicher Anhalt ergibt. Bei fehlenden Anhaltspunkten für unterhaltsrechtlich relevante Veränderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse kann davon ausgegangen werden, dass sich solche gegenüber dem familienrechtlichen Erkenntnis nicht ergeben haben (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 17.4.2012 – 3 RVs 24/12 [juris]).
120 f) Bindungswirkungen. Die Bindung des strafrechtlichen Schutzes nach § 170 an die materiell-rechtlichen Vorgaben des Bürgerlichen Rechts besagt noch nichts darüber, auf welche Weise das Bestehen einer Unterhaltspflicht und ihrer Verletzung im Strafprozess festgestellt werden kann. Die Frage ist in Einzelheiten umstritten und von erheblicher praktischer Bedeutung. Dabei geht es insbesondere darum, ob und inwieweit der Strafrichter sich auf Entscheidungen der Familiengerichte zu Fragen des Unterhaltes oder zu Vorfragen hierzu stützen darf und muss.
293 OLG Hamm NStZ 2008 342; OLG München NStZ 2009 212; OLG Koblenz, Beschl. v. 3.11.2010 – 2 Ss 184/10 (juris).
294 OLG Hamm NStZ 2008 342, 343; Beschl. v. 17.4.2012 – 3 RVs 24/12 (juris); OLG München NStZ 2009 212; OLG Saarbrücken FamRZ 2010 1018; OLG Celle Nds.Rpfl. 2011 378. 295 Eine unmittelbare Einführung durch Verlesung zum Beweis der dort angenommenen wirtschaftlichen Verhältnisse scheidet im Strafprozess allerdings aus, vgl. Rdn. 141. Auch muss berücksichtigt werden, auf welche Weise das Zivilgericht zu seinem Tatbestand gelangt ist, ob es den Unterhaltsschuldner belastende Umstände etwa nur deshalb angenommen hat, weil dieser darlegungs- und beweisfällig geblieben ist. Wiedner
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aa) Grundsatz: Autonomie strafrichterlicher Beurteilung. Im Grundsatz gilt die verfah- 121 rensrechtliche und sachliche Autonomie strafrichterlicher Beurteilung.296 Der Strafrichter hat die gesetzliche Unterhaltspflicht des Angeklagten eigenständig und ohne Bindungen an zivilbzw. familiengerichtliche Entscheidungen zu ermitteln und festzustellen (s. etwa OLG Zweibrücken NStZ-RR 2019 246; OLG Celle StV 2001 349). Von solchen Erkenntnissen abweichende Ergebnisse sind dabei hinzunehmen; sie beruhen im Wesentlichen auf den gegensätzlichen Prozessmaximen und Zielrichtungen der Verfahrensarten sowie auf der aus dem Kernbestand des Rechtsstaatsprinzipes abzuleitenden Unschuldsvermutung. Während der zivil- und familiengerichtliche Prozess stärker der Disposition der Parteien unterliegt und Zivilurteile einer formellen Wahrheit folgen, richtet sich der Strafprozess auf die Erforschung der materiellen Wahrheit und unterliegt den Beschuldigten schützenden Beweis- und Entscheidungsregeln. Dabei korrespondiert die Wahrung der Unschuldsvermutung mit dem Zweifelssatz und dem Grundsatz der freien Überzeugungsbildung des Strafrichters, welcher eine Verurteilung nicht aussprechen darf, wenn er von der Schuld des Angeklagten nicht vollständig überzeugt ist.297 Das Gesetz fordert in Fragen der gesetzlichen Unterhaltspflicht und ihrer Verletzung daher keine Entscheidungsharmonie von Familien- und Strafgerichten. Nach § 262 Abs. 1 StPO hat der Strafrichter zivilrechtliche Vorfragen vielmehr in eigener Kompetenz zu beurteilen; ein in Unterhaltssachen bereits ergangenes zivilrechtliches Urteil bindet ihn nicht (BGHSt 5 106, 109, vgl. näher Rdn. 139). Dies gilt – mit Ausnahme des Gegenstandes familienrechtlicher Statusurteile (s. hierzu Rdn. 128 ff) – nicht nur für das Bestehen einer gesetzlichen Unterhaltspflicht als solcher, sondern für sämtliche hiermit zusammenhängende Tatsachen- und Rechtsfragen. Durch § 262 StPO und die sich hieraus sowie aus grundsätzlichen Prinzipien folgende Entscheidungsbefugnis wird der Strafrichter zugleich nach Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG zum gesetzlichen Richter auch für familienrechtliche Vorfragen (Stuckenberg LR § 262 Rdn. 3). Dagegen beruht die Vorfragenkompetenz nicht ihrerseits aus dem Grundsatz des gesetzlichen Richters,298 dessen Aufgabenzuweisung sich aus den unterschiedlichen Verfahrensordnungen erst ergibt. bb) Zivilprozessuale Grundsätze. Aus dem Vorstehenden folgt zunächst, dass der zivilpro- 122 zessuale Beibringungsgrundsatz, Vortrags- und Substantiierungserfordernisse sowie die Regeln, nach denen sich die Beweislast im Unterhaltsprozess richtet,299 im Strafverfahren wegen einer Tat nach § 170 unanwendbar sind.300 Dem dortigen Angeklagten müssen grundsätzlich alle die Unterhaltspflicht begründenden Tatsachen unter Anwendung des Zweifelsgrundsatzes,301 etwa seine Leistungsfähigkeit, positiv nachgewiesen werden; allgemeine Beweisvermutungen des Zivilrechts, die sich etwa wie die §§ 891, 1006 Abs. 1 BGB widerleglich auf die Eigentumsverhältnisse oder Inhaberschaft dinglicher Rechte richten, gelten im Strafprozess nicht. Auch § 1362 BGB entbindet den Strafrichter nicht von eigenen positiven Feststellungen der Vermögenszuordnung zwischen Ehegatten zur Frage der Leistungsfähigkeit und Bedürftigkeit (Meyer-Goßner/Schmitt § 262 Rdn. 1).
296 S. bereits RGSt 43 373, 377; Miebach MK-StPO § 262 Rdn. 1. 297 Stuckenberg LR § 262 Rdn. 1; Schlüchter/Velten SK-StPO § 262 Rdn. 2; Miebach MK-StPO § 262 Rdn. 5; s. auch Kissel FS Pfeiffer 189, 197 ff; Graf/Eschelbach § 262 Rdn. 2.
298 So aber Miebach MK-StPO § 262 Rdn. 3; vgl. andererseits BGH NJW 1963 446. 299 Vgl. dazu BGHZ 17 252, 260 ff; 40 367, 369 ff. Zur Unterscheidung zwischen Beweislastregeln und Beweisregeln am Beispiel der früheren §§ 1717 und 1718 BGB S. Büttner ZZP 71 (1958) 3 ff. 300 Meyer-Goßner/Schmitt § 262 Rdn. 1; Weber FS Trusen 599 ff; vgl. auch OLG Schleswig SchlHA 206 (1959) 295, 296. 301 Vgl. hierzu OLG Braunschweig NdsRpfl. 1959 229, 230; NJW 1964 214; OLG Celle NJW 1962 600; Fischer Rdn. 5; Schröder JZ 1959 346; Weber FS Trusen 597 f. 553
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§ 170 StGB
Verletzung der Unterhaltspflicht
123 cc) Unwiderlegliche Vermutungen. Anders liegt es bei unwiderleglichen gesetzlichen Tatsachenvermutungen im Hinblick auf die Unterhaltspflicht. Sie bilden keine prozessualen Regeln, sondern sind jenem materiellen Unterhaltsrecht zuzuordnen, das § 170 mit dem Merkmal der gesetzlichen Unterhaltspflicht in Bezug nimmt.302 Der Strafrichter hat sie daher wie andere bürgerlich-rechtliche Vorgaben materiellen Rechtes zu befolgen, ohne dass es sich dabei um eine echte Einschränkung des Grundsatzes seiner sachlichen Entscheidungsautonomie handelt. Derartige unwiderlegliche und damit bindende Vermutungen betreffen im unterhaltsrechtlichen Bereich die Feststellung der Mutter- und Vaterschaft eines Kindes nach den §§ 1591 ff BGB i. V. m. § 1599 BGB sowie § 1600d Abs. 2 BGB:
124 (1) Rechtliche Mutter- und Vaterschaft. Über die unanfechtbar und unwiderlegliche303 Anknüpfung der rechtlichen Mutterschaft an die Geburt nach § 1591 BGB kann sich der Strafrichter auch bei Leihmutterschaft oder feststehender Abweichung von der biologischen Mutterschaft in Fällen künstlicher Befruchtung nicht hinwegsetzen.304 Hinsichtlich der Vaterschaft ist er ebenso wie der Familienrichter gebunden an die Statusgründe des § 1592 BGB, ergänzt in § 1593 BGB durch Regelungen bei Tod des Ehemannes und Wiederverheiratung der (werdenden) Mutter. Dies bedeutet, dass auch der Strafrichter nach der Vermutung des § 1592 Nr. 1 BGB, welche den Vaterschaftsgründen der § 1592 Nr. 2 und 3 BGB vorgeht (vgl. §§ 1594, 1600d Abs. 1 BGB; zu Ausn. nach Anhängigkeit eines Scheidungsantrages § 1599 Abs. 2 BGB) den Ehemann als Unterhaltspflichtigen behandeln muss, solange es an den Nichtbestehensgründen des § 1599 BGB fehlt, insbesondere nicht aufgrund einer Anfechtung rechtskräftig festgestellt ist, dass der Ehemann nicht der Vater ist. Selbst wenn keiner der am Strafverfahren Beteiligten von der biologischen Vaterschaft des Ehemannes ausgeht, eine solche – etwa wegen andauernder Abwesenheit im Empfängniszeitraum – sogar objektiv ausgeschlossen ist305 oder die Vaterschaft eines Dritten aufgrund eines Abstammungsgutachten feststeht, ist der Ehemann vor rechtskräftigem Abschluss eines etwaigen Anfechtungsverfahrens gesetzlich unterhaltspflichtig im Sinne von § 170.306 Da die tatsächliche biologische Abstammung aus Rechtsgründen unerheblich ist, besteht keine dahingehende Aufklärungspflicht; etwaige Beweisanträge wären wegen Bedeutungslosigkeit nach § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 StPO abzulehnen.307 Während eines Anfechtungs-
302 Mittlerweile allg. Auffassung, vgl. in der Rspr. zu § 1591 ff BGB a. F. BGHSt 12 166, 171; BayObLG NJW 1961 1415; zu §§ 1717 ff BGB a. F. OLG Celle NJW 1962 600, OLG Stuttgart NJW 1960 2204, 2205; OLG Braunschweig NdsRpfl. 1959 229, 230; NJW 1964 214; OLG Bremen 1964 1286; Fischer Rdn. 5; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rn. 8; Ritscher MK Rdn. 34; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; SSW/Wittig § 170 Rdn. 5; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 33; Schröder JZ 1959, 346; Mattmer NJW 1967 1593; aA noch OLG Celle NJW 1955 563; Oehler FamRZ 1959 489; Bruns FS Lent (1957) 128. 303 Vgl. Gaul FamRZ 1997 1463; Quantius FamRZ 1998 1150; Muscheler/Beisenherz JR 1999 411. 304 Bei Kindesvertauschung oder anderweitig nicht zu ermittelndem Geburtsvorgang, etwa Findelkindern ist die Mutterschaft im Abstammungsverfahren nach dem FamFG festzustellen; gleiches gilt bei Übertragung einer fremden Eizelle oder eines fremden Embryos. Vgl. Frank FamRZ 2015 1149; Wellenhofer MK-BGB § 1591 Rdn. 10 f. 305 Dies gilt auch für Fälle künstlicher Befruchtung durch heterologe Insemination, vgl. BGHZ 129 297, 302 f; Büttner FFE 3 (2000) 15. Nach der durch Gesetz zur weiteren Verbesserung von Kinderrechten vom 9.2.2002 (BGBl. I 1239) neu eingefügten Regelung in § 1600 Abs. 4 BGB (ursprünglich: § 1600 Abs. 4 BGB a. F.) schließt bei Einwilligung des Mannes und der Mutter in die Samenspende auch die Anfechtung der Vaterschaft durch den Mann oder die Mutter aus. Zur Anfechtung durch das Kind vgl. BGHZ 129 297, 305 ff; BGH NJW 1995 2031, 2032. 306 BGHSt 12 166, 171; 26 111, 114; BayObLG NJW 1961 1415 mAnm. Dünnebier JZ 1961 671; OLG Frankfurt FamRZ 1981 1063 mAnm. Bosch, OLG Celle NJW 1962 600; Ritscher MK Rdn. 34; Schall SK Rdn. 19; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 9. 307 Da das gesamte materielle Regelungsgefüge der durch das BGB geregelten Vater- und Mutterschaft auf den gesetzlichen Vermutungen und ihren – im Falle ehelicher Vaterschaftsvermutung durch Anfechtung markierten – Grenzen beruht, bedarf es keines Rückgriffes auf § 1600c BGB, um den Ausschluss weiterer prozessualer Erforschung zu begründen; so aber Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 9; Dippel LK12 Rdn. 27. Wiedner
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verfahrens gilt nur in diesem die widerlegliche Vermutung des § 1600c BGB; für das Strafverfahren bleibt es bei der Vaterschaft nach § 1592 Nr. 1 BGB, ohne dass etwa im Hinblick auf das anhängige Verfahren der Zweifelssatz zur Anwendung käme. Entsprechendes gilt für eine Anfechtung nach Vaterschaftsanerkenntnis im Hinblick auf die zunächst fortbestehende Vaterschaft nach § 1592 Nr. 2 BGB (vgl. BGHSt 26 111, 113). Bleibt die Anfechtung erfolglos, hat es mit der Vaterschaft, der hieraus folgenden Unterhaltspflicht und einer etwaigen Strafbarkeit nach § 170 sein Bewenden.308 Zur Bindung und den unterhaltsrechtlichen Folgen bei erfolgreicher Anfechtung vgl. Rdn. 130. Hinsichtlich nichtehelicher Kinder kommt Statuswirkung nach § 1592 Nr. 2 BGB einem Va- 125 terschaftsanerkenntnis zu, das den Strafrichter hinsichtlich der vaterschaftsbegründenden Wirkung bindet (vgl. Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 10), über dessen Wirksamkeit nach den §§ 1594 ff BGB er allerdings selbständig zu befinden hat (s. näher Rdn. 130). Auch die rechtskräftige gerichtliche Feststellung der Vaterschaft nach § 1592 Nr. 3, § 1600d BGB ist im Strafverfahren verbindlich (Rdn. 134 f). Selbst wenn etwa erweislich ist, dass es sich bei dem festgestellten oder anerkennenden Vater nicht um den genetischen handelt, dürfte der Strafrichter wegen der an die Gründe des § 1592 BGB unwiderleglich geknüpften rechtlichen Vaterschaft eine Unterhaltspflicht aus diesem Grunde nicht verneinen. All dies gilt freilich auch in negativer Hinsicht: Solange keine gerichtliche Feststellung oder Anerkennung der Vaterschaft eines nichtehelichen Kindes erfolgt ist, besteht im Umkehrschluss zu § 1592 BGB keine Vaterschaft.309 Der Strafrichter hat auch dies als unwiderleglich hinzunehmen; unbeschadet der Frage möglicher Rückwirkungen eines späteren Statusaktes (vgl. Rdn. 132 ff) kommt die Annahme einer strafbewehrten Unterhaltspflicht nach § 1601 BGB nicht in Betracht (vgl. Ritscher MK Rdn. 29). Ihm ist es damit verwehrt, selbst Nachforschungen nach der genetischen Abstammung zu unternehmen, etwa ein diesbezügliches Gutachten einzuholen. Selbst wenn sich im Strafprozess die Vaterschaft erweisen sollte, dürfte er sich auf dieser Grundlage nicht über die familienrechtliche Bestimmung der Vaterschaft hinwegsetzen, das Unterhaltsgrundverhältnis aufgrund eigener Erhebungen annehmen und hieraus eine Strafbarkeit herleiten. Ist der Feststellungsantrag rechtskräftig abgewiesen, verbleibt es ohne Rücksicht auf die tatsächliche Abstammung des Kindes bei den zuvor bestehenden Abstammungs- und Unterhaltsverhältnissen. So steht die Unterhaltspflicht des Mannes fest, der mit der Mutter verheiratet ist (§ 1592 Nr. 1, § 1599 Abs. 1 BGB) oder die Vaterschaft anerkannt hat (§ 1592 Nr. 2, § 1599 Abs. 1 BGB).310 Das Verfahren zur Klärung der leiblichen Abstammung nach § 1598a BGB (vgl. vorangehend BVerfG NJW 2007 753) hat keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Vaterschaft, sondern kann allein zur tatsächlichen Wegbereitung für ein Anfechtungs- oder Feststellungsverfahren dienen (vgl. Wellenhofer MK-BGB § 1598a Rdn. 39, 41).
(2) § 1600d Abs. 2 BGB. Die Anwendung der Beweisvermutung des § 1600d Abs. 2 BGB, 126 wonach als Vater vermutet wird, wer der Mutter während der Empfängniszeit beigewohnt hat, wenn nicht schwerwiegende Zweifel an der Vaterschaft bestehen, kommt hiernach im Strafprozess grundsätzlich nicht in Betracht, da es dem Strafrichter verwehrt ist, selbstständig nach der Vaterschaft zu suchen. Nach herrschender Auffassung311 soll allerdings dann, wenn im Wege zivilprozessualen einstweiligen Rechtsschutzes eine auf Vaterschaft begründete Unterhaltspflicht festgestellt ist, der Rückgriff auf die Vermutung gestattet sein. Der Strafrichter soll hier zwar über die der Beweisvermutung zugrunde liegenden Tatsachen der Beiwohnung und ihres 308 Vgl. BayObLG NJW 1961 1415; Ritscher Rdn. 34; Schall SK Rdn. 23 a. E.; Schröder JZ 59, 347; aA OLG Saarbrücken FamRZ 1959 35; MDR 1974 1034; Oehler FamRZ 1959, 490.
309 Anders wohl Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 32; Dippel LK12 Rdn. 25, wonach die Ermittlung der abstammungsrechtlichen Grundlagen der Unterhaltspflicht dem Strafrichter obliegen soll.
310 Str., vgl. Fn. 310. 311 Vgl. Schall SK Rdn. 19; Ritscher Rdn. 35; Dippel LK12 Rdn. 27; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 10. 555
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Zeitpunktes sowie der Vaterschaft entgegenstehende, zur Entkräftung der Vermutung führende Tatsachen Beweis erheben dürfen, sich bei Bewertung des Beweisergebnisses aber daran orientieren können (vgl. Schall SK Rdn. 19). 127 Dies erscheint nicht unzweifelhaft. Die Vermutung des § 1600d Abs. 2 BGB ist eine widerlegliche und betrifft allein das Vorgehen des Familiengerichtes (§ 169 Nr. 1 FamFG, § 23a Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 23b Abs. 1 GVG i. V. m. § 111 Nr. 3 FamFG) im Verfahren nach § 1600d BGB, welches im Statusverfahren zunächst zur Ausschöpfung aller Möglichkeiten zur Ermittlung des genetischen Vaters, insbesondere zur Einholung eines Abstammungsgutachten gehalten ist. Die subsidiäre Beweisvermutung des § 1600 Abs. 2 BGB kommt nur in den seltenen Fällen zum Zuge, in denen ein derartiger Nachweis nicht gelingt (vgl. Wellenhofer MK-BGB § 1600d Rdn. 82). Auch dann ist zur Entkräftung der Vermutung aber nicht ihre Widerlegung erforderlich. Ausreichend sind vielmehr ernsthafte Zweifel; positiv gewendet müssen die vorliegenden Beweisanzeichen zumindest zu einer höheren Wahrscheinlichkeit für eine Vaterschaft führen.312 Der Unterschied zum Strafprozess, in welchem ein positiver Nachweis der tatbestandlichen Merkmale der Strafnorm und die Überzeugung des Tatrichters von ihrem Vorliegen vonnöten ist und bereits Zweifel von nicht nur theoretischem Gewicht eine Verurteilung hindern (vgl. nur BVerfG NStZ-RR 2007 381; BGHSt 10 208), liegt damit in einer graduellen Herabsetzung des Überzeugungs- und Entscheidungsmaßstabes bei einer bestimmten Beweislage (vgl. BGHZ 61 165, 168 f). Damit erweist sich die Beweisvermutung aber nicht als eine die Vaterschaft begründende Regel materiellen Rechtes, an die der Strafrichter wegen der Akzessorietät des Begriffes der gesetzlichen Unterhaltspflicht gebunden wäre; ihre Übernahme in den Strafprozess stellt sich als systemfremd dar. Sie kann auch nicht damit gerechtfertigt werden, einen Gleichlauf des Entscheidungsmaßstabes und damit des Ergebnisses der strafrechtlichen Vaterschaftsermittlung mit einem späteren Statusurteil zu erreichen. Geht man davon aus, dass eine nur vorläufige, auf summarischer Prüfung beruhende Entscheidung im Eilrechtsschutz ohnehin keine Bindungswirkung entfaltet (s. näher Rdn. 137), ist nicht ersichtlich, warum dem Strafrichter nach § 1600d Abs. 2 BGB die den Beschuuldigten belastende Einschränkung seines Überzeugungsmaßstabes auferlegt werden soll. Zutreffend erscheint vielmehr, dass der Strafrichter bei familiengerichtlichen Anordnungen im nur einstweiligen Rechtsschutz vor einer rechtskräftigen Entscheidung im Statusverfahren die nicht-anerkannte Vaterschaft nichtehelicher Kinder eigenständig und ohne Bindung an die Vorgaben von § 1600d BGB zu ermitteln und nach strafprozessualen Grundsätzen über ihr Vorliegen zu entscheiden hat. In praxi kann in derartigen Fällen allerdings von der Möglichkeit der Aussetzung des Strafverfahrens nach § 262 Abs. 2 StPO Gebrauch gemacht werden (vgl. Rdn. 142).
128 dd) Statusakte. An gegen jedermann wirkende Statusakte, insbesondere familiengerichtliche Entscheidungen, welche unterhaltsrechtliche Grundverhältnisse begründen, ändern oder beenden, ist der Strafrichter gebunden. Zu einer rückwirkenden Strafbarkeit führen sie indes nicht.
129 (1) Grundsatz. Die Zivilrechtsordnung misst einzelnen Rechtsakten zur Begründung oder Abänderung familienrechtlicher Verhältnisse konstitutive Gestaltungswirkung inter omnes zu (vgl. §§ 182, 184 FamFG). Nach dem Grundsatz der Einheit und Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung entfaltet sich diese Wirkung auch im Strafprozess, bindet den Strafrichter und
312 Zum Maßstab vgl. BGHZ 61 165; BGH NJW 1973 2249; FamRZ 1974 644, 645; Staudinger/Rauscher § 1600d Rdn. 10, 53; Wellenhofer MK-BGB § 1600d Rdn. 83, 88. Der Nachweis von Mehrverkehr oder etwa einer Unfruchtbarkeit des möglichen Vaters sind ausreichend; vgl. exemplarisch OLG Celle, Urt. v. 30.1.2013 – 15 UF 51/06 (juris). Wiedner
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schränkt seine Entscheidungsautonomie nach § 262 StPO ein.313 Eine andere Bewertung würde zu schlechterdings untragbaren Ergebnissen führen, wenn etwa trotz einer rechtskräftigen Feststellung der Vaterschaft oder einer ausgesprochenen Ehescheidung eine eigene rechtliche oder tatsächliche Würdigung im Strafverfahren statthaft wäre und als deren Ergebnis die gesetzliche Unterhaltspflicht i. S. v. § 170 auf einen abweichenden Familienstand oder abweichende Verwandtschaftsverhältnisse gestützt werden könnten.314 Eine Beweiserhebung über die Statusfrage ist im Strafverfahren damit ausgeschlossen, ein darauf gerichteter Beweisantrag nach § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO als unzulässig abzulehnen.315
(2) Einzelne Statusakte. Derartige Statusakte bilden nach §§ 182 Abs. 1, § 184 Abs. 2 FamFG 130 rechtskräftige Urteile über die Vaterschaftsfeststellung nach § 1592 Nr. 3, § 1600d BGB, auch wenn sie auf einer Vermutung nach § 1600d Abs. 2 BGB beruhen (Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4/5), und über die Anfechtung der Vaterschaft (§ 1599 BGB). Dem Strafrichter ist es verwehrt nachzuprüfen, ob Feststellungen oder Nichtfeststellung der Vaterschaft zutreffend ist. Dies gilt auch in negativer Hinsicht: Bei rechtskräftig abgewiesener Anfechtungsklage oder einem rechtskräftig abgewiesenen Feststellungsantrag kommt es im Strafprozess nicht darauf an, ob entgegen der Annahme des Familiengerichts eine genetische Abstammung doch nicht besteht oder im Fall des § 1600 Abs. 1 Nr. 2 BGB besteht (s. bereits Rdn. 124 f). Einer gerichtlichen Statusentscheidung gleichzustellen ist ein wirksames Vaterschaftsanerkenntnis gemäß § 1592 Nr. 2, § 1594 BGB,316 dessen Wirkung zwar nicht auf einem gerichtlichen Feststellungsverfahren, sondern auf einer familienrechtlichen Willenserklärung beruht, und das die genetische Vaterschaft oder ihre Überprüfung nicht voraussetzt. Die allgemeine, auch den Strafrichter bindende Rechtswirkung317 beruht hier aber auf dem Schutz des Kindes und des sich zu ihm bekennenden Vaters sowie der Respektierung der beiderseits gewollten Bindung. Verfahrensrechtlich ist sie durch die Mitwirkungs-, Form- und Wirksamkeitserfordernisse der §§ 1594 ff BGB sowie durch die Möglichkeit von Widerruf und Anfechtung (§ 1593 Abs. 3 S. 1, § 1599 BGB) abgesichert (vgl. Ritscher MK Rdn. 28). Da eine vorrangige familiengerichtliche Überprüfung der Wirksamkeit des Anerkenntnisses nicht erfolgt, muss es den Strafrichter jedoch offen stehen, bei begründeten Zweifeln die Einhaltung der Voraussetzungen der §§ 1594 ff BGB eigenständig zu überprüfen. Erfasst sind weiterhin Entscheidungen über den Ausspruch der Adoption und ihre Aufhebung (§§ 1752, 1763 ff, 1771 BGB), die nach § 1310 Abs. 1 BGB, §§ 11 ff PStG vollzogene Ehe313 Mittlerweile allg. Auffassung; BGHSt 26 111, 113; OLG Hamm NStZ 2004 686; JMBlNW 28 (1974) 19 = NJW 1973 2306 (Ls.); OLG Stuttgart NJW 1973 2305, 2306; LG Zweibrücken NStZ 1993 300; Fischer Rdn. 5; SSW/Wittig Rdn. 14; Schall SK Rdn. 22; Ritscher MK Rdn. 24 ff; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 11 f; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 33; Kaiser NJW 1972 1847; Schwab NJW 1960 2173; Büttner ZZP 71 (1958) 40; überholt insoweit BGHSt 5 106; BGH FamRZ 1954 170. Auch die Materialien der Neufassung von § 170 durch das 4 Strafrechtsreformgesetz gehen von einer Bindung aus, vgl. auch BTDrucks. VI/1552 S. 12 und VI/3521 S. 13. Zur historischen Entwicklung vgl. Bruns FS Lent 139 f. Die frühere Kontroverse ist vor dem Hintergrund der seinerzeitigen, nicht auf eine Formalisierung der Vaterstellung gestützten Rechtslage zu verstehen. 314 Da die von § 170 vorausgesetzte gesetzliche Unterhaltspflicht auf Grundverhältnissen beruht, die – auch – durch Statusakte etabliert werden, kommt diesen eine dem Verwaltungsrecht vergleichbare Tatbestandswirkung zu. Der besondere Schutzbedarf, der sich aus der Wahrung der Rechte des Beschuldigten oder des Unterhaltsbedarfs des Bedürftigen ergibt könnte, erfordert auch angesichts der strengen, eine Amtsermittlung umfassenden Verfahrensgrundsätze im Statusverfahren (s. etwa §§ 26 ff, 127 FamFG) keine eigene Bewertung im Strafrecht, worauf Ritscher (MK Rdn. 27) verweist. 315 OLG Hamm NJW 1973 2306; Ritscher MK Rdn. 29; Schall SK Rdn. 22. 316 BGHSt 26 111 zu §§ 1708, 1718 BGB a. F.; Ritscher MK § 170 Rdn. 28; SSW/Wittig Rdn. 15. 317 Dass dem Anerkenntnis – auch angesichts seiner qualitativen Gleichstellung mit den weiteren konstitutiven Vaterschaftstatbeständen in § 1594 BGB – Wirkung gegen jedermann zukommt, ist nicht zweifelhaft, vgl. Wellenhofer MK § 1594 Rdn. 14; Bamberger/Roth/Hau/Poseck/Hahn § 1594 Rdn. 5; Gaul FamRZ 1997 1441, 1449; Rauscher FPR 2002 359. 557
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schließung und ihre -aufhebung (§ 1313 BGB) sowie die Scheidung (§ 1564 BGB). In der ehemaligen DDR vor Wirksamwerden des Beitritts ergangene Entscheidungen hinsichtlich der Vaterschaft wirken nach Art. 234 § 7 EGBGB fort und haben an der Bindungswirkung teil. 131 Ob ein Statusakt isoliert oder im Rahmen einer Verbundentscheidung ausgesprochen wird, ist unerheblich (Ritscher MK Rdn. 26). Der Ausspruch einer Unterhaltspflicht nimmt an der Bindungswirkung keinesfalls teil, auch wenn zugleich bindend über den Status befunden wurde.318 Die nur inzidente Annahme eines Statusaktes oder eine bloße Inzidentprüfung des Familienrichters im Unterhaltsprozess reicht für eine Bindung des Strafrichters nicht aus, denn in ihr liegt keine förmliche Feststellung mit Statuswirkung; auch im Übrigen bietet sie in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht keine höhere Richtigkeitsgewähr als im Strafprozess (aA Schall SK Rdn. 22; SSW/Wittig Rdn. 16).319 So kann im Regressprozess des Scheinvaters gegen den mutmaßlichen Erzeuger zwar in besonders gelagerten Einzelfällen die Rechtsausübungssperre des § 1600d Abs. 5 BGB durchbrochen und die genetische Vaterschaft des Beklagten inzident festgestellt werden (BGH NJW 2008 2433; krit. Peschel-Gutzeit JR 2009 135); ein Wechsel der Vaterschaft ist hiermit aber nicht verbunden (BGH a. a. O. 2435). Auch die Feststellung einer bestimmten Rangfolge im Zivilurteil bindet den Strafrichter nicht, denn ihr kommt konstitutive Wirkung nicht zu (aA Fischer Rdn. 5; SSW/Wittig Rdn. 16). Allerdings wird es bei einer entgegenstehenden Festsetzung des Vollstreckungsgerichtes nach § 850c Abs. 4 ZPO regelmäßig am subjektiven Tatbestand fehlen, wenn der Schuldner die darin festgelegten Gläubiger zuerst befriedigt.
132 (3) Wirkungen. Unterhaltsrechtlich führt die Begründung oder Änderung eines Unterhaltsgrundverhältnisses durch einen Statusakt nicht zu einer Strafbarkeit nach § 170 wegen unterbliebenen Unterhaltsleistungen vor der Begründung oder Änderung, selbst wenn sich zivilrechtlich eine rückwirkende Unterhaltspflicht ergibt. Bei einem Statusakt, der wie die Adoption oder Scheidung bereits ihrem Wesen nach ex 133 nunc wirkt, ist dies selbstverständlich. Auch die Unterhaltspflichten ändern sich mit strafrechtlicher Flankierung nur für die Zukunft. Eine Straftat nach § 170 aufgrund einer Verletzung der Unterhaltspflicht in früherer Zeit bleibt unberührt; fortan bestimmt sich die Strafbarkeit nach dem geänderten Unterhaltsverhältnis. Die Änderung bewirkt in strafrechtlicher Hinsicht daher eine Zäsur. Sowohl bei einer infolge des Statusaktes eingetretenen Änderung der Unterhaltsberechtigten,320 sondern auch bei Personengleichheit der Unterhaltsparteien – nach Scheidung tritt an die Stelle des Trennungs- ein nachehelicher Unterhalt – ist die bisherige Tat im materiellen wie prozessualen Sinne auch bei fortdauernder Untätigkeit des Pflichtigen beendet und es beginnt eine neue, denn es handelt sich um eine andere gesetzliche Pflicht und damit um einen anderen Lebenssachverhalt. 134 Die Feststellung der Vaterschaft oder ihre Anerkennung hat demgegenüber – trotz § 1600d Abs. 5, § 1594 Abs. 1 BGB – die Begründung rückwirkender Verwandtschaft nach §§ 1592, 1589 S. 1 BGB von Geburt des Kindes an zur Folge. Dementsprechend schuldet der Vater auch Unterhalt rückwirkend von der Geburt an; § 1613 Abs. 2 Nr. 2 BGB räumt dem Berechtigten die Möglichkeit ein, nachträglich Unterhalt auch für den zurückliegenden Zeitraum ab Geburt zu verlangen. Allerdings können die Ansprüche vor der Feststellung oder Anerkennung 318 Gebunden ist der Strafrichter nur an den Statusausspruch; die Prüfung, ob hieraus eine Unterhaltspflicht folgt, ob deren weitere Voraussetzungen die Leistungsfähigkeit auf der einen und Bedürftigkeit auf der anderen Seite vorliegen, sowie der Höhe des geschuldeten Unterhaltes, findet im Strafverfahren statt. Vgl OLG Düsseldorf StV 1991 68; Zutreffend Schall SK 25; unklar Fischer Rdn. 5. 319 Die Gefahr widersprechender Entscheidungen ist dabei wie auch sonst im Hinblick auf zivilrechtliche Unterhaltsurteile hinzunehmen. 320 Bsp.: Der Verpflichtete, der seinem adopiertem Kind ab Aufhebung der Adoption oder seiner Ehefrau nach Scheidung keinen Unterhalt mehr schuldet, wird nun von nachrangigen Gläubigern in Anspruch genommen. Wiedner
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nach § 1600d Abs. 5, § 1594 Abs. 1 BGB nicht geltend gemacht werden (zum vorläufigen Rechtsschutz vgl. Rdn. 137).321 In strafrechtlicher Hinsicht bedeutet dies, dass die Unterhaltspflicht nach § 1601 BGB und damit zugleich nach § 170 als solche zwar schon vorher bestand, unabhängig von der Frage der – vor dem Statusakt wohl bereits fehlenden – Fälligkeit des Unterhaltsanspruches vom Normbefehl der Strafnorm jedenfalls nicht erfasst ist.322 Denn durch unterbliebene Leistungen, die von dem noch nicht feststehenden Vater gar nicht verlangt werden konnten, ist die nach dem Schutzzweck von § 170 abzuwehrende Gefährdung des Lebensbedarfes nicht zurechenbar eingetreten. Unterbliebene Unterhaltsleistungen vor Rechtskraft der Feststellung oder Wirksamwerden des Anerkenntnisses können daher nicht zur Strafbarkeit führen. Ab Feststellung oder Anerkennung schuldet der Vater nicht nur den laufenden Unterhalt. Da ab diesem Zeitpunkt auch Unterhaltsrückstände verlangt werden können, fällt ihre nunmehr unterbleibende Entrichtung entgegen eines Verlangens nach § 1613 Abs. 2 BGB grundsätzlich gleichfalls unter § 170, wobei besonderer Prüfung bedarf, ob die nachgeforderten Beträge noch zur Deckung des laufenden Bedarfs erforderlich sind und durch die Entziehung der Lebensbedarf des Berechtigten gefährdet wird (vgl. Rdn. 161 ff).323 Auch die rechtskräftige Feststellung fehlender Vaterschaft aufgrund einer Vater- 135 schaftsanfechtung wirkt nach § 1599 Abs. 1 BGB auf die Geburt des Kindes zurück und beendet das Verwandtschaftsverhältnis ex tunc. Der (Schein-)Vater kann ab Rechtskraft wegen unterbliebenen Unterhaltes auch strafrechtlich nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden.324 Dies gilt ungeachtet dessen, dass er sich einem zuvor bestehenden Normbefehl verweigert hat und hierfür hätte verurteilt werden können; belanglos ist auch, ob er die Möglichkeit der Vaterschaftsanfechtung zuvor bewusst nicht ergriffen hat.325 Die Zuwiderhandlung gegen eine vorherige einstweilige Anordnung kann gleichfalls keine Strafbarkeit mehr begründen (Ritscher MK Rdn. 30; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 12). Soweit die Anfechtung bewirkt, dass rückwirkend höherer oder überhaupt Unterhalt durch einen Ersatzeintretenden geschuldet ist, kann dieser unabhängig von Vorsatzfragen strafrechtlich nicht belangt werden, weil der Anspruch vor Rechtskraft der Anfechtungsentscheidung nicht geltend gemacht werden konnte (s. Rdn. 134). Die rechtskräftige Abweisung einer Vaterschaftsanfechtung bindet den Strafrichter demgegenüber in der Weise, dass die Unterhaltspflicht des Ehemannes oder Anerkennenden fortbesteht, als wäre die Anfechtung nicht erfolgt (BayObLG NJW 1961 1415; s. auch Rdn. 130). Fällt die Vaterschaft infolge einer Anfechtung rückwirkend fort, ist es aber bereits zu einer 136 rechtskräftigen Verurteilung des Scheinvaters wegen einer Unterhaltspflichtverletzung gekommen, so kann der Verurteilte angesichts dessen, dass – wie nunmehr feststeht – von Anfang an keine Unterhaltspflicht bestand, Wiederaufnahme des Verfahrens verlangen; die Statusfeststellung bildet eine neue Tatsache im Sinne von § 359 Nr. 5 StPO (OLG Hamm NStZ 2004 686; anders noch OLG Hamm NJW 1969 805). In gleicher Weise kann eine erfolgreiche Restitution 321 Die zeitlichen Begrenzungen dienen der Klarheit der Personenstandsverhältnisse, vgl. Gernhofer/Coester-Waltjen § 52 Rdn. 12; Dippel LK12 Rdn. 26. Ihre genaue Einordnung ist ohne praktische Auswirkung. OLG Hamburg NStZ 1984 167, 168 hält Unterhaltspflicht bis zum Zeitpunkt der Feststellung der Vaterschaft für „suspendiert“; in der Literatur werden die Befristungen als Rechtsentstehungssperren (Holzhauer FamRZ 1982 109 f) oder Rechtsausübungssperren (Gaul FamRZ 1997 1449, 1451 f) eingeordnet. Strafrechtlich wirkt sie sich als Sanktionssperre aus (Eggert MDR 1974 447). 322 BayObLG FamRZ 1988 1323; OLG Hamburg NStZ 1984 167, 168; Ritscher MK Rdn. 29; Schall SK Rdn. 23; SSW/ Wittig Rdn. 15; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 33; Dippel LK12 Rdn. 26; Matzke DAVorm 1980 709. 323 AA wohl BayObLG FamRZ 1988 1323, wobei es sich auch bei Unterhaltsrückständen um erst mit der Feststellung fällig werdende Beträge handelt. 324 Dabei kommt es auf den Schluss der letzten Tatsachenverhandlung an; in der Revision ist § 354a StPO auf die – tatsächliche Verhältnisse betreffende – Statusänderung nicht anwendbar. 325 Schall SK Rdn. 23; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rn. 12; Ritscher Rdn. 29; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; Meyer NJW 1969 1360; anders hinsichtlich einer Wiederaufnahme OLG Hamm NJW 1969 805. 559
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Verletzung der Unterhaltspflicht
nach § 185 FamFG im Hinblick auf eine Statusfrage eine Wiederaufnahme begründen, die sich insoweit auf § 359 Nr. 4 StPO stützt. Zur Beseitigung einer Verurteilung aufgrund einer einstweiligen Anordnung vgl. Rdn. 138.
137 (4) Einstweilige Anordnungen. Einstweilige Anordnungen im Hinblick auf eine vorläufige Unterhaltszahlung nach §§ 49 ff, 246 ff FamFG und Festsetzungen des Unterhalts minderjähriger Kinder im vereinfachten Verfahren nach §§ 249 ff FamFG326 binden den Strafrichter nicht, selbst wenn sie eine vorläufige Beurteilung über eine noch nicht entschiedene Statusfrage enthalten. Angesichts ihrer Tatsachengrundlage, die sich lediglich auf eine Glaubhaftmachung der Unterhaltsvoraussetzungen (§ 51 Abs. 1 S. FamFG) oder bloße Angaben des Antragstellers (§ 250 FamFG) stützt, bieten sie keine hinreichende Richtigkeitsgewähr; zudem kommt ihnen keine auf Dauer angelegte Regelungswirkung zu (§§ 54, 56, 248, 254 f. FamFG).327 Ihre Bedeutung liegt aber darin, dass sie in den Fällen, in welchen eine Unterhaltspflicht durch den Strafrichter mangels bislang fehlender Statusfeststellung, insbesondere einer noch nicht feststehenden Vaterschaft, nicht autonom angenommen werden durfte, eine strafrechtliche Prüfung eröffnen. Denn die einstweilige Anordnung konkretisiert den gesetzlichen Normbefehl im Vorgriff auf eine zu klärende Statusfrage (vgl. § 248 FamFG) und legt für den Adressaten verbindlich, wenn auch vorläufig fest, dass eine Unterhaltspflicht besteht. Bei noch ungeklärter Vaterschaft bewirkt sie in materiellrechtlicher Hinsicht eine Durchbrechung der Sperren der § 1600d Abs. 5, § 1594 Abs. 1 BGB.328 Wegen des nur summarischen Überprüfungsmaßstabes im einstweiligen Rechtsschutz darf und muss der Strafrichter aber auch den Status neben den sonstigen Unterhaltsvoraussetzungen autonom beurteilen.329 Bei einer Festsetzung nach § 249 FamFG ohne Prüfung der konkreten Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners durch das Familiengericht hat der Strafrichter diese autonom zu ermitteln; fehlt es an der Leistungsfähigkeit, kommt trotz der Festsetzung eine strafrechtliche Verurteilung nicht in Betracht (Sch/Schröder/ Bosch/Schittenhelm Rdn. 19; vgl. Rdn. 81 f). Eine nach § 248 Abs. 4 FamFG angeordnete Sicherheitsleistung bildet keinen Unterhalt; 138 die Nichtbefolgung der Anordnung ist daher nicht strafbewehrt. Bei Aufhebung der einstweiligen Anordnung (§ 52 Abs. 2 S. 3, § 54 FamFG) oder ihrem Außerkrafttreten (§§ 56, 248 Abs. 5 S. 1 FamFG), entfällt die Strafbarkeit ex nunc, sofern nicht eine nachfolgende Regelung die Anordnung sachlich bestätigt. Ist dies nicht der Fall, insbesondere bei von der Anordnung abweichender rechtskräftiger Feststellung im Hauptsacheverfahren (§ 248 Abs. 5 S. 1 FamFG), ist von einer fehlenden Unterhaltspflicht auszugehen. Der dann nur formale Verstoß vermag eine Strafbarkeit nicht zu rechtfertigen (Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 12). Bei rechtzeitiger Abweisung der Feststellungsklage und hierdurch bindender Festlegung, dass eine von den vorherigen Verhältnissen abweichende Vaterschaft nie bestanden hat, kann eine auf der einstweiligen Anordnung beruhende Beurteilung durch Wiederaufnahme beseitigt werden (vgl. auch die Schadensersatzpflicht nach § 248 Abs. 5 S. 2 FamFG). Im Strafverfahren empfiehlt sich daher, nach § 262 Abs. 2 StPO den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten.
326 Die früheren Regelungen der § 1615o BGB und § 641d ZPO sind durch das FGG-ReformG v. 17.12.2008 (BGBl. I 2586) in das FamFG überführt worden.
327 Schall SK Rdn. 24; Ritscher MK Rdn. 30. Zur früheren Rechtslage nach § 1615o BGB und § 641d ZPO vgl. Dippel LK12 Rdn. 27.
328 Vgl. Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rn. 7; zur Rechtslage nach § 1615o BGB a. F. und § 641d ZPO a. F. Dippel LK12 Rdn. 26. In diesem Sinne lassen sich auch Formulierungen verstehen, dass einstweilige Anordnungen „zu gesetzlichen Unterhaltspflichten führen können“, so Schall SK Rdn. 24, Ritscher MK Rdn. 24. 329 So i. E. auch die Autoren, die dem Strafrichter die Beweiserleichterung des § 1600d Abs. 2 BGB zugestehen wollen, etwa Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 10. Wiedner
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StGB § 170
ee) Unterhaltsentscheidungen. Eine Bindungswirkung der Strafgerichte an Unterhaltsent- 139 scheidungen der Familiengerichte besteht im Übrigen nicht.
(1) Zusprechend. Dies ist unstreitig für Zivilurteile, durch die Unterhalt zugesprochen 140 wird.330 Im Strafverfahren entfalten sie keine Bindung dahin, ob und in welcher Form oder Höhe ein Unterhaltsanspruch besteht. Positiv-rechtlich folgt dies aus § 262 Abs. 1 StPO, systematisch aus den unterschiedlichen Zwecken und Maximen von Zivil- und Strafverfahren (vgl. Rdn. 121). Von § 262 Abs. 2 StPO bleibt die Vorfragenkompetenz unberührt; das Abwarten auf die zivilrechtliche Entscheidung erhebt diese nicht zu einem Präjudiz.331 Die zivilrechtlichen Voraussetzungen einer gesetzlichen Unterhaltspflicht sind daher – bis auf die den Familiengerichten vorbehaltenen Statusentscheidungen – durch den Strafrichter selbständig zu prüfen und können entgegen der zivilrechtlichen Verurteilung zum Verneinen einer Unterhaltspflicht mit der Folge einer Nichteröffnung des Hauptverfahrens oder eines Freispruches, aber auch zur Annahme einer von dem zivilrechtlichen Erkenntnis nach oben oder unten abweichenden Höhe des Unterhaltes führen. Entgegen vorherrschender Auffassung332 ist dabei eine durch das Zivilgericht angenommene bestimmte Rangfolge von Unterhaltsberechtigten oder -verpflichteten im Strafverfahren nicht zwingend zu übernehmen, auch hier mit Ausnahme den Rang betreffender Vorfragen, die durch eine inter omnes wirkende Statusfeststellung geklärt sind. Auch an die Bestimmung des Mindestunterhaltes nach § 1612a BGB und hierauf beruhende Erkenntnisse der Familiengerichte ist der Strafrichter nicht gebunden (Fischer Rdn. 5). (2) Ablehnend. Demgegenüber wird teilweise eine Bindung an klageabweisende Entschei- 141 dungen der Zivilgerichte befürwortet mit dem Argument, dass die Strafgerichte nicht über § 170 einen im Zivilrechtsweg undurchsetzbaren Anspruch erzwingen könnten, die Verurteilung auch für den Berechtigten von nur begrenztem Nutzen wäre, weil etwaige, auf Druck der Strafverfolgung erfolgte Leistungen zivilgerichtlich kondizierbar wären.333 Die Frage ist nicht von großer praktischer Bedeutung, da es dem Unterhaltsschuldner angesichts seiner Angaben im Zivilverfahren, seiner dort vertretenen Rechtsauffassung und dem Erfolg der Klageabweisung regelmäßig am Vorsatz fehlen bzw. er einem Tatbestandsirrtum hinsichtlich seiner Unterhaltspflicht unterliegen wird, sofern er das Zivilurteil nicht mit unlauteren Mitteln, insbesondere unwahren oder unvollständigen Angaben über seine Einkünfte erstritten hat (Ritscher MK Rdn. 33; s. auch BGHSt 5 106, 111). Sie ist dahin zu entscheiden, dass der Strafrichter auch bei einem ihm vorliegenden klageabweisenden Unterhaltsurteil frei in seiner Entscheidung bleibt.334 Zu beachten ist insoweit, dass § 262 Abs. 1 StPO keine dispositive Berechtigung verleiht, sondern den Strafrichter als gesetzlichen Richter auch über das vorgreifliche Rechtsver330 BGHSt 5 106, 107 ff; BGH bei Tröndle GA 1962 225, 256; BayObLGSt 2002 71; NJW 1967 1287; StV 2001 349; OLG Koblenz NStZ 2005 640; OLG Hamm ZFE 2003 188; StV 2001 349; NJW 1954 1340; OLG Düsseldorf StV 1991 68; OLG Celle NJW 1955 563; StV 2001 349; OLG Bremen NJW 1964 1286; OLG Stuttgart NJW 1960 2204, 2205; Sch/ Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 13; Fischer Rdn. 5; Ritscher MK Rdn. 31; Schall SK Rdn. 87; SSW/Wittig Rdn. 16; Dornis FRB 7 (2008) 22; Hellmer ZStW 70 (1958) 366. Vgl. auch BGH NJW 2014 1749 zu § 4 GewSchG. AA noch OLG Braunschweig NJW 1953 558, OLG Oldenburg NJW 1952 118 und E. Kaiser NJW 1972 1847. Unklar Fischer Rdn. 5, der eine Bindung annehmen will, wenn die Unterhaltspflicht des nichtehelichen Vaters auf einem zugleich mit der Vaterschaftsfeststellung ergangenen Urteil beruht. 331 Radtke/Hohmann/Britz Rn. 9; Graf/Eschelbach § 262 Rdn. 9. Da § 170 allein auf die materielle Unterhaltspflicht abstellt und keine darüber ergehende Entscheidung erfordert, entfaltet sie auch keine Tatbestandswirkung. 332 Ritscher MK Rdn. 31; SSW/Wittig Rdn. 16; Fischer Rdn. 5; Dippel LK12 Rdn. 28. 333 So Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 13; Dippel LK12 Rdn. 28; Schwab NJW 1960 2169; Eggert S. 205 f; Neudek S. 35. 334 H. M.; vgl. BGHSt 5 106; 12 166, 171; OLG Stuttgart NJW 1960 2204; OLG Hamm NStZ 2004 686; Schall SK Rdn. 25; Ritscher MK Rdn. 32; SSW/Wittig Rdn. 16. 561
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hältnis schlechterdings zu einer eigenen Entscheidung verpflichtet (vgl. Rdn. 121). Gerade in Fällen, in denen die zivilrechtliche Verfahrensordnung zu einer Schwäche des Unterhaltsschutzes führt, indem die Zivilgerichte bei nicht widerlegtem, aber falschem oder unvollständigem Vortrag des Unterhaltsschuldners zu einer Klageabweisung gehalten sind, erweist sich zudem der Zweck der strafrechtlichen Absicherung; dass einem mit unlauteren Mitteln agierenden Unterhaltsschuldner sein zivilgerichtlicher Erfolg gesichert werden soll, indem ihn auch die Strafjustiz zu respektieren hat, ist nicht einsehbar (zutreffend Ritscher MK Rdn. 32). Die Gefahr einer Rückforderung von im Hinblick auf das Strafverfahren geleisteten freiwillige Zahlungen besteht nach rechtskräftiger Verurteilung im Strafverfahren wegen § 817 S. 2 BGB nicht; zudem erweisen sich Bewährungs- oder anderweitige Weisungen, die auf Zahlung des Unterhaltes gerichtet sind (vgl. Rdn. 215), als ausreichender Rechtsgrund. Die gegenteilige Auffassung müsste im Übrigen konsequenterweise schon in der Höhe des durch ein Zivilgericht angenommenen Unterhalts eine Bindung annehmen, da auch die teilweise Entziehung zur Strafbarkeit führen kann.
142 (3) Verwertung als Beweismittel, § 262 Abs. 2 StPO. Der Strafrichter ist demgegenüber nicht gehindert, eine Entscheidung der Zivilgerichte abzuwarten und sie als Beweismittel zu verwerten, wenngleich ihnen insoweit nur ein begrenzter Wert zukommt. So räumt § 262 Abs. 2 StPO dem Strafrichter die Möglichkeit ein, unter jeweiliger Aussetzung des Verfahrens einem Beteiligten – im Falle des § 170 dem Unterhaltspflichtigen wie -berechtigten – eine Klageerhebung vor dem Familiengericht aufzugeben oder den Ausgang eines dort bereits anhängigen Verfahrens abzuwarten. Die Aussetzung steht im pflichtgemäßen Ermessen; es handelt sich insoweit um eine bloße Zweckmäßigkeitsregelung. Dem Strafrichter steht es sodann offen, die Unterhaltsentscheidung, die Art und Weise ihres 143 Zustandekommens und ihre tatsächlichen Grundlagen in seine Beweiserhebung und -würdigung aufzunehmen, etwa dortige Angaben des Unterhaltsschuldners zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen und solche des Unterhaltsberechtigten durch Vorhalte in die Hauptverhandlung einzuführen, und die sich aus dem Zivilurteil ergebenden Ansätze zur Unterhaltsberechnung zu nutzen. Zum Beweis der Tatsache, dass ein Unterhaltsurteil ergangen ist und der dort befasste Richter angefallene Beweise in bestimmter Weise gewürdigt hat, und als Indiz für die Richtigkeit und Vollständigkeit der dortigen Beweisgrundlage kann es ebenfalls herangezogen werden.335 Vielfältige Ansatzpunkte für eine Ermittlung des Bedarfs und der Leistungsfähigkeit werden sich zudem regelmäßig aus den beizuziehenden Akten des Unterhaltsverfahrens ergeben. Indes bleibt es Aufgabe der Strafgerichte, sich mit den Mitteln strafprozessualen Strengbeweises eine eigene, ggf. abweichende Überzeugung zu verschaffen, und nicht nur die abgewartete Entscheidung des Familiengerichts unter Einschluss von deren Beweiswürdigung auf Plausibilität zu überprüfen. Insoweit erscheint die verbreitete Auffassung, dass durch die Heranziehung zivilrichterliche Entscheidungen doppelte Beweiserhebungen vermieden werden können,336 nur bedingt zutreffend. Auch erscheint prozessual problematisch, wenn dem Strafrichter angesonnen wird, die im Unterhaltsprozess getroffenen Feststellungen und Bewertungen zu übernehmen, wenn sich Anhaltspunkte für Abweichungen nicht ergeben.337 Denn der Strafrichter darf Tatsachenfeststellungen ge-
335 In diesem Sinne wohl Graf/Eschelbach § 262 Rdn. 9. 336 Nach Meyer-Goßner/Schmitt § 262 Rdn. 14 soll das Strafgericht berechtigt sein, sein Urteil auf die Entscheidung des Zivilgerichts „zu stützen“; es brauche die Beweise, auf denen es beruht, nicht nochmals zu erheben. Auch nach Miebach MK-StPO § 262 Rdn. 28 kann der der Strafrichter sich „unter Verzicht auf eine eigene Beweisaufnahme“ auf die außerstrafrechtliche Entscheidung stützen. Ähnlich Radtke/Hohmann/Britz § 262 Rdn. 14; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3. 337 Vgl. OLG Celle, Beschluss vom 19.4.2011 – 32 Ss 37/11 (juris) = NdsRpfl. 2011 378, wonach die im familienrechtlichen Erkenntnis festgestellten Tatsachen und Berechnungen einerseits erst „nach selbstständiger Überprüfung“ Wiedner
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rade nicht einem anderen Verfahren überlassen;338 auch verbieten es die strafprozessualen Beweisregeln, namentlich der Unmittelbarkeitsgrundsatz regelmäßig, dass er sich bei einem schweigenden oder bestreitenden Angeklagten allein auf die Wiedergabe von Beweismitteln – etwa Urkunden oder Zeugenaussagen – in einem anderweitigen Erkenntnis stützt.339 Soweit ein zivilrechtlicher Tatbestand maßgeblich auf unstreitig gebliebenen oder aufgrund von Darlegungsund Beweislastregeln gefundenen Tatsachen beruht, kann ohnehin allein das dortige Prozessverhalten des Unterhaltsschuldner einen Anhalt für die Richtigkeit der Angaben des Unterhaltsberechtigten dienen, erst recht dann, wenn die Unterhaltsparteien im Vergleichswege eine Einigung über einen zu leistenden Unterhaltsbetrag erzielt haben. All dies gilt ungeachtet des empirischen Befundes, dass in der Praxis der hauptsächlich vor den Strafgerichten des kleinen Rechtszuges anhängigen Verfahren die unter hohem Erledigungsdruck stehenden und regelmäßig mit familienrechtlichen Fragen im Einzelnen nicht vertrauten Strafrichter auf rechtskräftige Urteile der Familiengerichte sowohl in rechtlicher als auch tatsächlicher Hinsicht zumindest als Leitlinie für die eigene Beurteilung dankbar zurückgreifen.
ff) Anforderungen an tatrichterliche Feststellungen. Vor dem Hintergrund der Autonomie 144 strafrichterlicher Beurteilung und der weitgehend fehlenden Bindung an zivilrechtliche Erkenntnisse sind die erforderlichen Feststellungen und Darlegungen in dem strafrechtlichen Urteil zum Bestehen einer gesetzlichen Unterhaltspflicht umfangreich (zur Frage der Leistungsfähigkeit s. bereits Rdn. 116). Der Strafrichter muss wie ein Familienrichter die den Angeklagten betreffende Leistungspflicht dem Grunde und der Höhe nach darstellen und belegen, ohne sich hierbei der zivilprozessualen Grundsätze von Darlegungs- und Beweislast bedienen zu können. Die zur Höhe des Unterhaltsbedarfs auf der einen und der Leistungsfähigkeit auf der anderen Seite führenden tatsächlichen Grundlagen und Berechnungen sind im Urteil in nachvollziehbarer Weise mitzuteilen (OLG Zweibrücken NStZ-RR 2019 246; KG, Beschl. v. 13.12.2001 – 1 Ss 313/ 01 [juris]). Die Feststellungen müssen so detailliert sein, dass eine revisionsrechtliche Prüfung allein auf Grundlage der durch das Urteil vermittelten Tatsachengrundlage und ohne Rückgriff auf den Akteninhalt ermöglicht wird.340 Eine Bezugnahme auf ein zu Lasten des Pflichtigen ergangenes Unterhaltsurteil scheidet aus. Auch auf bereits vorliegende Aufstellungen und Berechnungen seitens der Unterhaltsparteien, von Zivilgerichten oder eingesprungenen Jugendoder Sozialämtern darf der Strafrichter sich im Urteil nicht pauschal beziehen oder sich darauf verlassen, sondern sie nur zum Ausgangspunkt eigener Erhebungen und Darlegungen machen (vgl. Schall SK Rdn. 35; Ritscher MK Rdn. 31). Unterhaltstabellen darf der Strafrichter etwa zur Bedarfsermittlung heranziehen, muss aber den daraus entnommenen Regelsatz und seine Voraussetzungen im Urteil angeben; ein schlichter Verweis reicht nicht aus.341 Ergeben sich besondere Umstände, die eine Abweichung vom Regelsatz rechtfertigen können, sind diese zu erörtern. Im Einzelnen hat der Tatrichter zunächst – unter möglicher Heranziehung zivilrechtlicher Statusentscheidungen – das Unterhaltsgrundverhältnis festzustellen, aus welchem die Unterhaltspflicht erwächst. Dem bezifferten und belegten Bedarf des Unterhaltsberechtigten entspreverwendet werden können, es andererseits bei fehlenden Anhaltspunkten für „keiner tatrichterlichen Feststellungen [bedarf], die über die Wiedergabe des familiengerichtlichen Erkenntnisses sowie der zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Erwägungen hinausgehen.“ 338 So wiederum zutreffend Meyer-Goßner/Schmitt § 262 Rdn. 10; Löwe/Rosenberg/Stuckenberg § 262 Rdn. 44. 339 Zutreffend Jürgensen Die Aussetzung des Strafverfahrens zur Klärung außerstrafrechtlicher Rechtsverhältnisse, S. 331; zweifelnd auch Stuckenberg LR § 262 Rdn. 56. 340 BayObLGSt 1999 55, 56; BayObLG StV 1990 552; OLG Celle NdsRPfl. 2011 378, 379; OLG Düsseldorf NJW 1994 672; OLG München NStZ 2009 212; OLG Hamm NStZ 2008 342; Beschl. v. 17.4.2012 – 3 RVs 24/12 (juris); OLG Saarbrücken FamRZ 2010 1018; Schall SK Rdn. 35. 341 OLG Zweibrücken NStZ-RR 2019 246; OLG München NStZ 2009 212: OLG Hamburg StV 1989 206; OLG Celle, 2001 349; OLG Koblenz, Beschl. v. 3.11.2010 – 2 Ss 184/10 (juris). 563
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chend dessen Lebensstellung, eigener Leistungsfähigkeit und etwaiger Ausschlussgründe hat der Tatrichter die finanzielle Leistungsfähigkeit des Angeklagten entgegenzustellen (OLG Koblenz, Beschl. v. 3.11.2010 – 2 Ss 184/10 [juris]) und darzulegen, ob und inwieweit dieser zur vollständigen oder teilweisen Erfüllung der Unterhaltspflicht über etwaig geleistete Beträge hinaus in der Lage war. 145 Lückenhafte Feststellungen, welche bereits die Art der Unterhaltspflicht betreffen, die Bedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten insgesamt nicht erkennen oder offen lassen, ob der Unterhaltsverpflichtete überhaupt leistungsfähig ist, führen zur Gesamtaufhebung des Urteils unter Einschluss des Schuldspruches. Da sie doppelrelevante Tatsachen betreffen, lassen sie eine Beschränkung von Berufung oder Revision auf den Rechtsfolgenausspruch nicht zu (s. etwa BayObLG NStZ-RR 2000 305). Dagegen ist eine Rechtsmittelbeschränkung wirksam, wenn eine Unterhaltsschuld und eine hierauf bezogene Leistungsfähigkeit wenigstens hinsichtlich eines Teiles des geschuldeten Unterhaltes hinreichend festgestellt ist und nur in Frage steht, ob – etwa infolge der zumutbaren Aufnahme weiterer Beschäftigung – noch mehr hätte geleistet werden können; in diesem Fall ist der gesetzliche Tatbestand bereits erfüllt, während allein der Schuldumfang und damit die Rechtsfolgenseite von dem Feststellungs- oder Erörterungsmangel betroffen sind.
146 g) Bedürftigkeit. Nur bei Bedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten besteht der gesetzliche Unterhaltsanspruch. 147 Die Bedürftigkeit bildet eine – spiegelbildlich zur Leistungsfähigkeit auf Seite des Pflichtigen zu prüfende – weitere Einschränkung der gesetzlichen Unterhaltspflicht. Auch sie bestimmt sich nach den Vorgaben des bürgerlichen Rechts. Als grobe Grundregel gilt, dass keine Bedürftigkeit besteht, wenn und soweit der Unterhaltsberechtigte seinen Bedarf selbst mit Mitteln decken kann, die ihm tatsächlich zur Verfügung stehen (Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 19). So liegt es auch dann, wenn der Unterhaltsberechtigte sich die erforderlichen Mittel zumutbarerweise beschaffen könnte, so durch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit342 oder durch Erfüllung sonstiger Obliegenheiten, etwa der Einziehung von Forderungen (BGH NJW 1998 979) oder der Inanspruchnahme eines Darlehens nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BGH FamRZ 1985 916, 917; 1989 499, 500; Palandt/Diederichsen § 1602 Rdn. 3). Grundsätzlich sind für den Unterhaltspflichtigen und den Unterhaltsberechtigten die gleichen Maßstäbe anzulegen, so dass für die Bedürftigkeit die Erläuterungen zur Leistungsfähigkeit sinngemäß gelten. 148 Differenzierungen bestehen nach der Person des Berechtigten. Ein Verwandter ist unterhaltsberechtigt, soweit er außerstande ist, sich selbst zu unterhalten (§ 1602 Abs. 1 BGB, vgl. BGHZ 92 123, 127). Ausgangspunkt ist nach § 1610 Abs. 1 BGB der angemessene Unterhalt abhängig von der Lebensstellung des Bedürftigen. Bei Ehegatten und geschiedenen Ehegatten bilden in gleicher Weise die „ehelichen Lebensverhältnissen“ den Maßstab (§ 1578 Abs. 1 S. 1 BGB),343 mithin die Lebensstellung, die der Höhe des maßgebenden Einkommens entspricht.344 Der Umfang ist beim Familienunterhalt beschränkt auf den erforderlichen Bedarf, der die Kosten des Haushalts und die Aufwendungen zur Befriedigung der persönlichen Bedürfnisse der Ehegatten und des Lebensbedarfs der gemeinsamen unterhaltsberechtigten Kinder umfasst (§ 1360a Abs. 1 BGB). Gegenüber einem Kind sind die Kosten einer angemessenen Ausbildung 342 BGHSt 14 165, 169 f mit Anm. Fränkel LM 170b Nr. 6; BGH NJW 1982 380; BayObLG NJW 1990 3284, 3285; Diederichsen JZ 1985 791; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 34; Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 19; G. Walter NJW 1984 259 f mit Einzelheiten. 343 Vgl. auch § 1361 Abs. 1 S. 1 BGB, wonach sich der Unterhalt bei getrennt lebenden Ehegatten nach den „Lebensverhältnissen und den Erwerbs- und Vermögensverhältnissen“ bestimmt. Zu den „ehelichen Lebensverhältnissen“ eingehend G. Walter NJW 1984 263 f. 344 BGH NJW 1980 1686, 1689; 1981 1559, 1560; Sch/Schröder/Lenckner Rdn. 19. Wiedner
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zu einem Beruf einzubeziehen (§ 1610 Abs. 2 BGB), die den Begabungen, Fähigkeiten und beachtenswerten Neigungen am besten entspricht; dabei bilden die wirtschaftlichen Verhältnisse der Eltern allerdings einen die Auswahl limitierenden Faktor.345 Verzögerungen im Ausbildungsgang durch familiäre Schwierigkeiten, etwa bei Scheidung der Eltern, Umzug der Familie und Schulwechsel sind Rechnung zu tragen (OLG Koblenz FuR 2001 475, 476). In besonders gelagerten Fällen kommt die Finanzierung einer weiteren Ausbildung in Betracht, etwa aus gesundheitlichen Gründen, bei Fehleinschätzung der Fähigkeiten oder fehlenden Berufsaussichten (BGHZ 69 190, 194).346 Solange sich ein volljähriges Kind in einer angemessenen Ausbildung befindet, trifft es keine Erwerbsobliegenheit (BGH FamRZ 1995 475, 477; OLG Hamm FamRZ 1988 425, 426). Mindestunterhaltssätze gegenüber dem nicht mit ihm in einem Haushalt zusammenlebenden Pflichtigen ergeben sich aus den §§ 1612a bis 1612c BGB. Der getrennt lebende, nicht erwerbsfähige Ehegatte kann darauf verwiesen werden, seinen Unterhalt durch eine Erwerbstätigkeit selbst zu verdienen, soweit dies von ihm nach seinen persönlichen Verhältnissen, insbesondere nach seiner Ausbildung und früheren Erwerbstätigkeit, nach der Dauer der Ehe und den wirtschaftlichen Verhältnissen beider Ehegatten erwartet werden kann (§ 1361 Abs. 2 BGB). Für den geschiedenen Ehegatten gilt § 1577 Abs. 1 BGB, wonach er keinen Unterhalt nach den §§ 1570 bis 1573, 1575 und 1576 BGB verlangen kann, solange und soweit seine Einkünfte und sein Vermögen für seinen Unterhalt ausreichen.347 Den Vermögensstamm muss das minderjährige unverheiratete Kind nur einsetzen, wenn 149 die Eltern außerstande sind, ohne Gefährdung des eigenen angemessenen Unterhalts zu leisten (§§ 1602 Abs. 2 und 1603 Abs. 2 S. 3 BGB). Demgegenüber hat der geschiedene Ehegatte den Stamm seines Vermögens anzugreifen, sofern die Verwertung nicht unwirtschaftlich oder unter Berücksichtigung der beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse unbillig wäre (§ 1577 Abs. 3 BGB).348 Aus § 1602 BGB wird im Umkehrschluss gefolgert, dass andere Unterhaltsberechtigte, entferntere Verwandte und volljährige Kinder vorrangig vor der Unterhaltsleistung ihr Vermögen aufzehren müssen, wenn nicht die Verwertung die Veräußerung unzumutbar ist, weil der laufende Bedarf sich aus den Stammerträgen decken ließe oder sie zu unvertretbaren wirtschaftlichen Nachteilen führen würde.349 § 1577 Abs. 3 BGB ist nicht entsprechend anzuwenden;350
345 BGHZ 69 190, 192; 107 376, 379. Das Recht steht in einem Spannungsverhältnis zu jenem erziehungsbedingten der Eltern, den Bildungsweg und die Auswahl der weiterführenden Schulen zu bestimmen (vgl. BGH NJW 1983 392). Umfasst sein können etwa zusätzliche Kosten durch den Wechsel zu einer privaten Schule (BGH NJW 1993 393, 394), die Teilnahme an einem Lehrgang zum nachträglichen Erwerb des Realschulabschlusses (BGH FuR 12 [2001] 355, 356 f), der Besuch einer höheren Handelsschule (BGH MDR 2002 826) und das Durchlaufen des Berufsgrundschuljahres (OLG Koblenz MDR 2000 1016). Wartezeiten bis zur Erlangung eines Studien- oder Ausbildungsplatzes sind nicht umfasst (OLG Naumburg FamK 35 [2008] 26). 346 So bei einem Unterhaltsberechtigten, der die Heilpraktiker-Ausbildung aufgibt und nach Bewerbung, Eignungstest und Zulassung das Medizinstudium aufnimmt (BGH NJW 2001 2170, 2171 f), oder bei einer Unterhaltsberechtigten, die ihre Ausbildung als Bauzeichnerin durch ein Architekturstudium fortsetzt (BGH FamRZ 1989 853, 854 f), hingegen nicht, wenn eine durch ein Fachinstitut zur Sekretärin ausgebildete und in diesem Beruf tätige Unterhaltsberechtigte das Studium der Volkswirtschaftslehre beginnt (BGH FuR 12 [2001] 529, 530); vgl. auch BGHZ 107 376, BGH NJW 1993 2238, Ehinger/Griesche/Rasch/Ehinger Rdn. 196, Thalmann/May/Benner Rdn. 369 und Wendl/Staudigl/Scholz § 2 Rdn. 58, 68, 73 ff. 347 Zur Berücksichtigung von Leistungen gegenüber einem neuen Partner vgl. BGH NJW 1989 1083, 1084; OLG Celle NJW 2000 2282, 2283. 348 Für die vor dem 1.7.1977 schuldlos oder minder schuldig geschiedene Frau vgl. §§ 58 Abs. 1, 59 Abs. 2 und 60 des Ehegesetzes (Rdn. 16), anzuwenden nach Art. 3 Abs. 2 GG entsprechend auf den Mann. 349 RGZ 81 241; BGH FamRZ 1957 120; NJW-RR 1986 66. 350 BGH NJW 1998 978, 980; Luthin MK-BGB § 1602 Rdn. 45; Staudinger/Engler § 1602 Rdn. 118; Wendl/Staudigl/ Scholz § 2 Rdn. 107. Vor Schaffung der Norm durch das Erste Eherechtsreformgesetz (Rdn. 18 Fn. 68) hatte der Bundesgerichtshof allerdings entschieden, dass die Verwertung des Vermögensstamms eines volljährigen Kindes insbesondere auch im Falle der Unwirtschaftlichkeit, worauf § 1577 Abs. 3 BGB neben der Unbilligkeit abhebt, unzumutbar sein kann (BGH FamRZ 1957 120; 1966 28, 29). 565
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vielmehr wird die Grenze in Anlehnung an § 1577 Abs. 2 BGB enger zu ziehen sein, angenähert an den Begriff der groben Unbilligkeit.351 150 Zur Ermittlung des konkreten Bedarfs im Einzelfall anhand allgemeingültiger Gegebenheiten und typischer Sachlagen greift die Praxis auf Bedarfstabellen, Quoten, Schlüssel und unterhaltsrechtliche Leitlinien zurück (zur Entstehung Jost JR 2003 90). Sie sind weder Gewohnheitsrecht, noch besitzen sie Rechtssatzcharakter oder anderweitig verbindlich (Dippel LK12 Rdn. 37). Vielmehr handelt es sich um unverbindliche Richtwerte und Orientierungshilfen bei der Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs des angemessenen Unterhalts (vgl. BGH FamRZ 1992 795, 797; zur bekannten Düsseldorfer Tabelle vgl. Langeheine MK-BGB § 1610 Rdn. 44 ff). Revisionsrechtlich ist nicht zu beanstanden, wenn auch der Strafrichter vorbehaltlich von Abweichungen infolge besonderer Umstände des Einzelfalls von Unterhaltstabellen und -leitlinien ausgeht.352 Die Lebensumstände des Bedürftigen muss er allerdings wenigstens in groben Zügen feststellen; Anhaltspunkten für eine herabgesetzte Bedürftigkeit muss er nachgehen. Die in den Tabellen für die oberste Einkommensgruppe geltenden Bedarfssätze sind in Fällen höherer Leistungsfähigkeit nicht fortzuschreiben; ein erhöhter Bedarf muss dann gesondert bewiesen sein.
2. Tathandlung: Sich-Entziehen 151 Die Tathandlung besteht nach der gesetzlichen Formulierung darin, dass der Täter sich seiner Unterhaltspflicht entzieht.
152 a) Grundsatz: Nichtleistung. Im Grundsatz entzieht sich der Täter seiner Pflicht, wenn er den gesetzlich geschuldeten Unterhalt ganz oder teilweise nicht leistet.353 Die h. M. sieht hierin die maßgebliche Anknüpfung für die Strafbarkeit (Fischer Rdn. 9; Dippel LK12 Rdn. 52) oder zumindest den Schwerpunkt der Tatbestandsverwirklichung (Ritscher MK Rdn. 49) und hält die Vorschrift daher für ein echtes Unterlassungsdelikt.354 Bereits sprachlich geht die mögliche Tathandlung aber darüber hinaus. Reicht es zwar ohne weiteres aus, dass der leistungsfähige Unterhaltsschuldner es schlicht unterlässt, den Unterhalt zu zahlen, so bildet auch ein vorgelagertes positives Tun, durch das der Pflichtige seine Inanspruchnahme verhindert (vgl. nachfolgend Rdn. 156) oder seine Leistungsunfähigkeit herbeiführt (vgl. nachfolgend Rdn. 158), eine tatbestandliche Handlung. Auch wenn sie sich erst im Zeitpunkt der Fälligkeit des Unterhaltsanspruches und der unterbliebenen Leistung realisiert, ist sie bereits auf die Pflichtverletzung gerichtet, gefährdet das Rechtsgut und bildet mit der schlussendlichen Nichtleistung ein einheitliches Geschehen. Im Hinblick auf das dem Schuldner unterhaltsrechtlich obliegende Verhalten wird man ein Tun, durch das sich der Unterhaltsschuldner einem Zugriff entzieht oder vorwerfbar seine Leistungsunfähigkeit herbeiführt, zudem bereits als pflichtwidrig – und
351 BGH NJW 1998 978, 980; Kalthoener/Büttner/Niepmann Rdn 584; vgl. auch OLG Hamburg FamRZ 1980 912, 913, OLG Hamm FamRZ 1982 1099, 1100, OLG Frankfurt FamRZ 1987 1179, 1180, Luthin MK-BGB § 1602 Rdn. 8. 352 BGH NJW 1984 1614; 1987 523; FamRZ 1979 692; 1982 366; 1990 260, 265; 1992 795, 797; 1993 43, 44; OLG Hamburg FamRZ 1995 1418; OLG Zweibrücken StV 1986 531, 532. 353 BGHSt 12 185, 190; BGH NJW 1961 1110; BayObLG 1988 92; OLG Hamburg NStZ 1984 167, 168; Ritscher MK Rdn. 49; Schall SK Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 27; SSW/Wittig Rdn. 18; Dippel LK12 Rdn. 52. 354 OLG Köln NJW 1981 63, 64; OLG Hamm JMBlNW 13 (1959) 269; Schall SK Rdn. 37; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 27; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 9; SSW/Wittig Rdn. 18; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 35 f; Arzt/ Weber/Heinrich/Hilgendorf BT § 10 Rdn. 35; Schramm S. 352 f; aA BGHSt 18 376, 379; BayObLGSt 1960 5, 7, OLG Bremen NJW 1955 1606, 1607; OLG Saarbrücken NJW 1975 506, 507; Eggert S. 55 ff Wiedner
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nicht als neutrales Vorverhalten (so Schall SK Rdn. 38) – qualifizieren müssen.355 Mit Blick auf die historische Versuchsstrafbarkeit (vgl. Rdn. 3) wäre ein solch positives Tun zur Begründung des Tatvorwurfes ausreichend. In der häufigen und für den Tatvorwurf nicht untypischen Konstellation der Herbeiführung der eigenen Leistungsfähigkeit knüpft die strafrechtliche Vorwerfbarkeit zudem maßgeblich an das Vorverhalten an (vgl. BGHSt 14 165; 18 376, 379).356 Dem entspricht es, Abs. 1 nicht als reines Unterlassungsdelikt zu begreifen, sondern im Sinne einer Doppelnatur eine Verwirklichung durch Tun und Unterlassen, mit dem sich der Täter seiner Pflicht „entzieht“, als tatbestandlich anzusehen, auch wenn erst die schlussendliche Nichtentrichtung die Strafbarkeit begründet. Die Unterscheidung zur herrschenden Auffassung bleibt weitgehend ohne Auswirkungen; insbesondere führt sie durch den weiterhin maßgeblichen Tatzeitpunkt einer fehlenden Leistung zum Fälligkeitstermin nicht zu anderen konkurrenzrechtlichen Bewertungen. Sie erscheint aber insoweit konsistenter, als sie eine durch das Unterhaltsrecht in besonderer Weise vorgegebene Anknüpfung der strafrechtlichen Vorwerfbarkeit an ein schädliches Vorverhalten durch positives Tun widerspruchsfrei erlaubt. „Sich-Entziehen“ verlangt kein Handeln in Reaktion auf ein vorheriges Begehren des 153 Unterhaltsberechtigten. Die Tatbegehung hängt nicht davon ab, dass der Unterhaltspflichtige zuvor zur Zahlung aufgefordert wurde,357 dass die Pflicht in einem zivilrechtlichen Urteil festgestellt oder anderweitig tituliert wäre.358 Ein Zuwarten auf das Ergebnis eines Unterhaltsstreites ist dem Pflichtigen nicht erlaubt (missverständlich OLG Hamburg NStZ 1984 167); allenfalls im Hinblick auf die subjektive Tatseite, insbesondere die Kenntnis der genauen Höhe der Unterhaltsverpflichtung kann ihn eine noch fehlende gerichtliche Festsetzung entlasten. Indes wird auch in einem solchen Fall von ihm zu fordern sein, den unstreitigen Teil des Unterhaltes zu zahlen. In subjektiver Hinsicht setzt die Tathandlung im Übrigen kein zielgerichtetes Verhalten voraus. Ebensowenig impliziert der Wortlaut eine positive Kenntnis des Täters von der Unterhaltspflicht;359 er erlaubt vielmehr eine an den Erfordernissen bedingten Vorsatzes orientierte Auslegung, wonach es ausreicht, dass der Täter mit der Pflicht zumindest rechnet und durch die Tathandlung ihre Verletzung in Kauf nimmt (vgl. Rdn. 205).
b) Bloßes Nichtleisten trotz Leistungsfähigkeit genügt als „Sich-Entziehen“ (OLG Düsseldorf 154 NJW 1961 77) und bildet den Normalfall der Tatbegehung. Die Tat ist erst verwirklicht bei Fälligkeit der Unterhaltsleistung. Vorangegangene Ankündigungen, nicht zahlen zu wollen, Maßnahmen des Unterhaltspflichtigen zur Vereitelung seiner Inanspruchnahme oder zur Herabsetzung seiner Leistungsfähigkeit sind dann nicht tatbestandlich, wenn er im maßgebli355 Vgl. Dippel LK12 Rdn. 52, der es – trotz Einordnung als Unterlassungsdelikt – als Voraussetzung tatbestandlichen Sich-Entziehens ansieht, dass schon das Vorverhalten des Täters im Hinblick auf die schutzwürdigen Interessen des Unterhaltsberechtigten sich als objektiv pflichtwidrig erweist, und dies darin erblickt, dass es zivilrechtlich missbilligt wird. 356 Dies wird zumal deutlich, wenn in entsprechenden Fällen die Grundsätze der actio libera in causa zur Anwendung kommen (vgl. Rdn. 158) und nach dem Tatbestandsmodell eine Vorverlagerung der strafrechtlichen Anknüpfung an die Herbeiführung des Defektzustandes – hier: der Leistungsunfähigkeit – erfolgt (vgl. BGHSt 17 333, 335; 34 29, 33; Fischer § 20 Rdn. 52; freilich bezogen auf den klassischen Anwendungsfall der Herbeiführung von Schuldunfähigkeit). 357 OLG Düsseldorf NJW 1953 1805; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 9; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 27. Semantisch wäre ein anderes Verständnis möglich; Dippel (LK12 Rdn. 52) weist insoweit darauf hin, dass die Bedeutung des Begriffs sich gegenüber dem früheren § 361 Nr. 10, der eine behördliche Aufforderung zur Unterhaltsleistung voraussetzte, gewandelt hat. 358 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 27; Ritscher MK Rdn. 52; Welzel Strafrecht § 63 III 2a a; anders Arzt/ Weber/Heinrich/Hilgendorf BT § 10 Rdn. 38 (Fn. 64). Andere Rechtsordnungen sehen dies vor; vgl. die Angaben bei Toebelmann Materialien S. 173 mit Fn. 14. 359 In diese Richtung aber Schall SK Rdn. 37, der ein bewusstes, gegen die Pflichterfüllung gerichtetes Verhalten fordert. 567
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Verletzung der Unterhaltspflicht
chen Zeitpunkt anderen Sinnes geworden ist und leistet. In den praktisch bedeutsamen Fällen360 einer Nichtentrichtung von Barunterhalt ist die Tat bei völliger Untätigkeit zweifelsfrei verwirklicht; hat der Täter Zahlungsbemühungen entfaltet, die keinen Erfolg haben, kommt es darauf an, inwieweit das Hindernis ihm zuzurechnen ist und er damit zumindest rechnet. Dies gilt etwa für fehlgeschlagene Überweisungen mangels ausreichender Kontodeckung oder eine zu späte Veranlassung der Zahlung. Die Vereitelung bereits veranlasster Zahlungen, etwa durch Zurücknahme einer Zahlungsanweisung, Löschung eines Dauerauftrages oder Widerruf von Abtretungen bildet ein Sich-Entziehen durch aktives Tun. Irrtümer über den Zahlungsweg entlasten den Täter, ebenso eine mangelnde Mitwirkung des Unterhaltsberechtigten (s. näher Rdn. 160). 155 In den Fällen einer Unterhaltsgewährung durch Naturalleistungen in Form von Haushaltsführung und Kinderbetreuung (§ 1360 Satz 2, § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB, § 5 S. 2 LPartG) liegt ein „Sich-Entziehen“ nach hier vertretener Auffassung (vgl. Rdn. 79) nicht erst – dann aber sicher – vor, wenn der Pflichtige sich seinen Aufgaben vollständig verweigert oder sie abbricht (vgl. OLG Hamm NJW 1964 2316). Ausreichend ist, wenn eine Schlechtleistung in einem Umfang vorliegt, durch die das Ziel der Leistungspflicht offensichtlich verfehlt wird, etwa bei Verwahrlosung der anvertrauten Kinder (vgl. Schall SK Rdn. 40). Hierunter kann auch fallen, dass der naturalunterhaltspflichtige Elternteil an ihn übermittelte Zahlungen des barunterhaltspflichtigen Elternteils nicht zum Zweck des Kindesunterhalts einsetzt. Aufgrund des dem Betreuungspflichtigen zustehenden Bestimmungsrechts und der rechtmäßigen Möglichkeit eines Einsatzes der Mittel für eigene Zwecke wird auch hier aber nur ein offensichtlicher Missbrauch – etwa bei anhaltend fehlender Ausstattung mit notwendigem Lebensbedarf wie Kleidung oder schulischen Materialien – den Tatbestand erfüllen können. Bei Streit über die unterhaltsrechtliche Aufgabenverteilung ist der strafrechtliche Schutz nicht suspendiert; etwa ist der nach der abstrakten Familienrechtslage Barunterhaltspflichtige, der keine Zahlungen erbringt, auch in einem laufenden Sorgerechtsstreit nicht dadurch entlastet, dass er seine Dienste gegenüber dem anderen, tatsächlich mit Kinderbetreuung und Haushaltsführung befassten Elternteil anbietet. Entsprechendes gilt für die Gewährung von Trennungsunterhalt seitens eines Unterhaltspflichtigen, der an der Ehe oder Lebenspartnerschaft festhalten möchte. Bei Heimunterbringungen kommt es darauf an, ob die entstandenen Kosten auf eine Verletzung der Bar- oder Naturalunterhaltspflicht zurückzuführen sind und sich damit als Folge eines Sich-Entziehens darstellen (vgl. OLG Düsseldorf NJW 1990 399).
156 c) Vereitelung der Inanspruchnahme. Zu der unterbliebenen Leistung kann als Tathandlung hinzutreten, dass der Unterhaltspflichtige durch bestimmtes Verhalten seine Inanspruchnahme vereitelt. Hierzu gehören Fälle, in denen der Unterhaltspflichtige sich verborgen hält (OLG Düsseldorf NJW 1961, 77), oder seinen Wohnsitz und/oder Arbeitsplatz häufig wechselt und dem Unterhaltsberechtigten darüber keine Mitteilung macht (vgl. OLG Celle GA 1969 350; OLG Hamburg NStZ 1984 167, 168 a. E.; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 36). Ein unehelicher Vater, der nach kurzer Beziehung oder nur einmaligem sexuellem Kontakt von dem hieraus entstandenen Kind und der Erreichbarkeit der Mutter weiß, entzieht sich seiner Unterhaltspflicht, wenn er
360 Soweit manche Autoren (Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf BT § 10 Rdn. 35; Dippel LK12 Rdn. 53) davon ausgehen, dass eine praktische Bedeutung diesen Fällen weitgehend fehlt, weil ein zahlungsfähiger Schuldner zumindest zur Vermeidung weiterer Kosten von Klage und Zwangsvollstreckung gewöhnlich leisten wird, dürfte dies an der Lebenswirklichkeit vorbeigehen. Denn diese ist häufig von einer konflikthaften Beziehung der Unterhaltsparteien – oder des Unterhaltspflichtigen zum anderen Elternteil der unterhaltsberechtigten Kinder – gekennzeichnet, in denen ein auch leistungsfähiger Schuldner seine Pflicht „nicht einsieht“ und aus Geiz, persönlicher Verletztheit oder Vergeltungsbedürfnis nicht zahlt. Wiedner
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gleichwohl in der Anonymität verbleibt oder durch Wohnsitzwechsel nicht mehr erreichbar ist.361 Auch eine Mutter, die eine anonyme Geburt vollzieht oder ihr neugeborenes Kind in eine sog. Babyklappe gibt, vereitelt ihre Inanspruchnahme und macht sich dadurch nach Absatz 1 strafbar.362 Zu tatbestandlichen Verhaltensweisen gehören auch eine Verschleierung unterhaltsrelevanter Umstände oder Fehlangaben hierzu, etwa durch einen Unterhaltspflichtigen, der vorgerichtlich oder im Unterhaltsprozess falsche Angaben hinsichtlich seiner Vermögens- oder Einkommensverhältnisse macht, nichtexistente anderweitige Verbindlichkeiten vorschiebt oder wahrheitswidrig Hinderungsgründe für eine Tätigkeitsaufnahme geltend macht, und auf diese Weise seine Inanspruchnahme oder Verurteilung verhindert. In Extremfällen können auch Bedrohungen oder andere Versuche, den Unterhaltsberechtigten unter Druck zu setzen und von der Geltendmachung seiner Ansprüche abzuhalten, tatbestandlich sein. Derartige Handlungen begründen, da sie über die schlichte Nichtleistung des Unterhaltes hinausgehen, ein gesteigertes Unrecht und sind schulderhöhend zu berücksichtigen. Über die Unterhaltsleistungen hinaus obliegt dem Pflichtigen kein strafbewehrtes Verhal- 157 ten. Er muss nicht an der Verwaltung des Vermögens des Unterhaltsberechtigten mitwirken (vgl. Dippel LK12 Rdn. 57); auch Nachlässigkeiten in der Wahrnehmung eines Kindesumgangs, etwa durch unzuverlässige Absprachen, bilden kein „Sich-Entziehen“, soweit hiermit keine Verletzung von als Unterhalt geschuldeten Kindesbetreuungspflichten – wie bei dem nicht sorgeberechtigten Elternteil regelmäßig nicht – verbunden ist. Dagegen kann es eine Vorenthaltung von Unterhalt darstellen, wenn der Unterhaltspflichtige Mitwirkungshandlungen verweigert, die sich auf die wirtschaftliche Stellung des Unterhaltsberechtigten beziehen, und den entstandenen Nachteil nicht durch seine Unterhaltszahlungen ausgleicht. So liegt es etwa bei der unterbliebenen Beantragung von Kindergeld363 oder einer steuerlich günstigeren Veranlagungsform.
d) Vorwerfbare Leistungsunfähigkeit. Praxisrelevant und vieldiskutiert im Hinblick auf ihre 158 Einordnung als Tathandlung sind Konstellationen der vorwerfbaren Herbeiführung oder Aufrechterhaltung eigener Leistungsunfähigkeit des Unterhaltsschuldners, etwa durch Aufgabe eines gesicherten Arbeitsplatzes, Verschwendung eigenen Vermögens, nicht zureichender Bemühungen um Arbeitsaufnahme oder unterbliebenen Wechsels in eine die Unterhaltszahlung erlaubende Berufstätigkeit (s. eingehend Rdn. 95 ff). Zivilrechtlich werden sie als Verstöße gegen die unterhaltsrechtliche Pflicht begriffen, Arbeitskraft und Vermögen bestmöglich einzusetzen, und verwehren dem Pflichtigen eine Berufung auf seine Leistungsunfähigkeit.364 Zutreffenderweise lassen sich derartige Fälle strafrechtlich nur über die Regeln der „actio libera in causa“ oder – bei Herbeiführung oder Aufrechterhaltung der Leistungsunfähigkeit durch ein Unterlassen – der „omissio libera in causa“ erfassen.365 Eine schlichte Anknüpfung daran, dass im Zeitpunkt der abverlangten Leistungen die gesetzliche Unterhaltspflicht fortbesteht, weil das Zivilrecht dem Unterhaltsschuldner nach den Grundsätzen von Treu und Glauben eine Berufung auf seine Leistungsunfähigkeit verwehrt, reicht in strafrechtlicher Hinsicht nicht aus, weil dem Pflichtigen ansonsten strafbewehrt eine Handlung auferlegt würde, zu der er im geforderten 361 Die Grenze ist bei einer beiderseits abgebrochenen Verbindung zu ziehen (OLG Düsseldorf NJW 1961 77); dem Unterhaltspflichtigen obliegt grdsl. nicht, nach dem Berechtigten zu suchen. Nach OLG Düsseldorf a. a. O. kann eine derartige Verpflichtung „nach Treu und Glauben allenfalls angenommen werden, wenn er bessere Möglichkeiten und Anhaltspunkte für die Auffindung des anderen Teiles gehabt hätte.“. 362 Ritscher MK Rdn. 49; Schall SK Rdn. 38; Neuheuser NStZ 2001 175; Wiesner-Berg NStZ 2010 243, 245; Katzenmeier FamRZ 2005 1134, 1135; Teubel S. 59 ff; Mielitz Anonyme Kindesabgabe S. 114 f; Mittenzwei ZfL 9 (2000) 40; Wolf FPR 7 (2001) 345, 349; aA Bärlein/Rixen Kriminalistik 55 [2001] 54 f); Wolf FPR 7 (2001) 349. 363 Vgl. BayObLGSt 1961 85; LG Celle NJW 1984 317. 364 S. etwa BGH NJW 1985 732; NJW 1988 2239; NJW 2000 2351; NJW 2002 1799; OLG Bamberg FamRZ 1987 699; OLG Frankfurt 1987 1144. 365 Ritscher MK Rdn. 50; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 27; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 35; Dippel LK12 Rdn. 56; aA mit beachtlichen Argumenten Schall SK Rdn. 38 f. 569
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Zeitpunkt objektiv und subjektiv nicht in der Lage ist. Entsprechend der zu § 20 entwickelten Grundsätze (vgl. BGHSt 17 333, 335; 21 381; 34 29, 33) kommt es daher zu einer Vorverlagerung der strafrechtlichen Vorwerfbarkeit, die bereits im Zeitpunkt der Auslösung des späteren „Defektzustandes“ der Leistungsunfähigkeit im Fälligkeitszeitpunkt ansetzt, wie auch in anderen Bereichen der schuldhaften Herbeiführung von Zahlungsunfähigkeit anerkannt.366 Sieht man bereits hierin den Beginn tatbestandlichen „Sich-Entziehens“, bestehen gegen eine Einordnung als Tathandlung auch keine Bedenken im Hinblick auf in der Rechtsprechung zwischenzeitlich vorgenommene Beschränkungen der Rechtsfigur (BGHSt 42 235). 159 Voraussetzung der Zurechnung als Tathandlung ist zum einen ein – regelmäßig vorliegendes – vollverantwortliches Handeln des Pflichtigen im Vorfeld und eine objektive Pflichtwidrigkeit im Hinblick auf die Unterhaltspflicht,367 die immer dann anzunehmen ist, wenn nach der zivilrechtlichen Rechtslage dem Täter ein bestimmtes, seine Leistungsfähigkeit betreffendes Tun oder Unterlassen untersagt war, wozu unbeschadet der strafrechtlich autonomen Beurteilung die hierzu ergangene familienrechtliche Rechtsprechung herangezogen werden kann. Bedeutung und Ausgestaltung der zusätzlichen Voraussetzung, wonach der Täter „verantwortungslos, zumindest leichtfertig, weil die Belange des Unterhaltsberechtigten grob missachtend“ (BayObLGSt 88 91; Ritscher MK Rdn. 50) gehandelt haben muss, bleiben dagegen unklar. Sie bildet den Versuch einer strafrechtlichen Umsetzung und Einhegung der zum Fortbestand der Unterhaltspflicht führenden unterhaltsrechtlichen Verhaltensanforderungen, erweist sich damit – zumal in ihrer unscharfen Formulierung – aber letztlich als entbehrlich und greift in der Variante der Leichtfertigkeit sogar zu kurz, wenn zutreffenderweise ein vorsätzliches Verhalten des Pflichtigen zu fordern ist (hierzu sogleich). Da es sich auch hier um eine Ausgestaltung der gesetzlichen Unterhaltspflicht handelt, kommt es wegen der Zivilrechtsakzessorietät von § 170 zunächst nur darauf an, ob ein familienrechtlich zu missbilligendes und zur Aufrechterhaltung der Pflicht führendes Verhalten vorliegt, was sich im Wesentlichen nach einer Abwägung der beiderseitigen Interessen unter grundsätzlichem Vorrang der Belange des Unterhaltsberechtigten und Zumutbarkeitsgesichtspunkten auf Seiten des Unterhaltspflichtigen bestimmt. Eine Differenzierung ist zudem danach zu treffen, welchen Grad die Unterhaltspflicht erreicht, ob etwa bei Pflichten gegenüber unterhaltsrechtlich besonders schutzbedürftigen minderjährigen Kindern der Spielraum des Unterhaltsschuldners, ob er beispielsweise einen Arbeitsplatzwechsel vornimmt, weiter eingeschränkt und seine Obliegenheit, nach Arbeit zu suchen und auch fachfremde Beschäftigungen anzunehmen, noch weiter erhöht ist (BayObLGSt 88 91, 93; Ritscher MK Rdn. 50; s. Rdn. 101 ff). Strafrechtlich bedarf es darüber hinaus schon nach allgemeinen Grundsätzen der actio libera in causa eines Vorsatzes des Pflichtigen, der sich nicht nur unmittelbar auf das vorgelagerte Tun oder Unterlassen beziehen muss, sondern auch auf dessen späteren Auswirkungen auf die Unterhaltspflicht.368 Nicht erforderlich ist dabei eine Absicht in dem Sinne, dass der Täter die Leistungsunfähigkeit herbeiführt oder aufrechterhält, gerade um der Unterhaltspflicht nicht nachzukommen (so aber Schall SK Rdn. 39). Der Unterhaltsschuldner muss im Sinne eines zumindest bedingten Vorsatzes aber erfassen, dass die Unterhaltspflicht durch sein Verhalten nicht mehr erfüllt werden kann und dadurch der Lebensbedarf des Unterhaltsberechtigten gefährdet wird (BGHSt 14 165, 168; BayObLGSt 88 91, 93). Hierbei hat es sein Bewenden; weiterer strafrechtsbezogener Anforderungen bedarf es nicht.
366 Vgl. BGHSt 47 318 für eine Tat nach § 266a Abs. 1 bei unterlassenen Vorkehrungen im Vorfeld des Fälligkeitszeitpunktes der Sozialversicherungsbeiträge und einer dann eingetretenen Zahlungsunfähigkeit; erwogen, aber offen gelassen von BGH NStZ 2012 511 auch für § 283 Abs. 1 Nr 5 und 7; s. auch Sch/Schröder/Bosch vor § 13 Rdn. 144 f. 367 Die Formulierung, dass die Handlung gegen die schutzwürdigen Interessen des Unterhaltsberechtigten gerichtet sein muss (BayObLGSt 1988 91; Ritscher MK Rdn. 50; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 27), besagt nichts anderes. 368 Hierauf zu Recht verweisend Schall SK Rdn. 39 mit Fn. 141; s. auch Dippel LK12 Rdn. 55, 75. Wiedner
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e) Leistungshindernisse seitens des Berechtigten. Leistungshindernisse aus der Sphä- 160 re des Unterhaltsberechtigten stehen einer Tatbestandserfüllung entgegen. Schon nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen muss es dem Unterhaltsschuldner möglich sein, seiner Pflicht nachzukommen. Ist ihm etwa der Aufenthaltsort und eine Bankverbindung des Unterhaltsberechtigten unbekannt, entzieht sich der Pflichtige bei unterbliebener Leistung nicht. Gerade bei hochstreitigen, mitunter durch Tätlichkeiten des Schuldners gekennzeichneten Trennungen, nachfolgender Auseinandersetzung über das Sorgerecht, gezieltem Kontaktabbruch seitens des Berechtigten, Geheimhaltung seines Aufenthaltsortes und Anordnungen nach dem GewSchG kann dies dazu führen, dass der Unterhaltsschuldner ohne strafrechtliche Konsequenz – unbeschadet einer Nachforderung der aufgelaufenen Unterhaltsrückstände – in einer Übergangszeit nicht zu leisten braucht (Ritscher MK Rdn. 51). Entschärft ist die Problematik freilich dadurch, dass schon eine anwaltliche Aufforderung unter Mitteilung einer Kontoverbindung das Hindernis behebt. Eigene Nachforschungen und besondere Zahlungsbemühungen muss der Schuldner bei unbekannter Erreichbarkeit des Pflichtigen nicht unternehmen; es genügt, dass er sich selbst erreichbar hält.369 Er muss den geschuldeten Betrag nicht hinterlegen370 oder den Aufenthaltsort zu ermitteln suchen.371 Das Anbieten einer Barleistung gegen Quittung kann aber geboten sein. Soweit der Unterhaltspflichtige zur Ermittlung der Höhe des geschuldeten Unterhaltes auf – fehlende – Angaben des Berechtigten, insbesondere zur Höhe eines von diesen erzielten Einkommens und weiterer die Bedürftigkeit und den Bedarf bestimmender Umstände angewiesen ist, entzieht er sich nicht, wenn er einen nach seinem Kenntnisstand jedenfalls geschuldeten Betrag leistet, oder sich in Ermangelung der Kenntnis von besonderen Umständen an tabellarischen Richtwerten orientiert. 3. Taterfolg: Gefährdung des Lebensbedarfs Der Taterfolg besteht darin, dass der Lebensbedarf des Unterhaltsberechtigten gefährdet 161 ist oder ohne die Hilfe anderer gefährdet wäre.
a) § 170 Abs. 1 als konkretes Gefähdungsdelikt. § 170 Abs. 1 bildet aufgrund der ausdrück- 162 lichen tatbestandlichen Formulierung des erforderlichen Erfolges ein konkretes Gefährdungsdelikt,372 dessen Besonderheit darin besteht, dass neben der tatsächlichen Gefährdung auch eine im Falle des Eintrittes Dritter feststellbare potentielle (oder genauer: hypothetische) Gefährdung ausreicht. Ohne die zweite Tatbestandsalternative wäre die Vorschrift zu großen Teilen ohne Anwendungsbereich, da es durch den subsidiären Eintritt von in der Rangfolge nachrangigen Unterhaltsverpflichteten oder der Sozialbehörden nur selten vorkommt, dass der Unterhaltsberechtigte infolge der Entziehung durch den primär unterhaltsverpflichteten Täter in echte Existenznot gerät, oder dass er auf sich gestellt den Bedarf durch überobligatorische Leistungen decken muss.373 Da zumindest die sozialen Sicherungssysteme aber nur einen Bedarf im Sinne des Existenzminimums sicherstellen, liegt bei (ausschließlichen) Leistungen von 369 BGH NJW 1961 1110; BayObLGSt 1961 160, 163; OLG Schleswig SchlHA 206 (1959) 295, 296; Sch/Schröder/ Bosch/Schittenhelm Rdn. 27. 370 BayObLGSt 1961 160, 162; Schall SK Rdn. 41; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2, § 63 Rdn. 35. 371 BGH NJW 1961 1110; OLG Düsseldorf NJW 1961 77; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 27; Ritscher MK Rdn. 51. 372 BGHSt 12 185, 187; Ritscher MK Rdn. 53; Schall SK Rdn. 42; SSW/Wittig Rdn. 19; Eggert S. 64 ff; s. auch BVerfGE 50 142, 154. 373 Vgl. BayObLG FamRZ 1999 1694, 1695, wonach die zweiten Erfolgsalternative „ganz im Vordergrund steht“; Schall SK Rdn. 42; Ritscher MK Rdn. 53; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 38; Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf BT § 10 Rdn. 36. 571
Wiedner
§ 170 StGB
Verletzung der Unterhaltspflicht
ihrer Seite eine tatsächliche Gefährdung im Umfang eines abhängig von dem Unterhaltsgrundverhältnis ggf. geschuldeten angemessenen Unterhalts vor.
163 b) Lebensbedarf. Der Lebensbedarf richtet sich nach herrschender Auffassung in Schrifttum und Rechtsprechung – allerdings nicht unbestritten374 – nach den Vorgaben des Bürgerlichen Rechts, namentlich nach § 1360a BGB für den Familienunterhalt, § 1610 BGB für den Verwandtenunterhalt, § 1578 BGB für den Ehegattenunterhalt und §§ 5, 12, 16 Abs. 1 LPartG für den Unterhalt der Lebenspartner. Erfasst ist damit nicht nur der notwendige, sondern auch der angemessene Lebensbedarf, wie er sich in Abhängigkeit von den einzelnen Unterhaltsgrundverhältnissen überwiegend als geschuldet darstellt (vgl. Rdn. 66 ff).375 Geschützt ist damit nicht nur das bloße Existenzminimum; ebensowenig bezieht sich die Gefährdung allein auf eine drohende echte Notlage des Berechtigten. Vielmehr ist der Begriff des Bedarfs familienrechtlich zu verstehen und inkorporiert sämtliche für die Unterhaltsbemessung belangvollen Umstände einschließlich möglicher Beschränkungen nach den §§ 1611, 1581, 1579, 1361 Abs. 3 BGB, § 16 Abs. 2I LPartG. Strafrechtlich geschützten Bedarf bilden damit etwa auch Mittel zur Aufrechterhaltung eines erreichten (hohen) Lebensstandards durch den unterhaltsberechtigten Ehepartner, einer bestimmten Ausbildung oder Lebensgestaltung abhängig von dem zuvor erreichten wirtschaftlichen Niveau (Ritscher MK Rdn. 54). 164 Hieran knüpft sich ernstzunehmende, im Ergebnis indes nicht durchgreifende Kritik, die hauptsächlich beanstandet, dass bei einem derartigen Verständnis der im Tatbestand hervorgehobene Gefährdungserfolg über das Merkmal der „Verletzung der gesetzlichen Unterhaltspflicht“ nicht hinausginge, obwohl er sich als ein unrechtssteigerndes Element darstelle, und auch der Zweck des strafrechtlichen Schutzes erfordere, enger als jede Nichterfüllung eines zivilrechtlichen Unterhaltsanspruch nur Fälle der Existenzgefährdung zu erfassen. Gefordert wird daher, Abs. 1 einschränkend dahin auszulegen, dass allein eine Gefährdung des Existenzminimums im Sinne der §§ 27a ff SGB XII oder des – damit weitgehend übereinstimmenden – familienrechtlich notwendigen Bedarfs erfasst werde.376 Hieran trifft jedenfalls zu, dass mit dem Erfordernis der Bedarfsgefährdung keine maßgebliche Einschränkung des Tatbestandes und keine Erhöhung des Unrechtsgehaltes verbunden sind. Deckungsgleich mit den Voraussetzungen des Unterhaltsanspruches ist die Umschreibung des Taterfolges freilich nicht, denn sowohl Fälle einer nur geringfügigen Verkürzung als auch solche einer – unterhaltsrechtlich nicht geschuldeten – Bedarfsdeckung aus Schonvermögen des Berechtigten oder eines lediglich die Grenze des § 1361 Abs. 2 BGB übersteigenden, gleichwohl überobligatorischen Erwerbseinsatzes des Berechtigten lassen sich als noch nicht hinreichende Gefährdung aus dem Tatbestand ausscheiden (Ritscher MK Rdn. 56). Durch das Gefährdungserfordernis ist zudem klargestellt, dass die Nichterfüllung von Unterhaltsrückständen, die nicht der Sicherung des aktuellen Lebensbedarfs dienen, strafrechtlich nicht sanktioniert ist, obwohl darin gleichfalls eine Verletzung der Unterhaltspflicht liegt. Im Wortlaut von § 170 Abs. 1 ist eine Einschränkung auf einen bloß existenzsichernden Bedarf nicht angelegt; vielmehr legen der vorangehende Verweis auf die gesetzliche Unterhaltspflicht und der rechtstechnische Begriff des Bedarfs eine Ausfüllung anhand der familienrechtlichen Bestimmungen – anstelle einer innertatbestandlichen Maßstabs374 Schall SK Rdn. 43 f; Eggert S. 67 ff 375 Ganz h. M., vgl. Ritscher MK Rdn. 54; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 28; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 10; SSW/Wittig Rdn. 19; Fischer Rdn. 10 („Lebensbedarf schlechthin“). Auch die strafrechtliche Rechtsprechung geht hiervon als selbstverständlich aus, wenn sie die Berechnung des vorenthaltenen Unterhalts ohne grundsätzliche Einschränkungen an den bürgerlich-rechtlichen Vorschriften bemisst, sich hieran orientierende Regelsätze jedenfalls zur Orientierung gelten lässt und – ohne den anzulegenden Maßstab in Frage zu stellen – nur eine eigenständige Überprüfung und Darlegung durch den Strafrichter anmahnt, s. etwa OLG Zweibrücken NStZ-RR 2019 246; KG, Beschl. v. 13.12.2001 – 1 Ss 313/01 (juris); OLG Düsseldorf StV 1991 68. 376 Schall SK Rdn. 43 f; Eggert S. 67 ff; Blei FamRZ 1961 137, 145. Wiedner
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verschiebung – nahe. Das gravierendste Argument, teleologische Gründe erforderten eine Begrenzung strafrechtlichen Schutzes auf Fälle mit einem Unrechtsgehalt, der über die bloße Verletzung der zivilrechtlichen Unterhaltspflicht deutlich hinausgeht (Schall SK Rdn. 44), erweist sich als nicht ausreichend tragfähig. Die Gesetzesmaterialien belegen, dass von § 170 Abs. 1 zwar auch und insbesondere, aber nicht ausschließlich das Existenzminimum des Unterhaltsberechtigten geschützt wird; vielmehr soll im Grundsatz dem Unterhaltsanspruch insgesamt aufgrund seiner herausgehobenen Herkunft aus einer familienrechtlichen Nähebeziehung ein auch strafrechtlicher Schutz zukommen.377 So geht die Begründung zum schlussendlich Gesetz gewordenen Regierungsentwurf ausdrücklich von einer Pönalisierung von Unterhaltspflichtverletzungen schlechthin aus.378 Auch die zum Beleg der Notwendigkeit einer einschränkenden Auslegung herangezogene379 Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Januar 1979 (BVerfGE 50 142) nötigt nicht zu einer Modifikation des zivilrechtlichen Begriffsverständnisses. Sie befasst sich mit der Ausklammerung bestimmter Sachverhalte aus dem strafrechtlichen Schutz aufgrund eines fehlenden inneren Zusammenhanges mit dem von § 170 Abs. 1 vorausgesetzten Erfolg und belegt damit letztendlich eine eigenständige Bedeutung des Merkmals. Auch wenn das BVerfG von der Vorschrift nicht bereits die „korrekte Abwicklung der Gläubiger-Schuldner-Beziehung zwischen Unterhaltsverpflichtetem und Unterhaltsberechtigtem“ (BVerfGE 50 142 160 [Rdn. 51]) geschützt sieht, sondern über die Nichterfüllung der Unterhaltsforderung hinausreichende – indes nicht näher konkretisierte – Unrechtselemente fordert, sieht es ein derartiges Unrecht in der Gefährdung des Lebensbedarfs als ausreichend verwirklicht an, und fordert trotz der sich bis dahin auf den unterhaltsrechtlichen Bedarf schlechthin beziehenden strafrechtlichen Rechtsprechung keine weiteren Einschränkungen.380 Letztlich ist damit daran festzuhalten, dass Gegenstand der Gefährdung der auch angemessene unterhaltsrechtliche Bedarf bildet. Allein hierdurch bildet sich zureichend ab, dass es sich bei § 170 Abs. 1 nicht um eine sozialrechtliche Schutzvorschrift handelt, sie vielmehr ihre Grundlage in einer spezifisch familienrechtlichen, den Unterhaltsanspruch ausformenden Nähebeziehung hat.
c) Gefährdung. Der Lebensbedarf muss – tatsächlich oder hypothetisch – gefährdet worden 165 sein.
aa) Tatsächliche Beeinträchtigung. Zu einer tatsächlichen Beeinträchtigung muss es nicht 166 gekommen sein.381 Sie reicht als eine sich realisierende Gefährdung naturgemäß aber aus. Leidet der Berechtigte aufgrund der Vorenthaltung tatsächlich Not, weil er sich mit dem Nötigsten 377 Vgl. BTDrucks. VI/3521 S. 13: „Davon abgesehen ist mit der Charakterisierung der Vorschrift als ein Instrument zur Durchsetzung schuldrechtlicher Ansprüche — die sich übrigens von anderen schuldrechtlichen Ansprüchen dadurch abheben, daß sie aus familienrechtlichen Bindungen erwachsen — nicht ihre gesamte Tragweite angesprochen. Letzten Endes will sie verhindern, daß ein Unterhaltsberechtigter, in den meisten Fällen ein Kind, in die Gefahr der Existenznot kommt, die dann auch zu einer Gesundheitsschädigung oder Verwahrlosung führen könnte.“ 378 Vgl. BTDrucks. VI/1552 S. 12: „Der Entwurf geht dagegen davon aus, daß die Verletzung von Leistungspflichten, die aus familienrechtlichen Bindungen erwachsen, strafrechtliches Unrecht darstellt. Die Vorschrift des Entwurfs, die bei sprachlicher Vereinfachung an das geltende Recht anknüpft, ist insbesondere aus generalpräventiven, aber auch aus spezialpräventiven Erwägungen erforderlich. Sie ist nach den Erfahrungen der Jugendämter und der Gerichte und Staatsanwaltschaften häufig das einzige Mittel, um säumige Unterhaltsschuldner zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Unterhaltspflichten anzuhalten.“ 379 Schall SK Rdn. 43 f., Fn. 154 und 159. 380 Das Gericht spricht von einer „Sicherung des Lebensbedarfs des Unterhaltsberechtigten“ als ausreichendem Rechtsgut (BVerfGE 50 142, 162), ohne eine Beschränkung auf den notwendigen Bedarf vorzunehmen, wie indes zu erwarten gewesen wäre, wenn ein strafrechtlicher Schutz des auch angemessenen Bedarf verfassungsrechtlichen Bedenken unterlegen hätte. 381 Dippel LK12 Rdn. 59. 573
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nicht mehr versorgen kann,382 oder vermag er sich entgegen dem darauf gerichteten Anspruch nicht mehr angemessen zu unterhalten, sondern nur für sein Existenzminimum zu sorgen, ist der tatbestandliche Erfolg eingetreten.
167 bb) Tatsächliche Gefährdung. Eine tatsächliche Gefährdung des Lebensbedarfs liegt in der nahen Wahrscheinlichkeit eines Mangels. Sie liegt vor, wenn der Berechtigte den Lebensbedarf nur unter überobligatorischen Anstrengungen decken kann, die ihm im Verhältnis zum Unterhaltspflichtigen nicht obliegen. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Unterhaltsberechtigte auf Ersparnisse zurückgreifen muss, deren Einsatz er nicht schuldet, wenn er Schulden aufnimmt oder darauf angewiesen ist, nach unentgeltlicher Unterstützung zu suchen. Eine Gefährdung liegt auch darin, dass der Berechtigte notgedrungen eine Erwerbstätigkeit aufnimmt, die das Maß des Zumutbaren überschreitet, weil er hierzu etwa gesundheitlich, aufgrund paralleler Kindererziehung oder einer Ausbildung383 nur unter besonderen Belastungen in der Lage ist; ein nur unter solchen Umständen abgewendeter Mangel ist im Sinne einer Gefährdung greifbar.384 Im Falle des Trennungsunterhaltes reicht hierfür allerdings nicht aus, dass der unterhaltsberechtigte Ehegatte eine objektiv zumutbare Arbeit verrichtet, auf die er nach Maßstab von § 1361 Abs. 2 BGB nicht verwiesen werden durfte.385 Kleinere Fehlbeträge vermögen eine Gefährdung jedenfalls bei geschuldetem angemessenen Unterhalt noch nicht auszulösen (Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 29; Dippel LK12 Rdn. 59; s. aber Rdn. 73); schuldet der Pflichtige den notwenigen Unterhalt, ist wegen der Nähe zum Existenzminimum ein strengerer Maßstab anzulegen.386 Zwischen der Unterhaltsverkürzung und der Gefährdung muss ein innerer Zusammenhang bestehen („so dass“); nur in außergewöhnlichen Konstellationen, in denen etwa feststeht, dass der Berechtigte eingehende Mittel ohnehin nicht für seinen Lebensbedarf verwendet hätte, oder in Sonderfällen des Eingreifens Dritter (s. Rdn. 52, 146, 169; vgl. auch BVerfGE 50 142) kann es hieran fehlen.
168 cc) Potentielle Gefährdung. Der tatsächlichen Gefährdung steht die potentielle Gefährdung des Lebensbedarfs in der Form gleich, dass andere Personen die dem Unterhaltsschuldner obliegende Leistung übernehmen und die Gefahr von dem Berechtigten abwenden.387 Der Sinn der Vorschrift liegt darin, dass der säumige Unterhaltpflichtige sich gerade nicht – wie angesichts der zumindest sozialstaatlichen Absicherung des Berechtigten sonst häufig zu befürchten – bedenkenlos auf die Hilfe anderer verlassen kann und dadurch entlastet wird; zugleich sollen 382 Beispielhaft zu nennen ist, dass der Berechtigte obdachlos wird, dass ihm wegen fehlender Zahlungen Wasser, Heizung oder Strom abgestellt werden, oder dass er Hunger leidet. Wegen des Eingreifens sozialer Sicherungsysteme sind derartige Fälle selten. 383 Etwa ist die Aufnahme einer Nebenerwerbstätigkeit durch einen unterhaltsberechtigen Studenten überobligatorisch, vgl. BGH NJW 1995 1215; OLG Hamm FamRZ 1998 767. 384 BGH NJW 1974 1868, 1869; BayObLGSt 1961 160, 161; 1962 269; GA 1963 345; Ritscher MK Rdn. 56; Fischer Rdn. 10; Maurach/Schroeder/Maiwald II § 63 Rdn. 37. 385 BGH NJW 1974 1868, 1869 (zu § 1361 BGB a. F.); Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 37; Ritscher MK Rdn. 55; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 29. 386 Bei Kleinstbeträgen fehlt es unabhängig vom Bedarfsmaßstab an einer Gefährdung; s. etwa OLG Zweibrücken FamRZ 1986 1156, 1157: Fehlbetrag von wöchentlich 4,20 DM bei Vernachlässigung einer Weiterbildungsobliegenheit. Offen gelassen von BayObLG FamRZ 1999 1694, 1695, wo eine Gefährdung im Falle des Einspringens Dritter aber auch bei Kleinbeträgen bejaht wird. 387 Wegen der oft ersatzweise verfügbaren und leistungsfähigen gleich- oder nachrangigen Unterhaltsschuldner und der in letzter Linie gewährleisteten öffentliche Hilfe ist die Alternative der nur potentiellen Gefährdung des Lebensbedarfs faktisch der bei weitem bedeutendere Fall (vgl. bereits Rdn. 54). Hervorgehoben ist die öffentliche Hilfe gegenüber der privaten seit der Neufassung der Vorschrift durch das 4. StrRG gleichwohl nicht mehr (vgl. Rdn. 4), da sie nur einen von der „Hilfe anderer“ ohnehin umfassten Unterfall bildet (BGHSt 26 312; 29 85, 88; Sturm JZ 1974 1). Wiedner
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durch die erweiterte Strafandrohung öffentliche Stellen vor unnötiger Inanspruchnahme bewahrt werden.388
(1) „Ohne die Hilfe anderer“: Grundsatz. Die Formulierung einer Gefährdung “ohne die 169 Hilfe anderer“ ist missverständlich; sie bedeutet nicht, dass der tatbestandliche Erfolg dadurch gehindert ist, dass der Berechtigte von dritter Seite Hilfe zu erwarten hat oder sie erhält. Im Gegenteil ist die Hilfeleistung Dritter für die Beurteilung des Erfolges gerade auszublenden; es kommt darauf an, ob bei hypothetischem Fehlen des Dritteintrittes der Lebensbedarf gefährdet wäre. Dies wird sich – einen inneren Zusammenhang zwischen Entziehung und Hilfeleistung vorausgesetzt (s. nachfolgend Rdn. 173) – bereits aufgrund der zur Leistung des Dritten führenden Hilfsbedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten regelmäßig bejahen lassen. Regelmäßig verbietet sich auch eine Suche nach hypothetischen Ersatzursachen, durch die der Mangel möglicherweise anders abgewendet worden wäre. Dass etwa ein Dritter aus dem Lager des Unterhaltsschuldners (vgl. Rdn. 53) gleichfalls für eine Leistung bereitgestanden hätte, entlastet den Schuldner nicht, solange nicht für ihn geleistet wurde, da der Mangel auch hier aufgrund des Fehlens einer den Unterhaltspflichtigen zuzurechnenden Leistung dann allein durch die tatsächliche Hilfeleistung abgewendet wurde. Nur bei tatsächlich parallelen Leistungen kann es an der potentiellen Gefährdung fehlen. Im Ergebnis bedeutet dies, dass eine Gefährdung des Lebensbedarfs bereits dann vorliegt, wenn der Unterhaltsberechtigte angesichts der Entziehung überhaupt auf die Hilfe anderer angewiesen ist.389 In Anlehnung an eine Entscheidung des BayObLG (BayObLGSt 99 55 = FamRZ 1999, 1694) 170 wird angenommen, dass auch geringe Fehlbeträge oder ein gemessen an der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten geschuldeter und vorenthaltener nur geringer Betrag zum Erfolgseintritt Tatbestandserfüllung führt, weil er durch den Dritten tatsächlich erbracht worden sei.390 Das leuchtet nicht ein. Auch die Gefährdung „ohne die Hilfe anderer“ bezieht sich allein auf den Lebensbedarf des Unterhaltsberechtigten und die Frage, ob dieser ohne die in den fraglichen Fällen sehr geringfügige Leistung des Dritten ernstlich gefährdet gewesen wäre. Lässt sich dies verneinen, kommt es nicht darauf an, dass der Dritte unnötig leisten musste ungeachtet dessen, dass die Vorschrift auch seinem Schutz dient. (2) „Andere“ im Sinne des Absatzes 1 sind dritte Privatpersonen oder öffentliche Stellen. 171 Kein anderer ist der Unterhaltsberechtigte selbst: Stellt sich heraus, dass er selbst in zumutbarer Weise für seinen Unterhalt sorgen kann, fehlt es an seiner Bedürftigkeit und damit bereits an der Unterhaltspflicht; unterhält er sich überobligationsmäßig selbst, ist bereits die erste Alternative des Erfolgstatbestandes erfüllt. In Betracht kommen dagegen andere gleichoder nachrangig haftende Unterhaltsverpflichtete,391 die über ihre eigene gesetzliche Unterhaltspflicht hinaus Leistungen erbringen oder – wodurch der Erfolgseintritt nicht gehindert wird – aus eigener Verpflichtung wegen des faktischen Wegfalls des primär Verpflichteten ersatzweise eintreten. Häufig genanntes und praktisch bedeutsames Beispiel ist bei Unterhaltspflicht gegenüber einem minderjährigen Kind der eine Elternteil, der – bei beiderseitiger Leistungsfähigkeit – überanteilsmäßig Leistungen erbringt, etwa über die ihm oblie388 Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 38; Schall SK Rdn. 46 mit Fn. 163; Dippel LK12 Rdn. 60; s. auch Rdn. 20.
389 Vgl. Ritscher MK Rdn. 58; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 10; SSW/Wittig Rdn. 19. 390 Zustimmend Ritscher MK Rdn. 61; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 30. In dem entschiedenen Fall ging es um einen monatlichen Fehlbetrag von 17,86 DM.
391 Überholt BGHSt 12 185 aufgrund der nunmehr eine Teilschuldnerschaft begründenden Regeln über die Haftung gleichrangig Verpflichteter. Die Leistung eines Elternteiles entlastet damit nicht automatisch den anderen (vgl. BGHSt 19 389; Hamm NStZ-RR 2008 342, 343; Fischer Rdn. 10). 575
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gende Kinderbetreuung (§§ 1360, 1606 Abs. 3 S. 2 BGB) hinaus auch finanzielle Mittel zur Versorgung aufwendet, deren Bereitstellung dem säumigen anderen Elternteil oblegen hätte,392 oder der die Betreuung vernachlässigt und dem bereits barunterhaltspflichtigen Elternteil überlässt.393 Da Eltern zwar gleichrangig haften, jedoch nur anteilig im Verhältnis nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen (vgl. Rdn. 59), ist der Elternteil ein „anderer“ im Sinne des § 170 Abs. 1, wenn er, weil der zweite Elternteil seine Unterhaltspflicht nicht erfüllt, über das Maß der eigenen Verpflichtung hinaus leistet.394 Andere Fälle sind etwa die über den nach § 1606 Abs. 3 S. 1 BGB geschuldeten Anteil hinausgehende Leistung eines Geschwisterteiles bei Unterhalt der Eltern, oder für unterhaltspflichtige Eltern einspringende Großeltern (vgl. BayObLGSt 1983, 161). „Andere“ sind auch Private, welche den Unterhaltsberechtigten im Hinblick auf dessen wirtschaftliche Not unterstützen (s. aber nachfolgend Rdn. 172 f) sowie – praktisch am bedeutsamsten – staatliche Stellen, die den Lebensbedarf der Berechtigten durch Sozialleistungen sichern (vgl. etwa BayObLGSt 99 55, 57 = FamRZ 1999 1694). Dass letztere aufgrund gesetzlicher Verpflichtung einschreiten, bleibt ebenso unerheblich wie die Frage, ob und auf welche Weise dem Dritten gegen den Täter ein Ersatzanspruch zusteht, oder ob er ihn geltend macht (BGHSt 26 312). 172 Nicht-Andere im maßgeblichen Verhältnis zum Unterhaltsschuldner sind solche Dritte, welche Hilfe leisten, um den Pflichtigen zu entlasten, mithin in dessen Lager stehen (s. bereits Rdn. 53). Hat die Leistung nach der Tilgungsbestimmung des Dritten und einer Absprache mit dem Pflichtigen Erfüllungswirkung (§§ 267, 362 BGB), und erfolgt sie rechtzeitig, liegt durch pflichtgemäße Tilgung der Unterhaltsschuld bereits keine Unterhaltspflichtverletzung vor; denn der Berechtigte hat jedenfalls bei Barunterhaltsleistungen keinen Anspruch auf eine persönliche Leistung durch den Unterhaltsschuldner.395 Tilgungszweck und Erfüllungswirkung festzustellen, bleibt im Strafverfahren allerdings entbehrlich, denn es reicht zum Ausschluss einer Einordnung des Leistenden als „anderer“ aus, dass dieser die Leistung nicht in erster Linie mit Zweck einer Hilfe für den Berechtigten, sondern zur Entlastung des Pflichtigen erbringt,396 wie naheliegend etwa bei Zahlungen aus dessen sozialen Umfeld. Nach herrschender Auffassung fehlt es in diesen Fällen – mit gleichem Ergebnis – an einem hinreichenden inneren Zusammenhang zwischen der Unterhaltspflichtverletzung und der Leistung des Dritten.397
173 (3) Zusammenhang. Aus der konsekutiven Verbindung („so dass“) der Tatbestandselemente und dem Schutzzweck von § 170 Abs. 1 ergibt sich nach im Grundsatz unbestrittener allgemeiner Auffassung, dass über eine bloß kausale Verknüpfung hinaus ein innerer Zusammenhang zwischen der Unterhaltspflichtverletzung und der Hilfe des anderen bestehen muss. Erforderlich ist eine letztlich wertende Betrachtung des Zwecks der Drittleistung. Diese muss nicht nur durch die Unterhaltspflichtverletzung veranlasst sein. Sie muss aber zumindest auch zugunsten des Berechtigten und in dem Bestreben erfolgen, diesen gerade im Hinblick auf den
392 OLG Stuttgart FamRZ 1961 179; Schall SK Rdn. 47; SSW/Wittig Rdn. 20; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 10. 393 So der vielzitierte Fall bei OLG Hamm NJW 1964 2316, 2317; s. aber auch BayObLG NJW 1975 1720 und nachfolgend BGHSt 26 312. 394 OLG Celle NJW 1958 641; 1960 833; OLG Frankfurt NJW 1957 1937; OLG Hamburg FamRZ 1959 164; OLG Karlsruhe FamRZ 1958 35; OLG Stuttgart FamRZ 1961 179; Fischer Rdn. 10; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 30. 395 Zutreffend Meurer JR 1986 210. Ein Widerspruch zu den allgemein gehaltenen Formulierungen in BGHSt 12 185, 188 und BayObLG JR 1986 208 besteht indes nicht, denn diese beziehen sich auf alle Fälle der Leistung zugunsten des Pflichtigen. 396 So allgemein BGHSt 12 185, 188; BayObLG JR 1986 208. 397 Ritscher MK Rdn. 62; Schall SK Rdn. 48; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 30; s. sogleich Rdn. 173. Wiedner
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fehlenden Unterhalt zu entlasten und seinen Lebensbedarf sicherzustellen.398 Die Verknüpfung fehlt bei einer Leistung aus anderen, mit der Unterhaltsentziehung nicht zusammenhängenden Gründen. In diesem Fall kann es bereits an der Unterhaltspflichtverletzung wegen der Bedarfsdeckung oder sogar einem Entfall der Bedürftigkeit fehlen; regelmäßig bleibt sie angesichts der nicht geschuldeten Drittleistung aber bestehen, und hat nur in concreto nicht zu einer Gefährdung des Lebensbedarfes geführt.399
(a) Leistungen Privater. Für Leistungen Privater bedeutet dies, dass sie den Tatbestand er- 174 füllen, wenn sie freiwillig für den Berechtigten erbracht werden in der Absicht, die wirtschaftliche Lücke zu schließen, die durch die unterbliebene Unterhaltsentziehung entstanden ist. Ein auch hierauf gerichteter Zweck aus einem ganzen Motivbündel ist ausreichend; dass der Dritte Regressforderungen gegenüber dem Unterhaltspflichtigen beabsichtigt oder erhebt, ist nicht erforderlich (Ritscher MK Rdn. 60, 62; OLG Stuttgart NJW 1973 816). Zu bejahen ist dies regelmäßig bei unentgeltlichen Zuwendungen oder Darlehen aus dem sozialen Umfeld des Unterhaltsberechtigten in Kenntnis von dessen aufgrund des fehlenden Unterhalts drohender oder eingetretener wirtschaftlicher Not und in dem Bestreben, diese zu lindern. Hierunter fallen etwa eine Wohnkostenbeteiligung des Freundes einer unterhaltsberechtigten Studentin angesichts ausbleibenden Unterhaltes (OLG Hamm FamRZ 1998 767) oder überobligatorische Naturalleistungen des einen Elternteils gegenüber dem volljährigen Kind (BGH NJW-RR 1986 426). Ein Zusammenhang fehlt dagegen etwa bei Tilgung privater Schulden, auch wenn diese zeitlich im Hinblick auf die fehlende Leistung und den besonderen Bedarf des Unterhaltsberechtigten erfolgt. Nach h. M.400 fehlt es an einem Zusammenhang auch dann, wenn der Dritte vornehmlich in der Absicht handelt, den Unterhaltsverpflichteten zu entlasten und in diesem Sinne an seine Stelle tritt; nach hier vertretener Ansicht entfällt der Tatbestand, weil es sich dann bereits nicht um die Leistung eines „anderen“ handelt (Rdn. 53). Ein Grenzbereich liegt dort, wo der Leistende auch eigene Zwecke verfolgt, er insbeson- 175 dere aus der Motivation heraus handelt, sein Verhältnis zu dem Unterhaltsberechtigten zu stärken und/oder den Unterhaltspflichtigen von sich oder dem Berechtigten fernzuhalten. Nach herrschender Auffassung soll der erforderliche innere Zusammenhang mit der Unterhaltspflichtverletzung hier durchbrochen sein.401 Betroffen sind Fälle einer Konkurrenz gleichrangig oder nachrangig Unterhaltsverpflichteter, in denen etwa der eine unterhaltsverpflichtete Elternteil den anderen aus der Versorgung und Betreuung des unterhaltsberechtigten Kindes herausdrängen will, ein verpflichtetes Geschwisterteil den Lebensbedarf der unterhaltsberechtigten Eltern bei Ausbleiben der Unterhaltsleistung des anderen Geschwisters gewollt allein bestreitet, oder Großeltern den Unterhalt des Enkels allein übernehmen, weil sie das Enkelkind an sich binden wollen und der Auffassung sind, die unterhaltsverpflichteten Eltern seien zu einer angemessenen Versorgung nicht in der Lage. Bei unverheirateten Eltern kann der das unterhaltsberechtigte Kind betreuende Elternteil den persönlichen Kontakt zum anderen Elternteil abbrechen wol-
398 Allg. Meinung, vgl. BVerfGE 50 142, 154; BGHSt 26 312, 315; BGH NJW 1963 579; 1974 1868; BayObLGSt 1983 161 mit Anm. Maurer JR 1986 210; BayObLG FamRZ 1961 615; OLG Düsseldorf JMBlNW 32 (1978) 195; OLG Frankfurt NJW 1972 836, 837 mit Anm. Eggert NJW 1972 1383 und Anm. Potthast NJW 1972 2276; OLG Hamm NJW 1975 456; OLG Karlsruhe NJW 1972 836; OLG Köln FamRZ 1976 116, 117; OLG Neustadt NJW 1953 1805, 1806; OLG Zweibrücken NStZ 1984 458, 459; Schall SK Rdn. 46 f; Ritscher MK Rdn. 59; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 30; Lackner/ Kühl/Heger Rdn. 10; Fischer Rdn. 10; Dippel LK12 Rdn. 61; Klussmann MDR 1973 457; Kraemer NJW 1973 793; Sonnenschein SchlHA 209 (1962) 264.; Mattmer NJW 1967 1595. 399 Anders Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 30; Meurer JR 1986, 210; Dippel LK12 Rdn. 61; s. auch BayObLG 1983 161, 162. 400 Vgl. BGHSt 12 185, 188; Schall SK Rdn. 48; Ritscher MK Rdn. 62; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 30. 401 BGHSt 12 185, 188; Ritscher MK Rdn. 61; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 30; Dippel LK12 Rdn. 62. 577
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Verletzung der Unterhaltspflicht
len;402 wirtschaftliche Unterstützung bei ausbleibendem Ehegatten- Trennungs- oder nachehelichem Unterhalt kann aus der hauptsächlichen Motivation heraus geschehen, sich dem Unterhaltsberechtigten annähern zu wollen. Gleiches gilt, wenn der Dritte bei der Versorgung des unterhaltsberechtigten Kindes aushilft, weil er in einer partnerschaftlichen Beziehung zu dem versorgenden Elternteil steht oder sich eine solche erhofft. Den in der Praxis nicht seltenen Fällen ist gemeinsam, dass die Unterstützung jedenfalls auch im Hinblick auf den unterbliebenen Unterhalt zugunsten des Berechtigten erfolgt. Lässt man ein derartiges Motiv aus einem Bündel mit anderen Beweggründen ausreichen, ist der innere Zusammenhang mit der Unterhaltspflichtverletzung gewahrt. Auch weil sich eine Abgrenzung zu anderen, ggf. vorrangigen, häufig aber nur mitschwingenden und die Zuwendung zu dem unterhaltsberechtigten jedenfalls miterfordernden Zwecken nur schwer wird treffen lassen, wird sich der Zusammenhang nur in eindeutigen Fällen verneinen lassen, namentlich dann, wenn der Unterhaltsberechtigte oder der Dritte auf die Leistung des Unterhaltsverpflichteten verzichtet oder dies jedenfalls aus seinem Verhalten deutlich abzulesen ist.403 Solches kann anzunehmen sein, wenn Leistungen des Verpflichteten zurückgewiesen werden, nach den Fallumständen auch bereits dann, wenn die Versorgung eines unterhaltsberechtigten Kindes etwa durch einen Elternteil und deren neuen Partner langfristig übernommen werden, ohne dass Unterhaltsleistungen des anderen Elternteiles überhaupt nachgefragt werden (vgl. BGH, Beschl. v. 22.1.1980 – 4 StR 687/79 = BeckRS 1980 108821; Fischer Rdn. 10). 176 Eine Heimunterbringung des Unterhaltsberechtigten, die durch den Unterhaltsverpflichteten oder einen Dritten beauftragt wurde, bildet eine vertragliche Leistung des Trägers der Heimeinrichtung, der daher kein „anderer“ im Sinne von § 170 Abs. 1 ist. Wurde die Unterbringung durch den Unterhaltsverpflichteten veranlasst, genügt er dadurch seiner Pflicht; bei Erforderlichkeit der Beteiligung eines gleichrangig Verpflichteten verletzt dieser seine Pflicht, weil der andere Verpflichtete überobligatorisch Leistungen erbringt. Ist die Unterbringung durch Dritte, insbesondere die öffentliche Hand veranlasst (dazu Rdn. 54, Fn 132), ist diese ein „anderer“ im Sinne des Tatbestandes, und nicht die Heimeinrichtung. Sie wird es erst, wenn sie die Versorgung des Berechtigten trotz Entfalls der vertraglichen Verpflichtung, insbesondere bei ausbleibenden Zahlungen, fortführt (Ritscher MK Rdn. 64).
177 (b) Leistungen der öffentlichen Hand. Bei Leistungen der öffentlichen Hand ist ein innerer Zusammenhang zwischen ihrer Gewährung und der Unterhaltsverweigerung gleichfalls erforderlich (s. nur BVerfGE 50 142, 154; BGHSt 26 312). Das Kriterium ist in der Vergangenheit zum Gegenstand von Rechtsprechung und Literatur hauptsächlich in Zusammenhang mit Heimunterbringungen des Unterhaltsberechtigten nach Eingreifen staatlicher Stellen geworden. Der Zusammenhang ist gegeben, wenn die öffentliche Hand eingreift, um den Unterhalt des Berechtigten zu sichern, nicht aber, wenn die Hilfe aus anderen als aus Gründen der Unterhaltssicherung gewährt wird, mögen als notwendige Folgen des Eingreifens auch Unterhaltsleistungen erbracht worden sein.404 Daher kommt es darauf an, welchen Anlass die Hilfe im Einzelfall
402 Vgl. OLG Neustadt NJW 1953 1805: Der Vater wollte die nichteheliche Mutter heiraten und war zur Unterhaltsleistung bereit; die nichteheliche Mutter lehnte eine Bindung ab und verzichtete auf Unterhaltsleistungen des Vaters. 403 Zutreffend Schall SK Rdn. 48; Dippel LK12 Rdn. 62; s. auch BGH, Beschl. v. 22.1.1980 – 4 StR 687/79 = BeckRS 1980, 108821. Ein förmlicher und rechtswirksamer Verzicht des Berechtigten auf Unterhalt führt dabei allerdings beretis zum Entfall der Unterhaltspflicht, vgl. Rdn. 47. 404 BVerfGE 50 142, 154 f; BGHSt 26 312, 317 mit Anm. Forster NJW 1976 1645; 29 88; BayObLGSt 1983 161, 162; 1975 1720; OLG Düsseldorf JMBlNW 32 (1978) 195; NJW 1990 399; OLG Frankfurt am Main NJW 1972 836; 1974 162; OLG Hamm NJW 1958 640; 1975 456; OLG Köln FamRZ 1976 116; OLG Saarbrücken NJW 1975 507; OLG Stuttgart Die Justiz 1975 440; OLG Zweibrücken NStZ 1984 458, 459; Dippel LK12 Rdn. 61; Ritscher MK Rdn. 63; Lackner/Kühl/ Heger Rdn. 10; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2, § 63 Rdn. 38; Klussmann MDR 1973 457. Wiedner
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II. Objektiver Tatbestand von Abs. 1
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hatte, auf welchen Vorschriften sie beruht und welchen Zielen sie diente. In eindeutigem Zusammenhang mit der Vorenthaltung stehen Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz und regelmäßig auch Sozialleistungen nach dem SGB II infolge der durch den fehlenden Unterhalt sich aktualisierenden Bedürftigkeit oder andere aufgrund allgemeiner Bedürftigkeit gewährte Zuwendungen. Dagegen werden Sozialversicherungsleistungen unabhängig von der Vorenthaltung ausgezahlt, so dass kein Zusammenhang mit der Vorenthaltung besteht.405 Leistungen öffentlich-rechtlicher Träger, die sich auf eine Betreuung des Unterhaltsberechtigten richten, aber ihre Ursache nicht in dessen fehlender Versorgung haben, sondern allein eine Unterstützung bei der Erziehung zum Ziel haben (s. insbesondere die §§ 27 SGB VIII), stehen auch dann nicht in dem erforderlichen Zusammenhang mit der Unterhaltspflichtverletzung, wenn diese zu dem Mangel beigetragen hat, die häusliche Gesamtsituation des alleinbetreuenden Elternteils sich etwa durch die unterbliebene Unterhaltsleistung verschärft hat. Hat aber auch die Gefährdung des Lebensbedarfs das behördliche Eingreifen veranlasst, und dient die Maßnahme (auch) seiner Sicherstellung, ist der Zusammenhang gegeben. Die tatbestandliche Verknüpfung des Pflichtverstoßes des Unterhaltsschuldners mit einer be- 178 hördlich veranlassten Unterbringung des Unterhaltsberechtigten in einer Heimeinrichtung oder Pflegefamilie kann darin liegen, dass der fehlende Unterhalt zumindest einen Anlass für das behördliche Einschreiten lieferte, oder dass der Unterhaltsverpflichtete keinen Kostenbeitrag Unterbringung leistet. Beides setzt voraus, dass das Eingreifen und die Unterbringung (auch) mit dem Zweck der Unterhaltssicherung erfolgt. Wann dies in den früher uneinheitlich beurteilten Fällen406 angenommen werden muss, ist jedenfalls im Grundsatz einer höchstrichterlichen Klärung zugeführt worden (BVerfGE 50, 142; BGHSt 26, 312),407 so dass als alleinige – im Einzelfall allerdings erhebliche – Schwierigkeit verbleibt, die unterschiedlichen Formen, Ziele und gesetzlichen Grundlagen einer Unterbringung unter die abstrakten Kriterien einzuordnen. Der Bundesgerichtshof hatte im Jahr 1976 klargestellt, dass bei einer behördlich veranlassten Heimunterbringung die Unterhaltspflicht nicht schlechterdings auf den öffentlichen Hilfsträger übergehe. Vielmehr sei danach zu differenzieren, ob die mit einer Heimunterbringung verbundenen Leistungen zur Deckung des Lebensbedarfs gewährt werden, weil und soweit der Täter seiner Unterhaltspflicht nicht nachgekommen ist, oder ob sie unabhängig von der Erfüllung der Unterhaltspflichten, etwa wegen drohender Verwahrlosung oder aufgrund körperlicher Beeinträchtigungen erforderlich wurden (BGHSt 26 312, 317).408 Für eine Unterbringung nach den §§ 5, 6 JWG a. F. hatte der BGH dies im konkreten Fall bejaht, in dem die unterhaltspflichtige Mutter sich für längere Zeit ins Ausland abgesetzt und auch nach ihrer Rückkehr für ihre mittlerweile im Städtischen Kinder- und Jugendheim untergebrachten Kinder nur sporadisch Unterhalt gezahlt hatte. Der innere Zusammenhang zwischen Nichtleistung des Unterhalts und öffentlicher Hilfe werde nicht dadurch beeinträchtigt, daß in einem Heim auch Erziehungsbeihilfe geleistet wird, wie umgekehrt eine aus Erziehungsgründen vorgenommene Heimunterbringung nicht dadurch mit einer Unterhaltsverletzung zusammenhänge, dass in dem Heim auch Unterhalt gewährt werde (ebd. S. 316 f). Das Bundesverfassungsgericht hat diese Differenzierung im Jahr 1979 weiter präzisiert (BVerfGE 50 142).409 Es hat für die Frage des inneren Zusammenhanges zwischen Unterhaltspflichtverletzung 405 BGH NJW 1963 579 mit Anm. Reich NJW 1963 949 und Anm. v. Caemmerer NJW 1963 1402 (Zahlung einer Hinterbliebenenrente); BayObLG GA 1963 345; Fischer Rdn. 10; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 31.
406 S. etwa OLG Frankfurt NJW 1972 836; OLG Hamm NJW 1975 456; NJW 1958 640; OLG Stuttgart NJW 1973 816; OLG Köln FamRZ 1976 116; BayObLG NJW 1975 1720 (Vorlagebeschluss zu BGHSt 26 312); Eggert NJW 1972 1383; Klußmann MDR 1973 457; Kraemer NJW 1973 793. 407 Die für eine Heimunterbringung geltenden Grundsätze übertragen OLG Zweibrücken NStZ 1984 458 und BayObLGSt 1983 161 zu Recht auf die Fälle der Hineingabe in eine Pflegefamilie oder die Betreuung durch einzelne Pflegepersonen. 408 So bereits zuvor zivilrechtlich BGH NJW 1963 579; NJW 1974 1868; FamRZ 1962 252; OLG Hamm NJW 1975 456. 409 Der Entscheidung des vorlegenden Amtsgerichts lag der Sachverhalt zugrunde, dass eine unterhaltsverpflichtete Mutter über ihre Tätigkeit als Prostituierte ihr Kind tagelang unbeaufsichtigt und unversorgt – die Wohnung befand sich in verwahrlostem Zustand, die Ernährung des Kindes war nicht sichergestellt – gelassen hatte, bis es 579
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§ 170 StGB
Verletzung der Unterhaltspflicht
und Leistung des anderen – mit der Rechtsprechung des BGH übereinstimmend – erneut ausgesprochen, dass der Zusammenhang stets zu bejahen sei, „wenn die Hilfe, auch die der öffentlichen Hand, deswegen gewährt wird, weil die Unterhaltsverpflichteten ihrer Unterhaltspflicht nicht nachkommen, wenn also eine Unterhaltssicherung erforderlich ist und mit der Hilfeleistung bezweckt wird“, er dagegen verneint werden müsse, „wenn die öffentliche Hand aus anderen als den Gründen der Unterhaltssicherung eingreift (auch wenn dabei möglicherweise als notwendige Folge des Eingreifens Unterhaltsleistungen erbracht werden)“ (BVerfGE 50 142, 153 [Rdn. 36]). Bei Mischfällen unterschiedlicher Gründe und Zielsetzungen, insbesondere der Verhinderung sozialer und erzieherischer Verwahrlosung einerseits und Sicherung des materiellen Lebensbedarfs andererseits, reicht es aus, dass die Unterbringung auch aus Unterhaltssicherungszwecken veranlasst wurde, mag auch der Erziehungszweck gleichrangig hinzutreten: „Trägt die Unterhaltsverweigerung für sich allein bereits die Heimunterbringung, dann sind zusätzliche Gründe und Verhaltensweisen des Verpflichteten belanglos. Reicht hingegen die bloße Unterhaltsverweigerung nicht aus, um ein Einschreiten der öffentlichen Hand und die Heimunterbringung erforderlich zu machen, dann fehlt es regelmäßig auch an der Gefährdung des Lebensbedarfs“ (BVerfGE 50 142, 157 f).410 Schließlich kann auch bei einer Unterbringung allein wegen Verwahrlosung der notwendige Zusammenhang bestehen, wenn es nämlich zu diesem Zustand (auch) wegen fehlender Unterhaltsleistung gekommen ist: „In diesen Fällen ist der erforderliche Zusammenhang zwischen der Unterhaltsverweigerung und der Heimunterbringung gegeben, obwohl das Vorgehen des Jugendamts in erster Linie durch die drohende Verwahrlosung aus erzieherischen Gründen veranlasst worden ist; denn hier ist die Verwahrlosungsgefahr nur ein Zwischenglied zwischen Unterhaltsverweigerung und Heimunterbringung“ (BVerfGE 50 142, 154 [Rdn. 40]).411 Vor diesem Hintergrund verbietet sich eine Unterscheidung zwischen einzelnen Unterbrin179 gungsarten danach, ob sie per se einen tatbestandlichen Erfolgszusammenhang nach § 170 Abs. 1 aufweisen oder nicht. Ausscheiden lassen sich nur Unterbringungen repressiver Art aufgrund strafrechtlicher Anordnungen nach den §§ 63 ff StGB, § 126a StPO, § 10 Abs. 1 S. 3 Nr. 2, Abs. 2, §§ 71, 73 JGG, ebenso solche, die ihre Ursache allein in einem – meist psychischen – Krankheitszustand des Unterhaltsberechtigten haben, insbesondere nach den Vorschriften der PsychKG und UnterbringungsG der Länder oder auf Grundlage von § 1906 BGB. Bei Inobhutnahmen nach § 42 SGB VIII oder bei Maßnahmen wegen Gefahr im Verzug nach den Polizeigesetzen der Länder kommt es darauf an, ob (nur) der Schutz vor häuslicher Gewalt im Vordergrund steht; hier besteht kein hinreichender Zusammenhang mit einer Unterhaltspflichtverletzung, vielmehr werden derartige Fallgestaltungen strafrechtlich anderweitig (§§ 171, 223 StGB) erfasst. Auch der Schutz vor krankheitsbedingter Gefährdung besitzt keinen zureichenden Konnex zu einer Unterhaltspflichtverletzung. Insbesondere überspannt es die unterschließlich durch das Jugendamt in einem Heim untergebracht wurde. Das Amtsgericht sah sich an einer Verurteilung gehindert, weil es den Bundesgerichtshof in dessen Entscheidung BGHSt 26 312 dahin verstanden hatte, dass die Strafbarkeit entfalle, wenn das Kind nicht nur wegen der Unterhaltsverweigerung, sondern auch deshalb untergebracht sei, weil der Unterhaltspflichtige es darüber hinaus noch verwahrlosen lasse; denn in diesem Fall würden die mit der Unterbringung des Kindes verbundenen Leistungen zur Deckung des Lebensbedarfs des Kindes nicht gewährt, weil der Unterhaltsverpflichtete seiner Unterhaltspflicht nicht nachgekommen sei (vgl. BVerfGE 50 142). Das BVerfG ist dem entgegengetreten. 410 Zu Formulierungen des Bundesgerichtshofs in BGHSt 26 312 steht diese Auffassung in gewissem Widerstreit. Die Wendung, Jugendhilfe müsse „gerade und allein wegen Unterhaltsverweigerung eingreifen“ (BGHSt 26 312, 317), soll nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts aber nur die Notwendigkeit eines inneren Zusammenhang zwischen Unterhaltsverweigerung und Heimunterbringung betonen; sie könne schon deshalb nicht auf den Fall bezogen werden, bei dem zum Zweck der Unterhaltssicherung ein weiteres, davon unabhängiges Motiv hinzukommt, weil darüber nicht zu entscheiden gewesen sei (BVerfGE 50 142, 160). 411 Die Kriterien sind mittlerweile allgemein anerkannt, vgl. BayObLGSt 1983 161; OLG Zweibrücken NStZ 1984 458; OLG Düsseldorf NJW 1990 399; Schall SK Rdn. 51; Ritscher MK Rdn. 63; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 31; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 10; Dippel LK12 Rdn. 62; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 38; Mielitz S. 115. Wiedner
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II. Objektiver Tatbestand von Abs. 1
StGB § 170
haltsrechtlichen Anforderungen, dem betreuenden Unterhaltspflichtigen vorzuwerfen, für eine nicht hinreichende oder rechtzeitige ärztliche Behandlung Sorge getragen zu haben, und ihm deshalb das Eingreifen Dritter unterhaltsrechtlich zuzurechnen. Allerdings werden in derartigen Fällen die §§ 171, 223 heranzuziehen sein. Inobhutnahmen wegen Verwahrlosung werden regelmäßig auch durch eine Unterhaltspflichtverletzung mitveranlasst sein, da es in derartigen Fällen an der durch den Unterhaltsverpflichteten als Unterhaltsleistung geschuldeten Mindestbetreuung fehlt (vgl. Rdn. 79). Der Zusammenhang ist auch dann gegeben, wenn das Jugendamt vorrangig eingreift, um die Erziehung des Kindes zu sichern. Dies gilt erst recht, wenn Mängel der materiellen Versorgung hinzutreten und die Sicherung der Lebensgrundlagen einen erklärten weiteren oder vorrangigen Grund für die Obhut bildet. Entsprechend zu differenzieren ist auch bei familienrechtlichen Maßnahmen auf Grundlage von § 1666 BGB.412 Soweit sie mit der Aufnahme in eine Wohneinrichtung oder bei Pflegefamilien einhergehen, sind Maßnahmen der Jugendhilfe zur sozialen und schulischen Förderung (§ 13 Abs. 3 SGB VIII) und der Hilfe bei der Erziehung (§ 19 Abs. 1, §§ 33, 34, 35a Abs. 2 SGB VIII) gleichfalls nach diesen Kriterien zu prüfen, wobei darauf zu achten sein wird, dass soziale und Erziehungsdefizite, die durch die gesetzlichen Angebote behoben werden sollen, nicht leichter Hand zum strafrechtlichen Vorwurf gegenüber den Unterhaltspflichtigen gereichen. Betreuende, aber überforderte oder vor besonderen Entwicklungsschwierigkeiten des Kindes stehende Eltern sind keiner Unterhaltspflichtverletzung allein deshalb schuldig, weil eine stationäre Fremdunterbringung erforderlich wird. Vielmehr bedarf es in sämtlichen Fallgestaltungen genauer Feststellungen, inwieweit ein über erzieherische und gesundheitliche Gründe hinausgehender, auf mangelnden Unterhalt zurückgehender Zustand vorliegt, der (auch) zu der Maßnahme geführt hat. Dabei ist auch darzulegen, aufgrund welcher Vorschriften und mit welchen Zielen die öffentliche Hilfe gewährt worden war (vgl. OLG Hamm NJW 1975 456, 457; OLG Köln FamRZ 1976 116, 117). Für die Beurteilung des inneren Zusammenhangs bei anderen Formen der Gewährung öf- 180 fentlicher Hilfe, so der Unterbringung in einer Pflegefamilie (OLG Zweibrücken NStZ 1984 458) oder der Zahlung von Pflegegeld an einen das nichteheliche Enkelkind versorgenden Großelternteil (BayObLGSt 1983 161 mit Anm. Maurer JR 1986 210), gelten die vorgenannten Grundsätze entsprechend (Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 31). Ob – bei ausreichendem inneren Zusammenhang – die öffentliche Stelle aufgrund eigener gesetzlicher Verpflichtung einschreitet, und ob eine Überleitung des Unterhaltsanspruches durch Legalzession auf den öffentlichen Träger erfolgt und dieser den Anspruch gegenüber dem Pflichtigen geltend macht, ist für den Taterfolg unerheblich.413 Die fehlende Entrichtung von Beiträgen für die Unterbringung ist in dem Fall, dass die Maßnahme durch die Unterhaltsverweigerung mit veranlasst wurde, gleichfalls tatbestandlich und vertieft den Gefährdungserfolg, solange die Fortsetzung der Unterbringung jedenfalls auch durch den Unterhaltssicherungszweck getragen wird (OLG Düsseldorf NJW 1990 399; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 31); die Strafbarkeit endet erst, wenn die Fortsetzung des Heimaufenthalts etwa aufgrund einer neuen Entwicklung auf anderen Gründen als der Gefährdung des Lebensbedarfs beruht (BVerfGE 50 142, 159; Dippel LK12 Rdn. 63). Besteht dagegen kein innerer Zusammenhang, so begründet auch eine fehlende Beitragszahlung den Tatvorwurf nicht, mag diese auch unterhaltsrechtlich geschuldet sein. Denn weder liegt eine Gefährdung des Lebensbedarfs tatsächlich vor, noch ist das Eingreifen anderer zurechenbar durch die Unterhaltspflichtverletzung veranlasst; hypothetisch würde die auch fortdauernde Entrichtung des Unterhaltes an der Unterbringung nichts ändern (vgl. OLG Düsseldorf a. a. O.).
412 Ungeachtet dessen, dass es sich hierbei um zivilrechtlich begründete Maßnahmen handelt, ist für einen Zusammenhang mit einer Unterhaltspflichtverletzung ebenfalls auf den Anlass der – etwa durch einen Betreuer angeregten – Maßnahmen abzustellen. 413 BGHSt 26 312; BayObLG FamRZ 1976 115; anders noch OLG Frankfurt NJW 1972 836. 581
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§ 170 StGB
Verletzung der Unterhaltspflicht
181 (c) Babyklappe. Die Einrichtung sogenannter Babyklappen dient der Entlastung der unterhaltsverpflichteten Mutter in dem Bestreben, eine Notlage und letztlich auch Kindstötungen zu vermeiden. Die Übernahme der Kindesversorgung geschieht im Einvernehmen der Mutter und des Betreibers, ohne dass es für die Frage des Zusammenhanges im Sinne des § 170 Abs. 1 auf den Abschluss eines zivilrechtlichen Vertrages bedürfte. Entscheidend ist, dass der Betreiber nach seinem erkennbaren Willen die Versorgung des Kindes freiwillig übernimmt und an die Stelle der Mutter tritt; er ist damit kein anderer (vgl. Rdn. 52, 171 f). Nach der Gegenauffassung wäre eine hinreichende Verknüpfung gegeben, doch dürfte es auf Seiten der Mutter am Vorsatz fehlen oder zumindest ein nach Lage des Falles unvermeidbarer Verbotsirrtum anzunehmen sein. In gleicher Weise zu beurteilen ist die Sachlage bei einer anonymen oder vertraulichen Geburt (s. näher § 169 Rdn. 90 ff)
4. Tatort 182 Tatort der Unterhaltspflichtverletzung ist grundsätzlich der Ort, an dem der Unterhaltspflichtige sich seiner Verpflichtung durch aktives Tun entzogen hat, oder wo er die zu Erfüllung seiner Verpflichtung erforderlichen Handlungen hätte vornehmen müssen (§ 9 Abs. 1; vgl. auch OLG Saarbrücken NJW 1975 506, 507 mit Anm. Oehler JR 1975 291),414 dazu der Ort, an dem die Gefährdung des Lebensbedarfs eintritt oder nach der Vorstellung des Unterhaltspflichtigen eintreten sollte, wenn sie tatsächlich aufgrund der Hilfe anderer nicht eingetreten ist. Das bedeutet, dass die Tat am Aufenthaltsort des Unterhaltsberechtigten auch dann begangen ist, wenn die Gefährdung seines Lebensbedarfs durch die Hilfe anderer abgewendet wird (OLG Köln NJW 1968 954). Dies gilt auch dann, wenn die fremde Hilfe alsbald zu einem Aufenthaltswechsel geführt hat (vgl. Dippel LK12 Rdn. 64).
III. Objektiver Tatbestand von Abs. 2 183 Der – – –
objektive Tatbestand von § 170 Abs. 2 erfordert, dass der einer Schwangeren gesetzlich zum Unterhalt Verpflichtete ihr diesen Unterhalt in verwerflicher Weise vorenthält und dadurch den Schwangerschaftsabbruch bewirkt.
1. Unterhaltspflicht gegenüber einer Schwangeren 184 Tatbestandliche Voraussetzung ist das Bestehen einer gesetzlichen Unterhaltspflicht gegenüber der Schwangeren.
185 a) Gesetzliche Unterhaltspflicht. Der Wortlaut von Abs. 2, welcher sich abweichend von Abs. 1 nicht ausdrücklich auf eine “gesetzliche Unterhaltspflicht“ bezieht, könnte nahelegen, dass jegliche Pflicht zur finanziellen Unterhaltung, mithin auch eine vertraglich übernommeneden Tatbestand erfüllt. Dies ist nicht der Fall. § 170 Abs. 2 knüpft, auch wenn es sich nicht um eine Qualifikation von Abs. 1 handelt (vgl. Rdn. 17), sachlich an diesen an. Auch aus den Motiven des Gesetzgebers ergibt sich, dass eine gesetzliche Pflicht gemeint war (vgl. BTDrucks. 13/ 1850, S. 25). Die Anknüpfung an Unterhaltspflichten jeglicher Art würde den ohnehin weit ge-
414 Vgl. jedoch AG Mannheim NJW 1969 997, das den Ort des Unterlassens außer Betracht lässt. Wiedner
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III. Objektiver Tatbestand Abs. 2
StGB § 170
fassten Täterkreis zudem konturlos ausdehnen. Zu Recht wird daher allgemein415 davon ausgegangen, dass von Abs. 2 übereinstimmend mit Abs. 1 eine gesetzliche Unterhaltspflicht im Sinne der familienrechtlichen Vorschriften gemeint ist. Die diesbezüglichen Erläuterungen zum äußeren Tatbestand des Absatzes 1 (Rdn. 39 ff) gelten damit entsprechend.
b) Einschränkungen des Täterkreises. Weitere Einschränkungen in Bezug auf den po- 186 tentiellen Täterkreis bestehen nicht; insbesondere ist keine besondere Verantwortung des Unterhaltspflichtigen für den nasciturus im Sinne einer aus persönlicher Verbundenheit erwachsenden Garantenstellung zu fordern.416 Die herrschende Auffassung versucht den als zu weit empfundenen Tatbestand dadurch 187 zu begrenzen, dass sie von ihm Täter ausnimmt, die zu dem nasciturus in keiner besonderen Beziehung stehen, aus der Schutzpflichten erwachsen.417 Argumentiert wird, dass durch die formale und unterscheidungslose Anknüpfung an die gesetzliche Unterhaltspflicht auch Personen adressiert werden, die in keiner Beschützer-Garantenstellung zu dem ungeborenen Kind stünden, und ihre strafrechtliche Haftung mit den Grundsätzen der allgemeinen Zurechnungslehre nicht zu vereinbaren sei. Genannt werden dabei insbesondere der – zusammen-, getrenntlebende oder geschiedene – Ehemann der von einem anderen Mann schwangeren Frau oder die im Rangverhältnis ersatzweise eintretenden Großeltern; auch die Eltern der Schwangeren werden teilweise nur dann für strafrechtlich verantwortlich gehalten, wenn sie mit ihrer Tochter zusammenleben und mit deren Betreuung zugleich die Betreuung der Leibesfrucht übernommen haben (Schall SK Rdn. 56, Fn. 210). Denn das besondere, sich in der hohen Strafandrohung ausdrückende Handlungs- und Erfolgsunrecht erfordere eine Sonderbeziehung des Pflichtigen zu dem ungeborenen Kind, aufgrund derer er für dessen Wohlergehen verantwortlich gemacht werden könne. Nur eine derartige Normauslegung entspreche auch den Vorstellungen und Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 88 203, 298), auf welche die Vorschrift zurückgehe, und denen zufolge Personen des familiären Umfeldes strafrechtlich adressiert werden sollten, die für die Schwangerschaft besondere Verantwortung tragen. Die Auffassung vermag nicht zu überzeugen. Zwar ist die Bestimmung des Täterkreises in 188 § 170 Abs. 2 rechtspolitisch kritikwürdig, da sie einerseits über die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes (ebd.) hinausgeht, strafrechtlich solche Personen zu belangen, die der Schwangeren nahe stehen und von denen sie besonderen Beistand und Hilfe erwarten könne, andererseits den besonders verantwortlichen unehelichen Vater aufgrund dessen erst spät einsetzender gesetzlicher Unterhaltspflicht (§ 1615l Abs. 1, Abs. 2 S. 3 BGB) weitgehend aus der strafrechtlichen Haftung ausnimmt (s. bereits Rdn. 13). Bei der Anknüpfung an die gesetzliche Unterhaltspflicht handelt es sich jedoch um eine bewusste gesetzgeberische Entscheidung, die durch schlichte Behauptung eines außertatbestandlichen, letztlich unbestimmten Zurechnungserfordernisses, durch das Angehörige ohne eine Verbindung zum nasciturus aus dem Tatbestand ausscheiden, weitgehend konterkariert würde.418 Zweifelhaft erscheint insofern bereits der dogmatische Ausgangspunkt, denn eine – unechte – Garantenstellung ergibt sich bei § 170 Abs. 2 aufgrund wertender gesetzlicher Zuweisung bereits aus dem Tatbestand der Strafvorschrift und kann anders als bei Delikten mit unbeschränktem Täterkreis nicht nach allgemeinen Grundsätzen frei bestimmt
415 Ritscher MK Rdn. 69; Schall SK Rdn. 55; Fischer Rdn. 11; SSW/Wittig Rdn. 22; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2.I § 63 Rdn. 45; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 34a; Dippel LK12 Rdn. 65. 416 So SSW/Wittig Rdn. 22; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1; i. E. auch Schittenhelm NStZ 1997 169, 170. Anders die h. M., hierzu sogleich. 417 Schall SK Rdn. 56; Ritscher MK Rdn. 69; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 34a; Dippel LK12 Rdn. 66 f. Im Ergebnis ablehnend Matt/Renzikowski/Kuhli Rdn. 20. 418 Als potentielle Täter übrig blieben letztlich nur der Ehemann bis zur rechtskräftigen Feststellung fehlender Vaterschaft und die Eltern einer minderjährigen Schwangeren, vgl. Ritscher MK Rdn. 69; Schall SK Rdn. 56. 583
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Verletzung der Unterhaltspflicht
werden.419 § 13 findet keine Anwendung, gleich ob § 170 Abs. 2 als echtes420 oder wegen der offenen Tatbeschreibung als unechtes421 Unterlassungsdelikt begriffen wird (vgl. Sch/Schröder/Bosch § 13 Rdn. 1a). Durch die eindeutige und gewollte Anknüpfung an die Unterhaltspflicht ist der Strafrichter der im Einzelfall kaum zu treffenden Abgrenzung enthoben, welche für eine Pflichtenstellung ausreichende Nähebeziehung der Unterhaltsschuldner zur Schwangeren und dem nasciturus aufweisen muss,422 ohne gehindert zu sein, dem geminderten Unrechtsgehalt einer Tat durch einen fernerstehenden Unterhaltsschuldner tatbestandlich bei Prüfung des Merkmals der Verwerflichkeit oder zumindest auf der Rechtsfolgenseite Rechnung zu tragen. All dies gilt umso mehr, als der Schutzzweck des § 170 Abs. 2 keine alleinige Ausrichtung am nasciturus erfordert. Anerkanntermaßen soll die Vorschrift die Schwangere vor Eingriffen in ihre Entscheidungsfreiheit schützen und ihr eine selbstbestimmte Abwägung für und wider einen Schwangerschaftsabbruch ermöglichen, insbesondere rechtswidrige Einflüsse von ihr fernhalten, die sich dabei negativ auf das ungeborene Kind auswirken, wodurch dieses zugleich geschützt wird (vgl. Rdn. 13). Mit dieser Zielsetzung erscheint das gesetzgeberische Anliegen aber zumindest noch nachvollziehbar,423 Unterhaltspflichtige schlechthin als (auch straf-)rechtlich dafür verantwortlich anzusehen, der Sondersituation einer schwangeren Unterhaltsberechtigten aufgrund der besonderen rechtlichen Beziehung zu dieser durch Sicherstellung des Lebensbedarfs Rechnung zu tragen; insbesondere hindert der Umstand, dass die gesetzliche Unterhaltspflicht bereits unabhängig von einer Schwangerschaft besteht, ihre strafrechtliche Verstärkung zum Schutz einer – wirtschaftlicher Unabhängigkeit besonders bedürftigen – Schwangeren nicht (anders Dippel LK12 Rdn. 66). Die als besonders problematisch angesehene Erfolgszurechnung424 ist insoweit eine mittelbare, indem der Täter in Kenntnis der Schwangerschaft die Entscheidungsfreiheit der Unterhaltsberechtigten verkürzt und hierdurch vorhersehbar eine Ursache dafür setzt, dass diese – noch immer eigenverantwortlich handelnd – die Schwangerschaft abbricht. Einer besonderen Garantenstellung für den nasciturus zur Überlagerung dieser Eigenverantwortlichkeit bedarf es angesichts der nach gesetzgeberischer Wertung hinreichenden unterhaltsrechtlichen Verantwortung für die Schwangere nicht.
189 c) Nichtehelicher Vater als Täter. Die Anknüpfung an die gesetzliche Unterhaltspflicht bedeutet im Umkehrschluss, dass der nichteheliche Vater als Person mit unmittelbarer Verantwortung für den nasciturus nur unter besonderen Umständen Täter von Abs. 2 sein kann. Da seine Unterhaltspflicht nach § 1615l BGB gegenüber der Schwangeren erst beginnt, wenn die reguläre Frist für den Schwangerschaftsabbruch (§ 218 Abs. 1 Nr. 3) verstrichen ist, kommt eine Strafbarkeit zum einen nur dann in Betracht, wenn ein später Abbruch aufgrund einer medizinisch-sozialen Indikation nach § 218a Abs. 2 vorgenommen wird. Durch die Anknüpfung an den auch psychischen Gesundheitszustand der Schwangeren (vgl. Fischer § 218a Rdn. 20 ff) ist dann zwar nicht von Vornherein ausgeschlossen, dass die Vorenthaltung des Unterhaltes die Schwan419 Unterlassungsdelikte begründen keine Garantenstellung im Sinne von § 13, sondern bedrohen die Verletzung einer bereits tatbestandlich auferlegten Handlungspflicht mit Strafe (vgl. BGHSt 3 65; BGH NJW 1983 351; NStZ 1981 353; Fischer § 13 Rdn. 3). 420 Schall SK Rdn. 57; Ritscher MK Rdn. 72. 421 Vgl. Rdn. 17. 422 Eine strikte Unterscheidung nach Angehörigengruppen und Unterhaltsgrundverhältnissen könnte die Verantwortlichkeiten im Einzelfall nur unzureichend erfassen, wie von der h. M. bereits durch Unterscheidungen im Näheverhältnis unterhaltspflichtiger Eltern zu der Schwangeren eingeräumt wird. Aber auch Großeltern könnten, wenn die minderjährige Schwangere bei ihnen lebt und von ihnen betreut wird, in einem besonderen Nähe- und damit Pflichtenverhältnis stehen. 423 Und nicht bereits verfassungsrechtlich bedenklich, wie teilweise angenommen wird (Ritscher MK Rdn. 70). 424 S. insbesondere Schittenhelm NStZ 1997 169, 170 f; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 34a; Schall SK Rdn. 56 unter Verweis auf das Verantwortungsprinzip als Zurechnungskriterium, das bei einer vollverantwortlich handelnden Schwangeren zum Ausschluss der strafrechtlichen Haftung des Unterhaltspflichtigen führen soll. Wiedner
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III. Objektiver Tatbestand Abs. 2
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gere insbesondere in Fällen der früheren embryopathischen Indikation schlussendlich zu dem Abbruch motiviert; angesichts der regelmäßig deutlich im Vordergrund stehenden anderweitigen Gründe wird dies aber selten angenommen werden können.425 Zum anderen besteht eine Strafbarkeit bei einem (auch) durch die Unterhaltspflichtverletzung motivierten späten illegalen Schwangerschaftsabbruch.
d) Zeitlich: während der Schwangerschaft. Bereits aufgrund des Kausalitätserfordernisses 190 des „Bewirkens“ muss die Unterhaltspflicht zeitlich während der Schwangerschaft bestanden haben (Schall SK Rdn. 57), wobei es auf die Fälligkeit der Unterhaltsleistung ankommt. Ein Bestehen und eine Nichtleistung vor der Schwangerschaft – mit Entfallen während dieser, etwa infolge fehlender Leistungsfähigkeit – reichen nicht aus, selbst wenn die Schwangere das frühere Verhalten des Unterhaltsschuldners zum Anlass für den Abbruch nimmt. 2. Tathandlung: Vorenthalten in verwerflicher Weise Die Tathandlung des Abs. 2 bildet ein Vorenthalten in verwerflicher Weise.
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a) Vorenthalten wird der Unterhalt, wenn der Unterhaltspflichtige seiner Leistungspflicht ganz 192 oder teilweise nicht nachkommt. Trotz der von Abs. 1 („Sich-Entziehen“) abweichenden Formulierung426 entspricht die Tathandlung jener des Abs. 1.427 Sie ist daher auch dann verwirklicht, wenn der Schwerpunkt der Handlung des Unterhaltsverpflichteten in einem Tun besteht, der Pflichtige etwa eine bereits getätigte Überweisung widerruft. Abs. 2 ist damit – ohne praktische Auswirkungen – wie Abs. 1 kein echtes Unterlassungsdelikt.428 Der nach Bewertung des Gesetzgebers besondere Unrechtsgehalt und Schutzzweck von Abs. 2 kommt – vorbehaltlich des zusätzlichen Erfordernisses der Verwerflichkeit – in der Tathandlung nicht zum Tragen. Er erfordert nicht das Hervorrufen besonderer, über Abs. 1 hinausreichender materiellen Zwänge, setzt im Gegenteil abweichend von Abs. 1 nicht einmal eine Gefährdung des Lebensbedarfs voraus. Ob die durch die Vorenthaltung entstandene wirtschaftliche Lage die Unterhaltsberechtigte zum Schwangerschaftsabbruch veranlasst hat, ist allein Frage der Kausalitätsverknüpfung mit dem Taterfolg. Auch ist kein besonderes Unterhaltsverlangen der Berechtigten im Hinblick auf die Schwangerschaft erforderlich, wie es andererseits den Tatbestand ausschließt, wenn die Unterhaltsleistung aus Gründen scheitert, die in der Sphäre der Schwangeren anzusiedeln sind (Sch/ Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 34b). Damit kann im Übrigen auf die Erläuterungen zum objektiven Tatbestand von Abs. 1 verwiesen werden (Rdn. 151 ff). b) In verwerflicher Weise. Vor Schwierigkeiten stellt die Auslegung des weiteren Tatbestands- 193 merkmales „in verwerflicher Weise“. Es bildet ersichtlich eine Übernahme der – ihrerseits keine weitere Konkretisierung enthaltenden – Vorgabe des Bundesverfassungsgerichtes, wonach mit Strafe zu bewehren sei, dass die Verpflichteten einer Schwangeren „den ihnen zuzu-
425 Ritscher MK Rdn. 70; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 45; Dippel LK12 Rdn. 67. 426 Diese ist übernommen aus § 210 E 62, vgl. Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 34b; anders noch § 170c a. F.: „Versagen der Hilfe“. 427 Allg. Auffassung, Ritscher MK Rdn. 72; Schall SK Rdn. 57; SSW/Wittig Rdn. 24; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 13; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 34b; Matt/Renzikowski/Kuhli Rdn. 25. 428 Anders die h. M., s. etwa Schall SK Rdn. 57; Fischer Rdn. 11; Dippel LK12 Rdn. 59. 585
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mutenden Beistand (…) nicht in verwerflicher Weise vorenthalten“ (BVerfGE 88 203, 298).429 Bezweckt ist damit eine Einhegung des Tatbestandes, die anders als bei der Koppelung des Merkmals an eine Zweck-Mittel-Relation wie in §§ 237, 240 Abs. 2 § 253 Abs. 2 allerdings nur im Wege einer schwer durchführbaren allgemeinen Bewertung der Tat erfolgen könnte. Dabei dürfte zunächst ausscheiden, die Verwerflichkeit allein auf die subjektive Tatseite in dem Sinne zu beziehen, dass der Täter mit der Unterhaltsverkürzung auf einen Schwangerschaftsabbruch abzielen muss, denn dem Gesetzgeber hätte hierfür die Aufnahme einer entsprechenden Absicht des Täters offen gestanden. Andererseits wird eine entsprechende Zwecksetzung durch den Täter, so sie feststellbar ist, die Annahme von Verwerflichkeit ohne weiteres begründen. Überwiegend wird für das Merkmal gefordert, dass in einer Gesamtbewertung von objektiven und subjektiven Faktoren ein sozialethisch besonders zu missbilligendes Verhalten vorliegen muss, das über die bloße Verweigerung der Unterhaltszahlung hinausgeht, mithin anhand konkreter Umstände der Tatbegehung gesondert festzustellen ist.430 Hiergegen lässt sich allerdings einwenden, dass sich die tatbestandlichen Voraussetzungen von Abs. 2 bereits im Übrigen in einer Weise als verwerflich erweisen, die eine weitere Steigerung kaum verträgt.431 Immerhin muss sich der Täter, dessen eigene Belange durch das Erfordernis der – Eigenbedarf und andere Verpflichtungen berücksichtigenden – Leistungsfähigkeit ausreichend geschützt werden, in Kenntnis dieser Fähigkeit, der Bedürftigkeit der Berechtigten, deren Schwangerschaft, einer durch die Vorenthaltung des Unterhalts ausgelösten Zwangslage und deren möglicher schwangerschaftsbeendender Auswirkung zur Vorenthaltung entschlossen haben, wobei er den durch sein Verhalten ausgelösten Schwangerschaftsabbruch zumindest billigend in Kauf genommen haben muss. Es sind nur wenige, hauptsächlich im subjektiven Bereich anzusiedelnde Ausnahmefälle überhaupt vorstellbar, in denen sich ein im Vergleich hierzu noch weiter gesteigertes Unwerturteil wird fällen lassen. Die eine eigenständige Bedeutung befürwortende Auffassung behilft sich dementsprechend mit Anforderungen, die bei Lichte betrachtet bereits dem Normalfall des § 170 Abs. 2 ohne das Kriterium entsprechen,432 oder benennt zur Begründung des Merkmals nur besondere Fallgestaltungen, bei denen es nicht vorliegen soll (vgl. Ritscher MK Rdn. 73). Im Ergebnis läuft dies auf den Befund hinaus, dass dem Kriterium eine Begrenzungsfunktion nur ausnahmsweise zukommen kann, die Verwerflichkeit im Regelfall aber durch den sonstigen Tatbestand indiziert ist (ebenso Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 34c). 194 Der Tatrichter ist damit berechtigt, bei Vorliegen der sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen Abs. 2 eine Verwerflichkeit anzunehmen, es sei denn, eine besondere Fallkonstellation – die im Zweifel von Amts wegen aufzuklären und nicht etwa durch den Täter darzulegen ist – legt anderes nahe. Besondere Fälle, in denen es an einer Vorenthaltung „in verwerflicher Weise“ fehlen kann, bilden etwa nur kurzzeitige und im Betrag geringfügige Unterhaltsverkürzungen, die bereits vor einer (Beweis-)Würdigung, ob die Frau dadurch überhaupt in ihrer Entscheidung gegen das Kind maßgeblich beeinflusst sein konnte, aus dem Tatbestand auszuscheiden sind (vgl. Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 34c). Unterhaltspflichtverletzungen, die ihren Grund in einer fehlenden Erfüllung der den Pflichtigen treffenden Erwerbsobliegenheiten ha429 Schall (SK Rdn. 58 Fn. 214) bezeichnet die nicht näher erläuterte Wendung in der Entscheidung mit einigem Recht als einen die sonstige Zielrichtung nur untersteichenden Pleonasmus ohne eigenen Gehalt.
430 Ritscher MK Rdn. 73; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 13; Matt/Renzikowski/Kuhli Rdn. 25; SSW/Wittig Rdn. 25; Tröndle NJW 1995 3009, 3018; Otto Jura 1996 135, 144; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 46.
431 Dementsprechend wird dem Merkmal von der Gegenauffassung keine eigene Bedeutung zugemessen (Schall SK Rdn. 58; Dippel LK12 Rdn. 70) oder es zumindest als durch die sonstige Tatbestandsverwirklichung indiziert angesehen (Schittenhelm NStZ 1997 169, 171; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 34c). 432 S. etwa SSW/Wittig: Handeln „aus rein egoistischen oder finanziellen Motiven“; Frommel NK Rdn. 11: „dem Lebensschutz zuwider laufendes Verhalten“; Tröndle NJW 1995 3009, 3018; Dippel (LK12 Rdn. 70) verweist auf Abgrenzungskriterien, die für andere, Verwerflichkeit voraussetzende Vorschriften entwickelt wurden, wonach der Täter etwa gewissenlos oder aus übermäßig egoistischen Motiven handeln oder einen groben Mangel des Verantwortungsgefühls zeigen müsse. Auch diese Voraussetzungen gehen in den weiteren Tatbestandsvoraussetzungen von Abs. 2 bereits auf. Wiedner
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ben, sich aber am Rande des ihm noch Zumutbaren bewegen, kann der Makel der Verwerflichkeit zu versagen sein. Genau zu betrachten sind auch Unterhaltsverkürzungen im zeitlichen und situativen Zusammenhang mit emotionalen Auseinandersetzungen nach Scheitern einer Beziehung und noch streitiger Unterhaltsberechnung (vgl. Ritscher MK Rdn. 73). Allerdings bieten derartige Fälle typischerweise ein zweischneidiges Bild, da das Motiv, der Frau aus – ggf. gerade durch die Schwangerschaft verstärkter – Enttäuschung in ihrer Sondersituation keine Unterstützung und damit einem Ende der Schwangerschaft Vorschub zu leisten, das am Schutzzweck von Abs. 2 orientierte Unwerturteil einer besonderen Verwerflichkeit gerade verdient. Auch der unterhaltspflichtige geschiedene Ehemann, von dem das Kind nicht abstammt, befindet sich insoweit nicht per se in einer entlastenden Sondersituation, denn ihm steht es nach der Wertung von Abs. 2 gerade nicht offen, den inneren Konflikt zu Lasten seiner früheren Frau und dessen ungeborenem Kind auszutragen. Bei streitiger Vaterschaft wird sich gleichfalls im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung nicht billigen lassen, dass der (Schein-)Vater seine Zweifel über das Vehikel einer Versagung des Unterhaltes und damit verbundenen Druckes auf die Frau ausdrückt (anders wohl Ritscher MK Rdn. 73; SSW/Wittig Rdn. 25). Auch der diskutierte Fall,433 dass Unterhaltspflichtige – insbesondere die Eltern einer minderjährigen Schwangeren, aber auch deren Großeltern oder der Ehemann – mit „besten Absichten“ den Unterhalt verweigern, um aus Sorge um die Frau und deren weiteren Lebensweg eine Entscheidung gegen die als unzuträglich angesehene Schwangerschaft herbeizuführen, fällt aus dem Tatbestand von § 170 Abs. 2 nicht heraus. Denn hier liegt durch die offene Zielsetzung eines Schwangerschaftsabbruches jedenfalls eine verwerfliche Zweck-Mittel-Relation vor; von dem Unterhaltspflichtigen wird hier – zu Recht – gesetzlich erwartet, seiner Sorge und Zweifel im Gespräch Ausdruck zu verleihen, einen hiernach entgegenstehenden Willen der Schwangeren zu respektieren, und nicht zum rechtswidrigen Mittel wirtschaftlichen Drucks durch einer Unterhaltsverkürzung zu greifen (so auch Schall SK Rdn. 58 Fn. 219). Dass derartige Fallgestaltungen vor einem Strafgericht ausgetragen werden, bleibt faktisch aber kaum zu erwarten (s. Rdn. 14).
3. Taterfolg: Bewirken des Schwangerschaftsabbruches a) Abbruch der Schwangerschaft. Der Taterfolg von Abs. 2 liegt in einem Abbruch der 195 Schwangerschaft und stellt sich an der Stelle der Gefährdung des Lebensbedarfes nach Abs. 1 als ein anderes, gesteigertes Erfolgsunrecht dar. Die Voraussetzung bildet keine objektive Bedingung der Strafbarkeit, sondern einen Teil des Tatbestandes, da die Missachtung der besonderen Schutzbedürftigkeit der Schwangeren und des ungeborenen Kindes durch den Täter das zentrale unrechtsbegründende Merkmal der Vorschrift darstellt, die gegenüber Abs. 1 und auch § 218 Abs. 1 erhöhte Strafandrohung sich allein hieraus rechtfertigen lässt und ein anderweitiges Verständnis zu einer weiteren Ausdehnung der im Hinblick auf den Täterkreis ohnehin weit gezogenen Strafbarkeit führen würde.434 Aus gleichen Gründen scheidet auch aus, das Merkmal als besondere Folge im Sinne von § 18 zu begreifen, die seitens des Täters auch lediglich fahrlässig herbeigeführt werden könnte;435 die vom Gesetzgeber durch die Strafandrohung gekennzeichnete schwere Erfolgsschuld ließe sich mit einem solch minderen Handlungsunrecht nicht legitimieren (vgl. Fischer § 18 Rdn. 2). Ein Wertungswiderspruch ergäbe sich zudem zu den §§ 218 ff, 433 Vgl. Ritscher MK Rdn. 73; Schall SK Rdn. 58 mit Fn. 217 und 219; Dippel LK12 Rdn. 70. 434 S. bereits Rdn. 13, 186 f. Wie hier Ritscher MK Rdn. 74; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 34; SSW/Wittig Rdn. 26; Schittenhelm NStZ 1997 169, 172; Dippel LK12 Rdn. 71; aA Beckmann ZfL 95, 24, 31. Auch nach Vorstellung des BVerfG hätte die Strafbewehrung von negativen Einflüssen auf die Entscheidungsfreiheit der Schwangeren mittels des Schwangerschaftsabbruches als objektive Strafbarkeitsbedingung konzipiert werden können, BVerfGE 88, 203, 298. 435 Ritscher MK Rdn. 75; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 13; Dippel LK12 Rdn. 71; aA Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 43. 587
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die das ungeborene Leben nur gegen vorsätzliche Angriffe schützen (BGHSt 31 353) und – zumindest im Grundtatbestand des § 218 Abs. 1 und nach § 218 Abs. 3 – einen geringeren Strafrahmen vorsehen. 196 Die Schwangerschaft muss seitens der Frau vorsätzlich abgebrochen worden sein. Dies versteht sich im Hinblick auf den Schutzzweck der Vorschrift und das Erfordernis, dass die Unterhaltspflichtverletzung zum Abbruch geführt haben muss, nahezu von selbst. Die Strafandrohung dient dem Schutz des ungeborenen Lebens und soll in Umsetzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 88 203) verhindern, dass die Schwangere rechtswidrigen Einflüssen ausgesetzt ist, aufgrund derer sie sich bewusst gegen ihr ungeborenes Kind entscheidet. Dementsprechend muss das Vorenthalten des Unterhalts die Schwangere zu dem Abbruch im Sinne einer wenigstens tragenden Mitursächlichkeit (Rdn. 199) motiviert haben; für eine ungewollte Tötung des Embryos kann es nicht ursächlich seien.436 197 Ob der Schwangerschaftsabbruch sich (auch) für die Frau als nach § 218 strafbar darstellt, oder er unter den Voraussetzungen von § 218a legal vorgenommen wird, ist unerheblich. Für Fälle tatbestandsloser Schwangerschaftsabbrüche im Sinne von § 218a Abs. 1 ist dies unstreitig;437 denn Abs. 2 soll gerade die Situation erfassen, in der die Schwangere in ihrem Abwägungsprozess sich (auch) aufgrund der Verweigerung des geschuldeten Unterhaltes zu einer Beratung nach § 219 entschließt und hierauf den Schwangerschaftsabbruch verlangt (§ 218a Abs. 1 Nr. 1). Auch der persönliche Strafausschließungsgrund nach § 218a Abs. 4 Satz 1 und ein Absehen von Strafe nach § 218a Abs. 4 S. 2 kommen dem Täter des § 170 Abs. 2 nicht zugute (Ritscher MK Rdn. 77); im letztgenannten Fall ist dies augenfällig, weil die von § 218a Abs. 4 S. 2 vorausgesetzte „besondere Bedrängnis“ der Schwangeren bei einem „Bewirken“ i. S. v. § 170 Abs. 2 gerade auf den dortigen Täter zurückgehen wird. Erst recht fällt ein nach § 218 tatbestandlicher und für die Schwangere strafbarer Abbruch, etwa ein solcher ohne vorangehende Beratung oder nach zu der Zweiundzwanzig-Wochen-Frist, zu dem sie sich unter dem Eindruck nicht hinreichender wirtschaftlicher Unterstützung entschlossen hat, unter Abs. 2. Zutreffenderweise sind aus dem Tatbestand aber auch gerechtfertigte Schwangerschaftsabbrüche nach § 218a Abs. 2 und 3 (medizinisch-soziale und kriminologische Indikation) nicht von Vornherein ausgenommen.438 Zwar verzichtet das Gesetz hier auf eine vorangehende Beratung der Schwangeren nach § 219 (hierauf abstellend Dippel LK12 Rdn. 72), sondern sieht sie in einer Konfliktlage, die als Sonderfall rechtfertigenden Notstandes den Abbruch ohne weiteres erlaubt (vgl. Fischer § 218a Rdn. 14). Dass sich das Beratungsschutzkonzept, in dessen Ausgestaltung auch § 170 Abs. 2 eingefügt wurde (vgl. Rdn. 6), nicht realisiert, steht aber auch sonst, so bei einem illegalen Abbruch, dem Schutz durch Abs. 2 nicht entgegen. Das gegen eine Strafbarkeit vorgebrachte Hauptargument, dass die gesetzliche Güterabwägung in den Fällen von § 218a Abs. 2 und 3 zugunsten der Schwangeren und gegen das ungeborene Leben ausfällt und bei einer rechtmäßigen Abtötung des Fötus jedenfalls kein die hohe Strafandrohung von § 170 Abs. 2 legitimierendes Erfolgsunrecht vorliege,439 überzeugt gleichfalls nicht. Denn § 218a Abs. 2 und 3 sind als die Interessen der Schwangeren in besonderen Konfliktlagen berücksichtigende Schutzvorschriften zu begreifen; Dritte entlasten sie – mit Ausnahme des den Abbruch vornehmenden Arztes – grundsätzlich nicht. Der Schutzzweck des § 170 Abs. 2 wird durch eine Sachlage, die eine Indikation nach § 218a Abs. 2 oder 3 begründet, auch nicht obsolet: Soll die Schwangere in einer derartig gesteigerten Konfliktlage, in der sie sich rechtmäßig für oder gegen das ungeborene Kind entscheiden kann, von einer Einflussnahme zugunsten einer Fortsetzung der Schwangerschaft
436 Schall SK Rdn. 59; Ritscher MK Rdn. 75; Dippel LK12 Rdn. 72. 437 S. etwa Ritscher MK Rdn. 77; Schall SK Rdn. 59; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 34d. 438 Str.; wie hier Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 34d; Matt/Renzikowski/Kuhli Rdn. 26; aA Schall SK Rdn. 59; Ritscher MK Rdn. 78; Dippel LK12 Rdn. 72. 439 Schall SK Rdn. 59; Ritscher MK Rdn. 78; Dippel LK12 Rdn. 72. Wiedner
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(§ 219 Abs. 1) freigehalten werden,440 so bleibt sie in gleicher Weise, wenn nicht aufgrund der Sondersituation sogar gesteigert schutzbedürftig vor rechtswidrigen Einflussnahmen mit anderer Zielrichtung. Ist die Schwangere etwa unentschieden, ob sie ein behindertes oder durch eine Vergewaltigung empfangenen Kind austragen soll, so stellt es im Hinblick auf die von Abs. 2 geschützte Entscheidungsfreiheit ein gegenüber den sonstigen erfassten Fällen zumindest gleichwertiges Handlungsunrecht dar, wenn ihr der Unterhalt vorenthalten, die Konfliktlage hierdurch verschärft wird und die unsichere wirtschaftliche Perspektive den Ausschlag gibt, sich für den Abbruch zu entscheiden.441 Insoweit relativiert sich auch die Annahme eines herabgesetzten Erfolgsunrechtes; denn der Rechtsgüterschutz des nasciturus ist in den bezeichneten Fällen nur im Hinblick auf das Handeln der Schwangeren und des abbrechenden Arztes herabgesetzt, die Mitwirkung anderer Personen, etwa eines nicht-ärztlich Abbrechenden, ist dagegen strafrechtlich nicht freigestellt. Zudem muss sich der – insgesamt übersetzte – Strafrahmen des Abs. 2 nicht für jede Fallkonstellation als ausschöpfbar und dadurch legitim erweisen. In tatsächlicher Hinsicht erscheint dagegen fraglich, ob die ausschlaggebende Bedeutung der Unterhaltspflichtverletzung für die Entscheidung zum Abbruch sich in den Fällen des § 218a Abs. 2 und 3 wird nachweisen lassen.442
b) Bewirken. „Bewirken“ des Schwangerschaftsabbruches bedeutet zunächst eine Kausalität 198 dergestalt, dass die Unterhaltsverweigerung des Pflichtigen über eine durch sie eingetretene tatsächliche Gefährdung des Lebensbedarfs der Schwangeren oder eine auch nur befürchtete wirtschaftliche Zwangslage für den Abbruch der Schwangerschaft ursächlich geworden ist.443 Unabhängig davon, ob es sich bei Abs. 2 um ein echtes Unterlassungsdelikt handelt, gelten die hierfür entwickelten Grundsätze:444 Die nichterfolgte Handlung muss hypothetisch zum eingetretenen Erfolg in Beziehung gesetzt werden. Zu fragen ist daher, ob es auch bei Vornahme der pflichtgemäßen Handlung – hier: Entrichtung des geschuldeten Unterhaltes – noch immer zu dem Erfolg – hier: dem Schwangerschaftsabbruch – gekommen wäre. Lässt sich dies verneinen, so hat das Ausbleiben des Unterhalts zu dem Entschluss des Schwangerschaftsabbruches zumindest beigetragen; ein „Bewirken“ liegt dann vor. Ist die Frage zu bejahen, so waren es ausschließlich andere, mit dem Vorenthalten des Unterhalts und der dadurch geschaffenen oder befürchteten materiellen Situation nicht zusammenhängende Gründe, die zu dem Schwangerschaftsabbruch führten, so dass er von dem säumigen Unterhaltsschuldner nicht „bewirkt“ i. S. v. Abs. 2 wurde (Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 34d). Hieraus ergibt sich zugleich, dass eine Mitursächlichkeit der Unterhaltsverweigerung aus- 199 reicht. Schon empirisch sind es selten allein wirtschaftliche Erwägungen, die eine Schwangere zu dem Abbruch bewegen; vorliegen wird regelmäßig ein Motivbündel, in das vor allem unterschiedliche Fragen der eigenen Lebensplanung und der Beziehung zum Kindsvater einfließen dürften. Bereits das BVerfG hatte in seiner der Einfügung von Abs. 2 zugrundeliegenden Entscheidung unter Berufung auf empirische Untersuchungen angenommen, dass überwiegende Ursache für einen Schwangerschaftsabbruch weniger wirtschaftlich-soziale Notlagen als viel440 Dass gerade die in einer besonderen, rechtfertigenden Konfliktlage befindliche Schwangere einer – dann allerdings ergebnisoffenen – Beratung bedarf, diese allerdings nicht obligatorisch vorgesehen ist, wird teilweise kritisiert (Sch/Schröder/Eser/Weißer § 219 Rdn. 1/2; Gropp MK § 218 Rdn. 5). S. aber die Möglichkeiten freiwilliger Beratung nach §§ 2 ff SchKG mit Beratungsvorgaben für Fälle emryopathischeer Indikation (§ 2 Abs. 2 Nr. 5, § 6 Abs. 3 Nr. 2 SchKG). 441 So das zutreffende Beispiel von Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 34d. 442 Auf eine regelmäßig fehlende Kausalität verweisen Schall SK Rdn. 59 und Ritscher MK Rdn. 78; sie ist allerdings nicht ausgeschlossen, nur weil die Schwangere die Gründe des § 218a Abs. 2 oder 3 in Anspruch nimmt. 443 Ähnlich Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 34d; Schall SK Rdn. 60; Ritscher MK Rdn. 76; Lackner/Kühl/ Heger Rdn. 13. 444 S. etwa BGHSt 6 1, 2; 37 106, 126; 48 77, 93; Sch/Sch/Stree/Bosch § 13 Rdn. 61; Fischer Vor § 13 Rdn. 39. 589
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mehr gestörte Partnerschaftsbeziehungen maßgeblich seien.445 Heutzutage tritt hinzu eine selbstverständliche Autonomie der Frau bei Bestimmung des eigenen Lebensentwurfes, innerhalb dessen Befürchtungen wegen der wirtschaftlichen Abhängigkeit von Zahlungen eines Unterhaltspflichtigen nicht notwendig eine bestimmende Rolle zukommen. Nicht erforderlich ist, dass von den verschiedenen Überlegungen der Schwangeren in ihrem Abwägungsprozess das an die Unterhaltspflichtverletzung anknüpfende wirtschaftliche Motiv im Vordergrund steht, dass es in anderer Weise herausgehobene Bedeutung für die Entscheidung hatte446 oder gar allein handlungsleitend gewesen ist. Es reicht aus, ist aber auch erforderlich, dass das Vorenthalten des Unterhalts zumindest ein Umstand neben anderen darstellt, die die Schwangere zu dem Abbruch bewegt hat.447 Eine weitere Differenzierung in der Motivlage geht aus dem Tatbestand nicht hervor, ist praktisch kaum zu leisten und dürfte bereits die Grenzen des Bestimmtheitserfordernisses berühren. Mithin ist der Schwangerschaftsabbruch nur dann vom Unterhaltspflichtigen nicht mehr bewirkt, wenn ausschließlich andere, mit der Vorenthaltung des Unterhalts nicht zusammenhängende Gründe zu dem Schwangerschaftsabbruch geführt haben. 200 Für eine Beurteilung im Einzelfall kommt es demnach darauf an, ob und inwieweit die Vorenthaltung des Unterhaltes auf Entscheidungsfindung der Schwangeren Einfluss genommen hat. Dabei geht es allein um innere Tatsachen. Ob sich die Schwangere tatsächlich in einer wirtschaftlichen Notlage befindet oder eine solche für den Fall der Fortsetzung der Schwangerschaft objektiv zu prognostizieren ist, oder ob die Schwangere nur subjektiv – und ggf. unzutreffend – befürchtet, sie würde mangels Unterhalt in materielle Not geraten und (auch) hierauf ihre Entscheidung stützt, ist unerheblich; denn auch in letzterem Fall wäre der Abbruch durch die Vorenthaltung kausal mitbeeinflusst. Ohne Belang bleibt auch, ob die Schwangere bereits vor dem Abbruch materielle Not litt, oder ob das Verhalten des Unterhaltspflichtigen sie nur veranlasste, eine solche für die Zukunft zu erwarten. Angesichts der für einen legalen Schwangerschaftsabbruch geltenden Zeitspanne ab Empfängnis von 12 Wochen (§ 218a Abs. 1 Nr. 3; für einen nach § 218a Abs. 4 S. 1 straffreien Abbruch 22 Wochen) und der tatsächlich wesentlich kürzeren Überlegungsfrist ab Kenntnis von der Schwangerschaft ist die Schwangere darauf angewiesen, aus dem Verhalten des Unterhaltspflichtigen in einem vergleichsweise kurzen Zeitraum Rückschlüsse darauf zu ziehen, wie sich ihre wirtschaftliche Lage in der oft – etwa durch Aufgabe einer eigenen Erwerbstätigkeit – durch besondere Bedürftigkeit und erhöhten Bedarf gekennzeichneten Zeit kurz vor und nach Geburt darstellen würde.448 Die Befürchtung, auch nach Austragen des Kindes im Stich gelassen zu werden, stellt sich daher als Normalfall einer für ein „Bewirken“ ausreichenden Motivlage der Schwangeren dar, und erfüllt das Kausalitätserfordernis auch dann, wenn sich die Befürchtung nachträglich nicht bewahrheitet, der Unterhaltspflichtige etwa nach dem Schwangerschaftsabbruch seine Zahlungen wiederaufnimmt. Anders werden nur solche Fälle zu beurteilen sein, in denen eine ersichtlich nur vorübergehende Vorenthaltung – etwa durch eine unterhaltsrechtlich nicht gestattete Ausbildung – vor Abbruch vorliegt, in absehbarer, entscheidender Zeit aber eine Unterhaltsleistung zu erwarten ist (Schittenhelm NStZ 1997 169, 171), wobei es hierbei eher um die Beweiswürdigung einer entsprechenden Kausalitätsbehauptung der Schwangeren gehen wird. Erfasst sind auch Motivlagen, bei welchen die Schwangere zwar im Hinblick auf die Vorenthaltung des Unterhaltes den 445 BVerfGE 88 203, 297; s. auch Tröndle NJW 1995 3309, 3018; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 48. 446 So aber Ritscher MK Rdn. 76, wonach die finanzielle Notlage „eindeutig im Vordergrund“ stehen muss; s. auch Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 48, wonach bei mehreren Motiven das Vorenthalten des Unterhalts immerhin das „bestimmende“ gewesen sein muss. Soweit Schall (SK Rdn. 60) fordert, dass der Tatrichter vor der schwierigen Aufgabe steht zu ermitteln, ob das Vorenthalten des Unterhalts ein „bestimmendes Motiv“ des Abbruches, ist dies im Sinne einer ausreichenden Mitkausalität zu verstehen (vgl. ebd. Fn. 226). Unklar SSW/Wittig Rdn. 27: Die finanzielle Notlage müsse „neben anderen Motiven (…) im Vordergrund stehen“. 447 So auch Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 34d; Schall SK Rdn. 60 mit Fn. 226; Matt/Renzikowski/Kuhli Rdn. 26; Dippel LK12 Rdn. 71. 448 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 34d; Ritscher MK Rdn. 76. Wiedner
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Abbruch vornehmen, sich hierbei aber nicht von einer drohenden wirtschaftlichen Zwangslage leiten lässt, sondern aus genereller Enttäuschung über die fehlende Unterstützung oder eine durch die Verweigerung ausgedrückte Abwendung von Partner oder Eltern handelt. Vom Wortlaut der Vorschrift, die eine wirtschaftliche Gefährdung der Schwangeren nicht verlangt, sondern die Kausalbeziehung zwischen Vorenthaltung, einem hieraus erwachsendem Motiv zum Schwangerschaftsabbruch und diesem genügen lässt, und von ihrem Zweck, den Abbruch begünstigende Beeinflussungen von der Schwangeren fernzuhalten, ist eine derartige Fallkonstellation ohne weiteres gedeckt.449 Nicht unmittelbar einsichtig ist vor diesem Hintergrund, dass – wie gleichwohl allgemein angenommen wird450 – eine dauerhafte Sicherung des Unterhaltes durch Zahlungen Dritter, insbesondere eintretender öffentlicher Institutionen, den Tatbestand ausschließen soll. Zwar liegt eine aktuelle materielle Zwangslage hier nicht vor; dennoch erscheint nicht ausgeschlossen, dass die Schwangere den Abbruch aus in der Unterhaltspflichtverletzung liegenden Gründen veranlasst, weil sie sich etwa nicht dauerhaft in die Hände öffentlicher Fürsorge begeben möchte oder die fehlende materielle Unterstützung durch den an sich Verpflichteten als eine Abwendung begreift, die sie am Sinn einer Fortdauer der Schwangerschaft zweifeln lässt. Hiermit steht in Einklang, dass auch eine Zurückweisung freiwilliger Zahlungen Dritter durch die Schwangere den Unterhaltspflichtigen nicht entlasten kann, wenn es hiernach – mitbedingt durch finanzielle Not – zu einem Schwangerschaftsabbruch kommt (Sch/ Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 34d). Das theoretische Konzept eines mitkausalen „Bewirkens“ kann freilich nicht darüber hinweg- 201 helfen, dass das Erfordernis den Strafrichter in der Praxis vor erhebliche Schwierigkeiten stellt.451 Ihm obliegt nicht nur, durch Vernehmung der Unterhaltsberechtigten die genaue Motivlage für einen von ihr veranlassten Schwangerschaftsabbruch zu ergründen, damit in einen höchstpersönlichen Bereich vorzudringen und eine für die Zeugin regelmäßig belastende, oft an persönliche und ethische Grenzen führende Entscheidung zu rekonstruieren. Dies wird in der von der Vorschrift geforderten Trennschärfe oft nicht möglich sein, wenn denn die Unterhaltsberechtigte überhaupt bereit ist, Angaben zu machen.452 Gerade weil aber innere Tatsachen der Frau allein maßgeblich sind – nur sie weiß, was sie zu dem Abbruch bewogen hat –, darf der Tatrichter ihre Angaben aber nicht unbesehen zugrunde legen, sondern muss sie kritisch auf Plausibilität hinterfragen, dabei erforderlichenfalls ihre wirtschaftliche, soziale und persönliche Situation zum Zeitpunkt des Abbruches beleuchten und Zeugen vom Hörensagen aus ihrem Umfeld befragen. Hierzu wird besonders bei zerrütteten Angehörigen- oder partnerschaftlichen Beziehungen Anlass bestehen (Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 48).
c) Gefährdung des Lebensbedarfs. Eine tatsächliche Gefährdung des Lebensbedarfs der 202 unterhaltsberechtigten Schwangeren oder eine Gefährdung ohne die Hilfe anderer verlangt § 170 Abs. 2 im Unterschied zu Abs. 1 nicht. Ob es – bei für den Bestand der Unterhaltspflicht erforderlicher Bedürftigkeit und Bedarf – tatsächlich zu einem Mangel gekommen ist oder ohne Einschreiten Dritter gekommen wäre, ist daher unerheblich.453 Stattdessen müssen infolge der
449 Schall SK Rdn. 61; aA Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn 34d; Dippel LK12 Rdn. 73; Schittenhelm NStZ 1997 169, 171. 450 Schall SK Rdn. 62; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 13; Ritscher MK Rdn. 76; Schittenhelm NStZ 1997 169, 171; Dippel LK12 Rdn. 73. 451 S. auch Ritscher MK Rdn. 76; Tröndle NJW 1995 3009, 3018; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 48. 452 Der Schwangerschaftsabbruch selbst berechtigt zur Auskunftsverweigerung nach § 55 StPO nur, sofern er illegal durchgeführt wurde und die Frau der Gefahr eigener Strafverfolgung aussetzt (anders wohl Dippel, LK12 Rdn. 10). Allerdings führt das Unterhaltsgrundverhältnis gegenüber Angehörigen regelmäßig zu einem Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO; der nichteheliche Vater ist hiervon ausgenommen, im fraglichen Zeitraum i. d. R. aber nicht unterhaltsverpflichtet. 453 Schall SK Rdn. 57; Dippel LK12 Rdn. 69. 591
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Verletzung der Unterhaltspflicht
Vorenthaltung des Unterhalts für die Schwangere zumindest nach ihrer Vorstellung materielle Zwänge entstehen, die zumindest mitursächlich dafür sind, dass sie sich gegen das Kind entscheidet; solches ist indes nicht Frage eines Gefährdungserfolges, sondern der Kausalität zu dem (einzigen) Taterfolg des Schwangerschaftsabbruches. Demgemäß reicht es aus, wenn akute finanzielle Schwierigkeiten bei der Schwangeren nie aufgetreten sind und nach den Gesamtumständen auch nicht mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten waren, von ihr aber subjektiv für die Zukunft befürchtet wurden und hierauf der Schwangerschaftsabbruch beruht.454 Allerdings wird sich eine feststellbare Gefährdung im Sinne des Abs. 1 als eine berechtigte Befürchtung der Schwangeren darstellen und den Kausalitätsnachweis erleichtern.
IV. Rechtswidrigkeit 203 Die Rechtswidrigkeit der Unterhaltspflichtverletzung entfällt selten. Fehlende Leistungsfähigkeit steht bereits der Unterhaltspflicht entgegen; die den Verpflichteten treffenden Erwerbsobliegenheiten sind bereits für sich genommen durch die Zumutbarkeit begrenzt (vgl. Rdn. 107), so dass Fälle rechtfertigenden Notstandes oder einer Pflichtenkollision kaum denkbar sind. Die Vorenthaltung von Unterhalt kann demgegenüber in Ausnahmefällen gerechtfertigt sei, in denen es dem Verpflichteten aus tatsächlichen Gründen verwehrt wird, der von ihm rechtmäßigerweise gewählten Art der Unterhaltsleistung nachzukommen (vgl. OLG Hamm NJW 1960 1632 zu einem allerdings nur begrenzt verallgemeinerungsfähigen Fall der verweigerten Personensorge aus der Zeit der deutschen Teilung). Die Entziehung des Kindes berechtigt grundsätzlich nicht zur Unterhaltsverweigerung; anderes kann in Fällen gelten, in denen bei Aufenthalt eines Elternteiles und des Kindes im Ausland dem gegenüber dem Kind Unterhaltspflichtigen eine rechtsstaatliche Durchsetzung seiner Sorge- und Umgangsrechte verwehrt ist (vgl. OLG Hamm a. a. O.). Die wirksame Einwilligung des Unterhaltsberechtigten – insbesondere in einem rechtsgültigen Unterhaltsverzicht – lässt bereits den objektiven Tatbestand entfallen (vgl. Rdn. 47); eine unwirksame Einwilligung bildet keinen Rechtfertigungsgrund, sondern kann nur vorgelagert auf Ebene des subjektiven Tatbestandes in Gestalt irrtümlicher Annahme einer entfallenen Unterhaltspflicht Bedeutung entfalten.
V. Subjektiver Tatbestand 204 § 170 bildet in beiden Tatbestandsvarianten ein ausschließliches Vorsatzdelikt.
1. Absatz 1 205 Bei Absatz 1 ist hinsichtlich sämtlicher Merkmale dolus eventualis ausreichend.455 Die häufig begegnende Formulierung, dass an die subjektive Tatseite strenge Anforderungen zu stellen sei454 S. Rdn. 201; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 34d; Ritscher MK Rdn. 76. 455 Mittlerweile einhellige Auffassung, vgl. BGHSt 14 165, 168 (der Pflichtige muss bedingt vorsätzlich keine ausreichenden Zahlungen leisten); BGH NStZ 1985 166, BayObLGSt 1994 65, OLG Celle NJW 1955 563, 564; OLG Hamburg NStZ 1984 167, 168; OLG Hamm NJW 1955 153, 154, MDR 1969 500; OLG Köln NJW 1981, 63; OLG Stuttgart NJW 1960 2204, 2205; OLG Zweibrücken DAVorm. 58 (1985) 499, Fischer Rdn. 12; Frommel NK Rdn. 12; Lackner/Kühl/ Heger Rdn. 11; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 40; Ritscher MK Rdn. 65; Schall SK Rdn. 52; Sch/Schröder/ Bosch/Schittenhelm Rdn. 33. Teilweise war dem Begriff des Sich-Entziehens entnommen worden, dass für die Leistungsverweigerung dolus eventualis nicht ausreiche; hierzu besteht indes kein Anlass, wenn dem Merkmal auf subjektiver Seite eine eigene Prüfung zuteil wird und ein zumindest gleichgültiges Inkaufnehmen der Verletzung in Bezug auf die Tathandlung festgestellt wird (vgl. Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 33a). Wiedner
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V. Subjektiver Tatbestand
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en,456 umschreibt keine gesteigerten Voraussetzungen betreffend die Vorsatzart oder etwaige überschießende Innentendenzen, sondern bezieht sich auf den Gegenstand der subjektiven Tatseite und damit zusammenhängende Schwierigkeiten ihres Nachweises, namentlich darauf, dass der Täter in sein Wissen und Wollen eine mitunter komplexe Tatsachenlage, ihre zur Unterhaltspflicht führende rechtliche Bewertung und auf dieser Grundlage die Pflichtwidrigkeit seiner Tathandlung in seinen Vorsatz aufgenommen haben muss. Solches muss – mit teils erheblichen praktischen Schwierigkeiten – tatrichterlich nachgewiesen und gesondert festgestellt werden; es lässt sich ohne weiteres nicht aus der objektiven Tatbestandserfüllung folgern. Auch Umschreibungen, wonach das Sich-Entziehen ein „bewusstes gegen die Pflichterfüllung gerichtetes Verhalten“,457 „bewusste Nichterfüllung“458 oder eine Nichtleistung in Kenntnis der Unterhaltspflicht (Schall SK Rdn. 37; s. auch SSW/Wittig Rdn. 28) voraussetzt, schließen nicht aus, dass die Tat auch derjenige begehen kann, der mit seiner Pflichtenstellung nur ernstlich rechnet und sich damit abfindet, dass sein Verhalten zu einer Verkürzung des Unterhaltes führt (vgl. Schall SK Rdn. 52). Eine gezielte Verkürzung im Sinne einer Absicht, eine feindselige Willensrichtung gegenüber dem Berechtigten, ein egoistisches Motiv oder eine anderweitig verwerfliche Gesinnung ist entgegen früher vertretener Auffassungen nicht erforderlich;459 der Gesetzgeber hat hierauf bewusst verzichtet.460 Beziehen muss sich der Vorsatz zunächst auf sämtliche tatsächliche Voraussetzungen 206 der gesetzlichen Unterhaltspflicht, mithin insbesondere auf die eigene Leistungsfähigkeit einschließlich aller sie begründenden Umstände sowie der Bedürftigkeit und des Bedarfs des Unterhaltsberechtigten. Hieraus muss der Täter den Schluss ziehen, dass zumindest die Möglichkeit einer Unterhaltspflicht besteht, und ihre Verletzung billigend in Kauf nehmen. Dabei wird die erste Vorsatzebene mit Bezug auf den eigenen Lebensbereich des Unterhaltspflichtigen selten in Frage stehen: Über sein Einkommen, finanzielle Belastungen, die Gründe eines Arbeitsplatzverlustes oder eigene Anstrengungen (oder ihr Fehlen) zur Erlangung eines Arbeitsplatzes weiß der Pflichtige regelmäßig Bescheid. Da die Unterhaltspflicht als solche Tatbestandsmerkmal ist, muss der Vorsatz sich aber auch auf die – rechtliche – Bewertung erstrecken, dass hieraus eine Leistungspflicht folgt, welcher der Täter sodann bewusst nicht nachkommt. Im Falle der Verletzung von Obliegenheiten wie einer herbeigeführten Leistungsunfähigkeit oder nicht zureichender Bemühung um die Herstellung von Leistungsfähigkeit (Rdn. 95 ff) bedeutet dies, dass der Täter zumindest für möglich halten muss, dass er hierdurch gegen seine Unterhaltspflicht verstößt;461 eine rechtlich untechnische Parallelwertung reicht hierzu aus. Wegen der Vorverlagerung der Pflichtverletzung (vgl. Rdn. 158) muss keine Kenntnis darüber bestehen, dass trotz derartiger Handlungen die rechtliche Verpflichtung zur Unterhaltszahlung unberührt bleibt; ansonsten wäre der Täter gerade in den Fällen entlastet, in denen er sich um eine Unfähigkeit zur Erbringung des Unterhaltes aktiv bemüht in der Hoffnung darauf, hierdurch leistungsunfähig zu werden und Straflosigkeit zu erreichen. Die zielgerichtete Herbeiführung von Leistungsunfähigkeit in dem Bestreben, keinen Unterhalt zahlen zu müssen, ist vielmehr auch dann tatbestandlich, wenn der Täter seine Pflicht nicht sicher annimmt, sondern nur für den Fall ihres Bestehens ihre Erfüllung vereiteln möchte.462 Mit der Bedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten muss der Täter zumindest rechnen; hier reicht es aus, ist aber auch erforder-
456 So bereits BGHSt 14 165, 168; OLG Hamburg NStZ 1984 167, 168; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 11; SSW/Wittig Rdn. 28; s. auch Dippel LK12 Rdn. 75: strenge, aber auch nicht strengere Anforderungen als sonst. 457 S. etwa Schall SK Rdn. 37, 52; Matt/Renzikowski/Kuhli Rdn. 20; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 41; Dippel LK12 Rdn. 77. 458 OLG Hamburg NStZ 1984 167, 168; Fischer Rdn. 12; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 9. 459 BGHSt 14 165, 167; BayObLGSt 51 511, 512; OLG Hamm JZ 1952 690, 691; Ritscher MK Rdn. 65; Sturm JZ 1974 2; Becker NJW 1955 1907; anders noch etwa Welzel Strafrecht § 63 III 2a a. S. 460 BTDrucks. VI/1552 S. 13; VI/3521 S. 14. 461 Vgl. BGHSt 14 165, 168; BayObLGSt 1988 91, 93; OLG Düsseldorf NStZ 1992 337; Ritscher MK Rdn. 65; Sch/ Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 33a. 462 Vgl. OLG Hamm OLGSt Nr. 1; Dippel LK12 Rdn. 75. 593
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Verletzung der Unterhaltspflicht
lich, dass er über die Lebensumstände des Berechtigten in groben Zügen informiert ist oder zumindest keinen Anhalt dafür hat, dass sich eine bekannte frühere Bedürftigkeit geändert hat. Auf dieser Grundlage muss er durch die Tathandlung des Sich-Entziehens hinnehmen, dass er seine Pflicht verletzt und eine Gefährdung des Lebensbedarfes des Berechtigten herbeiführt (vgl. BGH NStZ 1985 166). Zweifel können den Täter entlasten, wenn er etwa eine Unterhaltspflicht und deren Verletzung für nicht ausgeschlossen hält, aber bei streitiger Tatsachengrundlage in einem zivilrechtlichen Unterhaltsprozess bei grundsätzlich bestehender Leistungsbereitschaft eine gerichtliche Klärung abwarten will.463 Nimmt der Täter fälschlich – aufgrund unzutreffender Einschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit oder des Bedarfs – eine geringere als die tatsächlich bestehende Leistungspflicht an, besteht Vorsatz nur insoweit; herabgesetzt ist hierdurch indes nur der Schuldumfang.
2. Absatz 2 207 Für Absatz 2 ist wie für Abs. 1 ein zumindest bedingter Vorsatz hinsichtlich der – auch normativen – Voraussetzungen der gesetzlichen Unterhaltspflicht zu fordern; auf die dortigen Erläuterungen kann verwiesen werden (Rdn. 206). Der Vorsatz muss sich darüber hinaus auf den Umstand der Schwangerschaft erstrecken;464 positive Kenntnis ist aber auch insoweit nicht erforderlich. Da es sich bei dem „Bewirken des Schwangerschaftsabbruches“ weder um eine objektive Bedingung der Strafbarkeit noch um eine nur Fahrlässigkeit erfordernde Erfolgsqualifizierung im Sinne von § 18 handelt (vgl. Rdn. 13), sondern um einen tatbestandlichen Taterfolg, muss der Unterhaltsverpflichtete auch den ursächlichen Zusammenhang zwischen Unterhaltspflichtverletzung und Schwangerschaftsabbruch in seinen Vorsatz aufgenommen haben,465 wobei zu fordern ist, dass er die Möglichkeit sieht und sich damit abfindet, dass die Schwangere wegen des fehlenden Unterhaltes den Abbruch herbeiführt.466 Ein zielgerichtetes Handeln ist hierfür ebensowenig erforderlich wie andere überschießende subjektive Merkmale wie etwa ein besonderer Egoismus oder eine feindselige Einstellung gegenüber der Berechtigten oder dem ungeborenen Kind. Der Nachweis wird im Einzelfall gleichwohl schwer zu führen sein; dem Pflichtigen bekannte Zweifel der Schwangeren an der Fortdauer der Schwangerschaft oder das Wissen um eine wirtschaftlich besonders bedrängte Lage können aber ausreichen, um den Rückschluss auf einen zumindest bedingten Vorsatz zu tragen. 208 Nach herrschender Auffassung bedarf es auch eines Vorsatzes hinsichtlich der Voraussetzungen einer Garantenstellung für das ungeborene Kind (Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 34e; vgl. Rdn. 187), mithin solcher tatsächlichen Umstände, die eine besondere Nähebeziehung begründen; da es sich um solche einer unmittelbaren Wahrnehmung des Pflichtigen unterliegende Tatsachen handelt, die das eigene Verhältnis zu der Schwangeren betreffen, wird hier regelmäßig eine Kenntnis vorliegen. Die Bewertung, dass damit besondere Einstandspflichten verbunden sind, ist eine rechtliche und begründet – anders als die ausdrücklich in den Tatbestand aufgenommene Unterhaltspflicht – bei ihrem Fehlen einen Verbotsirrtum (Schall SK Rdn. 63). Nach hier vertretener Ansicht (Rdn. 188) bedarf es einer über das Unterhaltsverhältnis hinausreichenden Verbundenheit nicht, so dass insoweit auch subjektiv keine Besonderheiten gelten. Ähnliches gilt für das Merkmal der Verwerflichkeit: Sie ist durch die sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen indiziert (Rdn. 193 f., str.); entlastende Umstände, die sie ausräumen können, müssen vom Vorsatz nicht umfasst sein. Ein Irrtum über die Bewertung des Handelns als nicht verwerflich ist Verbotsirrtum (Ritscher MK Rdn. 80; Schall SK Rdn. 63). 463 OLG Hamburg NStZ 1984 167, 168; Frommel NK Rdn. 11; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 11; Ritscher MK Rdn. 66. 464 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 34e; SSW/Wittig Rdn. 29; Schall SK Rdn. 64; Dippel LK12 Rdn. 76; vgl. auch BTDrucks. 13/1850 S. 25. 465 Anders Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 47 unter Annahme einer Anwendung von § 18. 466 Schall SK Rdn. 64; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 13; Ritscher MK Rdn. 79. Wiedner
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VI. Irrtumsfragen
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VI. Irrtumsfragen Angesichts der familienrechtlichen Akzessorietät von § 170 Abs. 1, der Komplexität der unter- 209 haltsrechtlichen Vorschriften und der hierzu ausfüllend ergangenen Rechtsprechung sind behauptete oder tatsächliche Irrtumsfälle hinsichtlich der Tatbestandsverwirklichung in der Praxis häufig. Dies gilt für alle normativen Tatbestandsmerkmale der Vorschrift, insbesondere aber für die Frage, ob und in welchem Umfang der Täter zur Unterhaltszahlung verpflichtet war und ist. In einem Tatbestandsirrtum iSv § 16 begriffen ist zweifellos derjenige, der bereits unterhaltsbegründende Tatsachen wie etwa das verwandtschaftliche Verhältnis, die Vermögens- und Einkommenslage des Berechtigten und damit dessen Lebensbedarf oder – wie freilich selten – die eigene, Leistungsfähigkeit begründenden Einkünfte verkennt. Ausgehend davon, dass der Vorsatz bei echten Unterlassungsdelikten grdsl. nur die pflichtbegründenden Tatsachen, nicht aber die daraus folgenden – rechtlichen – Handlungspflichten zu umfassen hat,467 müsste es sich bei einer auf einer falschen Wertung beruhenden Fehlvorstellung über die Pflicht und ihren Umfang demgegenüber um einen Gebotsirrtum iSv § 17 handeln (so noch OLG Stuttgart NJW 1960 2204, 2205); dies ist indes nicht der Fall. Ein Irrtum über die Unterhaltspflicht bildet nach nahezu allg. Auffassung468 bereits einen Tatbestandsirrtum unabhängig davon, ob der Täter die pflichtbegründenden Tatsachen verkennt oder hieraus nur falsche Schlussfolgerungen zieht. Denn die Unterhaltspflicht als solche ist Tatbestandsmerkmal, und der Unterhaltsschuldner muss sich dieser Pflicht „entziehen“,469 so dass bei jeder Fehlvorstellung, die den Täter an eine fehlende Leistungspflicht glauben lässt, zwingend § 16 zur Anwendung gelangt. Anders als etwa bei § 266a oder § 370 AO470 handelt damit auch vorsatzlos, wer die maßgeblichen, die Leistungspflicht begründenden Umstände kennt, aber aufgrund einer fehlerhaften Bewertung dieser Umstände zu der Einschätzung gelangt, die rechtlichen Voraussetzungen für eine eigene Unterhaltspflicht lägen nicht vor. Dies betrifft etwa die rechtliche Fehlbewertung, das tatsächliche oder verwandtschaftliche Verhältnis zum Unterhaltsberechtigten löse nach den Vorschriften des Bürgerlichen Rechts die Pflicht zum Unterhalt nicht aus,471 sie bestehe beispielsweise nach Scheidung nicht mehr, es bestehe stets maximal Anspruch auf den Regelunterhalt, oder die gesetzlichen Vorschriften und ihre Konkretisierung in der Rechtsprechung böten eine Grundlage nur zu einer geringeren Leistung. Erheblich kann auch sein ein Irrtum über andere bürgerlichrechtliche Vorgaben, etwa über die Rangfolge der Unterhaltsberechtigten472 und über die Frage der Gefährdung ihres Lebensbedarfs (BGH NStZ 1985 166), auch über die befreiende Wirkung von Zahlungen Dritter, etwa Unterhaltsvorschüssen. Bedeutsam ist schließlich auch eine Fehleinschätzung über das Erfordernis der Leistungsfähigkeit (OLG Koblenz, Beschl. v. 3.11.2010 – 2 Ss 184/10 [juris]; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 11), etwa der Glaube, die Unterhaltsverpflichtung richte sich stets nur nach dem tatsächlich verfügbaren Einkommen und umfasse keine Erwerbsobliegenheit, sie stehe insbesondere einem einkommensmindernden Berufswechsel nicht entge467 BGHSt 16, 155; 19 295, 298; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben/Schuster § 15 Rdn. 96; Maurach/Gössel AT/2 II § 46, 185; Fuhrmann GA 1962 170; Für das vorsätzliche unechte Unterlassungsdelikt vgl. BGHSt 16 155, 158 ff (GrSSt.). 468 BayObLGSt 1994 65, 66; OLG Celle NdsRpfl. 16 (1962) 211; OLG Köln NJW 1981 63, 64; OLG Stuttgart NJW 1962 1631; OLG Zweibrücken NJW 1987 1899; NStZ 1992 337; Fischer Rdn. 12; Frommel NK Rdn. 13; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 11; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 41; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 33a; Schall SK Rdn. 40; Fischer Rdn. 12; SSW/Wittig Rn. 27; Wiesner-Berg NStZ 2010 243, 246; unzutreffend LG Berlin NStZ 2006 294. 469 Auf das insoweit gedoppelte pflichtbezogene Tatbestandsmerkmal weisen Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 33a zutreffend hin. 470 S. etwa MüKo-StGB/Radtke § 266a Rdn. 90. 471 So etwa hinsichtlich der §§ 1601, 1608 BGB, der Frage nachehelichen Unterhaltes nach § 1570 BGB oder in den sog. „Babyklappen-Fälle“, vgl. Ritscher Rdn. 67; Wiesner-Berg NStZ 2010 243, 246. 472 OLG Köln NJW 1981 63; OLG Koblenz, Beschl. v. 3.11.2010 – 2 Ss 184/10 (juris); Lackner/Kühl/Heger Rdn. 11; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 41.; angenommen auch bei mangelnder Kenntnis von der Verzichtsbereitschaft eines vorrangig befriedigten Gläubigers, BayObLGSt 1994 65, 66. 595
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Verletzung der Unterhaltspflicht
gen (OLG Köln NStZ 1992 337), oder eine falsche Annahme über die Höhe des Selbstbehaltes.473 Da der Vorsatz sich auch auf durch die Entziehung bedingte Gefährdung des Lebensbedarfs des Unterhaltsberechtigten erstrecken muss, bildet auch die Annahme des Unterhaltspflichtigen, der Lebensbedarf werde ohne Rücksicht auf die ausbleibenden Unterhaltszahlungen von Dritten erbracht, einen vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum (BGH NStZ 1985 166; OLG Hamm, Beschl. v. 17.4.2012 – 3 RVs 24/12 [juris]). 210 In der Praxis wird entsprechenden Behauptungen des Unterhaltspflichtigen mit Zurückhaltung zu begegnen sein. Da bedingter Vorsatz auch hinsichtlich der Pflichtenstellung ausreicht, ist der subjektive Tatbestand erfüllt, wenn der Täter die Verletzung einer für möglich gehaltenen Leistungspflicht hinnimmt. Dies wird jedenfalls bei Vorliegen eines rechtskräftigen, der Unterhaltsklage stattgebenden Zivilurteils der Fall sein,474 regelmäßig aber schon dann, wenn der Pflichtige erstinstanzlich in die Unterhaltszahlung verurteilt worden ist, oder wenn er rechtssuchend auf die zutreffende Einordnung der Tatsachenlage hingewiesen worden ist. Dass er im Unterhaltsstreit durch einen Rechtsbeistand des Unterhaltsberechtigten unter Darlegung der Rechtslage zur Zahlung aufgefordert worden ist, wird dagegen nicht ausreichen. Bei Abweisung der Unterhaltsklage oder Festsetzung eines geringeren Unterhaltes ist Vorsatz regelmäßig ausgeschlossen.475 211 Auch für Abs. 2 gilt, dass ein Irrtum über die Unterhaltspflicht gegenüber der Schwangeren vorsatzausschließend wirkt. Eine Garantenstellung gegenüber der Schwangeren und dem ungeborenen Kind wird von der Aufnahme der Pflichtenstellung in den gesetzlichen Tatbestand überlagert, so dass Fehlvorstellungen insoweit unmaßgeblich sind, solange nur Vorsatz hinsichtlich der Unterhaltspflicht und der Schwangerschaft besteht (vgl. Rdn. 188); vom Standpunkt der h. M. aus würde ein Verbotsirrtum vorliegen (Schall SK Rdn. 50; Dippel LK12 Rdn. 77). Eine unzutreffende Bewertung des eigenen Verhaltens als „verwerflich“ bei vollständiger Kenntnis der maßgeblichen Tatsachen bildet gleichfalls einen Verbotsirrtum iSv § 17. Ein Irrtum über die Kausalität wirkt vorsatzausschließend.476
VII. Täterschaft und Teilnahme 212 Die Tat ist durch die für die Tatbestandserfüllung vorausgesetzte rechtliche Verhältnis ein Sonderdelikt (Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf BT § 10 Rdn. 36; Roeder ZStW 69 [1957] 248), so dass Täter nur der Unterhaltspflichtige selbst sein kann. Nach zutreffender Auffassung vermag allerdings auch ein gesetzlicher Vertreter, etwa der Vormund minderjähriger oder der Betreuer erwachsener Unterhaltspflichtiger unter den Tatbestand zu fallen; denn die Schuld und Pflichterfüllung ist nicht als ein höchstpersönliches, eine Vertreterhaftung von vornherein ausschließendes Merkmal anzusehen, sondern als persönliches Verhältnis im Sinne des § 14 Abs. 1 Nr. 3.477 Da auch für Abs. 2 nach 473 Ritscher MK Rdn. 67; nach LG Berlin NStZ 2006 294 ohne nähere Begründung nur Verbotsirrtum. 474 Schall SK Rdn 41; Ritscher MK Rdn. 67. Anders Dippel LK12 Rdn. 77; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 33a; Koffka JR 1968 229. Der Annahme, dass der Unterhaltspflichtige trotz Unterliegens im Unterhaltsprozess weiter darauf vertraut haben will, keinen Unterhalt leisten zu müssen, wird es regelmäßig an einer zureichenden Grundlage fehlen. 475 Schall SK Rdn 41; Ritscher MK Rdn. 67. Ausgenommen sind Täuschungsfälle, in denen das Urteil auf Fehlangaben des Unterhaltspflichtigen beruht. Aufgrund der eigenständigen strafrechtlichen Beurteilung ist ein Wegfall bereits des Tatbestandes (erst) dann anzunehmen, wenn im Strafverfahren eine gleiche materielle Beurteilung der Unterhaltspflicht erfolgt oder sie aus anderen materiellen Gründen abzulehnen ist; weiter offenbar Dippel LK12 Rdn. 77; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 33a (generell tatbestandsausschließend). 476 Schall SK Rdn. 50; Ritscher MK Rdn. 75. 477 Blauth S. 124 ff; H.-J. Bruns GA 1982 18; Hoyer SK § 14 Rdn. 31; Jakobs AT 21/12; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7; Radtke MK § 14 Rdn. 51; Sch/Schröder/Lenckner/Perron § 14 Rdn. 10/11; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 35; Wiesener S. 176 f.Ritscher MK Rdn. 68; Schünemann LK12 § 14 Rdn. 41. Vgl. dazu auch § 171 Rdn. 77 (zur Eigenschaft des zur Fürsorge und Erziehung Verpflichteten), § 172 Rdn. 42 (zur Eigenschaft, Partner einer Doppelehe zu sein) und § 173 Rdn. 40 f. (zur Verwandteneigenschaft). Wiedner
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VIII. Rechtsfolgen
StGB § 170
zutreffender Auffassung kein besonderes Schutzverhältnis erforderlich ist (vgl. Rdn. 187 f), kommt auch hier eine Einbeziehung gesetzlicher Vertreter in Betracht. Bei mehreren säumigen Unterhaltspflichtigen liegt Nebentäterschaft vor (Roxin TuT S. 357). Strafbare Teilnahme am Unterlassungsdelikt ist möglich in Form der Anstiftung nament- 213 lich durch solche Dritte, die aus der Nichtleistung des Unterhaltspflichtigen Nutzen ziehen. Beihilfe kommt in Betracht in Form der psychischen Unterstützung durch Bestärkung des Entschlusses, der Hilfeleistung bei Verschleierung des Einkommens oder unwahrer Behauptungen im Statusprozess. Dabei muss dem Dritten bekannt sein, dass der Unterhaltspflichtige sich seiner Verpflichtung entziehen will (Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 35). § 28 Abs. 1 ist nicht anwendbar (Ritscher MK Rdn. 68).
VIII. Rechtsfolgen Rechtsfolge bildet nach Absatz 1 die Verhängung von Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder von 214 Geldstrafe; Absatz 2 sieht die Verhängung von Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe vor. Im Hinblick auf das Schutzgut und den Strafzweck (vgl. Rdn. 19) erweisen sich beide Strafarten als problematisch, da sie im Fall ihrer Vollstreckung die Leistungsfähigkeit des Verurteilten weiter einschränken und dadurch die Gefährdung des Lebensbedarfs des Unterhaltsberechtigten vertiefen. Bei – in einem Großteil der Fälle anzunehmender – nur teilweiser Leistungsfähigkeit oder bei Vermögen und Einkünften, welche nur knapp Eigenbedarf und Unterhaltsansprüche abdecken, erweist sich jeder Betrag, der dem Verurteilten neben den Verfahrenskosten abverlangt wird, mittelbar als Belastung des Unterhaltsberechtigten; bei zu vollstreckender Haftstrafe gilt gleiches für den hierdurch bewirkten Verdienstausfall. Die kriminalpolitische Ambivalenz der Strafvorschrift erweist sich damit gerade im Hinblick auf die Rechtsfolgenseite, welche den Tatrichter im Regelfall – anders etwa im Falle vermögender Täter – mit dem Dilemma zurücklässt, eine schuldangemessene Sanktion auszusprechen, die mit den auch für § 170 StGB uneingeschränkt Geltung beanspruchenden allgemeinen Vorschriften der §§ 38 ff vereinbar ist, andererseits dem Opferschutz und Normzweck der Sicherstellung von Unterhaltsleistungen durch hierzu primär Verpflichtete gerecht zu werden.478 Lösungen können nur durch großzügige Ausnutzung der verfügbaren strafprozessualen Ins- 215 trumente und des tatrichterlichen Ermessensspielraums bei der Rechtsfolgenbemessung gefunden werden,479 insbes. durch Erteilung von Weisungen zur Unterhaltszahlung unter der „Androhung“ schwerwiegenderer anderweitiger Konsequenzen. Bei einsichtigen Ersttätern und keiner hohen
478 Zutreffend Dippel LK12 Rdn. 80; Ritscher MK Rdn. 83, Schall SK Rdn. 54; Fischer Rdn. 13; Maurach/Schroeder/ Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 43 Schmidhäuser BT 13/14; Arzt/Weber BT § 10 Rdn. 37; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 14; Ostermann ZRP 1995 204, 206; Staudinger/Engler Vorbem zu § 1601 ff Rdn. 129. S. andererseits zutreffend LG Koblenz MDR 1982 70, wonach die Kritik am gesetzlichen Tatbestand und Strafrahmen keinen Gesichtspunkt für die Strafzumessung bilden darf, die im gesetzlichen Sanktionsgefüge allgemein und von § 170 insbesondere vorgesehene Geldstrafe vielmehr auch bei Nachteilen für die Unterhaltsberechtigten nicht umgangen werden darf. S. auch die Beratungen des Sonderausschusses, Prot. VI/33 S. 1202 ff. Der Verweis auf zivilprozessuale Maßnahmen (Ostermann ZRP 1995 204 f) ist dem Strafrichter verwehrt (vgl. Zarbock ZfJ 82 [1995] 344). 479 S. auch BTDrucks 15/5891 S. 7. Aus der strafgerichtlichen Praxis zeigt sich das Bild, dass in etwa gleichem Umfang Geld- und Freiheitsstrafen verhängt werden (Stat. Bundesamt für 2018: 927 Verurteilungen, davon 500 zu Freiheitsstrafe, 427 zu Geldstrafen). Die nicht erfasste Anzahl anderer Erledigungen, insbes. von Verfahrenseinstellungen dürfte hoch sein (vgl. die Pol. Kriminalstatistik 2018 mit 4.482 erfassten Fällen). Im Vergleich zu der im unteren Kriminalitätsbereich erwartbaren Verteilung ist der Anteil der Freiheitsstrafen damit ungewöhnlich hoch. Damit liegt eine dem Schutzzweck des § 170 Abs. 1 geschuldete, verbreitete Verhängung kurzer Freiheitsstrafen iSv § 47 Abs. 1 StGB nahe. Ob zugleich der Rückschluss erlaubt ist, dass die Ausnahmeregelung bei der Strafzumessung missachtet wird (so Dippel LK12 Rdn. 80; Thalmann BewH 35 [1988] 168), sei dahingestellt. 597
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§ 170 StGB
Verletzung der Unterhaltspflicht
Gefährdungsintensität durch die Tat kann § 153a StPO herangezogen werden,480 wobei es idR bei der Auflage nach § 153a Abs. 1 S. 2 Nr. 4 StPO sein Bewenden haben, diese allerdings sowohl auf die Begleichung von Unterhaltsrückständen als auch auf laufenden Unterhalt bezogen werden sollte. Dabei darf im Falle mehrerer Unterhaltsberechtigter keine Bevorzugung der konkret Geschädigten zum Ausdruck kommen, da dem nur begrenzt leistungsfähigen Täter hierdurch ein erneuter Rechtsverstoß abverlangt würde.481 Ersichtlich leistungsfähigen Tätern kann andererseits die Tilgung konkreter Unterhaltsrückstände mit einer kurzen Befristung aufgegeben werden. Der Verhängung einer kontraproduktiven Geldstrafe kann durch Verwarnung mit Strafvorbehalt nach §§ 59, 59a StGB ausgewichen werden, wobei sich auch hier eine flankierende Weisung nach § 59a Abs. 2 S. 2 StGB anbieten wird, Unterhaltspflichten nachzukommen,482 wiederum unter Einbeziehung aller Unterhaltsgläubiger. Dabei erscheint es nicht widersprüchlich, den Unterhaltsschuldner durch den Vorbehalt einer – neben seine fortbestehende Unterhaltsschuld tretenden – Geldstrafe zur Zahlung anzuhalten.483 Vollstreckbare Geldstrafen haben sich unabhängig von der sich in der Tagessatzanzahl ausdrückenden Strafhöhe zwar bereits nach § 40 Abs. 2 an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu orientieren. Inwieweit dabei bestehende Unterhaltsschulden und laufende Unterhaltspflichten einkommensmindernd angerechnet werden und dem Widerstreit – bis hin zu einer eher symbolischen Tagessatzhöhe an der Untergrenze des § 40 Abs. 2 S. 3 – auf diesem Weg ausgewichen werden kann, ist umstritten.484 Zwar handelt es sich anerkanntermaßen485 auch bei der Bemessung des Tagessatzes um einen wertenden Akt richterlicher Strafzumessung, der dem Tatrichter Ermessensspielräume hinsichtlich der berücksichtigungsfähigen Faktoren belässt. Unterhaltsverpflichtungen sollen nach h. M. dabei „angemessen“ zu berücksichtigen sein.486 Überwiegend werden allerdings nur tatsächlich erbrachte Leistungen für anrechnungsfähig gehalten.487 Dies trifft zu; gerade im Bereich von § 170 erscheint nicht angängig, einen nach wie vor nicht leistungsbereiten Unterhaltsschuldner allein im Hinblick auf seine fortbestehende Schuld bei Bemessung der Tagessatzhöhe zu privilegieren. Der Tatrichter ist indes nicht gehindert, auch kurzfristig erbrachte Leistungen zu berücksichtigen und auf diesem Weg – ggf. nach richterlichem Hinweis – eine Anreizwirkung zur Zahlung trotz drohender Geldstrafe zu schaffen. Unzuträglichkeiten durch die parallele Belastung mit der Unterhaltspflicht können zu-
480 Fischer Rdn. 13; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 37; Heuchemer BeckOK Rdn. 2; Schäfer/Sander/von Gemmeren Strafzumessung Rdn. 1607;. Meyer-Goßner/Schmitt (§ 153a Rdn. 2) und Dippel (LK12 Rdn. 80) weisen zu Recht darauf hin, dass es sich bei § 153a StPO der Sache nach um eine, rechtstechnisch freilich ganz anders ausgestaltete, Variante der Strafaussetzung zur Bewährung handelt (s. auch Rieß NStZ 1982 2, 6 f). 481 Ritscher MK Rdn. 83 (Fn. 299); Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 37. Allerdings greift es zu kurz, nur bereits titulierte anderweitige Unterhaltsforderungen in die Auflage heranzuziehen (mißverständlich Bosch/Schittenhelm aaO); der Täter ist gleichermaßen auch anderen Unterhaltsberechtigten zur Zahlung verpflichtet. Eine praktische Lösung könnte sich dergestalt anbieten, dass in eine Auflage bekannte Unterhaltspflichten explizit aufgenommen werden und ergänzend auf eventuell bestehende weitere Unterhaltsansprüche Bezug genommen wird. 482 Vgl. Horn NJW 1980 106 ff; Schöch FS Baumann 25 ff mit statistischer Auswertung S. 267. 483 Anklingende Bedenken bei Ritscher MK Rdn. 83. 484 Überblick bei Häger LK § 40 Rdn. 54; Fischer § 40 Rdn 14. 485 BGHSt 27 212; BGH, Beschl. v. 25.4.2017 – 1 StR 147/17 (juris Rdn. 7); BGHR StGB § 40 Abs 2 S 1 Einkommen 6; KG NZV 2010 530; ThürOLG, Beschl. v. 27.10.2017 – 1 OLG 161 Ss 53/17 (juris); OLG Celle JR 1977 382; Radtke MK § 40 Rdn. 60. 486 BGH, Beschl. v. 25.4.2017 – 1 StR 147/17 (juris Rdn. 9), BGHR StGB § 40 Abs 2 S 1 Einkommen 6; Fischer § 40 Rdn. 14; Schäfer/Sander/van Gemmeren Strafzumessung, Rn. 121; für Orientierung an § 10 Abs. 1 Nr. 1, §§ 33, 33a Radke MK 69. 487 BayObLG NStZ 1988 499 mAnm Terhorst; MDR 1988 694; OLG Schleswig SchlHA 1978 181; OLG Celle JR 1977 382; Krehl NStZ 1989 464. Da die Höhe der Unterhaltsschuld und hierauf tatsächlich erbrachte Leistungen gerade Gegenstand des Ermittlungs- und Hauptverfahrens bei einem Tatvorwurf nach § 170 sind, wird auf § 40 Abs. 3 nur in Ausnahmefällen zurückzugreifen sein. Wiedner
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VIII. Rechtsfolgen
StGB § 170
dem nach § 42 sowie im Vollstreckungsverfahren nach § 459a StPO Rechnung getragen werden.488 Die in der Praxis häufig geübte Verhängung kurzer Freiheitsstrafen489 unter Strafaussetzung zur Bewährung steht auch bei Straftaten nach § 170 unter der Voraussetzung der Unerlässlichkeit (§ 47 Abs. 1), welche nicht bereits mit dem Erhalt der Leistungsfähigkeit angenommen werden kann.490 Dass bei Fehlen einer einschlägigen, auf die Verhängung von Geldstrafe lautenden Vorverurteilung nur mildere Sanktionsmittel als die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe in Betracht kommen, wie verbreitet angenommen,491 erscheint insbes. für § 170 dagegen nicht zwingend. Auch die hartnäckige Verweigerung bei erfolgloser Ausschöpfung zivilprozessualer Möglichkeiten, ein langandauerndes Sich-Entziehen, die Vereitelung von Vollstreckungen, die Verheimlichung von Aufenthalt und Arbeitsplatz können als jeweils besonders vorwerfbares Verhalten des Unterhaltsschuldners besondere Umstände in der Tat begründen, welche eine Anwendung von § 47 Abs. 1 rechtfertigen (BayObLG NJW 1988 2750, 2751; Fischer Rdn. 13).492 IdR wird eine Freiheitsstrafe unter Vollstreckungsaussetzung zur Bewährung auszusprechen sein, die sich – wiederum gekoppelt mit einer Auflage nach § 56c Abs. 2 Nr. 5, der Unterhaltspflicht nachzukommen – als eine besonders wirksame Sanktion erweisen wird (s. bereits BTDrucks. 6/3521 S. 14).493 Erst bei wiederholter Unterhaltspflichtverletzung mit Besonderheiten in der Tatbegehung, etwa besonders raffinierter Einkommens- oder Vermögensverschleierung wird eine Freiheitsstrafe ohne Vollstreckungsaussetzung zu verhängen sein. Der Einsatz eines – nach Neufassung der Vorschrift grdsl. auch ohne verkehrsbezogene Straftat möglichen – Fahrverbotes nach § 44 Abs. 1 Satz 2 als Druckmittel zur Erzwingung künftigen Wohlverhaltens dürfte sich in der Mehrzahl der Fälle als kontraproduktiv für die Erwirtschaftung der Unterhaltsbeiträge erweisen und steht iÜ an der Grenze zur Sachfremdheit.494 Strafmildernd wirken neben einem Geständnis die Einsicht in Unterhaltspflicht und die 216 Mitwirkung in einem familiengerichtlichen Verfahren mit beschleunigter, etwa auf Anerkenntnis beruhender Titulierung und Vollstreckbarkeit der Forderungen, eine Offenlegung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Täters, erkennbare Bemühungen zur Steigerung der Leistungsfähigkeit, insbesondere aber eine – je frühzeitiger erfolgende, desto stärker anzusetzende – Aufnahme der Unterhaltszahlungen und Tilgung von Unterhaltsrückständen. Der Wert von Leistungen als Milderungsgrund verringert sich indes in dem Maße, in welchem der Täter ersichtlich erst aufgrund des Strafverfahrens, etwa nach Anklageerhebung, seiner Pflicht nachkommt, oder die Schuld zivilprozessual beigetrieben werden musste. Mildernd kann eine am Rande des Verbotsirrtums stehende Unsicherheit des Täters über den Umfang seiner Pflicht wie auch ein bloßer Eventualvorsatz wirken, ebenso Tatbegehungen aus bloßer Nach-(nicht: Fahr-)lässigkeit; entsprechende Behauptungen sind aber zu kritisch zu prüfen (Schäfer/Sander/ Gemmeren Strafzumessung Rdn. 1606). Auch erhebliche Kränkungen und unverschuldete Nachteile im Zusammenhang mit einer (Trennungs-)Auseinandersetzung mit dem Unterhaltsschuldner können entlasten, wenn sie auf der Hand liegen. Der Tatrichter ist dagegen nicht gehalten, Trennungsgründe und -verhalten näher aufzuklären. Dem Täter günstig sind ferner geringe Vorenthaltungsbeträge und ein kurzer Tatzeitraum. Als strafschärfende Gesichtspunkte kommen spiegelbildlich in Betracht eine besondere Gefährdungslage, in die der Unterhaltsschuldner das Tatopfer gebracht hat wie typischerweise bei einem langen Tatzeitraum mit besonderer Vorent488 Die Härteklausel des § 459f StPO hilft dagegen wegen der hohen Anforderungen für die Annahme einer unbilligen Härte (vgl. Appl KK § 459f StPO Rdn. 2) idR nicht weiter, Lackner/Kühl/Heger Rdn. 14. Vgl. OLG Bremen JR 1961 226, 228; Dornis FRB 7 [2008] 22. BayObLGSt 1987 71, 72 = NJW 1988 2750, 2751; NStE § 170b StGB Nr. 5; OLG Köln NJW 1981 63, 64. Ritscher MK Rdn. 83; SSW/Wittig Rdn. 35. Zutreffend Schall SK Rdn. 69; s. auch BTDrucks. 6/3521 S. 14; BayObLG NJW 1988 2750, 2751; LG Koblenz MDR 1982 70; AG Köln DAVorm. 1983 72, 75; Fischer Rdn. 13; Horstkotte NJW 1969, 1603. 493 Vgl. Frommel NK Rdn. 5, Schall SK Rdn. 5 und Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 37; krit. zur gegenwärtigen Praxis Arzt/Weber BT § 19 Rdn. 37 und Frommel NK Rdn. 5. 494 Vgl. König DAR 2018 604 607; eingehend Schall SK Rdn. 70; Zopfs FS Wolter 815, 818.
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§ 170 StGB
Verletzung der Unterhaltspflicht
haltungshöhe, weiter besondere Anstrengungen, um nicht zur Zahlung herangezogen werden zu können, etwa ein persönliches Sich-Entziehen durch meldelose Wohnsitzwechsel, Verschleierungsmaßnahmen hinsichtlich der Einkünfte wie Schwarzarbeit, Scheinverträge zugunsten Dritter, Vermögensverschiebungen oder anderweitige Manipulation zur Simulation fehlender Leistungsfähigkeit. Die Herbeiführung des eigenen Leistungsunvermögens ist zwar nicht bereits im Tatbestand angelegt, könnte daher ohne Verstoß gegen § 46 Abs. 3 berücksichtigt werden; indes unterliegt Zweifeln, ob sie in ihrem Unrechts- und Vorwerfbarkeitsgehalt höher anzusiedeln ist als eine Pflichtverletzung bei zweifelloser Leistungsfähigkeit insbesondere in solchen Fällen, in denen der Täter ohne eigene merkliche Einschränkungen seiner Pflicht hätte genügen können. Die Beurteilung bleibt hier Frage des Einzelfalles; etwa kann eine bewusste Pfandlosstellung oder die beharrliche Weigerung, trotz sich darbietender Möglichkeit eine Arbeit anzunehmen, zu Lasten des Täters gehen (vgl. LG Koblenz MDR 1982 70). Als strafschärfend kann sich auch ein besonderes Tatmotiv erweisen, etwa eine Schädigungsabsicht nach konfliktreicher Trennung. Dagegen werden – auch unnachgiebig geführte – familienrechtliche und -gerichtliche Auseinandersetzungen im Vorfeld der Unterhaltsfeststellung nicht zur strafrechtlichen Vorwerfbarkeit gereichen können. Anwendbar sind auch die – freilich selten genutzten (Schall SK Rdn. 54) – Möglichkeiten nach § 46a mit der Folge einer Strafrahmenverschiebung oder – bei einer häufig nur verwirkten Strafhöhe im von § 46a angegebenen Umfang – des Absehens von Strafe. 217 Abs. 2 enthält hinsichtlich der höheren Strafobergrenze eine nur schwer einsehbare495 Gleichstellung mit den Rechtsfolgen eines besonders schweren Falles nach § 218 Abs. 2 Nr. 1 und 2 (Schwangerschaftsabbruch gegen den Willen der Schwangeren oder leichtfertige Verursachung der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung der Schwangeren) sowie § 240 Abs. 4 Nr. 2 (Nötigung zum Schwangerschaftsabbruch), die gesetzessystematisch nur im Binnenbereich von § 170 mit dem im Vergleich zu Abs. 1 größerem Erfolgsunrecht erklärlich ist, sich jedoch in das sonstige Normgefüge im Zusammenhang mit einem Schwangerschaftsabbruch nicht einpasst (Schittenhelm NStZ 1997 169, 172). Ein Zielkonflikt zwischen der fortbestehenden Pflicht zur Zahlung des Unterhaltes einerseits und einer vollstreckbaren Geld- oder Freiheitsstrafe andererseits ergibt sich im Fall von Abs. 2 nach dem Tod des Ungeborenen idR nicht. Da sich Abs. 2 nach hier vertretener Ansicht allein an dessen Schutz und der Entscheidungsfreiheit der Schwangeren orientiert (vgl. Rdn. 22), scheidet auch eine Berücksichtigung anderer Unterhaltspflichten des Täters, etwa gegenüber weiteren gemeinsamen Kindern aus (aA wohl Ritscher MK 84). Die Versagung anderweitigen, etwa seelischen oder lebensprakischen Beistandes gegenüber der Schwangeren wirkt nicht strafschärfend, da sie von dem strafrechtlichen Normbefehl, der sich allein auf die Vorenthaltung wirtschaftlicher Leistungen bezieht, unter keinem Gesichtspunkt erfasst ist.496 Im Übrigen gelten die zu Abs. 1 aufgeführten Zumessungsgesichtspunkte, die allerdings bereits Eingang in die Bewertung besonderer Verwerflichkeit iSv Abs. 2 finden können. Soweit dies geschieht, insbesondere bestimmte, nach Abs. 1 strafschärfend wirkende besonders vorwerfbare Verhaltensweisen bereits auf Tatbestandsebene erfasst werden, können sie nach § 46 Abs. 3 nur noch dann Einfluss auf die Strafhöhe haben, wenn sie sich gemessen an der Gesamtheit der von Abs. 2 erfassten Fälle als besonders vorwerfbar darstellen. Die Anordnung einer Einziehung nach § 73 wird – soweit ersichtlich – bei Verurteilungen 218 nach § 170 nicht diskutiert und praktiziert. Dies erscheint im Falle vermögender Täter insoweit verwunderlich, als die Abschöpfung ersparter Zahlungen an die Unterhaltsberechtigten als 495 Krit. Schittenhelm NStZ 1997 169, 172. 496 Ritscher MK Rdn. 84; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rnd. 37; aA Schall SK Rdn 56, wonach allenfalls § 46 Abs. 3 eingreife, wenn das Verhalten bereits zur Begründung der Verwerflichkeit herangezogen wurde. Der Unterhaltsschuldner ist zu weitergehender als finanzieller Unterstützung aber rechtlich nicht verpflichtet; moralische Erwägungen, wonach ein weiterreichender Beistand geboten wäre, gehen zur Begründung der Strafhöhe fehl. Weder nach BVerfGE 88 203 ist eine derartige strafrechtliche Ausweitung von dem Schutzauftrag des Staates umfasst, noch ergibt sich für sie in Systematik und Wortlaut von § 170 Abs. 2 ein Anhalt. Wiedner
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XI. Konkurrenzen
StGB § 170
tauglicher Einziehungsgegenstand durchaus in Betracht kommt497 und dem Opferschutz durch Sicherungsmaßnahmen nach §§ 111b ff StPO und eine Auskehrung von Unterhaltsrückständen an die Berechtigten nach § 459h StPO genügt würde. Die Anordnung einer Maßregel nach § 64 wird in den praktischen Fällen, in denen der Täter aufgrund seines Hangs seinen Unterhaltsverpflichtungen nicht nachgekommen ist, sich etwa zu keiner Erwerbstätigkeit in der Lage sah, regelmäßig an der Prognose weiterer erheblicher rechtswidriger Taten scheitern.
IX. Verjährung Die Verjährung beginnt erst, wenn der durch die Dauerstraftat des § 170 hervorgerufene rechts- 219 widrige Zustand beendet ist, der Unterhaltspflichtige insbesondere durch eigenes Handeln die Gefährdung des Lebensbedarfs des Unterhaltsberechtigten abgewendet hat (Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 42). Durch Aburteilung eines Teiles des Tatzeitraumes erfolgt zwar eine Zäsur; die Tatbeendigung tritt aber erst mit Rechtskraft des Schuldspruches ein. Für den vom Tatrichter noch nicht rechtskräftig abgeurteilten Teil der Unterhaltspflichtverletzung wird daher unabhängig von der Person des Rechtsmittelführers keine gesonderte Verjährungsfrist in Lauf gesetzt (BayObLG NJW 1958 110).
X. Wiederaufnahme Die Wiederaufnahme des Verfahrens zugunsten des Verurteilten ist allgemein zulässig, wenn 220 ein zivilrechtliches Urteil, auf das sich das Strafurteil gründet, durch ein anderes rechtskräftig gewordenes Urteil aufgehoben wurde (§ 359 Nr. 4). Im Falle von § 170 kommt eine Wiederaufnahme daher in Betracht, wenn ein Statusurteil, auf das sich die Unterhaltspflicht und damit die auf ihre Verletzung gründende Verurteilung stützt, seinerseits im zivilgerichtlichen Wiederaufnahmeverfahren (§§ 578 ff ZPO) in Wegfall gerät. Ebenso liegt es, wenn die rechtliche Vaterschaft, auf der die Unterhaltspflicht beruht, durch Anfechtung oder entgegenstehendes Statusurteil beseitigt worden ist (vgl. OLG Düsseldorf MDR 1992 991; Rdn. 136, 138). Die Beseitigung von Zivilurteilen mit nicht statusrechtlicher Wirkung, etwa auf Unterhaltsleistung gerichtete Erkenntnisse, kann dann ausreichen, wenn sie zu Beweiszwecken herangezogen wurden; hier kommt es auf den ursächlichen Zusammenhang im Einzelfall an, der dargelegt werden muss (Gössel LR § 359 Rdn. 50; Meyer-Goßner § 359 Rdn. 20).
XI. Konkurrenzen 1. Gegenüber demselben Unterhaltsberechtigten Die Tat ist ein Dauerdelikt, denn der Täter schafft für den Zeitraum der Entziehung einen 221 rechtswidrigen Zustand, der von ihm willentlich aufrechterhalten bleibt.498 Sie beginnt mit der 497 Vgl. zu hinterzogenen Steuern als Einziehungsgegenstand BGH wistra 2010 406; wistra 2011 394, 395; 2015 469, 470; KG BeckRS 2016, 09292. 498 BayObLGSt 1960 168, 169; OLG Bremen JR 1961 226, 228; OLG Düsseldorf MDR 1962 922, 923; JMBlNW 19 (1965) 281; OLG Hamburg NJW 1962 2119; NStZ 1984 168; OLG Hamm NJW 1965 877, 878; MDR 1973 609; KG, Beschl. v. 13.12.2001 – (5) 1 Ss 313/01 (46/01), und vom 4.10.1999 – (4) 1 Ss 118/99 (67/99); OLG Koblenz GA 1975 28, 29; OLG Saarbrücken NJW 1975 506, 508 mit Anm. Oehler JR 1975 291, 292; Dedes GA 1977 232; Fischer Rdn. 14; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 12; Mattmer NJW 1967 1595; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 42; SSW/Wittig Rdn. 30, 32; Ritscher MK Rdn. 81; Schall SK Rdn. 65; Schmidhäuser BT 13/12; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 36; krit. jedoch Arzt/Weber BT § 10 Rdn. 37. 601
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Verletzung der Unterhaltspflicht
erstmaligen Verwirklichung aller Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes, insbesondere dem Eintritt der Unterhaltsberechtigung bei Leistungsfähigkeit des Verpflichteten. Sie dauert an, solange der Täter die Nichterfüllung jeder neuen fälligen Unterhaltsleistung bewusst fortsetzt (vgl. OLG Saarbrücken NJW 1975 506, 508) und dadurch den Gefährdungszustand aufrechterhält. Beendet ist sie bei Wegfall eines Tatbestandsmerkmals, etwa bei Eintritt von Umständen, die die Leistungsfähigkeit aufheben (z. B. unverschuldeter Verlust der Arbeitsstelle, Krankheit, s etwa OLG Hamm MDR 1973 690) aber auch dann, wenn der Täter aufgrund zwischenzeitlicher Umstände fälschlich meint, nicht mehr pflichtig zu sein. Auf die Dauer bis zur erneuten Verwirklichung des Tatbestandes kommt es nicht an. Die Tat ist daher auch bei nur kurzzeitiger Unterbrechung beendet, etwa in Fällen, in denen die Umstände, die zur Beendigung führten, ihrerseits wieder entfallen (Wiederaufnahme der Arbeit, Genesung) und damit – bei fortdauernder Nichtleistung aufgrund einheitlichen oder erneuten Vorsatzes – alle Merkmale wieder vorliegen.499 In derartigen Fällen handelt es sich ausnahmslos um mehrere eigenständige Taten im Verhältnis der Realkonkurrenz. Dies gilt unabhängig davon, ob der Täter von dem Wegfall des Tatbestandsmerkmals Kenntnis hatte und es richtig einordnet, und ob die Taten von einem einheitlichen Vorsatz, dem Berechtigten jedenfalls keinen Unterhalt zu gewähren, getragen sind. Zur Erfassung und Ahndung derartiger, nur in ihrem Gesamtunrechtsgehalt herabgesetzten Fälle bedarf es keines Rückgriffes auf die weitestgehend aufgegebene (BGHSt 40 138) Rechtsfigur des Fortsetzungszusammenhanges;500 ihnen kann auf Rechtsfolgenseite – wie auch im Übrigen bei Serientaten – durch eine angemessene Gesamtstrafe begegnet werden. Ganz kurzen Tatzeiträumen wird mit § 154 StPO zu begegnen sein. Auch die zwischenzeitliche Zahlung bewirkt eine Tatbeendigung, so dass in der Untätigkeit zum nächsten Fälligkeitstermin eine neue Tat liegen kann (vgl. OLG Hamm NJW 1965 877, 878). 222 Prozessual begrenzen Anklage und Eröffnungsbeschluss die zur Aburteilung stehende prozessuale Tat, innerhalb derer der Strafrichter das Verhalten des Angeklagten und die sonstigen unterhaltsrelevanten Umstände aufgrund allseitiger Kognitionspflicht zu würdigen und ihren Unrechtsgehalt auszuschöpfen hat. Dies bedingt etwa die Berücksichtigung eines im Tatzeitraum wechselnden Bedarfes auf Seiten des Unterhaltsberechtigten und einer wechselnden Leistungsfähigkeit auf Seiten des Angeklagten (vgl. OLG Koblenz, Beschl. v. 3.11.2010 – 2 Ss 184/10 [juris]). Stellt sich hiernach heraus, dass für Teile des angeklagten Zeitraumes keine Unterhaltpflicht bestand, liegen mehrere materielle Taten vor, zu deren Aburteilung der Tatrichter befugt und verpflichtet ist. Unmaßgeblich ist auch, ob die Anklage nur einen Ausschnitt des Zeitraumes einer einheitlichen Unterhaltspflichtverletzung herausgreift, denn die Kognitionspflicht des Tatrichters erstreckt sich auf die gesamte prozessuale Tat der Unterhaltspflichtverletzung, die bei kontinuierlicher Entziehung auch vor dem von der Anklage erfassten Zeitraum reichen kann und bis zur tatrichterlichen Aburteilung andauert.501 Bei Aburteilung einer Unterhaltspflichtverletzung im Strafverfahren bildet der Zeitpunkt der letzten tatrichterlichen Verhandlung über den Schuldspruch vor einem – unmittelbar oder erst später im Revisionsverfahren – in Rechtskraft erwachsenden Urteil eine Zäsur. Das Verfahren bezieht sich auf die bisherige Tat bis zu diesem Zeitpunkt, falls sie bis dahin andauert; der Zeitpunkt ist zugleich maßgebend für den Beginn einer neuen Tat. Unmaßgeblich ist im dreistufigen Rechtszug daher die erstinstanzliche 499 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12.3.1993 – 5 Ss 27/93 (juris); OLG Hamburg, Beschl. v. 10.8.1983 – 2 Ss 64/83 (juris); OLG Koblenz GA 1975 28; and. LG Berlin MDR 1966 1017; Ritscher MK Rdn. 81.
500 „Unumgänglich“ zur Erfassung von Schuld und Unrecht (so das Erfordernis in BGHSt 40 138) ist eine derartige Zusammenziehung jedenfalls nicht. Ebenso Ritscher MK 81; SSW/Wittig Rdn. 31; anders Dippel LK12 Rdn. 83; Sch/ Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 36; Schall SK Rdn. 65; Lackner/Kühl/Heger Rdn. Rdn. 12. Die ältere Rspr.und Lit. differenzierte zur Beurteilung eines etwaigen Fortsetzungszusammenhangs danach, ob ein neuer Vorsatz vorlag, vgl. OLG Hamm NJW 1965 877; MDR 1973 690; Mattmer NJW 1967 1595; unabhängig hiervon eine Tat annehmend OLG Düsseldorf MDR 1962, 922. 501 S. für Dauerdelikte bereits RGSt 62 130, 131; 66 45, 48; BGHSt 9 324, 327; zu § 170 BayObLGSt 1977 39; OLG Hamburg NJW 1962 2119. Ausgenommen sind Einstellungen nach §§ 154, 154a StPO. Wiedner
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XI. Konkurrenzen
StGB § 170
Verurteilung. Das Berufungsgericht hat – sofern keine Tatbeendigung durch den zwischenzeitlichen Wegfall eines Tatbestandsmerkmals eingetreten ist (vgl. OLG Hamburg NJW 1962 2119) – auch den Zeitraum zwischen der amtsgerichtlichen Entscheidung und dem eigenen Urteil zu erfassen.502 Eine Aufhebung und Zurückverweisung auf die Revision führt gleichfalls zu keiner Zäsur; vielmehr ist eine fortdauernde Tat nunmehr bis zum Ende der tatrichterlichen Verhandlung im neuen Verfahrensdurchgang einzubeziehen.503 Dagegen ist der Zeitpunkt der Revisionsverwerfung und damit eintretenden Rechtskraft unmaßgeblich für das Tatende. Bei Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch endet die Tat mit dem Erlass des Ersturteils (BayObLGSt 1977 39). Zusammengefasst sind damit der rechtswidrige Zustand und die vorangegangene Tat immer mit einem rechtskräftigen tatrichterlichen Urteil über den Schuldspruch in demselben Verfahren – auch nach Aufhebung und Zurückverweisung – beendet. Dies gilt unabhängig davon, ob der Tatzeitraum von dem Urteil tatsächlich berücksichtigt wurde oder nach der Kognitionspflicht des Tatrichters nur hätte berücksichtigt werden müssen.
2. Gegenüber mehreren Unterhaltsberechtigten Wird die Unterhaltspflicht zugleich gegenüber mehreren Unterhaltsberechtigten verletzt, so 223 sind mehrere persönliche Rechtsgüter504 betroffen, so dass sich grdsl. die Annahme unterschiedlicher Taten rechtfertigt. Zur Abgrenzung, ob die Vorenthaltungen gleichwohl idealkonkurrieren und damit in Tateinheit stehen, kann auf die allgemeinen Abgrenzungskriterien für Unterlassungsdelikte zurückgegriffen werden,505 die auch für andere Straftatbestände im Falle der Nichterfüllung paralleler Leistungspflichten herangezogen werden506: Maßgeblich ist demnach, ob die Unterhaltsbeiträge durch dieselbe Handlung geleistet werden könnten, was immer dann der Fall ist, wenn die Pflicht gegenüber mehreren Unterhaltsberechtigten durch Leistung an einen von ihnen erfüllt werden kann,507 etwa bei einer einzigen, gemeinsamen Überweisung zugunsten der (geschiedenen) Ehefrau und der gemeinsamen, noch im Haushalt der Ehefrau lebenden Kinder. Ob der Täter in der Vergangenheit tatsächlich verschiedene Leistungswege gewählt hat, ist unmaßgeblich; entscheidend ist die zivilrechtliche, auf Gesetz oder Rechtsgeschäft (Vollmacht) beruhende Berechtigung zu einer einheitlichen Leistung mit Erfüllungswirkung gegenüber allen Berechtigten.508 In derartigen Fällen ist Tateinheit anzuneh-
502 Das Verschlechterungsverbot (§ 331 Abs. 1 StPO) greift trotz seines Zweckes und der Identität der prozessualen Tat nicht ein, da Tatteile nach dem Ersturteil, die von diesem noch gar nicht erfasst werden konnten, hinzugetreten sind, BGHSt 9 324; BayObLG NJW 1958 110; NStZ 1986 319, 320; OLG Düsseldorf JMBlNW 19 (1965) 281; Mattmer NJW 1967 1595. 503 Das Verbot der Schlechterstellung steht nicht entgegen, denn es betrifft allein die Rechtsfolgenseite. 504 Wegen des nur wirtschaftlichen Schutzgutes keine höchstpersönlichen, vgl. Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 36. 505 S. etwa Rissing-van Saan vor §§ 52 ff Rdn. 13 ff; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben/Bosch vor §§ 52 ff Rdn. 28 f; Fischer vor § 52 Rdn. 9. 506 Für § 266a und die Verpflichtung zur Leistung an mehrere Einzugsstellen und Leistungszeiträume s. etwa BGH, Beschl. v. 24.4.2007 – 1 StR 639/06, BGHR StGB § 266a Konkurrenzen 3; OLG Frankfurt NStZ-RR 1999 109; für § 370 AO und verschiedenartige Steuern vgl. BGH NJW 1985 1719; wistra 1986 65; Fischer vor § 52 Rdn. 23a. 507 BGHSt 18 376, 379 mAnm. Geerds JZ 1964 592; BayObLGSt 1960 5, 7; OLG Düsseldorf MDR 1962 922; OLG Celle MDR 1964 862; OLG Stuttgart MDR 1977 1034 mAnm. Schmid MDR 1978 547; Ritscher MK Rdn. 82; Fischer Rdn. 14; Frommel NK Rdn. 16; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 42; im Einzelfall weiter – natürliche Unterlassungseinheit – Dippel LK12 Rdn. 84; Schall SK 66; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 36. 508 Dabei versteht sich, dass bei einer Mehrzahl Unterhaltsberechtigter eine Verletzung auch nur gegenüber einem Teil zu einer Tat zusammengefasst werden kann, wärend die Entziehung gegenüber anderen Berechtigten – etwa gegenüber einem volljährigen, selbstständig lebenden Kind – sich als hiervon unabhängige, realkonkurrierende Tat darstellt. 603
Wiedner
§ 170 StGB
Verletzung der Unterhaltspflicht
men.509 Bei dem Täter abverlangten unterschiedlichen Erfüllungshandlungen stehen die Verletzungen der Unterhaltspflicht in Tatmehrheit unabhängig davon, ob die Leistungshandlungen nahezu zeitgleich – etwa durch mehrere unmittelbar aufeinanderfolgende Überweisungen – hätten vollzogen werden können. Die Kritik hieran ist unberechtigt. Die Annahme einer natürlichen Unterlassungseinheit dergestalt, dass bei einer möglichen nahezu zeitgleichen Erfüllung gegenüber mehreren Unterhaltberechtigten ein einheitliches zusammengehöriges Unterlassen mit der Folge einer Tateinheit vorliege,510 entspricht zwar der rechtlichen Handlungseinheit bei den Begehungsdelikten.511 Im Unterschied hierzu muss sie jedoch einen hypothetischen Verlauf zugunsten des Täters unterstellen und gerät durch die Mehrzahl möglicher Handlungen in weitem oder nahem zeitlichen Zusammenhang in Abgrenzungsschwierigkeiten,512 welche eine Zurückführung auf die Fälle einer unterstellten identischen Handlung513 bei rechtlicher Möglichkeit hierzu nicht als willkürlich und formalistisch erscheinen lassen.514 Ob die „Entziehung“ gegenüber mehreren Berechtigten auch durch ein einheitliches akti224 ves Tun bewirkt wurde, etwa durch eine gemeinsam vorgenommene Kündigung von Bankaufträgen, eine Arbeitsaufgabe oder einen Wohnsitzwechsel, ist konkurrenzrechtlich unmaßgeblich, verklammert die unterschiedlichen Verletzungen insbesondere nicht zu einer Tat. Denn der Schwerpunkt der Tat und ihrer Vorwerfbarkeit liegt in dem Unterlassen der Unterhaltsleistung.515 Erst recht sind eine einheitliche Motivationslage, ein auf die Entziehung gerichteter Gesamtplan oder identische Vorbereitungshandlungen für die Konkurrenzlage unerheblich (vgl. BGHSt 35 14 zu § 370 AO). Ohne Belang ist gleichfalls der Rang der Unterhaltsansprüche (BGHSt 18, 376516). 225 Demgegenüber führt die zeitgleiche Entziehung auch bei materieller Tatmehrheit immer zu einer Tat im prozessualen Sinne (§ 264 StPO), schon weil die Leistungsfähigkeit des Täters als gemeinsames (ungeschriebenes) Tatbestandsmerkmal und alle damit zusammenhängenden tatsächlichen Umstände einen einheitlichen Lebenssachverhalt konstituieren.517 Dies gilt erst recht in Fällen, in denen das „Entziehen“ im Sinne der Vorschrift durch eine Handlung zu Lasten sämtlicher Berechtigter, etwa die schuldhafte Aufgabe der Arbeitsstelle, bewirkt wird (vgl. BayObLG NJW 1961 1685, 1686). Daraus folgt, dass in dem Verfahren wegen Unterhaltspflichtverletzung gegenüber einem Berechtigten sämtliche zeitgleich bestehende und nicht erfüllte Verpflichtungen gegenüber anderweitigen Unterhaltsberechtigten in dem Blick genommen werden müssen; ihre Nichtberücksichtigung führt zum Strafklageverbrauch (LG Krefeld NJW 1992 1248).
509 Gleichartige Idealkonkurrenz infolge der Herbeiführung mehrerer Erfolge durch eine Handlung. Vgl. BGHSt 37 134; Fischer vor § 52 Rdn. 23.
510 Vgl. Sch/Schröder/Sternberg-Lieben/Bosch vor § 52 Rdn. 28a f; Puppe JR 1985 246; für § 170 eine derartige Abgrenzung befürwortend Dippel LK12 83; Schall SK Rdn. 66; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 36. 511 S. bereits RGSt 58 116; BGHSt 4 219; 16 397; 43 312, 315. 512 Etwa müsste bei verschiedenen, auch weit auseinanderliegenden Fälligkeitstagen der Leistung gegenüber unterschiedlichen Berechtigten zugunsten dess Täters unterstellt werden, dass die Zahlungen teilweise deutlich verfrüht bei einer Gelegenheit vorgenommen worden wären. 513 Auch hier ist freilich zugunsten des Täters anzunehmen, dass er eine Handlung gewählt hättte, und nicht etwa unterschiedliche Überweisungen an dieselbe Empfängerin mit verschiedener Zweckbindung. 514 So die Kritik bei Schall SK Rdn. 66; s. auch Sch/Schröder/Sternberg-Lieben/Bosch vor § 52 Rdn. 28b mit Beispielsfällen. 515 Schall Rdn. 66; Fischer Rdn. 9; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 36; aA Schall Rdn. 66; abweichend auch BayObLG NJW 1961 1685, 1686; OLG Celle MDR 1964 862 und GA 1969 350, 351, zu bewerten allerdings jeweils vor dem Hintergrund des überkommenen Fortsetzungszusammenhangs. 516 Überholt damit OLG Köln NJW 1958 720, 721; OLG Düsseldorf MDR 1962 922, 923. 517 Vgl. OLG Hamm NJW 1978 2210; OLG Stuttgart MDR 1977 1034; OLG Köln NRWJMBl 1970 120; Fischer Rdn. 14; abw. Schmid MDR 1978 547. Wiedner
604
XI. Konkurrenzen
StGB § 170
3. Zusammentreffen mit anderen Straftatbeständen Tateinheit zu Abs. 1 ist möglich mit § 171.518 Besteht die Tathandlung des „Sich-Entziehens“ 226 (auch) darin, dass der Unterhaltspflichtige gegenüber dem Berechtigten vorgerichtlich oder im Unterhaltsprozess unzutreffende Angaben über unterhaltsrechtlich relevante Verhältnisse – etwa sein Einkommen – macht, ist Tateinheit möglich mit § 263. Die Eingehung einer Doppelehe oder -lebenspartnerschaft iSv § 172 ist selbständige Tat gegenüber der Unterhaltspflichtverletzung gegenüber einem der (Ehe-)Partner, denn es liegen voneinander unabhängige Handlungen zugrunde (BGH, Urt. v. 23.1.1953 – 1 StR 30/50). Tatmehrheit besteht auch gegenüber allen zeitgleich verwirklichten wirtschaftlichen Leistungsunterlassungen gegenüber Privaten oder öffentlichen Stellen, etwa nach § 263, 266a StGB, § 170 AO. Abs 2 kann gleichfalls tateinheitlich zusammentreffen mit § 171 (Ritscher MK Rdn. 82; Schall SK Rdn. 67) sowie bei Fremdabbruch durch den Unterhaltsverpflichteten mit § 218 (Schall SK Rdn. 67; SSW/Wittig Rdn. 34), nicht aber als bloße Unterlassungstat des Unterhaltsschuldners nach § 218. Abs. 2 tritt angesichts der identischen Strafandrohung und des anderen Unrechtsgehaltes nicht zurück hinter § 240 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2; auch ist wegen der unterschiedlichen Tathandlungen nicht Tateinheit, sondern Tatmehrheit anzunehmen.519
518 Etwa bei Verlassen des Haushaltes entgegen der auch als Unterhaltsleistung erbrachten Betreuung und Versorgung der Kinder, OLG Hamm NJW 1964 2316, 2317 mAnm. Merkert NJW 1965 409; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 12; SSW/ Wittig Rdn. 34; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 42; Ritscher MK Rdn. 82; Schall SK Rdn. 67; vgl. auch BVerfGE 50 142, 157. abw. OLG Karlsruhe JZ 1973 600 mAnm Seebode JZ 1973, 601 unter der Prämisse, die Gewährung von Naturalunterhalt werde von § 170 nicht erfasst. 519 Str., wie hier Ritscher 82; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 36; aA (Tateinheit) Schall Rdn. 67; Frommel NK Rdn. 16; SSW/Wittig Rdn. 34. 605
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§ 171 Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht Wer seine Fürsorge- oder Erziehungspflicht gegenüber einer Person unter sechzehn Jahren gröblich verletzt und dadurch den Schutzbefohlenen in die Gefahr bringt, in seiner körperlichen oder psychischen Entwicklung erheblich geschädigt zu werden, einen kriminellen Lebenswandel zu führen oder der Prostitution nachzugehen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Schrifttum Baier „Tod und Aussetzung“, JA 2000 300; Barth Psychische Folgen reichen bis ins Erwachsenenalter, MMWF 148 (2006) 32; Bauer R. Die Strafbarkeit körperlicher oder seelischer Mißhandlungen unter besonderer Berücksichtigung der straflosen Züchtigung (1934); Becker Walter Erziehungspflicht und Strafrecht, NJW 1952 1082; ders. Jugendschutz als staatliche und gesellschaftliche Verpflichtung, in Schäfer (Hrsg.) Grundlagen der Kriminalistik, Bd. 1: Jugendkriminalität (1965) 7 (zit.: Walter Becker Jugendschutz); ders. Strafrechtliche Sicherung der elterlichen Sorgepflicht, MDR 1973 630; Becker/Ruthe Das Erziehungsprivileg nach dem Vierten Strafrechts-Reformgesetz, FamRZ 1974 508; du Bois Seelische Folgen von Gewalt und Missbrauch bei Kindern und Jugendlichen, KJA 30 (1999) 804; Bohnert Die Verletzung der Fürsorgepflicht und die Garantie der Sozialarbeiter, ZStW 117 (2005) 291; Boxdorfer Der Begriff der Verwahrlosung (1974); Brüschweiler Mißhandlung und Vernachlässigung von Kindern und Jugendlichen im schweizerischen Strafrecht (1963); Bürgin/Rost Psychische und psychosomatische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen, in Egle/Hoffmann/Joraschky (Hrsg.) Sexueller Missbrauch, Misshandlung, Vernachlässigung, 3. Aufl. (2005) 247; Bussmann Das Recht auf gewaltfreie Erziehung aus juristischer und empirischer Sicht, FPR 8 (2002) 289; Detter Zum Strafzumessungsund Maßregelrecht, NStZ 1998 501; Diederichsen Das Mehmet-Menetekel, NJW 1998 3471; Duensing Verletzung der Fürsorgepflicht gegenüber Minderjährigen – Ein Versuch ihrer strafgesetzlichen Behandlung (1903); Enzmann/Wetzels Das Ausmaß häuslicher Gewalt und die Bedeutung innerfamiliärer Gewalt für das Sozialverhalten von jungen Menschen aus kriminologischer Sicht, FPR 7 (2001) 246; Fehr Die Mißhandlung und Vernachlässigung eines Kindes nach § 134 StrGB, SchwZStr. 79 (1963) 149; Fink Das Delikt der körperlichen Kindesmißhandlung, Kriminologische Schriftenreihe Bd. 34 (1968); Franke-Gricksch Sinn und Bedeutung des § 170d StGB (Kindesvernachlässigung) im geltenden und künftigen Strafrecht, mit Ausblicken auf das österreichische und schweizerische Recht (1970); Frauenhofer-Nohl Strafrecht und Kinderschutz in der Praxis – Eine rechtliche Betrachtung, Kriminalistik 48 (1994) 747; Frey Personensorge und milieugefährdete Kinder – Der Schutz des seelischen Kindeswohls (1987); Gaber Der Staat und die elterlichen Erziehungsrechte (1930); Giesen Kindesmißhandlung? Zur Kinder- und Familienfeindlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland, Rechts- und Staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görresgesellschaft Neue Folge Heft 32 (1979); Gregor-Voigtländer Die Verwahrlosung, ihre klinisch-psychologische Bewertung und ihre Bekämpfung (1918); Gruhle Die Ursachen der Jugendlichen Verwahrlosung und Kriminalität, Abhandlungen aus dem Gesamtgebiet der Kriminalpsychologie (Heidelberger Abhandlungen) Heft 1 (1912); Gutmann Der Fall „Mehmet“: Menetekel oder groteske Affäre? in Barwig/ Brinkmann/Hailbronner/Huber/Kreuzer/Lörcher/Schumacher (Hrsg.) Neue Regierung – neue Ausländerpolitik? (1999) 297; v. Guttry Der strafrechtliche Schutz der Jugend (1912); Händel Der strafrechtliche Schutz der Jugend gegen grobe Vernachlässigung, RdJ 2 (1954) 252; Hellmer Zur Kriminologie der Verbrechen an Kindern, Polizei 58 (1967) 253; Hodes Elternrecht und Staatsbefugnis (1932); Hoyer Im Strafrecht nichts Neues? – Zur strafrechtlichen Bedeutung der Neufassung des § 1631 II BGB – FamRZ 2001 521; Huber/Scherer Die Neuregelung zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung, FamRZ 2001 797; Isermeyer Die Vernachlässigung von Fürsorge- und Erziehungspflichten nach § 170d StGB (1956); Itin Der Schutz der Entwicklung des Kindes als ein Problem der Strafgesetzgebung (1913); Jacobi Schadensmuster schwerer Misshandlungen mit und ohne Todesfolge, MKh. 134 (1986) 307; Jacobsohn Der gesetzliche Schutz des Kindes gegen körperliche Mißhandlung, StrafrAbh. 160 (1912); Joraschky/Pöhlmann Die Auswirkungen von Vernachlässigung, Misshandlung, Missbrauch auf Selbstwert und Körperbild, in Egle/Hoffmann/Joraschky (Hrsg.) Sexueller Missbrauch, Misshandlung, Vernachlässigung, 3. Aufl. (2005) 194; Jost Schutz gegen den trunksüchtigen Familienvater, SdK 9 (1966) 14; Kaltofen Der tatbestandsmäßige Aufbau der Verletzung der Aufsichtspflicht (1965); Kindler Partnerschaftsgewalt und Kindeswohl (2002); ders. Auswirkungen von häuslicher Gewalt auf die psychosoziale Entwicklung von Kindern, FPR 11 (2005) 16; Klimmek Verletzung der Sorgepflicht gegenüber Kindern und Jugendlichen (1970); Kohlhaas Delikte an Kindern und ärztliche Schweigepflicht, DdA 18 (1968) 12; Kretschmer Der strafrechtliche Schutz von Kindern und Jugendlichen nach den Entwürfen zu einem deutschen Strafgesetzbuch (1936); Kreutzahler Die Strafbarkeit der Verletzung von Erziehungspflichten (1955); Lechleiter Das Kind als Gegenstand und Opfer krimineller Misshandlungen (1971); Leder Elterliche Fürsorge – Ein vergessenes soziales Grundmotiv, ZPsych. 115 (2004) 10; v. Levetzow Die seelische Kindermißhandlung (1934); Licht Die Verletzung der Aufsichtspflicht gegenüber der Jugend im Strafrecht (§ 139b StGB) (1948); Lichtenberger Kindermißhandlung und Strafgesetzgebung (1910); Luther Zur Problematik des § 170d StGB, NJW 1954
Wiedner https://doi.org/10.1515/9783110490107-034
606
Schrifttum
StGB § 171
493; Maier-Diewald Jugendkriminalität und Jugendschutz, Pädagogisch-politische Bücherei Bd. 3 (1966); Maiwald Der Begriff der Leichtfertigkeit als Merkmal erfolgsqualifizierter Delikte, GA 1974 262; Martinius Psychische Folgen der Kindesmisshandlung, MKh. 134 (1986) 333; ders. Persönlichkeitsentwicklung misshandelter Kinder, in Olbing/Bachmann/ Gross (Hrsg.) Kindesmisshandlung (1989) 49; Marynik Strafrechtsschutz der Kinder und der Jugend gegen Schädigung und Gefährdung (1935); Maywald Misshandlung, Vernachlässigung und sexueller Missbrauch, FPR 9 (2003) 299; Meysen Kindeswohl zwischen Jugendhilfe und Justiz, JAmt 74 (2001) 330; Moggi Folgen von Kindesmisshandlungen – Ein Überblick, in Deegener/Körner (Hrsg.) Kindesmisshandlung und Vernachlässigung (2005) 94; Mohrmann Das Erziehungsrecht der Eltern und der Staat (1934); Münder/Mutke/Schone Kindeswohl zwischen Jugendhilfe und Justiz (2000); Nagler Die Verletzung der Pflicht zur Fürsorge für Jugendliche, GerS 116 (1942) 1; Nau Gefährdung und Schädigung von Kindern und Jugendlichen, DZgerM 62 (1968) 101; Neuheuser Die Strafbarkeit von Eltern minderjähriger Mehrfachstraftäter wegen Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht (§ 171 StGB), NStZ 2000 174; Niederreuther Die Vernachlässigung der Aufsichtspflicht gegenüber Kindern im Strafrecht, DJ 1943 114; Niethammer D. Auswirkungen von Gewalt, Vernachlässigung und Misshandlung auf Gesundheit und Entwicklung von Kindern und Jugendlichen, MKh. 156 (2008) 288; Oeter Soziale Gefährdungen im Kindesalter, GesF 17 (1967) 137; Ollmann Ist das Jugendamt bei sexuellem Kindesmissbrauch zur Strafanzeige verpflichtet? ZfJ 86 (1999) 195; Opitz Verwahrlosung im Kindesalter (1959); Ossenbühl Das elterliche Erziehungsrecht im Sinne des Grundgesetzes, Soziale Orientierung, Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Kommission bei der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle Mönchengladbach Bd. 2 (1981); Ostendorf Die strafrechtliche Inpflichtnahme von Eltern wegen Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht (1999) – zit.: Ostendorf Inpflichtnahme; ders. Die strafrechtliche Inpflichtnahme von Eltern wegen Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht, RdJB 48 (2000) 439; ders. Die strafrechtliche Verantwortung von Eltern und Betreuern bei Kindesvernachlässigungen, ZKJ 3 (2008) 106; Pauli Die Verletzung der Aufsichtspflicht und ihr Verhältnis zu anderen Strafbestimmungen, NJW 1960 2229; Pfeiffer/Lehmkuhl/Frank Psychische Langzeitfolgen von Kindesmisshandlungen, FPR 7 (2001) 282; Pfeiffer/Wetzels/Enzmann Innerfamiliäre Gewalt gegen Kinder und Jugendliche und ihre Auswirkungen, Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen e.V. (KFN) Forschungsbericht Nr. 80 (1999); Peters H. Elternrecht, Erziehung, Bildung und Schule, in Bettermann/Nipperdey/Scheuner (Hrsg.) Die Grundrechte Bd. 4 1. Halbband 2. Aufl. (1972) 369; Pollack Der strafrechtliche Schutz des Kindes nach dem geltenden Reichsstrafgesetzbuch und nach dem Entwurf eines Allgemeinen deutschen Strafgesetzbuchs von 1927, StrafrAbh. 267 (1929); Potrykus Zum Schutz der Kinder vor Fehlhandlungen ihrer Erziehungsberechtigten, RdJ 6 (1958) 129; Püschel/Lieske Kindervernachlässigung, eine „chronische Krankheit“, KA 25 (1985) 44; Raack Der Schutz des Kindes vor Gewalt im sozialen Nahraum, FPR 7 (2001) 258; Racke Die Kindesmißhandlung (1934); Radbruch Aussetzung (§ 221 RStrGB), Vergleichende Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts Besonderer Teil Bd. V (1905) 185; Rinio Die Verletzung der Schulpflicht durch die Erziehungsberechtigten als Straftat und als Ordnungswidrigkeit, ZfJ 88 (2001) 221; Rotax Kinder und häusliche Gewalt, FPR 7 (2001) 251; Rüfner Zum Elternbegriff des Grundgesetzes, FamRZ 1963 153; Schaible-Fink Das Delikt der körperlichen Kindesmißhandlung, Kriminologische Schriftenreihe Bd. 34 (1968); Schilling Jugendschutz und Elternrecht, ZfJ 43 (1956) 280; Schleich Der neue strafrechtliche Schutz der Pflegebefohlenen, JW 1934 15; Schneiders/Schröder Das Schütteltrauma – eine häufig unbekannte Form der Kindesmisshandlung, Kriminalistik 59 (2005) 734; Schoene Pisa und der Staatsanwalt – Langzeitschulschwänzer – § 171 StGB, DRiZ 2004 354; Schramm Kindesvernachlässigung und Kindesmißhandlung, in Schäfer (Hrsg.) Jugendkriminalität, Grundlagen der Kriminalistik Bd. 1 (1965) 85; Schroeder Straftaten gegen Kinder und Jugendliche, Festschrift für Klaus Rolinski zum 70. Geburtstag am 11. Juli 2002 (2002) 155; Schröder Die Addition strafloser Handlungen zu einer Straftat, JZ 1972 651; Schultz Der strafrechtliche Schutz des Kindes (1908); Schumacher C. Die Ausweisung jugendlicher Straftäter und der UNO-Pakt über bürgerliche und politische Rechte, in Borwig/Brinkmann/Hailbronner/Kreuzer/Lörcher/Schumacher (Hrsg.) Neue Regierung – neue Ausländerpolitik? (1999) 285; Schwaninger Schutz des Minderjährigen gegen Mißhandlungen und Überanstrengungen, besonders im Hinblick auf die seelische Mißhandlung (1954); Späth Die Vernachlässigung der Aufsichtspflicht über Kinder und Jugendliche und ihre strafrechtliche Verfolgung durch § 139b RStGB (1946); Staak/Wagner/Wille Zur Diagnostik und Sozialtherapie des vernachlässigten Kindes, MschrKH 115 (1967) 199; Stree Probleme der Hehlerei und der Vernachlässigung der Aufsichtpflicht, JuS 1963 427; Thomas Der Kinderdelinquenz Einhalt gebieten – aber wie? ZRP 1999 193; Többen Die Jugendverwahrlosung und ihre Bekämpfung, 2. Aufl. (1927); Trube-Becker Zur Tötung von Kleinkindern durch Nahrungsentzug, DZgerM 64 (1968) 93; Ullrich Zum strafrechtlichen Schutz des Minderjährigen unter 18 Jahren, RdJ 7 (1959) 23; Wassermann Der Kinderdelinquenz Einhalt gebieten – aber wie? NJW 1998 2097; Will Der Schutz kindlicher Beziehungen im Schnittfeld von Familien- und Ausländerrecht, FPR 8 (2002) 549; Wolter Tatidentität und Tatumgestaltung im Strafprozeß, GA 1986 143; Zenz Jugendhilfe im Konflikt – Interventionen bei Kindesmisshandlungen und Vernachlässigungen, EAF 47 (1/2008) 1. Im Übrigen gelten die Angaben Vor § 169, zu § 169 und zu § 170.
607
Wiedner
§ 171 StGB
Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht
Übersicht I. 1.
2.
3. 4. 5. II. 1.
2.
Allgemeines 1 1 Historische Entwicklung 1 a) 19. Jhdt. bis 1945 3 b) Ab 1945, insbes. 4. StrRG 6 c) Gesetzesmaterialien 7 Geschütztes Rechtsgut 8 a) In der historischen Literatur 9 b) Gegenwärtige Einordnung 13 Deliktsnatur Rechtspolitische und praktische Bedeu15 tung 17 Flankierende Vorschriften 18 Objektiver Tatbestand 19 Fürsorge- oder Erziehungspflicht 19 a) Entstehungsgründe 25 b) Gegenstand der Pflichten 26 aa) Fürsorgepflicht 28 bb) Erziehungspflicht cc) Abhängigkeit von der Stellung des 31 Normadressaten 32 dd) Kulturelle Vorprägung Tathandlung: Gröbliche Pflichtverlet33 zung 33 a) Gewicht des Verstoßes 36 b) Tun und Unterlassen 38 c) Einzelfälle 39 aa) Fürsorgepflicht 41 bb) Erziehungspflicht 46 cc) Kriminalität und Prostitution (1) Krimineller Lebenswan47 del
(2)
3.
Nachgehen der Prostitu50 tion Taterfolg: Konkrete Gefahr einer erheblichen 54 Entwicklungsschädigung 55 a) Konkrete Gefahr 59 b) Erheblichkeit 60 c) Entwicklungsschädigung 61 aa) Begriffsbestimmung bb) Körperliche Entwicklungsschädi63 gung cc) Psychische Entwicklungsschädi65 gung 66 (1) „Psychisch“ (2) Sozialethische Wertvorstellun68 gen, Legalverhalten 70 (3) Einzelfälle dd) Krimineller Lebenswandel und Ausübung der Prostitution (Alt. 3 und 71 4) 73
III.
Subjektiver Tatbestand
IV.
Täterschaft und Teilnahme
V.
Rechtsfolgen
VI. 1. 2.
80 Konkurrenzen 80 Innertatbestandlich Zusammentreffen mit anderen Vorschrif82 ten
77
78
I. Allgemeines 1. Historische Entwicklung 1 a) 19. Jhdt. bis 1945. Die Vorschrift reicht in der Sache zurück zu den partikularen Strafgesetzen des 19. Jahrhunderts.1 Dort waren Aufsichtspflichtige zum einen mit Strafe bedroht, wenn ein ihnen Anempfohlener oder Gewaltunterworfener eine strafbare oder polizeigesetzlich zu beanstandende Handlung beging, zu der sie ihn veranlasst oder von der sie ihn durch unzureichende Beaufsichtigung nicht abgehalten hatten;2 derartige Vorschriften dienten vornehmlich dem Schutz der Öffentlichkeit. Bereits in Richtung eines Schutzes des Minderjährigen oder Anempfohlenen deutend, stellte eine Mehrzahl von Vorschriften zum anderen dessen Vernach-
1 Vgl. näher Brammsen Entstehungsvoraussetzungen S. 33 ff; Klimmek S. 55 ff; Geisler S. 2 ff; Dippel LK12 Rdn. 1 f. 2 Hierzu Kaltofen S. 3 ff; Itin S. 41 ff: Bettelei, Feld-, Forst-, Jagd-, Fischerei-, Zoll- und Steuerdelikte, die von einem gewaltunterworfenen Hausgenossen begangen wurden, und für die der Gewaltinhaber strafrechtlich haftete, weil er sie bei genügender Beaufsichtigung hätte verhindern können. Zur Bettelei s. insbes. § 341 Abs. 1 PreußStGB von 1851, Art. 89 PreußPolStGB von 1861. Wiedner
608
I. Allgemeines
StGB § 171
lässigung durch mangelnde Verpflegung, Beaufsichtigung oder Schutz unter Strafe.3 Im Reichsstrafgesetzbuch wurden derartige Vorschriften inhaltlich teilweise übernommen. § 361 Nr. 4 RStGB a. F. ging zurück auf § 341 PreußStGB und drohte demjenigen Haft an, der „bettelt oder Kinder zum Betteln anleitet oder ausschickt, oder Personen, welche seiner Gewalt und Aufsicht untergeben sind und zu seiner Hausgenossenschaft gehören, vom Betteln abzuhalten unterläßt“;4 in gleicher Weise knüpfte die nachträglich eingefügte, am 20. März 1876 in Kraft getretene Vorschrift des § 361 Nr. 9 RStGB a. F.5 an eine Verletzung der Aufsichtspflicht an,6 indem derjenige mit Strafe belegt wurde, der „Kinder oder andere unter seiner Gewalt stehende Personen, welche seiner Aufsicht untergeben sind und zu seiner Hausgenossenschaft gehören, von der Begehung von Diebstählen, sowie von der Begehung strafbarer Verletzungen der Zoll- oder Steuergesetze oder der Gesetze zum Schutze der Forsten, der Feldfrüchte, der Jagd oder der Fischerei abzuhalten unterläßt.“7 In Vorentwürfen zu Reformgesetzen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde wiederholt die Einführung einer allgemein die Kindesvernachlässigung und Verletzung der elterlichen Fürsorgepflicht bestrafenden Vorschrift gefordert, die insbesondere in einem – dem Vorentwurf von 1909, in welchem sich eine entsprechende Bestimmung nicht fand, entgegentretenden – Gegenentwurf von 1911 Aufnahme fand, aber nicht Gesetz geworden ist.8 In den verschiedenen Reformentwürfen der 20er und 30er Jahre des 20. Jahrhunderts enthielt allein der Entwurf von 1930 eine der Schutzrichtung von § 171 nahekommende Vorschrift, die aber in das RStGB gleichfalls nicht aufgenommen wurde.9 Eingefügt wurde bereits im Jahr 1912 mit § 223a Abs. 2 RStGB a. F. allerdings der später in § 223b RStGB umnummerierte und heute als § 225 fortbestehende Tatbestand der Misshandlung von Schutzbefohlenen.10 Nachdem es – zumeist durch den nationalsozialistischen Gesetzgeber – zu einer Ausdehnung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Aufsichtspflichtigen für Straftaten des Aufsichtsbefohlenen zunächst nur im Nebenstrafrecht gekommen war,11 und kriegsbedingte Polizeiverordnungen, adressiert (auch) an den Aufsichtspflichtigen, vermeintlich sozialschädliches Verhalten Jugendlicher zu reglementieren suchten,12 wurde aus einer bereits seit
3 Vgl. § 4 BayStGB (1813); Art. 92 AnhaltPolStGB (1855), § 98 BadPolStGB (1863), Art. 81 BayPolStGB (1871), s. näher Geisler S. 5 f; Kaltofen S. 5; Kreutzahler S. 109.
4 In der zuletzt lautenden Fassung durch das 3. StrÄndG v. 6.8.1953 (BGBl. I735): „…wer bettelt oder Kinder zum Betteln anleitet oder ausschickt“; gestrichen durch Gesetz vom 2. März 1974 (BGBl. I 469).
5 Nachträglich eingefügt durch Reichsgesetz vom 26.2.1876 (RGBl. S 25). 6 Vgl. hierzu die Motive, RT-Drucks. 1875/76 S. 165, Nr. 54: Bestraft werden sollte das „präsumtive Einverständnis“ und „schuldhafte Geschehenlassen“.
7 Ebenfalls gestrichen durch Gesetz vom 2. März 1974 (BGBl. I 469). 8 Vgl. eingehend Kaltofen S. 31 f; Geisler S. 11 ff. § 233 des E 1911 kann als gedanklicher Vorläufer von § 171 gelten; die Entwurfsvorschrift lautete: „Wer die ihm gesetzlich obliegende Pflicht zur Erziehung oder zur Unterhaltung eines anderen derart verletzt, daß der zu Erziehende der Gefahr der Verwahrlosung ausgesetzt wird, oder daß der zu Unterhaltende in eine Notlage gerät oder aus fremden Mittel unterstützt werden muß, wird mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft.“. 9 Vgl. § 265a des E 1930: „Wer wissentlich und gewissenlos die Gesundheit eines Kindes oder Jugendlichen durch Überanstrengung gefährdet, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahr bestraft. Ebenso wird bestraft, wer wissentlich und gewissenlos die Gesundheit einer Person, für die er zu sorgen hat, durch Vernachlässigung dieser Pflicht gefährdet.“ 10 Ursprungsfassung: „(…) wenn gegen eine noch nicht achtzehn Jahre alte oder wegen Gebrechlichkeit oder Krankheit wehrlose Person, die der Fürsorge oder Obhut des Täters untersteht oder seinem Hausstand angehört, oder die der Fürsorgepflichtige der Gewalt des Täters überlassen hat, eine Körperverletzung mittels grausamer oder boshafter Behandlung begangen wird.“. 11 Vgl. das Tierschutzgesetz vom 24.11.1933 (RGBl. I 987), die Naturschutzverordnung vom 30.3.1936 (RGBl. I 181) und das Reichsschulpflichtgesetz vom 6.7.1938 (RGBl. I 799). 12 Polizeiverordnung über die Fernhaltung Jugendlicher von öffentlichen Schieß- und Spieleinrichtungen vom 24.10.1939 (RGBl. I 2116), Polizeiverordnung über die Fernhaltung Jugendlicher von öffentlichen Tanzdarbietungen 609
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Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht
1940 bestehenden Verordnung13 eine allgemeine Strafvorschrift übernommen, die für Fälle der Straffälligkeit eines Jugendlichen bei einer Aufsichtspflichtverletzung galt. Die Bestimmung wurde durch § 3 der Jugendstrafrechtsverordnung vom 6. November 1943 (RGBl. I 635) in das RStGB als § 139b eingefügt,14 im Bundesrecht durch das 3. StrÄndG vom 4. August 1953 (BGBl I 735) unter Erhöhung der Strafandrohung in § 143 verschoben und als solche durch das 4. StrRG am 24. November 1973 aufgehoben (BGBl. I 1725). Sie lautete zuletzt: „Wer einen noch nicht Achtzehnjährigen, dessen Beaufsichtigung ihm obliegt, nicht gehörig beaufsichtigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahre oder mit Geldstrafe bestraft, wenn der zu Beaufsichtigende eine als Verbrechen oder Vergehen mit Strafe bedrohte Handlung begeht, die der Aufsichtspflichtige durch gehörige Aufsicht hätte verhindern können.“ 2 Mit der Einführung und Verschärfung von Strafandrohungen gegen Aufsichtspflichtverletzungen durch den nationalsozialistischen Gesetzgeber einher ging die – erstmalige – Pönalisierung einer das Wohl des Kindes gefährdenden groben Vernachlässigung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht. Die Vorgängervorschrift von § 171 wurde durch die Verordnung zum Schutz von Ehe, Familie und Mutterschaft vom 9. März 1943 (RGBl I 140) geschaffen und durch eine hierzu ergangene Durchführungsverordnung15 als § 170d in das RStGB eingefügt. Sie lautete ursprünglich: „Wer das körperliche oder sittliche Wohl eines Kindes dadurch gefährdet, dass er in gewissenloser Weise seine Fürsorge- oder Erziehungspflichten gröblich vernachlässigt, insbesondere das Kind ohne ausreichende Nahrung oder Wartung lässt, wird mit Gefängnis bestraft, soweit nicht die Tat nach anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist“. Der Fassung der Vorschrift ist ihre Zielrichtung als ursprünglich kriegsbedingtes Maßnahmengesetz nationalsozialistischer Zeit nicht unmittelbar anzusehen. Tatsächlich bezog sie sich auf Frauen, welche in Abwesenheit ihres im Kriegseinsatz befindlichen Mannes die alleinige Verantwortung für die Aufsicht und Erziehung des Kindes trugen, sollte die „Mutterpflichten“ betonen und die Moral der Soldaten stärken, indem Frauen davon abgehalten werden sollten, sich unter Vernachlässigung der gemeinsamen Kinder anderen Männern zuzuwenden.16 Die hierzu zunächst ergangene Rechtsprechung nahm dies durch entsprechend ideologisch-paternalistische Interpretation des Merkmals „gröblich“ auf.17 Da der auf allgemeinere Schutzgüter zielende Wortlaut der Vorschrift die ideologische Zielsetzung aber nicht widerspiegelte, fand sie als Bundesrecht weiter Anwendung.18 In der ehemaligen DDR bedrohte § 142 Abs. 1 StGB-DDR näher umschriebene Pflichtverletzungen mit Freiheitsstrafe, die unter anderem Vernachlässigungen und die Begünstigung von Straftaten durch das Kind oder den Jugendlichen betrafen, wobei die Vorschrift auch Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen vorsah.19
vom 29.11.1939 (RGBl. I 2374) und die Polizeiverordnung zum Schutze der Jugend vom 9.3.1940 (RGBl. I 499), zusammengefasst in der Polizeiverordnung zum Schutze der Jugend vom 10.6.1943 (RGBl. I 349). 13 § 4 der Verordnung zur Ergänzung des Jugendstrafgesetzes vom 4.10.1940 (RGBl. I 1336). 14 § 3 der Jugendstrafrechtsverordnung vom 6.11.1943 (RGBl. I 635), in geänderter Fassung als § 139b in das Strafgesetzbuch eingefügt, vom Dritten Strafrechtsänderungsgesetz in § 143 umbenannt, durch das Vierte Gesetz zur Reform des Strafrechts gestrichen. 15 Verordnung zur Durchführung der Verordnung zum Schutz von Ehe, Familie und Mutterschaft vom 18.3.1943 (RGBl I 169). 16 Dementsprechend sollte geschützt werden weniger das Kind als Individuum als vielmehr die Allgemeinheit oder – nationalsozialistischer Ideologie und Terminologie folgend – die Familie als Keimzelle der Volksgemeinschaft. Vgl. Klimmek S. 62; Rietzsch DJ 1943 242; Schramm Ehe und Familie im Strafrecht, S. 354. 17 Vgl. RGSt 77 216, vgl. Frommel NK Rdn. 1 Fn. 2. 18 Vgl. BGH NJW 1951 282; BayObLG NJW 1952 988; BayObLGSt 1951 348. Durch das 3. StRÄndG vom 4.8.1953 und die nachfolgende Neuverkündung des StGB blieb § 170d unberührt. 19 § 142 StGB-DDR lautete: „Wer die elterliche oder eine andere Rechtspflicht, für die körperliche, geistige oder sittliche Entwicklung eines Kindes oder Jugendlichen zu sorgen, mißachtet, indem er 1. das Kind oder den Jugendlichen fortwährend vernachlässigt und dadurch vorsätzlich oder fahrlässig in der Entwicklung schädigt oder gefährdet; 2. das Kind oder den Jugendlichen mißhandelt; 3. durch schwere Verletzung dieser Pflichten die Begehung mit Wiedner
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b) Ab 1945, insbes. 4. StrRG. Im Rahmen bundesdeutscher Reformdiskussion galt die Vor- 3 schrift als zu weit. Nachdem der E 1962 Konkretisierungen vorgeschlagen hatte,20 forderte der Alternativentwurf ihre gänzliche Abschaffung (AE S. 69), da seine Verfasser keine Möglichkeit sahen, strafbedürftige Fälle in praktikabler und rechtsstaatlichen Anforderungen genügender Weise abzugrenzen (vgl. BTDrucks. VI/1521 S. 15). § 170d galt gleichwohl mit dem Ursprungswortlaut fort bis zur Neufassung durch das Vierte Gesetz zur Reform des Strafrechts (4. StrRG) vom 23. November 1973 (BGBl. I 1725), durch das die Vorschrift in der Form des bis heute geltenden Tatbestandes neu gefasst und präzisiert wurde. Während der Regierungsentwurf (BTDrucks. VI/1552 S. 2, 13) eine Begrenzung auf die Herbeiführung einer „Gefahr der kriminellen oder körperlichen Verwahrlosung“ befürwortete und der Bundesrat in seiner Stellungnahme (BTDrucks. VI/1552, S. 40) auf eine Gefährdung des „körperlichen oder geistig-seelischen Wohls“ abstellen wollte, sah der hiernach federführende Sonderausschuss nach Anhörung von Sachverständigen einen – insbesondere bei gleichzeitiger Streichung von § 143 a. F. (vgl. Rdn. 1) – unabweislichen Bedarf für eine auch künftige Pönalisierung wenigstens einer solchen Verletzung von Fürsorge- und Erziehungspflichten, die zu einer schwerwiegenden körperlichen oder seelischen Depravierung führt (BTDrucks. VI/1521, S. 17; s. auch BTDrucks. VI/1552 S. 13: „kriminalpolitisches Bedürfnis“). Mit seinem Gesetz gewordenen Vorschlag konkretisierte er die Ursprungsfassung im Tatbestand, ging dabei aber über die Vorschläge von Bundestag und -rat im Ergebnis hinaus.21 Die Änderungen von § 170d im Vergleich zur Ursprungsfassung umfassen damit Ein- 4 grenzungen und Erweiterungen zugleich: Gestrichen wurde das Merkmal der Gefährdung des körperlichen oder sittlichen Wohls, das zu erheblichen Auslegungsschwierigkeiten geführt hatte.22 Der Tatbestand ist hierdurch vom Ballast sittlich-moralischer Wertvorstellungen befreit,23 wie auch die – im Rahmen der Anhörungen vorgeschlagene, aber zu vergleichbaren Problemen führende – Einführung einer „sozialen Verwahrlosung“ als neues Merkmal abgelehnt wurde (vgl. BTDrucks. VI/3521 S. 16: die Vorschrift würde „ihre Konturen verlieren“).24 Die stattdessen aufgenommene Gefahr der erheblichen Schädigung in der körperlichen oder psychischen Entwicklung bringt im Gegensatz zu auslegungsbedürftigen Begriffen wie „Verwahrlosung“ oder „Wohl“ deutlicher zum Ausdruck, dass einerseits – auch – körperliche Einschränkungen von Gewicht, die auf die Pflichtverletzung zurückgehen, erfasst sein sollen,25 Strafe bedrohter Handlungen durch das Kind oder den Jugendlichen begünstigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Verurteilung auf Bewährung bestraft.“ Abs. 2 sah Qualifikationen für die fahrlässige Herbeiführung einer schweren Folge oder des Todes vor. Jugendliche waren nach § 65 Abs. 2 StGB-DDR Personen im Alter zwischen 14 und 18 Jahren. Nach der sehr weiteren Auslegung in der Literatur sollten Entwicklungsschäden schon anzunehmen sein, wenn der Betroffene bestimmte, seinem Alter entsprechende Leistungen nicht erbrachte (Redlich/Kamin NJ 1967 150; StGB-Komm.-DDR § 142 Anm. 5). 20 Dort § 198: „Wer seine Fürsorge- oder Erziehungspflicht gröblich verletzt und dadurch ein Kind oder einen Jugendlichen unter sechzehn Jahren in die Gefahr der sittlichen oder körperlichen Verwahrlosung bringt, wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist.“, vgl. BTDrucks. IV/650 S. 44, 352. 21 Zur Historie s. auch BVerfG NJW 2015 44, 46. 22 Vgl. beispielhaft BGHSt 3 256; s. zu der Problematik BTDrucks. VI/3521 S. 15; Klimmek S. 54; Luther NJW 1954 493; Sturm JZ 1974 3. 23 Soweit dies bei der weiterhin erforderlichen Bezugnahme auf Erziehungspflichten und das damit verbundene Vorstellungsbild überhaupt möglich ist; vgl. Rdn. 25 ff, 32. 24 Der Sonderausschuss geht beispielsweise davon aus, dass damit zugleich eine Vereitelung von Bildungsmöglichkeiten aus dem Tatbestand ausscheide (BTDrucks. VI/3521 S. 16). Doch auch hier wird es auf deren Gewicht ankommen: Massive soziale Beschränkungen wie ein kompletter Schulentzug und Fernhalten von Gleichaltrigen können bereits zur Schädigung der psychischen Entwicklung führen, vgl. Rdn. 39. 25 Der Bericht des Sonderausschusses nennt beispielhaft die „Haltung“ eines Kindes unter schlechtesten hygienischen Bedingungen wie in Ställen oder Kellern (bei welchen eine deutliche psychische Schädigung aber ebenfalls zu erwarten wäre), die unterlassene Abwendung einer Ansteckungsgefahr oder die fehlende Behandlung einer leicht behebbaren Krankheit oder Missbildung (BTDrucks. VI/3521 S. 16; vgl. Rdn. 40). 611
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Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht
andererseits nicht jede schädliche Entwicklungsabweichung. Mit der Aufnahme psychischer Fehlentwicklungen ist bewusst eine deutliche Erweiterung des Tatbestandes vorgenommen worden, die von den Gegenentwürfen wegen befürchteter Ausuferungen und Konflikte mit verfassungsrechtlich geschützten Erziehungsrechten noch vermieden werden sollte (vgl. Dippel LK12 Rdn. 2). Dem Bericht des Sonderausschusses lässt sich allerdings das Bemühen um Konkretisierung entnehmen. So seien durch den Begriff „psychisch“ nur solche Fehlentwicklungen gemeint, die mit medizinisch-psychologischen Kriterien zu erfassen sind. Die zusätzlich eingefügten Gefahrtatbestände, einen kriminellen Lebenswandel zu führen oder der Prostitution nachzugehen, sollen – obwohl sie gleichrangig neben den vorangehend genannten Gefahren der Schädigungen stehen – im Regelfall zugleich vom Merkmal der psychischen Schädigung erfasst sein und die (hohe) Schwelle andeuten, von der ab ein psychischer Entwicklungsschaden als erheblich anzusehen ist (BTDrucks. VI/3521, S. 16). Eine weitere Änderung betrifft die Heraufsetzung der Schutzaltersgrenze von 14 Jahren (BGHSt 5, 40) auf 16 Jahre, wodurch Forderungen des Jugendschutzes Rechnung getragen werden sollte, und die insbesondere im Hinblick auf die Fälle krimineller Entwicklung und das Abgleiten in die Prostitution für bedeutsam gehalten wurde (BTDrucks. VI/1552 S. 14; VI/3521, S. 17). Dass der Täter seine Pflichten „verletzt“ statt „vernachlässigt“ haben muss, bedeutet keinen qualitativen Unterschied (Sturm JZ 1974 3). In subjektiver Hinsicht ist die „Gewissenlosigkeit“ aufgrund der konkreteren Ausgestaltung des objektiven Tatbestandes entfallen, bei dessen Erfüllung das Handeln des Täters ausreichend vorwerfbar erscheint (BTDrucks. VI/1552 S. 14; s. auch KG JR 1975 297). Der Wegfall der Subsidiaritätsklausel schließlich sollte verdeutlichen, „dass die Vorschrift ein eigenes – wichtiges – Rechtsgut schützt“ (BTDrucks. VI/1552 S. 14), wenngleich über dessen Gehalt den Gesetzesbegründungen nichts Ausdrückliches zu entnehmen ist. Herabgesetzt wurde schließlich das Höchstmaß der Freiheitsstrafe von fünf Jahren auf drei Jahre. 5 Die Vorschrift wurde durch das 6. StrRG vom 26. Januar 1998 (BGBl. I 164) ohne inhaltliche Änderung in § 171 umnummeriert; § 170d entfiel.
6 c) Gesetzesmaterialien. Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission (1956–1960, 14 Bd., Bundesdruckerei): Bd. 5, S. 308.; Bd. 8, S. 199, 206, 343 f, 378 ff, 458 f, 468 f, 614, 620 ff, 663; Bd. 12, S. 602; Entwurf eines Strafgesetzbuches E 1962: S. 44, 352 f; Alternativ-Entwurf eines Strafgesetzbuches (AE, Tübingen 1966): S. 68 f; Viertes Gesetz zur Reform des Strafrechts (4. StRG): BTDrucks. VI/1552, S. 13 f, 40, 46; VI/3521, S. 15 ff, 73; 7/514, S. 4 ff, 19; Prot. VI/28, S. 853; VI/29, S. 942, 1098; VI/33, S. 1193 ff, 1224; VI/35, S. 1253 ff, 1262, 1278 ff; VI/ 36, S. 1289 ff; VI/40, S. 1381 ff; VI/71, S. 2030; 7/2, S. 5 f.
2. Geschütztes Rechtsgut 7 Über das von der Vorschrift geschützte Rechtsgut besteht seit ihrer Einführung eine bis in die Gegenwart fortdauernde Uneinigkeit, deren Gegenstand mittlerweile hauptsächlich die normativ schwer zu fassenden und einer Standardisierung nicht zugänglichen – weil immer auch individuell zu bestimmenden – Fürsorge- und Erziehungspflichten als Grundlage einer (Unterlassung-)Strafbarkeit betrifft.26
8 a) In der historischen Literatur27 waren als Schutzgüter zu einem Dreiklang verknüpft familienrechtliche Pflichten als solche, damit letztlich die Familie selbst, das Individualinteresse des Kindes oder Jugendlichen, und ein überwölbendes Allgemeininteresse, das eine „funk26 Vgl. Wittig FS Heintschel-Heinegg 505. 27 Eingehend Dippel LK12 Rdn. 3. Wiedner
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tionierende“ Familie und das Kindeswohl als originäre staatliche Aufgaben begreift, und das auch die Wahrung der – bei Kindesvernachlässigung gefährdeten – öffentlichen Sicherheit und Ordnung umfasst. So erblickte Binding (Lehrbuch I § 62 V) in der „Alimentations- und Erziehungs-(Fürsorge-)Pflicht“, die im Interesse des Kindes oder des Jugendlichen zu schützen seien, das Angriffsobjekt; Duensing (S. 12 f) ging davon aus, dass das Wohl des Kindes ein staatliches Rechtsgut sei, und sieht in dessen Gefährdung einen unmittelbaren „Eingriff in die Rechtssphäre des Staates selber“. Auch in späterer Zeit wurden Rechtsgüter des Staates oder der Allgemeinheit zumindest neben solchen des betroffenen Kindes oder Jugendlichen als geschützt angesehen.28 Der historische Gesetzgeber bezweckte – allerdings vor dem Hintergrund eines totalitären Anspruches – ohnehin einen derartigen, an Ordnungsinteressen ausgerichteten Schutz.29 Der Reformgesetzgeber (Rdn. 3 f) hat sich mit Schutzzielbestimmungen zurückgehalten, wenngleich sich den Gesetzesbegründungen und den vorangehenden Sachverständigenanhörungen eine deutliche Ausrichtung am Individualinteresse der betroffenen Kinder und Jugendlichen entnehmen lässt, die durch die Neufassung der Vorschrift zudem ausdrücklich zu Geschädigten erhoben wurden (s. auch Prot. VI/33, S. 1193 [Laufhütte]).
b) Gegenwärtige Einordnung. Gegenwärtig herrschend – und im Ergebnis zutreffend (vgl. 9 Rdn. 10 ff) – ist demgegenüber die Auffassung, dass die Vorschrift die gesunde körperliche und psychische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren schützen soll.30 Dieser vorrangig individualschützende Zweck drängt sich nicht nur aufgrund der Gesetzesgeschichte und der ausdrücklichen Bezeichnung der betroffenen Kinder und Jugendlichen als Tatgeschädigte auf. Er ist – trotz des damit aufgeworfenen Interpretationsbedarfs – bereits angesichts des (höchst)persönliche Rechtsgüter beschreibenden Wortlautes evident, in seiner Wiederholung der Gesetzesformulierung freilich auch redundant. Konkretisierend hat das Bundesverfassungsgericht unter Hervorhebung der Gefahr eines kriminellen Lebenswandels formuliert, geschütztes Rechtsgut sei „sowohl das körperliche Wohlergehen als auch die sittliche und geistige Entwicklung des Schutzbefohlenen, insbesondere ihn zu künftigem Legalverhalten zu erziehen und ihm die Fähigkeit zu vermitteln, Lebensaufgaben unter Berücksichtigung des geltenden Normensystems zu bewältigen“.31 Dass es dem Gesetzgeber darauf angekommen sei, „Kinder in ihrer körperlichen und psychischen Integrität zu schützen, indem sie vor einem Abgleiten in ein Kriminellen- bzw. Prostituiertenmilieu bewahrt bleiben sollen“ (BVerfG NJW 2015 44, 45), betont dagegen über Gebühr die nur beispielhaft aufgenommenen Schädigungsmerkmale. Das Individualrechtsgut verdrängende Schutzrichtungen scheiden aus: Auch wenn die den 10 Täter kennzeichnende Erziehungs- und Fürsorgepflicht seinen Ursprung hauptsächlich in Familienverhältnissen hat, ist der Vorschrift eine Begrenzung hierauf nicht zu entnehmen. Normadressaten bilden über § 1626 BGB hinaus alle Personen, denen durch Gesetz oder Vertrag derarti28 Franke-Gricksch (1970) S. 50; Kaltofen (1965) S. 63; Isermeyer (1956) S. 13; Licht (1948) S. 28; s auch v. Guttry S. 1 f; Hodes S. 27 f.
29 Vgl. Nagler GerS 116 (1942) 10 f; Rietzsch DJ 1943 242; vgl. Rdn. 2. 30 S. bereits BGHSt 2 348, 349: Sicherstellung der „regelmäßigen und ungehemmten Entwicklung des Kindes“; nach BVerfG NJW 2015 44, 45 soll eine derartige Schutzrichtung nach „einhelliger Ansicht“ bestehen; s. weiter OLG Brandenburg FamRZ 2009 1257, 1258; AG Wermelskirchen NJW 1999 590, 591; Fischer Rdn. 2; Sch/Schröder/Bosch/ Schittenhelm Rdn. 1; Ritscher MK Rdn. 2 mit Kritik an der Attributierung „gesund“; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1; SSW/ Wittig Rdn. 1; Frommel NK Rdn. 5; Schramm Ehe und Familie im Strafrecht, S. 355; Bottke S. 109 f; Kaltofen S. 68; Dippel LK12 Rdn. 3; Neuheuser NStZ 2000 174. 31 So BVerfG NJW 2015 44, 45 unter Bezug auf Ritscher MK Rdn. 5; Neuheuser NStZ 2000 174, 175; Rinio, FPR 2007 467, 468. Die Kritik hieran von Wittig (SSW Rdn. 2), dass nach dem Wortlaut und dem Willen des Gesetzgebers sittliche Vorstellungen ausgeklammert sein sollen, trifft zwar zu; doch wird sich praktisch bei der Bestimmung des zu sanktionierenden Verhaltens, die nicht ohne Rückgriff auf gegenwärtige inländische Wert- und Moralvorstellungen erfolgen kann, eine klare Abgrenzung nicht treffen lassen. 613
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ge Pflichten auferlegt sind, etwa auch Pflegekräfte, Betreuer mit auf sie delegierten Elternpflichten, u. U. auch Mitarbeiter von Ämtern als Garanten (vgl. Rdn. 19), so dass als spezifische Schutzgüter die Familie oder originär familienrechtliche Pflichten nicht in Betracht kommen.32 Geschützt sind auch nicht enge Verwandte des geschädigten Kindes oder Jugendlichen, insbesondere die Eltern oder Elternteile; sie sind damit auch nicht antragsbefugt nach § 172 StPO (OLG Brandenburg FamRZ 2009 1257). Allein durch ihre Strafbewehrung werden die Fürsorge- und Erziehungspflichten auch nicht zu öffentlichen, und die geschützten individuellen Rechtsgüter nicht zu solchen der Allgemeinheit mit daraus folgender Verschiebung der Schutzrichtung;33 träfe ersteres zu, wären alle auf Unterbleiben einer Schädigung gerichteten Verhaltenspflichten des Strafrechtes nicht individualschützend. Die Anerkennung eines weiteren, öffentlichen Rechtsgutes ist damit aber nicht ausgeschlossen. Denn die Bewahrung einer schadensfreien Entwicklung von Kindern und Jugendlichen liegt auch in erheblichem Interesse der Allgemeinheit, da eine funktionsfähige Gesellschaft darauf angewiesen ist, dass die jeweils nachfolgende Generation ohne nachhaltige Beeinträchtigungen zu selbstbestimmten Bürgern heranwächst. In besonderer Weise wird der – auch verfassungsrechtlich in Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG als Schutzauftrag formulierte – Allgemeinbezug greifbar, soweit § 171 Alt. 3 kriminelle Verhaltensweisen und damit mittelbar das Rechtsverständnis der Gesellschaft betrifft. Das öffentliche Anliegen, Kinder gesund aufwachsen und zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten heranreifen zu lassen, ist vom Schutzzweck des § 171 daher – nachrangig – mitumfasst.34 Erheblicher Kritik ist die Schutzzweckbestimmung insoweit ausgesetzt, als sie nicht zu er11 klären vermag, nach welchem Maßstab sich die geforderte „gesunde“ Entwicklung des Kindes oder Jugendlichen bestimmt. Sie als ungestörte oder natürliche Entwicklung zu begreifen, reiche nicht aus, da sich kein Kind von selbst entwickele, vielmehr gerade auf stützende erzieherische Einflussnahme angewiesen sei. Der hieraus folgende strafbewehrte Verhaltensauftrag an den Erziehungs- und Fürsorgepflichtigen sei – so der Einwand – gänzlich unbestimmt. Für den Rechtsanwender stelle es eine kaum lösbare Aufgabe dar, Maßnahmen zu bestimmen, die im Positiven als abverlangtes Verhalten und im Negativen als schädigender Einfluss zu gelten haben.35 Dem lässt sich nur bedingt folgen. Der im Grundsatz richtige Befund betrifft weniger die Bestimmung des Schutzgutes als vielmehr seine Auswirkungen im konkreten Einzelfall (s. bereits Dippel LK12 Rdn. 3). Dort erweist er sich aber als weitgehend entschärft: Zwar bildet es zweifellos keine rechtliche Aufgabe – bereits keine solche des Familien-, erst recht keine solche des Strafrechtes –, einen Normbereich des als „gesund“ oder „gut“ empfundenen Zustandes oder einer in diesem Bereich verbleibenden Entwicklung eines Jugendlichen zu bestimmen und
32 Zutreffend Schramm Ehe und Familie im Strafrecht, S. 355; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 1; Dippel LK12 Rdn. 3; aA Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2, § 63 Rdn. 49. 33 In diesem Sinne aber Licht S. 28. 34 Enger im Sinne eines nur mittelbaren Schutzes die h. M., vgl. SSW/Wittig Rdn. 1; Fischer Rdn. 2; Sch/Schröder/ Bosch/Schittenhelm Rdn. 1; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 1; Rinio FPR 2007 467; Kreutzahler S. 61; s. auch BVerfG NJW 2015 44, 45 und Ritscher MK Rdn. 2: Schutzreflex; öffentliche Interessen stärker betonend Isermeyer S. 13 f (Kind als „Glied von Staat und Gesellschaft“); aA Wolters SK Rdn. 2 a. E., der allerdings die auch gesellschaftlich gewollte Selbstbestimmung des später Erwachsenen als Ziel geschützter Erziehung beschreibt. In der früheren Literatur ist das öffentliche Interesse an der körperlichen und sittlichen Gesundheit des Kindes teilweise als alleiniges Schutzgut angesehen worden, vgl. Jagusch LK8 Rdn. 1 m.w.Nachw. 35 Dezidiert Wolters SK Rdn. 2; Ritscher MK Rdn. 2. Plastisch Bohnert ZStW 2005 290, 293: „Unter allen Rechtsgütern gehört das des § 171 StGB zu den am schwersten zu fassenden (…); es umgreift so gut wie alles Gute, Förderliche: Leben, Leib, Ernährung, Sozialkontaktfähigkeit, Geistesgesundheit, usw., und so viel Förderliches kann dementsprechend durch vielerlei gestört werden, durch unmittelbare Verletzungen von Leib, Leben, Ehre, Freiheit, aber auch durch falsche Lehren, ungute Beispiele, die falschen Freunde oder verderbliche Lebensmittel. Es kann durch Armut beirrt werden, durch Reichtum, durch Sport, durch Alkohol, politischen Radikalismus, durch den Mangel an Bewegung, durch übermäßiges Klavierspiel sowie das Surfen im Internet.“ Wiedner
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gegen „falsche“ Einflüsse zu verteidigen.36 Eine positive Eingrenzung darauf, was für die Entwicklung als normal und schützenswert angesehen werden kann, muss dabei desto eher scheitern, je enger der Bereich gezogen wird.37 Hieraus in quasi-resignativer Weise einen eingrenzbaren Schutz- und Anwendungsbereich der Vorschrift in Frage zu stellen, geht indes fehl. Denn unstreitig dürfte andererseits sein, dass Fehlentwicklungen von Gewicht, die geeignet sind, einem Kind oder Jugendlichen den Weg in ein selbstbestimmtes Leben zu verbauen, als strafbares Unrecht zu begreifen sind, wenn sie zurechen- und vorwerfbar befördert werden. Nur solche sind von § 171 aber erfasst, wie tatbestandlich durch die – auch in objektiver Hinsicht geforderte – Gröblichkeit der Pflichtverletzung und die Erheblichkeit der zu befürchtenden Folge sichergestellt. Die Vorschrift schützt damit, dem strafrechtlichen Ultima-ratio-Prinzip entsprechend, lediglich ein Minimalniveau verantwortungsgerechten Verhaltens des Pflichtigen und des damit einhergehenden Wohles des Kindes oder Jugendlichen, so dass dem Strafrichter die Bürde genommen ist, im komplexen Bereich insbesondere elterlicher Fürsorge- und Erziehungsmaßnahmen andere als solche auswählen zu müssen, die sich ohnehin aufdrängen. Überprüfungen etwa dahin, ob dem Kind oder Jugendlichen eine pädagogisch sinnvolle Erziehung zuteil wird, ob es wünschenswerte oder gar bestmögliche förderliche Maßnahmen erfährt und sich seine Entwicklung in näher einzugrenzender Weise als regelhaft darstellt, sind damit ausgeschlossen. Rechnung getragen ist damit zugleich dem Recht der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 GG, ihr Kind weitgehend frei von staatlicher Reglementierung zu erziehen,38 dem erst dort Einhalt zu gebieten ist, wo sich die Eltern ihrer Verantwortung entziehen und „dem Kind nicht den Schutz und die Hilfe bieten, die es benötigt, um gesund aufzuwachsen und sich zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit zu entwickeln“ (BVerfG NJW 2017 1296; s. auch BVerfGE 24 143 f; 103 107). Auch bei den hiernach verbleibenden Fällen stellt sich zwar die Frage nach dem konkret 12 abverlangten Verhalten des Pflichtigen und der Abgrenzung zu weniger gröblichen Pflichtverstößen. Doch wird sich häufig schon anhand medizinischer und psychologischer Kriterien eine Schädigung oder ihre Gefahr bestimmen lassen.39 Die Pflichtverletzung ist dann unbeschadet der subjektiven Möglichkeiten normgerechten Verhaltens40 regelmäßig offenkundig; das beanstandete Handeln liegt entweder in einer aktiven Herbeiführung der Entwicklungsschädigung oder gänzlicher Passivität trotz sich aufdrängenden elementaren Handlungsbedarfs. Im Übrigen lässt sich bei Bestimmung der Pflichtverletzung eine wertende Betrachtung, in die ethische Maßstäbe und kulturelle Standards einfließen, nicht vermeiden, wenn etwa die frühzeitige übermäßige Konfrontation mit Sexualität, Erfahrungen mit Drogen, das Abgleiten in ein kriminelles Milieu oder das Fernhalten von Bildungsmöglichkeiten an inländischen Wertmaßstäben und Sitten gemessen wird (vgl. Fischer Rdn. 5). Dies ist aber nicht bedingt durch eine Unschärfe des Tatbestandes oder Schutzgutes. Die Notwendigkeit einer Festlegung außertatbestandlicher Wertmaßstäbe begegnet auch an anderer Stelle, etwa bei Prüfung von Merkmalen der Verwerflichkeit oder niederer Gesinnung.
36 Zumal dies nur unter weitreichender Einbeziehung der erziehungspsychologischen Forschung geschehen könnte und eine Art. 6 GG widerstreitende staatliche Intervention darstellen würde, indem der Staat sich anmaßen würde, die Erziehung ex negativo zu prägen. Zum Spannungsverhältnis zwischen liberalen und kollektivistischen Auffassungen im Hinblick auf die Bestimmung der Erziehungsmittel und -ziele vgl. Geisler S. 23 ff; Mohrmann S. 11 ff; Hodes S. 75 ff. 37 Treffend Bohnert ZStW 2005 293, 295: Normal ist – zumal in der pubertären Entwicklung Jugendlicher – auch und gerade die Varianz. 38 Vgl. BVerfGE 24 143; 76 48; 121 92: Geschützt von Art. 6 Abs. 2 GG ist jedes Verhalten, das bei Anerkennung der Selbstverantwortlichkeit der Eltern noch als Pflege und Erziehung zum Wohl des Kindes gewertet werden kann; s. Hömig/Wolff GG, Art. 6 Rdn. 16. 39 So auch die Vorstellung des Gesetzgebers, vgl. BTDrucks. VI/3521 S. 16. 40 Vgl. die kriminologische Studie von Ostendorf 12 ff, wonach soziale Notlagen und psychische Belastungen für schädigendes Verhalten begünstigend wirken. 615
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3. Deliktsnatur 13 § 171 bildet bereits nach dem Wortlaut ein Erfolgsdelikt in Gestalt eines konkreten Gefährdungsdeliktes,41 das durch die im Tatbestand beschriebenen vier Gefährdungszustände vollendet wird; davon stellen sich jene mit Bezug zu krimineller Lebensführung und Nachgehen der Prostitution allerdings nur als Unterfälle der psychischen Entwicklungsstörung dar. Begangen werden kann die Tat durch aktives Tun, wie bereits durch den Wortlaut zum 14 Ausdruck gebracht („in die Gefahr bringt“), wenn etwa die Entwicklung eines Kindes durch Verletzungshandlungen oder die Unterdrückung förderlicher Maßnahmen aktiv behindert wird. Soweit der Täter entgegen der ihn treffenden Erziehungs- und Fürsorgepflicht untätig bleibt und dadurch den Taterfolg herbeiführt, indem er die Entstehung des Gefahrenzustandes nicht abwendet, handelt er durch Unterlassen.42 § 171 bildet dann ein echtes Unterlassungsdelikt in Gestalt eines Pflichtverletzungsdeliktes.43 Die tatbestandlichen Fürsorge- und Erziehungspflichten entsprechen dabei den Garantenpflichten beim unechten Unterlassen (vgl. Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 3; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 8; Ritscher MK Rdn. 5); § 13 ist nicht anwendbar. Ein Bedürfnis hierfür besteht angesichts der erforderlichen Pflichtenstellung hinsichtlich des Tätigwerdens zugunsten des schutzbefohlenen Kindes oder Jugendlichen und der zur Tatbestandserfüllung geforderten gröblichen Verletzung nicht.
4. Rechtspolitische und praktische Bedeutung 15 § 171 ist von untergeordneter praktischer Bedeutung. Auffällig ist eine hohe Diskrepanz zwischen den Fallzahlen polizeilicher Verfolgung und jenen strafjustitiell abgeschlossener Verfahren, die darauf hindeutet, dass die weit überwiegende Anzahl der in das Blickfeld der Ermittlungsbehörden geratenen Fälle einer Einstellung bereits im Ermittlungsverfahren zugeführt wird, gegebenenfalls verbunden mit anderweitigen Maßnahmen der Jugendhilfe. Die polizeilichen Kriminalstatistiken (Straftatenschlüssel 672000)44 weisen im Zehnjahreszeitraum zwischen 2010 und 2019 im Mittel stetig zurückgehende Fallzahlen zwischen 1.726 Fällen in 2010 und 1.132 Fällen in 2019 aus.45 Zu verzeichnen sind mehr als doppelt so viele weibliche wie männliche Tatverdächtige.46 Die Aufklärungsquote ist hoch mit durchschnittlich 95 %. Dagegen liegen die Zahlen der Ab- und Verurteilungen nur in einem zweistelligen Bereich. Nach den Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes zur Strafverfolgung47 wurden 71 Personen im Jahr 2018 abgeurteilt; hiervon kam es in 46 Fällen zu Verurteilungen. Von 61 Abgeurteil41 Soweit ersichtlich, allg, Auffassung, BVerfG NJW 2015 44, 46; BGHSt 3 256; BGH NJW 1952 476; KG JR 1982 507; Wolters SK Rdn. 3; Ritscher MK Rdn. 12; SSW/Wittig Rdn. Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2, § 63, Rdn. 59; Neuheuser NStZ 2000 174, 177; Geisler S. 283; Dippel LK12 Rdn. 3; KG JR 1975 97; JR 1982 507; Fischer Rdn. 7; Frommel NK Rdn. 7; Wolters SK Rdn. 3; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 5; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 6; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 53; Bohnert ZStW 2005 290, 292. S. näher Rdn. 54 ff. 42 Nach Neuheuser (NStZ 2000 174, 176) wird das Delikt typischerweise durch Unterlassen verwirklicht; dies mag empirisch zutreffen, ist im Tatbestand anders als in der ursprünglichen Fassung (vgl. Rdn. 1 f) aber nicht angelegt. 43 Wolters SK Rdn. 10, 16; Frommel NK Rdn. 1; Bohnert ZStW 2005 290, 301 ff; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2, § 63 Rdn. 44. 44 BKA, Polizeiliche Kriminalstatistik für das jeweilige, im folgenden angegebene Berichtsjahr, öffentlich zugänglich unter https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/PolizeilicheKriminalstatistik/pks_ node.html. 45 Für die dazwischenliegende Zeit: 1.766 Fälle im Jahr 2011, 1.642 Fälle im Jahr 2012, 1.535 Fälle im Jahr 2013, 1.359 Fälle im Jahr 2014, 1.388 Fälle im Jahr 2015, 1.357 Fälle im Jahr 2016, 1.176 Fälle im Jahr 2017 und 1.251 Fälle im Jahr 2018. 46 S. etwa für 2019: 389 Männer und 869 Frauen. 47 Die nachfolgenden Werte beziehen sich auf die durch das Statistische Bundesamt in der „Fachserie 10, Rechtspflege 3, Strafverfolgung“ für das jeweilige Berichtsjahr ausgewiesenen Daten. Als Abgeurteilte gelten nach der Wiedner
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ten wurden im Jahr 2017 ebenfalls 46 Personen verurteilt. Für das Jahr 2016 sind 70 Abgeurteilte und 52 Verurteilte, für das Jahr 2017 sind 80 Abgeurteilte und 44 Verurteilte aufgeführt. Der Anteil weiblicher Täter und Tatverdächtiger lag hier zwischen zwei Dritteln und drei Vierteln. Sie spiegelt eine faktisch noch immer vorherrschende Rollenverteilung überwiegender Fürsorgeund Erziehungsverantwortung von Frauen mit dementsprechend häufigerer Straffälligkeit, darf aber nicht den Blick darauf verstellen, dass – korrespondierend – Verletzungen der Unterhaltspflicht und sexualisierte oder gewalttätige Übergriffe auf schutzbefohlene Kinder und Jugendliche überwiegend von Männern begangen werden. Rechtspolitisch und -wissenschaftlich wird die Berechtigung der Vorschrift derzeit – zu 16 Recht – nicht mehr in Frage gestellt. Im Fokus rechtswissenschaftlicher und -politischer Diskussion sowie gelegentlicher öffentlicher Wahrnehmung liegt vielmehr die Vermeidung der von § 171 unter Strafe gestellten Gefahrsituationen durch frühzeitige und effektive Intervention der Jugendämter und einer strafrechtlichen Haftung von Jugendamtsmitarbeitern.48 Unbeschadet vereinzelter Entscheidungen von Amtsgerichten49 und gelegentlicher Stellungnahmen in der Literatur50 wird die Vorschrift als Mittel präventiver Bekämpfung von Jugendkriminalität und krimineller Familienstrukturen („Clan-Kriminalität“), in denen Kinder und Jugendliche systematisch in die Begehung von Straftaten eingebunden werden und ihnen – meist verbunden mit verwehrter Bildungsteilhabe – ein Weg in ein rechtstreues Leben versperrt wird, nicht ausreichend wahrgenommen, obwohl sie nach der tatbestandlichen Struktur dazu grundsätzlich geeignet ist. Die Probleme liegen hier eher im tatsächlichen Bereich der Verfolgung und Nachweisbarkeit.51
5. Flankierende Vorschriften Der allgemeine Entwicklungsschutz von Kindern und Jugendlichen wird ergänzt durch die Straf- 17 barkeit körperlicher und sexueller Übergriffe auf Kinder und Schutzbefohlene in § 225 und den §§ 174 ff., insbesondere auch § 180a Abs. 2 und § 232a. Die – auch Minderjährige als Tatopfer betreffende – Zwangsheirat steht in § 237 seit dem Jahr 2011 unter Strafe. Aus den Vorschriften der Kinder- und Jugendhilfe stellt § 105 i. V. m. § 104 SGB VIII das Betreiben von Pflege oder Einrichtungen ohne die erforderliche Erlaubnis unter Strafe für den Fall, dass damit eine schwere Entwicklungsgefährdung verbunden ist. Landesrechtliche Vorschriften, welche die hartnäckige Verletzung der Schulpflicht unter Strafe stellen, können ohne Verstoß gegen Art. 72 Abs. 1, Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG mit § 171 konkurrieren (BVerfG NJW 2015, 44). Solche bestehen etwa nach § 182 Abs. 1 HSchG, § 114 HmbSG, § 140 SchulG M-V, während in anderen Bundesländern die Verletzung der Schulpflicht allein bußgeldbewehrt ist, etwa nach § 92 BWSchulG, Art. 119 BayEUG, § 126 BerlSchG, § 126 SchulG NRW. Die Jugendämter haben bei KindeswohlgeBegriffsbestimmung des Statistischen Bundesamtes Angeklagte, gegen die Strafbefehle erlassen wurden oder Strafverfahren nach Eröffnung des Hauptverfahrens durch Urteil – Freispruch oder Verurteilung – oder Einstellungsbeschluss rechtskräftig abgeschlossen worden sind (vgl. Stat. Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 3 [2018], S. 13). 48 Hierzu jeweils umfassend Bohnert ZStW 2005 290; Beulke/Swoboda Beschützergarant Jugendamt. Zur Strafbarkeit von Mitarbeitern des Jugendamtes bei Kindestod, Kindesmisshandlung oder -missbrauch innerhalb der betreuten Familie, FS Karlheinz Gössel, 2002, 73; Bringewat Soziale Arbeit und strafrechtliche Risiken, 1997; ders. NJW 1998 944; Kronseder Die Strafbarkeit von Mitarbeitern des Jugendamtes bei häuslicher Kindeswohlbeeinträchtigung (2010); Dießner Die Unterlassungsstrafbarkeit der Kinder- und Jugendhilfe bei familiärer Kindeswohlgefährdung (2008). 49 Vgl. AG Wermelskirchen NJW 1999 590. 50 Ausführlich und mit zutreffendem Befund Neuheuser NStZ 2000 174. 51 Vgl. zu der Problematik Landtag NRW, Drucks. 16/14015; „Clankriminalität – Lagebild NRW 2018“ des Landeskriminalamtes NRW, abrufbar unter https://polizei.nrw/presse, jeweils mit Verweis auf § 171. Das gesellschaftliche Phänomen ist umfassend beschrieben in der Studie von Rohe/Jaraba, „Paralleljustiz“, in Auftrag gegeben durch das Land Berlin, abrufbar unter https://www.berlin.de/sen/justva/_assets/gesamtstudie-paralleljustiz.pdf. 617
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fährdung im Sinne von § 8a SGB VIII einzugreifen und können vorläufige interventionelle Maßnahmen bis hin zur Inobhutnahme des Minderjährigen nach § 42 SGB VIII treffen. Familienrechtlich können bei Gefährdung des Kindeswohls dauerhafte gerichtliche Maßnahmen nach § 1666 BGB bis hin zur Entziehung der Sorge getroffen werden.
II. Objektiver Tatbestand 18 Der objektive Tatbestand setzt für alle Tathandlungen das Bestehen einer Fürsorge- oder Erziehungspflicht gegenüber einem Kind oder Jugendlichen unter 16 Jahren voraus sowie deren gröbliche Verletzung. Sodann gliedert er sich hinsichtlich des Taterfolges in vier Tatalternativen, wobei jene der Gefahr einer erheblichen Schädigung in der körperlichen oder psychischen Entwicklung das leitende Merkmal bilden, und die Tatvarianten der Gefahr eines kriminellen Lebenswandels oder der Prostitution sich letztlich nur als Beispiele oder Sonderfälle psychischer Entwicklungsstörung darstellen. Die Erfassung und Konturierung des Tatbestandes birgt erhebliche Schwierigkeiten, weil die Merkmale der Fürsorge- und Erziehungspflicht, ihrer Verletzung und der dadurch bewirkten Gefahr einer Entwicklungsschädigung miteinander verwoben sind und sich meist nur am konkreten Fallbeispiel erhellen; zugleich sind sie auch inhaltlich problematisch, weil sie Erziehungsmaßnahmen oder ihr Unterbleiben bewerten und verrechtlichen.
1. Fürsorge- oder Erziehungspflicht 19 a) Entstehungsgründe. Die Entstehungsgründe von Fürsorge- oder Erziehungspflichten bestimmen sich letztlich nach den Grundsätzen, die auch für Begründung einer Beschützergarantenstellung gelten.52 Sie ergeben sind aus folgenden Verhältnissen53: Originäre und bezogen auf den sachlichen Pflichtenumfang umfassendste Grundlage ist 20 jene aus Gesetz, durch das vornehmlich die Eltern (§ 1626 BGB), auch die Adoptiveltern, der Vormund (§ 1793 BGB), der Pfleger (§ 1909 BGB) und der Betreuer (§ 1901 BGB) zu Erziehung und Fürsorge verpflichtet werden. Begründet werden können die Pflichten weiterhin durch Vertrag, etwa für Pflegeeltern, 21 für die Mitarbeiter von Kindertagesstätten (OLG Hamm NJW 1954 2316, 2317), Privatschulen, Heimen und Internaten sowie von privatrechtlich organisierten Nachmittagsbetreuungen öffentlicher Schulen, für Kinderfrauen, Tagesmütter, als Au-Pair in den Haushalt Aufgenommene oder Babysitter, für private Musik-, Sport- und Nachhilfelehrer, Chorleiter, Betreuer in Sportvereinen, bei kirchlicher Jugendfreizeit, Ferienlagern und im Rahmen von Urlaubsangeboten kommerzieller Veranstalter (vgl. BTDrucks. VI/3521 S. 15). Auf eine ausdrückliche Vereinbarung kommt es nicht an, ebensowenig auf die Wirksamkeit des Vertragsverhältnisses, wenn das Kind oder der Jugendliche nur tatsächlich im Einverständnis mit dem Betreuenden in dessen Obhut gegeben wurde. Die Pflicht besteht auch bei nur kurzzeitiger Übernahme, zumal wenn eine wiederkehrende Betreuung geschuldet ist. Nur eine ganz vorübergehende Beaufsichtigung scheidet aus, auch wenn sie der Gefahrabwendung dient, da die von § 171 bezeichneten Pflichten auf die Möglichkeit zur Einwirkung auf den Schutzbefohlenen angelegt sind.
52 Wolters SK Rdn. 14; Ritscher MK Rdn. 5; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 8; Neuheuser NStZ 2000 174, 175. 53 Zum Folgenden vgl. Wolters SK Rdn. 14; Fischer § 225 Rdn. 4; Frommel NK Rdn. 6; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2, § 63 Rdn. 50; SSW/Wittig Rdn. 3; Dippel LK12 Rdn. 5; Sturm JZ 1974, 3; FrankeGricksch S. 63. Wiedner
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Pflichtbegründend wirken ferner Aufgaben im Rahmen öffentlich-rechtlicher Verhältnis- 22 se, wie insbesondere für Lehrer in öffentlichen Schulen, Mitarbeiter des Jugendamtes54 oder Beamte des Straf- oder Maßregelvollzugs (Dippel LK12 Rdn. 5).55 Schließlich können derartige Pflichten auf einer tatsächlichen Übernahme durch schlüssi- 23 ges Verhalten beruhen.56 Hierzu zählen die tatsächliche Aufnahme eines Kindes oder Jugendlichen in eine Hausgemeinschaft, insbesondere die Aufnahme des vorehelichen Kindes des Ehepartners oder des aus einer früheren Beziehung stammenden Kindes des nichtehelichen Partners, und die damit einhergehende tatsächlich Übernahme der Sorge (BGH NStE Nr. 1 zu § 170d = BGHR § 170d Fürsorgepflicht 1; Fischer § 225 Rdn. 4), bei der Aufnahme eines Schutzbefohlenen in eine Wohngemeinschaft, oder bei der Betreuung eines Findelkindes (Klimmek S. 50). Der vermeintlich tatsächlichen Übernahme von Pflichten wird häufig eine rechtliche zugrunde liegen, wenn etwa zumindest aus einer Nebenpflicht heraus eine Fürsorge geschuldet ist. So liegt es etwa bei einer Haushaltshilfe, die nicht zur Kinderbetreuung angestellt ist, mit den im Haushalt lebenden Kindern aber zwangsläufig regelmäßig in Berührung kommt und diese mitbetreut (Franke-Gricksch S. 63). Die Übernahme der Betreuung eines fremden Kindes für Stunden – etwa für Nachmittage zum gemeinsamen Spielen mit dem eigenen Kind – birgt Obhuts-, Fürsorge und in einem Minimalumfang auch Erziehungspflichten und wird, auch wenn sie im Ursprung aus Gefälligkeit erfolgt, wegen der – abhängig vom Alter – hohen Bedeutung der zu leistenden Aufsicht, Betreuung und Versorgung nicht gänzlich ohne Rechtsbindung anzunehmen sein. Vertraglich und durch tatsächliche Übernahme begründete Pflichten gehen mitunter ineinander über, so dass eine strenge Unterscheidung dann kaum noch getroffen werden kann. Nur wenn das Schutz- und Betreuungsverhältnis nicht ausgeprägt ist und jederzeit ohne 24 Schädigungsgefahr gelöst werden kann, wird ein bloßes Gefälligkeitsverhältnis vorliegen, das für eine Pflichtenstellung i. S. v. § 171 nicht genügt (enger wohl BGH NJW 1982 2390 für § 225; Fischer § 225 Rdn. 4). Dementsprechend muss sich um ein Betreuungsverhältnis von gewisser Dauer handeln (Klimmek S. 50). Nur ganz vorübergehende Pflichten scheiden aus, etwa die nur ganz kurzzeitige Beaufsichtigung eines Kindes (s. bereits Rdn. 21) oder die Aufnahme eines fremden Jugendlichen in die Hausgemeinschaft des Täters für kurze Zeit (Sch/Schröder/Bosch/ Schittenhelm Rdn. 3).
b) Gegenstand der Pflichten. Der Gegenstand von Fürsorge- oder Erziehungspflichten i. S. v. 25 § 171 besteht aus einem Pflichtenbündel (vgl. Neuheuser NStZ 2000 174, 175) von nur schwer abschließend und abstrakt zu bestimmenden Einzelpflichten.57 Sie sind – wie auch an anderer Stelle, etwa in §§ 1626, 1631 BGB oder in den Schulgesetzen der Länder – in positiver Hinsicht als Handlungsaufträge an den Pflichtigen zu begreifen, die Entwicklung des Kindes und Ju-
54 OLG Düsseldorf NStZ-RR 2001 199; Frommel NK Rdn. 6; Ritscher MK Rdn. 7; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2, § 63 Rdn. 50; Bringewat NJW 1998 944; Beulke/Swobada FS Gössel 73, 83; krit. Bohnert ZStW 2005 290, 309 f umfassend Kronseder Die Strafbarkeit von Mitarbeitern des Jugendamtes bei häuslicher Kindeswohlbeeinträchtigung (2010); Dießner Die Unterlassungsstrafbarkeit der Kinder- und Jugendhilfe bei familiärer Kindeswohlgefährdung (2008); vgl. auch BTDrucks. VI/1552 S. 14. 55 Fischer § 225 Rdn. 4; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben § 225 Rdn. 7; Dippel LK12 Rdn. 5. Die Auffassung, ein Fürsorgeverhältnis zwischen den Beamten der Strafanstalten und ihren Gefangenen sei zu verneinen, weil die Beamten nicht auch für geistige Wohl der Gefangenen zu sorgen hätten (vgl. z. B. Racke S. 23), ist überholt und lässt zudem die körperliche Fürsorgepflicht außer Betracht. 56 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 3; Fischer § 225 Rdn. 4; SSW/Wittig Rdn. 3; Racke S. 23. 57 Vgl. Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 3; Dippel LK12 Rdn. 6. Letztlich ebenso SSW/Wittig Rdn. 4: „Gesamtpflicht“. 619
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gendlichen zu gewährleisten.58 Als Maßstab können auch für außerfamiliär Verpflichtete die familienrechtlichen Bestimmungen über den Inhalt der Personensorge herangezogen werden (SSW/Wittig Rdn. 5; Neuheuser NStZ 2000 174, 175). Zu beachten ist immer der von Art. 6 Abs. 2 GG garantierte Vorrang den Eltern als Träger von Sorge und Erziehung; doch ist wesensbestimmend für das Grundrecht zugleich eine entsprechende Pflicht, so dass Eltern bei einem dem Wohl des Kindes zuwiderlaufenden Verhalten sich nicht auf ihr Elternrecht berufen können (BVerfGE 24 119, 138 ff).
26 aa) Fürsorgepflicht. Bei aller Schwierigkeit einer Abgrenzung wird sich die Fürsorgepflicht dahin bestimmen lassen, in erster Linie die gesunde körperliche Entwicklung zu gewährleisten,59 mithin dem Schutzbefohlenen Nahrung, Kleidung, Obdach, Pflege in hygienischer Hinsicht, gesundheitliche Begleitung,60 Schutz vor Übergriffen Dritter und Behandlung im Krankheitsfall zuteil werden zu lassen (vgl. BGHSt 2 348, 349). Auch die Pflicht zum Unterlassen schädigender Handlungen durch den Pflichtigen selbst zählt dazu, weiter die allgemeine Aufsichtspflicht im Sinne einer Abwehr von Schädigungen durch Unfall und Unachtsamkeit, welche in besonderem Maße vom Alter des Schutzbefohlenen abhängig ist.61 Gefordert ist ein Mindestniveau,62 das sich an der Bedeutung für die Entwicklung des Kindes oder Jugendlichen und dem Maß potentieller Gefährdung ausrichtet. Hinsichtlich der materiellen Ausstattung kommt es nicht etwa an auf den Lebensstandard des Pflichtigen; der Wohlhabende kann sich ohne Verstoß gegen seine Pflicht geizig zeigen, sofern keine äußere Verwahrlosung (die ihrerseits zur Tatbestandserfüllung indes noch nicht ausreichen würde), Mangelernährung oder anderweitige Gesundheitsgefahren durch Nichtversorgung drohen. Das Maß erforderlicher Pflege kann auch nicht abhängen von der – etwa neben einer Erwerbstätigkeit – verfügbaren Zeit. Je gravierender sich die drohenden Gefahren darstellen, desto mehr ist der Pflichtige gefordert. Für die Abwendung von erheblichen Schädigungen durch die Umwelt – etwa durch die Gefahren des Straßenverkehrs, sexuelle Übergriffe des eigenen Partners, Suizidalität des Schutzbefohlenen infolge Mobbing – hat der Pflichtige alles ihm Mögliche und Zumutbare zu leisten, ohne sich auf andere Handlungsprioritäten zurückziehen zu können. Im Bedarfsfall, auch bei 58 Soweit die Pflichten teilweise negativ aus dem „besonderen Zweck heraus, nämlich der Vermeidung erheblicher Entwicklungsschäden in körperlicher oder psychischer Hinsicht“ hergeleitet werden (Wolters SK Rdn. 11, zustimmend Dippel LK12 Rdn. 6; s. für die Fürsorgepflicht auch Ritscher MK Rdn. 5: reaktive Abwehrpflicht), kann dem nicht gefolgt werden. Die Pflichten sind nicht – insoweit auch zirkulär – ausgerichtet an strafbewehrten Folgen; sie reichen weiter als ihr bloßes Spiegelbild negativer Auswirkungen. Der Verhaltensauftrag an die Fürsorge- und Erziehungspflichtigen, das Kind oder den Jugendlichen auf seinem Weg in die Mündigkeit zu unterstützen und ihm mit Rat und Tat zur Seite zu stehen (so zutreffend Ritscher MK Rdn. 3), besteht umfassend und entsprechend den individuellen Bedürfnissen des Schutzbefohlenen; nur ausschnitthaft greift § 171 besonders schwerwiegende Pflichtverletzungen heraus. 59 So die h. M., s. Wolters SK Rdn. 12; Ritscher MK Rdn. 5; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 3; Neuheuser NStZ 2000 174, 175. 60 Hierzu zählen Selbstverständlichkeiten des Alltags wie etwa, ein (Klein-)Kind nicht für längere Zeit ungeschützt starker Sonneneinstrahlung auszusetzen, aber auch, Vorsorge- und erforderlichenfalls weiterreichende Untersuchungen durchführen zu lassen, insbesondere wenn sich Anhaltspunkte für Entwicklungsverzögerungen ergeben. 61 Vgl. § 1631 Abs. 1 BGB; Huber MK BGB § 1631 Rdn. 8 f. Eltern, die beständig ihr Kleinkind nicht von Töpfen kochenden Wassers in der Küche fernhalten oder ein Kind im Vorschul- und Grundschulalter beim Fahrradfahren auf öffentlichen Straßen nicht zur Vorsicht anleiten, könnten demnach bei einem schlussendlichen Unfall nach § 171 herangezogen werden. S. auch Rdn. 28. 62 Anders Wolters SK Rdn. 12 und Dippel LK12 Rdn. 6: Norm sei „das jeweilige Optimum“ und das „äußerst Erreichbare“, wobei unklar bleibt, ob dieses objektiv oder nach den subjektiven Möglichkeiten des Adressaten zu bemessen ist; doch selbst im letzteren Fall kann diesem im persönlichen Bereich der Fürsorge nicht als ggf. strafbewehrte Pflicht auferlegt sein, diese unter maximaler Anspannung seiner Fähigkeiten zu erbringen. Der Maßstab trifft allerdings umso eher zu – und ist möglicherweise auch dahin zu verstehen –, je gravierendere Schäden drohen, s. sogleich. Wiedner
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II. Objektiver Tatbestand
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drohenden eigenen Schädigungen, hat er professionelle Hilfe, etwa durch Beratungsstellen, Jugendamt oder Polizei hinzuzuziehen. Gleiches gilt für eine Behandlung im Krankheitsfall oder die Förderung bei körperlichen Einschränkungen. Hier muss der Pflichtige von den im Gesundheits- und Sozialwesen verfügbaren Möglichkeiten umfassend Gebrauch machen; dies reicht von rechtzeitigem Erkennen eines Behandlungsbedarfs bis zum Austherapieren durch die körperliche – und psychische – Entwicklung stabilisierende Rehabilitationsmaßnahmen (zutreffend Wolters SK Rdn. 12). Bei Behinderung oder chronischer Krankheit ist an eigene Pflege- und Unterstützungsmaßnahmen zwar wiederum nur der Maßstab der Zumutbarkeit anzulegen; doch kann auch hier ein Unterlassen des überforderten Pflichtigen bedeutsam werden, der Hilfsmöglichkeiten nicht wahrnimmt. Auch wenn § 171 nach vorherrschender Auffassung weder dazu bestimmt noch überhaupt 27 geeignet sein soll, das Ausbleiben menschlicher Zuwendung zu ahnden,63 umfasst die Fürsorgepflicht doch eine pflegerische-psychisch Komponente. Ein Mindestmaß an Hinwendung und Beachtung ist dem Pflichtigen daher abzufordern; denn Fürsorge meint auch die Sorge für die geistige und seelische Entwicklung.64 Wie generell kommt es für die Frage einer Strafbewehrung allerdings auf eine gröbliche Verletzung der Pflicht an. Wie bloße Gefühlskälte, Unfreundlichkeit und autoritäres Verhalten bereits keinen rechtlich fassbaren Pflichtverstoß darstellen können, sind umgekehrt Fallgestaltungen vorstellbar, in denen extremer Entzug emotionaler Zuwendung gravierende Folgeschäden (Hospitalismus, Kaspar-Hauser-Syndrom) nach sich ziehen kann, und die damit nach § 171 zu ahnden sind.
bb) Erziehungspflicht. Die Erziehungspflicht umfasst die Anleitung des Schutzbefohlenen 28 in seiner körperlich-seelischen Entwicklung.65 Während hierzu im Säuglings- und Kleinkindalter der Spracherwerb und die Zueignung basaler körperlicher und hygienischer Fähigkeiten zählen, sind für das höhere Alter hauptsächlich der Zugang zu Bildung durch Gewährleistung des Schulbesuchs, die Hinführung zu allgemeiner Lebenstüchtigkeit und das Fernhalten von entwicklungsgefährdenden Einflüssen und Lebensumständen umfasst. Dies umfasst auch die Gewährleistung einer ungestörten sexuellen Entwicklung. Angesichts der tatbestandlichen Hervorhebung in § 171 Alt. 3 ist dabei insbesondere die Pflicht zu benennen, den Schutzbefohlenen erzieherisch mit Grundlagen auszustatten, die ihm ein Verständnis und die Respektierung des geltenden inländischen Normsystems ermöglichen.66 Das Gesetz legt nicht fest, auf welche Weise der Pflichtige diese Ziele erreichen kann, son- 29 dern lässt ihm entsprechend der grundrechtlichen Gewährleistung des Elternvorrangs (Art. 6 Abs. 2 GG) und der in pluralistischen Gesellschaften ohnehin unzulässigen Eingrenzung auf eine „richtige“ Erziehung einen weiten Spielraum. Maßstab und Begrenzung bildet, ob die angewandten Methoden und Konzepte noch mit grundlegenden Wertvorstellungen der Rechtsordnung vereinbar sind.67 Als nicht pflichtverletzend stellen sich demnach alle Erziehungsmodelle und -inhalte dar, die noch als vertretbar und nicht schädigend gelten können, 63 BGH MDR 1979 949; Ritscher MK Rdn. 2; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 1; Dippel LK12 Rdn. 3; aA Wolf FPR 2001 349.
64 Vgl. Huber MK BGB § 1631, Rdn. für § 1631 BGB; Staudinger/Salgo § 1631 Rdn. 22. 65 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 3; Wolters SK Rdn. 13; Ritscher MK Rdn. 5; SSW/Wittig Rdn. 4; Neuheuser NStZ 2000 174, 175. Grundlegend Ossenbühl S. 48; Hodes S. 15; Bettermann/Nipperdey/Scheuner/Peters S. 381, Dippel LK12 Rdn. 7: Erziehung bildet die formende geistig-seelische Einwirkung der Eltern auf die Kinder, die ihre Anlagen und Fähigkeiten zur Entfaltung bringt und sie zur Reife der Selbstbestimmung führt. Krit. Maurach/Schroeder/ Maiwald BT 2, § 63 Rdn. 51 zur Aufnahme der als Leerformel angesehenen Attributierung einer „richtigen“ Entwicklung. 66 SSW/Wittig Rdn. 5; Neuheuser NStZ 2000 174, 175. Dies gilt auch für im Ausland sozialisierte Erziehungsberechtigte, die nicht ausschließlich dort vorherrschende Rechts- und Kulturmaßstäbe vermitteln dürfen, wenn sie inländischen eklatant widersprechen und zu den in § 171 bezeichneten Gefahren führen. 67 Ritscher MK Rdn. 5; s. auch SSW/Wittig Rdn. 1 mit Verweis auf den Ultima-Ratio-Charakter des Strafrechts. 621
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§ 171 StGB
Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht
auch wenn sie dem Stand aktueller Sozialpädagogik oder der gesellschaftlichen Mehrheitsauffassung widersprechen.68 Die Reichweite besteht etwa von einem durch weitgehendes Gewährenlassen und größtmögliche Respektierung kindlicher Autonomie69 geprägten Erziehungsstil bis hin zu einer konservativ-strengen, rigiden Erziehung mit vielfältigen Vorgaben und engmaschiger Überwachung.70 Eine nicht-ordnungsgemäße Erziehung im rechtlichen Sinne liegt auch nicht schon dann vor, wenn Kinder und Jugendliche in einem randständigen Milieu aufwachsen und die Mühewaltung der Erziehungsberechtigten gering erscheint, weil etwa keine werteorientierte Erziehung stattfindet und Kinder häufig durch einen übermäßigen Medienkonsum „ruhiggestellt“ werden. Die Erziehungspflicht dient schließlich auch nicht der Ausgrenzung bestimmter Weltanschauungen oder Gebräuche; verpflichtet ist der Erziehungsberechtigte nicht zu religiöser oder politischer Neutralität und Objektivität, oder zur Anpassung an herkömmliche gesellschaftliche Gepflogenheiten (vgl. Ritscher MK Rdn. 8). So beeinträchtigt – schon nach dem Grundrecht der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 GG) – die Zugehörigkeit der Erziehungsberechtigten zu einer lebensprägenden Glaubensrichtung oder sektiererischen Strömungen weder seine Erziehungseignung, noch ist ihm nach § 171 untersagt, seine Anschauung dem Schutzbefohlenen zu vermitteln (s. aber Rdn. 30, 44).71 Erst recht sind moralische Vorstellungen von dem strafrechtlichen Schutz nicht umfasst, wenngleich es eine Fehlannahme wäre, dass – etwa im Bereich sexueller Fragen und dem damit einhergehenden Wandel – eine gänzlich von gesellschaftlichen Wertanschauungen losgelöste Betrachtung möglich wäre.72 Grenzen der dem Pflichtigen zuzubilligenden Freiheit sind dort zu ziehen, wo gegen gesetz30 liche Mindestvorgaben verstoßen wird, etwa gegen das Gebot gewaltfreier Erziehung nach § 1631 Abs. 2 BGB (vgl. hierzu eingehend Huber MK BGB § 1631 Rdn. 13 ff). Hierunter fallen nicht nur Körperstrafen, sondern auch rituelle Verstümmelungen wie Beschneidungen der weiblichen Genitalien (vgl. Ritscher MK Rdn. 7; zur Beschneidung der männlichen Vorhaut nach jüdischem oder islamischem Ritus s. § 1631d BGB). Die aus § 1631 Abs. 1 BGB folgende Pflicht zur Anleitung des Schutzbefohlenen wird verletzt, wenn es daran insgesamt fehlt, Kinder und Jugendliche ohne jegliche Anleitung weitgehend sich selbst überlassen bleiben. Ein Pflichtverstoß liegt auch in einer Beeinflussung des Kindes oder Jugendlichen hin zu einer rechts- oder linksradikalen, islamistischen oder rassistischen Einstellung mit zumindest latenter Gewaltbereitschaft; der Bereich der freiheitlichen Grundordnung, innerhalb derer sich Erziehungsrecht und -pflicht bewegen müssen, ist hier verlassen. Außerhalb des erzieherisch Vertretbaren bewegt sich schließlich wer Lebenswelt und Verhalten des ihm Schutzbefohlenen in extremer Weise an Religion und Weltanschauung ausrichtet, wobei die bloße Vermittlung abwegiger, sektie-
68 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 3; Wolters SK Rdn. 13; SSW/Wittig Rdn. 4; Ritscher MK Rdn. 5; Dippel LK12 Rdn. 7. 69 Schlagwortartig bezeichnet als „antiautoritäre Erziehung“. In den Bereich einer Pflichtverletzung geriete hier eine nur unter dem Deckmantel eines derartigen Konzeptes völlig unterbliebene Erziehung mit drohender Verwahrlosung und fehlender Entwicklungsförderung; vgl. die – letztlich nur terminologische – Uneinigkeit bei Wolters SK Rdn. 13 und SSW/Wittig Rdn. 4. 70 Die Grenze liegt hier bei einer durch Drill, Unterwerfung und drakonische Bestrafungen zu besorgenden Verfehlung einer Entwicklungsförderung. 71 Vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 1995 1511 und Urt. v. 31.1.1996 – 4 UF 163/95 (juris) = KirchE 34 (2000) 27; OLG Stuttgart FamRZ 1995 1290; OLG Oldenburg, Beschl. v. 3.7.1996 – 11 UF 23/96 (juris) = KirchE 34 (2000), 223; OLG Celle, Beschl. v. 22.10.1996 – 17 UF 177/95 (juris) = KirchE 34 (2000) 400 jeweils zur Zugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas. Dazu OLG Celle KirchE 34 400, 401, OLG Düsseldorf KirchE 33 32, 34 ff und 34 27 sowie OLG Oldenburg KirchE 34 223, 224; 34 424, 425; OLG Frankfurt FamRZ 1994 920; OLG Düsseldorf FamRZ 1995 1511; OLG Hamburg, Beschl. v. 21.6.1995 – 15 UF 215/94 (juris) = KirchE 33 (1998), 231; OLG München, Beschl. v. 16.7.1992 – 12 UF 1232/ 91 (juris); OLG Celle, Beschl. v. 22.10.1996 – 17 UF 177/95 (juris) = KirchE 34 (2000), 400, 401. 72 S. etwa BGHSt 3 256, wo bereits die Kenntnis der Schutzbefohlenen von Übernachtungen der verheirateten Eltern bei einem jeweils anderen Partner zum strafrechtlichen Vorwurf gereichte. Wiedner
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II. Objektiver Tatbestand
StGB § 171
rerische Vorstellungen nicht ausreicht, das Kind oder der Jugendliche vielmehr zu einem hieran ausgerichteten, seiner Entwicklung schadenden Verhalten veranlasst werden muss.73
cc) Abhängigkeit von der Stellung des Normadressaten. Gegenstand und Umfang der 31 Pflichten bestimmen sich zudem wesentlich nach der Stellung des verpflichteten Normadressaten und – naturgemäß – dem Entwicklungsstand des Kindes oder Jugendlichen. Sie können abhängig vom Gehalt und der Ausgestaltung des Grundverhältnisses zeitlich oder sachlich begrenzt sein (Fischer Rdn. 3). Umfassende Fürsorge und Erziehung obliegt den Personensorgeberechtigten, mithin regelmäßig den Eltern. Den nur Umgangsberechtigten trifft eine Pflicht dagegen nur für die Zeit der Überlassung des Schutzbefohlenen; ebenso verhält es sich mit Betreuern, Tagesmüttern und anderen nur zeitlich begrenzt verantwortlichen Personen. Je kürzer das Anvertrautsein, desto eher wird eine bloße Fürsorge gefordert sein. Kitamitarbeitern obliegt Fürsorge und Erziehung, Lehrern vorrangig letzteres. Die Pflichten werden allerdings immer auch dahin zu bestimmen sein, welches schadensabwehrende Verhalten mit einer Obhut einhergehen muss, und welches Einwirkung zu unterbleiben hat. So schuldet ein Lehrer grundsätzlich nur Erziehung, nicht die körperliche Versorgung seiner Schüler, wird aber gehalten sein, im Sportunterricht und bei Ausflügen die ausreichende Aufnahme von Flüssigkeit sicherzustellen, wenn ansonsten Schäden drohen. Wird ihm von einem Schüler glaubhaft von häuslichem Missbrauch, Misshandlung oder fehlender Grundversorgung berichtet, kann er – obwohl nicht der zeitliche und sachliche Rahmen der eigenen originären Pflicht betroffen ist – gehalten sein, Polizei oder Jugendamt einzuschalten (vgl. insoweit den Sachverhalt bei OLG Düsseldorf NStZ-RR 2001 199). Eine nur beaufsichtigende Obhut ohne Erziehungspflicht enthält gleichwohl die Pflicht, das anvertraute Kind oder den Jugendlichen nicht durch Drogen – „Kostenlassen“ von Haschisch oder Alkohol – oder die Vermittlung radikaler Anschauungen zu schädigen. Garantenpflichten von Behördenmitarbeitern bestehen nur in ihrem Aufgabenbereich, namentlich der Abwehr von Schädigungen, deren Gefahr ihnen bekannt ist. Auf Seiten des Schutzbefohlenen ist nicht allein das Alter für die sich damit wandelnden Anforderungen an das Pflichtprofil maßgeblich, sondern auch der individuelle Entwicklungsstand, besondere Fähigkeiten und – auch gesundheitliche – Einschränkungen.
dd) Kulturelle Vorprägung. Keinen Einfluss auf den Pflichtenmaßstab hat die kulturelle Vor- 32 prägung des Pflichtigen. Sie kann zu einer – strafrechtlich unbeachtlichen – Schwerpunktsetzung bei Fürsorge und Erziehung führen, verschiebt aber nicht den Bereich, ab welchem eine Pflichtverletzung angenommen werden muss, da hierfür allein inländische Wertevorstellungen nach Maßstab der freiheitlichen Ordnung des Grundgesetzes und inländischer Gesetze maßgeblich sind. Ob Körperstrafen, Kinderehen, Genitalverstümmelungen, das Fernhalten von staatlichen Schulen oder soziale Isolierung von – vor allem weiblichen – Heranwachsenden im Herkunftsgebiet als üblich oder akzeptiert gelten, ist demnach gleichgültig.74
2. Tathandlung: Gröbliche Pflichtverletzung a) Gewicht des Verstoßes. Die Tathandlung besteht in einer gröblichen75 Verletzung der 33 Fürsorge- oder Erziehungspflicht. Ob hierin gegenüber einer „einfachen“ Pflichtverletzung eine weitere Einschränkung des Tatbestandes zu erblicken ist, oder Verletzungshandlun73 Etwa das Anhalten zum Missionieren, Zwang zu einer den Schulbesuch oder schulisches Lernen verdrängenden religiösen Unterweisung; vgl. Fischer Rdn. 6 a. E.; Sch/Sch/Bosch/Schittenhelm Rdn. 8; Dippel LK12 Rdn. 19. 74 Kuhli MR Rdn. 5; Fischer Rdn. 5; Ritscher MK Rdn. 16. 75 S. zu dem Merkmal allgemein Maiwald GA 1974 262 f. 623
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gen angesichts der für Pflichtverstöße schon generell hohen Anforderungen qualitativ hinreichend zur Ausfüllung des Tatbestandes sind, wird unterschiedlich beurteilt.76 Zutreffenderweise liegt nicht bereits in jeder einmaligen Vernachlässigung der Fürsorge oder in jeder erzieherischen Fehlleistung, die bereits als Pflichtverstoß eingeordnet werden muss, unmittelbar ein strafrechtlich tatbestandsmäßiges Verhalten (zutreffend Ritscher MK Rdn. 9 unter Verweis auf das Ultima-ratio-Prinzip des Strafrechts). So ist zwar schon die Schwelle zur einfachen Pflichtverletzung jedenfalls im Erziehungsbereich wegen des insoweit bestehenden Spielraumes hoch anzusetzen (s. Rdn. 29 f). Auch eine derartige Pflichtverletzung muss aber, selbst wenn sie zu einer erheblichen Schädigung oder hochgradigen Gefährdung führt, nicht gröblich sein,77 wie umgekehrt „einfache“ Pflichtverstöße, so sie dauerhaft oder wiederholt erfolgen, sich zu einem gröblichen Verstoß aufsummieren können.78 Eine Unterscheidbarkeit ist damit sehr wohl gegeben. 34 Auf eine griffige Formel, wann einer Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht das von § 171 geforderte Gewicht zukommt, lässt sich die Tathandlung nicht bringen; gefordert ist einmal mehr eine Einzelfallbetrachtung, aus der sich eine besondere Vorwerfbarkeit in objektiver und subjektiver Hinsicht ergeben muss (Fischer Rdn. 4). Objektiv wird der gröbliche Pflichtverstoß dabei im Extremen zu suchen sein: Er muss aus einem besonders schwerwiegenden Fehlverhalten bestehen, das den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Fürsorge oder Erziehung deutlich widerspricht (vgl. Wolters SK Rdn. 13; Sch/Schröders/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4; Neuheuser NStZ 2000 174, 178), wobei sich diese Wertung aus einer einmaligen, besonders gravierenden Fehlleistung79 oder aus kontinuierlichen Pflichtverletzungen von für sich betrachtet geringerer Schwere ergeben kann (s. BGHSt 2 348; 8 92, 95; BGH NStZ 1982 328). So wird sich eine einzelne Verletzungshandlung, mit Bedacht und erheblichen Folgen ausgeführt, schon für sich genommen als tatbestandsmäßig erweisen, wie andererseits wiederholte oder dauerhafte Pflichtverletzungen, etwa eine ständige Unterversorgung mit Nahrung, die wiederholte Verleitung zu Alkohol- und Drogenmissbrauch oder die zeitüberdauernde Vorenthaltung von Schulbildung, nur in ihrer Gesamtschau eine derartige Wertung zulassen. Im empirischen Regelfall wird sich erst aus mehrfachen oder zeitüberdauernden Pflichtverstößen der Rückschluss auf eine Gröblichkeit ziehen lassen (vgl. BGHSt 8 92, 95; Ritscher MK Rdn. 10; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2). In subjektiver Hinsicht muss die Tathandlung gemessen an den Möglichkeiten des Täters von einem erhöhten Maß an Verantwortungslosigkeit geprägt
76 Dafür Ritscher MK Rdn. 9; SSW/Wittig Rdn. 7; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2, § 63 Rdn. 54; wohl auch Wolters SK Rdn. 12. Dagegen Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4; Dippel LK12 Rdn. 13 jeweils mit der Erwägung, dass sich angesichts der vom Gesetz geforderten Folgen die zugrundeliegende Pflichtverletzung stets als gröblich wird einordnen lassen. Dem ist indes zu widersprechen: Fordert das Gesetz eine bestimmte Handlungsqualität und einen besonderen Erfolg, ist ein Rückschluss von letzterem auf erstere nur statthaft, wenn sich die Tatfolge spezifisch nur aus einer bestimmten Handlungsart ergeben kann. Eine solche – dann in den gesetzlichen Voraussetzungen letztlich redundante – Ununterscheidbarkeit scheidet hier schon deshalb aus, weil der Gefährdungserfolg völlig unabhängig von einem dem Pflichtigen zuzurechnenden Verhalten eintreten kann. 77 So kann schon eine kurze – durchaus pflichtwidrige, aber bei Bewertung der individuellen Vorwerfbarkeit nicht hoch anzusetzende – Vernachlässigung der Aufsichtspflicht schwerste Folgen nach sich ziehen, etwa im Straßenverkehr, bei einem Bergausflug oder beim Schwimmen, vgl. Ritscher MK Rdn. 9; SSW/Wittig Rdn. 7; s. auch das Fallbeispiel bei Schramm Ehe und Familie im Strafrecht, S. 358 f. Auch kann ein einmalig hochriskantes, pflichtwidriges Verhalten unabhängig von der Gefahr einer Entwicklungsschädigung bereits die Bewertung als „gröblich“ nicht verdienen, s. hierzu die Fallgestaltung bei KG JR 1975 297, zum Sachverhalt s. Fn. 82. 78 Vgl. BGHSt 8 92, 95; BGH NStZ 1982 328; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4; Ritscher MK Rdn. 10 und SSW/Wittig Rdn. 7: („Wechselwirkung“); Schroeder JZ 1972 651, 652; Schramm, Ehe und Familie im Strafrecht, S. 359. 79 BGH NStZ 1982 328 unter Verweis auf BTDrucks. VI/3521 S. 16; Fischer Rdn. 4; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4; Dippel LK12 Rdn, 13: „hochgradige, folgenschwere Pflichtverletzung“; Schramm Ehe und Familie im Strafrecht, S. 359. Wiedner
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II. Objektiver Tatbestand
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sein80 und hinter seiner individuellen Leistungsfähigkeit eindeutig zurückbleiben (vgl. Lackner/ Kühl/Heger Rdn. 2), wie bei übergriffigen Handlungen oder mangelnder Versorgung regelmäßig anzunehmen sein wird, bei gefordertem Einschreiten gegen Fehlentwicklungen aber problematisch sein kann. Die subjektiven Möglichkeiten sind zu beurteilen anhand der individuellen Lebensumstände und persönlichen Fähigkeiten, wobei schlechte Organisation und charakterlich angelegte Sorglosigkeit nicht entlasten (s. auch Rdn. 37). Wohl aber können Ausnahmesituationen gegen eine subjektiv gröbliche Pflichtverletzung sprechen, etwa eine akute Überforderung aufgrund äußerer, dem Täter nicht zuzurechnender Umstände,81 oder eine psychische, etwa depressive Disposition des Täters, die die Schwelle der §§ 20, 21 noch nicht erreicht. Einmalige Unachtsamkeiten, riskante Handlungen und Selbstüberschätzungen reichen zur 35 Qualifizierung als gröblich nicht aus, selbst wenn sie ein hohes Gefahrpotential bergen.82 Nicht angängig ist es, vom Erfolg der erheblichen Entwicklungsbeeinträchtigung auf die Schwere des Pflichtverstoßes rückzuschließen (so aber Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4, s. bereits Rdn. 33 mit Fn. 76), auch wenn der Folge indizielle Wirkung beigemessen werden kann. Fehl ginge es auch, Bewertungen in Sorgerechtsstreitigkeiten, in denen der Maßstab lediglich das relativ höhere Kindeswohl bildet (§ 1671 BGB), als Indiz für eine mangelnde Fürsorge des unterliegenden Elternteiles zu nehmen, wenn nicht ein eindeutiges Fehlverhalten festgestellt ist. Weitreichende Überschneidungen ergeben sich dagegen mit den Voraussetzungen für Maßnahmen nach § 1666 BGB, so dass ein behördlich oder familiengerichtlich festgestellter belastender Sachverhalt Anlass für Nachforschungen auch seitens der Ermittlungsbehörden geben kann. Der Strafrichter vermag Feststellungen aus familienrechtlichen Erkenntnissen allerdings nur als Indiz zu werten, ohne von der ihm obliegenden strafprozessualen Tatsachenerhebung und -würdigung absehen zu können.
b) Tun und Unterlassen. Begangen werden kann die Pflichtverletzung durch Tun oder Unter- 36 lassen.83 Aktives Tun als Form der Tatbegehung ist bereits in dem Merkmal „in Gefahr bringt“ angelegt, das zuvorderst dahin verstanden werden kann, dass der Täter zur Entstehung der Gefahr als tatbestandlichem Erfolg aktiv beiträgt. Doch liegt eine Verursachung auch darin, dass die Entstehung eines Gefahrenzustandes nicht abgewendet oder ein bereits entstandener Gefahrzustand nicht unterbunden wird unabhängig davon, ob eine Entwicklungsschädigung schon erreicht ist.84 Die Qualität der Pflichtverletzung kann sich in beiden Varianten erst aus Vernachlässigungen über einen längeren Zeitraum ergeben, wenn etwa dauerhaft keine ausreichende Nahrung zugeführt, ein Kind kontinuierlich isoliert wird oder seine Indoktrinierung mit radikalen Anschauungen erfolgt. Erforderlich ist bei solch schleichenden Pflichtverletzungen, dass tatrichterlich hinreichend konkrete Feststellungen zu dem Verhalten des Pflichti80 Vgl. OLG Düsseldorf NStZ-RR 2001 199, 200; Fischer Rdn. 5; Ritscher MK Rdn. 11; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4; Frommel NK Rdn. 6; Neuheuser NStZ 2000 174, 178; Dippel LK12 Rdn. 13; s. auch Wolters SK Rdn. 12 und Schramm Ehe und Familie im Strafrecht, S. 359 („Gesinnungsmoment“). 81 Etwa eine Erkrankung des miterziehenden Partners mit daraus folgender erheblicher Mehrbelastung. Die durch die Corona-Pandemie im familiären Bereich verursachten Mehrbelastungen können Vernachlässigungen von Aufsicht und allgemeiner Verletzung der Fürsorge rechtfertigen, nicht aber eine gravierende Unterversorgung und ein dauerhaftes Sich-selbst-Überlassen der Schutzbefohlenen. Anders liegt es im schulisch-erzieherischen Bereich, s. hierzu Rdn. 31. 82 Vgl. die vielzitierte, zutreffende Entscheidung KG JR 1975 297, in der ein tatbestandliches Verhalten nach § 170d verneint worden war: Ein Vater hatte seinen mit Seilen um Schulter und Taille notdürftig gesicherten sechsjährigen Sohn von der Dachluke ein 45° schräges Dach hinunterkriechen und die Dachrinne reinigen lassen, ohne dass das Kind hierzu gezwungen worden war. Zustimmend Blei JA 1975 162 f; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2, § 63 Rdn. 54; Dippel LK12 Rdn. 13. 83 S. bereits Rdn. 14; Fischer Rdn. 4; Ritscher MK Rdn. 6; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4. 84 Ritscher MK Rdn. 6; Dippel LK12 Rdn. 8; enger Wolters SK Rdn. 10: Herausbringen aus Gefahr sei nicht geschuldet. Näher Bohnert ZStW 2005 290, 301 ff. 625
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gen und seinen Auswirkungen auf den Schutzbefohlenen über den Tatzeitraum getroffen werden, so dass sich aus der Aufsummierung die Wertung als gröbliche Pflichtverletzung erschließt (s. BGH MDR 1979 949 zu nur pauschalen Angaben). Auch isolierte Pflichtverletzungen müssen so genau beschrieben werden, dass sich daraus eine Vorstellung von der konkreten Situation und ihrer Wirkung auf den Schutzbefohlenen ergibt (BGH MDR 1979 949). So genügt beispielsweise nicht die pauschale Feststellung, der Schutzbefohlene sei zum Betteln an- und vom Schulbesuch abgehalten worden (Wolters SK Rdn. 5); auch sexualbezogene Pflichtverletzungen sind wegen der hohen Abhängigkeit vom Alters- und Entwicklungsstand des Kindes oder Jugendlichen und der Art und Intensität der sexuellen Handlung erforderlichenfalls genau darzulegen.85 Im Falle des Unterlassens reicht es nicht aus, dass die Pflichtenstellung des Täters sich auf 37 die Abwendung des Gefahrenzustandes bezieht; hinzutreten muss, dass der Täter die tatsächlichen Möglichkeiten hierzu gehabt hat, und dass Einwirkungsmöglichkeiten prognostisch zu einem Abwendungserfolg geführt hätten.86 Problematisch kann sich dieses Erfordernis in praktischer Hinsicht erweisen, weil dem Strafrichter abzuverlangen ist, konkrete Handlungen zu benennen, mit denen der Täter in zumutbarer und erfolgversprechender Weise gegen das Fehlverhalten oder einen gefährdenden Zustand seines Schutzbefohlenen hätte einschreiten können. Bei sich aufdrängenden Maßnahmen, etwa ohne weiteres zu erlangenden medizinischer Hilfe oder dem Entziehen des Schutzbefohlenen aus dem Einwirkungsbereich gewalttätiger oder missbrauchender Erwachsener im Umfeld des Pflichtigen ist eine Feststellung noch leicht zu treffen; so ist bei Misshandlungen oder Missbrauch durch Dritte dem Pflichtigen abzuverlangen, notfalls unter behördlicher Hilfe und der Anbringung von Strafanzeigen einzuschreiten (zutreffend Frommel NK Rdn. 8). Bei älteren, sich der Schutzaltersgrenze annähernden Jugendlichen mit eigener Verhaltensdynamik werden sich konkrete Maßnahmen dagegen häufig nicht ohne weiteres benennen lassen. Auf das allgemeine Fehlen von Aufmerksamkeit, Zuwendung und Einwirkung zu verweisen, reicht dabei nicht aus (Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4). Bei Entwicklungsrückständen darf nicht schlechterdings oder anhand einzelner erzieherischer Fehlleistungen auf eine Verantwortlichkeit der Erziehungsverpflichteten geschlossen werden (BGH MDR 1979 949). Die – immer bestehende – Möglichkeit bloßer Ermahnungen wird umso weniger ausreichen, je gravierender und verfestigter sich das Fehlverhalten darstellt; ein Mittel reicht zumal dann nicht aus, wenn es bereits erfolglos ergriffen wurde. Vielmehr muss die Handlung aus der Ex-ante-Betrachtung eines objektiven Betrachters geeignet sein, die drohende Gefahr abzuwenden oder zumindest erheblich herabzusetzen (Neuheuser NStZ 2000 174, 176 unter Verweis auf den Maßstab bei § 323c). Zugleich sind die Anforderungen nicht zu überspannen: Die Möglichkeit einer sicheren Erfolgsabwendung ist nicht zu fordern. Ausreichend kann etwa sein, dass durch Kombination mehrerer Maßnahmen, etwa eine engmaschige Beaufsichtigung, die Beiziehung professioneller externer Hilfe, etwa durch Jugendamt oder Jugendpsychologen, und einen Schulwechsel oder Umzug eine sehr hohe realistische Wahrscheinlichkeit der Gefahrherabsetzung und damit – bezogen auf den tatbestandlichen Gefährdungserfolg – einer Erfolgsabwendung gegeben wäre (noch enger OLG Düsseldorf NStZ-RR 2001 199, 200 f). Dabei sind als Korrektiv die subjektiven Möglichkeiten aufgrund der Lebensumstände des Pflichtigen einzubeziehen, die ihrerseits wiederum darauf zu überprüfen sind, ob sie nicht vorwerfbar so eingerichtet sind, dass sie der Pflichtverletzung Vorschub leisten.87 Zur Tat85 Dass eine Feststellung unzureichend wäre, die Mutter habe in Gegenwart eines Schutzbefohlenen mit verschiedenen Männern geschlechtlich verkehrt, wird sich allerdings nur bei Jugendlichen sagen lassen (vgl. Wolters SK Rdn. 9), während sie bei einem Kind unter 10 Jahren, so es die Handlungen wahrnahm, ausreichend sein kann. Vorbildlich die Feststellungen bei BGH NStZ 1995 178. 86 Ritscher MK Rdn. 6; Neuheuser NStZ 2000 174, 176 ff; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2, § 63 Rdn. 52. 87 Einem alleinerziehenden Berufstätigen werden etwa keine engmaschigen Überwachungspflichten gegenüber einem sich in kriminogenem Freundeskreis bewegenden Teenager auferlegt werden können; konzentriert sich der Erziehungs- und Fürsorgepflichtige dagegen ohne wirtschaftliche Not auf sein berufliches Fortkommen, und gerät die Entwicklung des ihm Schutzbefohlenen dabei aus dem Blick, kann ihm dies zum Vorwurf gereichen. Wiedner
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II. Objektiver Tatbestand
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bestandsverwirklichung kann auch führen, wenn nach dem vorgenannten Maßstab gegen den erreichten Zustand des Schutzbefohlenen durch den Pflichtigen zumutbar nichts mehr ausgerichtet werden kann, aber auf dem Weg dorthin keine hinreichenden Maßnahmen ergriffen wurden, sei es durch frühzeitige Bekämpfung einer später zu Dauerschäden führenden Krankheit, sei es durch die nicht rechtzeitige Einwirkung auf einen nun drogenabhängigen oder manifest in krimineller Szene verankerten Jugendlichen.
c) Einzelfälle. Zu Einzelfällen von Verstößen siehe bereits Rdn. 26 ff; die nachfolgend genann- 38 ten Fallgestaltungen werden sich unbeschadet einer Gewichtung im Einzelfall regelmäßig als gröblich darstellen:
aa) Fürsorgepflicht. Gröbliche Verstöße gegen die Fürsorgepflicht durch aktives Tun 39 kann das Zufügen körperlicher Verletzungen88 bilden, etwa durch übermäßige Körperstrafen,89 häufiges grundloses Schlagen (BGH NStE Nr. 1 zu § 170d), Quälen eines Kleinkindes (BGH NStZ-RR 2006 42), die Verursachung eines Schütteltraumas, Belassen eines Säuglings oder Kleinkindes für längere Zeiträume im Bett, so dass es sich kaum bewegen kann (vgl. RGSt 77 215), genitale Verstümmelung durch Beschneidung eines Mädchens (Fischer Rdn. 6; Ritscher MK Rdn. 6), sexuellen Mißbrauch (§§ 174, 176 ff, 182) durch den Pflichtigen oder die Förderung entsprechender Taten Dritter. Weitere Fallgestaltungen bilden das bewusste Belassen eines Kindes in hochgefahrgeneigter Umgebung mit schlussendlichem Eintritt einer Verletzung,90 und die Mitnahme eines Schutzbefohlenen in gefährliche Situationen (Kriegs- oder Katastrophengebiet, hochrisikoreicher Abenteuerurlaub, Gesellschaft gewalttätiger Personen), nicht aber schon dann, wenn Gefahrenquellen nicht schnell beseitigt werden, die Aufsichtspflicht kurzzeitig verletzt wird, oder wenn einmalig eine riskante Situation herbeigeführt wird (vgl. KG JR 1975 297: waghalsige Kletterei eines notdürftig gesicherten 6jährigen auf Hausdach). Wer das ihm anvertraute Kind der Betreuung einer Person überlässt, von dessen notorischer Unzuverlässigkeit in Bezug auf elementare Schutzpflichten oder von dessen Neigung zu Grobheiten und Unbeherrschtheiten er weiß, kann in gröblicher Weise pflichtwidrig handeln (BGH NStZ 1982 328). Gröbliche Verstöße infolge körperlicher Schädigungen können auch liegen in der wiederholten Verabreichung von Alkohol und Drogen an Kinder (BGH NStE Nr. 1 zu § 170d), und der Verleitung Jugendlicher zum übermäßigen Alkohol- und zum Drogenkonsum.91 Eine kontinuierliche körperliche Überbeanspruchung durch nicht altersgerechte Anstrengungen und Schlafentzug zählen dazu (Ritscher SK Rdn. 16), etwa auch das häufige Mitnehmen von Kindern in Kneipen, Bars o. ä. bis spät in die Nacht hinein (Fischer Rdn. 6; Ritscher MK Rdn. 8; Sch/ Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 8), das dauerhafte Wegsperren von Kindern unter tage- und nächtelangem Alleinlassen in abgeschlossener Umgebung, selbst wenn ihre Versorgung mit
88 Zusammenfassend aus ärztlicher und sachverständiger Sicht Parzeller/Zedler/Bratzke/Dettmeyer Rechtsmedizin 2010 179. 89 Hierdurch ist – ohne Änderung in der Sache – auch die Erziehungspflicht berührt. 90 Hierzu zählen bei kleineren Kindern auch die Verletzung elementarer Schutzregeln, die der besonderen Empfindlichkeit des Kindes Rechnung tragen, etwa das gelegentlich zitierte (Ritscher MK Rdn. 16; Dippel LK12 Rdn. 9) Mitnehmen eines Säuglings zu sehr lauten Konzertveranstaltungen, seine Ablage in zu großer Kälte oder Hitze, oder die Zuführung nicht altersgerechter Nahrung. 91 BGHSt 2, 348: Die Eltern ließen ihr Kind jahrelang bei häuslichen Festlichkeiten und Gasthausbesuchen Alkohol zu sich nehmen, wodurch allmählich krankhafte organische Veränderungen eintraten. BGHSt 8 92: Der Vater nahm seine zwölf und dreizehn Jahre alten Kinder auf Zechtouren mit, betrank sich in ihrer Gegenwart und ließ sie mittrinken. S. auch Fischer Rdn. 6; Wolters SK Rdn. 5; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4; Fischer Rdn. 6; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; Bottke S. 111; vgl. auch Prot. VI/33 S. 1199 f und VI/36 S. 1289 f. 627
Wiedner
§ 171 StGB
Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht
Nahrung sichergestellt ist,92 ihr „Abkapseln“ im häuslichen Bereich unter weitgehender Isolation von ihrer Umwelt,93 die Unterbringung unter schlechtesten hygienischen Bedingungen (vgl. auch BTDrucks. VI/3521 S. 15), die nicht nur kurzzeitige Fehl- oder Unterernährung,94 etwa durch nicht kontinuierliche Fütterung oder Verabreichung nicht altersgerechter Nahrung an einen Säugling oder ein Kleinkind, eine schwerwiegende Vernachlässigung der Versorgung eines Kleinkindes durch seine Vergnügen nachgehenden Eltern (BGH NJW 1951 282), allgemein die Herbeiführung eines dauerhaften Zustandes der Verwahrlosung, wie er die Voraussetzung für eine staatliche Fürsorgeerziehung nach § 64 JWG a. F. bildete.95 Herabwürdigende Äußerungen über den Schutzbefohlenen gegenüber Dritten können höchstens in langandauernden und von hoher Intensität geprägten Extremfällen, eher schon in Verbindung mit anderem dauerhaft herabsetzenden Verhalten eine Einordnung als schwerwiegender Pflichtverstoß rechtfertigen (s. aber Rdn. 44); anders liegt es bei entsprechenden Veröffentlichungen, insbesondere zusammen mit Photo- oder Filmmaterial im Internet und sozialen Netzwerken, wo die Dauerhaftigkeit und Prangerwirkung zu berücksichtigen sein wird (zutreffend Ritscher MK Rdn. 16). Die Weggabe eines Neugeborenen durch Ablage in eine Babyklappe oder die Wahrnehmung einer anonymen Geburt (s. hierzu näher § 169 Rdn. 90 ff) wird sich angesichts der gewährleisteten Versorgung des Kindes und der nicht pauschal annehmbaren psychischen Schädigung oder nur wahrscheinlichen Gefahr in späterem Alter aufkommenden Identitäts- und Herkunftsfragen nicht als gröbliche Pflichtverletzung einordnen lassen.96 Die Grenze zu einer gröblichen Verletzung der Fürsorgepflicht durch Unterlassen ist 40 fließend. Eine solche liegt generell vor, wenn der Pflichtige die ihm anvertrauten Schutzbefohle-
92 BGHSt 21 44 mit Anm. Dreher JZ 1966 577: Mehrtägige Abwesenheit der Mutter, die mit ihrem Freund Weihnachten feierte, und bei ihrer Rückkehr den zehn Monate alten Säugling tot, die vier und acht Jahre alten anderen Kinder mit schweren Unterkühlungen vorfand. RGSt 77 215: Die Mutter ließ ihr noch nicht vier Jahre altes Kind wiederholt und für längere Zeit – teilweise mehrere Tage und Nächte hintereinander – allein in einem eigenen Wohnungszimmer und im Zimmer eines Gasthauses. S. andererseits AG Tiergarten, Beschl. v. 3.9.2007 – (431 Ds) 19 Ju Js 524/07 (juris): Zweimaliges Alleinlassen von zwei- und siebenjährigen Kindern über Nacht von den Abendstunden bis vorund nachmittags in der abgesperrten Wohnung sei nicht ausreichend. S. auch Fischer Rdn. 6, Ritscher MK Rdn. 16, Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2, § 63 Rdn. 55; SSW/Wittig Rdn. 8; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 8; Sturm JZ 1974 1, 3; vgl. auch Prot. VI 36 S. 1282 und VI/1292 (Jacobi). 93 Hier sind allerdings ausreichend konkrete Feststellungen zu treffen. Vgl. BGH MDR 1979 949, wo für eine grobe Pflichtverletzung nicht als ausreichend angesehen wurde, dass ein Kind „weitgehend“ von seiner Umwelt ferngehalten wurde, es draußen kaum zu sehen war, die angeklagte Mutter sich um ihre körperlich ausreichend versorgte Tochter „nicht gekümmert“, sie im häuslichen Bereich „abgekapselt“ und das Kind auch bei Familienausflügen allein in der Wohnung zurückgelassen habe. 94 BGH NStE Nr. 1 zu § 170d: Der Angeklagte verlangte von seiner Lebensgefährtin unter Anwendung von Gewalt, das knapp werdende Geld für alkoholische Getränke und zum Kauf von Futtermitteln für seine Haustiere auszugeben, so dass der anderthalbjährige Sohn der Lebensgefährtin nicht mehr ordnungsgemäß ernährt werden konnte und schließlich ein erhebliches Untergewicht aufwies. LG Hamburg, Urt. v. 10.11.2011 – 604 Ks 15/11 (juris): Schleichende, chronische Unterernährung eines sechs bis zehn Monate alten Säuglings durch die Mutter mit Todesfolge. 95 Vgl. Sch/Sch/Bosch/Schittenhelm Rdn. 7; Dippel LK12 Rdn. 19, der zutreffend darauf hinweist, dass das unscharfe Merkmal des „sittlichen Wohls“ in § 170d nach den Vorstellungen sowohl des E 62 als auch des Regierungsentwurfs (BTDrucks. VI/1552) durch den Begriff der Verwahrlosung ersetzt werden sollte, dieser aber nur deshalb abgelehnt wurde, weil er den Tatbestand zu weit eingeengt hätte (vgl. Rdn. 3). Damit kann er aber als ein jedenfalls hinreichendes Merkmal für eine grobe Pflichtverletzung begriffen werden. 96 Str., wie hier Ritscher MK Rdn. 16 a. E.; SSW/Wittig Rdn. 7; Beulke FS Herzberg 605, 619; Bärlein/Rixen Kriminalistik 2001 55; aA Wolf FPR 2001 349; Dippel LK12 Rdn. 14 mit der Erwägung, dass die Trennung von der leiblichen Mutter Ursache für den Eintritt eines schweren psychischen Schadens sein kann. Eine ungewisse Möglichkeit wird die Annahme einer gröblichen Pflichtverletzung aber nicht rechtfertigen können, zumal bei heutiger jugendhilferechtlicher Fürsorge und Adoptionsnachfrage eine derartige Schädigung – nicht bloße temporäre Identitätskrisen – eher als gering wahrscheinlich zu veranschlagen sein dürfte. Auch im Fall der legalen geheimen Geburt ist die spätere Offenlegung der Identität nicht einschränkungslos gewährleistet, vgl. § 169 Rdn. 96. Wiedner
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II. Objektiver Tatbestand
StGB § 171
nen in gravierender Weise unzureichend unterbringt und versorgt,97 wenn er ein Neugeborenes bei Geburtsschäden oder später das Kind oder den Jugendlichen bei ernsthafteren Krankheitsanzeichen nicht ärztlicher Behandlung zuführt,98 oder wenn er es nicht vor einer Infektion mit einer ernsthaften ansteckenden Krankheit schützt,99 wobei ungeeignete, auf Aberglauben beruhende oder jedenfalls nicht naturwissenschaftlich fundierte Eigen-“Behandlungen“ oder ungeeignete Schutzmaßnahmen fehlender Hilfe gleichstehen. Eine medizinische Behandlung muss rechtzeitig erfolgen und den Möglichkeiten des Pflichtigen entsprechend auf die Gesundheitsstörung ausgerichtet sein; dabei scheiden solche von Krankenkassen nicht getragenen Maßnahmen – Operationen mit unsicherer Indikation, teure Spezialmedikamente, kostspielige Betreuung in einem Rehabilitationszentrum – aus, die außerhalb der finanziellen Möglichkeiten des Erziehungs- oder Fürsorgeverpflichteten liegen.100 Grob pflichtwidrig handelt auch, wer einen ihm bekannten erheblichen Alkohol- oder Betäubungsmittelmissbrauch des Jugendlichen nicht unterbindet,101 und wer das gemeinsame Kind nicht der Einwirkungsmöglichkeit des misshandelnden Elternteils entzieht (BGH FamRZ 2003 450; Maurach/ Schroeder/Maiwald BT 2, § 63 Rdn. 65; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4). Auch das fehlende Einschreiten gegen misshandelnde oder missbrauchende Dritte ist bereits wegen der jedenfalls durch eine Strafanzeige einfach zu erlangenden behördlichen Hilfe tatbestandlich; etwaige Belastungen des Schutzbefohlenen im Strafverfahren sind keine hinreichende Erwägung, Gegenmaßnahmen zu unterlassen (Frommel NK Rdn. 8). Durch Jugendamtsmitarbeiter ist eine Tatbestandserfüllung möglich, wenn eine Intervention in ihren Verantwortungsbereich fallen würde und trotz gravierender Hinweise auf Schädigungen durch primär Pflichtige keine Maßnahmen insbesondere nach dem SGB VIII ergriffen werden, die zu einer Gefahrabwendung gereicht hätten (vgl. OLG Düsseldorf NStZ-RR 2001 199 zur bloßen Fertigung eines Aktenvermerks).
bb) Erziehungspflicht. Die Erziehungspflicht ist durch aktives Handeln gröblich verletzt bei 41 massiven Körperstrafen wegen (vermeintlich) unbotmäßigen Verhalten, bei psychisch belastenden Strafritualen, bei kontinuierlichen körperlichen Überforderungen durch deutlich überbeanspruchende Mitarbeit in Haushalt und Betrieb oder durch übermäßiges sportliches Training, wobei auch fachliche Anleitung und Überwachung keine Rechtfertigung bieten (Fischer Rdn. 6; Wolters SK Rdn. 5).102 Ein grober Pflichtverstoß liegt in dem auf Dauer angelegten Abhalten eines schulpflichtigen Kindes vom Schulbesuch;103 dem gleichzustellen sind andere Maßnahmen, die die Wahrnehmung schulischer Pflichten hindern, etwa das Herbeiführen einer andau97 BGH NJW 1951 282; RGSt 77 215; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 55; Ritscher MK Rdn. 7. 98 Wolters SK Rdn. 12; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2, § 63 Rdn. 55; Ritscher MK Rdn. 16; Klimmek S. 79. 99 Vgl. BTDrucks. VI/3521 S. 15 und Prot. VI/35 S. 1180 (Wittmann). 100 So i. E. auch Wolters SK Rdn. 12, der als Maßstab für den Pflichtverstoß das Behandlungsoptimum fordert, und Eingrenzungen allein anhand des Merkmals „gröblich“ vornimmt. Allerdings dürfte es bei einer unterbliebenen Behandlung, die außerhalb des für den Pflichtigen Möglichen und Zumutbaren bleibt, bereits an einem Pflichtverstoß fehlen. 101 BGHSt 2, 348; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 IV Rdn. 52; Ritscher MK Rdn. 7. 102 Auch hier gilt allerdings, dass das Gift in der Dosis liegt. Eine saisonale Mitarbeit im landwirtschaftlichen Betrieb, die zeitweise erschöpfend sein mag, oder die bloße Förderung von Leistungssport bei einem dazu bereiten und damit nicht überforderten Kind oder Jugendlichen bildet bereits keinen Pflichtverstoß, wenn jeweils ein noch ausreichender Freiraum für schulische Erziehung und zur Regeneration verbleibt. 103 BVerfG NJW 2015 44, 45; Fischer Rdn. 6; Wolters SK Rdn. 13 mit dem zutreffenden Beispiel, dass die Tathandlung auch in der Vorlage von Scheinentschuldigen liegen kann; Ritscher MK Rdn. 16; SSW/Wittig Rdn. 8; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 8; Becker NJW 1952 1083; vgl. auch Prot. VI/35 S. 1258 f (Stille). Die Entziehung muss allerdings von gewisser Dauer sein, vgl. AG Tiergarten, Beschl. v. 3.9.2007 – (431 Ds) 19 Ju Js 524/07 (juris): Alleinlassen eines siebenjährigen Kindes über Nacht in der abgesperrten Wohnung mit der Folge, dass einmalig die Schule nicht besucht werden konnte, reicht nicht aus. 629
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§ 171 StGB
Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht
ernden Übermüdung und das Fernhalten von Hausaufgaben und Lernstoff. Die schulische Sondersituation infolge der Corona-Krise wird angesichts der zur Vermittlung von Lerninhalten im Homeschooling nicht ausgebildeten Eltern für einen strafrechtlichen Vorwurf regelmäßig nicht ausreichen. Ob anderes gilt, wenn dem Kind trotz bestehender Möglichkeit über die gesamte Zeit der Schulschließung keine Hilfe zuteil wurde und auch schulische Unterstützungen durch Bereitstellung von Unterrichtsmaterialien und -plänen, digitalen Lehrangeboten und Beratung nicht wahrgenommen wurden, ist Frage des Einzelfalles; hierfür spricht, dass die Schulpflicht nicht suspendiert war, sondern durch Fernunterricht mithilfe Lehrpersonal und Erziehungspflichtigen gewährleistet werden sollte, so dass letztere originäre Pflichten trafen, die an die Stelle jener zur Gewährleistung des Schulbesuchs traten und gleichrangig mit diesen zu erfüllen waren. 42 Grob pflichtwidrig ist das Anhalten zum Betteln,104 die Aufstachelung zu gewalttätigem Verhalten oder allgemein die systematische Förderung einer Begehung von Straftaten,105 gleich ob das Kind oder der Jugendliche unterstützend für Taten des Pflichtigen oder Dritter tätig werden oder selbst Taten begehen soll und hierzu angeleitet wird. Dazu zählt auch die Einbindung des Kindes in kriminelle Familienstrukturen, wobei es – ungeachtet der damit einhergehenden Nachweisprobleme – stets entweder einer aktiven Rolle des Schutzbefohlenen oder zumindest seiner Unterweisung in die Tolerierung und Gleichwertigkeit illegaler Verhaltensweisen bedarf (eingehend Neuheuser NStZ 2000 174). Angesichts der Hervorhebung eines kriminellen Lebenswandels als tatbestandlicher Erfolg wird generell eine an der Missachtung von (Straf-)Gesetzen ausgerichtete Erziehung einen gröblichen Pflichtverstoß darstellen. Nicht ausreichend ist die einmalige Aufforderung zu einer gering wiegenden oder Bagatelltat, etwa einem Ladendiebstahl geringwertiger Sachen, einem Urheberrechtsverstoß (§ 106 UrhG) durch Fertigung einer Raubkopie oder illegaler Verbreitung eines geschützten Werkes, zu einem Hausfriedensbruch durch Überwindung einer Einfriedung o. ä. (s. näher Rdn. 69, 71; zu streng BGH NJW 1952 476). 43 Weitere Fälle von § 171 sind das Vorführen von pornographischen oder gewaltverherrlichenden Photos oder Videos, auch unterhalb der Schwelle von § 131 (Ritscher MK Rdn. 16). Bereits von der Fürsorgepflicht untersagt sind sexuelle Handlungen des Pflichtigen selbst mit dem Schutzbefohlenen (§§ 174, 176 ff, 182), die Vermittlung an Dritte oder die Bestimmung zu geschlechtlichen Handlungen mit diesen (§ 180). Grob der Erziehungspflicht zuwiderlaufend ist generell die nicht altersgerechte Konfrontation mit Sexualität106 wie etwa häufiges Onanieren ohne Rücksicht darauf, dass es ein achtjähriges Kind wahrnimmt (BGH MDR 1964 772), die mehrfache Ausübung des Geschlechts- und Oralverkehrs in Gegenwart eines fünfjährigen Kindes (BGH NStZ 1995 178) oder das Fotografieren eines Kindes in sexualbetonten Stellungen (KG JR 1982 507; Ritscher MK Rdn. 16; Sch/Sch/Bosch/Schittenhelm Rdn. 8).107 Mit wachsendem Alter des Schutzbefohlenen wird allerdings nicht jede Wahrnehmung von Sexualkontakten Dritter einen gröblichen Pflichtverstoß darstellen; maßgeblich sind der konkrete Entwicklungsstand
104 Fischer Rdn. 6; Ritscher MK Rdn. 8; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 8; s. auch Prot. VI/35 S. 1267 (Heimrath). 105 Vgl. BGH NJW 1952 476: Aufforderung des Vaters, Holz für die Familie zu stehlen. 106 Vgl. Fischer Rdn. 6, Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2, § 63 IV Rdn. 55, Ritscher MK Rdn. 8; Sch/Schröder/ Bosch/Schittenhelm Rdn. 8; BTDrucks. VI/3521 S. 15, Prot. VI/35 S. 1265 (Heimrath) und Prot. V/35 S. 1281 (Wittmann). Der damit bezweckte Schutz einer ungestörten sexuellen Entwicklung darf allerdings nicht mit Moralvorstellungen überfrachtet werden, wie von BGHSt 3 256 – freilich noch unter Geltung von § 170d a. F. – praktiziert: Die in zerrütteter Ehe lebenden Eltern hatten sich jeweils einem anderen Partner zugewandt, mit denen sie mehrere Wochen in getrennten Zimmern nächtigten, wovon die gemeinsamen Kinder im Alter von fünf und neun Jahren Kenntnis nahmen, ohne dass sie Zeugen geschlechtlichen Verhaltens wurden. Hierin liegt bereits kein Pflichtverstoß (aA FrankeGricksch S. 85 f). 107 Soweit der Pflichtige nicht selbst sexualbezogene Handlungen ausübt, sondern Dritte in Anwesenheit des Schutzbefohlenen gewähren lässt, wird eine Tatbegehung durch Unterlassen anzunehmen sein, vgl. Rdn. 45. Wiedner
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II. Objektiver Tatbestand
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und die Intensität des Wahrgenommenen.108 Die bloße Wahrnehmbarkeit reicht nicht aus. Die Kenntnisnahme von Prostitution – etwa als Kind einer Prostituierten – gereicht für sich genommen nicht zum Vorwurf eines gravierenden Pflichtverstoßes, wenn der Schutzbefohlene nicht unmittelbar ihre sexuelle Ausübung miterlebt, sondern nur von ihrer Existenz weiß, ihre Anbahnung miterlebt oder andere sozialübliche Verhaltensweisen. Als Maßstab kann § 184g herangezogen werden (vgl. näher auch Rdn. 72).109 Ob anstößiges Verhalten wie stark sexualisierte Anbahnungsgespräche mit Erörterung der Dienstleistungen, Vorbereitungshandlungen wie Entkleiden, und akustische Wahrnehmungen die Schwelle zu einer gröblichen Pflichtverletzung überschreitet, erscheint fraglich (vgl. Hörnle MK § 184g Rdn. 3); hier muss zumindest eine dauerhafte Konfrontation mit möglicher Gewöhnungswirkung vorgelegen haben. Aus Inhalt und Qualität von vermitteltem Wissen oder Anschauungen kann für § 171 regel- 44 mäßig nichts hergeleitet werden (vgl. Rdn. 29 f). Ausnahme bildet die Unterweisung in extremistischen Ideologien politischer oder religiöser Art, wozu ausreichen kann, dass der Pflichtige eine Akzeptanz terroristischer oder gewalttätiger Handlungen fördert, nicht aber, dass das Kind oder der Jugendliche von entsprechenden Anschauungen des Pflichtigen nur weiß.110 Auch eine Erziehung mit abseitigen religiösen und weltanschaulichen Inhalten kann sich dann zu einem groben Pflichtverstoß steigern, wenn damit die Lebensführung des Schutzbefohlenen stark eingeengt wird. So kann es liegen, wenn aus der von einer Religionsgemeinschaft praktizierten Lebensweise eine starke soziale Isolierung bis hin zur Unterbindung von Außenkontakten, eine Inanspruchnahme durch rituelle Verhaltensweisen und eine Erziehung zur Lebensuntüchtigkeit mit Entfremdung von der Umwelt folgt. Dass das Kind oder der Jugendliche in seinem sozialen Umfeld in eine Außenseiterrolle gerät und häufig an Veranstaltungen der Glaubensgemeinschaft teilnehmen muss, reicht dagegen noch nicht aus.111 Als Lehrer, Erzieher oder Betreuer in einer pädagogischen Einrichtung wird die Vermittlung entsprechender Inhalte wegen der geringeren Einwirkungsqualität nur unter besonderen Umständen ausreichen. Hier kommt ein grober Pflichtverstoß in Betracht bei einer fortgesetzten Herabwürdigung einzelner Kinder oder Jugendlicher, die, wenn sie fortwährend vor einer Gruppe bekannter Gleichaltriger erfolgt, im Einzelfall schwer wiegen kann. Zum Verbot eines Toilettengangs während des Unterrichtes vgl. zutreffend Fahl JR 2017 405, 412 (keine Strafbarkeit, allerdings dürfte es nicht erst an einer Gefährdung, sondern regelmäßig bereits an einem Pflichtverstoß fehlen). Die Erziehungspflicht durch Unterlassen verletzt gröblich, wer die vorgenannten Ver- 45 haltensweisen des Schutzbefohlenen zwar nicht aktiv fördert, sie aber duldet. Dies betrifft
108 Vgl. Wolters SK Rdn. 9 a. E.; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2, § 63 Rdn. 55; Dippel LK12 Rdn. 19 bzgl. der Herbeiführung einer Entwicklungsstörung. Gleiches gilt auch für Handlungen vor sehr jungen Kindern im Säuglingsalter oder gering darüber, welche die Bedeutung der Vorgänge nicht erkennen können. 109 Vgl. Eschelbach MR § 184g Rdn. 3; Sch/Schröder/Eisele § 184g Rdn. 5; VGH München, Beschl. v. 18.12.2007 – 24 CS 07.3011 (juris) = GewA 2008 89, 90. S. aber auch BayObLGSt. 1949–51 10: Eine Mutter duldete wiederholt, dass in ihrer Wohnung in Anwesenheit ihres fünfzehnjährigen Sohnes Prostituierte geschlechtlich verkehrten. 110 Die Abgrenzungsprobleme sind hier vielfältig. Eltern islamistischer Gesinnung etwa werden auf ihre Kinder regelmäßig eine Vorbildfunktion ausüben, sind strafrechtlich aber nicht gehalten, dem entgegenzuwirken, sondern haben nur aktive Beeinflussungen zu unterlassen. Hierzu kann auch gehören, Schutzbefohlene keine Gespräche über religiöse Inhalte mithören zu lassen. Auch werden die Grenzen eines nach § 171 nicht zu beanstandenden Lebens nach streng islamischem Ritus und der Vermittlung radikaler Überzeugungen oft verschwimmen. 111 Vgl. Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 8; Fischer Rdn. 6 a. E.; Franke-Gricksch S. 100 f; Luther NJW 1954 493 f; Dippel LK12 Rdn. 19. S. hierzu auch die familiengerichtlichen Entscheidungen zum Sorgerecht bei Bindung eines oder beider Elternteile an die Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas: OLG Frankfurt FamRZ 1994 920; OLG Düsseldorf FamRZ 1995 1511 und Urt. v. 31.1.1996 – 4 UF 163/95 (juris) = KirchE 34 (2000), 27; OLG Stuttgart FamRZ 1995 1290 sowie die Nachweise bei Fn. 71. Deutlich enger noch KG FamRZ 1954 145: Eheverfehlung durch eine den angemessenen Rahmen überschreitende, die Familie zurücksetzende Betätigung der Ehefrau bei den Zeugen Jehovas. 631
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Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht
anhaltendes Schulschwänzen112 ebenso wie wiederholten Alkohol- und Drogenkonsum oder das Abgleiten in kriminelle Verhaltensweisen.113 In gleicher Weise pflichtwidrig verhält sich, wer Schutzbefohlenen ungehinderten Zugang zu Gewalt- und pornographischen Darstellungen bietet114 (Fischer Rdn. 6), wer Kenntnis von Sexualstraftaten Dritter zu Lasten des ihm schutzbefohlenen Kindes (§§ 176 ff) oder Jugendlichen (§ 182) hat und dagegen nicht einschreitet, insbesondere geschlechtliche Beziehungen des anderen Elternteils mit dem gemeinsamen Kind nicht unterbindet (BGH FamRZ 1973 91), oder wer die Ausübung geschlechtlicher Handlungen Dritter im Wahrnehmungsbereich des Schutzbefohlenen zulässt.115 Entsprechend dem Erziehungsprivileg des § 180 Abs. 1 S. 2 wird man die bloße Gestattung oder Duldung sexueller Handlungen eines Jugendlichen mit Gleichaltrigen oder nicht wesentlich Älteren ohne weiteres nicht als groben Pflichtverstoß ansehen können. Auch einvernehmliche sexuelle Kontakte mit Erwachsenen mögen pädagogisch fragwürdig sein, ihre Duldung ist aber ebenfalls nur unter besonderen Umständen strafbar, etwa bei einer gerade Vierzehnjährigen, Nähe der Beziehung zu einem Ausnutzen i. S. v. § 182 Abs. 3 und/oder der Gefahr eines Abgleitens in Promiskuität.116 Verletzt wird die Erziehungspflicht schließlich, wo sie gänzlich nicht ausgeübt wird, es also an jeglicher Anleitung des sich selbst überlassenen Kindes oder Jugendlichen fehlt, oder wenn einem Abgleiten in schädigende Subkulturen – Drogenszene, kriminelle Jugendbanden, Obdachlosigkeit, rechtsradikales Milieu – nicht entgegengetreten wird. Gerechtfertigt werden kann die Passivität der Erziehungsberechtigten dann auch nicht mit der Erwägung, der Jugendliche sei zumindest in ein soziales Umfeld eingebunden (so aber Fischer Rdn. 5), oder ein Eingreifen sei ohnehin zwecklos (so Wolters SK Rdn. 13); Versuche der Herauslösung muss er unternehmen und hierbei notfalls um professionelle Hilfe nachsuchen (vgl. näher nachfolgend Rdn. 49).
112 BVerfG NJW 2015 44, 45; AG Tiergarten, Urt. v. 30.11.2009 – [403 Ds] 20 Js 483–08 [291/08], BeckRS 2014 13812; Fischer Rdn. 6; Ritscher MK Rdn. 16; Wolters SK Rdn. 13; Rinio ZfJ 8 2001 211 f; ders. FPR 2007 467; Schoene DRiZ 2004 354 f; Dippel LK12 Rn. 12. 113 Vgl. OLG Neustadt NJW 1962 2312 (zu § 143 Abs. 1 S. 1 – Verletzung der Aufsichtspflicht): Der jugendliche Sohn entwendete bei Aushilfstätigkeiten im Geschäft des Onkels regelmäßig Geldbeträge, die er an die Mutter ablieferte. AG Wermelskirchen NJW 1999 590: Die Mutter, deren strafunmündiges Kind mit anderen Kindern und Jugendlichen Diebstähle beging, ließ trotz Kenntnis hiervon das unbeaufsichtigte und unbegleitete Ausgehen des Kindes über ein Jahr zu. S. auch Fischer Rdn. 6; Frommel NK Rdn. 8; Wolters SK Rdn. 7; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2, § 63 Rdn. 55; Neuheuser NStZ 2000 174, 177; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 8. S. hierzu auch näher Rdn. 47 ff, 71 ff. 114 Fischer Rdn. 6. Die unbeaufsichtigte Überlassung eines internetfähigen Endgerätes (Handy, Tablet, PC) wird hierzu noch nicht ausreichen, wohl aber ab dem Zeitpunkt, zu dem der Pflichtige vom Konsum gefährdender Inhalte Kenntnis erlangt. Ihn strafrechtlich für verpflichtet zu halten, stichprobenartig die Nutzung – etwa anhand des Browserverlaufes – zu überprüfen oder Schutzfilter zu installieren, überspannt die Pflichten. Auch hierzu ist der Pflichtige erst gehalten, wenn er Anhaltspunkte für schädigenden Konsum hat, etwa durch Information seitens Dritter oder Äußerungen des Schutzbefohlenen selbst. 115 Vgl. BGHSt 5 40 mit Anm. Händel NJW 1954 119: Eine Mutter ließ während einer Karnevalsfeier in ihrer Wohnung geschlechtliche Handlungen von Gästen trotz Anwesenheit ihres fünfzehnjährigen Sohnes geschehen. S. auch § 184g und BayObLGSt. 1949–51 10: Eine Mutter duldete wiederholt, dass in ihrer Wohnung in Anwesenheit ihres fünfzehnjährigen Sohnes Prostituierte geschlechtlich verkehrten. Ob angesichts des Alters der betroffenen Jugendlichen und gewandelter Moralvorstellungen eine gröbliche Pflichtverletzung auch heutzutage noch ohne weiteres angenommen werden kann, erscheint indes zweifelhaft; hier wird es auf den konkreten Entwicklungsstand und die Intensität des Wahrgenommenen ankommen. 116 Vgl. Fischer Rdn. 9 unter dem Blickwinkel drohender Prostitution; großzügiger Ritscher MK Rdn. 19; s. auch Sch/Schröder/Eisele § 180 Rdn. 16; BTDrucks. VI/3521 S. 16. Anders noch sah die ältere Rspr. in der Duldung sexueller Kontakte schlechterdings eine Pflichtverletzung, s. etwa OLG Braunschweig HESt. 1 47, 48: Eine Mutter erlaubte ihrer vierzehnjährigen Tochter wiederholt, in einer fremden Wohnung zu übernachten, wo sie mit dem dortigen neunzehnjährigen Sohn eine geschlechtliche Beziehung unterhielt. Wiedner
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cc) Kriminalität und Prostitution. Besondere Bedeutung erlangen angesichts der Hervorhe- 46 bungen als tatbestandliche Erfolge solche Pflichtverletzungen, die die Führung eines kriminellen Lebenswandels oder das Nachgehen der Prostitution begünstigen. Sie sind in einer Vernachlässigung der Erziehungspflicht zu suchen. Indem das Gesetz einer Gefährdung in diesen Bereichen eine besondere Stellung verleiht, ist sie nicht nur als erheblich einzustufen (vgl. Rdn. 71); Pflichtverletzungen, die hierauf zielen, sind unabhängig vom Eintritt des Erfolges auch regelmäßig als gröblich zu bewerten. Die sachliche Rechtfertigung der herausgehobenen Bewertung liegt zum einen darin, dass strafrechtliche Normübertretungen sich als besonders gravierend sowohl für den Schutzbefohlenen als auch für Dritte darstellen, und dass Jugendliche sich zum anderen als besonders empfänglich und empfindlich im Hinblick auf eine – nach der gesetzgeberischen Wertung als deutlich entwicklungsstörend angesehene117 – prostituierende Tätigkeit erweisen.
(1) Krimineller Lebenswandel. Grob pflichtverletzendes Verhalten in Bezug auf einen krimi- 47 nellen Lebenswandel bildet zum einen die aktive Förderung von Kriminalität, indem der Schutzbefohlene hierzu angestiftet oder unterwiesen wird, oder der Pflichtige selbst mit ihm Straftaten begeht (s. bereits Rdn. 42). Einen hinreichend gewichtigen Kriminalitätsbezug schafft zum anderen auch derjenige, der dem Kind oder Jugendlichen vermittelt, dass das hiesige Normensystem keine bindende Gültigkeit besitzt, es sich vielmehr lohne, ein Leben unter seiner Umgehung zu führen und von Rechtsbrüchen zu profitieren (Neuheuser NStZ 2000 174, 175 f). Ob hierdurch die Fähigkeiten des Schutzbefohlenen zu regelkonformem Verhalten tatsächlich herabgesetzt werden, ist Frage des Taterfolges. Dass bereits das Fehlen einer aktiven Bestärkung in Legalverhalten und eine Erziehung, 48 die nicht aktiv gesellschaftliche Verantwortung unter Respektierung des geltenden Normsystems fördert, sich als ein tatbestandserhebliches Fehlverhalten darstellen, wird sich dagegen nicht annehmen lassen, auch wenn mangelnde erzieherische Bemühungen die Gefahr von Rechtsbrüchen durch den Schutzbefohlenen erhöhen. Ebenso schuldet der Pflichtige keine anlasslose Überwachung eines Kindes oder Jugendlichen, etwa im Hinblick auf die Vermeidung vereinzelter jugendtypischer Bagatelldelikte. Das Vorleben kriminellen Verhaltens durch den Pflichtigen reicht nicht aus, solange es bei dem schlechten Beispiel bleibt (Dippel LK12 Rdn. 20). Einmalige Übertretungen eines insoweit sonst unauffälligen Kindes oder Jugendlichen gereichen ebensowenig wie eine einmalige Anstiftung oder Unterstützung bei einem nicht schwerwiegenden Delikt zum Vorwurf einer gröblichen Pflichtverletzung.118 Werden allerdings gravierende Auffälligkeit im Verhalten des Schutzbefohlenen offenbar, 49 muss der Erziehungsverpflichtete einschreiten. Solche können in Anzeichen von Drogenkonsum und -verkauf bestehen, dem Anschluss an Kreise mit krimineller Affinität wie Jugendbanden, Personen aus dem Rotlicht-, Rechtsradikalen- oder Autonomenmilieu,119 ebenso bei fortdauernden, auf Eigeninitiative des Kindes oder Jugendlichen beruhenden Verfehlungen wie Ladendiebstählen, körperlichen Übergriffen auf Gleichaltrige, Urheberrechtsverletzungen (zu Überwachungspflichten insoweit vgl. BGH NJW 2016 950) oder anderen bekanntgewordenen Straftaten, soweit diese nicht isoliert stehen und aus einer einmaligen, jugendtypisch-spontanen Situation herrühren. Eine Untätigkeit des Pflichtigen gereicht ihm hier zum strafrechtlichen Vorwurf nach § 171. Er ist gehalten, im Rahmen seiner Möglichkeiten frühzeitig auf den Schutzbefohlenen einzuwirken, indem er diesen gesprächsweise von einer Loslösung von seiner Lebensweise zu überzeugen sucht, daneben aber auch – sofern erforderlich, einschneidende – erzieherische Maßnah117 Vgl. BTDrucks. VI/1552 S. 25; Wolters SK Rdn. 9. 118 Zu weit daher BGH NJW 1952 476, wo die einmalige Aufforderung zum Holzstehlen bereits als gröblicher Pflichtverstoß angesehen und eine Strafbarkeit nur wegen der fehlenden Gefährdung aus dem einmaligen Vorfall entfiel. 119 Vgl. Ritscher MK Rdn. 18; Neuheuser NStZ 2000 174, 175 ff. 633
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Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht
men wie eine engmaschige Beaufsichtigung, Ausgehverbote, Wegnahme von Mobilfunkgeräten u. ä. ergreift, sich erforderlichenfalls beraten lässt und schlussendlich Angebote der Jugendhilfe wahrnimmt. Seine Freiheit in der Auswahl erzieherischer Mittel ist angesichts der Gefährdungslage insoweit eingeschränkt (vgl. Neuheuser NStZ 2000 174, 177). Dass solche Maßnahmen, rechtzeitig ergriffen, nicht wenigstens zu einer maßgeblichen Gefahrherabsetzung geführt hätten, wird auch nach dem Zweifelssatz nicht zugunsten des Pflichtigen unterstellt werden müssen. Nicht zu verkennen ist freilich, dass – etwa bei einem raschen Abgleiten in kriminelle Strukturen nach Lebenskrisen und dortiger fester Sozialisierung – im Einzelfall die Einwirkungsmöglichkeiten begrenzt bleiben werden und eine tatsächliche Möglichkeit der Erfolgsabwendung mit dem zur Verfügung stehenden pädagogischen Instrumentarium nicht besteht, so dass es an einer Pflichtverletzung fehlt.120
50 (2) Nachgehen der Prostitution. Dass die Ausübung der Prostitution121 aufgrund gewandelter Moralvorstellungen keiner durchgreifenden Stigmatisierung mehr unterliegt und rechtlich durch das ProstG122 aus der Teil- und Illegalität herausgeführt wurde, bedeutet keine Entlastung des Pflichtigen durch Herabsetzung des Pflichtenmaßstabes, da jedenfalls für die von § 171 erfasste Altersgruppe eine Betätigung als Prostituierte als schädlich angesehen wird.123 Relevant als grobe Pflichtverletzung ist zunächst jedes Verhalten, das sich ohnehin als Straftat nach anderen Bestimmungen darstellt, etwa bei Vermittlung (älterer) Kinder an Dritte zu Sexualkontakten (§ 176 ff), wenn die Handlungen zugleich ein prostitutionsähnliches Gepräge auch aus der Sicht des Kindes erhalten, oder wenn der Pflichtige den ihm anvertrauten Jugendlichen für eine Entlohnung (§ 180 Abs. 2, § 180a, § 182 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2) oder unter Zwang (§ 232a) zur Prostitution anhält. 51 Unterhalb dieser Schwelle reicht es aus, wenn der Täter den Schutzbefohlenen mit Prostitution nicht als bloßes gesellschaftliches Phänomen, sondern lebenspraktisch in einer Weise vertraut macht und vermeintliche Vorteile der Tätigkeit nahebringt, dass dieser sie als normale geschlechtliche Betätigung oder – etwa wegen der Verdienstmöglichkeiten – als etwa Erstrebenswertes begreift.124 Dies kann dadurch geschehen, dass der Schutzbefohlene in enge Beziehungen zu Personen aus dem Prostituierten- oder Rotlichtmilieu gebracht wird, etwa einem beeinflussbaren Teenager durch mit dem Pflichtigen bekannte Mitarbeiter eines Escortservice ein vermeintlich glamouröses Leben vorgespiegelt wird. Auch die Ermunterung zu wahlloser Promiskuität kann sich jedenfalls dann als grobe Pflichtverletzung darstellen, wenn der Schutzbefohlene sie aufgrund des Verhaltens und Umgangs des Pflichtigen als Vorstufe zur Prostitution auffassen kann.125 Bewegt sich der Schutzbefohlenen ohne Zutun des Erziehungspflichtigen bereits in Kreisen, die eine Weiterentwicklung hin zur Ausübung der Prostitution besorgen lassen, oder ist es hierzu schon gekommen, muss der Pflichtige hiergegen vorgehen, anderenfalls eine gröbliche Pflichtverletzung durch Unterlassen vorliegt (vgl. Sch/Sch/Bosch/Schittenhelm Rdn. 9). Die Anforderungen zum Herauslösen aus kriminellem Milieu und Verhalten gelten insoweit entsprechend 120 S. etwa LG Bremen StV 2000 501: Ablehnung der Eröffnung der Hauptverfahrens, weil die Eltern mit den ihnen zur Verfügung stehenden Erziehungsmitteln gescheitert waren, ihre nicht strafmündige Söhne von der Begehung von Diebstahls- und Raubtaten abzubringen. Vgl. auch Diederichsen NJW 1998 3471 zum Fall „Mehmet“. 121 Zum Begriff vgl. BGH NStZ 2000 86; Sch/Schröder/Eisele § 180a Rdn. 5 f; Fischer § 180a Rdn. 4: Gewerbsmäßige entgeltliche Vornahme sexueller Handlungen an und mit wechselnden Partnern. S. auch §§ 1, 2 ProstG (nachfolgend Rdn. 72). 122 Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten vom 20.12.2001, BGBl. I 3983. 123 Vgl. Ritscher MK Rdn. 19; Dippel LK12 Rdn. 20. Anders Frommel NK Rdn. 4, allerdings lässt wird sich die Anerkennung der Prostitution als freigewählte Lebens- und Verdienstform Erwachsener entwicklungspsychologisch und in der Lebenswirklichkeit keinesfalls auf das Phänomen der Kinder- und Jugendprostitution (hier: im Alter unter 16 Jahren) übertragen. 124 Vgl. Ritscher MK Rdn. 19; Frommel NK Rdn. 9. 125 Vgl. Fischer Rdn. 9; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 9; zweifelnd Ritscher MK Rdn. 19. Wiedner
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(Rdn. 49). Ein promiskuitives Verhaltens allein wird eine Handlungspflicht allerdings erst auslösen, wenn es sich als Vorstufe zur Prostitution begreifen lässt (enger Fischer Rdn. 9). Nicht ausreichend ist, dass der Erziehungspflichtige selbst der Prostitution nachgeht 52 und der Kontakt des Schutzbefohlenen – auch bei Ausübung in der gemeinsamen Wohnung – sich in einer bloßen Wahrnehmung nicht unmittelbar geschlechtlicher Handlungen erschöpft (vgl. näher Rdn. 43), wobei auch die hiermit notwendig verbundene Gewöhnung an Prostitution als Lebens- und Verdienstmodell noch nicht zur Annahme einer Pflichtverletzung ausreicht.126 In die Gefahr, der Prostitution nachzugehen, wird beispielsweise eine Jugendliche durch 53 die Ermunterung der Eltern gebracht, sich wahllos Männern hinzugeben. Ebenso liegt es, wenn Eltern (entgegen der Intention der §§ 1626 Abs. 2 S. 1 und 1631a S. 1 BGB) den Berufswunsch der Jugendlichen nach einer Lebensform als Prostituierte ohne weiteres zur Kenntnis nehmen oder gar fördern.127 Die Gefährdung kann aber auch von einer Mutter, die Prostituierte ist, ausgehen, wenn sie ihre jugendliche Tochter miterleben lässt, wie sie ihrem Gewerbe nachgeht (Prot. VI/ 35 S. 1287 [Claussen]), etwa die Prostitution in der gemeinsamen Wohnung ausübt (Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 9; vgl. auch Sturm JZ 1974 3). Dies ist vor allem dann der Fall, wenn die Erziehungsberechtigten die Schutzbefohlene nicht nur mit dem gesellschaftlichen Phänomen der Prostitution vertraut macht, sondern sie ihr beispielhaft als übliche Umgangsform der Geschlechter nahe bringt, was angesichts der gewandelten Moralvorstellungen als Gefährdungsalternative in der Praxis allerdings eher selten sein dürfte (Ritscher MK Rdn. 19).
3. Taterfolg: Konkrete Gefahr einer erheblichen Entwicklungsschädigung Der Taterfolg besteht in der konkreten Gefahr, dass der Schutzbefohlene in seiner körperlichen 54 oder psychischen Entwicklung erheblich geschädigt wird, letzterenfalls auch durch die Gefahr, dass er einen kriminellen Lebenswandel zu führen oder der Prostitution nachzugehen droht. Sie folgt nicht bereits – weder regelhaft noch indiziell – aus der gröblichen Pflichtverletzung, sondern ist unabhängig von dieser festzustellen und zu belegen.
a) Konkrete Gefahr. Ausreichend ist nicht jede Möglichkeit, dass der Schutzbefohlene einen 55 der beschriebenen Schäden erleiden könnte, vielmehr muss eine konkrete Gefahr vorliegen.128 Diese muss kausal und zurechenbar auf der gröblichen Pflichtverletzung beruhen (s. hierzu Rdn. 58). Die konkrete Gefahr liegt vor, wenn Entwicklungsschäden beim Schutzbefohlenen bereits eingetreten sind, ihr Eintritt nur durch Zufall ausgeblieben oder wenigstens mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Im letzteren Fall genügt es nicht, dass eine Schädigung nur eintreten kann (BGH NStZ 1982 328). Andererseits ist es nicht erforderlich, dass für ihren Eintritt eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit spricht; auch muss nicht bereits die Vorstufe einer Schädigung, etwa in Form einer einfachen Entwicklungsstörung, erreicht sein.129 Maßgeblich ist, ob das Verhalten des Pflichtigen und seine Auswirkungen bei dem Schutzbefohlenen nach 126 Fischer Rdn. 9; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 9; anders Hörnle MK § 184g Rdn. 3; Dippel LK12 Rdn. 20. Allerdings ist wegen des „Vorlebens“ der Tätigkeit und einer möglichen Vorbildfunktion die Schwelle, ab der eine Ermunterung zur Nachahmung vorliegt, niedrig anzusetzen. 127 Fischer Rdn. 9; and. Frommel, derzufolge in der frei gewählten Lebensform einer Prostituierten seit deren rechtlicher Anerkennung auch bei einem Jugendlichen keine Entwicklungsstörung, mithin auch nicht mehr die Gefahr einer erheblichen psychischen Entwicklungsschädigung liege (NK Rdn. 5); zw. auch Schroeder FS Rolinski 157. 128 Std. Rspr., s. BGHSt 3 256, 258; BGH NJW 1952 476; NStZ 1982 328; KG JR 1975 297; JR 1982 507; Fischer Rdn. 7; Ritscher MK Rdn. 12; Wolters SK Rdn. 3; Frommel NK Rdn. 7; SSW/Wittig Rdn. 9; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 6; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 53; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 5. 129 Anders für kriminellen Lebenswandel und Prostitution Wolters SK Rdn. 7. 635
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den Fallumständen bei ungehindertem Fortgang den Eintritt des in den Tatbestandsalternativen beschriebenen Schadens, dass nämlich der körperliche oder psychische Reifungsprozeß erheblich gestört würde, nahe legt.130 56 Für die Beurteilung einer konkreten Gefahr ist naturgemäß eine Prognose der weiteren Entwicklung erforderlich.131 Fortzudenken sind bei einer dauerhaften Pflichtverletzung die Auswirkungen, die eine fortdauernde Tathandlung auf den Schutzbefohlenen haben würde. Im Übrigen reicht es aus, die – etwa hinsichtlich der psychischen Entwicklung oft erst zeitverzögert auftretenden – Folgen der Tathandlung abzuschätzen. Glückliche Entwicklungen oder zufällige Schadensabwendungen entlasten den Täter nicht (vgl. hierzu auch Rdn. 61). Andererseits steht einer Tatbestandsverwirklichung entgegen, wenn mit dazwischentretenden Ereignissen zu rechnen war,132 welche den Schadenseintritt abwenden oder seine Wahrscheinlichkeit herabsetzen. Solche können insbesondere darin liegen, dass die Hilfe Dritter zu erwarten ist, etwa eine baldige Betreuung eines in der Öffentlichkeit abgelegten Säuglings oder die Inobhutnahme eines infolge Überforderung der Eltern schlecht versorgten Kindes, Maßnahmen der Jugendhilfe oder andere äußere Umstände, etwa ein bevorstehender Milieuwechsel des Jugendlichen durch Umzug oder Schulwechsel oder die Inhaftierung maßgeblicher Mitglieder des kriminellen Umfeldes.133 57 In die Gefahr gebracht wird der Schutzbefohlene nicht nur dann, wenn eine Gefährdungslage vorher nicht bestanden hat, sie durch den Täter mithin grundlegend neu geschaffen wurde; vielmehr kann die konkrete Gefahr eines Schadenseintrittes bereits vor der Pflichtwidrigkeit bestanden haben. Zur Tatbestandsverwirklichung genügt dann, wenn sie noch weiter intensiviert wird (Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 5), etwa auf eine bereits vorhandene Krankheit oder psychische Störung nicht oder unzureichend reagiert, oder eine schädliche Veranlagung aktualisiert oder vertieft wird. Dabei muss keine solche Zustandsverschlechterung herbeigeführt werden, die der Herbeiführung von „Null“ auf eine konkrete Gefahr entspricht; allerdings wird bei Tathandlungen, die eine bereits angelegte Störung durch eine vergleichsweise geringe Intensivierung zu einer erheblichen Gefahr anwachsen lassen, bereits vorgelagert zu prüfen sein, ob eine gröbliche Pflichtverletzung vorliegt.134 Ausreichend ist auch, wenn der Schutzbefohlene sich in der konkreten Gefahr einer erheblichen Entwicklungsschädigung bereits befindet – unabhängig davon, ob dies dem Täter zurechenbar ist oder nicht – oder letztere bereits eingetreten ist, und der Täter davon absieht, den Schutzbefohlenen wieder aus der Gefahr herauszubringen,135 indem er etwa gegen einen kriminellen Lebenswandel oder eine Prostitution nicht einschreitet. Auch bei der Gefahr einer erheblichen körperlichen Entwick130 Vgl. BGHSt 3 256, 258; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 6; Dippel LK12 Rdn. 6; Neuheuser NStZ 2000 174; Brüschweiler S. 107; Franke-Gricksch S. 79; Klimmek S. 53. 131 Als „Abwägung“ von feststehenden mit ungewissen weiteren „Teilbedingungen“ bezeichnet von BGHSt 3 256, 258. 132 Unabhängig davon, ob der Täter damit gerechnet hat; nimmt er eine Schädigungshandlung vor, die wegen einer ihm unbekannten Intervention Dritter nicht zum Erfolg führen kann, liegt ein – mangels Versuchsstrafbarkeit strafloser – untauglicher Versuch vor. 133 Vgl. Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 5; Ritscher MK Rdn. 12. Auch die Fälle des Aussetzens eines Kindes bei sofortigem Einschreiten Dritter (vgl. § 169 Rdn. 87), etwa auf einem Bahnhof (OLG Köln JR 1968 308) oder in einer „Babyklappe“ (§ 169 Rdn. 90) fallen hierunter, da die Gefahr körperlicher Schädigung unmittelbar durch die Hilfeleistung der Dritten abgewendet wird, und auch eine seelische Entwicklungsschädigung von Gewicht sich angesichts staatlicher Hilfsmaßnahmen, der Aufnahme in Pflegefamilien oder Adoption regelmäßig nicht erwarten lässt, vgl. Rdn. 39. 134 Beispiel: Der Sorgepflichtige vergisst einmalig, dem ihm anvertrauten, an einer chronischen Erkrankung leidenden Kind seine Medikation zu verabreichen, so dass eine deutliche Zustandsverschlechterung eintritt. 135 AG Wermelskirchen NJW 1999 590; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 5; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3 und 6; Dippel LK12 Rdn. 8. Die Gegenauffassung von Wolters (SK Rdn. 10) überzeugt nicht; sie widerstreitet nicht nur dem Zweck der Vorschrift, sondern lässt auch unberücksichtigt, dass die Entwicklung des Kindes oder Jugendlichen nicht als etwas Statisches angesehen werden kann, das durch eine einmal eingetretene Gefährdung oder Schädigung nicht weiter beeinträchtigt werden kann. Vielmehr wird die Gefahr oder Schädigung regelmäßig mit Fortdauer Wiedner
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lungsschädigung reicht das Bestehenlassen oder Intensivieren einer bereits vorhandenen Gefahr oder Schädigung, etwa einer Erkrankung oder Misshandlung, durch Untätigkeit aus (OLG Düsseldorf NStZ-RR 2001 199; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3). Ebenso wie der konkrete Gefahrzustand selbst ist der erforderliche Kausalzusammenhang 58 durch den Tatrichter nachzuweisen und darzulegen. Je gravierender die Pflichtverletzung, desto leichter wird dies fallen. Dass etwa eine unbehandelte schwerere Erkrankung bei bestehender Behandlungsmöglichkeit eine maßgebliche Verschlechterung der körperlichen Entwicklung bewirkt, liegt auf der Hand; auch sexueller Missbrauch oder gravierende Misshandlungen werden ohne weiteres zumindest mit der Gefahr einer erheblichen Schädigung der psychischen Entwicklung in Verbindung gebracht werden können. Lange schulische Fehlzeiten führen allein durch die Abkopplung vom altersgerechten Lernstand regelmäßig zu Schädigungen der psychischen Entwicklung.136 Zulässig ist insoweit, auch ohne aufwändige Erhebungen auf eine sich nach Lebenserfahrung und Allgemeinkundigkeit aufdrängende Wertung zurückzugreifen. Insbesondere muss nicht die Möglichkeit unterstellt oder untersucht werden, dass entsprechende Folgen auch auf anderweitige Besonderheiten in der Entwicklung oder Einwirkungen auf diese zurückgehen könnten, für deren Vorliegen kein konkreter Anhaltspunkt ersichtlich ist, oder dass der Gefahrzustand sich aufgrund günstiger Einflüsse bei weiterem Verlauf nicht aktualisiert hätte. Anders liegt es bei Gefahrenquellen und Pflichtverletzungen, deren Folgen nicht hinreichend abgesichert sind, insbesondere Unterlassungstaten. Ob etwa die soziale Isolierung eines Kindes sich als hinreichend darstellt, die Gefahr psychischer Entwicklungsschäden zu begründen, oder Verhaltensauffälligkeiten auf eine solche Tathandlung zurückgehen, bedarf sorgfältiger Würdigung, erforderlichenfalls auch da sachverständiger Hilfe. Da es stets auf die individuellen Auswirkungen der Tathandlung auf den Schutzbefohlenen ankommt, reicht weder eine pauschalisierende Wertung aus, dass eine bestimmte Gefahrenquelle häufig zu einer konkreten Gefährdung führt, noch führt eine auf ihre Folgen nicht hinreichend wissenschaftlich untersuchte Pflichtverletzung zum generellen Ausschluss der Kausalität.137 S. zu dazwischentretenden Ereignissen und anderer – erwartbarer oder überraschender – Abwendung der Gefahr auch Rdn. 61.
b) Erheblichkeit. Die drohende Schädigung muss erheblich sein. Der Begriff bewirkt eine 59 nochmalige Eingrenzung der als strafwürdig anzusehenden Fälle. Positiv formuliert muss die Abweichung von einer ungestörten Entwicklung deutlich hervortreten; sie muss intensiv und nachhaltig sein (Ritscher MK Rdn. 15; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6, 7). Praktikabler sind negative Abgrenzungen: Nicht ausreichend sind nur vorübergehende Schädigungen oder solche, die sich noch im Rahmen allgemeinen Lebensrisikos als hinnehmbar erweisen (vgl. BGH NStZ 1982, 328; Fischer Rdn. 8). Dabei kommt es auf eine individuelle Betrachtung an. Maßgeblich ist, ob die konkrete Entwicklung des Schutzbefohlenen Schaden genommen hat oder zu nehmen droht; Vorschädigungen sind ebenso zu berücksichtigen wie besondere Fähigkeiten (vgl. nachfolgend Rdn. 62). Das erforderliche Gewicht der Gefahr kann an den gesetzlichen des Gefahrenzustandes intensiviert und verfestigt, so dass in der vorwerfbaren Unterlassung ein eigenständiges Unrecht erblickt werden kann. In der Praxis wird sich ohnehin häufig nicht trennen lassen, ab welchem Gefahrenzustand dem Verpflichteten ein unterbliebenes Einschreiten vorzuwerfen ist. Bei fehlender Nachweisbarkeit, dass der Pflichtige den Schutzbefohlenen vorwerfbar in einen Gefahrenzustand gebracht hat, wird es für die Tatbestandsverwirklichung daher jedenfalls ausreichen, dass er bei einer unübersehbaren konkreten Gefahr oder Schädigung – der Jugendliche ist bereits im kriminellen Milieu verhaftet, oder ist manifest körperlich oder psychisch erkrankt – nicht tätig geworden ist. 136 S. etwa Ritscher MK Rdn. 16. Hat der Täter aber durch Eigenunterricht („Homeschooling“) einen Stand schulischer Bildung gewährleistet, der dem institutionell durch Lehrpläne vorgesehenen entspricht, kommt eine Schädigungsgefahr nur noch durch das Fernhalten von sozialen Bindungen in Betracht; im Übrigen verbleibt es bei einer Erfüllung der zu Verstößen gegen die Schulpflicht ergangenen Straf- und Ordnungswidrigkeitenvorschriften der Länder. Zu Pflichtverstößen im Zusammenhang mit Fernunterricht infolge der Corona-Krise vgl. Rdn. 41. 137 Vgl. generell Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2, § 63 Rdn. 53; Mittenzwei ZfL 2000 40; Dippel LK12 Rdn. 14. 637
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Taterfolgen des kriminellen Lebenswandels und der Prostitution abgelesen werden, deren Einfügung gesetzgeberisch wesentlich von der Intention getragen war, Anhaltspunkte für die Feststellung zu liefern, ab wann eine psychische Entwicklungsschädigung erheblich ist.138
60 c) Entwicklungsschädigung. Die einzelnen Entwicklungsschädigungen unterteilen sich in körperliche und psychische; krimineller Lebenswandel und Prostitution sind nur Beispielsfälle letzterer.
61 aa) Begriffsbestimmung. Allen Varianten des tatbestandlichen Erfolges ist gemein, dass eine Verschlechterung im Vergleich zur normgerechten Entwicklung drohen oder eingetreten sein muss. Die Entwicklung des Kindes oder Jugendlichen ist nach üblicher Definition139 demgemäß dann in Gefahr, wenn der gewöhnliche Ablauf des körperlichen oder psychischen Reifeprozesses dauernd und nachhaltig gestört ist. Dies betont zutreffend den Begriff der „Entwicklung“ als eines dynamischen, kindes- und jugendtypischen und über längere Zeitabschnitte reichenden Vorganges der Veränderung.140 Hierdurch werden isolierte, selbst erhebliche Schädigungen aus dem Tatbestand ausgeschlossen, wenn sie sich nicht in anhaltenden Verzögerungen und anderen Abweichungen der Entwicklung oder ihrer Gefahr niederschlagen. So liegt keine Entwicklungsschädigung vor, wenn die Beeinträchtigungen reparabel sind, eine Heilung bereits eingetreten oder doch innerhalb einer Zeit zu erwarten ist, und sie eine nachhaltige Störung der Entwicklung nicht besorgen lassen.141 Kurzzeitige Verzögerungen im körperlichen Reifeprozess, etwa durch Behandlungen von Verletzungen und Erkrankungen, eine überwundene psychische Krise, das erfolgreiche Ausgleichen schulischer Versäumnisse oder greifbare Zustandsverbesserungen aufgrund von Maßnahmen der Jugendhilfe reichen für eine Entwicklungsschädigung nicht hin. Ist ein solcher Verlauf nicht erwartbar gewesen, etwa nur glücklicher Fügung, nicht erwartbarem Eintreten Dritter oder außerordentlichen Anstrengungen des Schutzbefohlenen zu verdanken, entlasten sie den Täter nicht; denn die für eine Tatbestandsverwirklichung ausreichende konkrete Gefahr ist auch dann eingetreten, wenn sie sich entgegen typischer Erwartung später nicht realisiert (s. bereits RGSt 77 215, 216). Eine eingetretene Schädigung ist nach allgemeinen Kriterien zuzurechnen, wenn sie nicht gänzlich außerhalb des erwartbaren Kausalverlaufes liegt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt der letzten tatrichterlichen Hauptverhandlung (Wolters SK Rdn. 5), der meist vom Zeitpunkt der Pflichtverletzung ausreichend entfernt liegen wird, um – erforderlichenfalls mit sachverständiger Hilfe – eine verlässliche Beurteilung der Entwicklung des Kindes oder Jugendlichen zu erlauben. 62 Maßstab für die „normale“ Entwicklung ist der konkrete Entwicklungsstand des Kindes oder Jugendlichen vor der Tat. Angesichts sehr unterschiedlicher Entwicklungsverläufe wird erst hieran festgemacht werden können, ob Abweichungen im Reifungsprozess bewirkt wurden oder zu erwarten sind. Die erhebliche Abweichung beurteilt sich daher nicht anhand einer allgemeingültigen (Durchschnitts-)Norm, sondern durch einen Vergleich mit der hypothetischen Körperentwicklung im konkreten Fall.142 Dabei sind besondere Fähigkeiten und Stärken des
138 BTDrucks. VI/3521 S. 16; KG JR 1975 298; Ritscher MK Rdn. 15; Sch/Sch/Bosch/Schittenhelm Rdn. 9; Dippel LK12 Rdn. 16, 18; Hanack NJW 1974 1, 3. 139 Vgl. BGH NStZ 1982 328; 329; NStZ 1982 809; KG JR 1975 297; JR 1982 507, 508; Wolters SK Rdn. 5; Ritscher MK Rdn. 13 und 14; Frommel NK Rdn. 8; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; SSW/Wittig Rdn. 10; Franke-Gricksch S. 79; Klimmek S. 53. 140 Vgl. Schroeder FS Rolinski 157; Dippel LK12 Rdn. 15. 141 Wolters SK Rdn. 5; Ritscher MK Rdn. 13; Dippel LK12 Rdn. 15. 142 Vgl. Fischer Rdn. 8 (kein verbindlicher „Durchschnittsstatus“ kindlicher Entwicklung); Wolters SK Rdn. 6 (Abweichung von der konkret-hypothetischen Körperentwicklung erforderlich); Dippel LK12 Rdn. 15. Wiedner
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II. Objektiver Tatbestand
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Schutzbefohlenen, die ihn als resilient gegen die konkrete Pflichtverletzung erscheinen lassen, ebenso zu berücksichtigen wie eine besondere Vulnerabilität.
bb) Körperliche Entwicklungsschädigung. Die Gefahr einer erheblichen körperlichen 63 Entwicklungsschädigung (Alt. 1) liegt vor bei eingetretenen oder zu befürchtenden Störungen des nach dem vorgenannten Maßstab normalen körperlichen Reifungsprozesses, die sich als erheblich und nachhaltig darstellen (s. zuvor Rdn. 39 f., 59). Sie ist nicht gleichzusetzen mit einer Beschädigung der Gesundheit, etwa im Sinne von § 223. Daher reicht es nicht aus, wenn der Schutzbefohlene bei einer bestimmten Gelegenheit der Gefahr körperlicher Verletzungen ausgesetzt wird; nicht eingetretene Gesundheitsbeschädigungen werden daher nur selten in eine erhebliche körperliche Entwicklungsschädigung münden (vgl. KG JR 1975, 297). Allerdings können eingetretene Gesundheitsbeschädigungen zu Entwicklungsschäden führen (zur Unterscheidung s. auch Wolters SK Rdn. 5; Wittig FS Heintschel-Heinegg 505, 515), wenn sie sich nicht von vornherein als geringfügig darstellen, und wenn keine rasche Heilung eingetreten oder zu erwarten ist. Etwa kann die unzureichende Gewährung von Nahrung, körperlicher Pflege und Hygi- 64 ene sich – neben psychischen Entwicklungsstörungen (vgl. Ritscher MK Rdn. 13) – in körperlichen Langzeitwirkungen niederschlagen,143 die das Kind oder den Jugendlichen in seiner Entwicklung verzögern oder hindern. Dies gilt ebenso für unbehandelte Erkrankungen mit bleibenden Folgeschäden oder erhebliche Verletzungen mit langwieriger Behandlung und bleibenden körperlichen Beeinträchtigungen. Gleichwohl braucht eine Gesundheitsschädigung weder eingetreten zu sein, noch muss sie unmittelbar bevorstehen, wenn die Tathandlung sie nur mit der Wirkung einer Entwicklungsschädigung besorgen lässt (vgl. OLG Köln JR 1968 308; s. auch RGSt 77 217; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6). Misshandlungen und Missbrauch werden angesichts nicht langanhaltender körperlicher Verletzungsfolgen oft allein eine – allerdings regelmäßig gravierende – psychische Entwicklungsstörung zur Folge haben (anders Ritscher MK Rdn. 16: auch körperliche Schädigung); bei langandauernden Überforderungen und Überanstrengungen sind häufig beide Störungsarten zu erwarten. Rauschgiftund Alkoholmissbrauch führt abhängig von der Menge regelmäßig schon durch die bloße Substanzeinnahme zu einer Gesundheitsschädigung des kindlichen oder jugendlichen Organismus, in größerer Mengen oder bei chronischem Abusus dann auch zu irreparablen Langzeitfolgen und damit einer körperlichen Entwicklungsstörung (vgl. BGHSt 2 348), ggf. neben einer solchen auch zu einer Störung psychischer Art durch eine entstandene Abhängigkeit. Für die konkrete Gefahr reicht es hier aus, dass der Schutzbefohlene für eine gewisse Zeit mit einem nicht nur ganz geringfügigen Konsum begonnen hat, eine Abhängigkeit muss noch nicht eingetreten sein oder unmittelbar drohen (enger Wolters SK Rdn. 5).
cc) Psychische Entwicklungsschädigung. Die Gefahr einer erheblichen psychischen Ent- 65 wicklungsschädigung (Alt. 2) besteht bei eingetretenen oder befürchteten Störungen des geistig-seelischen Reifungsprozesses, die sich als erheblich und nachhaltig darstellen. (1) „Psychisch“. Die Beurteilung einer derartigen Schädigung hat sich auszurichten am Ge- 66 setzeszweck, die geistige und seelische Integrität von Kindern und Jugendlichen zu schützen, damit diese sich selbstbestimmt, ihren Fähigkeiten und ihrer Veranlagung gemäß zur Bewälti143 Vgl. SSW/Wittig Rdn. 10 unter Hinweis auf die mögliche Heranziehung von Tabellen zu entwicklungsgerechtem Gewicht und entsprechender Größe. Diese werden zwar grdsl. angepasst an den Zustand des Kindes vor der Tathandlung zu betrachten sein, können – zumal bei jungen Kindern – dann aber einen aussagekräftigen Anhalt für eine Entwicklungsverzögerung liefern. 639
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gung der Lebensaufgaben entwickeln können.144 Dabei soll „psychisch“ nach dem gesetzgeberischen Willen letztlich gleichzusetzen sein mit dem Merkmal „seelisch“ in § 20;145 es soll allein Fehlentwicklungen beschreiben, die mit medizinisch-psychologischen Kriterien zu erfassen sind (BTDrucks. VI/3521 S. 16; krit. Hanack NJW 1974 1, 3). Dies trifft jedenfalls insoweit zu, als – nicht nur ganz vorübergehende – psychische Störungen, die aus der Pflichtverletzung rühren, jedenfalls einen tatbestandlichen Erfolg darstellen. Dabei muss es sich allerdings nicht um Störungen von Krankheitswert mit erheblichen Auswirkungen im Sinne der §§ 20, 21 handeln; die Anforderungen, die zur Ausfüllung des Kataloges dieser Vorschriften entwickelt wurden, sind nicht anzulegen. Herangezogen werden kann demgegenüber die Einordnung nach internationalen Klassifikationssystemen (ICD-10, DSL), die psychische Störungen niederschwellig und ausdifferenziert erfassen. 67 Der Taterfolg ist hierauf aber nicht beschränkt;146 er umfasst auch andauernde Einschränkungen der geistig-seelischen Verfassung, die sich noch nicht als Erkrankung begreifen lassen.147 Dies folgt bereits daraus, dass die Entwicklungsstörung anhand einer relativen Betrachtung des Zustandes des Schutzbefohlenen im Sinne einer individuellen Retardierung, Stagnation oder Fehlleitung festzustellen ist (vgl. Rdn. 62). Ist dieser im Vergleich zu seinem Befinden und Verhalten vor der Tathandlung anhaltend in seiner kognitiven Entwicklung gehindert oder zurückgeworfen, leidet er aufgrund der Tathandlung an Konzentrationsstörungen, ist er dadurch in seinem Sozialverhalten eingeschränkt, kommt es zu Vermeidungsverhalten, Aggressionsdurchbrüchen, starker Ängstlichkeit, Verschlossenheit, Bettnässen etc., so können solche Tatfolgen ausreichend sein unabhängig davon, ob sie sich noch in den Normalbereich altersgerechter Entwicklung oder bereits als pathologisch einordnen lassen. Tatbestandlich in diesem Sinne ist dabei nicht nur der Fall, dass der Schutzbefohlene Fähigkeiten verliert oder sich allgemein sein Zustand zum Schlechteren wendet, sondern auch jener, dass ein nach seiner persönlichen Disposition zu erwartender Entwicklungsfortschritt nicht einsetzt. Insoweit ist als psychische Entwicklungsstörung auch zu fassen, wenn dem Schutzbefohlenen geistig-seelische Entwicklungsmöglichkeiten verwehrt werden, für die etwa Schulbesuch, Außenkontakte und Rückzugsmöglichkeiten unabdingbar gewesen wären.
68 (2) Sozialethische Wertvorstellungen, Legalverhalten. In ihrer Beschreibung als ein nur mit medizinisch-psychologischen Methoden erfassbares, letztlich rein biologisches Kriterium läge eine mit dem Schutzzweck der Vorschrift, im Übrigen auch mit den Beispielsfällen der kriminellen Entwicklung und Prostitution nicht zu vereinbarendes einengendes Verständnis der psychischen Entwicklungsschädigung (anders Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3). Zwar sollen rein sittliche Fehlentwicklungen durch die Streichung des Merkmals des „sittlichen Wohls“ in § 170d a. F. nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers (BTDrucks. VI/1552 S. 13; VI/3521 S. 15 f) aus dem tatbestandlichen Erfolg ausgeklammert bleiben. In einer freiheitlichen, von Toleranz und Wertepluralismus geprägten Gesellschaft ist dem sicherlich insoweit zuzustimmen, als Vorgaben zu einem von einer gesellschaftlichen Mehrheitsmeinung akzeptierten Sozialverhalten, etwa zu Fragen von Partnerwahl, Sexualpraktiken, Schicklichkeit und des „guten Geschmacks“ als tatbestandlicher 144 Vgl. Rdn. 9; s. auch Ritscher MK Rdn. 14; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 7, jeweils unter Verweis auf BTDrucks. VI/3521 S. 16, wo sich eine ausdrückliche Schutzzielbestimmung indes nicht findet. 145 BTDrucks. VI/3521 S. 16: Dass nicht der Begriff „seelisch“ gewählt wurde, geht nach den Gesetzesmaterialien darauf zurück, dass dieser „im Sprachgebrauch (…) mit emotionalen und ideologischen Beziehungen behaftet“ sei; zudem sollte durch die Wortwahl eine größtmögliche Distanzierung zu einem auch sittliche Vorstellungen umfassendem Kriterium erreicht werden. Für eine Gleichsetzung von „psychisch“ und „seelisch“ auch Wolters SK Rdn. 7 Fn. 27; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; Dippel LK12 Rdn. 17. 146 And. Knauer Der Schutz der Psyche im Strafrecht, S. 195. 147 So i. E. auch Ritscher MK Rdn. 14; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 7. Wiedner
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II. Objektiver Tatbestand
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Erfolg unbeachtlich sind, sie bereits nicht mit dem erforderlichen Grad an Bestimmtheit formuliert werden könnten (zutreffend Ritscher MK Rdn. 14).148 Doch erweist sich eine trennscharfe Ausgrenzung von nur gesellschaftlich oder sozial determinierten Kriterien als Illusion. Denn als psychische Entwicklungsschädigung muss auch betrachtet werden, wenn sich bei einem Kind oder Jugendlichen schädliche Verhaltensweisen oder Einstellungen verfestigen, die bestimmten sozialethischen Wertvorstellungen zuwiderlaufen; diese sind jedenfalls in einem Mindestumfang von der durch § 171 geschützten psychischen Entwicklung umfasst, und zwar in dem Maße, wie sie grundlegende, rechtlich geschützte Werte der gesellschaftlichen Ordnung betreffen (zum hiermit korrelierenden Maßstab bei der Einordnung als Pflichtverletzung vgl. Rdn. 29).149 Geschützt ist damit auch die Charakterbildung des Kindes oder Jugendlichen. Dies gilt zum einen für die durch das Beispiel des kriminellen Lebenswandels in der Vor- 69 schrift bereits angelegte Förderung eines zumindest grundlegenden Rechtsverständnisses des Schutzbefohlenen und seiner damit einhergehenden Befähigung zum künftigen Legalverhalten. Eine psychische Entwicklung ist daher geschädigt, wenn sie mit grundlegenden Wertvorstellungen der Rechtsordnung in Konflikt tritt,150 weil etwa der Respekt und die Distanz vor Rechtsgütern anderer herabgesetzt ist, insbesondere die Hemmschwelle vor tätlichen Übergriffen, weil generell eine Gleichgültigkeit gegenüber der Einhaltung von rechtlichen Normen vorliegt, oder weil in der Vorstellung des Kindes oder Jugendlichen verankert wird, dass eine kriminelle, auf rücksichtlose Bereicherung angelegte Lebensführung als „normal“ oder erstrebenswert anzusehen ist. Hierzu gehört auch die durch Indoktrinierung erreichte Verfestigung radikaler, die freiheitliche Grundordnung in Frage stellender, Gewalt bejahender Weltanschauungen (s. bereits Rdn. 44). Schließlich unterliegt auch der sexuelle Bereich – wie auch hier bereits tatbestandlich durch das Merkmal der Prostitutionsaufnahme angelegt – einer wertenden Betrachtung, da jedenfalls im oberen Grenzbereich des Schutzalters nicht mehr medizinisch-psychologisch, sondern sozialethisch festgelegt werden muss, welche Einstellung und welches Verhalten als schädigend anzusehen sind. Darüber hinausgehend ist Zurückhaltung geboten. Eine Schädigung schon dann anzunehmen, wenn ein „Hineinwachsen in die Gemeinschaft und ihr sozialethisches Normensystem“ gehindert wird (so Sch/Schröder/ Bosch/Schittenhelm Rdn. 7) oder „seelische Fähigkeiten zur Bewältigung von sozialethisch zu bewertenden Lebensaufgaben“ nicht heranreifen können (so Dippel LK12 Rdn. 17), stößt bereits an Bestimmtheitsgrenzen. So kann etwa nicht unbesehen angenommen werden, dass eine konservative oder eine fundamentalistisch-religiöse Erziehung, die sich etwa gegen die Gleichstellung von Mann und Frau wendet oder Homosexualität verunglimpft, sich in einer psychischen Entwicklungsstörung auswirkt; zweifelhaft erscheint in solchen Fällen bereits – so bedenklich sich derartiges Verhalten auch darstellt – die Annahme einer strafrechtlich relevanten gröblichen Pflichtverletzung.
148 S. etwa KG JR 1982 507, wo ein Kind auf dessen Wunsch von seinem Vater – ohne sexuelle Intention – beim Urinieren fotografiert wurde; BGHSt 3, 256, wo Kinder lediglich Kenntnis davon hatten, dass ihre (verheirateten) Eltern bei einem jeweils anderen Partner übernachteten. 149 Ritscher MK Rdn. 14; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 7; SSW/Wittig Rdn. 11; enger Wolters SK Rdn. 7. Dippel (LK12 Rdn. 17) sieht bereits sachlich und terminologisch keinen Unterschied und verweist darauf, dass der Sonderausschuss nur den Bezug auf eine bestimmte sittliche Ordnung ausschließen wollte, nicht die Integration in ein sozialethisches Normensystem als solches. Dies dürfte die Materialien indes überinterpretieren (vgl. BTDrucks. VI/3521 S. 16). Anders wiederum Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3 mit Abstellen auf einen rein biologischen Prozess, allerdings einen solchen, „in dem sich die seelischen Fähigkeiten zur Bewältigung der Lebensaufgaben herausbilden“; soweit dies – moderner Hirnforschung entsprechend – dahin zu verstehen ist, dass es sich auch bei der Herausbildung sozialethischer Maßstäbe um einen letztlich biologischen Entwicklungsprozess handelt, ergibt sich kein Unterschied zur herrschenden Auffassung. 150 So mit unterschiedlicher Ausprägung auch Wolters SK Rdn. 7; Ritscher MK Rdn. 14; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 7; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 3; Dippel LK12 Rdn. 18. 641
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70 (3) Einzelfälle. Der Gefahr erheblicher psychischer Entwicklungsstörungen nach den vorgenannten Kriterien wird im Einzelfall regelmäßig ausgesetzt, wer als Kind oder Jugendlicher wiederkehrende Misshandlungen oder sexuellen Missbrauch erleiden muss, wer sozial völlig isoliert oder als junges Kind fortlaufend allein gelassen wird, wer eine erheblich eingeschränkte Beschulung erfährt, oder wer mit Gewalt- und Sexualdarstellungen konfrontiert wird, wobei es in letzterem Fall erheblich auf das Alter, die Art der Darstellung und die Fähigkeit zu ihrer Verarbeitung ankommt. Auch in anderen Fallgruppen, wie etwa der Mitnahme von Kindern auf Kneipentouren, ihrem ständigen Einsatz als Bettler oder bei religiös-weltanschaulich geprägten Tätigkeiten, wiederholtem entwürdigendem oder verängstigendem Verhalten des Pflichtigen kommt es gleichfalls auf eine konkrete Betrachtung der Auswirkungen und die Abschätzung der – mit der Intensität der Einwirkung steigenden – Wahrscheinlichkeit schädigender Folgen an. Das Verlassen eines Neugeborenen, dessen körperliche Betreuung gesichert ist, durch Ablegen in eine Babyklappe oder anonyme Geburt bildet nach hier vertretener Auffassung bereits keine gröbliche Pflichtverletzung (vgl. Rdn. 39), so dass es nicht darauf ankommt, ob sich im Einzelfall die Tathandlung und Unkenntnis von der Identität der leiblichen Eltern zu einer psychischen Entwicklungsstörung auswächst. Zu weiteren Einzelfällen und Nachweisen vgl. Rdn. 38 ff. Generell ist gesondert zur Handlung des Pflichtigen eine Einwirkung auf die Psyche des Schutzbefohlenen erforderlich, wie auch bei objektiv erheblich pflichtwidrigem Verhalten nicht selbstverständlich (vgl. etwa KG JR 1982 507, wo sich ein Kind der Sexualbezogenheit von ihm gefertigter Aufnahmen nicht bewusst war).
71 dd) Krimineller Lebenswandel und Ausübung der Prostitution (Alt. 3 und 4). Trotz der Gleichordnung in der Aufzählung der Taterfolge stellt sich das Abgleiten in einen kriminellen Lebenswandel – zu geeigneten ursächlichen Tathandlungen vgl. Rdn. 42 f., 46 f – als Unterfall einer psychischen Entwicklungsschädigung dar (vgl. BTDrucks. VI/3521 S. 16: „in aller Regel Ausdruck eines psychischen Schadens“),151 namentlich der unzureichenden Herausbildung eines normativ-ethischen Rechtsverständnisses mit der Folge einer unzureichenden Befähigung zu Legalverhalten. Eines solche psychische Disposition muss aber nicht gesondert festgestellt werden, sofern nicht allein hierauf die konkrete Gefahr gestützt werden soll; die Aufnahme in den Katalog des Taterfolges bewirkt insoweit eine Vereinfachung, als der kriminelle Lebenswandel und sich hieraus ergebende Gefahrmomente nach gesetzlicher Wertung typisch und unwiderleglich als Schädigungen anzusehen sind. Der Schutzbefohlene führt einen kriminellen Lebenswandel, wenn er wiederholt vorsätzliche Straftaten nicht nur aus dem unteren Kriminalitätsbereich begeht, und dieses Verhalten im Sinne einer Affinität oder Hinwendung seinem Leben einen prägenden Charakter verleiht (vgl. Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 9). Nicht zwingend vorliegen muss ein – jedenfalls aber ausreichender – Hang in der Begriffsbedeutung des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, mithin ein eingeschliffener innerer Zustand, der einen Täter immer neue Straftaten begehen lässt (s. etwa BGH NStZ 2014 206; NStZ-RR 2011 145, 204), denn sowohl die – in § 171 wesentliche kürzere – Zeitspanne der Heranbildung als auch der Bezugspunkt erheblicher Straftaten sprechen gegen eine Übertragbarkeit des Begriffs.152 Die Gefahr eines solchen Lebenswandels liegt dann vor, wenn der Schutzbefohlene bereits in die Planung von Straftaten eingebunden ist, wenn er – für einen kriminellen Lebenswandel noch nicht ausreichende – Tatbeiträge geleistet oder Taten begangen hat, aber auch bereits dann, wenn er ohne bisherige Beteiligung an Straftaten intensiv an kriminelle Kreise angebunden ist, etwa an Jugendbanden, Drogen- oder Rotlichtmilieu, rechts- oder linksradikale 151 Zweifelnd Schramm Ehe und Familie im Strafrecht, S. 361, der allerdings konzediert, dass es sich bei einem Verständnis der psychischen Entwicklungsschädigung über seelische Störungen hinaus um einen Unterfall handeln kann. Frommel NK Rdn. 8 sowie Dippel LK12 Rdn. 20 sehen sie terminologisch unscharf als Regelbeispiele. 152 Für das Erfordernis eines Hangs aber die h. M., vgl. AG Wermelskichen NJW 1999 590; Wolters SK Rdn. 9; Frommel NK Rdn. 8; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 4; SSW/Wittig Rdn. 12; Ritscher Rdn. 18. Wiedner
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III. Subjektiver Tatbestand
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Personenverbindungen,153 oder wenn aus seinem Verhalten sonst abzulesen ist, dass er im Sinne einer sozial-ethischen Verwahrlosung bei fortlaufender Entwicklung und sich bietender Gelegenheit, ggf. bestärkt durch den Pflichtigen, ohne Hemmnisse Straftaten begehen wird (vgl. Neuheuser NStZ 2000 174, 177; s. auch Wolters SK Rdn. 7). Zur Feststellung wird es häufig besonderer Erhebungen wie etwa der Hinzuziehung jugendpsychologischer Sachverständiger oder der in vorangegangenen Verfahren gegen den Jugendlichen befassten Jugendgerichtshilfe bedürfen. Ebenso wie der kriminelle Lebenswandel ist die Gefahr, der Prostitution nachzugehen, nur 72 beispielhaft als Sonderfall der psychischen Entwicklungsschädigung zu begreifen, wobei es wie bei dem Taterfolg des kriminellen Lebenswandels auf die Feststellung einer abnormen Veränderung der psychischen Disposition nicht ankommt.154 Der Taterfolg in Gestalt einer Verwirklichung der Gefahr ist nach der geläufigen Definition der Prostitution eingetreten, wenn das Kind oder der Jugendliche sich ausdrücklich oder konkludent anbietet, zu Erwerbszwecken wiederholt an oder vor wechselnden Partnern sexuelle Handlungen gegen Entgelt vorzunehmen oder an sich vornehmen zu lassen (s. nur Fischer § 180a Rdn. 4; §§ 1, 2 ProstG). Der konkreten Gefahr eines Nachgehens der Prostitution kann der Schutzbefohlene ausgesetzt sein, wenn er sich in Prostituierten- oder Rotlichtkreisen bewegt, er Adressat von Anwerbebemühungen einzelner Zuhälter ist oder einzelne befreundete Prostituierte – auch durch Darstellung ihrer Tätigkeit als erstrebenswert – auf ihn Vorbildfunktion ausüben, wenn er im heimischen Umfeld in Beziehungen integriert wird, die eine Ausübung oder Inanspruchnahme von Prostitution als Selbstverständlichkeit erscheinen lassen, ihm durch die Pflichtigen die Ausübung der Tätigkeit nahegelegt wird,155 aber auch dann, wenn der Schutzbefohlene eigenständig, etwa durch mediale Einflüsse dahin gebracht wird, die Aufnahme der Prostitution zu erwägen. Die bloße Kenntnis und das Erleben des Phänomens der Prostitution, etwa als Kind einer Prostituierten und Ausübung der Tätigkeit in der eigenen Wohnung reicht nicht aus, wenn sie nicht als nachahmenswert dargestellt wird oder bei Schutzbefohlenen aus anderen Gründen die Hemmschwelle zur eigenen Aufnahme maßgeblich herabgesetzt wird.156 Auch eine Promiskuität des Jugendlichen reicht für sich genommen nicht aus, selbst wenn er hierzu ermuntert wird; ist diese wahllos und an die Erwartung auch kleinerer materieller Zuwendungen gebunden, kann der Fall anders zu beurteilen sein.157 Vgl. zu Nachweisen und weiteren Fallbeispielen Rdn. 50 f.
III. Subjektiver Tatbestand Ausreichend für den inneren Tatbestand ist bedingter Vorsatz.158 Der Vorsatz muss sich auf 73 das Pflichtverhältnis, die gröbliche Pflichtverletzung sowie auf alle Umstände, aus denen sich die dadurch verursachte konkrete Gefährdung ergibt, erstrecken.159 Hinreichend ist da153 S. auch Rdn. 45, 49; Ritscher MK Rdn. 18; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 9. 154 Frommel NK Rdn. 4 sieht bei Anerkennung eines Strafbedürfnisses für die Fürsorge- und Erziehungspflichtigen aufgrund des gewandelten Verständnisses vom Stellenwert der Prostitution keinen Grund mehr, überhaupt noch eine Entwicklungsstörung anzunehmen; dies erscheint indes aus entwicklungspsychologischer Sicht und kriminologisch verfehlt. 155 Die objektive Gefährdungslage wird aber immer dann nicht ausreichen, wenn das Kind oder der Jugendliche hiergegen erkennbar resistent bleibt, er etwa für sich deutlich eine innere Distanzierung zu dem Geschehen aufgebaut hat und sie formuliert. 156 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 9; Frommel NK Rdn. 9; enger Prot. VI/35 S. 1287 [Claussen]; Dippel LK12 Rdn. 20. 157 Vgl. Ritscher MK Rdn. 19; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 9; Fischer Rdn. 9. 158 Allg. Auffassung; s. etwa Fischer Rdn. 10; Wolters SK Rdn. 15; Ritscher MK Rdn. 20; Frommel NK Rdn. 10; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 7; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 53; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 10. 159 BGH MDR 1964 772; 1979 949; NStZ 1982 329 insbesondere auch zu den Voraussetzungen, unter denen ein Fürsorge- oder Erziehungsverpflichteter die Gefährdung durch gröbliche Verletzung seiner Pflichten billigend in Kauf nimmt. S. auch Fischer Rdn. 10; Frommel NK Rdn. 9; Ritscher MK Rdn. 20. 643
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bei aber die Kenntnis der zugrundeliegenden Tatsachen. Weiß der Täter etwa um seine Stellung in tatsächlicher Hinsicht, etwa als miterziehender Lebensgefährte des leiblichen Elternteils oder als Betreuer einer Jugendfreizeit, so wirkt ein Irrtum über die damit verbundenen Pflichten, etwa zur umfassenden Gefahrabwendung in dem verantworteten Bereich, nicht vorsatzausschließend, sondern kann allenfalls nach § 17 bedeutsam werden. Auch die Gröblichkeit der Pflichtverletzung oder die Erheblichkeit der drohenden oder eingetretenen Entwicklungsschädigung sind allein rechtlich wertende Begriffe, so dass es ausreicht, dass der Täter alle Umstände kennt, aus denen sich die Bewertung herleitet; unterliegt er einer Fehleinschätzung dieser Umstände mit der Folge, dass er sein Verhalten gleichwohl für nicht-gröblich und die Folgen für unerheblich hält, unterliegt er einem rechtlichen und damit einem Verbotsirrtum.160 Die Vermeidbarkeit etwa einer Fehleinschätzung des Schweregrads der Pflichtverletzung hängt von der – aufgrund bereits allgemeiner Informations- und Beratungsmöglichkeiten im Regelfall zu bejahenden – Frage ab, ob der Täter zur Bewertung seines Verhaltens als gröblich hätte gelangen können (Maiwald GA 1974 263 f). 74 Auch bei Untätigkeit trotz offensichtlicher und von dem Täter erkannter Gefährdung, etwa dem Dulden von Drogenmissbrauch oder einem tolerierten Umgang in kriminellem Milieu handelt der Täter vorsätzlich, selbst wenn er meint, dass die Umstände im Vergleich zu ansonsten zu erwartenden Nachteilen – etwa sozialer Isolierung oder ständigen Konflikten mit ihm selbst, dem Pflichtigen – nicht schwer wiegen (vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 56). Bei Tatsachenkenntnis ist es schließlich unerheblich, dass der Täter in der ihm bekannten Lage des Schutzbefohlenen keine Gefährdung sieht, weil er sie nach seiner subjektiven Bewertung „nicht so schlimm“ findet, er etwa rechtsradikale Ansichten seines Kindes teilt oder sie gar befördert.161 Anders kann es liegen, dass der Pflichtige sich über die Folgen seines Handelns in tatsächlicher Hinsicht nicht im Klaren ist, er etwa mit der Möglichkeit einer negativen Fortentwicklung nicht rechnete und damit die konkrete Gefahr falsch einschätzt. In diesem Fall würde ein vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum vorliegen (§ 16), doch wird entsprechenden Behauptungen mit Vorsicht zu begegnen sein: Im ohnehin eng begrenzten Bereich gröblicher Pflichtverletzung und erheblicher Gefährdung werden die drohenden Folgen auch in psychischer Hinsicht meist auf der Hand liegen (zutreffend Ritscher MK Rdn. 20). Ein Irrtum über die Reichweite der zulässigen und im Einzelfall erforderlichen Erziehungsmittel ist in der Regel Verbotsirrtum; dass Misshandlungen zu Erziehungszwecken verboten sind, ist ebenso rechtliche Wertungsfrage (vgl. § 1631 Abs. 2 BGB) wie die Notwendigkeit einer auf Schadensabwendung ausgerichteten Erziehung. Zumindest im Rahmen einer Parallelwertung in der Laiensphäre wird es auch ausreichen, dass zu den verfügbaren Mitteln auch die Inanspruchnahme behördlicher Hilfe zählt, ohne dass der Pflichtige sich darauf zurückziehen kann, Einzelheiten oder rechtliche Bestimmungen nicht gekannt zu haben. 75 Unkenntnis maßgeblicher Tatsachen bewirkt einen Ausschluss des Vorsatzes. Kennt der Täter die Umstände nicht, die sein Verhalten zu einer gröblichen Pflichtverletzung machen, weiß er etwa nicht von einem schädlichen Verhalten des Schutzbefohlenen, das er unterbinden müsste, oder hat er keine Kenntnis vom Grad der Unzuverlässigkeit der Person, der er den Schutzbefohlenen überlässt, so mangelt es am Vorsatz (vgl. Wolters SK Rdn. 13; SSW/Wittig Rdn. 14; Neuheuser NStZ 2000 174, 176). 76 Überschießende Innentendenzen – wie in früherer Fassung die Gewissenlosigkeit (vgl. Rdn. 2 f) – sind nicht gefordert, wenngleich die gröbliche Pflichtverletzung eine auch subjektive 160 Ritscher MK Rdn. 20; Wolters SK Rdn. 15; Dippel LK12 Rdn. 21; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 14; Kuhli MR Rdn. 13; SSW/Wittig Rdn. 14; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 56; Neuheuser NStZ 2000 174, 179; Maiwald GA 1974 263; and. Frommel NK Rdn. 10 und Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 10: normative Tatbestandsmerkmale, daher Tatbestandsirrtum. 161 Diese Fallgestaltung dürfte auch mit der gelegentlich anzutreffenden, aber ungenauen Formulierung gemeint sein, dass der Verpflichtete mit einer Gefährdung des Schutzbefohlenen rechnen musste (Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 20; Dippel LK12 Rdn. 21). Wiedner
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V. Rechtsfolgen
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Momente umfassende besondere Gewissen- oder Verantwortungslosigkeit des Täters voraussetzt (Rdn. 2). Diese ist indes nicht dahin zu verstehen, dass Täter entlastet sind, wenn sie in Kenntnis aller objektiven Umstände meinen, zum Besten des Schutzbefohlenen zu handeln, etwa Prügelstrafen für ein geeignetes Mittel zur Herausbildung der Persönlichkeit halten oder eine homöopathische Behandlung für ausreichend bei schwerer Erkrankung; denn gerade aus einer völlig verfehlten Mittel-Zweck-Relation kann sich die Verantwortungslosigkeit ergeben. Subjektive Überzeugungen entlasten insoweit nicht; dies gilt auch für einen fehlenden Glauben an die Zuverlässigkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse und die Zuwendung an religiösesoterische Anschauungen.
IV. Täterschaft und Teilnahme Die Tat ist Sonderdelikt; Täter kann daher nur derjenige sein, der gegenüber dem Kind oder Ju- 77 gendlichen in dem vorausgesetzten Pflichtenverhältnis steht.162 Hieran knüpft sich auch die Bewertung als echtes Unterlassungsdelikt im Fall der Nichtabwendung von Gefahren (vgl. Rdn. 14). Personen außerhalb der Pflicht kommen nur als Teilnehmer in Betracht. Streitig ist dabei, ob dem selbst in keinem Pflichtverhältnis stehenden Teilnehmer die Strafrahmenmilderung des § 28 Abs. 1 zugute kommt.163 Da für den Unrechtsgehalt der Vorschrift der Pflichtenstellung des Täters maßgebliches Gewicht zukommt, die Fürsorge- und Erziehungspflichten insbesondere derart umfassend und tiefgreifend angelegt, dass sie sich nicht als bloße Garantenpflichten eines unechten Unterlassungsdeliktes begreifen lassen,164 sondern ein Pflichtverletzungsdelikt mit gleichwertiger Tatbegehung durch aktive Pflichtverletzung und durch unterlassene Pflichtwahrnehmung vorliegt, ist die Pflichtenstellung als besonderes persönliches Merkmal zu begreifen und § 28 Abs. 1 anwendbar (zutreffend Frommel NK Rdn. 11; Ritscher MK Rdn. 21).165 Andererseits scheidet bei demjenigen, dem eine Fürsorge- oder Erziehungspflicht zukommt und der – etwa neben dem anderen Elternteil – nur mangels Tatherrschaft Teilnehmer ist, die Anwendung des § 28 Abs. 1 aus. Mittäterschaft – etwa beider sorgeberechtigter Elternteile, mehrerer zusammenarbeitender Betreuer – ist möglich, ebenfalls Nebentäterschaft, falls etwa mehrere Schutzpflichtige trotz unabhängig voneinander erlangter Informationen über eine Gefährdung jeweils nicht tätig werden.
V. Rechtsfolgen Die Höhe der zu verhängenden Rechtsfolgen – Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geld- 78 strafe – wird wesentlich vom Ausmaß der Pflichtverletzung und der Schwere der hierdurch bewirkten Folgen abhängen. Im unteren Bereich kommen Verfahrenseinstellungen nach § 153a StPO – etwa mit Weisungen, Beratungsleistungen in Anspruch zu nehmen, an sozialen Kursen teilzunehmen (§ 153a Abs. 1 S. 2 Nr. 6 StPO), den Schulbesuch der Kinder sicherzustellen u. ä. – in Betracht, ansonsten eine Anwendung von § 59, die Verhängung von Geldstrafen und – unter
162 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 11; Wolters SK Rdn. 14; Ritscher MK Rdn. 21; SSW/Wittig Rdn. 16; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 8; Fischer Rdn. 3; Bohnert ZStW 2005 292; Klimmek S. 3.8.
163 Bejahend die h,M., s. Ritscher MK Rdn. 21; Frommel NK Rdn. 11; Wolters SK Rdn. 14; Dippel LK12 Rdn. 22; aA Lackner/Kühl/Heger Rdn. 8; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 11.
164 Für diese wird eine Anwendung von § 28 Abs. 1 überwiegend abgelehnt, s. Sch/Schröder/Cramer/Heine § 28 Rdn. 18 f; Roxin LK Rdn. 66, jeweils m.w.Nachw; Vogler FS Lange 268 ff; für die Gegenmeinung insb. Geppert ZStW 82 (1970) 40 ff 165 Dippel (LK12 Rdn. 22) führt – allerdings auf der Grundlage, dass es sich bei der Fürsorge- und Erziehungspflicht um bloße Garantenpflichten handele – zudem zutreffend aus, dass selbst im Vergleich mit den § 28 Abs. 1 unstreitig unterfallenden Konstellationen, etwa jenen des Amtsträgers, bei § 171 eine deutlich stärkere Verantwortlichkeit durch eine ethisch-normativ begründeten Vertrauensstellung vorliege. 645
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Beachtung von § 47 Abs. 1166 – kurzer Freiheitsstrafen unter Aussetzung zur Bewährung mit entsprechenden Weisungen (vgl. Wolters SK Rdn. 18). Bei wiederholter Pflichtverletzung, insbesondere Nichteinschreiten gegen die fortbestehende Gefährdungslage, wird regelmäßig ein Widerrufsgrund vorliegen (§ 56f Abs. 1 S. 1 Nr. 1, ggf. auch Nr. 2; Neuheuser NStZ 2000 174, 179). Zu vollstreckende Freiheitsstrafen werden erst bei einem Schwere- oder Wiederholungsgrad zu verhängen sein, in dem ohnehin an parallele Maßnahmen nach § 1666 BGB zu denken ist. Das Wohl des Kindes oder Jugendlichen, dem der Fürsorge- und Erziehungspflichtige durch die Vollstreckung zeitweise genommen wird, ist jedenfalls bei Freiheitsstrafen rechtfertigen schweren Übergriffen oder Versäumnissen kein tragfähiger strafmildernder Gesichtspunkt, da durch die Einwirkung gerade zugunsten des Schutzbefohlenen einer Wiederholung vorgebeugt werden soll, sofern die Pflicht nicht ohnehin nur zeitweise bestand oder – etwa durch Entziehung der Personensorge – aufgehoben wird. 79 § 13 Abs. 2 ist angesichts des Charakters von § 171 als echtem Unterlassungsdelikt unanwendbar (vgl. Rdn. 14, str.), § 28 Abs. 1 findet dagegen auf den nicht selbst pflichtigen Teilnehmer Anwendung (Rdn. 77). Grundlegende Elternpflichten wie auch sonstige der Täterstellung typischerweise innewohnende Pflichten sind Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes und dürfen ebensowenig wie der Umstand gröblicher Verletzung oder die Erheblichkeit der Tatfolge nach § 46 Abs. 3 strafschärfend berücksichtigt werden (vgl. BGH NStZ-RR 1998 101, 102; Detter NStZ 1998 503). Differenzierungen zwischen einem Gefährdungserfolg und einer eingetretenen Schädigung sind aber möglich, ebenso nach dem Schweregrad letzterer.
VI. Konkurrenzen 1. Innertatbestandlich 80 Wiederholte (einfache) Pflichtverletzungen, die sich erst in ihrer Zusammenschau zu einer gröblichen Pflichtverletzung summieren, bilden eine Tat.167 Eine neue Tat beginnt dabei aber nicht bereits dann, wenn bei wiederholter Handlung oder dauerhaftem Unterlassen die Schwelle hierzu überschritten ist; sofern sich die Tathandlungen auf den identischen Erfolg, etwa eine sich intensivierende Gefährdungslage beziehen, sind sie gleichfalls einheitlich zu beurteilen. Eine Zäsur bildet – etwa bei unterbliebenem Einschreiten des Pflichtigen – der Zeitpunkt der letzten tatrichterlichen Hauptverhandlung. Eine Trennung in verschiedene selbständige Taten können aber auch gesonderte Verletzungserfolge bewirken: Führt der Täter durch besonders schwere Misshandlungen einen Krankenhausaufenthalt des Schutzbefohlenen herbei, und setzt er hiernach seine Handlungen fort, können zwei Taten vorliegen,168 wenn nicht erst in Zusammenschau die Qualität einer erheblichen Entwicklungsstörung oder deren Gefahr erreicht ist. Ebenso liegt es, wenn der Täter gegenüber demselben Schutzbefohlenen durch eine Handlung eine körperliche Schädigung und durch – auch zeitlich sich überschneidende – andere Handlungen eine psychische Beeinträchtigung bewirkt, die als unterschiedliche Taterfolge von Erheblichkeit gelten können. 166 Für eine sehr weite Anwendung im Sinne regelmäßiger Verhängung kurzer Freiheitsstrafen Neuheuser NStZ 2000 174, 179. Dass der Gesetzgeber davon ausging, dass regelmäßig auch kurzzeitige Freiheitsstrafen zu verhängen sind, lässt sich entgegen seiner Auffassung der Gesetzesbegründung aber schwerlich entnehmen (BTDrucks. VI/3521 S. 16: „mit nur wenigen Ausnahmen Verurteilungen zu Freiheitsstrafe“), könnte an der bestehenden Gesetzeslage im Übrigen nichts ändern. Die von Neuheuser behauptete Rechtsprechungspraxis bezieht sich auf eine veröffentlichte amtsgerichtliche Entscheidung (a. a. O. Fn. 83: AG Wermelskirchen NJW 1999 590). 167 BGHSt 8 92, 95; s. auch BGHSt 43 1, 3; Fischer Rdn. 11; Ritscher MK Rdn. 22; Wolters SK Rdn. 17; Frommel NK Rdn. 11; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 12; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 2; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2, § 63 Rdn. 57. 168 Vgl. BGH NSt-RR 2006 42, indes zu § 225. Wiedner
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VI. Konkurrenzen
StGB § 171
Bringt der Täter mehrere ihm Schutzbefohlene in die konkrete Gefahr, so kommt es da- 81 rauf an, ob er die Gefährdung des einzelnen durch dieselbe Handlung bewirkt hat (dann Handlungseinheit in Gestalt gleichartiger Idealkonkurrenz) oder durch mehrere (dann Handlungsmehrheit, vgl. BGH NStZ-RR 1998 101).169 Entsprechendes gilt für ein Unterlassen, bei welchem es auf die Identität oder Verschiedenheit der abverlangten Handlungen ankommt.
2. Zusammentreffen mit anderen Vorschriften Nach Wegfall der Subsidiaritätsklausel früheren Rechts kommt mit einer Mehrzahl konkurrie- 82 render Tatbestände eine tateinheitliche Verwirklichung in Betracht; sie wird häufig vorliegen. Im Regelfall wird § 171 auch bei überschneidendem Rechtsgüterschutz wegen der spezifischen Schutzrichtung und des besonderen Taterfolges170 von gewichtigeren Delikten nicht verdrängt, vermag solche, wenn sie in Mehrzahl begangen sind, aber auch nicht zu einer Tat oder Tateinheit zu verklammern (vgl. BGH NStZ-RR 2006 42; Fischer Rdn. 11). Dies gilt für Körperverletzungsdelikte nach den §§ 223 ff,171 insbesondere auch § 225 mit Ausnahme von § 225 Abs. 3 Nr. 2, hinter dessen Verwirklichung § 171 zurücktritt,172 außerdem mit § 170,173 mit Sexualdelikten nach den §§ 174 ff, §§ 180 ff, insbesondere § 182,174 dann ggf. auch § 177 und § 173 (Frommel NK Rdn. 12), und der §§ 184b ff175. Tateinheit kann bestehen mit § 221176 und § 222,177 nicht aber mit Vorschriften vorsätzlicher Tötung der §§ 211 ff, hinter dessen Unrechtsgehalt die Vorschrift zurücktritt.178 Benutzt der Pflichtige den Schutzbefohlenen als Werkzeug bei der Ausführung von Straftaten, stiftet er ihn zu Straftaten an oder leistet er ihm dazu Hilfe, kommt tateinheitliche Täterschaft oder Teilnahme (auch § 30) an einer unmittelbar durch den Schutzbefohlenen verübten Tat in Betracht.179 Tateinheit ist ferner möglich mit einer die Verletzung der Schulpflicht sanktionierenden Vorschrift des Landesrechts, während entsprechende Bußgeldtatbestände hinter § 171 ebenso zurücktreten wie die dasselbe Rechtsgut betreffende ergänzende Strafvorschrift des § 105 Nr. 2 SGB VIII (Tateinheit dagegen möglich mit § 105 Nr. 1 SGB VIII) und Ordnungswidrigkeiten nach § 104 SGB VIII.
169 170 171 172 173
Ritscher MK Rdn. 22; Fischer Rdn. 11; Wolters SK Rdn. 17. Vgl. insoweit Wolters SK Rdn. 17; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 12. BGH NStZ-RR 2006 42; Frommel NK Rdn. 12; nach Ritscher (MK Rdn. 22). BGH StraFo 2010 123; Beschl. v. 4.8.2010 – 2 StR 298/10 (juris); Kuhli MR Rdn. 17; Ritscher MK Rdn. 22. Vgl. BVerfGE 50 142, 157; OLG Hamm NJW 1964 2316, 2317; Fischer Rdn. 11; Wolters SK Rdn. 17; Sch/Schröder/ Bosch/Schittenhelm Rdn. 12; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 9. 174 Ritscher MK Rdn. 22; Wolters SK Rdn. 7. And. Frommel NK Rdn. 12 mit beachtlichen Argumenten für §§ 174, 180, 180b Abs. 2 Nr. 2. a. F. 175 Dass hierfür erforderlich sein soll, dass außer dem Schutzbefohlenen noch andere Kinder oder Jugendliche gefährdet werden (so Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 12; Dippel LK12 Rdn. 24), leuchtet indes nicht recht ein. 176 Fischer Rdn. 11; Wolters SK Rdn. 17; Preisendanz Anm. 6; Sch/Schröder/Eser § 221 Rdn. 18. 177 BGHSt 2 348, 349; Fischer Rdn. 11; Frommel NK Rdn. 12; Wolters SK Rdn. 17; Lackner/Kühl/Heger Rdn. 9. 178 Ritscher MK Rdn. 22; aA SSW/Wittig Rdn. 18. Zum Fall tatmehrheitlicher Verwirklichung gegenüber unterschiedlichen Kindern vgl. BGH NStZ-RR 1998 101. 179 Fischer Rdn. 11; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 12 auch zur Beihilfe durch Unterlassen. 647
Wiedner
§ 172 Doppelte Ehe; doppelte Lebenspartnerschaft Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer verheiratet ist oder eine Lebenspartnerschaft führt und 1. mit einer dritten Person eine Ehe schließt oder 2. gemäß § 1 Absatz 1 des Lebenspartnerschaftsgesetzes gegenüber der für die Begründung der Lebenspartnerschaft zuständigen Stelle erklärt, mit einer dritten Person eine Lebenspartnerschaft führen zu wollen, Ebenso wird bestraft, wer mit einer dritten Person, die verheiratet ist oder eine Lebenspartnerschaft führt, die Ehe schließt oder gemäß § 1 Absatz 1 des Lebenspartnerschaftsgesetzes gegenüber der für die Begründung der Lebenspartnerschaft zuständigen Stelle mit dieser dritten Person eine Lebenspartnerschaft führen zu wollen.
Schrifttum Becker H. J. Die strafrechtlichen Konsequenzen einer nichtigen Ehe (1912); Bischoff Schafft die Rechtsprechung des BGH Doppelehen? Oder: Wann wird ein Scheidungsausspruch rechtskräftig? FuR 12 (2001) 348; Bosch F. W. Neuordnung oder nur Teilreform des Eheschließungsrechts? NJW 1998 2004; Brohan Étude sur le crime de bigamie (1898); Bruns/ Beck Das Eheverbot bei Gleichgeschlechtlichkeit, MDR 1991 832; Coester/Coester-Waltjen Polygame Verbindungen und deutsches Recht, FamRZ 2016, 1618; Coester-Waltjen/Heiderhoff Zum Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Mehrehe, JZ 2018, 762; Cullmann Die Behandlung Polygamer Ehen im internationalen Privatrecht von England, Frankreich und Deutschland (1976) (zit.: Cullmann Polygame Ehen); ders. Anerkennung polygamer Ehen in der Bundesrepublik Deutschland, FamRZ 1976 313; Ebermayer Bigamie (Doppelehe), Handwörterbuch der Rechtswissenschaft Bd. 1 (1926) 760; Ebert Kulturkonflikte als Rechtskonflikte – Über rechtliche Grundlagen und Grenzen der Multikulturalität in Deutschland, ZStW 2018, 179; Eckstein E. Versuch und Vollendung der Bigamie, GerS 83 (1915) 124; Fateh-Mogadam Die religiös-weltanschauliche Neutralität des Strafrechts – Zur strafrechtlichen Beobachtung religiöser Pluralität (2019); Faucon Decriminalizing Polygamy, Utah Law Review 5 (2016), S. 709;Francke Wiederverheiratung im Falle der Todeserklärung und Bigamie, DJZ 2 (1897) 382; Frauenstädt Breslaus Strafrechtspflege im 14. und 16. Jahrhundert – Ein Beitrag zur Geschichte des Strafrechts, ZStW 10 (1890) 1, 229; Gamillscheg Doppelehe und hinkende Ehe im internationalen Privatrecht, Göttinger Festschrift für das Oberlandesgericht Celle Göttinger Rechtswissenschaftliche Studien Bd. 40 (1961); Gautschi Die mehrfache Ehe im schweizerischen Strafrecht (1953); Graßhof Keine Doppelehe nach fehlerhaftem Rechtskraftzeugnis! NJW 1981 437; Haas Der neue Straftatbestand der Zwangsheirat (§ 237 StGB) – eine kriminalpolitische Bewertung, JZ 2013, 72; Hälschner Die Lehre vom Ehebruche und der Bigamie in geschichtlicher Entwicklung und nach dem neuern insbesondere norddeutschen Strafgesetzbuch, GerS 22 (1870) 401; Hamburger Die Bestrafung des Konkubinats in Deutschland, ZStW 4 (1884) 499; Heintzmann Zur Rechtskraft des Scheidungsausspruchs, FamRZ 1980 112; ders. Doppelehe nach fehlerhaftem Rechtskraftzeugnis? NJW 1981 208; Heßler Auslandsehen und missbräuchliche Erhebung der Ehenichtigkeitsklage, IPRax. 6 (1986) 146; Hilgendorf Das Eigene und das Fremde I – Die deutsche Strafgesetzgebung und Strafrechtspraxis vor den Herausforderungen kultureller Pluralisierung, StV 2014, 555; ders., Die deutsche Strafrechtswissenschaft vor den Herausforderungen kultureller Pluralisierung, oder: Was ist „Religion“?, JZ 2014, 821; ders. Strafrecht und Interkulturalität – Plädoyer für eine kulturelle Sensibilisierung der deutschen Strafrechtsdogmatik, JZ 2009, 139; Hoche Das Verbrechen der Bigamie unter besonderer Berücksichtigung der im Ausland abgeschlossenen bigamischen Ehen (1912); Kaiser Zwangsheirat, FamRZ 2013, 77; Hörnle Strafrechtliche Verbotsnormen zum Schutz vor kulturellen Identitäten, in: Dreier/Hilgendorf (Hrsg.), Kulturelle Identiät als Grund und Grenze des Rechts (2008), S. 315; Kaltenbach Der strafrechtliche Schutz der Familie (2014); Husak Polygamy – A Novel Test for a Theory of Criminalization, in: Duff u. a. (Hrsg.): Criminalization – The Political Morality of the Criminal Law (2014), S. 213; Jung Pluralismus und Strafrecht – ein unauflösbarer Widerspruch, JZ 2012, 926; Köth Die fehlerhafte Ehe als Fall des fehlerhaften Dauerschuldverhältnisses, Schriften zum Bürgerlichen Recht Bd. 269 (2002); Lange Hch. Fragen des Eheschließungsrechts, AcP 145 (1939) 129; Langerhans, Das strafrechtliche Doppeleheverbot – § 172 StGB im Spannungsverhältnis von Kultur und Strafrecht (2020); Liebelt Bigamie als Ausländertat eines Ausländers, GA 1974 20; Löwenstein Die Bekämpfung des Konkubinats in der Rechtsentwicklung, StrafrAbh. 201 (1919); Majer Polygamie in Deutschland – Rechtslage und Reformdiskussion, NZFam 2019, 242; Mankowski Genießt die Polygamie Schutz durch Grund- oder Menschenrechte aus Verfassungs-, Unions- und Völkerrecht?, FamRZ 2018, 1134; Martens Wider die Bekämpfung der Mehrehe, ZRP 2018, 242; Massfelder/Böhmer Das gesamte Familienrecht, Bd. 1 Eherecht 3. Aufl. (1974); Mayer M. Der Konkubinat (1931); Mittermaier Doppelehe und Ehebruch, Vergleichende Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts Besonderer Teil Bd. 4 (1906) 84; Müller Religion und Strafrecht – Christliche Einflüsse auf Normenbestand, Dogmatik und Argumentationsstrukturen des deutschen Strafrechts (2008); Neukötter Die Strafbarkeit Wiedner https://doi.org/10.1515/9783110490107-035
648
StGB § 172
I. Allgemeines
des Konkubinats, StrafrAbh. 273 (1930); Oppe Deutsch-spanische Doppelehe in Mexiko, MDR 1971 23; Pagenstecher Über die Doppelehe, RhZZP 10 (1919/20) 20, 134; Peters C. Bigamie infolge Wiedereinsetzung? Letzter Ausweg: Das Bundesverfassungsgericht, MDR 1959 533; Pfenninger Die Strafbarkeit der mehrfachen Ehe (Bigamie), SchwJZ 63 (1967) 369; Ramm Eheverbot und Ehenichtigkeit, JZ 1963 47, 81; Rehbein Wiederverheiratung im Falle der Todeserklärung und Bigamie, DJZ 2 (1897) 197; Rigopulpu Grenzen des Paternalismus im Strafrecht (2013); Robrecht Ehenichtigkeit und Wiederholung der Eheschließung im Falle der Doppelehe, JR 1952 389; Ruza Das Erscheinungsbild der Bigamie in der Nachkriegszeit (1950); Schrodt Die Konfliktlösung bei Doppelehe, JR 1951 43; Schwinge Polygamie in den USA, FamRZ 1978 171; Stange Beiträge zur Lehre von der Bigamie (1893); Strätz Rechtsfragen des Konkubinats im Überblick, FamRZ 1980 301, 434; Thomsen Versuch der Bigamie, ein Versuch, bei dem ein Dritter den Anfang macht? DJZ 14 (1909) 1433; Völker Bigamie durch Wiederverheiratung nach Todeserklärung des ersten Ehegatten? SchwJZ 45 (1949) 221; Valerius Kultur und Strafrecht – Die Berücksichtigung kultureller Wertvorstellungen in der deutschen Strafrechtsdogmatik (2011); v. Weickhmann Die Vielehe deutscher Staatsangehöriger in mohammedanischen Staaten (1895); Winkler v. Mohrenfels Hinkende Doppelehe, Vorfragenanknüpfung und Gestaltungswirkung inländischer Scheidungsurteile, IPRax. 8 (1988) 314; Wolff Kriegsverschollenheit und Wiederverheiratung, Festgabe der Bonner Juristischen Fakultät für Karl Bergbohm zum 70. Geburtstag (1919) 116; Zehetgruber § 172 StGB – eine entbehrliche Strafnorm?, NK 2019, 320.
Übersicht I. 1.
2. 3. 4.
II. 1.
2.
Allgemeines 1 1 Geschichtliche Entwicklung 1 a) Antike bis Neuzeit 2 b) StGB bis 1998 c) Änderungen hinsichtl. gleichgeschlechtli5 cher Partnerschaften aa) Gesetz zur Bereinigung des Rechts 6 der Lebenspartner 8 bb) Eheöffnungsgesetz cc) Anwendung von § 172 nach Zeitab9 schnitten 10 d) Gesetzesmaterialien 11 Rechtsgut 16 Deliktsnatur Rechtspolitische und praktische Bedeu17 tung 20 Objektiver Tatbestand Bestehende Ehe oder Lebenspartnerschaft eines 21 Beteiligten 21 a) Verheiratet 23 b) Eingetragene Lebenspartnerschaft 24 c) Anknüpfung nach EGBGB 26 Tathandlung
a)
3.
Grundsatz, Erfassung von Ehe und Lebens27 partnerschaft in zeitlicher Hinsicht 29 b) Einzelne Tathandlungen 29 aa) Formell gültige Ehe bb) Erklärung hinsichtlich Lebenspartner30 schaft cc) Umwandlung nach § 20a 31 LPartG dd) Sonderfall: Heirat nach unrichtiger 32 Todeserklärung 33 c) Mit einer dritten Person 34 Fälle mit Auslandsbezug
III.
Rechtswidrigkeit
IV.
Subjektiver Tatbestand
V.
Tatvollendung, Versuch
VI.
Täterschaft und Teilnahme
VII. Verjährung VIII. Konkurrenzen
38 39 41 42
44 45
I. Allgemeines 1. Geschichtliche Entwicklung a) Antike bis Neuzeit. Die strafrechtliche Behandlung der Doppelehe1 reicht weit zurück; ein 1 kulturell universelles Verbot liegt ihr indes nicht zugrunde. Noch gegenwärtig ist die Bi- oder
1 Auch Bigamie genannt (lat. bis = zweimal, gr. gamos = Ehe; spätlateinisch bigamia). Entgegen gelegentlicher Kritik an dem Begriff der Doppelehe als unzutreffend oder irreführend für § 172 (Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 649
Wiedner
§ 172 StGB
Doppelte Ehe; doppelte Lebenspartnerschaft
Polygamie erlaubt in weiten Teilen Afrikas, in Indien und in Ozeanien.2 Menschheitsgeschichtlich ist die Monogamie ein wohl erst seit ca. 20.000 Jahren aufgetretenes Phänomen.3 Das Alte Testament erwähnt Fälle erlaubter Polygamie,4 auch das klassische islamische Recht erlaubte sie (vgl. Koran, Sure 4:3). Noch gegenwärtig ist in manchen islamisch geprägten Staaten Polygamie erlaubt, in anderen zwar verboten, aber faktisch üblich.5 Dagegen kannte das römische Recht nur die monogamische Ehe („univira“). Eine entgegenstehende, selbst in Kenntnis der bestehenden Ehe vollzogene weitere Eheschließung war wirkungslos und zunächst straflos.6 Unter Diokletian wurde die Doppelehe mit der Aberkennung bürgerlicher Rechte (infamia iuris) bedroht.7 Im germanischen Recht lag in der Doppelehe ein qualifizierter Ehebruch, der bei dem Mann straflos blieb (Binding Lehrbuch I § 59 II). Das kanonische Recht sah darin einen Angriff auf das Sakrament der Ehe und ordnete sie der Unzucht zu (v. Hippel I § 9 II 1). Auch das gemeine Recht bedrohte sie unter dem Gesichtspunkt des Ehebruchs, setzte dabei aber voraus, dass auch das geschlechtliche Treueverhältnis der ersten Ehe durch vollzogenen Beischlaf berührt sein müsse.8 Mit der Zeit wuchs der Unwert der Doppelehe über jenen des Ehebruchs hinaus;9 schließlich wurde sie – nachdem in der Aufklärungszeit noch ihre Strafbarkeit in Frage gestellt worden war10 – zu einem selbständigen Delikt erhoben.11 In § 139 des Preußischen Strafgesetzbuches von 1851 war die Bigamie ebenso wie in § 171 des Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund von 1870 – beide unmittelbare Vorläufervorschriften zu § 172 – mit Zuchthaus
§ 63 Rdn. 77; Ritscher MK Rdn. 3), weil die Vorschrift in bestimmten Konstellationen auch Fälle nicht zeitgleichen Bestehens zweier Ehen erfasst (vgl. Rdn. 32), ist er allgemeinverständlich und erhellt schlagwortartig jedenfalls den typischen Tatbestand. Ähnlich der Begriff „mehrfache Ehe“ (z. B. § 219 des Bayerischen Strafgesetzbuchs von 1861). Die Verheiratung mit mehr als zwei Personen wird als Mehrfachehe oder Polygamie bezeichnet (unterteilt in Polyandrie = Vielmännerei und Polygynie = Vielweiberei), die der Verheiratung einer Mehrzahl von Männern und Frauen untereinander als Gruppenehe. § 172 erfasst all diese Erscheinungsformen (vgl. Schramm Ehe und Familie im Strafrecht, S. 365). 2 Coester/Coester-Waltjen FamRZ 2016, 1618, 2020. 3 Schramm Ehe und Familie im Strafrecht, S. 366. 4 Vgl. Gen. 4, 19; 16, 26; 29, 23, 28;1, Sam. 1, 2; vgl. Coester/Coester-Waltjen FamRZ 2016, 1618. 5 Schramm Ehe und Familie im Strafrecht, S. 370. S. auch Staudinger/Mankowski Art. 13 EGBGB Rdn. 239 ff; Coester/ Coester-Waltjen FamRZ 2016, 1618, 1619; Mankowski FamRZ 2018, 1134 m.w.Nachw. und der Schätzung, dass der Anteil polygamer Ehen in islamisch geprägten Ländern 2 – 12 % erreicht. 6 Strafbar war aber das stuprum bei Vorspiegelung fehlender Ehe, Kaser Römisches Privatrecht I, § 27 II 3, S. 164 Fn. 15. 7 Strafbar auch hier nur, wenn zugleich ein stuprum oder adulterium vorlag, vgl. Mommsen Römisches Strafrecht S. 121 Fn. 3, S. 701: Codex 5,5,2 des Jahres 285. S. auch Allfeld § 90 II; v. Liszt/Schmidt BT § 115 I; Dippel LK12 Rdn. 1. 8 Vgl. Hälschner GerS 22 [1870], 406 ff; Frauenstädt ZStW 10 [1890], 234; Frommel NK Rdn. 1. Mittermaier S. 85; v. Liszt/Schmidt BT § 115 I; Oehm S. 27. 9 Vgl. die Carolina von 1532, wo die Doppelehe noch aufgeführt ist unter „Straff des Ehebruchs“, und es unter Art. 121 heißt: „Item so eyn ehemann eyn ander weib, oder eyn Eheweib eyn andern mann inn gestalt der heyligen ehe bei leben des ersten ehegesellen nimbt, welche überthat dann auch ein ehebruch vnd größer dann das selbig laster ist, vnd wiewol die Keyserlichen recht, auff solch übelthat keyn straff am leben setzen, so wollen wir doch welcher solchs lasters betrüglicher weiß, mit wissen vnd willen vrsach gibt vnd volnbringt, daß die nit weniger dann die ehebrüchigen peinlich gestrafft werden sollen.“ Diese Bewertung hielt sich bis in die jüngere Gegenwart angesichts der Strafandrohung für den Ehebruch (§ 172 a. F.) durch Gefängnisstrafe bis sechs Monate gegenüber der deutlich schärferen Androhung in § 171 a. F. (vgl. Blei FamRZ 1961 138). 10 Insbes. bei Thomasius De Crimine Bigamiae (1685); vgl. Buchholz Recht, Religion und Ehe, S. 63. 11 Vgl. das Allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten von 1794, 2. Teil, 20. Titel, 1. Abschnitt („Von fleischlichen Verbrechen“): „§ 1066 Wer vor Trennung der Ehe wissentlich und vorsätzllich eine andre vollzieht, soll mit ein- bis zweijähriger Zuchthaus- oder Festungsstrafe belegt werden. § 1067 Auch er selbst noch unverheirathet ist, aber wissentlich eine bereits verehelichte Person heirathet, hat eine sechsmonatliche bis einjährige Zuchthausstrafe verwirkt. § 1068 Wer sich fälschlich für unverheirathet ausgiebt, und dadurch einen Andern zu einer solchen nichtigen Ehe verleytet, soll mit dreyjähriger Zuchthausstrafe belegt werden.“. Wiedner
650
I. Allgemeines
StGB § 172
bis zu fünf Jahren bedroht.12 Mit Einführung der obligatorischen Zivilehe und der allgemeinen Scheidungsmöglichkeit (1875) wurde das Verbot der Doppelehe institutionell legitimiert, andererseits von dem Gedanken ehelicher Treue endgültig abgekoppelt.
b) StGB bis 1998. Die Vorschrift wurde als § 171 RStGB eingeführt und leitete damit den 2 früheren Dreizehnten Abschnitt des Strafgesetzbuchs („Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit“) ein. Sie lautete ursprünglich: (1) Ein Ehegatte, welcher eine neue Ehe eingeht, bevor seine Ehe aufgelöst, für ungültig oder nichtig erklärt worden ist, ingleichen eine unverheiratete Person, welche mit einem Ehegatten, wissend, daß er verheiratet ist, eine Ehe eingeht, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft. (2) Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter sechs Monaten ein. (3) Die Verjährung der Strafverfolgung beginnt mit dem Tag, an welchem eine der beiden Ehen aufgelöst, für ungültig oder nichtig erklärt worden ist.“ Infolge geänderter eherechtlicher Bestimmungen wurde die Vorschrift mit Wirkung 3 vom 7. September 1896 geringfügig dahin angepasst, dass in den Absätzen 1 und 2 die Begriffe „aufgelöst, für ungültig oder nichtig erklärt“ durch „aufgelöst oder für nichtig erklärt“ ersetzt wurden. Durch Verordnung vom 18. März 194313 wurde sie in den neubenannten Zwölften Abschnitt der „Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie“ eingeordnet. Weitere Reformvorschläge in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zielten auf keine durchgreifenden Änderungen und wurden nicht umgesetzt.14 In der DDR verblieb es gleichfalls bei der dem früheren Recht entsprechenden Vorschrift des § 156 StGB-DDR. Eine Verschärfung des Strafrahmens erfolgte durch das Erste Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 25. Juni 1969 (1. StrRG, BGBl. I S. 645) im Zuge der allgemeinen Überleitung der Strafandrohungen (Art. 5 Abs. 2 des 1. StrRG) mit der Folge, dass der Grundtatbestand mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr bis fünf Jahren belegt wurde, während im Falle mildernder Umstände (§ 171 Abs. 3 a. F.) Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu verhängen war. Damit war zugleich eine Versuchsstrafbarkeit gegeben. Der Alternativentwurf (AE S. 7, 60 f) schlug eine Reduzierung des Tatbestandes auf Fälle 4 direkten Vorsatzes vor. Eine deutlich vereinfachte, in der Sache aber nicht wesentlich abgeänderte Fassung15 erhielt § 171 a. F. durch das Vierte Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 23. November 1973 (4. StrRG, BGBl. I 1725). Die Vorschrift wurde verkürzt auf einen Absatz und lautete – geltend bis in das Jahr 2015 – hiernach: „Wer eine Ehe schließt, obwohl er verheiratet ist, oder wer mit einem Verheirateten eine Ehe schließt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Der nach bisherigem Recht geltende Aufschub der Verjährung wurde mit Rücksicht darauf aufgegeben, dass auch in anderen Fällen die Fortdauer des durch eine Straftat geschaffenen rechtswidrigen Zustandes den Beginn der Verjährung nicht aufhält (BT-Drucks. VI/1552, S. 14).16 Einschränkungen der subjektiven Tatseite wurden im Gesetzgebungsverfahren zwar diskutiert, aber mit Blick auf befürchtete wesentliche Strafbarkeits-
12 Mit der Strafe belegt wird nach § 139 des Preußischen StGB wird „ein Ehegatte, welcher vor Auflösung seiner Ehe eine neue Ehe eingeht, ingleichen eine unverheirathete Person, welche mit einem Ehegatten, wissend, daß er verheirathet ist, eine Ehe eingeht.“ Die gleiche Strafe soll den Angehörigen einer Religionsgemeinschaft („Religionsdiener“) oder einen Personenstandsbeamten treffen, der die Ehe wissentlich geschlossen hat. Das StGB für den Norddeutschen Bund lautete im Grundtatbestand nahezu identisch. 13 RGBl. I 169. 14 Entwurf Kahl von 1930 (§ 310) und E 62 (§ 194). 15 Vgl. BTDrucks. VI/1552 S. 14: „Der Tatbestand der Doppelehe entspricht bei sprachlicher Vereinfachung dem geltenden Recht.“ 16 Die Tat ist kein Dauerdelikt, so dass der Verjährungsbeginn nicht bereits für sich genommen an den rechtswidrigen Zustand anknüpft. Folge dieser Änderung ist freilich, dass Verjährung eintreten kann, obwohl der rechtswidrige Zustand der Doppelehe noch fortbesteht. 651
Wiedner
§ 172 StGB
Doppelte Ehe; doppelte Lebenspartnerschaft
lücken verworfen; nach wie vor reicht daher bedingter Vorsatz aus.17 Eine wesentliche Veränderung hat die Strafandrohung mit der Ermäßigung der Freiheitsstrafe auf bis zu drei Jahre erfahren, so dass die Doppelehe kein Verbrechen mehr darstellt; für eine gesonderte Anordnung der damit weggefallenen Versuchsstrafbarkeit (§ 23 Abs. 1) wurde kein Bedürfnis gesehen (BT-Drucks. VI/1552 S. 14; Sturm JZ 1974 3), zumal zuvor eine Vielzahl von Abgrenzungsproblemen zwischen Vorbereitungs- und Versuchsstadium bestanden.18 Durch das Sechste Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 26. Januar 1998 (BGBl. I, S. 164) wurde ohne inhaltliche Eingriffe die Nummerierung der Vorschriften verändert und mit Wirkung vom 1. April 1998 § 171 a. F. in § 172 umbenannt.
5 c) Änderungen hinsichtl. gleichgeschlechtlicher Partnerschaften. Im Zuge der Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften durch das LPartG und der Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Ehepartner kam es ab dem Jahr 2015 zu Änderungen in der Fassung und dem Anwendungsbereich von § 172, durch welche die Erweiterungen strafrechtlich nachvollzogen wurden; Strafbarkeitslücken sind dabei hingenommen worden:
6 aa) Gesetz zur Bereinigung des Rechts der Lebenspartner. Durch das Gesetz zur Bereinigung des Rechts der Lebenspartner vom 20. November 2015 (BGBl. I S. 2010, 2014, dort Art. 23) erhielt die Vorschrift des § 172 ihre bis in die Gegenwart fortbestehende Überschrift „Doppelehe, doppelte Lebenspartnerschaft“ und ihre jetzige Fassung, durch die ihr Anwendungsbereich auf Fälle des Zusammentreffens mehrerer (wenngleich teils unwirksamer, s. Rdn. 23) Lebenspartnerschaften und (scheinbar) nebeneinander bestehender Ehe und Lebenspartnerschaft erweitert wurde. Die Änderungen traten in Kraft am 26. November 2015 (BGBl I 2015, Art. 33). Kritik an der neuen Bezeichnung der Vorschrift, welche eine parallele Ehe und Lebenspartnerschaft nicht erfasst und Fallgestaltungen nicht zeitgleichen Bestehens der Verbindungen ausklammert,19 ist zwar in der Sache berechtigt, wiegt angesichts der Funktion der gesetzlichen Überschriften, eine nur schlagwortartige Orientierung über den Norminhalt unter nicht zwingender Erfassung aller tatbestandlichen Varianten zu liefern, aber nicht schwer. Dagegen ist die Vorschrift in ihrer Struktur und Sprache angesichts der unterschiedlichen Gestaltung der Sätze 1 und 2 wenig gelungen.20 Die strafrechtliche Anpassung folgte dem Lebenspartnerschaftsgesetz, welches bereits am 7 1. August 2001 in Kraft getreten war,21 spät nach. Nach §§ 1 f. bestand damit zwischen dem 1. August 2001 und dem 25. November 2015 die Rechtslage, dass das (versuchte) parallele Eingehen einer Ehe und einer Lebenspartnerschaft oder von zwei Lebenspartnerschaften straflos blieb. § 172 bezog sich unbeeinflusst durch das LPartG weiterhin allein auf Ehen zwischen verschiedengeschlechtlichen Personen (vgl. Wolters SK Rdn. 4; Fischer Rdn. 1). Ab dem 26. November 2015 erfasste § 172 auch die Doppelung von Ehen und Lebenspartnerschaften in jeglicher Kombination. Diese Rechtslage besteht ungeachtet der Änderungen durch Einfüh-
17 Vgl. BTDrucks. VI/1552 S. 14 VI/3521, S. 17 unter Hinweis, dass „nahezu alle“ praktischen Fälle derart gestaltet seien, dass der Täter von seinem Ehegatten längere Zeit getrennt sei, sich nicht nach ihm erkundige und dann ohne positive Kenntnis, aber unter Inkaufnahme, dass der Ehegatte noch lebe, die neue Ehe eingehe (empirisch zw.). 18 Dippel (LK12 Rdn. 2) verweist darauf, dass in Literatur und Rechtsprechung Uneinigkeit darüber bestand, ob als Beginn des Versuchs schon die Beantragung des Eheschließungstermins, das Erscheinen vor dem Standesbeamten, die erste Frage des Standesbeamten (so die Rspr., vgl. RGSt 9 84; RG GA 53 79; 69 98; OLG Gera NJ 1948 231) oder die Antwort des zuerst Gefragten gelten konnte. 19 Vgl. Wolters SK Rdn. 2; Ritscher MK Rdn, 3; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 77. 20 S. auch Fischer Rdn. 1; Ritscher MK Rdn. 1. Gegen die Anpassung an eine geschlechtsneutrale Sprache (vgl. BTDrucks. 259/15 S. 27) ist bereits angesichts der Erweiterung der Vorschrift nichts einzuwenden. 21 Gesetz über die eingetragene Lebenspartnerschaft vom 16. Februar 2001 (BGBl. I 266). Wiedner
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I. Allgemeines
StGB § 172
rung der gleichgeschlechtlichen Ehe grundsätzlich fort. Da eingetragene Lebenspartnerschaften nicht in eine gleichgeschlechtliche Ehe umgewandelt werden müssen, bereits bestehende Lebenspartnerschaften daher fortdauern können, kann es auch künftig zur Tatbestandserfüllung unter ihrer Einbeziehung kommen, ab dem 1. Oktober 2017 aber nicht mehr durch Eingehung neuer Lebenspartnerschaften (vgl. nachfolgend Rdn. 8).
bb) Eheöffnungsgesetz. Die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Partner durch das am 8 1. Oktober 2017 in Kraft getretene Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts vom 20. Juli 2017 (BGBl. I 2787, „Eheöffnungsgesetz“)22 sowie die damit einhergehenden Regelungen zum Ende neu einzutragender Lebenspartnerschaften und deren Überleitungsmöglichkeit in die Ehe haben unmittelbare Auswirkungen auf die – äußerlich durch die Novellierung unberührte – Vorschrift des § 172. Da durch die Neuregelung die Möglichkeit der Neubegründung einer Lebenspartnerschaft zum 1. Oktober 2017 weggefallen ist (§ 1 Satz 1 LPartG), kann ihre versuchte Eingehung danach auch bei kollidierender Ehe oder anderweitiger Lebenspartnerschaft kein tatbestandliches Unrecht mehr sein. Denn es existiert kein institutioneller Rahmen für ihre Begründung mehr; etwaige Erklärungen gehen ins Leere, da Rechtswirkungen durch sie von Vornherein nicht mehr erzielt werden können.23 Damit sind die Tatbestandsvarianten der Erklärung einer neuen Lebenspartnerschaft nach Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 Alt. 2 bedeutungslos geworden (vgl. Wolters SK Rdn. 6: strafrechtliches Nullum). Zugleich ist der strafrechtlichen Beurteilung ab dem 1. Oktober 2017 für § 172 tatbestandlich die Ehe in ihrem nach § 1353 Abs 1 BGB n. F. erweiterten Sinne zugrunde zu legen. Dies bedeutet, dass für die Eingangsmerkmale von § 172 Satz 1 jegliche Art der Lebenszeitbeziehung ausreicht, mithin eine vor dem 1. Oktober 2017 begründete und nicht in die Ehe umgewandelte Lebenspartnerschaft oder eine verschieden- oder gleichgeschlechtlich eingegangene Ehe; die zusätzliche Ehe nach Satz 1 Nr. 1 ist jede unter Geltung von § 1353 BGB n. F.. Entsprechendes gilt für § 172 Satz 2. Die Umwandlung einer Lebenspartnerschaft in eine Ehe nach § 20a LPartG ist nach § 172 straflos, da sie als Tathandlung die Wortlautgrenze überschreitet (i. E. ebenso Wolters SK Rdn. 6). Dies gilt insbesondere für den Fall, dass eine zwischen dem 1. August 2001 und dem 25. November 2015 straflos neben einer Ehe eingegangene Lebenspartnerschaft (vgl. Rdn. 5 f) durch Umwandlung zu parallelen – wenn auch aufhebbaren – Ehen führt.
cc) Anwendung von § 172 nach Zeitabschnitten. Überblickshalber gilt folglich unterteilt 9 nach Zeitabschnitten bezogen auf die Tathandlung: Bis 1. August 2001 erfasste § 172 allein die doppelte Ehe.24 Ungeachtet des zu diesem Zeitpunkt neu eingeführten Institutes der eingetragenen Lebenspartnerschaft galt diese Strafrechtslage aufgrund des unveränderten Tatbestandes der Vorschrift auch im Zeitraum zwischen dem 1. August 2001 bis zum 25. November 2015 fort. Vom 26. November 2015 bis zum 1. Oktober 2017 ist strafrechtlich erfasst jegliche Neubegründung von Ehe oder Lebenspartnerschaft, die zu Kombinationen der Verbindungen führt. Seit dem 1. Oktober 2017 kann der Tatbestand nur noch erfüllt werden durch Schließung einer Ehe zusätzlich zu einer bereits bestehenden oder einer eingetragenen Lebenspartnerschaft; die Umwandlung letzterer in eine Ehe ist tatbestandslos. d) Gesetzesmaterialien. Niederschr. Bd. 5 S. 308; Bd. 8 S. 369 f, 457, 619 ff; Bd. 12 S. 601; E 10 62 S. 44, 349; AE S. 7, 60 f; 4. StrRG: BT-Drucks. VI/1552 S. 14; VI/3521 S. 17, 73; 7/514 S. 5, 19; 22 Materialien: BRDrucks. 273/15; BTDrucks. 18/6665; 18/12989. 23 Mangels Versuchsstrafbarkeit des § 172 kommt auch ein untauglicher Versuch nicht in Betracht. 24 Vereinfachungshalber soll hier und in der Folge sprachlich nicht auf die Frage der Wirksamkeit der zweiten Lebenszeitbeziehung eingegangen werden. 653
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§ 172 StGB
Doppelte Ehe; doppelte Lebenspartnerschaft
Prot. VI/34 S. 1244; VI/71 S. 2030. Gesetz zur Bereinigung des Rechts der Lebenspartner: BRDrucks. 259/15, S. 27 f; BT-Drucks. 18/5901, S. 25; 18/6227; BR-PlPr. 935, S. 267 ff; 938, S. 414; BTPlPr 18/124, S. 12091 ff; 18/130, S. 12691 ff, S. 12697. Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts: BR-Drucks. 273/15; BT-Drucks. 18/6665; 18/ 12989.
2. Rechtsgut 11 Auf Grundlage der früheren Fassung der Vorschrift und ihrem ausschließlichen Bezug auf die verschiedengeschlechtliche Ehe entsprach es herrschender – und zutreffender – Auffassung, dass sie dazu bestimmt war, die auf dem Grundsatz der Einehe beruhende staatliche Eheordnung (vgl. § 1306 BGB) zu schützen, wie sie in ihrem Wesen und in ihren Folgen den bürgerlich-rechtlichen Vorschriften (§§ 1303 ff BGB) und Art. 6 Abs. 1 GG zu entnehmen ist (vgl. Dippel LK12 Rdn. 3 m.w.Nachw.). Dagegen sind religiöse und moralische Vorstellungen als Schutzgüter zu Recht aufgegeben worden.25 Dass das Verbot der Doppelehe (auch) die eheliche Treue bewahren sollte, war zu Zeiten der Strafbarkeit des Ehebruchs eine verbreitete Vorstellung,26 wie auch das Verständnis der Ehe selbst stark von kulturellen Vorgaben sowie ideologischen und religiösen Überzeugungen geprägt war. Trotz Prägung durch solche Wertvorstellungen sind diese jedoch in die (zivil)rechtliche Ausgestaltung der Ehe nicht eingeflossen; in einem säkularen und weltanschaulich neutralen Staat ist eine zivil- wie strafrechtliche Interpretation der Ehe an rechtliche Schutzgüter geboten, die nur als solche durch gesellschaftliche Vorstellungen ausgefüllt und verändert werden können.27 Einem modernen Verständnis der Ehe folgend, bildet diese daher eine soziale Verhaltensform mit typisierten, normativ geprägten Anforderungen, Pflichten und Rechten. Dabei liegt im Kernbereich die individuelle Pflicht zu gegenseitiger Verantwortung, Fürsorge, Beistand und Lebensgestaltung (§ 1353 Abs. 1 BGB), flankiert von wirtschaftlichen Elementen wie der ehelichen und nachehelichen Unterhaltspflicht (§§ 1360 ff, 1578 BGB), wirtschaftlicher Auseinandersetzung bei Scheidung und erbrechtlichen Ansprüchen, und durch vielfältige darüber hinausreichende Folgen in fast allen Rechtsgebieten.28 Mit diesem Leitbild einer exklusiven, rechtlich abgesicherten Verbindung von zwei verschiedengeschlechtlichen Menschen ist die Vorstellung einer Doppelehe unvereinbar. Als strafrechtliches Gegenstück zu § 1306 BGB schützt § 172 damit sowohl die rechtliche Institution der Ehe als auch – mit vermögensrechtlichem Einschlag – die daraus folgende gegenseitige Pflichtbindung der Ehepartner.29 Umfasst hiervon sind auch die aus der Ehe folgenden Individualrechtsgüter des durch die Zweitehe beeinträchtigten ersten Ehegatten. 12 An dieser Schutzzweckbestimmung hat sich durch die Einführung der eingetragenen Lebenspartnerschaft und die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Verbindungen nichts geändert. Auch die Lebenspartnerschaft ist rechtlich auf monogame Exklusivität ausgerichtet (§ 1 Abs. 3 Nr. 1 LPartG a. F.) und ausgestaltet in Form einer umfassenden – zuvor der Ehe vorbehaltenen – solidarischen Bindung (§ 2 LPartG) mit vielfältigen, gesetzlich und durch verfas-
25 So auch Wolters Rdn. 9; SSW/Wittig Rdn. 1. 26 Vgl. Allfeld § 90 II; Stracke S. 47; Wachenfeld § 113 II 1. Zum Gesichtspunkt einer „öffentlichen Treue“ vgl. Mittermaier S. 86.
27 Zutreffend Roth MK-BGB § 1353 Rdn. 2: „Die relativierende Befreiung der bürgerlichen Ehe von ihren metaphysischen und religiösen Hintergründen sichert ihr zugleich den Vorteil der Wandlungsfähigkeit.“ 28 Vgl. zutreffend Schramm Ehe und Familie im Strafrecht, S. 376. 29 So die h. M.; vgl. Fischer Rdn. 2; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 1; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 1; SSW/Wittig Rdn. 1; Schramm Ehe und Familie im Strafrecht, S. 374 f; Dippel LK12 Rdn. 3. Anders Frommel NK Rdn. 2, die das individuelle und das Allgemeininteresse an der Sicherung der wechselseitigen Rechtsansprüche der Ehegatten als geschützt ansieht; ähnlich Wolters SK Rdn. 9 ff. Krit. Hörnle Grob anstößiges Verhalten, S. 449. Wiedner
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sungsgerichtliche Korrekturen30 der Ehe angenäherten Rechtsfolgen. Für die aus der Ehe selbst folgende Pflichtenstellung und Solidaritätserwartung spielt die Geschlechtszugehörigkeit der Ehepartner keine Rolle, so dass aus der personalen Erweiterung der Ehe für die Gründe ihres Schutzes nichts hergeleitet werden kann. Dass die eingetragene Lebenspartnerschaft bis zum 25. November 2015 in den strafrechtlichen Schutz des § 172 nicht einbezogen war, lässt als eine nur faktische Untätigkeit des Gesetzgebers keine Schlüsse auf eine fehlende Schutzbedürftigkeit zu. Der geänderten zivilrechtlichen Behandlung des Eingehens einer zweiten, kollidieren- 13 den Lebenszeitbeziehung kommt für die Bestimmung des Rechtsgutes gleichfalls keine Bedeutung zu. Zwar sahen die §§ 5, 20 EheG a. F. bis in das Jahr 1998 ebenso wie § 1 Abs. 3 Nr. 1 LPartG a. F. bis zum 1. Oktober 2017 die Nichtigkeit einer zweiten Ehe oder Lebensgemeinschaft vor, so dass ein rechtliches Konkurrenzverhältnis nicht entstehen konnte, während seit dem Jahr 1998 eine § 1306 BGB zuwiderlaufende Ehe nach den §§ 1313, 1314 Abs. 1 Nr. 2 BGB lediglich aufhebbar31 ist. Allenfalls die frühere Rechtslage hätte daher die Frage aufwerfen können, ob angesichts der bereits formal nicht wirksamen zweiten Lebenszeitverbindung ein weiterreichendes Schutzbedürfnis für die vorrangige erste Verbindung überhaupt besteht. Sie ließ sich im Sinne einer konkreten Gefährdung der vorbezeichneten Rechtsgüter beantworten;32 zudem sah auch § 23 EheG a. F. einen richterlichen Gestaltungsakt vor, ohne den sich ein Beteiligter auf die Nichtigkeit nicht berufen konnte. Die Zurückstufung der Rechtsfolge einer – aufgrund Täuschung oder Nachlässigkeit der personenstandsrechtlich berufenen Beurkundungsperson geschlossenen – zweiten Verbindung von Nichtigkeit zur Aufhebbarkeit lässt sich gegen den Schutz der Einehe demgegenüber nicht anführen (aA Frommel NK Rdn. 2; s. auch Wolters SK Rdn. 11); sie führt angesichts dann tatsächlich konkurrierender Pflichten33 eher zu einem höheren Bedürfnis strafrechtlichen Schutzes. Dass die Rechtsordnung der bigamischen Ehe nicht bereits die Wirksamkeit versagt, kann angesichts unveränderter Ausgestaltung der Rechtsinstitute und des Eingehungsverbotes nach § 1306 BGB mit der Folge, dass nach § 13 PStG eine Eheschließung (§ 1310 Abs. 1 S. 2 BGB) und Eintragung nach §§ 14, 15 PStG nicht erfolgen darf, nur formal als Abschwächung des Prinzipes der Einehe begriffen werden; der erreichte Zustand bleibt trotz personenstands- und familienrechtlicher Wirksamkeit ein von der Rechtsordnung missbilligter. § 172 soll wegen der Friktionen der dann eintretenden, jeweils auf Exklusivität angelegten Rechtswirkungen verhindern, dass zwei formal gültige Ehen nebeneinander bestehen.34 Der Gegenauffassung ist allerdings einzuräumen, dass ein mit § 1306 BGB und den Rechtswirkungen gültiger Ehe sowie mit § 172 bruchlos zu vereinbarender Rechtszustand nur über eine Unwirksamkeit der zweiten Lebenszeitverbindung erreicht werden könnte (krit. bereits Bosch NJW 1998 2006). Ob schließlich der auf die Gesichtspunkte der Rechtssicherheit (vgl. § 9 Abs. 1 VerschG) und des Schutzes des zweiten Ehepartners gründende Sonderfall des § 1319 BGB (Aufhebung der bisherigen Ehe bei Todeserklärung des ersten Ehegatten und neuer Heirat) zur Bestimmung des Schutzgutes von § 172 etwas beitragen kann,35 erscheint zweifelhaft. Soweit es den Fall einer konkurrierenden Lebenspartnerschaft betrifft, so ist wegen der 14 unmittelbaren Unwirksamkeitsfolge des § 1 Abs. 3 Nr. 1 LPartG die auf Eingehung einer zusätzlichen Lebenspartnerschaft gerichtete Erklärung zwar rechtlich folgenlos; ein Strafbedürfnis aus
30 Zusammenfassend Duden MK Vorbem. zu § 1 LPartG Rdn. 20. 31 Die Aufhebung erfolgt durch Gestaltungsurteil (§§ 121 ff FamFG) und entfaltet Wirkung nur für die Zukunft (§ 1313 Satz 1, 2 BGB). Zu den Folgen der Aufhebung vgl. § 1318 BGB. 32 And. Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 1, die den Schutz des § 172 in diesen Fällen als leerlaufend und symbolisch betrachten. 33 Zu den umfassenden Rechtswirkungen der bigamischen Ehe s. etwa OLG Jena FamRZ 2014 579; OLG Naumburg NJW-RR 2015 1025. 34 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 1; Wolters SK Rdn. 15; Dippel LK12 Rdn. 3. 35 Vgl. Frommel NK Rdn. 2; eingehend Schramm Ehe und Familie im Strafrecht, S. 376. 655
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diesem Grunde von Vornherein zu verneinen,36 greift aber zu kurz. Die zusätzliche Lebenspartnerschaft mag sich als rechtliches Nullum erweisen und Rechtsansprüche nicht auslösen. Der Anschein einer neuen Lebenszeitverbindung und die durch die Erklärung zum Ausdruck gelangte Willensrichtung des Täters ist aber ausreichend, tatsächlich und im Rechtsverkehr zu Beeinträchtigungen der ersten Verbindung zu führen. Die Einordnung des Deliktscharakters auf der Grenze zwischen abstraktem und konkretem Gefährdungsdelikt erweist sich freilich als problematisch; letztlich handelt es sich um den durch die Fassung als Begehungsdelikt zur Vollendung erhobenen Versuch der Begründung einer kollidierenden Verbindung (vgl. Wolters SK Rdn. 34; BT-Drucks. 18/5901 S. 25). 15 Andere Rechtsgüter scheiden aus. Da im Falle der wirksamen Begründung einer zweiten Ehe das Personenstandsregister nicht unrichtig wird, sondern nur nach früherer Rechtslage für den Fall der Eintragung einer zweiten Lebenspartnerschaft (§ 1 Abs. 3 Nr. 1 LPartG a. F.) oder vor 1998 bei einer zweiten Ehe, sind die Richtigkeit der Personenstandsangaben vom Schutz der Vorschrift nicht umfasst (zutreffend Wolters SK Rdn. 13).37 Auch ein isoliertes Herausgreifen einzelner Ehewirkungen etwa in vermögensrechtlicher Hinsicht mit der Folge, dass im Einzelfall ein Schutzbedürfnis entfallen könnte, ist nicht möglich.38
3. Deliktsnatur 16 Die Vorschrift ist ungeachtet der Art der mit der Tathandlung erzielten Rechtswirkungen bei Eingehen einer Ehe ein Erfolgsdelikt;39 im Falle einer auf die Begründung einer eingetragenen Lebenspartnerschaft gerichteten Erklärung handelt es sich um ein Tätigkeitsdelikt mit dem (untergeordneten) Erfolgselement des Zugangs der Erklärung. Im Falle der – zumindest bis zur einer gerichtlichen Aufhebungs- oder Nichtigkeitserklärung – wirksamen, aber rechtswidrigen Begründung einer zweiten Ehe bildet die Tat kein Dauer-, sondern ein Zustandsdelikt,40 denn der Vorwurf ist nur an die Herbeiführung der doppelten Verbindung, nicht aber an die Aufrechterhaltung des widerrechtlichen Zustandes geknüpft.41 Mit der Eingehung der zweiten Verbindung ist die Tat nicht nur vollendet, sondern auch beendet.42 Damit besteht in nachfolgender Zeit keine Pflicht zur Beseitigung des rechtswidrigen Zustandes, auch nicht einer im Ausland wirksam und inländisch nicht strafbar geschlossenen Mehrehe;43 ein Unterlassen ist nicht strafbar. Eine Begehung durch Unterlassen ist auch im Übrigen kaum vorstellbar. Im Hinblick auf die geschützten Rechtsgüter handelt es sich bei der Tat im Falle einer – nach früherer Rechtslage – unwirksamen Begründung einer zweiten Lebenszeitverbindung, aus der rechtliche Folge nicht erwachsen können, um ein Gefährdungsdelikt (vgl. Rdn. 14). 36 So eingehend und pointiert Wolters SK Rdn. 12 und 33 (zur Strafbarkeit erhobenes Wahndelikt). 37 Dies gilt auch im Hinblick auf fortbestehend unrichtige Eintragungen und Doppelverbindungen nach altem Recht; denn jedenfalls nach gegenwärtigem Recht stimmen entgegen § 1306 BGB vorgenommene Eintragungen mit der materiellen Rechtslage überein. Die auf die institutionellen und persönlichen Auswirkungen von Ehe und Lebenspartnerschaft zielende Schutzrichtung lässt sich zudem deutlich abgrenzen von jener des § 169. 38 Vgl. Wolters SK Rdn. 10 mit dem Beispiel eines reichen Ehegatten, der sich den Unterhalt auch mehrerer Partner „leisten“ kann. Schramm (Ehe und Familie im Strafrecht, S. 374, 376) beschreibt das Schutzgut treffend in der Mannigfaltigkeit der rechtlichen Folgen, welche die eheliche Beziehung ausmachen und ihre Exklusivität begründen. 39 AA wohl Ritscher MK Rdn. 16: Auch in dieser Fallgestaltung Tätigkeitsdelikt. 40 Wolters SK Rdn. 32; Ritscher MK Rdn. 15; Frommel NK Rdn. 3; Fischer Rdn. 5; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 6; Dippel LK12 Rdn. 4. Im Fall der auf eine konkurrierende Lebenspartnerschaft gerichteten Erklärung wird wegen § 1 Abs. 3 Nr. 1 LPartG a. F. nicht einmal ein rechtswidriger Zustand bewirkt, sollte dieser nicht allein in der faktischen Gefährdungslage für die erste Verbindung gesehen werden. 41 Zur Unterscheidung zwischen Zustands- und Dauerdelikt vgl. etwa Fischer Vor § 52 Rdn. 58; Sch/Schröder/Sternberg-Lieben/Bosch Vorbem §§ 52 ff Rdn. 82. 42 Fischer Rdn. 5; Ritscher MK Rdn. 15; Frommel NK Rdn. 6; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 7. 43 Vgl. Frommel NK Rdn. 3; Ritscher MK Rdn. 16; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 6; Wolters SK Rdn. 32. S. auch Rdn. 36. Wiedner
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4. Rechtspolitische und praktische Bedeutung Die praktische Bedeutung von § 172 ist mit niedrigen einstelligen Verurteilungszahlen pro Jahr 17 äußerst gering. Die in der polizeilichen Kriminalstatistik ausgewiesenen Fälle (Straftatenschlüssel 670013) bewegen sich in dem Fünfjahreszeitraum von 2015 bis 2019 im unteren bis mittleren zweistelligen Bereich pro Jahr.44 Die Aufklärungsquoten lagen jeweils bei 100 % oder nur geringfügig darunter. Nach den Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes zur Strafverfolgung45 wurde im Jahr 2018 nur eine Person in Form einer Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59) abgeurteilt. Von fünf Abgeurteilten im Jahr 2017 wurden vier Personen jeweils zu Geldstrafen verurteilt. Für das Jahr 2016 wurde von zwei Abgeurteilten eine Person zu einer Geldstrafe verurteilt, im Jahr 2015 kam es bei vier Aburteilungen zu zweimaliger Verhängung von Geldstrafen. Im Jahr 2014 schließlich wurden vier Personen verurteilt (einmal zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe, dreimal Geldstrafen). In den als abgeurteilt erfassten Fällen, die nicht zu einer Verurteilung führten, wurde das Verfahren überwiegend eingestellt. Forderungen nach Abschaffung der Vorschrift sind immer wieder laut geworden. Auch 18 gegenwärtig wird die Sinnhaftigkeit eines strafrechtlichen Bigamieverbotes angesichts eines gewandelten gesellschaftlichen Bewusstseins, zweifelhaften Rechtsgutschutzes und verschwindender praktischer Bedeutung vielfach in Frage gestellt.46 Die besseren Gründe dürften gleichwohl für eine Aufrechterhaltung der strafrechtlichen Sanktionierung sprechen. § 172 spiegelt nicht das gesellschaftliche Bewusstsein über den moralischen Unwert einer doppelten Lebenszeitverbindung, sondern ist Schutzvorschrift für ein rechtlich bereitgestelltes, mit einer Vielzahl teils weitreichender Rechtsfolgen verbundenes, ein jedenfalls abstraktes Vertrauen in seine Unverbrüchlichkeit begründendes Rechtsinstitut, das noch immer als sozialleitend angesehen werden kann. Die Strafbewehrung erscheint vor dem Hintergrund dieser Bedeutung angemessen, zumal zum einen durch keine empirische Erhebung belegt ist, dass eine doppelte Lebenszeitverbindung in der Wahrnehmung der Allgemeinheit mit keinem Unwerturteil mehr verbunden wäre, zum anderen anderweitige vertragliche Gestaltungsmöglichkeiten bestehen, durch die Bindungswillige auch Mehrpersonenbeziehungen – allein mit §§ 134, 138 BGB als Grenze – rechtlich ausgestalten können. Verfassungsrechtlich ist die Strafbewehrung des Bigamieverbotes angesichts der zivil- und verfassungsrechtlichen Bedeutung der geschützten Rechtsinstitute und ihrer Rechtsfolgen vom gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum ohne weiteres umfasst (zutreffend Schramm, Ehe und Familie im Strafrecht, S. 378 ff). Den Tatrichter stellt die Vorschrift vor Herausforderungen bei Fällen mit Auslandsbe- 19 zug (vgl. Rdn. 24, 34 ff), wenn etwa die Strafbarkeit von dem Abschluss und der Gültigkeit einer im Ausland geschlossenen Ehe abhängt, damit zunächst nach internationalem Privatrecht das anwendbare Recht bestimmt und bei entsprechender Anknüpfung ausländisches Ehe- und Familienrecht zu prüfen ist (s. etwa LG Hamburg NStZ 1990 280). Erforderlichenfalls sind Rechtsgutachten über die ausländische Rechtslage einzuholen (differenziert zu den Problemen der Auslandsrechtsermittlung Mankowski/Bock ZStW 2008 704). Auch wenn § 17 nur selten Anwendung finden wird, kann in rechtlich zweifelhaften oder doch jedenfalls Fachkenntnisse des An44 BKA, Polizeiliche Kriminalstatistik für das jeweilige, im folgenden angegebene Berichtsjahr, öffentlich zugänglich unter https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/PolizeilicheKriminalstatistik/pks_ node.html. Die Statistiken weisen 40 Fälle für das Jahr 2019 aus, 31 Fälle für das Jahr 2018, 29 Fälle für das Jahr 2017, und jeweils 36 Fälle für die Jahr 2016 und 2015. Männliche Tatverdächtige sind in doppelter bis dreifacher Anzahl der weiblichen Verdächtigen erfasst. 45 Die nachfolgenden Werte beziehen sich auf die durch das Statistische Bundesamt in der „Fachserie 10, Rechtspflege 3, Strafverfolgung“ für das jeweilige Berichtsjahr ausgewiesenen Daten. Als „Abgeurteilte“ gelten nach der Begriffsbestimmung des Statistischen Bundesamtes Angeklagte, gegen die Strafbefehle erlassen wurden oder Strafverfahren nach Eröffnung des Hauptverfahrens durch Urteil – Freispruch oder Verurteilung – oder Einstellungsbeschluss rechtskräftig abgeschlossen worden sind (vgl. Stat. Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 3 [2018], S. 13). 46 Engagiert und mit beachtlichen Argumenten etwa Ritscher MK Rdn. 2; krit. auch Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 1 a. E.; Wolters SK Rdn. 14. 657
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Doppelte Ehe; doppelte Lebenspartnerschaft
geklagten zu unterschiedlichen Rechtsgebieten erfordernden Fällen eine Verfahrensbehandlung nach den §§ 153, 153a StPO angezeigt sein.
II. Objektiver Tatbestand 20 Die tatbestandliche Struktur von § 172 ist zweigeteilt. Strafbar ist nach Satz 1, wer mit einer dritten Person die Ehe schließt oder eine auf die Eingehung einer Lebenspartnerschaft gerichtete Erklärung abgibt, obwohl er selbst verheiratet ist oder eine Lebenspartnerschaft führt. Satz 2 betrifft spiegelbildlich die noch nicht verheiratete oder lebensverpartnerte Person, die mit einer dritten Person, die verheiratet ist oder eine Lebenspartnerschaft führt, eine weitere solche Verbindung eingeht. Zusammengefasst sind damit zwei Tätergruppen beschrieben: Jene, die trotz eigener Lebenszeitverbindung eine weitere eingehen, und jene, die eine solche Verbindung mit einer bereits anderweitig verbundenen Person begründen.
1. Bestehende Ehe oder Lebenspartnerschaft eines Beteiligten 21 a) Verheiratet ist ein Beteiligter, wenn er in einer formell gültigen Ehe lebt.47 Dies ist dann der Fall, wenn sie unter den regelhaften Voraussetzungen von § 1310 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 1311 BGB, mithin unbedingt unter persönlicher und gleichzeitiger Anwesenheit beider Verlobten vor einem Standesbeamten geschlossen wurde oder unter den Ausnahmevoraussetzungen von § 1310 Abs. 3 BGB als geschlossen gilt. Ob die Ehe nach den §§ 1313 f BGB oder §§ 28 ff EheG a. F. aufgehoben werden kann, oder ob die Ehescheidungsvoraussetzungen der §§ 1564 ff BGB vorliegen, ist ohne Belang. Auch eine nach altem Recht (§§ 16 ff EheG a.F) nichtige Ehe ist vor einer gerichtlichen Nichtigkeitserklärung (§ 23 EheG a. F.) von § 172 umfasst.48 Erfasst sind damit auch sogenannte Scheinehen mit innerem Vorbehalt der Ehepartner, insbesondere solche, die zu einer ausländerrechtlichen Rechtsposition verhelfen sollen; denn diese sind nach § 1314 Abs. 2 Nr. 5 BGB gleichfalls nur aufhebbar.49 Für vor dem Beitritt in der ehemaligen DDR geschlossene Ehen galten bis zum 28.11.1955 das EheG, vom 29.11.1955 bis 31.3.1966 eine Verordnung (vom 24.11.1955, GBl. DDR I, S. 849) über Eheschließung und -auflösung, und seit dem 1.4.1966 das FamGB-DDR mit Regelungen der Eheschließung in dessen § 6. Überleitungsrecht findet sich im Einigungsvertrag unter Anlage I, Kap. IIII, Sachgebiet B, Abschnitt 3 Nr. 11 (BGBl. 1990 II, S. 954), durch das für die Zeit vor Wirksamwerden des Beitritts die Fortgeltung bisherigen Rechtes angeordnet wird. 22 Nicht erfasst sind Nicht-Ehen im materiellen zivilrechtlichen Sinne,50 mithin solche, die von Vornherein und ohne zusätzlichen Gestaltungsakt nichtig sind und keinerlei Rechtswirkungen entfalten können. Hierunter fallen gelegentlich Fälle von nach ausländischem Recht zu beurteilender Eheschließungen51 und die allein nach religiösem Ritus geschlossene Ehen.52 47 RGSt 55 179; 60, 248; Wolters SK Rdn. 18; Ritscher MK Rdn. 7; Fischer Rdn. 3; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 3; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2; SSW/Wittig Rdn. 4. 48 RGSt 60 248 (zu § 173); LG Hamburg NStZ 1990 280, 281; Wolters SK Rdn. 18; Ritscher MK Rdn. 7; Dippel LK12 Rdn. 5. 49 S. etwa OLG Hamm FamRZ 1982 1073; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 78. 50 LG Hamburg NStZ 1990 280; Wolters SK Rdn. 19; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 3; Ritscher MK Rdn. 7; SSW/Wittig Rdn. 4; Köth S. 74, 80, 94 und 128. 51 Vgl. LG Hamburg NStZ 1990 280: Der auf den Philippinen bereits verheiratete Angeklagte ging vor einem kalifornischen Standesbeamten die Ehe mit einer Deutschen ein. Er wurde vom Vorwurf des § 172 freigesprochen, weil das insoweit nach Art. 13 Abs. 1 EGBGB a. F. auf ihn anwendbare philippinische Recht den zweiten Eheschluss als Nichtehe ohne Rechtswirkungen ansah. 52 Ritscher MK Rdn. 7; SSW/Wittig Rdn. 4; Schramm Ehe und Familie im Strafrecht, S. 380. Aus der Rspr. vgl. BSG FamRZ 1978 240; LG Kleve FamRZ 1964 365; zu einem Ausnahmefall OLG Hamburg FamRZ 1981 356. Wiedner
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II. Objektiver Tatbestand
StGB § 172
So begründet eine bloß kirchliche (Voraus-)Trauung, wie sie bis 31. Dezember 2008 untersagt war und seitdem wieder zulässig ist,53 ebenso wenig eine Ehe i. S. v. § 172 wie Trauungen vor einem Imam, Rabbiner, nach hinduistischem oder buddhistischem Zeremoniell. Sind sie im Ausland erfolgt, ist allerdings zu prüfen, ob ausländisches Recht zur Anwendung berufen ist und die Eheschließung anerkennt (s. nachfolgend Rdn. 24, 34 ff). Nicht-Ehen sind ferner auch solche, bei welchen die Eheschließung an einem derart durchgreifenden Mangel leidet, dass die Rechtsordnung ihnen selbst die Fiktion der Wirksamkeit verweigert, insbesondere Eheschließungen, die nicht vor einem hierzu – auch nicht nach § 1310 Abs. 2 BGB – berufenen Standesbeamten stattgefunden haben,54 Fälle fehlender übereinstimmender Erklärungen der Verlobten55 oder der Tod eines Verlobten vor der Eheschließung.56 Dazu zählt auch für die Zeit seit dem 21. Juli 2017 eine Eheschließung mit einer Person unter 16 Jahren (§ 1303 Satz 2 BGB; Art. 229 § 44 EGBGB; s. für Auslandsehen auch Art. 13 Abs. 3 EGBGB), während eine derartige Ehe in früherer Zeit nur aufhebbar war.57 Angesichts der vor dem 1. Oktober 2017 geltenden Ehevoraussetzung der Verschiedengeschlechtlichkeit führte in dieser Zeit auch die Eheschließung zwischen Personen gleichen Geschlechts zur Nicht-Ehe.58 In all diesen Fällen bewirkt auch die Eintragung in das Eheregister keine Heilung. Ebenfalls nicht (mehr) verheiratet ist ein Beteiligter, dessen Ehe durch Tod des Ehegatten beendet, geschieden (§ 1564 Satz 1 BGB) oder durch gerichtliche Entscheidung aufgehoben oder für nichtig erklärt worden ist (§ 1313 Satz 1 BGB, § 23 EheG a. F.);59 maßgeblich ist die Rechtskraft der jeweiligen gerichtlichen Entscheidung (§ 1313 S. 2, § 1564 S. 2 BGB)
b) Eingetragene Lebenspartnerschaft. Entsprechendes zu den vorangehenden Ausführun- 23 gen gilt für die eingetragene Lebenspartnerschaft. Sie ist in den Tatbestand einbezogen erst seit dem 26. November 2015. Für die vorangehende Zeit ist ihr Bestehen auch nicht mit einer Ehe i. S. v. § 172 a. F. gleichzusetzen.60 Gleichfalls erforderlich, aber auch ausreichend ist für diese, dass sie formell wirksam geschlossen wurde. Da das LPartG keine Nichtigkeit mit gerichtlicher Unwirksamkeitserklärung kennt (s. aber § 15 Abs. 2 S. 2 LPartG), müssen hierfür die Vo53 Nach §§ 67, 67a PStG a. F. war die Vornahme einer kirchlichen Trauung oder religiösen Feierlichkeit einer Eheschließung bußgeldbewehrt. Das Verbot ist in dem durch das Personenstandsreformgesetz vom 19. Februar 2007 (BGBl. I S. 122) neugefassten PStG nicht mehr enthalten. Nach der Gesetzesbegründung (BTDrucks. 16/1831 S. 33) wird es als entbehrlich angesehen, da § 1310 BGB keinen Zweifel daran lasse, dass nur eine standesamtliche Eheschließung eine Ehe im Rechtssinne begründen könne; die historisch begründete Konkurrenzsituation (Kirchenkampf) bestehe nicht mehr. Durch das Gesetz zur Bekämpfung der Kinderehen vom 17. Juli 2017 (BGBl. I 2429) sind nunmehr in § 11 PStG religiöse oder traditionelle Handlungen oder Vertragsschlüsse zur Begründung einer Lebenszeitverbindung mit Personen im Alter unter 18 Jahren ausdrücklich für verboten erklärt und nach § 70 Abs. 1 PStG bußgeldbewehrt. 54 Zum Sonderfall eines inneren Vorbehaltes RGZ 166 341; zu Willensmängel oder Geschäftsunfähigkeit des Standesbeamten Lange AcP 1939 157; Dippel LK12 Rdn. 6. 55 Die Erklärungen, nicht etwa der nachfolgende Ausspruch des Standesbeamten, sind konstitutiv für die Eheschließung, vgl. BGHZ 29 137, 141; BGH FamRZ 1983 450, 451. 56 Wolters SK Rdn. 19; Fischer Rdn. 3; Wellenhofer MK § 1310 BGB Rdn. 26 f; Dippel LK12 Rdn. 6. 57 Eine Eheschließung unter Beteiligung eines 16- oder 17jährigem Verlobten ist dagegen (lediglich) aufhebbar nach § 1314 Abs. 1 Nr. 1 BGB (s. auch die Möglichkeit der Bestätigung gem. 1315 Abs. 1 Nr. 1a BGB) und damit nach § 172 beachtlich. Zur Gesetzesgeschichte vgl. Wellenhofer MK-BGB § 1303 Rdn. 2 ff 58 Vgl. OLG Frankfurt NJW 1976 1800; KG FamRZ 1958 60, 61; SK Wolters Rdn. 19; Ritscher MK Rdn. 7; s. auch Wellenhofer MK-BGB Vorbem. zu § 1303 Rdn. 16 f; s. auch BVerfGE 10 59, 66; 53 224, 245; Bruns/Beck MDR 1991 833; Nordhues DRiZ 1991 136. Bei transsexuellen Personen kommt es auf den Zeitpunkt der rechtlichen Geschlechtsumwandlung nach §§ 8, 10 TSG an. Die Geschlechtsumwandlung während der Ehe ließ auch vor dem 1. Oktober 2017 deren rechtlichen Bestand unberührt (BVerfGE 121 175 = NJW 2008 3117; OLG Rostock FamRZ 2005 900). 59 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 3; Wolters SK Rdn. 20; Lackner/Kühl/Kühl § 172 Rdn. 2. Die Rückwirkung der Nichtigkeitserklärung führte aber nicht zur rückwirkenden Einordnung als Nicht-Ehe. 60 BVerfG FamRZ 2002 1169, 1171; Ritscher MK Rdn. 9. 659
Wiedner
§ 172 StGB
Doppelte Ehe; doppelte Lebenspartnerschaft
raussetzungen nach § 1 Abs. 1, Abs. 3 LPartG a. F. vorgelegen haben.61 Hat es etwa an einer gleichzeitigen übereinstimmenden Erklärung oder an einer zuständigen Behörde als Adressaten gefehlt, oder liegt einer der Ausschlusstatbestände des § 1 Abs. 3 LPartG a. F. vor, so besteht eine Nicht-Lebenspartnerschaft. Die Aufhebbarkeit der Lebenspartnerschaft nach § 15 Abs. 2 LPartG hat auf ihren formellen Fortbestand und eine etwaige Strafbarkeit nach § 172 keine Auswirkungen (zutreffend SSW/Wittig Rdn. 5). Mit der – möglichen, aber nicht obligatorischen – Umwandlung in eine Ehe nach § 20a LPartG gelten ex nunc die Anforderungen an eine formell gültige Ehe. Die Umwandlung ist kein Eheschluss mit einem „anderen“ und daher nicht tatbestandlich (s. näher Rdn. 31). Leidet der Umwandlungsakt an einem durchgreifenden Mangel, verbleibt es bei den Regelungen über die Lebenspartnerschaft. Nicht mehr lebensverpartnert ist derjenige, dessen eingetragene Lebenspartnerschaft nach § 15 Abs. 1 LPartG durch gerichtliche Entscheidung aufgehoben oder nach § 20a LPartG umgewandelt wurde, oder dessen Partner verstorben ist.
24 c) Anknüpfung nach EGBGB. Die Bestimmung des auf die Ehe oder Lebenspartnerschaft anwendbaren Familienrechts folgt bei Sachverhalten mit Auslandsberührung den Regeln deutschen internationalen Privatrechts. Dabei richten sich die sachlichen Voraussetzungen von Eheschließungen im Ausland62 nach Art. 13 EGBGB, mithin grundsätzlich nach dem Heimatrecht eines jeden Verlobten. Die Voraussetzungen der Formgültigkeit des Eheschlusses bestimmen sich nach Art. 11 EGBGB.63 Ist die Eheschließung nach dem hiernach zur Anwendung berufenen Recht formell gültig, unterfällt sie § 172.64 Dabei handelt es sich zum einen um das Heimatrecht des ausländischen Staats, in dem die Ehe geschlossen wird (Art. 11 Abs. 1 Alt. 2 EGBGB, Ortsform),65 so dass eine nach den maßgeblichen ausländischen Vorschriften wirksam und formell gültig abgeschlossene Ehe der inländischen Strafvorschrift des § 172 unterfällt.66 Gestattet die Ortsform eine Heirat durch Stellvertreter („Handschuhehe“), so ist auch eine auf diese Weise geschlossene Ehe formgültig.67 Alternativ ist anzuwenden das Recht, welches auf das seinen Gegenstand bildende Rechtsverhältnis anzuwenden ist, mithin jenes, das für die Verbindung künftig gelten soll (Art. 11 Abs. 1 Alt. 1 EGBGB, Geschäftsform);68 es bestimmt sich nach den für das Rechtsverhältnis eigenen Anknüpfungsregeln, im Fall der Ehe nach Art. 13 EGBGB.69 Bei unterschiedlicher Staatsangehörigkeit der Verlobten sind die sachlichen Ehevoraussetzungen 61 Vgl. Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 3a; Duden MK § 1 LPartG Rdn. 6 ff, 19 unter Vorschlag, entgegen der die Nichtigkeitsfolge befürwortenden h. M. die § 1314 ff BGB analog anzuwenden.
62 Insbesondere Ehemündigkeit, Eheverbote, Zustimmungsbedürfnisse, beizubringende Zeugnisse einschließlich der Folgen des Fehlens, vgl. Wellenhofer MK Vorbem. zu § 1303 BGB Rdn. 24 ff. 63 S. etwa OLG München StAZ 2020 177; Jayme IPrax 1995 44; Staudinger/Winkler von Mohrenfels Art. 11 EGBGB Rdn. 121. Auch die Rechtsfolgen ergeben sich aus dem Recht, das zur Formunwirksamkeit führt (vgl. Bischoff NK BGB Art. 11 EGBGB Rdn. 17). 64 Vgl. LG Hamburg NStZ 1990, 280; Fischer Rdn. 4; Ritscher MK Rdn. 8; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2, § 63 Rdn. 78. Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4; Nowakowski JZ 1971, 633; Cornils Fremdrechtsanwendung im Strafrecht, S. 85 f; Dippel LK12 Rdn. 5. AA Liebelt NStZ 1993 544 (Anm. zu LG Hamburg NStZ 1990 280) und GA 1994 20, der bei einer im Ausland geschlossenen zweiten Ehe das ausländische Kollisionsrecht und danach berufene Sachrecht auf diese Ehe anwenden will und – wohl – auch auf Frage der Gültigkeit der ersten Ehe. 65 Vgl. OVG Berlin-Brandenburg FamRZ 2020 1138; bei Eheschließung unter Abwesenden ist der maßgebliche Ort jener, an dem die Trauungszeremonie stattfand (BGHZ 29 137). 66 Ritscher MK Rdn. 8; Fischer Rdn. 4; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2, § 63 Rdn. 78. 67 Vgl. BayObLGZ 2000, 335, OLG Zweibrücken, NJW-RR 2011, 725, Staudinger/Mankowski, Art. 11 EGBGB Rdn. 64; v.Hein MK-BGB Art. 6 EGBGB Rdn. 258; Jacobs StAz 1992, 5 ff. 68 Vgl. OVG Berlin-Brandenburg FamRZ 2020 1138, 1139. Die Ehe muss nur nach einem der beiden anwendbaren Rechte formwirksam sein. 69 Bischoff NK BGB Art. 11 EGBGB Rdn. 19 mit Fn. 86; Palandt/Thorn Art. 11 EGBGB Rdn. 8; Sch/Schröder/Bosch/ Schittenhelm Rdn. 3; s. auch Spellenberg MK-BGB Art. 11 EGBGB Rdn. 86. Wiedner
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II. Objektiver Tatbestand
StGB § 172
für jeden von ihnen nach seinem Heimatrecht zu beurteilen mit der Folge, dass sich die Rechtsordnung mit dem weiterreichenden Verdikt durchsetzt.70 Für Deutsche besteht neben der Heirat entsprechend der Ortsform die Möglichkeit der Eheschließung vor einem deutschen Konsularbeamten, wenn mindestens ein Ehepartner Deutscher und keiner von ihnen Angehöriger des Empfangsstaates ist (§ 8 Abs. 1 KonsG71). Die Anwendbarkeit sachlichen Rechtes bei Auslandsbezug einer eingetragenen Lebenspartnerschaft bestimmt sich nach Art. 17b EGBGB; hiernach richtet sich die Begründung und Auflösung der Partnerschaft ohne Möglichkeit von Rückoder Weiterverweisungen nach dem Recht des Registerstaates. Auf die Staatsangehörigkeit oder den gewöhnlichen Aufenthalt der Partner kommt es dabei nicht an.72 Eheschließungen von Ausländern im Inland beurteilen sich in ihrer Form nach Art. 13 25 Abs. 4 EGBGB, so dass diese grundsätzlich nur unter Einhaltung der deutschen Ortsform gültig sein können; ausnahmsweise (§ 13 Abs. 4 Satz 2 EGBGB) kann die Ehe auch vor einer von der Regierung eines Heimatstaates ermächtigten Person geschlossen werden, ohne dass hierdurch allerdings die sich nach deutschem Recht zu beurteilenden Sachvoraussetzungen entfielen (Ritscher MK Rdn. 8). Für eine in Deutschland geschlossene Ehe ist daher unerheblich, ob das ausländische Sachrecht des Heimatstaates eines oder beider Verlobten eine Mehrfachehe erlaubt; die Eheschließung bleibt nach dem anwendbaren deutschen Recht unzulässig.73 Zu einer Ehescheidung eines Ausländers in Deutschland, die nach dem ausländischen Recht mangels Anerkennung des deutschen Scheidungsurteils aber noch besteht vgl. BGH NJW 1997 2114.
2. Tathandlung Der Täter muss, obwohl er selbst oder der in Aussicht genommene Partner bereits in formell 26 gültiger Weise (s. Rdn. 21) anderweitig lebenszeitverbunden ist, Handlungen auf Eingehung einer neuen Verbindung vornehmen.
a) Grundsatz, Erfassung von Ehe und Lebenspartnerschaft in zeitlicher Hinsicht. Tat- 27 handlung ist das Schließen einer Ehe (Satz 1 Nr. 1, Satz 2 Alt. 1) oder die Erklärung i. S. v. § 1 LPartG a. F. gegenüber der zuständigen Stelle, eine eingetragene Lebenspartnerschaft führen zu wollen; sie muss begangen sein zu einer Zeit, in dem einer der Beteiligten noch formell wirksam verheiratet oder in einer Lebenspartnerschaft verbunden ist (hierzu Rdn. 21 ff). Dabei ist auf den genauen Zeitpunkt der Auflösung der früheren Verbindung abzustellen. Dies gilt grdsl. auch für den gerichtlichen Ausspruch der Scheidung oder Aufhebung, bei welchem es auf den Eintritt der Rechtskraft ankommt (§ 1313 Satz 2, § 1564 Satz 2 BGB). Allerdings sieht § 1315 Abs. 2 Nr. 1 BGB für die Zeit zwischen Entscheidung und Rechtskraft trotz des Verstoßes gegen § 1306 BGB keine Aufhebbarkeit der neuen Ehe mehr vor, sofern die Auflösung der alten Verbindung rechtskräftig wird. Eine strafrechtliche Sanktion würde damit weiterreichen als die zivilrechtliche Bewertung der kurzzeitigen Doppelehe. Der vorherrschenden Auffassung74 ist daher darin beizupflichten, dass in Fällen, in denen die neuen Ehepartner die Rechtskraft der bereits ausgesprochenen Auflösung der alten Verbindung nicht abgewartet haben, sie als Strafaufhebungsgrund angesehen und 70 BGH FamRZ 1991 300, 303 („ärgeres Recht“); OLG Düsseldorf FamRZ 1992 815; OLG Zweibrücken FamRZ 2004 950; Johannsen/Henrich/Henrich Art. 13 EGBGB Rdn. 6; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 3. 71 Gesetz über die Konsularbeamten, ihre Aufgaben und Befugnisse vom 11.9.1974 (BGBl. I 2317). 72 Vgl. Palandt/Thorn Art. 17b EGBGB Rdn. 2; Herberger/Martinek/Duden Art. 17b EGBGB Rdn. 20; missverständlich Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 3a. 73 Coester MK Art. 13 EGBGB Rdn. 136; Ritscher MK Rdn. 8; Fischer Rdn. 4. Auf Art. 6 EGBGB (ordre public) beziehen sich demgegenüber Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4 und Dippel LK12 Rdn. 8. Ob die Eingehung der Ehe auch nach § 172 strafbar ist, richtet sich vorgelagert nach den §§ 3 ff, ist aber zu bejahen, da eine Inlandstat vorliegt. 74 Wolters SK Rdn. 25; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4; Ritscher MK Rdn. 13; Dippel LK12 Rdn. 8. 661
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§ 172 StGB
Doppelte Ehe; doppelte Lebenspartnerschaft
das Strafverfahren bis dahin nach § 154d StPO behandelt werden sollte. Erfasst von Satz 1 und 2 ist jede Kombination der Verbindungen, auch eine „gekreuzte“ von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft (vgl. Fischer Rdn. 5). 28 Vor dem 26. November 2015 war eine Tat im Zusammenhang mit einer eingetragenen Lebenspartnerschaft tatbestandslos (vgl. Rdn. 6 f). Eine neue Verbindung kommt auch für die Zeit ab 1. Oktober 2017 nur in Form einer Ehe in Betracht, da nach § 1 LPartG neue Lebenspartnerschaften nur noch bis 30. September 2017 begründet werden konnten (vgl. Rdn. 8). Eine gleichwohl geschlossene Lebenspartnerschaft ist nichtig, eine Strafbarkeit nicht gegeben, da das Gesetz das Rechtsinstitut, auf das sich die Tathandlung bezieht, nicht mehr bereitstellt. Es liegt allein ein – mangels Versuchsstrafbarkeit unerheblicher – untauglicher Versuch vor. Zu den Änderungen von § 172 und früherer Straflosigkeit einer doppelten Lebenszeitverbindung bei bereits bestehender oder neu eingegangener Lebenspartnerschaft s. näher Rdn. 5 ff.
b) Einzelne Tathandlungen 29 aa) Formell gültige Ehe. Bei einer neu eingegangenen Ehe besteht die Tathandlung aus den beiderseitigen Erklärungen unter Mitwirkung des Standesbeamten gemäß §§ 1310, 1311 BGB.75 Die hierdurch geschlossene Ehe muss – wie bei der bereits bestehenden Ehe oder Lebenspartnerschaft – formell gültig sein (Wolters SK Rdn. 25; Ritscher MK Rdn. 12). Es gelten die Ausführungen zu der bereits bestehenden Ehe (Rdn. 21). Damit ist das Schließen von Nicht-Ehen wie insbesondere durch rituelle Trauungen nicht tatbestandlich, wohl aber eine nur aufhebbare Ehe wie insbesondere eine – praktisch bedeutsam – aus ausländerrechtlicher Motivation zum Schein geschlossene (§ 1314 bs. 2 Nr. 5 BGB).76 In einer einzelnen auf Eingehung der Ehe gerichteten Erklärung vor dem Standesbeamten liegt noch keine ausreichende Tathandlung, solange nicht auch der andere Teil eine gleichgerichtete Erklärung abgegeben hat.
30 bb) Erklärung hinsichtlich Lebenspartnerschaft. Demgegenüber genügt es nach dem Wortlaut von § 172 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 Alt. 2, wenn – vor dem 1. Oktober 2017 (s. Rdn. 28) – eine auf die Führung einer Lebenspartnerschaft gerichtete Erklärung abgegeben wird. Seinen Grund findet dies darin, dass das Gesetz der Lebenspartnerschaft nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 LPartG a. F. bei kollidierendem Bestehen einer Ehe oder weiteren Lebenspartnerschaft von Vornherein die Wirksamkeit verweigerte.77 Damit scheidet das Eingehen einer – nichtigen – Lebenspartnerschaft als möglicher Taterfolg aus; erforderlich und ausreichend ist die Abgabe der auf die Eingehung gerichteten Willenserklärung vor der dafür zuständigen Stelle in Anwesenheit des anderen Partners. Letztlich handelt es sich in objektiver Hinsicht materiell um einen untauglichen Versuch.78 Wenn der Täter der Ersterklärende ist, kommt es nicht darauf an, ob der Partner seine nachfolgende Erklärung letztendlich verweigert (aA Wolters SK Rdn. 12). Angesichts des eindeutigen Wortlautes (singularisch „erklärt“) und des tragfähigen Differenzierungsgrundes nach den zivilrechtlichen Wirksamkeitsfolgen einer Doppelehe und
75 Dabei reicht die äußere Bereitschaft des Standesbeamten aus, die Erklärungen entgegenzunehmen, vgl. RGZ 166, 341. Den weiteren Mitwirkungsakten kommt nur deklaratorische Bedeutung zu, vgl. Wellenhofer MK § 1312 Rdn 2; Dippel LK12 Rdn. 11. 76 Demgemäß erfüllt auch die Kombination von zwei Scheinehen den Tatbestand, vgl. Ritscher MK Rdn. 12. 77 Vgl. Duden MK § 1 LPartG Rdn. 19 f; Wolters SK Rdn. 33; Ritscher MK Rdn. 12; s. auch BTDrucks. 18/5901 S. 25. 78 Vgl. Ritscher MK Rdn. 15; zur subjektiven Tatseite bei Unterstellung eines Versuchs krit. Wolters SK Rdn. 34. Wiedner
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II. Objektiver Tatbestand
StGB § 172
doppelten Lebenspartnerschaft besteht für eine engere Auslegung der Vorschrift kein Anlass.79 Da es angesichts der Rechtsänderung zum 1. Oktober 2017 nur noch um die Beurteilung von Altfällen geht, die angesichts der Verjährungsfrist von fünf Jahren in schwindendem Maß verfolgbar sind, dürfte der – bereits für sich genommen unwahrscheinlichen – Fallgestaltung wenig praktische Bedeutung zukommen.
cc) Umwandlung nach § 20a LPartG. Die Umwandlung einer eingetragenen Lebenspartner- 31 schaft in eine Ehe nach § 20a LPartG bildet für sich genommen keine taugliche Tathandlung; sie stößt bereits an die Wortlautgrenze. Ist in der Zeit vor dem 26. November 2017 in rechtswidriger, aber wegen der seinerzeitigen Fassung von § 172 strafloser Weise eine mit einer bereits bestehenden Ehe oder Lebenspartnerschaft kollidierende Erklärung zur Begründung einer neuen Lebenspartnerschaft abgegeben worden, so unterfällt auch eine nach spätere Umwandlung dieser Lebenspartnerschaft nach § 20a LPartG nicht dem Tatbestand. Zwar wird der rechtswidrige Zustand vertieft, da nunmehr eine zumindest formell gültige Ehe vorliegen dürfte. Es handelt sich aber um keine Eheschließung im Sinne von § 172 (zutreffend Wolters SK Rdn. 29).
dd) Sonderfall: Heirat nach unrichtiger Todeserklärung. Diskutiert (vgl. Frommel NK 32 Rdn. 2; Wolters SK Rdn. 28), aber selten ist der Fall einer Heirat nach unrichtiger Todeserklärung. Die – fortbestehende – erste Ehe mit dem vermeintlich Verstorbenen wird zivilrechtlich durch Abschluss der neuen aufgelöst, sofern nicht beide neuen Partner bösgläubig sind (§ 1319 Abs. 2 S. 1 BGB). Ungeachtet dessen ist jeder der neuen Ehegatten strafbar nach § 172, der die Unrichtigkeit kennt;80 dies gilt ungeachtet der Auflösung der früheren Ehe, denn im Augenblick des Neuabschlusses besteht sie noch. Nicht tatbestandlich handelt nur der, der bereits im Augenblick der Eheschließung frei von einer anderen Ehe ist. Der noch Verheiratete ist gegen besseres Wissen nicht berechtigt, seine frühere Ehe durch Neuabschluss aufzulösen (vgl. BGHSt 4 6 zu § 38 EheG a. F., str.).81 c) Mit einer dritten Person. Die Einschränkung, dass die neue Eheschließung oder die Einge- 33 hung der neuen Lebenspartnerschaft „mit einer dritten Person“ erfolgen muss, schließt Fälle aus dem Tatbestand aus, in denen eine Lebenszeitverbindung zwischen denselben Personen nur erneuert oder in anderer Form geschlossen wird (vgl. BT-Drucks. 18/5901 S. 25). Schon begrifflich schließen die Begriffe der Wiederholung der Eheschließung und der Doppelehe einander aus;82 teleologisch besteht auch unter Gefährdungsgesichtspunkten kein Strafbedürfnis, da es personal um dieselbe Verbindung geht. Bereits zivilrechtlich besteht nach § 1306 BGB („und einer dritten Person“) sowie § 1 Abs. 3 Nr. 1 LPartG a. F. („mit einer dritten Person“, „mit einer anderen Person“) kein Verbot; dementsprechend ist nach dem Wortlaut von § 172 die Handlung 79 Hierfür mit beachtlichen Argumenten allerdings Wolters SK Rdn. 12 und 33, der die zivilrechtlich folgenlose Erklärung generell als nicht strafwürdig ansieht. Durch den Gleichheitssatz ist allerdings nicht geboten, bereits die Ausgestaltung des Eingehens der eingetragenen Lebenspartnerschaft denen der Ehe gleichzustellen; die durch verfassungsgerichtliche Entscheidungen (vgl. BVerfG NJW 2010 1439; 2783; NVwZ 2012 1304; NJW 2012 2719; NJW 2013 847, 2257) bewirkte Annäherung der beiden Lebenszeitverbindungen betraf die Folgen einer geschlossenen Lebenspartnerschaft in verschiedenen Rechtsgebieten. 80 BGHSt 4 6 zu § 38 EheG a. F.; OLG Frankfurt NJW 1951 414; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 3; SSW/Wittig Rdn. 4. 81 Wie hier Wolters SK Rdn. 27 f unter weiterem Hinweis, dass § 1319 BGB wie § 172 gerade die Durchsetzung des Prinzipes der Einehe diene; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 3; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2, § 63 Rdn. 79; Baumann FamRZ 1957, 234; eingehend Dippel LK12 Rdn. 8; aA Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 5; krit. auch Frommel NK Rdn. 2, die gerade aufgrund der fortbestehenden Einehe ein Strafbedürfnis verneint. 82 Vgl. Dippel LK12 Rdn. 7 unter Hinweis auf § 13 der Ersten Durchführungsverordnung zum Ehegesetz vom 27.7.1938 (RGBl. I 923). 663
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§ 172 StGB
Doppelte Ehe; doppelte Lebenspartnerschaft
auch strafrechtlich nicht zu ahnden (Ritscher MK Rdn. 12). Erfasst sind etwa Fälle, in denen nach Geschlechtsumwandlung eines Partners bei bestehender Ehe eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingegangen wird oder umgekehrt eine Ehe bei bestehender Lebenspartnerschaft, ohne dass im letzteren Fall die Lebenspartnerschaft nach § 20a LPartG umgewandelt wird. Wiederholen dieselben Ehegatten die Eheschließung, weil sie Zweifel an der Gültigkeit oder an dem Fortbestand ihrer Ehe hegen, so führt dies gleichfalls zu keiner Doppelehe i. S. v. § 172.83
3. Fälle mit Auslandsbezug 34 Bei Fällen mit Auslandsbezug sind zwei Fragenkreise zu unterscheiden: Die Anwendbarkeit deutschen Strafrechtes einschließlich § 172, und die Anwendung materiellen Familienrechts zur Normausfüllung von § 172 (vgl. grundlegend Mankowski/Bock ZStW 2008 704). Trennbar sind sie nicht in jedem Fall. Die Reichweite der strafrechtlichen Normgeltung richtet sich wie generell nach den §§ 3, 7. 35 Inlandstat ist dabei jede auf Eheschließung gerichtete Handlung, mithin insbesondere Eheschließungen im Inland, aber auch auf Trauungen im Ausland gerichtete Handlungen, die im Inland zumindest ihren Ursprung haben. Bei Auslandstaten ist die Tat nach § 7 Abs. 1 gegen einen Deutschen begangen, wenn die erste Ehe oder Lebenspartnerschaft mit diesem besteht (vgl. Rdn. 11 f). Für diese und personell unter § 7 Abs. 2 fallende Taten ist eine Anwendung deutschen Strafrechtes nur eröffnet, wenn die Bigamie auch nach ausländischem Recht strafbar ist (oder dort einer Strafgewalt nicht unterliegt). Hierfür ist nicht maßgeblich, inwieweit das ausländische Familienrecht die zweite Eheschließung oder Verpartnerung ermöglicht oder verbietet, sondern allein, ob eine Zuwiderhandlung gegen ein etwaiges familienrechtliches Verbot doppelter Lebenszeitverbindungen auch strafbewehrt ist.84 Eine Strafbarkeit nach § 172 entfällt damit, wenn das Auslandsrecht die weitere Lebenszeitverbindung zulässt oder zwar verbietet, die Zuwiderhandlung aber nicht strafbewehrt ist. Bei der hiernach gebotenen Prüfung ausländischen Rechts können eine Mehrzahl von – häufig nur über Rechtsgutachten über die ausländische Rechtsordnung aufzulösenden – Zweifelsfragen auftreten: Wenn etwa der einschlägige Straftatbestand des Auslandsrechts seinerseits am eine zivilrechtliche Vorfrage anknüpft, muss der deutsche Tatrichter auch insoweit – mithin bereits auf Ebene der Anwendbarkeit deutschen Strafrechts nach § 7 – das ausländische Zivilrecht in seine Prüfung einbeziehen.85 Als problematisch kann sich auch die Einordnung erweisen, ob die normativen Tatbestandsmerkmale „Ehe“ und „eingetragene Lebenspartnerschaft“ als Anknüpfungen im ausländischen Recht eine Entsprechung finden, die mit Blick auf die Bestimmtheit und Wortlautgrenze einen Schluss auf eine Strafbarkeit weitgehend identischen Verhaltens zulässt. Während das Institut der Ehe universell bekannt und in seinem Verständnis vergleichbar ist, muss bei einer auf Abschluss einer Lebenspartnerschaft gerichteten Erklärung im Sinne von § 172 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 Alt. 2 das ausländische Recht nicht nur ein vergleichbares Rechtsinstitut, sondern auch eine vergleichbare Tathandlung vorsehen. Dies ist nicht von Vornherein ausgeschlossen (so wohl Wolters SK Rdn. 36), bedarf aber genauer Prüfung. 36 Die bloße Fortführung einer ohne Inlandsanknüpfung ausschließlich im Ausland geschlossenen, „mitgebrachten“ Mehrfachehe ohne Tathandlungsbezug zum Inland ist nicht strafbar: Für die Eingehung der Ehen im Ausland fehlt es dann bereits an einer Anwendbarkeit deutschen Strafrechtes, ihre bloße Fortführung in Deutschland bildet keine von § 172 erfasste Tathandlung, 83 Vgl. Ritscher MK Rdn. 12 mit dem Beispiel, dass Eheleute bei Unsicherheit über die Wirksamkeit einer in Urlaubslaune im Ausland geschlossenen Ehe im Inland erneut heiraten. S. auch Homeyer StAZ 2003 50, auch zu personenstandsrechtlichen Folgen und Sanktionen. 84 Wolters SK Rdn. 31; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4; Mankowski/Bock ZStW 2008 704, 752; Dippel LK12 Rdn. 8; s. auch StA München I NStZ 1996 436. 85 Mankowski/Bock ZStW 2008 704, 741 unter Hinweis, dass hierzu auch das IPR des Auslandsrechts gehören kann, das erst auf das maßgebliche, vorfragenentscheidende Zivilrecht verweist. Wiedner
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IV. Subjektiver Tatbestand
StGB § 172
da die Vorschrift nur die Eheschließung oder eine Erklärung nach dem LPartG bestraft und es sich bei ihr um kein Dauerdelikt handelt.86 Bei inländischem Eingehen einer Doppelehe unter Beteiligung von Ausländern liegt eine Inlandstat nach § 3 vor, bei der es für die Strafbarkeit allein auf die normausfüllenden zivilrechtlichen Vorschriften ankommt. Die Voraussetzungen des Bestehens einer Lebenszeitverbindung und der maßgebli- 37 chen Tathandlung richten sich nach materiellem Zivilrecht, in Fällen mit Auslandsbezug mithin nach internationalem Privatrecht. Dies gilt sowohl für die Frage, ob einer der Täter bereits in einer gültigen Ehe oder eingetragenen Lebenspartnerschaft lebt, wie auch für die Beurteilung des Abschlusses und der Wirksamkeit der neuen Verbindung. Ob hierfür ausländisches Familienrecht für die Beurteilung der fraglichen Eheschlüsse zur Anwendung gelangt, richtet sich nach Art. 11, 13 EGBGB. Schließt ein Ausländer im Inland eine weitere, mit einer bestehenden Verbindung kollidierende Ehe oder Lebenspartnerschaft, so ist er allerdings nach § 172 strafbar unabhängig davon, ob sein Heimatrecht oder das Ortsrecht der ersten Lebenszeitverbindung die Eingehung der weiteren erlaubt (s. näher Rdn. 24; Wolters SK Rdn. 31; Mankowski/Bock ZStW 2008 704, 752).
III. Rechtswidrigkeit Besonderheiten bestehen hier nicht. Das Rechtsgut ist trotz des auch individualrechtlichen Ein- 38 schlages nicht disponibel. Die Einwilligung des ersten Partners in den Abschluss der zweiten Verbindung durch den Täter ist daher unbeachtlich.
IV. Subjektiver Tatbestand § 172 ist ein Vorsatzdelikt, für dessen Verwirklichung indes bedingter Vorsatz genügt.87 Der 39 Täter muss wissen oder zumindest billigend in Kauf nehmen, dass er oder der in Aussicht genommene Partner eine doppelte Lebenszeitverbindung eingeht oder hierzu im Begriff ist. Eine überschießende „innere Billigung“ der Tat, wie noch von früherer Rechtsprechung formuliert,88 wird nicht verlangt. Um vorsätzlich zu handeln, muss der Täter grdsl. Kenntnis der Umstände haben, die das Bestehen oder Nochbestehen einer formell gültigen Ehe oder eingetragenen Lebenspartnerschaft bei ihm oder dem anderen Teil begründen. Eine entsprechende Parallelwertung in der Laiensphäre reicht dabei aber aus;89 die mitunter komplizierte Rechtslage insbesondere bei Auslandsehen muss vom Täter nicht durchdrungen worden sein. Dementsprechend wird die Behauptung, die Ehe eingegangen zu sein und gleichwohl mit ihrer bereits formellen Ungültigkeit gerechnet zu haben, kritischer Würdigung zu unterliegen haben. Für die Situation zwischen Scheidungs- oder Aufhebungsurteil und dessen Rechtskraft wird gleichfalls im Einzelfall zu prüfen sein, ob die neuen Partner sich über Bedenken hinweggesetzt haben oder an die bereits eingetretene Unwirksamkeit der ers-
86 Allg. Auffassung; Fischer Rdn. 4; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4; Ritscher MK Rdn. 8 und 15; SSW/ Wittig Rdn. 7; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 3; Dippel LK12 Rdn. 8; s. auch StA München I NStZ 1996 436. Anders noch RGSt 15 261 S. auch Rdn. 16. 87 Allg. Auffassung, vgl. RGSt 4 38; OLG Braunschweig NJW 1947 71; OLG Freiburg NJW 1949 185; Fischer Rdn. 6; Frommel NK Rdn. 5; Wolters SK Rdn. 37; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 4; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 81; Ritscher MK Rdn. 17; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6. Auf den Ausschluss von bedingtem Vorsatz hat der Reformgesetzgeber wegen der zu erwartenden Beweisschwierigkeiten ausdrücklich verzichtet (BTDrucks. VI/3221 S. 17). 88 OLG Braunschweig NJW 1947/48 71, OLG Freiburg NJW 1949 185, 186; LG Kiel SchlHA 1950 232. 89 Ritscher MK Rdn. 17; Wolters SK Rdn. 37. 665
Wiedner
§ 172 StGB
Doppelte Ehe; doppelte Lebenspartnerschaft
ten Verbindung glaubten;90 regelmäßig wird aber zumindest ein Strafaufhebungsgrund vorliegen (vgl. Rdn. 27). Vertraut der Täter darauf, dass die erste Verbindung formell ungültig ist, unterliegt er keinem Rechts- oder Verbotsirrtum i. S. v. § 17, sondern einem vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum nach § 16.91 Ob er es, etwa durch Einholung von Rechtsrat, hätte besser wissen können, ist demnach unerheblich.92 40 Der Vorsatz muss sich nicht nur auf das (Fort-)Bestehen der ersten Lebenszeitverbindung richten, sondern auch auf den Gegenstand und die Wirkungen der Tathandlung. Bei erneuter Eheschließung muss der Täter damit rechnen, eine formell wirksame Ehe einzugehen, oder eine Erklärung unter den Voraussetzungen von § 1 LPartG a. F. abzugeben. Wusste er in letzterem Fall, dass das Gesetz der beabsichtigten Verbindung aufgrund der bereits bestehenden die Wirksamkeit versagt (§ 1 Ab. 3 Nr. 1 LPartG a. F.), bleibt dies für die subjektive Tatseite ohne Belang, da es hierauf für die Tatbestandsverwirklichung bereits objektiv nicht ankommt. Am Vorsatz fehlt es, wenn der Täter seinen ersten Partner irrig für tot hält (RGSt 4, 38). Ist die erste oder die neue Verbindung formell ungültig, ohne dass der auf die Wirksamkeit vertrauende Täter hiervon Kenntnis hat, begeht er einen straflosen untauglichen Versuch, mithin ein Wahndelikt.
V. Tatvollendung, Versuch 41 Der Versuch von § 172 ist nicht strafbar (§ 23 Abs. 1). Vollendet und angesichts des Tatcharakters als Zustandsdelikt zugleich beendet ist die Tat im Falle der Eheschließung mit dem formell gültigen Abschluss der weiteren Ehe, mithin nach der Abgabe der zur wirksamen Eheschließung erforderlichen Erklärungen vor dem Standesbeamten nach §§ 1310, 1311 BGB.93 Eine darüber hinausreichende Mitwirkung des Standesbeamten ist nicht erforderlich, auch keine Eintragung in das Eheregister; derartigen Akten kommt nur deklaratorische Bedeutung zu (s. aber § 1310 Abs. 1 BGB). Für die eingetragene Lebenspartnerschaft reicht der Zugang der auf die Eingehung gerichteten Erklärung gegenüber der zuständigen Stelle. Wenngleich sich die Tathandlung angesichts der fehlenden Rechtswirkungen (§ 1 Abs. 3 Nr. 1 LPartG a. F.) materiell eher als Versuch der Eingehung begreifen lässt,94 ist sie als Vollendungstat in Form eines Tätigkeitsdeliktes ausgestaltet (vgl. Rdn. 16).
VI. Täterschaft und Teilnahme 42 Die Tat ist Sonderdelikt und zugleich eigenhändiges Delikt; Täter können nur die Partner der neuen Ehe oder Lebenspartnerschaft sein.95 Dabei liegt keine notwendige Mittäterschaft vor; strafbare Alleintäterschaft ist auch nur für einen Teil der neu Bindungswilligen möglich, insbesondere wenn der andere Teil von der bereits bestehenden Verbindung keine Kenntnis hat.
90 91 92 93
Vgl. RGSt 9 84; Ritscher MK Rdn. 17; weiter Wolters SK Rdn. 37. SSW/Wittig Rdn. 8; Ritscher MK Rdn. 17; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6. Die Möglichkeit eines Verbotsirrtums ziehen demgegenüber in Betracht Wolters SK Rdn. 37; Dippel LK12 Rdn. 10. Ritscher MK Rdn. 15; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 7; Fischer Rdn. 5; Frommel NK Rdn. 6; Lackner/Kühl/ Kühl Rdn. 6; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 80, 83. S. bereits Rdn. 21 (wirksame Ehe). 94 Wolters (SK Rdn. 34) weist allerdings zu Recht darauf hin, dass in subjektiver Hinsicht kaum jemals die Vorstellung zugrunde liegen wird, eine Lebenspartnerschaft wirksam begründen zu können; meint der Täter, dass die anderweitige Verbindung nicht wirksam existiert, ermangelte es ihm am Vorsatz. Die Gesetzesmaterialien bezeichnen die Tat als untechnischen „Versuch“ (BTDrucks. 18/5901, S. 25). 95 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 8; Frommel NK Rdn. 7; Herzberg ZStW 82 (1970) 939; Fuhrmann S. 318; Dippel LK12 Rdn. 12. Nach Roxin liegt eine unechte eigenhändige Straftat (Pflichtdelikt) vor, weil trotz des Sondercharakters der Vorschrift das geschützte Rechtsgut auch einem Außenstehenden zugänglich ist (TuT S. 427 f). Wiedner
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VII. Verjährung
StGB § 172
Teilnahme ist nur möglich bis zum Abschluss der neuen Ehe oder Zugang der auf Eingehung einer neuen Lebenspartnerschaft gerichteten Erklärung; denn die Tat ist hiernach beendet (vgl. Rdn. 16, 41). Beihilfe ist denkbar etwa durch das Verschaffen gefälschter oder inhaltlich unrichtiger Urkunden zum Nachweis, dass er Täter oder sein Partner ledig ist, oder seitens eines bösgläubigen Standesbeamten.96 Ein Trauzeuge vermag wegen seiner seit 1998 nur fakultativen Mitwirkung (vgl. § 1312 Satz 2 BGB) in seiner Funktion nur psychische Beihilfe zu leisten. Entgegen h. M.97 findet § 28 Abs. 1 Anwendung auf den Teilnehmer, da sich die Ehe oder Lebenspartnerschaft als vortatbestandliches täterbezogenes Pflichtmerkmal erweist, ein besonderer personaler Unwert damit jedenfalls für den noch lebenszeitverbundenen Partner vorliegt, und sich die Beihilfehandlung notwendigerweise auch auf diesen erstreckt. Zwar beziehen sich der Strafgrund und Schutzzweck von § 172 auch in objektiver Weise auf die rechtlichen Institutionen der Ehe und Lebenspartnerschaft. Anders als etwa im Fall des Inzestes (§ 173, s. hierzu BGHSt 39, 326) trifft den Täter seine Stellung aber nicht ohne Einflussmöglichkeit; er hat sie freiwillig angenommen und kann sie durch Scheidung oder Aufhebung der Lebenspartnerschaft wieder aufgeben.98 Dass jedermann sie annehmen könnte und die hieraus folgenden besonderen Pflichten demgemäß auch von jedermann zu beachten wären, träfe grundsätzlich auch auf eine Amtsträgereigenschaft zu. Die Strafe des Teilnehmers ist daher nach § 49 Abs. 1 zu mildern. Mittelbare Täterschaft eines Außenstehenden, etwa eines Rechtsberaters, Ehevermittlers 43 oder Standesbeamten, der einen der Partner unrichtig vom Fehlen einer bereits bestehenden Ehe oder Partnerschaft überzeugt, scheidet aus;99 auch Anstiftung eines hiernach Gutgläubigen dürfte nach § 26 nicht in Betracht kommen.100 Dagegen ist der Fall denkbar, dass der neue Partner den tatsächlich noch Verheirateten davon überzeugt, dass dessen erste Ehe formell unwirksam oder beendet sei; wird sodann die Doppelehe mit dem Gutgläubigen geschlossen, lägen unmittelbare Täterschaft und hiermit rechtlich zusammentreffend mittelbare Täterschaft vor.
VII. Verjährung Die Verjährungsfrist beträgt nach § 78 Abs. 3 Nr. 4 fünf Jahre. Sie beginnt, da kein Dauer-, 44 sondern ein Zustandsdelikt vorliegt (vgl. Rdn. 16), gemäß § 78a mit dem Taterfolg der konkurrierenden Eheschließung oder der auf die Begründung der Lebenspartnerschaft gerichteten Erklärung; hierin liegt der Beendigungszeitpunkt.101 Die Tat kann daher verjährt sein, obwohl der rechtswidrige Zustand konkurrierender Lebenszeitverbindungen fortbesteht (Sch/Schröder/ Bosch/Schittenhelm Rn. 7).
96 Ritscher MK Rdn. 19a; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 8. 97 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 8; Ritscher MK Rdn. 19a; Fischer Rdn. 7; Wolters SK Rdn. 7; Lackner/Kühl/ Kühl Rdn. 7; SSW/Wittig Rdn. 10; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2, § 63 Rdn. 82; Dippel LK12 Rdn. 12. Herzberg GA 1991 171. 98 Insoweit erscheint auch die Begründung, mit welcher in BGHSt 39, 326 eine Anwendung von § 28 Abs. 1 für § 173 abgelehnt wurde, umkehrbar. Dass der Täter mit Eingehung der Ehe oder Lebenspartnerschaft durch einen Vertrauensakt eine besondere, ihn persönlich treffende Pflicht zur Bewahrung eines ihm anvertrauten Rechtsgutes übernommen hat (ebd., S. 329), lässt sich für § 172 durchaus annehmen. 99 Wolters SK Rdn. 7; Roxin TuT S. 42. 100 Anders Roxin TuT S. 428; Dippel LK12 Rdn. 12 mit dem Beispiel eines Anstiftenden, der wider besseres Wissen dem hierauf vertrauenden Täter versichert, dessen (erster) Partner sei umgekommen. Die Partner der neuen Verbindung sollen hiernach Nebentäter sein. 101 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 7; Ritscher MK Rdn. 15; Wolters SK Rdn. 32; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 6; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 83. Anders das frühere Recht nach § 171 Abs. 3 a. F. (vgl. Rdn. 2). 667
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§ 172 StGB
Doppelte Ehe; doppelte Lebenspartnerschaft
VIII. Konkurrenzen 45 Tateinheitlich kann § 172 zusammentreffen mit § 156, etwa bei Vorlage einer unrichtigen eidesstattlichen Versicherung über das Nichtbestehen einer weiteren Ehe,102 mit § 169103 sowie mit den Urkundsdelikten der §§ 267 ff, insbesondere mit § 271.104 Denkbar ist auch im Falle des Heiratsschwindlers mit finanziellen Motiven eine Tateinheit mit § 263, wenn er sich von dem unwissenden zweiten Ehegatten Vorteile im Zusammenhang mit der Heirat versprechen lässt oder sie erlangt.105 Zur Möglichkeit eines Zusammentreffens mit ausländerrechtlichen Strafvorschriften im Falle von sog. Scheinehen vgl. § 169 Rdn. 72. Zu § 170 besteht bei Nichterfüllung einer Unterhaltspflicht gegenüber dem ersten Ehegatten regelmäßig Tatmehrheit, da der Eheschluss auf die Leistungsunfähigkeit unmittelbar ohne Einfluss bleibt (vgl. BGH LM StGB § 171 Nr. 1; Frommel NK Rdn. 8). Bei Ausübung von Zwang bei der Tathandlung kommt eine tateinheitliche Strafbarkeit bis zum 30. Juni 2011 nach § 240 Abs. 1, Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 a. F. und seit dem 1. Juli 2011 nach § 237 Abs. 1 in Betracht (Wolters SK Rdn. 30).
102 103 104 105
LG Kiel SchlHA 197 (1950) 232; Fischer Rdn. 8; Frommel NK Rdn. 8; Wolters SK Rdn. 42. Fischer Rdn. 8; Wolters SK Rdn. 42; Ritscher MK Rdn. 20; Frommel NK Rdn. 8. BGH FamRZ 1954–55 15; OLG Hamm HESt. 2, 228, 331; Fischer § 271 Rdn. 19; Sch/Schröder/Cramer § 271 Rdn. 31. Frommel NK Rdn. 8; Wolters SK Rdn. 42; Ritscher MK Rdn. 20.
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§ 173 Beischlaf zwischen Verwandten (1) Wer mit einem leiblichen Abkömmling den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Wer mit einem leiblichen Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft; dies gilt auch dann, wenn das Verwandtschaftsverhältnis erloschen ist. Ebenso werden leibliche Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. (3) Abkömmlinge und Geschwister werden nicht nach dieser Vorschrift bestraft, wenn sie zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren.
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§ 173 StGB
Beischlaf zwischen Verwandten
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Schrifttum
StGB § 173
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§ 173 StGB
Beischlaf zwischen Verwandten
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Teil: Die Zeugung unter Blutsverwandten (1912); Romer/Walter Geschwisterinzest im Kinder- und Jugendalter, in Bange/ Körner (Hrsg.) Handwörterbuch des sexuellen Mißbrauchs (2002) 154; Roscoe Amity and agression: A symbolic theory of incest, Man N.S. 29 (1994) 49; ders. Incest, in Ember/Ember (Hrsg.) Encyclopedia of cultural anthropologie, Vol. 2 (1994) 631; Rosenfeld A. Endogamic incest and the victim-perpetrator model, AmJCh. 133 (1979) 406; Rosenfeld E. H. Grundsätzliches zur Bestrafung des Inzests, Festgabe zum 60. Gebrutstag von Gustav Aschaffenburg MschrKrimPsych. 1926 Beiheft 1: Beiträge zur Kriminalpsychologie und zur Strafrechtsreform S. 45; Rosenfeld/Nadelson/Krieger/Backman Incest and sexual abuse of children, JAmAcChPs. 16 (1977) 327; Rotter-Kertesz Der tiefenpsychologische Hintergrund der incestuosen Fixierung, IntZPs. 22 (1936) 238; Roxin Rechtsgüterschutz als Aufgabe des Strafrechts, in Hefendehl (Hrsg.) Empirische und dogmatische Fundamente, kriminalpolitischer Impetus: Symposium für Bernd Schünemann zum 60. Geburtstag (2005) 135; ders., Zur Strafbarkeit des Geschwisterinzests – Zur verfassungsrechtlichen Überprüfung materieller Strafvorschriften – StV 2009, 544; Rubin Incest: The last taboo (1983); Rush Das bestgehütete Geheimnis: Sexueller Kindesmißbrauch, 5. Aufl. (1989); Russel The prevalence and seriousness of incestuous abuse: Stepfathers vs. biological fathers, ChAbNegl. 8 (1984) 15; Rust Sexueller Mißbrauch – ein Dunkelfeld in der Bundesrepublik Deutschland, in Backe/Leick/Merrick/Michelsen (Hrsg.) Sexueller Mißbrauch von Kindern in Familien (1986) 7; Rutschky Vom Leben mit der Dunkelziffer oder: Ist Inzest heilbar? KSA 34 (1991) 1/6; Saller Zur Bedeutung des Inzests, MMW 107 (1965) 2105; Sandfeld Inzest aus sozialer Sicht, in Backe/ Leick/Merrick/Michelsen (Hrsg.) Sexueller Mißbrauch von Kindern in Familien (1986) 169; Sascha/Schulze-Berndt Zum Umgang mit dem Verdacht des sexuellen Kindesmißbrauchs, np 22 (1962) 434; Schall Auslegungsfragen des § 179 StGB und das Problem der eigenhändigen Delikte – KG, NJW 1977 817, JuS 1979 104; Schick, Demokratie oder Rechtsgüterschutz – was legitimiert das Strafrecht?, GA 2020, 41; Schmidt G. Das Verschwinden der Sexualmoral – Über sexuelle Verhältnisse (1996), Taschenbuchausgabe unter dem Titel Sexuelle Verhältnisse – Über das Verschwinden der Sexualmoral (1998); Schmidt T. „Auf das Opfer darf keiner sich berufen“: Opferdiskurse in der öffentlichen Diskussion zu sexueller Gewalt gegen Mädchen, Wissenschaftliche Reihe Bd. 77 (1996); Schmidt W. Blutschande? JR 1950 111; Schneider D. The meaning of incest, JPolS 85 (1976) 146; Schneider/Dulz Krisen bei Inzestopfern und die Probleme ihrer Bewältigung, in Ramin (Hrsg.) 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StGB § 173
Übersicht
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Übersicht I. 1.
2. 3. 4.
II. 1.
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Allgemeines 1 1 Geschichtliche Entwicklung 1 a) Antike bis Neuzeit 2 b) StGB bis 1969 4 c) 1. und 4. StrRG, AdoptionsG 6 d) Gesetzesmaterialien 7 Rechtsvergleichung Praktische und kriminologische Bedeutung, 8 Rechtstatsächliches Verfassungsmäßigkeit und geschütztes Rechts12 gut 13 a) BVerfGE 120, 224 18 b) Schutzgüter 19 aa) Historisch bb) Gegenwärtig herangezogene Rechts21 güter 26 cc) Bewertung 27 Objektiver Tatbestand Täterstellung: Leibliche Verwandschaft
27
28 Leibliche Verwandte iSv § 173 Unerheblichkeit sozialer Verhält30 nisse 32 c) Ehe der Beteiligten 33 d) Moderne Reproduktionstechniken Tathandlung: Vollziehung des Bei34 schlafs 34 a) Beischlaf 36 b) Vollziehung des Beischlafs 38 c) Nötigungslagen a) b)
2.
III.
Subjektiver Tatbestand, Irrtumsfälle
IV.
Täterschaft und Teilnahme
V.
Rechtsfolgen
VI. 1. 2.
45 Konkurrenzen Innertatbestandlich Mit anderen Delikten
39
40
42
45 46
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§ 173 StGB
Beischlaf zwischen Verwandten
I. Allgemeines 1. Geschichtliche Entwicklung 1 a) Antike bis Neuzeit. Inzestuöse Verbindungen wurden seit Menschengedenken in fast allen Kulturen als anstößig empfunden und tabuisiert. Rechtliche und religiöse Inzestverbote finden sich demgemäß bis in das Altertum.1 Im Codex Hammurabi waren sie ebenso sanktioniert2 wie im mosaischen3 und im islamischen Recht.4 Dagegen waren Geschwisterehen im alten Ägypten wie auch im Perserreich sowohl in den Herrscherfamilien wie auch außerhalb nicht selten.5 Das attische Recht6 kannte weitreichende Eheverbote, das römische Recht pönalisierte mit dem crimen incestus oder incesti7 die Geschlechtsgemeinschaft solcher Personen, bei denen ein verwandtschaftliches oder schwägerschaftliches Nahverhältnis bereits eine Ehegemeinschaft ausschloss.8 Die älteren germanischen Rechte sahen das Verbot der Eheschließung zwischen Eltern und Kindern vor; Ehen von Geschwistern waren nicht durchweg untersagt (Palmen S. 46 f). Die frühen mittelalterlichen Rechte waren zunehmend vom kanonischen Recht geprägt, in dem weitreichende Eheverbote galten.9 Spätmittelalterliche Kodifikationen und solche der beginnenden Neuzeit waren um Begrenzung bemüht,10 fielen aber teilweise in religiöse frühmittelalterliche Vorstellungen zurück.11 Im Zuge der Aufklärung führten Bestrebungen nach einer Entkriminalisierung oder doch wesentlich geringeren Bestrafung12 zu milderen Strafandrohungen, zunächst im Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794,13 später in weiteren Partikulargesetzen, von welchen § 141 des Preußischen Strafgesetzbuchs von 185114 und hieraus 1 Eingehend zur Historie Dippel LK12 Rdn. 1 ff; Palmen Der Inzest, S. 44 ff; Albrecht/Sieber S. 4 ff; s. auch Binding Lehrbuch I § 60 I, II, Liszt/Schmidt BT § 111 II, Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 84, zusammenfassend auch Prot. VI/34 S. 1246 (Laufhütte) und BVerfGE 120 224, 225 ff. 2 Haase Inzestuöse Beziehungen im Codex Hammurabi, Zeitschrift für Altorientalische und Biblische Rechtsgeschichte 1999, 66. 3 3. Buch Mose Kap. 18 Verse 7 bis 9, 11, 15, 17, Kap. 20 Verse 11, 12, 14, 17; 5. Buch Mose Kap. 27 Verse 20, 22, 23. 4 Koran Sure 4 Vers 27. 5 Shaw Explaining Incest: Brother-Sister Marriage ind Graeco- Roman Egypt, Man, Bd. 27(1992), S, 267; Sidler Zur Universalität des Inzesttabu, Soziologische Gegenwartsfragen Bd. 36 (1971), S. 96. 6 Karkatsoulis Inzest und Strafrecht, S. 35 f. 7 Zugleich ethymologischer Ursprung des Begriffes „Inzest“, von lat. „castus“, rein und „incestare“, verunreinigen, beflecken. S. auch Schramm Ehe und Familie im Strafrecht, S. 403. 8 Mommsen S. 682 ff; zum Verbot der incestae et nefariae nuptiae („blutschänderische und religiös verbotene Ehe“) Ulpian regulae 5.6.; s. auch Gaius, Institutiones I 59 ff. 9 Palmen S. 44 ff; Lizt/Schmidt S. 563 f; Mikat FS Lange 63 ff; Jarzebowski S. 41 ff; Albrecht/Sieber S. 4. 10 Etwa Art. 117 der Constitutio Criminalis Carolina (1532) und Art. 142 der Constitutio Criminalis Bambergensis (1507): „Straff der vnkeusch mit nahent gesipten freunden“, die sich nach dem Wortlaut auf geschlechtliche Beziehungen mit Stieftochter, Schwiegertochter und Schwiegermutter und – insoweit unklar – „noch nehere vnkeusch“ bzw. „noch nehern sipschafften“ bezogen. 11 Dippel (LK12 Rdn. 1) verweist insoweit auf die zum Teil Todesstrafe vorsehenden Sächsischen Konstitutionen von 1572, das Landrecht des Herzogtums Preußen von 1620, die Peinliche Gerichtsordnung (Ferdinandae) von 1656, das Kurpfälzische Landrecht von 1582, den Codex juris Bavarici von 1751 und die Constitutio Criminalis Theresiana von 1768. 12 Vgl. Hoops Reallexikon der germanischen Altertumskunde Bd. 4 [1918/19] S. 247 f. 13 Zweiter Teil, 20. Titel, 12. Abschnitt („Von fleischlichen Verbrechen“), §§ 1039 ff („Blutschande“) mit einer Androhung von drei bis fünf Jahren Festungshaft für die schwersten Fälle, „Entfernung“ der Personen voneinander (§ 1043) und präventiven Anordnungen dergestalt, dass Eltern mit Kindern eines Alters über 10 Jahren und Geschwister verschiedenen Geschlechts ab beidseitiger Überschreitung eines Alters von 10 Jahren in getrennten Betten zu schlafen haben (§§ 1044, 1045). 14 Die Vorschrift lautete: „(1) Die Unzucht zwischen leiblichen Eltern und Kindern wird an den Ersteren mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren, an den Letzteren, wenn sie das sechzehnte Lebensjahr zurückgelegt haben, mit Gefängniß von drei Monaten bis zu zwei Jahren bestraft. (2) Die Unzucht zwischen Schwiegereltern und Schwiegerkindern, Wiedner
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I. Allgemeines
StGB § 173
hervorgehend § 171 des Strafgesetzbuchs für den Norddeutschen Bund (1870), die unmittelbaren und bereits fast gleichlautenden Vorläufervorschriften für § 173 bilden.
b) StGB bis 1969. § 173 RStGB war bei Einführung am 1.1.1872 dem Dreizehnten Abschnitt 2 des Strafgesetzbuchs – „Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit“ – zugeordnet und als „Blutschande“ bezeichnet.15 Gerechtfertigt wurde sie mit den sittlichen Anschauungen des Volkes.16 Die Vorschrift lautete ursprünglich: „(1) Der Beischlaf zwischen Verwandten auf- und absteigender Linie wird an den ersteren mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren, an den letzteren mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. (2) Der Beischlaf zwischen Verschwägerten auf- und absteigender Linie, sowie zwischen Geschwistern wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. (3) Neben der Gefängnisstrafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. (4) Verwandte und Verschwägerte absteigender Linie bleiben straflos, wenn sie das achtzehnte Lebensjahr nicht vollendet haben.“ Trotz wiederkehrender Bestrebungen, § 173 als eine bloße Unmoral kriminalisierende Vor- 3 schrift zu streichen, hielten sämtliche Reformentwürfe der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts an dem Inzestverbot fest.17 Durch § 4 der Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung und Ergänzung familienrechtlicher Vorschriften und über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 23.4.1938 (RGBl. I 417) wurden ohne unmittelbare Abänderung von § 173 Vergünstigungen für die Fallgruppe des Beischlafes zwischen Verschwägerten bestimmt, die durch das 3. StrRÄG vom 4.8.1953 (Drittes Strafrechtsänderungsgesetz, BGBl. I 735) mit Wirkung vom 1.10.1953 in § 173 eingearbeitet wurden. Absatz 2 erhielt eine abgeänderte Fassung, neu eingefügt wurde ein Absatz 5: „(2) Der Beischlaf zwischen Geschwistern wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Ebenso wird der Beischlaf zwischen Verschwägerten auf- und absteigender Linie bestraft, wenn die Ehe, auf der die Schwägerschaft beruht, zur Zeit der Tat besteht. (…) (5) Im Falle des Beischlafs zwischen Verschwägerten kann das Gericht von Strafe absehen, wenn die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten zur Zeit der Tat aufgehoben war. Die Tat wird nicht mehr verfolgt, wenn Befreiung vom Eheverbot der Schwägerschaft erteilt worden ist.“
c) 1. und 4. StrRG, AdoptionsG. Durch das 1. StrRG18 wurden im Jahr 1969 Teile der Vorschrift 4 (Absatz 3: Verlust bürgerlicher Ehrenrechte) außer Kraft gesetzt und die Sanktionsarten angeglichen. Der Alternativentwurf (dort S. 58) forderte erfolglos die vollständige Streichung, der E 62 dagegen eine Verschärfung der Sanktionsfolgen.19 Deutliche Änderungen erfuhr § 173 mit Wir-
zwischen Stiefeltern und Stiefkindern und zwischen vollbürtigen oder halbbürtigen Geschwistern wird mit Gefängniß von drei Monaten bis zu zwei Jahren bestrat. (3) Auch kann zugleich auf die zeitige Untersagung der Ausübung der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. (4) Stiefkinder bleiben straflos, wenn sie das sechzehnte Lebensjahr noch nicht zurückgelegt haben.“ 15 Das heute kaum noch gebräuchliche, pseudobiologisch-herabsetzende Wort „Blutschande“ ist der begriffliche Vorläufer des Inzest und damit gleichbedeutend; in nationalsozialistischer Zeit erfolgte die pervertierende Ausdehnung zu „Rassenschande“. Der Begriff Blutschande dürfte eine Übersetzung der „sanguinis contumelia“ (fehlende Ehrerbietung gegenüber den Eltern) in lex 38, § 1, Dig. ad legem Juliam de alduteriis sein (Schramm Ehe und Familie im Strafrecht, S. 403; Dippel LK12 Rdn. 1). Als erstes Gesetz im deutschen Recht verwenden ihn die Sächsischen Konstitutionen von 1572. 16 Palmen S. 74 ff. 17 Vgl. Mittermaier Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit, S. 147; Jähnicke Die Blutschande, S. 51 ff. 18 Erstes Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 25.6.1969 (BGBl. I 645), dort Art. 8. 19 Dort S. 348, wonach die „Blutschande“ zwischen Verwandten aufsteigender Linie „zu den schwersten Verbrechen, die das Strafrecht kennt“, zähle. Krit. Hanack Gutachten Rdn. 5, Bauer/Bürger-Prinz/Giese/Jäger/Hochheimer S. 100 f und Simson/Geerds S. 425. 675
Wiedner
§ 173 StGB
Beischlaf zwischen Verwandten
kung vom 24.11.1973 durch das 4. StrRG.20 Die Vorschrift erhielt ihre aktuelle Stellung im Zwölften Abschnitt der Straftaten gegen Personenstand, Ehe und Familie; beseitigt wurde – dem E 62 folgend – die Strafbarkeit des Beischlafs zwischen Verschwägerten21 und die Versuchsstrafbarkeit. Die Strafandrohung für den Beischlaf mit Verwandten absteigender Linie wurde ermäßigt und erlaubt durch den Verzicht auf die bisherige Mindeststrafe nunmehr Einstellungen nach den §§ 153, 153a SPO.22 Die Straflosigkeit von Beteiligten, die das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben, gilt nunmehr auch für Geschwister. Die Vorschrift wurde insgesamt neu gefasst und erhielt ihre heutige Struktur. Im Gesetzgebungsverfahren waren weitere Einschränkungen bis zur Abschaffung der Vorschrift kontrovers diskutiert worden; insbesondere wurde der Inzest als Ausdruck einer schon bestehenden Störung angesehen, die einer Behandlung mit außerstrafrechtlichen Mitteln bedürfe (vgl. Prot. VI/34 S. 1246 ff). Der Strafrechtsausschuss hielt in Übereinstimmung mit dem Regierungsentwurf aber an der Strafbarkeit des Inzest fest mit den Argumenten, dass damit eine Belastung von Ehe und Familie durch – empirisch – hauptsächlich zwischen Vätern und ihren jugendlichen Töchtern vollzogenen Taten abgewendet werden könne, insbesondere auch nachhaltige Entwicklungsstörungen der beteiligten Tochter. Zu befürchten seien bei Straffreiheit auch diskriminierende Reaktionen des öffentlichen Umfeldes, insbesondere bei Schwangerschaft, sowie genetische Schäden in letzterem Fall; dies gelte auch für den Geschwisterinzest, vor allem bei großem Altersunterschied und Minderjährigkeit des einen Teiles (BTDrucks. VI/3521 S. 17 f; VI/1552 14). Ein Verzicht komme aber auch deshalb nicht in Betracht, weil der Verwandteninzest „in hohem Maße traditionsbeladen ist und von der Allgemeinheit als Ausdruck des Familien- und Eheschutzgedankens betrachtet wird.“ Er könne als Abbau dieses Schutzes missverstanden werden mit der Folge einer unerwünschten Einstellungsänderung in der Bevölkerung, würde daher auch dem Schutzauftrag von Art. 6 Abs. 1 GG zuwiderlaufen (BTDrucks. VI/3521 S. 18). Freilich hat auch der Reformgesetzgeber von der Vorschrift erfasste Fallkonstellationen erörtert, die als nicht durchgreifend strafwürdig erschienen und nach seiner Einschätzung mit Einstellungen nach § 153 StPO beantwortet werden sollten.23 Der Bundesgerichtshof (BGHSt 39 326, 329) verstand die Vorschrift unter Auswertung der Gesetzesmaterialien angesichts ihres Standortes im 12. Abschnitt als vorrangig ehe- und familienschützend. 5 Der derzeitige Wortlaut von § 173 beruht auf Änderungen durch Art. 6 Nr. 3 des Adoptionsgesetzes.24 Hierdurch wurde der Tatbestand auf Verhältnisse zwischen leiblichen Verwandten begrenzt, wie es die für die Adoption neu geschaffenen rechtlichen Verwandtschaftsverhältnisse erforderten (vgl. BTDrucks. 7/3061, S. 80 f).
6 d) Gesetzesmaterialien. Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission (1956–1960, 14 Bd., Bundesdruckerei): Bd. 5 S. 65, 230, 307; Bd. 8 S. 357 ff, 455 ff, 619 ff; Bd. 12 S. 601; Entwurf eines Strafgesetzbuches E 1962: BT-Drucks 200/62, S. 44, 347 f; Alternativ-Entwurf eines Strafgesetzbuches (AE, Tübingen 1966): BT, S. 58 f; Viertes Gesetz zur Reform des 20 Viertes Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 23.11.1973, BGBl. I, S. 1725. 21 Dippel (LK12 Rdn. 2) verweist auf die vorangehende Entschließung der Vollversammlung des Neunten Internationalen Strafrechtskongresses der Association internationale de droit pénal vom 24. bis 30.8.1964 in Den Haag, die Strafbarkeit von Inzest auf Sexualbeziehungen zwischen Aszendenten und Deszendenten sowie zwischen Brüdern und Schwestern zu beschränken. S. auch den Abdruck in ZStW 77 (1965) 184, 186; Blau FamRZ 1965 245; ders. MschrKrim. 1966 23 f; Simson/Geerds S. 421 f. 22 Prot. VI/34 S. 1252 (Horstkotte); krit. zur Strafrahmendifferenzierung Maurach/Schroeder/Maiwald BT II § 63 Rdn. 86. 23 Darunter den Fall des Inzest zwischen getrennt aufgewachsenen Geschwistern, die sich erst außerhalb der Familiengemeinschaft kennenlernen (Prot. VI/34, 1251 f), wie sie auch der späteren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 120, 224) zugrunde lag. S. hierzu die Kritik von Hassemer im Sondervotum BVerfGE 120 224255. 24 Gesetz über die Annahme als Kind und zur Änderung anderer Vorschriften vom 2.7.1976 (BGBl. I 1749). Wiedner
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I. Allgemeines
StGB § 173
Strafrechts (4. StRG): BTDrucks. VI/1552 S. 14 f, 41, 46; VI/3521 S. 17 ff, 73; 7/514 S. 5, 20; 7/3061 S. 80 f; Prot. VI/28 S. 882, 885 ff, 918 f., 922; VI/29 S. 929, 932 f, 989 ff, 1002 ff, 1007 f, 1024 f; VI/ 30 S. 1114 f, 1135; VI/33 S. 1184; VI/34 S. 1246 ff; VI/36 S. 1298 f; VI/37 S. 1328 ff; VI/71 S. 2030 f, 2106 f; VI/72 S. 2113; 7/2 S. 7; BTProt. VI/34 S. 1246 ff; VI/36 S. 1298 f; VI/37 S. 1327 ff; VI/81 S. 2631 ff; Adoptionsgesetz: BTDrucks. 7/3061, S. 10, 61; BT-Prot. 7/81 S. 2631.
2. Rechtsvergleichung Die Strafbarkeit inzestuöser Handlungen – ohne Hinzutreten anderer strafbarkeitsbegründender 7 Merkmale wie sexuellem Missbrauch, Zwang etc. – ist weltweit nicht durchgängig, nicht einmal überwiegend implementiert. Strafrechtliche Verbote gelten etwa in Australien, Chile, Dänemark, Griechenland, Großbritannien, Italien, Kanada, Polen, Rumänien, Schweden, der Schweiz, Österreich und den USA, dabei mit unterschiedlicher Ausgestaltung der maßgeblichen Tathandlung, des Täterkreises (z. B. Schweden: Halbgeschwister ausgenommen) und weiterer Tatfolgen (z. B. Italien: Hervorrufen eines öffentlichen Skandals). Straffrei sind inzestuöse Handlungen u. a. in Frankreich (dort seit dem Jahr 1810), den Benelux-Staaten, Portugal, Russland, Spanien, der Türkei, China, Japan, Südkorea und einer Mehrzahl süd- und lateinamerikanischer Staaten, darunter Brasilien und Argentinien.25 Im Strafgesetzbuch der DDR stimmte § 152 im Wesentlichen mit § 173 überein.
3. Praktische und kriminologische Bedeutung, Rechtstatsächliches Praktische Bedeutung kommt der Vorschrift nur in sehr geringem Umfang zu. Die in der 8 polizeilichen Kriminalstatistik ausgewiesenen Fälle (Straftatenschlüssel 670014) bewegen sich in dem Fünfjahreszeitraum von 2015 bis 2019 im mittleren zweistelligen Bereich pro Jahr.26 Die Aufklärungsquoten lagen jeweils bei 100 % oder nur geringfügig darunter. Nach den Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes zur Strafverfolgung27 wurden im Jahr 2018 sieben Personen abgeurteilt, davon sechs verurteilt (einmal Freiheitsstrafe zur Bewährung, im Übrigen Geldstrafen). Bei zehn Abgeurteilten im Jahr 2017 wurde einmal eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung verhängt, eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe sowie fünf Geldstrafen. Im Jahr 2016 wurden drei jeweils zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafen verhängt sowie elf Geldstrafen; abgeurteilt wurden 16 Personen. Für das Jahr 2015 sind bei zwölf Aburteilungen zwei verhängte Bewährungsstrafen und sieben Geldstrafen verzeichnet. Das statistische Material spiegelt allerdings nicht wider, in wie vielen der bezeichneten Fälle zugleich andere Strafvorschriften verwirklicht wurden, und in welcher Anzahl sich hierunter Fälle einvernehmlichen Inzest befinden. Ob sich aus den Verurteilungszahlen herleiten lässt, dass die Vorschrift 25 Vgl. Albrecht/Sieber S. 28 ff; BVerfGE 120 224, 230 ff unter Bezug auf die Ergebnisse eines eingeholten Gutachtens des Max-Planck-Institutes für ausländisches und internationales Strafrecht. S. auch EGMR NJW 2013 215; Maurach/ Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 85; Alexander/Sieber S. 26 ff und Simson/Geerds S. 416 ff; Al-Zand/Siebenhüner KritV 2006 68. 26 BKA, Polizeiliche Kriminalstatistik für das jeweilige, im folgenden angegebene Berichtsjahr, öffentlich zugänglich unter https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/PolizeilicheKriminalstatistik/pks_ node.html. Die Statistiken weisen 49 Fälle für das Jahr 2019 aus, 61 Fälle für das Jahr 2018, 50 Fälle für das Jahr 2017, 54 Fälle für dasJahr 2016 und 44 Fälle für die Jahr 2015. Das Verhältnis männlicher Tatverdächtiger zu weiblichen liegt ungefähr im Verhältnis 3: 2. 27 Die nachfolgenden Werte beziehen sich auf die durch das Statistische Bundesamt in der „Fachserie 10, Rechtspflege 3, Strafverfolgung“ für das jeweilige Berichtsjahr ausgewiesenen Daten. Als „Abgeurteilte“ gelten nach der Begriffsbestimmung des Statistischen Bundesamtes Angeklagte, gegen die Strafbefehle erlassen wurden oder Strafverfahren nach Eröffnung des Hauptverfahrens durch Urteil – Freispruch oder Verurteilung – oder Einstellungsbeschluss rechtskräftig abgeschlossen worden sind (vgl. Stat. Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 3 [2018], S. 13). 677
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§ 173 StGB
Beischlaf zwischen Verwandten
eine spürbar generalpräventive Wirkung entfaltet, ist zweifelhaft; vielmehr liegt nahe, dass sie sich wegen einer kaum messbaren Gefährdung der behaupteten Rechtsgüter empirisch als entbehrlich erweist. 9 Nicht die Inzestvorschrift oder generell strafrechtliche Aspekte, sondern das Phänomen des Inzest selbst und seine Ablehnung28 sind Gegenstand einer unübersehbaren Anzahl kulturhistorischer, ethnologischer, soziokultureller, anthropologischer, psychologischer und medizinisch-biologischer Untersuchungen und Abhandlungen, ferner Gegenstand künstlerischer Bearbeitung.29 Dabei wird in der Moderne seit langem wissenschaftlich diskutiert, ob die interkulturell und historisch anzutreffende Inzestscheu auf erlernten sozialen Normen beruht30 oder sich (auch) auf biologische Wurzeln im Sinne einer genetisch verankerten, instinktiven Abscheu zurückführen lässt.31 Als eine weitere Erklärungsebene wird die psychologische behandelt.32 Die Annahme einer universellen Ablehnung des Inzest wird dabei konterkariert durch geschichtliche Überlieferungen, nach denen in zahlreichen Gesellschaften Inzest eine erlaubte oder gar gebotene Form der Geschlechtsverbindung war.33 10 Der tatsächlich geringen forensischen Bedeutung stehen aber auch strafrechtsaffine Abhandlungen gegenüber, die vielfach nicht originär strafrechtliche Fragen zum Gegenstand haben, sondern § 173 und parallele Vorschriften anderer Länder zum Anlass interdisziplinärer Untersuchungen nehmen. Forderungen danach, sich spezifisch kriminologischen Problemen zuzuwenden wie jener nach tatauslösenden Faktoren sowie einer viktimologischen Einordnung und Folgenabschätzung,34 sind nicht unberechtigt. Allerdings werden auch hierdurch voraussichtlich weder tragfähige Schutzgründe freigelegt werden können, noch kann es dem Strafrichter angesichts des faktisch bindenden Ausspruches zur Verfassungsgemäßheit obliegen, bei seiner Beurteilung über die konkreten tatdeterminierenden Faktoren und Tatfolgen hinaus kriminologische Betrachtungen anzustellen, um zu einer angemessenen Verfahrensbehandlung und Rechtsfolgenabschätzung zu gelangen.35 28 Dippel (LK12 Rdn. 6) verweist zudem auf die Parallele zum sog. Exogamiegebot, mithin der Untersagung formeller Eheschließung zwischen Verwandten oder Angehörigen derselben Sippe.
29 S. hierzu Nonnenmacher S. 43 ff; Hoff S. 13 ff, 42 ff und 71 ff; Mayr S. 17 ff, jeweils m.w.Nachw., sowie in Auswahl im Literaturverzeichnis. 30 So die ersten Ansätze des ausgehenden 19. Jahrhundert bei Durkheim, Lubbock und Spencer (s. Lit.verzeichnis). 31 S. hierzu etwa Maisch S. 30; vgl. auch Prot. VI/34 S. 1246 [Laufhütte]. Neuerdings auf eine verhaltensbiologische Inzesthemmung verweisend Eibl-Eibesfeldt (Biologie S. 367 ff, Ethologie S. 593), s. auch Schubarth FS Grünwald 644. Im Grenzbereich von Natur und Kultur anzusiedeln sei die Inzesthemmung zufolge von Westermark (History Bd. 1 S. 250 ff, Bd. 2 S. 207 ff) und Lévi-Strauss (S. 15 ff und 157 ff), s. auch Eibl-Eibesfeldt Biologie S. 498 ff und Roscoe Man 29 N.S. [1994] S. 54 ff. Eingehend Dippel LK12 Rdn. 5 f. 32 Übersicht zu Erklärungsmodellen des Inzesttabus bei Reinert/Bischof S. 120 ff; Wickert/Seibt (Hrsg.) S. 433 ff; s. auch Dippel LK12 Rdn. 4 f. In psychologischer Hinsicht am bekanntesten ist die psychoanalytische Schule, welche davon ausgeht, dass die kindliche Sexualität inzestuös angelegt sei, und die spätere Ablegung dieser Präferenz mit einer Verdrängung inhärenter Inzestwünsche einhergehe, vgl. Freud S. S. 47 ff, S. 64 f; Hirsch Inzest S. 6 f und v. Hoff S. 29 ff. 33 Vgl. Dippel (LK12 Rdn. 7 m.w.Nachw.) mit den Beispielen von Geschwisterehen u. a. in Alt-Ägypten, Alt-Iran, Phönizien, Burma, Madagaskar, Peru und Hawaii, bis in jüngere Zeit in China, Siam und Teneriffa. 34 Vgl. hierzu allerdings das durch das BVerfG in Vorbereitung der Entscheidung BVerfGE 120 224 in Auftrag gegebene Gutachten des Max-Planck-Institutes zu familien- und sozialschädlichen Auswirkungen des (Geschwister-)Inzest, abrufbar unter https://static.mpicc.de/shared/data/pdf/05–08-inzest_gutachten.pdf. Hierin werden – auch nach der zusammenfassenden Wiedergabe in BVerfGE 120 224, 244 als (wenngleich nicht als repräsentativ angesehene) Auswirkungen ein vermindertes Selbstbewusstsein, funktionelle Sexualstörungen im Erwachsenenalter, eine gehemmte Individuation, Defizite in der psychosexuellen Identitätsfindung und der Beziehungsfähigkeit, Schwierigkeiten, eine intime Beziehung aufzubauen und aufrechtzuerhalten, Versagen im Arbeitsumfeld, eine generell Unzufriedenheit mit dem Leben, starke Schuldgefühle, belastende Erinnerungen an die Inzesterfahrung, Depressionen, Drogen- und Alkoholmissbrauch, Selbstverletzung, Essstörungen, Suizidgedanken, sexuelle Promiskuität und posttraumatische Erlebnisse sowie indirekte Schäden etwa durch Ausgrenzung oder soziale Isolation benannt. 35 Anders allerdings Wolters Rdn. 11; Leferenz ZStW 1965 379, 387; Dippel LK12 Rdn. 3. Wiedner
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I. Allgemeines
StGB § 173
Dass es eine sexuelle Disposition im Sinne einer inzestuösen Anlage geben könne, und 11 diese als spezifisch sexualpathologische und kriminogene Konstellation Bedeutung für eine Tat nach § 173 haben könne, ist nur vereinzelt angenommen worden (vgl. v. Hentig/Viernstein S. 188 ff; Hentig MschrKrim. 1962 18 f). Bedeutsamer scheinen psycho-soziale Faktoren in Form einer fehlenden Familienstruktur und -zusammengehörigkeit in zeitlicher, örtlicher und kommunikativer Hinsicht.36 Rechtstatsächlich wird in neuerer Zeit gelegentlich darauf hingewiesen, dass als Folge erlaubter Samenspenden, die hohe Anzahl hierdurch hervorgebrachter Halbgeschwister und die fehlende Rückverfolgbarkeit die Wahrscheinlichkeit inzestuöser Beziehungen ansteigen kann.37 Aufgrund der eindeutigen Anknüpfung von § 173 an die leibliche, mithin genetische Verwandtschaft werfen solche wie auch andere Formen der modernen Reproduktionsmedizin weniger rechtliche als vielmehr tatsächliche Fragestellungen auf.
4. Verfassungsmäßigkeit und geschütztes Rechtsgut Die Bestimmung eines tragfähigen Rechtsgutes als Legitimation der Vorschrift erweist sich 12 als hochproblematisch und wird seit langem kontrovers diskutiert. Trotz der Ausführungen in BVerfGE 120, 224, durch welche die Vorschrift für die Fallgestaltung des Geschwisterbeischlafes für verfassungsgemäß erklärt wurde, ergibt sich letztlich der Befund, dass eine schlüssige Begründung der Strafbarkeit nicht herzuleiten ist.
a) BVerfGE 120, 224. Die Vorschrift ist nach BVerfGE 120, 22438 als verfassungsgemäß 13 anzusehen. Dies gilt unbeschadet dessen, dass sich die Entscheidung allein auf den Geschwisterinzest bezieht; da es sich hierbei um die in ihrer Unrechtsbewertung geringstwiegende Tatvariante handelt, dürfte sie auf den Tatbestand insgesamt übertragbar sein. Nachfolgend ist durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte auch ein Verstoß gegen Art. 8 MRK verneint worden (EGMR NJW 2013 215; krit. Jung GA 2012, 617). Der verfassungsgerichtlichen Beurteilung zugrunde lag die Verfassungsbeschwerde des 14 zunächst zu einer Bewährungsstrafe, nach wiederholter Tatbegehung zu einer vollstreckbaren Freiheitsstrafe verurteilten männlichen Teiles eines Geschwisterpaares, das voneinander getrennt aufgewachsen war und sich erst kennengelernt hatte, als der Beschwerdeführer 24 Jahre und seine Schwester 16 Jahre alt waren; aus der Beziehung sind vier – teilweise behinderte – Kinder hervorgegangen.39 Das BVerfG hatte sich in einer im Stimmenverhältnis von sieben zu eins ergangenen Entscheidung40 maßgeblich damit auseinandergesetzt, ob eine für die Strafbarkeit tragfähige Legitimation der Vorschrift, mithin ein die gesetzgeberische Auswahl- und Gestaltungsfreiheit eröffnender, verfassungsrechtlich tragfähiger, von der Vorschrift verfolgter Zweck gefunden werden kann, und ob sich die Vorschrift zu seiner Verfolgung als geeignet, erforderlich und bei Gesamtabwägung als verhältnismäßig erweist (BVerfGE 120 224, 238 ff). Bemerkenswert erscheint bereits an dieser, den Prüfungsmaßstab bestimmenden und das Ergebnis determinierenden Stelle, dass das Gericht dem Konzept eines wertenden Rechtsgüterschutzes eine Absage erteilt und hierdurch die Grenzen gesetzge36 Die entsprechenden Untersuchungen, die in derartigen Fällen eine Aufhebung der psychologischen Inzestschranke konstatieren (Schwab, MschrKrimBiol. 1938 273, 276; Riemer MschrKrimPsych. 1936 86), sind allerdings vor dem weltanschaulischen Hintergrund ihrer Veröffentlichungszeit kritisch auf Validität zu hinterfragen. 37 Deutscher Ethikrat, „Inzestverbot“ Stellungnahme vom 24.9.2014, S. 24. 38 Urteil vom 26.2.2008 – 2 BvR 392/07 = NJW 2008 1137 = NStZ 2008 614. 39 Vgl. BVerfGE 120 224 = NJW 2008, 1137; die Ausgangsentscheidungen des AG Leipzig und OLG Dresden sind nicht veröffentlicht. S. auch Schramm Ehe und Familie im Strafrecht, S. 431 ff. 40 Abweichend die Auffassung des Vizepräsidenten beim BVerfG Hassemer mit eingehender Darlegung im Sondervotum, BVerfGE 120 224, 255 ff. 679
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Beischlaf zwischen Verwandten
berischer Regelungsgewalt weit zieht (s. insbes. BVerfGE 120 224, 240 ff). Im Ergebnis sieht es den Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers als nicht überschritten, wenn dieser „die Bewahrung der familiären Ordnung vor den schädigenden Wirkungen des Inzest, den Schutz der in der Inzestbeziehung ‚unterlegenen‘ Partner sowie ergänzend die Vermeidung schwerwiegender genetisch bedingter Erkrankungen bei Abkömmlingen aus Inzestbeziehungen als ausreichend erachtet hat, das in der Gesellschaft verankerte Inzesttabu weiterhin strafrechtlich zu sanktionieren“ (BVerfGE 120 224, 243 = NJW 2008 1137, 1139). Zur Begründung führt das BVerfG insoweit zunächst aus, inwieweit empirisch die Gründe eines Schutzes der Familie41, der sexuellen Selbstbestimmung und der Eugenik taugliche Erwägungen darstellen, greift aber auch die Tradition des Inzestverbotes auf, ein in der Gesellschaft verankertes Unrechtsbewusstein sowie die damit einhergehende Gefahr einer Diskriminierung von Inzestkindern. Hierin liege entgegen abzulehnender Auffassungen in der Literatur kein Schutz einer Moralvorstellung, sondern eine Rechtfertigung „in der Zusammenfassung nachvollziehbarer Strafzwecke vor dem Hintergrund einer kulturhistorisch begründeten, nach wie vor wirkkräftigen gesellschaftlichen Überzeugung von der Strafwürdigkeit des Inzest, wie sie auch im internationalen Recht festzustellen ist“. Die Norm erfülle „auch durch ihre Ausstrahlungswirkungen über den tatbestandlich eng umgrenzten strafbewehrten Bereich hinaus (…) eine appellative, normstabilisierende und damit generalpräventive Funktion“ (BVerfGE 120 224, 248 f). Bei Betrachtung der konkreten Ausgestaltung der Vorschrift und ihrer Eignung sei verfassungsrechtlich hinzunehmen, dass der Gesetzgeber nur bestimmte Tathandlungen und Tatbeteiligte mit Blick auf die Tatfolgen pönalisiert habe (BVerfGE 120 224, 249 ff). 15 Die Entscheidung hat Zustimmung,42 vor allem jedoch vielfältige Kritik erfahren. Dezidiert wendet sich zunächst Hassemer in seiner abweichenden Auffassung (BVerfGE 120 224, 255) gegen die Mehrheitsmeinung des 2. Senats und legt dar, dass § 173 kein Regelungsziel verfolge, das widerspruchsfrei mit der tatbestandlichen Fassung vereinbar wäre. Die Vorschrift genüge weder den Grundanforderungen an eine Beschränkung strafrechtlicher Gesetzgebung,43 noch der Forderung nach einem klaren Ausdruck der Regelungsziele, wenn die Mehrheitsmeinung den rechtfertigenden Strafzweck nur in deren Zusammenfassung sehe. Dies gelte zumal deshalb, weil gesundheitliche Gesichtspunkte – Eugenik, Gesundheit der Bevölkerung – als tragfähige Schutzbelange von vornherein ausschieden, der Schutz sexueller Selbstbestimmung der Norm nachträglich untergeschoben worden sei und in den erfassten Tathandlungen keinen spezifischen Ausdruck finde, und der Schutz von Ehe und Familie durch die Pönalisierung herausgegriffener einzelner, nicht notwendig schadensträchtiger Handlungen, die zumeist nicht mehr innerhalb eines Familienverbandes erfolgen, nicht nachvollziehbar gewährleistet werden könne. Soweit nahe liege, dass die Vorschrift nur auf tatsächliche oder vermutete Moralvorstellungen abziele, könnten diese nur mittelbare Ziele einer Strafnorm sein (BVerfGE 120 224, 264 f). In dem Sondervotum ist anhand einer Mehrzahl tatbestandlicher Inkonsistenzen zudem ausgeführt, warum die Norm auch mangels Eignung zu dem angestrebten Rechtsgüterschutz keinen verfassungsrechtlichen Bestand haben könne, sie sich angesichts nicht-strafrechtlicher Lösungsmöglichkeiten nicht als erforderlich darstelle, und sie ohne Herausnahme eines für ein – unter allen Schutzzweckgesichtspunkten – nicht strafwürdiges Verhaltens mit dem verfassungsrechtlichen Übermaßverbot kollidiere (BVerfGE 120 224, 265 ff).
41 Hierbei zugleich rekurrierend und verfassungsrechtlich bewertend auf Art. 6 Abs. 1 GG, wonach die „lebenswichtige Funktion der Familie für die menschliche Gemeinschaft … entscheidend gestört“ werde, „wenn das vorausgesetzte Ordnungsgefüge durch inzestuöse Beziehungen ins Wanken gerät“ (BVerfGE 120 224, 245 unter Bezug auf BVerfGE 36 146, 167). 42 Frommel NK Rdn. 1; Kubiciel ZIS 2012 282, 289; Tischler S. 121 ff; Schubarth FS Dencker 273 ff. 43 Genannt sind der Schutz elementarer Werte des Gemeinschaftslebens (BVerfGE 27, 18, 29; 39 1, 46; 45 187, 253), eine Sicherung der Grundlagen einer geordneten Gesellschaft (BVerfGE 88 203, 257) und der Bewahrung wichtiger Gemeinschaftsbelange (BVerfGE 90 145, 184). Wiedner
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StGB § 173
Im Schrifttum ist gleichlautende, teils scharfe Kritik artikuliert worden,44 darunter insbe- 16 sondere solche mit einer Akzentuierung auf ein unzureichend erkennbares Schutzgutkonzept45 und die nicht schlüssige Darlegung der Zielrichtungen der Vorschrift. Dem ist in verfassungsrechtlicher Hinsicht jedenfalls insoweit zuzustimmen, als es die Überzeugungskraft der Entscheidung erhöht hätte, wenn sie das überwiegende Interesse der Allgemeinheit nicht aus einer undeutlichen Summierung von – zumal für Fälle des Geschwisterinzestes nicht durchgehend tragfähigen – unterschiedlichen Schutzzwecküberlegungen hergeleitet, sondern eugenischen Gesichtspunkten und gesellschaftlich sowie kulturhistorisch hergeleiteten Überzeugungen, die sich letztlich nicht anders als moralische Vorstellungen verstehen lassen, zu nicht tauglichen Grundlagen erklärt und eine Herleitung über die verbliebenen Schutzgüter unter Betonung gesetzgeberischer Gestaltungsfreiheit versucht hätte. Die Entscheidung erweckt in der vorliegenden Gestalt den Eindruck einer ergebnisorientierten Sammlung verschiedener Argumentationslinien46 mit dem unglücklichen Kulminationspunkt, dass bereits ein in der Gesellschaft verankertes Unrechtsbewusstsein zwar nicht für sich genommen, aber doch in Zusammenschau mit allein nicht tragfähigen Strafzwecken diese so verstärken könne, dass sie eine strafrechtliche Sanktionierung (noch) rechtfertigen. Teilweise ist vorgeschlagen worden, die Entscheidung des BVerfG daher als Abkehr von der Rechtsgutlehre und gestützt allein auf das Demokratieprinzip und eine hieraus hergeleitete verfassungsgsrechtliche Eingrenzung des Gesetzgebers zu begreifen (vgl. Schick GA 2020, 14). Ob sich die Vorschrift bei Herauslösung einzelner Schutzzweckerwägungen noch als verfas- 17 sungsgemäß hätte erweisen können, erscheint zweifelhaft. Die Frage ist für die Rechtspraxis indes irrelevant, da sie in verfassungsrechtlicher Hinsicht mit Blick auf § 31 Abs. 1, Abs. 2 S. 1, § 13 Nr. 8a BVerfGG und die gesteigerten Anforderungen einer Vorlage nach Art. 100 GG47 nunmehr auf unabsehbare Zeit48 zur Anwendung von § 173 gehalten ist. Da sie jedenfalls in der Konstellation des Geschwisterinzest einschränkungslos für verfassungskonform erklärt wurde, obliegt dem Strafrichter auch keine verfassungskonforme Auslegung dahin, ob im Einzelfall Schutzzwecke verletzt werden und eine Verurteilung einen spezialpräventiven Nutzen haben kann (so aber Frommel NK Rdn. 16). Die Vorschrift ist schlicht anzuwenden.
b) Schutzgüter. Dass sich § 173 als (noch) verfassungsgemäß darstellt, trägt zur Legitimation 18 der Vorschrift freilich nur bedingt im Sinne einer notwendigen Voraussetzung bei. Als Rechtsgüter sind – wie auch durch das BVerfG im Einzelnen geprüft – seit jeher mit unterschiedlicher Gewichtung, teils vereinzelt und teils kumulativ49 benannt worden die Sittlichkeit, die familiäre Ordnung, sich überschneidend hiermit die Institutionen von Ehe und Familie,50 die sexuelle 44 Fischer Rdn. 3 ff; Cornils ZJS 2009 85, 87 f; Fröhlich/Siebenhütter DRiZ 2012 344; Greco ZIS 2008 234; Kühl JA 2009 833, 838; Hörnle NJW 2008, 2085; Roxin StV 2009 544; Noltenius ZJS 2009 15, 17 ff; Achenbach StraFo 2011 422, 425; Ellbogen/Bonnin JR 2019, 11; Siep/Gutmann/Jakl/Städtler/Saliger Was schützt der liberale Rechtsstaat? S. 183; Zabel JR 2008 453; Ziethen NStZ 2008 617; s. auch Jung GA 2012 617. Zuvor bereits Ellbogen ZRP 2006 190; Al-Zand/Siebenhüner KritV 2006 68 sowie umfassend Klöpper S. 47 ff, 131 f; differenzierend Schick GA 2020, 14. 45 S. hierzu insbesondere Bottke Roma locuta causa finita, FS Volk, S. 93; vgl. auch Roxin GA 2013 433, 438. 46 Kritisch insbesondere hierzu Ziethen NStZ 2008 617 („strategischer Missgriff“); Roxin StV 2009 544, 548 („die Summierung von drei untauglichen Begründungen ergibt noch immer keine taugliche Begründung“). 47 Vgl. zu den Vorlagevoraussetzungen bei bereits vorliegender Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts BVerfGE 94 315, 323; 105 70; Graßhof Art. 100 Abs. 1, Nr. 5.3; Hömig/Wolff Art. 100 Rdn. 12. Verfassungsbeschwerden von Betroffenen, auch in anderen Inzestkonstellationen, dürften mit Blick auf BVerfGE 120 224 ohne weitere Senatsbefassung nicht mehr angenommen werden. 48 Dass die Vorschrift weiter Bestand behalten wird, nehmen Wolters (SK Rdn. 2) und Kubiciel (ZIS 2012 282, 289) an. 49 Zutreffend die zusammenfassende Darstellung bei Wolters SK Rdn. 2. 50 BGHSt 39 326, 329 mit Bespr. Dippel NStZ 1994 182; Stein StV 1995 251; Bottke S. 113; Frommel NK Rdn. 11; Klöpper S. 3, 114. 681
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Beischlaf zwischen Verwandten
Selbstbestimmung, die Bewahrung der psychischen Integrität,51 schließlich eugenische Gesichtspunkte.52 Tragfähig sind sie weder jeweils für sich genommen noch in der Zusammenschau. Gründe liegen teilweise in ihrer fehlenden Anerkennungsfähigkeit als taugliche Schutzgüter, zum anderen in der unpassenden Normstruktur. Diese ist durch Tatbestandlosigkeit rechtsgutschädlichen Verhaltens auf der einen und Tatbestandlichkeit unschädlichen Verhaltens auf der anderen Seite gekennzeichnet; sie ist damit nicht rechtsgutkonform, sondern bezogen auf die möglichen Schutzgüter großteils gleichheitswidrig und geradezu untauglich ausgestaltet.53 Im Einzelnen:
19 aa) Historisch lassen sich Strafgründe nicht eindeutig festmachen. Fern strafrechtlicher Schutzgüter ist seit jeher Gegenstand wissenschaftlicher Diskussion, ob sich die Inzestscheu des Menschen auf erlernte Normen oder (auch) biologische Wurzeln zurückführen lässt. Die geschichtlich und interkulturell54 belegten Inzestverbote gründen sich (jedenfalls auch) auf eine tradierte, teilweise sakral unterlegte Abscheu der Menschen vor geschlechtlichen Beziehungen naher Verwandter; hierbei kam auch dem Schutz familiärer Beziehungen Bedeutung zu.55 Eine aus sozialen Normen, psychischer Disposition oder biologischen Faktoren abgeleitete Allgemeingültigkeit des Inzestverbotes – so hieraus überhaupt Folgerungen für ein strafrechtliches Verbot abgeleitet werden könnten – steht gleichwohl in Frage aufgrund der auch geschichtlich uneinheitlichen Handhabung mit nicht nur isolierten Durchbrechungen.56 Erst spät wurden Überlegungen angestellt, dass institutionelle Inzestverbote die Vermeidung von Gesundheitsschäden bei Nachkommen zum Ziel hätten.57 Auch im Übrigen bieten eine historische Betrachtung und darauf fußenden Theorien keinen zureichenden Aufschluss über das nunmehrige Rechtsgut des § 173.58 20 Gesetzesgeschichtlich ließ sich den Motiven zum RStGB kein Schutzgut entnehmen. Die frühe Rechtsprechung benannte mit der Familiengesundheit, der öffentlichen Sittlichkeit, der Familienreinheit und der Sozialschädlichkeit zunächst ein Bündel an Schutzgütern (vgl. RGSt 2 240, 241; 57 140), um sich dann, wie auch die frühe Strafrechtswissenschaft, auf die Gefahren vor Inzucht und die sittliche Gesundheit der Familie zu konzentrieren.59 In der Gesetzesbegründung zum 4. StrRG benennt der Regierungsentwurf (BTDrucks. VI/1552 S. 10 f) als Strafgrund den von Art. 6 GG geforderten Schutz von Ehe und Familie, darunter die Freihaltung der engsten Familie von ehe- und familienzerstörend wirkenden sexuellen Beziehungen, die zudem nicht selten zu schwerwiegenden Störungen der psychischen Entwicklung namentlich minderjähriger Beteiligter und zu diskriminierenden Reaktionen führten, und die Nachkommen zudem der Gefahr eugenischer Schäden aussetzt. Nach Sachverständigenanhörungen in medizinischer, psychologischer, soziologischer, kriminologischer und juristischer Hinsicht60 hat der Sonderausschuss (BTDrucks. VI/3521 S. 17 f) letztlich die Erwägungen des Regierungsentwurfs bestätigt 51 52 53 54 55 56 57 58
Vivelo in Vivelo [Hrsg.] S. 290; vgl. auch Prot. VI/34 S. 1246 (Laufhütte). S. BTDrucks. VI/1552, S. 14. Zutreffend Ziethen NStZ 2008 617; s. auch Jung FS Leferenz 316; Dippel LK12 Rdn. 3 ff. Zur Bestrafung des Inzests bei indigenen Gesellschaften vgl. Kiefl S. 86 ff. Goode S. 58; Neidhardt S. 18; Stratenwerth FS Hinderling 311. Vgl. Rdn. 1 ff und 9. Relativierend auch Lévy-Bruhl S. 247; Mühlfeld SozW 1977 222; näher Dippel LK12 Rdn. 7. Levi-Strauss S. 58: 16. Jahrhundert; Main S. 228. Dippel (LK12 Rdn. 6) verweist unter Bezug auf Girtler (KölnZ 1976 687) und Bischof (S. 88 ff) zu Recht darauf, dass sie großteils durch den historischen Kontext, den dortigen wissenschaftlichen Denkstil und die persönlichen, politischen oder religiösen Überzeugungen des jeweiligen Autors geprägt sind. 59 BGHSt 3 342, 343; BGH NJW 1952 67;1 Welzel Strafrecht § 64 III 1; Binding Lehrbuch I § 60 III I, Sauer BT § 49 V 1. 60 Prot. VI/28 S. 882, 885 ff (Scheuch), 918 ff (Schönfelder) und 922 (Strunk); VI/29 S. 929, 932 ff (Lempp), 990 ff (Wille), 995 ff, 1002 ff (Hallermann), 1007 ff (Nau) und 1020, 1024 ff (Matthes); VI/30 S. 1114 ff (Hanack), 1135 (Bader); Prot. VI/34 S. 1247 (Laufhütte). Auswertung bei Stratenwerth FS Hinderling S. 304 ff; krit zu Befragungsgegenstand Wiedner
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I. Allgemeines
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und hinzugefügt, dass der Verwandteninzest in hohem Maße traditionsbeladen sei und von der Allgemeinheit als Ausdruck des Familien- und Eheschutzgedankens betrachtet werde. In der hiernach ergangenen Rechtsprechung bis zur Entscheidung des BVerfG vom 26.2.2008 (BVerfGE 120 224) sind vorrangig Ehe und Familie als Schutzgut betont und genetische Gründe für nachrangig gehalten worden (BGH NJW 1994 271).
bb) Gegenwärtig herangezogene Rechtsgüter. Die einzelnen in Betracht kommenden 21 Rechtsgüter sind Gegenstand umfangreicher Untersuchungen (vgl. zusammenfassend Ellbogen/Bonnin JR 2019, 11, 12 ff) und wurden im Einzelnen von BVerfGE 120 224 aufgegriffen; zusammengefasst lässt sich festhalten: Gesundheitlich-genetische („eugenische“61) Gesichtspunkte, mithin solche, die auf die 22 Vermeidung genetisch bedingter Erkrankungen oder Schädigungen bei Abkömmlingen aus Inzestbeziehungen abzielen, sollten nicht bereits dadurch ausgeschieden werden, dass die tatsächliche Gefahr unter Hinweis auf fehlende repräsentative Erhebungen in Abrede gestellt wird.62 Die deutliche erhöhte Wahrscheinlichkeit gesundheitlicher Einschränkungen durch das Aufeinandertreffen rezessiver Erbanlagen dürfte wissenschaftlich kaum bestreitbar sein.63 Ein strafrechtliches Verbot legitimiert sich hieraus aber nicht. Der Schutz bereits gezeugter Kinder kann nicht bezweckt sein, da die Strafnorm im Vorfeld ansetzt und zugleich insinuiert würde, dass aus Sicht des geschützten Personenkreises die eigene Nichtexistenz einem Leben mit Behinderung vorzuziehen wäre. Ein derartiger Schutzzweck ließe sich auch mit den sonstigen strafrechtlichen Vorschriften nicht konsistent vereinbaren, die bei ähnlichen oder höheren Gefahren für das ungeborene Leben oder deren Eintritt durch Verhalten der Schwangeren (etwa Alkohol- oder Drogenkonsum) oder bei Zeugung durch Eltern mit Erbkrankheiten64 nicht eingreifen. Nicht zugeschnitten auf einen eugenisch orientierten Schutzzweck ist auch die tatbestandliche Fassung, die zwar auf Fälle des Geschlechtsverkehrs eingegrenzt ist, hiervon aber Gestaltungen sicherer Gefahrlosigkeit etwa durch Gebrauch von Verhütungsmitteln oder Unfruchtbarkeit nicht ausnimmt, und auch nicht etwa eine Schwangerschaft zur objektiven Strafbarkeitsbedingung erhebt. In gleicher Weise kann die Wahrung einer Erbgesundheit der Allgemeinheit nicht vertretbar als Schutzgut angenommen werden, da die Verhinderung der Geburt behinderter oder erkrankter Menschen mit der Werteordnung des Grundgesetzes nicht in Ein-
und -tiefe Dippel LK12 Rdn. 8; Lautmann ZRP 1980 44; s. auch Hanack NJW 1974 2 Fn. 22. Empirische Untersuchungen zur Verwurzelung des Inzesttabus im Bewusstsein der Bevölkerung wurden nicht vorgenommen. 61 Ziel eugenischer Maßnahmen ist es, unter Anwendung genetischer Erkenntnisse als positive Eugenik den Fortbestand günstiger Erbanlagen in einer menschlichen Population zu sichern und zu fördern sowie als negative oder präventive Eugenik die Ausbreitung nachteiliger Gene einzuschränken (Brockhaus Enzyklopädie 21. Aufl. [2005] Bd. 8 S. 480). Vgl. auch die Definition von „Eugenik“ in der Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik vom 29.4.2008 zur eugenischen Argumentation des BVerfG zum Inzestverbot (abrufbar unter https:// www.gfhev.de/): Dirigistisches Bestreben nach einer Verbesserung des kollektiven Erbgutbestandes einer Population. Der Begriff ist in nationalsozialistischer Zeit als Begründung für den Massenmord an geistig und körperlich behinderten Menschen (Euthanasie) diskreditiert worden. 62 So etwa Ritscher MK Rdn. 3; Dippel LK12 Rdn. 12; hierauf hebt auch Hassemer BVerfGE 120 224, 255 = NJW 2008 1137, 1142 verstärkend ab. 63 S. etwa die Darlegungen des Deutschen Ethikrates, Inzest, Stellungnahme v. 24.9.2014, S. 57 ff mit Hinweis auf mehrere medizinische Studien aus den Jahren 1967 bis 1982, die ein tatsächliches Risiko genetischer Erkrankungen, Fehlbildungen und Intelligenzminderungen auf teilweise über 50 % bezifferten, und die Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik vom 29.4.2008 (Fn. 63), wonach Kinder aus inzestuösen Verbindungen ein erhöhtes Risiko für rezessiv erbliche, in geringerem Ausmaß auch multifaktoriell bedingte Krankheiten haben. 64 Hierauf weist die Deutsche Gesellschaft für Humangenetik in ihrer Stellungnahme vom 29.4.2008 eindringlich hin unter Beispielsnennung von Mukoviszidose und spinale Muskelatrophie, ohne dass bei Elternpaaren mit diesem Risiko die Entscheidungsfreiheit über die Verwirklichung ihres Kinderwunsches eingeschränkt wäre. 683
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§ 173 StGB
Beischlaf zwischen Verwandten
klang zu bringen ist und mit anderen gesetzlichen Regelungen65 in Widerspruch stünde (zutreffend Ritscher MK Rdn 3; Fischer Rdn. 5). Vielmehr zählt die Entscheidungsfreiheit über die Verwirklichung eines Kinderwunsches und die damit verbundene Risikobewertung zum Kernbestand des Persönlichkeitsrechtes, die Gleichbehandlung behinderter Menschen zum Gehalt von Art. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG. Schließlich dürfte Abkömmlingen aus inzestuösen Verbindungen ohnehin kein nennenswerter Einfluss auf das Genom einer Population zukommen.66 Der Schutz der Familie erscheint unter den verfügbaren Schutzgutkandidaten noch als best23 geeignet, um eine Strafbewehrung zu rechtfertigen,67 begegnet angesichts der Fassung der Vorschrift aber einer Mehrzahl erheblicher Inkonsistenzen. Innerfamiliäre Verwerfungen durch sexuelle Rollenüberschneidungen und „Über-Kreuz-Beziehungen“ mit schädlichen sozialen und psychischen Folgen mögen sich nach zulässiger gesetzgeberischer Wertung als mit dem Leitund Ordnungsbild der Familie durchaus unvereinbar erweisen, wenn man dieses als zentrales Sozialisationsmodell und Strukturbasis für die Entwicklung von Kindern bis Heranwachsenden ansieht.68 Auch eine strafrechtliche Sanktionierung ist hier nicht von Vornherein illegitim. Zur Abwehr derartiger familienschädlicher Wirkungen ist § 173 aber kaum geeignet, die Normstruktur schlicht unplausibel und widersprüchlich. So erweisen sich als potentiell sozial- und familienschädlich nicht erst die von der Vorschrift isoliert herausgegriffenen, allein strafbaren Beischlafhandlungen, sondern Annäherungen im Vorfeld, die sich erst zuletzt und nicht notwendig im Vollzug des Geschlechtsverkehrs ausdrücken.69 Nach kriminologischer Erfahrung bildet die Störung der familiären Psychodynamik eher die Ursache denn die Folge einer Inzestbeziehung.70 Die Strafbarkeit ist andererseits – zumal im Falle inzestuöser Beziehungen zwischen Erwachsenen – in keiner Weise daran geknüpft, ob sich die Beteiligten tatsächlich noch in einem funktionierenden Familienverbund befinden, dessen soziale Integrität gestört werden könnte, oder jemals befunden haben, wie etwa in den Fällen getrennt aufgewachsener und erwachsener Geschwister oder der Beziehung eines Kindes im Erwachsenalter zu einem zu ihm bis dahin völlig kontaktlosen Elternteil.71 Dass die Vorschrift das ungestörte familiäre Zusammenleben und das dortige Sozialisations- und Beziehungsgeflecht zu schützen beabsichtigt, lässt sich damit gerade nicht annehmen. Zugleich erscheint es unter dem Gesichtspunkt des Familienschutzes zu eng, die Strafbarkeit von einem leiblichen Verwandtschaftsverhältnis abhängen zu lassen. Insbesondere die Friktionen mit dem bürgerlich-rechtlichen Abstammungsbegriff, etwa der vermuteten Vaterschaft des im Familienverbund lebenden Ehemannes trotz fehlender biologischer Verbindung (§ 1592 BGB), oder die Fälle von im Familienverbund seit Säuglingsalter mitaufgewachsener Stief-, Adoptiv- oder Pflegekinder, die in gleicher Weise vulnerabel wie leibliche Abkömmlinge sind, eröffnen eine Vielzahl auch praktisch hochbedeutsamer Fallkonstellationen, in denen der Familienverbund bei sexuellen Verbindungen in gleicher Weise betroffen wird.72 Die Reichweite der Norm 65 Fischer (Rdn. 5) verweist zutreffend auf die Restriktionen der Präimplantationsdiagnstik (§ 3a ESchG in Verbindung mit der Präimplantationsdiagnostikverordnung) sowie auf die Ausgestaltung der §§ 218 f. 66 So die Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik vom 29.4.2008 (Fn. 63). 67 Hierauf abstellend die Gesetzesbegründung (BT-Drucks VI/3521, S. 18), die Rechtsprechung des BGH (BGHSt 3 342, 343; 39 326, 329) und nicht zuletzt die Stellung der Vorschrift im StGB. Auch das BVerfG hebt darauf maßgeblich ab (BVerfGE 120 224, 245 [Rdn. 45]). 68 So etwa Hilgendorf Arzt/Weber § 10 Rdn. 28; eingehend auch Schramm Ehe und Familie im Strafrecht, S. 423 f. 69 Dass etwa unter dem Gesichtspunkt eines Familienschutzes allein vaginaler Geschlechtsverkehr als schädliche Handlung strafbar sein soll und nicht etwa auch andere sexuelle Handlungen mit vergleichbarer Intensität, bleibt unerklärlich. 70 Vgl. Albrecht/Sieber S. 98 f; Al-Zand/Siebenhüner KritV 2006 72; Baurmann S. 60, 64 f; Ellbogen ZRP 2006 191; Jung FS Leferenz S. 313 ff; Klöpper S. 108, 109, 114 f; Kunter S. 9; Leferenz ZStW 1965 S. 387 f. 71 Derartige „Homo Faber“-Konstellationen mögen praktisch selten sein, sind aber angesicht der Vielzahl Alleinerziehender mit einem bloßen Zahlkontakt zu dem anderen Elternteil nicht gänzlich zu vernachlässigen. Zur Strafbarkeit des Samenspenders vgl. Rdn. 30, 33. 72 Ritscher MK Rdn. 5 verweist zudem zutreffend auf die „Vielfalt heutiger sozialer Nahsysteme“, die die traditionelle Familie ergänzen. Wiedner
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I. Allgemeines
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lässt sich damit nicht konsistent auf einen bestimmten Familienbegriff als Schutzgut zurückführen. Auch steht mit der fragmentarischen, über- und unterbewertenden Taterfassung die Steuerungsfunktion der Vorschrift – unabhängig davon, dass empirisch die Wirkung der Strafandrohung auf den potentiellen Täterkreis ohnehin schwach erscheint – durchgreifend in Frage (vgl. Hassemer Sondervotum, BVerfGE 120 224, 260 ff). Die sexuelle Selbstbestimmung ist in ihrem Kernbereich bereits Gegenstand der §§ 174 ff. 24 Soweit § 173 darüber hinausgehen soll, würde die Vorschrift in Ermangelung besonderer Voraussetzungen wie einer Zwangslage oder sonstiger greifbarer Einschränkungen der sexuellen Autonomie volljährige Menschen vor der eigenverantwortlichen Eingehung sexueller Kontakte schützen aus der bloßen Vermutung heraus, dass sich aus der familiären Verbindung eine Überlegenheit einer Seite ergeben könnte. Eine solche ist nicht gesichert, sie wird sich allein im Verhältnis von Verwandten auf- und absteigender Linie mit gewisser Wahrscheinlichkeit ergeben. Auch wenn sexuelle Beziehungen von leiblich Verwandten aber auf persönlichen Abhängigkeiten beruhen können, ohne zwingend in einen offenbaren Machtmissbrauch münden,73 wäre das Strafrecht aber zur Behebung ein untaugliches Mittel, vermag es doch auch sonst bereits wegen des Bestimmtheitsgebotes und Ultima-ratio-Prinzipes im höchstpersönlichen Bereich privater und intimer Beziehungen die Beteiligten nicht vor Dominanz, Machtverschiebungen und -gefällen zu bewahren. Zutreffend ist zudem darauf hingewiesen worden, dass angesichts der Strafbarkeit beider volljähriger Beteiligter keine auch nur typisierte TäterOpfer-Beziehung zugrunde liegen kann.74 Dies spricht auch dagegen, die Vorschrift als Schutzbestimmung für die – tatsächlich in einzelnen Fallgestaltungen unzweifelhaft beeinträchtigte (vgl. Fn. 34) – psychische Gesundheit eines Beteiligten oder beider Teile zu begreifen, zumal durch das Eingreifen strafrechtlicher Instrumente in einer Mehrzahl von Fällen eine nicht zu unterschätzende sekundäre Viktimisierung eintreten dürfte (vgl. Hassemer, Sondervotum, BVerfGE 120 224, 270 = NJW 2008 1137, 1145). Die Bewahrung vor sozialer Ausgrenzung75 erscheint nicht nur angesichts der Möglichkeit alternativer Maßnahmen für sich genommen kein tragfähiges Rechtsgut; der Zweck einer bloß sozialen Verhaltenssteuerung wäre auch mit dem scharfen Sanktionscharakter des Strafrechts kaum zu vereinbaren, zumal die Vorschrift zu jener Diskriminierung selbst beiträgt, die sie zu beheben vorgibt.76 Schließlich ist wiederum der Tatbestand auf das Schutzgut unpassend zugeschnitten, wenn er ausschließlich Beischlafhandlungen und nicht auch andere sexuelle Betätigungen erfasst, vor denen ein unterlegener Beteiligter gleichermaßen geschützt werden müsste. Die Summe bereits für sich genommen nicht tragfähiger Strafzwecke kann nicht weiter 25 reichen als ihre addierten Einzelteile.77 Eine vermutete oder tatsächliche Sozialschädlichkeit,78 hergeleitet aus Rechtstraditionen oder einer Überzeugung der Rechtsgemeinschaft, bleibt ohne inhaltliche Auffüllung kein hinreichender Maßstab für die Legitimation einer Strafvorschrift.79 Die Tabuisierung selbst,80 eine – empirisch zumal nicht überprüfte und aktualisierte – Übereinstimmung in der Bevölkerung, dass bestimmte sexuelle Verhaltensweisen zu unterbleiben 73 Frommel (NK Rdn. 13) sieht typischerweise Abhängigkeiten und eine fehlende sexuelle Selbstbestimmung, räumt aber ein, dass gegenläufige Indikatoren einer emotionalen oder sozialen Abhängigkeit widerstreiten können, so dass eine entpsrechende gesetzliche Annahme zumindest widerlegbar sein müsste. 74 Hassemer Sondervotum BVerfGE 120 224, 255; Roxin 2009 547. 75 Vgl. BVerfGE 120 224, 248 = NJW 2008 1137, 1139 [Rdn. 50]) unter Bezug auf BTDrucks. VI/1552, S. 14; VI/3521, S. 17 f. 76 Daher als zirkelschlüssig angesehen von Fischer Rdn. 6; s. auch Zabel JR 2008 453, 455. 77 So aber letztlich das BVerfG mit dem Topos der „Zusammenschau“, vgl. BVerfGE 120 224, 248 f; hiergegen zu Recht Roxin StV 2009 544, 547 f; Fischer Rdn. 7. 78 Die Lehre von der Sozialschädlichkeit eines Verhaltens entstammt der Sozialschadenslehre der Aufklärung und ist nicht identich mit der Lehre vom Rechtsgüterschutz (Jung/Müller-Dietz/Neumann/Amelung S. 269). 79 Arndt Merkur 1968 1081 f; J. Baumann ZRP 1991 130; Müller-Dietz S. 16 f. 80 S. zu einer Rechtfertigung als Strafgrund in Bauer/Bürger-Prinz/Giese/Jäger/Hochheimer S. 101 („allertabuierteste Themen des menschlichen Intimlebens“). 685
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haben, kann als letztlich allein moralische Erwägung für sich genommen erst recht nicht hinreichen, eine Strafbarkeit zu begründen.81 Insoweit kann auch die Entwicklungsgeschichte im Sinne einer kulturellen Tradition die Vorschrift nicht legitimieren; bei ihr handelte es sich, wollte man sie hierauf stützen, dann letztlich um ein voraufklärerisches Relikt.
26 cc) Bewertung. Nach dem Vorstehenden erweist sich § 173 als Vorschrift ohne tragfähiges, widerspruchsfrei zu bestimmendes Rechtsgut und stellt sich als Pönalisierung eines letztlich nur unerwünschten Verhaltens dar. Die Wertentscheidung des Gesetzgebers, inzestuöse Beziehungen als strafbares Unrecht zu begreifen, bedarf aus diesem Grund, angesichts der zweifelhaften Präventionswirkung und nicht zuletzt der verschwindenden Bedeutung der Korrektur.82 Rechtspolitisch wäre in einer liberalen Gesellschaft eine Aufhebung der Vorschrift vermittelbar und im Rahmen einer Gesetzgebung, die nicht irrationalen Vorstellungen und Ängsten Vorschub leisten will,83 auch geboten. Dass weite Teile der Bevölkerung dem Inzestverbot im Sinne eines tiefverankerten Unrechtsbewusstseins zustimmten, ist durch den Gesetzgeber (BTDrucks. VI/1552, S. 14; VI/3521, S. 17) und ihm folgend das BVerfG unbelegt angenommen worden (BVerfGE 120 224, 248); selbst wenn dies zuträfe, ginge eine tradierte innere Einstellung („Inzestscheu“) aber nicht notwendig mit der Überzeugung von einem strafbewehrten Verbot einher. Die aufregungslose mediale Rezeption des Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht und der vorangehenden strafrechtlichen Verfahren gegen den Beschwerdeführer in den Jahren 2004 und 2005, die schon vor der Entscheidung des BVerfG das Für und Wider einer Strafbewehrung vermittelte,84 spricht gegen die Annahme, dass an der geltenden Strafrechtslage wegen einer tiefgreifenden gesellschaftsstabilisierenden Akzeptanz festgehalten werden müsste. Rechtstatsächlich sind angesichts sehr geringer Fallzahlen soziale Verwerfungen oder gar die Verbreitung von Erbschäden nicht zu besorgen. Da das Strafrecht einerseits ohnehin nur begrenzt in der Lage ist, intime Beziehungen zwischen eigenverantwortlich Handelnden zu unterbinden,85 die präventive Wirkung des Verbotes zumal bei einer unbekannten Dunkelziffer inzestuöser Beziehungen damit zweifelhaft erscheint, andererseits sozialwissenschaftlich und psychologisch von einer regelmäßig wirksamen Hemmschwelle ausgegangen werden kann,86 ist im Kernbereich von nicht anderweitig als nach § 173 strafbaren Handlungen nicht mit einem signifikanten Ansteigen inzestuöser Handlungen zu rechnen. Auch im Übrigen sind Schutz- und Strafbarkeitslücken angesichts der Reichweite des Sexualstrafrechts, insbesondere nach Reformierung der Verjährungsvorschriften nach § 178b Abs. 1 Nr. 1 nicht zu besorgen. Statt einer Kriminalisierung können den Betroffenen alternative Unterstützungswege, insbesondere jugendwohlfahrtpflegerische, sozialpädagogische und therapeutische Maßnahmen angeboten werden.87
81 Dies gilt auch dann, wenn der Ablehnung des Inzest tatsächlich auch biologische Mechanismen zugrunde liegen sollten, wie wissenschaftlich nicht abschließend geklärt, vgl. Rdn. 9. 82 Für eine Abschaffung der Vorschrift auch Jung GA 2012 617, 620; Ellbogen/Bonnin JR 2019 11, 14. 83 Vgl. Saliger Was schützt der liberale Rechtsstaat. 84 Vgl. beispielsweise die Berichte der Süddeutschen Zeitung Nr. 248 vom 25.10.2004 S. 3, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Nr. 263 vom 11.11.2005 sowie des Magazins Der Spiegel Nr. 44/2005 S. 64 und 66. S. auch Roxin StV 2009, 545, 549 und das Beispiel bei Ziethen NStZ 2008 617. 85 Eingehend Kanwischer Der Grenzbereich zwischen öffentlichem Strafanspruch und intimer Lebensgestaltung. 86 Hiervon kann ungeachtet der bislang nicht abschließenden wissenschaftlichen Erklärung für die Inzestscheu und -hemmung jedenfalls für den Regelfall ausgegangen werden, vgl. Rdn. 9. 87 Vgl. Hassemer in seiner abweichenden Auffassung (BVerfGE 120 224, 255) unter Bezug auf die Ausführungen in dem durch das BVerfG eingeholten Gutachten des Max-Planck-Institutes, Albrecht/Sieber Stellungnahme zu dem Fragenkatalog des Bundesverfassungsgerichts in dem Verfahren 2 BvR 392/07 zu § 173 Abs. 2 S. 2 StGB – Beischlaf zwischen Geschwistern –; Deutscher Ethikrat, Inzest, Stellungnahme vom 24.9.2014, S. 72. Wiedner
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II. Objektiver Tatbestand
StGB § 173
II. Objektiver Tatbestand 1. Täterstellung: Leibliche Verwandschaft Die Vorschrift erfordert den Vollzug der Tathandlung des Beischlafs mit einem leiblichen Ver- 27 wandten, namentlich einem leiblichen Abkömmling (Absatz 1), einem leiblichen Verwandten aufsteigender Linie (Absatz 2 Satz 1), oder einem leiblichen Geschwister (Absatz 2 Satz 2).
a) Leibliche Verwandte iSv § 173. Bei leiblichen Abkömmlingen, Verwandten und Geschwis- 28 tern handelt es sich ausschließlich um die genetischen („Bluts“-)Verwandten.88 Da allein die biologische Beziehung entscheidet, umfasst der Tatbestand nicht Tathandlungen zwischen Verwandten aufgrund eines Adoptionsverhältnisses (§ 1754 BGB), mithin nicht zwischen Adoptiveltern und Adoptivkind oder zwischen Adoptivgeschwistern.89 Umgekehrt steht nach Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 das rechtliche Erlöschen eines Verwandtschaftsverhältnisses zwischen leiblich Verwandten durch Adoption (§§ 1755 f BGB) der Tatbestandserfüllung nicht entgegen; strafbar ist daher auch der Beischlaf zwischen einem leiblichen Elternteil und dem von ihm abstammenden, aber anderweitig adoptierten Kind.90 Auf Ehelichkeit eines Kindes oder die vermutete Vaterschaft innerhalb einer Ehe kommt es nicht an. Leiblich verwandt i. S. d. § 173 sind daher der uneheliche, d. h. nicht mit der leiblichen Mutter verheiratete Vater und das von ihm biologisch abstammende uneheliche Kind, nicht dagegen der Ehemann und das von seiner Ehefrau außerehelich empfangene Kind, mag auch die Vermutungswirkung des § 1592 Nr. 1 BGB eingreifen (BGHSt 29 387 = NJW 1981 1326 [zu § 174]; Wolters SK Rdn. 5). Eine leibliche Verwandtschaft wird auch weder durch die Vaterschaftsanerkennung des nicht-biologischen Vaters (§ 1592 Nr. 2 BGB) noch durch ein in diesem Sinne unrichtiges Feststellungsurteil nach § 1592 Nr. 3 BGB, § 184 FamFG begründet. Vielmehr ist der Strafrichter bei seiner Beurteilung leiblicher Verwandtschaft an zivilrechtliche Vorschriften und Entscheidungen, selbst wenn sie Statuswirkung gegenüber jedermann entfalten, nicht gebunden.91 Er wird freilich dann, wenn der zivilrechtlichen Entscheidung ein aussagekräftiges Abstammungsgutachten zugrunde liegt, dieses oder seine Niederlegung in der Statusentscheidung im Rahmen seiner Überzeugungsbildung und Beweiswürdigung berücksichtigen können. Leibliche Geschwister sind auch Halbgeschwister, mithin solche, die nur einen Elternteil 29 gemeinsam haben,92 damit auch uneheliche, nicht aber Adoptivgeschwister. Mit „leiblicher Abkömmling“ sind Nachkommen in gerader Linie gleich welchen Grades bezeichnet (vgl. 1589 BGB, Deszendent), mithin Kinder, Enkel, Urenkel, nicht aber Neffen und Nichten. Die Tat kann damit auch zwischen einem leiblichen Großelternteil und seinem Enkel begangen werden. „Leiblicher Verwandter aufsteigender Linie“ (Aszendent) bezeichnet dasselbe geradlinige Ver-
88 So allerdings bereits der tradierte Verwandtschaftsbegriff des Strafrechts, vgl. RGSt 77 59, 60; BGHSt 7 245, 246. 89 Ritscher MK Rdn. 12; Wolters SK Rdn. 5; Fischer Rdn. 8; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4; SSW/Wittig Rdn. 6; unklar Dippel LK12 Rdn. 18. Anders in § 174 Abs. 1 Nr. 3. 90 § 173 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 meint nicht Fälle der rechtlichen Verdrängung eines leiblichen Verwandtschaftsverhältnisses durch Vermutungen oder Erklärungen, etwa nach § 1592 Nr. 1 und 2 BGB, da damit kein Erlöschen bewirkt wird, die leibliche Beziehung vielmehr weiterhin eine Grundlage von Rechtswirkungen bilden kann (vgl. § 1592 Nr. 3 BGB). Vgl hierzu die Gesetzesbegründung zum AdoptionsG (BTDrucks. 7/3061, S. 61), wonach durch die Abänderung der bisherige Rechtszustand beibehalten, mithin nur dem Erlöschen und der Neubegründung von Verwandtschaftsverhältnissen durch Adoption Rechnung getragen werden soll. 91 BGH NJW 1981 1326 (zu § 174); Wolters SK Rdn. 5; Ritscher MK Rdn. 15; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 4; SSW/Wittig Rdn. 6; zweifelnd Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 2. 92 Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 3; Ritscher MK Rdn. 20; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 88; Dippel LK12 Rdn. 19; zu § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO vgl. OLG Düsseldorf NJW 1958 394 mit Abstellen auf den allgemeinen Sprachgebrauch. S. auch zur Auslegung von § 11 Abs. 1 Nr. 1 a) Fischer § 11 dn. 9; Radtke MK § 11 Rdn. 7. 687
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hältnis in umgekehrter, aufsteigender Richtung, mithin Eltern, Großeltern etc., nicht aber Onkel, Tanten, Stief- oder Adoptiveltern.
30 b) Unerheblichkeit sozialer Verhältnisse. Soziale Verhältnisse sind für die Bestimmung tauglicher Täterschaft ohne Belang (vgl. BGH NJW 1994 271); dies gilt angesichts des eindeutigen Wortlautes ungeachtet der sich hieran anknüpfenden Kritik an der Reichweite der Vorschrift und ihrer Inkohärenz im Hinblick auf mit ihr verfolgte Schutzzwecke (vgl. Rdn. 23). Die im Haushalt seit dem Kleinkindalter lebenden Adoptivkinder vermögen mit ihren Adoptiveltern daher ebenso wenig den Tatbestand zu erfüllen wie mitaufwachsende Kinder, die in die Ehe oder Beziehung eingebracht wurden und mit dem Partner des Elternteiles den Beischlaf vollziehen (Ritscher MK Rdn. 12; Schramm Ehe und Familie im Strafrecht, S. 410). Auch anderweitige Stiefverwandte und Pflegekinder sind nicht umfasst, mögen sie auch langjährig und vollwertig zum Familienverbund gehören.93 Andererseits sind zur Tatbestandserfüllung taugliche leibliche Verwandte i. S. v. § 173 auch solche, die nie in einem Familienverbund zusammengelebt haben, etwa weil sie als Geschwister in unterschiedlichen Familien aufwuchsen, oder die als alleinerzogenes Kind einen Elternteil, der die Verbindung nach Geburt abbrach, bis ins Erwachsenenalter nie zu Gesicht bekommen haben. Plakativ wird dies auch in den Fällen des § 173 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 deutlich, wenn das leibliche Kind zur Adoption freigegeben wurde, das Verwandtschaftsverhältnis zivilrechtlich erlosch und das Kind in einer anderen Familie aufwuchs, oder im Verhältnis des Samenspenders zu den aus der Spende entstandenen Kindern (vgl. Rdn. 33).94 Für Korrekturen der Vorschrift in Ausrichtung an vermeintliche Rechtsgüter und deren 31 konkrete Gefährdung durch die Tat, insbesondere eine teleologische Reduktion in Fällen, die keine sozial gelebte familiäre Abhängigkeit oder Bindung betreffen (so Frommel NK Rdn. 3; s. auch Herzberg GA 1991 184), besteht schon angesichts des eindeutigen Wortlautes und der dann eintretenden Unschärfe zwischen Tatbestandsmäßigkeit und – wenngleich mit besten Absichten – richterrechtlich im Einzelfall vorgenommenen Freispruches kein Raum. Eine generelle Unverhältnismäßigkeit der Vorschrift, welche die Praxis zu einer entsprechenden Handhabung legitimieren könnte, besteht nach Maßgabe der Entscheidung des BVerfG vom 26.2.2008 nicht; die sicher zutreffende Übergeneralisierung des Verbotes (Frommel a. a. O.) könnte nur durch den Gesetzgeber korrigiert werden. Fallgestaltungen mit sehr geringem Unrechtsgehalt kann durch Verfahrenseinstellungen95 nach §§ 153, 153a StPO, Absehen von Strafe, Verwarnung mit Strafvorbehalt (§§ 59, 60) oder anderen Sanktionierungen am unteren Rand des Strafrahmens begegnet werden.
32 c) Ehe der Beteiligten. Sind die leiblich verwandten Sexualpartner verheiratet, so ist die Ehe nach §§ 1307, 1314 Abs. 1 BGB lediglich aufhebbar. Die Schutzzweckproblematik des § 173 offenbart sich hier erneut deutlich, denn die Annahme familien(zer)störender Wirkung des Inzestes erscheint zwischen Partnern einer gemeinhin als Keimzelle der Familie angesehenen Ehe kaum mehr als ein Konstrukt (vgl. Ritscher MK Rdn. 16). Gleichwohl sind die tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt; teilweise wird argumentiert, dass es den strafwürdigen Charakter des Inzestes eher verstärke, wenn die Beteiligten noch zusätzlich die Ehe eingegangen sind (Blei BT § 37 III 2b). Das ohnehin als Strafgrund untaugliche Sittlichkeitsargument zeigt hier seine 93 Der eindeutige Wortlaut setzt hier jeder Erweiterung der Strafbarkeit Grenzen. Die Fragen sind im Gesetzgebungsverfahren zum 4. StrRG im Übrigen erörtert worden (Prot. 7/81 S. 2631 ff); in der Ausklammerung derartiger Beziehungen liegt mithin, der bisherigen Beschränkung des Tatbestandes auf biologische Verwandtschaft entsprechend, eine bewußte gesetzgeberische Entscheidung. 94 Zur Illustration fehlenden Familienbezuges benennt Ritscher (MK Rdn. 14) außerdem das Beispiel des – strafbaren – Beischlafes zwischen verwitwetem Vater und erwachsener Tochter. 95 So bemerkenswerterweise bereits die Gesetzesbegründung (BTDrucks. VI/3521 S. 17 f). Wiedner
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Unbestimmtheit, denn es lässt sich sowohl zur Behauptung einer besonderen Verwerflichkeit als auch in Richtung eines angeblichen Fehlens der Unsittlichkeit bei bestehender Ehe gebrauchen. Jedenfalls reicht der institutionelle Schutz der Ehe aber so weit, dass Ehegatten einer formell gültigen Ehe nicht auf Verhaltensgebote verwiesen werden können, die den unter Ehegatten üblichen, dem Zweck der Ehe entsprechenden Umgang einschränken (vgl. Ritscher MK Rdn. 16; Dippel Voraufl. Rdn. 20). Den Ehepartnern kann daher entgegen der rechtsbeständigen Ehe für die Zeit ihres Bestehens nicht deren körperlicher „Vollzug“ untersagt werden, selbst wenn man als Ehezweck nicht mehr zwingend die Fortpflanzung begreifen muss; denn jedenfalls umfasst die eheliche Gemeinschaft die geistige wie auch sexuelle Zuwendung zu dem Ehepartner (vgl. Roth MK-BGB § 1353 Rdn. 25 ff). Im Ergebnis ist den Ehepartnern daher wegen der Kollision des strafrechtlichen Verbotes mit der Institution der Ehe ein Rechtfertigungsgrund für die Zeit des Ehebestandes zuzubilligen.96 Eine entsprechende Bewertung muss auch vorgenommen werden für gleichgeschlechtliche Ehen und die Lebenspartnerschaft, wenn diese etwa zwischen gleichgeschlechtlichen leiblichen Geschwistern eingegangen werden.
d) Moderne Reproduktionstechniken. Da das Gesetz allein und ausnahmslos auf die biologi- 33 sche Abstammung abstellt, ist tauglicher Täter auch der Samenspender in den Fällen heterologer Insemination, der strafbaren Inzest mit den hieraus hervorgegangenen weiblichen Kindern begehen kann.97 In Fällen (rechtlich unzulässiger) Leihmutterschaft oder Eizellenspende wird es entgegen § 1591 BGB konsequent auf die genetische Mutter ankommen.98 Dies gilt auch hier ungeachtet dessen, dass eine spezifisch familienzerstörende Gefahr des Verwandtenbeischlafs regelmäßig ausscheidet; der eindeutige Wortlaut von § 173 setzt hier jeder einschränkenden Auslegung eine Grenze. 2. Tathandlung: Vollziehung des Beischlafs a) Beischlaf. Der Begriff des Beischlafs setzt, entsprechend der allgemeinen Wortbedeu- 34 tung,99 grundsätzlich die Vereinigung der Geschlechtsteile von zwei Personen verschiedenen Geschlechts voraus. Zwischen Personen gleichen Geschlechts ist jedenfalls nach dem restriktiv auszulegenden Wortlaut kein Beischlaf möglich. Als problematisch kann sich diese Abgrenzung erweisen bei sexuellen Handlungen unter 35 Beteiligung einer transsexuellen Person. Jedenfalls nach geschlechtsumwandelnder Operation und Änderung der Geschlechtszugehörigkeit nach §§ 8, 10 TSG sind keine durchgreifenden Gründe ersichtlich, warum die Beteiligung einer nunmehr äußerlich und rechtlich zum anderen Geschlecht zugehörigen Person aus dem Tatbestand ausscheiden soll,100 wenn es zwischen den Sexualpartnern zum vaginalen Geschlechtsverkehr kommen kann und gekommen ist. Insbesondere lässt sich die Annahme, dass die Beteiligten von Geburt an mit unterschiedlichen Ge-
96 Bereits für restriktive Auslegung im Wege teleologischer Reduktion und damit Tatbestandslosgkeit Ritscher MK Rdn. 16; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 5: Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 3; Dippel LK12 Rdn. 20; wie hier Wolters SK Rdn. 5. Abweichend, aber überholt noch RGSt 5, 159 und andere Auffassungen auf Grundlage des früheren, eine Nichtigkeit der Verwandtenehe vorsehenden Ehegesetzes (vgl. §§ 4, 21 EheG). 97 Wolters SK Rdn. 5; Ritscher MK Rdn, 17; Dippel LK12 Rdn. 18 a. E. 98 Ritscher MK Rdn. 17; Muscheler/Beisenherz JR 1999 407, 411. 99 Nach dem Duden gleichbedeutend mit Koitus, Geschlechtsakt und Geschlechtsverkehr. 100 So aber LG Mannheim NStZ 1997 85 zu § 177 zum Nachteil einer Frau nach äußerlicher und rechtlicher Geschlechtsumwandlung, zustimmend Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 3. Krit. Reinhard NStZ 1997 86; Ritscher MK Rdn. 9 Fn. 35. 689
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schlechtsorganen ausgestattet sein müssten, aus dem Begriff des Beischlafs nicht herleiten.101 Viel spricht darüber hinaus dafür, für die Tathandlung allein auf die tatsächlichen äußeren biologischen Gegebenheiten abzustellen,102 mithin den Betroffenen bereits nach vollzogener Geschlechtsumwandlung als einen nach seinem äußeren Geschlecht tauglichen Beteiligten anzusehen. Wegen der möglichen Abgrenzungsschwierigkeiten im Einzelfall, der dann auch fraglichen Erstreckung auf andere äußere Entwicklungsformen und der ohnehin gebotenen restriktiven Auslegung von § 173 sollte der Begriff gleichwohl im Sinne einer Beteiligung von zwei Personen unterschiedlichen Geschlechts im Rechtssinne verstanden werden. In Anbetracht der geringen Fallzahlen des Inzestes und geschlechtsumwandelnder Operationen erweist sich eine derartige Fallgestaltung freilich ohnehin als eher unwahrscheinlich.
36 b) Vollziehung des Beischlafs als Handlung ist gleichbedeutend mit vaginalem Geschlechtsverkehr, setzt mithin voraus, dass das männliche Glied in das weibliche Geschlechtsteil – sei es auch nur unvollständig – eindringt.103 Die genaue Abgrenzung, wann ein derartiges Eindringen anzunehmen ist, war Gegenstand einer umfassenden Diskussion vorwiegend zu § 177,104 die ihren Abschluss noch nicht gefunden hat.105 Nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung106 und wohl überwiegender Auffassung in der Literatur107 reicht das äußerliche Berühren des weiblichen Geschlechtsteiles durch das männliche Glied nicht aus. Verwirklicht ist der Tatbestand entgegen früherer Rechtsprechung (vgl. BGH NJW 1959 1091, zu § 173) aber bereits mit einem Eindringen zwischen die Schamlippen in den sog. Scheidenvorhof; ein Einführen hinter den Scheideneingang oder ein vollständiges Eindringen in die Scheide ist dagegen nicht erforderlich. Die naturgemäß auf erhebliche Beweisschwierigkeiten treffende Abgrenzung anhand tech101 Entgegen LG Mannheim NStZ 1997 85. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung zum Merkmal des Beischlafs, wonach dieser abstrakt zur Zeugung geeignet sein muss, denn auf die Möglichkeit oder den – auch biologischen – Ausschluss von Samenerguss und Empfängnis kommt es dabei nicht an (vgl. BGHSt 16 175, 177). 102 Eingehend Reinhard NStZ 1997 86. Dass der Beischlaf als eine äußere Handlung auch vollzogen werden kann unter Beteiligung einer Person mit von ihren äußeren Geschlechtsmerkmalen abweichender innerer, psychischer Geschlechtszugehörigkeit, dürfte dagegen unzweifelhaft sein. 103 Vgl. zuletzt BGH, Beschl. v. 12.6.2018 – 3 StR 226/18 (juris) = NStZ-RR 2018, 281 (Ls.). 104 Eingehend dargestellt bei Dippel, LK12 Rdn. 23 f; s. auch Fischer § 177 Rdn. 131 ff. Die Abgrenzung ist einerseits praktisch höchst bedeutsam (vgl. Fischer § 177 Rdn. 138 ff), mutet mit der anatomischen Feinaufspaltung eines häufig traumatischen (§§ 176a, 177) oder jedenfalls intimen Vorganges mit Differenzierungen nach ihrer Strafwürdigkeit (vgl. BGHSt 16 175, 176) mitunter aber grotesk an (s. auch Ritscher MK Rdn. 9 Fn. 37). 105 S. etwa Renzikowski MK § 177 Rdn. 66; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 1, § 17 Rdn. 34; s. auch die Kritk von Fischer (§ 177 Rdn. 132 ff). 106 Beginnend mit BGHSt 16 175 (zu § 173); s. sodann etwa BGHSt 37 153, 154; 45 176; BGH NStZ 2001 246; StV 2002 81; NStZ-RR 2014 208. Abgelöst wurde damit die frühere Rspr. (BGH NJW 1959 1091 unter Bezug auf das RG), wonach das Glied hinter den Scheideneingang gelangt sein muss. Ein solches Verständnis bleibt vorzugswürdig, entspricht es doch am ehesten der zur Begriffsbestimmung des Beischlafes herangezogenen Konkretisierungen des Eindringens in den Körper – zumal nach den Änderungen der §§ 176a, 177, 179 durch das 6. StRG und 33. StÄG, durch die der Beischlaf als Unterfall einer solchen Tathandlung erscheint – oder der Vereinigung der Geschlechtsteile (RG GA 40 39; RG JW 1934 2335), und ist auch eher mit der biologischen Typizität der Zeugung vereinbar, zu welcher der Beischlaf ungeachtet biologischer Hemmnisse abstrakt geeignet sein soll. Auch in der Praxis wäre die Unterscheidung hilfreicher, zumal die Tatgerichte bei § 177 und fraglicher Tiefe des Eindringens ohnehin auf die Versuchsstrafbarkeit ausweichen. Unter Opferschutzgesichtspunkten wäre ein engeres Verständnis bei § 173 trotz fehlender Versuchsstrafbarkeit hinnehmbar. 107 Zu § 173: Ritscher MK Rdn. 9; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 3; Frommel NK Rdn. 14; Dippel LK12 Rdn. 24; aA unter Bezug auf die ältere Rspr. (BGH NJW 1959 1091) dagegen Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 3 und in Anbetracht der Änderungen durch das 6. StRG und 33. STÄG Dippel LK12 Rdn. 24. Zu § 177: Hörnle LK § 177 Rdn. 202; Frommel NK § 177 Rdn. 64; aA Fischer § 177 Rdn. 132 ff; Renzikowski MK § 177 Rdn 145 sowie NStZ 1999 381 Fn. 54; Maurach/ Schroeder/Maiwald BT 1, § 17 Rdn. 34. Wiedner
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nischer Detailfragen einer sexuellen Handlung gewinnt bei § 173 mangels Versuchsstrafbarkeit eine besondere Bedeutung. Unerheblich bleibt, ob es bei dem Beischlaf zum Samenerguss kommt, erst recht muss 37 keine Empfängnis eingetreten sein oder ihre Möglichkeit bestanden haben.108 Vom Tatbestand umfasst sind daher auch Tathandlungen, bei welchen durch zuverlässige Maßnahmen zur Empfängnisverhütung, Unfruchtbarkeit, noch nicht bestehende Geschlechtsreife oder nicht mehr bestehende Empfängnisfähigkeit keine Gefahr der Zeugung eines Kindes besteht.109 Nicht tatbestandsmäßig sind andere sexuelle Handlungen, auch erhebliche, bei denen es wie beim Oral- oder Analverkehr zu einem Eindringen in den Körper kommt.110 Ob der Fassung der Vorschrift insoweit ein schutzzweckkonformer Zweck entnommen werden kann, ist angesichts des eindeutigen Wortlautes auch hier ohne Belang. So mag die Besorgnis vor einer Schwangerschaft maßgeblich zur Beschränkung der Tathandlung auf den Beischlaf beigetragen haben (vgl. Wolters SK Rdn. 3); weder Erweiterungen auf beischlafähnliche Handlungen noch Reduktionen auf Fälle einer Empfängnisgefahr finden jedoch im Wortlaut eine Stütze.
c) Nötigungslagen. Inwieweit das Vollziehen des Beischlafs eine zielgerichtete, von einem 38 positiven Willen getragene Handlung voraussetzt, wird uneinheitlich beurteilt. Teilweise wird angenommen, dass nur derjenige tatbestandsmäßig handelt, der mit der Tathandlung einverstanden ist. Das Opfer einer gegen die sexuelle Selbstbestimmung gerichteten Straftat nach § 177 soll nicht zugleich Täter des § 173 sein können.111 Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen für Fälle der vis absoluta, wenn etwa ein Vergewaltigungsopfer unter Gewaltanwendung zum inzestuösen Geschlechtsverkehr gezwungen wird; hier liegt bereits keine Handlung des Tatopfers vor. Auf der anderen Seite reicht – wie auch im Falle der Sexualdelikte – eine bloße Mentalreservation nicht aus. Im Bereich der Bedrohung und anderweitig psychisch vermittelten Zwangs lässt sich ein Ausscheiden bereits aus dem objektiven Tatbestand damit begründen, dass von einem „Vollziehen“ unter Tatherrschaft, wie etwa mit gleichlautender Formulierung für den Täter des § 177 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 vorausgesetzt, hier nicht gesprochen werden kann (Wolters SK Rdn. 4), und dass ein derartiges Verständnis mit einem der möglichen Schutzziele des § 173 korrespondiert, psychische und stigmatisierende Folgeschäden insbesondere bei unterlegenen Tatbeteiligten zu verhindern (vgl. Rdn. 24), die bei Annahme tatbestandsmäßigen und rechtswidrigen Verhaltens vertieft werden könnten (s. etwa BTDrucks. VI/3521 S. 17 für minderjährige Beteiligte). Daher bietet es sich an, in den Fällen einer durch Gewalt, Zwang oder Drohung vermittelten inzestuösen Beziehung die spezifisch tatbestandliche Formulierung im Kontext der Sexualdelikte einer restriktiven Auslegung zu unterziehen. Auch eine Abgrenzung auf subjektiver Tatseite träfe auf Schwierigkeiten.112 Gleichwohl ist der Rückgriff auf einen – je nach Falllage – rechtfertigenden Notstand nach § 34 (Ritscher MK Rdn. 10) oder einen entschuldigenden nach § 35 vorzugswürdig (so Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 7; Dippel LK12 108 S. bereits RGSt 4 23, 24; 71 129, 130. 109 Ritscher MK Rdn. 9; Wolters SK Rdn. 3; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 3; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 3; Schramm Ehe und Familie im Strafrecht, S. 411 f.
110 BGH NStZ-RR 2010 371; NStZ-RR 2018, 281 (Ls.); Ritscher MK Rdn. 9; Frommel NK Rdn. 14; Maurach/Schroeder/ Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 87.
111 So Wolters SK Rdn. 4; SSW/Wittig Rdn. 4; Frommel NK Rdn 15; Schramm Ehe und Familie im Strafrecht, S. 412; aA Ritscher MK Rdn. 10; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 3; uneindeutig Dippel LK12 Rdn. 25 und 28. Das RG hatte in DR 1942 1322 in einem „Familientyrann“-Fall noch ein tatbestandsmäßiges Verhalten der unter Zwangswirkung stehenden erwachsenen Tochter angenommen; krit. hierzu, wenngleich mit ideologisch verbrämter Argumentation Schmidt-Leichner DR 1942 1645. 112 Fischer (Rdn. 10) hält es – bei Annahme der Verwirklichung des objektiven Tatbestandes – für selbstverständlich, dass ein gezwungener Beteiligter nicht vorsätzlich handelt; dies dürfte in solcher Allgemeinheit für die Fälle psychisch vermittelten Zwangs, in denen das Opfer wissentlich und willentlich den Beischlaf vollzieht, um Schlimmeres zu vermeiden, nicht unbedingt zutreffen. 691
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Rdn. 28). Bereits generell entfällt der Tatbestand einer Straftat nicht, auch nicht notwendig zumindest deren Rechtswidrigkeit, durch eine Nötigungslage (vgl. Ritscher MK Rdn. 10). Auch lassen sich Fälle der Beteiligung bei pauschalem Wegfall des Tatbestandes nicht zufriedenstellend lösen.113 Eine solche Lösung entspricht auch ersichtlich nicht der Vorstellung des Gesetzgebers; denn für Tatbeteiligte unter 18 Jahren würde in den meisten Fällen vorgreiflich des ausdrücklichen persönlichen Strafausschließungsgrundes nach Abs. 3 bei Verwirklichung der §§ 176 ff zu ihren Lasten in den Fällen von vis absoluta und compulsiva und anderen, schwer abgrenzbaren Fällen einer psychischen Zwangslage bereits der Tatbestand des § 173 entfallen.
III. Subjektiver Tatbestand, Irrtumsfälle 39 § 173 erfasst nur vorsätzliches Handeln, das sich wie generell auf alle Merkmale des objektiven Tatbestandes beziehen muss. Dolus eventualis genügt.114 Der Täter muss mithin wissen oder jedenfalls billigend in Kauf nehmen, dass er mit einem der in der Vorschrift bezeichneten leiblichen Verwandten verkehrt. Fehlende Tatsachenkenntnis über die Umstände des Verwandtschaftsverhältnisses führt als Tatbestandsirrrtum nach § 16 zum Vorsatzausschluss; so liegt es etwa, wenn leiblicher Vater und leibliches Kind nicht von der Abstammung wissen,115 oder wenn der Ehemann ein Kind seiner Ehefrau für das Resultat einer außerehelichen Beziehung oder für seine Stieftochter hält.116 Ausreichend für bedingten Vorsatz ist aber bereits, wenn der Ehemann damit rechnet, dass er der leibliche Vater des vorehelichen Kindes seiner Ehefrau ist (vgl. BGH GA 1957 218, 219). Anders liegt es, wenn der Täter die ihm bekannten Umstände falsch bewertet. Nimmt er etwa an, der bislang gänzlich fehlende Kontakt zu einem leiblichen Elternteil oder die Adoptionsfreigabe des leiblichen Kindes erlaubte die Tat, geht er davon aus, dass das Vaterschaftsanerkenntnis eines Dritten die Verwandtschaft i. S. v. § 173 beseitigt habe oder dass erst die Ehe mit ihrer Vaterschaftsvermutung die Verwandtschaft herstellt, oder sieht er Halbgeschwister nicht als taugliche Täter des § 173, so unterliegt er einem Subsumtions- und damit Rechtsirrtum nach § 17.117 Nimmt der Täter umgekehrt fälschlich an, mit einem Verwandten zu verkehren, weil er etwa um seine Stellung als Stief- oder Adoptivkind nicht weiß, oder weil er die von einem anderen Mann abstammende Tochter seiner Ehefrau für sein leibliches Kind hält (vgl. RGSt 47 189, 190 f), liegt ein untauglicher, nach § 173 nicht strafbarer Versuch vor (Sch/Sch/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6). Meint er, auch sexuelle Beziehungen zu anderen als den in § 173 bezeichneten Verwandten seien strafbar, etwa zu Verschwägerten oder in der Seitenlinie zu Cousins und Cousinen, Onkeln, Tanten, Nichten oder Neffen, oder hält er auch eine rechtliche Verwandtschaft nach Adoption oder eine vemutete Vaterschaft nach § 1592 BGB für nach § 173 erheblich, liegt ein unbeachtliches Wahndelikt vor.118
113 Vgl. BGHSt 39 326, wo nach den zugrundeliegenden Feststellungen der wegen Anstiftung zu § 173 verurteilte Angeklagte „seine minderbegabte Frau und deren 15-jährigen begabungsschwachen Sohn“ zur Ausübung des Geschlechtsverkehrs in seiner Anwesenheit aufgefordert hatte; nach anfänglicher Weigerung „kamen beide aus Angst vor möglichen körperlichen Mißhandlungen dem Verlangen des Angeklagten nach, dem es Freude machte, die beiden zu demütigen und ihnen seine Macht zu demonstrieren“. Einen Wegfall des Tatbestandes hat der BGH, der die Verurteilung gebilligt hat, ebensowenig geprüft wie eine eventuelle Rechtfertigung nach § 34. 114 Soweit ersichtlich, allg.M., OLG Braunschweig NJW 1947 71; OLG Freiburg NJW 1949 185; Ritscher MK Rdn. 21; Wolters SK Rdn. 6; SSW/Wittig Rdn. 7; Frommel NK Rdn. 17; vgl, auch BTDrucks. VI/3521 S. 17. 115 Väterlicherseits etwa als Samenspender oder Beteiligter an einem nur einmaligen (sexuellen) Kontakt mit der Mutter. 116 Vgl. Sch/Sch/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6; Ritscher MK Rdn. 21; Dippel LK12 Rdn. 30. 117 Wolters SK Rdn. 6; Ritscher MK Rdn. 21; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 4; Frommel NK Rdn. 18; Schramm Ehe und Familie im Strafrecht, S. 412. 118 Fischer Rdn. 10; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 6. Wiedner
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IV. Täterschaft und Teilnahme
StGB § 173
IV. Täterschaft und Teilnahme Da die Täterschaft eine in der Vorschrift bezeichnete Verwandtenstellung voraussetzt, ist sie 40 Sonder- und zugleich eigenhändiges Delikt, die nur der den Beischlaf vollziehende leibliche Verwandte selbst begehen kann.119 Mittelbare Täterschaft durch eine am Beischlaf nicht beteiligte Person scheidet sowohl aus in der Gestaltung, dass ein Nicht-Verwandter sich eines Verwandten als Werkzeug bedient, wie auch in der Gestaltung eines Nicht-Verwandten als Werkzeug eines Verwandten; anderes ist mit der Formulierung der Tathandlung des Vollziehens kaum vereinbar.120 Fälle, in denen ein nicht unmittelbar handelnder Dritter die gutgläubigen unmittelbar Beteiligten kraft überlegenen Wissens von deren leiblicher Verwandtschaft zum Geschlechtsverkehr veranlasst, bleiben für den Hintermann mangels vorsätzlich begangener Haupttat daher regelmäßig auch als Teilnahme straflos.121 Demgegenüber ist jede Vollziehung des Beischlafs täterschaftliche Begehung (Wolters SK Rdn. 7). Die Mitwirkung an der Tat des Sexualpartners tritt zurück (s. nachfolgend Rdn. 41). Bei der Teilnahme ist wie folgt zu unterscheiden: Für den leiblichen Verwandten, mit 41 dem der Täter den Beischlaf vollzieht, ist die Beteiligung an der Tat eine notwendige und straflose Teilnahme.122 Dies gilt unabhängig von ihrer Intensität und Qualität; auch überschießende Handlungen, die sich spezifisch auf die Tat des Sexualpartners beziehen, etwa eine Anstiftung und Beihilfehandlungen zur Ermöglichung seiner Tat, treten zurück, selbst wenn sie mit höherer Strafe bewehrt sind.123 Ein Abkömmling, der einen Elternteil zu der Tat angestiftet hat, ist daher nicht nach § 26 aus dem Strafrahmen des Abs. 1 zu bestrafen; für ihn verbleibt es bei dem für ihn geltenden Tatbestand nach Abs. 2. Für einen nicht leiblich verwandten Dritten, der nicht Täter sein kann (vgl. Rdn. 40), soll sich die Anstiftung eines Abkömmlings oder Beihilfe zu dessen Tat nach Abs. 2 zugleich als Teilnahme an der notwendig mitverwirklichten Tat nach Abs. 1 darstellen mit der Folge, dass über § 26 oder § 27 Abs. 2, dort mit Milderung, der Strafrahmen des Abs. 1 zur Anwendung gelangt;124 dies erscheint nicht unzweifelhaft, wenn die Einwirkung oder Unterstützung nur auf den Abkömmling gerichtet ist und sich nur auf dessen Tat, mithin sein täterschaftliches Verhalten bezieht. § 28 Abs. 1 ist auf den Teilnehmer unanwendbar, weil die Verwandtschaft kein besonderes persönliches Merkmal bildet, sondern einen tatbezogenen Umstand, der den Täter oder Teilnehmer ohne Einflussmöglichkeit trifft und im Hinblick auf das Schutzgut Ehe und Familie von objektiver Bedeutung ist (vgl. BGHSt 39 326).125 119 H. M., vgl. Wolters SK Rdn. 7; Ritscher MK Rdn. 23; Fischer Rdn. 11; SSW/Wittig Rdn. 9; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 6; Sch/Sch/Bosch/Schittenhelm Rdn. 8; Dippel LK12 Rdn. 31; Roxin TuT S. 415; Herzberg ZStW 1970 896, 917, 931. A. A. Frommel NK Rdn. 21; Roeder ZStW 1957 248 f. 120 Fischer Rdn. 11; Wolters SK Rdn. 7 Fn. 27; Sch/Sch/Bosch/Schittenhelm Rdn. 8; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 6; Herzberg GA 1991 161. 121 So verschiedene Schulfälle des Zusammenführens von Geschwistern unter Verheimlichung des Verwandtschaftsverhältnisses (vgl. v. Liszt Fall 130. 2; Fuhrmann S. 238; s. auch Arzt/Weber BT § 10 Rdn. 28). Für § 179 a. F. vgl. KG NJW 1977 817. 122 Wolters SK Rdn. 7; Ritscher Rdn. 24; s. auch Fischer Rdn. 11. 123 Zutreffend Wolters Rdn. 7; Ritscher MK Rdn. 24; SSW/Wittig Rdn. 8; im Ergebnis unter Verweis auf § 28 Abs. 2 auch Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 8; Börker JR 1956 287. 124 Ritscher MK Rdn. 25; SK Wolters Rdn. 8; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 8; Dippel LK12 Rdn. 32, welcher konsequenterweise ausführt, dass eine Bestrafung des Teilnehmers nach Abs. 2 nur bei einer Teilnahme an der Tat von Geschwistern (Abs. 2 S. 2) in Betracht kommt. 125 Zur Begründung s. näher BGHSt 39 326, 329: Strafgrund sei „nicht die Verletzung einer besonderen, den Täter treffenden Pflicht zur Bewahrung eines ihm angetrauten Rechtsgutes, sondern der objektive Eingriff in einen Bereich, der mit Rücksicht auf die berührten hohen, durch Art. 6 GG hervorgehobenen Werte von geschlechtlichen Beziehungen absolut und ohne Rücksicht auf die Besonderheiten des Einzelfalls freigehalten werden soll. Das kennzeichnet nicht den Täter, sondern die Tat.“ Dem ist wenigstens i. E. zuzustimmen, denn angesichts der Anknüpfung an die leibliche Verwandtschaft trifft die Beteiligten das Inzestverbot weniger als spezifisch personale Pflicht, wie sie etwa durch einen Anvertrauensakt oder durch ein familiäres Eingebundensein mit Erziehungs- und Rücksichts693
Wiedner
§ 173 StGB
Beischlaf zwischen Verwandten
V. Rechtsfolgen 42 Als ein auf Schulderwägungen beruhender persönlicher Strafausschließungsgrund ist nach zutreffender h. M.126 die Straffreiheit minderjähriger Abkömmlinge und Geschwister nach Abs. 3 zu behandeln. Die einen Schuldausschließungsgrund annehmende Gegenauffassung127 ist schlechter mit dem Wortlaut und nicht mit den gesetzgeberischen Motiven128 vereinbar; auch die Überlegungen, die dem Ausschluss unterlegt werden können, namentlich die Privilegierung einer bei Minderjährigen typischerweise besonderen psychischen Konfliktsituation mit fehlender Widerständigkeit und die Vermeidung einer durch ein Strafverfahren bewirkten weiteren Schädigung oder Stigmatisierung, lassen sich besser mit dem Verständnis als pauschaler Strafausschließungsgrund vereinbaren. Abs. 3 lässt eine Bestrafung nicht nur für täterschaftliche, sondern auch für Teilnahmehandlungen nach Abs. 1 und 2 entfallen (Ritscher MK Rdn. 27; Wolters SK Rdn. 9). Teilnahmehandlungen Dritter an Handlungen Minderjähriger sind möglich und strafbar (BGHR StGB § 173 Anstifter 1). 43 § 28 Abs. 1 ist auf den nicht leiblich verwandten Teilnehmer nicht anwendbar (BGHSt 39 326, s. näher Rdn. 41), soll aber als Rechtsgedanke berücksichtigt werden können (BGH, Beschl. v. 7.11.1990 – 3 StR 339/90 = BGHR StGB § 173 Anstifter 1, zw.); § 21 wird nicht im Sinne einer Pathologisierung des Inzest, sondern wie herkömmlich nur bei Anhaltspunkten für einen tatbegünstigenden psychischen Zustand i. S. v. § 20 zu prüfen sein. Die unterschiedlichen Strafrahmen für Taten nach Abs. 1 und Abs. 2 hat der Strafrichter insoweit zu berücksichtigen, als Taten gegenüber Abkömmlingen nach gesetzgeberischer Wertung schwerer wiegen als solche gegenüber Aszendenten und unter Geschwistern; er hat sich aber vor einer rechnerischen Zumessung im Falle eines beiderseits strafbaren Beischlafes nach Abs. 1 und 2 zu hüten. 44 Die konkrete Strafzumessung wird den Tatrichter im Übrigen vor Schwierigkeiten, wenn nicht vor Rätsel stellen. Bei tateinheitlichem Zusammentreffen mit einem Sexualdelikt wird leitend der Unrechtsgehalt und Strafrahmen des Sexualdeliktes sein (§ 52 Abs. 2 Satz 1). In den übrigen Fällen fällt eine Differenzierung angesichts der engen tatbestandlichen Beschreibung schwer. Straferschwerend kann die Ausnutzung eines auf dem Verwandtschaftsverhältnis beruhenden Autoritätsgefälles sein, wie bei Tätern gegenüber Abkömmlingen aber nahezu tattypisch. Gegen § 46 Abs. 3 verstieße, wenn das konkrete Verwandtschaftsverhältnis als solches herangezogen würde. Sehr zweifelhaft erscheint, ob Empfängnis und Schwangerschaft ein zulässiges straferschwerendes Kriterium darstellen, denn gesundheitlich-eugenische Gesichtspunkte sind zutreffenderweise aus dem Normzweck auszuscheiden (vgl. Rdn. 22). Psychisch schwerwiegende Tatfolgen bei dem Sexualpartner, sofern durch den Täter vorherzusehen, können straferschwerend gewertet werden, während andererseits etwa eine einvernehmliche Beziehung zwischen getrennt aufgewachsenen Geschwistern ohne belastende Tatfolgen eine Sanktionierung nur am unteren Rand des Strafrahmens rechtfertigen sollte, sofern sie sich nicht pflichten begründet sein kann (zutreffend Stein StV 1995 251, 254). Zustimmend in Anmerkungen auch Dippel NStZ 1994 182; Stein StV 1995 251. Ebenso Fischer Rdn. 11; Ritscher MK Rdn. 26; Wolters SK Rdn. 8; Frommel NK Rdn. 22; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 90; Herzberg GA 1991 184. Anders noch Baumann/Weber § 37 III 2b b; Jescheck/Weigend § 42 II 1; Miebach NStZ 1992 174; Gerl S. 132 f mit Bejahung der persönlichen Eigenschaft nur bei tatbeteiligten Aszendenten. Vgl. auch § 170 Rdn. 212 f (zur Eigenschaft des zum Unterhalt Verpflichteten), § 171 Rdn. 77 (zur Eigenschaft des zur Fürsorge und Erziehung Verpflichteten) und § 172 Rdn. 42 (zur Eigenschaft, Partner einer Doppelehe zu sein). 126 BGH, Beschl. v. 7.11.1990 – 3 StR 39/90 = BGHR StGB § 173 Anstifter 1; Ritscher MK Rdn. 27; Wolters SK Rdn. 9; SSW/Wittig Rdn. 10; Fischer Rdn. 12; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 6; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 9; Dippel LK12 Rdn. 9; Miebach NStZ 1992 17. Anders das frühere Recht mit Einordnung des Lebensalter als Tatbestandsmerkmal, vgl. RGSt 19 391, 393 und Rdn. 2; zur Entwicklung in Literatur und Rspr. eingehend Bloy S. 142 ff. 127 Roxin AT 1 § 26 Rdn. 136; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2 § 63 Rdn. 89; Klimsch S. 166; Jescheck/Weigend § 42 I 3; Schmidhäuser BT 13/10 sowie eingehend Bloy S. 142 ff. 128 Auch der Gesetzgeber intendierte einen Strafausschließungsgrund, vgl. die Ursprungsfassung in BTDrucks. VI/1552 S. 2, mit Begründung S. 14; Prot. VI/72 S. 2113 (Horstkotte); Prot. VI/36 S. 1299 (Sturm). Wiedner
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VI. Konkurrenzen
StGB § 173
ohnehin als nicht strafwürdig darstellt und von der Möglichkeit einer Verfahrenseinstellung Gebrauch gemacht werden sollte (s. bereits BTDrucks. VI/3521 S. 17 f). Bei Tatbegehung durch einen Heranwachsenden und Feststellung eines jugendtypischen Reifegrades nach § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG muss bei Auswahl und Bemessung der dann ohnehin jugendstrafrechtlichen Folgen die Wertung des § 173 Abs. 3 in den Blick genommen werden, wonach gerade die jugendtypische Persönlichkeit des Täters Anlass zu erheblicher Milderung gibt (vgl. BGH bei Dallinger MDR 1957, 396; Dippel Voraufl. Rdn. 34). Im Übrigen können die Art und Weise der Tatausführung, ihrer Ursachen und das tatbeeinflussende oder auch widerstrebende Verhalten des Sexualpartners gewürdigt werden (vgl. Ritscher MK Rdn. 29). Eine Befassung mit der Kriminologie des Inzestes (gefordert von Wolters SK Rdn. 11; Dippel Voraufl. Rdn. 34) kann dem Tatrichter nur insoweit abverlangt werden, als es für die Einordnung des Unrechtsgehaltes spezifischer Tatkonstellationen erforderlich erscheint, nicht aber im Regelfall.
VI. Konkurrenzen 1. Innertatbestandlich Tatwiederholungen, zumal solche mit unterschiedlichen Partnern, begründen nach allgemeinen 45 Grundsätzen selbständige Taten; ein Fortsetzungszusammenhang scheidet nach Aufgabe des Rechtsinstitutes (BGHSt 40, 138) aus.129 Teilnahmehandlungen an der Tat des Sexualpartners treten hinter die eigene täterschaftliche Begehung vollständig zurück (vgl. Rdn. 41).
2. Mit anderen Delikten Tateinheitliches Zusammentreffen ist möglich mit § 171,130 allerdings vermag eine andauernde 46 Verletzung der Fürsorgepflicht mehrere Taten nach § 173 wegen deren anders gelagerten und punktuell schwerwiegenderen Unrechtsgehaltes nicht zu einer zu verbinden (vgl. BGH NStZ-RR 1996 42 zu § 171 und § 225). Im Übrigen kann Tateinheit bestehen mit Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, etwa mit § 174 Abs. 1 Nr. 3, weil § 173 den Unrechtsgehalt des Beischlafs mit minderjährigen Verwandten nicht voll ausschöpft,131 mit § 176,132 mit § 176a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 und 3,133 mit § 177 Abs. 6 S. 2 Nr. 1, soweit nicht schon der Tatbestand entfällt (vgl. Rdn. 38),134 mit § 179 Abs. 4 Nr. 1 (Frommel NK Rdn. 24) und mit § 182.135 Bei Gewaltanwendung kommt auch ein Zusammentreffen mit den §§ 223 ff, insbesondere § 225 in Betracht.
129 BGHSt 40 138, 165 f hatte den Fortsetzungszusammenhang ausdrücklich auf § 173 bezogen ausgeschlossen. So auch Wolters SK Rdn. 10; Ritscher MK Rdn. 28; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 8; Frommel NK Rdn. 24; Dippel LK12 Rdn. 34. S. auch BGHR vor § 1 Serienstraftaten, Kindesmissbrauch. Anders zuvor noch BGH NStZ 1993 535, 536 mit Anm. Gribbohm Gribbohm. 130 Fischer Rdn. 13; Ritscher MK Rdn. 28; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 11; SSW/Wittig Rdn. 11. 131 Vgl. BGH GA 1975 209; s. schon RGSt 7 307, 309, 12 292, 293 und BGHSt 3 242, 243. Fischer Rdn. 13; Wolters SK Rdn. 10; Frommel NK Rdn. 24. 132 BGH NJW 1985, 924; Frommel NK Rdn. 24 (unter Hinweis auf § 78b Abs. 1 Nr. 2); Wolters SK Rdn. 10. 133 Fischer Rdn. 13; Frommel NK Rdn. 24; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 8; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 11; SSW/Wittig Rdn. 11. 134 Frommel NK Rdn. 24; Wolters SK Rdn. 10; Lackner/Kühl/Kühl Rdn. 8; Sch/Schröder/Bosch/Schittenhelm Rdn. 11. 135 RGSt 12 292; Fischer Rdn. 11; Wolters SK Rdn. 10; Frommel NK Rdn. 24; Ritscher MK Rdn. 28. 695
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Sachregister
A Absicht – Aussagenotstand 157 10 ff – falsche Verdächtigung 164 27a ff, 164 31 – Geldfälschung 146 21 – Inverkehrbringen 146 15 – Wertzeichenfälschung 148 9 Abstammung – Falschangabe 169 62 – Personenstand 169 45 actio libera in causa 170 158 Adoption 170 130 Adoptionsgesetz 173 5 Aktien 151 3 Alter 169 43 Alternativitätstheorie 164 1a amtliche Wertzeichen 148 2 ff – Begriff 148 2 – Urkunde 148 4 Amtsträger 164 26 Andacht 167 13 Andacht eines Einzelnen 167 16 Angaben 169 57 Angaben zur Person 153 3 Angehörige 168 27 anonyme Geburten 169 12, 169 93 ff Anstiftung – Aussagenotstand 157 3 – Meineid 154 12 ff – uneidliche Falschaussage 153 16a Anteilscheine 151 3 Antrag auf Bekanntgabe der Verurteilung 165 4 Anzeige 158 10 Arbeitsplatzverlust 170 96 f Asche eines Verstorbenen 168 22 Aufbahrungsstätte 168 48 f Aufhebung einer Ehe 170 45 Aufklärungszweck 164 13 Aufsichts-/Bewachungsverhältnis 168 24 Ausbildungsbeginn 170 99 Auskunftspflichten 156 24 f Ausländerrecht – Falschangabe 169 70 ff – Vaterschaftsanerkenntnis 169 73 Auslandsbezug – bestehende Ehe/Lebenspartnerschaft 172 24 f – Doppelehe 172 19, 172 34 ff 697 https://doi.org/10.1515/9783110490107-037
– Personenstandsfälschung 169 16 ff – Verletzung der Unterhaltspflicht 170 25 ff, 170 29 ff, 170 35 Aussage Vor 153 15 ff – Bedeutung Vor 153 23 ff – Erheblichkeit Vor 153 23 ff – Gegenstand Vor 153 19 ff – Inhalt Vor 153 16 ff – Nebensächlichkeiten Vor 153 25 ff – Sachverständige Vor 153 18 – Strafprozess Vor 153 20a – Tatsachenkern Vor 153 17a – Thema Vor 153 19 ff – Untersuchungsausschuss Vor 153 22 – Vernehmungsmängel Vor 153 29 ff – Wortprotokoll Vor 153 26 – Zeugen Vor 153 17 – Zivilprozess Vor 153 20 – Zusatzfragen Vor 153 21 ff Aussagedelikte Vor 153 1 ff – abstrakte Gefährdungsdelikte Vor 153 6 – Aussage Vor 153 15 ff, s. a. dort – Aussagenotstand 157 1 ff, s. a. dort – differenzierende Auffassungen Vor 153 12 – eigenhändige Delikte Vor 153 7 – fahrlässiger Falscheid 161 1 ff, s. a. dort – Falschaussage Vor 153 8 ff – falsche eidesstattliche Versicherung 156 1 ff, s. a. dort – innerdeutsche Rechtspflege Vor 153 3 – internationales Gericht 162 1 – Meineid 154 1 ff, s. a. dort – Nebenzweck Vor 153 6 – objektive Theorie Vor 153 9 – Pflichtdelikte Vor 153 7 – Pflichttheorie Vor 153 11 – Rechtsgut Vor 153 2 – Religionsdelikte Vor 153 4, s. a. dort – Sonderstraftaten Vor 153 7 – staatliche Rechtspflege Vor 153 2 – subjektive Theorie Vor 153 10 – uneidliche Falschaussage 153 1 ff, s. a. dort – Verleitung zur Falschaussage 160 1 ff, s. a. dort – Vernehmungsmängel Vor 153 29 ff, s. a. dort – versuchte Anstiftung zur Falschaussage 159 1 ff, s. a. dort
Klie
Sachregister
Aussagenotstand 157 1 ff – Absicht des Täters 157 10 ff – Anstifter 157 3 – Berücksichtigung von Amts wegen 157 15 – Beschränkung 157 4 – Delikte 157 4 – Eidesunmündige 157 17 – Fahrlässigkeitstaten 157 4 – Gehilfe 157 3 – Parteivernehmungen 157 2 – Sachverständige 157 1 – Strafe 157 13 – Strafzumessung 157 16 – teilweiser ~ 157 8 f – verschuldeter ~ 157 5 ff – Zeugen 157 1 – Zeugnisverweigerungsrecht 157 5 ff Aussetzen eines Neugeborenen 169 86 ff B Babyklappe – Personenstandsfälschung 169 12, 169 90 ff – Verletzung der Unterhaltspflicht 170 181 Bande 146 33 Barunterhalt 170 65 – Unterhaltspflicht 170 77 – Vorenthaltung von ~ 170 77 Beamte 155 4e Bedarf – Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners 170 86 – Unterhaltspflicht 170 71 Bedürftigkeit 170 146 ff Behörde 156 6 – ausländische ~ 164 24a – Einzelfälle 164 24 – falsche eidesstattliche Versicherung 156 5 ff, 156 10a ff – falsche Verdächtigung 164 22, 164 23 ff – Gemeinde 164 24 – Gericht 164 24 – Personenstandsfälschung 169 50 ff – Unterschieben eines Kindes 169 36 – zuständige ~ 156 7 Beichte 167 20 Beihilfe – Fälschung von Zahlungskarten 152a 11 – Inverkehrbringen von Falschgeld 146 29 – Meineid 154 14 – uneidliche Falschaussage 153 16 Beischlaf 173 34 ff – Begriff 173 34 Klie
– Nötigungslagen 173 38 – transsexuelle Person 173 35 – Vollziehung des ~s 173 36 f Beischlaf zwischen Verwandten 173 1 ff – 4. StrRG 173 4 – Adoptionsgesetz 173 5 – Beischlaf 173 34 ff, s. a. dort – biologische Wurzeln 173 19 – Blutschande 173 2 – Ehe der Beteiligten 173 32 – eigenhändige Delikte 173 40 – Eizellenspende 173 33 – Erbgesundheit der Allgemeinheit 173 22 – erlernte Normen 173 19 – eugenische Verbotsgründe 173 22 – genetische Verwandte 173 28 – geschichtliche Entwicklung 173 1 ff – gesundheitlich-genetische Verbotsgründe 173 22 – Halbgeschwister 173 29 – Inzestscheu 173 9, 173 26 – Irrtum 173 39 – Konkurrenzen 173 45 f – Kriminalstatistik 173 8 – kriminologische Probleme 173 10 – leibliche Verwandte 173 27 ff – Leihmutterschaft 173 33 – mittelbare Täterschaft 173 40 – moderne Reproduktionstechniken 173 33 – Nachkommen 173 29 – praktische Bedeutung 173 8 – Rechtsgut 173 12 ff, 173 18 ff – Rechtsvergleichung 173 7 – Samenspender 173 33 – Schutz der Familie 173 23 – sexuelle Disposition 173 11 – sexuelle Selbstbestimmung 173 24 – Sonderdelikt 173 40 – soziale Verhältnisse 173 30 f – Strafe 173 42 ff – Strafzumessung 173 44 – Täterschaft 173 40 – Tathandlung 173 34 ff – Teilnahme 173 41 – verfassungskonforme Auslegung 173 17 – Verfassungsrecht 173 12 ff – Vorsatz 173 39 – wissenschaftliche Diskussion 173 9 Beisetzungsstätte 168 50 ff – Bestattungsformen 168 51 ff – Dauer des Strafschutzes 168 56 – Erdbegräbnis 168 51 698
Sachregister
– Feuerbestattung 168 51 – Grabgebäude 168 52 – Gruft 168 52 – räumlicher Schutzbereich 168 55 – Seebestattung 168 52 – Totengedenkstätte 168 57 ff – unbefugte Beerdigung 168 53 – vorläufige ~ 168 53 Bekanntgabe der Verurteilung 165 1 ff – Anordnung 165 5 – Antrag 165 4 – Art der ~ 165 6 – Ermessen 165 6 – mehrere Verletzte 165 6 – Nebenfolge 165 1 – öffentliche Verdächtigung 165 2 – Tateinheit 165 3, 165 5 – Tatmehrheit 165 5 – Umfang der ~ 165 6 – Verbreiten von Schriften 165 2 – Verurteilung auf Strafe 165 3 – Vollzug 165 7 – Voraussetzungen 165 2 ff Beleidigung 166 16 Berichtigung 158 3 ff Berichtigung einer falschen Aussage 158 1 ff – Anzeige 158 10 – Beeinträchtigung eines anderen 158 11 ff – Berichtigung 158 3 ff – Berichtigungsadressaten 158 8 f – fahrlässiger Falscheid 161 20 – Form 158 7 – Konkurrenzen 158 15 – Leistungsfähigkeit der Beweisperson 158 5 – Nachteil 158 11 ff – Parteivernehmungen 158 2 – rechtzeitige ~ 158 8a – Sachverständige 158 2 – Untersuchung 158 10 – Verwertbarkeit der ~ 158 14 – wahrheitsgemäße Darstellung 158 4 – Wirksamkeitsvoraussetzungen 158 9 ff – Zeugen 158 2 – Zeugnisverweigerungsrecht 158 3a – Zweck 158 1 – zweifelhafte ~ 158 6 Berufswechsel 170 98, 170 106 Beschäftigungschance 170 104 Beschimpfen 166 30 ff – Aussagegehalt eines Kunstwerks 166 37 ff – kritikfreier Raum 166 32 – Kunstfreiheit 166 37 ff, s. a. dort 699
– objektiver Aussagegehalt 166 35 – Schweregrad der Äußerung 166 36 – Verächtlichmachen 166 33 – Verspotten 166 33 beschimpfender Unfug – Störung der Religionsausübung 167 35 f – Störung der Totenruhe 168 41 ff, 168 64 ff – Vorsatz 168 68 Beschimpfung von Religionen/Weltanschauungen 166 1 ff – Abgrenzung 166 14 ff – Bekenntnis 166 18 f – Bekenntnis anderer 166 28 f – Bekenntnis, religiöses 166 25 – Bekenntnis, weltanschauliches 166 26 – Bekenntnisinhalt 166 20 ff – Beleidigung 166 16 – Beschimpfen 166 30 ff, 166 102, s. a. dort – Deliktstyp 166 11 ff – Diensteanbieter 166 58 – Eignung zur Friedensstörung 166 59 ff, 166 107, s. a. dort – Eignung zur Schädigung 166 13 – Eignungsdelikt 166 12 – Einrichtungen 166 92 ff – Gebräuche 166 97 f – Gefährdungsdelikt 166 12 – individuelle Überzeugungen 166 28 – Inland 166 99 ff – Karikatur 166 45 – Kenntnisnahme Dritter 166 49 – Kettenverbreitung 166 108 – Kirchen 166 68 – Konkurrenzen 166 111 – mittelbare ~ 166 103 ff – öffentliche ~ 166 46 ff – öffentlicher Friede 166 2 ff, 166 60 ff, s. a. dort – Rechtsgut 166 2 ff – Rechtswidrigkeit 166 109 – Religion 166 23 f – Religionsgemeinschaften 166 67, 166 69 ff, s. a. dort – Satire 166 45 – staatliches Definitionsverbot 166 24 – Tathandlung 166 101 ff – unmittelbare ~ 166 106 ff – Verbreiten von Inhalten 166 50 ff, s. a. dort – Verjährung 166 110 – Versammlungen 166 48 – verwandte Tatbestände 166 14 ff – Volksverhetzung 166 15 Klie
Sachregister
– Vorsatz 166 108 – Weltanschauung 166 23 f – Weltanschauungsvereinigungen 166 90 f Beschuldigte 153 10 Bestattung – anonyme ~ 167a 24 – Bestattungspflicht 167a 19 – Bestattungszwang 167a 16 – Friedhofsnutzungsrecht 167a 18 – Friedhofszwang 167a 17 – Gesetzgebungskompetenz für die ~ 167a 15 – Recht zur ~ 167a 14 – Umsorgung des Leichnams 167a 20 Bestattungsfeier 167a 10 ff, 167a 21 ff – anonyme Bestattungen 167a 24 – Bestattung 167a 10 ff, s. a. dort – Dauer 167a 26 – Form 167a 22 – Friedwaldbestattungen 167a 24 – Inhalt 167a 22 – kirchliche ~ 167a 23 – Seebestattungen 167a 24 – Zeitpunkt 167a 25 – zeremonielles Verhalten 167a 21 Bestattungszwang 167a 16 bestehende Ehe/Lebenspartnerschaft 172 21 ff – Auslandsbezug 172 24 f – DDR 172 21 – eingetragene Lebenspartnerschaft 172 23 – gültige Ehe 172 21 – Nicht-Ehe 172 22 Betreuungsgeld 170 90 Betreuungsunterhalt – Selbstbehalt 170 112 – Unterhaltspflicht 170 69 Bewirken des Schwangerschaftsabbruches 170 195 ff – Bewirken 170 198 ff – legaler Abbruch 170 197 – Mitursächlichkeit 170 199 – Schwangerschaftsabbruch 170 195 – vorsätzlicher Abbruch 170 196 Bitcoins 146 4d Blutschande 173 2 Bösgläubige 164 32a D Datenübertragung 166 57 Dauerdelikt 170 221 Diensteanbieter 166 58 Dienstleistungen 170 65, 170 79 f Klie
Dienstpflichtverletzungen – falsche Verdächtigung 164 17 f – Verdächtigen 164 12 Dolmetscher – eidesgleiche Bekräftigungen 155 4d – Sachverständige 154 5 – uneidliche Falschaussage 153 9 Doppelehe 172 1 ff – Abschaffung der Vorschrift 172 18 – Auslandsbezug 172 19, 172 34 ff – bestehende Ehe/Lebenspartnerschaft 172 21 ff, s. a. dort – Deliktstyp 172 16 – Eheöffnungsgesetz 172 8 – Eheordnung 172 11 – eigenhändige Delikte 172 42 – Erfolgsdelikt 172 16 – Erklärung zur Lebenspartnerschaft 172 27, 172 30 – formell gültige Ehe 172 29 – Gefährdungsdelikt 172 16 – Gesetz zur Bereinigung des Rechts der Lebenspartner 172 6 f – IPR 172 37 – Irrtum 172 39 – Konkurrenzen 172 45 – konkurrierende Lebenspartnerschaft 172 14 – Lebenspartner 172 5 ff – Lebenspartnerschaft 172 12 – mittelbare Täterschaft 172 43 – neue Ehe 172 29 – praktische Bedeutung 172 17 – Rechtsgut 172 11 ff – Rechtswidrigkeit 172 38 – religiöse/moralische Vorstellungen 172 11 – Scheinehe 172 45 – Schließen einer Ehe 172 27 – Sonderdelikt 172 42 – Tätergruppen 172 20 – Tathandlung 172 26 ff – Tätigkeitsdelikt 172 16 – Teilnahme 172 42 – unrichtige Todeserklärung 172 32 – Unterlassen 172 16 – Verjährung 172 44 – Versuch 172 41 – Vollendung 172 41 – Vorsatz 172 39 f – Zustandsdelikt 172 16 Doppelmitgliedschaft 166 70 Drei-Partner-System 152b 2 700
Sachregister
E Ehe-/Familienstrafschutz Vor 169 1 ff – 19. Jahrhundert Vor 169 2 f – Beischlaf zwischen Verwandten 173 1 ff, s. a. dort – BRD Vor 169 6 ff – DDR Vor 169 13 – Doppelehe 172 1 ff, s. a. dort – Familienrecht Vor 169 10 f – gesellschaftliche Vorstellungen Vor 169 1 – Gesetzesgeschichte Vor 169 2 ff – moralische Vorstellungen Vor 169 1 – Nationalsozialismus Vor 169 5 – Personenstandsfälschung 169 1 ff, s. a. dort – Rechtsgut Vor 169 14 – Verletzung der Fürsorge-/Erziehungspflicht 171 1 ff, s. a. dort – Verletzung der Unterhaltspflicht 170 1 ff, s. a. dort – Wandel Vor 169 12 – Zwanziger/Dreißiger Jahre Vor 169 4 Ehegatten – Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners 170 87 – Unterhaltspflicht 170 45 Eheöffnungsgesetz 172 8 Eheordnung 172 11 Eheschließung – Personenstand 169 46 – Statusakte 170 130 Eid 154 2 ff Eidesfähigkeit – Aussagenotstand 157 17 – Meineid 154 10 f eidesgleiche Bekräftigungen 155 1 ff – Beamten 155 4e – Berufung auf frühere ~ 155 2 ff – dieselbe Angelegenheit 155 3 – Dolmetscher 155 4d – Eidesleistung 155 1a – religiöse Form 155 1a – Sachverständige 155 4, 155 4d – Strafverfahren 155 3, 155 4a – Tatbestandsmerkmal 155 1 – Versicherung unter Bezugnahme 155 4c – Versuch 155 3b – weltliche Form 155 1a – Zeugen 155 4 – Zivilprozess 155 3, 155 4b – zweite Eidesabnahme 155 2a Eidesleistung 155 1a eigenhändige Delikte – Beischlaf zwischen Verwandten 173 40 701
– Doppelehe 172 42 – Verleitung zur Falschaussage 160 1 Eignung zur Friedensstörung 166 59 ff – Anforderungen 166 61 ff – Beschimpfung von Religionen/Weltanschauungen 166 107 – Darlegung 166 66 – Feststellung im Einzelfall 166 65 – konkrete Eignung 166 63 f – konkrete Gefahr 166 62 – Meinungfreiheit 166 64 – öffentlicher Friede 166 60 ff – Störung der Religionsausübung 167 40 Eignung zur Schädigung 166 13 Eignungsdelikt 166 12 eingetragene Lebenspartnerschaft – bestehende Ehe/Lebenspartnerschaft 172 23 – EGBGB 172 24 Eingeweihte 146 14, 146 24, 147 2 Einwilligung – falsche Verdächtigung 164 33 – Störung der Totenruhe 168 74 f, 168 77 – Wegnahme 168 23, 168 35 Einziehung – Ermessen 150 2 – Geldfälschung 150 1 ff – Sicherungscharakter 150 4 – Taterträge 150 6 – unterschiedslose ~ 150 4 – Verletzung der Unterhaltspflicht 170 218 – Wertzeichenfälschung 150 1 ff Eizellenspende 173 33 elektronische Geldbörsen 152b 2 Elterngeld 170 90 Emission 146 4b Entstellungen 164 11 Entwertungsvermerk 148 6, 148 13 Entwicklungsschädigung 171 60 ff – Begriff 171 61 – Einzelfälle 171 70 – Entwicklungsstand 171 62 – körperliche ~ 171 63 f – Kriminalität 171 71 – Legalverhalten 171 69 – Prostitution 171 72 – psychische ~ 171 65 ff – sexuelle ~ 171 69 – sozial-ethische Wertvorstellungen 171 68 Entwicklungsstand – Entwicklungsschädigung 171 62 – Fürsorge-/Erziehungspflicht 171 31 Klie
Sachregister
Erbgesundheit der Allgemeinheit 173 22 Erdbegräbnis 168 51 Erfolgsdelikt – Doppelehe 172 16 – Personenstandsfälschung 169 20 – Störung der Religionsausübung 167 6 – Störung einer Bestattungsfeier 167a 7 Erinnerungszeichen 168 60 Ermessen – Bekanntgabe der Verurteilung 165 6 – Einziehung 150 2 Erneuerungsscheine 151 3 Ersatzleistung 170 74 Erschleichungsabsicht 164 31a Erwerbsunfähigkeit 170 103 Erziehungspflicht 171 28 ff, s. a. Fürsorge-/Erziehungspflicht – Gebot gewaltfreier Erziehung 171 30 – Grenzen 171 30 – gröbliche Pflichtverletzung 171 41 ff – Unterlassen 171 45 – Weltanschauung 171 29 eugenische Verbotsgründe 173 22 Euro 146 4a Euroscheckvordrucke 152b 3 Eventualvorsatz – Geldfälschung 146 21 – Inverkehrbringen von Falschgeld 147 6 – Störung der Religionsausübung 167 28 – Verleitung zur Falschaussage 160 8 – Wertzeichenfälschung 148 15 F fahrlässiger Falscheid 161 1 ff – aufs Geratewohl 161 11 – Berichtigung einer falschen Aussage 161 20 – Fahrlässigkeit 161 3 f – Falschaussage 161 2 – fixiertes Erinnerungsbild 161 13 – Gegenstand 161 10 ff – Irrtum 161 15 – Konkurrenzen 161 21 – Parteivernehmungen 161 5, 161 8 – Sachverständige 161 16 – unrichtiges Erinnerungsbild 161 12 – Vermögensauskunft 161 17 – Vorbereitungspflicht 161 17 ff – Zeugen 161 5 ff Falschangabe 169 38 ff, 169 56 ff – Abstammung 169 62 – Angaben 169 57 f – Ausländerrecht 169 70 ff Klie
– falsche Tatsachen 169 60 – Gerichte in Statusverfahren 169 68 – gerichtliche Vaterschaftsfeststellung 169 62 – Geschlechtszugehörigkeit 169 63 – Sachverständige 169 68 – Scheinehe 169 72 – Standesämter 169 67 – Tatmittler 169 58 – Unterlassen 169 74 – Vaterschaftsanerkenntnis 169 64 f – Verfahrensbeteiligte 169 68 – Zeugen 169 68 – zivilrechtliche Zuordnung 169 61 ff Falschaussage Vor 153 8 ff – Angaben zur Person 153 3 – Aussage Vor 153 15 ff, s. a. dort – fahrlässiger Falscheid 161 2 – falsche eidesstattliche Versicherung 156 17 – mündliche ~ 153 4a – schriftliche ~ 153 4a – uneidliche ~ 153 2 ff – Verleitung zur Falschaussage 160 4 – Verschweigen 153 2, 153 4 falsche eidesstattliche Versicherung 156 1 ff – Auskunftspflichten 156 24 f – Behörde 156 5 ff, 156 10a ff – Berichtigung einer falschen Aussage 158 1 ff, s. a. dort – Berufung auf frühere ~ 156 16 – Beurkundung 156 9 – Einzelbeispiele 156 15 – Erforderlichkeit 156 10 – fahrlässige ~ 161 1 ff – Falschaussage 156 17 – Form der Versicherung 156 2 ff – freiwillige Gerichtsbarkeit 156 13 – Glaubhaftmachung 156 7a – Konkurrenzen 156 28 – Meineid 156 1 – mündliche ~ 156 3 – Offenbarungseid 156 1 – öffentliche Verwaltung 156 14 – privatschriftliche Urkunde 156 4 – schriftliche ~ 156 3 – Spontanerklärungen 156 8 – Statthaftkeit 156 10 – Strafverfahren 156 11 – Teilnahme 156 27 – Urschrift 156 4 – Verleitung zur Falschaussage 160 1 ff, s. a. dort – Vermögensoffenbarung 156 19 ff, s. a. dort 702
Sachregister
– Versicherung nach § 802c ZPO 156 19 ff – versuchte Anstiftung zur Falschaussage 159 1 ff, s. a. dort – Vorbereitungspflicht 161 18 f – Vorsatz 156 26 – Wesen 156 1 – Zivilprozess 156 12 – zuständige Behörde 156 7 ff, 156 10a ff falsche Verdächtigung 164 1 ff – Absicht 164 27a ff, 164 31 – Adressaten 164 22b ff – alternative Feststellung 164 19 – Alternativität der Schutzzwecke 164 2 – Alternativitätstheorie 164 1a – Amtsträger 164 26 – anhängiges Verfahren 164 35 ff – Behörde 164 23 ff – behördliche Verfahren/Maßnahmen 164 22 – Bekanntgabe der Verurteilung 165 1 ff, s. a. dort – Bösgläubige 164 32a – Dienstpflichtverletzungen 164 17 f – Doppelnatur 164 1, 164 3 – Einwilligung 164 33 – Erschleichungsabsicht 164 31a – Gesetzesänderung 164 16 – Gutgläubige 164 32a – Individualgutstheorie 164 1a – Innehaltungsbeschluss 164 36 – Konkurrenzen 164 34 f – Kronzeugen 164 31a – mittelbare Täterschaft 164 32a – öffentliche ~ 164 26a – Petitionsrecht 164 33 – Prozesshindernis 164 36 – Qualifikation 164 31a – Rechtspflegetheorie 164 1a – rechtswidrige Tat 164 15 – Schutzzwecke 164 1 ff – Strafzumessung 164 34c – Tathandlung 164 4 ff, 164 14a ff, 164 20a ff – Tatsachenbehauptungen 164 20a ff – Unwahrheit 164 22a – Verdächtigen 164 4a ff, s. a. dort – Verdächtigung eines anderen 164 20 – Vollendung 164 32 – Vorgänge im Behördenbereich 164 27 – Wahlfeststellung 164 34b – Wahrnehmung berechtigter Interessen 164 33 – wider besseres Wissen 164 28 ff – Widerruf 164 25a – Zugehen der ~ 164 25 703
falsches Schwören 154 2 ff Falschmünzerei 146 6 ff Fälschung von Euroscheckvordrucken 152b 3 Fälschung von Schecks 152a 5 Fälschung von Wechseln 152a 5 Fälschung von Zahlungskarten 152a 1 ff – Beihilfe 152a 11 – Feilhalten 152a 8 – Gebrauchen 152a 8 – Konkurrenzen 152a 13 – Kundenkarten 152a 4 – Mittäterschaft 152a 11 – Nachmachen 152a 7 – Rechtsgut 152a 2 – skimming 152a 10 – Strafe 152a 12 – Teilnahme 152a 11 – Telefonkarten-Simulatoren 152a 4 – Überlassen 152a 8 – Verfälschen 152a 7 – Verschaffen 152a 8 – Versuch 152a 10 – Vollendung 152a 10 – Vorbereitung 152a 11 – Vorsatz 152a 9 – Zahlungskarten 152a 3 f Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion 152b 1 ff – elektronische Geldbörsen 152b 2 – Konkurrenzen 152b 9 – minder schwere Fälle 152b 7 – Qualifikationstatbestand 152b 8 – Strafe 152b 7 – Tathandlungen 152b 4 – Versuch 152b 6 – Vorsatz 152b 5 – Zahlungskarten mit Garantiefunktion 152b 2 Familienstrafschutz s. Ehe–/Familienstrafschutz Familienunterhalt 170 45, 170 67 Feiertage 167 9 Feilhalten – Fälschung von Zahlungskarten 152a 8 – Geldfälschung 146 20a – Wertzeichenfälschung 148 11 Feuerbestattung 168 51 formlose Informationen 153 9a Freikirchen 166 82 freiwillige Gerichtsbarkeit – falsche eidesstattliche Versicherung 156 13 – Meineid 154 7 – uneidliche Falschaussage 153 10b Klie
Sachregister
fremde Währung – Geld 146 4 – Geldfälschung 152 1 ff – Wertzeichenfälschung 152 1 ff Friedhofsnutzungsrecht 167a 18 Friedhofszwang 167a 17 Friedwaldbestattungen 167a 24 Fürsorge-/Erziehungspflicht 171 19 ff – Entstehungsgründe 171 19 ff – Entwicklungsstand 171 31 – Erziehungspflicht 171 28 ff – Fürsorgepflicht 171 26 f – Gegenstand 171 25 ff – gesetzliche ~ 171 20 – kulturelle Vorprägung 171 32 – öffentlich-rechtliche ~ 171 22 – Personensorge 171 25 – Pflichtenbündel 171 25 – Stellung des Normadressaten 171 31 – tatsächliche Übernahme 171 23 – vertragliche ~ 171 21 Fürsorgepflicht 171 26 f – gröbliche Pflichtverletzung 171 39 f – pflegerische-psychische Komponente 171 27 G Gebräuche 166 97 f Geburt 169 43 Gefährdungsdelikt – Aussagedelikte Vor 153 6 – Beschimpfung von Religionen/Weltanschauungen 166 12 – Doppelehe 172 16 – Störung der Totenruhe 168 8 – Verletzung der Fürsorge-/Erziehungspflicht 171 13 – Verletzung der Unterhaltspflicht 170 16, 170 162 Gefahrenabwehrrecht 168 81 Gehilfe 157 3 Geld 146 4 ff – Bitcoins 146 4d – Emission 146 4b – Euro 146 4a – fehlende Verwendung 146 5a – fremde Währung 146 4 – Inverkehrbringen von Falschgeld 147 1 – Kryptowährungen 146 4d – Sondermünzen 146 4c – Verlust der Geldeigenschaft 146 5 f – Wertpapiere 151 1 ff, s. a. dort – Wertträger 146 4 – Zahlungsmittel 146 4 Klie
Geldfälschung Vor 146 1 – Absicht 146 21 – Bande 146 33 – BBankG Vor 146 9 – EGStGB Vor 146 2 – Einziehung 150 1 ff – Eventualvorsatz 146 21 – Falschmünzerei 146 6 ff – Feilhalten von falschem Geld 146 20a – fremde Währung 152 1 ff – Geld 146 4 ff, s. a. dort – Gewerbsmäßigkeit 146 32 – Herstellen 149 5 – Hologramme 149 4a – Inverkehrbringen 146 12 ff, s. a. dort – Inverkehrbringen von Falschgeld 146 23 ff, s. a. dort – Konkurrenzen 146 35 – MünzG Vor 146 9 – Münzverfälschung 146 11 – Nachmachen von echtem Geld 146 6 ff, s. a. dort – OWiG Vor 146 9 – Papier 149 4 – Rechtsgut Vor 146 6, 146 2 – Rücktritt 146 19, 149 2 – Sichverschaffen 146 20 – Strafe 146 34, 149 11 – Täterintention 146 3 – tätige Reue 149 8 ff – Urkundenfälschung Vor 146 7 – Verfälschen von echtem Geld 146 11 – Versuch 146 17, 146 22 – Vollendung 146 18, 146 22 – Vorbereitung 146 3, 149 1 ff – Vorbereitung und Fälschungsdelikt 149 7 – Vorbereitungsvorsatz 149 6 – Vorrichtungen 149 3 – Vorsatz 146 16 – Weltrechtsprinzip Vor 146 8 – zielgerichtete Wollen Vor 146 4 Gemeinde 164 24 Gemeindegesang 167 20 Gericht 153 5a – Behörde 164 24 – Falschangabe 169 68 – fremde Staaten 153 7 – Meineid 154 9 – Personenstandsfälschung 169 53 Geschlecht 169 43 Geschlechtszugehörigkeit 169 63 704
Sachregister
gesundheitlich-genetische Verbotsgründe 173 22 gewaltfreie Erziehung 171 30 Gewebeproben 168 19 Gewerbsmäßigkeit 146 32 gewidmete Orte – Gottesdienst 167 32 f – Störung der Religionsausübung 167 1, 167 32 f – Weltanschauungsfeier 167 34 Gewinnanteilsscheine 151 3 Glaubhaftmachung 156 7a Gottesdienst – Andacht 167 13 – Andacht eines Einzelnen 167 16 – Begriff 167 12 – Beichte 167 20 – bestimmter Ort 167 17 – Gemeindegesang 167 20 – gewidmete Orte 167 32 f – gottesdienstliche Handlungen 167 20 f – Grenzfälle 167 18 – Kaddisch-Gebet 167 20 – kirchliche Trauung 167 20 – kirchliches Selbstbestimmungsrecht 167 19 – Kommunion 167 20 – Konfirmation 167 20 – Kulthandlungen 167 12 ff – religiöse Bedürfnisse Einzelner 167 20 – religiöse Erbauung 167 13 – Schwerpunktbetrachtung 167 14 – Störung der Religionsausübung 167 1 – Veranstaltungen mit mehreren Zwecken 167 14 gottesdienstliche Handlungen 167 20 f Grabgebäude 168 52 grobe Störung 167 25 ff – Beispiele 167 26 – Dauer 167 25 – Erfolg 167 25 – fehlende ~ 167 27 – Stören 167 25 – Störung einer Bestattungsfeier 167a 28 – Störungsmittel 167 25 – Zeitpunkt 167 25 Gruft 168 52 Grundrechtsträger 166 40 Gutgläubige 164 32a Gutgläubigkeit des Verleiteten 160 2 f H Halbgeschwister 173 29 705
Heimunterbringung 170 176 Hirntod 168 12 ff Hologramme – Geldfälschung 149 4a – Wertzeichenfälschung 149 4a I Individualgutstheorie 164 1a Informations-/Kommunikationstechnik 166 52 Inhaberschuldverschreibungen 151 2 Innehaltungsbeschluss 164 36 Insolvenzrecht 170 37 Internet 166 57 Inverkehrbringen 146 12 ff – Absicht 146 15 – als echt ~ 146 14, 148 12 – Begriff 146 12 – Dritte 146 13 – Eingeweihte 146 14 – Übergabe 146 13 – Versuch 146 13 – Wertzeichenfälschung 148 11a – Zwischenhändler 146 14 Inverkehrbringen von Falschgeld 146 23 ff, 147 1 ff – als echtes Geld 147 2 ff – Begriff 147 2 – Beihilfe 146 29 – Eingeweihte 146 24, 147 2 – Eventualvorsatz 147 6 – Geld 147 1 – Inverkehrbringen 146 12 ff, s. a. dort – Mittäterschaft 146 29 – Nachmachen von echtem Geld 146 20 – Rücktritt 146 30 – Scheinkäufer 146 27 – Teilnahme 147 8 – Versuch 146 27, 147 7 – Vollendung 146 26, 147 7 – Vorsatz 146 25, 147 6 – Zwischenhändler 146 24, 147 2 Inzestscheu 173 9, 173 26 Inzestverbot 173 1 ff, s. a. Beischlaf zwischen Verwandten – Schutzgüter 173 18 ff IPR 172 37 Irrtum – Beischlaf zwischen Verwandten 173 39 – Doppelehe 172 39 – fahrlässiger Falscheid 161 15 – Personenstandsfälschung 169 99 – Störung der Totenruhe 168 70 Klie
Sachregister
– Verletzung der Unterhaltspflicht 170 209 ff Istvermögen 156 20 J Jugendliche 169 27 K Kaddisch-Gebet 167 20 Karikatur 166 45 Karlsruher Münzskandal 146 10 Kettenverbreitung – Verbreiten von Inhalten 166 56 – Vorsatz 166 108 Kind 169 26 Kindergeld 170 90 Kirchen 166 68, 166 81 – alte nichtchristliche ~ 166 85 – Kulthandlungen 167 10 ff, s. a. dort kirchliche Trauung 167 20 kirchliches Selbstbestimmungsrecht 167 19 klinischer Tod 168 12 Kommunikationstechnik 166 52 Kommunion 167 20 Konfirmation 167 20 Konkurrenzen – Beischlaf zwischen Verwandten 173 45 f – Berichtigung einer falschen Aussage 158 15 – Beschimpfung von Religionen/Weltanschauungen 166 111 – Doppelehe 172 45 – fahrlässiger Falscheid 161 21 – falsche eidesstattliche Versicherung 156 28 – falsche Verdächtigung 164 34 f – Fälschung von Zahlungskarten 152a 13 – Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion 152b 9 – Geldfälschung 146 35 – Meineid 154 25 – Personenstandsfälschung 169 106 ff – Störung der Religionsausübung 167 39 – Störung der Totenruhe 168 85 ff – Störung einer Bestattungsfeier 167a 31 – uneidliche Falschaussage 153 18 – Verletzung der Fürsorge-/Erziehungspflicht 171 80 ff – Verletzung der Unterhaltspflicht 170 221 ff – Wertzeichenfälschung 148 17
Klie
Körper eines Verstorbenen 168 11 ff – Begriff 168 11 – Dauer des Schutzes 168 17 – Körperteile 168 18 ff, s. a. dort – Moorleichen 168 17 – Mumien 168 17 – plastinierter ~ 168 17 – Skelett 168 17 – Todeszeitpunkt 168 12 ff, s. a. dort – tot geborenes Kind 168 16 Körperschaften des öffentlichen Rechts 166 74 ff Körperschaftsrechte 166 77 f Körperteile 168 18 ff – Begriff 168 18 – Blutprobe 168 19 – Dauer des Schutzes 168 20 – Gewebeproben 168 19 – Kasuistik 168 19 – künstlich eingefügte ~ 168 19 Korporationsrechte 166 77 f Krankenhaus 168 27 kriminelle Familienstrukturen 171 16, 171 42 krimineller Lebenswandel 171 46 ff, 171 71 Kronzeugen 164 31a Kryptowährungen 146 4d Kulthandlungen 167 10 ff – geschützte ~ 167 11 ff – Gottesdienst 167 12 ff, s. a. dort kulturelle Vorprägung 171 32 Kundenkarten 152a 4 Kunstfreiheit 166 37 ff – Aussagegehalt eines Kunstwerks 166 37 – Beschimpfen 166 37 ff – Grundrechtsschranken 166 41 – Grundrechtsträger 166 40 – Karikatur 166 45 – Kunstbegriff 166 38 – Religionsfreiheit 166 42 ff – Satire 166 45 – Schutzumfang 166 39 – Werkbereich 166 39 – Wirkbereich 166 39 L Lebensbedarf 170 163 f Lebenspartner – Doppelehe 172 5 ff, s. a. dort – Unterhaltspflicht 170 46 Lebenspartnerschaft – bestehende Ehe/Lebenspartnerschaft 172 23 – Doppelehe 172 12, s. a. dort 706
Sachregister
Legalverhalten 171 69 leibliche Verwandte 173 27 ff Leichenschau 168 36 ff Leihmutterschaft 173 33 Leistungen der öffentlichen Hand 170 177 ff Leistungsbestimmungsrecht 170 75 Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners 170 81 ff – abzugsfähige Aufwendungen 170 115 ff – Arbeitsplatzverlust 170 96 f – Ausbildungsbeginn 170 99 – Bedarf 170 86 – Begriff 170 86 – Berufswechsel 170 98, 170 106 – Beschäftigungschance 170 104 – Betreuungsgeld 170 90 – Dauer fiktiver Fortschreibung 170 108 – Ehegatten 170 87 – Einkünfte aus krimineller Betätigung 170 92 – Einsatz des Vermögens 170 110 – einzusetzende Einkünfte 170 89 ff – Elterngeld 170 90 – Erwerbsunfähigkeit 170 103 – Feststellung im Strafurteil 170 116 ff – Kindergeld 170 90 – Maßstab 170 87 – Pflegegeld 170 90 – potentielle Einkünfte 170 95 – Prüfungsreihenfolge 170 88 ff – Ruhealter 170 105 – Schmerzensgeld 170 91 – Schwarzarbeit 170 92 – Selbstbehalt 170 111 ff, s. a. dort – Strafhaft 170 93 – Strafrichter 170 84 – Tatzeitraum 170 83 – überobligatorisches Einkommen 170 94 – ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal 170 82 – Unterhaltsansprüche von Kindern 170 87 – unzureichende Arbeitsaufnahmebemühungen 170 101 ff – vorwerfbare Vermögensminderung 170 109 – wechselnde Einkommenverhältnisse 170 94 – Zumutbarkeit 170 107 Leistungsmodalitäten 170 72 Leugnen 164 6 M Mehrbedarf 170 71 Meineid 154 1 ff – Anstiftung 154 12 ff – Aussagenotstand 157 1 ff, s. a. dort 707
– Beihilfe 154 14 – Berichtigung einer falschen Aussage s. a. dort – Dolmetscher 154 5 – Doppelstellung 154 1 – Eid 154 2 ff – Eidesfähigkeit 154 10 f – eidesgleiche Bekräftigungen 155 1 ff, s. a. dort – falsche eidesstattliche Versicherung 156 1 – falsches Schwören 154 2 ff – freiwillige Gerichtsbarkeit 154 7 – Gericht 154 9 – Konkurrenzen 154 25 – Nacheid 154 3 – Notstand 154 21 – Offenbarungseid 154 1, 154 8 – Parteieid 154 1, 154 6 – Sachverständigeneid 154 4 f – Stelle zur eidlichen Vernehmung 154 9 – Strafe 154 23 – Täter 154 9a – Teilnahme durch konkludentes Verhalten 154 15 ff – Teilnahme durch Unterlassung 154 17 ff – Unterlassung 154 17 ff – Verleitung zur Falschaussage 160 1 ff, s. a. dort – Versuch 154 22 – Vorsatz 154 20 – Wahlfeststellung 154 24 – Zeugeneid 154 3 Mengenverbreitung 166 56 Menschenwürde 167a 3 missionierende Religionen des Ostens 166 87 Mittäterschaft – Fälschung von Zahlungskarten 152a 11 – Inverkehrbringen von Falschgeld 146 29 Mitteilungspflichten 169 83 mittelbare Täterschaft – Beischlaf zwischen Verwandten 173 40 – Doppelehe 172 43 – falsche Verdächtigung 164 32a – Personenstandsfälschung 169 104 – Verleitung zur Falschaussage 160 1 Mittelsmann 160 6 moderne Reproduktionstechniken 173 33 Moorleichen 168 17 Mumien 168 17 Münzverfälschung 146 11 Mutterschaft – Unterhaltspflicht 170 124 – Unterschieben eines Kindes 169 29 f Klie
Sachregister
N Nacheid 154 3 Nachkommen 173 29 Nachmachen – Fälschung von Zahlungskarten 152a 7 – Geldfälschung 146 6 ff – Wertzeichenfälschung 148 5 Nachmachen von echtem Geld 146 6 ff – Ähnlichkeit 146 6 ff – Fälschung von verrufenem Geld 146 9 – Inverkehrbringen von Falschgeld 146 20 – Karlsruher Münzskandal 146 10 – Systemmünzen 146 8 – Systemnoten 146 7 Name 169 44 Naturalunterhalt 170 65 Nebensächlichkeiten Vor 153 25 ff Nicht-Ehe 172 22 Notstand – Beischlaf 173 38 – Meineid 154 21 – Störung der Totenruhe 168 82 O Obhutsrecht 168 25 Offenbarungseid 154 1, 154 8 – falsche eidesstattliche Versicherung 156 1 Offenlegungspflichten 169 83 öffentliche Verwaltung 156 14 öffentlicher Friede 166 2 ff – Begründung der Strafbarkeit 166 9 – Eignung als Rechtsgut 166 9 – Eignung zur Friedensstörung 166 60 ff, s. a. dort – Lehre vom Rechtsgut 166 8 – Rechtsgut 166 5 – selbständiges Rechtsgut 166 9 – Störung der Religionsausübung 167 4 – Störung der Totenruhe 168 7 – Störung einer Bestattungsfeier 167a 6 – umfassende Bedeutung 166 6 – vorgelagerter Rechtsgüterschutz 166 2 ff omissio libera in causa 170 158 Orderschuldverschreibungen 151 2 Organhandel 168 89 Organtransplation 168 76, 168 87 ff Orthodoxie 166 81 P Papier – Geldfälschung 149 4 – Wertzeichenfälschung 149 4 Parität 166 79 Klie
Parteieid 154 1, 154 6 Parteivernehmungen – Aussagenotstand 157 2 – Berichtigung einer falschen Aussage 158 2 – fahrlässiger Falscheid 161 5, 161 8 – uneidliche Falschaussage 153 9 Personensorge 171 25 Personenstand 169 39 ff – Abstammung 169 45 – Akzessorietät 169 40 – Alter 169 43 – Begriff 169 39 – Eheschließung 169 46 – eines anderen 169 49 – Geburt 169 43 – Geschlecht 169 43 – Legaldefinition 169 39 – Name 169 44 – Personenstandsmerkmale 169 42 ff – rechtliche Verhältnisse 169 41 – Religionszugehörigkeit 169 48 – Staatsangehörigkeit 169 48 – tatsächliche Vorgänge 169 41 – Tod 169 47 – Verpartnerung 169 46 Personenstandsfälschung 169 1 ff – 4. StrRG 169 4 ff – Adressat 169 50 ff – anonyme Geburten 169 12, 169 93 ff – Auslandsbezug 169 16 ff – außerstrafrechtliche Rechtsgebiete 169 22 – Aussetzen eines Neugeborenen 169 86 ff – Babyklappe 169 12, 169 90 ff – Behörde 169 50 ff – Deliktstyp 169 19 ff – Erfolgsdelikt 169 20 – Falschangabe 169 38 ff, 169 56 ff, s. a. dort – flankierende Vorschriften 169 23 – Gefährdungserfolg 169 20 – Gerichte in Statussachen 169 53 – gerichtliches Verfahren 169 55 – geschichtliche Entwicklung 169 1 ff – Handlungen ohne Erklärungswert 169 80 – Herbeiführen einer Irreführung 169 80 – Irrtum 169 99 – Konkurrenzen 169 106 ff – Mitteilungspflichten 169 83 – mittelbare Täterschaft 169 104 – nicht-behördliche Dritte 169 54 – Offenlegungspflichten 169 83 – Personenstand 169 39 ff, s. a. dort – Personenstandsrecht 169 22 708
Sachregister
– praktische Bedeutung 169 10 – prozessuale Wahrheitspflichten 169 84 – Rechtsgut 169 13 ff – Rechtswidrigkeit 169 100 – Reform des Kindschaftsrechts 169 8 – Standesämter 169 52 – Strafe 169 105 – Tatvarianten 169 24 – Täuschung eines Sachverständigen 169 81 – Teilnahme 169 104 – Unterdrückung 169 75 ff – Unterlassen 169 19, 169 82 ff – Unterschieben eines Kindes 169 25 ff, s. a. dort – Verfälschungen 169 75 ff – Verjährung 169 103 – Versuch 169 102 – vertrauliche Geburten 169 12, 169 96 f – Vollendung 169 101 – Vorsatz 169 98 f – Zeugnisverweigerungsrecht 169 84 – Zustandsdelikt 169 21 Personenstandsrecht 169 22 Petitionsrecht 164 33 Pflegegeld 170 90 Pflichtdelikte Vor 153 7 Pflichtenbündel 171 25 Pflichttheorie Vor 153 11 Pietätsempfinden – Störung der Totenruhe 168 5 – Störung einer Bestattungsfeier 167a 4 f postmortaler Persönlichkeitsschutz 168 5 f Prostitution – Entwicklungsschädigung 171 72 – Verletzung der Fürsorge-/Erziehungspflicht 171 50 ff Prozesshindernis 164 36 Q Qualifikation – falsche Verdächtigung 164 31a – Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion 152b 8 R Rechtsgut – Aussagedelikte Vor 153 2 – Beischlaf zwischen Verwandten 173 12 ff, 173 18 ff – Beschimpfung von Religionen/Weltanschauungen 166 2 ff – Doppelehe 172 11 ff – Fälschung von Zahlungskarten 152a 2 709
– Geldfälschung Vor 146 6, 146 2 – Personenstandsfälschung 169 13 ff – Störung der Religionsausübung 167 4 f – Störung der Totenruhe 168 4 ff – Störung einer Bestattungsfeier 167a 2 ff – Verletzung der Fürsorge-/Erziehungspflicht 171 7 ff – Verletzung der Unterhaltspflicht 170 18 ff, 170 22 – Wertzeichenfälschung Vor 146 6, 148 1 Rechtspflegetheorie 164 1a Rechtstreue 166 78 rechtswidrige Tat 164 15 Rechtswidrigkeit – Beschimpfung von Religionen/Weltanschauungen 166 109 – Doppelehe 172 38 – Personenstandsfälschung 169 100 – Störung der Religionsausübung 167 29 f, 167 38 – Störung der Totenruhe 168 72 ff, 168 84 – Störung einer Bestattungsfeier 167a 30 – Verletzung der Unterhaltspflicht 170 203 Reiseschecks 151 4 Religion 166 23 f Religionsdelikte – Aussagedelikte Vor 153 4 – Beschimpfung von Religionen/Weltanschauungen 166 1 ff, s. a. dort – Störung der Religionsausübung 167 1 ff, s. a. dort – Störung der Totenruhe 168 1 ff, s. a. dort – Störung einer Bestattungsfeier 167a 1 ff, s. a. dort Religionsfreiheit – Kunstfreiheit 166 42 ff – Störung der Religionsausübung 167 5 Religionsgemeinschaften 166 67, 166 69 ff – alte nichtchristliche Kirchen 166 85 – anerkannte ~ 166 80 ff – ausländische ~ 166 100 – Begriff 166 69 – bestimmendes Merkmal 166 70 – Doppelmitgliedschaft 166 70 – formelle Voraussetzungen 166 71 – Freikirchen 166 82 – gesellschaftliche Betätigung 166 73 – Kirchen 166 68, 166 81 – Körperschaften des öffentlichen Rechts 166 74 ff – Körperschaftsrechte 166 77 f – Korporationsrechte 166 77 f Klie
Sachregister
– Kulthandlungen 167 10 ff, s. a. dort – missionierende Religionen des Ostens 166 87 – öffentlichrechtliche Befugnisse 166 76 – Orthodoxie 166 81 – Parität 166 79 – politische Betätigung 166 73 – Rechtstreue 166 78 – religiöse Einzelzwecke 166 89 – scheinbar religiöse Zweckverfolgung 166 88 – Sekten 166 83 – Sondergemeinschaften 166 84 – staatskirchenrechtlicher Begriff 166 74 – synkretistische Neureligionen 166 86 – Verfassungsrang 166 75 – Volkskirchen 166 81 – wirtschaftliche Betätigung 166 72 Religionzugehörigkeit 169 48 Rücktritt – Geldfälschung 146 19, 149 2 – versuchte Anstiftung zur Falschaussage 159 5 – Wertzeichenfälschung 148 9, 149 2 Ruhealter 170 105 S Sachleistungen 170 65, 170 78 Sachverständige – Aussage Vor 153 18 – Aussagenotstand 157 1 ff, s. a. dort – Berichtigung einer falschen Aussage 158 2 – Dolmetscher 154 5 – eidesgleiche Bekräftigungen 155 4, 155 4d – Falschangabe 169 68 – Sachverständigeneid 154 4 f – uneidliche Falschaussage 153 9 Sachverständigeneid 154 4 f Samenspender 173 33 Satire 166 45 Scheidung – Statusakte 170 130 – Unterhaltspflicht 170 45 Scheidungsunterhalt 170 70 Scheinehe – Doppelehe 172 45 – Falschangabe 169 72 Scheinkäufer 146 27 Schmerzensgeld 170 91 Schriften 166 53 Schulbesuch 171 41 Schutz der Familie 173 23 Schutzgesetz 170 36 Schwangere 170 6 f, 170 183 ff, 170 190 Schwarzarbeit 170 92 Klie
Seebestattungen – Beisetzungsstätte 168 52 – Bestattungsfeier 167a 24 Sekten 166 83 Sektion 168 36, 168 39 Selbstbehalt 170 111 ff – angemessener ~ 170 112 – Betreuungsunterhalt 170 112 – notwendiger ~ 170 113 – Strafgefangene 170 114 – Trennungsunterhalt 170 112 – Verwandtenunterhalt 170 112 sexuelle Selbstbestimmung 173 24 Sichverschaffen – Geldfälschung 146 20 – Wertzeichenfälschung 148 10 Skelett 168 17 skimming 152a 10 Sonderbedarf 170 71 Sonderdelikt – Beischlaf zwischen Verwandten 173 40 – Doppelehe 172 42 – Verletzung der Fürsorge-/Erziehungspflicht 171 77 – Verletzung der Unterhaltspflicht 170 212 Sondergemeinschaften 166 84 Sondermünzen 146 4c Sonderstraftaten Vor 153 7 Sonn-/Feiertage 167 9 sozial-ethische Wertvorstellungen 171 68 Sozialrecht 168 80 Spontanerklärungen – falsche eidesstattliche Versicherung 156 8 – uneidliche Falschaussage 153 9a Staatsangehörigkeit 169 48 Standesämter – Falschangabe 169 67 – Personenstandsfälschung 169 52 Statusakte 170 128 ff – Adoption 170 130 – Beweiserhebung 170 129 – Eheschließung 170 130 – einstweilige Anordnungen 170 137 – rechtskräftige Vaterschaftsfeststellung 170 130 – rückwirkende Verwandtschaft 170 134 – Scheidung 170 130 – Sicherheitsleistung 170 138 – Unterhaltsrückstände 170 134 – Vaterschaftsanerkenntnis 170 130 – Vaterschaftsanfechtung 170 135
710
Sachregister
– Verbundentscheidung 170 131 – Wirkungen 170 132 ff Stören – grobe Störung 167 25 – Störung einer Bestattungsfeier 167a 27 f Störung der Religionsausübung 167 1 ff – Angriffsgegenstände 167 10 ff, 167 31 ff – beschimpfender Unfug 167 35 f – Deliktstypus 167 6 – Eignung zur Friedensstörung 167 40 – Erfolgsdelikt 167 6 – Eventualvorsatz 167 28 – gewidmete Orte 167 1, 167 32 f – gewidmeter Ort 167 1 – Gottesdienst 167 1, 167 12 ff, s. a. dort – grobe Störung 167 25 ff, s. a. dort – Konkurrenzen 167 39 – Kulthandlungen 167 10 ff, s. a. dort – öffentlicher Friede 167 4 – Rechtsgut 167 4 f – Rechtswidrigkeit 167 29 f, 167 38 – Religions-/Weltanschauungsfreiheit 167 5 – Schutz der Sonn-/Feiertage 167 9 – Störung des Gottesdienstes 167 1 – Tathandlung 167 24 ff, 167 35 – Tätigkeitsdelikt 167 6 – Umfang des Strafschutzes 167 2 f – Verfassungsrecht 167 7 – Verletzungsdelikt 167 6 – Versammlungsgesetz 167 8 – Vorsatz 167 28, 167 37 – Weltanschauungsfeier 167 22 f Störung der Totenruhe 168 1 ff – Angriffsgegenstände 168 10 ff, 168 40, 168 48 ff – Asche eines Verstorbenen 168 22 – Aufbahrungsstätte 168 48 f – Beisetzungsstätte 168 50 ff, s. a. dort – beschimpfender Unfug 168 41 ff, 168 64 ff – Bestattungsformen 168 51 ff – Deliktstyp 168 8 – Erinnerungszeichen 168 60 – Erlaubnis 168 78 ff – Gefährdungsdelikt 168 8 – Gefahrenabwehrrecht 168 81 – Irrtum 168 70 – Konkurrenzen 168 85 ff – Körper eines Verstorbenen 168 11 ff, s. a. dort – Körperteile 168 18 ff, s. a. dort – Notstand 168 82 – öffentlicher Friede 168 7 – Organhandel 168 89 711
– Organtransplation 168 76, 168 87 ff – Pietätsempfinden 168 5 – postmortale Einwilligung 168 77 – postmortaler Persönlichkeitsschutz 168 5 f – praktische Bedeutung 168 1 – prämortale Einwilligung 168 74 f – räumliche Gegebenheiten 168 45 – Rechtfertigungsgründe 168 83 – Rechtsgut 168 4 ff – Rechtswidrigkeit 168 84 – Sozialrecht 168 80 – Strafverfahrensrecht 168 79 – Täterkreis 168 46 – Tathandlung 168 23, 168 41 – tote Leibesfrucht/-teile 168 21 – Totengedenkstätte 168 57 ff – Umfang des Strafschutzes 168 2 – Verfassungsrecht 168 9 – Verletzungsdelikt 168 8 – Versuch 168 71 – Vorsatz 168 67 ff – Wegnahme 168 23 ff, s. a. dort – Zerstören einer Stätte 168 61 Störung einer Bestattungsfeier 167a 1 ff – Bestattung 167a 10 ff, s. a. dort – Bestattungsfeier 167a 10 ff, 167a 21 ff, s. a. dort – Deliktstyp 167a 7 – Ehrfurcht vor dem Tode 167a 4 – Erfolgsdelikt 167a 7 – grobe Störung 167a 28 – Interessen der Lebenden 167a 4 – Konkurrenzen 167a 31 – Menschenwürde 167a 3 – Nachwirkung der Menschenwürde 167a 3 – öffentlicher Friede 167a 6 – Pietätsempfinden 167a 4 f – praktische Bedeutung 167a 1 – Recht zur Bestattung 167a 14 – Rechtsgut 167a 2 ff – Rechtswidrigkeit 167a 30 – religiöse/weltanschauliche Bezüge 167a 6 – Schutz der Toten 167a 3 – Stören 167a 27 f – Umfang des Strafschutzes 167a 9 – Verfassungsrecht 167a 8 – Verletzungsdelikt 167a 7 – Vorsatz 167a 29 Strafe – Aussagenotstand 157 13 – Beischlaf zwischen Verwandten 173 42 ff – Fälschung von Zahlungskarten 152a 12 Klie
Sachregister
– Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion 152b 7 – Geldfälschung 146 34 – Meineid 154 23 – Personenstandsfälschung 169 105 – uneidliche Falschaussage 153 17 – Verletzung der Fürsorge-/Erziehungspflicht 171 78 f – Verletzung der Unterhaltspflicht 170 214 ff Strafverfahren – eidesgleiche Bekräftigungen 155 3, 155 4a – falsche eidesstattliche Versicherung 156 11 – Störung der Totenruhe 168 79 Strafzumessung – Aussagenotstand 157 16 – Beischlaf zwischen Verwandten 173 44 – falsche Verdächtigung 164 34c – Vernehmungsmängel Vor 153 31 synkretistische Neureligionen 166 86 Systemmünzen 146 8 Systemnoten 146 7 T tätige Reue – Geldfälschung 149 8 ff – Wertzeichenfälschung 149 8 ff Tätigkeitsdelikt – Doppelehe 172 16 – Störung der Religionsausübung 167 6 Tatsachen 164 7 f Tatsachenbehauptungen 164 20a ff Tatsachenkern Vor 153 17a Teilleistungen 170 73 Teilnahme – Beischlaf zwischen Verwandten 173 41 – Doppelehe 172 42 – falsche eidesstattliche Versicherung 156 27 – Fälschung von Zahlungskarten 152a 11 – Inverkehrbringen von Falschgeld 147 8 – Personenstandsfälschung 169 104 – uneidliche Falschaussage 153 16 – Verletzung der Fürsorge-/Erziehungspflicht 171 77 – Verletzung der Unterhaltspflicht 170 213 – versuchte Anstiftung zur Falschaussage 159 4 Telefonkarten-Simulatoren 152a 4 Tenorierung 160 9 Territorialprinzip 170 27 Tod 169 47 Todeszeitpunkt 168 12 ff – diagnostische Feststellungen 168 14 Klie
– Hirntod 168 12 ff – klinischer Tod 168 12 – Organtransplantation 168 12 tote Leibesfrucht/-teile – Störung der Totenruhe 168 21 – Totenfürsorgerecht 168 30 Totenfürsorgerecht 168 29 ff – Herleitung 168 30 – Inhalt 168 31 – Kreis der Berechtigten 168 32 – Rangfolge 168 33 – tote Leibesfrucht/-teile 168 30 Totengedenkstätte 168 57 ff Trennungsunterhalt – Selbstbehalt 170 112 – Unterhaltspflicht 170 70 U Übertreibungen 164 11 uneidliche Falschaussage 153 1 ff – Anstiftung 153 16a – Aufzehrung durch Meineid 153 13 – Aussagen eines (Mit-)Beschuldigten 153 10 – Aussagenotstand 157 1 ff, s. a. dort – Beihilfe 153 16 – Berichtigung einer falschen Aussage 158 1 ff, s. a. dort – Beschuldigte 153 10 – Dolmetscher 153 9 – Falschaussage 153 2 ff, s. a. dort – formlose Informationen 153 9a – freiwillige Gerichtsbarkeit 153 10b – Gericht 153 5 f – Gerichte fremder Staaten 153 7 – Konkurrenzen 153 18 – Parteivernehmungen 153 9 – Sachverständige 153 9 – Spontanerklärungen 153 9a – Stelle zur eidlichen Vernehmung 153 6 – Strafe 153 17 – Teilnahme 153 16 – Untersuchungsausschuss 153 6, 153 8, 153 10a, 162 2 – unverlangte Äußerungen 153 9a – Vereidigung 153 12 – Verleitung zur Falschaussage 160 1 ff, s. a. dort – versuchte Anstiftung zur Falschaussage 159 1 ff, s. a. dort – Vollendung 153 11 – Vorsatz 153 15 712
Sachregister
– Wahlfeststellung 153 14 – Zeugen 153 9 Unschuldsvermutung 170 121 Unterhaltspflicht 170 39 ff – Art 170 64 ff – Aufhebung einer Ehe 170 45 – Autonomie strafrichterlicher Beurteilung 170 121 – Barunterhalt 170 65, 170 77 – Bedarf 170 71 – Bedürftigkeit 170 146 ff – Betreuungsunterhalt 170 69 – Bindungswirkungen 170 120 ff – DDR 170 57 – Dienstleistungen 170 65, 170 79 f – Ehegatten 170 45 – eingetragene Lebenspartner 170 46 – Entstehungsgründe 170 41 f – Ersatzleistung 170 74 – Erstattungsansprüche Dritter 170 51 ff – Familienunterhalt 170 45, 170 67 – Grundverhältnisse 170 43 ff, 170 66 ff – Leistungen öffentlicher Stellen 170 54 – Leistungen privater Dritter 170 52 f – Leistungsbestimmungsrecht 170 75 – Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners 170 81 ff, s. a. dort – Leistungsmodalitäten 170 72 – Mangelfall 170 62 – Mehrbedarf 170 71 – mehrere Unterhaltsberechtigte 170 61 ff – mehrere Unterhaltsverpflichtete 170 59 f – Mutterschaft 170 124 – Naturalunterhalt 170 65 – nichteheliche Kinder 170 125 – Rangfolge 170 58 ff – Regelungen ausländischen Rechts 170 56 – Sachleistungen 170 65, 170 78 – Schadensersatzansprüche 170 55 – Scheidung 170 45 – Scheidungsunterhalt 170 70 – Sonderbedarf 170 71 – Statusakte 170 128 ff, s. a. dort – tatrichterliche Feststellungen 170 144 f – Teilleistungen 170 73 – Trennungsunterhalt 170 70 – Umfang 170 64 ff – Unschuldsvermutung 170 121 – Unterhaltsentscheidungen 170 139 ff – Unterhaltsentscheidungen als Beweismittel 170 142 f – Unterhaltsrückstände 170 73, 170 77 713
– Unterhaltsverzicht 170 49 – unwiderlegliche Vermutungen 170 123 ff – Vaterschaft 170 124 – Vaterschaftsanerkenntnis 170 125 – Vaterschaftsvermutung 170 126 f – vertragliche Vereinbarungen 170 47 ff – Verwandtenunterhalt 170 44, 170 68 – Vorauszahlungen 170 73 – Vorenthaltung von Barunterhalt 170 77 – Vorenthaltung von Sachleistungen 170 78 – zivilprozessuale Grundsätze 170 122 Unterhaltsrückstände – Statusakte 170 134 – Unterhaltspflicht 170 73, 170 77 Unterhaltsverzicht 170 49 Unterlassen – Doppelehe 172 16 – Erziehungspflicht 171 45 – Falschangabe 169 74 – Meineid 154 17 ff – Personenstandsfälschung 169 19 – Unterschieben eines Kindes 169 37 – Verdächtigen 164 14 – Verletzung der Fürsorge-/Erziehungspflicht 171 14 Unterschieben 169 28 ff Unterschieben eines Kindes 169 25 ff – Anschein 169 35 – Behördenbezug 169 36 – Drittbezug 169 34 ff – gerichtliche Vaterschaftsfeststellung 169 32 – Jugendliche 169 27 – Kind 169 26 – Mutterschaft 169 29 f – Unterlassen 169 37 – Unterschieben 169 28 ff – Vaterschaft 169 31 ff – Vaterschaftsanerkenntnis 169 32 – Vertauschung von Embryonen 169 27 – Volljährige 169 27 – vorgeburtliche Manipulationen 169 33 – Zeitdauer 169 37 – zielgerichtete Täuschung 169 35 Untersuchung 158 10 Untersuchungsausschuss – Aussage Vor 153 22 – uneidliche Falschaussage 153 6, 153 8, 153 10a, 162 2 unverlangte Äußerungen 153 9a Unwahrheit – falsche Verdächtigung 164 22a – Verdächtigen 164 9 f Klie
Sachregister
Urkundenfälschung Vor 146 7 Urschrift 156 4 V Vaterschaft – Unterhaltspflicht 170 124 – Unterschieben eines Kindes 169 31 ff Vaterschaftsanerkenntnis – Ausländerrecht 169 73 – Falschangabe 169 64 f – Statusakte 170 130 – Unterschieben eines Kindes 169 32 Vaterschaftsanfechtung 170 135 Vaterschaftsvermutung 170 126 f Verächtlichmachen 166 33 Verbreiten von Inhalten 166 50 ff – Datenübertragung 166 57 – Diensteanbieter 166 58 – Formen des Verbreitens 166 56 – Internet 166 57 – Kettenverbreitung 166 56 – Kommunikationstechnik 166 52 – Mengenverbreitung 166 56 – Reformziel 166 51 – Schriften 166 53 – Verantwortlichkeit 166 58 – Verbreiten 166 54 – Verbreiten des Inhalts selbst 166 57 Verbreiten von Schriften 165 2 Verdächtigen 164 4a ff – Aufklärungszweck 164 13 – Begriff 164 4a – Beweismittelfiktion 164 5 – Dienstpflichtverletzungen 164 12 – Entstellungen 164 11 – Formen 164 6 – Leugnen 164 6 – Merkmale der Verbotsmaterie 164 8 – Tatsachen 164 7 f – Übertreibungen 164 11 – Unterlassen 164 14 – Unwahrheit 164 9 f – verstecktes ~ 164 6 – Weiterleiten 164 13 – wesentlicher Inhalt 164 11 Verdächtigung eines anderen 164 20 Vereidigung 153 12 Verfälschen – Fälschung von Zahlungskarten 152a 7 – Geldfälschung 146 11 – Wertzeichenfälschung 148 6 Verfälschen von echtem Geld 146 11 Klie
Verfassungsrang 166 75 Verfassungsrecht – Beischlaf zwischen Verwandten 173 12 ff – Störung der Religionsausübung 167 7 – Störung der Totenruhe 168 9 – Störung einer Bestattungsfeier 167a 8 – Verletzung der Unterhaltspflicht 170 5 Verjährung – Beschimpfung von Religionen/Weltanschauungen 166 110 – Doppelehe 172 44 – Personenstandsfälschung 169 103 – Verletzung der Unterhaltspflicht 170 219 Verleiten 160 5 f Verleitung zur Falschaussage 160 1 ff – eigenhändige Delikte 160 1 – Eventualvorsatz 160 8 – Falschaussage 160 4 – Gutgläubigkeit des Verleiteten 160 2 f – mittelbare Täterschaft 160 1 – Mittelsmann 160 6 – Tenorierung 160 9 – Verleiten 160 5 f – Versuch 160 7 f – Vorsatz 160 8 – Zurechnungsfähigkeit 160 3 Verletzung der Fürsorge-/Erziehungspflicht 171 1 ff – 4. StrRG 171 3 f – aktives Tun 171 36 – Deliktstyp 171 13 f – einmalige Unachtsamkeiten 171 35 – Entwicklungsschädigung 171 60 ff, s. a. dort – erhebliche Entwicklungsschädigung 171 59 – flankierende Vorschriften 171 17 – Fürsorge-/Erziehungspflicht 171 19 ff, s. a. dort – Gefährdungsdelikt 171 13 – gröbliche Pflichtverletzung 171 33 ff – gröbliche Pflichtverletzung (Beispiele) 171 38 ff – historische Entwicklung 171 1 ff – Konfrontation mit Sexualität 171 43 – konkrete Gefahr einer Entwicklungsschädigung 171 55 ff – Konkurrenzen 171 80 ff – körperliche/psychische Entwicklung von Kindern 171 9 ff – Kriminalität 171 46 ff – Kriminalstatistik 171 15 – kriminelle Familienstrukturen 171 16, 171 42 – praktische Bedeutung 171 15 – Prostitution 171 50 ff 714
Sachregister
– Rechtsgut 171 7 ff – riskante Handlungen 171 35 – Schulbesuch 171 41 – Sonderdelikt 171 77 – Strafe 171 78 f – Täter 171 77 – Taterfolg 171 54 ff – Tathandlung 171 33 ff – Teilnahme 171 77 – Unkenntnis maßgeblicher Tatsachen 171 75 – Unterlassen 171 14, 171 36 f – Verantwortungslosigkeit 171 76 – Vorsatz 171 73 ff Verletzung der Unterhaltspflicht 170 1 ff – Abschaffung 170 9 – actio libera in causa 170 158 – andere Straftatbestände 170 226 – ausländisches Recht 170 33 – Auslandsbezug 170 25 ff, 170 29 ff, 170 35 – Babyklappe 170 181 – Bewirken des Schwangerschaftsabbruches 170 195 ff, s. a. dort – Dauerdelikt 170 221 – DDR 170 34 – Deliktstyp 170 16 f – doppelte Zweck-/Schutzbereichsverfehlung 170 13 – Einziehung 170 218 – Gefährdung des Lebensbedarfs 170 161 ff, 170 165 ff, 170 202 – Gefährdungsdelikt 170 16, 170 162 – geschichtliche Entwicklung 170 1 ff – geschuldete Leistung 170 154 f – Heimunterbringung 170 176 – Hilfe anderer 170 169 ff – innerer Zusammenhang 170 173 – Insolvenzrecht 170 37 – Irrtum 170 209 ff – Konkurrenzen 170 221 ff – Kriminalstatistik 170 11, 170 14 – Lebensbedarf 170 163 f – Leistungen der öffentlichen Hand 170 177 ff – Leistungen Privater 170 174 ff – Leistungshindernis 170 160 – nichteheliche Vater 170 189 – Nichtleistung 170 152 ff – omissio libera in causa 170 158 – Rechtsanwendung 170 12, 170 15 – Rechtsgut 170 18 ff, 170 22 – Rechtswidrigkeit 170 203 – Schutzgesetz 170 36 – Schwangere 170 6 f, 170 183 ff, 170 190 715
– Sich-Entziehen 170 151 ff – Sonderdelikt 170 212 – Strafe 170 214 ff – Täter 170 212 – Taterfolg 170 161 ff – Tathandlung 170 151 ff – Tatort 170 24, 170 182 – Teilnahme 170 213 – Territorialprinzip 170 27 – Unterbringung 170 178 f – Unterhaltspflicht 170 39 ff, s. a. dort – Vereitelung der Inanspruchnahme 170 156 f – Verfassungsrecht 170 5 – Verjährung 170 219 – Verletzter 170 23 – in verwerflicher Weise 170 193 f – Vorenthalten 170 192 – Vorsatz 170 204 ff – vorwerfbare Leistungsunfähigkeit 170 158 f – Wiederaufnahme 170 220 Verletzungsdelikt – Störung der Religionsausübung 167 6 – Störung der Totenruhe 168 8 – Störung einer Bestattungsfeier 167a 7 Vermögensauskunft 161 17 Vermögensoffenbarung 156 19 ff – Istvermögen 156 20 – Richtigkeit der Angaben 156 21 – Verwahrungsort 156 23 – Zugriffsermöglichung 156 23 Vernehmungsmängel Vor 153 29 ff – Grenzfälle Vor 153 30 – Strafzumessung Vor 153 31 – Verletzung von Verfahrensvorschriften Vor 153 29a Verpartnerung 169 46 verrufenes Geld 146 9 Versammlungen 166 48 Versammlungsgesetz 167 8 Verschaffen – Fälschung von Zahlungskarten 152a 8 – Wertzeichenfälschung 149 5 Verschweigen 153 2, 153 4 Verspotten 166 33 Versuch – Doppelehe 172 41 – eidesgleiche Bekräftigungen 155 3b – Fälschung von Zahlungskarten 152a 10 – Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion 152b 6 – Geldfälschung 146 17, 146 22 – Inverkehrbringen 146 13 Klie
Sachregister
– Inverkehrbringen von Falschgeld 146 27, 147 7 – Meineid 154 22 – Personenstandsfälschung 169 102 – Störung der Totenruhe 168 71 – Verleitung zur Falschaussage 160 7 f – versuchte Anstiftung zur Falschaussage 159 1 ff, s. a. dort – Wertzeichenfälschung 148 9, 148 16 versuchte Anstiftung zur Falschaussage 159 1 ff – fehlgehende ~ 159 2 – Rücktritt 159 5 – Strafbarkeit 159 1 f – Teilnahme 159 4 – Versuch 159 4 – Versuchstäter 159 1 – Vorsatz 159 3 vertrauliche Geburten 169 12, 169 96 f Verwandtenunterhalt – Selbstbehalt 170 112 – Unterhaltspflicht 170 44, 170 68 Verwenden 148 11 Verwendung 148 13 Verwendungsabsicht 148 7 f Volkskirchen 166 81 Volksverhetzung 166 15 Vollendung – Doppelehe 172 41 – falsche Verdächtigung 164 32 – Fälschung von Zahlungskarten 152a 10 – Geldfälschung 146 18, 146 22 – Inverkehrbringen von Falschgeld 146 26, 147 7 – Personenstandsfälschung 169 101 – uneidliche Falschaussage 153 11 – Wegnahme 168 34 – Wertzeichenfälschung 148 9 Vollzug 165 7 Vorauszahlungen 170 73 Vorbereitungspflicht 161 17 ff Vorrichtungen – Geldfälschung 149 3 – Wertzeichenfälschung 149 3 Vorsatz – Beischlaf zwischen Verwandten 173 39 – beschimpfender Unfug 168 68 – Beschimpfung von Religionen/Weltanschauungen 166 108 – Doppelehe 172 39 f – falsche eidesstattliche Versicherung 156 26 – Fälschung von Zahlungskarten 152a 9 Klie
– Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion 152b 5 – Geldfälschung 146 16 – Inverkehrbringen von Falschgeld 146 25, 147 6 – Meineid 154 20 – Personenstandsfälschung 169 98 f – Störung der Religionsausübung 167 28, 167 37 – Störung der Totenruhe 168 67 ff – Störung einer Bestattungsfeier 167a 29 – uneidliche Falschaussage 153 15 – Verleitung zur Falschaussage 160 8 – Verletzung der Fürsorge-/Erziehungspflicht 171 73 ff – Verletzung der Unterhaltspflicht 170 204 ff – versuchte Anstiftung zur Falschaussage 159 3 W Wahlfeststellung – falsche Verdächtigung 164 34b – Meineid 154 24 – uneidliche Falschaussage 153 14 Wahrnehmung berechtigter Interessen 164 33 Wegnahme 168 23 ff – Angehörige 168 27 – Aufsichts-/Bewachungsverhältnis 168 24 – Einverständnis 168 35 – Einwilligung 168 23, 168 35 – Gewahrsam 168 23 ff – Gewahrsam nach der Bestattung 168 28 – Gewahrsam vor der Bestattung 168 27 – Krankenhaus 168 27 – Leichenschau 168 36 ff – Obhutsrecht 168 25 – Sektion 168 36, 168 39 – Störung der Totenruhe 168 23 ff – tatsächlicher Gewahrsam 168 26 – Totenfürsorgerecht 168 29 ff, s. a. dort – Vollendung 168 34 – Zustimmungserklärungen 168 23, 168 35 Weiterleiten 164 13 Weltanschauung 166 23 f – Erziehungspflicht 171 29 Weltanschauungsfeier – gewidmete Orte 167 34 – Störung der Religionsausübung 167 22 f Weltanschauungsfreiheit 167 5 Weltanschauungsvereinigungen 166 90 f – ausländische ~ 166 100 716
Sachregister
Weltrechtsprinzip Vor 146 8 Werkbereich 166 39 Wertpapiere 151 1 ff – Aktien 151 3 – Anschein 151 5 – Anteilscheine 151 3 – Erneuerungsscheine 151 3 – Gewinnanteilsscheine 151 3 – Inhaberschuldverschreibungen 151 2 – Orderschuldverschreibungen 151 2 – Reiseschecks 151 4 – wesentliche Formmängel 151 6 – Zertifikate 151 3 – Zinsscheine 151 3 Wertträger 146 4 Wertzeichenfälschung Vor 146 1, 148 1 ff – Absicht 148 9 – amtliche Wertzeichen 148 2 ff, s. a. dort – EGStGB Vor 146 6 – Einziehung 150 1 ff – Entwertungsvermerk 148 6, 148 13 – Eventualvorsatz 148 15 – Feilhalten 148 11 – fremde Währung 152 1 ff – Herstellen 149 5 – Hologramme 149 4a – Inverkehrbringen 148 11a – Inverkehrbringen als echt 148 12 – Konkurrenzen 148 17 – Nachmachen 148 5 – OWiG Vor 146 8 – Papier 149 4 – Parallelisierung Geld-/Wertzeichenfälschung 148 1a – PostG Vor 146 9 – Rechtsgut Vor 146 6, 148 1 – Rücktritt 148 9, 149 2 – Schutzgut Vor 146 6 – Sichverschaffen 148 10 – Strafe 149 11 – tätige Reue 149 8 ff – ungültige Wertzeichen 148 13 ff – Urkundenfälschung Vor 146 7 – Verfälschen 148 6 – Verschaffen 149 5
717
– Versuch 148 7 f, 148 16 – Verwenden 148 11 – Verwendungsabsicht 148 7 f – Vollendung 148 9 – Vorbereitung 149 1 ff – Vorbereitung und Fälschungsdelikt 149 7 – Vorbereitungsvorsatz 149 6 – Vorrichtungen 149 3 – Weltrechtsprinzip Vor 146 8 Widerruf der Verdächtigung 164 25a Wiederaufnahme 170 220 Wirkbereich 166 39 Wortprotokoll Vor 153 26 Z Zahlungskarten 152a 3 f Zahlungskarten mit Garantiefunktion 152b 2 Zahlungsmittel 146 4 Zertifikate 151 3 Zeugen – Aussage Vor 153 17 – Aussagenotstand 157 1 ff, s. a. dort – Berichtigung einer falschen Aussage 158 2 – eidesgleiche Bekräftigungen 155 4 – fahrlässiger Falscheid 161 5 ff – Falschangabe 169 68 – uneidliche Falschaussage 153 9 – Zeugeneid 154 3 Zeugeneid 154 3 Zeugnisverweigerungsrecht – Aussagenotstand 157 5 ff – Berichtigung einer falschen Aussage 158 3a – Personenstandsfälschung 169 84 Zinsscheine 151 3 Zivilprozess – Aussage Vor 153 20 – eidesgleiche Bekräftigungen 155 3, 155 4b – falsche eidesstattliche Versicherung 156 12 Zurechnungsfähigkeit 160 3 Zusatzfragen Vor 153 21 ff Zustandsdelikt – Doppelehe 172 16 – Personenstandsfälschung 169 21 Zustimmungserklärungen 168 23, 168 35 Zwischenhändler 146 14, 146 24, 147 2
Klie